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German Pages [346] Year 2012
Titelbild der Kriegszeit Künstlerflugblätter, Nr. 34, 7. April 1915
Alexander Will
Kein Griff nach der Weltmacht Geheime Dienste und Propaganda im deutsch-österreichisch-türkischen Bündnis 1914 –1918
2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Friedrich Kreß von Kressenstein (links) und der k.u.k. Offizier Baron Lager um 1916 (Library of Congress, Prints & Photographs Division, LC-DIG-ppmsca-13709-00096) © 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: xPrint s.r.o., Pribram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20889-9
Inhalt Vorwort............................................................................................................ 11 1 Die Bühne für das Große Spiel. Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich 1871–1918 .................................................... 13 2 Geheimdienste und Propaganda. Asymmetrische Herausforderung im symmetrischen Krieg .......................................... 35 2.1 Dynamit und Pamphlete: Verdeckte Operationen der Mittelmächte und britische Abwehr .......................................................................... 46 2.2 Diplomaten und Agenten: Der deutsche Nachrichtendienst im Orient ................................................................................................. 75 2.3 Den deutschen Waffenbruder fest im Visier: Österreich-Ungarns Nachrichtendienst im Nahen und Mittleren Osten ............................. 96 2.4 Gegen Deutschland: Österreichs Propaganda in der Türkei.................. 124 2.4.1 Knappes Personal, große Schlagkraft: Das Büro des Presse und Propagandaoffiziers in Konstantinopel............................... 128 2.4.2 Mit Gott für den Kaiser: Die katholische Propaganda Österreich-Ungarns im Orient.................................................. 158 2.4.3 Schüler und Gelehrte: Wissenschaft und Bildung im Dienste der Propaganda......................................................................... 175 2.4.4 Prestige und Pracht: Ein Monarchenbesuch als Propagandawerkzeug................................................................. 181 2.5 Viel Masse, ein wenig Elite: Deutsche Propaganda in der Türkei ......... 186 2.6 Endziel Aufstand: Deutsche Propaganda für den Heiligen Krieg ......... 204 2.7 An der Grenze zur Panik: Britische Propaganda-Abwehr ..................... 214 3 Revolutionierung ..................................................................................... 228 Exkurs: Der „Arabische Aufstand“ – der britische Revolutionierungscoup ......... 231 3.1 Expeditionen....................................................................................... 232 3.1.1 Die Expedition Moritz ............................................................. 232 3.1.2 Die Expedition Rohloff............................................................. 235 3.1.3 Die Expedition Frobenius ........................................................ 236 3.1.4 Die deutsche Zentralafrika-Expedition...................................... 240 3.1.5 Die Expedition Musil................................................................ 242 3.1.6 Die Stotzingen-Neufeld-Expedition.......................................... 246 3.1.7 Persien und Afghanistan............................................................ 250 3.2 Morgenländische Märchen: Die Goldkarawanen Deutschlands ........... 294
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3.3 Die Legende vom totalen Scheitern: Wie die deutsche Revolutionierung den Orient veränderte ............................................. 299 Exkurs: Lawrence relativiert und die Enttäuschungen britischer Revolutionierung .......................................................................................... 306 4 Von Legenden und einer Stärke aus Schwäche .................................... 311 Literatur .......................................................................................................... 321 Ungedruckte Quellen ................................................................................. 321 Schrifttum .................................................................................................. 323 Nachschlagewerke ....................................................................................... 334 Internet ...................................................................................................... 334 Abkürzungen .............................................................................................. 335 Personenregister .............................................................................................. 337
Für meinen Großvater Paul Wilhem Hugo Will (1899–1965), Soldat im Ersten Weltkrieg
Vorwort Diese Studie wurde im Wintersemester 2009/2010 unter dem Titel „Geheime Dienste und Propaganda der Mittelmächte im Orient 1914–1918. Asymmetrisches Handeln im symmetrischen Krieg“ von der Philosophischen Fakultät I der Universität des Saarlandes als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie leicht überarbeitet. Zuförderst gilt mein herzlicher Dank meinem Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Thorau. Mit niemals nachlassendem Interesse, den richtigen Fragen zur rechten Zeit, förderlicher Kritik und immer einem offenen Ohr für meine Fragen hat er die Entstehung dieser Arbeit erst ermöglicht. Zudem waren und sind mir sein wissenschaftliches Ethos und seine persönliche Integrität ein großes Vorbild. Frau Professor Dr. Gabriele Clemens hat die Entstehung der Arbeit ebenfalls mit großem Interesse, wohlwollender Kritik und wertvollen Anregungen begleitet und unterstützt. Sie hat das Zweitgutachten übernommen. Ihr gilt ein ebenso herzlicher Dank. Beiden akademischen Lehrern schulde ich zudem für ein in Deutschland keineswegs selbstverständliches Handeln Respekt und Dank: Sie haben das wissenschaftliche Interesse und Streben eines nicht unmittelbar an die Universität angebundenen „Externen“ immer ernst genommen und gefördert. Wichtige Anregungen für die Endkorrektur verdanke ich Frau Dr. Sabine Penth (Saarbrücken). Darüber hinaus sei den Damen und Herren in den Archiven in Berlin, Wien und London ein Dank für ihre Unterstützung ausgesprochen. Viel mehr als Unterstützung erfuhr ich während der Arbeit an diesem Buch von meiner Frau, PD Dr. Sabine Mangold. Zum einen sind ihre kritischen Fragen und die langen Gespräche über das Thema an mehr als einem Abend diesem Buch in inhaltlicher Hinsicht zugute gekommen. Zum anderen aber hat ihr Rückhalt, ihr Verständnis, ihre Zuneigung und Liebe es mir erst ermöglicht, diese Arbeit zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Zutiefst verpflichtet bin ich jedoch vor allem meinen Eltern. Ohne ihre Erziehung zum denkenden und fragenden Menschen wäre die Entstehung dieses Buches nicht möglich gewesen. Dafür gebührt ihnen eine Dankesschuld, die nicht abzutragen ist. Leipzig, im Winter 2011
1 Die Bühne für das Große Spiel Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich 1871–1918 Der Seelöwe brüllt. Das Gesicht des Tieres ist von Schmerz verzerrt. Der muskulöse, menschenähnliche Oberkörper bäumt sich auf. Die beiden Flossen sind grausam von einem großen Halbmond durchstochen. Blut fließt. Unter dem Titelbild der „Kriegszeit Künstlerflugblätter“1 steht „Dardanellen“ und „Wie der Britenleu den Halbmond zertrat“. Es war der berühmte deutsche Tierbildhauer August Gaul,2 der auf diese Weise im Frühjahr 1915 sein künstlerisches Talent in den Dienst der deutschen Propaganda stellte. Kein geringerer als Paul Cassirer3 gab die „Kriegszeit“ heraus. Das Thema des Blattes zeugt von der Faszination, die der Kriegsverlauf im Osmanischen Reich auch auf diese Vertreter der deutschen künstlerischen Moderne ausgeübt hat. Die Wahl des Seelöwen als Titelbild für diese Publikation, also als wichtigstes Verkaufsargument für das Druck-Produkt am Kiosk, läßt auf das große Interesse der Öffentlichkeit in Deutschland für den Krieg im Orient schließen. Doch das Bild des am Halbmond aufgespießten Seelöwen ist wohl nicht nur als Metapher für den türkisch-deutschen Sieg an den Dardanellen zu interpretieren. Es dürfte auch für die in Deutschland weit verbreitete Hoffnung stehen, daß die Auseinandersetzung im Vorderen Orient, die Auseinandersetzung des britischen Weltreiches mit dem Osmanischen Reich und dem mit diesem damals in der deutschen Öffentlichkeit untrennbar assoziierten Islam, ein entscheidender Faktor für eine Niederlage der Entente im Weltkrieg sein könnte. Diese Idee vom möglichen politischen und militärischen Nutzen des Osmanischen Reiches für Deutschland ist nun aber keineswegs seit 1871 politisches Dogma gewesen. Die beiden Jahrzehnte nach der Reichsgründung sahen im Gegenteil ein Deutschland, dem am Osmanischen Reich und seiner Zukunft als Großmacht kaum gelegen war.4 Für die deutsche Politik war die Türkei nur insoweit interessant, 1 Kriegszeit Künstlerflugblätter. Nr. 34, 7. April 1915. Siehe Seite 4. 2 August Gaul (1869–1921). Gründungsmitglied der Berliner Secession. Berühmt geworden duch seine Tier-Skulpturen und -Studien. Enger Freund von Heinrich Zille, Ernst Barlach und Paul Cassirer. Siehe Berger, Ursel: Der Tierbildhauer August Gaul. Berlin, 1999 und Walther, Angelo: August Gaul. Leipzig, 1973. 3 Paul Cassirer (1871–1926). Verleger und Kunsthändler. Vgl. Kennert, Christian: Paul Cassirer und sein Kreis: ein Berliner Wegbereiter der Moderne. Frankfurt/Main, 1996. 4 Trumpener, Ulrich: Germany and the Ottoman Empire. Princeton, 1968. Ders: Germany and the end of the Ottoman Empire. In: Kent, Maria (Hrsg.): The Great Powers and the end of the Ottoman Empire. London, 1984, S. 111–140. Weber, Frank G.: Eagles on the crescent. Germany, Austria, and the diplomacy of the Turkish alliance. Ithaca, 1970. Zum Bild der deutsch-türkischen Beziehungen bis zum Sieg der jungtürkischen Revolution in der deutschen Presse vgl. Alkan, Necmettin: Die deutsche Weltpolitik und die Konkurrenz der Mächte um das osmanische Erbe. Die
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als sie „Gegenstand politischer Ambitionen anderer Großmächte war“.5 Das Bismarcksche Wort, eine aktive Orientpolitik sei nicht die „Knochen des pommerschen Grenadiers“6 wert, charakterisiert diese Phase. Dabei ging es dem Kanzler vor allem darum, Rußland bei der Verwirklichung der Ziele des Zarenreiches im Vorderen Orient nicht in den Weg zu geraten. Die damals schon beinahe traditionelle militärische Zusammenarbeit zwischen Preußen-Deutschland und dem Osmanischen Reich schlief jedoch selbst in dieser Phase nicht ein.7 In den frühen 1890er Jahren begann sich auch die expandierende deutsche Wirtschaft zunehmend für die Türkei zu interessieren.8 Der spektakulärste Erfolg des Reiches in diesem Zusammenhang war der Bau der Bagdadbahn.9 Für die spätere Entwicklung der deutsch-türkischen Beziehungen wichtig und konstituierend für das Militärbündnis im Ersten Weltkrieg sind darüber hinaus zwei Konstanten der deutschen Orientpolitik dieser Zeit: Zum einen verfolgte das Kaiserreich keinerlei
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deutsch-osmanischen Beziehungen in der deutschen Presse 1890–1909. Münster, 2003. Für eine Einordnung in die Gesamtepoche siehe insbesondere Karsh, Efraim; Karsh, Inari: Empires of the sand. The struggle for mastery in the Middle East 1789–1923. Cambridge, 2001. Helfferich, Karl: Die deutsche Türkenpolitik. Berlin, 1921, S. 3. Der Finanzpolitiker und Bankier Karl Helfferich (1872–1924) kannte die deutsch-türkischen Beziehungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Als Direktor der Anatolischen Bahn forcierte er maßgeblich den Bau der Bagdadbahn, später als Staatssekretär im Reichsschatzamt und Vizekanzler war er Mastermind der deutschen Kriegsfinanzierung. Vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). München, 2005, Band 4, S. 649. Reichstagsrede vom 5. Dezember 1876. Diese reicht zurück bis zu Friedrich II. Die Mission Moltkes zwischen 1835 und 1839 ist das bekannteste Beispiel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1886 bis 1895 war Colmar Freiherr von der Goltz in Konstantinopel tätig. Siehe Wallach, Jehuda L.: Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militärmissionen in der Türkei 1835–1919. Düsseldorf, 1976, S. 15–33 und S. 64–84. Zu Bismarcks Orientpolitik siehe vor allem Scherer, Friedrich: Adler und Halbmond. Bismarck und der Orient 1878–1890. Paderborn, 2001. sowie auch Schöllgen, Gregor: Imperialismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage 1871–1914. München, 2000, S. 16–31. Karl Helfferich dazu später: „Sie [die Türkei] ist für uns über Land und auf dem Schiffahrtsweg der Donau erreichbar, also auf Handelswegen, die abseits der Kontrolle des seegewaltigen England liegen. Allerdings über die Brücke der österreich-ungarischen Länder und des Balkan, so daß für Deutschland eine erfolgreiche türkische Politik stets eine erfolgreiche Politik gegenüber ÖsterreichUngarn und dem Balkan zur Voraussetzung hatte. Die Türkei bot für eine deutsche wirtschaftliche Betätigung große, wenn auch oft übertriebene Möglichkeiten, namentlich auf dem Gebiet des Ackerbaus, des Bergbaus und der Eisenbahnen.“ Helfferich: Türkenpolitik, S. 8. Siehe für die Frühzeit der deutschen wirtschaftlichen Interessen Schöllgen: Imperialismus, S. 38–49. Endgültige Konzession März 1903. Vorausgegangen waren die erste Türkei-Anleihe in Deutschland 1888, im Jahr des Besuchs Wilhelms II. in Konstantinopel, die Gewährung einer Konzession für die Bahnlinie Konstantinopel–Angora und 1890 ein deutsch-türkischer Handelsvertrag. Siehe Helfferich: Türkenpolitik, S. 10. Neuerdings auch zur bisher vernachlässigten Geschichte der Bahn während des Krieges McMurray, Jonathan S.: Distant ties. Germany, the Ottoman Empire and the construction of the Baghdad Railway. Westport/Connecticut, 2001.
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koloniale Ziele im Osmanischen Reich. Abgesehen von einer zahlenmäßig geringen und vor allem religiös motivierten Auswanderung nach Palästina gab es keine Versuche, Gebiete der Türkei unter deutsche Kontrolle zu bringen oder gar in Kolonien zu verwandeln.10 Außerdem enthielt sich die Reichsregierung weitgehend der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei.11 Die deutschen wirtschaftlichen Aktivitäten wurden von Petersburg, London und Paris zwar durchaus mißtrauisch beobachtet – zu schweren politischen Krisen führte die deutsche Wirtschaftspolitik in der Türkei jedoch nie. Zu nicht geringer Erregung führten hingegen der sentimentale Auftritt des Deutschen Kaisers am 7. November 1898 am Grabe Sultan Saladins in Damaskus und sein Satz von den 300 Millionen Muslimen, deren immerwährender Freund er sei.12 Die Befürchtung, daß das Deutsche Reich damit seinen Einfluß in den britischen Machtbereich auszudehnen beginne, dürfte eine Ursache für den harten Disput zwischen Berlin und London um den Endpunkt der Bagdadbahn gewesen sei.13 Dieser wurde erst kurz vor Kriegsausbruch beigelegt. Die jungtürkische Revolution von 190814 indes belastete die deutsch-türkischen Beziehungen. Zu eng war die Freundschaft Wilhelms II. mit dem gestürzten Sultan Abdulhamid gewesen. Darüber hinaus waren bedeutende Kreise des „Komitees für Einheit und Fortschritt“, der neuen Machthaber also, die als revolutionäre Bewegung die Macht ergriffen hatten, durchaus frankreich- und englandfreundlich. Weitere Belastungen stellten die bosnische Annexionskrise von 1908 und der türkisch-italienische Krieg von 1911 dar. In beiden Fällen unterstützte Berlin seine Verbündeten im Dreibund, Österreich-Ungarn beziehungsweise Italien und stellte die türkischen Interessen hintan. Der erste Balkankrieg, der mit einer schweren Niederlage des 10 Zu den diesen Versuchen siehe Fuhrmann, Malte: Der Traum vom deutschen Orient: Zwei deutsche Kolonien im Osmanischen Reich 1851–1918. Frankfurt/Main, 2004. 11 Siehe Scherer: Adler, S. 374–388. 12 Siehe zu dieser Reise und ihrer Wirkung Röhl, John: Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888–1900. München, 2001, S. 150–160 und Rall, Hans: Wilhelm II. Graz, 1995, S. 191f. 13 Siehe Helfferich: Türkenpolitik, S. 16f. und ausführlich Kühlmann, Richard von: Erinnerungen, Heidelberg, 1948, S. 363–370. Kühlmann, später Botschafter in Konstantinopel, war als Botschaftsrat in London an den Verhandlungen beteiligt. In der Literatur: Schöllgen: Imperialismus, S. 375–379. 14 Siehe zur junktürkischen Bewegung Ramsauer, Ernest Edmondson: The Young Turks. Princeton, 1957. Lewis, Bernard: The emergence of modern Turkey, London, 1961, S. 206–233. Ahmad, Feroz: The Young Turks. The Committee of Union and Progressin Turkish politics, 1908–1914. Oxford, 1969. Zürcher, Jan Erik: The Unionist factor. The Committee of Union and Progress in the turkish national movement 1905–1926. Leiden, 1986 und Hanioğlu, M. Şükrü: Preperation for a Revolution: The Young Turks (1902–1908). Oxford, 2001. Ders.: The Young Turks in opposition. Oxford, 1995. Turfan, Naim: Rise of the Young Turks. Politics, the Military and the Ottoman Collapse. London, New York, 2002. Eine gute Übersicht über die Zeit der jungtürkischen Herrschaft bietet Zürcher, Jan Erik: Turkey, A modern history. London, 1993, S. 97–137.
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Osmanischen Reiches endete, sah die deutsche Politik erneut passiv bezüglich des Schicksals der Türkei. Im Frühjahr 1913 brach eine schwere diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei auf der einen, Rußland, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite aus. Der türkische Großwesir hatte den Kaiser erfolgreich um die Entsendung einer Militärmission gebeten, welche die zerrüttete türkische Armee nach europäischen Gesichtspunkten reorganisieren sollte. Chef der Mission war der preußische Oberst Otto Liman von Sanders. Die Türken dürften drei wesentliche Gründe gehabt haben, gerade Berlin um diese Hilfe zu bitten. Zum einen hatte das deutsche Militär einen hervorragenden Ruf. Zum anderen gab es eine lange Tradition preußischer Militärberater in der Türkei15 und drittens war die osmanische Regierung auf ein Gleichgewicht der Kräfte und des europäischen Einflusses im Land bedacht – wenn sich dieser aufgrund der eigenen Schwäche schon nicht ganz unterbinden ließ. 1913 befand sich bereits eine britische Marinemission unter Admiral Limpus und eine französische Mission unter General Baumann zur Reorganisierung der Gendarmerie in der Türkei.16 Die russischen Proteste gegen die LimanMission entzündeten sich nun an der Tatsache, daß der Deutsche auch Befehlshaber des 1. Armeekorps werden sollte, das in Konstantinopel stand. Großbritannien und Frankreich protestierten ebenfalls scharf gegen dieses Kommando. Darüber hinaus brachte der deutsche Offizier sich auch durch ungeschicktes Verhalten selbst in die Schußlinie.17 Die Deutschen lösten das Problem, indem Liman zum General der Kavallerie befördert wurde. Damit erlangte er laut deutsch-türkischem Vertrag über die Militärmission automatisch den Rang eines türkischen Marschalls. Da er so aber einen zu hohen Rang für einen Korpskommandanten bekleidete, verlor Liman das umstrittene Kommando, wurde dafür aber gleichzeitig Generalinspekteur des ge15 Die Namen und Laufbahnen fast aller im Osmanischen Reich und der Türkischen Republik tätigen preußisch-deutschen Militärberater, Ausbilder und Attachés von 1756 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sind in einer Liste verzeichnet, die sich im Bundesarchiv befindet. Nicht aufgeführt sind hier die Mitglieder deutscher Kampfformationen, die zwischen 1914 und 1918 im Osmanischen Reich aktiv waren. Für die Zeit zwischen 1756 und der Entsendung der Liman-Mission im Jahre 1913 finden sich hier bereits 113 Namen. BAM, MSG 2/3784. 16 Dazu neuerdings vergleichend Römer, Matthias: Die deutsche und englische Militärhilfe für das Osmanische Reich 1908–1914. Frankfurt/Main, 2007. 17 Siehe Will, Alexander: Grenzerfahrung, beim Waffenbruder. Offiziere der Mittelmächte im Orient 1914–1918. In: Penth, Sabine; Pitz, Martina; van Hoof, Christine; Krautkrämer, Ralf (Hrsg.): Europas Grenzen. St. Ingbert, 2006, S. 141–156, hier S. 147–149. Zwischen Enver und Liman existierten den gesamten Krieg hindurch erhebliche Spannungen. Der Türke erkannte die Verdienste des Marschalls zwar an, verabscheute aber sein forderndes und hartes Wesen. Ende 1917 lehnte er aufgrund dieser persönlichen Spannungen Limans Ernennung zum Chef des türkischen Generalstabs ab. Statt dessen wurde Hans von Seeckt auf diesen Posten berufen. Da das Unterstellungsverhältnis nicht geklärt war, kam es zu heftigen Konflikten zwischen den beiden ausgesprochen dominanten Charakteren. Siehe dazu Rabenau, Friedrich von: Seeckt. Aus seinem Leben. Band II. Leipzig, 1941, S. 18f.
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samten türkischen Heeres. Noch bevor die Mission allerdings effektiv ihre Arbeit beginnen konnte, brach 1914 der Krieg aus.18 Wer das 20. und 21. Jahrhundert verstehen will, muß diesen Krieg verstehen, und so ist der Erste Weltkrieg bis heute ein Feld intensivster Forschung. Einen erneuten Aufschwung erlebte diese vor allem seit der Jahrtausendwende. Dieser Boom ging mit einer Reihe von Neubewertungen einher. Fast schon eine Sensation stellte das Erscheinen einer Untersuchung von Niall Ferguson im Jahr 200119 dar, denn seine Hauptthese bestand darin, daß Deutschland über eine ausgesprochen lange Zeit eine echte Chance hatte, den Konflikt für sich zu entscheiden. Ein deutscher Sieg wäre darüber hinaus nach Ferguson für das Britische Empire weniger verheerend ausgefallen, als es der Sieg der Entente war, der letztlich der Anstoß zu seinem Zerfall gewesen sei.20 Ferguson räumte darüber hinaus noch einmal gründlich mit der seit Fritz Fischer21 insbesondere im politisch linken Lager vertretenen These auf, die Regierung des Kaiserreiches habe den Krieg planmäßig ausgelöst und trage daher die alleinige Schuld an der zwischen 1914 und 1918 über die Welt hereingebrochenen Katastrophe.22 Die Ursache der Niederlage sah Ferguson nicht in der Erschöpfung der deutschen Ressourcen und des Heeres, sondern in mangelnder Standfestigkeit der Führung und deren falscher Einschätzung der Lage. Die Niederlage resultierte laut Ferguson also nicht aus den militärischen Erfolgen der Entente auf dem Schlachtfeld, sondern aus einem Zusammenbruch der Kampfmoral auf deutscher Seite, der insbesondere die Führung erfaßt hatte.23 Insgesamt hat sich die Forschung in den vergangenen Jahren weniger auf Kriegsausbruch und Kriegsverlauf konzentriert, als sich zunehmend sozialhisto18 Siehe zur Liman-Affäre auch Mühlmann, Carl: Deutschland und die Türkei 1913–1914. Berlin, 1929 und Petter, Wolfgang: Die deutsche Militärmission. In: Jaschinski, Klaus (Hrsg.): Des Kaisers Reise in den Orient 1898. Berlin, 2002, S. 87–99. 19 Ferguson, Niall: Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert. München, 2001. 20 Ebenda, S. 398. 21 Fischer, Fritz: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf, 1967. 22 „Es war Deutschland, das 1914 einem unwilligen Frankreich (und einem nicht ganz so unwilligen Rußland) einen Kontinentalkrieg aufzwang. Aber es war die britische Regierung, die sich schließlich dafür entschied, den Kontinentalkrieg in einen Weltkrieg zu verwandeln [...].“ Ferguson: Der falsche Krieg, S. 399. Stefan Schmidt zeigt darüber hinaus, daß auch Frankreich keineswegs unwillig in den großen Krieg ging und diesen in seiner Vorkriegspolitik gar als unausweichlich betrachtete. Schmidt, Stefan: Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914. München, 2009. 23 „Nicht die taktische Überlegenheit der Alliierten beendete den Krieg, sondern eine Krise der Kampfmoral auf deutscher Seite. Und dies kann nur zum Teil der von außen wirkenden Kraft der alliierten Infanterie und Artillerie zugeschrieben werden. Jene Deutschen, die weiterhin kämpften, waren immer noch besser imstande, den Gegner zu töten, als umgekehrt. Es waren jene Deutschen, die sich zur Kapitulation [...] entschlossen, die den Krieg beendeten. [...] Ludendorff gelangte zu dem Schluß, daß das Heer kollabieren würde, wenn er nicht für einen Waffenstillstand sorge; es scheint jedoch eher, daß sein Wunsch nach einem Waffenstillstand grade das Debakel herbeiführte.“ Ferguson: Der falsche Krieg, S. 295.
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rischen, kulturgeschichtlichen und regionalen Studien geöffnet. Fronterlebnisse24 und Alltagsgeschichte im Krieg25 spielten zunehmend eine Rolle. Es interessierte der Krieg von unten im Gegensatz zu den eher politik- und militärhistorisch orientierten Arbeiten der 1960er, 1970er und 1980er Jahre.26 In diesem Rahmen wurden auch Erfahrungen, die Europäer im Orient während des Krieges machten, Gegenstand von Untersuchungen.27 Zunehmendes Interesse gilt seither auch der religiösen Komponente des Krieges, seiner Rechtfertigung durch Religion und der Mobilisierung der Massen durch Vertreter christlicher Kirchen.28 Von Wolfgang Mommesen stammt die maßgebliche Darstellung des Konfliktes aus deutscher Feder.29 Insbesondere bei den jüngeren deutschen Überblicksarbeiten fällt jedoch auf, daß der Nahe Osten und die wahrlich tragisch zu nennenden Ereignisse in dieser Region zwischen 1914 und 1918 vielfach außerhalb des Wahrnehmungshorizontes liegen30 oder eine untergeordnete Rolle spielen.31 Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, daß der Vordere Orient weithin noch immer als ein Nebenkriegsschauplatz gilt, auch wenn diese Sichtweise angesichts des Kriegsverlaufes fragwürdig ist. In der Tat aber geschah der Beitritt der Türkei zur Allianz der Mittelmächte sehr kurzfristig und war im Sommer 1914 nicht voraussehbar. Es war im Frieden nämlich keineswegs das Ziel deutscher Politik, ein Militärbündnis mit der Türkei abzuschließen. Weder der Generalstab noch der deutsche Botschafter in Konstantinopel hielten ein solches Bündnis für wünschenswert, fürchteten sie doch die Belastung, die ein durch die Balkankriege völlig ausgeblutetes Land32 wie das Osmanische Reich für 24 Siehe Buschmann, Nikolaus; Carl, Horst: Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges: Forschung, Theorie, Fragestellung. In: Dies. (Hrsg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg. Paderborn, 2001. 25 Siehe Chickering, Roger: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Paderborn, 2009. 26 Siehe zu diesem Komplex: Enzyklopädie des Ersten Weltkrieges (EEW). Paderborn, 2004, S. 116– 220. 27 Siehe Bihl, Wolfdieter: Das Osmanische Reich aus Sicht eines deutschen Offiziers im Ersten Weltkrieg. In: Österreichische Osthefte, 37, 1995, S. 25–41 sowie Demm, Eberhard: Zwischen Kulturkonflikt und Akkulturation: Deutsche Offiziere im Osmanischen Reich. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft., 8, 2005, S. 691–715 und Will: Grenzerfahrung. 28 Vgl. dazu den Sammelband: Krumeich, Gerd; Lehmann, Hartmut (Hrsg.): „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Göttingen, 2000. 29 Mommsen, Wolfgang J.: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Stuttgart, 2002. 30 So etwa in einer Monographie mit dem Titel ,,Der Erste Weltkrieg“ von Salewski. Die Ereignisse im Orient spielen hier überhaupt keine Rolle. Salewski, M.: Der Erste Weltkrieg. Paderborn, 2003. 31 Siehe zum Beispiel EEW. Das Werk enthält zwar Einführungskapitel zu den am Konflikt beteiligten europäischen Mächten und den USA, das Osmanische Reich aber fehlt. Noch weiter geht John Keegan, der den Ersten Weltkrieg ausschließlich als europäisches Ereignis behandelt, obwohl doch der Begriff „Weltkrieg“ diese Sicht bereits zweifelhaft erscheinen läßt: Keegan, John: Der erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie. Reinbek, 2004. 32 Siehe Kreiser, Klaus: Der Osmanische Staat 1300–1922, (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Band 30). München, 2001, S. 48f.
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Deutschland hätte sein können.33 Der Kaiser34 und der Generalstabschef35 schrieben über die militärischen Fähigkeiten der Türkei mit Verachtung. Ganz anders sah die Sache allerdings ab August 1914 aus – da nämlich brauchte Deutschland jeden Verbündeten, den es bekommen konnte. Schon kurz vor Kriegsbeginn hatte sich die Türkei – nach gescheiterten Annährungsversuchen an Rußland und Frankreich – mit einem Bündnisangebot an Deutschland gewandt. Am 2. August 1914 wurde der Vertrag bereits unterzeichnet.36 Allerdings hieß das noch nicht, daß die Türkei auch sofort losschlug. Die Deutschen mußten ihren Verbündeten vielmehr regelrecht dazu drängen.37 Im jungtürkischen Komitee gab es noch immer erhebliche Sympathien vor allem für Frankreich, darüber hinaus existierte eine verständliche Scheu, diesen alles entscheidenden Schritt zu tun, aus dessen Konsequenzen es kein Zurück mehr gab.38 Die Affäre um die von Großbritannien beschlagnahmten türkischen Schlachtschiffe und die beiden deutschen Kampfschiffe Goeben und Breslau39 schufen schließlich den Anlaß für den Kriegseintritt der Türkei gegen Rußland. Enver Pascha gelang es, die einflußreichsten Köpfe im Kabinett, Marineminister Cemal40 Pascha und Innenminister Talat Pascha, auf seine Seite zu ziehen. Am 22. Oktober fiel die Entscheidung, durch die Herbeiführung eines Flottenzwischenfalls im Schwarzen Meer die Kampfhandlungen auszulösen. Zwischen dem 27. und 31. Oktober beschossen die Göben und die Breslau mehrere russische Schwarzmeer-Häfen.
33 Siehe Bihl, Wolfdieter: Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte. Wien, 1975, S. 47f. 34 „Nachrichten über die türkische Armee [...] schildern die Lage als vollkommen trostlos – eigentlich so zu sagen – fast unrettbar und fast hoffnungslos.“ Privatbrief Wilhelms II. vom 23. Februar 1914. Zitiert wie nach Wallach: Anatomie, S. 150. 35 „Die Türkei ist militärisch eine Null! [...] Die Armee ist in einer Verfassung, die jeder Beschreibung spottet. Wenn man früher von der Türkei als vom kranken Manne sprach, so muß man jetzt vom sterbenden sprechen.“ Helmuth v. Moltke an Franz Conrad von Hötzendorf, 13. März 1914. Zitiert nach Conrad von Hötzendorf, Franz: Aus meiner Dienstzeit 1906 - 1918. Band 3, Wien, 1922, S. 612. 36 Siehe zu den Bündnisverhandlungen und dem osmanischen Eintritt in den Weltkrieg vor allem Aksakal, Mustafa: The Ottoman Road to war in 1914. Cambridge, 2008. Zum unmittelbaren Zustandekommen des Bündnisses siehe S. 93–104. Siehe als maßgebliche frühere Darstellung auch Mühlmann, Carl: Das deutsch-türkische Waffenbündnis im Weltkrieg. Leipzig, 1940. Mühlman hatte den Krieg in der Türkei als Adjutant des Chefs der Militärmission und Korpschef an der Palästinafront mitgemacht. Siehe Liste der deutschen Militärberater in der Türkei, BAM, MSG 2/3784. 37 Siehe Wallach: Anatomie, S. 158–162. 38 Ebenda. 39 Siehe Mühlmann: Waffenbündnis, S. 18f. Zu Goeben und Breslau siehe Kraus, Thomas; Dönitz, Karl: Die Kreuzfahrten der Goeben und Breslau. Berlin, 1933. Kühlmann: Erinnerungen, S. 449– 453. Neulen, Hans Werner: Feldgrau in Jerusalem. München, 1991, S. 28–51. Neuerdings Langensipen, Nottelmann, Krüsmann: Halbmond und Kaiseradler. 40 In deutschen und britischen Quellen auch Djemal, Dschamal, Dschemal, Jemal oder Jamal geschrieben.
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Warum konnte und wollte sich die Türkei nicht aus dem Krieg heraushalten? Es dürfte in der Tat daran gelegen haben, daß die Konstellation dieses Krieges im Osmanischen Reich tiefste Ängste vor dem Verlust der Dardanellen, ja vor dem Untergang des gesamten Reiches, ausgelöst hat. Rußland, das schon immer vom Erwerb des Bosporus geträumt hatte, und Großbritannien, das diese russischen Ambitionen immer gebremst hatte, waren nun Verbündete. Deutschland aber hatte bisher niemals territoriale Begehrlichkeiten gezeigt.41 Wie Mustafa Aksakal jüngst gezeigt hat, war der Entschluß, eine Allianz mit Deutschland einzugehen, eine zutiefst rationale, strategisch motivierte Entscheidung der Osmanischen Führung, deren Zielsetzung weit über den Krieg hinaus reichte und letztlich die politische, militärische und ökonomische Stabilisierung des Staates erreichen sollte.42 Darüber hinaus gab es auch im Jungtürkischen Komitee imperiale Träume, die eine Rückgewinnung der Krim und verlorener Gebiete im Kaukasus, ja sogar die Expansion ins Wolgabecken zum Inhalt hatten und sich so nur auf Rußlands Kosten verwirklichen ließen.43 Die Westmächte hatten auf der anderen Seite in der Frage der ägäischen Inseln wenig Entgegenkommen gezeigt. Für die Neutralität der Türkei im Konflikt mit den Mittelmächten boten England und Frankreich den türkischen Machthabern zu wenig – nämlich die Achtung der territorialen Unversehrtheit des Osmanischen Reiches und das Versprechen, Rußland zu einer ähnlichen Deklaration zu veranlassen.44 Der spätere Großwesir Talat Pascha faßte die Stimmung im jungtürkischen Führungszirkel so zusammen: „The pledge to preserve the integrity of the Ottoman Empire had been repeated many times after the Paris conference, but never kept. It was not possible and wise therfore, to give serious consideration to the evasive proposal of the Allies.“45 Aus diesen Gründen dürfte das Deutsche Reich der jungtürkischen Machtelite, deren 41 Siehe Stürmer, Michael: From Moltke to Gallipoli: Strategies and agonies in the Eastern Mediterranean. In: Goren, Haim (Hrsg.): Germany and the Middle East. Past, Present and Future. Jerusalem, 2003. Siehe auch folgende Quelle: Helfferich: Türkenpolitik, S. 8. Der deutsche Generalstabsoffizier Hans von Kiesling faßte 1922 seine Auffassung für die Gründe des türkischen Kriegseintritts so zusammen: „Das Eingreifen der Türkei in den Weltkrieg war nicht aus reiner Sympathie für das Deutschtum erfolgt, sondern aus wohlverstandenen politischen Beweggründen. Die Jungtürken erkannten, daß die Politik der Entente auf eine Vernichtung des osmanischen Staates ausging; sie wußten, daß das Ziel Rußlands die Eroberung Konstantinopels und der Meerengen war. Da die Aufrechterhaltung der Neutralität unmöglich war, brachte sie der Zwang der Verhältnisse zum Anschluß an die Mittelmächte, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung eines geschlossenen türkischen Wirtschaftsgebietes hatten.“ Kiesling, Hans von: Mit Feldmarschall von der Goltz Pascha in Mesopotamien und Persien. Leipzig, 1922, S. 70. 42 „While Berlin initially perceived the as a measure to steer through the tumultuous days of the July Crisis, the Ottomans harbored much grander hopes. To them, the alliance meant long-term military security and a chance to gain momentum for political stability and economic development.“ Aksakal: Ottoman road, S. 193. 43 Siehe Anderson, M. S.: The Eastern Question 1774–1923. New York, 1966, S. 311f. 44 Ebenda. 45 Talaat Pascha: Posthumous Memoirs of Talaat Pascha. In: The New York Times Current History, XV, No. 2, 1921, S. 290.
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zentrales Anliegen „the survival of the Ottoman state“46 war, Ende 1914 als natürlichster Verbündeter erschienen sein. Daß aber Deutschland die Türkei regelrecht in ein Bündnis gezwungen habe – wie es etwa der damalige amerikanische Botschafter Henry Morgenthau in seinen Memoiren behauptet47 – ist daher eine Legende. Zum einen hatte Deutschland nicht die militärischen Machtmittel, um eine solche Aktion ins Werk zu setzen. Zum anderen war die türkische Führung von solchem Selbstbewußtsein, das sich im Verlauf des Krieges auch immer wieder in Konflikten mit Deutschen vor Ort äußerte, daß sie sich ganz sicher in keinem Fall zu einer solchen schwerwiegenden Entscheidung gegen ihren Willen hätte nötigen lassen. Während des Krieges48 war die militärische Führung zunehmend gründlicher mit Deutschen durchsetzt. Zu Beginn des Krieges jedoch war das deutsche Gewicht noch relativ gering. Im Sommer 1914 hatte kein deutscher Offizier direkten Einfluß auf die strategische Aufstellung der Osmanischen Armee.49 Im Laufe des Krieges änderte sich dies jedoch grundlegend: Otto Liman von Sanders kommandierte an den Dardanellen und später in Palästina. Generalfeldmarschall von der Goltz – ein Veteran deutscher Militärhilfe50 – war Ende 1914, sehr zum Mißfallen Limans, als Berater nach Konstantinopel geschickt worden. Er übernahm später das Kommando an der Irakfront und starb während dieses Einsatzes. Die Posten der Stabschefs bei den einzelnen türkischen Armeen waren gewöhnlich mit Deutschen besetzt. Bronsart von Schellendorf führte den Generalstab, ein deutscher Admiral die Flotte und ein weiterer die Küstenbefestigungen an den Dardanellen. Im Kriegsministerium waren deutsche Militärbeamte eingesetzt. Zwischen all diesen deutschen Stellen kam es allerdings häufig zu ernsten Konflikten. Liman von Sanders bewertete diese als so gravierend, daß er der mangelnden Einheitlichkeit der deutschen Führung in der Türkei sogar die Hauptschuld am Zusammenbruch der Palästina-Front im Jahr 1918 gab.51 An den Dardanellen kämpften rund 500 deut46 Lewis: Turkey, S. 208. 47 Morgenthau, Henry: Ambassador Morgenthau’s Story. Detroit, 2003, S. 63–67. 48 Siehe zum militärischen Verlauf des Krieges im Orient und zur osmanischen Armee maßgeblich folgende Arbeiten: Erickson, Edward J.: Ordered to die: A historry of the Ottoman army in the First World War. Westport, 2000. Ders.: Ottoman army effectiveness in World War I: A comparative study. London, 2007. Aus türkischer Sicht: Çeliker, Fahri: Turkey in the First World War. In: Revue Internationale d’Histoire Militaire, 46, 1980, S. 162–203. Ein eindrucksvolles Dokument einer persönlichen Erfahrung ist das ins Englische übersetzte Tagebuch des türkischen Leutnants Mehmed Fasih. Fasih, Mehmed: Gallipoli 1915. Bloody Rige (Lone Pine) Diary. Istanbul, 1997. 49 Siehe Erickson: Ordered to die, S. 11f., 28f. 50 Siehe Kiesling: Mesopotamien. Yasamee, F. A.K.: Colmar Freiherr von der Goltz and the Rebirth of the Ottoman Empire. In: Diplomacy and Statecraft, 9, 1998, S. 91–128 sowie Krethlow, Carl Alexander: Colmar Freiherr von der Goltz und der Genozid an den Armeniern. In: Sozial.Geschichte, 21, 2006, S. 53–77. 51 Siehe die Publikation des entsprechenden Memorandums Limans von 1919. Harvey, A.D.: General Liman von Sanders Memorandum „Die Gründe für den militärischen Zusammenbruch der Türkei“. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, 63/1, 2004, S. 165–175.
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sche Soldaten und Offiziere.52 Mehr als 800 Ingenieure, Offiziere, Meister und Vorarbeiter halfen beim Aufbau von Munitionsfabriken.53 Ende August 1916 befanden sich rund 10.000 deutsche Soldaten und Offiziere von Marine und Heer auf dem orientalischen Kriegsschauplatz.54 Die größte geschlossene deutsche Formation war das Deutsche Asienkorps.55 Umgekehrt standen im Spätherbst 1916 türkische Truppen in der Stärke von rund 100.000 Gewehren an der Seite deutscher und k.u.k. Einheiten auf dem Balkan.56 Die Türkei sah sich nach Kriegsausbruch im direkten militärischen Konflikt mit Rußland und Großbritannien. In der britischen Führung gab es damals zwei Ansichten über den zum Sieg einzuschlagenden Weg. Der Premierminister Herbert Asquith und der Oberbefehlshaber Sir William Roberts hielten eine Entscheidung nur für möglich, wenn die Deutschen an der Westfront vernichtend geschlagen würden. Auf der anderen Seite standen Männer wie David Lloyd George und Winston Churchill. Nach ihrer Ansicht mußten zunächst die Verbündeten Deutschlands ausgeschaltet werden, dann würde der Hauptgegner selbst zusammenbrechen. Zunächst setzte sich diese Ansicht durch und materialisierte sich in den desaströsen britischen Operationen gegen die Dardanellen.57 Eine weitere spektakuläre Niederlage erlitten die Briten bei Kūt al-‘Amārah58. Doch danach war das militärische Potential der Türkei ausgereizt.59 Hinzu kamen militärische Eskapaden in Persien und ein giftiger Streit mit den deutschen Verbündeten über ein regelrechtes Eroberungs-
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Mühlmann: Waffenbündnis, S. 60. Ebenda. Ebenda, S. 104. Zur Geschichte dieses Unternehmens vgl. insbesondere: Reichsarchiv: „Jildirim“. Papen, Franz von: Memoirs. London, 1952, S. 68–89. Mühlmann: Waffenbündnis, S. 121. Erickson sieht den Einfluß deutscher Offiziere auf die türkische Kriegführung in der bisherigen Literatur als überbewertet an. Siehe Erickson: Ordered to die, S. 231–235. Er bewegt sich dabei auf offizieller türkischer Linie, die darin besteht, die Eigenleistung der Osmanen während des Krieges ganz besonders stark zu betonen. So erscheinen die Deutschen im Museum der Dardanellen-Schlacht in Çanakkale beispielsweise nur in einem Raum mit dem Titel „Foreigners at the Dardanells“. Eine Würdigung der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft findet dort nicht statt. Das Vorwort zu Ericksons Buch schrieb der damalige Chef des türkischen Generalstabes General Hüseyin Kivrikoğlu. Siehe zum Streit zwischen „Östlichen“ und „Westlichen“ Montgomery, Viscount of Alamein: Kriegsgeschichte. Erftstadt, 2005, S. 441f. Siehe dazu insbesondere die Beschreibung Hans von Kieslings, der an den Operationen unmittelbar beteiligt war. Kiesling: Mesopotamien, S. 88-118. Schon am 24. Februar 1917 hatte Enver die deutsche OHL über die katastrophale Personalsituation der Armee informiert: „Damit nähert sich der Zeitpunkt, an dem das Menschenmaterial der Türkei für kriegerische Zwecke erschöpft sein wird. Schon jetzt ist es nicht möglich, den außerordentlich hohen Anforderungen voll gerecht zu werden.“ Zitiert nach Mühlmann: Waffenbündnis, S. 184.
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unternehmen im Kaukasus.60 Obwohl Rußland ab 1917 aus dem Krieg ausschied, konnte die ausgeblutete türkische Armee den Briten in Palästina nur noch begrenzt Widerstand leisten. Die Türkei verhielt sich jedoch auch noch in letzter Stunde als ehrenhafter Bundesgenosse. In den Verhandlungen, die zum Waffenstillstand führten, hatten die Briten verlangt, daß sämtliche Deutschen im Osmanischen Reich sich gefangen zu geben hätten. Doch der osmanische Verhandlungsführer Izzet Pascha erreichte eine Regelung, die den Deutschen und Österreichern nur auferlegte, die Türkei innerhalb von vier Wochen zu verlassen.61 Bereits kurz nach Kriegsende war die Bedeutung der Ereignisse im Orient den maßgeblichen deutschen Akteuren durchaus bewußt. Hindenburg etwa sah es als unbedingt nötig an, Asien in die Gesamtbetrachtung des Krieges einzubeziehen.62 Und so begann in Deutschland schon recht früh eine zunächst rein militärhistorische Aufarbeitung der deutsch-osmanischen Beziehungen während des Weltkrieges. Das Reichsarchiv gab im Rahmen einer Reihe über den Weltkrieg zwei Bände zur deutschen Beteiligung an den Kämpfen im Osmanischen Reich heraus.63 Auf dem Feld der traditionellen Militärgeschichtsschreibung stellen diese Arbeiten nach wie vor, mit zeitbedingten Abstrichen, maßgebliche Werke dar. Auf britischer Seite dürften die Gegenstück bei Liddell Hart zu finden sein, der die Feldzüge im Orient ausführlich behandelte,64 sowie in der „History of the Great War“65. Eine bis heute andauernde Sonderkonjunktur erlebte im englischen Sprachraum die Beschäftigung mit den Operationen an den Dardanellen.66 Zum einen handelte es sich dabei um eine der spektakulärsten Niederlagen des Empires überhaupt, zum anderen waren die Erfahrungen der dort hauptsächlich eingesetzten ANZAC67Truppen außerordentlich wichtig für das Werden der australischen und neuseeländischen Nationen. 60 Siehe Baumgart, Winfried: Das „Kaspi-Unternehmen“ – Größenwahn Ludendorffs oder Routineplanung des deutschen Generalstabes? In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 18/1, 1970, S. 47–126 und 18/2, 1970, S. 231–278. 61 Siehe Mühlmann: Waffenbündnis, S. 238. Zum Kriegsende und dem Waffenstillstand von Mudros allgemein siehe Zürcher, Erik: The Ottoman Empire and the armistice of Mudros. In: Cecil, Hugh Cooper (Hrsg.): At the eleventh hour. Ohne Ort, 1998, S. 266–275. 62 Hindenburg, Paul von: Aus meinem Leben. Leipzig, 1920, S. 269. 63 Reichsarchiv (Steuber): „Jildirim“ Deutsche Streiter auf heiligem Boden. (= Schlachten des Weltkrieges in Einzeldarstellungen bearbeitet und herausgegeben im Auftrage des Reichsarchives, Band 4). Berlin, 1925 und Reichsarchiv (Mühlmann, Carl): Der Kampf um die Dardanellen 1915. (= Schlachten des Weltkrieges in Einzeldarstellungen bearbeitet und herausgegeben im Auftrage des Reichsarchives, Band 16). Berlin, 1927. 64 Liddell Hart, Basil Henry: A History of the World War, 1914–1918. Cambridge, 1934. 65 Edmonds, James Edward (Hrsg.): History of the Great War. London, 1932–1949, 28 Bände. 66 So etwa jüngst wieder James, Robert Rhodes: Gallipoli. London, 1999. und Carlyon, L. A.: Gallipoli. London, 2001. 67 Australian and New Zealand Army Corps. Bis heute ist der 25. April in Australien und Neuseeland Feiertag. Der ANZAC-Day erinnert an die Landung des Korps an den Dardanellen und seine Opfer.
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Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Vorgänge im Orient während der Jahre zwischen 1914 und 1918 begannen im Wesentlichen erst ab den 1970er Jahren. Die bis heute maßgeblichen Werke zur deutsch-türkischen militärischen Zusammenarbeit entstanden in einem Abstand von etwa 20 Jahren. Jehuda Wallach68 behandelte sie über das gesamte lange 19. Jahrhundert hinweg. Das Schwergewicht dieses Buches liegt allerdings auf der Tätigkeit der Militärmission zwischen 1914–1918. Ausgeklammert bleiben geheimdienstliche Tätigkeit und Propaganda. Die deutschen Anstrengungen zur Revolutionierung gegnerischer Gebiete beurteilt Wallach negativ. Er entwickelt allerdings die wichtige These, daß die Türkei im Weltkrieg keineswegs ein schwaches oder willenloses Anhängsel des Deutschen Reiches gewesen sei.69 Die Deutschen leisteten, so seine Sicht, auf Basis eines gleichberechtigten Verhältnisses Militärhilfe. Keineswegs ging es um den Aufbau eines ,,Kolonialheeres“.70 Eine umfassende Darstellung der militärischen Zusammenarbeit Deutschlands und der Türkei legte schließlich Anfang der 1990er Jahre Werner Neulen vor.71 Der Autor stützt sich vor allem auf gedruckte deutsche Quellen, die Sicht des britischen Gegners bleibt weitgehend außen vor. Neulen betont insbesondere die Verankerung der damaligen deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft im kollektiven Gedächtnis der Türkei und konstatiert gleichzeitig eine diesbezügliche Erinnerungslücke in Deutschland.72 In jüngster Zeit spielten in der Forschung über den militärischen Aspekt der deutsch-osmanischen Zusammenarbeit vor allem Spezialaspekte eine Rolle. So etwa die Bagdadbahn,73 die Schnittstellen von deutschen ökonomischen und militärischen Interessen,74 die militärischen Beziehungen einzelner deutscher Bundesstaaten zur Türkei75 sowie die Geschichte der Mittelmeerdivision der kaiserlichen Marine und des maritimen Aspektes der deutsch-osmanischen Zusammenarbeit im Ersten Weltkrieg.76 Eine wesentliche Arbeit zur Propagandageschichte existiert zum „Osmanischen Lloyd“, einer bis 1918 in Konstantinopel in deutscher Sprache 68 Wallach: Anatomie. 69 „Im von uns behandelten deutsch-türkischen Beispiel war klar zu erkennen, daß die Türkei mit den Deutschen nur solange und in den Fällen kooperierte, als es im Einklang mit den eigenen türkischen Interessen stand.“ Ebenda, S. 252. 70 Ebenda, S. 250. 71 Neulen: Feldgrau. 72 „[...] der deutsche Tourist muß auch verlegen konstatieren, daß im historischen Bewußtsein des türkischen Volkes die deutsch-türkische Freundschaft und Vergangenheit einen weit höheren Stellenwert hat als in seinem eigenen.“ Ebenda, S. 266. 73 McMurray: Ties. 74 Türk, Fahri: Die deutsche Rüstungsindustrie in ihren Türkeigeschäften zwischen 1871 und 1914. Die Firma Krupp, die Waffenfabrik Mauser und die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken. Frankfurt/Main, 2007. 75 Unger, Michael: Die bayerischen Militärbeziehungen zur Türkei vor und im Ersten Weltkrieg. Frankfurt/Main, 2003. 76 Langensiepen; Nottelmann; Krüsmann: Halbmond und Kaiseradler.
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erscheinenden Zeitung.77 Die deutsche Auslandspropaganda im Orient behandelt auch Stefan Kesteler in einem Kapitel seiner Untersuchung.78 In geschichtspolitisches Fahrwasser, insbesondere befeuert durch die Diskussion um einen eventuellen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, geriet die wissenschaftliche Aufarbeitung des Schicksals der Armenier unter osmanischer Herrschaft. Die damit verbundene, emotional geführte Debatte kreiste und kreist im wesentlichen um die Einordnung der Massaker von 1915 als Völkermord.79 Während in der Türkei eine behutsame Öffnung der Diskussion festzustellen ist, gab und gibt es in Europa, insbesondere in Frankreich, Bestrebungen, die Bewertung der Massaker als Völkermord sanktionierbar festzuschreiben. Die Beziehungen Österreich-Ungarns80 zum Osmanischen Reich81 gestalteten sich bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges erheblich weniger freundlich als die Deutschlands. Das hatte seine Ursache in der jahrhundertelangen Konfrontation der beiden Staaten auf dem Balkan, die im 17. Jahrhundert ein Kampf auf Leben und Tod war. Kaiser Franz-Josef, ein Monarch, der sich sehr bewußt war, in einer historischen Kontinuität seiner Dynastie zu stehen, verhielt sich daher ausgesprochen fro77 Farah, Irmgard: Die deutsche Pressepolitik und Propagandatätigkeit im Osmanischen Reich von 1908–1918 unter besonderer Berücksichtung des Osmanischen Lloyd. Beirut, 1993. 78 Kestler, Stefan: Die deutsche Auslandsaufklärung und das Bild der Entente-Mächte im Spiegel zeitgenössischer Propagandaveröffentlichungen während des Ersten Weltkrieges. Frankfurt/Main, 1994. 79 Siehe zu dieser Auseinandersetzung etwa Hosfeld, Rolf: Operation Nemesis. Die Türkei, Deutschland und der Völkermord an den Armeniern. Köln, 2005. Berlin, Jörg; Klenner, Adrian (Hrsg.): Völkermord oder Umsiedlung? Das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich. Darstellungen und Dokumente. Köln, 2006. Lewy, Guenter: The Armenian massacres in the Ottoman Turkey. A disputed genocide. Utah, 2005. Söylemezoğlu, Şahin Ali: Die andere Seite der Medaille. Hintergründe der Tragödie von 1915 in Kleinasien. Materialien aus europäischen, amerikanischen und armenischen Quellen. Köln, 2005. Özgönül, Cem: Der Mythos eines Völkermordes. Eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschen Rolle in Geschichte und Gegenwart der armenischen Frage. Köln, 2006. 80 Zum deutsch-österreichischen Bündnis während des Krieges siehe Rauchenstein, Manfred: Österreich-Ungarn. In: EEW, S. 64–86. Herwig, Holger H.: The First World War. Germany and AustriaHungary 1914–1918. London, 1997. Angelow, Jürgen: Vom Bündnis zum Block. Struktur, Forschungsstand und Problemlage einer Geschichte des Zweibundes 1879–1914. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen, 54/1995, S. 129–170. Shanafelt, Gary W.: The secret enemy: Austria-Hungary and the German alliance 1914–1918. New York, 1985. Siberstein, Gerard E.: The troubled alliance: German – Austrian relations 1914–1917. Lexington, 1970. Eine eindrucksvolle österreichisch-ungarische Quelle stellt das Buch des Sekretärs des letzten Österreichischen Kaisers dar: Werkmann, Karl Freiherr von: Deutschland als Verbündeter. Berlin, 1931. 81 Eine gute Zusammenfassung der politischen Beziehungen bietet Bridge, Francis Roy: The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire, 1900–18. In: Kent, Marian (Hrsg.): The Great Powers and the end of the Ottoman Empire. London, 1984, S. 31–51. Vgl. auch Buchmann, Bertrand Michael: Österreich und das Osmanische Reich. Wien, 1999 sowie neuerdings Fischer, RobertTarek: Österreich im Nahen Osten. Die Großmachtpolitik der Habsburgermonarchie im Arabischen Orient. Wien, 2006.
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stig gegenüber den Türken. Seit 1869 – zur Eröffnung des Suez-Kanals – traf er bis zu seinem Tod keinen osmanischen Sultan.82 Erst sein Nachfolger Karl I. besuchte während des Krieges Konstantinopel.83 Die schlechten Beziehungen verschärften sich weiter im Jahre 1908, als Wien das nominell osmanische Bosnien-Herzegowina annektierte – ohne Zustimmung der Signatarstaaten des Berliner Vertrages und der Pforte.84 Ein Boykott österreichisch-ungarischer Waren85 war die Folge, in Konstantinopel breitete sich eine radikal antiösterreichische Stimmung aus.86 In der internationalen Arena stand Wien als Aggressor da. Selbst der deutsche Kaiser bezeichnete die Annexion als „Fähnrichsstreich“.87 Das deutsche Bündnis mit der Türkei am Vorabend des Weltkrieges war aus all diesen Gründen in Wien zunächst wenig geliebt.88 Auch der österreichisch-ungarische Botschafter in Konstantinopel hatte abgeraten – das Land sei nicht bündnisfähig und werde unter dem Ansturm der Russen und Briten schnell zusammenbrechen.89 Jedoch war es letztlich pure Not, nämlich das Bedürfnis, in der kommenden Auseinandersetzung den eigenen Hinterhof auf dem Balkan ruhig zu halten, die Österreich-Ungarn dazu brachte, sogar in Berlin ein Bündnis mit der Türkei ins Spiel zu bringen.90 Es war allerdings nicht die Türkei, sondern Österreich-Ungarn selbst, das den Krieg mit katastrophalen Fehlschlägen begann. Niederlagen gegen Rußland und vor allem gegen Serbien führten die schlecht geführten k.u.k. Truppen 82 Fischer: Österreich, S. 10. 83 Trotz dieser von Konfrontation geprägten Beziehungen bleibt eine Besonderheit in den zwischenstaatlichen Beziehungen erwähnenswert. Österreich-Ungarn war das einzige europäische Land, das einen wirklich zweiseitigen, auf Reziprozität beruhenden Vertrag über konsularische und wirtschaftliche Beziehungen mit der Pforte abgeschlossen hatte (1718, erneuert 1739, 1784, 1791 und 1862). Darin wird der Türkei das Konsulatsrecht in der Monarchie zugestanden. Siehe Overbeck, Alfred von: Die Kapitulationen des Osmanischen Reiches. Breslau, 1917, S. 25. 84 Siehe zur Annexionskrise neuerdings Angelow, Jürgen: Kalkül und Prestige. Der Zweibund am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Köln, 2000, S. 175–225. 85 Siehe Davison, R. H.: The Ottoman Boycott of Austrian Goods in 1908/1909 as a diplomatic Question. In: Third Congress of the Social and Economic History of Turkey, Princeton 1983. Istanbul, 1990, S. 1–28. Siehe auch die Erinnerungen des k.u.k. Diplomaten und Offiziers Wladimir Giesl. Er war damals österreichisch-ungarischer Militärbevollmächtigter in Konstantinopel. Giesl, Waldimir: Zwei Jahrzehnte im Nahen Orient. Berlin, 1927, S. 191–193. 86 Dabei wurden auch Erinnerungen an die jahrhundertelange Konfrontation zwischen ÖsterreichUngarn und dem Osmanischen Reich wieder wach. Siehe Izzet Pascha: Denkwürdigkeiten. Leipzig, 1927, S. 106. 87 Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. In: Herwig, Wolfram von: Österreichische Geschichte 1804–1914. Wien, 1997, S. 563. 88 Zu den politischen Beziehungen während des Krieges siehe auch Bihl, Wolfdieter: Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg. In: Österreichische Osthefte, 24, 1982, S. 33–52. 89 Fischer: Kampf, S. 14f. 90 Siehe Aksakal: Ottoman road, S. 93–96.
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regelrecht vor. Die Leistungen des k.u.k. Heeres waren miserabel und verstimmten die deutsche Führung erheblich.91 Besonders die Niederlage gegen Serbien wurde in Wien als Blamage empfunden.92 Sie hatte erhebliche Auswirkungen auf das deutschösterreichisch-türkische Bündnis: Der Landweg nach Konstantinopel war gesperrt. Nachschublieferungen an die Türkei waren nicht möglich. Erst der Zusammenbruch Serbiens im Jahr 1915, der maßgeblich durch deutsche Truppen herbeigeführt worden war, öffnete den Balkanweg wieder. Damit konnte Nachschub an Waffen und Munition für die an den Dardanellen schwer kämpfenden osmanischen Truppen herangeführt werden.93 Die österreichisch-ungarischen Kriegsziele im Osmanischen Reich waren lange Zeit wenig konkret. Schließlich aber kristallisierten sich vor allem wirtschaftliche Interessen – das Osmanische Reich als Absatzmarkt und Rohstofflieferant – heraus. Darüber hinaus ging es den Österreichern aber auch darum, den Einfluß des Deutschen Reiches im Orient unter allen Umständen zurückzudrängen, wie unten gezeigt werden wird. Das Ministerium des Äußeren faßte die ökonomischen Ziele in einem Erlaß an den österreichischen Botschafter in Konstantinopel im Februar 1916 so zusammen: „Keineswegs abseits stehen von den deutschen wirtschaftlichen Bestrebungen sondern an denselben so ausgiebig wie nur tunlich teilnehmen.“94 Diese Teilnahme wurde allerdings – und das gilt es unten zu zeigen – zu einem mit äußerster Härte auf wirtschaftlichem und propagandistischem Gebiet geführten Kampf gegen den wichtigsten Bündnispartner: gegen Deutschland. 91 Der spätere preußische Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn dazu: „Die sind ja nicht besser als eine Miliz! Das ist der Fehler, daß kein Mensch erkannt hat, was für eine elende Armee das ist. Wir schlagen uns erfolgreich mit doppelter russischer Überlegenheit herum, die Österreicher reißen vor den gleich starken Russen aus.“ Reichold, Helmut; Granier, Gerhard: Adolf Wild von Hohenborn, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des preußischen Generals als Kriegsminister und Truppenführer im Ersten Weltkrieg. Boppard, 1986, S. 32. In der jüngsten Zeit wird häufig versucht, die erschreckend schlechten Leistungen der österreichisch-ungarischen Armee zu leugnen, umzudeuten oder sie gar einer wie auch immer gearteten Verständnislosigkeit der Deutschen für ihre Verbündeten zuzuschreiben. Das wirkt bis in die Massenmedien hinein. Siehe etwa: Kamerad Schnürschuh. Interview mit Brigitte Hamann. Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2004. Diese Tendenz findet sich auch sehr ausgeprägt bei Jung, Peter: Das Gesandschaftsdetachment Teheran von Persien bis nach Wien. In: Ein unbekannter Krieg, Österreichische Militärgeschichte, Folge 5. Wien, 1997. Möglicherweise liegt die Ursache dieser revisionistischen Strömung in einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl, das viele Österreicher Deutschen gegenüber noch immer gern kultivieren. Zu den vor dem Krieg liegenden Ursachen des militärischen Versagens der Monarchie siehe Herwig: First World War, S. 12–14. 92 Rauchensteiner, Manfried: Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. Graz, 1993, S. 183f. 93 Zum Balkanweg und den Bemühungen, diesen zu öffnen siehe Will, Alexander: Letzte Hoffnung Wasserweg. Die Donau, der erste Weltkrieg und das deutsch-österreichisch-osmanische Bündnis 1914/1915. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 10/2010, 781–794. 94 Ministerium des Äußeren an Botschafter in Konstantinopel, 9. Februar 1916. Zitiert nach Fischer: Kampf, S. 19. Siehe dort auch die Diskussion der österreichischen Kriegsziele.
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Auch Österreich-Ungarn unterstützte die Türkei während des Krieges mit Truppen – allerdings in weit geringerem Maße als Deutschland. Es handelte sich vor allem um Artillerie, Kraftfahrtruppen, sowie Ausbildungs- und Sanitätseinheiten.95 Darüber hinaus war die Entsendung eines k.u.k. Orientkorps geplant. Diese Einheit kam jedoch nicht zum Einsatz.96 In Persien spielten aus Rußland geflohene Österreicher eine gewisse Rolle.97 Die österreichisch-ungarischen Aktivitäten im Orient während des Ersten Weltkrieges sind bisher eher in klassischer militärhistorischer Form bearbeitet worden. Zu nennen sind dabei an erster Stelle die Forschungen von Peter Jung, der die militärische Tätigkeit österreichischer Einheiten im Orient ausführlich dargestellt hat.98 Erwähnenswert ist weiterhin die von Karl Johannes Bauer 1989 vorgelegte Biographie des Prälaten und Orientspezialisten Alois Musil,99 handelte es sich bei ihm doch um den herausragendsten Protagonisten eines Revolutionierungsversuches, bei dem Österreich-Ungarn federführend war. Allerdings trägt diese Arbeit geradezu hagiographische Züge, indem sie die völlig mißlungene Arabien-Mission Musils zum Scheitern eines Unverstandenen verklärt. Erst in jüngster Zeit sind zwei wichtige Werke aus der Feder Robert-Tarek Fischers100 erschienen, die ÖsterreichUngarn als im Orient selbstbewußt agierende Macht mit eigenen Zielen und Interessen darstellen. Und das Ergebnis der Allianz? Was gewannen die Verlierer des Ersten Weltkrieges durch ihr militärisches Bündnis mit dem Osmanischen Reich? Für Deutschland und Österreich-Ungarn lohnte sich die türkische Kriegsteilnahme ohne Zweifel. Zwar mußten beide Staaten erhebliche materielle Unterstützung leisten, um das Osmanische Reich kriegsfähig zu halten, der militärische Profit aus diesen Investitionen war jedoch erheblich größer. Hauptsächlich bestand dieser in der Bindung gegnerischer Truppen. Das betraf mehr als eine Millionen Briten und bis Herbst 1916 rund 300.000 Russen.101 Die Verluste der Entente allein während der DardanellenKämpfe dürften eine halbe Million Mann überschritten haben.102 All diese Kräfte wären ohne die Türkei in Mitteleuropa statt im Orient aufmarschiert. Darüber hinaus waren die Meerengen während des gesamten Krieges für anglo-französische Lie95 Siehe zum k.u.k. Militär in der Türkei vor allem Jung, Peter: Der k.u.k. Wüstenkrieg. ÖsterreichUngarn im Vorderen Orient, 1915–1918. Graz, 1992. Ders.: Die k.u.k. Streitkräfte im Ersten Weltkrieg, 1914–1918. Die militärischen Formationen in der Türkei und im Mittleren Osten. In: Österreichische Militärgeschichte, Folge 2. Wien, 1995, S. 5–54. 96 Jung: Wüstenkrieg, S. 132f. Eine umfassende Darstellung dieses Vorhabens ist ein Desiderat. 97 Siehe unten, S. 267f. 98 Jung, Peter: Wüstenkrieg. Ders.: Gesandschaftsdetachment, S. 6–30. Ders.: K.u.k. Streitkräfte. 99 Bauer, Karl Johannes: Alois Musil. Wahrheitssucher in der Wüste. Wien, 1989. 100 Fischer, Robert-Tarek: Österreich-Ungarns Kampf ums Heilige Land. Kaiserliche Palästinapolitik im Ersten Weltkrieg. Frankfurt/Main, 2004. Ders: Österreich im Nahen Osten. 101 Jung: Wüstenkrieg, S. 132. 102 Hintersatz, W.: Marschall Liman von Sanders Pascha und sein Werk. Berlin, 1932, S. 27.
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ferungen an Rußland blockiert.103 Und schließlich bot das Bündnis mit der Türkei Deutschland die Möglichkeit, das britische Weltreich mit geheimdienstlichen Methoden anzugreifen. Dafür jedoch zahlte das Osmanische Reich einen hohen Preis. Von den insgesamt mobilisierten rund 2,8 Millionen Mann rechnet Edward J. Erickson rund 1,7 Millionen unter die Verluste.104 Diese Bedeutung des Osmanischen Reiches war den entscheidenden Akteuren in Deutschland durchaus bewußt – und sie wurde nach dem Krieg von vielen auch entsprechend hervorgehoben. So würdigte Hindenburg in seinen Erinnerungen die Widerstandskraft des osmanischen Heeres, „das die Dardanellen verteidigte, Kut-alAmara gewann, gegen Ägypten zog, den russischen Angriff im armenischen Hochland zum Halten brachte [...] das Hunderttausende feindliche Truppen auf sich zog, Kerntruppen“.105 Falkenhayn schrieb von „heldenhafter Bundestreue“106 der Türkei und maß ihr eine „ausschlaggebende Bedeutung im Kampf gegen Rußland“107 zu. Auch die neuere Forschung gibt diesen Stimmen recht. Laut Stevenson mußten „very substential ressources“108 von den Entente-Mächten zur Verteidigung ihrer überseeischen Besitzungen aufgewandt werden. John Keegan sieht mit dem Kriegseintritt der Türkei gar eine neue Qualität der Auseinandersetzung erreicht109, während Peter Thorau ihn zumindest mittelbar für den Zusammenbruch Rußlands verantwortlich macht.110 In der Tat lässt sich eine solche neue Qualität auch in den Methoden der Auseinandersetzung im vorderasiatischen Raum erkennen. Eine Besonderheit des Ersten Weltkrieges im Vorderen Orient besteht nämlich in der Existenz eines außergewöhnlichen, abenteuerlichen Aspektes. Auf der Seite der Alliierten ist dieser mit der Geschichte des Lawrence von Arabien verbunden. Auf der Seite der Mittelmächte 103 Der berühmte Forschungsreisende Sven Hedin sah darin 1917 sogar einen Hauptgrund für den Zusammenbruch der Monarchie in Rußland. Hedin, Sven: Bagdad, Babylon, Ninive. Leipzig, 1917, S. 9. 104 Siehe Erickson: Ordred to die, S. 243. Allerdings zählt er hier auch eine halbe Millionen Deserteure und rund 145.000 Kriegsgefangene mit. Die Gesamtverluste an Gefallenen,Verwundeten und an Krankheiten gestorbenen Soldaten beziffert Erickson auf rund 1.075.000. 105 Hindenburg: Leben, S. 277. 106 Falkenhayn, Erich von: Die Oberste Heeresleitung 1914–1916. Berlin, 1920, S. 66. 107 Ebenda, S. 42. 108 Stevenson, David: 1914–1918. The history of the First World War. London, 2005, S. 125. 109 „[...] infolge des überraschenden Kriegseintrittes der Türkei im November 1914 fand sich Frankreich plötzlich in Unterstützungsfeldzüge auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerraum verwickelt. Der Kriegseintritt der Türkei hatte auch Rußlands Kalkül durchkreuzt, sich nur mit den Deutschen und Österreichern befassen zu müssen; jetzt führte es zusätzlich einen erbitterten und schwierigen Feldzug im Kaukasus. [...] Großbritannien [...] mußte die Verantwortung für immer breitere Abschnitte der Westfront übernehmen. Gleichzeitig hatte es bei Gallipoli, in Ägypten und in Mesopotamien gegen die Türken zu kämpfen.“ Keegan: Tragödie, S. 291f. Siehe auch ebenda S. 310. 110 Thorau, Peter: T. E. Lawrence – Mythos und Wirklichkeit. Der arabische Aufstand und das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg. In: Saeculum, 52, 2001, S. 69f.
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handelt sich dabei um deutsch-türkische Aktionen, die Aufstände im nah- und mittelöstlichen Machtbereich der Entente-Staaten herbeiführen sollten und das Ziel hatten, neutrale Staaten wie Persien oder Afghanistan zur Teilnahme am Krieg an der Seite der Mittelmächte zu bewegen. Diese sogenannte Revolutionierung war bereits während des Krieges in der Öffentlichkeit bekannt. 1918 erschienen die ersten autobiographischen Berichte über die deutsche Afghanistan-Expedition.111 In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich schließlich eine Form erzählender Literatur, die aus eigenem Erleben von Kriegsteilnehmern schöpfte.112 1960 legte Ulrich Gehrke am Beispiel Persiens eine erste wissenschaftliche Untersuchung der deutschen Revolutionierung vor.113 Er versuchte vor allem, die Abläufe zu klären und baute ausschließlich auf deutschen Quellen auf. Die britischen Akten waren bis in die frühen 1970er Jahre noch nicht zugänglich. Gehrke konstatierte das Scheitern der deutschen Bemühungen, sah aber den „sekundären Zweck einer Beunruhigung Englands und Rußlands“114 erfüllt. Er beurteilte diese Revolutionierungsaktionen allerdings keineswegs als generalstabsmäßig geplantes Unternehmen, das etwa einen Teilaspekt imperialistischen Weltmachtstrebens dargestellt haben könnte.115 Mit einer konträren These löste Fritz Fischer116 Ende der 1960er Jahre eine Historiker-Kontroverse in Deutschland aus. Als Beleg für seine Idee von der Kontinuität des deutschen Strebens nach imperialer Macht nutzte Fischer unter anderem die deutschen Revolutionierungsoperationen des Ersten Weltkrieges. Für ihn waren sie Teil eines Planes, der 1898 mit dem Besuch Wilhelms II. im Osmanischen Reich seinen Anfang nahm.117 Das deutsch-türkische Bündnis sei „gerade mit dem Blick auf die Entfesselung einer panislamischen Bewegung“118 abgeschlossen worden. Fischer belegte seine These im Grundsatz mit „Manifestationen politisch wirksamen Willens der Reichsregierung und Forderungen, die Repräsentanten staatlicher Institutionen, einzelner Parteien und Verbände, aber auch Vertreter eher informeller [...] einflußreicher Gruppen anmeldeten“.119 Jenseits der theorieüberfrachteten Kontroverse blieb 111 Hentig, Werner Otto von: Meine Diplomatenfahrt ins verschlossene Land. Berlin, 1918. 112 Besonders zu erwähnen sind hier Steuben, Fritz: Die Karawane am Persergolf. Eine abenteuerliche Kriegsfahrt durch die Wüste. Stuttgart, 1935. Laar, Clemens: Kampf um die Dardanellen. Berlin, 1936. und ders: Kampf in der Wüste, Gütersloh, 1939. 113 Gehrke, Ulrich: Persien in der deutschen Orientpolitik während des Ersten Weltkrieges. Hamburg, 1960. 114 Ebenda, S. 325. 115 Ebenda, S. 327. 116 Fischer: Weltmacht. Eine Arbeit mit gleicher Stoßrichtung, die vor allem den angeblichen ungezügelten deutschen Expansionsdrang in den Orient dokumentieren sollte, wurde nur wenig später vorgelegt. Kampen, Wilhelm van: Studien zur Deutschen Türkeipolitik in der Zeit Wilhelms II. Kiel, 1968. 117 Ebenda, S. 109. 118 Ebenda, S. 110. 119 Sywottek, Arnold: Die Fischer-Kontroverse. Ein Beitrag zur Entwicklung des politisch- historischen Bewußtseins in der Bundesrepublik. In: Geiß, Imanuel; Wendt, Bernd Jürgen (Hrsg.):
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dabei allerdings die Frage offen, ob Fischer genau diese Manifestationen nicht grob überbewertete. Gerade die Orientaktionen zeigen nämlich geradezu typischerweise eine erhebliche Autonomie der an Ort und Stelle Tätigen von den Zentralstellen, Parteien, Verbänden und Interessengruppen, wie noch gezeigt werden wird. Das galt sowohl für die Station Konstantinopel als auch in erheblich höherem Maße für alle Regionen weiter östlich. Im Schatten der Fischer-Kontroverse erschien 1970 auch die erste maßgebliche Untersuchung der deutschen Afghanistan-Expedition.120 Sie stützte sich ebenfalls ausschließlich auf deutsche Quellen, konstatierte weitgehend Fakten und bescheinigte der Expedition vollständiges Scheitern. Die Fischer-These war aber auch im angelsächsischen Raum auf durchaus fruchtbaren Boden gefallen, lud sie doch letztlich die Nachkommen der ehemaligen Gegenspieler dieser Strategie – also vor allem die Briten – dazu ein, sich rückblickend als historisch gerechtfertigt zu fühlen. So vertrat etwa Peter Hopkirk die These vom ungezügelten imperialistischen Machtstreben des Kaiserreiches, das sich insbesondere im Vorderen Orient manifestiert habe.121 Die deutsche Politik in Südrußland und im Kaukasus während des Weltkrieges, und damit auch deutsche Revolutionierungspläne in dieser Region, untersuchte schließlich Mitte der 1970er Jahre Wolfdieter Biehl in einer umfangreichen Studie.122 Zum ersten Mal wurde hier auch auf die Tätigkeit österreichisch-ungarischer Militärs und Diplomaten eingegangen, die damit in der wissenschaftlichen Aufarbeitung als eigenständige Akteure aus dem Schatten des übermächtigen Verbündeten heraustraten. Östlich der Berliner Mauer geriet die Weltkriegsrevolutionierung bereits Anfang der 1960er Jahre ins Visier kommunistischer Geschichtspropaganda. Die Anwendung marxistisch-leninistischer Geschichtsinterpretationen führte zu einer Einordnung, die der Fischerschen ausgesprochen nahe kam. Lothar Rathmann etwa sah die deutschen Aktionen als Beleg für den expansiven Charakter des deutschen Imperialismus.123 Allerdings führte in der DDR diese These nicht zu einer wissenschaftlichen Diskussion, sondern lieferte Munition für die damals aktuelle Auseinandersetzung mit dem Westen im Kalten Krieg.124 Ein weiteres Beispiel für Geschichtspropaganda Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Düsseldorf, 1973, S. 30. 120 Vogel, Renate: Die Persien- und Afghanistanexpedition Oskar Ritter von Niedermayers 1915/1916. Osnabrück, 1976. 121 Hopkirk, Peter: Östlich von Konstantinopel. Kaiser Wilhelms Heiliger Krieg um die Macht im Orient. Wien, 1994, S. 76–78. 122 Bihl: Kaukasus-Politik. 123 Rathmann, Lothar: Stoßrichtung Nahost 1914–1918. Zur Expansionspolitik des deutschen Imperialismus im Ersten Weltkrieg. Berlin (Ost), 1963. 124 Als Beispiel sei folgende Passage aus Rathmanns Buch zitiert: „Mit wachsender Besorgnis beobachtet die demokratische Weltöffentlichkeit den Aggressionsherd Westdeutschland. Die revanchistische und neokolonialistische Politik des deutschen Imperialismus bedroht nicht nur die sozialistischen Staaten, sondern unter dem Deckmantel der ,europäischen Integration‘ auch die kapitalistischen Länder im Westen, Norden und Süden Europas. Und nicht zuletzt erstrebt
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auf diesem Feld lieferte noch 1987 Eva-Maria Hexamer125. Eingeordnet in das doktrinäre Korsett der Imperialismus-Theorie Lenins glaubte sie, in der Revolutionierung den „Versuch des deutschen Imperialismus“ zu erkennen, „auf der Grundlage des Mißbrauchs des Nationalismus unterdrückter Nationen seine Kriegsziele zu erreichen“126. Ihre Grundthese ähnelte wiederum der Fischers, war allerdings in der Konsequenz marxistisch radikalisiert: Die Orientpläne „des deutschen Imperialismus im Ersten Weltkrieg [hatten] von ökonomischen Interessen des deutschen Monopolkapitalismus determinierte Zielsetzungen“127. Eine weitere wichtige Überblicksarbeit zu Revolutionierungsstrategien im Orient erschien in den 1990er Jahren.128 Ihr Autor Martin Kröger konstatierte hier abermals deren vollständiges Scheitern und faßte die bis heute herrschende Meinung über dessen Ursache so zusammen: „So war die wohl wesentlichste Ursache für den deutschen Mißerfolg im Nahen Osten die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten; sie vor allem ließ Plan und Wirklichkeit auseinanderlaufen.“129 Er stützte sich allerdings erneut ausschließlich auf deutsche Quellen. Die Folgen der deutschen Aktivitäten im weiteren Verlauf der Zeit, wie sie auf der Gegenseite erlebt worden und die daraus resultierenden britischen Gegenmaßnahmen wurden ebenso ausgeblendet wie eine Kostenanalyse. Die bis heute umfangreichste Gesamtdarstellung des Phänomens erschien schließlich Ende der 1990er Jahre. 1998 legte Donald McKale sein „War by revolution“130 vor. Er sah Revolutionierung als Grundzug der deutschen Kriegsführung im Orient, der sich aus dem Bündnis mit der Türkei und der relativen militärischen Schwäche des Kaiserreiches in der Region ergab. Die Strategie bewertete er als gescheitert und gestand ihr nicht einmal Teilerfolge zu. Die propagandistische Vorarbeit und Unterstützung der deutschen Aktionen im Orient behandelte McKale dabei ausgesprochen knapp. Die herrschende Meinung, die Revolutionierungsstrategie habe im Ersten Weltkrieg versagt, fand schließlich auch Eingang in die entsprechenden Überblickswerke.131
der klerikal-militaristische westdeutsche Staat – getrieben von den Macht- und Profitinteressen der Monopole – die Ausdehnung seines ökonomisch-politischen Einflußbereiches auf Kosten der noch kolonialunterdrückten Völker und der jungen antiimperialistischen Nationalstaaten.“ Ebenda, S. 5. 125 Hexamer, Eva-Maria: Indien in den Plänen des deutschen Imperialismus während des ersten Weltkrieges (unveröffentlichte Diss.). Ostberlin, 1987. 126 Ebenda, S. 182. 127 Ebenda. 128 Kröger, Martin: Revolution als Programm. Ziele und Realität deutscher Orientpolitik im Ersten Weltkrieg. In: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung – Wahrnehmung – Analyse. München, 1994, S. 366–391. 129 Ebenda, S. 386. 130 McKale, Donald: War by revolution. Germany and Great Britain in the Middle East in the Era of World War I. Kent, 1998. 131 Siehe beispielhaft Keegan: Weltkrieg, S. 309.
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Die Revolutionierung der Mittelmächte im Orient in der Zeit des Ersten Weltkrieges war also offensichtlich vor allem deshalb Objekt einer intensiven Untersuchung, weil Wissenschaftler sich Belege für den aggressiven, imperialitischen Charakter des Kaiserreiches erhofften. Dies mag man auch mit dem Wunsch eines Teiles des wissenschaftlichen Gemeinschaft erklären können, eine historische Kontinuität von Wilhelm II. zu Adolf Hitler zu konstruieren und somit geschichtspolitisch Akzente zu setzen. Im Falle Österreich-Ungarns und der Politik dieser Monarchie im Vorderen Orient spielte dieses Motiv für eine wissenschaftliche Untersuchung offensichtlich keine Rolle. Vor allem aus diesem Grund war das Feld in diesem Bereich bis vor wenigen Jahren weitgehend unbeackert. Insbesondere vor diesem Hintergrund, also der offenkundigen geschichtspolitischen Motivation eines Großteils der existierenden Forschung, der Zeitgebundenheit der grundsätzlichen Einordnungen und Bewertungen an die späten 1960er Jahre und den noch immer bestehenden faktischen Lücken, tun sich eine Fülle offner Fragen auf, die sich zu acht wesentlichen Komplexen zusammenfassen lassen: 1. Waren die Ziele und Motive deutscher Revolutionierungsstrategien und der damit verbundenen Propaganda wirklich imperialistischer Natur? Oder könnte es sein, daß es darum ging, in einer existenzbedrohenden Auseinandersetzung Verbündete zu finden, wo es ging, um dem Feind zu schaden, wo und wann immer es möglich war? Handelte es sich dabei möglicherweise um eine aus Schwäche geborene asymmetrische Reaktion auf die militärische Herausforderung eines überlegenen Gegners? 2. War die Revolutionierungsstrategie Ausdruck eines strategischen, politischen Handelns von Zentralstellen? Könnte es sich auch um eine taktische Variante, die maßgeblich auf einer Ebene darunter entwickelt und umgesetzt wurde handeln? 3. Gab es dabei ein einheitliches Handeln? Welche Mittel wurden eingesetzt? Welcher Art des Handelns – politisch, militärisch, geheimdienstlich – sind diese zuzuordnen? 4. War der in der Forschung kritisierte Dilettantismus der deutschen Planungen tatsächlich Ausdruck der Überschätzung eigener Möglichkeiten? Oder könnte es sich um eine Folge der Improvisation handeln, mit der die entsprechenden Strategien schnell umgesetzt werden mußten? Widerspricht damit diese improvisierte Umsetzung der These einer zielgerichteten, langfristigen imperialistischen Strategie des Deutschen Reiches? 5. Welche Ressourcen wurden für diese Strategien zur Verfügung gestellt? Welche Ergebnisse wurden letztlich erzielt? Wie stellt sich das Verhältnis zwischen Ressourcen-Einsatz und Ergebnis dar? Dabei stellt sich insbesondere bei der Bewertung der deutschen Propaganda im Orient die Frage, ob diese bisher nicht zu negativ ausgefallen ist. Diese negative Bewertung war schon nach Kriegsende herrschende Meinung. Schivelbusch allerdings konstatiert eine „Fixierung der deutschen Nachkriegsdiskussion auf die vermeintliche Inferiorität der eigenen
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Propaganda“,132 die er mit dem deutschen Wunsch begründet, sich selbst zum Opfer skrupelloser alliierter Propaganda zu stilisieren.133 Eigene Erfolge, wie die „Destabilisierungskampagne“134 gegen Rußland seien daher in Deutschland ausgeblendet worden. Vor diesem Hintergrund lohnt sich eine erneute Betrachtung der deutschen Aktivitäten im Orient. Gab es vielleicht doch Propaganda-Erfolge und wenn ja, welche waren das? 6. Wie bewertete die Gegenseite die deutsche Strategie und die aus ihr resultierenden Aktionen? Welche Gegenmaßnahmen wurden getroffen und welche Ressourcen wurden dafür verbraucht? 7. Wie arbeiteten Deutschland und Österreich im Orient zusammen? Welche Konflikte gab es? War Österreich-Ungarn nur der Juniorpartner Deutschlands oder ein gleichwertiger und gleichberechtigter Verbündeter? 8. Welche Ziele verfolgte die Habsburger-Monarchie überhaupt im Orient? Auf welche Strategien wurde dabei gesetzt und wie erfolgreich waren diese letztendlich? Geographisch konzentriert sich die folgende Untersuchung auf den Nahen und Mittleren Osten. Nordafrika, ausgenommen Ägypten, wurde ausgeklammert.135 Zugrundegelegt wurden deutsche, österreich-ungarische und britische Archivalien der politischen und militärischen Stellen dieser Nationen. Hinzu kommen autobiographische Zeugnisse, die trotz der bekannten Problematik wichtige Quellen darstellen. Nachlässe wurden ebenfalls untersucht, wobei wichtige Quellen dieser Kategorie nicht berücksichtigt werden konnten: So ist der gesamte Nachlaß Otto Liman von Sanders im Zweiten Weltkrieg verbrannt, und die persönlichen Dokumente des Chefs des deutschen militärischen Geheimdienstes, Walter Nicolai, befinden sich nach wie vor als Kriegsbeute in Rußland. Ausgeklammert werden darüber hinaus türkische, russische und französische Archivquellen, da das Verhältnis der verbündeten Mächte Österreich-Ungarn und Deutschland im Orient sowie die Wahrnehmung der deutschen Revolutionierungsaktionen durch den Gegner Großbritannien im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen. 136
132 Schivelbusch: Niederlage, S. 263. 133 Ebenda, S. 264. 134 Ebenda, S. 263. 135 Zu den deutschen Revolutionierungsbestrebungen in Nordafrika siehe vor allem Müller, Herbert Landolin: Islam, ğihād („Heiliger Krieg“) und Deutsches Reich. Ein Nachspiel zur wilhelminischen Weltpolitik im Maghreb 1914–1918 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Band 506). Frankfurt/M., 1991. 136 Festgehalten wird an der bis 1998 gültigen Rechtschreibung. In Deutschland geläufige geographische Bezeichnungen sowie Namen werden in dieser geläufigen Form wiedergegeben. Also zum Beispiel Amman statt ‘Ammān und Talat statt T.al‘at. Umschriften sollen dagegen bei unbekannteren Bezeichnungen zur eindeutigen Identifizierung verwendet werden. In Zitaten bleiben die Rechtschreibung der Zeit und die Schreibung von Eigennamen erhalten.
2 Geheimdienste und Propaganda Asymmetrische Herausforderung im symmetrischen Krieg Wer den Ersten Weltkrieg betrachtet, der sieht auf den Schlachtfeldern Europas riesige Heere, die sich in Schützengräben gegenüber liegen. Er sieht uniformierte Massen, in denen der Einzelne nur noch als Element dieser Masse funktionieren kann. Er sieht Maschinengewehre, Eisenbahnen, schwere Geschütze, Giftgas und industrialisiertes Schlachten auf den Feldern vor Verdun und in den schneebedeckten Ebenen Ostpreußens. In Europa standen sich dabei Heere gegenüber, die – bei aller gegebenen Unterschiedlichkeit in Ausrüstung und Führung – sich doch im wesentlichen glichen. In Serbien wie in Frankreich, in Deutschland wie in Großritannien kam es den militärischen Führungen darauf an, die Anzahl des Personals immer weiter zu erhöhen und die Feuerkraft durch technische Innovationen so weit wie möglich zu steigern. Schaut der Beobachter in den Orient, so bietet sich zunächst ein ähnliches Bild. An den Dardanellen ein Stellungskrieg, in dem Massenarmeen kämpften, auf dem Meer vor der Dardanellen-Einfahrt, die Blüte des technischen Fortschritts, die Krone der technischen Moderne – die größte und mächtigste Flotte der Welt. Auch hier kämpften Armeen mit ähnlichen Strategien und einem gleichen Grundkonzept gegeneinander, so sehr sie sich in wichtigen Einzelheiten auch unterschieden haben mögen. An den Dardanellen und der Palästina-Front, im Kaukasus und auf der Sinai-Halbinsel standen sich Armeen gegenüber, deren Organisation auf ähnlichen Grundlagen aufgebaut war. Die Ausrüstung glich sich weitgehend, die Regeln des Konfliktes waren seinen maßgeblichen Lenkern durch ihre Zugehörigkeit zur Kaste der Offiziere bekannt und geläufig. An dieser Stelle ist es nun aber um so mehr lohnend, den orientalischen Konflikt der Jahre 1914 bis 1918 trotz dieses nur auf den ersten Blick eindeutigen Bildes unter den Kategorien von Symmetrie1 und Asymmetrie2 zu untersuchen. Weitet man nämlich die Betrachtung des Krieges im Südosten auf einen Maßstab, der die 1 Symmetrische Kriegführung ist gekennzeichnet durch gleichartige militärische Organisation, Ausbildung und Ausrüstung des kämpfenden Personals, darüber hinaus halten sich die Parteien des Konfliktes an Regeln, die als allgemeingültig angesehen werden. Dafür ist die Entwicklung des Kriegsvölkerrechts ein Beispiel. Siehe Münkler, Herfried: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Weilerswist, 2006, S. 60–64. 2 Asymmetrische Kriegführung ist gekennzeichnet durch die erdrückende Überlegenheit einer Seite auf waffentechnischem (technologischem), logistischem und militärisch-organisatorischem Gebiet. Asymmetrien können sich darüber hinaus durch Unter- bzw. Überlegenheit an Ressourcen ergeben. Kurz: Eine Seite eines Konfliktes ist in erheblichem Maße unterlegen. Diese Seite wird dann nach Wegen suchen, diese Unterlegenheit auszugleichen. Sie wird neue Kampfesweisen suchen und darüber hinaus die Regeln des Konfliktes erweitern oder gar systematisch brechen. Siehe ebenda, S. 65f. Robert D. Kaplan betont in diesem Zusammenhang ganz besonders stark die Mißachtung allgemein akzeptierter Regeln durch den unterlegenen Teil des Konfliktes. Kaplan, Robert D.: War-
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Region vom Balkan über Ägypten bis nach Indien umfaßt, sehen die Dinge plötzlich erheblich anders aus – insbesondere mit Blick auf die Ressourcen, über welche die Konfliktparteien verfügten.3 Großbritannien beherrschte einen weiten Teil dieses Großraumes unbestritten. In anderen Teilen, wie etwa Persien, war sein Einfluß immerhin erheblich. Die Türkei war von gegnerischem Territorium weitgehend umschlossen. Ihre wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen waren begrenzt, der Weg nach Deutschland durch den zähen Widerstand Serbiens lange Zeit verschlossen. Über kurz oder lang mußte diese Situation zur Niederlage des Osmanischen Reiches führen. Das wußte Berlin, das dürfte auch Konstantinopel sehr klar gewesen sein. Es ging daher darum – bewußt oder unbewußt – neue Wege zu finden, die zum Sieg oder zumindest zu einem Patt auf dem orientalischen Kriegsschauplatz führen konnten. Für die Türkei wäre es ja schon ein Sieg gewesen, wenn sie selbst den Krieg durchgehalten hätte und es auf dem europäischen Kriegsschauplatz zu einem Patt gekommen wäre. Der symmetrische Weg, also die Unterstützung der Türkei durch Truppen der Verbündeten, fiel jedoch weitgehend aus. Zu sehr kämpften Deutschland und vor allem Österreich-Ungarn an ihren eigenen Fronten um ihre Existenz. Es blieben also nur Wege, die möglichst ressourcenschonend eine große Wirkung zu entfalten versprachen. Diese Wege waren Revolutionierung, Propaganda4 in den gegnerischen Gebieten und verdeckte Operationen. Dieses alles sind Strategien, die mit dem Begriff „geheimdienstliche Tätigkeiten“ beschrieben werden können. Dieses Phänomen umfaßt also erheblich mehr, als der englische Begriff „intelligence“ meint. Intelligence – das Sammeln von Informationen und die Beschaffung geheimen Materials – ist nur ein Aspekt geheimdienstlicher Tätigkeit. Letztlich zerfällt diese in folgende Hauptfelder: • Nachrichtendienstliche Tätigkeit (secret intelligence5): Das Sammeln und Auswerten von Informationen aus öffentlich zugänglichen oder geheimen Quellen. Träger dieser Tätigkeit waren und sind militärische und zivile Stellen. Dabei ist der klassische, in Frontnähe operierende militärische Nachrichtendienst, dessen Aufgabe es ist, Stellungen und Pläne des Gegners im Divisions-, Brigade-, Armeekorps und Armeemaßstab zu erkunden, hier nicht Thema. • Verdeckte Operationen: Darunter zu verstehen sind niedrigschwellige militärische Operationen, die im Hinterland des Gegners stattfinden. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind etwa die CIA-Operationen in der Schweinebucht auf Kuba in den 1960er Jahren und der amerikanische Versuch, die US-Geiseln
rior Politics. New York, 2002, S. 9ff. Siehe zu diesem Komplex auch folgenden Beitrag: Schwartau, Winn: Asymmetrical adversaries. In: Orbis, 44/2, 2000, S. 197–205. 3 Münkler sieht den Ersten Weltkrieg insgesamt als einen Krieg der Ressourcen. Siehe Münkler: Wandel, S. 57. 4 Siehe zur Propaganda in asymmetrischen Konflikten ebenda, S. 193 und 217. 5 Zu den Merkmalen der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten im langen 19. Jahrhundert siehe Fitzgibbon, Constantine: Secret Intelligence in the 20th century. London, 1976, S. 12–33.
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in Teheran zu befreien in den 1980er Jahren. Verdeckte Operationen können dabei durchaus Formen eines Guerillakrieges annehmen. • Revolutionierung: Der Versuch, das politische System eines gegnerischen Staates zu verändern oder einen Machtwechsel herbeizuführen, um diesen Staat entweder aus dem gegnerischen Bündnis herauszulösen oder zur Unterstützung der eigenen Position zu bewegen. Dazu werden typischerweise innere Widersprüche des Zielstaates ausgenutzt, um eine Revolution herbeizuführen. • Propaganda:6 Der Versuch, in gegnerischen oder befreundeten Staaten mit der Macht des Wortes, durch Bilder oder Filme Sympathien für die eigene politische oder militärische Position zu wecken. Der Begriff hat bis in die Gegenwart eine deutliche Wandlung erfahren. Wurde er bis Mitte des 20. Jahrhunderts neutral für jegliche derartige Bestrebung gebraucht, ja sogar zur Beschreibung von Produktwerbung benutzt, so ist er heute klar negativ besetzt. Der Begriff Propaganda steht nun eher für eine Beeinflußung der öffentlichen Meinung mit Unwahrheiten.7 Im folgenden soll jedoch „Propaganda“ im neutralen Sinn verstanden werden. Für Ägypten bezeugt Lord Kitcheners Nahost-Sekretär Ronald Storrs schon für die Jahre 1905 bis 1907 eine Art Propagandakrieg zwischen Briten auf der einen und Deutschen sowie Türken auf der anderen Seite.8 Während des Ersten Weltkrieges waren sowohl militärische als auch zivile Stellen in Deutschland und Österreich-Ungarn mit der Propaganda in Feindstaaten befaßt. Typisch war es, daß diese Stellen gleichzeitig auch andere Aspekte geheimdienstlicher Tätigkeit bearbeiteten. Zudem bekamen die Nachrichtenoffiziere an den europäischen Fronten zunehmend Propaganda-Aufgaben zugeteilt.9 Das scheint insbesondere nach der russischen Revolution auf deutscher Seite der Fall gewesen zu sein, als das Ziel lautete „Zersetzung der russischen Armee durch Propaganda“.10 Propaganda im Orient hatte in dieser Zeit zwei Hauptziele. Zum einen sollte die Bevölkerung der verbündeten Türkei im Sinne der Mittelmächte beeinflußt und 6 Zur Theorie der Propaganda und ihren Wandlungen im 20. Jahrhundert siehe insbesondere Bussemer, Thymian: Propaganda. Konzepte und Theorien. Wiesbaden, 2005. 7 Sehr klar wird dies bei der Betrachtung des Manuals für Psychologische Operationen der USArmee. Propaganda wird dort definiert als ,,any form of adversary communication, especially of a biased or misleading nature, designed to influence the opinions, emotions, attitudes, or behavior of any group in order to benefit the sponsor, either directly or indirectly“. Joint Chiefs of Staff (Hrsg.): Psychological operations. (Joint Publication 3-13.2), ohne Ort, 7. Januar 2010, S. GL-7. Die eigenen derartigen Operationen bezeichnet das amerikanische Militär dagegen mit dem Begriff „psychological operations“. Diese werden definiert als „planned operations to convey selected information and indicators to foreign audiences to influence their emotions, motives, objective reasoning, and ultimately the behavior of foreign governments, organizations, groups, and individuals. The purpose of psychological operations is to induce or reinforce foreign attitudes and behavior favorable to the originator’s objectives“. Ebenda, S. GL-8. 8 Storrs war beim ägyptischen Zoll unter anderem für die Vernichtung abgefangenen Propagandamaterials zuständig. Storrs, Ronald: Orientations. London, 1937, S. 48f. 9 Siehe Agricola: Spione, S. 132f. 10 Ebenda, S. 132.
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dadurch der osmanische Staat im Bündnis gehalten werden. Zum anderen war Propaganda ein integraler Bestandteil aller Revolutionierungsbestrebungen. Sie daher als eine geheimdienstliche Tätigkeit zu behandeln, ist angemessen und zum vollen Verständnis des Themas unbedingt erforderlich. Darüber hinaus rechneten deutsche Nachrichtendienstler selbst Propaganda eindeutig der geheimdienstlichen Tätigkeit zu.11 Sie selbst haben die Beeinflussung der Öffentlichkeit als eine ihrer Aufgaben betrachtet. Für den Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, Walter Nicolai, bildete Propaganda „einen wesentlichen Teil dessen, was wir unter dem feindlichen Nachrichtendienst zu verstehen haben“.12 Seine Abteilung III.b. war darüber hinaus schon am 2. August 1914 mit der Schaffung eines Pressedienstes beauftragt worden. Dieser sollte die Zensur einheitlich gestalten und als Ansprechpartner für in- und ausländische Pressevertreter dienen. Erst Ende 1915 entstand durch den Zusammenschluß dieser Stelle mit der Oberzensurstelle das Kriegspresseamt.13 Es läßt sich also mit Fug und Recht behaupten, daß im Ersten Weltkrieg in Deutschland Auslandspropaganda einen geheimdienstlichen Charakter besaß. Daß Gleiches auch für Österreich-Ungarn gilt, soll unten gezeigt werden. Das Urteil über die Geheimdienste im Ersten Weltkrieg fällt in der Forschung harsch aus. Bei Philip Knightley etwa heißt es: ,,Abgesehen von den begrenzten Erfolgen der Funkspionage scheinen die Geheimdienste im Ersten Weltkrieg nicht sehr gut abgeschnitten zu haben.“14 Wirklich? Oder wurde möglicherweise bei der Betrachtung nur der Begriff „Geheimdienste“ zu eng gefaßt? Eine Betrachtung der Literatur legt das mehr als nahe. So begrenzt etwa Gert Buchheit die Merkmale der Tätigkeit eines geheimen staatlichen Dienstes wie folgt: ,,a) ständige aufmerksame Beobachtung des Kräftepotentials der ausländischen Staaten = aktiver, vorwiegend militärischer Meldedienst, vorsorglicher Geheimschutz des eigenen Kräftepotentials = militärischer Abwehrdienst. b) ständige, aufmerksame Beobachtung des ausländischen politischen Kräftespiels sowohl im Verkehr dieser Staaten untereinander als auch im innenpolitischen Bereich = politischer Meldedienst, vorsorglicher Schutz gegen innenpolitische Umtriebe, vor Zersetzung und vor staatsfeindlichen Angriffen auf die Verfassung = politischer Abwehrdienst.“15 In der Tat wurde die Betrachtung geheimdienstlicher Tätigkeit vielfach auf diese Aspekte beschränkt. Dabei ist das 11 Goltz, Freiherr von der: Politische Spionage. In: Lettow-Vorbeck, Paul von (Hrsg.): Die Weltkriegsspionage. München, 1931, S. 157. 12 Nicolai, Walter: Geheime Mächte. Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute. Leipzig, 1924, S. 49. 13 Siehe Lindner-Wirsching, Almut: Patrioten im Pool. Deutsche und französische Kriegsberichterstatter im Ersten Weltkrieg, hier S. 115f. In: Daniel, Ute (Hrsg.): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Göttingen, 2006, S. 113–140. Zu den PropagandaAufgaben der Abteilung III.b. im Ausland siehe Kestler: Auslandsaufklärung, S. 67–73. 14 Knightley, Phillip: Die Spionage im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main, 1992, S. 48. 15 Buchheit, Gert: Der deutsche Geheimdienst. München, 1966, S. 13.
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Spektrum geheimdienstlicher Aktionen erheblich breiter. Diversion, verdeckte Operationen, Revolutionierung, Propaganda und Desinformation sind in diesem Kontext vernachlässigte aktive Aspekte geheimdienstlicher Tätigkeit. Auf einem Kriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges waren aber gerade sie sogar ein Hauptwerkzeug aller kriegführenden Staaten – im Nahen Osten. Möglicherweise wurde dies bisher aber schlicht auch übersehen, weil geheimdienstliche Tätigkeit an die Existenz von institutionlisierten Geheimdiensten gekoppelt zu sein scheint. Geheimdienste, wie wir sie heute kennen, – etwas ähnliches wie den CIA, den Bundesnachrichtendienst oder die ehemaligen Ostblockdienste KGB und das Ministerium für Staatssicherheit – gab es zu Beginn des Ersten Weltkrieges jedoch noch nicht. In der Tat nahmen Entwicklung und Professionalisierung der Nachrichten- und Geheimdienste erst mit dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang. Das bedeutet allerdings nicht, daß Spionage in der öffentlichen Wahrnehmung der Zeit vor 1914 keine Rolle gespielt hätte. Spionageaffären waren vielmehr durchaus dazu angetan, veritable gesellschaftliche Skandale heraufzubeschwören.16 Auch Literatur erschien europaweit zu diesem Thema – freilich war diese oftmals polemischer Natur.17 Die Ursprünge der deutschen militärischen nachrichtendienstlichen Organisation sind allerdings schon in der napoleonischen Zeit in Preußen zu finden. Gordon Craig ortete die ersten Vorschläge, höhere Offiziere ins Ausland zu senden, „to study the character of those who might be put in the future at the head of hostile or allied armies“18 bereits im Jahr 1800. Im Jahr 1816 wurden die ersten Offiziere auf derartige Posten entsandt, doch erst ab 1848 wurden dafür formale Attaché-Posten eingerichtet und regelmäßig bei allen größeren Mächten besetzt. Auch wenn diese Posten pro forma eine eher diplomatische Natur besaßen, so waren die entsprechenden Offiziere doch vor allem mit dem beschäftigt, was wir heute mit dem Begriff nachrichtendienstliche Tätigkeit bezeichnen würden.19 Die Methoden haben sich dabei bis heute wenig verändert. „Study of the daily press supplemented by salon gossip and the reports of professional agents“20 sind bis ins 21. Jahrhundert Quellen eines verläßlichen Nachrichtendienstes geblieben, ergänzt um die Anwesenheit von 16 Etwa der Fall des k.u.k. Generalstabsobersten Redl, der militärische Informationen an die Russen weitergeben hatte. Siehe die Erinnerungen des damaligen Chefs des Evidenzbüros des Generalstabes. Urbanski von Ostrymiecz, August: Der Fall Redl. In: Letow-Vorbeck: Weltkriegsspionage, S. 89–98. 17 Siehe etwa Le Queux, William: Spies of the Kaiser: Plotting the downfall of England. London, 1909. 18 Craig, Gordon A.: The politics of the Prussian army, 1640–1945. Oxford, 1955, S. 257. 19 Bei Gordon Craig findet sich dazu ein Beispiel aus dem Krimkrieg. Der preußische Militärattaché in Wien, Prinz Hohenlohe, sollte Berlin mit allen erdenklichen Informationen über die österreichische Armee versorgen, um der Regierung Entscheidungsgrundlagen für politisches Handeln zu liefern. Weil die Wiener Militärbehörden ihm erschöpfende Auskunft verweigerten, „Hohenlohe resorted to the standard process of military intelligence. Thus, he worked out an accurate picture of the Austrian order of battle“. Ebenda, S. 258. 20 Ebenda, S. 259.
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Militärattachés bei Manövern und Mittel der technischen Aufklärung. Unter Wilhelm II. entstand schließlich im Großen Generalstab eine Organisation, die sich als rudimentärer Geheimdienst bezeichnen läßt. Ihr Etat war ausgesprochen niedrig, etwa 300.000 Mark,21 und sie war ausschließlich für den militärischen Nachrichtendienst zuständig.22 Einen zentralen politischen Nachrichtendienst gab es nicht. Erst 1912 begann der Generalstab, die Organisation auszubauen und zu reformieren.23 Es ist eine verblüffende Tatsache, daß ausgerechnet auf dem Balkan, von dem aus schließlich der Große Krieg seinen Anfang nahm, der deutsche Nachrichtendienst vor 1914 ausgesprochen schlecht aufgestellt war. Weder in Serbien noch in Griechenland gab es einen deutschen Militärattaché.24 Russen, Franzosen, Briten und Italiener unterhielten hingegen eine ständige militärische Vertretung in diesen Ländern.25 Insgesamt stellte etwa Hindenburg nach Kriegsende der Abteilung III.b. ein schlechtes Zeugnis aus. Der Agentendienst habe nur „ganz klägliche Resultate“26 geliefert. Eine Ursache war aus Sicht der jüngeren Forschung völlig unzureichende Ressourcen-Zuweisung schon vor dem Krieg.27 Österreich-Ungarn besaß seit 1850 eine Art Geheimdienst des Heeres. Das sogenannte Evidenzbureau verwaltete alle nachrichtendienstlichen Vorgänge. Ein eigener, offensiver Kundschafterdienst war allerdings nur für Kriegszeiten geplant.28 Der Ausbruch des Weltkrieges machte auch in Österreich den Ausbau des militärischen Geheimdienstes notwendig. Die weitaus meisten Ressourcen setzte Wien dabei gegen den Hauptfeind Rußland ein.29 Das Marineevidenzbüro – der Geheimdienst der Marine – war für die Überwachung der Küsten des Mittelmeeres zuständig. Über die Tätigkeit dieser Behörde ist jedoch kaum etwas überliefert, denn bei der Räumung des k.u.k. Kriegshafens Pola wurde der überwiegende Aktenbestand des Marineevidenzbureaus zerstört.30 Besonders effektiv scheint während des Krieges die 21 Buchheit: Geheimdienst, S. 18. 22 Zur Geschichte der Abwehr vor dem Ersten Weltkrieg und der Zusammenarbeit des Nachrichtendienstes des Generalstabes mit den Zivilbehörden siehe Schmidt, Jürgen W.: Gegen Rußland und Frankreich. Der deutsche militärische Geheimdienst 1890– 1914. Ludwigsfelde, 2006. 23 Ebenda, S. 19–25. 24 Auch Österreich-Ungarn war in Griechenland nicht vertreten. Gleich, Gerold von: Vom Balkan nach Bagdad. Berlin, 1921, S. 9. Gleich war Generalstabsoffizier und beobachtete für Deutschland die Balkankriege auf griechischer Seite. Später diente er als Stabschef in Mesopotamien. Seine Memoiren sind ausgesprochen griechenfreundlich und türkenfeindlich geprägt. Sie stellen damit in der Memoirenliteratur einen Sonderfall dar. 25 Ebenda, S. 27. 26 Hindenburg: Leben, S. 288. 27 Vgl. Pöhlmann, Markus: German intelligence at war, 1914–1918. In: The Journal of Intelligence History, 5, 2005, S. 27–33. Dieser Aufsatz bietet einen Überblick über Tätigkeit, Erfolge und Versagen der Abteilung III.b. 28 Pethö, Albert: Agenten für den Doppeladler. Österreich-Ungarns geheimer Dienst im Weltkrieg. Graz, 1998, S. 13. 29 Siehe ebenda, S. 63–72. 30 Zur Geschichte der Einrichtung vgl. ebenda, S. 84–100.
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österreichisch-ungarische Funkaufklärung, also das Abhören und Dechiffrieren des gegnerischen Funkverkehrs, gewesen zu sein.31 Über die geheimdienstliche Strukturen in der Türkei ist wenig bekannt. Eine umfassende Darstellung ist nach wie vor ein Desiderat. Unter Abdulhamid hat es bereits eine Nachrichtenabteilung des Generalstabes gegeben. Geführt wurde sie von dem Österreicher Alfred Ritter zur Helle (gestorben 1917). Er war als Militärattaché in die Türkei gekommen, verließ aber den Dienst seines Vaterlandes, als ÖsterreichUngarn 1877 nicht an der Seite der Türkei in den Krieg gegen Rußland eintrat. In der osmanischen Armee machte er Karriere und bekleidete in den neunziger Jahren unter dem Namen Ahmed Nuri Pascha den Posten des Chefs des militärischen Geheimdienstes.32 Darüber hinaus existierte unter Abdulhamid ein umfangreiches Spitzelsystem zur Überwachung des Inlandes.33 Nach der jungtürkischen Revolution gründeten Talat Pascha, Cemal Pascha und Enver Pascha laut Philipp Stoddard jeweils eigene Inlandsgeheimdienste.34 Der bekannteste und noch am besten beschriebene ist die Teşkılāt-ı Mahsusa, die Spezial-Organisation, der Inlandsgeheimdienst. Nach Stoddard handelte es sich dabei um Envers persönlichen Dienst. Folgt man dagegen Nur Bilge Criss, so war die TM eine Organisation der CUP, deren Budget von Envers Kriegsministerium kontrolliert wurde.35 Stoddard beschreibt die TM als einen Geheimdienst, der analog zu europäischen Diensten aufgebaut war, der eine militärische Hierarchie besaß, ein Hauptquartier hatte und über ein großes Budget verfügte.36 Seine Aufgabe war es laut Stoddard, jegliche Mittel einzusetzen, die geeignet waren, den Staat zu verteidigen.37 Erfolge erzielte dieser Dienst offenbar in den Jahren 1911/12 in Tripolitanien gegen die Italiener.38 Während des Krieges war er wesentlicher Träger panislamischer Propaganda von türkischer Seite,39 aktiv in
31 Siehe ebenda, S. 113–190. 32 Siehe Giesl: Zwei Jahrzehnte, S. 44f. 33 Siehe Criss, Nur Bilge: Istanbul under allied occupation. Leiden, 1999, S. 94f. Ziel dieses Dienstes waren laut Criss „Ottoman subjects who might entertain ideas of freedom and a constitutional monarchy“. Ebenda, S. 95. 34 Siehe Stoddard, Philipp H.: The Committee of Union and Progress, 1911–1918: A preliminary study of the Teşkılāt-ı Mahsusa. In: Leiden, Carl (Hrsg.): The conflict of traditionalism and modernism in the Muslim Middle East. Austin, 1966, S. 134–140. 35 Criss: Istanbul, S. 95f. 36 Stoddard: Committee, S. 136. 37 „Pan-Islamic propaganda to cement the solidarity, espionage, to root out the groups and ideologies which threatened the Ottoman system and guerilla warfare to aid or replace regular army troops.“ Ebenda, S. 137. 38 Ebenda. 39 Stoddard, Philip: The Ottoman government and the Arabs 1911–1918: A preliminary study of the Teşkılāt-ı Mahsusa. (Diss. unveröffentlicht) Princeton, 1963, S. 61f. Bis heute ist dies die einzige umfassende Studie zur TM. Sie beruht auf türkischen Quellen und Interviews mit damals noch lebenden Angehörigen des türkischen Geheimdienstes.
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Ägypten,40 im Inland in Syrien und im Irak41 und abermals in Libyen.42 Stoddard attestiert der TM begrenzte Erfolge, die allerdings keinen entscheidenden Einfluß auf den Verlauf des Krieges auszuüben vermochten. Der finanzielle und personelle Aufwand sei allerdings dennoch gerechtfertigt gewesen.43 Nach dem Waffenstillstand ging die Organisation nahtlos in den Widerstand gegen die Alliierten über.44 Mit deutschen oder österreichisch-ungarischen Stellen hat es während des Krieges offenbar keine institutionalisierte Zusammenarbeit gegeben. Weder in den deutschen Akten des diplomatischen Dienstes oder des Militärs noch in den entsprechenden k.u.k. Unterlagen finden sich Hinweise darauf. Nicht einmal der Name der Organisation taucht auf. Es ist aber anzunehmen, daß die Verbündeten mit einzelnen Angehörigen der TM zu tun hatten, ob sie jedoch von deren Zugehörigkeit zur Teşkılāt-ı Mahsusa gewußt haben, ist unwahrscheinlich. Stoddard erwähnt die extrem erfolgreiche Geheimhaltung der Aktionen der TM als besonderes Kennzeichen des Dienstes.45 Die TM soll allerdings maßgeblich an der Rekrutierung und dem Einsatz irregulärer Verbände – auch während des Angriffs auf den Suezkanal in der Frühphase des Krieges – beteiligt gewesen sein.46 Deutsche müssen also sehr wohl mit Agenten dieses Dienstes zusammengetroffen sein, Beweise dafür konnten aber bisher nicht gefunden werden. Nach dem Ersten Weltkrieg begann in der Türkei der Neuaufbau der Geheimdienste. Im wesentlichen stützten die Kemalisten sich dabei auf eigene Erfahrungen, wobei der Übergang der TM in den Widerstand eine Rolle gespielt haben dürfte. Gelegentlicher Rat der ehemaligen Bundesgenossen, vor allem bezüglich des militärischen Nachrichtendienstes europäischer Spielart, war allerdings willkommen.47 In 40 41 42 43 44 45 46 47
Ebenda, S. 64–66, S. 102–118. Ebenda, S. 66–75, S. 119–157. Ebenda, S. 93–101. Ebenda, S. 159. Criss: Istanbul, S. 97f. Stoddard: Ottoman government, S. 58. Ebenda, S. 57f. In den Protokollen der Verhöre des ehemaligen Chefs der Abteilung III.b., Walter Nicolai, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Moskau entstanden, findet sich dazu folgende Passage: „Im Jahre 1925 wurde ich auf Initiative der deutschen Botschaft in der Türkei dem Chef des Generalstabes und anderen Offizieren der türkischen Armee vorgestellt. Bei dem Treffen mit den türkischen Militärs wurde ich gebeten, in allgemeiner Weise über die Operationen Deutschlands und seiner Verbündeten im Ersten Weltkrieg zu sprechen. [...] Im gleichen Jahr wurde ich durch den deutschen Botschafter Nadolny erneut in die Türkei eingeladen. [...] Während meines Aufenthaltes in Ankara besuchte ich den Leiter der türkischen Aufklärung und Abwehr, Sefi Bey. Er bat mich um Ratschläge für den Aufbau der Aufklärung. Die Türken fürchteten Engländer und Franzosen. Daher beabsichtigten sie, die Durchreise von Ausländern einzuschränken und Kontrollen in den Häfen einzurichten. Ich gab praktische Ratschläge für die Aufklärung und die Abwehr.“ Eigene Übersetzung aus: Taratuta, Schan; Zdanowitsch, Aleksandr: Tainstwenni Schef Mata Hari. Moskau, 2000, S. 14. Auch der damalige deutsche Botschafter Rudolf Nadolny berichtet über eine Anfrage des
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Großbritannien48 hatte die Regierung 1909 eine regelrechte Geheimdienststruktur installiert. Die Inlandsabteilung – der spätere MI-549 – war für die Spionageabwehr zuständig, die Auslandsabteilung – der spätere MI-6 – für das Sammeln von Informationen. Beide Abteilungen waren bis Kriegsbeginn chronisch unterfinanziert. Der MI-5 hatte ein einziges Zimmer als Büro und ein Jahresbudget von 7000 Pfund.50 Bis Kriegsende wuchs die Mitarbeiterzahl auf 700 an. Allerdings gab es geheimdienstähnliche Strukturen auch bei anderen Institutionen. Marine51 und Armee besaßen eigene Dienste, und im Kriegsministerium gab es eine Abteilung für special intelligence. Jedoch ,,sammelten alle diese Gruppen Erkenntnisse, die sich bestenfalls für taktische Zwecke eigneten“52. Gegen Ende des Krieges wurde in Großbritannien auch Propaganda institutionalisiert unter dem Dach des militärischen Geheimdienstes betrieben. Im Februar 1918 entstand der MI-7.53 Seine Aufgaben bestanden darin, pro-britische Propaganda in gegnerischem Territorium zu verbreiten und das Bild des Militärs im Inland positiv zu prägen.54 Allerdings hatte dieser Dienst nur Deutschland, Österreich-Ungarn und Bulgarien im Visier, nicht die Türkei.55 Auch mit Blick auf die britischen Geheimdienste wird gelegentlich festgestellt, daß sie ihre Aufgabe bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges ungenügend erfüllten, daß die Aufklärung keinen taktischen Vorteil gegenüber den Mittelmächten erbrachte.56 Mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten spielten auf britischer Seite während des Krieges Archäologen und Studienreisende eine wichtige Rolle. Männer wie Richard Dawkins, David Hogarth, Thomas Edward Lawrence oder Charles Harry Clinton Pirie-Gordon57 hatten vor dem Krieg die Region intensiv bereist und so ein erhebliches geographisches, linguistisches und politisches Wissen über weite Gebiete des
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türkischen Außenministers, der darum bat, einen Fachmann für Nachrichtendienste nach Ankara zu schicken. Siehe Nadolny, Rudolf: Mein Beitrag. Wiesbaden, 1955, S. 184. Neben der unten aufgeführten Literatur bietet vor allem Andrew, Christopher: Her Majesty’s Secret Service. The making of the British intelligence community. New York, 1986 einen umfangreichen Überblick über die Entwicklung der britischen Dienste bis in die Gegenwart. Zur Geschichte des MI-5 vgl. West, Nigel: MI-5. British Security Service Operations 1909–1945. London, 1981. Knightley: Spionage, S. 33. Zum britischen Marinegeheimdienst während des Weltkrieges vgl. Beesley, Patrick: Room 40, British naval intelligence 1914–1918. London, 1982. Knightley: Spionage, S. 36. Sanders, M. L.; Taylor, Philip M.: Britische Propaganda im Ersten Weltkrieg 1914–1918. Berlin, 1990, S. 52f. Ebenda, S. 218. Eine ausführliche Darstellung der Arbeit des MI-7 ist ein Desiderat. Ebenda, S. 82. Siehe etwa Hiley, Nicholas P.: The failure of British espionage against Germany 1907–1914. In: The Historical Journal, 26,4, 1976. Zu ihm neuerdings Gill, David W. J.: Harry Pirie-Gordon: Historical research, Journalism and intelligence gathering in the Eastern Mediterranean (1908–1918). In: Intelligence and National Security. 21,6, 2006, S. 1045–1059.
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Osmanischen Reiches angehäuft. Ab 1914 spielten diese Forscher wichtige Rollen in den Diensten Großbritanniens, insbesondere dem Arab Bureau.58 Nach dem Großen Krieg brach eine Fülle von Spionageliteratur über Europa herein. Zum einen veröffentlichten die Chefs der deutschen und k.u.k. Nachrichtendienste ihre Memoiren.59 Hinzu traten Veröffentlichungen von Mitarbeitern militärischer Nachrichtendienste.60 Das weltweit große Interesse an diesem Thema beweisen zahlreiche Übersetzungen dieser Literatur. Die Erinnerungen Bauermeisters, eines ehemaligen Offiziers der Abteilung III.b., der unter dem Namen Agricola publizierte, wurden beispielsweise ins Englische, Französische, Italienische und Dänische übertragen.61 Zum anderen regten Affären wie die der Tänzerin Mata Hari und die Erschießung der zur Märtyrerin aufgebauten britischen Krankenschwester Edith Cavell die Phantasie europäischer Sachbuchautoren auf das höchste an. Das Interesse an der Arbeit von Geheimdiensten blieb seit Ende des Ersten Weltkrieges ungebrochen. Die systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen ist allerdings erst eine Erscheinung jüngeren Datums. Während es nach dem Krieg eine Fülle autobiografischer Geheimdienstliteratur gab und sich darüber hinaus Literatur bestens verkaufte, die sich von Mythen wie dem der Mata Hari nährte, stehen heute die Fragen nach Trägern geheimer Operationen, der Effektivität geheimdienstlicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit sowie Lehren, die sich aus der Analyse vergangener Operationen ziehen lassen, im Zentrum des Interesses.62 Geheimdienstliche Tätigkeit und Propaganda sind „zwei Töchter einer Mutter“. Während die eine Schwester jedoch im dunkeln ihr Werk betreibt, liegt es in der Natur der anderen, im hellen Licht der Öffentlichkeit ihrer Arbeit nachzugehen. Während Spionage und Diversion schon in den frühesten Kriegen der Menschheit ihren Platz hatten, wurde die Propaganda erst in der Moderne zu einer wirklich wichtigen Größe in der Auseinandersetzung zwischen den Völkern. Schon die Zeitgenossen erkannten, daß gezielt gelenkte Propaganda im Zeitalter des ersten wirklich großen Massenkrieges eine neue Erscheinung war.63 Heute wird ihre Wirksamkeit gar in der Auslösung des Konfliktes gesehen.64 Das Interesse an der Geschichte der Propaganda 58 Zu dieser Klasse von Geheimdienstlern siehe Winstone, H. V. F.: The illicite adventure: The story of political and military intelligence in the Middle East from 1898 to 1926. London, 1982. Der Typus des spionierenden Archäologen-Abenteurers ist in Form der Indiana-Jones-Filme in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem breiten Publikum via Hollwood bekannt geworden. 59 So die Memoiren des Leiters der Abteilung III.b. im deutschen Generalstab. Nicolai: Mächte. Dieses Buch erschien 1924 auch unter dem Titel „The German Secret Service“ in London auf Englisch. Auch der Chef des k.u.k. Evidenzbureaus veröffentlichte ein Buch: Ronge, Max: Kriegs- und Industrie-Spionage. Zürich, Leipzig, Wien, 1930. 60 Siehe Agricola: Spione. 61 Ebenda. 62 Siehe zu dieser Tendenz exemplarisch Krieger, Wolfgang: Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart. München, 2003. 63 Hindenburg: Leben, S. 287. 64 Keegan: Tragödie, S. 89.
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dürfte sich dabei vor allem aus der Tatsache erklären, daß „die Möglichkeiten der totalen Kontrolle und Manipulation der Bevölkerung, die die moderne Massenöffentlichkeit mit sich brachte, [...] im Ersten Weltkrieg zum ersten Mal umfassend erprobt [wurden]“.65 Ein frühes, umfassendes Werk zur Pressepolitik erschien bereits 1968.66 Kurt Koszyk betrachtete das Problem innenpolitisch und interessierte sich besonders für die Steuerung der deutschen Presse durch die Regierung. Die Propaganda im Ausland blieb außen vor. Die Rahmenbedingungen für die Presse während des Krieges, die Behördenstrukturen zur Pressebeeinflussung in Deutschland und vor allem die Rolle der Journalisten und Verleger bei den Propagandaanstrengungen der Reichsregierung untersuchte Martin Creutz.67 Beide Gruppen – Pressearbeiter und Regierung – erscheinen bei ihm als Handelnde. Sein Fazit zur deutschen Pressepolitik: Sie sei „moderner und aktueller als dies dem [...] Kaiserreich bisher zugetraut worden ist“68 gewesen. Daß diese Pressepolitik im Verlauf des vierjährigen Krieges einem Wandel unterworfen war, hat neuerdings Anne Schmidt gezeigt.69 Spezialaspekte der Propaganda wie der Film sind bereits 1982 von Hans Barkhausen70 und jüngst vor allem in inhaltlich-analytischer Weise von Ulrike Oppelt71 behandelt worden. Die Wirkung propagandistischer Tätigkeit deutscher Intellektueller und Schriftsteller hat Kurt Flasch72 ausführlich analysiert. Wolfgang Schivelbusch untersuchte die Rolle der Propaganda in der Verarbeitung der deutschen Niederlage in den 1920er Jahren.73 Auf der anderen Seite haben Sanders und Taylor74 eine Studie zur britischen Propaganda im Inland und den Feindstaaten vorgelegt. Auch die technischen Aspekte der Verbreitung werden hier behandelt, neben dem Wirken der Zensur und der aktiven Beeinflussung der Presse durch Regierungsstellen. Dieses Werk ergibt ein vollständiges Bild von den Verhältnissen auf den britischen Inseln, das allerdings den orientalischen Kriegsschauplatz nicht berücksichtigt. Das schwierige Kapitel der Wirksamkeit von Propaganda, insbesondere über längere Zeiträume hinweg, hat
65 Verhey, Jeffry: Krieg und geistige Mobilmachung. In: Kruse, Wolfgang (Hrsg.): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, Frankfurt/Main, 1997, S. 182. 66 Koszyk, Kurt: Deutsche Pressepolitik im Ersten Weltkrieg. Düsseldorf, 1968. 67 Creutz, Martin: Die Pressepolitik der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkrieges. Frankfurt/Main, 1996. 68 Ebenda, S. 125. 69 Schmidt, Anne: Belehrung – Propaganda – Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914–1918. Essen, 2006. 70 Barkhausen, Hans: Filmpropaganda für Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hildesheim, 1982. 71 Oppelt, Ulrike: Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Stuttgart, 2002. 72 Flasch, Kurt: Die geistige Mobilmachung. Berlin, 2000. 73 Schivelbusch: Niederlage, S. 256–276. 74 Sanders, M. L.: Taylor, Philip M.: Britische Propaganda im Ersten Weltkrieg 1914–1918. Berlin, 1990.
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Thomas Wittek am Beispiel Großbritanniens untersucht.75 Daß Kriegsberichterstatter im Ersten Weltkrieg keine neutralen Beobachter waren, sondern Partei, zeigte Almut Lindner-Wirsching.76 In engem Zusammenhang damit steht die Fotografie, die im Ersten Weltkrieg von allen Seiten in den Dienst der Propaganda gestellt wurde. Zu erwähnen sind hier vor allem die Arbeiten von Gerhard Paul77 und, speziell auf Österreich-Ungarn bezogen, von Anton Holzer.78 Beide kamen zu dem Schluß, daß die Fotografie als neues Medium letztlich sehr schnell Teil einer ,,Symbiose zwischen Kriegführung und Propaganda“79 wurde. Der Begriff „geheimdienstliche Tätigkeit“ beschreibt also eine Vielzahl von Aktivitäten, die dabei keineswegs einen institutionalisierten, strukturierten Geheimdienst als ausführendes Organ benötigen. Es ist durchaus eine Situation denkbar, in der sich Institutionen – Ministerien, Miltär, Diplomatie – dieser Methoden bedienen, ohne das ein organisierter geheimer Dienst existiert. Die Folge sind schattenhafte, schwer zu durchschauende Strukturen an den Rändern dieser Institutionen, deren Protagonisten in Grenzbereichen der eigentlichen Aufgaben ihrer Institution agieren und diese Grenzen häufig überschreiten. Daß dieses insbesondere auf die Tätigkeit der Mittelmächte im Orient zutrifft, soll im folgenden gezeigt werden. Die oben vorgenommene Kategorisierung geheimdienstlicher Aktivitäten wird dabei das Raster der Untersuchung bilden.
2.1 Dynamit und Pamphlete: Verdeckte Operationen der Mittelmächte und britische Abwehr In einem solchen Grenzbereich – dem zu eigentlichen militärischen Aktionen – sind verdeckte Operationen angesiedelt. Den Feind im Rücken anzugreifen, ihm schmerzhafte Nadelstiche zu versetzen, Infrastruktur zu zerstören und wichtige gegnerische Persönlichkeiten auszuschalten – das alles sind Ziele dieser Aktionen. Der Begriff bezeichnet hier Operationen deutscher und österreichisch-ungarischer militärischer und ziviler Stellen, die von kleinen und kleinsten Gruppen auf gegnerischem Gebiet ausgeführt wurden. Im wesentlichen handelte sich dabei um niedrigschwellige militärische Aktionen, die ausschließlich unter strenger Geheimhaltung Aussicht auf Erfolg hatten und sich gegen die Infrastruktur des Gegners richteten. Die Teilnehmer traten, auch wenn sie Angehörige der Streitkräfte waren, zumeist nicht in Uniform auf. Ein Kennzeichen dieser Gruppen war zudem, daß sie sich fast immer aus Zivi75 Wittek, Thomas: Auf ewig Feind? München, 2005. 76 Lindner-Wirsching: Patrioten. 77 Paul, Gerhard: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. München, 2004. 78 Holzer, Anton: Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Darmstadt, 2007. 79 Ebenda, S. 326.
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listen, Militärs und einigen Einwohnern des Operationsgebietes zusammensetzten. Kommandounternehmen, die im Rahmen größerer militärischer Operationen, wie etwa die an den Dardanellen, geplant wurden, bleiben hier ausgeklammert. Bedingt durch den Verlauf des Krieges im Orient, hatten verdeckte Operationen allerdings nur zu Beginn eine gewisse Bedeutung. Sie konzentrierten sich vor allem auf den Suezkanal und andere britische Einrichtungen in Ägypten. Militärisch in der Offensive war das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg nur in den ersten Monaten. Später, etwa ab Mitte 1915, führte es im wesentlichen einen Verteidigungskrieg. Kräfte für verdeckte Operationen in feindlichem Gebiet waren nun kaum mehr zu erübrigen. Darüber hinaus hatte die relative Erfolglosigkeit solcher Unternehmen während der ersten Kriegsmonate wohl auch zu einer gewissen Ernüchterung geführt. Es sei an dieser Stelle auf die Frage von Attentaten eingegangen. Tatsache ist, daß während des Krieges kein einziger Monarch, wichtiger Politiker oder militärischer Führer im Orient durch einen von Deutschen oder Österreichern inspirierten Anschlag ums Leben kam. Sowohl die deutsche als auch die österreichisch-ungarische Führung betrachteten Aktivitäten dieser Art offenbar als ehrenrührig. Ein konkretes Dokument, das sich mit dieser Frage beschäftigt oder gar Attentate als solche verbietet, ließ sich bisher in bezug auf Deutschland nicht finden.80 Anders stellt sich die Quellenlage mit Blick auf Österreich-Ungarn dar. Am 23. September 1917 richtete das Armeeoberkommando in Person des Chefs des Generalstabes, Franz Conrad von Hötzendorf, ein Telegramm an alle k.u.k. Militärattachés und Militärbevollmächtigten weltweit. Darin heißt es: „Unternehmen welcher Art immer, die gegen das monarchische Prinzip gerichtet sind, oder Attentatspläne gegen Staatsoberhaupt, politische Personen und militärische Kommandanten, sind strengstens verboten.“81 Das läßt durchaus den Schluß zu, daß es aus den Reihen der Militärbevollmächtigten und -attachés Vorschläge zur Beseitigung wichtiger Persönlichkeiten der Entente gab. Der Abscheu der militärischen Führung vor solchen Vorschlägen, der an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck kommt, dürfte sich aus der Erinnerung an den Ausbruch des Krieges speisen. Die österreich-ungarische Monarchie hatte schließlich durch ein Attentat ihren Thronfolger verloren, ja der Krieg als solcher war durch diesen Anschlag ausgelöst worden. Die Erwähnung des monarchischen Prinzips dürfte den Empfängern der Nachricht ganz klar gemacht haben, daß es nicht toleriert werden würde, wenn Offiziere des Österreichischen Kaisers die Hand an gekrönte Häupter legten – und seien es auch Herrscher, die auf der anderen Seite der Front standen. In den nach dem Krieg erschienenen Memoiren eines deutschen Abwehroffiziers von der Ostfront wird diese Frage ebenfalls angeschnitten. Auch dieser Offizier lehnte
80 Pöhlmann berichtet über die Verwicklungen der deutschen Abteilung III.b. in Attentatspläne auf den russischen Großherzog Nikolai. Allerdings kommt auch er zu dem Schluß, daß Attentate als „exotic sideshow in the war“ zu sehen sind. Pöhlmann: Intelligence, S. 52f. 81 AOK, Chef des Generalstabes. KA, Archiv des Militärattachés Bern, Karton 20, Res. No. 4744.
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Attentate ab, allerdings vor allem aus Gründen der Durchführbarkeit und ungewisser Resultate.82 Die Führung des Osmanischen Reiches entschied sich trotz begrenzter Ressourcen nach Kriegseintritt für ein erstaunlich offensives Vorgehen. Gegen Rußland befehligte Enver Pascha selbst den Angriff, der in einem Debakel endete. Allein zwischen Mitte Dezember 1914 und Mitte Januar 1915 verloren die Türken nach Angaben des gut informierten österreichischen Militärbevollmächtigten Joseph Pomiankowski rund 80.000 Mann.83 Bis zur russischen Revolution gelang es den Osmanen an dieser Front nicht mehr, das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen. Gegen Rußland spielten verdeckte Operationen daher kaum eine Rolle. In bezug auf Rußland mag das Fehlen solcher Unternehmen zum einen an der relativen Geschlossenheit und Undurchlässigkeit der Front gelegen haben, zum anderen dürfte das extrem schwierige Gelände im Kaukasus dieser Art von Vorhaben nicht günstig gewesen sein. Eine ernsthaft betriebene Operation, die im Zusammenhang mit einer österreichischen Mission stand, die das türkische Militär im Skilaufen unterrichten sollte, erwähnt der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte Joseph Pomiankowski in seinen Erinnerungen.84 Im Januar 1915 waren mehrere österreichische Skiausbilder in die Türkei gereist. Auf Bitten des osmanischen Kriegsministers sollten sie eine Anzahl türkischer Soldaten und Offiziere im Skilaufen unterweisen. Der Chef des Ausbildungskommandos, ein Dr. Pietschmann, war offenbar mit seiner Rolle in diesem Krieg noch nicht zufrieden. Auf eigene Faust entwarf er daher den Plan zu einer Expedition, die Erdölquellen in der Nähe Bakus zerstören sollte. Mit von der Partie sollte neben Pietschmann eine Gruppe Soldaten sein, die, geführt von einem deutschen Marineoffizier, die Fördertürme mit Geschützfeuer zu vernichten hatte. Nach Pomiankowskis Angaben stand das Unternehmen kurz vor seinem Beginn, als der russische Vormarsch im Kaukasus und in Aserbeidschan der Gruppe den Weg nach Baku verlegt. Die für das Unternehmen vorgesehene Kanone wurde weiter nach Bagdad geschickt, Pietschmann kehrte nach Österreich zurück. In den Akten des Wiener Kriegsarchives finden sich hingegen keine Hinweise auf die von Pomiankowski geschilderten Ereignisse. Es scheint angesichts der improvisierten Entstehung des Plans und seiner fast naiv zu nennenden Umsetzung – beides oft zu beobachtende Kennzeichen solcher Unternehmen in der Frühzeit des Krieges – aber durchaus plausibel, daß es wirklich ein solches fast schon privat betriebenes Vorhaben gegeben hat. Die Geschichte des Pietschmann-Unternehmens verdeutlicht ein Grundproblem geheimdienstlicher Unternehmungen der Mittelmächte im Orient: Viele Projekte wurden auf ihre Machbarkeit vorab nur unzureichend geprüft, Ressourcen aber trotzdem zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus ließen sich die entscheidenden Stellen, 82 Agricola: Spione, S. 160f. 83 Pomiankowski, Joseph: Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches. Zürich, Leipzig, Wien, 1928, S. 103. 84 Das Folgende über das Vorhaben nach ebenda, S. 177f.
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im Fall Pietschmann die türkische Marine und der k.u.k. Militärbevollmächtigte, zumindest kurz nach Beginn des Krieges recht willig auch auf die abenteuerlichsten Pläne ein.85 Ob diese Unternehmen sich sinnvoll in die allgemeine Kriegführung einordneten, spielte dabei keine Rolle. Die fehlende zentrale Kontrolle und Koordinierung der Operationen, die während des gesamten Krieges im Orient nicht zustande kam, zeigt sich im Fall der Pietschmann-Operation erstmals. Wie hemmend sich dieses Manko auf deutsche und österreichische Unternehmen auswirkte, wird weiter unten am Beispiel der verschiedenen Expeditionen zur Revolutionierung muslimischer Völker in seinem ganzen Ausmaß deutlich werden. Verdeckte Operationen gegen Rußland auf dem orientalischen Kriegsschauplatz, die von deutscher Seite in Angriff genommen wurden, blieben sogar bereits in der Planungsphase stecken. Das betrifft vor allem eine Anregung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger aus dem September 1914. Auch Erzberger schlug dem Auswärtigen Amt eine Operation mit dem Ziel vor, die Rohölproduktion in Baku zu stören.86 Zwar reiste im Oktober 1914 in dieser Sache ein Dr. Paul Schwarz zu Planungszwecken nach Konstantinopel, das Unternehmen wurde jedoch niemals in die Tat umgesetzt.87 Grund dürften auch hier die Schwierigkeiten der Türken an der russischen Front gewesen sein, die einen Vorstoß selbst kleinster Gruppen in Richtung Baku unmöglich machten. Offensiv gestalteten sich auch die frühen Planungen an der Front gegen die Briten in Ägypten. Obwohl die Nachschubwege extrem lang waren und ein Expeditionskorps weite Wüstengebiete zu durchqueren hatte, begannen die Türken und ihre deutschen Verbündeten bereits vor dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches Mitte November 1914, Pläne für einen Angriff auf Ägypten zu entwickeln und umzusetzen. Grundlage dafür war das deutsch-osmanische Bündnis vom 2. August 1914. Schon am 13. September 1914 stellte das deutsche Große Hauptquartier 100.000 türkische Pfund für die „Vorbereitung [einer] ägyptischen Expedition“ zur Verfügung.88 Dieser im Vergleich zu später für die Revolutionierung eingesetzten Summen89 recht geringe Betrag erklärt sich aus der Tatsache, daß die Türkei zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell in den Krieg eingetreten war. Bereits am 21. September meldete der deutsche Botschafter nach Berlin, General Otto Liman von Sanders, der Chef der deutschen Militärmission, habe Oberstleutnant Kreß von Kressenstein mit einigen Offizieren der Militärmission „in Einverständnis mit Kriegsminister Enver“90 nach Damaskus geschickt. Zweck sei „die Vorbereitung der 85 Im Kapitel zu den Revolutionierungsexpeditionen wird dies ganz besonders deutlich werden. Vgl. unten S. 228–294. 86 Thörner, Klaus: Deutscher Kaukasusimperialismus. In: Lembeck, Andereas (Hrsg.): Wider den Zeitgeist. Oldenburg, 1996, S. 140f. 87 Ebenda. 88 Jagow an Wangenheim, 2. August 1914. PAAA, Ägypten III, Die Ägyptische Frage, R 15044. 89 Siehe unten S. 294–298. 90 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 21. September 1914. PAAA, Ägypten III, Die Ägyptische Frage, R 15044.
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ägyptischen Expedition“.91 Auf Bitten des Chefs der Militärmission habe Wangenheim darüber hinaus „Dr. Prüfer92 veranlaßt, dort nach Möglichkeit für Bearbeitung politischen Gebiets und Nachrichtendienst zur Disposition zu stehen“.93 Von Anfang an hatte die geplante Expedition damit auch geheimdienstliche Unterstützung. Ägypten nahm Ende 1914 eine zentrale Stellung in der britischen Position im Orient ein. Zum einen war der Suezkanal von größter Wichtigkeit für die Verbindung zu den indischen Besitzungen des Empires. Zum anderen war das Land am Nil ein wichtiges Aufmarschgebiet gegen das Osmanische Reich, das im Oktober 1914 immer deutlicher in Richtung Mittelmächte zu neigen begann.94 Für die Mittelmächte mußte es aus diesen Gründen darauf ankommen, die britische Position in Ägypten95 unhaltbar werden zu lassen. In einem Telegramm vom 14. September 1914 an den deutschen Botschafter in Konstantinopel, in dem der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg die nächsten Ziele der deutschen Orientpolitik skizziert, wird dieses Ziel mit ausdrücklicher Billigung des Kaisers dann auch an erster Stelle formuliert – noch vor den türkischen Operationen gegen Rußland!96 Daraus läßt sich schlußfolgern, daß dem Herausbrechen Ägyptens aus dem gegnerischen Mächteblock größere Bedeutung beigemessen wurde als einem türkischen Angriff auf die russischen Truppen im Kaukasus, der insbesondere der in Galizien schwer geschlagenen österreichisch-ungarischen Armee Entlastung hätte bringen können. Dieses Ziel verfolgten Deutsche und Türken auf zwei parallelen 91 Ebenda. 92 Curt Prüfer (1881–1959) Orientalist und Übersetzer, ab 1907 im auswärtigen Dienst, zuerst im Konsulat in Kairo. Bei Kriegsausbruch in Palästina und Syrien, später der deutschen Botschaft zugeteilt. Vor allem für Propaganda und Nachrichtendienst zuständig. Zu Prüfer siehe: Kahle, Paul: Curt Prüfer. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 111, 1961, S. 1ff; McKale, Donald M.: Curt Prüfer, German diplomat from the Kaiser to Hitler, Kent, 1989 und Vrolijk, A.: From shadow theatre to the empire of shadows. The career of Curt Prüfer, arabist and diplomat. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 156, 2006, S. 369– 378. Den Briten war er bestens bekannt, verdächtigten sie ihn doch schon im Jahr 1911, einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit nachzugehen. Die britische Regierung intervenierte aus diesem Grund, als Prüfer Chef der Khedivial-Bibliothek werden sollte und verhinderte so seine Ernennung. Siehe dazu Storrs, Ronald: Orientations. London, 1937, S. 142 und Mangold, Sabine: Die KhedivialBibliothek zu Kairo und ihre deutschen Bibliothekare (1871–1914). In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 157, 2007, S. 69–75. 93 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 21. September 1914. PAAA, Ägypten III, Die Ägyptische Frage, R 15044. 94 Während der Dardanellen-Aktion wurden die britischen Truppen in Ägypten gesammelt und auf ihren Einsatz vorbereitet. Darüber hinaus wurden die während der Kämpfe verwundeten Mannschaften und Offiziere dort versorgt. 95 Siehe zu dieser Daly, M. W.: The Cambridge history of Egypt, Volume 2. Cambridge, 1998, S. 240–242. 96 „...Expedition gegen Ägypten und antienglische Bewegung des Islam bleibt für Endziel des Krieges Hauptsache. Bitte Marschall Liman zu verständigen, dass dies der Wille Seiner Majestät ist.“ PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044.
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Wegen. Zum einen sollte eine militärische Expedition unter dem Kommando des bayerischen Obersten Kreß von Kressenstein einen Aufstand in Ägypten auslösen.97 Zum anderen planten Deutsche, Österreicher und Türken eine größere Anzahl verdeckter Operationen in der Kanalzone, mit dem Ziel, den Suezkanal für die Schif�fahrt zu blockieren und damit ein Klima der Unsicherheit im Land zu schüren.98 Der damalige Chef der Obersten Heeresleitung, Erich von Falkenhayn, formulierte rückblickend das militärische Ziel so: „Wenn der Generalstabschef von einer solchen Operation auch keine kriegsentscheidende Wirkung erwartete, so hoffte er doch zeitweise den Suezkanal [...] durchschneiden, mindestens aber starke englische Kräfte dem Hauptkriegsschauplatz fernhalten zu können.“99 In jüngerer Zeit sind Vermutungen angestellt worden, nach denen die Kanaloperation keineswegs eine Überquerung des Suezkanals und einen damit verbundenen Aufstand in Ägypten zum Ziel hatte, sondern eher eine Demonstration darstellte, die das britische Militär in Unsicherheit versetzten sollte, um es zu bewegen, weitere Truppen nach Ägypten zu verlegen.100 Die oben gezeigten Planungen sowie die Bedeutung, die genau diesem Unternehmen von höchsten deutschen Zentralstellen beigemessen wurden, dürften allerdings das Gegenteil beweisen. Zumindest auf deutscher Seite bestand sehr wohl die Vorstellung, eine erfolgreiche Überquerung des Suezkanals würde in Ägypten einen Aufstand auslösen, der letztlich zum Zusammenbruch der britischen Herrschaft führen müßte. Ob die türkische Seite wirklich nur unwillig im deutschen Spiel mittat oder diese Ansichten teilte, muß ob des schwierigen Zugangs zu den entsprechenden osmanischen Quellen hier ungeklärt bleiben. Die Lage im Nil-Land sahen die deutschen Planer im Auswärtigen Amt, im Generalstab und der Botschaft in Konstantinopel zwischen September 1914 und Anfang 1915 als äußerst günstig für ihr Vorhaben an. Dies ergab sich vor allem aus den Einschätzungen, die diese Stellen bis zur Verkündung des britischen Protektorates über Ägypten am 18. Dezember 1914 direkt aus dem Land erhielten. Sie stammten aus dem deutschen Konsulat in Kairo und von aus Ägypten zurückkehrenden Deutschen. Informationen und sogar Vorschläge für verdeckte Operationen kamen auch von solchen Bürgern der Mittelmächte, die als Experten galten. Herauszuheben
97 Pomiankowski faßte dieses Ziel so zusammen: „Wie ich hörte, hoffte Kreß, die Engländer am Kanal zu überraschen, zurückzuwerfen und und sich am Kanal einige Zeit behaupten zu können. Dies, sowie das gleichzeitige Vorgehen der Tripolitaner, dann der Senussi gegen die Westgrenze Ägyptens sollte die Ägypter zum Aufstand gegen die Engländer veranlassen.“ Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 166. 98 Dazu Zimmermann an Wangenheim, 25. August 1914: „[...] wichtig Sperrung Suezkanal, Zerstörung Süßwasserkanals Port Said nebst Schleusen und Wasserwerk, Telegrafenstation, Eisenbahnen, Brücken, Telegraphen und Hafenbauten Alexandria, Port Said, Suez.“ PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. 99 Falkenhayn: Heeresleitung, S. 42. 100 Thorau: Lawrence, S. 58f.
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ist an dieser Stelle der Österreicher Slatin Pascha101. Ende August 1914 trat er mit dem Vorschlag an das österreichisch-ungarische Außenministerium heran, Ägypten zu destabilisieren, indem man eine türkische Division an den Suezkanal schickte und gleichzeitig „durch einige mit Ekrasit-Patronen ausgerüstete Hodjas die stellenweise Verschüttung des Suezkanals“102 bewerkstelligte. Das Ministerium wies daraufhin den Botschafter in Konstantinopel an, diese Vorschläge der türkischen Regierung mitzuteilen.103 All diese vielen Quellen waren jedoch wenig zuverlässig. Oftmals von Wunschdenken geprägt, gaben sie meist nur Meinungen aus dem unmittelbaren Umfeld des betreffenden Berichterstatters wieder, die dann von diesem verallgemeinert wurden. Allerdings war es nach Kriegsausbruch für Deutsche in Ägypten extrem schwierig, sich ein umfassendes Bild der Lage zu verschaffen. Reisen waren nicht möglich, und die Überwachung durch die britische Besatzungsmacht gestaltete sich sehr gründlich.104 Der Nachrichtendienst aus Ägypten lief ab Anfang 1915 weitgehend über die deutsche Botschaft in Athen. Von zuverlässigen Informationen aus diesem Kanal kann allerdings keine Rede sein. Mehrere Versuche, nach Ende des Jahres 1914 einen strukturierten Nachrichtendienst in Ägypten einzurichten, scheiterten.105 Am 14. August 1914 schrieb der deutsche Konsul einen Lagebericht aus Kairo, der als exemplarisch gelten kann. Geschildert wurde von ihm ein Land in Gärung, das voller Abscheu auf die Politik der britischen Regierung schaute und aus diesem Grund den deutschen Kriegsanstrengungen den besten Erfolg wünschte.106 Im Falle einer Niederlage Englands, so berichtete der Konsul, sei durchaus mit einem 101 Slatin Pascha, eigentlich Rudolf Carl Freiherr von Slatin (1857–1932), Österreicher in britischen Diensten. Gouverneur von Dar’a (1879) and Generalgouverneur von Darfur (1881). Mußte sich im Mahdi-Krieg den Aufständischen ergeben (1883). Gefangener bis 1895. Flucht und später Inspector General des Sudan (1900–1914). Während des Krieges Leiter der KriegsgefangenenAbteilung des Österreichischen Roten Kreuzes. Siehe Hill, Richard: Slatin Pasha, London, 1965 und Brook-Shepherd, Gordon: Slatin Pascha: Ein abenteuerliches Leben. Wien, 1972. 102 Ministerium des Äußeren an Botschafter in Konstantinopel, 27. August 1914, HHSTA, Politisches Archiv des Ministeriums des Äußeren, Generalia 1907–1918, I, 887, Haltung Ägyptens während des Krieges, 1914–1917. Dieser Vorschlag Slatins gegen die Briten, in deren Diensten er jahrelang gestanden hatte, resultierte möglicherweise auch aus einer tiefen persönlichen Kränkung, die ihm Kitchener zugefügt hatte. Slatin hatte diesen Mitte 1913 um finanzielle Entschädigung für seine jahrelange Gefangenschaft gebeten. Kitchener hatte das abgelehnt. Nach Storrs mit den zynischen Worten: „Well, Slatin, you can’t say your out-of-pocket-expenses over the period amounted to much.“ Storrs: Orientations, S. 124. 103 Ebenda. 104 Siehe weiter unten zur britischen Propagandaabwehr, S. 214–227. 105 Siehe dazu unten, S. 86ff. 106 „Die Stimmung der mohammedanischen Bevölkerung nicht blos in Kairo, sondern in ganz Egypten ist unbedingt deutschfreundlich. Man wünscht Deutschland den Sieg, da man wohl weiss, dass bei einem Siege des Dreierverbandes der letzte Rest von Selbständigkeit, den das Land noch hat, von England vernichtet werden wird.“ Kaiserlich Deutsches Konsulat Cairo an Auswärtiges Amt, 14. August 1914. PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044.
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Aufstand der Bevölkerung zu rechnen, das höre man auf den Straßen Kairos allenthalben. Letzteres hätten auch die Engländer im Lande erkannt und rechneten wohl „ernstlich mit einer Erhebung der mohammedanischen Bevölkerung“.107 Der Konsul warnt jedoch in seinem Bericht auch vor allzu übertriebenen Erwartungen, „weil die hiesigen Araber sehr wenig Tatkraft besitzen“.108 Insgesamt läßt seine Schilderung die Lage für die Umsetzung der deutschen Strategie günstig erscheinen. Die Warnungen vor der mangelnden Tatkraft der Araber lassen im übrigen aber auch darauf schließen, daß es sich nicht um einen Bericht handelte, der nur die eventuell in Berlin herrschenden Vorstellungen bedienen sollte. Beispielhaft für die deutsche Wahrnehmung der Lage in Ägypten ist darüber hinaus der Bericht eines Hauptmannes der Reserve namens Förster,109 den er, zurückgekehrt aus Kairo, dem Großen Generalstab und dem Auswärtigen Amt zukommen ließ. Das vielfach mit Anstreichungen versehene, umfangreiche Papier konstatierte ebenfalls eine explosive Lage in Ägypten.110 Förster sah im Land große Sympathien für Deutschland und starken Widerwillen gegen die britische Präsenz. Insbesondere die ägyptische Armee sei unzuverlässig, und die Briten könnten sich auf diese 18.000 Mann nicht verlassen, da „der nationale und religiöse Gegensatz zwischen den [britischen] Offizieren und den [ägyptischen] Mannschaften zu groß ist“.111 Unsicherheit auf den Straßen sei allenthalben spürbar, es habe Attentate auf Öllager und tätliche Angriffe erboster Einheimischer auf entente-freundliche Ägypter gegeben. Allerdings hielt auch der Offizier Förster einen Aufstand der Ägypter aus eigener Kraft nicht für möglich.112 Berichte dieser Art dürften die deutschen Zentralstellen schließlich zu einer übertrieben optimistischen Beurteilung der Lage in Ägypten verführt haben, die sich schließlich im Angriff auf Ägypten und den flankierenden geheimdienstlichen Operationen niederschlug. Weit realistischer und durch die Entwicklung der Dinge schließlich bestätigt, erscheint in der gleichen Periode die britische Beurteilung der Lage in Ägypten. „Taking all present circumstances into consideration, the situation may be described as extremely satisfactory. [...] The situation may be said to be well in hand and there 107 Ebenda. 108 Ebenda. 109 Der volle Name ist unbekannt. 110 „Meine Beobachtungen möchte ich nochmals in dem Satz zusammenfassen, dass der Widerwille gegen die englische Willkürherrschaft im ägyptischen Volke weit größer ist, als im Auslande gewöhnlich angenommen wird und es auch bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein hat. Ich halte eine Volkserhebung keineswegs für ausgeschlossen, sobald die Türkei während des Krieges in Aktion tritt.“ (Unterstreichung im Original), Hauptmann der Reserve R. Förster an Auswärtiges Amt und Großen Generalstab, 16. September 1914, PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. 111 Ebenda. 112 „Es fehlt allerdings augenblicklich an führenden Geistern, die einen Aufstand zu organisieren fähig wären, und die Masse des Volkes verfügt infolge strenger Überwachung der Einfuhr nicht über die erforderliche Anzahl von Waffen, [...]“ (Unterstreichungen im Original), ebenda.
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is no present cause for anxiety“,113 so heißt es in einem Bericht, den Sir Lancelot Oliphant114 Ende September 1914 las. Oliphant leitete das Papier umgehend an Lord Kitchener115 weiter, da er den Bericht für „excellent“116 hielt. Ronald Graham, zuständig für ägyptische Innenpolitik und dem britischen Generalkonsul in Kairo zugeteilt, hatte seine Eindrücke nach einer mehrwöchigen Reise durch die sechs Provinzen im Nil-Delta in dem Schreiben zusammengefaßt. Seine Beobachtungen und Einschätzungen unterscheiden sich deutlich von denen der deutschen Informanten, waren darüber hinaus erheblich differenzierter und stammten weit mehr aus eigener Anschauung. Graham differenzierte zwischen der Stimmung auf dem Lande, „the most important part of the country“117 und der in den Städten Alexandria, Port Said und Kairo. Nur in den urbanen Gebieten Ägyptens konstatierte er eine gewisse pro-deutsche und anti-britische Stimmung. Diese allerdings beschränke sich auf zwei Schichten der Gesellschaft: kleine Angestellte ohne großes Vermögen oder Landbesitz und arbeitslose Tagelöhner.118 Die Studenten hätten sich bisher ruhig verhalten. Nationalistische Kreise seien weitgehend ohne Einfluß, und die Bildungselite habe ihre zu Kriegsbeginn deutlich anti-britische Haltung aufgegeben. Der britische Beamte sah diesen Umschwung begründet im Mißtrauen gegen Deutschland und die Türkei. Bei einer britischen Niederlage, so die zunehmende Überzeugung dieser Kreise, würden sie nur die britische Vorherrschaft mit der deutschen und türkischen vertauschen. Erstere, so Graham, sei ihnen allemal lieber.119 Eine fest verwurzelte und ehrliche pro-britische Stimmung sah Graham hingegen in den ländlichen Gebieten des Landes. In allen sechs Provinzen des Nildeltas hätten ihm die wichtigsten Notabeln ihre Loyalität versichert. Diese Stimmung sei allerdings ausschließlich ökonomischen Gründen geschuldet. Es herrsche nämlich unter den Landbesitzern die Überzeugung „that the only hope of disposing of their cotton crop and of thus avoiding disaster rests with the British“.120 Die ärmeren Fellachen 113 Note from the Advisor of the Interior to H.B.M’s Acting Consul Genral, 6. September 1914, NA, FO 371/1970. 114 Sir Lancelot Oliphant, geboren 1881, Dritter Sekretär in der britischen Botschaft in Konstantinopel 1905/06 und in Teheran 1909–1911. Assistant Clerk im Außenministerium während des Krieges, befaßt mit dem Orient. 115 Seit Kriegsausbruch britischer Kriegsminister, bis 1911 Generalkonsul in Ägypten. Siehe EEW, s.v. Kitchener. 116 Randnotiz auf der Note from the Advisor of the Interior to H.B.M’s Acting Consul Genral, 6. September 1914, NA, FO 371/1970. 117 Ebenda. 118 ,,Throughout the considerable class of leisured efendis and clerks who haunt cafés [...] the proGerman sentiment is intense and violently expressed. In theses cafés wild rumours originate of British defeat and Turkish invasion and talk is heard of rebellion and massacre. [...] But the efendiclass is not dangerous and has not the courage to translate word into deed. [...] The danger lies with the unemployed workman or more especially with the rough hooligan class which is fairly numerous in the large towns and can easily be stirred up to violance.“ Ebenda. 119 Ebenda. 120 Ebenda.
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seien darüber hinaus zu ungebildet, um eine wirkliche Gefahr für den britischen Einfluß zu sein. Reale Gefahr drohte nach Graham hingegen von den noch immer im Land lebenden Deutschen und Österreichern und auch – allerdings in geringerem Maße – einem möglichen türkischen Angriff auf Ägypten. Die große Anzahl der in Ägypten befindlichen Bürger der Mittelmächte machte Graham gar als „serious problem“121 aus. Die meisten seien „government officials“122 und ihre Häuser Zentren antibritischer Propaganda unter den einheimischen Arabern. Ganz besonders gefährlich erschien es Graham, daß Deutsche und Österreicher nach seinen Erfahrungen ihre Version der Geschehnisse auf dem europäischen Kriegsschauplatz unter die Leute brachten.123 Die Gefahr einer militärischen Operation der Türkei gegen den Suezkanal schätzt Graham ausschließlich innenpolitisch ein. Ob ein solches Unternehmen militärisch Aussicht auf Erfolg haben könnte, lag außerhalb seiner Überlegungen. Er sagte allerdings auch „considerable religious excitement“124 in der Bevölkerung voraus und sah die Loyalität der ägyptischen Beamten und Offiziere auf eine schwere Probe gestellt. Letztendlich aber zeichnete der britische Beamte ein durchaus optimistisches Bild. Er glaubte nicht an größere Aufstände, hielt aber Vorsichtsmaßnahmen für erforderlich und betrachtete diese auch bereits als ausreichend getroffen.125 Ronald Storrs, zu dieser Zeit als Beamter bei der ägyptischen Regierung, registrierte ebenfalls wenig Begeisterung unter den Eliten für eine erneute osmanische Herrschaft über Ägypten, nahm aber durchaus größere Sympathien für die Türkei wahr.126 Vergleicht man nun die deutschen und die britischen Lageeinschätzungen, so fallen diese vollständig gegensätzlich aus. Auf deutscher Seite dominierte ganz offensichtlich ein Optimismus, der von einem Ägypten ausging, das den Mittelmächten durch einen Aufstand oder spätestens durch eine militärische Expedition gegen den Suezkanal wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde. Es mag vor allem an den unzuverlässigen Berichten aus dem Land selbst gelegen haben, daß sich dieses Bild in Berlin und Konstantinopel verfestigen konnte. Darüber hinaus paßten Berichte über eine angeblich explosive Stimmung und starke pro-deutsche Sympathien unter der muslimischen Bevölkerung in das dominierende Islambild der Verantwortlichen. Insbesondere eine verkürzte Wahrnehmung der Institutionen „Kalifat“ und 121 Ebenda. 122 Ebenda. 123 Ebenda. 124 Ebenda. 125 „[...] it is my personal opinion that their loyalty would stand the strain and that tranquillity would be maintained, unless in the unlikely event of the Turks deeply penetrating into the country, in which case anything might happen. [...] I may add that the special measures to deal with the situation created by a Turkish attack are being carefully considered. A few vital sources of public supply, such as town water works, have already been placed under a Police guard.“ Ebenda. 126 „[...] they sympthized with Turkey as the one great independent Moslem Power, the abode of the vicar of God, the Guardian of the Holy Places, Mecca, Medina and Jerusalem.“ Storrs: Orientations, S. 96.
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„Heiliger Krieg“127 ließ aufgebrachte und unruhige ägyptische Muslime, die es gar nicht erwarten konnten, gemeinsam mit ihren türkischen Glaubensbrüdern gegen die christliche Besatzungsmacht vorzugehen, als plausibel, wenn nicht gar als unbedingte Realität erscheinen.128 In Auswärtigem Amt und Generalstab dominierte zu Beginn des Krieges ein bipolares Bild der Situation im Nahen Osten. Auf der einen Seite sah man die christlichen Mächte England und Frankreich, die sich durch koloniale Ambitionen im Vorderen Orient und in Afrika den Zorn und den Haß der Muslime dieser Regionen zugezogen hatten. Auf der anderen Seite standen in diesem Modell die Muslime als homogene Gruppe, die – durch eine gemeinsame religiöse Überzeugung geeint – quasi zwangsläufig zum Aufstand gegen die nicht-muslimischen Besatzer finden mußte. Alles, was also den Mittelmächten zu tun blieb, war, die öffentliche Unsicherheit zu verschärfen und die Unruhen zu schüren. Zwangsläufig führte das zu Planungen verdeckter Operationen. Diese allerdings sollten in den Augen der Urheber weniger durch ihre unmittelbaren Folgen wirken (abgesehen von der Unterbrechung des Suezkanals), als vielmehr Fanale für einen Aufstand der Ägypter bilden. Sie stellen damit letztlich ein asymmetrisches Werkzeug zur Destabilisierung der britischen Kontrolle über das Nilland dar, das mit symmetrischen Methoden – also einer militärischen Invasion – nicht zu erobern war, weil dazu die Kräfte der verbündeten Türkei nicht ausreichten. Sehr viel realistischer, und schließlich auch weitgehend durch die historischen Entwicklungen bestätigt, mutet im Vergleich die Lageanalyse der Briten an. Deren Quellen waren einerseits erheblich zuverlässiger, Graham zum Beispiel konnte sich völlig frei im Land bewegen. Andererseits wußte man in London durch eine mehr als hundertjährige Erfahrung in vom Islam geprägten Regionen, daß es einen homogenen Islam nicht gab, daß auch in muslimischen Ländern verschiedene, durch Bildung, ökonomische Stellung und Ethnie differenzierte Schichten der Bevölkerung verschiedene Interessen hatten und daß es möglich war, diese divergierenden Interessen zu nutzen, um ein Land unter Kontrolle zu halten. Trotzem wurden erhebliche militärische Anstrengungen am Suezkanal unternommen, die sich gegen eine türkische Expedition und gegen Sabotageaktionen richteten. Die gefühlte Bedrohung durch die deutschen Aktivitäten war offenbar erheblich größer als die in den Akten erhaltenen Expertenanalysen nahe legen.129 Bereits im August 1914 kamen die ersten Anregungen zu verdeckten Operationen in Ägypten aus dem unmittelbaren Machtzentrum um den Kaiser. Staatssekretär 127 Dieses wird weiter unten erschöpfend diskutiert werden, vgl. S. 204–210. 128 Zur Wahrnehmung der Begriffe „Heiliger Krieg“ und „Kalifat“ in Deutschland während des Ersten Weltkrieges sowie diesem theoretischen Unterbau der deutschen Bestrebungen siehe ebenda. 129 Zur Bewertung der Lage in Ägypten unmittelbar vor Kriegsausbruch siehe Keegan: Tragödie, S. 212. Zur Zuspitzunmg der anti-britschen Stimmung in Ägypten während des Weltkrieges, die schließlich zu revolutionären Ereignissen von 1919 führte siehe vor allem Marlowe, John: AngloEgyptian relations 1800–1956. London, 1965, S. 212–250.
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Gottlieb von Jagow130 telegrafierte am 22. August 1914 entsprechende Anregungen aus Koblenz an das Auswärtige Amt in Berlin.131 Dieses kurze Telegramm ist aufschlußreich, da es in gedrängter Form darlegt, was verdeckte Operationen am Nil leisten sollten. Jagows Hoffnungen richteten sich zuerst auf die einheimische Armee. Diese Truppe bestand aus Ägyptern, wurde aber von britischen Offizieren geführt. Einen Aufstand der ägyptischen Armee sah Jagow als wünschenswert an, glaubte aber, diesen erst auslösen zu können, wenn die englischen Offiziere beseitigt wären. Eine Führung des dann erhofften Aufstandes durch deutsche Offiziere hielt der Staatssekretär hingegen für nicht angezeigt: „Man müßte Abenteurerexistenzen wählen.“132 Vor genau diesen allerdings fürchteten sich die Briten. Im Oktober 1914 warnte der britische Militärattaché in Konstantinopel das Außenministerium vor deutschen Kommandoaktionen gegen den Kanal.133 Eine weitere Möglichkeit, einen Volksaufstand im Land herbeizuführen, sah Jagow in einem Zusammenwirken mit dem von den Briten abgesetzten ehemaligen Khediven ‘Abbās ilmī.134 Kontakte zwischen diesem und der deutschen Botschaft in Konstantinopel bestanden zu diesem Zeitpunkt bereits. Sollte der Khedive es schaffen, sein Volk gegen die Briten aufzustacheln, würde man ihn unterstützen.135 Jagow dachte dabei vor allem an deutsche Berater. Der dritte wichtige Punkt war 130 Gottlieb von Jagow (1863–1935) Unterstaatssekretär von 1913 bis 1916. Gesandter in Luxemburg 1907 und Italien 1909. Jagow versuchte als zurückhaltender Diplomat oftmals mäßigend auf Wilhelm II. einzuwirken. Skeptisch gegenüber dem Schlieffen-Plan, daher gegen den Einmarsch in Belgien. Gegner des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, deswegen Rücktritt im November 1916. Hinterließ Erinnerungen: Jagow, Gottlieb von: Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges. Berlin, 1919. 131 Jagow an Auswärtiges Amt, 22. August 1914. PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. 132 Ebenda. 133 Mallet an Foreign Office, 16. Oktober 1914. NA, FO 371/2141. 134 ‘Abbās ilmī (1874–1944), letzter Khedive (türkischer Vizekönig) Ägyptens 1892–1914. Von den Briten wegen Opposition zu ihrer Position im Land abgesetzt. Versuchte seit seinem Amtsantritt die vollständige Kontrolle des Landes durch die Briten zu verhindern, mußte aber bereits 1899 der gemeinsamen ägyptisch-britischen Herrschaft über den Sudan zustimmen. Die Beziehungen der jungtürkischen Machthaber zum ex-Khediven waren ebenfalls äußerst gespannt. Besonders Enver Pascha empfand eine starke Abneigung gegen ‘Abbās H. ilmī. Das ging wohl auf das Verhalten des Khediven während des Tripolis-Krieges zurück, als er die Türken nicht gegen Italien unterstützte. Eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Türken und dem ex-Khediven kam aufgrund des gegenseitigen Mißtrauens nie zustande. Zum Verhältnis Envers zum Ex-Khediven siehe exemplarisch: Wangenheim an Auswärtiges Amt, 30. August 1914, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123. ‘Abbās H. ilmī starb im Exil in der Schweiz. Zu den schwierigen Beziehungen zwischen dem Ex-Khediven und der deutschen Regierung siehe besonders McCale, Donald: Influence without power: The last Khedive of Egypt and the Great Powers, 1914–1918. Middle Eastern Studies, 33/1, London, 1997, S. 20–39. Kassim, Mahmoud: Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919–1936. Hamburg, 2000, S. 33–35. 135 Jagow an Auswärtiges Amt, 22. August 1914. PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044.
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für Jagow „die Sperrung des Suezkanals und Abschneiden des Kabels Alexandria“,136 klassische Kommando-Angriffe auf wichtige britische Infrastruktur im Nahen Osten also. Bereits drei Tage später, am 25. August 1914, entwickelt der Staatsminister im Auswärtigen Amt Arthur Zimmermann in einer Nachricht an die deutsche Botschaft in Konstantinopel diese eher groben Anregungen Jagows weiter.137 Dem Khediven legte Zimmermann über die deutsche Botschaft erste konkrete Aktionen nahe, die sich auf die ägyptische Armee und Propaganda unter der Bevölkerung bezogen.138 Weiter konkretisierte Zimmermann die durch verdeckte Operationen zu zerstörenden Einrichtungen der ägyptischen Infrastruktur. Diese Angriffe setzte er ausdrücklich in Beziehung zu einer türkischen militärischen Expedition gegen den Suezkanal. Militärische Expedition und verdeckt ausgeführte Sabotage betrachtete Zimmermann als zwei Seiten einer Medaille. Ziel beider Aktionen war es, eine explosive Stimmung im Land zu schaffen, die schließlich in einen Aufstand münden sollte. Bei der militärischen Aktion gegen den Suezkanal setzte Zimmermann nicht auf einen zu erwartenden Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern auf die psychologische Wirkung bei den Unzufriedenen in Ägypten.139 Der Ex-Khedive seinerseits machte wenige Tage später Vorschläge, welche Ziele am Suezkanal besonders effektiv angegriffen werden könnten.140 Die ersten Versuche, den Suezkanal zu sperren, unternahmen schließlich aber keineswegs frisch eingeschleuste Saboteure oder aufgebrachte Einheimische, sondern die kaiserliche Marine. Bei Kriegsausbruch lag eine Anzahl deutscher Handelsschiffe in ägyptischen Häfen. Diese Fahrzeuge wurden wenig später von den Briten mitsamt den Mannschaften interniert.141 Für eine kurze Zeit waren diese Deutschen 136 Ebenda. 137 Zimmermann an deutsche Botschaft Konstantinopel, 25. August 1914, PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. 138 „Empfehle zunächst durch Emissäre eingeborene Armee in Ägypten und Sudan sowie Bevölkerung aufzuwiegeln unter Bekämpfung feindlicher Lügennachrichten und Verbreitung unserer Siege. Wichtig Hinweis auf bevorstehende Teilnahme des Sultans-Khalifen am Kampf gegen Feind.“ Zimmermann an deutsche Botschaft Konstantinopel, 25. August 1914, PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. 139 „[...] wichtig Sperrung Suezkanals, Zerstörung Süßwasserkanals Port Said nebst Schleusen und Wasserwerk, Telefunkenstation, Eisenbahnen, Brücken, Telegraphen, Kasernen und Hafenbauten Alexandrien, Port Said, Suez. [...] Eingreifen Sultans-Khalifen von größter Bedeutung wenn auch nur mit wenig Truppen. Vorstoß Maultier- und Kamelreiter gegen Suezkanal insbesondere Port Said und Suez würde ganz Egypten in Aufruhr versetzen. Sobald Türken handeln, würde Entsendeung deutscher Offiziere in Wege geleitet. [...] Aufstand in Egypten muß unter allen Umständen herbeigeführt werden. [...] Unruhen Egypten geeignet, Engländer zur Zurückziehung Schiffe von Dardanellen zu bestimmen.“ Ebenda, Unterstreichungen im Original. 140 Wangenheim am Auswärtiges Amt, 28. August 1914, PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, P 15044. 141 Nach dem Bericht eines vom deutschen Generalkonsulat in Neapel geführten Agenten handelte es sich dabei um folgende Schiffe: Gutenfels, Baerenfels, Rabenfels, Lauterfels, Werdenfels, Derfflin-
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allerdings noch in der Lage, per Funk mit der Heimat und den deutschen Stellen in der Türkei zu kommunizieren und über ihre Schiffe frei zu verfügen. Darüber hinaus gab es auch in der Verwaltung des Suezkanals Deutsche, die noch nicht ihres Postens enthoben waren, sowie Agenten der Kaiserlichen Marine in den großen ägyptischen Hafenstädten Port Said und Alexandria. Einer dieser Agenten erhielt bereits am 15. August 1914 ein chiffriertes Telegramm von der Göben,142 das ihn anwies, alles in seiner Macht Stehende zu versuchen, um den Kanal für die Durchfahrt von britischen Truppentransporten aus Indien in Richtung Europa zu sperren. Der deutsche Marineagent in Port Said, Ernst Otto Brasch143, ein namentlich nicht bekannter Sekretär des Konsulats in Alexandria und der Konsul in Port Said, Rickmers, gingen daran, dieses Vorhaben umzusetzen. Rickmers war gleichzeitig Vertreter mehrerer deutscher Schiffahrtsgesellschaften. Über ihn gelang es, den Kapitän des deutschen Handelsschiffes Rabenfels zu erreichen und für den Plan zu gewinnen, das Schiff bei der Durchfahrt durch den Kanal an einer geeigneten Stelle zu versenken.144 Der kaiserliche Geschäftsträger in Ägypten, von Pannwitz, stellte 1000 Pfund Sterling zur Verfügung, die eigentlich für die Begleichung der anfallenden Gebühren bei der Suez-Kanalgesellschaft vorgesehen waren. Pannwitz war sich dabei durchaus bewußt, die Spielregeln der Diplomatie auf das Schwerste zu verletzen, indem er eine geheimdienstliche Operation auf diese Weise unterstützte.145 Der Diplomat entging zwar einer Kompromittierung, das Unternehmen schlug aber fehl. In seinem Bericht erklärte er, eine halbe Stunde vor Abfahrt der Rabenfels in ger, Lützow, Rostock, Koerber, Marquis Bacquenheim, Annaberg, Achaia, Helgoland, Emil, Istria, Haidar Pascha, Pindos, Paros, Indmarks, Anne Rickmars, Goslar, Altair. Deutsches Generalkonsulat Neapel an Auswärtiges Amt, 27. Dezember 1914, PAAA, Ägypten III secr., Die ägyptische Frage, 15060. Über das Schicksal der 1914 im Ausland beschlagnahmten deutschen Schiffe und ihrer Mannschaften fehlt bisher eine umfassende Arbeit. Informationen zu der über Goeben und Breslau hinausgehenden deutschen militärische Seefahrt im Mittelmeer finden sich in Neulen: Feldgrau, S. 91–114. 142 Die deutschen Kriegsschiffe Göben und Breslau, das deutsche Mittelmeergeschwader, waren im August 1914 quer durch das Mittelmeer der britischen Flotte entkommen und in die Dardanellen eingelaufen. In Konstantinopel wurden die beiden Schiffe pro forma in die osmanische Flotte eingegliedert, behielten aber ihre deutsche Mannschaft. Der Kommandeur des Mittelmeergeschwaders, der deutsche Admiral Wilhelm Souchon (1864–1946), wurde osmanischer Flottenchef. Der Angriff der beiden Schiffe auf russische Küstenstädte am Schwarzen Meer (31. Oktober 1914) führte zum Eintritt der Türkei in den Krieg. 143 Brasch war als Lotse bei der Suez-Kanalgesellschaft beschäftigt und deutscher Oberleutnant zur See. 144 Diese Planungen nach Pannwitz an Reichskanzler, 26. September 1914, PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123. 145 „Ich beauftragte Herrn Baumann, dieses Schreiben [Zusicherung, sämtliche Kosten, die bei Unternehmen gegen den Suez-Kanal entstünden, zu übernehmen] Herrn Rickmers und Herrn Brasch zu zeigen und danach sofort zu vernichten, da die Gefahr bestünde, daß beim Bekanntwerden meiner Mitwirkung an dem Vorhaben außer meiner persönlichen Kompromittierung ein unauslöschlicher Schandfleck auf die deutsche Diplomatie käme.“ Ebenda.
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den Kanal seien plötzlich britische Soldaten auf das Schiff gekommen und hätten das Auslaufen verhindert. Pannwitz spekulierte, daß das Vorhaben an geschwätzigen Matrosen gescheitert sein könnte.146 Brasch unternahm wenig später einen zweiten Versuch, den Kanal durch das Versenken eines Schiffes zu sperren. Wie Pannwitz an den Reichskanzler berichtete, habe Brasch bei einem Einsatz als Lotse versucht, einen Zusammenstoß zwischen dem von ihm geführten Schiff und einem Bagger herbeizuführen. Im letzten Augenblick habe jedoch ein Offizier dieses Schiffes einen Gegenbefehl gegeben, so daß auch dieses Vorhaben scheiterte.147 Da die deutschen Schiffe nach dem Vorfall auf der Rabenfels scharf bewacht wurden, versuchten Brasch und Pannwitz in den folgenden Tagen, ein fremdes Schiff für ihr Vorhaben zu kaufen. Dabei lag der Gedanke wohl nahe, ein Schiff eines verbündeten Staates, etwa Österreichs, zu erwerben. Pannwitz sprach in dieser Frage schließlich den österreichisch-ungarischen Geschäftsträger in Ägypten, Graf Zéchnyi, an und bat ihn, bei eventuellen Rückfragen österreichischer Schiffseigner, die Zahlungsfähigkeit Braschs zu bestätigen. Zéchny reagierte nach dem deutschen Bericht empört und verweigerte jegliche Kooperation. Es kam zu einem schweren Zerwürfnis der Repräsentanten der beiden verbündeten Mächte, das in der kaum verhohlenen Drohung des Österreichers gipfelte, das Vorhaben seines deutschen Kollegen auffliegen zu lassen.148 Brasch jedoch gelang es in der nächsten Zeit nicht, ein Schiff für eine weitere Operation dieser Art zu finden. Schließlich wurde der deutsche Lotse aus dem Kanaldienst entfernt. 149 Brasch dürfte Anfang September Ägypten verlassen haben. Am 10. September 1914 schickte er aus Beirut ein Telegramm an das deutsche Flottenkommando in Konstantinopel und meldete darin die Aussichtslosigkeit weiterer Sperrversuche durch das Versenken von Schiffen im Kanal.150 Auch die Österreicher nahmen den Suezkanal in dieser frühen Phase des Krieges ins Visier. Ein Hinweis darauf ist allerdings ausschließlich in den Memoiren ihres Militärbevollmächtigten in Konstantinopel zu finden. In den Archiven finden sich keine Unterlagen zu diesem Vorgang. Pomiankowski erhielt in den ersten Kriegs-
146 Ebenda. 147 Ebenda. 148 „Am Nachmittag ließ er [Zéchny] mir [Pannwitz] durch den Legationssekretär von Pflügel, der übrigens das Verhalten seines Chefs stark mißbilligte, sagen, er wolle mich ,als älterer Kollege’ warnen und mich darauf aufmerksam machen, daß ein Diplomat sich niemals mit dergleichen Dingen befassen dürfe. Es sei ihm nicht möglich das, was, ich gesagt und gemeint habe, zu ignorieren; er wisse noch nicht, wie er sich verhalten werde. [...] Später teilte mir Graf Zéchny mit, daß er nichts tun werde, um etwaige Pläne meinerseits zu verhindern.“ Ebenda. 149 Ebenda. 150 „Gewaltsames Festnehmen deutscher Dampfer und starke Ueberwachung anderer Schiffe haben Sperrung misslingen lassen. Weitere Versuche in Egypten erfolglos.“ Meldung des Admiralstabes der Marine an das AA, 10. September 1914. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123.
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tagen den Auftrag, den Kanal durch ein versenktes Schiff zu sperren.151 Offenbar schreckte in Wien aber der Kostenvoranschlag Pomiankowskis ab – er kalkulierte drei Millionen Kronen für das Unternehmen –, so daß der Plan nicht weiter verfolgt wurde.152 Unterdessen waren auf türkischer Seite Pläne gereift, wie die Destabilisierung Ägyptens vorangetrieben werden könnte. Enver Pascha selbst erzählte dem deutschen Botschafter von einem Plan, eine ägyptische Untergrundbewegung zu schaffen, die allerdings unter türkischer Kontrolle zu operieren hätte.153 Wie weit dieses Vorhaben tatsächlich gediehen ist, kann aus den deutschen und britischen Quellen nur unvollständig abgeleitet werden. Zwar meldete Prüfer, der sich zu dieser Zeit in Syrien befand, am 9. September 1914 den Abmarsch mehrerer türkischer Offiziere des Banden-Projektes in Richtung Ägypten154 und bestätigte damit indirekt die Existenz eines solchen Plans, weitere Informationen über das Schicksal der entsandten Offiziere liegen bisher allerdings nicht vor.155 Mann kann aber davon ausgehen, daß sie ihr Ziel nicht erreichten. Von erfolgreich unternommenen Banden-Aktionen in Ägypten ist jedenfalls weder in britischen noch in deutschen Unterlagen etwas überliefert, was jedoch zu erwarten wäre, da die Vertreter beide Mächte gewöhnlich ihre Erfolge und auch eventuelle Bedrohungen ihrer Positionen umfangreich an die jeweiligen Zentralstellen berichteten. Die gegen Null tendierenden Ergebnisse der bisherigen Bemühungen ließen den Druck aus Berlin, effektivere Mittel zu finden, steigen.156 Die politische Situation in der Türkei im September und Oktober 1914 war für Deutschland keineswegs befriedigend. Noch immer war das Osmanische Reich nicht in den Krieg eingetreten. Jede deutsche Aktion gegen den Kanal mußte also die türkische Neutralität auf das schwerste kompromittieren. Der Reichskanzler forderte angesichts dessen den 151 Pomiankowski: Untergang, S. 80f. 152 Ebenda. 153 „In jeder Mudirieh [ägyptische Verwaltungseinheit] werden einige Banden von je 12 bis 15 Mann gebildet. An die Spitze jeder Bande tritt ein türkischer oder egyptischer Offizier, von denen eine größere Zahl bereits verpflichtet ist. Ziel ist Überfälle auf kleinere militärische Posten, Attentate, Angriffe auf Eisenbahn-Telegraphenstationen, Schiffe. Nach dem Angriff hat sich die Bande zu zerstreuen. Leitung aller Banden untersteht einer Zentralstelle. Waffen im Lande selbst vorhanden, wie Enver aus Tripolis-Krieg bekannt ist.“ Wangenheim an AA, 8. September 1914. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123. 154 Wangenheim an AA, 9. September 1914. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123. 155 Waffen, Geld und Kämpfer sollten offenbar über das TM-Netzwerk in Libyen nach Ägypten gelangen. Das jedenfalls legt ein Bericht Oppenheims über ein Gespräch mit Enver nahe. Oppenheim an Reichskanzler, 4. Juni 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21134. 156 Siehe dazu besonders Bethmann Hollweg an Wangenheim, 7. September 1914. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21123.
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deutschen Botschafter in Konstantinopel dringend auf, den Anschluß der Türkei an die Mittelmächte mit aller Kraft zu betreiben.157 Darüber hinaus stellte Bethmann Hollweg nachdrücklich die Bedeutung erfolgreicher Operationen gegen den Suezkanal und Ägypten heraus. Er würdigte die bisherigen Versuche, verlangte aber mehr, nämlich eine militärische Operation. Diese sollte von weiteren verdeckten Operationen begleitet werden. Der Reichskanzler sah das Vorhaben allerdings weniger als ein aufwendiges Unternehmen, das die Briten in Ägypten nachhaltig schlagen sollte, sondern als eine Art größere bewaffnete Demonstration mit dem Ziel, die ägyptischen Muslime zum Handeln zu bewegen.158 Bereits im September 1914 – noch immer rund zwei Monate vor der Kriegserklärung der Türkei an die Entente – begann dieses Unternehmen seitens der Deutschen Form anzunehmen. Der bayerische Oberst Friedrich Kreß von Kressenstein159 sollte den Vorstoß gegen den Kanal auf deutscher Seite führen.160 Den deutschen Nachrichten- und Propagandadienst beim Expeditionscorps führte Curt Prüfer. In Absprache mit dem türkischen Kriegsminister Enver Pascha wurde der osmanische Marineminister Cemal Pascha mit dem Oberbefehl über das Expeditionskorps betraut. Die Vorbereitungen für den Angriff wurden in Syrien getroffen. Von Anfang an dominierten logistische Probleme das Unternehmen. Alles Wasser mußten die Truppen durch die Wüste in Richtung Suezkanal mit sich führen. Als Transportmittel kamen nur Kamele in Frage. Schon der Ankauf der Tiere von den Beduinen stellte ein großes, kaum zu lösendes Problem dar. Wie Prüfer berichtete, befürchteten einige Stämme gar Requirierungen und flohen mit ihren Herden über die Grenze nach Ägypten.161 Darüber hinaus scheint die Zusammensetzung der 20.000 Mann des Expeditionskorps mehr als zweifelhaft gewesen zu sein. Prüfer bemängelte vor allem die Haltung der „eingeborenen Freiwilligen und Irregulären“.162 Sie leisteten gar 157 Ebenda. 158 „Einzelunternehmungen haben Ew. Exzellenz bereits unterstützt und mit Enver und den kommandierenden Seeoffizieren verabredet, sie sind sehr nützlich und werden dankbar anerkannt. Wirklich durchgreifend kann aber nur ein Angriff gegen den Suezkanal werden. Eine größere Unternehmung der Türkei gegen die Herrschaft in Egypten würde z. Zt. kaum erreichbar sein, wohl aber erscheint es möglich, das Einverständnis Envers jetzt schon zu gewinnen für ein Raid gegen den Suezkanal von 20 bis 30.000 Mann. [...] Dieser Raid wäre in planmäßigem Zusammenhang mit Einzelunternehmen sofort vorzubereiten und sobald wie möglich auszuführen.“ Ebenda. 159 Geboren 1870, gestorben 1948. Zur Kreß und seiner Tätigkeit im Osmanischen Reich siehe Unger: Militärbeziehungen. S. 105–112 und 132–136. 160 Siehe dazu Kreß’ eigene Darstellungen in: Kreß von Kressenstein, Friedrich: Mit den Türken zum Suezkanal, Berlin, 1938. Derselbe: Überblick über die Ereignisse an der Sinaifront von Kriegsbeginn bis zur Besetzung Jerusalems durch die Engländer Ende 1917. Jahrbuch des Bundes der Asienkämpfer 1, 1921, S. 11–18. 161 Zu den Problemen der Vorbereitung der Suez-Expedition siehe den Bericht Prüfers. Prüfer an Oppenheim, 31. Dezember 1914, PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 162 Ebenda.
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nichts, seien dagegen „unbotmässig, feige und anspruchsvoll“.163 Außerdem mangele es dem Corps an schwerer Artillerie und Pioniermaterial. Trotz der ungünstigen Ausgangslage riet Prüfer, das Unternehmen auf jeden Fall Anfang 1915 durchzuführen. Für die Durchquerung der Wüste kämen aus meteorologischen Gründen nur Januar und Februar in Frage. Darüber hinaus bedürfe die Begeisterung der Einheimischen für den Heiligen Krieg einer Aufmunterung, um das Abflauen dieser Stimmung zu verhindern.164 Eindeutig sprach sich Prüfer gegen die von Bethman Hollweg geforderte Flankierung der Operation gegen den Kanal mit verdeckten Operationen aus. Er sah wenig Aussicht auf den Erfolg von Plänen, den Kanal mit durch die Wüste transportierten Minen zu sperren.165 Auch Kreß hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits gegen weitere Minenaktionen ausgesprochen.166 Ihm schien der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen zu stehen. Darüber hinaus lenkten sie die Aufmerksamkeit der Briten auf den Kanal und nähmen Ressourcen in Anspruch, die für wirksamere Operationen benötigt würden. In der Tat wurden bis zum Ende der Suez-Expedition im Februar 1915 von deutscher Seite keine weiteren verdeckten Operationen unternommen. Möglicherweise hatte man aus einer desaströsen Einzelaktionen gelernt: Ein Kapitänleutnant Hilgendorf von der Goeben wollte mit reichlich Geld versuchen, ein Schiff zu kapern und es im Kanal zu versenken. Der Offizier endete als Chef einer Räuberbande und lieferte sich Gefechte mit türkischen Truppen.167 Die zeitgenössischen Berichte beschreiben den Angriff auf den Kanal als durchaus dramatisches Ereignis: Nach dem Marsch durch die Wüste griffen die türkischen Truppen in der Nacht vom zweiten zum dritten Februar 1915 die Wasserstraße an. Die Attacke der zum großen Teil aus Arabern bestehenden Sturmkolonnen brach jedoch im Feuer der britischen Infanterie und Artillerie zusammen. Zusätzlich wurden die Türken durch eine Anzahl von Kriegsschiffen mit schweren Geschützen unter Feuer genommen. Der Führung schien es unmöglich, den Angriff erfolgreich zu erneuern, als sich eine Situation ergab, die an eine Art Stellungskrieg an beiden Ufern erinnerte. Cemal und Kreß entschlossen sich, die Operation abzubrechen. Auch eine Sperrung des Kanals war nicht gelungen. Prüfer, der das Unternehmen im Stab Kreß’ begleitete, sprach in seinem sehr ausführlichen und farbigen Bericht jedoch ausdrücklich nicht von einer Niederlage. Die Verluste seien vergleichsweise gering gewesen, und der Rückzug habe sich in guter
163 Ebenda. 164 Ebenda. 165 „Die Minenlegung im Suezkanal verspricht selbst wenn es gelänge, sie unbemerkt vorzunehmen, wenig Erfolg, da nach Ansicht deutscher Marinefachleute in Konstantinopel bei einem Wasserlauf von 100 m Breite die Auffindung und Unschädlichmachung der Minen ein Leichtes ist.“ Ebenda. 166 Kreß an Liman, 25. Oktober 1914, PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21125. 167 Neulen: Feldgrau, S. 65.
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Ordnung vollzogen.168 Prüfer hatte wohl von Beginn an nicht an einen militärischen Erfolg des Unternehmens geglaubt. Um so enttäuschter, ja fast verbittert klang seine Einschätzung der Resultate der Bemühungen, einen Aufstand in Ägypten zu entfachen, und der Haltung der einheimischen Muslime. Einen Aufstand habe es nicht gegeben. Grund sei die Feigheit der Ägypter. Eine Wiederholung des Unternehmens sei nur sinnvoll, wenn es so angelegt sei, daß es militärisch Aussicht auf Erfolg habe. Prüfers Lehre aus der Suez-Expedition bestand in der Erkenntnis, daß es eben nicht damit getan war, einen schwachen Angriff auf die ägyptischen Grenzen auszuführen, um einen Aufstand auszulösen.169 Noch weitaus unverblümter äußerte Prüfer seine Enttäuschung und Verbitterung in einem etwas kürzeren Bericht direkt an den Minister des Auswärtigen in Berlin.170 Prüfer nahm jetzt auch kein Blatt mehr vor den Mund, wenn es um das Verhalten der türkischen Waffenbrüder ging. Dem Botschafter in Konstantinopel gegenüber war Prüfer in dieser Beziehung noch sehr zurückhaltend geblieben. Die türkischen Offiziere hätten den ganzen Tag über geschlafen, ihre Energie habe nur dazu ausgereicht, den Deutschen „passive Resistenz zu leisten“,171 nur das Verhalten des Oberstleutnant Kreß habe schwere Konflikte verhindert, kurz: „Unser Generalkommando, dem auch ich als Major angehörte, war eine Karikatur“.172 Den Heiligen Krieg bezeichnet Prüfer gar als „Tragikkomödie“,173 die Ägypter seien „zum Verzweifeln feige“,174 es habe unter den im Expeditionskorps dienenden ägyptischen Offizieren „eklatante Fälle von Verrat“175 gegeben und die „Glaubensstreiter, inklusive der heiligen Fahne drückten sich schon heimlich vor dem Gefecht“.176 Prüfers Ansichten, die wohl die dominierende Meinung in Kreß’ Stab wiedergaben, erwiesen sich in der Folge als durchaus wirkungsmächtig. Bereits Mitte 1915 liefen erneute Planungen für einen Angriff auf den Kanal. Diesmal allerdings drängten die deutschen Stellen darauf, dieses Unternehmen mit Aussicht auf einen mili168 Prüfer an Wangenheim, 9. Februar 1915. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 169 „Ich fürchte trotz der hier im Lager verbreiteten Gerüchte von grossen Massacres in Egypten, dass alle unsere Arbeit zur Revolutionierung des Nillandes ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt war. Bei den feigen und nur mit dem Munde patriotischen Arabern und insbesondere den Egyptern ist nur durch umfangreiche Bestechung vielleicht etwas zu erreichen. Ich würde jedoch jeden Aufwand auf Agitationsversuche in Egypten so lange für unzweckmäßig halten, als er nicht einer Aktion gegen den Kanal voraufgeht, die mit hinreichenden militärischen Mitteln ausgeführt wird. Durch Pamphlete und Aufrufe zum heiligen Kriege dürfte es uns kaum gelingen, die Araber zu Taten zu bewegen.“ Ebenda. 170 Prüfer an AA, 9. Februar 1915. PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 171 Ebenda. 172 Ebenda. 173 Ebenda. 174 Ebenda. 175 Ebenda. 176 Ebenda.
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tärischen Erfolg zu betreiben.177 Die Hoffnung auf einen Aufstand in Ägypten, die das erste Unternehmen noch dominiert hatte, spielte nun – wenn überhaupt – nur noch eine untergeordenete Rolle. Zumindest im Felde und in Konstantinopel hatten sich die Deutschen zu diesem Zeitpunkt bereits vom Heiligen Krieg verabschiedet.178 Kreß selbst nannte 100.000 Mann reguläre türkische Truppen als notwendige Stärke für einen zweiten Angriff.179 Darüber hinaus seien schwere Artillerie und Flugzeuge notwendig. Die Etappenverbindungen durch die Wüste müßten vorher durch eine Eisenbahnlinie sicher gestellt werden. Auch er erwähnte zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung auf einen Aufstand in Ägypten mit keinem Wort mehr. Kreß wie Prüfer hatten sich damit offenbar von geheimdienstlichen Mitteln vollständig verabschiedet und räumten nun dem rein Militärischen, also einem erneuten symmetrischen Vorgehen gegen Ägypten, Priorität ein. Zu einer zweiten Expedition gegen den Kanal kam es schließlich im April 1916 unter dem Kennwort ,,Pascha“. Vorher waren Feldeisenbahnen gebaut und Magazine angelegt worden. Dabei geriet ein vollständiges britisches Kavallerieregiment in Gefangenschaft. Deutsche Flugzeuge klärten bis nach Kairo hin auf. Am 2. August 1917 kam es 40 Kilometer vom Kanal entfernt zur Schlacht. Die Engländer zwangen dabei die Angreifer zum Rückzug.180 Damit war die Offensivkraft der Türken an der Sinai-Front erschöpft. Der Verlauf des Krieges schloß weitere Aktionen dieser Art aus, denn das britische Vorgehen in Mesopotamien, die Anstrengungen der Dardanellen-Verteidigung und die Operationen im Kaukasus zehrten die Kräfte des Osmanischen Reiches aus. Die Briten leiteten schließlich im Jahr 1917 die Offensive, die zum Zusammenbruch des Reiches führen sollte, über den Suezkanal hinweg ein, genau an der Stelle also, an der eine der ersten offensiven Aktionen der Türken in diesem Krieg gescheitert war. Das alles bedeutete jedoch in der Übergangszeit zwischen März 1915 und April 1916 nicht, daß es keine weiteren verdeckten Operationen gegen den Suezkanal gegeben hätte. Im Gegenteil: Deutsche und Türken nutzten sie verstärkt, gingen zu einer Taktik der Nadelstiche über, bei deren Verwirklichung auch die vorher verworfene Minen-Aktion umgesetzt wurde. Die bedeutendste dieser Expeditionen stand unter dem Kommando des württembergischen Majors Fritz Lauffer.181 Das LaufferUnternehmen bestand aus rund 175 Mann, meist Arabern und Tescherkessen. Anfang April legte die Expedition eine einzelne Mine, die vorher unter großem Auf177 Siehe dazu: Wangenheim an Bethmann Hollweg, 23. August 1915 und den anliegenden Bericht Oppenheims an Wangenheim, 9. August 1915, PAAA Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21135. 178 Ebenda. 179 Deutscher Konsul in Damaskus an Bethmann Hollweg, 13. Oktober 1915, PAAA, Ägypten 3, Die ägyptische Frage, R 15047. 180 Siehe zu diesem Unternehmen Reichsarchiv: „Jildirim“, S. 17f. 181 Zur Geschichte dieser Expedition siehe Mönch, Winfried: Die Expedition des württembergischen Majors Fritz Lauffer gegen den Suezkanal, Eine Episode aus dem Ersten Weltkrieg. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 61, 2002, S. 355–387.
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wand durch die Wüste transportiert worden war. Ein kurzes Gefecht mit den Briten folgte. Den Engländern gelang es später jedoch, die Mine aus dem Kanal zu fischen. Der Historiker Winfried Mönch geht von weiteren türkischen Versuchen aus, Minen im Kanal zu legen. Insgesamt zählt er sechs an der Sinai-Front zur Verfügung stehende Minen, von denen fünf zum Einsatz kamen.182 Zur Ruhe kamen die Briten in Ägypten jedenfalls auch in den folgenden Monaten nie: Jeremy Wilson erwähnt in seiner Biographie des Lawrence von Arabien erhebliche Sorgen in britischen Geheimdienstkreisen, daß nach dem Scheitern der Dardanellen-Offensive die Türken freie Truppen zu einem energischen Vorgehen gegen den Kanal nutzen könnten: „Die Türkei würde bald in der Lage sein, eine Großoffensive gegen den Kanal zu starten.“183 Wilson setzt diese Befürchtungen darüber hinaus in unmittelbare Beziehung zu der Entstehung britischer Pläne für einen arabischen Aufstand.184 Storrs wertete in seinen Erinnerungen die deutsch-türkische Gefährdung Ägyptens als „much greater and more insidious than ever became gererally known in England“.185 Die sensible osmanisch-ägyptischen Grenzregion war zu Beginn des Kriegs auch Schauplatz eines fast schon Schwejkschen Schwindels. Die mit dem Namen des 24jährigen ungarischen Fähnrichs Georg Gondos verbundene Affäre verdient aus mehreren Gründen umfangreichere Behandlung. Zum ersten ist sie die einzige vollständig unter österreichisch-ungarischem Kommando geplante und (angeblich!) ausgeführte verdeckte Operation im Orient. Zum zweiten illustriert sie die bei den Mittelmächten verbreitete Naivität bezüglich der Erfolgsaussichten solcher Vorhaben. Zum dritten lassen der Verlauf des Unternehmens und die darauf folgenden Ereignisse wichtige Rückschlüsse auf das Binnenverhältnis der drei Verbündeten Deutschland, Österreich-Ungarn und Türkei zu. Schlußendlich aber dürfte es sich bei der Operation Gondos um einen der größten geheimdienstlichen Betrugsfälle des Ersten Weltkrieges handeln.186 Der Führer des Unternehmens, der Ungar Georg Gondos, bleibt eine schemenhafte Figur. Er erschien nach den erhaltenen Unterlagen auf der nahöstliche Bühne im Oktober 1914. Bereits im Juni 1915 trat er von ihr wieder ab. Ab diesem Zeitpunkt verliert sich seine Spur, und keine weiteren Unterlagen sind über ihn auffindbar. Georg Gondos traf den österreichisch-ungarischen Militärbevollmächtigten Joseph Pomiankowski im Oktober 1914 in Konstantinopel. Bereits damals scheint Pomiankowski Mißtrauen gegenüber Gondos gehegt zu haben – das jedenfalls ist zwischen den Zeilen seiner Autobiographie zu lesen.187 Möglicherweise handelt es 182 Ebenda, S. 367f. Siehe auch Liman von Sanders, Otto: Fünf Jahre Türkei, Berlin, 1919, S. 141 und Kreß von Kressenstein: Suez-Kanal, S. 110f. 183 Wilson, Jeremy: Lawrence von Arabien. Eine Biografie. München, 1992, S. 180. 184 Ebenda. 185 Storrs: Orientations, S. 173. 186 Das im Gegensatz zu Jung: Wüstenkrieg, S. 23–26 und Fischer: Kampf, S. 52. Beide gehen davon aus, daß die Gondos-Aktion so stattgefunden hat, wie sie in den österreichisch-ungarischen Akten beschrieben wird. 187 Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 83.
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sich dabei aber auch um eine Rückprojektion, die Pomiankowskis eigene Schuldlosigkeit an der peinlichen Affäre beweisen sollte. Nach Pomiankowskis Aussagen übergab Gondos ihm einen Befehl des Kriegsministeriums, in dem der Militärbevollmächtigte angewiesen wurde, ihm „jede für die Durchführung seines Auftrages notwendige Unterstützung zu erteilen“.188 Diesen Auftrag teilte der Ungar Pomiankowski mündlich mit. Wie Pomiankowski angeblich erst später erfuhr, hatte Gondos diesen Plan unaufgefordert dem Kriegsministerium in Wien angetragen. Dieses nahm den Vorschlag auf und versorgte Gondos mit den erforderlichen finanziellen Mitteln.189 Der – nach eigenen Angaben – ausgebildete Erdölingenieur wollte in einer Kommandoaktion die Erdölquellen bei Gemsa190 in die Luft sprengen. Der Ort liegt in Ägypten an der Küste des Roten Meeres, gegenüber der Südspitze der Sinai-Halbinsel. Gondos behauptete, er habe dort zwei Jahre gearbeitet und kenne daher die Gegebenheiten bestens. Von Jerusalem aus brach Gondos – auch mit der Zustimmung Enver Paschas versehen191 – am 2. Januar 1915 in Richtung Akaba auf.192 Laut seines eigenen Berichtes stieß Gondos mit „50 Freiwilligen und 10 Soldaten“193 zunächst auf die SinaiHalbinsel vor, um dort die wichtige Stadt at.-T.ūr einzunehmen und zu plündern.194 Hier gerät sein Bericht ins Abenteuerhafte: Mit seinen 60 Mann will er eine Stadt angegriffen haben, die auch von mehreren Kriegsschiffen verteidigt wurde. Nach der Einnahme der Stadt sprengte die Expedition angeblich das Rathaus und verteidigte sich zwölf Tage lang gegen Angriffe der Engländer von mehreren Kreuzern aus. Ganz nebenbei will Gondos auch erreicht haben, daß das am Berg Sinai gelegene orthodoxe Katharinenkloster „die Oberhoheit seiner kaiserlichen Majaestaet des Sultans“195 anerkannte. Ende Januar setzte Gondos seinem Bericht zufolge über das Rote Meer und sprengte in Gemsa „alle drei Petroleumquellen, welche de facto Petroleum liefern, in die Luft“.196 Dabei wollen die Angreifer auch eine englische Fahne erobert haben. Danach kehrte Gondos nach at. -T.ūr und von dort aus auf osmanisches Territorium zurück. Nach Pomiankowskis Angaben legte er zum Beweis der erfolgreichen Operation Photos der brennenden Quellen vor.197 Sollten diese Bilder jemals existiert haben, so sind sie verloren gegangen. In den Akten des österreichischungarischen Kriegsministeriums sind sie nicht erhalten, und auch in deutschen Ar188 Ebenda. 189 Pomiankowski an Kreß, 18. April 1915, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 190 Ältestes genutztes Ölfeld im arabischen Raum, Ausbeutung seit 1911 durch die Anglo-Egyptian Oilfields. Siehe Barthel, Günther; Stock, Christina (Hrsg.): Lexikon der arabischen Welt (LAW). Wiesbaden, 1994, S. 224. 191 Bericht Gondos an Cemal Pascha, 26. Februar 1915. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 192 Ebenda. 193 Ebenda. 194 Ebenda. 195 Ebenda. 196 Ebenda. 197 Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 85.
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chiven waren sie nicht zu finden. Ein erheblich prosaischerer Bericht eines gewissen Paul Simon,198 der an der Expedition teilgenommen haben will, deckt Gondos’ Angaben in groben Zügen – bis auf die Behauptung über die Sprengung der Ölquellen. Simon hatte sich bereits vorher von Gondos getrennt,199 so daß er darüber nichts aussagen konnte. Während Pomiankowski den Berichten des Ungarn gegenüber auch weiterhin äußerst mißtrauisch blieb200, glaubten die Deutschen seinem Bericht ohne weiteres. Der zu diesem Zeitpunkt in Jerusalem befindliche Freiherr von Kreß – von den Türken inzwischen mit den Befugnissen eines kommandierenden Generals der Sinai-Halbinsel ausgestattet – berichtete fast überschwenglich an den Chef der Militärmission Liman von Sanders und empfahl den jungen Mann „auch der Gnade seiner Majestät des Kaisers“.201 Kreß ging sogar so weit, Gondos das Tragen einer Hauptmannsuniform zu erlauben und den österreichisch-ungarischen Militärbevollmächtigten zu bitten, Gondos’ Bezüge entsprechend zu erhöhen.202 Nur einen Monat später platzte die Bombe: Einige türkische Offiziere beschuldigten Gondos dert Lüge.203 Sie warfen ihm vor, nie in Ägypten gewesen zu sein, die Photographien gefälscht zu haben und sich Auszeichnung und Beförderung durch Betrug verschafft zu haben. Die Vorwürfe waren so massiv, daß sich Kreß genötigt sah, eine offizielle Untersuchung einzuberufen. Die Kommission bestand aus zwei deutschen und zwei osmanischen Offizieren, den Vorsitz hatte ein Türke. Obwohl Pomiankowski schon immer an Gondos gezweifelt hatte, intervenierte er nun zu seinen Gunsten bei Kreß. Sein Hauptgrund bestand in der Tatsache, daß die „Aburteilung eines Angehörigen eines europäischen Staates durch ein türkisches Kriegsgericht sehr unerwünschtes Präzendens wäre“.204 Bereits zwei Tage nach Pomiankowskis Intervention verkündete Kreß in äußerst ungewöhnlicher Form das Ergebnis der Untersuchung. In einem Zirkular an sämtliche Offiziere wurden alle Anklagen gegen Gondos abgeschmettert und die Verdienste des Offiziers nochmals in den höchsten Tönen gelobt.205
198 Details über ihn sind nicht bekannt. 199 Bericht Paul Simon an Pomiankowski, 1. April 1915, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 200 Siehe zu Pomiankowskis Skepsis gegenüber dem Gondos-Vorhaben auch: Pomiankowski an Kriegsministerium. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 201 „Der materielle Schaden, den Gondos den Engländern zugefügt hat, dürfte sich auf viele Millionen belaufen. Noch höher als die materiellen Erfolge [...] schätze ich die Tatsache ein, dass er ein glänzendes Beispiel dafür gegeben hat, was hier ein unternehmender, tapferer und schneidiger Mann leisten kann.“ Kreß an Liman von Sanders, 25. Februar 1915, Abschrift. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 202 Kreß an Pomiankowski, 25. Februar 1915. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 203 Pomiankowski an k.u.k. Konsul in Jerusalem, 18. April 1915. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 204 Ebenda. 205 Zirkular Kressensteins an sämtliche Offiziere der IV. Armee. 20. April 1915, Abschrift. KA Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1.
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Die Vorwürfe der Türken gegen Gondos dürften jedoch zum größten Teil berechtigt gewesen sein. Hinweise darauf gibt auch der Verlauf des Verfahrens. Gleich mehrere Offiziere widerriefen ihre Anschuldigungen oder gaben plötzlich an, im Protokoll falsch wiedergegeben worden zu sein.206 Hier kann wohl mit Recht Druck als Ursache angenommen werden. Darüber hinaus tauchte Gondos erstaunlich schnell von der nahöstlichen Bühne ab, grade so, als sollte das Thema durch sein Verschwinden endgültig erledigt werden. In einem Schreiben Kreß’ heißt es, er habe sich „die Unannehmlichkeiten der letzten Zeit so zu Herzen genommen, dass er [...] nach Ungarn zurückkehren will“207. Weder Kreß – er hatte sich für Gondos sehr stark eingesetzt und mußte fürchten, im Falle einer Verurteilung seines Protegés seine Autorität einzubüßen – noch Pomiankowski – Österreich-Ungarn wäre blamiert gewesen – hatten Interesse daran, den Ungarn des Betruges zu überführen. Es liegt daher nahe, daß das Verfahren von Kreß manipuliert wurde. Deutsche und Österreicher waren sich in diesem Falle einig. Das Gesicht gegenüber den verbündeten Türken zu wahren, war an dieser Stelle wichtiger, als die Wahrheit herauszufinden. Kreß hatte Gondos und seine angeblichen Erfolge wiederholt genutzt, um den türkischen Verbündeten gegenüber zu demonstrieren, was europäische Tatkraft bewirken konnte. Jetzt zuzugeben, daß er einem Lügner aufgesessen war, hätte ihn in den Augen der türkischen Offiziere unmöglich gemacht. Den Österreichern wiederum konnte kaum daran gelegen sein, einen Mann, den sie mit Geld und Empfehlungen versehen hatten, als Betrüger entlarvt zu sehen. Der Fall Gondos illustriert dabei auch, wie wenig in der ersten Zeit des Krieges Persönlichkeiten überprüft wurden, die sich für geheimdienstliche Operationen im Orient meldeten. Wie im Fall Gondos war es oft so – wie etwa auch im Falle der Expedition Musil208 – daß jemand mit einem wie auch immer gearteten Plan an die militärischen Stellen der Mittelmächte herantrat und um Unterstützung bat, die oft genug ohne genaue Prüfung gewährt wurde. Die ausschließlich erfolgversprechende Methode – Formulieren von Zielen, Ausarbeiten von Plänen und schließlich das Finden von geeignetem Personal zur Umsetzung – wurde in der ersten Phase der Operationen im Orient in den seltensten Fällen umgesetzt. Es gibt darüber hinaus weitere Hinweise auf den betrügerischen Charakter der Gondos-Berichte. Gemsa war mit seinen Ölquellen und der Raffinerie für die britische Flotte und die Luftwaffe äußerst wichtig. In keiner britischen Quelle der Zeit findet sich ein Hinweis auf Sabotage, heftige Explosionen oder gar Lieferprobleme von Benzin. Auch die angeblichen Gefechte in der Gegend von at.-T.ūr sind in britischen Akten nicht dokumentiert. Schließlich ging selbst der zunächst so überschwengliche Kreß später unauffällig aber deutlich auf Distanz zu seinem einstigen Protegé Gondos. In seinen Memoiren schrieb er nur noch davon, daß es Gondos ge206 Kreß an k.u.k. Konsul in Jerusalem, 28. April 1915. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 207 Ebenda. 208 Siehe dazu unten S. 242–246.
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lang, „einen der Bohrtürme unbrauchbar zu machen“209. Hans-Erich von TzschirnerTzischirne, der zu dieser Zeit die türkische Besatzung von Akaba befehligte und bei dem sich Gondos zwei Tage aufhielt, beschreibt ihn in seinen Erinnerungen zwar als „eine der tatkräftigsten Erscheinungen, die mir während des Krieges begegnet sind“,210 er stellt aber gleichzeitig ausdrücklich fest, daß es Gondos nicht gelungen sei, die britischen Öl-Anlagen zu zerstören.211 Die angebliche Heldentat des Ungarn fand allerdings nach dem Krieg Eingang in die erzählende Literatur212 und wurde wohl auch dadurch nachträglich mit dem Schein des Faktischen versehen. Von einer realen, wenn auch fehlgeschlagenen verdeckten Operation gegen Ölquellen berichtete dagegen Niedermayer in seinem Buch über die Afghanistan-Expedition. Ende 1914, noch in Konstantinopel, hatte er den Vorschlag gemacht, die Öleinrichtungen von Ābādān am Schatt al-Arab zu zerstören. Eine entsprechende Expedition unter dem Befehl des Hauptmanns Klein war bereits im Anmarsch als ein Gegenbefehl kam: Die Anlagen sollten verschont werden, um sie von den Briten unbeschädigt übernehmen zu können. Die Türken versuchten, den Zugang nach Ābādān von See aus durch Versenkung eines Schiffes zu sperren, allerdings geschah das an der falschen Stelle, so daß die Operation letztlich vollständig wirkungslos blieb. Eine Eroberung durch die Türken gelang nie. Die Männer unter Kleins Führung kamen später in Persien zum Einsatz.213 Großen materiellen Schaden richteten all diese die Operationen gegen den Suezkanal nicht an. Die Verwaltung des Kanals berichtete nur ein einziges Mal dem britischen Außenministerium über einen Minentreffer auf ein Schiff.214 Auch in diesem Fall war die Wirkung gering, die Kanalgesellschaft bezeichnet die Auswirkungen auf den Verkehr als „insignificant“.215 Sollte es weitere, wie auch immer geartete Minentreffer auf durchfahrende Schiffe gegeben haben, dann waren diese mit Sicherheit so unbedeutend, daß eine umfangreiche Berichterstattung seitens der Kanalgesellschaft nicht für nötig erachtet wurde. Trotzdem hieße es, die Realität verzerren, bescheinigte man den Versuchen der Mittelmächte, durch verdeckte Operationen den Gegner zu schädigen, vollständiges Scheitern. Der Erfolg lag hier nicht in den physischen Auswirkungen der Operationen, sondern in der Schaffung einer Atmosphäre der Bedrohung, die auf britischer Seite zu extremer Wachsamkeit und, viel wichtiger, zum Einsatz erheblicher Ressourcen für Gegenmaßnahmen führte. Das betraf finanzielle Mittel, etwa für den Unterhalt der geheimdienstlichen Abwehr, und in weit höherem Maße die Stationierung von Truppen in Ägypten. Die hier gebundenen 209 Kreß von Kressenstein: Suez-Kanal, S. 111. 210 Tzschirner-Tzschirne, Hans-Erich: In die Wüste. Meine Erlebnisse als Gouverneur von Akaba, Berlin, 1920, S. 194. 211 Ebenda, S. 194f. 212 Siehe Eisgruber, Heinz: Angriff auf den Suezkanal. Berlin, 1939, S. 85–91. 213 Siehe Niedermayer, Oskar von: Unter der Glutsonne Irans. Hamburg, 1925, S. 18f., S. 23. 214 British Suez Canal Directors to Sir Edward Grey, 5. Juli 1915, NA, FO 371/2356. 215 Ebenda.
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Einheiten konnten auf dem europäischen Kriegsschauplatz nicht gegen Deutschland eingesetzt werden.216 Hinzu kamen erhebliche Aufwendungen für die Befestigung des Suezkanals sowie den Ausbau rückwärtiger Verbindungen in der Region.217 Insbesondere zu Beginn des Krieges nahmen die britischen Stellen die Bedrohung durch Sabotage also sehr ernst. Erstmals tauchen Warnungen vor verdeckten Operationen in den britischen Akten schon im September 1914 auf. In einem Telegramm vom 15. September warnte der Botschafter in Konstantinopel vor entsprechenden Vorhaben.218 In seinen wenigen Zeilen sagte er das Geschehen recht präzise voraus – Expeditionen mit Minen durch die Wüste zum Kanal und auch die Versuche, ihn mit versenkten Schiffen zu sperren. Zu diesem Zeitpunkt sah man die Gefahr in London allerdings noch nicht als akut an. Mit der Notiz „military“ wurde die Nachricht mit niedriger Priorität nach Kairo weitergeleitet.219 Ende Oktober 1914 warnte der zu diesem Zeitpunkt noch in Beirut befindliche britische Konsul abermals nachdrücklich vor dem Schmuggel von Sprengstoff nach Ägypten.220 Er hielt Aktionen am Kanal und „other outrages“221 für höchst wahrscheinlich. Daß er über gute Informanten verfügte, geht aus der Tatsache hervor, daß der Konsul in seinem Telegramm auch über die oben erwähnten, von Prüfer gemeldeten Offiziere des türkischen Banden-Projektes berichtete.222 Der zuständige Referent im Londoner Außenministerium nahm den Bericht diesmal sehr ernst, leitete ihn unmittelbar an Lord Kitchener weiter und notierte auf dem Deckblatt „The risk increases daily.“223 Warnungen vor deutschen Minenlegern waren bereits einige Tage vorher an die indische Regierung224 ergangen. Das Kriegsministerium in London sah die realistische Möglichkeit, daß Türken und Deutsche auch versuchen könnten, das Rote Meer und den Persischen Golf mit Minen für die 216 Diese Ansicht vertritt auch der den Deutschen gegenüber sehr skeptisch gesinnte k.u.k. Militärbevollmächtigte Joseph Pomiankowski in seinen Memoiren. Siehe Pomiankowski: Untergang, S. 167. In der angelsächsichen Literatur geht man zu diesem Zeitpunkt von einer Truppenstärke von rund 70.000 Mann aus. Siehe Wavell, Archibald P.: The Palestine Campaigns. London, 1940, S. 27. 217 Reichsarchiv: ,,Jildirim“, S. 19. 218 „[...] there are two contingencies against which we should be on our guard: (1) subsidising and encouragement of Bedouins to loot and cause distourbances across frontier and (2) attempts to interfere with traffic through the Canal. In fact, even without war, German machinations are so various here that I should not be surprised if they manage to engineer some scheme against the Canal, either by means of a so-called neutral ship from Syrian coast, or by agents on land.“ Mallat to Sir Edward Grey, 15. September 1914, NA, FO 371/1971. 219 Ebenda, Randnotiz. 220 Cheetham to Sir Edward Grey, 28. Oktober 1914, NA, FO 371/1971. 221 Ebenda. 222 Ebenda. 223 Ebenda. 224 Für diese war die Situation am Kanal ebenfalls von Belang, da die Verbindung zum Mutterland dort hätte abgeschnitten werden können.
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Schiffahrt zu sperren.225 Der britische Nachrichtendienst war darüber hinaus aus russischen Kanälen über die oben erwähnten Vorschläge des Österreichers Slatin Pascha für einen Angriff auf den Kanal informiert.226 Die Briten reagierten auf die Bedrohung des Kanals und die Destabilisierungsversuche im Land mit eiserner Härte, die den Deutschen jegliche verdeckte Operation im Inland letztendlich unmöglich machte. Noch vor Verkündung des Protektorates über Ägypten am 18. Dezember 1914 setzten sie etwa eine umfassende Post- und Nachrichtenzensur im Land durch. Diese Maßnahme verhinderte einerseits, daß sich Deutsche und Türken ein realistisches Bild über die Lage machen konnten und schirmte andererseits die ägyptische Bevölkerung effektiv von der Agitation der Mittelmächte ab. Schon Anfang Dezember wurden die deutschen und österreichischen Konsuln des Landes verwiesen.227 Zu diesem Zeitpunkt tauchten auch erste Hinweise auf die britische Besorgnis bezüglich eines pro-deutschen Aufstandes in der neutralen Presse auf.228 Ende Dezember 1914 berichtete schließlich Ronald Graham, nach der Verkündung des Protektorates über Ägypten nun „Adviser to the Ministery of the Interior“, detailliert über die umfangreichen britischen Gegenmaßnahmen.229 Als wichtigsten Erfolg sah er die Ausschaltung sämtlicher Staatsangehöriger der Mittelmächte. „An undesireable element, which had latterly shown great activity in the propagation of alarmist news and pro-German intelligence, was thus to a large extent eliminated.“230 Bereits im Oktober 1914 mußten sich Deutsche und Österreicher in Ägypten registrieren lassen, im öffentlichen Dienst Ägyptens beschäftigte Angehörige dieser Staaten wurden entlassen. Frauen und Kinder sowie alte und kranke Männer durften das Land verlassen. Einen Monat später wurden schließlich die militärdiensttauglichen und verdächtigen Österreicher und Deutschen teils nach Malta deportiert, teils in Alexandria interniert, insgesamt 713 Personen.231 Graham berichtete weiter von seinem Vorgehen gegen „Khedivist and Nationalist agitators“,232 die er als mit den Mittelmächten im Bunde betrachtete. Seine Anstrengungen richtete er dabei ganz besonders auf eine nationalistische Gruppe im Umfeld der Zeitung
225 Chief of General Staff to Naval Intelligence Officers Colombo and Bombay, 22. Oktober 1914, NA, WO 106/944. 226 Buchanan to Sir Edward Grey, 14. September 1914 und Grey to Cheetham, 15. September 1914, NA, FO 371/1971. 227 Britain combats Turkey in Egypt. New York Times, 7. September 1914. 228 „Great Britain ist somewhat apprehensive [...] about the possible insurrection against her rule in Egypt. ... Egypts population of 11.000.000 is nine-tenth Moslem. England has only 5000 troops in Egypt, but has trained 30.000 Sudanese troops. Much will depend on the attitude of the native troops.“ Ebenda. 229 British Agency Kairo to Sir Edward Grey, 28. Dezember 1914, NA FO 371/2355. Dieser Bericht gibt einen erstklassigen Überblick über die britischen Maßnahmen in Ägypten. 230 Ebenda. 231 Ebenda. 232 Ebenda.
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aš-Ša‘b (Das Volk), die er mit Drohungen auf einen pro-britischen Kurs brachte.233 Rechtliche Handhabe für die Knebelung der innerägyptischen Opposition bot den Briten das am 2. November 1914 verkündete Kriegsrecht. Die Strategie gegen protürkische und pro-deutsche Ägypter beschrieb Graham als ,,keeping them in a condition of suspense and uncertainty by periodical arrests, detention, searches, raids of clubs, etc.“234 Das Resultat beschrieb der Brite als „perfect tranquility“.235 Sein Bericht ging in London zu Kenntnis des Kabinetts und des Königs.236 Wie groß die britische Furcht vor verdeckten Operationen der Mittelmächte in Ägypten war, verdeutlicht die Affäre Mors. Ende September 1914 stießen ägyptische Grenzbeamte auf einem in Alexandria einlaufenden Schiff aus Konstantinopel auf den Deutschen Otto Mors.237 Dieser Leutnant Mors war in Ägypten kein Unbekannter. Er diente bei der Stadtpolizei in Alexandria und befand sich auf Urlaub.238 Verdächtig machte ihn an diesem Tag aber sein Reiseziel Konstantinopel, und dieser Verdacht bestätigte sich bei der Durchsuchung des Deutschen. Die Zollbeamten fanden bei ihm in Chiffre geschriebene Nachrichten, ein Telegramm des Ex-Khediven, Pläne des Suezkanals und zwei Kisten mit Dynamit.239 Mors war ganz offensichtlich nach Ägypten geschickt worden, um Sabotage am Kanal zu treiben. Für die Briten bot sich damit die Gelegenheit, die deutsche Arbeitsweise zu studieren und ein Exempel zu statuieren, das für alle Zeit klar stellte, wie wichtig man die Sicherheit des Suezkanals nahm. Ein intensiver Austausch von Telegrammen zwischen London und Kairo begann. Grey forderte, den Deutschen so schnell wie möglich vor Gericht zu bringen. „German spy should [...] be dealt with rigoroulsy according to justice“,240 lautete seine Forderung an die Behörden in Kairo. Die britische Admiralität forderte in einem Telegramm241 die sofortige Einberufung eines Standgerichtes und die Verhängung der härtesten Strafe. Die Sicherheit des Kanals sei lebenswichtig für Großbritannien, hier biete sich die Möglichkeit, ein abschreckendes Beispiel für Nachahmer zu geben. Zuerst aber wurde Mors langen Verhören unterzogen. Schon nach einem Tag gestand er, daß Enver persönlich ihm seine Befehle gegeben hatte.242 Damit wurde der Fall auch zu einer Sache der Propaganda. „This 233 ,,I warned them that unless they could accept the inpending changes with placidity, they had better make up their minds to deportation to Malta; further that they would be held personally responsible should any of their party indulge in sedition outrage.“ Ebenda. 234 Ebenda. 235 Ebenda. 236 Ebenda, Notiz auf dem Deckblatt. 237 Cheetham an Sir Edward Grey, 27. September 1914. NA, FO 371/1972. 238 Ebenda. 239 Ebenda. 240 Sir Edward Gray an Cheetham, 27. September 1914. NA, FO 371/1972. 241 Admirality to Sir Edward Grey, 27. September 1914. NA, FO 371/1972. 242 Cheetham an Sir Edward Grey, 28. September 1914. NA, FO 371/1972.
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may be useful for publication in the near future“,243 notierte Lancelot Oliphant. In der Tat publizierten mehrere Zeitungen, unter anderem in Griechenland, den Fall, nachdem Mors verurteilt worden war.244 Am 30. September waren die Verhöre abgeschlossen.245 Mors zeigte sich sehr gesprächig und offenbarte umfangreiche Details seiner Mission: Anfang September 1914 hatte er sich demnach in Konstantinopel mit Curt Prüfer getroffen, der ihn wiederum Offizieren des türkischen Generalstabes vorstellte. Einer dieser Offiziere entwickelt ihm einen Plan, wonach Sabotageaktionen und Attentate in Ägypten das Land reif für einen Aufstand gegen die Briten machen sollten. Dieser könnte dann den Vormarsch der türkischen Truppen wirkungsvoll unterstützen. Der Türke schlug Mors vor, mit einem bereits in Alexandria befindlichen türkischen Offizier gemeinsam eine Untergrundgruppe in Ägypten aufzubauen und mit dieser Anschläge auf den Kanal und andere britische Einrichtungen zu unternehmen. Am folgenden Tag trafen Mors und Prüfer Enver Pascha, der mit ihnen seine Pläne bezüglich Ägyptens besprach. Namen seiner Kontaktpersonen in Ägypten nannte Mors allerdings nicht. Insgesamt ist aus den britischen Dokumenten über den Fall Mors eine gewisse Erleichterung herauszulesen. Erleichterung darüber, daß dieses Vorhaben gescheitert war und vor allem über die Tatsache, daß es Deutschen und Türken offenbar nicht gelungen war, ein schlagkräftiges Untergrundnetzwerk in Ägypten aufzubauen. Mors wurde am 10. November 1914 vor ein reguläres Militärgericht gestellt.246 Damit entging er dem Schnellgericht, das sicher die Todesstrafe verhängt hätte. Der amerikanische Generalkonsul vertrat Mors’ Interessen und berichtete auch nach Berlin.247 Die Anklage lautete auf Verschwörung und Aufrührung gegen die britische Okkupation Ägyptens, Spionage, Besitz illegaler Landkarten und Chiffren sowie Sprengstoffschmuggel. Mors wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Nur der Spionagevorwurf konnte nicht bewiesen werden. Er wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in England verurteilt.248 Daß Mors der Todesstrafe entging, mag daran liegen, daß er sein Vorhaben nicht hatte ausführen können. Darüber hinaus gab er im Verhör Details preis, die den Briten erstmalig die deutschen und türkischen Pläne klar und über jeden Zweifel erhaben offenlegten. Vor dem Hintergrund der Aussagen des deutschen Leutnants sind Spekulationen durchaus berechtigt, daß die Verhängung des Kriegsrechtes in Ägypten wohl auch auf die Mors-Affäre und die damit verbundene Enthüllung der deutsch-türkischen Bedrohung Ägyptens zurückzuführen ist. 243 Randnotiz, ebenda. 244 Siehe Gesandtschaft Athen an Bethmann Hollweg, 11. November 1914, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21126. 245 Das Folgende nach Verhörprotokoll Mors, 10. Oktober 1914, NA, FO 371/1972. 246 Amerikanischer Generalkonsul in Kairo an Ministerium des Äußeren (Berlin), 14. November 1914, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21126. 247 Ebenda. 248 Ebenda.
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2.2 Diplomaten und Agenten: Der deutsche Nachrichtendienst im Orient Bei Kriegsausbruch war der deutsche militärische Nachrichtendienst den Aufgaben, die eine weltweite Auseinandersetzung dieser Intensität mit sich brachte, kaum gewachsen. Der am Generalstab angebundene militärische Geheimdienst – die Abteilung III.b.249 – war chronisch unterfinanziert und personell unterbesetzt.250 Der damalige Chef der Abteilung, Oberst Walter Nicolai,251 verfügte im August 1914 lediglich über einen Dienst gegen Rußland und gegen Frankreich. „Zeit und Mittel hatten nicht mehr ausgereicht, ihn auch in England zu schaffen.“252 Ein politischer Nachrichtendienst der zivilen Zentralstellen, etwa des Auswärtigen Amtes, existierte im Deutschland der Vorkriegszeit nicht.253 Versuche des Generalstabes, auch dieses Gebiet abzudecken beziehungsweise zumindest Unterstützung für seine Arbeit im deutschen diplomatischen Dienst zu rekrutieren, stießen auf starken Widerstand der zivilen Stellen, die wohl eine Ausdehnung des Wirkungskreises des Generalstabes auf ihre Domäne fürchteten.254 Im Gegensatz zu Österreich-Ungarn fand in Deutschland eine wie auch immer geartete Einbeziehung ziviler Stellen und eine Zentralisierung des militärischen Nachrichtendienstes nicht statt. Die Abteilung III.b. trug allerdings während des Krieges die Verantwortung für das zivile Pres-
249 Zur Entstehung der Abteilung siehe Fitzgibbon: Intelligence, S. 43–54, zur ihrer Arbeit während des Krieges auf dem europäischen Kriegsschauplatz ebenda, S. 115–132. 250 Nach Angaben des Chefs der Abteilung III.b., Oberst Walter Nicolai, betrug das Budget seiner Abteilung im Jahr 1913 grade einmal eine halbe Millionen Mark. Die Ausgaben der Russen für den Nachrichtendienst im Jahr 1912 gibt er mit 13 Millionen Rubeln an. Nicolei bezieht sich dabei auf während des Krieges erbeutete russische Dokumente. Nicolai: Mächte, S. 34. 251 Walter Nicolai, seit 1904 Generalstabsoffizier, seit 1913 Chef der Abteilung III.b., RußlandExperte. Nach dem Zweiten Weltkrieg nach Moskau verschleppt und dort gestorben. Die Verhörprotokolle sind neuerdings von Taratuta und Zdanowitsch ausgewertet worden. Siehe Taratuta; Zdanowitsch: Tainstwenni Schef. 252 Nicolai: Mächte, S. 34. 253 Siehe August Urbanski von Otrymiecz: Spionage und Gegenspionage bei den Mittelmächten vor dem Weltkrieg, hier S. 62f. In: Lettow-Vorbeck: Weltkriegsspionage, S. 62-76. Urbanski war von 1909 bis 1914 Chef des Evidenzbüros des österreichisch-ungarischen Generalstabes. Siehe auch Goltz: Spionage, 153f. Dazu auch: Helm, Hans: Nicolai und seine Helfer, hier S. 51f. In: Grote, Hans Henning Freiherr: Vorsicht! Feind hört mit! Eine Geschichte der Weltkriegs- und Nachkriegsspionage, Berlin, 1930, S. 37–68. 254 „Die andauernden politischen Krisen veranlaßten seit 1912 mehrfach Reisen ins neutrale Ausland, um dort mit Unterstützung der deutschen Auslandsvertreter Verbindungen zu suchen, die den Generalstab im Kriegsfall mit zuverlässigen Informationen über die Außenwelt versehen sollten. Die Aufnahme, die ich [Nicolai] bei den deutschen Auslandsvertretern fand, war gesellschaftlich einwandfrei. Der ernste Zweck meines Besuches aber schien störend zu wirken. Sachlich blieb der Generalstab jedenfalls so gut wie ohne Unterstützung.“ Nicolai: Mächte, S. 39. Siehe auch Helm: Nicolai, S. 52f.
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sewesen, die Pressepropaganda und die Zensur.255 Nicolai sah im Fehlen eines leistungsfähigen politischen Nachrichtendienstes, der seiner Ansicht nach wiederum zentral gemeinsam mit dem militärischen und einer zentralen Propagandastelle hätte geführt werden müssen, die Hauptschwäche der deutschen Geheimdienste während des Ersten Weltkriegs.256 Der deutsche Nachrichtendienst im Osmanischen Reich spiegelte einerseits die Verhältnisse in der Heimat wider, andererseits aber entwickelten sich durch die speziellen Gegebenheiten im Orient, vor allem durch die weiten Entfernungen der Einsatz- und Kriegsgebiete voneinander, ansatzweise Strukturen, die denen in Deutschland überlegen gewesen sein dürften. Zum einen existierten die klassischen Strukturen des deutschen diplomatischen Dienstes auch nach dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches weiter. Gemeint sind hier vor allem die Konsulate, die wie in Friedenszeiten ihre Berichte nach Deutschland und an die Botschaft im Konstantinopel lieferten. Ein Blick auf diese Berichte zeigt deutlich: Die deutschen Konsuln schöpften dabei hauptsächlich aus öffentlich zugänglichen Quellen, also der Presse, eigenen Beobachtungen und Gesprächen mit Einheimischen. Beobachtungsgegenstand der Konsulate war die innere Lage der Türkei. Ziel war es offenbar, die Stabilität des Bundesgenossen einschätzen zu können. Die Berichte der Botschaft zeigen zu einem großen Teil ebenfalls diese Merkmale. Zur Nachrichtengewinnung sind hier auch ausgedehnte Reisen durch die Kerngebiete der Türkei unternommen worden. In diese Kategorie fallen auch Reisen sich temporär in der Türkei aufhaltender Politiker. Das betrifft etwa Reichstagsabgeordnete, die allerdings meistens nur Konstantinopel und im Höchstfall Teile Anatoliens zu sehen bekamen. Diese Strukturen sollen mit dem Begriff „diplomatisches Nachrichtenwesen“ bezeichnet werden. Zum anderen entstanden – aus der Not geboren – zahlreiche informelle Strukturen, die mit dem Sammeln von Nachrichten aus Kampfgebieten, wie etwa der Arabischen Halbinsel, oder Feindesgebieten wie Ägypten befaßt waren. Exemplarisch seien der Nachrichtendienst der Kanalexpedition und die Bemühungen zur Schaffung eines funktionierenden Nachrichtendienstes in Ägypten genannt. Die Nachrichten wurden dabei oft direkt an Ort und Stelle verwertet; eine Trennung zwischen militärischem und politischem Nachrichtendienst ist nicht mehr zu erkennen. Finanziert wurden diese Strukturen durch das Auswärtige Amt und/oder die deutsche Militärmission in der Türkei. 255 Siehe dazu weiter unten, S. 186f. Siehe außerdem Helm: Nicolai, S. 54. 256 „Propaganda und politischer Nachrichtendienst fehlten in Deutschland und wurden auch nicht bei Kriegsausbruch durch eine kampf- und siegentschlossene Regierung geschaffen. Es war ein später nicht wieder gut zu machender Fehler, daß wenigstens bei Kriegsausbruch [...] das Versäumte nicht nachgeholt wurde und der gesamte Nachrichtendienst von der Regierung zusammengefaßt wurde. [...] Wie schlecht es aber tatsächlich mit dem Nachrichtendienst der politischen Reichsleitung bestellt war, erkannte der Generalstab erst allmählich. In Charleville hatte ich eines Morgens dem Reichskanzler von Bethmann eine Bestellung des Generalstabschefs von Falkenhayn auszurichten. Er bat mich, Platz zu nehmen: ,Erzählen Sie mir doch einmal, wie es beim Feinde aussieht, ich erfahre ja so gar nichts darüber.‘“ Nicolai: Mächte, S. 49.
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Die Berichte der Botschaft und der Konsulate aus der Türkei zerfallen dabei im wesentlichen in zwei Gruppen. Da sind zum einen Berichte über die eigene Tätigkeit, zum andern Berichte über Ereignisse und die Situation im Land. Exemplarisch seien hier einige der letzteren besprochen, die das Typische des deutschen diplomatischen Nachrichtenwesens in der Türkei – seine Oberflächlichkeit und die Tendenz zur Simplifizierung – illustrieren. Am 15. November 1914 wurde in den Konstantinopler Moscheen der Heilige Krieg der Muslime gegen Engländer und Franzosen verkündet. Der deutsche Botschafter Wangenheim berichtete am gleichen Tag telegrafisch über die Vorgänge nach Berlin.257 Sein Telegramm gab ausschließlich seine eigenen Beobachtungen der Ereignisse wieder.258 Bewertungen und Hintergründe fehlen vollständig. Die Stimmung der Massen pauschalisiert Wangenheim.259 Hintergründe und authentische Stimmen Einheimischer fehlen vollständig. Es dürfte für den Empfänger ausgesprochen schwierig gewesen sein, aufgrund dieser Informationen ein zutreffendes Bild der Lage zu gewinnen, denn Wangenheim vermittelt das Bild einer allgemeinen Begeisterung für den Heiligen Krieg, eine Begeisterung, die so kaum vorhanden gewesen sein dürfte, was die späteren Entwicklungen eindrucksvoll bestätigten260. Einen ähnlichen Tenor weist auch ein Bericht Wangenheims aus dem Dezember 1914 auf.261 Hier schilderte er seine Beobachtungen einer Kundgebung zum 666jährigen Bestehen des Osmanischen Reiches, die ebenfalls das Bild einer kriegsbegeisterten türkischen Bevölkerung vermitteln.262 Wiederum fehlen Hintergründe und Informationen zur Stimmung in Konstantinopel, die sich aus anderen Quellen als der eigenen Beobachtung speisten, völlig. Dabei war schon zu diesem Zeitpunkt bekannt, daß diese Demonstrationen künstlich organisiert worden waren und keineswegs einer spontanen Begeisterung der Menschen entsprangen. Der Chef der deutschen Militärmission, Otto Liman von Sanders, beschrieb das in seiner Autobiographie.263 Wer hier aus welchem Grund 257 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 15. November 1914, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13194. 258 „Nach Gottesdienst versammelten sich etwa 50.000 Türken auf (Gruppe fehlt) des Eroberers und zogen mit Musikkorps, deutschen, österreichischen und türkischen Flaggen über Pforte, altes Serail, wo Sultan die Demonstranten begrüßte zur deutschen und zur österreichischen Botschaft.“ Ebenda. 259 „Das Volk ist zweifellos fanatisiert und aus seinem Phlegma herausgetreten.“ Ebenda. 260 Scheitern einer Aufstandsbewegung in Ägypten, Scheitern der Einbindung der Araber via panislamischer Propaganda in den Kampf gegen England. 261 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 31. Dezember 1914, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13194. 262 „[...] großartige Kundgebung für Waffenbrüderschaft mit uns bei wiederholter Erwähnung Namen seiner Majestät Kaisers, Generalfeldmarschalls Hindenburg und S.M.S. Goeben. Losbrach jedesmal stürmischer, nicht endenwollender Jubel.“ Ebenda. 263 „Die Straßenumzüge wurden, wie dies gewohnheitsmäßig war, von der türkischen Polizei arrangiert, und die daran teilnehmenden Hamals [Lastenträger] oder sonstige Personen erhielten dafür einige Piaster Entschädigung.“ Liman v. Sanders: Türkei, S. 49.
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jubelte, blieb dem Empfänger der Berichte der deutschen Botschaft hingegen vorenthalten. In diesem Fall dürfte Wangenheim die Inszenierung der osmanischen Behörden als Wahrheiten weitergegeben haben, da sie in sein Kalkül paßte. Wangenheim war einer der stärksten Befürworter des deutsch-türkischen Bündnisses. Berichte von allgemeiner öffentlicher Begeisterung für einen Krieg an der Seite Deutschlands mußten in Berlin das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des neuen Verbündeten wachsen lassen. Ein jubilierender, positiver, dabei unkritischer und bisweilen gegenüber den türkischen Machthabern gar devoter Tenor der diplomatischen Berichte fällt auch bei deutschen Konsularberichten auf. Hier allerdings dürften die Ursachen eher in mangelndem Wissen und im Versuch, die eigene Arbeit positiv darzustellen, als in politischem Kalkül zu suchen sein. Im März 1916 – kurz vor dem Fall Kūt al-‘Amāras und kurz nach der Räumung der Dardanellen durch die Briten und Franzosen – zu einem Zeitpunkt also, auf den die größten militärischen Erfolge der Türkei im Ersten Weltkrieg fallen – berichtete der deutsche Konsul in Damaskus, Loytved-Hardegg, zum Beispiel über eine Reise Enver Paschas und Cemal Paschas durch Syrien.264 Der Konsul schrieb zu Beginn über die protokolarischen Essen und die von offizieller Seite organisierten Zusammentreffen mit Notabeln Syriens. Ausführlich hob er das leutselige Verhalten der beiden türkischen Machthaber hervor, die sich mit Beduinen in deren Dialekt unterhielten, an den Stationen ihrer Reise großzügige Geldgeschenke verteilten und sich darüber hinaus als gläubige Muslime präsentierten. Den ausführlichen Schilderungen der Reise schloß sich des Konsuls Bewertung an. Hier zeigt sich, daß der Diplomat offenbar über keine Quellen verfügte, die ihn über die durchaus gespannte Stimmung in der Bevölkerung informierten. Der Konsul ließ sich daher durch Envers und Cemals Auftreten auf das höchste beeindrucken. Die Situation in Syrien bewertete der deutsche Konsul dann auch als höchst stabil.265 Envers und Cemals Prestige sei unter der Bevölkerung sehr hoch. Man achte sie und bringe ihnen Sympathien entgegen.266 Diese Sicht der Dinge kontrastiert in auffallendem Maße mit der des österreichisch-ungarischen Generalkonsuls in Damaskus, denn Generalkonsul Ranzi sah zum gleichen Zeitpunkt die Lage in Syrien als instabil an.267 Grundtenor seiner Lageeinschätzung: Die Einheimischen trachteten, die türkische Herrschaft loszuwer264 Deutscher Konsul in Damaskus an Auswärtiges Amt, 7. März 1916, PAAA, Türkei 159, Nr. 8, Türkische Staatsmänner, 1915–1916, R 13799. 265 „Tatsächlich kann man sagen, dass die Türkei beim egyptischen Feldzug Syrien wiedererobert hat. Bis zum Weltkrieg rechnete das Volk schon allgemein mit einer Teilung Syriens zwischen England und Frankreich. Gestützt auf die Waffenerfolge der Türkei an den Dardanellen und seiner Verbündeter hat Dschemal Pascha in hervorragendem Masse verstanden, in einem Jahr Syrien an das osmanische Reich zu fesseln und die vorher fast ganz verschwundene Ehrfurcht vor der Regierung den Syrern einzuflößen.“ Ebenda. 266 Ebenda. 267 Siehe exemplarisch k.u.k. Konsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 22. Juni 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916.
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den. Cemal halte sich nur mit harten Repressionen an der Macht. Der Österreicher dürfte damit näher an der Realität gelegen haben. Seine realistischere Einschätzung hat zwei Gründe: Die k.u.k. Konsulate waren in einen echten Nachrichtendienst eingebunden und sogar ein Teil davon. Die Lageeinschätzung stützte sich daher wohl auf eine sehr viel breitere Materialbasis. Umgekehrt waren die deutschen Konsulate eben keine Zentralen des Nachrichtendienstes. Sie waren vielmehr Stützpunkte, von denen aus massiver politischer Einfluß auf lokale Machthaber ausgeübt werden sollte.268 Zwei Ereignisse des Jahres 1915 belegen das eindrucksvoll: Anfang März 1915 beschwerte sich Enver Pascha beim deutschen Botschafter in Konstantinopel über das Auftreten der deutschen Konsuln.269 Diese betrieben „ohne ausreichende Kenntnis der Menschen und Verhältnisse eine aktive Agitation namentlich unter den Arabern“.270 Gegenüber Wangenheim bezeichnete Enver das als „unzuträglich“.271 Wangenheim in seinem Bericht weiter: „Er bat mich zu veranlassen, daß solche Propaganda möglichst unterbleibe.“272 Das Treiben der deutschen Konsuln stieß den türkischen Kriegsminister offenbar so übel auf, daß er Ende März nochmals, diesmal vehementer, in der Angelegenheit bei Wangenheim intervenierte.273 Enver dürfte vor allem die Einmischung der Deutschen in die inneren Verhältnisse des Landes gestört haben, da er wohl um den Einfluß der türkischen Zentralregierung insbesondere in den arabischen Provinzen fürchtete. Wangenheim aber reagierte verhalten und beließ es im wesentlichen bei einer Aufforderung an die Konsulate, den Bogen nicht zu überspannen und dem allgemeinen Hinweis „bei unserer Propaganda innerhalb des türkischen Reiches [...] nichts ohne Wissen und Zustimmung der Regierung zu unternehmen“.274 Ein weiterer starker Hinweis auf die aktiv politische Rolle der Konsulate läßt sich österreichischen Berichten entnehmen. Besonders zu erwähnen ist dabei der unten ausführlich behandelte Bericht des ungarischen Journalisten Sa268 Wie das geschah, wird weiter unten gezeigt werden, vgl. S. 189–195. 269 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 30. März 1915, PAAA, Weltkrieg 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, 1915, 21130. 270 Ebenda. 271 Ebenda. 272 Ebenda. 273 „Enver meint, er hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn die Bevölkerung für Deutschland gewonnen würde, da die Interessen der Türkei mit denen ihres loyalen Verbündeten eins seien, und also deutsche Erfolge auf diesem Gebiet der Türkei zugute kommen würden. Die Bemühungen unserer Vertreter könnten aber seiner Ansicht nach nicht zum Ziele führen. Zunächst erfordere politische Arbeit in diesen Ländern, wo die Verhältnisse außerordentlich verwickelt sind, Kenntnisse, die unsere Vertreter nicht besäßen. Die Eingeborenen, die der deutsche Konsul für einflußreich halte, seien dies keineswegs immer. Außerdem sei Deutschland nicht in der Lage, alle Richtungen, Parteien, Stämme und Familien zu bezahlen oder sonst zu gewinnen.“ Deutscher Botschafter an Außwärtiges Amt, 2. April 1915, PAAA, Weltkrieg 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 274 Ebenda.
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muel Kastriner,275 der die politische und propagandistische Tätigkeit des deutschen Konsuls in Damaskus im Detail beschrieb. Das diplomatische Nachrichtenwesen Deutschlands in der Türkei stützte sich neben den fest etablierten Einrichtungen wie Botschaft und Konsulate auch auf Recherchereisen, die von Botschaftsangehörigen oder sogar Missionsfremden unternommen wurden. Bei letzteren handelte es sich oft um Reichstagsabgeordnete, die im Anschluß an ihre Tour einen umfangreichen Bericht verfaßten.276 Von einigem Interesse sind dabei insbesondere die Reiseberichte des Botschafters, Graf Wolf-Metternich.277 Sie illustrieren, wie persönliche Wahrnehmungen und festgefügte Meinungen das deutsche diplomatische Berichtswesen dominierten, ohne daß ein echter Nachrichtendienst, der auf der Basis verschiedener Quellen arbeitete, in der Lage gewesen wäre, das daraus resultierende schiefe Bild zu korrigieren. Metternich war ein ausgesprochener Gegner der Türkei und des deutschen Bündnisses mit ihr. Eine Reise auf die von den Kämpfen gegen Engländer und Franzosen schwer in Mitleidenschaft gezogene Halbinsel Galilipoli nutzte er so etwa für eine wahre Philippika gegen die Türkei und ihre Machthaber.278 Über die Situation im ehemaligen Kampfgebiet berichtete Metternich nichts, sondern polemisierte ungehemmt gegen das verbündete Land.279 Grundtenor: Die Türkei sei ein durch und durch verrotteter Staat, der dem Untergang geweiht sei. Wer auf deutscher Seite anderes behaupte, habe sich „von den Machthabern einlullen lassen“280 und sei nichts
275 Bericht Samuel Kastriner, 22. Januar 1915, S. 1, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte 1915. Dazu ausführlicher S. 105–107. 276 Beispielsweise Matthias Erzberger und Gustav Stresemann. 277 Graf Wolff-Metternich, ehemals deutscher Botschafter in London, vom Kaiser zum Nachfolger des im Oktober 1915 in Konstantinopel verstorbenen Botschafters Baron Wangenheim ernannt. Bereits im September 1916 auf türkischen Druck abberufen und durch von Kühlmann ersetzt. Die maßgeblichen Jungtürken, Enver Pascha und Talat, entwickelten einen regelrechten Haß gegen Metternich. Vgl. dazu die wörtlich aufgezeichneten, aber undadierten Äußerungen Talats und Envers über Metternich aus den Akten der Reichskanzlei, BA, Reichskanzlei, R 43/11. Der österreichische Militärbeauftragte charakterisierte Metternich hingegen als regelrechten komischen Vogel: „Derselbe [Wolff-Metternich] war ungefähr 70 Jahre alt, Junggeselle und Sonderling, lebte einsam und pflegte Blumen und mied nach Möglichkeit jede Gesellschaft. [...] Der Türkei gegenüber nahm Metternich von Anfang an eine wenig sympathische und eher kritische Haltung ein.“ Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 175f. 278 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 15. Dezember 1915, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13196. 279 „Ich selbst glaube, nach dem, was ich bisher gesehen habe, nicht an die Regeneration der Türkei. Es fehlen hierzu alle Bedingungen: Redlichkeit, ein gesicherter Rechtszustand, ein tätiger Mittelstand, ein gesicherter Rechtszustand und eine gesunde untere Volksschulbildung. Von einer Clique, die sich mit Schlagworten wie liberté, droit civil pour tous, constitution brüstet, und daneben Hunderttausende von unschuldigen Menschen [gemeint sind die Armenier] hinschlachten läßt, halte ich nicht viel.“ Ebenda. 280 Ebenda.
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als ein „jugendlicher Schwärmer“.281 Insgesamt zog sich durch die Berichterstattung Wolff-Metternichs die Tendenz, persönliche Eindrücke, die von Vorurteilen überlagert waren, als objektive Realität zu verkünden.282 Im Falle Metternichs schlug das Pendel nun aber in die entgegengesetzte Richtung aus: Tendierten die Konsulate und sein Vorgänger zu einer über-optimitischen Sicht der Dinge in der Türkei, sah Metternich nur Verfall und Niedergang. Beide Sichtweisen trafen die Realität aber nicht. Das diplomatische Berichtswesen malte entweder schwarz oder weiß, die Grautöne wurden übertüncht – ein Phänomen, das die österreichisch-ungarischen Berichte im Vergleich nicht aufweisen.283 Mehr oder weniger schwarz-weiß – wobei es sich eher um schwarz handelte – fielen auch die Reiseberichte deutscher Politiker aus, die sich zu einem Kurzaufenthalt in der Türkei einfanden. Solche Reisen im Auftrag der Fraktionen führten deutsche Abgeordenete während des Krieges wiederholt in verbündete Länder. An erster Stelle ist hier der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger284 zu nennen. Erzberger reiste im Februar 1915 für gerade einmal acht Tage nach Konstantinopel. Er verfaßte allerdings einen außerordentlich umfangreichen Bericht an das Auswärtige Amt, dessen Grundtenor lautete, „daß die Türkei [...] der durch Deutschland galvanisierte Leichnam“285 sei. Erzberger war offenbar in seiner Wahrnehmung erheblich vom Botschafter Wolff-Metternich beeinflußt, den er in seinem Bericht ausdrücklich gegen Vorwürfe in Schutz nahm, er sei seinem Amt nicht gewachsen.286 Der Politiker stützte sich bei seiner Beurteilung der Lage ausschließlich auf Gespräche mit den deutschen und österreichischen Botschaftern, dem türkischen Minister Talat287 und ungenannten deutschen Kaufleuten. Kontakt zum deutschen Militär hatte er offenbar keinen, ebensowenig zu anderen Türken. Die bisher im Krieg erbrachten Leistungen des Landes ignorierte er vollständig, sah dagegen die Gefahr 281 Ebenda. 282 Siehe dazu auch seinen Bericht über die Situation in Konstantinopel vom 17. Januar 1916, Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 17. Januar 1916, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13196. 283 Siehe weiter unten das Kapitel über den k.u.k. Nachrichtendienst, insbesondere S. 97–119. 284 Laut Nicolai soll Erzberger vom Auswärtigen Amt beauftragt worden sein, eine Art politischen Nachrichtendienst aufzubauen. „Dieser machte es sich aber weniger zur Aufgabe, die politischen Verhältnisse in der Welt festzustellen [...], als daß er darauf ausging, die Richtigkeit der eigenen politischen Richtung zu beweisen. [...] Der Abgeordnete Erzberger, der trotz mindestens halbamtlicher Tätigkeit niemals amtlich mit der obersten Heeresleitung in Berührung kam, hielt sich auch von deren Nachrichtendienst völlig zurück.“ Nicolai: Mächte, S. 160. 285 Bericht über meine Reiseeindrücke in der Türkei, 5.–13. Februar 1916, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13196. 286 Ebenda. 287 Mehmed Talat Pascha, geboren 1874 in Adrianopel, ermordet 1921 in Berlin. Telegrafenbeamter, Mitglied des Komittees „Einheit und Fortschritt“, Innenminister, später Großvesier. Galt bei den Deutschen in Orient vielfach als fähigster Kopf der Jungtürken. Siehe zu dieser Einschätzung exemplarisch „Talaat ermordet“, Beilage der Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, No. 4, 2. April 1921.
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eines Bündnisbruchs seitens der Türkei, denn das „jüngtürkische Komité [ist] nicht nur nicht deutschfreundlich, sondern neigt nach Frankreich, was aus der gesamten Geistesauffassung und Geschichte der Jungtürken zu erklären ist“.288 Es ist durchaus erstaunlich zu lesen, mit welch überheblicher Sicherheit der Abgeordnete nach nur acht Tagen ausschließlich in Konstantinopel ein Urteil über den Wert des türkischen Bündnispartners abgab. Die Zukunft aber zeigte – ganz anders als hier prophezeit –, daß die Türkei erst aus dem Krieg ausschied, als sie schließlich militärisch vollständig am Boden lag, und daß die jungtürkischen Machthaber keinen Verrat an ihren Bündnispartnern begingen. Letztendlich war Erzberger eben kein Nachrichtendienstler, sondern nur ein Abgeordneter, der selbstbewußt davon überzeut war, den Schlüssel zur Erklärung der türkischen Verhältnisse zu besitzen.289 Ähnlich im Tenor dürfte zwei Jahre später ein Bericht des Reichstagsabgeordneten Pfeifer geklungen haben. Das Papier selbst ist im Original nicht auffindbar, allerdings existiert eine ausführliche Antwort des deutschen Botschafters Graf Bernstorff.290 Der Graf nutzte diese Gelegenheit ausgiebig, um auf die dilettantische Art der Entstehung solcher Berichte einzugehen.291 Pfeifer habe etwa den Barkellner eines Hotels zum Kronzeugen allgemeiner Deutschfeindlichkeit gemacht, darüber hinaus habe er zwar innere Mißstände der Türkei aufgezeigt, jedoch ihre Ursachen nicht benannt oder sie verkannt. In diesem Zusammenhang hat es im diplomatischen Nachrichtenwesen aber auch einige wenige ganz offensichtlich wohlinformierte, auf intensiver Bearbeitung verschiedener Quellen beruhende, fast nachrichtendienstlich zu nennende Berichte gegeben.292 Der Bericht des Dragomanaspiranten Voigt293 über seine Reise nach Syrien etwa enthielt sich jeder Schönfärberei und jeglicher Schwarzmalerei. Das Bemühen um Objektivität ist an der Gewichtung und Einordnung der Quellen zu erkennen. Voigt verknüpfte isolierte Aussagen und versuchte, ein Muster zu fin-
288 Bericht über meine Reiseeindrücke in der Türkei, 5.–13. Februar 1916, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13196. 289 Deutlich milder war Erzbergers Urteil nach dem Krieg. 1920 konstatierte er eine große Entlastung Deutschlands durch den Kriegeintritt der Türkei. Erzberger, Mathias: Erlebnisse im Weltkrieg. Stuttgart, 1920, S. 56. 290 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 6. April 1918, PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13200. 291 „Es ist für den europäischen Beobachter sehr schwierig, sich im Laufe einer Informationsreise von der Türkei ein klares Bild zu verschaffen. Besonders wenn die Reisedauer so kurz bemessen ist wie in diesem Fall, wo dem Schreiber des Berichtes bloß 7 Wochen zur Verfügung standen, ist der Beobachter fast ausschließlich auf die Erzählungen dritter angewiesen: in diesem Fall der hier tätigen Deutschen und der Bewohner von Pera.“ Ebenda. 292 Siehe dazu etwa den Bericht des Dragoman-Aspiranten Dr. Voigt an die Deutsche Botschaft in Konstantinopel, 20. Juni 1918, PAAA, Großes Hauptquartier, Akten des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, R 22347. 293 Der Vorname ist unbekannt.
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den.294 Er ordnete dabei Aussagen Quellen direkt zu, um so ihren Wahrheitsgehalt gewichten zu können.295 Voigts Bericht unterscheidet sich daher qualitativ deutlich von den meisten Konsular- und Botschaftsberichten sowie den Schilderungen von Reiseerlebnissen der Reichstagsabgeordneten. Das mag auch daran gelegen haben, daß er als Dragoman Arabisch und Türkisch sprach. Sehr begierig wurden seine ganz offensichtlich fundierten Aussagen in Deutschland aufgenommen. Das Auswärtige Amt brachte den Bericht zur Kenntnis des Chefs des Generalstabs, der ihn wiederum an die Abteilung III.b. weiterleitete296 – eine Ehre, die alltäglichen Botschafts- und Konsularberichten zur Lage im Osmanischen Reich selten widerfuhr. Noch erheblich schwieriger als die innere Lage des Osmanischen Reiches war für die deutschen Stellen der britische Gegner im Nahen Osten einzuschätzen. Eine Zentralisierung der deutschen Aufklärung gegen Großbritannien im Orient gab es zu keinem Zeitpunkt. Es ist sogar fraglich, ob man überhaupt von einem funktionierenden Nachrichtendienst ausgehen kann. Vielmehr erscheint es nach Auswertung der Quellen erheblich plausibler, von Versuchen zur Schaffung verschiedener Nachrichtendienste zu sprechen. All diese Versuche resultierten aus der Notwendigkeit, die Gebiete zukünftiger offensiver Operationen, zum Beispiel Ägypten, zu erkunden oder Gefahrenpotentiale in den halb autonomen, von den Türken nicht mehr effektiv zu kontrollierenden Gebieten des Osmanischen Reiches auszumachen. Das betraf vor allem die arabischen Stämme der Arabischen Halbinsel. Der Plan einer Expedition gegen den Suez-Kanal, der unmittelbar nach dem Kriegeintritt der Türkei verwirklicht werden sollte, machte es erforderlich, die militärischen Gegebenheiten in der Kanalzone zu kennen.297 Da darüber hinaus die Planungen für die militärische Operation der Türken gegen den Kanal mit einem Aufstand im Land verknüpft waren, war ein politischer Nachrichtendienst unabdingbar. Nichts davon existierte allerdings Ende 1914. Informationen kamen, wie oben erwähnt, vor allem von aus Ägypten ausgewiesenen Deutschen. Ende September 1914 erhielt Curt Prüfer den Auftrag, einen strukturierten Dienst aufzubauen.298 Basis dafür sollte die syrisch-ägyptische Grenzregion sein, durch welche die türkische Armee gegen den Suez-Kanal marschierte. Prüfers genaues Vorgehen, seine Kontakte, die Art der Nachrichtenübermittlung und der Einsatz finanzieller 294 Er glaubte so etwa an eine geheime Nachrichtenübermittlung zwischen den arabischen Notablen Syriens und dem aufständischen Scherifen von Mekka. 295 Voigt berichtete über Konflikte zwischen den Briten und dem Scherifen von Mekka über den Besitz von Damaskus nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches. Er maß dem wenig Bedeutung bei, denn die Quelle seien bloße Gerüchte aus Beirut. Diese Konflikte hatte es allerdings tatsächlich gegeben. 296 Randnotizen, ebenda. 297 Zu den Plänen bezüglich Ägyptens siehe oben das Kapitel zu verdeckten Operationen, insbesondere S. 49–58. Beschrieben ist dort, auf welcher Informations-Grundlage die deutschen Planer ihre Aktionen entwarfen. 298 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 21. September 1914, PAAA, Ägypten 3, Die ägyptische Frage, R 15044.
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Mittel bleiben dabei allerdings in den Quellen sehr schemenhaft. Seine Berichte nach Berlin geben nur wenige Hinweise darauf. Zu Beginn seiner Tätigkeit in der Grenzregion dürfte Prüfer ausgedehnte Reisen unternommen haben,299 die ihn auch in Kontakt mit den Stämmen der Arabischen Halbinsel brachten.300 Es gelang Prüfer in dieser Zeit offensichtlich auch, gelegentlich Agenten nach Ägypten einzuschleusen. So erhielt er nach dem türkischen Angriff auf den Kanal Nachrichten über dessen Resultate von der anderen Seite der Front, die ihm nach eigenen Angaben zwei seiner Agenten überbrachten.301 In dem gleichen Schreiben beklagte Prüfer die Moral angeblicher ägyptischer Nationalisten, die „ziemlich häufig“302 zum Feind übergelaufen seien und die man nicht „in unserem Sinne Ehrenmänner und Patrioten“303 nennen könne. Als Ursache der Schwierigkeiten mit den Ägyptern sah Prüfer die Tätigkeit britischer Agenten, die durch Bestechung zum Überlaufen animieren würden.304 Für Prüfer gab es für dieses Problem nur eine einzige Lösung: Deutschland müsse den gleichen oder einen größeren finanziellen Aufwand betreiben, um bei der Bestechung Einheimischer mithalten zu können. Um das deutsche Maximalziel zu erreichen, das in einem Aufstand in Ägypten bestand, sei die Mithilfe dieser Leute nun einmal notwendig.305 Diese Passage ist von einem nicht identifizierten Bearbeiter in Berlin mehrfach dick mit Rotstift angestrichen worden. In den wenigen Zeilen deutet sich bereits an, was bei der weiteren Betrachtung der Vorgänge im Orient bis 1918 immer deutlicher werden wird: Kategorien wie na299 „Ich habe im ganzen Land, das ich nach allen Richtungen hin bereist habe, Verbindungen angeknüpft, die weit über die Grenzen des Landes hinausreichen.“ PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21125. 300 Ebenda. 301 „Zwei unserer aus Ägypten zurückgekehrten Agenten berichten folgendes: Eine aufständische Bewegung hat nirgends stattgefunden. [...] Die hierher über Konstantinopel gemeldeten Grausamkeiten sind erfunden. Im Gegenteil behandeln die Engländer die muhammedanischen Eingeborenen höflicher und vorsichtiger als je zuvor [...] Mein Gewährsmann war einen Tag nach dem Gefecht vom 2. zum 3. Februar in Port Said und hat dort zahlreiche Verwundete gesehen. Er schätzt ihre Zahl auf mehrere hundert. [...] Die Engländer bezeichnen ihre Verluste in der Schlacht am Kanal als gering.“ Prüfer an Nachrichtenstelle für den Orient, 24. Februar 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21131. 302 Ebenda. 303 Ebenda. 304 „Diese Leute [...] [die überlaufenden Ägypter] sind nach meinen bitteren praktischen Erfahrungen viel zu wenig widerstandsfähig, als dass sie den Lockungen der mit Sovereigns gar nicht sparsam umgehenden englischen Agenten gegenüber nicht Ehre und Patriotismus im Stiche liessen.“ Ebenda. 305 „Wir können nur dann mit diesen Leuten arbeiten – und ich fürchte, wir werden sie wenigstens als Nachrichtenübermittler und Spione nicht entbehren können – wenn wir sie kaufen, wie es die Engländer tun. Dazu aber gehören reichlich Geldmittel, die in richtiger Form zur Verteilung kommen. Ein Spion, ein Mann, der sein Leben aufs Spiel setzt, gibt nicht gern Quittungen über den Akt, der ihn vielleicht an den Galgen bringt.“ Ebenda.
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tionale Bindungen, religiöse Überzeugungen oder auch nur einfaches Unabhängigkeitsstreben spielten hier eine durchaus untergeordnete Rolle. Letztlich entschieden die pekuniären Vorteile und die möglichen Belohnungen nach dem Krieg darüber, welche Seite von der Mehrheit der Araber unterstützt wurde. Der Wettkampf der Geheimdienste der Mittelmächte und Englands im Orient bestand daher in erheblichem Maße darin, möglichst große Summen Goldes möglichst wirksam für die eigenen Ziele zu verteilen. Trotz aller Bemühungen schätzte Curt Prüfer selbst die Erfolge seines Nachrichtendienstes während des ersten Angriffs auf den Suez-Kanal als dürftig ein. Die britische Aufklärung aus der Luft habe seiner Meinung nach dem Gegner erheblich wertvollere Erkenntnisse geliefert als seine eigenen Agenten.306 Trotzdem wurde Prüfers Arbeit von den militärischen Stellen vor Ort offenbar geschätzt. Der Befehlshaber des Kanal-Unternehmens, Oberstleutnant von Kreß, bat etwa dringend, Prüfer auch nach dem Scheitern des Unternehmens in seinem Stab zu belassen: „Er ist mir unentbehrlich als Leiter des Nachrichtendienstes und als Dolmetscher.“307 Parallel zu Prüfers Bemühungen um aussagekräftige Informationen aus Ägypten wurden auch andere deutsche Stellen im Ausland aktiv. Das Auswärtige Amt hatte in offenbarer Verzweiflung über den Informationsmangel aus Ägypten einen Runderlaß an die Botschaften und Konsulate ausgegeben, in dem dringend um die Meldung aller Informationen vom Nil gebeten wurde.308 Die Berliner Diplomaten zeigten sich darin sowohl an politischen als auch an militärischen Nachrichten interessiert. Der Aufruf, der keinerlei konkrete Handlungsanweisungen enthielt, inspirierte den deutschen Generalkonsul in Neapel zu einer – weder mit dem Auswärtigen Amt noch dem militärischen Nachrichtendienst koordinierten – Aktion auf eigene Faust. Nach 306 „Unsere Aufklärung durch Spione und Agenten war trotz alles Aufwandes an Mühe und Geld unzulänglich. Unsere Spione waren als Araber feige und als Zivilisten meist unzuverlässig in ihren Meldungen, da sie die militärische Situation nicht richtig zu übersehen vermochten.“ Curt Prüfer an Deutschen Botschafter in Konstantinopel, Bericht über die Kana-Expedition, 9. Februar 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21129. Der deutsche Botschafter leitete den Prüfer-Bericht umgehend weiter nach Berlin. 307 Kreß an Liman, 27. Februar 1915, zitiert im Anschreiben des Deutschen Botschafters an das Auswärtige Amt zum Bericht Prüfers über den Angriff auf den Suez-Kanal, 1. März 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21129. 308 Der Erlaß selbst ist nur indirekt als Zitat in der Reaktion des Generalkonsulates in Neapel auf ihn erhalten. Das Auswärtige Amt zeigt sich darin besonders interessiert an „fortlaufenden Nachrichten über die Entwicklung der ägyptischen Verhältnisse [...] insbesondere über Stimmung und Bewegung der Eingebornen, eventuelle Putsche, englische Gegenmaßregeln, wichtige Veränderungen in der englischen Verwaltung. Die Anzahl und Verteilung der englischen Truppen in Egypten, anderweite kriegerische Maßregeln, Entsendung indischer oder anderer Truppen aus oder über Egypten nach Frankreich, militärische Veränderungen und die kriegerische Entwicklung.“ Deutsches Generalkonsulat Neapel an Außwärtiges Amt, 27. Dezember 1914, PAAA, Ägypten 3 secr., Die ägyptische Frage, R 15060.
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seiner Aussage gelang es dem deutschen Diplomaten, „einen intelligenten Direktor einer italienischen Versicherungsgesellschaft in geheimer Mission nach Egypten [zu senden], der sich dort vom 2. bis 19. Dezember aufgehalten und Beziehungen angeknüpft hat, die uns hoffentlich dauernd Nachrichten schaffen werden“.309 Für die Reise zahlte das Konsulat seinem „Agenten X“310 50 Lire Tagegeld, während der Überfahrt 25 Lire, und die Reisespesen. Der Mann rechnete nach seiner Reise beim Konsulat schließlich insgesamt 1635 Lire ab, die der Konsul anstandslos aus der Kasse beglich. Agent X lieferte dem Konsul im Gegenzug eine Einschätzung der Situation in Ägypten, die sich auffallend mit der bereits oben beschriebenen, von den Deutschen angenommen Stimmung deckte: „Die Stimmung [...] sei zu vergleichen mit unter der Asche glimmendem Feuer, es würde verlöschen, wenn die Türken nicht kämen, würde aber bei einem Einmarsch türkischer Truppen in Egypten zu heißer Flamme aufflackern.“311 Darüber hinaus lieferte Agent X Angaben über die Zahl der britischen Truppen, ihre Besoldung und den Bau einer Funkstation in der Nähe des Suezkanals. Bedeutender als diese Informationen erschienen dem Generalkonsul allerdings weitergehende Kontakte, die sein Emissär in Kairo mit Einheimischen geknüpft hatte. Es handelte sich dabei um drei Mitglieder der ägyptischen Intelligenz.312 Von diesen Personen erhoffte sich der Deutsche in Zukunft ausführliche Informationen per Post nach Italien. Zu diesem Zweck sollte ein Fläschchen unsichtbare Tinte dienen, die Agent X den dreien übergab.313 Ob dieser von ihm als erfolgreich eingeschätzten Mission des Agenten X bat der Generalkonsul das Auswärtige Amt um Erlaubnis, seinem Emissär ein „monatliches kleines Honorar“314 zahlen zu dürfen. Er berichtete außerdem von einem weiteren Versuch, an Nachrichten aus Ägypten zu kommen, der allerdings fehlgeschlagen war. Das Konsulat hatte „einen anderen Herren mit 200 Lire im Monat angestellt und ihm die Karte eines Zeitungsreporters verschafft [...], damit er mir von allen italienischen Dampfern, die hier einlaufen, Nachrichten brächte.“315 Die britischen Gegenmaßnahmen verhinderten aber den Erfolg dieser Aktion: Wie der Generalkonsul weiter berichtete, waren die italienischen Mannschaften, Schiffseigner und Kapitäne in Ägypten so abgeschirmt worden, daß sie keinerlei brauchbare Informationen zu liefern vermochten.316 Ob es in der Folge zu Honorarzahlungen an den Agenten X kam, ob der Generalkonsul in Neapel wirklich weitere Informationen von seinen Kontaktleuten aus Ägypten erhielt und ob sein italienischer Agent weitere Reisen nach Ägypten unternahm, geht 309 Ebenda. 310 Ebenda. 311 Ebenda. 312 ,,Amin Azmy, Advokat, einen Muselmanen, Geraledian, Zahnarzt in der rue Madabegh 33, einen Kopten, und Nassif El Mangabadi Advokaten rue de la Gare du Caire 13, einen Araber.“ Ebenda. 313 Ebenda. 314 Ebenda. 315 Ebenda. 316 Ebenda.
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aus den erhaltenen Unterlagen nicht hervor. Aufschlußreich ist aber der auf dem als geheim gekennzeichneten Bericht des Generalkonsuls handschriftlich vermerkte Verteiler. Aufgeführt sind dort mehrere Abteilungen des Auswärtigen Amtes, aber keine einzige militärische Stelle, wie etwa die Abteilung III.b. Offenbar wollten die zivilen Stellen diese Quelle nicht mit den Militärs teilen.317 Letztere unternahmen zumindest einen Versuch, Nachrichten aus Ägypten über ein eigenes Agentennetz zu erlangen. Anfang 1916 fragte der Generalstab beim Militärattaché in Athen an, ob ein entsprechender Nachrichtendienst via Athen eingerichtet werden könnte.318 Die Antwort erfolgte wenige Tage später und klang sehr pessimistisch:319 Die Nachrichtenübermittlung per Brief oder Telegramm aus Ägypten nach Athen sei vollkommen ausgeschlossen. Die Agenten müßten in jedem Fall immer selbst nach Athen kommen, um Bericht zu erstatten. Der deutsche Marineattaché arbeite an einem derartigen Netz, dieses funktioniere aber nicht einwandfrei.320 Nach diesem Telegramm finden sich keine Dokumente mehr, die auf einen von Athen aus geführten Nachrichtendienst in Ägypten hinweisen. Auch in diesem Falle dürften die britischen Gegenmaßnahmen solch ein Projekt unmöglich gemacht haben. Ein weiterer Versuch, einen Nachrichtendienst auf der Arabischen Halbinsel und in Ägypten aufzubauen, ist mit der Tätigkeit des Freiherrn Max von Oppenheim321 verbunden. Sein Name ist bisher vor allem in Zusammenhang mit der Nachrichtenstelle für den Orient, der deutschen Propaganda im Orient und dem Konzept der Revolutionierung bekannt geworden.322 Der Nachrichtendienst stand jedoch ebenfalls im Fokus seiner Aufmerksamkeit. Bereits Ende 1914 macht Oppenheim erste Pläne für einen durchaus zentralisierten Nachrichtendienst in der asiatischen 317 Ebenda, Deckblatt. 318 „Militärattaché Konstantinopel anregt Verbesserung Nachrichtendienstes bezüglich Aegyptens durch Agenten in Alexandria und Kairo, die dauernd Nachrichten brieflich und telegrafisch nach dort [das neutrale Griechenland] senden könnten. Bitte drahten, ob dort geeignetes Personal vorhanden, eventuell weiteres veranlassen und Nachrichten hierher und Militärattaché Konstantinopel drahten.“ Sektion Politik des Generalstabes in Berlin an Militärattaché in Athen, 7. Januar 1916, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21138. 319 Deutscher Militärattaché in Athen an Generalstab, 12. Januar 1916, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21138. 320 Ebenda. 321 1860–1946. Jurist, Amateurarchäologe. Erlangte Ruhm durch die Ausgrabungen am Tel Halaf in Syrien. Während des Krieges im Auswärtigen Amt Chef der Nachrichtenstelle für den Orient. Siehe Teichmann, Gabriele; Völger, Gisela: Faszination Orient: Max von Oppenheim, Forscher, Sammler, Diplomat. Köln, 2001. Cholidis, Nadja; Martin, Lutz: Der Tell Halaf und sein Ausgräber Max Freiherr von Oppenheim: Kopf hoch! Mut hoch! und Humor Hoch! Mainz, 2002. Schwanitz, Wolfgang G.: Max von Oppenheim und der „Heilige Krieg“. Zwei Denkschriften zur „Revolutionierung islamischer Gebiete“ 1914 und 1940. In: Sozial.Geschichte, 3/2004, S. 37f. 322 Dazu ausführlich unten, vor allem S. 187–189.
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Türkei.323 An insgesamt zehn Orten324 sollten laut seines Vorschlages entweder Deutsche oder Einheimische dauernd stationiert werden, um als Regional-Chefs eines Nachrichtendienstes tätig zu sein. Zur Ausführung dieses ambitionierten Planes kam es allerdings nie. Oppenheims Instruktionen für seine eigene Mission in die Türkei Anfang 1915 enthielten aber wiederum auch nachrichtendienstliche Aufgaben.325 Der Freiherr scheiterte auf diesem Gebiet allerdings grandios. Nicht nur gelang es ihm nicht, wie in seinem Vorschlag vom November 1914 niedergelegt, ein Netz von deutschen und einheimischen Agenten im Orient zu etablieren, er gab den deutschen Nachrichtendienst auf der arabischen Halbinsel auch noch völlig freiwillig in die Hand des Feindes. Am 5. Mai 1915 informierte der deutsche Botschafter in Konstantinopel das Auswärtige Amt in Berlin über die Ergebnisse von Gesprächen Oppenheims mit dem Scherifen von Mekka, usayn.326 Danach habe es eine Einigung zwischen Oppenheim, dem Scherifen und Enver Pascha gegeben, die dem gegenseitigen Mißtrauen endgültig ein Ende gemacht habe. Darüber hinaus habe es Absprachen über eine Zusammenarbeit mit dem Scherifen gegen die Briten gegeben. Dieser werde für die Deutschen und die Türken den gesamten Nachrichtendienst von der Arabischen Halbinsel übernehmen und außerdem pro-deutsche Propaganda in Medina und Mekka treiben. Wangenheim sprach sich in diesem Zusammenhang – wohl von Oppenheim beeinflußt – gegen die Entsendung eines deutschen Konsularvertreters zum Scherifen aus. Das könnte „leicht den Eindruck erwecken, als zweifelten wir an seiner Fähigkeit oder an seinem guten Willen“.327 Wenige Tage später berichtete Oppenheim dann selbst über sein Gespräch mit dem Sohn des Scherifen, Fays. al, in Konstantinopel.328 Oppenheim ging von der Prämisse aus, daß die bisherigen Erfahrungen deutlich gezeigt hätten, daß die Verbindung in die feindlichen Gebiete des Orients extrem schwierig war. Seine Schlußfolgerung: „Als bestes und vielleicht 323 Vorschläge wegen Besetzung der in meiner Denkschrift erwähnten neuen oder neu zu besetzenden Posten für den Nachrichtendienst, Berlin, 20. November 1914, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21126. 324 Damaskus, Ma‘ān, Dschidda, al-udaydah (Jemen), Basra, Van, Mosul, Erzerum, Bagdad, Kerbala. Ebenda. 325 „3) Versuch dauernder Kommunikation mit Egypten, dem Sudan, Abessynien, den anderen afrikanischen Gebieten unserer Feinde, sowie Persien, Afghanistan, Indien und Kaukasien. ... 9) Vermittlung von ausführlichen Nachrichten aus Syrien und den weiter gelegenen Gebieten nach Konstantinopel und Berlin.“ (Unterstreichung im Original), Aufgaben der Mission des kaiserlichen Ministerresidenten Freiherrn von Oppenheim. Berlin, 12. März 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 326 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 5. Mai 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21132. 327 Ebenda. 328 Oppenheim an Deutsche Botschaft in Konstantinopel, 15. Mai 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21133.
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einzig mögliches Mittel hierfür erschien die Inanspruchnahme des Groß-Scherifen von Mekka selbst. Ohne seine Mitwirkung dürfte eine gründliche und systematische Bearbeitung der islamischen Welt unter den gegenwärtigen Verhältnissen überhaupt nicht möglich sein.“329 Der Einfluß H. usayns sei auf seine Rolle als Herr der heiligen Stätten auf der Arabischen Halbinsel zurückzuführen. Die Anwesenheit zehntausender Pilger aus der gesamten islamischen Welt biete hervorragende Möglichkeiten sowohl für die aktive Propaganda als auch den Nachrichtendienst. Oppenheim brüstete sich in seinem Bericht mit „freundschaftlichen Beziehungen“330 zu H. usayn. Allerdings sei er bei seiner Ankunft in der Türkei überzeugt gewesen, daß der Großscherif in der Tat ein Gegner der Türkei und Freund der Briten geworden sei. Diese Annahme habe sich allerdings nach „vorsichtigen Erkundigungen“331 als falsch herausgestellt. H. usayn sei von Gegnern innerhalb des Comités Union et Progrès verleumdet worden, weil man ihm seine Position in Mekka neidete. Der Deutsche arrangierte daraufhin eine Besprechung mit H. usayns Sohn Fays.al, der sich zu diesem Zeitpunkt in Konstantinopel aufhielt. Oppenheims Beschreibung dieser Besprechung332 legt nahe, daß Fays. al ihm eine Komödie allererster Güte vorspielte und ihn nach Strich und Faden betrog. Zunächst betonte Fays.al die Loyalität seines Vaters zum Osmanischen Reich. Deutschland sei er freundlich gesinnt, weil es „keine eigenen Ziele im Hedjaz verfolgte“.333 Oppenheim sicherte das zu und ergänzte, „dass unsere Bestrebungen ausschließlich auf Stärkung der türkischen Zentralregierung, des osmanischen Reiches und der Gesamtheit der um den Sultan-Kalifen sich scharenden Mohammedaner gerichtet sei“.334 Fays.al – dem Sohn eines nur noch nominell dem Sultan untertänigen Fürsten an der Peripherie des Osmanischen Reiches, der dort schaltete und waltete, wie es ihm gefiel – dürften bei diesen Worten die Ohren geklungen haben, lief die Stärkung der osmanischen Zentralgewalt doch auf die gleichzeitige Schwächung der Autonomie seines Hauses hinaus. Trotzdem spielte Fays.al seine Rolle weiter: Er eröffnete Oppenheim, daß es seinem Vater schon immer ein ganz besonderes Bedürfnis gewesen sei, für Deutschland Propaganda und Spionage zu betreiben.335 Konkret schlug Fays.al Oppenheim als Zielgebiete den ägyptischen Sudan, Somalia und Indien vor. Ausgangspunkt werde Mekka sein. Oppenheim biß an, und so legte Fays.al nun sogar Bedingungen auf den Tisch. Die Aktionen sollten ausschließlich in der Hand seines Vaters liegen. Parallelaktionen sollten vollständig unterbleiben. Oppenheim sagte das offenbar zu, denn die beiden entwickelten nun einen konkreten Plan für den scherifischen Nachrich329 Ebenda. 330 Ebenda. 331 Ebenda. 332 Ebenda. 333 Ebenda. 334 Ebenda. 335 „Sein Vater, versicherte er mir, würde mit Begeisterung bereit sein, eine solche Propaganda in die Hand zu nehmen. Er, der Gross-Scherif, habe schon seit Kriegsbeginn den dringenden Wunsch zu einer solchen gehabt.“ Ebenda.
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ten- und Propagandadienst: H. usayn sollte alle zwei Wochen Nachrichten aus dem türkischen Kriegsministerium erhalten, die er in der restlichen islamischen Welt zu verbreiten habe. Seine Agenten könne er selbst auswählen. Diese Agenten wiederum sollten alle ihnen bekanntwerdenden Informationen aus den Feindgebieten dem Scherifen mitteilen, der sie wiederum nach Konstantinopel weiterleiten werde.336 Als Fays.al am 10. Mai 1915 Konstantinopel verließ, trug er genau diese Instruktionen, unterschrieben von Enver Pascha, mit sich. Darüber hinaus 5000 türkische Pfund in Gold und die Zusicherung der Deutschen, keinen parallelen Nachrichtendienst aufzubauen.337 Oppenheim feierte sich in seinem Bericht selbst ausgiebig und betrachtete das Araber-Problem als abgeschlossen.338 Fays.al und sein Vater hatten dagegen nun Ruhe vor deutschen Agenten, die ihre Pläne möglicherweise hätten stören können. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen zwischen Oppenheim und Fays.al hatte usayn nämlich bereits intensive Kontakte zu den Engländern geknüpft und die gegenseitige Annäherung, die schließlich zum Ausbruch des arabischen Aufstandes führte, beschleunigte sich rapide.339 Diese Entwicklung geschah von nun an, ohne daß die Deutschen etwas davon mitbekamen. Das plötzliche Vertrauen in Fays.al und seinen Vater ist überraschend, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte usayn als extrem unzuverlässiger England-Freund gegolten.340 Darüber, warum Oppenheim sich so blenden ließ, kann nur spekuliert werden. Vielleicht aber war seine Persönlichkeitsstruktur der Auslöser: Oppenheim tritt uns in den Quellen als selbstbewußter, stellenweise überheblicher Mann entgegen, der sich auf seine Arbeit und seine Erfolge sehr viel zugute hielt. Möglicherweise hatte die Aussicht auf einen spektakulären Erfolg und die damit verbundene Anerkennung das eigentlich angebrachte Mißtrauen Oppenheims bei den Verhandlungen ausgeschaltet. Rund ein Jahr nach Oppenheims „Erfolg“ erwachten die Deutschen unsanft aus ihren Träumen. Ohne daß es zuvor Warnungen gegeben hätte, meldete der Konsul in Damaskus am 16. Juni 1916 plötzlich den Ausbruch der arabischen Revolte nach Berlin.341 Die Ursache war auch ihm, der er doch am nächsten am Herd des Auf-
336 Ebenda. 337 Ebenda. 338 „Nachdem dieserart der drohende Riss zwischen der Zentralregierung und dem Gross-Scherifen abgewendet war und infolge der Bereitwilligkeitserklärung Fessals zu jeder Aktion und der Annahme dieser Hülfe durch Enver Pascha und die anderen türkischen Machthaber die Basis zu einer wirklich aussichtsreichen, grosszügigen islamischen Propaganda in das Gebiet unserer Feinde gelegt worden ist, betrachte ich meine Arbeit in der Angelegenheit des Scherifen als abgeschlossen.“ Ebenda. 339 Siehe Wilson: Lawrence, S. 157–160. 340 Siehe auch Prüfers Brief vom 3. November 1914 an Oppenheim. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21125. Darin bezeichnet Prüfer usayn als „englisch durch und durch“. 341 „Am 6. Juni griffen Hedjasbeduinen unter Emir Feisal Eisenbahnlinie am Gebirgseinschnitt Hadschara nördlich Medina an und zerstörten Telegraphenlinie.“ Deutscher Konsul in Damaskus
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standes arbeitete, zunächst völlig unklar.342 Erst sein erster ausführlicher Bericht zu den Vorgängen im Hedschas vom August 1915 bestätigte schließlich, daß usayn in der Tat inzwischen mit den Engländern gemeinsame Sache gemacht hatte343. Doch noch zwei Jahre später, im August 1918, hielten sich auf deutscher Seite hartnäckige Illusionen über die Haltung des Großscherifen und seiner Söhne. Davon zeugt ein Telegramm General Ludendorffs an das Auswärtige Amt vom 22. August 1918.344 Der General forderte darin das Amt auf, Schritte zu unternehmen, die zu einer Versöhnung usayns mit den Türken führen müßten. Grund war die Furcht Ludendorffs, die türkische Gaza-Front könne einem dritten britischen Angriff nicht mehr widerstehen, und die aufständischen Araber könnten die Türken und die mit ihnen verbündeten Deutschen gleichzeitig im Rücken fassen.345 Die Antwort des Auswärtigen Amtes am folgenden Tag enthielt die Vollzugsmeldung, man habe die Bitte Ludendorffs an den Botschafter weitergeleitet.346 Ein Erfolg sei allerdings mehr als zweifelhaft, da die Türken nicht gewillt seien, den Arabern irgendwelche Zugeständnisse zu machen.347 Darüber hinaus enthielt die Nachricht an Ludendorff eine Information, die illustriert, wie schlecht die Deutschen zu diesem Zeitpunkt über die Verhältnisse jenseits der Gaza-Front informiert waren – das Telegramm berichtet vom Tod des Großscherifen, der in Wahrheit erst 1931 starb. Im Sommer 1915, nach seinen Verhandlungen mit Fays.al, wandte sich Oppenheim einer weiteren Region zu, in der der deutsche Nachrichtendienst bisher keinen Fuß auf den Boden bekommen hatte – Ägypten. Oppenheim beklagte in einem Schreiben an den deutschen Reichskanzler Bethmann Hollweg zunächst das Scheitern sämtlicher deutscher Versuche, einen Nachrichtendienst in Ägypten zu installieren, bevor er sein eigenes Projekt vorstellte.348 Grundlage sei ein mündliches Abkommen mit dem in Europa befindlichen Ex-Khediven. Dieser habe einen Beauftragten nach Konstantinopel geschickt, mit dem Oppenheim nun den Aufbau eines an Auswärtiges Amt, 9. Juni 1916, PAAA, Großes Hauptquartier, Akten des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, R 22344. 342 „Ich weiß noch nicht, ob türkische Regierung Konflikt mit dem Großscherifen hervorgerufen, um während des Krieges außer Syrien auch den Hedjas endgültig zu erobern oder ob Großscherif auf Anstiften Englands offenen Kampf gegen die Türkei begonnen hat.“ Ebenda. 343 Deutsches Konsulat in Damaskus an Auswärtiges Amt, 6. August 1916, PAAA, Großes Hauptquartier, Akten des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, R 22344. Der Bericht enthält auch eine Zusammenfassung der Propaganda der Scherifen. Als eine Art Ohrfeige für Oppenheim dürfte dabei der Passus zu lesen sein, in dem usayn die Türken beschuldigt, den Hedschas den Deutschen ausliefern zu wollen. Sein Sohn Fays. al hatte ja im Gespräch mit Oppenheim gerade das Fehlen jeglicher deutschen Ambitionen auf den Hedschas gelobt. 344 Ludendorff an Auswärtiges Amt, 22. August 1918, BA, Reichskanzlei, R 43/2458i. 345 Ebenda. 346 Auswärtiges Amt an Ludendorff, 24. August 1918, BA, Reichskanzlei, R 43/24581i. 347 „Großwesir sagt, Faisal verlangt zu viel. Er beanspruche eine Stellung wie Bayern im Deutschen Reich, was türkische Regierung nicht gewähren könne.“ Ebenda. 348 Oppenheim aus Konstantinopel an Bethmann-Hollweg, 4. Juni 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21134.
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Nachrichtendienstes in Ägypten beginnen könne.349 Zentren des Dienstes sollten Wien (zu diesem Zeitpunkt hielt sich der Ex-Khedive dort auf ) und Konstantinopel sein. Diese Zentren sollten untereinander durch Kuriere der deutschen Botschaft kommunizieren. Ein „Vertrauensmann“350 in Alexandria sollte die Nachrichten aus Ägypten sammeln und „durch die Post oder Sonderboten unter Zuhülfenahme von Deckadressen in Alexandrien, Griechenland und der Schweiz, synthetischer Tinte und eines Codes“351 nach Wien und Konstantinopel senden. Die Finanzierung wollte angeblich der Ex-Khedive übernehmen. Es erübrigt sich fast zu sagen, daß dieser Plan Oppenheims niemals umgesetzt wurde. Der Ex-Khedive zog bald darauf in die Schweiz um und versuchte dort immer öfter, sich mit der britischen Regierung zu einigen. Darüber hinaus wäre er ständig in Geldnot gewesen, daher also gar nicht in der Lage gewesen, einen solchen Nachrichtendienst zu finanzieren. Die Situation der Deutschen blieb wie sie war – einen strukturierten Nachrichtendienst in Ägypten gab es nicht, Informationen flossen zufällig und unregelmäßig. Ihre Zuverlässigkeit war darüber hinaus äußerst schwer einzuschätzen. Neben dem dezentralen, unstrukturierten Vorgehen der Deutschen bei der Informationsgewinnung im Orient fällt ein weiteres Phänomen ins Auge: Es gab unter den verbündeten Mächten, also Deutschland, Österreich-Ungarn und der Türkei, so gut wie keinen Austausch auf dem Feld des offensiven Nachrichtendienstes. Seitens der k.u.k. Monarchie ist das auf Rivalität der beiden europäischen Mächte zurückzuführen, die für Österreich-Ungarn die deutsche Tätigkeit in der Türkei sogar selbst zum Objekt intensiver Beobachtung werden ließ. Die Türkei dagegen vermied es während des Krieges auffällig, Ergebnisse ihrer Nachrichtendienste mit Deutschland zu teilen. In den Archiven ist nicht ein einziger Fall zu finden, bei dem das geschehen wäre. Dabei verfügte das Osmanische Reich laut Nicolai während des Ersten Weltkrieges durchaus über einen leistungsfähigen politischen Nachrichtendienst.352 Nach Nicolai brachten die Türken ähnliche Zurückhaltung auch dem österreichisch-un349 „Ich hoffe, dass es trotz der weiteren grossen Erschwerungen gelingen wird, nunmehr direkte Fühlung mit dem Executiv-Komité der egyptischen National-Partei zu treten und dauernde Nachrichten-Verbindung mit den dem Khediven treuen Elementen in Egypten zu erhalten.“ Ebenda. 350 Ebenda. 351 Ebenda. 352 „Ein sehr ausgedehnter und geschickt geleiteter politischer Nachrichtendienst erstreckte sich unter militärischer Leitung weit nach Zentralasien hinein. Er wurde aber als eine eigene türkische Angelegenheit behandelt und seine Ziele und Ergebnisse wurden vor dem deutschen Nachrichtendienst geheim gehalten.“ Nicolai: Mächte, S. 94. Siehe auch Goltz, Rüdiger Freiher von der: Die Spionage in der Türkei. In: Lettow-Vorbeck: Weltkriegsspionage, S. 501–507. Auch der deutsche Chef der Kanal-Expedition Freiherr von Kreß wußte um diesen türkischen Nachrichtendienst, allerdings ohne Details zu kennen: „Die hiesigen türkischen Behörden haben bessere Verbindungen nach Egypten [...] und sind trotz der strengen Ueberwachung auch im Stande, die Verbindung mit Egypten aufrecht zu erhalten [...]“ Kreß an Liman von Sanders, 25. Oktober 1914, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21125.
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garischen Nachrichtendienst entgegen.353 Das gilt auch für den türkischen Inlandsgeheimdienst, in dessen Arbeit die Deutschen keinerlei Einblicke hatten. Sicher war nur, daß er in der Bevölkerung extrem gefürchtet war.354 Auch die Deutschen vermieden es auf der anderen Seite peinlichst, Informationen, die sie über die türkische Innenpolitik und über Personen des öffentlichen Lebens gewonnen hatten, den Türken mitzuteilen – obwohl es entsprechende Ideen auf deutscher Seite gab. Im Dezember 1915 bereiste Curt Prüfer Syrien, um „festzustellen, ob die innere politische Lage, vor allem die türkenfeindliche Stimmung der Araber, die Schaffung eines von den Zivilbehörden getrennten militärisch-politischen Sicherheitsdienstes notwendig mache“355. Prüfer riet zwar letztlich davon ab, er machte aber wohl in einem verloren gegangenen weiteren Schreiben dem Botschafter den Vorschlag, Listen mit Namen Verdächtiger den Türken zu übergeben. Die Reaktion des Botschafters ist allerdings erhalten: Er verbot Prüfer dieses Vorgehen aus Angst vor deutscher Verwicklung in türkische Repressionsmaßnahmen gegen die arabische Bevölkerung Syriens.356 Kaum etwas wissen wir über den rein militärischen Nachrichtendienst an den Fronten in der Türkei. Hier sind keine deutschen Unterlagen erhalten, und die türkischen sind, sollten sie denn vorhanden sein, nicht zugänglich. Wir können allerdings mit Sicherheit annehmen, daß es hier eine Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Türken gegeben haben muß. Das erklärt sich schon allein aus der Tatsache, daß an den meisten Fronten deutsche Offiziere in höchsten Positionen das Kommando führten. Von der Goltz spricht über die Leistungen des türkischen militärischen Nachrichtendienstes in einem nach dem Krieg erschienen Aufsatz über die Spionage in der Türkei.357 Auch Nicolai erwähnt in seinen Erinnerungen eine Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem türkischen militärischen Nachrichtendienst.358 Ganz besonders hebt er die Leistungen bei der Spionageabwehr 353 ,,Seinem [Österreich-Ungarns] Nachrichtendienst brachte man Zurückhaltung entgegen, weil er sich vor dem Kriege in der Türkei betätigt hatte, vor allem um geschäftlichen Einfluß zu gewinnen, wovon man auch während des Krieges nicht abließ.“ Ebenda. 354 Siehe Goltz: Türkei, S. 502. 355 Prüfer an deutschen Botschafter in Konstantinopel, 10. Dezember 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 356 „Bei geringster Indiskretion könnte Bevölkerung Vorwurf erheben, daß wir rigorose Maßnahmen wie Vertreibung veranlaßt.“ Deutscher Botschafter an Curt Prüfer, 23. Dezember 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. Hervorhebung im Original. 357 „Auch türkische Agenten haben während der Dardanellen-Kämpfe gut gearbeitet, Marschall Liman von Sanders war meist gut über Stärke und Maßnahmen seiner Gegner unterrichtet. So erfuhr er die bevorstehende Landung der Engländer und Franzosen bei Kum-Kaleh und Sed-ulBahr mit genauer Angabe von Einzelheiten durch eine Agentennachricht aus Saloniki.“ Goltz: Türkei, S. 505. 358 „Für den deutschen Nachrichtendienst war es nicht leicht, sich in die türkischen Verhältnisse einzufügen, weil er mit ihnen nicht vertraut war. Indem leitende Offiziere des türkischen Nachrichtendienstes den deutschen kennen lernten und deutsche Offiziere nach der Türkei entsandt wurden, gelang es aber doch, eine leidliche Übereinstimmung herbeizuführen.“ Nicolai: Mächte, S. 93.
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hervor.359 Über die anglo-französischen Vorbereitungen zum Angriff auf die Dardanellen scheinen Deutsche und Türken schon seit März 1915 durch türkische Quellen regelmäßig informiert worden zu sein.360 Auch die Vorbereitung der handstreichartigen Eroberung einer Insel vor der Hafeneinfahrt nach Smyrna durch die Türken im Juni 1916 wurde nachrichtendienstlich effektiv abgeschirmt. Trotz der für die Türken schwierigen Situation in Smyrna – die Stadt war größtenteils von Griechen bewohnt – bekamen die Engländer keine Informationen über die von deutschen und österreichischen Offizieren geplante und umgesetzte Aktion.361 Auf dem Feld der Spionageabwehr362 gibt es zumindest Hinweise auf einen Informationsaustausch zwischen den Verbündeten, der sich allerdings auf die wirklich wichtigen Fälle beschränkt haben dürfte. Illustriert wird das durch den Fall eines jüdischen Spionage-Netzwerkes, das die Türken im Herbst 1917 in Palästina sprengten.363 Die Deutschen erhielten in diesem Fall zwar die meisten Informationen, waren aber selbst weder an der Aufdeckung noch maßgeblich an der Aufarbeitung des Spionagefalls beteiligt. Ende September 1917 hatten die Türken zwei britische Agenten aufgegriffen, die von einem Boot an der Küste abgesetzt worden waren. Nach den Verhören verhaftete die türkische Abwehr rund 25 Personen in Haifa und Nazareth. Diese wiederum gestanden, Teil eines Spionagenetzwerkes zu sein, das im ganzen Land aktiv sei. Bereits Wochen zuvor hatten die Türken eine Brieftaube mit einer in Code verfaßten Nachricht an der Küste gefunden. Bei Durchsuchungen in der zionistischen Kolonie Samarin in der Nähe des Ortes Atlit, die aufgrund der Geständnisse der gefaßten Agenten vorgenommen wurden, fanden die Türken nun den Schlüssel zu dem Code sowie einen „reichen Schriftwechsel in der Geheimschrift der Brieftaube“.364 Bei der Durchsuchung schoß sich eine amerikanische Jüdin in den Mund, die Türken verhafteten rund 60 weitere Juden in ganz Palästina, darunter auch die mutmaßlichen Rädelsführer.365 Zu diesem Zeitpunkt hielten die Türken den Vorfall noch vor den Deutschen geheim. Der Botschafter in Konstantinopel beklagte in seinem Bericht weiterhin ausdrücklich die Schwierigkeiten, an Infor359 Ebenda. 360 Siehe Liman von Sanders: Türkei, S. 76 und S. 104. 361 Ebenda, S. 151 bis 153. 362 Für die britische militärische Aufklärung in Plästina und Syrien vgl. Sheffy, Yigal: British Military Intelligence in the Palastine campaign 1914–1918. London, 1998. Für den britischen Militärgeheimdienst in Mesopotamien Morris, Peter: Intelligence and its interpretation: Mesopotamia 1914–1916. In: Andrew, Christopher; Noakes, Jeremy (Hrsg.): Intelligence and international relations. Exeter, 1987, S. 77–101. Die Britische Militärische Aufklärung soll hier nicht weiter thematisiert werden. 363 Das folgende nach Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 30. Oktober 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. 364 Ebenda. 365 „Leon Haitschabatay, Geschäftführer der Gesellschaft Ika, Farradji Effendi, Agronom des Sandschaks von Akka; der amerikanische Bibliothekar Luftschitz aus Haifa, der österreichische Untertan Jakob Grün aus Haifa und eine Anzahl Frauen“ Ebenda.
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mationen zu kommen.366 In den folgenden Tagen meldete Bernstorff immer wieder Verhaftungen angeblicher jüdischer Spione nach Berlin.367 Noch am gleichen Tag besprach er sich in Konstantinopel mit Talat Pascha. Der sicherte ihm zu, daß es zu keinen antijüdischen Pogromen in Palästina kommen werde und versprach, den Chef der inzwischen in der Türkei tätigen deutschen Heeresgruppe Jilderim, General Falkenhayn,368 an der Untersuchung zu beteiligen.369 Der General hatte aber offenbar in den ersten Tagen keine Gelegenheit, sich der Sache anzunehmen370 und reagierte erst am 9. November mit einem Telegramm, in dem er von einem ernsten Spionagefall sprach, gleichzeitig die Juden aber in Schutz nahm.371 In der Zukunft beschäftigte sich Falkenhayn persönlich offenbar nicht mehr mit der Sache, mehrfach aber wird der namentlich nicht bekannte Nachrichtenoffizier der Heeresgruppe Jilderim im weiteren Fortgang der Geschehnisse erwähnt, wenn auch niemals als handelnde Person, sondern nur als eine Stelle, die Informationen erhielt.372 Die Spionage-Prozesse schließlich begannen im November 1917 in Damaskus373 vor einem ausschließlich türkisch besetzten Militärgericht. In einem ersten Prozeß gegen die Helfer der beiden von einem Schiff abgesetzten Agenten verhängte das Gericht zwei 366 Ebenda. 367 Deutscher Botschafter Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 31. Oktober 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. Deutscher Botschafter Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 6. November 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. Deutscher Botschafter Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 30. Oktober 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. 368 Zu Erich von Falkenhayns Tätigkeit in der Türkei nach seiner Verabschiedung als Chef der deutschen Obersten Heeresleitung vergl. Afflerbach, Holger: Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich. München, 1996, S. 472–485. 369 Deutscher Botschafter Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 30. Oktober 1917, 12.30 Uhr, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. 370 „General von Falkenhayn ist verständigt, doch ist wohl jetzt wenig Aussicht auf Klärung, da augenblicklich Großkampftag an Gazafront.“ Deutscher Botschafter Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 3. November 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. 371 „Einheimische Behörden durch jüdische Spionagefälle freilich stark, aber auch mit Recht erregt. Folge waren üble Vorgänge im Bezirk Jaffa [...]. Ich halte jüdisches Vorgehen für Taten einer ganz kleinen extremen Partei. Masse Judentume hat nichts damit zu tun.“ Falkenhayn an deutsche Botschaft in Konstantinopel, 9. November 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14140. 372 Deutsches Konsulat Damaskus an Deutsche Botschaft Konstantinopel, 21. Dezember 1917, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14142 und Deutsches Konsulat Damaskus an Deutsche Botschaft Konstantinopel, 7. Januar 1918, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14142. Afflerbach betrachtet Falkenhayn als entscheidend für die Verhinderunge eines großen Progroms gegen die jüdische Bevölkerung Palästinas. Afflerbach: Falkenhayn, S. 483–485. Es scheint allerdings zweifelhaft, ob Falkenhayn – selbst in seiner Stellung – von türkischen Regierungsstellen gewollte Massaker hätte verhindern können. Offenbar waren Exzesse wie gegen die Armenier niemals geplant gewesen. 373 Ausführlicher Bericht des deutschen Konsuls in Damaskus an die deutsche Botschaft in Konstantinopel, 22. November 1917, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14142.
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Todesstrafen, die am 17. November 1917 vollstreckt wurde, zwei andere bekamen zwei Jahre Haft.374 Der zweite Prozeß richtete sich gegen die Spitzen des jüdischen Spionagenetzwerks in Palästina. Die Urteile fielen am 22. Dezember375 und waren – wie in der Türkei bei Spionagefällen üblich – hart. Daß die türkische Abwehr in diesem Fall gute Arbeit geleistet hatte, ist der jüngeren Forschung zu entnehmen. Tatsächlich existierte in Palästina ein von den Briten organisiertes Spionagenetz, das von jüdischen Einwanderern getragen wurde – mit dem Zentrum in Atlit.376
2.3 Den deutschen Waffenbruder fest im Visier: ÖsterreichUngarns Nachrichtendienst im Nahen und Mittleren Osten Der österreichisch-ungarische Nachrichtendienst hatte bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges eine weitgehende Zentralisierung erfahren. Das Evidenzbüro des Generalstabes der Armee sammelte dabei alle Nachrichten von militärischer Bedeutung. In maritimer Hinsicht nahm diese Aufgabe seit 1902 das Evidenzbüro der Marine mit Sitz im Adriahafen Pola377 wahr. Dieses war auch für die Türkei und den Nahen Osten zuständig. Während des Krieges verbreiterte sich das Aufgabenspektrum dieser Organisationen über das rein Militärische hinaus. Im wesentlichen sammelten und bewerteten sie bis zum Jahre 1918 alle wichtigen militärischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Informationen, die für die Kriegsführung der Monarchie wichtig erschienen. Diese starke Zentralisierung ist die Ursache für die schwierige Quellenlage, wenn es um den k.u.k. Nachrichtendienst geht. Die Unterlagen des Marineevidenzbüros wurden vernichtet, nachdem Pola nach Kriegsende in die Hände der Italiener gefallen war. Der Chef des Evidenzbüros des Generalstabes, Generalmajor Max Ronge, leitete Ende Oktober 1918 eine Vernichtungsaktion, bei der fast der gesamte Aktenbestand des Büros verbrannt wurde.378 Aus diesen Gründen finden sich in den Archiven der alten Monarchie heute bestenfalls vereinzelte Stücke aus der Korrespondenz der beiden Büros mit anderen Zentralstellen. Eine Rekonstruktion des Agentennetzes sowie der internen Routinen bei der Auswertung von Informationen ist damit 374 Ebenda. 375 ,,Joseph Luschanski und Naman Belkiu sind gestern gehängt worden. Ethan Belkiu hat lebenslängliche, 12 weitere Angeklagte haben je 1-3 jährige Freiheitsstrafen erhalten, die übrigen [...] sind frei gesprochen worden.“ Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, PAAA, Türkei 195, Die Juden in der Türkei, R 14142. 376 Siehe Andrews, Richard: Der Spion des Lawrence von Arabien. Berlin, 2004. Dieses Buch hat allerdings einen eher populärwissenschaftlichen Anspruch. Der Autor kann darüber hinaus nur schwer seine antitürkischen Gefühle verbergen. Siehe daher besser Engle, Anita: The Nili Spies. London, 1997 sowie Verrier, Anthony (Hrsg.): The Agents of Empire. Anglo-Zionist operations 1915–1919. London, 1995. 377 Heute kroatisch Pula. 378 Ronge: Spionage, S. 363.
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unmöglich. Trotzdem stehen zu diesem Thema erheblich umfangreichere Quellen zur Verfügung, als bisher angenommen, die letztlich sogar bedeutender sind als die zum deutschen Nachrichtendienst im Orient. Grund dafür ist die außergewöhnlich weitreichende Einbindung der Konsulate im Ausland in den k.u.k. Nachrichtendienst. Die Korrespondenzen dieser Einrichtungen mit den Wiener Zentralstellen sind weitgehend erhalten geblieben. Erste Ansätze zur Entwicklung dieses Nachrichtendienstes finden sich bereits im Jahr 1910. In einem vertraulichen Schreiben379 des Kriegsministeriums an den Minister des Äußeren, Alois Graf Aehrenthal, bat das Militär um weitgehende Unterstützung „der militärischen Kundschaftsstellen“380 und konkretisierte diese Bitte in acht Punkten: ,,1. Mitteilung aller militärischer Nachrichten [...] aus dem Ausland an das Reichskriegsministerium und im Falle der Dringlichkeit auch an den Chef (des Evidenzbureau) des Generalstabes. 2. Mitwirkung der k.u.k. Vertretungen (Konsulate) durch aufmerksame Verfolgung der ausländischen Presse, namentlich der Provinzblätter [...]. 3. Beantwortung der vom Chef des Generalstabes dem k.u.k. Ministerium des Äußeren fallweise übersendeten Fragebogen durch die k.u.k. Vertretungen (Konsulate). 4. Mitwirkung der k.u.k. Vertretungen (Konsulate) bezüglich Erbringung von Daten der Militärstatistik und der Landesbeschreibung durch Wahrnehmung bei Reisen, durch Verfolgung der Tagespresse, durch Aufmerksammachen auf Broschüren etc. 5. Bekanntgabe jeder Person, die sich den k.u.k. Vertretungen (Konsulaten) für den militärischen Kundschaftsdienst antragen oder die sie hiefür geeignet finden. 6. Unterstützung des militärischen Kundschaftsdienstes durch Bekanntgabe verläßlicher Adressen für die Korrespondenzvermittlung über das neutrale Ausland seitens der k.u.k. Vertretungen (Konsulate) [...]. 7. Aufgeben von Briefschaften im Ausland durch die k.u.k. Vertretungen im Ausland (Konsulate) [...]. 8. Inanspruchnahme des Chiffrendepartments des k.u.k. Ministerium des Äußeren in Chiffreangelegenheiten.“381 Eine solch weitgehende Unterstützung von Spionage-Tätigkeit dürfte der Diplomatie seitens des Militärs sehr schwer zu vermitteln gewesen sein. In dem Schreiben wird daher auch ausdrücklich darauf verzichtet, daß „die Tätigkeit dieser Zentralstelle und der auswärtigen Vertretungen und Konsulate in einem, wenn auch nur für den reserviertesten Gebrauch bestimmten, Dienstbuche eine nähere Ausführung erfährt“382. Trotz der Zusicherung größter Diskretion setzten die Diplomaten ihrer Einbindung in geheimdienstliche Tätigkeiten erheblichen Widerstand entgegen. 379 K.u.k. Kriegsministerium an k.u.k. Minister des Äußeren, 6. Mai 1910. HHSTA, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910 –1918. 380 Ebenda. 381 Ebenda. 382 Ebenda. Zu den ethischen Bedenken österreichisch-ungarischer Diplomaten gegen geheimdienstliche Tätigkeit s. o. die Affäre um die geplante Versenkung eines k.u.k. Schiffes im Suezkanal, S. 59f.
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Auf einer Konferenz von Offizieren des Kriegsministeriums – unter ihnen auch der spätere k.u.k. Spionagechef Max Ronge – mit Vertretern des Ministeriums des Äußeren am 28. Juni 1910 ließ der Minister des Äußeren seine Mitarbeiter die Militärs warnen, eine verstärkte Spionagetätigkeit Österreich-Ungarns könne „Stimmungen auslösen, die im Hinblick auf ihre gewiß unerwünschten Folgen dem Leiter der auswärtigen Politik ein gewisses Maß bei den geplanten Innovationen dringendst opportun erscheinen lassen“383. Insbesondere die Punkte fünf bis acht erschienen dem Ministerium des Äußeren unannehmbar. Die Diplomaten sahen hier die Gefahr einer Kompromittierung. Nach einer Reihe von Zugeständnissen minderer Art durch die militärische Seite, etwa bei der Werbung einheimischer Informanten, sicherten die Vertreter des Ministeriums des Äußeren schließlich zu, entsprechende Instruktionen für die Konsulate im Ausland zu erarbeiten.384 Offenbar ahnten Aehrenthal und seine Mitarbeiter, daß sie sich dem Druck des Militärs auf Dauer nicht würden entziehen können und setzten auf eine Verzögerungstaktik. – In den nächsten Monaten geschah in der Sache nichts. Im Januar 1912 intervenierte das Kriegsministerium nochmals bei Aehrenthal und bat dringend um die Herausgabe der Instruktionen an die Konsulate.385 Nachdrücklich wies das Militär in diesem Schreiben auf die geheimdienstliche Tätigkeit diplomatischer Vertreter Rußlands und Serbiens hin. So habe sich das russische Generalkonsulat in Lemberg zu einer wahren Spionagezentrale entwickelt. Ähnliches gälte für das serbische Generalkonsulat in Budapest. Darüber hinaus wurde in dem Scheiben allerdings auch auf positive Erfahrungen mit einzelnen k.u.k. Konsuln verwiesen.386 Dieses Lob – insbesondere und ausdrücklich auf die diplomatischen Vertreter im Osmanischen Reich gemünzt – findet sich auch im Protokoll einer erneuten Zusammenkunft von Vertretern des Kriegs- und Außenministeriums zur Einbindung diplomatischer Stellen in den Nachrichtendienst wieder. Die Konferenz am 12. Oktober 1912 war außerdem um einen Vertreter des Handelsministeriums erweitert worden.387 Sie endete mit einem vollen Erfolg der Militärs, die sich mit ihren Forderungen gegen die Bedenken der Diplomaten durchsetzten und eine noch weitergehende 383 Protokoll der von Vertretern des k.u.k. Reichskriegsministerium und des k.u.k. Ministeriums des Äußeren beschickten gemeinsamen Sitzung vom 28. Juni 1910. HHSTA, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910 –1918. 384 Ebenda 385 k.u.k. Kriegsministerium an k.u.k. Minister des Äußeren, 16.1.1912. HHSTA, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910–1918. 386 „[...] obwohl nicht verkannt werden soll, daß einzelne unserer Konsuln, insbesondere in der Türkei und seit Ausbruch des italienisch-türkischen Krieges auch jener in Tripolis auf dem Gebiet der militärischen Berichterstattung Vorzügliches geleistet haben.“ Ebenda. 387 Protokoll der am 12. Oktober 1912 im k.u.k. Ministerium des Äußeren abgehaltenen interministeriellen Sitzung betreffend die Ausgestaltung der Mitwirkung der k.u.k. Vertretungsbehörden zum militärischen Informationsdienste. HHSTA, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910–1918.
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Teilnahme der Konsulate am Nachrichtendienst erreichten, als sie in den acht Punkten von 1910 vorgesehen war. Das betraf etwa die Anwerbung von Vertrauensleuten und Mittelspersonen für den Briefverkehr über das neutrale Ausland im Kriegsfall. Entsprechende Instruktionen wurden formuliert und als Geheimsache durch das Ministerium des Äußeren an ausgewählte Konsulate weitergeleitet.388 Obwohl die Instruktionen von 1912 den Konsuln streng untersagten, eigene Agenten zu führen, weichte dieses Verbot im Krieg sehr schnell auf. Eine reine Weitermeldung der Personalien, wie eigentlich vorgesehen, hätte den Informationsfluß zu langsam und zu kompliziert gestaltet. Darüber hinaus wären die ohnehin überlasteten zentralen Stellen des Nachrichtendienstes wohl überfordert gewesen, weltweit alle Vertrauensleute selbst zu führen. Die zentralisierte Organisation erwies sich den Herausforderungen des Krieges als nicht gewachsen. Wie weiter unten deutlich werden wird, verfügten – zumindest im Osmanischen Reich – daher die einzelnen Konsulate über durchaus leistungsfähige Informanten-Netzwerke, die sie selbst aufbauten und führten. Die daraus gewonnen Informationen wurden seit Kriegsbeginn direkt an die betroffenen Zentralstellen, militärische und zivile, weiter geleitet. In der Türkei erhielt auch der Militärbevollmächtigte in Konstantinopel diese Informationen, der außerdem zusätzlich ein eigenes Netz von Informanten unterhielt.389 Wie wichtig die Konsulate als Stützpunkte des Nachrichtensystems waren, geht auch aus der Tatsache hervor, daß der k.u.k. Militärbevollmächtigte in Konstantinopel im August 1916 die Einrichtung zweier neuer Konsulate in Sivas und Mosul forderte und das ausschließlich mit nachrichtendienstlichen Argumenten begründete.390 Unterstrichen wird die Bedeutung dieses Netzes auch durch einen Versuch der k.u.k. Marine, sich die Konsulate als Nachrichtenquellen zu erschließen. Im April 1915 trat die Marinesektion des Kriegsministeriums mit einer „Anleitung zur maritimen Berichterstattung der k.u.k. Konsularämter“391 an das Ministerium des Äußeren heran. Darin schlug die Marine vor, die in Hafenstädten gelegenen Konsulate in Italien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und der Türkei zum maritimen Nachrichtendienst heranzuziehen. Melden sollten die Konsuln „Vorfälle und Beobachtungen 388 Ebenda. 389 Siehe das Schema des Stabes des Militärbevollmächtigten von 1917 aus den Memoiren Joseph Pomiankowskis. Hier war ein Oberleutnant Schrecker für Nachrichten und Propaganda zuständig. Darüber hinaus dürften auch die Referate „Militärisches“ und „Militärpolitisches“ über eigene Informanten verfügt haben. Pomiankowski: Untergang, S. 311. 390 „Unsere vermehrten Interessen in den östlichen Teilen des türkischen Reiches machen es zu einer dringenden Notwendigkeit, auch in dieser Gegend über verlässliche, ständige Informationsquellen zu verfügen. [...] Ich habe daher die Bemühungen Seiner Exzellenz des Markgrafen Pallavicini [k.u.k. Botschafter in der Türkei] zur Schaffung von k. und k. Konsularvertretungen in Siwas und Mossul auf das nachdrücklichste unterstützt und halte diese Bestrebungen auch vom militärischen Standpunkte aus für eminent wichtig.“ Pomiankowski an Kriegsministerium, 26. August 1916, KA, Kriegsministerium, 1916, Präs. 46/21/6–47/13/15. 391 K.u.k. Kriegsministerium, Marinesektion an Ministerium des Äußeren, 25. April 1915, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910–1918.
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maritim-militärischer Natur, [...] wie Kriegsschiffbewegungen, Minensperren von Häfen, Truppen- und Materialtransporte etc. [...] ob eigene Wahrnehmung, Konfidenten- oder Zeitungsnachricht“.392 Wert legte die Marine auf schnelle telegrafische Benachrichtigung der Wiener Zentralstelle und schlug aus diesem Grund eine eigene Kennung für Telegramme dieser Art vor.393 In der Türkei betraf der Marine-Vorschlag die Konsulate in Beirut und in Smyrna. Die k.u.k. Konsulate in der Türkei waren allerdings zu diesem Zeitpunkt durch die osmanische Regierung in der Nutzung des Telegrafen eingeschränkt worden.394 Eine schnelle Nachrichtenübermittlung, wie die Marine sie wünschte, war also nicht möglich. Die Konsulate in der Türkei wurden in den maritimen Nachrichtendienst aus diesem Grund nicht einbezogen.395 Während des Ersten Weltkrieges unterhielt Österreich-Ungarn für den Nachrichtendienst wichtige Konsulate in den Städten Beirut, Aleppo, Damaskus, Jerusalem und Bagdad. Besonders aktiv waren dabei Bagdad, Beirut und Damaskus, wobei letzteres insbesondere durch recht umfangreiche Informationen über den so genannten arabischen Aufstand auffällt. Deutsche Beobachter bescheinigten diesem Nachrichtendienst später Effektivität und Zuverlässigkeit, sahen ihn gar dem vergleichbaren deutschen überlegen, da die Konsuln die Region erheblich besser kannten.396 Nach den erhaltenen Akten des Ministeriums des Äußeren, der Botschaft in Konstantinopel, der Konsulate und des Kriegsministeriums zu urteilen, funktionierte der Berichtsweg wie folgt: Die Konsulate und auch die Botschaft sammelten Nachrichten aus allen ihnen zugänglichen Quellen. Die Konsulate berichteten dann per Kurier direkt nach Wien und parallel dazu an die Botschaft. Die Botschaft wiederum ergänzte die von den Konsulaten gesammelten Informationen aus den Provinzen durch eigenes Material. Darüber hinaus wurden offensichtlich auch Informationen
392 Ebenda. 393 Ebenda. 394 Zur Nachrichtenübermittlung der Konsulate siehe: Ministerium des Äußeren an Kriegsministerium, Marinesektion, 30. April 1915, PA, XL, Interna, 241, Organisation unseres Kundschafterdienstes 1910–1918. Während des Krieges berichteten die Konsulate vertrauliche Informationen ausschließlich per Kurier an die Botschaft in Konstantinopel oder nach Wien. Chiffre-Telegraphie gestatteten die Türken nur der Botschaft. Zusätzlich hatte diese die Möglichkeit, Wien per Funk drahtlos zu kontaktieren. 395 Ebenda. In welchem Umfang die anderen Konsulate in dieser Sache aktiv waren, geht aus den hier betrachteten Dokumenten nicht hervor. 396 „Überhaupt sind mir die österreichischen Konsuln im nahen Orient durch ihre ausgezeichnete Schulung aufgefallen. [...]. Während Österreich seine Auslandsbeamten innerhalb eines eng begrenzten Gebietes versetzte und so für den näheren Orient ausgezeichnete Spezialisten zu schaffen verstand, glaubte man wohl bei uns die Vielseitigkeit und damit die Leistungen unserer Vertreter dadurch zu steigern, daß man sie von Singapore nach Urugay und von da nach Beirut verpflanzte.“ Gleich: Bagdad, S. 44. Diese unselige Tradition hat zwei Weltkriege überlebt. Sie wird noch heute in Deutschland gepflegt.
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von Agenten („Konfidenten“) direkt – ungefiltert und unbearbeitet – nach Wien weitergeleitet.397 Eine wichtige Rolle in der Nachrichtenversorgung über den Orient spielte auch das k.u.k. Konsulat in Bern. Die Schweiz als neutraler Staat war zwischen 1914 und 1918 das Zentrum der europäischen Spionage. Hier belauerten sich Vertreter aller kriegführenden Mächte, wurden Propaganda- und Desinformationskampagnen in Szene gesetzt und auch informelle Kontakte zwischen Gegnern geknüpft. Außerdem war die Schweiz ein Immigranten-Zentrum erster Ordnung. Hier wirkten arabische und slawische Nationalisten und ägyptische Khediven-Anhänger, wühlten türkische Oppositionelle und kaukasische Freiheitskämpfer. Darüber hinaus nutzten sozialistische Revolutionäre das Land als Basis, und zionistische Organisationen stimmten hier ihr Vorgehen ab. Internationale Konferenzen fanden in großer Zahl statt. Für Österreich-Ungarn als Vielvölkerstaat war es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, die nationalen Bewegungen der slawischen Völker zu beobachten. Daneben lieferte der k.u.k. Nachrichtendienst mit Zentrum in Bern aber auch eine ganze Reihe Informationen über Vorgänge im Orient. Das betraf die zionistische Bewegung, Fühlungnahmen der Türkei mit der Entente bezüglich eines Separatfriedens und den im Schweizer Exil lebenden ägyptischen Ex-Khediven. Bei der Betrachtung des Nachrichtenwesens gilt es dabei immer zu beachten, daß die Berichte aus den verschiedenen Quellen die einzigen Anhaltspunkte waren, anhand derer sich zivile und politische Entscheidungsträger ein Bild der Lage machen konnten. Österreich-Ungarn hatte während des Krieges nur geringe Truppen ins Osmanische Reich entsandt. Im wesentlichen handelte es sich um einige Batterien schwere Artillerie, die entsprechenden Unterstützungseinheiten und Kraftfahrer. Zu keiner Zeit operierten diese Truppen unter einem eigenen k.u.k. Kommando. Sie waren türkischem beziehungsweise deutschem Oberkommando unterstellt.398 Aufgrund des geringen militärischen Engagements und der damit einhergehenden nichtselbständigen Führung der k.u.k. Einheiten spielte somit ein klassischer militärischer Nachrichtendienst keine Rolle. Mit dem militärischen Gegner, also den Truppen Rußlands und Englands, befaßte sich der österreichisch-ungarische Nachrichtendienst im Orient so gut wie nicht. Die durchaus umfangreiche Organisation beobachtete vielmehr intensiv das eigene Lager. Das betraf zum einen die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse und Verhältnisse im Osmanischen Reich sowie die Eliten des Landes, zum anderen und in überwiegendem Maße aber den engsten 397 Darauf läßt die Existenz einer Sammlung von „Konfidenten-Berichten“ im Politischen Archiv in Wien schließen. (PA, Ministerium des Äußeren, XL, Interna, Kartons 270 bis 275). Generell sind in diesen Aufzeichnungen keine Namen der Informanten genannt. Auch die Verfasser fehlen immer. Die Berichte befassen sich vor allem mit dem Balkan, der Türkei und Rußland. Durch Vergleich mit den offiziellen Berichten der Konsulate im Osmanischen Reich und der Botschaft läßt sich feststellen, daß diese Konfidentenberichte in die offiziellen Schriftstücke Eingang fanden und als Quellen benutzt worden sind. 398 Siehe Pomiankowski: Untergang, S. 310–318. Standard zu den österreichisch-ungarischen Truppen in der Türkei ist Jung: Wüstenkrieg.
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Verbündeten – die Deutschen und ihre Aktivitäten in der Türkei. Hauptziel der österreichisch-ungarischen Aufklärung im Orient war – auf den ersten Blick paradoxerweise – Deutschland. Die Quellen vermitteln das Bild, als ob die handelnden Personen auf österreichischer Seite in den Deutschen den eigentlichen Feind der Monarchie gesehen hätten. Sowohl die Konsuln als auch die Nachrichten- und Propagandaabteilung des Militärbevollmächtigten setzten alles daran, die deutschen Aktivitäten so detailgenau wie irgend möglich zu dokumentieren. Das betraf militärische und politische Vorgänge genauso wie kulturelle und wirtschaftliche Aktionen des Deutschen Reiches. Besonders intensiv wurden dabei die Offiziere der deutschen Militärmission beobachtet. Dieses Deutschland gegenüber durchaus unfreundliche Verhalten hat seine Wurzeln in der Türkei-Politik Österreich-Ungarns während des Krieges. Nach der Ausschaltung des britischen und französischen Einflusses am Bosporus sah Wien in Deutschland den hauptsächlichen Konkurrenten im Osmanischen Reich. Schon sehr früh, im November 1914, formulierte das der k.u.k. Botschafter in Konstantinopel, Pallavicini, in einem als „geheim“ gekennzeichneten Schreiben an den Außenminister Graf Berchtold.399 Das Papier kann durchaus als wegweisend für das künftige Agieren der Monarchie gegenüber Deutschland angesehen werden. Pallavicini sah zum einen den Anschluß der Türkei an die Mittelmächte als großen Erfolg sowohl für Deutschland als auch für Österreich-Ungarn. Zum anderen aber befürchtete er, vom Deutschen Reich an die Wand gedrückt zu werden und im Kampf um Einfluß am Bosporus leer auszugehen.400 Pallavicini schlug in diesem Schreiben aus der Frühphase des Krieges daher eine Erweiterung des Bündnisses mit der Türkei vor. Mit dem zusätzlichen Eintritt Italiens in die entsprechenden Verträge wollte er den deutschen Einfluß durch die Ansprüche eines dritten Spielers eindämmen. Durch den weiteren Verlauf des Krieges ad absurdum geführt, zeigt dieser Vorschlag nichtsdestoweniger das aufkeimende Mißtrauen wichtiger Vertreter Österreich-Ungarns gegenüber Deutschland. Im darauffolgenden Jahr erreichten die Wiener Zentralbehörden immer öfter Berichte über das aggressive und Österreich ausschließende Vorgehen der Deutschen im Osmanischen Reich. Im Februar 1916 reagierte das Ministerium des Äußeren in Wien darauf zum ersten Mal in einem streng vertraulichen Erlaß an Pallavicini.401 Der Botschafter erhielt darin Anweisungen, wie Österreich-Ungarn seine Position in der Türkei gegenüber dem Reich stärken könne. Konstatiert wurde, daß Deutschland ohne Zweifel die Türkei in vollständige politische und wirtschaftliche 399 Pallavicini an Berchthold, 19. November 1914, HHSTA, PA, I, Allgemeines, 521. 400 „Ich muss befürchten, dass wir, auf uns allein angewiesen, der Concurrenz Deutschlands nicht gewachsen wären, und wir von vielen sowohl politischen als wirtschaftlichen Vorteilen ausgeschlossen blieben, welche uns die Herrschaft über die Türkei bringen soll. Schon jetzt zeigt es sich bei zahlreichen Gelegenheiten, dass die Deutschen die Türkei als ihr ausschließliches Gebiet der Tätigkeit betrachten und sich in Allem und Jedem als die Herren der Türkei aufspielen.“ Ebenda. 401 Abschrift eines streng vertraulichen Erlasses an Markgrafen Pallavicini in Konstantinopel, de dato Wien, 9. Februar 1916. HHSTA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel 1848–1918, 208.
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Abhängigkeit bringen wolle, dieses Ziel aber schwer zu erreichen sei. Die Türken würden versuchen – spätestens nach dem Ende des Krieges – dieser Abhängigkeit zu entgehen, „hauptsächlich durch das Wiederaufnehmen des unter Abdul Hamid so bewährten Gegenspiels der Mächte“.402 Hier müsse sich Österreich-Ungarn als Alternative zu Deutschland profilieren, um Nutzen aus deutschen Fehlern zu ziehen. Das Reich würde sich in den Augen der Türken durch sein forsches Auftreten in der Zukunft viele Sympathien verspielen. Darüber hinaus solle Pallavicini zugreifen, wo sich leicht zu erringende Vorteile für die Monarchie böten. Der Erlaß stellte allerdings auch fest, daß die Monarchie gegenwärtig nicht die Mittel habe, mit dem „stürmischen deutschen Auftreten Schritt zu halten“.403 In den folgenden Monaten setzten die Botschaft und der Militärbevollmächtigte Joseph Pomiankowski vor allem auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei. Der Militärbevollmächtigte schätzte die Erfolge dieser Strategie als so durchschlagend ein, daß er in einem Schreiben an das Kriegsministerium in Wien vom 23. Januar 1917 eine eventuelles gemeinsames österreichisch-deutsches Vorgehen bei der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen in der Türkei strikt ablehnte.404 Als bisherige Erfolge Österreich-Ungarns auf wirtschaftlichem Gebiet nennt Pomiankowski in diesem Zusammenhang unter anderem „umfangreiche Geschütz- und Automobillieferungen, die Aktion zur Erschließung der Gebiete nördlich der Eisenbahnlinie Angora-Siwas-Erzerum“405 und die Tätigkeit österreichischer Ingenieure in den Erdölgebieten Mesopotamiens. Im Mai 1917 nahmen sich Kriegsministerium und Armeeoberkommando nochmals des Themas an. An den Militärbevollmächtigten ergingen Anweisungen, die mit „Principien zur Abwehr des deutschen Imperialismus in der Türkei“ überschrieben waren.406 In einer ausführlichen Antwort407 beklagte sich der Militärbevollmächtigte zum einen über die langsame Bearbeitung 402 Ebenda. 403 Ebenda. 404 „Ich würde meine unmassgebliche Meinung dahin aussprechen, dass es gegenwärtig für uns empfehlenswerter sei, unbeschadet fallweiser Uebereinkünfte, unsere eigenen Wege zu gehen, und zu trachten, bis zum Friendensschluss möglichst zahlreiche Objekte für unsere künftige Tätigkeit in der Türkei in die Hand zu bekommen. Nach dem Friedensschluss wird sich in jedem Falle die Nothwendigkeit ergeben, uns mit unseren Bundesgenosssen auseinanderzusetzen; diese Auseinandersetzung wird umso leichter sein, je werthvollere Geschäfte wir Deutschland zu Teilung werden anbieten können.“ Pomiankowski an Kriegsministerium, 23. Januar 1917, KA, Kriegsministerium, 1917 Präs 47/1/7–47/11/10. 405 Ebenda. 406 Das Papier selbst ist in den Archiven der österreichisch-ungarischen Zentralstellen und in den Akten des Militärbevollmächtigten nicht erhalten geblieben. Seine Existenz bestätigen allerdings zwei Hinweise: Pomiankowski erwähnt die Instruktionen unter ihrem Titel in seiner Autobiographie (Pomiankowski: Untergang, S. 323f.). Am 19. Mai 1917 nahm er darüber hinaus in einem Schreiben an das Kriegsministerium direkten Bezug auf das Papier (Pomiankowsi an Kriegsministerium (Präsidialbüro), 19. Mai 1917, KA, Kriegsministerium, 1917 Präs 47/1/7–47/11/10.). 407 Pomiankowsi an Kriegsministerium (Präsidialbüro), 19. Mai 1917, KA, Kriegsministerium, 1917 Präs 47/1/7–47/11/10.
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wirtschaftlicher Projekte durch die verschiedenen Zentralstellen in Wien und bemängelte gleichzeitig die zersplitterten Zuständigkeiten. Zum anderen regte er die Schaffung einer „türkischen Abteilung im Kriegsministerium“ an, die sich ausschließlich um ökonomische Projekte in der Türkei kümmern sollte.408 Darüber hinaus empfahl Pomiankowski auch den erheblichen Ausbau des „wirtschaftlichen Kundschafterdienstes“.409 Die Ideen des Militärbevollmächtigten fielen im Wiener Kriegsministerium auf fruchtbaren Boden. Bereits am 30. Juni 1917 wurde tatsächlich eine „Orientabteilung“ im Kriegsministerium aufgestellt, die bis zum Kriegsende die wirtschaftlichen Interessen der Monarchie in der Türkei gegen Deutschland erfolgreich durchzusetzen vermochte.410 Grundlage der österreichisch-ungarischen Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Deutschen in der Türkei, die sich auf die meisten Gebiete außer dem militärischen erstreckte, war der funktionierende Nachrichtendienst. Die österreichischen Stellen in Konstantinopel und in Wien waren meist bestens informiert über das Vorgehen und die Pläne ihrer deutschen Bundesgenossen. Darüber hinaus verfügten sie über fundierte Informationen, wie gefestigt oder angreifbar die deutsche Stellung auf den verschiedenen Gebieten war. Die jeweiligen Lageeinsschätzungen wirken zum großen Teil sehr realistisch. Die österreichisch-ungarischen Konsuln als hauptsächliche Träger des Nachrichtendienstes im Osmanischen Reich verdienten sich das Lob, das sie bereits im Jahr 1912 für ihre Tätigkeit erhalten hatten, auch im Weltkrieg erneut. Die Konsulate berichteten entweder an den Botschafter in Konstantinopel, der ihre Informationen wiederum in seinen Berichten verwertete, oder direkt an das Ministerium in Wien. Der Militärbevollmächtigte hatte ebenfalls Zugang zu diesen
408 Ebenda. 409 Hughes-Depesche, Pomiankowski an Kriegsministerium, 26. Mai 1917. KA, Kriegsministerium, 1917 Präs 47/1/7–47/11/10. 410 „Die in der Behandlung der Orientangelegenheiten (das sind alle Angelegenheiten wirtschaftlicher Natur betreffend die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Serbien, Montenegro und Albanien, soweit sie in den Wirkungskreis der Heereseverwaltung fallen) während des Krieges gemachten Erfahrungen haben die Notwendigkeit einer strafferen Organisation, als sie bisher bestand, gezeitigt. Es wird daher, um einen erhöhten Einklang in den bisher getrennt bearbeiteten Angelegenheiten herzustellen und um einen vollkommenen Überblick über die Zusammenhänge zu erzielen, im Kriegsministerium eine dem Chef der ökonomischen Sektion direkt untergeordnete ,Orientabteilung‘ (O.A.) aufgestellt, der die einheitliche Leitung aller wirtschaftlichen Angelegenheiten der Heeresverwaltung in Beziehung zum Oriente obliegt. Ihr wird auch die einheitliche Regelung des bisher von verschiedenen im Kriegsministerium vermittelten Verkehrs zwischen den im Orient befindlichen Organen der Heeresverwaltung, dem Armeeoberkommando, den Zivilministerien, ausländischen Behörden, sowie den in- und ausländischen Firmen einerseits und den Fachabteilungen des Kriegsministeriums andererseits zufallen.“ Kriegsministerium, Orientabteilung – Aufstellung, Wirkungskreis, 30. Juni 1917. KA, Kriegsministerium, 1917 Präs 47/1/7–47/11/10. Siehe zu den Erfolgen der Monarchie auf wirtschaftlichem Gebiet auch Pomiankowski: Untergang. S. 319–324.
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Informationen, unterhielt aber in seinem Stab zusätzlich eine eigene Nachrichtenund Propagandaabteilung unter der Leitung eines Oberleutnants.411 Schon vor Beginn des Krieges und damit der deutsch-österreichischen Konkurrenz im Osmanischen Reich beobachteten die k.u.k. Konsulate die reichsdeutsche Tätigkeit aufmerksam und wohl auch durch angeworbene Vertrauensleute, wie ein äußerst detaillierter Bericht über Unruhen beim Bau der Bagdadbahn aus dem März 1914 nahelegt.412 Ein weiteres Beispiel ist ein Bericht über die Gründung eines deutschen „Vereins Christlicher Junger Männer“ in Aleppo, der ebenfalls interne Details enthält.413 Den deutschen Konsuln vor Ort ist die Tätigkeit ihrer österreichisch-ungarischen Kollegen während des Krieges keineswegs verborgen geblieben. Informationen vertraulicher Art an die k.u.k. Stellen flossen nämlich seit 1915 nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ.414 Die österreichischen Diplomaten – Konsulate und Botschaft – schöpften wiederum alle Quellen ab, die sich ihnen boten und förderten nachrichtendienstlich orientierte Reisen in die osmanischen Provinzen. Exemplarisch sei hier die Reise des Journalisten Samuel Kastriner durch Syrien Anfang 1915 genannt.415 Dessen im Auftrag der Botschaft verfaßter, mit „streng vertraulich“ gekennzeichnete Bericht416, hat nur ein einziges Thema – die deutsche Tätigkeit in den arabischen Teilen des Osmanischen Reiches. Kastriner versuchte in dem Papier systematisch, das deutsche Vorgehen zu analysieren und die eigentlichen Hintergründe des deutschen Handelns aufzuzeigen. Samuel Kastriner war Redakteur des Temesvárer Volksblattes und sollte als Kriegsfreiwilliger bei der Operation Gondos eingesetzt werden.417 Das allerdings mißlang, und Kastriner strandete in Damaskus, von wo aus er Reisen ins Landesinnere unternahm.418 Zuvor hatte er als Übersetzter im Büro 411 Siehe Pomiankowski: Untergang. S. 311. 412 K.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 30.3.1914. PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 363, 1914. 413 K.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 2.1.1914. PA, XXXVIII, Konsulate, 1848– 1918, 363, 1914. 414 Der deutsche Konsul in Aleppo verheimlichte seinem K.u.k.-Kollegen so etwa den Aufenthalt eines persischen Würdenträgers in Aleppo, mit dem die Deutschen über die Revolutionierung Persiens verhandelten. k.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 8. März 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 366, 1914. 415 Es gab in der Folge weitere Reisen dieser Art, die der Nachrichtengewinnung dienten. Zu erwähnen ist hier insbesondere die Film-Propaganda des Isidor Goldschmid. Diese Mission hatte einen Doppelcharakter. Zum einen wurde in Absprache mit den Deutschen Filmpropaganda betrieben. Zum anderen war Goldschmid auch nachrichtendienstlich tätig. Zu diesen Missionen siehe unten S. 134f., S. 145f. 416 Bericht Samuel Kastriner, 22. Januar 1915, S. 1, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte 1915. 417 Anschreiben zum Bericht Kastriners, k.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 28. Januar 1915, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848 – 1918, 209, Berichte 1915. 418 Ebenda.
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des deutschen Konsuls Löytved gearbeitet.419 Kastriner wurde dort auch mit Chiffrier-Arbeiten betraut und hatte daher wohl wirklich einen tiefen Einblick in die Strukturen der deutschen Politik in Syrien.420 In dieser Zeit erlebte er auch hautnah die Vorbereitung der Kreß-Expedition gegen den Suez-Kanal mit. Deren Erfolgsaussichten beurteilte Kastriner negativ und gab bezeichnenderweise Mängel des Nachrichtendienstes und der Spionage-Abwehr als einen Hauptgrund an.421 Hauptthema Kastriners war allerdings der aus seiner Sicht überragende Einfluß Deutschlands in der Türkei und der vergleichsweise schlechte Stand Österreich-Ungarns. In seinem Bericht war von Konflikten zwischen Deutschen und Türken jedoch noch nicht die Rede. Ganz im Gegenteil malte Kastriner insgesamt ein durchaus positives Bild der deutsch-türkischen Zusammenarbeit in Syrien und der Fähigkeit der Deutschen, auf ihre Verbündeten einzugehen. Das betrifft besonders den deutschen Konsul in Damaskus, Dr. Julius Löytved-Hardegg,422 der sich laut Kastriner durch Geschick und ein charmantes Auftreten eine überragende Stellung in Syrien gesichert hatte.423 Den deutschen Einfluß, personifiziert in Löytved-Hardegg, beschrieb Kastriner als geradezu allumfassend.424 Darüber hinaus berichtete er von durchschlagendem Erfolg der deutschen Propaganda an den k.u.k. Botschafter. So seien die anfänglich vom Konsulat bezahlten pro-deutschen Jubel-Kundgebungen inzwischen ganz und gar freiwillig: „[...] die Leute gewöhnten sich daran, Deutschland hochleben 419 Bericht Samuel Kastriner, 22. Januar 1915, S. 1, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte 1915. 420 Ebenda, S. 9. 421 „Wir in Damaskus [die Basis der Kanal-Expedition] erhielten blos oberflächliche Berichte über die Situation am Kanal. Einige wackere Egypter riskierten ihr Leben, um uns etwas zu überbringen. Die Engländer hingegen sind stets über jeden Schritt in Syrien genau unterrichtet. Die christlichen Araber sind eben vollständig unzuverlässig und leisten dem Feind jederzeit Spionagedienst. Der christliche Syrier ist eher Franzose als Osmane. [...] Erst nachdem Djemal Pascha mit eiserner Faust eingriff und Syrien von der Welt (selbst von der übrigen Türkei) abschloss, liess die Spionage nach – freilich spät. Die ganze egyptische Spionage wurde en plain jour vorbereitet. Jedermann kannte die Details und war es daher nicht schwer, die Engländer gehörig zu informieren.“ Ebenda, S. 7f. 422 Der gebürtige Däne kannte den Orient seit seiner Kindheit. Sein Vater war dänischer Konsul in Beirut gewesen. Löytved wurde dort 1874 geboren. Er starb 1917 in Damaskus. Siehe Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Band 3. Paderborn, 2008, S. 117f. 423 Bericht Samuel Kastriner, 22. Januar 1915, S. 1, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte 1915, S. 10f. 424 „Bis zum 8. Jänner (dem Tag meiner Abreise) wurde in Syrien keine Verfügung getroffen, ohne dass Dr. Löytved um seine Meinung gefragt worden wäre. Nicht selten erfolgten Verfügungen auf seine Initiative. [...] Italienische Geistliche, deren Schule gesperrt wurde, Juden, die ein Anliegen hatten, gegangene Funktionäre, die um ihre Wiedereinsetzung einkamen, ja selbst die Konsuln Amerikas und Italiens – sie alle sprachen in erster Reihe bei Löytved vor und erst, nachdem sie sich sein Wohlwollen gesichert hatten, gingen sie mit ihren Wünschen zu Djemal Pascha.“ Ebenda, S. 10 und 12.
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zu lassen.“425 Erfolgreich für eine deutschen-freundliche Stimmung im Lande wirkten auch „Legionen deutscher Missionen“,426 die ausschließlich „Propaganda für das Deutsche Reich“427 betrieben. Scharf kontrastierte er dazu das Ansehen seines eigenen Landes: „Uns kennt man nicht. Von uns weiss man nichts.“428 Österreichische Goldmünzen nehme niemand als Zahlungsmittel an – im Gegensatz zu deutschem, französischem und britischem Gold – und der österreichische Konsul sei zwar ein „ehrenwerter Mann“,429 aber unfähig, den österreich-ungarischen Einfluß zu erweitern.430 In seinen Schlußsätzen ließ Kastriner schließlich anklingen, was die tieferen Beweggründe der bis 1918 so intensiv betriebenen nachrichtendienstlichen Beobachtung der Deutschen im Orient waren: „[Es tut mit weh] zu sehen, wie mein Vaterland zur Seite geschoben wird und wie wir leer ausgehen sollen, wo uns doch etwas gebührt. Wenn Syrien dem französischen Einfluss entrissen wird, fällt es nach dem heutigen Stand der Dinge ganz der Einflusssphäre der Deutschen in die Arme, was für uns eine moralische und wirtschaftliche Schädigung bedeuten würde.“431 Daß diese Ansicht nicht nur die eines ungarischen Zeitungsredakteurs war, sondern auf Ebenen geteilt wurde, auf denen politische Entscheidungen getroffen wurden, zeigt ein Blick auf das Begleitschreiben zu diesem Bericht aus der Feder des k.u.k. Botschafters an das Ministerium des Äußeren in Wien. Der Botschafter teilte darin die Analyse Kastriners, die sich mit seinen Beobachtungen deckte.432 Es gehe Deutschland nicht nur darum, die Türkei zu stärken. Das Reich habe „weitergehende Absichten“.433 Die Angst vor der deutschen Konkurrenz, der Neid auf den deutschen Einfluß und das Bestreben, auf Kosten der Deutschen den eigenen Einfluß und das eigene Prestige zu steigern, führten in der Folge zu einer fast autistischen Konzentration der nachrichtendienstlichen Tätigkeit auf die Deutschen. Berichteten die Konsuln von Schwierigkeiten zwischen Deutschen und Türken, ist in den Beurteilungen dieser Vorfälle sehr oft ein gehöriges Maß unterschwelliger Schadenfreude spürbar. Darüber hinaus wurde sehr oft die österreichische Überlegenheit im Umgang mit Türken herausgehoben. Die ersten Berichte dieser Art wurden bereits Anfang 1915 geschrieben.434 Allesamt sind sie bis 1918 als „geheim“ oder zumindest „streng 425 Ebenda, S. 13. 426 Ebenda. 427 Ebenda. 428 Ebenda, S. 14. 429 Ebenda. 430 Ebenda, S. 15. 431 Ebenda. 432 Anschreiben zum Bericht Kastriners, k.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 28. Januar 1915, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848 – 1918, 209, Berichte 1915. 433 Ebenda. 434 Siehe dazu: k.u.k. Konsul in Aleppo an Botschafter, 3. Januar 1915, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte 1915. Der Konsul, ein Conte Dandini, schrieb hier über die Deutschen: „Mit einer gewissen Systematik und angeborenen Ueberhebung wird das neuerwachte und daher umso empfindlichere Selbstgefühl der Muselmanen, möglicherweise unbewusst, ver-
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vertraulich“ gekennzeichnet. In wieweit sie immer die Realität widerspiegelten, ist schwer zu bewerten. Ganz gewiß ließen sich einige österreich-ungarische Offizielle von ihrem Deutschenhaß und vermutlich auch den eigenen Minderwertigkeitskomplexen verführen, die Lage verzerrt darzustellen. Zu nennen ist hier etwa der Konsul in Aleppo, Conte Dandini. Im September 1915 sagte er in einem direkten Bericht an das Ministerium des Äußeren einen unmittelbar bevorstehenden Bruch der Türken mit Deutschland voraus.435 Diese extreme Prophezeiung erregte offenbar auch in Wien Zweifel – die entsprechende Stelle des Schreibens ist in Rot unterstrichen und mit einem Fragezeichen versehen. Zwar scheinen Dandinis Berichte von einem gewissen Deutschenhaß gefärbt, sie geben aber durch ihren Umfang und die offenbar sehr guten Verbindungen Dandinis einen guten Eindruck, wie gründlich die Beobachtung der Deutschen gewesen ist. Dabei ist zu vermuten, daß erhebliche Teile der Dandini-Berichte verlorengegangen sind, denn 1916 gibt es große Lücken, für das Jahr 1917 fehlen Berichte aus Aleppo vollkommen. In den Zeiträumen, für die Material aus Dandinis Hand vorliegt, befaßte es sich ausschließlich mit den Deutschen. Anfang 1918 meldete Dandini etwa die Ankunft eines neuen Chefs des deutschen Nachrichtendienstes in Aleppo.436 Gleichzeitig berichtete er von einem neuen Kurs der Deutschen, die offensiver und verständnisvoller auf die Einheimischen zugehen wollten, um das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken zu verbessern.437 Dandinis Kommentar: „Große Aussichten scheint mir die neue deutsche Richtung heute in Aleppo nicht zu haben.“438 Diese Ansicht allerdings revidierte er bereits einen Monat später und warnte vor einem Erfolg dieser „neuen Richtung“.439 Der letzte erhaltene Bericht Dandinis aus Aleppo vom 22. Mai 1918 stellt wiederum die Defizite des deutschen Handelns in den Vordergrund.440 Die mit dem Nachrichtendienst befaßten Konsuln beobachteten während des Krieges besonders aufmerksam die kulturelle Tätigkeit der Deutschen im Osmanischen Reich. Das betraf besonders die verschiedenen Freundschaftsvereine auf naletzt. [...] Tatsächlich ist heute hier eine nach aussen nicht leicht merkbare Verstimmung gegen die Deutschen gegeben. [...] Für unsere Monarchie haben die hiesigen Muselmanen, wie ich bei vielen Anlässen zu constatieren Gelegenheit hatte, entschieden größere Sympathien wie für Deutschland.“ 435 K.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 27. September 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1915. 436 K.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 15. Januar 1918, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1918. 437 Ebenda. 438 Ebenda. 439 K.u.k. Konsul in Aleppo an Ministerium des Äußeren, 14. Februar 1918, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1918. 440 Dandini berichtete über umfangreiche Schiebereien deutscher Offiziere und Soldaten mit Militäreigentum. Angeblich sollen die Deutschen auch Gewehre unter der Hand verkauft haben. K.u.k. Konsul an Ministerium des Äußeren, 22. Mai 1918, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1918.
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tionaler und lokaler Ebene sowie das Schulwesen. Der Grund mag darin zu suchen sein, daß Österreich-Ungarn seine Propaganda im Osmanischen Reich vor allem kulturell ausgerichtet hatte und versuchte, auf dieser Ebene dem Deutschen Reich ernsthaft Konkurrenz zu machen. Für die Beobachtung dieser deutschen Institutionen seien hier zwei Beispiele genannt. Im Januar 1916 berichtete der k.uk. Konsul in Damaskus über die Gründung eines „deutsch-ottomanischen Vereins“441 an das Ministerium des Äußeren. Der Konsul stellt den Verein in eine Reihe mit politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten der Deutschen, „durch welche man deutscherseits bemüht ist, den deutschen Einfluss zu erweitern und zum herrschenden zu machen“.442 Ein „gesellschaftliches Bedürfnis“443 für eine Einrichtung dieser Art sei jedenfalls nicht gegeben gewesen. Der Konsul beklagte außerdem, daß zwar laut Statut Österreicher Mitglied werden könnten, die Pläne zur Gründung des Vereins aber keinem Österreicher in Damaskus bekannt gewesen seien. Erbitterung spricht auch aus einem Bericht des k.u.k. Konsuls in Bagdad vom Januar 1917. Er berichtete von einer Brief-Werbeaktion der Deutschen für die deutsche Schule in Bagdad, die für ihn eine reine Propaganda-Einrichtung war.444 In einem Brief, der dem Bericht beiliegt, bat der Leiter der deutschen Schule um Spenden „zu der weiteren Entwicklung der Schule und dadurch zur Erstarkung des deutschen Einflusses hier“.445 Des österreichisch-ungarischen Konsuls Verärgerung speiste sich aus der Tatsache, daß auch er direkt um eine Spende gebeten wurde, um damit „zur Erstarkung des deutschen Einflusses“446 beizutragen. Der Nachrichtendienst in den Konsulaten Österreich-Ungarns konzentrierte sich vor allem auf die zivilen Aktivitäten des Deutschen Reiches. Gelegentlich, wenn sich eine Quelle anbot oder Ereignisse im Konsularbereich wichtig genug erschienen, berichteten die Konsuln aber durchaus auch über militärische Sachverhalte an die Botschaft nach Konstantinopel oder direkt an das Ministerium des Äußeren.447 441 K.u.k. Konsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 31. Januar 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916. 442 Ebenda. 443 Ebenda. 444 „Es ist in Bagdad kein einziges deutsches Kind im schulpflichtigen Alter, die Zöglinge der Schule sind ausschließlich Lokaluntertanen. Sie ist somit eine reine Propagandaschule, was übrigens in dem Sammelbogen mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig lässt, gesagt wird.“ K.u.k. Konsul in Bagdad an Ministerium des Äußeren, 19. Januar 1917, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916. 445 Rundschreiben zwecks Unterstützung der Deutschen Schule in Bagdad durch freiwillige Beiträge, 1. Januar 1917. Liegt dem obigen Bericht bei. Ebenda. 446 Ebenda. 447 Siehe dazu einen Bericht des Bagdader Konsulates vom Juni 1916. Der Konsul berichtete ausführlich über Spannungen zwischen türkischen und deutschen Offizieren an der mesopotamischen Front, sowie über deutsch-türkische Machtkämpfe in der Armeeführung nach dem Tode Feldmarschalls von der Goltz‘. Telegramm des K.u.k. Konsuls in Bagdad an die k.u.k. Botschaft in Konstantinopel, 30. Juni 1916, PA, XII, 210, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918. Das Tele-
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Die militärischen Aktivitäten Deutschlands bearbeitete aber hauptsächlich die bereits erwähnte Nachrichten- und Propagandaabteilung im Stab des Militärbevollmächtigten Joseph Pomiankowski in Konstantinopel. Die in Wien erhaltenen Akten zeigen dabei deutlich: Militärische Nachrichten über die Deutschen gelangten fast ausschließlich über den Militärbevollmächtigten nach Wien. Das betraf insbesondere Interna aus der deutschen Militärmission in der Türkei. Der k.u.k Militärbevollmächtigte hatte dabei schon vor Ausbruch des Krieges intensiv die deutschen militärischen Aktivitäten im Osmanischen Reich beobachtet.448 Als die Wahrscheinlichkeit eines Kriegseintritts der Türkei auf seiten der Mittelmächte immer größer und die deutsche Militärmission personell immer stärker wurde, sie sich zu einem echten Machtzentrum im Osmanischen Reich entwickelte, war die Beobachtung ihrer Tätigkeit eines der wichtigsten Geschäfte Pomiankowskis. Er berichtete dabei sowohl an das Kriegsministerium als auch direkt an das Evidenzbüro des Generalstabes. Während die Berichte an das Kriegsministerium meist per Post nach Wien gingen, telegrafierte Pomiankowski die Nachrichten an das Evidenzbüro. Beide Berichtsarten tragen immer die Vermerke „Geheim“ oder „Streng geheim“ und „Dem deutschen Generalstabe nicht mitzuteilen“.449 Inhaltlich konzentrierten sich die Berichte vor allem auf das deutsch-türkische Verhältnis auf militärischem Gebiet sowie in der Zeit bis Anfang 1915 auf die Konflikte innerhalb der deutschen Militärmission.450 Diese Nachrichten waren dabei durchaus wirkungsmächtig. Pomiankowski gramm wurde noch am selben Tag von der Botschaft an das Ministerium des Äußeren nach Wien weitergeleitet. 448 Siehe dazu mehrere mit „Geheim“ gekennzeichnete Berichte Pomiankowskis an das Kriegsministerium in Wien aus dem Zeitraum vom 19. Januar 1914 bis zum 13. Mai 1914. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. Pomiankowski schöpfte dabei auch aus nicht öffentlich zugänglichen Quellen. So berichtet er etwa über von Türken und Deutschen geheimgehaltene Beförderungen deutscher Offiziere auf hohe Posten in der osmanischen Armee. Pomiankowski an Kriegsministerium, 28. Januar 1914, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 449 Siehe dazu exemplarisch Pomiankowskis Berichte über Interna der deutschen Militärmission vom 31. Dezember 1914. Während der Militärbevollmächtigte in dem Schreiben an das Kriegsministerium vor allem eine aktuelle militärische Lageanalyse auf Basis seiner gesammelten Informationen lieferte (k.u.k Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 31. Dezember 1915, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1), kommunizierte er im Telegramm an das Evidenzbüro (k.u.k. Militärbevollmächtigter an Evidenzbüro, 31. Dezember 1914. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1) reine Fakten, die offenbar aus einer nachrichtendienstlichen Quelle stammten. Dabei ging es vor allem um die Mitteilung, daß der deutsche Militärattaché, von Strempel, den Chef der Militärmission, Marschall Liman von Sanders, beim deutschen Großen Hauptquartier als geisteskrank denunziert hatte und daraufhin abberufen wurde. 450 Siehe dazu exemplarisch: K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 31. Dezember 1914, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. Pomiankowski analysiert hier die Ernennung des Feldmarschalls von der Goltz zum Generaladjutanten des Sultans. Er sieht diese Ernennung als Teil eines Machtspieles in der Militärmission, um deren Chef, Liman von Sanders, zu entmachten. Der Bericht strotzt vor Interna, die auf einen oder mehrere Informanten in der deutschen Militärmission schließen lassen. Siehe auch: K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 30. Januar 1915, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. Auch dieser Bericht läßt auf
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erreichte etwa durch seine Beschreibung der Konflikte in der Militärmission, daß sich die im Kriegsministerium ventilierte Frage nach einer eventuellen Beteiligung Österreich-Ungarns an der Mission schnell erledigte.451 Nicht unterschätzt werden darf schließlich auch die Bedeutung rein faktischer Informationen aus dem Nachrichtendienst Pomiankowskis für die militärischen Entscheidungsträger in Wien. Deutlich zeigt sich das anläßlich der ersten Offensive des türkischen Heeres gegen Rußland im Kaukasus. Mitte September hatte Enver Pascha dort selbst den Befehl übernommen und eine schwere Niederlage erlitten. Pomiankowski ging in seinen Memoiren von mehr als 80.000 Toten und Verletzten aus.452 Die Jungtürken vermochten es, diese Niederlage weitgehend geheim zu halten.453 Bescheid wußten nur die Deutschen, denn Envers Generalstabschef Friedrich Bronsart von Schellendorf hatte die Niederlage miterlebt. Sie aber ließen ihre österreichischen Bundesgenossen offenbar im Unklaren über die Niederlage im Kaukasus. Nur so ist die handschriftliche Bemerkung auf einem Bericht Pomiankowskis vom Januar 1915 zu erklären, in dem er Einzelheiten des Enverschen Kaukasusunternehmens darlegt.454 In nicht identifizierbarer Handschrift steht auf einer Seite des im Kriegsministerium gründlich durchgearbeiteten und mit vielen Unterstreichungen versehenen Papiers: „Also ist Enver weder gefallen noch gefangen!“455 An dieser Stelle berichtete Pomiankowski von Envers Rückkehr nach Konstantinopel. Offenbar wußte man im Wiener Kriegsministerium zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was genau sich im Kaukasus abgespielt hatte.
Insider-Informationen aus der Militärmission schließen. Er ist mit „Reservat“, „Geheim“ und „Dem deutschen Generalstabe nicht mitzuteilen“ gekennzeichnet. Pomiankowski erläuterte hier die Frontlinien innerhalb der Militärmission. Er sah einen Machtkampf zwischen deren Chef Liman von Sanders auf der einen und Envers Generalstabschef Bronsart von Schellendorf auf der anderen Seite. 451 Ebenda. In dieser frühen Phase des Krieges befürwortete Pomiankowski einen vorsichtigen Schlingerkurs zwischen Deutschen und Türken, wie er in folgendem Schreiben formulierte: „Es ist unter diesen Umständen nicht unmöglich und sogar wahrscheinlich, dass – wenn nicht früher – so nach Beendigung des Krieges ein gewisser Rückschlag in der Türkei eintreten könnte. Mit Rücksicht auf diese Eventualität schiene es mir für uns vorteilhafter zu sein, trotz unserer sonstigen engen Allianz und Solidarität mit Deutschland in der Türkei bis zu einem gewissen Grade eine mehr unabhängige Politik zu führen. Eine solche Haltung wäre nicht allein den Türken angenehmer, sondern würde auch unserer Monarchie grösseren Nutzen versprechen, als wenn wir hier stets nur im Gefolge Deutschlands auftreten würden.“ 452 Pomiankowski: Untergang, S. 103. Der Chef der deutschen Militärmission, Otto Liman von Sanders, hatte Enver vor dieser Operation gewarnt. Er schätzte die Zahl der toten und verwundeten Türken auf etwa 78.000. Siehe Liman von Sanders: Türkei, S. 51–54. 453 „Es war verboten, darüber zu sprechen. Die gegen den Befehl handelten, wurden festgenommen und bestraft.“ Ebenda, S. 55. 454 K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 14. Januar 1915, KA, Kriegsministerium, 1915, Präs. 47/1. 455 Ebenda.
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Während in der Frühphase des Krieges – etwa bis zum Jahreswechsel 1915/1916 – vor allem die internen Vorgänge in der Militärmission Hauptthema der geheimen Berichte des Militärbevollmächtigten waren, änderte sich das Thema im Jahr 1916. Immer öfter ging es nun um das Verhältnis zwischen deutschen und türkischen Militärs. Pomiankowskis Nachrichtendienst berichtete insbesondere über auftretende Konflikte und analysierte sie.456 Informanten waren dabei unter anderem österreichisch-ungarische Artillerie-Offiziere, die in Palästina eingesetzt waren und regelmäßig an den Militärbevollmächtigten berichteten. Der Tenor blieb dabei zwischen 1916 und 1918 grundlegend gleich: Die Deutschen seien überheblich und behandelten ihre türkischen Bundesgenossen als Menschen zweiter Klasse. Die Österreicher hätten in jedem Fall ein erheblich besseres Verhältnis zu den Türken.457 Pomiankowski selbst transportierte dieses Thema Mitte Januar 1917 noch einmal in einem Bericht, der offenbar aus verschiedenen nachrichtendienstlichen Quellen zusammengestellt wurde.458 Er empfahl ausdrücklich, das höhere Ansehen ÖsterreichUngarns in der Bevölkerung für die eigene Politik zu nutzen.459 Bleibt die Frage zu klären, ob all diese Informationen in Wien im Ministerium der Äußeren und im Kriegsministerium, dort also, wo über die Grundlinien des Umgangs mit den Verbündeten entschieden wurde, Wirkung entfalteten. 456 Siehe dazu zum Beispiel: K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 17. Oktober 1916, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1. 457 So berichtete ein Oberleutnant Hoffer (Kommandant einer Ersatzabteilung für die österreichischungarischen Gebirgshaubitz-Batterien in Palästina) über die Verhältnisse auf der Etappenstraße im Taurus-Gebirge im Oktober 1916: „Während unser Verhältnis zu den Türken ein sehr gutes ist, ist das der Deutschen zu ihnen ein sehr schlechtes. Auch unsererseits wird mehr und mehr die Beobachtung gemacht, dass das präpotente Betragen deutscher Mannschaften sowohl gegen österreichische, als besonders gegen türkische Offiziere – es sind wiederholt schon Prügeleien zwischen deutschen Chauffeuren und türkischen Offizieren vorgekommen, dem Prestige der Mittelmächte keineswegs förderlich ist [...] Tatsächlich spitzen sich, wie aus verschiedenen Symptomen zu entnehmen, die Verhältnisse zwischen Deutschen und Türken immer mehr zu.“ Ebenda. 458 K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, 6. Januar 1917, KA, Kriegsministerium, 1917, Präs. 47/1. Pomiankowski gab in diesem Bericht einen allgemeinen Abriß der Verhältnisse in Syrien. Er befaßte sich insbesondere mit der zunehmenden Feindseligkeit der arabischen Bevölkerung gegen die Türken und deren Ursachen. 459 „Die Deutschen erfreuen sich als Verbündete der Unterdrücker nur geringer Sympathien im Lande. [...] Dazu kommt das schroffe, wenig schmiegsame Auftreten der Deutschen, welches ihnen den letzten Rest von Sympathien verscherzt hat. [...] Ein umso erfreulicheres Bild zeigt sich jedoch im Verhältnis der Bevölkerung zu den österr. ung. Soldaten in Syrien. Alle Meldungen erklären einstimmig, dass die Österreicher u. Ungarn sich allgemeinster Sympathien erfreuen [...] Das Geheimnis dieser Sympathien liegt lediglich im korrekten, freundlichen und nicht überhebenden Umgang unserer Offiziere und Mannschaften gegenüber den türkischen Kameraden und der einheimischen Bevölkerung. In diesen Sympathien liegt ein Kapital, das politisch auszunützen vielleicht nicht außer dem Bereich der Möglichkeiten liegt.“ Ebenda. Diese Passage wurde im Kriegsministerium mit zwei dicken roten Strichen am Rand hervorgehoben. Der Bericht ist mit dem Vermerk „Streng geheim“ versehen.
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In der Tat läßt sich eine solche Wirkung deutlich erkennen. Schon im Februar 1916 ergingen an den k.u.k. Botschafter in Konstantinopel aus dem Ministerium des Äußeren Instruktionen für sein künftiges Handeln, die sich eindeutig auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus der Türkei stützen.460 Die Anweisungen konstatierten eine sehr starke Abhängigkeit der Türkei von Deutschland. Trotzdem sei vorauszusehen, daß die Türken diese Abhängigkeit nicht lange hinnehmen würden: „[...] so werden wir damit rechnen müssen, daß die Machthaber in Konstantinopel versuchen werden, ein etwaiges deutsches Monopol zu eludieren und dies hauptsächlich durch das Wiederaufnehmen des unter Abdul Hamid so bewährten Gegenspieles der Mächte.“461 Aufgabe Österreich-Ungarns sei es nun, aus eben dieser Konstellation den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Ohne die Deutschen zu brüskieren, sollten die k.u.k. Stellen in Konstantinopel daher ihre Tätigkeit so ausrichten, „daß wir nicht durch die kritiklose Unterstützung etwaiger zu weitgehender deutscher Monopolisierungsabsichten auch uns das Mißtrauen der Türken zuziehen“.462 Darüber hinaus mangele es Österreich-Ungarn an den finanziellen Mitteln, mit Deutschland in der Türkei zu konkurrieren. Die Instruktionen fordern schließlich die Österreicher in der Türkei auf, sich „als vertrauensvoller Freund der Türkei zur Geltung zu bringen“.463 Dieser Erlaß an den Botschafter zeichnete eine Linie für die Zukunft österreichisch-ungarischen Handelns in der Türkei auf. Die Devise lautete nun: Abstand zu den Deutschen gewinnen, ohne das Bündnis mit ihnen zu gefährden, und gleichzeitig die Sympathien im Osmanischen Reich für eine weniger aggressiv handelnde Donau-Monarchie zu stärken. Darüber hinaus setzte der Erlaß den handelnden Akteuren in Konstantinopel kaum Grenzen. Um entsprechend dieses Erlasses zu handeln, waren umfangreiche Informationen über die inneren Verhältnisse des Osmanischen Reiches unabdingbar, und so waren diese ein weiteres wichtiges Thema für den österreichisch-ungarischen Nachrichtendienst. Betrachtet man das überkommene Material quantitativ, kristallisiert sich wiederum ein deutlicher Schwerpunkt der nachrichtendienstlichen Arbeit heraus: das Nationalitätenproblem in der Türkei und hier ganz besonders die Unabhängigkeitsbestrebungen der Araber. In den Akten findet sich für diesen Schwerpunkt keine konkrete Begründung, es läßt sich jedoch mit gutem Grund vermuten, daß die Leiter der österreichisch-ungarischen Politik sehr wohl um die Sprengkraft nationaler Bewegungen wußten, denn die Habsburger-Monarchie war selbst ein Vielvölkerstaat und mußte während des Ersten Weltkrieges mit Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Völker des Staatsverbundes fertig werden. Der Gefahr des Auseinanderbrechens eines Vielvölkerstaates – des eigenen oder des türkischen – durch Revolten nationaler 460 Gesichtspunkte zum Verhältnis Oesterreich-Ungarns zur Türkei. Abschrift eines streng vertraulichen Erlasses an Markgrafen Pallavicini in Konstantinopel, de dato Wien, 9. Februar 1916. PA, XII, Türkei, Konstantinopel 1848–1918, 208, Weisungen, Varia 1914–1918. 461 Ebenda. 462 Ebenda. 463 Ebenda.
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Minderheiten dürfte man sich in Wien besonders bewußt gewesen sein: Das Osmanische Reich wäre damit vermutlich aus dem Krieg ausgeschieden, und die österreichische Südost-Flanke wäre der Entente schutzlos preisgegeben gewesen. Obwohl konkrete Belege fehlen, spricht vieles dafür, daß die österreichischen Nachrichtendienste genau aus diesem Grund den nationalen Bestrebungen der nicht-türkischen Völker im Osmanischen Reich einen überproportionalen Teil ihrer Aufmerksamkeit widmeten. Insbesondere betrifft das die im arabischen Teil des Reiches gelegenen Konsulate und hier besonders das Generalkonsulat in Damaskus. Schon im Januar 1915 berichtete der Generalkonsul in Damaskus, ein Dr. Ranzi, von Repressionen der Türken gegen einheimische Araber.464 Eine nicht genau bezeichnete Anzahl libanesischer Notabeln sei in Jerusalem interniert worden. Es handle sich vor allem um Maroniten, aber auch um einen Griechisch-Orthodoxen sowie einen Drusen, schrieb der Konsul.465 Die Funktionen der Männer blieben vage. Offenbar gelang es nicht, konkretere Informationen zu sammeln. Dafür hatte Ranzi wohl recht gute Kontakte zu einigen arabischen Stammesführern. Ausführlich berichtete er etwa im Februar 1915 von einer Unterredung mit dem Ruwala-Fürsten Nūrī Šalān.466 Nūrī sei bereit, der türkischen Regierung Truppen zu stellen, so Ranzi. Trotzdem seien die Türken voller Mißtrauen gegen den Araber-Fürsten. Den Grund vermochte der Generalkonsul in seinem Bericht allerdings nicht zu nennen. In den folgenden Monaten, etwa bis Mitte 1916, beobachteten die Konsuln besonders intensiv die Verfolgung nationalistischer Araber durch die Türken. Im August 1915 berichtete der Konsul in Beirut über einen Prozeß gegen einige von ihnen.467 Elf Muslime seien zum Tode verurteilt und exekutiert worden, eine Anzahl Christen habe sich der Hinrichtung durch die Flucht nach Ägypten entziehen können. Der Prozeß habe die einheimische Bevölkerung sehr gegen die Türken aufgebracht, da die Verurteilungen als ungerecht empfunden worden seien.468 In der Folge schrieb 464 K.u.k. Generalkonsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 22. Januar 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 366, 1915. 465 Ebenda. 466 K.u.k. Generalkonsul an Ministerium des Äußeren, 6. Februar 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 366, 1915. Nūrī Šalān war Herrscher einer Stammeskonföderation, auf die sich später die Briten während des so genannten arabischen Aufstandes maßgeblich stützten. Siehe Lawrence, T. E.: Die sieben Säulen der Weisheit. München, 2000. S. 194, 743, 786–789. 467 K.u.k. Konsul in Beirut an Ministerium des Äußeren, 25. August 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 367, 1915. 468 „Das gleichzeitig mit der Execution zur Veröffentlichung gelangte Beweismaterial weist nämlich nur Korrespondenzen etc. auf, welche aus der Zeit vor Kriegsausbruch stammen. [...] Selbst unter den treuen Anhängern des türkischen Regimes werden allenthalben Stimmen laut, dass die Execution so vieler Mohammedander, unter welchen sich mehrere angesehene Notabeln befanden, ein Missgriff war, welcher dazu angetan ist, die sich anbahnende Verständigung zwischen Türken und Arabern zu vereiteln [Gemeint ist die Verständigung durch den gemeinsamen Kampf gegen die nichtmuslimischen Engländer.] und gerade die revolutionären Geister, welche über die Befreiung des Islams den alten Hass gegen die türkische Herrschaft zu vergessen begannen, zu neuer Tätigkeit aufzuhetzen.“ Ebenda.
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insbesondere der Generalkonsul in Damaskus über weiteren Repressalien gegen Araber. Im Mai 1916 erhielt er Kenntnis von einem Kriegsgerichtsverfahren gegen angebliche Hochverräter. Ranzi berichtete von 21 Todesurteilen und zehn Verurteilungen zu Freiheitsstrafen.469 Die beigelegten Kurzbiographien der Verurteilten lassen zumindest auf eine äußerst gründliche Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen schließen. In seiner Beurteilung der türkischen Repressionen unterschied sich Ranzi allerdings deutlich von seinem Beiruter Kollegen. Für ihn waren sie notwendig und ein Weg, Ruhe und Ordnung in der Provinz Syrien zu gewährleisten: „Die Tatkraft und unerbittliche Konsequenz, mit welcher Djemal Pascha seit seinem Aufenthalte in Syrien das von fremden Intrigen durchsetzte Land von den staatsfeindlichen Elementen zu säubern und zu einer gehorsamen Provinz des Reiches zu machen bestrebt ist, erscheint trotz der fürchterlichen Strenge der Urteile der Anerkennung wert.“470
Einige Tage später berichtete Ranzi über die Exilierung von mehr als 200 Arabern in Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Prozeß.471 Obwohl der Damaszener Generalkonsul offenbar Kontakte zu den arabischen Stämmen in der Wüste unterhielt – das bereits erwähnte Gespräch mit Nūrī Šalān legt das nahe – waren doch seine Informationen offenbar nicht völlig ausreichend, um die Vorgänge, die schließlich zum „arabischen Aufstand“ führten, zu registrieren und korrekt zu bewerten. Der Aufstand einzelner Beduinenstämme hatte am 5. Juni 1916 begonnen. Sie griffen Medina an, nahmen Mekka, unterbrachen die Eisenbahnlinie nach Medina und marschierten auf die Hafenstadt Jidda.472 Fünf Tage später, am 10. Juni 1916, hatte Ranzi in Damaskus von diesen Ereignissen noch keine Ahnung. In einem an diesem Tage verfaßten Schreiben an das Wiener Ministerium des Äußeren berichtet er über die für ihn überraschende Abreise des Sohnes des Emirs von Mekka aus Damaskus.473 Fays.al wolle angeblich in Mekka ein Hilfscorps für die Türkei ausrüsten. Ranzi allerdings glaubte an einen Vorwand und schloß aus der Abreise Fays.als auf einen Kurswechsel des Emirs von Mekka zu Ungunsten der Türken.474 Bemerkenswert ist dabei auch der Wandel in seiner Bewertung der anti469 K.u.k. Generalkonsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 11. Mai 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917. 470 Ebenda. 471 K.u.k. Generalkonsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 24. Mai 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917. 472 Wilson: Lawrence, S. 199. 473 K.u.k. Generalkonsul an Ministerium des Äußeren, 10. Juni 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917. 474 „Das offene Abschwenken des Emirs scheint mit der kürzlich avisierten Landung englischer Truppen in Akaba zusammenzuhängen. Jedenfalls würde die Eventualität, daß der Großscherif sich auf die Seite der Gegner der Türkei stellt, bei dem Ansehen, das er in der arabisch-mohammedanischen Welt genießt, eine Gefahr für die arabischen Provinzen der Türkei darstellen [...] Denn es sind Anzeichen vorhanden, daß die vielen Todesurteile und Exilierungen eine Gärung unter
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arabischen Repressalien in Syrien. Vorher gebilligt, sah Ranzi sie nun auf Grund der Abreise Fays.als als Gefahr für die türkische Herrschaft. Sein nächster erhaltener Bericht nach Wien475 spricht bereits von einem Aufstand im Hedschas. Ranzi wußte von den Kämpfen in der Umgebung Medinas und bezeichnete die Lage als „ernst“.476 Sonstige Details über die Kämpfe vermochte er zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht zu liefern. Am 12. Juli folgte ein weiterer Bericht aus seiner Feder, der mehr militärische Details enthielt und in dem er erstmals Gründe für die Revolte zu nennen versuchte.477 Für Ranzi war zum einen der britische Einfluß auf den Emir von Mekka eine Ursache. Zum anderen sah er die materielle Notlage der Wüstenstämme als Grund für die Erhebung an. Die Türken hätten zu wenig Getreide in den Hedschas geliefert und die Stämme so regelrecht in die Arme der Engländer getrieben.478 Richtigerweise registrierte er den überragenden britischen Einfluß, der entscheidend für den Beginn der Revolte gewesen ist.479 Während der Generalkonsul in Damaskus schon offen von einem Aufstand sprach, war die k.u.k. Botschaft in Konstantinopel offensichtlich schlechter informiert.480 In seinem Bericht nach Wien vermochte der in Vertretung des Botschafters schreibende erste Botschaftsrat Graf Trauttmannsdorf nur Ranzis Informationen wiederzugeben, die allerdings dort bereits bekannt waren, da Ranzi auch parallel nach Wien berichtet hatte.481 Trauttmannsdorf schwächte die Äußerungen des Generalkonsuls darüber hinaus ab. Er äußerte lediglich die Vermutung, daß der Emir vom Mekka „auf die Seite der Engländer getreten zu sein scheint“.482 Eine auf umfassenderen Informationen basierende Würdigung der Vorgänge im Hedschas gelang der Botschaft erst Anfang Juli 1916.483 Wieder schrieb Trauttmannsdorf. Er sah zu diesem Zeitpunkt die militärische Seite des Aufstandes als lösbar an. Politisch sei nun aber die arabische Frage „in ihrer Gänze aufgeworfen“.484 Es gebe nun für die arabischen Stämme nur die Möglichkeit, sich den Rebellen anzuschließen oder loyal zu bleiben. Die Möglichkeit einer abwartenden Neutralität, wie sie bisher verschiedene der Bevölkerung Syriens erzeugt haben, die, wenn sie auswärts eine Stütze findet, zum Ausbruch kommen könnte.“ Ebenda. 475 K.u.k. Generalkonsul an Ministerium des Äußeren, 22. Juni 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917. 476 Ebenda. 477 K.u.k. Generalkonsul an Ministerium des Äußeren, 12. Juli 1916, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917. 478 Ebenda. 479 Siehe dazu unten S. 231f. 480 K.u.k. erster Botschaftsrat in Konstantinopel an Ministerium des Äußeren, 30. Juni 1916, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 210. 481 Ebenda. 482 Ebenda. 483 K.u.k. erster Botschaftsrat in Konstantinopel an Ministerium des Äußeren, 8. Juli 1916, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 210. 484 Ebenda.
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Stämme gepflegt hatten, bestehe jetzt für sie nicht mehr. Hellsichtig waren Trauttmannsdorfs Bemerkungen zur Zukunft der türkischen Herrschaft in den arabischen Gebieten – er gab ihr keine Chance, den Krieg zu überleben.485 Schneller als die zivilen Stellen Österreich-Ungarns faßten sich die Militärs in der Türkei. Pomiankowski war am 15. Juli 1916 in der Lage, einen – wenn auch sehr lückenhaften – Bericht seines Nachrichtendienstes nach Wien zu senden.486 Pomiankowski gab darin zu, von den Vorgängen überrascht worden zu sein. Zur Entschuldigung der dürftigen Nachrichtenlage gab er zwei Gründe an. Zum einen hätten die Türken kein Interesse daran, über die Vorgänge an den heiligen Städten des Islam zu informieren. Es sei „fast unmöglich, über die letzteren erschöpfende Auskunft zu erhalten“.487 Zum anderen seien Medina und Mekka durch die Unterbrechung des Telegrafen vom Rest des Landes abgeschnitten, so daß „selbst die Regierung über die Vorgänge südlich ersterer Stadt keine authentischen Nachrichten besitzt“.488 Über die Ursachen des Aufstandes könne man aus diesen Gründen keine verläßlichen Angaben machen. Klar sei jedoch, daß sich die Rebellen in vollem Einverständnis mit England befänden und Waffen von dort bekämen. Pomiankowski sah zu diesem Zeitpunkt die Situation aufgrund seiner Informationen jedoch nicht als ausweglos an.489 Die militärische Lage, über die Pomiankowski aus unbekannter Quelle erstaunlich korrekt informiert war,490 gab zu diesem Zeitpunkt durchaus noch Anlaß zur Hoffnung, daß es den Türken gelingen könnte, den Aufstand zu ersticken.491 Diesen Optimismus behielt Pomiankowski den ganzen Sommer hindurch bei.492 Inwieweit sich der Nachrichtendienst des Militärbeauftragten später weiter mit der 485 „Und sollte England nicht auf der ganzen Linie in seinem Krieg mit der Türkei der Geschlagene sein, so wird es meiner Ansicht nach auf einer Konzession zu Gunsten der Araber und des arabischen Kalifates bestehen, eine Lösung der Frage, welche, wenn sie auch vielleicht auch nicht sofort den Zusammenbruch der türkischen Herrschaft über alles, was arabisch ist, darstellen sollte, so doch den unaufhaltsamen Abfall aller von Arabern bewohnten Provinzen vom türkischen Reiche bedeuten müsste.“ Ebenda. 486 K.u.k. Militärbevollmächtigter in Konstantinopel an Kriegsministerium, 15. Juli 1916, KA, Kriegsministerium, 1916, Präs. 47/1. 487 Ebenda. 488 Ebenda. 489 „Er [der Aufstand] ist für die Türkei zweifellos eine ernste Verlegenheit, doch schiene es mir übertrieben, denselben als eine Gefahr für das Reich aufzufassen.“ Ebenda, Unterstreichungen im Original. 490 „Sein [Scherif usayns] Anhang beschränkt sich gegenwärtig auf einige halbwilde Araberstämme in der Umgebung von Mekka, welche er hauptsächlich durch englisches Geld für sich gewonnen und mit durch Engländer gelieferte allerdings moderne Waffen ausgerüstet hat.“ Ebenda. 491 Nach den Anfangserfolgen traten die Kämpfe in der Gegend von Mekka und Medina auf der Stelle. Die Türken rüsteten zu diesem Zeitpunkt eine Expedition zur Niederschlagung des Aufstandes aus. Den Arabern gelang es erst Anfang Oktober wieder, eine Reihe von Gefechten für sich zu entscheiden. Wilson: Lawrence, S. 207–213. 492 Siehe auch: K.u.k. Militärbevollmächtigter in Konstantinopel an Kriegsministerium, 12. August 1916, KA, Kriegsministerium, 1916, Präs. 47/1.
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Rebellion befaßte, ist unklar. Seit August 1916 sind keine Dokumente mehr überliefert. Allerdings sammelten die Konsulate weiter intensiv entsprechende Nachrichten. Rein geographisch war der zivile Nachrichtendienst hier demjenigen Pomiankowskis überlegen. Die Konsuln befanden sich ganz einfach in der Nähe des Geschehens und konnten sich aus diesem Grunde Quellen erschließen, die nicht auf einen funktionierenden Telegrafen angewiesen waren. Bis September 1918 sind in den Archiven allein aus dem Damaszener Konsulat zehn umfangreiche Berichte über den arabischen Aufstand erhalten.493 Sie konzentrieren sich in der Regel auf die türkischen Gegenmaßnahmen und referieren die aktuelle Lage. Ihre Intention war offenbar reine Information der maßgeblichen Stellen in Wien, damit dort die innere Stabilität des Bundesgenossen bewertet werden konnte. Im Gegensatz zu den Berichten über deutsche Aktivitäten fehlen nämlich Vorschläge für das eigene Handeln vollständig. Österreich-Ungarn, so läßt sich schließen, war hier Zuschauer, kein Akteur. Ein aktives Eingreifen ließen schon allein die begrenzten Ressourcen der Donaumonarchie nicht zu, obwohl Österreich-Ungarn ein starkes Interesse an einer stabilen Türkei gehabt haben muß. Letztendlich aber setzte sich bei den Beobachtern aufgrund der vorliegenden Informationen aus den einzelnen Konsularbereichen im Laufe der Zeit ein durch und durch pessimistisches Bild der Lage in den arabischen Landesteilen durch. Der erste Botschaftsrat Trauttmannsdorf faßte das schon im April 1917 in einem Bericht zusammen, der ganz eindeutig von einer Nachkriegs-Türkei ohne Araber ausging: ,,Djemal Pascha hat es durch sein Regime erreicht, dass jeder Araber in Palästina und Syrien, ohne Ausnahme, heute die Franzosen und Engländer mit offenen Armen empfängt, weil er während des Krieges und unter der Verwaltung Djemal Paschas erst so recht einsehen gelernt hat, wie fraglich die Segnungen der Zugehörigkeit zum türkischen Reiche sind. Es ist aber andererseits seiner Regierungsweise zuzuschreiben, dass auch die ruhig denkenden und einsichtigen Türken zur Überzeugung gelangt sind, dass infolge der türkenfeindlichen Stimmung in Palästina, Syrien und den arabischen Gebieten, sowie infolge des wirtschaftlichen Niedergangs dieser reichen Provinzen, die Türkei aus diesem Kriege um weite Territorien ärmer wird herausgehen müssen.“494
Wirksam wurde diese Erkenntnis – etwa durch eine Annährung an maßgebliche Araber in Syrien – in der österreichisch-ungarischen Politik jedoch nicht, zumindest gibt es davon keinerlei Spuren in den Akten. Was nun die Frage einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit ÖsterreichUngarns mit Deutschland oder der Türkei angeht, so sind auch darauf in den Wiener Aktenbeständen keine Hinweise zu finden. Die Türken schienen in dieser Hinsicht 493 Siehe PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 370, 1916/1917 und 371, 1918. 494 K.u.k. erster Botschaftsrat an Ministerium des Äußeren, 14. April 1917, PA, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 211 Berichte 1917.
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sehr zurückhaltend gewesen zu sein. Darauf deutet vor allem das oben beschriebene Verhalten nach Ausbruch der arabischen Revolte hin. Gesichert ist hingegen eine Zusammenarbeit zwischen Österreich-Ungarn und der Türkei im Bereich der Spionageabwehr. Im Mai 1916 trat die osmanische Botschaft in Wien an das Ministerium des Äußeren heran, um eine Regelung bezüglich Spionageverdächtiger türkischer Staatsangehöriger auf k.u.k. Gebiet zu erreichen.495 Die türkische Regierung schlug ein Abkommen über gegenseitige Auslieferung solcher Personen vor. Die Wiener Polizei-Direktion als Träger der Inlandsspionage-Abwehr und das Innenministerium stimmten, zu einer Stellungnahme aufgefordert, einem solchen Vertrag zu,496 jedoch nur, wenn sich die betroffenen Personen nicht in Österreich-Ungarn strafbar gemacht hätten und somit nicht die Kompetenz der einheimischen Gerichte verletzt würde. Die Österreicher schlugen schließlich drei Kategorien Verdächtiger vor, die für eine Auslieferung in Frage kämen.497 Das Innenministerium rechtfertigte diese äußerst restriktiven Vorschläge – schon der bloße Verdacht genügte für eine Ausweisung in die Türkei – mit den speziellen Notwendigkeiten der Kriegszeit. Es sei „sehr bedenklich derartige Individuen in neutrale Länder abzuschieben, von wo sie ungehindert mit den Feinden der Türkei und somit auch mit jenen der Monarchie in Berührung treten könnten“.498 Im Gegenzug sicherte die Türkei Österreich-Ungarn zu, jeden Österreicher oder Ungarn auszuliefern, den die Botschaft benennen würde, und darüber hinaus verdächtige österreichisch-ungarische Staatsbürger der Botschaft zu melden.499 Wann genau dieses Abkommen unterzeichnet wurde, ist nach der Aktenlage unklar. Wirksam war es jedenfalls spätestens im Frühjahr 1917, denn im April des Jahres wurde ein erster türkischer Staatsangehöriger griechischer Nationalität wegen Briefeschmuggels und Spionageverdacht von Österreich über Bulgarien an die Türkei ausgeliefert.500 Aufmerksam beobachteten die österreichisch-ungarischen Nachrichtendienste entente-freundliche Propaganda im Osmanischen Reich. Von einiger Bedeutung war diese insbesondere in der Zeit vor dem Eintritt der Türkei in den Krieg, also vor dem November des Jahres 1914. Mitte August dieses Jahres meldete das k.u.k. Konsulat in Damaskus aus ganz Syrien starke Propagandatätigkeit „zu Gunsten unserer
495 Ministerium des Äußeren an Botschafter in Konstentinopel, 23. August 1916, PA, Türkei, Konstantinopel, Weisungen, Varia, 1914–1918, 208. 496 Ebenda. 497 „[...] ottomanische Staatsangehörige [...] welche, a) nach Verbüssung der ihnen etwa zuerkannten Strafe aus der Strafhaft entlassen werden, b) mangels Beweisen vom Gerichte freigesprochen oder überhaupt nicht angeklagt werden, c) zwar verdächtig erscheinen, ohne dass jedoch greifbare Verdachtsmomente vorliegen, so dass nicht einmal ihre Einlieferung in ein Gericht erfolgen kann.“ Ebenda. 498 Ebenda. 499 Ebenda. 500 Botschafter in Konstantinopel an Ministerium des Äußeren, 22. Mai 1917, Türkei, Konstantinopel, Weisungen, Varia, 1914–1918, 208.
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Gegner“.501 Deren Träger seien die unter französischem Schutz stehende Geistlichkeit sowie die Konsularbeamten der damals noch in Damaskus befindlichen französischen, englischen und belgischen Konsulate.502 Diese Propaganda bezog sich vor allem auf die Verbreitung von Nachrichten vom europäischen Kriegsschauplatz.503 Der österreichische Konsul berichtete in seinem Schreiben weiter, daß es ihm gelungen sei, die türkischen Behörden zu bewegen, „affichieren [zu] lassen, demzufolge die Verbreiter falscher und tendenziöser Nachrichten in Hinkunft streng bestraft werden“.504 Das Damaszener Konsulat berichtete abermals im September 1914 – also noch immer vor dem offiziellen Kriegseintritt der Türkei – über Entente-Tätigkeit in Syrien.505 Erneut war hier auch die Geistlichkeit Gegenstand. Die Türken hätten die Funkanlage „der französischen Jesuitenpatres in Ksara (Bezirk Bekaa)“506 beschlagnahmt. Die Jesuiten hätten sie seit dem Ausbruch des Krieges in Europa zur Kommunikation mit den vor der syrischen Küste kreuzenden französischen Kriegsschiffen benutzt, schrieb der Konsul weiter. Außerdem seien im syrischen Drusengebiet Engländer und Franzosen aufgegriffen worden, die versucht haben sollten, die Drusen gegen die türkische Regierung aufzuwiegeln.507 Doch auch nachdem die offiziellen französischen und britischen Vertreter die Türkei verlassen mußten, berichteten die österreichischen Konsulate weiter über Entente-Propaganda vor allem in Syrien und dem Libanon. Die türkischen Behörden hätten es vermocht, den Zufluß von Nachrichten über Land zu unterbinden, „so dass die Franzosen schließlich auf den Ausweg verfielen, durch Flieger ihr Propagandamaterial auswerfen zu lassen“.508 Es handle sich dabei um ägyptische Zeitungen und Proklamationen in arabischer Sprache.509 501 K.u.k. Konsulat in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 13. August 1914, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 363, 1914. 502 Ebenda. 503 „Französische und englische Siegesnachrichten werden täglich verbreitet und finden bei der leichtgläubigen christlichen Bevölkerung Anklang, wobei unsere und die deutscherseits hier einlangenden Nachrichten dementiert und als unwahr dargestellt werden.“ Ebenda. 504 Ebenda. 505 K.u.k. Konsulat an Ministerium des Äußeren, 10. September 1914, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 363, 1914. 506 Ebenda. 507 „Der Djebel ist in letzter Zeit von einer Anzahl englischer und französischer Emissäre bearbeitet worden und hat man 5 derselben, zwei Engländer und drei Franzosen habhaft werden können. Sie befinden sich gegenwärtig im Gefängnisse von Damaskus.“ Ebenda. 508 K.u.k. Konsulat in Beirut an Ministerium des Äußeren, 5. Oktober 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1915. 509 Dem Bericht liegt die Übersetzung eines solchen Flugblattes bei. Im wesentlichen wurde darin der baldige Zusammenbruch der Türkei und Deutschlands vorausgesagt. Die Araber in Syrien wurden zum Aufstand aufgerufen, Frankreich als natürlicher Freund der Araber dargestellt: „Frankreich ist die Beschützerin des Rechts und des freien Gedankens. Frankreich wird die Provinz Syrien und Palästina vom drückenden Türkenjoch befreien, das durch den deutschen Barbareneinfluss noch drückender auf dem armen geknechteten Volke lastet. Nahe ist die Zeit, wo Frankreichs Fahnen
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Bis zum Kriegsende sind weitere Nachrichten dieser Art nicht erhalten. Es kann wohl daraus geschlossen werden, daß die türkischen Behörden der entente-freundlichen Propaganda durch Repression weitgehend den Boden entzogen hatten. Auch die Intensität der bald einsetzenden deutschen Propaganda dürfte die Aktivitäten der Gegner bald übertönt haben. Keine Hinweise lassen sich aus den österreichischungarischen Quellen auf die Existenz britischer Spionagenetze lesen. Wie oben erwähnt, flossen zwischen 1914 und 1918 auch Nachrichten aus der Schweiz, die Bedeutung für den orientalischen Kriegsschauplatz hatten. Im wesentlichen beobachteten die Österreicher dort den ägyptischen Ex-Khediven und die von England exilierten ägyptischen Nationalisten sowie die Aktivitäten der zionistischen Bewegung. Darüber hinaus war insbesondere die Region um den Genfersee ein Zentrum oppositioneller Tätigkeit osmanisch-türkischer Eliten.510 Der Umfang der erhalten gebliebenen Dokumente ist leider sehr gering. Trotzdem lassen die wenigen auf uns gekommenen Berichte darauf schließen, daß die Österreicher gute Quellen bei den in der Schweiz lebenden und intrigierenden ägyptischen Emigranten besaßen. Der k.u.k. Militärattaché in Bern verfaßte im April 1917 einen Bericht, der von sehr intimen Einblicken in das Leben des Ex-Khediven ‘Abbās ilmī zeugt.511 Der Bericht nennt als Informanten „Vertrauensleute“,512 die von einem „Hauptmann Schulhof“513 geführt wurden. Die Lage des Ex-Khediven im Schweizer Exil wurde darin als kritisch beschrieben. Insbesondere Geldmangel mache ‘Abbās ilmī zu schaffen.514 Dieser Zustand lasse ihn empfänglich für britische Angebote werden. Konkret sei ihm von dieser Seite vorgeschlagen worden, endgültig auf den Thron zu verzichten, seinen Wohnsitz in einem Entente-Land zu nehmen und dafür wieder die Verfügungsgewalt über sein Vermögen in Ägypten zu bekommen.515 Seine französische Maitresse bearbeite ihn, dieses Angebot anzunehmen. Es ist unklar, ob es ein solches Angebot wirklich gegeben hat – plausibel wäre es allerdings. Der ExKhedive blieb jedoch in der Schweiz. Der österreichische Bericht enthielt außer-
auf eurer geheiligten Erde aufgepflanzt werden. Dann huldigt als freies Volk unseren Fahnen. Empfanget Frankreich als eure Beschützerin! [...] Ihr geht einer goldenen Zukunft entgegen, der Freiheit und Unabhängigkeit, des Reichtums und Erwerbs. Eure Nachkommen brauchen das türkisch-deutsche Sklavenjoch nicht mehr zu tragen.“ Beilage zu k.u.k. Konsulat in Beirut an Ministerium des Äußeren, 5. Oktober 1915, PA, XXXVIII, Konsulate, 1848–1918, 369, 1915. 510 Siehe zu diesen Gruppen Kieser, Hans-Lukas: Vorkämpfer der „Neuen Türkei“, Revolutionäre Bildungseliten am Genfersee (1870–1939). Zürich, 2005. 511 K.u.k. Militärattaché in Bern an Kriegsministerium, 9. April 1917, Res. No. 1489, KA, Archive der Militärattachees, Bern, Karton 18. 512 Ebenda. 513 Ebenda. 514 „Es soll mit der Banque de Lausanne wegen Aufnahme einer Anleihe von 1,5 Millionen Francs in Verhandlung stehen und erhielt als Anzahlung bisher nominell 100.000 Frcs., in Wirklichkeit nur 85.000 Frcs.“ Ebenda. 515 Ebenda.
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dem eine Reihe sehr persönlicher Details über das Leben des ‘Abbās ilmī.516 Den Österreichern war es demnach offenbar gelungen, eine Quelle ganz in der Nähe des abgesetzten Fürsten zu rekrutieren. Im Jahr 1916 geriet auch die zionistische Bewegung in der Schweiz in das Visier der österreich-ungarischen Nachrichtendienste. Den Grund für das Interesse benennt eine Notiz des Militärattachés in Bern:517 Laut des nicht namentlich genannten Informanten spaltete sich die zionistische Bewegung in der Schweiz in zwei Gruppen. Die eine wünschte einen Sieg der Mittelmächte, damit diese „eine Autonomie Palästinas unter der Oberherrschaft der Türkei erwirken sollen“.518 Die Vertreter der anderen Strömung arbeiteten dagegen „mit grösster Energie für die Sache der Entente und hoffen, England und Frankreich werden nach Besiegung der Türkei die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit Palästinas mit Freihafen etc. garantieren“.519 Da eine Niederlage der Türkei aber aller Voraussicht nach auch eine Niederlage Österreich-Ungarns bedeuten würde, war der Nachrichtendienst in der Schweiz gefordert, die als feindselig wahrgenommenen zionistischen Strömungen zu beobachten. Das gelte um so mehr, als die Propaganda der Entente-freundlichen Zionisten bestrebt war, den Krieg ganz unmittelbar zu beeinflussen. So enthält die Notiz auch einen Hinweis auf eine zionistische Propaganda-Veranstaltung in Zürich, auf der um jüdische Freiwillige für die britische Armee geworben wurde.520 Nur wenige Tage später brachte der k.u.k. Militärattaché, Oberst von Einem, erneut seine Besorgnis über die zionistische Propaganda in der Schweiz zum Ausdruck.521 Der Oberst befürchtete, daß „die Entente die Bewegung für ihre Zwecke nutzbar zu machen [sucht]“.522 Die Juden hätten in erster Linie für England, Frankreich und Italien Sympathien „wo ihre Religionsgenossen im staatlichen, wie auch im gesellschaftlichen Leben das Meiste erreichen“.523 Einems Schlußfolgerungen klingen fast schon alarmierend: Er riet, den Entente-Bestrebungen unverzüglich entgegenzutreten, warnte vor einem Übergreifen pro-britischer Gefühle auf die Juden
516 „In den letzten Tagen wurde eine Art Familienrat abgehalten, doch kam es zu keiner endgiltigen Entscheidung, weil Abbas England noch nicht traut und befürchtet, wenn er seinen Wohnsitz in einem Ententeland nimmt, dort als Gefangener behandelt zu werden. Abbas reist viel herum, war im Tessin und dürfte jetzt in Zürich sein. Da er keinem seiner Sekretäre traut, darf nur sein Schwiegersohn Djelaleddin die Post aufmachen.“ Ebenda. 517 Notiz, Gegenstand: Zionistische Propaganda, Dr. Pincus, Joffe, Zürich, 23. November 1916, Archive der Militärattachés, Bern, Karton 17. 518 Ebenda. 519 Ebenda. 520 Ebenda. 521 K.u.k. Militärattaché in Bern an k.u.k. Botschafter in Bern, 5. Dezember 1916, Archive der Militärattachés, Bern, Karton 17. 522 Ebenda. 523 Ebenda.
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Österreich-Ungarns und vor einer steigenden Spionagegefahr.524 In einer Aktennotiz vom gleichen Tag ventilierte Einem die Idee, zur Abwehr der Entente-freundlichen Zionisten, eine jüdische Zeitung, finanziert von der österreichischen Regierung, zu gründen.525 Diese solle sich „hauptsächlich an die Juden in Polen, im Osten der Monarchie und in Ungarn wenden“.526 Ziel der Zeitung sollte es sein, die Loyalität der österreichischen Juden gegenüber dem Kaiserhaus zu stärken. Einem hatte dabei auch schon einen loyalen Frontmann für das Unternehmen im Blick, nämlich den Rabbiner Oskar Gruen.527 Was die Realisierung dieser Idee betrifft, so ist in den hier untersuchten Quellen kein Hinweis darauf zu finden, daß diese Zeitung wirklich erschienen ist. Nach den wenigen erhaltenen Akten des Militärattachés in Bern zu urteilen, wurde die zionistische Bewegung in der Schweiz bis zum Kriegsende intensiv beobachtet – nicht ohne Erfolge. Im Juni 1917 – rund ein halbes Jahr vor der Balfour-Deklaration528 – meldeten k.u.k. Informanten, daß sich Großbritannien dazu entschlossen habe, in Palästina einen Judenstaat zu errichten.529 Auch der deutsche Gesandte in Bern unterhielt einen Nachrichtendienst, der sich ausschließlich mit den Emigranten aus dem Nahen und Mittleren Osten befaßte. Ob aus diesen Quellen Informationen von Wert geflossen sind, ist wegen der schlechten Überlieferung unklar. Allerdings enthüllt die nach dem Kriegsende erfolgte Auflösung die Struktur dieses Dienstes. Darüber hinaus zeigt sie, daß Deutschland sich um die Sicherheit und das Auskommen seiner Agenten offenbar gekümmert 524 „Es wäre für uns von ausserordentlich grossem Vorteile, wenn wir den Bestrebungen der Entente nicht nur entgegen d. h. ihren Bemühungen die Bewegung für ihre Zwecke auszunützen entgegenarbeiten würden, sondern wenn wir eine Organisation [Einem meint hier die zionistische Bewegung im Allgemeinen], der so grosser Einfluss und so zahlreiche Verbindungen zur Verfügung stehen, für unserer Zwecke ausnutzen könnten. Eine Tätigkeit dieser jüdischen Organisation im Sinne der Entente birgt eine nicht zu unterschätzende und naheliegende Gefahr. Es erscheint ausser Zweifel, dass die Entente die ihr ergebenen Vertreter dieser Ideen in der Richtung benützen will oder wahrscheinlich schon benützt, dass durch sie ein weitverzeigter Nachrichtendienst betrieben wird. Zu diesem würden die in den östlichen Teilen der Monarchie lebenden Juden, die aus religiösen Gründen der Bewegung blind anhängen, herangezogen werden.“ Ebenda, Unterstreichungen im Original. 525 Aktennotiz: Jüdische Bewegung, 5. Dezember 1916, Archive der Militärattachés, Bern, Karton 17. 526 Ebenda. 527 „Der oesterreichische Staatsangehörige Oskar Gruen, diplomierter Rabbiner in Zürich, ein vollkommen ergebener und loyaler Mann, der uns schon erhebliche Dienste leistete, hatte in dieser Richtung Gespräche mit der k.u.k. Gesandschaft.“ Ebenda. 528 Der britische Außenminister Lord Balfour sicherte am 2. November 1917 in einem Schreiben an den prominenten Zionisten Lord Rothschild die britische Unterstützung für die Errichtung eines „nationalen Heimes für das jüdische Volk in Palästina“ zu. Siehe dazu etwa Yapp, M. E.: The making of the modern Near East 1792–1923. London, New York, 1994, S. 289ff. Die Balfour Deklaration wurde erstmals in der Londoner Times vom 9. November 1917 auf S. 7 veröffentlicht. 529 „England beabsichtigt in Syrien (:Palästina:) einen Judenstaat zu errichten [...] Es strebt daher militärisch unbedingt die Besetzung Jerusalems an.“ K.u.k. Konsulat Genf an k.u.k. Militärbevollmächtigten in Bern, 2. Juni 1917, Res. No. 2527, KA, Archive der Militärattachés, Bern, Karton 19.
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hat, auch als der Krieg schon verloren war: Im Januar 1919 gab das Auswärtige Amt an den Gesandten in Bern Weisung, Pläne zur Auflösung der „orientalischen Nachrichtenorganisation“530 zu entwickeln. Das AA lege keinen Wert mehr auf dessen Weiterbestehen. Einen knappen Monat später konkretisierte Berlin dann diese Anweisung. Alle Agenten, bis auf zwei, sollten entlassen werden, die beiden letzten seien „erst zu entlassen, [...] wenn die regelmäßige Verbindung mit Konstantinopel wieder hergestellt ist und die türkische Kolonie in der Schweiz ihre jetzige Bedeutung für uns verloren hat“.531 Fünf Tage später erstellte schließlich der Gesandte eine Art Schlußabrechnung seines orientalischen Dienstes. Drei ungenannte Agenten seien bereits ausgeschieden. Zwei andere – ebenfalls ungenannte – verblieben auf der Gehaltsliste der Gesandtschaft, während für drei weitere Abfindungen vorgeschlagen wurden.532 Diese Abfindungen wurden schließlich gezahlt, die Deutschen kamen außerdem für die Heimreise des Persers Djelil Khan auf.533 Einer der Agenten, die ursprünglich im Dienst verbleiben sollten, war der Ire Gerald Gifford.534 Seine Lage wurde allerdings gegen Ende des Jahres 1919 in der Schweiz unhaltbar, so daß die Deutschen ihm die Ausreise nach Deutschland ermöglichten. Dort wurde ihm eine Beschäftigung bei einer Zeitung vermittelt.535
2.4 Gegen Deutschland: Österreichs Propaganda in der Türkei Die deutsche Propaganda in der Türkei – ihre vollständige Durchdringung der politischen und militärischen Institutionen, ihr Einwirken auf alle Schichten und Klassen des Osmanischen Reiches bis hin zu den ärmsten, elendesten Analphabeten – ließ all das überhaupt Raum für eine weitere Macht? Hatte Österreich-Ungarn auch nur den Hauch einer Chance, über das Mittel der Propaganda seinen Ein530 Auswärtiges Amt an Gesandten in Bern, 21. Januar 1919. PAAA, Weltkrieg Nr. 11t, geheim, R 21282. 531 Auswärtiges Amt an Gesandten in Bern, 13. Februar 1919. PAAA, Weltkrieg Nr. 11t, geheim, R 21282. 532 Bei diesen handelte es sich um Zia Bey Koubanine, im deutschen Sold seit Juli 1916, Dotierung: 1000 Franken/Monat, Andon Vahan Bey, im deutschen Solde seit Juli 1918, Dotierung: 1000 Franken/Monat und Dr. Djelil Khan, im deutschen Dienst seit Juli 1917, Dotierung: 350 Franken/Monat. Für den ersteren schlug der Gesandte eine Abfindung von 6000 Franken vor, für die beiden anderen jeweils 2000 Franken. Gesandter in Bern an Auswärtiges Amt, 18. Februar 1919 und Gesandter in Bern an Auswärtiges Amt, 30. Januar 1920. PAAA, Weltkrieg Nr. 11t, geheim, R 21282. 533 Generalkonsulat Genf an Auswärtiges Amt, 8. März 1920. PAAA, Weltkrieg Nr. 11t, geheim, R 21282. 534 Deckname „Dicker“. Eine vertiefende Arbeit über das Leben und die Tätigkeit dieses irischen Nationalisten existiert nicht. 535 Gesandter in Bern an Auswärtiges Amt, 13. Oktober 1919. PAAA, Weltkrieg Nr. 11t, geheim, R 21282.
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fluß in der Türkei zu vergrößern, das Image der Monarchie zu verbessern und sich so letztlich dem nahöstlichen Bundesgenossen und den Menschen des Landes als Alternative zur einseitigen Anlehnung an Deutschland zu verkaufen? Obwohl die Wirksamkeit von Propaganda ausgesprochen schwer einzuschätzen ist, sei an dieser Stelle bereits gesagt: Die Donau-Monarchie agierte in Sachen Propaganda äußerst geschickt. Österreich-Ungarn gelang es, durch eine klug durchdachte Strategie, sich vom großen Bundesgenossen Deutschland deutlich abzusetzen, nicht nur als dessen Anhängsel wahrgenommen zu werden, sich ein eigenes Profil zu schaffen und sich in der Öffentlichkeit große Sympathien zu erarbeiten. Im Fokus der Handelnden blieben dabei immer das Deutsche Reich und seine Aktivitäten. Letztlich richtete sich die österreich-ungarische Propaganda in der Türkei ausschließlich gegen Deutschland und seinen überragenden Einfluß in der Region. Der propagandistische Kampf gegen die Entente spielte im Gegensatz dazu kaum eine Rolle. Österreich-Ungarn startete in den Krieg mit mehreren Organisationen, deren Aufgabe die aktive Beeinflussung der Presse im In- und Ausland war. Das zivile und militärische Zensur-Wesen sei an dieser Stelle ausgeklammert, da es sich dabei um kein Werkzeug der aktiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung handelte. Seine Aufgabe bestand letztlich ausschließlich darin, unliebsame öffentliche Äußerungen zu unterbinden. Eine eigene Themensetzung fand hier nicht statt. Bis zum Jahr 1916 existierten mindestens fünf Stellen, deren Aufgabe die „positive Arbeit der Beeinflussung der Presse“536 war: das Kriegspressequartier, das direkt dem Armeeoberkommando unterstellt war; der Pressedienst des Kriegsministeriums; das Kriegsüberwachungsamt, das regelmäßige Pressekonferenzen anbot; die Pressesubkommission der königlich-ungarischen Kriegsüberwachungskommission und das Evidenzbüro des Generalstabes.537 Diese dezentrale Struktur führte zwangsläufig zu Kompetenzüberschneidungen und gelegentlich gar zu sich widersprechenden Informationen an die Presse.538 Darüber hinaus hatte es seit Mitte 1916 verschärften Druck aus Berlin gegeben, das österreichische Pressewesen zu zentralisieren und enger an die entsprechenden deutschen Stellen anzubinden. Als Folge dieses Drucks reiste im Juli der Chef des k.u.k. Kriegspressequartiers nach Berlin, um dort über diese Fragen mit dem Chef des deutschen militärischen Geheimdienstes, Major Nicolai, zu verhandeln. Das Ergebnis: Österreich-Ungarn versprach, Schritte zu unternehmen, um seinen Pressedienst zu zentralisieren, und die große Linie der Beeinflussung der Presse enger mit Deutschland abzustimmen.539 Doch auch das österreichische Armeeoberkommando 536 Denkschrift über militärisches Pressewesen verfaßt vom Kommandanten des Kriegspressequartiers Generalmajor Ritter von Hoehn, 28. Juli 1916. KA, AOK, KPQu., Karton 1. 537 Ebenda. 538 Ebenda. 539 „Es scheint erwünscht, dass auch in Österreich-Ungarn eine militärische Stelle geschaffen wird, mit der über die Behandlung grundlegender Fragen in der Presse der verbündeten Länder unmittelbar verhandelt werden kann.“ Protokoll einer Besprechung zwischen dem Chef des k.u.k. Kriegspressequartiers und dem Chef der deutschen Abteilung III.b., Berlin, 28. Juli 1916. KA, AOK, KPQu., Karton 1. Unterstreichung im Original.
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selbst sah die Mängel der bisherigen Struktur deutlich540 und begann energisch, auf eine Reorganisation hinzuarbeiten. Ende September 1916 legte der Chef des Kriegspressequartiers eine Blaupause für die Reorganisation vor, die in den folgenden Wochen umgesetzt wurde.541 Ende 1916 hatte der k.u.k. militärische Presseapparat damit folgende Struktur,542 die bis Kriegsende so bestehen blieb: Armeeoberkommando
Chef des militärischen Pressewesens
Leitung des Kriegspressedienstes – Führung der Kriegsberichterstatter, Zensur ihrer Berichte – Verlautbarung der vom Armeeoberkommando gewünschten Mitteilungen an die Presse – Beeinflussung der Presse durch Organisation wöchentlicher Pressekonferenzen in Wien und Budapest, gezielte Informationen an einzelne Redaktionen, Lancierung von Artikeln im Inund Ausland, Formulierung von Zensur-Richtlinien für das Kriegsüberwachungsamt, das die Pressezensur handhabte
Kriegspressequartier (rein administrative Behörde)
Gruppe für kriegsgeschichtliche Buchzensur
Platzkommando – organisierte Einsatz der Kriegsberichterstatter Kunstgruppe – organisierte den Einsatz der Kriegsmaler
– Propaganda im Ausland (Leitung seit April 1917 Oberst von EisnerBubna) – Zusammenarbeit mit Deutschland (Personal: ein Generalstabsoffizier, zwei Verbindungsoffiziere)
540 „Der militärische Pressedienst leidet unter dem Mangel, daß seine verschiedenen Zweige (Berichterstattung, Beeinflussung der in- und ausländischen Zeitungen, Zensur) einer straffen, einheitlichen Leitung und des konsequenten Zusammenarbeitens mit dem militärischen Pressedienst des verbündeten Deutschen Reiches entbehren. Dieser Mangel macht sich mit der Länge des Krieges immer mehr fühlbar und wird sich insbesondere dann schwer rächen, wenn beginnende Friedensverhandlungen eine zielbewußte Führung der öffentlichen Meinung im Inlande und eine Vertretung des eigenen Standpunktes im Ausland dringend erfordern.“ Denkschrift über militärisches Pressewesen, verfaßt vom Kommandanten des Kriegspressequartiers Generalmajor Ritter von Hoehn, 28. Juli 1916. KA, AOK, KPQu, Karton 1. 541 Konzept für die Neuorganisation des militärischen Pressewesens, 20. September 1916, KA, AOK, KPQu., Karton 1. 542 Basis der Grafik ebenda.
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Obwohl die Abstimmung mit den deutschen Verbündeten auf dem Papier eine der Hauptaufgaben der neuen Organisation war,543 läßt sich aus den erhaltenen Quellen eine solche nicht rekonstruieren. Vielmehr bestimmen Konflikte das Bild. Sie entzündeten sich vor allem an der Darstellung der österreichischen Kriegführung in der deutschen Presse. In einem bitteren Brief an den Chef der Abteilung III.b. im deutschen Generalstab beschwerte sich etwa im September 1916 der Chef des k.u.k. militärischen Pressewesens über die Tendenz der deutschen Presse, so zu berichten, als ob „alles, was im Kriege Schlechtes geschehen sei, Österreich-Ungarn zu Last [falle], alles Gute auf Kosten der Deutschen zu buchen [sei]“544. Der Österreicher forderte das Einschreiten der deutschen Zensurbehörde und drohte sogar unverhohlen mit einer „Pressefehde“,545 die er zwar nicht wolle, jedoch vielleicht führen müsse, da „militärische Stellen“546 verlangten, „Gleiches mit Gleichem zu vergelten“.547 Die deutsche Antwort548 leugnete schlicht die österreichischen Beschwerden, versprach aber eine Pressefehde vermeiden zu wollen und verwies im übrigen auf die in Zukunft sicher bessere Zusammenarbeit nach dem Abschluß der Reorganisation des k.u.k. Pressewesens. Kurz: Es handelte sich bei der deutschen Reaktion um eine in verbindlichem Ton gehaltene Abkanzelung der Österreicher, verbunden mit der kaum versteckten Aufforderung an diese, doch erst einmal ihre eigenen Probleme in den Griff zu bekommen. In Wien war man längst dabei. Nach einer gründlichen Analyse des deutschen Pressewesens549 durch Oberst von Eisner-Bubna wurde dieser vom Chef des österreichischen militärischen Pressewesens, Ritter von Hoehn, zum Verantwortlichen für die gesamte Propaganda im Ausland befördert. Der erste Kontakt Eisner-Bubnas mit dem k.u.k. Militärbevollmächtigten in Konstantinopel machte die Stoßrichtung seiner Arbeit dann auch bereits klar: Der Oberst wollte Informationen über die deutsche Propagandatätigkeit in der Türkei, sonst nichts.550 Für ihn waren 543 Ebenda. 544 Chef des k.u.k. militärischen Pressewesens an den Chef der Abteilung III.b. im deutschen Generalstab, Feldpostamt 11, 29. September 1916, KA, AOK, KPQu, Karton 1. 545 Ebenda. 546 Ebenda. 547 Ebenda. 548 Chef der Abteilung III.b. des deutschen Generalstabes an Chef des k.u.k. militärischen Pressewesens, Großes Hauptquartier, 1. Oktober 1916, KA, AOK, KPQu, Karton 1. 549 Bericht Eisner-Bubnas aus Berlin, 8. Dezember 1916. KA, AOK, KPQu, Karton 1. 550 „Vom k.u.k. Armeeoberkommando, Chef des Generalstabes mit der Leitung der militärischerseits zu betreibenden Propaganda betraut, muss ich den grössten Wert darauf legen, über die Werbetätigkeit Deutschlands in dem Amtsgebiete Euer Hochwohlgeboren fortlaufend und möglichst eingehend unterrichtet zu werden. Ich habe hier vor allem die Agitation Deutschlands durch die Buchliteratur im Auge, sowie Veranstaltungen aller Art, wie beispielsweise Gastspiele von Theatern, politische und literarische Vorträge, Kunstausstellungen, Konzertreisen, Modeschauen usw. [...] Um auch weiterhin das Ansehen der Monarchie nach Aussen möglichst kräftig zu fördern, ist es nötig, rechtzeitig und ununterbrochen über die Absichten Deutschlands auf diesem Gebiet
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wohl alle Worte von einer propagandistischen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Bei dem Deutschland-kritischen Pomiankowski rannte er damit offene Türen ein, und so entstanden bis zum Kriegsende eine Fülle von Berichten über die deutsche Agitation im Osmanischen Reich. Darüber hinaus wurde die gesamte österreichische Tätigkeit in der Türkei ausschließlich mit Blick auf Deutschland geplant und ausgeführt. Pomiankowski, der bisher die österreichische Propaganda in der Türkei neben seinen anderen Aufgaben mitbetreute, erhielt auf seinen Vorschlag hin einen ausschließlich dafür zuständigen Presse- und Propagandaoffizier.551 Der Oberleutnant Dr. Karl Schrecker wurde ihm ab 31. Juli 1917 zugeteilt und blieb in dieser Funktion bis zum Kriegsende in Konstantinopel. Pomiankowski war zwar sein kommandierender Offizier, er berichtete aber selbständig an das Kriegspressequartier. Im Laufe der Zeit erhielt Schrecker außerdem einen jüngeren Offizier als Hilfskraft zugeteilt. In seiner Abteilung taten darüber hinaus mehrere Unteroffiziere Dienst, und er beschäftigte inoffizielle Mitarbeiter.552 Schrecker erwies sich seiner Aufgabe als absolut gewachsen und als Glücksfall für Österreich-Ungarn. Seine Aufgaben gingen über die Pressearbeit hinaus. So war er auch maßgeblich an der Organisation des Kaiserbesuchs in Konstantinopel beteiligt.553
2.4.1 Knappes Personal, große Schlagkraft: Das Büro des Presse- und Propagandaoffiziers in Konstantinopel Mit Blick auf heutige Gepflogenheiten mag es merkwürdig erscheinen, doch der relative große, teure Propaganda-Apparat Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich kam ohne die Formulierung eines übergeordneten Kommunikationszieles aus. Das heißt, nur an einer einzigen, sehr unscheinbaren, versteckten Stelle in den erhaltenen Quellen finden sich konkrete Aussagen darüber, was eigentlich in der Türkei via Propaganda erreicht werden sollte. In den Instruktionen für einen Filmtrupp, der im Januar 1918 vom Kriegspressequartier in die Türkei entsandt wurde, werden diese Ziele als „Propaganda für unsere Monarchie, unsere Wehrmacht sowie unseren Handel und unserer Industrie, andererseits die Festigung und Vertiefung unseres bundes-
unterrichtet zu bleiben [...]“ Eisner-Bubna an Pomiankowski, Wien, 30. April 1917, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 551 Pomiankowski an Eisner-Bubna, Konstantinopel, 30. April 1917 und Pomiankowski an EisnerBubna, Konstantinopel, 8. Mai 1917, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presseund Propagandaoffizier, Karton 62. 552 Siehe zur Organisation des Schrecker-Referates Eisner-Bubna an Pomiankowski, Wien, 30. September 1917, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 553 Siehe unten S. 181–186.
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brüderlichen Verhältnisses zur Türkei“554 beschrieben. Obwohl diese Anweisungen für ein begrenztes Projekt formuliert wurden, ist es wohl legitim, diese Ziele auf die Gesamtheit der österreichisch-ungarischen Propaganda zu übertragen. Es sind dies allerdings ausgesprochen allgemeine Ziele, die den Akteuren einerseits große Freiheiten ließen, andererseits ihnen aber auch immer wieder die Entscheidung abforderten, was denn nun der „Vertiefung des bundesbrüderlichen Verhältnisses“ dienlich war und was nicht. Es mag sein, daß es den mit der Propaganda befaßten Offizieren nicht notwendig erschien, solche grundlegenden Gedanken stärker zur konkretisieren. Möglicherweise war ihnen ohne jeden Zweifel klar, daß es letztlich nur darum ging, ihr Land als sympathischer, leistungsfähiger und vertrauenserweckender darzustellen als den so übermächtig erscheinenden Bundesgenossen Deutschland.555 Auch das umfangreiche Propagandakonzept,556 in dem der neue Presse- und Propagandaoffizier Karl Schrecker im September 1917 seinen Arbeitsplan niederlegte, kam ohne Zielformulierungen aus. In einer Werbe- oder PR-Agentur unserer Tage wäre das undenkbar. Der Oberleutnant sah ebenfalls davon ab, genau zu bestimmen, welches Publikum, welche Schichten, welche Klassen er mit seinen einzelnen Maßnahmen erreichen wollte. Die moderne Idee einer oder mehrerer Zielgruppen, die man mit maßgeschneiderten Kommunikations-Methoden anspricht, war in dieser Zeit noch nicht geboren. Für Schrecker war es schlicht eine nicht näher definierte Öffentlichkeit, die er erreichen wollte. Allerdings: Bewußt oder unbewußt dürfte der österreichische Propagandachef mit seinen Aktivitäten vor allem relativ gebildete und wohlhabende Türken, also die europäisierten, modernen Eliten, im Visier gehabt haben. Die sehr starke Betonung der kulturellen und künstlerischen Propaganda in seinem Konzept legt das nahe. Ausdrücklich formuliert wurde dieser Aspekt jedoch von ihm nicht. 554 Instruktionen für den in die Türkei entsandten Filmtrupp. Beilage zu: Kriegspressequartier an Pomiankowski, 8. Januar 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 555 Unterstützt wird diese Vermutung durch eine Instruktion des Kriegspressequartiers an die Presseund Propagandaoffiziere im Ausland. Sie betrifft die in Wien gewünschten Inhalte der Monatsberichte dieser Offiziere und verpflichtete sie im Grunde zu einer Art Stimmungsbericht, der wenig mit der Rechenschaftslegung über das Erreichen bestimmter Kommunikationsziele gemein hatte: „Dieser Bericht hat folgende Punkte zu umfassen: 1.) Wie die Monarchie in ihrem Bestimmungslande zur Geltung kommt. a) in der öffentlichen Meinung b) in der Tagespresse c) in den illustrierten Zeitungen, den Revuen und den Witzblättern, sowie den ausgestellten Lichtbildern d) in den Kinos (wobei natürlich nicht nur der Kriegsfilm ins Auge zu fassen ist) e) in der Literatur f ) in der Kunst. 2.) Welche Maßnahmen zur Verbesserung dieser unserer Werbetätigkeit zu treffen wären. [...] 3.) In selbem Sinne ist über die Werbetätigkeit unserer Verbündeten zu berichten ad 1 und ad 2.“ Instruktionen für die monatlichen Berichte der Presse- und Propagandaoffiziere, 4. Januar 1918, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 556 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62.
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Was seinem Arbeitsplan letztlich aber doch eine fast moderne Anmutung gibt, sind zwei Aspekte: Zum einen setzte Schrecker auf sämtliche Kommunikationswege, die in seiner Zeit zur Verfügung standen. Für ihn waren nicht nur die Beeinflussung der gedruckten Presse oder die Verteilung von Flugblättern, sondern auch Film, Theater, Kunstausstellungen, Modenschauen, Konzerte und die Wissenschaft Wege, sein Anliegen in der Türkei bekannt zu machen.557 Schrecker setzte auf die totale Kommunikation, also letztlich die Nutzung aller erreichbaren Wege für seine Propaganda. Zum anderen war sich Schrecker des Primates materiellen Anreizes über heroische Freundschaftsbeschwörungen durchaus bewußt. So bildet etwa ein Schema zur Bestechung türkischer Zeitungen mit Papier im Gegenzug für positive Berichte über Österreich-Ungarn den Kernpunkt seiner Pressearbeit.558 In der Türkei gab es während des Ersten Weltkrieges keine einzige Papierfabrik. Jedes Blatt mußte importiert werden, so daß Zeitungen sehr oft an extremem Papiermangel litten. Schrecker wollte darüber hinaus lieber den türkischen Damen die neuesten Wiener Kleider vorführen, als osmanische Armeestäbe mit Bildern Franz Josefs II. zu beglücken. Im Kriegspressequartier in Wien fanden diese Ideen Anklang. Schrecker wurde mehrfach schriftlich gelobt559 und noch vor Kriegsende zum Hauptmann befördert. In Kürze läßt sich Schreckers Propagandakonzept560 vom September 1917 so zusammenfassen: Priorität hatte für ihn die Beeinflussung der osmanischen Presse. Die erfolgversprechendsten Mittel, um diese den österreich-ungarischen Anliegen gewogen zu machen, sah er in der Bestechung mit Zeitungspapier sowie in der Lancierung von Artikeln durch persönliche Kontakte. Die Verbreitung österreichischungarischer Zeitungen oder Zeitschriften erschien ihm im Rahmen der deutschen Nachrichtensäle und in europäischen Clubs und Hotels sinnvoll. Zwei Mitarbeiter seiner Organisation sollten das Feld der bewegten Bilder bearbeiten. Ein k.u.k. Feldwebel sollte die Tätigkeit der österreichisch-ungarischen Truppen mit der Kamera dokumentieren, während ein Filmvorführer durch die Provinz zu reisen hatte, um k.u.k. Propagandafilme zu zeigen. Ein Theatergastspiel sowie den Auftritt eines österreichischen Orchesters sah Schrecker trotz organisatorischer Hindernisse als sehr erfolgversprechend und machbar an. Schrecker regte außerdem eine österreichi557 Ebenda. 558 „Von allen Mitteln, über welche die Prop. Gruppe verfügt, ist und bleibt die Zusendung grösserer Mengen von Zeitungspapier das wichtigste und wirksamste.“ Ebenda. Einige Monate später formulierte Schrecker nochmals: „Bezüglich des Zeitungspapiers muss ich wiederholt darauf hinweisen, dass es das einzige Mittel zur Einflussnahme auf die Presse ist, da doch die bloßen persönlichen Beziehungen und Worte auf die Dauer nicht hinreichen.“ Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 17. Dezember 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 559 Eisner-Bubna an Schrecker, Wien, 20. Januar 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 560 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62.
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sche Kunstgewerbeschau in Konstantinopel und eine Modenschau an, die zum einen k.u.k. Lebensart transportieren und zum anderen der österreichischen Wirtschaft einen Zugang zum türkischen Markt eröffnen sollten. Schlußendlich schlug der Oberleutnant die Ausbildung türkischer Schüler und Stundenten in der DonauMonarchie vor, worin er ein probatestes Mittel sah, seinem Land Sympathien in der Türkei zu sichern.561 Die türkische Presselandschaft war mit der europäischen nicht zu vergleichen. Bis zur jungtürkischen Revolution verhinderte eine stringente Zensur, daß irgendetwas von politischem oder militärischem Belang in den Blättern auftauchte.562 Auch die technische Ausstattung war mangelhaft. Da die Elektrizitätsversorgung in Konstantinopel unzuverlässig war, existierten keine Rotationsmaschinen, es wurde noch mit der Hand gedruckt. Der Journalist Ernst Jäckh hielt die Ausstattung einer der größten türkischen Zeitungen, des İkdam, im Jahr 1908 für „nicht vergleichbar mit einer deutschen Provinzzeitung“563. 1914 erschienen 75 türkischsprachige Blätter, ein Jahr später nur noch sechs.564 Die Beurteilung der türkischen Presse durch die Österreicher in der Türkei dürfte sich sehr zutreffend in dem kurzen Bericht eines anonymen Informanten an das Ministerium des Äußeren spiegeln: „Seit längerer Zeit [...] ist zu beobachten, dass das Niveau der türkischen Presse stark sinkt. Die Blätter, welche wegen Papiermangels in reduziertem Format erscheinen, enthalten nicht viel Interessantes. Der innenpolitische Teil ist manchmal verschwindend klein, die Erörterung wichtiger innerer Fragen selten. Wenn Friedensgerüchte vorliegen, steigt der Absatz, um dann wieder zu sinken. Die auswärtigen Fragen werden einförmig und ohne jede Sachkenntnis (mit Ausnahme französischer Fragen) behandelt.“565
561 „[...] wo der junge Mann seine Erziehung genossen, dorthin zieht ihn seine Sympathie während seines ganzen Lebens.“ Ebenda. 562 Siehe Jäckh, Ernst: Der aufsteigende Halbmond. Stuttgart, 1916, S. 77. Der österreichische Diplomat Baron Giesl schilderte in seiner Autobiographie einen kuriosen Fall hamidischer Zensur: „Weil Herrscher niemals ermordet werden durften, waren nach der Zeitung Carnot, Alexander II. u. a. ,g e s t o r b e n‘. Auch nach der Mordtat Lucchenis hieß es: ,Kaiserin Elisabeth in Genf g e s t o r b e n‘. Darauf folgte aber der von der Zensur übersehene Nachsatz: ,Allgemeine Empörung herrscht darüber in Europa.“ Giesl: Zwei Jahrzehnte, S. 29f. Hervorhebungen im Original. 563 Ebenda. 564 Kreiser: Osmanischer Staat, S. 107. Eine grundlegende Analyse der osmanischen Presselandschaft fehlt bisher. Ebenso fehlt eine Arbeit zur Handhabung der Zensur in der Türkei. Eine Fallstudie über eine offizielle Provinzzeitung existiert für den Jemen: Ursinius, M.: San’a eine amtliche osmanische Provinzzeitung im Jemen. In: Welt des Islam. 1989/29, S. 101–124. Darüber hinaus gibt es eine Studie über die Presse im Hedschas. AŠ-Šāmiå, Muåammad ‘Abd ar-Raåmān: A-aåafa fīl-hiğāz. 1908–1941. Beirut, 1959. 565 Die türkische Presse, 23. November 1917. HHStA, PA, XL, Interna, 275, Konfidentenberichte.
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Die Zeitungen wurden also als inhaltlich minderwertig und von der Zensur verkrüppelt wahrgenommen. Hinzu kam der eklatante Papiermangel, der den Umfang der Blätter stark begrenzte. Trotzdem blieben die Blätter der einzig mögliche Weg, um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Da das auch den Deutschen klar war, bekamen die Österreicher es auf diesem Feld mit stärkster Konkurrenz zu tun. Hinzu kommt, daß die Donau-Monarchie erst relativ spät begann, eine planvolle Pressearbeit zu betreiben. Einen Presse- und Propagandaoffizier gab es in Konstantinopel ja erst seit Mitte 1917. Die österreichischen Klagen über den deutschen Einfluß auf die türkischen Zeitungen reißen bis zum Kriegsende nicht ab. Darüber hinaus wurde die deutsche Propaganda-Tätigkeit seit Schreckers Kommandierung nach Konstantinopel genaustens beobachtet.566 So beeindruckt der Oberleutnant vom Aufwand und der guten Organisation der Deutschen war, so schadenfroh-erleichtert schien er über die, aus seiner Sicht, eklatanten Mißerfolge des Bündnispartners zu sein. So stellte er in einem Bericht über die Aufhebung der politischen Zensur in der Türkei fest, daß sich in dem Moment, in dem den Journalisten eine größere Freiheit gegeben wurde, fast die gesamte Presse gegen Deutschland gewendet habe.567 Sein Fazit: „Es zeigt sich bei dieser Gelegenheit, wie wenig Erfolg die durch Jahre und mit allen möglichen Mitteln betriebene deutsche Aktion zur Gewinnung der türkischen Presse aufzuweisen hat.“568 In seinem vorletzten Monatsbericht569 aus der Türkei zog Schrecker schließlich seine Bilanz der deutschen Propagandatätigkeit. Für ihn waren sämtliche Bemühungen umsonst. Die deutsche Propaganda habe mit einem hohen Aufwand stets das Gegenteil von dem erreicht, was gewünscht war. Statt Sympathien zu erzeugen, sei Haß entstanden. Schrecker begründet dieses von ihm wahrgenommene Scheitern schließlich mit einem einzigen, vernichtenden Halbsatz: „ [...] weil es ihnen [den Deutschen] völlig an Geschicklichkeit, Anpassungsfähigkeit und Geschmack fehlt.“570 Angesichts des deutschen Übergewichts blieben den Österreichern nur drei Wege, um ihr Material in die türkischen Zeitungen zu bringen. Zum einen war dies der klassische Weg über persönliche Verbindungen. In der Realität scheint das 566 „Die hiesige deutsche Botschaft entfaltet eine äusserst rege publizistische Propaganda. Der deutsche Pressedienst wurde in einer besonderen Sektion der deutschen Botschaft konzentriert, welcher auch die sogenannte deutsche Nachrichtenstelle zugewiesen wurde. Dort werden Artikel und Nachrichten auf türkisch, deutsch und französisch redigiert oder die von der Presseabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes übermittelten Publikationen vervielfältigt und den Zeitungen zur Verfügung gestellt. ... Dabei scheint die deutsche Botschaft eifersüchtig auf jede andere Propaganda zu sein.“ Publizistische Propaganda der deutschen Botschaft. 4. Juni 1917. HHStA, PA, XL, Interna, 275, Konfidentenberichte. 567 Türkische Pressezensur, Bericht Schreckers an das Kriegspressequartier, 28. Juni 1918. KA, Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 568 Ebenda. 569 Monatsbericht Schreckers für Oktober 1918 an das Kriegspressequartier, 23. Oktober 1918. KA, Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 570 Ebenda.
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allerdings keine große Rolle gespielt zu haben. In Schreckers vielen und detaillierten Schreiben an die Zentralstellen fehlen Berichte von persönlichen Gesprächen mit Journalisten fast völlig. Offenbar war der Oberleutnant kein begabter Netzwerker. Möglicherweise dauerte ihm aber auch das Aufbauen solcher doch vor allem auf persönlicher Sympathie beruhender Kontakte zu lange. Der zweite und dritte Weg – die direkte Bestechung türkischer Journalisten und die Bestechung der Zeitungen mit Papierlieferungen – scheinen Schrecker erfolgversprechender gewesen zu sein, denn im Konzept für seine Tätigkeit in Konstantinopel571 nehmen wie erwähnt vor allem Papierlieferungen an türkische Zeitungen als Mittel der Beeinflussung einen breiten Raum ein. Es ist ausgesprochen schwierig, über die direkte Bestechung von Redakteuren und Journalisten genaue Aussagen zu treffen, denn in den Akten des Militärbevollmächtigten sind so gut wie keine Zahlen und Hinweise darauf erhalten geblieben. Möglicherweise sind diese brisanten Unterlagen vor dem Abzug der Österreicher aus der Türkei vernichtet worden. Es gibt allerdings einen Botschaftsbericht aus dem Jahr 1915, der sowohl konkrete Summen als auch Hinweise auf die Empfänger des Geldes enthält.572 Zu diesem Zeitpunkt leistete die Botschaft folgende Zahlungen an die türkische Presse573: Tabelle 1 574575
Zeitung
Napoleons, Piaster
Bemerkungen
İkdam
50
„Diese Subvention reicht auf sieben Jahre zurück, in die Zeit, als der Chefredakteur dieses Blattes noch Chefredakteur der Yeni Gazeta war.“574
Turquie
22,70
„seit einer Reihe von Jahren“575
Jeune Turc
20
seit Ausbruch des Krieges
Ceride-i Havadis
5
seit Ausbruch des Krieges
Défense National
100
Neugründung mit österreichischer und deutscher Unterstützung
571 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 572 Subventionen an türkische Presse. Palavicini an Ministerium des Äußeren, 6. Februar 1915. PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte. 573 Tabelle erstellt aus Daten ebenda. 574 Ebenda. 575 Ebenda.
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Alles in allem sind das relativ niedrige Summen. Es steht zu vermuten, daß im Verlauf des Krieges, insbesondere als mit Schreckers Kommandierung die Pressearbeit professionalisiert wurde, höhere Summen an eine Vielzahl von Empfängern flossen. Zu beweisen ist das angesichts der Quellenlage aber nicht. Die Aufstellung der Botschaft verrät allerdings zwei weitere wichtige Informationen: Zum einen floß schon vor Kriegsausbruch, mindestens seit dem Jahr 1908, österreichisches Geld an türkische Journalisten. Palavicinis Bemerkung zu den Zahlungen an die Zeitung İkdam576 lassen diesen Schluß zu. Zum anderen scheint die Schlußfolgerung zulässig, daß diese Subventionen nicht den Blättern als solchen zugute kamen, sondern deren Chef- oder Leitenden Redakteuren. Hinweis darauf ist das Faktum, daß der nicht namentlich genannte Chefredakteur der Yeni Gazeta sein Bestechungsgeld mitnahm, als er Chef des İkdam wurde. Einen weiteren Hinweis auf direkte Journalisten-Bestechung, in dem sich zudem auch Angaben über die erwarteten Gegenleistungen finden, liefert der Bericht des k.u.k. Propagandareisenden Isidor Goldschmid aus dem Februar 1917.577 Goldschmid war eine durchaus zwielichtige Gestalt, über deren genaue Herkunft, Ausbildung und weiteres Leben nach dem Krieg bisher nichts Weiteres bekannt ist. Während des Weltkrieges bereiste Goldschmid im Sold des k.u.k. Militärattachés vor allem die arabischen Gebiete des Osmanischen Reiches. Offiziell war er Filmvorführer, der in den größeren Städten Dokumentarstreifen über den Krieg in Europa vorführte. Daneben sammelte Goldschmid aber vor allem Informationen über die Stimmung im Lande. Bot sich die Gelegenheit, bestach er auch Journalisten.578 In Damaskus fand Goldschmid Ende Februar 1917 folgende Situation vor: Es gab zwei Tageszeitungen mit einer jeweils relativ weiten Verbreitung. Die eine hatten die Deutschen in der Hand, die andere versuchte Goldschmid im Sinne der Habsburger-Monarchie zu beeinflussen.579 Goldschmid traf mit dem Chefredakteur zusammen, handelte offenbar ein Geschäft aus und überließ die technische Ausführung dem österreichischen Konsul vor Ort. Das Geschäft bestand letztlich in der Veröffentlichung monatlich je zweier k.u.k.-freundlicher Artikel für Geld.580 576 Siehe Tabelle 1. 577 Bericht Goldschmids an Pomiankowski, 28. Februar 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 578 Zu den Goldschmid-Reisen vgl.: Palavicini an Czernin, 19. Mai 1917, HHStA, PA, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 211, Berichte 1917. Bericht Goldschmids über seine erste Reise nach Syrien, Mai 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. Bericht Goldschmids über seine zweite Reise nach Syrien, 14. Mai 1918. Ebenda. 579 „Die Tageszeitung Cahrk wird von den Deutschen ansehnlich subventioniert und bringt fast ausschließlich Artikel für die deutschen Interessen. Moukhabass ist von den verbleibenden die angesehenste.“ Ebenda. 580 „[...] zu welchem Zweck ich aus dem Fond des K.P.Qu. [Kriegspressequartiers] Ltq. [türkische Pfund] 30.- zur zwanglosen vertraulichen Verwendung dem k.u.k. Konsul hinterlassen habe. Der Plan hierfür wäre derart, dass in Abständen von 10 bis 14 Tagen ein Artikel über die Monar-
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Goldschmid wies explizit darauf hin, daß all das ohne Quittungen ablaufen sollte, um die Vertraulichkeit des Geschäfts zu gewährleisten.581 Bei der Summe von 30 Pfund dürfte es sich um Goldwährung gehandelt haben. Türkisches Papiergeld war in Syrien zu dieser Zeit fast wertlos. Fünf Pfund für zwei Artikel sind dabei ein relativ hoher Preis.582 Doch wirksamer und wertvoller als Geld war während des Krieges in der Türkei Zeitungspapier. Wie bereits erwähnt gab es im gesamten Osmanischen Reich keine Papierproduktion.583 Diesen Umstand hatten sich die Deutschen bereits zunutze gemacht.584 Pomiankowski und Schrecker erkannten ebenfalls das hier vorhandene Potential zur Einflußnahme und wiesen in ihren Berichten nach Wien immer wieder auf diesen Umstand hin.585 Seit Mitte 1917 bis Kriegsende organisierte Schrecker schließlich die Einfuhr und Verteilung großer Mengen an Zeitungspapier. Das Kriegspressequartier in Wien hieß im September 1917 diesen Plan gut und versprach, alle zwei Monate zwei Waggons mit Papier nach Konstantinopel zu senden. Diese könne der Presse- und Propagandaoffizier dann an Zeitungen seiner Wahl verkaufen.586 Zu einer solch planmäßigen und vor allem regelmäßigen Lieferung kam es allerdings auf Grund der überlasteten Bahnlinien nicht. Die Lieferungen waren eher sporadischer Natur und richteten sich nach der Verfügbarkeit von Transporkapazitäten. Die folgende Tabelle zeigt die Menge der österreichischen Lieferungen ins Osmanische Reich während der Jahre 1917 und
chie erscheinen solle, wofür dem Redakteur allmonatlich Ltq. 5 vertraulich ausgehändigt werden könnten.“ Ebenda. 581 Ebenda. 582 Die Bestechung von Zeitungen war ein Werkzeug, das österreichische Stellen im Ausland offensichtlich standardmäßig einsetzten. So führten aufgeflogene Zahlungen an polnisch- und rumänischsprachige Blätter in den USA sogar zu einer Debatte im US-Senat. Siehe The New York Times, 23. September 1917. Im Inland war die direkte Bestechung von Journalisten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts üblich. Träger dieser Aktionen war das am Ballhausplatz angesiedelte Literarische Bureau, das die Aufgabe hatte, die Presse – kostete es, was es wolle – im Sinne der herrschenden außenpolitischen Meinung zu beeinflussen. Siehe Bridge, Francis Roy: The Habsburg Monarchy among the Great Powers 1815–1918. New York, 1990, S. 21–23. 583 Siehe Bericht von Tetzeli (Mitarbeiter Schreckers) an Kriegspressequartier, 12. Februar 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 584 „In richtiger Erkenntnis dieser Tatsache hat die deutsche Pressestelle bereits seit langem die Papierzufuhr derart organisiert, dass das angelangte deutsche Papier nach dem Ermessen der Pressestelle ballenweise an die einzelnen Zeitungen verkauft wird.“ Ebenda. 585 Siehe insbesondere Pomiankowski an Kriegspressequartier, 21. November 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62 sowie Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. Ebenda. 586 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 10. September 1917. Ebenda.
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1918, so weit sie zu rekonstruieren sind587. Ein Wagon entspricht dabei etwa elf Tonnen Papier.588 Tabelle 2 589 Datum
Lieferung
Empfänger
27. Juli 1917
1 Wagon
İkdam
4. September 1917
1 Wagon
İkdam
22. September
1 Wagon
Hilal
17. Oktober 1917
1 Wagon
İkdam
18. Oktober 1917
1 Wagon
Modiano
5. November 1917
Januar 1918
1 Wagon İkdam 500 kg Flachdruckpapier. Mit Kurier wegen zeitweiser Le Soir Sperrung der Balkanbahn. 1 Wagon Tawīr-i Efkār589
Januar 1918
1 Wagon (versprochen, nie angekommen)
Le Soir
Januar 1918
2 Wagons
Tawīr-i Efkār
Dezember 1917
26. März 1918
300 kg Flachdruckpapier. Mit Kurier.
Le Soir
März oder April 1918
2 Wagons
Le Soir
In der Theorie war die Idee, über die Lieferung von Papier Einfluß auf die türkische Presse zu gewinnen, eine gute. Die Knappheit war so extrem, daß sogar der Marineminister Cemal Pascha persönlich die Österreicher dringend um eine Lieferung für sein Marinefachblatt bat.590 Doch in der Praxis wurde die Papierfrage für die Österreicher bald zu einem Alptraum. Nachdem Wien die Lieferung von zwei Wagons alle zwei Monate zugesagt hatte, war Schrecker offenbar im Vertrauen darauf zu großzügig mit seinen Versprechungen. Die Folge: Bei den türkischen Zeitungsbesitzern und Chefredakteuren baute sich eine Erwartungshaltung auf, die nur noch schwer zu befriedigen war. Zu allem Überfluß kam es ab November 1917 auf der Balkan-Strecke zu schweren Transportengpässen. Kriegsmaterial für die Türkei hatte Vorrang, so daß die zugesagten zwei Wagons Papier alle zwei Monate niemals regelmäßig eintrafen. Die Situation wurde Anfang 1918 so unhaltbar, daß Pomiankowski 587 Österreichisches Warenverkehrsbüro an Schrecker, 7. Dezember 1917. Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917, Ebenda. Kriegspressequartier an Pomiankowski, 3. Dezember 1917. Ebenda. Kriegspressequartier an Pomiankowski, 6. Januar 1918. Ebenda. Kriegspressequartier an Pomiankowski, 17. Januar 1918. Ebenda. Kriegspressequartier an Pomiankowski, 23. März 1917. Ebenda. Kriegspressequartier an Pomiankowski, 1. Februar 1918. Ebenda. 588 Aktennotiz Schrecker, 6. Februar 1918. Ebenda. 589 Übersetzt etwa „Gedanken im Bild“ oder „Bild der Ideen“. 590 Schrecker an Kriegspressequartier, 21. März 1918, KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63.
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in einem Brandbrief an das Kriegspressequartier die Situation in den düstersten Farben malte.591 Pomiankowski monierte vor allem gebrochene Versprechen gegenüber der türkischen Presse. Damit spielt der Militärbevollmächtigte wohl auf den Fall der auf Französisch erscheinenden Zeitung Le Soir an, der sich für Österreich-Ungarn fast zu einem propagandistischen Desaster entwickelt hätte. Der Eigentümer dieser Zeitung, Ahmed Ihsan,592 hatte offenbar Sympathien für Österreich-Ungarn. Möglicherweise wollte er sich aber auch einfach nicht in eine zu große Abhängigkeit von Deutschland begeben und versuchte deshalb, seinen Papierbedarf aus österreichischungarischen Kanälen zu decken. Seine genauen Motive sind heute nicht mehr zu rekonstruieren. Die österreichische Seite sah aus diesem Grund die Chance, „den Le Soir ganz in die Hand zu bekommen“.593 Pomiankowski nannte das Verhältnis zu diesem Blatt in einem Bericht sogar „früher ganz vorzüglich“.594 Das änderte sich jedoch Anfang 1918 schlagartig. Die Österreicher waren nicht mehr in der Lage, genügend Papier zu liefern, und das Erscheinen der Zeitung geriet in Gefahr. Der Herausgeber Ahmed Ihsan erinnerte Pomiankowski am 28. Januar in einem Brief an das österreichische Versprechen, sein Blatt mit Papier zu versorgen. Ihsan erklärte, nur noch für zehn Tage ausreichend versorgt zu sein. Dann müsse er den Soir vorrübergehend einstellen.595 Trotz eines erneuten Versprechens aus Wien,596 zwei Wagons Papier zu schicken, blieb die Lieferung aus. Ihsan sah sich daraufhin gezwungen, bei der deutschen Botschaft um Hilfe zu bitten. Diese gab ihm Papier, stellte aber harte Bedingungen.597 Doch auch mit dieser deutschen Ware kam der Le Soir nicht lange aus. Schon am 20. März 1918 tauchte Ahmed Ihsan persönlich bei Pomiankowski auf, um den Österreicher nachdrücklich an sein Versprechen zu 591 „Aus der Entwicklung, welche die Frage der Lieferung von Zeitungspapier an die türkische Presse nimmt, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass wir – nachdem es uns trotz aller Bemühungen und Interventionen meinerseits, aus mir gänzlich unverständlichen Gründen nicht gelungen ist, eine geregelte Lieferung von Papier zu erreichen – nunmehr ernstlich Gefahr laufen, infolge der Nichteinhaltung von Versprechungen unsererseits, in dieser Frage bei der türkischen Presse Animositäten gegen uns zu erzeugen, die früher nie vorhanden waren.“ Pomiankowski an Kriegspressequartier, 11. März 1918. Ebenda, Karton 64. 592 Später Sprecher der kemalistischen Regierung und aktiv als Journalist in München. Siehe zu ihm die an der Universität Wuppertal entstandene und vor der Publikation stehende Arbeit Mangold, Sabine: Deutsch-türkische Beziehungen 1918-1933 (Arbeitstitel). 593 Pomiankowski an Kriegspressequartier, 26. Mai 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 594 Pomiankowski an Kriegspressequartier, 21. November 1917. Ebenda. 595 Ahmed Ihsan an Pomiankowski, 28. Januar 1918. Ebenda, Karton 64. 596 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 1. Februar 1918. Ebenda. 597 „[...] dass man Ahmed Ihsan Bey, als er persönlich bei der deutschen Botschaft wegen Papiers vorsprach, ihm zunächst entgegnete, er möchte sich doch an die vielen Freunde wenden, die er in Wien habe, ihm aber dann doch geringe Mengen Papier gab, womit er ungefähr bis Ende Februar reichen dürfte; als Gegenleistung musste er sich verpflichten, die ganze 2te Seite (er wird für kurze Zeit auf vier Seiten erscheinen) mit Artikeln der deutschen Pressestelle auszufüllen.“ Tetzeli an Kriegspressequartier, 12. Februar 1918. Ebenda.
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erinnern.598 Ihsan drohte wieder mit der vorübergehenden Einstellung des Blattes. Das Gespräch dürfte hoch emotional verlaufen sein und war für den Militärbevollmächtigten offenbar extrem unangenehm.599 Pomiankowski befürchtete einen Gesichtsverlust Österreichs, im Falle einer Einstellung des Le Soir. Würde das Blatt wirklich nicht mehr erscheinen, sei das der erste derartige Fall in Konstantinopel. Die engen Verbindungen des Blattes zur Monarchie seien bekannt: „ [...] so würde das ganze Odium öffentlich auf uns fallen. Es würde natürlich heissen, dass dasjenige Blatt, welches sich an die Monarchie anlehnt, zuerst zu solch einem Schritt gezwungen ist.“600 Diese Vorhaltungen zeigten in Wien Wirkung: Noch in der gleichen Woche ging ein Kurier mit 300 Kilogramm Papier von Wien ab.601 Später, wohl im April, eintreffende Lieferungen haben dann offenbar das Erscheinen des Blattes bis Kriegsende gesichert. Für Österreich-Ungarn hatte die Nutzung von Papierlieferungen für die Beeinflussung der osmanischen Presse aber noch eine weitere negative Folge. Bis zum Eintreffen Schreckers in Konstantinopel waren auf privatem Wege größere Mengen Zeitungspapier aus der Monarchie in die Türkei importiert worden.602 Mit der Professionalisierung der Pressearbeit durch den Presse- und Propagandaoffizier kamen diese Lieferungen zum Erliegen, da das KPQu diese Lieferungen komplett an sich zog. Papier wurde von nun an ausschließlich über die Propagandastelle beim Militärbevollmächtigten verteilt. Da die Österreicher aber nicht in der Lage waren, genug Ware nach Konstantinopel zu bringen, entstand böses Blut bei den bisherigen Empfängern der privaten Papierimporte.603 Als im Juni 1918 die politische Zensur der türkischen Presse durch die osmanische Regierung aufgehoben wurde, dauerte es nicht lange, bis die Papierfrage in der Presse öffentlich diskutiert wurde – mit sehr heftigen Angriffen auf Österreich.604 Für den Militärbevollmächtigten war dieser Ar598 Pomiankowski an Kriegspressequartier, 21. März 1918. Ebenda. 599 „Gleichzeitig äußerte er sich in einer höchst unangenehmen Weise darüber, dass er allein seiner Verbindung zum Kriegspressequartier es zu verdanken habe, in eine derartige Lage geraten zu sein.“ Ebenda. 600 Ebenda. 601 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 23. März 1918. Ebenda, Karton 63. 602 Über die genauen Mengen ist nichts Konkretes in Erfahrung zu bringen. Siehe Pomiankowski an Kriegspressequartier, 3. November 1918. Ebenda. Dreimonatsbericht, Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. Ebenda. und Pomiankowski an Kriegspressequartier, 11. März 1918. Ebenda, Karton 64. 603 Siehe Pomiankowski an Kriegspressequartier, 21. März 1918. 11. März 1918. Ebenda. 604 Am 11. August 1918 schrieb die Zeitung Wakyt: „ [...] Angesichts der Schwierigkeiten, welchen sich der Presseverein bezüglich der Papierlieferung aus Deutschland gegenübergestellt sah, hat man in Österreich auf einmal angefangen, unserer Presse eine große Wichtigkeit beizumessen. [...] Indessen scheinen sich einige übereifrige Organe der Botschaft gedacht zu haben, dass Lieferung von Papier eine Hilfe darstelle, die man nur einem verbündeten Land gewähren könne, nicht aber einer Vereinigung, sowie dass, wenn man verschiedenen Zeitungen getrennt Papier liefere, diese Zeitungen sich dafür erkenntlich zeigen würden, was im Interesse Österreichs läge. Auf der einen Seite erklärte man daher im Presseverein, dass Österreichs Papierproduktion leider bis Ende des
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tikel ein weiterer Anlaß für einen Brandbrief nach Wien.605 Pomiankowski forderte darin nochmals eine regelmäßige Belieferung mit Papier und die Zentralisierung der Papierverteilung in der Hand seines Stabes. Doch bis zum Kriegsende gelang es den Österreichern offenbar nur noch gelegentlich, Lieferungen nach Konstantinopel zu bringen. Hinweise auf größere Lieferungen gibt es für die kommenden Monate nicht mehr. Die als Gegenleistung für die Papierlieferungen zu druckenden Inhalte erhielt der Presse- und Propagandaoffizier ausschließlich aus Wien. Regelmäßig traf telegrafisch der Pressedienst des k.u.k. Kriegsministeriums in Konstantinopel ein. Bilder und Druckvorlagen (Klischees) wurden aus Wien per Kurier geschickt.606 Außerdem verfügte Schrecker bei seinem Amtsantritt über große Mengen Fotografien vom europäischen Kriegsschauplatz.607 Schrecker allerdings reichte das nicht aus. In seinem ersten Dreimonatsbericht608 forderte er das Kriegspressequartier auf, ihm neben den Nachrichten längere Artikel (heute würde man Feature-Geschichten sagen) für die Lancierung in der türkischen Presse zuzusenden.609 Da die Versorgung mit Bildern und Texten in der weiteren Kommunikation zwischen Schrecker und dem Kriegspressequartier nicht mehr problematisiert wird, scheint sie daraufhin zu Schreckers Zufriedenheit funktioniert zu haben. Eine Möglichkeit, das Vorgehen Schreckers bei der Beeinflussung der Presse genauer zu studieren, bietet der Besuch des österreichischen Kaisers in Konstantinopel. Karl I. hielt sich vom 18. bis 21. Mai 1918 in der türkischen Hauptstadt auf.610 Aufgabe des k.u.k. Presse- und Propagandaoffiziers war es, diesen Besuch möglichst ausführlich und positiv in die Presse der Hauptstadt zu bringen. Schrecker orientierte sich bei seinen Planungen vor allem an dem Besuch des deutschen Kaisers
Jahres engagiert sei, auf der anderen Seite lief man von Redaktion zu Redaktion und versprach Papier. Einige Zeitungen und Zeitschriften, deren Mehrzahl in einer anderen Sprache als der türkischen erscheint, sind in diese Falle gegangen, und ist dadurch auch die Einigkeit innerhalb der Presse bedenklich erschüttert worden. [...] Was wir in erster Linie wünschen ist, dass unsere Regierung in der verbündeten Ländern dahin wirke, dass damit aufgehört werde unter der Hand Papier an Zeitungen abzugeben, was nur dazu führen kann die Verletzung unserer Eigenliebe fortzusetzen. [...]“ Zitiert nach Pomiankowski an Kriegspressequartier, 13. August 1918. Ebenda, Karton 64. 605 Ebenda. 606 Siehe Pomiankowski an Kriegspressequartier, 26. Mai 1917. Ebenda, Karton 62. 607 Siehe Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. Ebenda. 608 Dreimonatsbericht, Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. Ebenda, Karton 63. 609 „[...] da ich selbst leider nicht die Zeit und die nötigen Unterlagen habe, um solche Artikel selbst in nötiger Menge zu verfassen. – Das Artikelmaterial könnte sämtliche Verhältnisse der Monarchie – militärische, wirtschaftliche, finanzielle, politische Kunst, Industrie und Wissenschaft – umfassen, in gedrängter Form, dem geringen Umfang der Zeitungen gemäß.“ Ebenda. 610 Zum protokolarischen Verlauf des Besuches siehe Pomiankowski: Untergang, S. 348–352.
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Wilhelm II. in Konstantinopel (15. bis 18. Oktober 1917).611 In einer ersten Kritik dieses Besuches bemängelte Schrecker vor allem die schlechte „journalistische Vorbereitung der öffentlichen Meinung“.612 Im November 1917 unterbreitete Schrecker dann dem Militärbevollmächtigten konkrete Pläne, wie Österreich-Ungarn die Sache besser machen könnte.613 Vor allem forderte Schrecker Offenheit, Transparenz und ein Absehen „von der übermäßigen Geheimnistuerei“.614 Der Presse solle man die Ankunft des Kaisers 24 Stunden früher mitteilen, als die Deutschen das getan hatten. Dieses hätte den Vorteil, daß der „friedlichen Bevölkerung“615 die Teilnahme am Empfang des Monarchen möglich wäre. Das würde nach Schreckers Meinung ein wohltuender Unterschied zum Einzug Wilhelms II. sein, dessen Besuch abgeschirmt von den breiten Massen stattgefunden hatte. Zur Vorbereitung schlug Schrecker außerdem eine intensive Kampagne in der Presse vor, die sich auf die Person des Kaisers konzentrieren sollte.616 Schrecker riet hier dazu, Aspekte zu betonen, die bei der kriegsmüden Bevölkerung Konstantinopels besondere Sympathien erwecken mochten. Das betraf vor allem die bekannte Friedensrethorik des neuen Kaisers. Schrecker empfahl außerdem, zu versuchen, die türkische Presse zu einer Art Verlaufsberichterstattung über den Besuch zu bewegen. Das sollte auch die Ausfahrten des Kaisers betreffen, auf die „die Bevölkerung rechtzeitig aufmerksam zu machen ist“.617 Schrecker Planungen gingen offenbar auf, das ist jedenfalls aus seinem eigenen Bericht über den Kaiserbesuch zu schließen. Der Presse- und Propagandaoffizier macht insgesamt in seinen Berichten nicht den Eindruck eines Schönfärbers. Konflikte und Mängel meldete Schrecker offen nach Wien. Es kann also davon ausgegangen werden, daß seine Angaben über die publizistische Begleitung des Kaiser-Besuchs im Großen und Ganzen der Realität entspricht. Darüber hinaus wird die Haltung der türkischen Presse auch vom österreichisch-ungarischen Botschafter positiv bewertet. Das betraf sowohl Inhalt als auch Menge der veröffentlichten Artikel.618 Schrecker 611 Siehe Schrecker an Pomiankowski, 28. Oktober 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63 und Schrecker an Pomiankowski, 7. November 1917. Ebenda. 612 Schrecker an Pomiankowski, 28. Oktober 1917. Ebenda. 613 Schrecker an Pomiankowski, 7. November 1917. Ebenda. 614 Ebenda. 615 Ebenda. 616 „Um durch die Presse die Aufmerksamkeit des türkischen Publikums bezüglich der Person SEINER K. und K. APOSTOLISCHEN MAJESTAET, welcher bereits überaus beliebt ist, noch zu erhöhen, müssten vorbereitende Artikel, welche am Besten fertig vom Kriegspressequartier in WIEN hierher gesandt werden, in die Presse lanciert werden. Besonderes Gewicht wäre in diesen Artikeln auf die kriegerischen Leistungen SEINER MAJESTAET einerseits, auf dessen vom ersten Tag seiner Regierung ausgesprochenen Friedenswillen andererseits zu legen. Dieser letztere Umstand ist am meisten geeignet, ihn dem Herzen der hiesigen Bevölkerung nahe zu bringen.“ Ebenda, Hervorhebungen im Original. 617 Ebenda. 618 „Die hiesige Presse aller Schattierungen hat des Allerhöchsten Besuchs mit ganz besonderer Wärme gedacht und dessen politische Bedeutung hervorgehoben. [...] Die Pressestimmen [...]
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selbst berichtete, er habe schon längere Zeit im Vorfeld „ziemlich grosses Artikelmaterial [...] gesammelt, welches mir zum Teil aus Wien zugeschickt, zum Teil aus alten Publikationen gesammelt oder auch hier verfasst wurde“.619 Dabei holte sich Schrecker bezahlte Hilfe von einem türkischen Journalisten („Herr Der-Neresessian“620), der den Österreicher im direkten Kontakt mit den türkischen Redaktionen unterstützte. Mit der Masse der veröffentlichten Artikel war Schrecker zufrieden, führte den Erfolg aber ausschließlich auf seine Vorbreitungen zurück, was er auch auf die vielen Veröffentlichungen von Kaiserporträts bezog.621 Aktuelle Bilder von den Geschehnissen während des Besuches fertigte ein k.u.k. Fähnrich in Schreckers Auftrag an. Diese gingen dann sowohl an die türkische als auch an die österreichische und die ungarische Presse. Mit den Berichten über den Kaiserbesuch waren Schrecker wie auch der Botschafter sehr zufrieden. Beide verglichen sie in ihren Berichten mit der Abbildung des Besuchs des deutschen Kaisers in den Medien. Für beide war dieser Vergleich der einzige Maßstab für Erfolg und Mißerfolg. Schrecker kontrastiert in seinem Bericht wiederholt „die Wärme“622 der türkischen Berichterstattung mit dem „schablonenhaften Empfang SEINER MAJESTÄT des DEUTSCHEN KAISERS im Herbst 1917“.623 Bestätigung des deutschen Neides auf diese „Wärme“ war für Schrecker die Haltung des Osmanischen Lloyd. Er konstatierte eine große, „über das Mass hinaus“624 gehende Zurückhaltung des deutschsprachigen Blattes. Mit einem gewissen schadenfrohen Unterton stellte auch der österreichische Botschafter dieses Faktum fest.625 Bleibt die Frage nach der Wirksamkeit der österreichisch-ungarischen Presse-Propaganda insgesamt zu beantworten. Hier eine dezidierte Aussage zu treffen, ist sehr sind sehr warm gehalten.“ Palavicini an Ministerium des Äußeren, 2. Juli 1918. Politisches Archiv Ministerium des Äußeren, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 212 Berichte, Weisungen, Varia, 1918. 619 Schrecker an Kriegspressequartier, 25. Mail 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 620 Ebenda. 621 „Die reichliche Versehung der türkischen Presse mit Artikelmaterial ist es zum grossen Teil zu verdanken, dass dieselbe angesichts des Kaiserbesuchs sich so hervorragend günstig betätigt hat; ein hervorragendes Merkmal des türkischen Journalisten ist seine Faulheit, bei bestem Willen ihrerseits unterbleiben oft die Behandlung wichtiger Fragen, einzig und allein aus dem Grund, weil man zu bequem war, die respektiven Artikel zu verfassen.“ Ebenda. 622 Ebenda. 623 Ebenda, Hervorhebungen im Original. 624 Ebenda. 625 „In deutschen Kreisen haben die unserem erhabenen Herrscherpaare hier dargebrachten Huldigungen [...] wie ich höre, Neid erweckt, weil die Kundgebungen gelegentlich der Anwesenheit Seiner Majestät Kaiser Wilhelms in Konstantinopel mit denselben keinen Vergleich auszuhalten vermögen. Jedenfalls hat sich das hiesige deutsche Presseorgan [der Osmanische Lloyd] weniger mit dem Allerhöchsten Besuche beschäftigt als die anderen Blätter der türkischen Hauptstadt.“ Palavicini an Ministerium des Äußeren, 2. Juli 1918. Politisches Archiv Ministerium des Äußeren, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 212, Berichte, Weisungen, Varia, 1918.
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schwierig. Zum einen gibt es keine gesicherten Angaben darüber, welche von Österreich-Ungarn inspirierten Artikel, Bilder und Nachrichten überhaupt in die türkische Presse gelangt sind. Schrecker führte offenbar keinen Pressespiegel, oder dieser ging beim Abzug aus Konstantinopel verloren. Auch in den Akten des Kriegspressequartiers sind keine Angaben zu dieser Frage erhalten geblieben. Abhilfe könnte hier nur eine Auswertung der einzelnen Zeitungen schaffen, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit aber sprengen würde. Noch viel schwieriger ist es, Aussagen über die Wirkung solchen Materials auf die Leser der Blätter zu treffen. Plausibel erscheint es, diese Wirkung eher gering anzusetzen, führt man sich die oben beschriebenen Schwierigkeiten der Österreicher vor Augen. Hinweise geben einige wenige Stellen in Berichten des Presse- und Propagandaoffiziers. So beklagte Schrecker im September 1918, daß es immer komplizierter würde, Artikel in den Blättern unterzubringen, da deren Umfänge durch den Papiermangel sehr reduziert seien.626 Ansonsten beschränkte er sich auch in diesem Bericht ausschließlich auf eine Bewertung des Gesamterfolges aller für die Propaganda eingesetzten Mittel. Diese Propaganda konzentrierte sich, wie schon erwähnt, vor allem auf „weiche“ Bereiche. Gemeint sind damit Felder wie Theater, Film, Kunst oder Operette, die keinen unmittelbaren politischen Bezug hatten. Über diese angenehmen Dinge des Lebens sollten ganz offensichtlich in der Türkei Sympathien für das Haus Habsburg geweckt werden. Eine neue Technik – der Film – schien bereits vor der Kommandierung Schreckers für diesen Zweck besonders geeignet zu sein. Pomiankowski hielt den Film und die Neugier der türkischen Bevölkerung auf diese noch weithin unbekannte Technik für ein exzellentes Propagandamittel.627 Aus diesem Grund beantragte der Militärbevollmächtigte 1917 die Entsendung eines „Kinodetachements und eines guten Photografen“628. Nur wenige Wochen später wurde Pomiankowskis Wunsch dann – zumindest zum Teil – erfüllt. Er bekam einen Feldwebel Josef Deutsch als „Kinooperateur“629 zur Verfügung gestellt. Deutsch befand sich als Mitglied einer österreichisch-ungarischen Kraftfahrerkolonne bereits in der Türkei. Der Feldwebel war aber auch mit dem Filmen vertraut, ob aus Gründen, die in seinem Zivilberuf zu suchen sind, oder weil er das Filmen als Liebhaberei betrieb, ist heute nicht mehr zu klären. Auf jeden Fall aber war er auf Bitten des Kriegsarchives in Wien bereits im Oktober 1916 mit einer Filmerlaubnis für die k.u.k. Truppen in 626 Schrecker an Kriegspressequartier, 5. September 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 627 „Es ist gradezu erstaunlich, dass bisher noch niemand auf den Gedanken gekommen ist, auf den verschiedenen türkischen Kriegsschauplätzen Filmaufnahmen zu machen und dann in Konstantinopel aufzuführen. Solche Aufnahmen würden bei der türkischen Bevölkerung und bei der Regierung größtes Interesse und größte Dankbarkeit erregen und ein äußerst wirksames Propagandamittel für uns bilden.“ Pomiankowski an Kriegspressequartier, 30. April 1917. Ebenda, Karton 62. 628 Ebenda. 629 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 21. Mai 1917. Ebenda.
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der Türkei versehen worden.630 Deutsch sollte ausschließlich deren Tätigkeit für die österreichisch-ungarischen Stellen in der Heimat dokumentieren und tat das auch mindestens einmal.631 Nachdem Deutsch Pomiankowski zugeteilt worden war, scheint sein Erfolg zu Beginn weniger groß gewesen zu sein. Ein erstes Lebenszeichen findet sich von ihm erst im November 1917 aus Damaskus. Er sei dort mit k.u.k. Sanitätssoldaten eingetroffen, habe aber keine Aufnahmen gemacht.632 Als Antwort forderte der Militärbevollmächtigte sofortigen Bericht über seine Tätigkeit und wies Deutsch an, in Damaskus zu bleiben und dort Aufnahmen „von bemerkenswerten Vorkommnissen“633 zu machen. Deutsch kam am 23. April 1917 aus Syien zurück und brachte 1800 Meter belichteten Film sowie 90 Platten Photos mit. Allerdings konnte das Material in Konstantinopel nicht entwickelt werden, so daß auch die Zensierung durch die osmanischen Stellen nicht möglich war. Filme und Photos wurden deswegen an die türkische Botschaft nach Wien geschickt. In Wien wurde das Material entwickelt, von den Türken zensiert und dem k.u.k. Kriegsministerium übergeben.634 Das Material existiert heute offenbar nicht mehr. Einen letzten Hinweis auf Deutschs Tätigkeit liefert ein Telegramm aus Nazareth vom Februar 1918.635 Danach war der Feldwebel im Januar mit diversen Aufnahmen nach Konstantinopel zurückgekehrt. Seine weitere Tätigkeit und das Schicksal dieses Filmmaterials lassen sich aus den erhaltenen Unterlagen nicht rekonstruieren. Sicher ist allerdings, daß sowohl das Kriegspressequartier als auch der Militärbevollmächtigte die Filmpropaganda auch während der Tätigkeit des Feldwebel Deutsch auf professionellere Füße stellen wollten.636 Im Januar 1918 schickte das Kriegspressequartier einen Filmtrupp, bestehend aus einem Offizier, zwei Technikern, einem Offiziersdiener und zwei Trägern, nach Konstantinopel. Entsprechend Pomiankowskis Plan hatte dieser Trupp Aufnahmen anzufertigen, die dann in Konstantinopel gezeigt werden sollten. Der Militärbevollmächtigte sollte ihnen dafür die entsprechenden türkischen Drehgenehmigungen verschaffen.637 Überliefert sind die Instruktionen für diesen Filmtrupp.638 Wie schon gesehen, ist diese Anweisung das einzige Dokument, in dem Ziele der österreichisch-ungarischen Propaganda im Osmanischen Reich zumindest ansatzweise formuliert wurden.639 Die Gruppe bekam 630 Pomiankowski an Kriegsarchiv, 29. Oktober 1916. Ebenda. 631 Siehe Kriegsministerium an Pomiankowski, 5. November 1917. Ebenda. 632 Chef der Etappe Damaskus an Pomiankowski, 15. November 1917. Ebenda, Karton 63. 633 Pomiankowski an Chef der Etappe Damaskus, 16. November 1917. Ebenda. Die Berichte Deutschs sind nicht erhalten geblieben. 634 Siehe Kriegsministerium an Pomiankowski, 5. November 1917. Ebenda, Karton 62. 635 Standortkommandant Nazareth an Pomiankowski, 9. Februar 1918. Ebenda, Karton 64. 636 Siehe Kriegspressequartier an Pomiankowski, 8. Januar 1918. Ebenda. 637 Ebenda. 638 Instruktionen für den in die Türkei entsandten Filmtrupp. Beilage zu Kriegspressequartier an Pomiankowski, 8. Januar 1918. Ebenda. 639 Vgl. oben S. 128f.
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darüber hinaus konkrete Anweisungen, welche Sujets besonders erwünscht waren. Es handelte sich um Szenen, die eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Österreichern und Türken illustrieren sollten.640 Aufgenommen werden sollten vor allem „Filmporträts von türkischen Heerführern“ und „ein Sonderfilm, der die Verbrüderung öst. ung. Truppen mit dem türkischen Herr und ihren gemeinsamen Kampf zur Darstellung bringen müsste“.641 Die Mission endete mit einem schweren Mißerfolg, der nach Ansicht der beteiligten Österreicher ausschließlich auf deutsches Störfeuer zurückzuführen war: Der Chef der Mission, der ungarische Leutnant Adalbert Bendzsel, traf am 22. Januar 1918 in Konstantinopel ein.642 Für die Dreh- und Reisegenehmigung verwies ihn der Militärbevollmächtigte an das Osmanische Große Hauptquartier. Dort hielten die zuständigen Offiziere ihn wochenlang hin. Erst Ende Februar legte man dem Leutnant einen Vertrag vor, der die gesamte österreichisch-ungarische Filmaktion unter schärfste Überwachung durch die türkischen Zivil- und Militärstellen gestellt hätte. Zum einen hätten die Österreicher nicht frei über das Filmmaterial verfügen können, zum anderen wären die Mitglieder des Filmtrupps einer „entwürdigenden Polizeikontrolle ausgesetzt gewesen“.643 Bendzsel verweigerte die Unterzeichnung dieser Vereinbarung und kehrte mit seinen Leuten am 3. März 1918 nach Wien zurück. Dort wurde im Kriegsministerium ein Protokoll mit ihm aufgenommen, das die Ursachen für das Scheitern der Mission klären sollte.644 Obwohl Bendzsel ausschließlich mit türkischen Offizieren verhandelt hatte, gab er die Hauptschuld an seinem Scheitern sehr deutlich dem deutschen Einfluß im osmanischen Kriegsministerium.645 Seinem Vorgesetzten, dem Chef des Kriegspressequartiers, Oberst 640 „Im Interesse des Gelingens unserer Propaganda-Tätigkeit ist es, Films zu erhalten, die unsere in der Türkei befindlichen Truppen, Anstalten oder einzelne Militärpersonen, in Verbindung mit türkischen Truppen oder hohen Militär- oder Zivilpersonen zeigen. Ausrücken vor türkischen Vorgesetzten, Besichtigungen durch solche, Empfänge eintreffender öster. ung. Formationen durch türkische Behörden, Festlichkeiten, an denen österr. ungar. und türkische Personen gemeinsam teilnehmen, sind insoferne wertvolle Sujets, als sie, wenn auch nicht immer unserer Auffassung und unserem Geschmack entsprechend, gewiss grossen Erfolg hätten, namentlich wenn land- und besonders stadtbekannte Persönlichkeiten im Film erscheinen.“ Instruktionen für den in die Türkei entsandten Filmtrupp. Beilage zu Kriegspressequartier an Pomiankowski, 8. Januar 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 641 Ebenda. 642 Eisner-Bubna, Chef des Kriegspressequartiers, an Chef des Generalstabes, 12. März 1918. Ebenda. 643 Ebenda. 644 Protokoll. Aufgenommen mit Herrn Leutn. Adalbart Bendzsel betreffend die Schwierigkeiten in Konstantinopel bezüglich kinematographischer Aufnahmen daselbst, Wien, 11. März 1918. Beilage zu Eisner-Bubna, Chef des Kriegspressequartiers an Chef des Generalstabes, 12. März 1918. Ebenda. 645 „Als ich nach sechs Wochen (25. Februar) endlich den [...] Vertrag erhielt, ersah ich daraus sofort, dass derselbe nur von deutscher Seite aufgesetzt wurde, nachdem im ottomanischen Kriegsministerium niemand ist, der derartige Kenntnisse auf kinematografischem Gebiet besitzt, die notwendig sind, um einen so geschickt klausulierten Vertrag zu machen. [...] Die Angelegenheit hat
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Eisner-Bubna, schien der Bericht des Leutnants offenbar plausibel. Der Oberst hob das Geschehen sogar auf eine höhere Ebene und berichtete dem Chef des Generalstabes über den Vorfall.646 In diesem Schreiben forderte er ein Einschreiten des Generalstabes gegen das deutsche Verhalten. Doch offenbar hatten die Verabtwortlichen dort andere Sorgen. Der Chef des Generalstabes verwies die Angelegenheit an das Kriegspressequartier und den Militärbevollmächtigten zurück.647 Die Österreicher starteten bis Kriegsende keinen weiteren Versuch, den Pomiankowski-Vorschlag umzusetzen, also in großem Stil Filmaufnahmen in der Türkei anzufertigen und sie im Land zu zeigen. Mehr Erfolg hatte dagegen ein anderer Aspekt der österreichisch-ungarischen Filmpropaganda in der Türkei. Vor sehr interessiertem Publikum wurden in Europa aufgenommene Filme in der Türkei gezeigt. Das geschah – im Gegensatz zu den sonst üblichen Gepflogenheiten der Österreicher, die sich bei ihren Propagandaaktivitäten auf die türkische Hauptstadt konzentrierten – in diesem Falle vor allem in den Provinzen, insbesondere in Syrien. Allerdings gab es auch Vorführungen in Konstantinopel. Hier war seit Herbst 1915 der damals bekannte österreichische Rennfahrer Alexander Graf Kolowrat aktiv.648 In den Provinzen handelte es sich zumeist um wandernde Filmvorführer. Der erste dieser Art war der bereits erwähnte Österreicher Isidor Goldschmid, der mindestens zwei Reisen durch die Provinz unternahm, bei denen er Filme zeigte. Dabei handelte es sich natürlich um Streifen ohne Tonspur, die allerdings in Türkisch untertitelt waren. Wo diese Untertitel entstanden sind, ist unklar. Anfang 1917 besuchte Goldschmid die Städte Smyrna, Aidin, Sokia, Nazil, Konia, Adana, Aleppo, Beirut, Jerusalem und Jaffa.649 Der Ablauf seiner Aufenthalte in den Städten war dabei immer der gleiche.650 Nachdem Goldschmid einen geeigneten Saal gefunden hatte, lud er die bekanntesten Notabeln zu einer kostenlosen Galavorstellung ein. Dann folgten so lange öffentliche Vorführungen, bis die Besucher auszubleiben begannen. Geschah das, zog Goldschmid weiter. Zusätzlich zu den allgemeinen öffentlichen Vorführungen bot er Spezialveranstaltungen für Frauen, Soldaten, Schüler und Schülerinnen an, bei denen er ermäßigte Eintrittspreise nahm. Wenige Hinweise gibt es auf die Art der Filme, die Goldschmid zeigte. Für seine Reise forderte der Presse- und Propagandaoffizier aus Wien allerdings eine Version eines Filmes von der Isonzofront mit in mir den Eindruck hervorgerufen, dass die Deutschen mit allen Mitteln bestrebt sind, unsere propagandistische Tätigkeit wo und wie nur möglich zu unterdrücken.“ Ebenda. 646 „Dieses beispiellose Vorgehen [...] stellt meines Erachtens einen neuen Beweis der Rücksichtslosigkeit der die Türken beeinflussenden deutschen Propagandastellen dar, deren Filmtätigkeit zu freundlicher Betrachtung noch selten Anlass geboten hat.“ Eisner-Bubna, Chef des Kriegspressequartiers an Chef des Generalstabes, 12. März 1918. Ebenda. 647 Chef des Generalstabes an Kriegspressequartier, 23. März 1918. Ebenda. 648 Barkhausen: Filmpropaganda, S. 56f. 649 Bericht Goldschmids über seine Reise, Mai 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 650 Die folgenden Angaben nach Goldschmids Abschlußbericht seiner Reise im Jahr 1917. Ebenda.
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türkischen Untertiteln, sowie „Städte- und Industriefilms ebenfalls mit türkischen Aufschriften“651 an. Darüber hinaus hatte Goldschmid bereits „eine von der ung. Orientwirtschftl. Zentralstelle angebotene Serie von Films, die ung. Landwirtschaft darstellen“.652 Goldschmid verfügte mit all diesen Streifen „über ein sehr reichhaltiges Programm“653. Man kann also davon ausgehen, daß die Vorführungen Goldschmids aus einer Serie von propagandistisch gefärbten Dokumentarfilmen bestand. Fiktionaler Stoff wird nirgendwo erwähnt. Eine zweite Reise führte den Filmvorführer im Oktober 1917 erneut nach Syrien, mit einem neuen Programm.654 Bis zum Kriegsende arbeitete Goldschmid dann für den Presse- und Propagandaoffizier. Der Filmvorführer hatte sich auch durch seine Kontakte zur Presse in den Provinzen und seine genaue Beobachtung der deutschen Aktivitäten in Syrien in den Augen des Militärbevollmächtigten erhebliche Verdienste erworben. Die Erfolge seiner Kinovorstellungen scheinen – bei aller gebotenen Vorsicht in der Beurteilung – durchaus nicht gering gewesen zu sein. Nach seinen Berichten strömten die Besucher reichlich in seine Vorstellungen.655 Die Deutschen versuchten daher anscheinend, die zweite Reise Goldschmids zu verhindern, wohl durchaus in der schmerzlichen Anerkennung der Wirksamkeit seiner Tätigkeit.656 Insbesondere der bereits erwähnte Film über die Isonzofront hat in der Türkei offenbar große Erfolge gefeiert. In Konstantinopel fand sogar eine Vorführung vor den Spitzen des osmanischen Staates statt, die von den Österreichern sofort mit einer ähnlichen Vorstellung der Deutschen verglichen wurde. Der Vergleich fiel ausgesprochen positiv für die eigenen Bemühungen aus und wurde als Sieg der österreichisch-ungarischen Filmkunst gewertet.657 651 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. Ebenda. 652 Ebenda. 653 Ebenda. 654 Pomiankowski an türkisches Großes Hauptquartier, 15. Oktober 1917. Ebenda, Karton 63. 655 Ebenda. 656 „Herr Goldschmid hat seine Reise angetreten. Die Beschaffung seiner Dokumente machte gewisse Schwierigkeiten, bei welchen deutsche Mitwirkung kaum zu verkennen war, was stets ein Zeichen einer gewissen Eifersucht, aber auch eines gewissen Erfolgs ist.“ Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 17. December 1917. Ebenda. 657 „[...] es waren unter anderem erschienen: S. Hoheit Großvezir Talaat Pascha, Enver Pascha, der eben in KONSTANTINOPEL weilende Marineminister und Kmdt. der kais. ott. 4. Armee Djemal Pascha, der Generalstabschef Bronsart von Schellendorf. [...] Die sehr interessanten Aufnahmen erregten die größte Bewunderung für die Leistungen der k.u.k. Armee und verdiente Anerkennung für die Leistung der Film-Operateure. [...] Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der kurze Zeit vorher vor geladenem Publikum in einem Kinotheater in PERA vorgeführte Kriegsfilm über die Heldentaten der „MÖWE“ ein bei weitem nicht so glänzendes Publikum anzuziehen vermochte. Keiner der ersten Persönlichkeiten war bei der Vorführung des letzteren Films anwesend, ein Beweis, welcher besonderen Wertschätzung sich die Wehrmacht der Monarchie erfreut.“ Hervorhebungen im Original. Pomiankowski an Kriegspressequartier, 24. August 1917. Ebenda, Karton 62.
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Der Presse- und Propagandaoffizier bemühte sich noch in den letzten Monaten vor dem Zusammenbruch der Türkei um eine Professionalisierung der Filmpropaganda in der Provinz. Greifbares Resultat war die Einrichtung eines festen Kinos in Damaskus ab dem 23. Juli 1918.658 Geleitet wurde diese Operation von dem Feldwebel Alois Krenger.659 Krenger war offenbar ein einfacher Mann mit einem guten Geschäftssinn. In seinen Berichten spielt die eigentliche Aufgabe des Kinos, Propaganda für Österreich-Ungarn zu treiben, keine Rolle. Krenger hob dagegen stets auf die finanziellen Erfolge des Unternehmens ab und nahm diese als ausschließliche Maßstäbe des Erfolgs.660 Seine Aufwendungen gab er mit 1600 Türkischen Pfund für die Renovierung und 810 Türkischen Pfund für die Miete des Saales für fünf Monate an.661 Die Einnahmen der ersten Woche bezifferte Krenger mit 30.000 österreichischen Kronen.662 Im weiteren Verlauf des Unternehmens sollen sie dann bei 500 bis 600 Ltq. pro Woche gelegen haben.663 Höhere Einnahmen wären laut Krenger möglich gewesen, doch seien die Filme, über die er verfügte, nicht gut genug gewesen. Darüber hinaus sei es sehr schwierig gewesen, regelmäßig neue Programme durch Kuriere aus der Heimat zu erhalten.664 Geht man davon aus, daß der Rechnungsunteroffizier Krenger über die Finanzen seines Unternehmens die Wahrheit berichtet hat, dann scheint der Erfolg des österreichischen Kinos doch ein recht großer gewesen zu sein. Offenbar kamen so viele Besucher, daß auch in finanzieller Hinsicht ein Gewinn erzielt wurde. In Damaskus machte Krengers Kino wohl auch in der Presse Schlagzeilen. Seinem Bericht vom 16. August legte der Feldwebel Presseausschnitte bei. Diese sind allerdings nicht erhalten geblieben.665 Noch im August machte Krenger, offenbar auf Anregung Schreckers, Pläne, um die Kinooperation auf Beirut und Aleppo auszudehnen. Krenger beurteilte die Sache wiederum ausschließlich kaufmännisch und gab ein eher pessimistisches Verdikt ab.666 Darüber hinaus schien 658 Kommandant des k.u.k. Feldkinos 126 in Damaskus, Alois Krenger, an Schrecker, 1. August 1918. Ebenda, Karton 64. 659 Rechnungsunteroffizier des k. u. k. Gebirgsschützenregiment Nr. 1, geboren 1884 in Graz. Siehe Krenger an Schrecker, 16. August 1918. Ebenda. 660 Siehe Krenger an Schrecker, 1. August 1918. Ebenda und Krenger an Schrecker, 16. August 1918. Ebenda. 661 Krenger an Schrecker, 1. August 1918. Ebenda. 662 Ebenda. 663 Krenger an Schrecker, 16. August 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presseund Propagandaoffizier, Karton 64. 664 Ebenda. 665 „Der moralische Erfolg ist ein ausgezeichneter [...]. Alle arabischen und türkischen Zeitungen bringen fortwährend sehr gute Artikel über die Ordnung, Reinlichkeit und das freundliche Entgegenkommen in unserem Kino.“ Ebenda. 666 „[...] unter 2000 – 4000 Pfund kann man dort kein Kino einrichten, und dann sind die Eintrittspreise dort um die Hälfte geringer, so dass man mit einer Durchschnittswocheneinnahme von 200 Pfund rechnen könnte. Dieses Kino müsste dann ein halbes Jahr nur für Spesen arbeiten, denn umsonst bekommt man hier gar nichts. Mein Kino hat auch 2000 Pfund Spesen gehabt, mit der Miete allerdings, und ich habe kaum einen Monat gebraucht, um alles hereinzubringen.“ Ebenda.
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Krenger vom Erfolg seiner Operation so angetan, daß er Schrecker um eine türkische Auszeichnung für seine Verdienste bat.667 Unbekannt ist das Programm des Damaszener Kinos, ebenso fehlen Informationen über die Eintrittspreise. Der Mangel an guten Filmen scheint jedoch Krengers Hauptproblem gewesen zu sein. Um diesem abzuhelfen, kündigte er eine Reise nach Wien für den September 1918 an, die er auch tatsächlich antrat.668 Sein Kino in Damaskus sah Krenger niemals wieder. Im Oktober überrannten die Engländer die türkische Front und eroberten Damaskus. Krengers Stellvertreter, dem Feldwebel Kollak, gelang es noch, den Projektionsapparat zu verkaufen, bevor er mit der Kasse des Kinos aus der Stadt Richtung Norden flüchtete.669 Er schaffte es, die Kasse einem österreichisch-ungarischen Offizier einer Automobil-Abteilung zu übergeben, der sie in Sicherheit brachte. Kollak selbst war im November 1918 vermisst. Schrecker hielt ihn zu diesem Zeitpunkt für gefallen oder gefangen genommen.670 Das war das Ende der k.u.k. Filmpropaganda in der Türkei. Das österreichisch-ungarische Filmwesen rief allerdings die Deutschen auf den Plan. Ernst von Wrisberg, Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartments im Preußischen Kriegsministerium, hatte von den österreichischen Aktivitäten im Mai 1916 erfahren und seinerseits den Chef des Generalstabes des Feldheeres auf die k.u.k. Konkurrenz hingewiesen.671 Von da an nahmen die deutschen Gegenmaßnahmen methodisch ihren Lauf. Das Kriegsministerium holte die Unterstützung des Auswärtigen Amtes ein. Im Juli 1916 schlug der Freiherr von Oppenheim die Gründung eines Orient-Kino-Verbandes vor, um den Filmmarkt in der Türkei „nach allen Richtungen hin zu erobern, Gewinne zu erzielen und gleichzeitig Propaganda für Deutschtum und wirtschaftliche Interessen zu machen“.672 Im Dezember wurde daraufhin die Balkan-Orient-Filmgesellschaft gegründet. Die Hälfte des Stammkapitals von 200.000 Mark kam von der Reichsregierung, der Rest von verschiedenen deutschen Filmfirmen.673 Über deutsche Filmvorführung für die türkische Bevölkerung ist allerdings weiter nichts bekannt. Hingegen wurden in den Jahren 1917 und 1918 bei der Heeresgruppe Jilderim Filmaufnahmen angefertigt. Die Kameraleute führten auch Filme aus Deutschland vor – allerdings nur vor deutschen Soldaten und Angehörigen der deutschen Kolonie. Nach Falkenhayns Abberufung als Chef der 667 Ebenda. 668 Ebenda. 669 Schrecker an Kriegsfürsorgeamt, 2. November 1918. Ebenda, Karton 64. 670 Ebenda. 671 „Werden von Deutschland keine Gegenmaßnahmen getroffen, so wird bei den durch Äußerlichkeiten leicht zu beeinflussenden Türken der von uns erstrebten Vorherrschaft des deutschen Einflusses, die im Ansehen unserer Leistungen für die Türkei gegenüber denen Österreichs zu Recht besteht, auf die Dauer sicher Abbruch getan werden.“ Wrisberg an Chef des Generalstabes des Feldheeres, 23. Juni 1916. Zitiert nach Barkhausen: Filmpropaganda, S. 54. 672 Ebenda, S. 58. 673 Ebenda, S. 60.
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Heeresgruppe und der Übernahme des Kommandos in Palästina durch Liman von Sanders unterband dieser alle weiteren Aktivitäten dieser Art.674 War es schon bei der doch relativ begrenzten österreich-ungarischen Filmpropaganda zu starken Konflikten mit Deutschland gekommen, so wuchsen sich diese Gegensätze auf dem Gebiet der Propaganda mittels der darstellenden Kunst zu einem regelrechten Theaterkrieg zwischen der Donau-Monarchie und Deutschland aus. Europäisches Theater war in der Türkei zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren bekannt. Schon Sultan Abdulhamid hatte Privatvorstellungen in seinem Palast veranstaltet, zu denen Diplomaten und einheimische Würdenträger geladen wurden.675 Die Österreicher konnten also davon ausgehen, daß sie mit darstellender Kunst vor allem die Eliten in Konstantinopel erreichen würden. Schon vor Schreckers Kommandierung gab es Gastspiele österreichischer Künstler in Konstantinopel, die privat organisiert waren und wohl auch finanziell erfolgreich verliefen.676 Bis zur Jahresmitte 1917 waren Sprech- und Musiktheater im Kalkül der k.u.k. Propagandisten nicht vorhanden. Erst im Juli dieses Jahres gab es eine entsprechende Anfrage an den Militärbevollmächtigten.677 Pomiankowski regierte enthusiastisch, begrüßte „die Aktion zur Veranstaltung von Theatervorstellungen, Konzerten, etc. in der Türkei lebhaft“678 und bezeichnete sie als „Behauptung bereits gewonnener Vorteile“.679 Das Publikum sei bereits an Aufführungen österreichischungarischer Künstler gewöhnt, diese seien zu einer Art Institution geworden und könnten „als eminentes und äußerst wirksames Mittel unserer Propaganda betrachtet werden“.680 Auch hier ging der Militärbevollmächtigte nicht auf die genauen Ziele dieser Propaganda ein. Es blieb vage, was mit den Gastspielen von Künstlern in der Türkei erreicht werden sollte. Möglicherweise sahen Kriegspressequartier und Militärbevollmächtigter die darstellenden Künste vor allem als eine gute Möglichkeit, ihr Land als Kulturnation zu präsentieren, Aufmerksamkeit, Gesprächsstoff zu generieren, kurz, der Habsburger-Monarchie in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein eigenes Profil zu geben, statt sie als Anhängsel Deutschlands erscheinen zu lassen. Ausgesprochen wurden diese Ziele jedoch wiederum nicht. Was Pomiankowski dagegen tat, ist, die Zielgruppe zu definieren und zu beschreiben, die er mit österreichischem Theater erreichen wollte. Das ist außergewöhnlich, weil es die einzige Stelle in allen Akten zu den österreichisch-ungarischen Propagandaaktionen ist, an der dies explizit geschieht.681 Der Militärbevollmächtigte 674 Ebenda, S. 173–175. 675 Giesl: Zwei Jahrzehnte, S. 32f. 676 Siehe Pomiankowski an Kriegspressequartier, 30. Juni 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 677 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 25. Juni 1917. Ebenda. 678 Pomiankowski an Kriegspressequartier, 30. Juni 1917. Ebenda. 679 Ebenda. 680 Ebenda. 681 Vgl. oben S. 128f.
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wollte demnach das türkische Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum erreichen, dem er in höchstem Maße europäischen Geschmack und westeuropäisch geschultes Urteilsvermögen in Sachen Kunst zugestand. Für ihn ging es darum, diese europäisch gebildeten Kreise von der kulturellen Überlegenheit Österreich-Ungarns gegenüber Deutschland zu überzeugen: „Was nun die Art der Vorführungen betrifft, bemerke ich vor allem, dass jede Darbietung, Veranstaltung etc., welche zu Propagandazwecken in der TÜRKEI, speziell für KONSTANTINOPEL, bestimmt ist, von hohem Niveau sein muss. Es ist eine irrtümliche Anschauung, KONSTANTINOPEL kulturell zum Balkan zu rechnen. In den meisten Beziehungen ist es ärger als der BALKAN, es ist ASIEN. Die Kreise jedoch, an die sich eine Propaganda durch Theaterveranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen, Vorträge etc. wendet, sind weder ASIEN noch BALKAN, sondern in PARIS angelerntes, spöttisches, meist entente- oder zumindest franzosenfreundliches WESTEUROPA. Passt irgend eine Vorführung für die jungen Kulturanfänger in SOFIA, so passt sie sicher nicht für Konstantinopel.“682
In der weiteren Entwicklung fällt auf, daß die Österreicher in der Tat auf Qualität den höchsten Wert legten. Das Thema setzt sich auch in Schreckers Propagandakonzept fort, das er zu Beginn seiner Tätigkeit am Bosporus verfaßt hatte.683 Auch er drängte darauf, nur gute Ensembles zu Gastspielen in der Türkei zuzulassen und begrüßte ausdrücklich das Verbot privat organisierter Gastspiele. Dieses war kurz zuvor durch das Kriegspressequartier ausgesprochen worden, um die darstellende Kunst als Propagandamittel in der Hand des Militärs zu konzentrieren.684 Bei seinem Eintreffen in Konstantinopel im September 1917 fand Schrecker folgende Situation vor: In der Stadt befand sich eine Operetten-Truppe unter der Leitung eines Direktors Müller. Mit der Qualität der Truppe und ihren Darbietungen war Schrecker extrem unzufrieden.685 Der Presse- und Propagandaoffizier intervenierte beim Kriegspressequartier in Wien und erreichte, daß Müller und seine Truppe zum Militär einberufen wurden.686 Müller hinterließ allerdings einen Mietvertrag für ein Theater, das so genannte Wintertheater, den Schrecker übernahm – vorerst ohne eine Theater- oder Operettentruppe zu haben, die es hätte bespielen können. Er forderte also das Kriegspressequartier auf, in dieser Sache dringend tätig zu werden und verwies auch auf mögliche deutsche Konkurrenz, die sich abzu682 Hervorhebungen im Original. Pomiankowski an Kriegspressequartier, 30. Juni 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 683 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. Ebenda. 684 Ebenda. 685 „Für Konstantinopel wurde die Frage der Theatertruppe Müller aktuell, die in ihrer bisherigen Zusammensetzung dem österr. Theater alles blos keine Ehre gemacht hat.“ Ebenda. 686 Siehe ebenda sowie Vertreter des deutschen Überseedienstes in Konstantinopel an Zentralstelle für den Auslandsdienst, 19. Oktober 1917. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71206.
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zeichnen begann.687 Wien reagierte ausgesprochen schnell. Unter der Leitung eines Theaterdirektors E. F. Bendiner traf noch im Oktober 1917 ein Operettenensemble aus Wien in Konstantinopel ein. Dazu gehörte auch ein 33 Mann starkes Orchester, welches das Kriegsministerium aus seinen Ersatzkräften zur Verfügung stellte. Die erste Vorstellung lief schon am 20. Oktober.688 Die Deutschen in Konstantinopel beobachteten unterdessen die österreichischen Bemühungen ganz genau.689 Auch sie suchten nach einem Theater für ein Operngastspiel, und das stellte sich äußerst kompliziert dar. Das Wintertheater hatten die Österreicher sich für längere Zeit gesichert. Kleinere Theater hielten die Deutschen für ihre Zwecke für unpassend, einzig das sogenannte Skatingtheater wurde als Notlösung in Betracht gezogen.690 Ende Oktober bahnte sich hier eine Lösung an. Ein Vertreter der Besitzer des Skatingtheaters691 war zu Verhandlungen nach Berlin gekommen. Das Auswärtige Amt schloß mit ihm einen Vorvertrag über die Anmietung des Hauses, unter der Bedingung, daß deutsche Theaterexperten vorher die Eignung der Bühne für eine Opernaufführung prüfen sollten.692 Bei diesen Verhandlungen erfuhren die Deutschen auch, daß sich die Österreicher das Wintertheater nur bis zum 15. Januar gesichert hatten. Sofort erging eine Anweisung nach Konstantinopel, das Theater für eine möglichst lange Zeit nach diesem Termin zu reservieren.693 Klar formuliertes Ziel war es, beide Theater in die Hand zu bekommen, um die österreichische Konkurrenz auszuschalten.694 Den Deutschen gelang es auch tatsächlich,
687 „Die Sache drängt zur Entscheidung, erstens weil der Beginn der Vorstellung über den 15./X. nicht bedeutend herausgeschoben werden darf, zweitens, weil hier aus einem früheren Variete ein zweites Theater hergerichtet wurde, für das der Eigentümer in WIEN und Deutschland ein Ensemble sucht, und ein mehrwöchiges Gastspiel der Berliner Oper bereits in Aussicht genommen ist. Nachdem KONSTANTINOPEL zwei Theater zugleich auf keinen Fall verträgt, muss alles geschehen, damit man uns nicht zuvor kommt.“ Hervorhebungen im Original. Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 688 K.u.k. Kriegsministerium an das Kommando des Ersatzbataillons des k.u.k. Infanterieregimentes Nr. 4, 5. Oktober 1917. Ebenda. 689 „Alle Vorbereitungen lassen darauf schließen, dass es sich diesmal um ein erstklassiges Unternehmen handelt, und dass die österreichischen Behörden dem hiesigen Publikum nur Vollendetes bieten wollen.“ Vertreter des deutschen Überseedienstes in Konstantinopel an Zentralstelle für den Auslandsdienst, 19. Oktober 1917. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71206. 690 Ebenda. 691 Union Ciné-Théatrale d’Orient. Vertreter war Carl Benda. Auswärtiges Amt an deutschen Botschafter Bernstorff, 30. Oktober 1917. Ebenda. 692 Ebenda. 693 Ebenda. 694 „Beabsichtigt ist, wenn angängig, beide Theater zu nehmen und in dem einen Oper, in dem anderen Varieté abwechselnd mit Kino, Kino-Varieté, Konzert und populär-wissenschaftlichen Vorträgen zu geben. Die Unternehmungen sind für eine möglichst lange Spieldauer mit Prolon-
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das Wintertheater nach dem 15. Januar 1918 zu pachten.695 Trotzdem bemühten sich die Deutschen, das Skatingtheater, für das sie ja bereits einen Vorvertrag hatten, endgültig zu mieten.696 Unterdessen hatten die Österreicher wegen des großen Erfolgs der Operette697 beschlossen, das Gastspiel zu verlängern. Doch es gab ein ernstes Problem: Bendiners Truppe stand wegen der deutschen Aktivitäten nun ohne eine Spielstätte da. Schrecker erkannte genau, wer hinter diesen Unannehmlichkeiten stand,698 doch es gelang ihm, das Problem zu lösen. Offenbar waren die Deutschen beim Abschluß für das Skatingtheater zu langsam gewesen. Schrecker schaffte es, trotz des existierenden Vorvertrages, dieses Theater für die österreichische Operette zu mieten und stellte damit sicher, daß mindestens bis zum 15. Mai 1918 in Konstantinopel österreichisches Theater zu sehen war.699 Auf deutscher Seite machte man sich unterdessen daran, das Operngastspiel zu planen. Die deutsche Botschaft drängte jetzt auf rasche Umsetzung der Theaterpläne.700 Das Repertoire wurde ausschließlich mit Blick auf die österreichische Konkurrenz ausgesucht: gationsrecht für uns für die folgenden Jahre gedacht. [...] Sollte die Festhaltung beider Theater gelingen, so würde auch der österreichischen Konkurrenz leichter zu begegnen sein.“ Ebenda. 695 Aktennotiz, 20. November 1917. Ebenda. 696 „Zur Vermeidung gleichzeitiger Konkurrenz in einem anderen Konstantinopler Theater, die mit Rücksicht darauf zu befürchten ist, dass nach hiesigen Informationen die zur Zeit im Wintertheater auftretende Wiener Operetten-Truppe über den 15. Januar hinaus verpflichtet ist, aber noch kein passendes Theater gefunden hat [...] besteht unsererseits weiter Interesse am SkatingTheater.“ Ebenda. 697 „Das Wiener Theater ist während des ersten Monats seiner Tätigkeit und Überwindung der Anfangsschwierigkeiten zu dem geworden, wozu es bestimmt war, zu einem hervorragendem Mittel der Propaganda für ÖSTERREICH.“ Schrecker an Kriegspressequartier, 17. November 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. Hervorhebungen im Original. „Keusche Susanne war Sensationserfolg.“ Bendiner an Kriegspressequartier, 16. November 1917. Ebenda. Eine Verlängerung des Gastspiels wäre außerdem kaum erfolgt, wenn die Vorstellungen nicht meistens ausverkauft gewesen wären. 698 „Der große Erfolg wird am besten erwiesen durch die eigenartige Reaktion, die er hier in deutschen Kreisen hervorgerufen hat. [...] Als Konsequenz darauf wurde, ein mit Hinblick darauf, dass es sich immerhin um einen Verbündeten handelt, eigentümlich schweres Geschütz aufgefahren. [...] Als ich [...] wegen Verlängerung des Mietvertrages an die Theaterbesitzer herantrat, war das Theater ab 15.1.18 bereits durch die deutsche Botschaft zu solch günstigen Bedingungen gepachtet, daß mit diesen Bedingungen auch die Verschwiegenheit der Besitzer uns gegenüber reichlich bezahlt war. [...] Wäre der Plan zur Durchführung gelangt, so wäre hier in der fremden Hauptstadt vor aller Augen der Skandal offenkundig geworden, daß die Deutschen ein österreichisches Theater, – dessen Verbleiben in KOSTANTINOPEL allgemein gewünscht wird, – einfach mit ihren größeren Geldmitteln herausgedrängt haben.“ Schrecker an Kriegspressequartier, 17. November 1917. Ebenda. Hervorhebungen im Original. 699 Ebenda. 700 Bernstorff an Auswärtiges Amt, 5. Dezember 1917. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71207.
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„Wichtigstes schöne elegante Frauen, Chor und Ballet, nach dieser Richtung sorgfältig aussuchen. Österreicher anfangen Dezember im ausgezeichnet umgebauten Skating Operette und wahrscheinlich Oper. Gerüchtweise beabsichtigt Carmen, Rigoletto, Bocaccio, Mignon, ähnliches. Einigung mit ihnen erschwert, weil sie durch Fortnahme Wintertheater verstimmt. Verschieben deutsche Oper bis Herbst nicht nur wegen Prestige-Verlust untunlich, dringendst erforderlich deshalb von Anfang an allerbeste Kräfte [...] Nur so Konkurrenz denkbar, schwerer Mißerfolg, der katastrophal wäre, vermeidbar. Musik hier zweitreihig, Sensation und Augenweide Hauptsache.“701
Noch im Dezember schloß das Auswärtige Amt einen Gastspielvertrag mit dem herzoglichen Hoftheater Coburg.702 Der österreichische Propaganda-Offizier bekam diese Information offenbar sofort zugespielt und reagierte mit dem Engagement „erster Gäste aus Wien und besonderen Attraktionen wie Léhar-Premiere“.703 Doch letztlich waren Schreckers besondere Abwehrmaßnahmen unnötig: Das Coburger Hoftheater kam niemals in Konstantinopel an. Zum einen scheiterte das Gastspiel an Transportproblemen. Ähnlich wie es den Österreichern nicht gelang, regelmäßige Lieferungen von Zeitungspapier zu gewährleisten, war es den Deutschen wegen der Überlastung der Bahnlinien unmöglich, das Ensemble und die Requisiten an den Bosporus zu bringen. Die Absage des Gastspiels aus diesem Grund wurde sogar von Hindenburg persönlich abgesegnet.704 Zum anderen hatten die Deutschen größte Schwierigkeiten, Sänger, Schauspieler und Musiker in Konstantinopel unterzubringen.705 Um das bereits gemietete Theater zu nutzen, schlug der deutsche Botschafter mit sehr viel weniger Aufwand zu verwirklichende Varieté-Gastspiele vor.706 Während es den Deutschen nicht gelang, ihre organisatorischen Probleme in den Griff zu bekommen, warb der österreichisch-ungarische Presse- und Propagandaoffizier in Wien um eine erneute Verlängerung des Operettengastspiels. Der Erfolg – 701 Botschaft Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 13. Dezember 1917. Ebenda. 702 Das Gastspiel in Konstantinopel sollte vom 20. Januar bis 28. Februar stattfinden. Alle Unkosten und Gehälter sollte das AA zahlen, zuzüglich einmalig 60.000 Mark als Kompensation für die ausgefallenen Vorstellungen in Deutschland. Alle Einnahmen aus dem Gastspiel sollten an das Amt gehen. Gastspielvertrag zwischen der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes und der Intendanz des herzoglichen Hoftheaters Coburg, 17. Dezember 1917. Ebenda. 703 Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 704 „Zur Beförderung dieser Truppe käme nur Sonderzug in Frage. Bei überall herrschender schwerer Verkehrskrise, die in Österreich und Bulgarien besonders ernst ist, so daß Einschränkungen sämtlicher auf Orientbahn zu befördernder Züge bis zur äußersten Grenze des Zulässigen verfügt ist, sehe ich mich in Einverständnis mit Feldmarschall von Hindenburg dazu gezwungen, Durchführung dieses Sonderzuges abzulehnen.“ Schreiben des Chefs des Feldeisenbahnwesens, dem Auswärtigen Amt telegrafisch aus dem Großen Hauptquartier mitgeteilt, 26. Dezember 1917. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71207. 705 Deutscher Botschafter Bernstorff an Reichskanzler, 28. Dezember 1917. Ebenda. 706 Ebenda.
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40 ausverkaufte Vorstellungen der „Csardasfürstin“ – sei dafür Anlaß genug.707 Wien genehmigte diese Verlängerung schließlich auch „bis zum 15. April, eventuell 15. Mai 1918“.708 Auch der Kriegsminister stimmte dieser Verlängerung zu.709 Auf deutscher Seite bemühten sich die Botschaft und das Auswärtige Amt derweil, den durch die Absage des Operngastspiels entstandenen Imageschaden einzudämmen. Von einer Konkurrenz zu Österreich auf dem Gebiet der darstellenden Kunst war jedoch bis Kriegsende nicht mehr die Rede. Ein Konzert des Hofopernsängers Josef Schwarz aus Berlin im Januar 1918 geriet zum Desaster. Die Deutschen hatten schlicht zu wenig Werbung gemacht, so daß kaum Zuschauer kamen.710 Offenbar um die Theaterpropaganda zu professionalisieren und die Botschaft aus der Schußlinie zu nehmen, privatisierten die Deutschen ihre Unternehmungen Mitte Januar 1918. Dazu wurde ein Vertrag mit der Union Ciné-Théatrale d’Orient (Uncto), der unter anderem auch das Skatingtheater gehörte, geschlossen. Darin beauftragte das Auswärtige Amt die Uncto mit dem Betrieb des gemieteten Theaters und der Durchführung von Theater- und Künstlergastspielen in Konstantinopel.711 Doch auch das brachte nicht den erhofften Erfolg. Die Uncto versuchte, mehrere Variete-Künstlerinnen für ein Gastspiel nach Konstantinopel zu bringen. Doch nun verweigerte die türkische Regierung plötzlich die Einreise-Visa.712 Als dann auch noch Österreich-Ungarn einem deutschen Uncto-Vertreter das Durchreisevisum versagte, schaltete sich der Reichskanzler persönlich in die Affäre ein und forderte den Botschafter in Konstantinopel auf, über die Vorfälle detailliert Bericht zu erstatten.713 Obwohl die österreichischen Quellen keine Hinweise darauf enthalten, erscheint es plausibel, daß sie sich mit der Verweigerung des Visums an den deutschen Behörden rächen wollten. Der Versuch der deutschen Botschaft, die k.u.k. Theateroperationen in Konstantinopel zu torpedieren, war offenbar auf österreichischer Seite noch sehr präsent. Der Vorfall wurde als ganz besonders unerhört und unter Bundesgenossen unwürdig angesehen. Auf jeden Fall gelang es den Österreichern bis Kriegsende, sämtliche Theater- und Varieté-Aktionen der Deutschen auf diese
707 Schrecker an Kriegspressequartier, 13. Januar 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 708 Kriegspressequartier an Schrecker, 8. Januar 1918. Ebenda, Karton 64. 709 Kriegspressequartier an Pomiankowski, 3. Februar 1918. Ebenda. 710 Auswärtiges Amt an deutschen Botschafter Bernstorff, 8. April 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71210. 711 Vertrag zwischen Auswärtigem Amt und Uncto, 12. Januar 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71859. 712 Aktennotiz, 6. April 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71207. 713 „Es liegt deshalb die Vermutung nahe, daß die deutschen Unternehmungen in Konstantinopel seitens der K.u.K. österreichisch-ungarischen Behörden und neuerdings auch von türkischer Seite absichtlich erschwert und möglichst unausführbar gemacht werden.“ Reichskanzler an deutschen Botschafter in Konstantinopel Bernstorff, 23. Februar 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71210.
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Weise komplett lahmzulegen.714 Bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches schaffte es Deutschland nicht, eine einzige Theater- oder Operntruppe an den Bosporus zu bringen. Auch bei Einzelkünstlern scheint das nicht gelungen zu sein. Im Auswärtigen Amt mußte man den vollständigen österreichischen Sieg auf dem Feld der darstellenden Kunst eingestehen.715 Bendiners Operettentheater gastierte unterdessen noch bis in den Sommer 1918 in Konstantinopel. Die Unterstützung eines Gastspiels in Smyrna lehnte Schrecker wegen des zu großen Risikos zunächst ab.716 Später kam das Gastspiel allerdings doch noch zustande. Gemeinsam mit der Deutschmeister-Kapelle reiste Bendiner am 16. April nach Smyrna und blieb dort bis zum 15. Mai. Nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel hatte das Operettenensemble keine Auftritte mehr. Endgültig reiste das Ensemble Anfang Juni 1918 in die Donau-Monarchie ab.717 Doch Schrecker plante weiter mit Bendiner. Für die Wintersaison 1918/1919 war ein erneutes Gastspiel der Truppe in Konstantinopel vorgesehen. Am 25. Oktober 1918 meldete das Kriegspressequartier das Ensemble für Ende Oktober marschbereit und forderte Schrecker auf mitzuteilen, ob „trotz geaenderter politischer Situation Operettengastspiel gestattet“.718 Doch der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und der Abzug der deutschen und österreichischen Staatsangehörigen machte diese Frage obsolet. Der außerordentlich stark kulturell orientierte Ansatz der österreichisch-ungarischen Propaganda manifestierte sich auch in der Planung verschiedener Ausstellungen. Schon in seinem Arbeitsplan zu Beginn seiner Tätigkeit in Konstantinopel719 skizzierte der Presse- und Propagandaoffizier Schrecker entsprechende Ideen. Diese sollten allerdings nicht federführend von militärischen Stellen umgesetzt werden. Vielmehr dachte Schrecker an eine Unterstützung privater Aktivität im Hintergrund. Zum einen schlug Schrecker eine Ausstellung des österreischisch-ungarischen 714 „Meines Erachtens muss unbedingt in dieser Angelegenheit energisch etwas veranlasst werden. Die türkische Gesellschaft, mit der wir im Vertragsverhältnis stehen [die Uncto], fängt [...] an, daran zu glauben, dass wir, besonders im Verhältnis zu Österreich-Ungarn schwach sind und nicht einmal ermöglichen können, ein paar Künstler nach Konstantinopel zu bringen, weil es Österreich nicht genehm ist, das seinerseits vollständig die Situation beherrscht.“ Deutsche Botschaft Konstantinopel an Auswärtiges Amt, Nachrichtenabteilung, 22. August 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71858. 715 „Zur Zeit wird Konstantinopel auf jedem Kunstgebiet ausschließlich von den Oesterreichern beherrscht und obwohl es gelungen ist, die besten vertraglichen Voraussetzungen für eine deutsche umfassende Wirkung zu schaffen, ist die Durchführung [...] bis jetzt nicht möglich gewesen.“ Nachrichtenabteilung des AA an Militärische Stelle des AA, undatiert, etwa April 1918. BA, Wintertheater in der Türkei, R 901/71859. 716 Schrecker an Bendiner, 11. März 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presseund Propagandaoffizier, Karton 64. 717 Schrecker an Kriegspressequartier, 16. Juni 1918. Ebenda. 718 Kriegspressequartier an Schrecker, 25. Oktober 1918. Ebenda. 719 Propaganda und Pressedienst in der Türkei, Schrecker an Kriegspressequartier, Konstantinopel, 20. September 1917. Ebenda, Karton 62.
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Kunstgewerbes in Konstantinopel vor. Er wollte damit den entsprechenden Anbietern einen neuen Absatzmarkt eröffnen und gleichzeitig die bisherige Vorherrschaft französischer Lebensart brechen.720 Zur Ergänzung der kunstgewerblichen Schau brachte Schrecker außerdem eine Ausstellung bildender Kunst aus der Monarchie ins Gespräch.721 Im kleinen Rahmen hatte es so etwas schon vor Schreckers Dienstantritt in Konstantinopel gegeben. Es muß sich dabei um eine Ausstellung von österreichisch-ungarischer Grafik gehandelt haben. Wer diese Ausstellung organisiert hatte, ist allerdings nicht mehr nachzuvollziehen.722 Schrecker drängte außerdem auf die Wiederholung einer bereits im Herbst 1916 stattgefunden Modenschau in Konstantinopel. Damit verfolgte er ebenfalls ein doppeltes Ziel – der österreichischungarischen Wirtschaft Absatzmärkte zu eröffnen und die Lebensart der Habsburger-Monarchie positiv zu präsentieren.723 Im Dezember 1917 tauchte, für Schrecker überraschend, eine weitere privat organisierte Modenschau in Konstantinopel auf.724 Obwohl nicht über dieses Vorhaben informiert, bescheinigte Schrecker dem Unternehmen professionelle Vorbereitung725 und großen Erfolg726. Unklar bleibt allerdings, wer genau diese Präsentationen österreichischer Mode in Konstantinopel ausführte. Der Militärbevollmächtigte, Joseph Pomiankowski, schreibt in seiner Autobiographie lediglich von „verschiedenen Wiener Damenkonfektionshäusern“.727 Auch er bewertete die Modenschauen als Erfolg, sowohl in propagandistischer als auch in geschäftlicher Hinsicht.728 Seine Vorschläge für eine Kunstgewerbe- und Kunstausstellung in Konstantinopel präzisierte Schrecker im Dezember 1917 noch einmal.729 Diesmal legte er deutlich 720 Ebenda. 721 Ebenda. 722 Siehe Schrecker an Kriegspressequartier, 22. April 1918 und Schrecker an Kriegspressequartier, 22. Mai 1918. Ebenda, Karton 64. 723 „Soll eine solche Aktion nicht Stückwerk bleiben, so muß sie konsequent durchgeführt werden. Will man die Damenwelt an die Wiener Mode gewöhnen, so muß man, wenn man ihr einmal die Sommertoiletten verkauft hat, auch die Wintertoiletten verkaufen; und dann im nächsten Jahr wieder die Sommerkleider etz. Die militärische Mitwirkung bei dieser Veranstaltung kann und soll wieder im Hintergrund bleiben, doch könnte ihr natürlich unsererseits alle gewünschte Hilfe geboten werden.“ Ebenda. 724 Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. Ebenda, Karton 63. 725 „Sehr glücklich war die Idee der Verbindung mit dem Warenhaus des türkischen Offiziersvereins. – Diese Verbindung ist meiner Ansicht nach Rechtfertigung und Erfolg des verspäteten Unternehmens zugleich gewesen. Jedes von den Türken protegierte Unternehmen hat heute hier leichtes Spiel und angenehme Arbeit.“ Ebenda, Unterstreichung im Original. 726 „Die letzte Modenschau hat sich ihrer Aufgabe bereits mit sehr viel Routine entledigt; die Aufführung im Theater im Rahmen einer Operette war eine Sensation für KONSTANTINOPEL.“ Ebenda, Hervorhebung im Original. 727 Pomiankowski: Untergang, S. 326. 728 Ebenda. 729 Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63.
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größeres Gewicht auf Arbeiten bildender Künstler. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich auch bereits mehrere österreichisch-ungarische Kriegsmaler730 in Konstantinopel auf. Deren Werke mit direktem Bezug zum Orient sollten nach Schreckers Vorstellung zu einem Kernstück der Ausstellung werden. Doch die Deutschen kamen diesmal den Österreichern zuvor. Im Mai 1918 eröffnete in Konstantinopel eine Ausstellung deutscher Künstler. Schrecker nahm diese Aktivität äußerst ernst und bat das Kriegspressequartier gar „einen Herren aus Wien zur Besichtigung herzusenden, um durch diese Besichtigung einen Masstab für die unsererseits im Herbst dieses Jahres zu veranstaltende Kunstausstellung zu gewinnen“.731 Auch in diesem Fall sah der österreichische Propagandaoffizier also die deutsche Konkurrenz als Meßlatte für sein eigenes Handeln, als eine Vorgabe, die unbedingt zu übertreffen war. Dieser Gedanke setzte sich einen Monat später fort, als Schrecker über die deutsche Ausstellung nach Wien berichtete.732 Sein Fazit: Zwar sei die Ausstellung minderwertig arrangiert gewesen, sie sei aber trotzdem ein großer Erfolg geworden. Schrecker machte das insbesondere am finanziellen Erfolg der beteiligten Künstler fest, „welche einen grossen Teil ihrer Werke zu sehr günstigen Preisen verkauft haben“.733 Aus diesen Gründen versuchte Schrecker nochmals energisch, das Kriegspressequartier dazu zu überreden, eine eigene Ausstellung nach Konstantinopel zu bringen, spätestens bis zum Oktober 1918.734 Doch Schreckers Enthusiasmus lief in Wien ins Leere. Schon im August 1918 meldete Schrecker mit resignierendem Unterton aus Konstantinopel: „Ich habe bisher keinerlei Sicherheit dafür, dass die geplante Kunstausstellung zu Stande kommt.“735 In der Tat fand sie niemals statt. Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches ließ alle entsprechenden Pläne überflüssig werden. 730 Die Entsendung und Beschäftigung dieser Künstler stieß auf erhebliche Schwierigkeiten. Offenbar waren die türkischen Behörden ob der schwierigen Lage in Syrien nicht bereit, Reisegenehmigungen an die Front zu erteilen. Siehe Schrecker an Kriegspressequartier, 17. Dezember 1917. Ebenda und Schrecker an Kriegspressequartier, 15. März 1918. Ebenda, Karton 64. Bei den im Dezember 1917 in Konstantinopel arbeitenden Malern handelte es sich um die Österreicher Viktor Hammer, Albert Janesch und die Ungarn Peter Kálmán und Andor Székely de Doba. Kriegspressequartier an Schrecker, 4. Dezember 1917. Ebenda, Karton 63. Der Militärbevollmächtigte selbst erwähnte in seinen Memoiren weitere, frühere Entsendungen von Kriegsmalern, insbesondere des Wiener Kunstprofessors Wilhelm Viktor Krauß. Siehe Pomiankowski: Untergang, S. 325. 731 Schrecker an Kriegspressequartier, 22. April 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 732 Schrecker an Kriegspressequartier, 22. Mai 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 733 Ebenda. 734 „Die Lage ist nun die, dass 1.) die deutsche Ausstellung derart beschaffen war, dass sie von einer grösser angelegten und besser organisierten Veranstaltung unsererseits mit grossem Erfolg überboten werden kann 2.) dass eine solche Veranstaltung unsererseits Aussicht auf finanziellen Erfolg hätte.“ Ebenda. 735 Schrecker an Kriegspressequartier, 8. August 1918. KA, Archive des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64.
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2.4.2 Mit Gott für den Kaiser: Die katholische Propaganda ÖsterreichUngarns im Orient Die Propaganda Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich wurde hauptsächlich vom Militär getragen. Allerdings gab es eine wichtige Ausnahme von dieser Regel: den Versuch der Donau-Monarchie, in engster Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche Einfluß auf die Katholiken der Türkei zu gewinnen.736 Einen Versuch ähnlicher Art hatte das Deutsche Reich schon unter Bismarck als Reichskanzler unternommen. Ende 1873 hatte Deutschland in Rivalität zu Frankreich, dem Protektor der Katholiken im Osmanischen Reich, im armenischen Kirchenstreit interveniert.737 Die Motive lagen zum einen im Kampf Bismarcks gegen die katholische Kirche, zum anderen in der Rivalität zu Frankreich. Die katholische Aktion Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkrieges fand hingegen in voller Übereinstimmung mit der katholischen Kirche statt. Das Bündnis von Thron und katholischem Altar war in Österreich-Ungarn ein besonders enges. So erzählt eine Gründungslegende des Hauses Habsburg, wie Rudolf von Habsburg sein Pferd einem Priester überläßt, der zu Fuß mit der Eucharistie unterwegs ist.738 Daher besaß die Kirche erheblichen politischen Einfluß: „Der Staat finanzierte die Kirche; die gefürsteten Bischöfe verfügten über Virilstimmen im Herrenhaus, die übrigen Bischöfe in den Landtagen.“739 Der Klerus war als eigener Stand anerkannt, der sich in Vorrechten, Kleidung und Titeln gesetzlich sanktioniert von den Laien unterschied.740 Auf der anderen Seite sicherte die Kirche bei der katholischen Bevölkerungsmehrheit „die Autorität der politischen Herrschaft“.741 Diese Nähe zwischen Staat und Kirche742 erklärt nicht zuletzt, warum es völlig problemlos und ohne organisatorische Reibungsverluste zu einer gemeinsamen Aktion im Orient kommen konnte.
736 Vgl. zur k.u.k. Religionspolitik auch die eher episodenhafte Schilderung in Fischer: Kampf, S. 80–93. 737 Vgl. Baumgart, Winfried: Prolog zur Krieg-in-Sicht-Krise. Bismarcks Versuch, den Kulturkampf in die Türkei zu exportieren. (1873/74). In: Albrecht, Dieter; Hockerts, Hans Günter; Mikat, Paul; Morsey, Rudolf (Hrsg.): Politik und Konfession, Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag. Berlin, 1983, S. 231–256. 738 Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. In: Herwig, Wolfram von (Hrsg.): Österreichische Geschichte 1890–1990. Wien, 1994, S. 214. 739 Ebenda, S. 215. 740 Ebenda. 741 Ebenda. 742 Vgl. Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zur freien Kirche im freien Staat. In: Herwig, Wolfram von (Hrsg.): Österreichische Geschichte, Geschichte des Christentums in Österreich. Wien, 2003, S. 361–397.
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Erstmals schriftlich formuliert wurde diese Idee im November 1915 in einem internen Memorandum des Ministeriums des Äußeren.743 Dieses Dokument dürfte der Vorbereitung der Vertreter des Ministeriums auf ein Treffen mit Vertretern der katholischen Kirche in Österreich-Ungarn gedient haben. 744 Das Memorandum skizziert zum einen die Situation der katholischen Mission nach dem Kriegseintritt der Türkei. Diese sei gekennzeichnet durch die Unterbrechung der französischen Tätigkeit im Osmanischen Reich745 und daraus folgend durch eine günstige Möglichkeit, dieses entstandene Vakuum für eigene Zwecke zu nutzen und auszufüllen: „Die französischen Schulen und Missionsanstalten sind größtenteils geschlossen, die französischen Geistlichen, Missionare und Nonnen ausgewiesen. Es muss unser Streben sein, diese günstige Konjunktur auf möglichst breiter Grundlage auszunützen, um der katholischen Habsburger Monarchie in nahen Orient jene Rolle zu sichern, die Frankreich aufzugeben gezwungen wurde.“746 Österreich-Ungarn ging es also um nichts weniger, als Frankreich als Schutzmacht der Katholiken zu beerben. Ein Dokument aus den Anfangstagen der Aktion illustriert, worauf sich diese Hoffnung stützte. In der Kopie eines Briefes beschreibt der Kapuziner-Pater Norbert Hofer farbig die Situation der katholischen Mission in der Türkei nach dem Kriegsausbruch.747 Hofer war Superior eines Kapuziner-Klosters in Erzerum. Für den Niedergang der katholischen Mission machte er ausschließlich die französische und italienische Schutzherrschaft über die entsprechenden Projekte verantwortlich: „Die allgemeine Lage des durch den Krieg völlig eingegangenen katholischen Missionswesens, läßt sich folgendermaßen schildern: Katholische Kirchen bestehen nur noch (zum Teil) in den Hafenstädten der Türkei; im Inneren sind alle aufgehoben, d. h. geschlossen, geplündert oder in Moscheen verwandelt. Grund: französischer und italienischer Schutz. Die Zahl der eingegangenen kath. Kirchen beläuft sich 743 Anonymes internes Memorandum vom 11. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 744 Eingeladen hatte der Fürsterzbischof von Wien, Kardinal Pfiffl. Die Einladung erging am 16. November 1915 für den 25. November 1915. Thema war laut Einladung eine Besprechung „über den gegenwärtigen Stand der katholischen Mission im Heiligen Land und in Kleinasien sowie [...] deren künftige Gestaltung.“ Einladung des Kardinal-Fürsterzbischofs von Wien, 16. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 745 Im Jahre 1535 erhielt der französische König Franz I. vom Sultan das Protektorat über alle Christen im osmanischen Machtbereich. Diese erste Kapitulation wurde 1604, 1672, 1740 und 1802 durch Verträge erneuert. Papst Leo XIII. bestätigte das französische Protektorat über die Katholiken in der Türkei 1886 in der Enzyklika „Aspera rerum conditio“. Vgl. The Catholic Encyclopedia. Band 15, New York, 1912, Stichwort Turkish Empire. 746 Anonymes internes Memorandum vom 11. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 747 Norbert Hofer an den Generalsekretär des Kapuziner-Ordens in Luzern, 20. Dezember 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918.
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auf 78 %, die der von der türkischen Regierung beschlagnahmten Schulen 99 %. Katholische Priester gibt es nurmehr in den Hafenstädten.“748 Das interne Memorandum des Ministeriums749 skizziert die geplante Vorgehensweise in dieser Sache. Keinesfalls sollten politische Ziele offen verfolgt werden, das Religiöse habe ganz im Vordergrund zu stehen. In der Wirkung allerdings sollte die Religion klar der Politik dienen.750 Auf jeden Fall war die Mission im Orient ein Thema, das sowohl der k.u.k. Regierung als auch den Vertretern der katholischen Kirche ausgesprochen wichtig gewesen zu sein scheint. Die Konferenz am 25. November 1915 im Wiener Palais des Fürsterzbischofs bestätigt das weniger durch ihre konkreten Ergebnisse, als vielmehr durch die anwesenden Teilnehmer und deren Informationen zur Lage. Zu dem nachmittäglichen Treffen, das genau 1,45 Stunden dauerte, waren insgesamt 72 Vertreter des Klerus und des Staates geladen, darunter Emissäre sämtlicher bischöflicher Ordinariate der Kronländer,751 der in Österreich vertretenen Orden,752 der Missionsvereine,753 Vertreter der Regierung,754 und Einzelpersonen, wie etwa der Schriftsteller und Orientalist Alois Musil. Eine Minderheit unter den Teilnehmern, das gab dem Treffen eine durchaus pikante Note, waren Vertreter des deutschen Katholizismus. Es handelte sich dabei um drei Kleriker,755 von denen einer sogar das Auftaktreferat hielt, und als prominenteste Figur um den katholischen Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger. Im Protokoll des Treffens nehmen seine Ausführungen den größten Raum ein. Hier deutet sich an, welch 748 Ebenda. 749 Anonymes internes Memorandum vom 11. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 750 „Wir werden in unseren kulturellen Bestrebungen das Religiosum vor das Politikum zu stellen, gleich den Franzosen mehr den religiösen Missionszweck als den der politischen Einflußvermehrung zu betonen haben, in der sicheren Berechnung, daß alles, was unsere Staatsangehörigen in diesen Gebieten für die katholische Religion tun, beziehungsweise, was unter unserer Patronanz (eventuell selbst von Nichtösterreichern) geschaffen wird, dem Prestige der katholischen Donaumonarchie zuwachsen muss.“ Ebenda. 751 Brixen, Brünn, Görz, Gurk, Königgrätz, Krakau, Laibach, Lavant, Leitmeritz, Lemberg, Linz, Olmütz, Prag, Salzburg, St. Pölten. Bericht über die Missionskonferenz in Wien, abgehalten im f.e. Palais am 25. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 752 Barmherzige Brüder, Dominikaner, Franziskaner, Gesellschaft des göttlichen Wortes, Jesuiten, Kapuziner, Karmeliter, Lazaristen, Mechitaristen, Salesianer, Redemtoristen, Schulbrüder, Salvatorianer, Söhne des heiligen Herzens Jesu, Trinitarier. Ebenda. 753 Glaubensverbreitung, Gloria in excelsis, Kindheit Jesu, Leopoldinenstiftung, Marienverein für Afrika, Missionsfreunde für Indien, Missionsvereinigung katholischer Frauen, ÖsterreichischUngarisches Pilgerhaus in Jerusalem, St. Petrus Claver, Verein vom Heiligen Land in Deutschland, Verein von der unbefleckten Empfängnis. Ebenda. 754 Prinz Schönburg, Ministerium des Äußeren, Baron Leo di Pauli, Botschafter beim Vatikan, Sektionschef von Hampe, Ministerium für Kultus und Unterricht. Ebenda. 755 Es waren dies die Universitätsprofessoren Schmidlin (Münster) und Lindel (München) sowie der Prälat Werthmann (Freiburg). Ebenda.
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merkwürdig zwitterhafte Richtung die österreichisch-ungarische katholische Aktion bis zum Jahr 1918 nehmen sollte: Zum einen war die Stoßrichtung eigentlich antideutsch. Durch die Übernahme der vakanten französischen Position im Osmanischen Reich erhofften sich österreichisch-ungarische Außenpolitiker eine stärkere Position gegenüber Deutschland. Zum anderen aber baute die katholische Aktion von Anfang an auf die Unterstützung katholischer Kreise in Deutschland. Diese wiederum ließen sich offenbar willig in das Propagandakomplott gegen die eigene Regierung einbinden. Indiz dafür ist, daß das Grundsatzreferat von dem deutschen Kleriker und Münsteraner Universitätsprofessor Schmidlin gehalten wurde, nicht etwa von einem Österreicher. Weiterer Beleg ist das Auftreten Erzbergers auf der Wiener Konferenz. Der deutsche Reichstagsabgeordnete scheute sich nicht, aufgrund seiner religiösen Überzeugungen um österreichisch-ungarischen Beistand für die katholische Sache gegen die eigene Reichsregierung zu werben. Der Extrakt seiner Ausführungen: Wenn die Katholiken der Habsburger-Monarchie und Deutschlands nicht zusammenarbeiteten, würde die protestantische deutsche Reichsregierung ungehindert freie Bahn in der Türkei haben. Das gelte es durch gemeinsame Anstrengungen zu verhindern.756 Erzbergers Verhalten auf der Wiener Konferenz illustriert deutlich, daß seine religiöse Überzeugung ihm wohl erheblich wichtiger war als die Interessen des Deutschen Reiches. Die Ziele seiner Tätigkeit im Orient waren so auch voll und ganz von seinem Katholizismus geprägt.757 Bezeichnend ist, daß Erzberger in seinen Memoiren seine katholische Propagandatätigkeit jedoch rückblickend ganz anders darstellte. Die Verbindung mit Österreich-Ungarn spielte Erzberger dort herunter und legte Wert auf die Feststellung, daß seine Tätigkeit „in steter Verbindung mit dem Auswärtigen Amt“758 verlaufen sei. Stünde an dieser Stelle „Ballhausplatz“ 756 „Bei der ganzen Richtung, die die deutsche Politik nach dem Osten nehmen wird, ist mit einer gewaltigen Ueberschwemmung deutscher Auswanderer (Techniker) zu rechnen. Deutschland ist, besonders auf technischem und industriellen Gebiet in der Mehrzahl protestantisch. Wir Katholiken würden da bald, wenn wir nicht arbeiten, in den Hintergrund gedrängt werden. Wir deutschen Katholiken können das nicht alleine machen. [...] Die ,deutsch-türkische Vereinigung‘ ist fast ausschließlich protestantisch, hat Banken und Geld (Deutsche Bank) zur Verfügung. Zunächst halte ich die Gründung von Seelsorgestationen für notwendig (In Konstantinopel bereits jetzt 1600 reichsdeutsche Katholiken). [...] Die bestehenden Vereine sind auszugestalten und besonders kapitalkräftig zu machen. [...] Manche Häuser werden rein österreischischen, manche reichsdeutschen Charakter tragen, die meisten werden gemischt sein. Redner stimmte dem Vorschlage Seiner Eminenz vollkommen bei, die Sache sei aber sehr dringend.“ Ebenda. 757 Neben der Eindämmung des protestantischen, von der deutschen Reichsregierung getragenen Einflusses durch Zusammenarbeit mit Österreich-Ungarn hatte Erzbergers Orient-Aktion ein weiteres Hauptziel: „Es war für mich als Katholik beim Eintritt der Türkei in den Weltkrieg an der Seite Deutschlands selbstverständliche Pflicht, daß diese günstige politische Situation nicht ungenutzt bleiben durfte, um namentlich die im Besitz der Mohammedaner befindlichen christlichen Heiligtümer den Katholiken zuzufügen.“ Erzberger: Erlebnisse, S. 82. 758 Ebenda, S. 67.
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wäre er der Wahrheit wohl näher gekommen. Die Teilnahme von Vertretern des österreichisch-ungarischen Staates an der Wiener Konferenz verschwieg Erzberger in den Memoiren sogar ganz.759 Wie verquickt Erzberger tatsächlich mit der österreichischen Politik war, zeigt eine Episode aus dem April 1917. Durch eine Indiskretion Erzbergers wurde ein brisantes Memorandum des österreichischen Außenministers der Entente bekannt. In diesem Papier hatte Außenminister Czernin dargelegt, daß die Doppelmonarchie nicht in der Lage sei, einen weiteren Winterfeldzug durchzustehen. Erzberger hatte diese Schrift in die Hand bekommen und bei einer Konferenz der Zentrumspartei davon berichtet. Der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, berichtete in seinen Erinnerungen, daß Czernin deshalb vor Zorn kochte und ihn bestürmte, Erzberger verhaften zu lassen. Der österreichische Kaiser dagegen habe ihn bei einer Audienz gebeten, von solchen Schritten abzusehen, denn Erzberger habe die Denkschrift vom Monarchen selbst erhalten.760 Am Ende der Wiener Konferenz stand die Gründung eines österreichischen Arbeitsausschusses für die Mission in der Türkei, der dem „Verein von der Unbefleckten Empfängnis Mariens zur Unterstützung der Katholiken im türkischen Reiche und im Orient“ angegliedert wurde. Ausdrücklich wurde die enge Zusammenarbeit dieses Ausschusses mit seinem bereits bestehenden reichsdeutschen Pendant festgelegt.761 Auch die ungarischen Katholiken sollten einbezogen werden.762 Technische Einzelheiten enthält das Protokoll hingegen keine. Zwei Hinweise auf die Strategie der Mission liefern dagegen die als geheim klassifizierten Notizen des Vertreters des Ministeriums des Äußeren, des Prinzen Schönburg.763 Zum einen sollten die wegen des Krieges geschlossenen französischen und italienischen Ordenshäuser nur durch österreichisch-ungarische und deutsche Ordensleute der gleichen Kongregationen wiederbelebt werden. Zum anderen sollten weibliche Orden neue Niederlassungen gründen. In dieser Notiz deutet sich aber auch ein Grundproblem der katholischen Aktion an: Es fehlte ganz einfach an fähigen Leuten: „Auf eine Bemerkung eines Ordensprovinzials, es fehle ihm an geschulten, besonders qualifizierten Leuten, betonte 759 Ebenda, S. 70. 760 Kühlmann: Erinnerungen, S. 490–493. 761 Bericht über die Missionskonferenz in Wien, abgehalten im f.e. Palais am 25. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 762 Nur einen Tag später trafen sich in Esztergom Vertreter des ungarischen Katholizismus und eine Abordnung deutscher Katholiken, um die Frage der katholischen Mission in der Türkei zu beraten. Die Ungarn stimmten dem grundsätzlichen Ziel – die französische Position einzunehmen – zu und forderten darüber hinaus die Unterstützung der österreichisch-ungarischen Diplomatie für dieses Vorhaben. Note des Fürstprimas von Ungarn, Kardinal Johann Csernoch, Erzbischof von Esztergom, an das Ministerium des Äußeren, 27. November 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 763 Missionierung der Katholiken in Nahen Orient, Notiz, 1. Dezember 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918.
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der geistliche Berater des Fürsten Salm [Fürst Salm-Reifferscheid war Vorsitzender des Vereins vom Heiligen Land mit Sitz in Köln], daß große Vorbereitungen gar nicht nötig seien. Es bewähre sich im Orient in viel stärkerem Maße als anderswo der Grundsatz, daß man an Ort und Stelle viel schneller und praktischer lerne als am grünen Tische. Die jungen Missionare brauchten für ihre Bestimmung gar keine andere Qualifikation als eine gute Portion Willens und Schaffensfreude.“ 764 Allerdings wurde dieses Problem bei der Wiener Konferenz einfach vom Tisch gewischt und nicht weiter thematisiert. Im Ministerium des Äußeren wurden die Ergebnisse der Konferenz durchaus kritisch bewertet. In den Notizen des Prinzen Schönburg fehlt allerdings noch jegliche inhaltliche Stellungnahme. Die Meinungsbildung innerhalb des Ministeriums nahm offenbar eine gewisse Zeit in Anspruch. Erst Anfang Dezember 1915 ergingen in dieser Sache aus Wien Handlungsanweisungen an den österreichischungarischen Botschafter in Konstantinopel, die von unkritischer Zustimmung jedoch weit entfernt waren.765 Ein Dorn im Auge war den Ministeriellen ganz besonders die angestrebte Zusammenarbeit des österreichischen Klerus mit deutschen katholischen Kreisen. Darüber hinaus befürchtete man in Wien, daß die Deutschen trotz ihres Bekenntnisses zu gemeinsamer Aktion auf eigene Faust und damit in österreichischen Augen unredlich handeln würden.766 Diese Bewertung mag das folgende Handeln der österreichisch-ungarischen Diplomatie in der Missionsfrage erklären. Zum einen wurden die deutschen Aktivitäten von der Botschaft und den Konsuln gründlich und mißtrauisch beobachtet. Die Ergebnisse dieser Überwachung wurden darüber hinaus auch immer den mit der katholischen Propagandaarbeit befaßten Stellen, also vor allem dem im November 1915 gegründeten Missionskomitee, mitgeteilt. Der Botschafter selbst machte darüber hinaus umfangreiche Vorschläge für konkrete Aktionen,767 auf die weiter unten einzugehen sein wird.
764 Ebenda. 765 Ministerium des Äußeren an Markgraf Pallavicini, 10. Dezember 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 766 „Allerdings ist durch die Zuziehung deutscher Katholiken zu der Wiener Versammlung die Aktion über die Grenzen der Monarchie hinaus erweitert worden und wird sich daher bei der Weiterverfolgung derselben die Notwendigkeit ergeben, sorgfältig darauf zu achten, daß unser Klerus und unsere Missionare hierbei die Führung behalten und nicht etwa die ganze Aktion zu einem Werkzeug der deutschen Orientpolitik werde. Ich möchte bei diesem Anlasse nicht unerwähnt lassen, daß einer mir zukommenden vertraulichen Information deutscherseits bereits Schritte eingeleitet werden, um die Erbschaft der vertriebenen französischen und italienischen Missionare [...] anzutreten. Der Kardinal-Erzbischof von Köln soll bereits zwei Priester nach dem Oriente designiert haben und im ganzen bereits zehn deutsche Geistliche bereit stehen, um die Missionstätigkeit in der Türkei aufzunehmen.“ Ebenda. 767 Palavicini an Ministerium des Äußeren, 31, Dezember 1915. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918.
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Andererseits blieben das Ministerium und seine Stellen in der Türkei bis zu einem gewissen Grade kühl, wenn es um konkrete Unterstützung der katholischen Aktion ging – auch nachdem sich die katholische Propaganda der Mittelmächte schließlich doch nicht in einer wie auch immer gearteten gemeinsamen Struktur organisierte, wie weiter unten gezeigt werden wird. Das Büro des Militärbevollmächtigten, die Stelle also, die mit der Umsetzung des größten Teiles der österreichischen Propaganda in der Türkei befaßt war, hatte offenbar zu keiner Zeit irgendeine Berührung mit der katholischen Aktion. In den auf uns gekommenen Quellen gibt es auf das Gegenteil keinerlei Hinweise. Die nach der Wiener Konferenz noch unfertigen Strukturen der katholischen Propaganda der Mittelmächte nahmen bis Ende Dezember 1915 schließlich Formen an. Am 20. Dezember trafen sich in München die „deutschen, österreichischen und ungarischen Ausschüsse für die Wahrung der katholischen Missionsinteressen im näheren Orient“.768 Aus Deutschland waren dies Vertreter des „Vereins vom Heiligen Lande“ in Köln, aus Österreich die Führung des „Vereins von der Unbefleckten Empfängnis“ in Wien und aus Ungarn die Spitze des St. Ladislausvereins. Die wichtigste Entscheidung des Treffens bestand darin, daß ein voneinander unabhängiges Vorgehen der drei Organisationen bei enger Koordination der Aktionen festgelegt wurde. Diese Koordination sollte in den Büros der KardinalErzbischöfe von Wien und Köln sowie des Erzbischofs von Kalocsa erfolgen. Der deutsche Reichstagsabgeordnete Erzberger sollte beratend tätig sein.769 Die weiteren Beschlüsse blieben dagegen vage. So sollte die katholische Seelsorge für Staatsangehörige Österreich-Ungarns und Deutschlands gemeinsam organisiert werden, der Aufbau von Schulen für türkische und arabische Kinder und karitative Projekte wurden darüber hinaus im Protokoll als Felder der missionarischen Tätigkeit hervorgehoben.770 Um es vorwegzunehmen – zu einer wirklich effektiven Koordination der Arbeit kam es niemals. Die beiden Vereine der Donau-Monarchie und die deutsche Organisation handelten vollständig unabhängig voneinander. Hinweise auf gemeinsame Projekte, wie etwa den Aufbau von Schulen, gibt es nicht. Auf der Ebene der Missionsvereine gab es zwar offenbar keine scharfe Konkurrenz zwischen Österreichern und Deutschen, wie sie auf anderen Feldern der Propaganda bestand. Von vertrauensvoller und effektiver Zusammenarbeit zeugen die Quellen jedoch auch hier nicht, denn für die staatlichen Stellen ÖsterreichUngarns stand auch in der katholischen Aktion die Konkurrenz zu Deutschland im Vordergrund. In einem umfangreichen Bericht über die Chancen der katholischen Aktion warnte Ende Dezember 1915 der österreichische Botschafter in Konstantinopel 768 Protokoll der gemeinsamen Sitzung der deutschen, österreichischen und ungarischen Ausschüsse für die Wahrung der katholischen Missionsinteressen im näheren Orient. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 769 Ebenda. 770 Ebenda.
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vor einer Vereinnahmung der Missionstätigkeit durch die Deutschen. Andererseits sah Pallavicini aber auch die Notwendigkeit, in dieser Sache mit den Deutschen zusammenzuarbeiten. Der Grund waren deren größere Ressourcen.771 Kooperation allerdings war in den folgenden Jahren kein Thema mehr. Im Februar 1916 forderte Pallavicini das Ministerium des Äußeren auf, den Beginn der österreichischen Aktion zu forcieren. In Konstantinopel seien 15 deutsche Geistliche eingetroffen und hätten ihre Tätigkeit als Seelsorger aufgenommen.772 Kaum einen Monat später legte Pallavicini einen längeren Bericht nach, der von intensiver Tätigkeit der deutschen Katholiken zeugte.773 Namentlich nannte der Botschafter 14 deutsche Geistliche und ihre Bestimmungsorte von Konstantinopel bis Aleppo. Darüber hinaus berichtete er über die Entsendung von Lehrkräften für mehrere katholische Schulen in der Hauptstadt und in Syrien, den Ausbau der Militärseelsorge, die Verbreitung einer deutschen katholischen Propagandaschrift („La guerre allemande et le catholicisme“) in französischer Sprache und eine Spende des „Vereins vom Heiligen Land“ für deportierte Armenier in Höhe von 15.000 Mark.774 In kürzester Zeit hatten die Deutschen ihre katholische Propagandamaschine zum Laufen gebracht. Jedoch scheint das Spielen der katholischen Karte zum Nutzen der nationalen Interessen des Kaiserreiches bei Teilen des deutschen Klerus im Orient auf Mißtrauen und sogar Feindseligkeit gestoßen zu sein. Pallavicini berichtete im April 1916 über eine Begegnung mit dem bayerischen Franziskanerprovinzial Holzapfel, der sich regelrecht entsetzt über das Verhalten der deutschen Diplomatie in dieser Frage geäußert haben soll.775 Trotzdem rollte die deutsche Propaganda auch auf 771 „Dass die Führung der geplanten grosszügigen Aktion die Monarchie übernimmt, ist gewiss erfreulich, doch ist dabei [...] auch darauf zu achten, dass sie diese Führung auch behalte und die ganze Aktion nicht zu einem Werkzeug der deutschen Orientpropaganda werde. Eine solche Gefahr liegt nämlich nahe u.zw. deshalb, weil die Sprache und Kultur, welche das Unternehmen anstelle der französischen zu setzen sich zur Aufgabe macht, eine den Zentralmächten gemeinsame ist und weil Deutschland für den aufzunehmenden Kampf über viel bedeutendere Hilfsmittel verfügt, wie wir. Ich denke hierbei an die deutsche Militärmission und den bedeutenden Apparat deutscher Unternehmungen in der Türkei [...] Wir müssen daher, um das uns gesteckte Ziel, zwecks Stärkung und Festigung unseres politischen und wirtschaftlichen Einflusses in der Türkei eine intensivere kultuspolitische Tätigkeit zu entwickeln, zu erreichen, unbedingt mit Deutschland zusammengehen, müssen dabei aber darauf bedacht sein, dass wir für unsere Mitarbeiterschaft auch einen entsprechenden Anteil am Erfolg erhalten.“ Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 31. Dezember 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 772 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 25. Februar 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 773 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 31. März 1916, Anlage. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 774 Ebenda. 775 „[...] auch war seinen Auslassungen zu entnehmen, dass er mit der Haltung der kaiserlichdeutschen Vertretungsbehörden in der Frage der katholischen Aktion wenig zufrieden ist u.
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dem katholischen Gleis weiter. Im September 1916 berichtete Pallavicini erneut detailliert über die inzwischen entstandenen deutschen Einrichtungen.776 Schon im März 1916 war Wien detailliert über die deutschen katholischen Projekte im Orient informiert. Der deutsche Reichstagsabgeordnete Erzberger hatte dem österreichisch-ungarischen Vertreter am Münchner Hof bereitwillig entsprechende Informationen gegeben. Neben den oben schon erwähnten Projekten handelte es sich um die Einführung des katholischen Religionsunterrichts an den deutschen Schulen in Haidar Pascha und Jedikule, die Gründung einer Schwestern-Niederlassung in Konstantinopel, die Bestellung von katholischen Militärseelsorgern sowie den Aufbau einer Schule, eines Lehrerseminars und eines Spitals in Bagdad. Erzberger sprach außerdem von 24 katholischen deutschen Gemeinden in der Türkei. Als Fernziele schwebten Erzberger die Gründung von Klosterniederlassungen in größeren Städten und die Übernahme der Priesterseminare durch deutsche Orden vor. Darüber hinaus regte Erzberger die Schaffung eines katholischen Schulsystems in der Türkei an.777 Die entsprechenden Dokumente wurden auch an den Wiener Kardinal Pfiffel und den ungarischen Erzbischof von Kalocsa, Várady, als Chefs der österreichischen und ungarischen Missionsverbände weitergeleitet.778 Die zugehörige Bewertung der Wiener Diplomaten ist für die Deutschen wenig schmeichelhaft. Ihr Fazit: Deren Bemühungen seien auf Sand gebaut.779 Ab Ende 1916 war schließlich die katholische Aktion kein bedeutendes Thema der Berichterstattung mehr. Gelegentlich zw. augenscheinlich deshalb, weil diese lediglich als nationales Propagandamittel ansehen und insbesondere in Ansehung der Heiligtümer alles für Preußen erwerben wollen, den anderen aber am liebsten gar nichts lassen möchten.“ Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 10. April 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 776 Leider ist der Teil über die katholischen deutschen Projekte nicht mehr auffindbar. Erhalten ist allerdings die stattliche Liste der protestantischen und staatlichen Projekte auf kultuspolitischem Gebiet. Die Liste führt im gesamten Osmanischen Reich 22 deutsche evangelische Gemeinden, fünf evangelische Schulen, acht evangelische Krankenhäuser, 15 evangelisch geführte Soldatenheime und elf staatliche Schulen auf. Zu letzteren bemerkt der Verfasser der Liste, ein österreichischer Pater Pöllinger: „Alle diese deutschen Schulen, obwohl als neutral dargestellt, sind de facto protestantisch durch das protestantische Lehrerpersonal, die Bücher im protestantischen Geist verfasst. etc.“ Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. September 1916. HHStA, PA, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848-1918, 210, Berichte 1916. Unterstreichung im Original. 777 Velics an Ministerium des Äußeren, 4. März 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 778 Ministerium des Äußeren an Pfiffel und Várady, 13. September 1916. HHStA, PA, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 210, Berichte 1916. 779 „Markgraf Pallavicini bemerkt zu diesen Operaten, daß deutscherseits ohne Zweifel sehr fleißig gearbeitet und vieles geschaffen werde, doch scheine es fraglich, ob alles Erreichte bleibende Werte darstelle. [...] In erster Beziehung kommt beispielsweise zu erwähnen, daß die zahlreichen Labeund Diakonissenstationen sowie Soldatenheime sich nach dem seinerzeitigen Abzuge der deut-
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schilderten einzelne Konsule ihre Beobachtungen deutscher Aktivitäten780 und im März 1917 berichtete der Botschafter noch einmal ausführlich über die eigenen Aktionen.781 Danach wird das Thema in den Korrespondenzen nicht einmal mehr erwähnt. Die katholische Aktion erlebte das Schicksal vieler Projekte: Es wurde mit großen Hoffnungen und viel Energie gestartet, versandete aber nach einiger Zeit, weil die Widerstände und Schwierigkeiten überhand nahmen. Hinweise dafür und auf die Art dieser Probleme soll ein Blick auf die Umsetzung der österreichischungarischen Vorhaben liefern. Während die Deutschen ihre Pläne entschlossen und schnell angingen, kam die österreichische Aktion nur langsam in Schwung. Wie oben gezeigt, waren die ersten Pläne vage und enthielten keinerlei konkrete Ansatzpunkte für die Tätigkeit österreichisch-ungarischer Missionare. Der Klerus war ganz offenbar überfordert; es fehlte offenkundig in diesen Kreisen an Informationen über die Zustände und Verhältnisse im Osmanischen Reich im besonderen und erfolgversprechende Ansatzpunkte. Erst der österreichisch-ungarische Botschafter lieferte im Dezember 1915 nach einer Aufforderung durch das Ministerium in einer Art Fünf-Punkte-Plan praktisch verwertbare Handlungsvorlagen.782 Dieser Bericht bildete die Grundlage für ein im Januar 1916 im Ministerium des Äußeren in Druck gegebenes Strategiepapier, das als Arbeitsgrundlage der katholischen Aktion bezeichnet werden kann.783 Als allgemeines Prinzip galt ab sofort das Ziel, eigene, unabhängige, nationale Stützpunkte der katholischen Mission zu schaffen, „damit wir, wenn Franzosen und Italiener nach dem Kriege wieder zurückkehren, die Konkurrenz mit ihnen mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen können“.784 Von der Idee der Übernahme verlassener Niederlassungen französischer oder italienischer Orden hatten sich die Österreicher damit ausdrücklich verabschiedet. Grund dafür dürften vorhersehbare Schwierigkeiten mit der türkischen Regierung bei einem solchen Vorgehen gewesen sein, vor denen der österreichische Botschafter eindringlich
schen Truppen aus der Türkei wohl nur zum geringen Teile als eine deutsche Kolonial-Institution, [...] dürften verwenden lassen.“ Ebenda. 780 Vgl. Konsulat Damaskus an Pallavicini, 9. Dezember 1916 und 29. Mai 1917. HHStA, PA, Türkei, XII, Konstantinopel, 1848–1918, 210, Berichte 1916 sowie Konsulat Aleppo an Pallavicini, 31. Januar 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 781 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 24. März 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 782 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 31. Dezember 1916. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 783 Gesichtspunkte für eine intensivere kultuspolitische Betätigung im Nahen Osten, 12. Januar 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 784 Ebenda
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gewarnt hatte.785 Ausgehend von dieser Erkenntnis sollten nun fünf konkrete Projekte verfolgt werden:786 • Ausschalten französischer und italienischer Geistlicher in katholischen Einrichtungen, die sich schon unter österreichisch-ungarischem Schutz befanden,787 und deren Ersetzung durch eigene Staatsangehörige • Errichtung von Pfarreien in Orten, die bisher von Franzosen und Italienern seelsorgerisch betreut wurden. Geistliche sollten dort nach Möglichkeit auch in der Landessprache predigen. Gründung von Schulen, Kindergärten und Gewerbeschulen, angeschlossen an die neuen Pfarreien • Ausbau bereits bestehender Schulen unter österreichisch-ungarischem Schutz nach dem Vorbild der österreichisch-ungarischen Schule in Konstantinopel • Übernahme des Protektorates über ein oder mehrere christliche Heiligtümer und Bau eines Klosters oder einer Kirche • Ausschaltung des italienischen Einflusses und Internationalisierung der Kustodie des Heiligen Landes788 785 „Erschwert wird diese [die Verdrängung des französischen Einflusses in den zu übernehmenden katholischen Einrichtungen] noch durch die überaus chauvinistisch-nationalen und direkt fremdenfeindlichen Tendenzen, welche das neue Regime [die Jungtürken] hier zur Blüte gebracht hat. In diesem und nicht in der Feindschaft gegen ihre heutigen Gegner liegt die Erklärung für das Vorgehen gegen die hiesigen französischen katholischen Etablissements. In ihrer Xenophobie benützen sie eben die erste sich bietende Gelegenheit, um wenigstens einen Teil der hier bestehenden fremden (:katholischen:) kulturellen und humanitären Anstalten los zu werden, welche ihnen überhaupt ein Dorn im Auge sind. [...] Unter diesen Umständen ist natürlich weder damit zu rechnen, dass die geschlossenen französischen bezw. italienischen Klöster und Schulen von unserem und dem deutschen Missionspersonal übernommen, noch auch, dass die massgebenden türkischen Faktoren [...] überzeugt werden können. [...] Meiner Ansicht nach, muss man sogar überhaupt vermeiden, mit ihnen über die Sache zu sprechen, da dies sie bloss misstrauisch machen und ihren Widerstand gegen das Unternehmen hervorrufen würde.“ Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 31. Dezember 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. In der Tat ist bisher an keiner Stelle eine Beteiligung oder auch nur die Information der türkischen Behörden über irgendeine Maßnahme im Rahmen der österreichischen katholischen Aktion nachweisbar. 786 Gesichtspunkte für eine intensivere kultuspolitische Betätigung im Nahen Osten, 12. Januar 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 787 Kirche und Schule St. Maria Draperis, Pera; Kloster, Kirche und Schule St. Maria, Smyrna; St.Antonio-Spital, Smyrna; Knaben- und Mädchenschule, Smyrna; Kirche und Schule St. Maria, Burnabad; Kirche und Schule St. Maria, Magnesia; französische Mädchenschule, Magnesia. Ebenda. 788 Lateinisch Custodia terrae sanctae. Bezeichnet die Organisation des Franziskaner-Ordens im Heiligen Land. Umfasst heute Israel, Palästina, Libanon, Syrien, Jordanien, Teile Ägyptens, Zypern und Rhodos. Besonders befaßt mit dem Erwerb und Erhalt christlicher Kultstätten, unter anderem dem Abendmahlssaal und dem katholischen Anteil der Grabeskirche in Jerusalem. Im 19. Jahrhundert italienisch dominiert. Vgl. die Eigendarstellung der Kustodie im Internet unter http://198.62.75.5/www1/ofm/cust/TShistry.html.
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Darüber hinaus sollten zwei rein ungarische Projekte verfolgt werden, nämlich der Bau je eines Hospizes in Jerusalem und Konstantinopel. Ersterem sollte ein archäologisches Institut angegliedert werden, dem Konstantinopler ein Institut für „archivalische Studien“.789 Auffällig ist zudem, daß der Arbeitplan keinerlei Referenz auf eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Missionskomitee enthält. Gefordert wird nur eine enge Kooperation zwischen dem ungarischen und dem deutsch-österreichischen Komitee. Obwohl es keine stichhaltigen Beweise gibt, scheinen sich doch die Diplomaten mit ihrer Skepsis gegenüber einer zu engen Zusammenarbeit mit deutschen Katholiken durchgesetzt zu haben. Im April 1916 kalkulierten Beamte des Außenministeriums – dieses hatte die Planungen zu diesem Zeitpunkt offenbar vollständig von den Missionsvereinen übernommen, die jetzt zu ausschließlich ausführenden Organen wurden – den Personalbedarf für diese Vorhaben.790 Für das ungarische Projekt waren zehn Franziskaner vorgesehen. Für die übrigen Vorhaben, die sich in österreichischer Hand befanden, waren vier bis fünf Franziskaner, sieben bis acht Kapuziner und vier Weltpriester vorgesehen.791 Im Vergleich zu den deutschen – katholischen wie evangelischen – Anstrengungen und dem so groß zelebrierten Auftakt der Missions-Aktion in Wien war dieser schließlich projektierte Aufwand überraschend bescheiden. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, wann die österreichisch-ungarischen Geistlichen schließlich in die Türkei reisten. Jedoch ist es möglich, anhand eines umfangreichen Berichtes des k.u.k. Botschafters in Konstantinopel den ausgesprochen armseligen Zustand der Aktion im März 1917 zu rekonstruieren.792 Im eigentlichen Sinne aktiv war zu diesem Zeitpunkt nur die sogenannte Kapuziner-Mission793. Darüber hinaus hatten die Österreicher mit unterschiedlichem Erfolg ihren Einfluß auf einige katholische Institutionen ausgedehnt. Jeweils ein österreichischer Mönch befand 789 Gesichtspunkte für eine intensivere kultuspolitische Betätigung im Nahen Osten, 12. Januar 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 790 Aktennotiz, 1. April 1916. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 791 Ebenda. 792 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 24. März 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 793 Dieses Projekt war bereits kurz nach der Wiener Konferenz in Angriff genommen worden. Bis zur Entsendung der Mönche verging allerdings mindestens ein halbes Jahr. Zwar hatten der österreichische (Tiroler) Zweig der Kapuziner aus eigenem Antrieb Missionare zur Entsendung in die Türkei angeboten, jedoch wurde die Reise dieser Mönche verzögert, da zuvor der Ordensgeneral der Kapuziner und der Vatikan ihre Zustimmung geben mußten, was nach einiger Zeit auch geschah. Vgl. zum Werden der Mission die Schreiben des Kapuziner-Paters Norbert Hofer an das Ministerium des Äußeren vom 29. November und 1. Dezember 1914 sowie die Berichte des k.u.k. Botschafters am Heiligen Stuhl vom 20. Dezember 1915 und 10. Februar 1916. Alle HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918.
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sich in Haifa, Beirut, Adana, Mersina (heute Mersin), Samsun und Smyrna. Doch diese Geistlichen waren weit davon entfernt, die vorgegebenen Ziele zu erreichen.794 • In Haifa lebte der Pater Linus Mader im Nonnenkloster der Boromäerinnen. Er war weitgehend beschäftigungslos, da es in der Stadt nach wie vor Klöster der Karmeliter und Franziskaner gab. Mader wurde deswegen nach Konstantinopel zurückberufen. Bis Kriegsende war er als Seelsorger im Kapuziner-Kloster St. Stefano tätig. • In Beirut war das Kapuziner-Kloster durch die türkischen Behörden geschlossen worden. Der dorthin entsandte österreichische Pater Remigius Schwarz lebte daher in einer Privatwohnung. Seine Beschäftigung: „Er gibt einige deutsche Stunden, hat aber sonst seelsorgerisch keine Beschäftigung; unsere katholische Kolonie unbedeutend.“795 Zudem werde der Pater mißtrauisch vom einheimischen Klerus behandelt: „Man argwöhnt Versuch einer Ersetzung französischen Einflusses durch unseren.“796 • In Adana war der Österreicher Johannes Bauer zu dieser Zeit der einzige katholische Priester. Seelsorgerisch versorgte er die einheimischen Katholiken, die österreichisch-ungarische Kolonie, die ausländischen Bahnarbeiter und das Militär der Etappe. Allerdings wurde auch seine Tätigkeit ausgesprochen mißtrauisch beobachtet: „Bischof in Beirut duldet ihn nur und hat ihm bis heute keine schriftliche Jurisdiktion ausgestellt.“797 • In Mersin war die Situation ähnlich. Der Kapuziner-Pater Sebastian Markt wurde ebenfalls vom einheimischen Bischof nur geduldet. Ihm war ausschließlich erlaubt worden, die Messe zu lesen. Zudem bescheinigt der Bericht auch noch eine politische Fehlbesetzung des Postens in Mersina. Der Pater habe „eine entschieden ententefreundliche Gesinnung“.798 • In Samsun war der österreichische Pater Michael der einzige Geistliche im dortigen Kapuzinerkloster. Er hielt das Kloster am Leben und versah den Pfarrdienst. • Nach Smyrna wurden zwei österreichische Kapuziner entsandt. Beide lebten im dortigen Kapuziner-Kloster St. Polykarp. Mit den alteingesessenen Mönchen osmanischer und italienischer Staatsangehörigkeit gab es offenbar erhebliche Spannungen. So spricht der Bericht von einer regelrechten Beschwerdeliste des Klostervorstandes gegen einen der beiden Österreicher, einen Pater Agnellus Kamerlander. Die beiden Kapuziner waren ursprünglich entsandt worden, um in der österreichischen Franziskanerschule als Lehrer auszuhelfen. Aber auch das 794 Die folgende Zusammenfassung der österreichischen Aktivitäten, auch über die Kapuziner-Mission hinaus und der Aktivitäten auf dem Feld der Bildung beruht auf: Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 24. März 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918 I, 762, 41, Intensive kultuspolitische Betätigung im Orient 1915–1918. 795 Ebenda. 796 Ebenda. 797 Ebenda. 798 Ebenda.
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zeitigte keinerlei Erfolg. Zum einen wollten die Franziskaner keine Kapuziner in ihrer Schule lehren lassen, zum anderen verwahrte sich auch das Smyrnaer Kloster gegen die Tätigkeit der Österreicher bei den Franziskanern. Hauptursache für die fast vollständige Wirkungslosigkeit der österreichischen Kapuziner scheint demnach das Mißtrauen des einheimischen Klerus gegen sie gewesen zu sein. Die neuen Brüder wurden schlicht kaltgestellt. Darüber hinaus handelte es sich bei einigen von ihnen, etwa einem der Patres in Smyrna, offenbar um Menschen mit einer durchaus schwierigen Persönlichkeitsstruktur, die der ihnen zugedachten Aufgabe nicht gewachsen waren.799 Trotz ihrer dürftigen Leistungen bezogen diese Einzel-Missionare erhebliche finanzielle Unterstützung vom Ministerium des Äußeren. Für alle oben aufgeführten Personen belief sie sich in den Jahren 1916 und 1917 insgesamt auf mindestens 20.000 Kronen im Monat.800 Diese großen finanziellen Belastungen bei einem bescheidenen Ergebnis dürften auch der Grund gewesen sein, warum der österreichische Botschafter in Wien die Abberufung der meisten Patres und erhebliche Kürzungen der Subsidien anregte.801 Allerdings wurden diese Vorschläge der Botschaft im Ministerium abgelehnt.802 Die Österreicher hatten darüber hinaus versucht, einige Schulen unter ihre Kontrolle zu bekommen. Auch hier stießen sie, vor allem in Smyrna, auf Widerstand einiger noch vor Ort befindlicher Geistlicher insbesondere italienischer Staatsangehörigkeit. Die in Smyrna an die St.-Maria-Kirche angegliederte Jungenschule hatte einen italienischen Direktor. Der Bericht des Botschafters lobte die Qualität des Unterrichtes, forderte aber die Ablösung des Direktors und Einstellung zweier österreichischer Lehrer. Eine weitere Knabenschule in der Stadt wurde ebenfalls von zwei Italienern geleitet. Nach Ansicht der österreichischen Botschaft arbeiteten diese „darauf hin, dass die Schule eingeht“.803 Auch hier drang der Bericht auf die Ablösung der beiden italienischen Direktoren. Wie die österreichische Diplomatie Einfluß auf diese katholischen Einrichtungen zu gewinnen versuchte, verraten die Berichte über die Situation der Pfarrschule in Burnabat und der Franziskaner-Mädchenschule in Magnesia (heute Manisa, bei Izmir): Die Botschaft übernahm schlicht die finanzielle Unterstützung dieser Einrichtungen, nachdem die meisten französischen und italienischen Geistlichen die Türkei verlassen mußten. Die Schule in Burnabat erhielt eine Unterstützung von 1200 Kronen im Jahr, die Mädchenschule 9000 Kronen. Diese beiden Schulen schätzte der Bericht auch als die erfolgreichsten katholischen Projekte unter österreichischem 799 Ebenda. 800 Ebenda. 801 Ebenda. 802 Einzig die Halbierung der Unterstützung von 6000 Kronen an Linus Mader wurde genehmigt. Vgl. die handschriftlichen Kommentare auf dem Bericht des Botschafters, ebenda. 803 Ebenda.
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Protektorat ein. Die Franziskaner-Mädchenschule wird gar als „Musterschule“804 bezeichnet. Fünf österreichische Franziskanerinnen arbeiteten dort. Der Schulgottesdienst inklusive der Predigten wurde auf Deutsch gehalten.805 Wie wichtig den Österreichern die Verbreitung der deutschen Sprache war, zeigen die Berichte über die Mädchenschule und die Mechitaristenschule in Karatasch. Die erstere wird ausdrücklich für die Fortschritte im Deutschunterricht gelobt. In der zweiten Schule soll der Anteil des Deutschen als Unterrichtssprache sogar 50 Prozent betragen haben. Dieses Faktum wird als Hauptgrund für eine weitere Unterstützung der vor allem von jüdischen und armenischen Kindern besuchten Schule genannt.806 In Konstantinopel waren zwei Tiroler Franziskaner tätig, die eine Anzahl von Aufgaben zu erfüllen hatten. Zum einen waren sie Lehrer an der österreichisch-ungarischen Schule. Zum anderen betreuten sie die St.-Maria-Draparis-Kirche, deren Gemeinde sie schrittweise zu österreichisieren versuchten.807 Außerdem war in Konstantinopel ein ungarischer Militärgeistlicher tätig, der auch die Pfarrstelle in der Botschaftskirche wahrnahm.808 Aufschlußreich ist der Bericht der Botschaft auch wegen der fehlenden Erwähnung zweier Projekte. Zum einen hatte die in Wien tagende Missionskonferenz ja eine enge Zusammenarbeit mit deutschen Katholiken beschlossen. Davon war im März 1917 keine Rede mehr. Zum anderen fehlt jegliche Erwähnung der ungarischen Projekte.809 Offenbar waren diese vom Tisch und wurden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr weiterverfolgt. Im März 1917 reißt die Berichterstattung über die katholische Aktion plötzlich ab. Aus diesem Grund ist schwer zu sagen, wie dieses Projekt weitergeführt wurde. Es ist anzunehmen, daß im wesentlichen die angefangenen Projekte weitergeführt wurden. Große Anstrengungen personeller und finanzieller Art dürften die Österreicher nicht mehr unternommen haben. Darauf weisen auch die Randglossen auf dem Bericht vom März 1917 hin: Jeder Vorschlag, der auf eine substantielle Ausweitung der Aktion hinauslief, wurde durch das Ministerium negativ kommentiert. Die mit großen Hoffnungen begonnene kultuspolitische Aktion erfüllte letztlich nicht 804 Ebenda. 805 Ebenda. 806 Ebenda. 807 „Es wurde in St. Maria ein Militär- und Schulgottesdienst mit deutscher und ungarischer Predigt eingeführt; ausserdem finden bei sonstigen Anlässen deutsche Gottesdienste bei Beteiligung der katholischen Schulkinder [wohl vor allem Kinder von Staatsangehörigen der Habsburger-Monarchie] mit deutschem Kirchengesange statt. Durch Ausbau dieser Schülermessen und durch Fühlungnahme der Katecheten [Tiroler Franziskaner] mit den Eltern der Kinder, wird es schrittweise gelingen, eine mehr österreichischen Charakter tragende Gemeinde zu bilden.“ Ebenda. 808 Ebenda. Der österreichische Botschafter regte außerdem an, „für die sehr zahlreiche kroatische Kolonie“ einen kroatischen Franziskaner nach St. Maria zu entsenden. Diese Passage ist im Bericht unterstrichen worden. Es ist aber nicht mehr zu klären, ob tatsächlich eine solche Stelle geschaffen wurde. 809 Hospize und wissenschaftliche Institute in Konstantinopel und Jerusalem.
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die Hoffnungen, die ihre Initiatoren in sie gesetzt hatten. Eine Art Nachall erlebte sie jedoch noch einmal in der Reise des Erzherzogs Hubert Salvator in die Türkei. Dieser sollte, in Begleitung Musils, sondieren, welche Möglichkeiten für die Übernahme des Protektorates über die Katholiken im Osmanischen Reich bestünden. Die Ergebnisse scheinen jedoch in Wien nicht dazu angetan gewesen zu sein, weitere Anstrengungen auf diesem Gebiet zu unternehmen.810 Trotz der mehr als bescheidenen Wirkung der österreichischen Bemühungen beobachteten die Deutschen die entsprechenden Aktionen mit großer Aufmerksamkeit und fühlten sich gelegentlich sogar genötigt einzugreifen. Von Kooperation in Sachen katholischer Mission ist auch hier an keiner Stelle mehr die Rede. So berichtete der deutsche Generalkonsul in Jerusalem Ende Dezember 1916 über zwei Vorfälle direkt, ohne Umweg über die Botschaft, nach Berlin:811 Erstens hatte am Allerseelentag 1916 der Feldgeistliche der in der Nähe stationierten k.u.k. Artillerieabteilung im Hof der Grabeskirche eine katholische Messe abgehalten. Anwesend war auch der lateinische Patriarch. Der deutsche Berichterstatter wertet den Vorfall deswegen als brisant, weil an dieser Stelle niemals zuvor ein Gottesdienst abgehalten worden war und bei dem fragilen Gleichgewicht der Besitzansprüchen der verschiedenen christlichen Konfessionen an der Grabeskirche damit ein Präzedenzfall für die Katholiken gegeben sei. Darüber hinaus habe sich der österreichische Feldgeistliche ausdrücklich gerühmt, den griechischen Patriarchen vorher nicht um Erlaubnis gefragt zu haben.812 Ein zweiter „Versuch, den österreichischen Einfluß auf kirchlichem hierselbst zu stärken“813 scheiterte dagegen. Der deutsche Generalkonsul berichtete, daß der österreichische Feldgeistliche gemeinsam mit dem lateinischen Patriarchen den griechischen und armenischen Patriarchen mitgeteilt habe, er beabsichtige die Weihnachtsmesse für die k.u.k. Truppen im Hauptschiff der Kirche zu halten. Der Grieche und der Armenier beschwerten sich darüber bei der türkischen Regierung. Sie behaupteten, im Hauptschiff dürften nach einem Firman (Erlaß des Sultans) keine katholischen Messen gelesen werden. Daraufhin legten die türkischen Behörden unter Berufung auf den Firman Protest bei den Österreichern ein. Der Feldgeistliche mußte deswegen von seinem Vorhaben Abstand nehmen. Der deutsche Berichterstatter wertete den Vorfall als Niederlage für die Österreicher und nannte als Ursache das inkonsequente Vorgehen.814 Diese Inkonsequenz war für ihn ein Beweis, daß die
810 Vgl. zur Salvator-Mission Jung: Wüstenkrieg, S. 125–127. 811 Kaiserlicher Generalkonsul in Jerusalem an Reichskanzler, 27. Dezember 1916. PAA, Türkei 154, Die Beziehungen Österreichs zur Türkei, R 13579. 812 Ebenda. 813 Ebenda. 814 „Man hätte aber zielbewusster vorgehen müssen. [...] Wenn die Österreicher wirklich etwas erreichen hätten wollen, so hätten sie ihn [den griechischen Patriarchen] vor ein fait accompli stellen müssen, indem sie einfach am Heiligen Abend mit ihren Truppen in die Grabeskirche einrücken.“ Ebenda.
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Österreicher „ihre kirchlichen Expansionsgelüste vorläufig noch tastend, ohne festen Plan betreiben.“815 Weniger entspannt nahmen die Deutschen dagegen einen weiteren Vorfall hin, der sich bei der Weihnachtsmesse in Bagdad zutrug. Dort hatte der Priester, ein Karmeliter-Mönch, dem österreichisch-ungarischen Konsul die Ehren erwiesen, die dem Protektor der Katholiken in der Türkei816 vorbehalten waren.817 Der deutsche Botschafter schäumte in seinem Bericht nach Berlin, dies sei geschehen, um den deutschen Vertreter hinter den österreichischen zurückzusetzen. Die k.u.k. Botschaft hatte ihm außerdem eine recht unhöfliche Antwort auf seine Bitte um Aufklärung gegeben: Österreich habe mit den Karmelitern eine Vereinbarung getroffen, wonach die Habsburger-Monarchie als katholische Großmacht für die Dauer des Krieges die Funktion einer Schutzmacht übernehme. Der Botschafter wertete das als Zeichen für österreichische Bestrebungen zur Übernahme des Protektorats über alle Katholiken des Osmanischen Reiches.818 Die Deutschen waren nicht geneigt, das hinzunehmen und intervenierten bei der Leitung des Ordens. Das geschah offenbar durch Vermittlung des Abgeordneten Erzbergers. Dieser nämlich übermittelte dem Auswärtigen Amt die Entscheidung des Ordens:819 Zukünftig würden die Niederlassungen der Karmeliter in Bagdad, Haifa und auf dem Berge Karmel den deutschen Repräsentanten die gleichen Ehren erweisen wie den Österreichern. Erstaunlich indifferent verhielt sich die türkische Regierung zu diesen Versuchen Österreich-Ungarns, unter dem Deckmantel christlicher Mission den eigenen Einfluß zu erweitern. In den österreichischen Akten sind keine Hinweise darauf zu finden, daß etwa die Osmanen versucht hätten, hier zu intervenieren. Obwohl die türkischen Akten in dieser Studie außen vor bleiben, so sei es doch an dieser Stelle erlaubt, über den Grund zu spekulieren. Zum einen mag dieser darin zu suchen sein, daß die österreichisch-ungarischen Aktivitäten einen bestenfalls begrenzten Erfolg erreichten. Den Türken dürfte das nicht verborgen geblieben sein. Zum anderen standen die Aktivitäten der Orden unter dem Schutz internationaler Verträge, die auch während des Krieges galten. Der osmanische Staat mischte sich darüber hinaus traditionell wenig in das innere Getriebe akzeptierter Religionsgemeinschaften ein, solange diese nicht die Staatsräson verletzten.820 815 Ebenda. 816 Bis zum Kriegsausbuch also dem Vertreter Frankreichs. 817 Deutscher Botschafter an Reichskanzler, 1. Februar 1917. PAA, Türkei 154, Die Beziehungen Österreichs zur Türkei, R 13579. 818 Ebenda. 819 Erzberger an Auswärtiges Amt, 27. Februar 1917. PAA, Türkei 154, Die Beziehungen Österreichs zur Türkei, R 13579. 820 Vgl. zum sogenannten Millet-System, der Rechtsordnung unter der die Autonomie der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften bis zum Ende des Osmanischen Reiches geregelt war: Rumpf, Christian: Minderheiten in der Türkei und die Frage nach ihrem rechtlichen Schutz. In: Zeitschrift für Türkeistudien, 2/93, 1994, S. 173–209. Noth, Albrecht: Möglichkeiten und Grenzen
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2.4.3 Schüler und Gelehrte: Wissenschaft und Bildung im Dienste der Propaganda Es war deutsches Handeln, das Österreichs Propaganda-Aktionen auf einem anderen Feld auslöste – den Wissenschaften und der Bildung. Im November 1915 berichtete der österreichische Botschafter über die Durchdringung des türkischen Staatsapparates mit deutschen Beratern.821 Das Heeres- und Marinewesen seien ganz in deutscher Hand, deutsche Professoren seien für die Universität engagiert worden und dem Unterrichtsministerium ein Deutscher als Berater beigegeben worden. Pallavicini empfahl nach Wien, außer in den bereits österreichisch-ungarisch geführten Ingenieur- und Landwirtschaftsschulen auch im Zoll- und Handelsministerium sowie im Sanitätswesen Experten aus der Habsburger-Monarchie unterzubringen damit „Deutschland uns nicht ins Gehege komme“.822 Vom gleichen Tage datiert ein weiterer, viel umfangreicherer Bericht Pallavicinis nach Wien. Dieser befaßte sich ausschließlich mit Fragen der Wissenschaft und der Bildung, den deutschen Aktionen auf diesen Gebieten und den möglichen Reaktionen Österreich-Ungarns darauf.823 Der Bericht entstand als Antwort auf ein Memorandum des Sekretärs der Handelskammer Wien, Erich Pistor, zu diesen Fragen.824 Dieser wiederum agierte auf Veranlassung mehrerer Dachorganisationen der österreichischen Wirtschaft.825 Bei seiner Darstellung der deutschen Aktivitäten stützte sich Pistor auf ein Gespräch mit dem Deutschen Ernst Jäckh.826 Pistors besondere Aufmerksamkeit galt der oben erwähnten Entsendung von rund einem Dutzend827 deutscher Professoren an die „türkische
islamischer Toleranz. In: Saeculum, 29/1978, 2, S. 190–204. Ursinus, Michael: Zur Diskussion um „millet“ im Osmanischen Reich. In: Südost-Forschungen, 48/1989, S. 195–207. 821 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung ÖsterrichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916 – 1918, 467. 822 Ebenda. 823 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung ÖsterrichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 824 Die Expansionstätigkeit reichsdeutscher und österreichischer Wissenschaft in der Türkei, ohne Datum, Beilage zu: Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 825 Wiener Handels- und Gewerbekammer, Österreichischer Gewerbeverein, Exportakademie, Wiener Institut für Kulturforschung. Ebenda. 826 Ernst Jäckh, Gründer der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Zu seiner Tätigkeit siehe unten, S. 200–203. 827 Es handelte sich um insgesamt 14 deutsche Wissenschaftler. Sie erhielten einen Fünfjahresvertrag mit dem türkischen Unterrichtsministerium. Siehe zur Professoren-Mission: Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. Kreiser, Klaus: Die Anfänge der deutsch-türkischen Hochschulbeziehungen. In: Das kaiserliche Palais in Istanbul und die deutschtürkischen Beziehungen. Istanbul, 1989, S. 43–48. Kreiser, Klaus: Deutsche Professoren am Istanbuler Dārülfünūn. In: Ausgewählte Vorträge. Deutscher Orientalistentag 1985. Stuttgart, 1989,
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Hochschule in Konstantinopel“,828 die er als Mittel zur Stärkung des deutschen Einflusses in der Türkei interpretierte829. Die Vorschläge, die der Autor daraus ableitete, waren allerdings wenig originell: Die Botschaft in Konstantinopel sollte bei der deutschen Vertretung und dem türkischen Unterrichtsministerium vorfühlen, welche Möglichkeiten es für österreichisch-ungarische Wissenschaftler gebe, an Hochschulen in der Türkei zu lehren.830 Pistor empfahl dabei, jeden Schritt der Österreicher mit Deutschland zu koordinieren und „Rücksichtnahme gegen Deutschland“831 zu üben. Pistor glaubte sogar an mögliche Dankbarkeit von deutscher Seite ob des österreichischen Hilfsangebotes: ,,Es wäre übrigens möglich, dass das eine oder andere Fach des aufgestellten Programmes von Deutschland nicht besetzt werden kann und dass vielleicht [...] ein Ersatz durch Österreich doppelt willkommen wäre.“832 Der österreichische Botschafter würdigte das Pistor-Memorandum mit einer umfangreichen Antwort,833 die allerdings ausschließlich aus Widersprüchen zur Analyse des Ökonomen und seinen Handlungsvorschlägen bestand. Jedoch legte diese Antwort auch die Grundlinien der späteren österreichischen Strategie auf diesem Feld der Propaganda fest, denn nach ihren Vorschlägen und Schlußfolgerungen wurde schließlich verfahren. Pallavicini sah im Gegensatz zu Pistor die Entsendung der deutschen Professoren als eine aus der Not geborene Aktion an. Den Deutschen sei es nämlich nicht gelungen, ihren ursprünglichen Plan – den Ausbau deutscher Schulen – bei den Türken durchzusetzen.834 Die Idee, deutsche Professoren in der Türkei lehren zu lassen, sei im türkischen Unterrichtsministerium entstanden. In der deutschen Botschaft sei man sogar dagegen gewesen, „weil die Verwirklichung derselben dem deutschen Einflusse in der Türkei weniger förderlich ist, als die Ausgestaltung der bestehenden und die Errichtung von neuen Schulen mit deutscher UnterrichtsS. 211–218 und Gencer, Mustafa: Bildungspolitik, Modernisierung und kulturelle Interaktion. Deutsch-türkische Beziehungen (1908–1918). Münster, 2007, S. 109–118. 828 Die Expansionstätigkeit reichsdeutscher und österreichischer Wissenschaft in der Türkei, ohne Datum, Beilage zu: Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 829 „Es steht nun ausser Zweifel, dass Deutschland ganz analog wie aus seinen zielbewussten militärischen Aufwendungen auch aus diesen wissenschaftlichen Massnahmen ausserordentliche Vorteile für den ihm vorschwebenden Zweck ziehen wird: Sich an Stelle der Ententemächte zum besonderen hilfsbereiten Freund, verlässlichen Berater – und natürlich auch zum wichtigsten Klienten der Türkei zu machen.“ Ebenda. 830 Ebenda. 831 Ebenda. 832 Ebenda. 833 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 2. November 1915. PA, LIII, Beteiligung ÖsterreichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 834 „Die national-chauvinistischen Jungtürken wollen aber die Türkei nicht vom französischen Einflusse befreien, um sich ganz in die Arme Deutschlands zu werfen, sie wollen letztere Macht nur dazu benützen, ihr nationales Ideal zu verwirklichen, das darin besteht alles Fremde hier auszumerzen und aus der Türkei einen in jeder Hinsicht national-mohamedanischen Staat zu machen.“ Ebenda.
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sprache es gewesen wäre“.835 Darüber hinaus zweifelte Pallavicini auch praktische Aspekte der Professoren-Mission an. Es sei zwecklos „in einem Lande, wo das Volksschulwesen noch ganz unentwickelt ist und die Mittelschulen zu ihrer Ausgestaltung noch jahrelanger Arbeit bedürfen, die Reorganisation der Hochschulen in die Hand zu nehmen“.836 Aus diesen Kritikpunkten leitete Pallavicini die eigenen Handlungsmaximen ab. Diese bestanden für ihn aus zwei Punkten, nämlich zum einen dem qualitativen Ausbau der österreichisch-ungarischen Schule in Konstantinopel zu einer „Handelsakademie etwa durch Ausgestaltung der bestehenden Handelskurse“,837 und zum anderen aus der Ausbildung möglichst vieler junger Türken in ÖsterreichUngarn.838 Insbesondere auf den zweiten Punkt verwandte Österreich-Ungarn in den folgenden Jahren große Energien. Zu Beginn übernahm jedoch der ungarische Reichsteil die Initiative. Im Januar 1916 empfing der k.u.k. Botschafter in Konstantinopel eine ungarische Mission, die ausschließlich bildungspolitische Ziele verfolgte. Geführt wurde sie von Graf Nikolaus Bánffy und war vom ungarischen Ministerpräsidenten Graf Tisza veranlaßt worden.839 Eine zweite Mission, laut Pallavicini unabhängig von der ersten, traf zeitgleich in Konstantinopel ein. Sie wurde geführt von einem Sektionsrat des ungarischen Handelsministeriums und war vom Chef dieses Ministeriums initiiert worden.840 Die beiden Missionen arbeiteten offenbar gut zusammen, und so meldete Pallavicini ein „erfreuliches Resultat“841 nach Wien. Die Ungarn schlossen mit dem türkischen Unterrichtsministerium eine Vereinbarung über die Ausbildung türkischer Schulkinder in ihrem Land ab. Ungarische Sprachkurse in der Türkei sollten die Schüler auf diese Entsendungen vorbereiten. Darüber hinaus sollten Lehrer aus Ungarn an den „landwirtschaftlichen, Gewerbe- und Handelsschulen“842 tätig werden. Es fällt auf, daß die Habsburger-Monarchie bei ihren Bemühungen vor allem auf Schulen und Gewerbeschulen setzte, die höhere universitäre Bildung ganz im Sinne des Pallavicini-Memorandums von 1915 jedoch völlig außen vor ließ. Es ist schwierig, über den weiteren Verlauf der ungarischen Aktion genauere Aussagen zu treffen. Auf jeden Fall aber sind junge Türken zur Ausbildung an ungarische Schulen entsandt worden. Gesichert ist das zumindest für die Jahre 1916 und 1917, wenn auch konkrete Zahlen nicht mehr festzustellen sind.843 835 Ebenda. 836 Ebenda. 837 Ebenda. 838 Ebenda. 839 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 11. Februar 1916. PA, LIII, Beteiligung ÖsterreichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 840 Ebenda. 841 Ebenda. 842 Ebenda. 843 Vgl. Ungarisch-Orientalische Kultur Zentrale an Ministerium des Äußeren, 31. März 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916– 1918, 467.
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Im Jahr 1917 intensivierte auch die deutsche Reichshälfte der Monarchie das Projekt des Schüleraustausches. Getragen wurde das Vorhaben von der „Orient- und Überseegesellschaft“, einer Gründung des Handelsministeriums. Für 1917 war die Aufnahme von 50 bis 60 türkischen Schülern an österreichischen Schulen geplant.844 Sie sollten Schulen besuchen, die von der katholischen Kirche betrieben wurden.845 Die k.u.k. Konsulate in der Türkei sollten die in Frage kommenden Schüler auswählen. Dazu erstellte die „Orient- und Überseegesellschaft“ Normen, in denen die Bedingungen und Voraussetzungen für die Ausbildung in der Monarchie niedergelegt waren.846 Die Konsulate hatten offenbar wenig Schwierigkeiten bei der Auswahl der Kandidaten. Das Konsulat in Damaskus berichtete etwa, die Eltern hätten regelrecht Schlange gestanden, um ihre Söhne vorzustellen.847 Es habe sich sowohl um muslimische als auch um christliche Familien gehandelt. Auch die türkischen Behörden machten kaum Probleme.848 Eine erste Gruppe von 16 türkischen Jungen traf am 10. November 1917 in der Monarchie ein. Es handelte sich ausschließlich um christliche Schüler der Jahrgänge 1905, 1906 und 1908 aus Syrien und dem Libanon. Neun wurden in Waidhofen an der Ibbs und sieben in Waidhofen an der Thaya untergebracht.849 Ende November 1917 folgte ein weiterer Transport. Diesmal handelte es sich um 15 muslimische und zwei christliche Jungen. Sie stammten diesmal aus verschiedenen Gebieten des Osmanischen Reiches.850 844 Orient- und Überseegesellschaft an Ministerium des Äußeren, 10. Oktober 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 845 Jeweils zehn bis 15 Schüler am Fürst-Erzbischöfliches Knabenkonvikt Wien, Landeskonvikte Waidhofen an der Ybbs, Waidhofen an der Thaya, Horn und Stockerau. Ebenda. 846 Es sollten nur Jungen zwischen zwölf und 15 Jahren aufgenommen werden, die aus besten Familien kamen und in Übereinstimmung mit den türkischen Lokalbehörden ausgesucht worden waren. Voll zahlende Schüler sollten monatlich 200 Kronen aufbringen und für alle weitere Kosten aufkommen. Halbstipendiaten sollten von der k.u.k. Regierung 100 Kronen Zuschuß für die Gebühren und 15 Kronen Zuschuß zum Lebensunterhalt erhalten. Vollstipendiaten sollten die Gebühren erlassen bekommen und zusätzlich 30 Kronen monatlich erhalten. Vgl. Normen der Schüleraktion, undatiert, Anlage zu Orient- und Überseegesellschaft an Ministerium des Äußeren, 10. Oktober 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 847 K.u.k. Konsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 18. Oktober 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 848 „Wohl verlangte die Lokalregierung anfänglich eine schriftliche Erklärung des Konsulats, dass die k.u.k. Regierung die Versorgung der nach der Monarchie abgehenden Knaben während ihres dortigen Aufenthaltes übernehme, begnügte sich aber später mit einer im ähnlichen Sinne gehaltenen mündlichen Erklärung. Andererseits äußerte die Wilajatsregierung ihre Zufriedenheit und Dankbarkeit über das humanitäre Werk [...]“ Ebenda. 849 Landesausschuß des Erzherzogtums Österreich an Ministerium des Äußeren, 15. Dezember 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 850 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 4. Dezember 1917. PA, LIII, Beteiligung ÖsterreichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467.
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Danach scheinen die Konsuln die Aktion als erledigt betrachtet zu haben. Darauf läßt zumindest ein Brandschreiben der „Orient- und Überseegesellschaft“ an das Ministerium des Äußeren schließen. Darin wurde die Passivität und Tatenlosigkeit fast aller k.u.k. Konsuln in dieser Angelegenheit beklagt. Die vorgesehenen 50 bis 60 jungen Türken waren nämlich bei weitem noch nicht zusammengekommen.851 Im Februar schrieb Pallavicini in einem Bericht nach Wien von insgesamt 69 jungen Türken, die in Ungarn und im deutschsprachigen Teil der Monarchie ausgebildet würden.852 Im Februar 1918 ist schließlich noch eine letzte Gruppe von 20 Schülern nach Österreich abgegangen.853 Die Lebensbedingungen dieser Schüler in der Habsburger-Monarchie und ihre weiteren Lebenswege können hier nicht ausführlich untersucht und nachgezeichnet werden. Das Ziel der Österreicher jedoch, auf diesem Wege „in einigen Jahren eine ganze Reihe von einflußreichen Freunden in der Türkei [zu] zählen, was unserem wirtschaftlichen und politischen Einfluß nur von Nutzen sein kann“,854 ist wohl nicht erreicht worden. Zum einen machten die Ergebnisse des Krieges in Europa und dem Orient Überlegungen dieser Art obsolet. Zum anderen wurde noch während des Krieges auch in der Türkei selbst die Aktion mit zunehmendem Mißtrauen beobachtet. So veröffentlichte die Zeitung „Sabah“ am 8. Juli 1918 einen scharfen Angriff auf die Österreicher, in dem ihnen unter anderem vorgeworfen wurde, die türkischen Kinder unter unwürdigen Umständen unterzubringen.855 Kurz: Die Aktion schadete letztlich bis zu einem gewissen Grade sogar dem Ansehen der Donau-Monarchie. Ist die Wirksamkeit der bildungspolitischen Propaganda auch ausgesprochen schwer einzuschätzen, so wirft die Entsendung türkischer Schüler nach ÖsterreichUngarn doch erneut ein Licht auf die deutsch-österreichische Konkurrenz im Osmanischen Reich. Es ist eine Tatsache, daß die aufwendigen, teuren und breit angelegten Entsendungen von Türken zur Ausbildung nach Deutschland856 eine Reaktion auf die entsprechenden österreichischen Pläne sind. Die Habsburger-Monarchie war in der Umsetzung ihrer Pläne an dieser Stelle nämlich erheblich schneller als 851 Orient- und Überseegesellschaft an Ministerium des Äußeren, 24. Januar 1918. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 852 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 1. Februar 1918. PA, LIII, Beteiligung ÖsterreichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 853 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 14. Februar 1918. PA, LIII, Beteiligung ÖsterreichUngarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 854 Landesausschuß des Erzherzogtums Österreich an Ministerium des Äußren, 15. Dezember 1917. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916 – 1918, 467. 855 „Jetzt heisst es, dass die Knaben hier seit Tagen hungern, ein elendes Dasein fristen und einer von ihnen infolge Hungers in Ohnmacht gefallen sei.“ Sabah, 8. Juli 1918. Übersetzung als Beilage zu Botschaft Konstantinopel an Ministerium des Äußeren, 10. August 1918. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 856 Kloosterhuis, Jürgen: Friedliche Imperialisten. Deutsche Auslandsvereine und auswärtige Kulturpolitik, 1906–1918. Frankfurt/Main, 1994, S. 619–623.
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Deutschland. Am 12. Mai 1916 meldete die Deutsche Botschaft in Konstantinopel, daß 50 türkische Schüler zur Ausbildung an Gewerbeschulen nach Ungarn gereist seien.857 In dem Schreiben empfahl der Botschafter, genau diesen Plan ebenfalls zu verfolgen. Dieses sei ein Betätigungsfeld für die Deutsch-Türkische Vereinigung.858 Schon im April 1916 hatte der Botschafter eine ähnliche Beobachtung nach Berlin gemeldet.859 Berlin wurde ob dieser Berichte aber erst jetzt aktiv. Zwar hatte es schon im Dezember 1915 lockere Kontakte zwischen Enver Pascha, der Deutsch-Türkischen Vereinigung und dem Auswärtigen Amt in der Sache gegeben,860 energische Aktivitäten entfalteten die Deutschen aber erst nach den Meldungen über die ungarischen Ausbildungspläne. Die Österreicher bekamen das bald zu spüren. Ihr Botschafter meldete am 20. Mai 1916 nach Wien, daß 36 deutsche Stadtverwaltungen Freistellen für Mittelschüler und Schüler an Gewerbe- und Ackerschulen geschaffen hätten. Die Auswahl der Schüler treffe die Deutsch-Türkische Vereinigung, die ganze Aktion sei eine direkte Antwort auf die ungarische Initiative.861 Der Botschafter ging sogar noch einen Schritt weiter: Für ihn erschienen die deutschen Ausbildungspläne als ein direkter, unfreundlicher Angriff auf österreichisch-ungarische Interessen im Osmanischen Reich.862 Einmal in Gang gesetzt, rollte die deutsche Aktion spätestens seit Juni 1916 unaufhaltsam. Am 3. Juni 1916 informierte Unterstaatssekretär Zimmermann die Landwirtschafts- und Industrieminister des Reiches und der Bundesstaaten über die österreichisch-ungarische Aktion in der Türkei863 und bat um analoge Freistel857 Botschaft an Auswärtiges Amt, 12. Mai 1916. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 858 Ebenda. 859 „Um landwirtschaftliche Methoden und besonders landwirtschaftliche Maschinen im türkischen Volke in weitem Umfang bekannt zu machen, hat kürzlich der ungarische Staat 100 junge Türken der wohlhabenderen Ackerbau treibenden Bevölkerung auf seine Kosten nach Ungarn kommen lassen, wo sie völlig unentgeltlich in Ackerbauschulen und in größeren landwirtschaftlichen Betrieben untergebracht werden. Auf diese Weise soll ein erhöhter Absatz der ungarischen landwirtschaftlichen Maschinen in der Türkei vorbereitet werden.“ Botschafter Konstantinopel an Reichskanzler, 23. April 1916. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 860 „Von seiner Exzellenz dem Türkischen Kriegsminister Enver Pascha ging der Deutsch-Türkischen Vereinigung im Herbst 1915 durch das Auswärtige Amt die Anregung zu, türkische Knaben im Alter von 12 bis 14 Jahren in größerer Zahl [...] als Lehrlinge in deutschen Handwerks-, Bergwerks- und Landwirtschaftsbetrieben auszubilden.“ Bericht über die Ausbildung türkischer Lehrlinge in Deutschland, erstattet von der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Undatiert. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 861 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 20. Mai 1916. PA, LIII, Beteiligung Österreich-Ungarns und Deutschlands an der Reorganisation der Türkei 1916–1918, 467. 862 „Wie dem auch sei, ist dieses Vorkommnis ein deutlicher Beweis dafür, wie sehr man deutscherseits bemüht ist, unsere Bestrebungen, uns der Türkei zu nähern zu hintertreiben.“ Ebenda. 863 Rundbrief Zimmermann an die Ministerien, 3. Juni 1916. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105.
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len für Türken in Deutschland. Ende April 1917 traf die erste Gruppe von rund 180 jungen Türken in Deutschland ein.864 Am 13. Juni folgte eine zweite von 200 Lehrlingen,865 am 22. Juni weitere 22 Landwirtschaftslehrlinge,866 und weitere 150 Landwirtschaftslehrlinge noch im Sommer 1918.867
2.4.4 Prestige und Pracht: Ein Monarchenbesuch als Propagandawerkzeug Besuche von Monarchen waren im 19. Jahrhundert Gelegenheiten, das Prestige, das Ansehen und den Glanz des eigenen Landes in einem Gastland aufzuwerten.868 Daher nutzte auch Österreich-Ungarn solche Besuche durch Angehörige des Kaiserhauses als erstklassige Propagandamittel. Vor allem ging es den Österreichern darum, im Vergleich zu Deutschland869 ein positiveres, sympathischeres Bild abzugeben. Im Februar 1917 besuchte der österreichische Erzherzog Max die Türkei. Der Bericht des Geschäftsträgers870 Trautmannsdorf darüber klammerte politische Details fast völlig aus. Vielmehr ging es ihm um den Einfluß atmosphärischer Stimmungen auf die Beziehungen der beiden Länder. Er warnte allerdings davor, diese zu überschätzen, denn die Türken betrieben eine ergebnisorientierte Realpolitik, bei der sie sich ausschließlich vom Nutzen für sich selbst leiten ließen. Trotzdem sah er den guten Eindruck, den der Erzherzog offenbar in Konstantinopel gemacht hatte, als 864 Bericht über die Ausbildung türkischer Lehrlinge in Deutschland, erstattet von der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Undatiert. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 865 Deutsch-Türkische Vereinigung an Auswärtiges Amt, 13. Juni 1916. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 866 Deutsch-Türkische Vereinigung an Auswärtiges Amt, 22. Juni 1916. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 867 Deutsch-Türkische Vereinigung an Auswärtiges Amt, 14. August 1918. BA, Ausbildung von Türken in Landwirtschaft und Gewerbe, R 901/81105. 868 Vgl. dazu ausführlich Paulmann, Johannes: Pomp und Politik. Monarchenbesuche in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn, 2000. 869 Zum Besuch Kaiser Wilhelms während des Krieges in Konstantinopel vgl. als Erinnerung eines Augenzeugen die Autobiografie des damaligen deutschen Botschaftes Bernstorff. Insesondere ist seine Beschreibung der türkischen Vorbereitungen für ein solches Ereignis aufschlußreich: „So hatte man tausende von mehr oder minder verdächtigen Personen kurzerhand auf die Inseln abtransportiert, während andererseits dafür gesorgt wurde, daß sich auffallend viele Frauen auf den Straßen befanden, damit der kulturelle Fortschritt unter dem jungtürkischen Regime ad oculos demonstriert würde. Nirgends versteht man es so gut wie in der Türkei, die Gunst eines flüchtigen Gastes durch Errichtung Potemkinscher Dörfer zu gewinnen.“ Bernstorff, Graf Johann Heinrich: Erinnerungen und Briefe. Zürich, 1936, S. 132. Der letzte Satz galt sicher auch für den Besuch des österreichischen Monarchen. 870 Trautmannsdorf an Ministerium des Äußeren, 27. Februar 1917. PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 211, Berichte.
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großen Vorteil im Umgang mit den Türken, insbesondere im Vergleich zu Deutschland.871 Die Visite des Deutschen Kaisers im Oktober 1917 wurde durch den Botschafter ebenfalls in dieser Hinsicht ausgewertet. Pallavicini konstatierte dabei auf seiten des Volkes „keinen besonderen Enthusiasmus“.872 Den Besuch Wilhelms II. in Konstantinopel beobachtete noch ein anderer Österreicher mit allergrößter Aufmerksamkeit: der Presse- und Propagandaoffizier Karl Schrecker. Für ihn war diese Visite ein ideales Studienobjekt, bestand doch seine Aufgabe darin, den Besuch des Österreichischen Kaisers im Jahr darauf propagandistisch zu verwerten. Am 28. Oktober 1917 unterzog Schrecker Wilhelms Reise in einem Bericht einer ausgedehnten Kritik.873 An den offiziellen Teilen, so der Begegnung des Sultans mit dem Deutschen Kaiser, hatte Schrecker nichts auszusetzen. Dagegen fanden die Reaktion in der Bevölkerung und die Beteiligung der Menschen keinen Beifall. Die Ankunftszeit und die Route des Kaisers sei geheimgehalten worden, die türkische und die deutsche Regierung hätten sogar alles unterlassen, was ,,eine warme Stimmung“874 hätte hervorzurufen können. Das bezog Schrecker vor allem auf die im Vorfeld getroffenen Maßnahmen. So sei etwa in den Zeitungen durch die Deutschen keinerlei Versuch unternommen worden, schon vorab eine positive Stimmung zu erzeugen. Außerdem sei die „bürgerliche und so genannte gute Gesellschaft“875 der Hauptstadt vom Programm ausgeschlossen gewesen. Schrecker kritisierte weiter, es habe der Visite an Pracht gemangelt: „Grau in grau, streng militärisch, erschien alles in Felduniform, ,dem Ernst der Zeit angemessen‘. Die Deutschen begreifen nicht, dass ihre Konzeption vom Ernst der Zeiten einem orientalischen Volke [...] fremd ist. Auch der Türke spürt die bittere Last der Kriegszeit, dass es jedoch deswegen verwerflich sei, sich an Farbe, gewisser Prachtentfaltung, Musik etc. zu erfreuen, ist ihm vollkommen unverständlich und darin steht er unserem österreichischen Gefühle gewiss näher.“876 Sein Fazit: ,,So ist der Besuch des Deutschen Kaisers vorübergegangen, ohne irgend einen erhebenden, günstigen und dauernden Eindruck hervorzurufen, hat vielmehr an manchen Stellen eine kleine Verstimmungen zurückgelassen.“877
871 „[...] ich bin im Gegenteil überzeugt, dass dieser sehr dazu beitragen wird, dass die hier in so mancher Beziehung oft angestellten Vergleiche zwischen Deutschland und der Monarchie infolge der durch den Besuch neu hinzugetretenen Momente noch mehr als früher zu unseren Gunsten ausfallen werden.“ Ebenda. 872 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 20. Oktober 1917. PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 211, Berichte. 873 Schrecker an Pomiankowski, 28. Oktober 1917. KA, Archiv des Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 874 Ebenda. 875 Ebenda. 876 Ebenda. 877 Ebenda.
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Anfang November legte Schrecker dem Militärbevollmächtigten dann ein Konzept vor, wie die Reise des eigenen Monarchen besser inszeniert werden könnte.878 Schreckers Vorschläge wirken auch heute noch überaus modern, formulierte er doch kurze, knappe Handlungsanweisungen, wie bestimmte Zielgruppen anzusprechen wären. So war es Schreckers Ziel, eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, den eigenen Kaiser als zugänglicher und leutseliger erscheinen zu lassen als Wilhelm II. Dazu sollte ,,übermäßige Geheimniskrämerei“879 vermieden werden. Die Anmutung von Zugänglichkeit und Offenheit wollte Schrecker durch mehrere Empfänge für Deutsche, Österreicher und auch angesehene Türken schaffen. Darüber hinaus sollten besonders türkische Frauen durch den Aufbau von speziellen Tribünen und Besuche der Kaiserin beim Roten Halbmond und in einer Mädchenschule einbezogen werden. Außerdem empfahl Schrecker mehr Prunk als er ihn bei den Deutschen erlebt hatte: „[...] während des Aufenthaltes SEINER MAJESTÄT sollte ParadeUniform vorgeschrieben werden. Den Officieren der hiesigen Garnison wäre das rechtzeitig mitzuteilen, damit es ihnen, insoferne sie solche besitzen, möglich ist, diese heranzuziehen.“880 Zur Vorbereitung des Besuches wollte Schrecker die Presse benutzen und dort eine Reihe von Artikeln über den Kaiser lancieren.881 Auch von der Verlaufsberichterstattung versprach sich Schrecker viel. Das galt besonders für Berichte über die die unmittelbare Begegnung Karls I. mit dem Sultan.882 Der Besuch des österreichisch-ungarischen Kaiserpaares fand vom 18. bis 21. Mai 1918 statt. Die anschließenden positiven Meldungen Schreckers und des Botschafters sind gewiß mit Vorsicht zu bewerten. Schließlich lag beiden daran, den Besuch als gelungene Aktion zu verkaufen. Trotzdem lassen die Berichte durchaus auf einen gewissen Erfolg der im Gegensatz zum deutschen Vorgehen stehenden Vorbreitung und Durchführung des Besuches schließen. Schrecker war es gelungen, vor und während der Kaiservisite eine ganze Reihe von Artikeln in der Presse zu lancieren. Seinem Bericht an das Kriegspressequartier883 legte er diese bei, um seinen Erfolg zu belegen. Die Artikel waren seiner Aussage nach in erheblich wärmerem Ton gehalten als die Berichte über den Besuch des deutschen Kaisers.884 Als Beleg für das richtige Vorgehen Österreichs (und den Neid der Deutschen) führte Schrecker die zurück878 Schrecker an Pomiankowski, 7. November 1917. Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 63. 879 Ebenda. 880 Ebenda, Hervorhebung im Original. 881 Vgl. zur publizistischen Begleitung des Besuches oben S. 139–141. 882 Der Sultan empfing Karl I. bereits am Bahnhof. Vgl. Pomiankowski: Untergang, S. 348–352. Vgl. für Fotografien, ebenda Tafeln 42–46. 883 Schrecker an Kriegspressequartier, 25. Mai 1918. Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 884 „Die Haltung der türkischen Presse war über alle Erwartungen, ... [es] ließ sich diese Haltung in keiner Weise mit den schablonenhaften Monarchenbegegnungen vergleichen, und war unvergleichlich wärmer als der eben ziemlich schablonenhafte Empfang SEINER MAJESTÄT des DEUTSCHEN KAISERS im Herbst 1917.“ Ebenda, Hervorhebungen im Original.
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haltende Berichterstattung des „Osmanischen Llyod“ an. Auch der k.u.k. Botschafter erwähnte in seinem Bericht diese Tatsache. Auch er machte, nach den üblichen Lobeshymnen auf das Kaiserpaar, den Erfolg des Besuches vor allem an der zurückhaltenden, in seinen Augen neidischen Reaktion der Deutschen fest.885 Hingegen wirkte die österreich-ungarische Prunkentfaltung in einem schwer vom Krieg gezeichneten Land auf prominente Deutsche sehr befremdlich. So machte sich etwa Hans von Seeckt regelrecht lustig über den Besuch des österreichischen Monarchen – und kritisierte gerade die modernen Momente der Visite, auf die Schrecker so viel Wert gelegt hatte, wie die Teilnahme der Kaiserin und die Öffnung des Protokolls für weite Teile der Bevölkerung und der österreichischen Kolonie: „Ordenübersät und brillantfunkelnd, im roten Prunkrock der ungarischen Generale, die weiße Attila pelzverbrämt, der Kolpak von wehendem Reiherstutz überragt, forciert lebhaft, die Augen um sich werfend, im zierlichen Tanzschritt – und doch kein Herrscher; daneben schwerfällig, fast unbeweglich auf seinen kurzen Beinen im schlichten Feldrock, dem nur das Band des Stephansordens die festliche Note gibt, der alte Sultan – voll ruhiger Würde. Das Volk hat doch die feinste Nase; es lehnt den bunten König ab, der gedacht hatte, es mit seinem Glanz zu blenden. ,Warum kommt er nicht wie ein Soldat, wenn er uns helfen will, wie der deutsche Kaiser und unser alter Herr?’, fragten sie, und daß er seinen Harem mitbrachte und im offenen Wagen hinter sich her führte, gefiel auch vielen nicht. Zu Staatsaktionen gehört nun einmal die Frau in der Türkei noch nicht. [...] Ein schlechtes Arrangement war es, auf dem Bahnhof so viele Mitglieder der österreichischen Kolonie [...] aufzustellen, und ein Mangel an Takt, sie alle zu begrüßen, bis der alte Sultan das Stehen nicht mehr aushalten konnte und bitten mußte, endlich abzufahren.“886
Die tatsächliche Wirkung der Monarchenbesuche ist äußerst schwer zu bewerten. Das gleiche trifft für die Frage zu, wem denn nun letztlich die bessere Inszenierung gelungen sei – den Deutschen oder den Österreichern. Bemerkenswert ist jedenfalls die Tatsache, daß die Österreicher ihren Erfolg einmal mehr danach bewerteten, wie der Vergleich mit Deutschland ausfiel. Sie schätzten sich selbst als klaren Sieger dieses Wettbewerbs ein. Sicher spielt bei dieser Beurteilung ein gewisser Erfolgsdruck der k.u.k. Stellen in Konstantinopel eine Rolle. Trotzdem scheint es so, als ob die Öffentlichkeitswirksamkeit des Besuches des Kaisers Karl dennoch größer gewesen sei. Auch die Erinnerungen des wenig sentimentalen Militärbevollmächtigten Joseph
885 „In deutschen Kreisen haben die unserem erhabenen Herscherpaare hier dargebrachten Huldigungen und Ovationen – an letzteren beteiligten sich auch viele Damen – wie ich höre, Neid erweckt, da die Kundgebungen gelegentlich der Anwesenheit Seiner Majestät Kaiser Wilhelms in Konstantinopel mit denselben keinen Vergleich auszuhalten vermögen.“ Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 25. Mai 1918. PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 211, Berichte. 886 Tagebucheintrag Seeckt. Zitiert nach: Rabenau: Seeckt, S. 77f.
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Pomiankowski legen das nahe.887 Der Besuch Karls wurde erheblich öffentlicher zelebriert als die Anwesenheit Wilhelms II. Es dürften daher erheblich mehr Menschen Berührung mit dem Kaiserpaar gehabt haben. Persönliches Erleben aber ist zu allen Zeiten die Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Sympathien gewesen. Die Niederlage in Europa jedoch machte all die Erfolge Österreich-Ungarns im Orient obsolet, und so war es auch ein ausgesprochen bitterer Bericht, den der österreichisch-ungarische Presse- und Propagandaoffizier in Konstantinopel, Karl Schrecker, am 23. Oktober 1918 nach Wien schrieb.888 Niederlage und Zusammenbruch waren zur Gewißheit geworden. Schreckers eigene Zukunft war unsicher, sämtliche Verbindungen in die Heimat waren unterbrochen. Schrecker versuchte in dieser Situation eine Analyse seiner Tätigkeit, die vom letzten Scheitern, also der Niederlage im Krieg, abstrahierte. Er versuchte vor allem, die Ergebnisse seiner Arbeit herauszustellen. Und Schreckers Bilanz fiel durchaus positiv aus. Dabei ist seine Bewertung mehr als nur die Rechtfertigung des eigenen Tuns, das angesichts der Niederlage nicht vergeblich gewesen sein sollte. Als wichtigsten Erfolg sah der Propagandaspezialist das größere Ansehen Österreich-Ungarns in der Türkei im Vergleich zu Deutschland. Die Habsburger-Monarchie werde dort als gleichwertig betrachtet, „und man hat es dahin gebracht, daß diesem österreichisch-ungarischen Machtfaktor dem zweiten Verbündeten Deutschland gegenüber ein unbestreitbarer Vorzug gegeben wird“.889 Die militärische Kraft der Donau-Monarchie werde in der Türkei sogar weit überschätzt. Das Ansehen Österreich-Ungarns sei im Verhältnis zu den Hilfen, die es der Türkei gewährt habe, weit überproportional. Schreckers Erklärung: „Dieses Missverhältnis ist das Ergebnis dessen, was man ,Propaganda‘ nennt.“890 Es habe eine bewußte, planmäßige Propaganda Österreich-Ungarns gegeben. Diese sei erfolgreich gewesen. Schreckers Maßstab war auch bei dieser Einschätzung die Aktivität der Deutschen: „[...], was von niemandem mehr anerkannt wurde als von den Deutschen, die nicht ohne Neid unzählige Male feststellen mussten, dass ihr mit großen Mitteln ins Werk gesetzter Propagandaapparat auch nicht annähernd die Wirkung hatte, wie in ihrem Ausmass und ihren Mitteln geringfügige österr.-ung. Tätigkeit.“891 Diese Selbsteinschätzung trifft zum größten Teil zu. Auch die Deutschen nahmen – aus ihrer Perspektive – die österreichischen Aktivitäten als äußerst lästig wahr. Zwischen 1914 und 1918 hat sich die österreichisch-ungarische Propaganda im Orient immer an der deutschen gemessen. Und mehr: Sie war in ihrem Kern konsequent gegen die Deutschen gerichtet. Alle Aktionen, man denke an die Presse- und die 887 Vgl. dazu seine Beschreibung der Kaiserbesuche Kaiser Wilhelms und Kaiser Karls. Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 301f. und S. 348–352. 888 Schrecker an Kriegspressequartier, 23. Oktober 1918. Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 64. 889 Ebenda. 890 Ebenda. 891 Ebenda.
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Theaterpropaganda, richteten sich gegen die entsprechenden reichsdeutschen Aktivitäten, ja gingen diesen sogar meistens voraus. Die Österreicher waren in der Wahl ihres Personals dabei äußerst glücklich. Schrecker ging fähig und planvoll vor, und in Pomiankowski hatte er einen Chef, der antideutschen Umtrieben wohlgesonnen war. Aufgrund ihrer erheblich geringeren materiellen Ressourcen konzentrierten sich die Aktivitäten der Österreicher vor allem auf Konstantinopel. Die Provinzen blieben im Gegensatz zur deutschen Propaganda außen vor. Angesprochen wurde eher ein gebildetes, urbanes Publikum. Man könnte sagen, Schrecker versuchte das türkische Proto-Bürgertum mit seiner vor allem kulturellen Propaganda für Österreich-Ungarn einzunehmen. Die Zielgruppe waren deutlich die in Konstantinopel konzentrierten Eliten des Osmanischen Reiches. Mittels dieser weichen, vor allem kulturellen Propaganda verkauften sich die Österreicher gut. Es scheint ihnen gelungen zu sein, ein Image als weniger harsche und fordernde, zivilisiertere, letztlich sympathischere Macht zu transportieren. Bei all dem waren die Ziele allerdings politischer Natur. Es ging schlicht darum, in der Türkei einen größeren Einfluß zu erringen, der sich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet im Sinne der Monarchie auswirken sollte.892
2.5 Viel Masse, ein wenig Elite: Deutsche Propaganda in der Türkei Einzelne Aspekte der deutschen Propaganda in der Türkei – etwa die Theateraktion und die Ausbildung junger Türken in Deutschland –wurden bereits vorgestellt. Im wesentlichen will der folgende Abschnitt nun den Blick auf zwei weitere Aspekte der deutschen Propaganda richten: zum einen auf die Nachrichtenpropaganda und zum anderen auf den Versuch der Beeinflussung der türkischen Eliten durch die Schaffung von Institutionen, wie dem Freundschaftshaus in Konstantinopel oder der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Die Pressepolitik in der deutschen Heimat wurde von der Abteilung III.b. im Großen Generalstab geleitet; der militärische Geheimdienst hatte also in Deutschland die Aufsicht über die Presse. Ab dem 3. August 1914 gab es eine tägliche Pres-
892 Auch von deutschen Beobachtern, die dem politischen Geschehen durchaus fern standen wurde dieses bemerkt und teilweise sogar bewundernd kommentiert. So schrieb der Schriftsteller Georg Kleibömer unmittelbar nach Kriegsende: „Die Österreicher arbeiten in Konstantinopel sehr fleißig für ihre Interessen und fragen dabei nicht danach, ob uns das angenehm ist. Kein verständiger Mensch wird ihnen daraus einen Vorwurf machen; wohl aber kann noch mancher von uns bei ihnen lernen, wie wir es selbst machen müssen.“ Kleibömer, Georg: Das Konstantinopel von heute. Eisleben, 1919, S. 195. Die tatsächliche Wirkung der österreichisch-ungarischen Anstrengungen ist allerdings – wie schon angedeutet – auf Basis des hier ausgewerteten Quellenmaterials nur ausgesprochen schwer korrekt einzuschätzen, da die Reaktionen der osmanischen Bevölkerung nur gefiltert durch die Wahrnehmung der westlichen Akteure durchscheint. Ihr müßte in einer gesonderten Studie auf breiterer Materialbasis nachgegangen werden.
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sekonferenz des Generalstabes.893 Die Zensur in der Fläche handhabten die örtlichen Militärbefehlshaber.894 Seit 1917 zentralisierte Ludendorff das Kriegspresseamt und baute es „zu einer riesigen Propagandaabteilung aus“,895 die fähig war, aktiv Inhalte zu vermitteln. Die Propaganda im Ausland nahm seit 1914 die „Zentralstelle für Auslandsdienst“ wahr. Eine weitere Behörde mit dieser Aufgabe war die im Auswärtigen Amt angesidelte „Nachrichtenstelle für den Orient“ (NfO).896 Während in Österreich-Ungarn das Militär der wichtigste Träger der Propaganda im Orient war, blieben auf deutscher Seite während des gesamten Krieges zivile Stellen maßgeblich. Das Propagandawesen erfuhr dabei eine Professionalisierung und Zentralisierung. Zu Kriegsbeginn hatte Deutschland in der Türkei außer den Konsulaten kaum Stützpunkte, von denen aus sich deutsche Nachrichten verbreiten ließen. Dabei war in der Zeit vor dem Kriegseintritt der Türkei genau diese Tätigkeit für die deutsche Politik besonders wichtig. Schließlich ging es darum, im Wettbewerb mit den noch immer im Lande tätigen Entente-Vertretern die öffentliche Meinung auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen, um so den Kriegseintritt des Osmanischen Reiches an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns zu befördern. Diese Aufgabe nahmen bis Anfang 1915 die deutschen Konsulate wahr. Genau diese Rolle sah auch die Denkschrift des Freiherren Oppenheim über die Revolutionierung islamischer Gebiete897 für die Konsularvertretungen vor. Sie sollten vor allem die Zeitungen im Osmanischen Reich beeinflussen und für die Verbreitung deutscher Kriegsnachrichten sorgen, die ihnen telegrafisch zugingen.898 Darüber hinaus bestand bereits im Oktober 1914 in Berlin eine zentrale Stelle, die Propagandamaterial für die Konsulate erstellte. Diese Zentralstelle wurde später unter dem Namen „Nachrichtenstelle für den Orient“ (NfO)899 bekannt. Über ihre Tätigkeit schrieb Oppenheim:
893 Oppelt: Film, S. 101. 894 Ebenda, S. 102. 895 Ebenda, S. 106. 896 Diese war allerdings auch im Inland aktiv, etwa bei der propagandistischen Bearbeitung muslimischer Kriesgefangener im Lager Zossen. Vgl. Heine, Peter: Al-Ğihād – Eine deutsche Propagandazeitung im 1. Weltkrieg. In: Die Welt des Islams. Vol. XX, Nr. 3–4, 1980, S. 197–199. 897 Oppenheim, Max Freiherr von: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde. PAAA, R 20938. Diese Denkschrift aus dem Oktober 1914 gilt als Blaupause für die deutschen Revolutionierungsversuche im Orient. 898 Ebenda, S. 11. 899 Vgl. zur NfO: Bihl: Kaukasus-Politik, S. 109. Hagen, Gottfried: Die Türkei im Ersten Weltkrieg. Flugblätter und Flugschriften in arabischer, persischer und osmanisch-türkischer Sprache aus einer Sammlung der Universitätsbibliothek Heidelberg. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert. Frankfurt/Main, 1990, S. 35–44. Diese Studie klammert die Tätigkeit der deutschen Propagandisten vor Ort aus und konzentriert sich darüber hinaus auf die Flugblatt-Propaganda. Diese soll im folgenden in den Gesamtkontext eingeordnet werden.
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„In Berlin ist im Auftrag des Auswärtigen Amtes mit Unterstützung des Königlichen Kultusministeriums ein Übersetzungsbüro unter meiner Leitung gebildet, das unter Zuhilfenahme deutscher Professoren, eingeborener Lektoren, der Reichsdruckerei usw. der Psyche des Orientalen angepaßte wahrheitsgetreue Kriegsberichte (Aufrufe usw.) in den betreffenden Fremdsprachen herstellt, welche die kürzeren telegrafischen Meldungen an die Konsulate bestätigen, unterstützen und ergänzen sollen. [...] Die Konsulate müssen zu intensiver Mitarbeit für die Verbreitung angehalten werden, unter Nutzbarmachung aller gegebenen Möglichkeiten. Sie müssen die Lokalblätter in die Hand zu bringen suchen, eventuell Druckereien aufkaufen usw.“ 900
Ein Bild der inneren Verhältnisse dieser Behörde liefern die Erinnerungen des Stellvertreters Oppenheims, des Konsuls Karl Emil Schabinger Freiherrn von Schowingen.901 Oppenheim improvisierte in der Führung seiner Organisation, so wie fast alle deutschen Aktionen im Orient zu dieser Zeit einen improvisierten Charakter zeigten. Schabinger beschrieb die NfO als „Kollegialbehörde [...], die also weniger einem Amt als einer Fakultät glich. Die einzige – sehr gewaltige – Klammer, welche die Mitarbeiter zusammenhielt und gewissermaßen auch zur Disziplin zwang, war die jederzeit mögliche Freigabe zum Militärdienst[...]“902. Darüber hinaus habe es keinen festen Etat gegeben, Oppenheim selbst habe einen Teil der Arbeit der NfO aus seinem eigenen Vermögen bezahlt.903 Inhaltlich sah Oppenheims Denkschrift für die Konsularpropaganda vor allem die „Bekämpfung der systematisch von unseren Gegnern verbreiteten Falschmeldungen über die Kriegsentwicklung und richtige Aufklärung über die Kriegslage“904 vor. Maßgeblich dürfte dabei die Annahme gewesen sein, daß sich die breite Masse der Bevölkerung im Osmanischen Reich ausgesprochen leicht beeinflussen lasse.905 Die panislamische Aufstandspropaganda in den von Großbritannien, Frankreich und Rußland beherrschten islamischen Gebieten sollten hingegen nach den Vorstellun-
900 Oppenheim, Max Freiherr von: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde. PAAA, R 20938, S. 12f. Unterstreichungen im Original. 901 Schabinger Freiherr von Schowingen, Karl Emil: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, Erlebnisse und Erinnerungen eines kaiserlichen Dragomans. Baden-Baden, 1967. Schabinger war vom 31. Oktober 1914 bis 25. März 1916 in der NfO tätig. 902 Ebenda, S. 126. 903 Ebenda. 904 Oppenheim, Max Freiher von: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde. PAAA, R 20938, S. 1. 905 Von dieser Annahme geht auch Ahmad in seiner Analyse der Gegebenheiten in der Türkei während der jungtürkischen Ära aus. Bezogen auf die Armee heißt es bei ihm: „The largest und least important [political group] was the rank and file. This group, like the civilian populance could be influanced at any moment by the propaganda of the popular demagogue.“ Ahmad: Young Turks, S. 48.
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gen Oppenheims im Oktober 1914 vor allem die Türken übernehmen906 – allerdings eng von Deutschland geführt.907 Glücklicherweise ist es möglich, die Tätigkeit der deutschen Konsulate aufgrund umfangreicher Rechenschaftsberichte aus der Zeit zwischen Dezember 1914 und Februar 1915 detailliert zu rekonstruieren. Der deutsche Botschafter hatte seine Konsuln in Beirut, Bagdad, Trapezunt (Trabzon), Aleppo und Damaskus aufgefordert „ein zusammenfassendes Bild derjenigen Maßnahmen [zu] liefern, welche unsere zur Einflußnahme auf islamische Kreise in erster Linie berufenen Konsularbehörden zur Erreichung dieses Zweckes veranlaßt haben.“908 Aus den fünf Berichten erschließt sich ein Bild nur begrenzt kooperierender, allerdings bereits nach einem einheitlichen Schema handelnder Einzelstellen. Die Ausgangssituation war für die Deutschen alles andere als günstig. Besonders im Libanon und in Syrien war der französische Einfluß stark.909 Viele Zeitungen in der Türkei erschienen in französischer Sprache. Die Deutschen hatten nach eigenem Bekennen bis zum Jahr 1914 wenig getan, um diesen Einfluß zu konterkarieren. Oppenheim nannte die Gründung von deutschen Schulen in Konstantinopel, Eskişehir, Angora (heute Ankara), Adana, Beirut, Jerusalem, Urfa und Bagdad sowie die Tätigkeit deutscher Offiziere als herausragende Beispiele.910 Erhebliche Defizite sah der Baron auf anderen Feldern, zum Beispiel in der Pressearbeit911 und in der 906 Oppenheim, Max Freiher von: Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde. PAAA, R 20938, S. 7. 907 „Die türkische Propaganda ist in Konstantinopel zu zentralisieren, aber dauernd von deutscher Seite zu leiten und zu unterstützen, allerdings in einer Weise, daß die Türken glauben, es stehe ihnen nur ein freundlicher Berater zur Seite und derart, daß sie sich nach wie vor als die eigentlichen Macher betrachten und ausgeben können.“ Ebenda, S. 8. Die Deutschen betrieben entgegen den Vorstellungen Oppenheims bald panislamische Propaganda auf eigene Faust. 908 Wangenheim an Reichskanzler, 3. Februar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 909 Max Freiherr von Oppenheim schätzte diesen so ein: „Das Französische ist dort die vorherrschende Fremdsprache der Gebildeten geworden. [...] Die im Orient so mächtige katholische Kirche hat durch einen nach Gesinnung oder Nationalität französischen Klerus überall im französischen Sinn gewirkt, und die von diesem unterhaltenen Schulen haben in den Herzen vieler Hunderttausenden von großen und kleinen Zöglingen männlichen und weiblichen Geschlechts die Liebe zu Frankreich gezüchtet [...]. Die naturgemäße Konsequenz war, daß zahlreiche Orientalen in Frankreich das abendländische Land ihrer Sehnsucht sahen [...].“ Oppenheim, Max Freiherr von: Die Nachrichtensaal-Organisation und die wirtschaftliche Propaganda in der Türkei, ihre Übernahme durch den Deutschen Überseedienst. Berlin, 1917, S. 5. 910 Ebenda, S. 6. 911 ,,Um die türkische Presse kümmerte sich Deutschland so gut wie gar nicht. Der in Konstantinopel erscheinende Osmanische Lloyd hat sich zu einem wirklich bedeutendem Blatte nicht entwickeln können.“ Ebenda S. 7. Zur Entwicklung des „Osmanischen Lloyd“ vergleiche Farah, Pressepolitik: S. 103–221. Sie stellt die These auf, daß dieses Blatt durch seine Rezeption in der einheimischen Presse eine wichtige Rolle in der deutschen Propaganda gespielt habe. Oppenheims Einschätzung legt allerdings das Gegenteil nahe. Weiterhin bescheinigte auch der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte in späteren Jahren dem Blatt eine ausgesprochen eingeschränkte Wirkung.
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Verbreitung deutscher Filme in der Provinz, kurz: „Tatsächlich war Deutschland in entlegenen Gebieten vielfach unbekannt.“912 Auch der deutsche Konsul in Damaskus, Loytved-Hardegg, erst nach dem Kriegsausbruch dort stationiert, bemerkte erstaunt, daß nur sehr wenige Menschen ein Land namens Deutschland kannten.913 Vor diesem Hintergrund mußten die Konsuln Wege finden, ihre Anliegen der türkischen Öffentlichkeit nahezubringen. Doch welche Anliegen waren das? Ähnlich wie im Falle Österreich-Ungarns scheinen die Kommunikationsziele niemals klar formuliert worden zu sein. Hier mußte offenbar jeder Konsul seinen eigenen Reim finden. Als einziger legte der deutsche Konsul in Damaskus schriftlich konkrete Ziele nieder.914 Für ihn ging es darum, „1. die Eingeborenen über die tatsächlichen Kräfte Deutschlands aufzuklären, 2. sie von dem Nutzen eines Anschlusses an Deutschland und 3. von den Vorteilen der Beteiligung am Krieg gegen den Dreiverband zu überzeugen“.915 Der Konsul sah sein Ziel ganz offen in der „geistigen Kriegsvorbereitung der Mohammedaner“.916 So ähnlich dürften dies auch seine Kollegen gesehen haben, schließlich lautete die klare politische Vorgabe aus Berlin, die Türkei zum Anschluß an die Mittelmächte zu bewegen. Die Konsuln beschritten im wesentlichen drei Wege, um die türkische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Zum einen versuchten sie, die existierenden Zeitungen und Zeitschriften dazu zu bewegen, Mittelmächte-freundliche Nachrichten und Berichte abzudrucken – ganz wie Oppenheim das in seiner Denkschrift gefordert hatte. In Damaskus war die Presse damals unterentwickelt. Loytved-Hardegg schrieb von zwei „unbedeutenden Halbwochenzeitschriften“,917 die in arabischer Sprache erschienen. Durch Bestechung gelang es ihm aber, zwei Tageszeitungen und eine Zeitschrift aus Beirut nach Damaskus zu verlegen: „Ich unterstütze sie mit Geldmitteln.“918 Darüber hinaus erreichte der Konsul bei Cemal Pascha, daß dieser das Wiedererscheinen eines weiteren Blattes ermöglichte, indem die Schulden der Zeitung beglichen wur-
Diese sei erst gestiegen, als sich die deutsche Regierung entschlossen hatte, eine französische Ausgabe auf den Markt zu bringen. Pomiankowski an Kriegspressequartier, 26. Mai 1917. KA, Archiv der Militärattachés, Konstantinopel, Presse- und Propagandaoffizier, Karton 62. 912 Oppeheim: Nachrichtensaal-Organisation, S. 7. 913 „In Damaskus, dem Herzen Syriens, ist Deutschland so gut wie unbekannt gewesen. Kein deutsches Berufskonsulat, keine deutsche Kulturanstalt und kein größeres deutsches wirtschaftliches Unternehmen befinden sich hier, um den Eingebornen, deren Vorstellungsleben nur vom Sichtbaren beeinflusst wird, mit Deutschland bekannt zu machen.“ Deutscher Konsul Damaskus an Wangenheim, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 914 Ebenda. 915 Ebenda. 916 Ebenda. 917 Loytved-Hardegg an Wangenheim, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 918 Ebenda.
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den.919 Es ist davon auszugehen, daß all diese Blätter ausschließlich in deutschem Sinne geschrieben haben. Dazu wurden sie von den Konsulaten mit einer Flut von Material versorgt. Hier scheinen alle Konsulate in der gleichen Weise vorgegangen zu sein: Die türkischen Blätter erhielten Übersetzungen der offiziellen deutschen Verlautbarungen sowie übersetzte Artikel aus deutschen und österreichischen Zeitungen.920 Dabei entwickelte sich gelegentlich ein wahrer Zeitungskrieg zwischen den Konsuln der Mittelmächte und denen der Entente. In Trapezunt etwa gelang es dem deutschen Konsul auf unbekannte Weise, sich die Entente-Nachrichten noch vor der Veröffentlichung zu verschaffen: „So konnten die deutschen Nachrichten in der Übersetzung so gestaltet werden, dass die feindlichen Berichte bisweilen bereits vor ihrem Erscheinen durch unsere Veröffentlichungen dementiert wurden. Dadurch sahen die Vertreter der feindlichen Staaten sich gezwungen, von einer Bekanntmachung der Mitteilungen ihrer Regierungen ausserhalb des Kreises ihrer Nationalen Abstand zu nehmen, und die Bevölkerung erhielt nur noch Nachrichten aus deutscher Quelle.“921 Gelegentlich weigerten sich jedoch Redakteure, das deutsche Material zu veröffentlichen922. In solchen Fällen setzten die Konsuln zuerst einen goldenen Hebel an – sie versuchten, die maßgeblichen Mitarbeiter der Zeitungen zu bestechen. In Beirut unterstützte so der Konsul den Herausgeber des „Journal de Beyrouth“ im Gegenzug für die Veröffentlichung deutschfreundlicher Beiträge mit Finanzmitteln, „die es Harfouche Bey inzwischen ermöglichen, sein Blatt, das bisher nur 3mal wöchentlich erschien, täglich in einer arabischen und einer französischen Ausgabe erscheinen zu lassen.“923 In Jerusalem bestach der deutsche Konsul das jüdische Blatt „Moriah“ mit 100 Gold-Franc im Monat. Im Gegenzug veröffentlichte die Zeitung die ins Hebräische übersetzten Kriegstelegramme der Deutschen.924 Verschlossen sich Zeitungen allerdings zu hartnäckig den deutschen Wünschen oder veröffentlichten gar feindliche Nachrichten, fanden die Deutschen auch weniger freundliche Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Konsuln benutzten ihren Einfluß bei den türkischen 919 Ebenda. 920 Vgl. dazu exemplarisch Deutscher Konsul Beirut an Wangenheim, 9. Dezember 1914 und Deutscher Konsul Jerusalem an Wangenheim, 20. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 921 Deutscher Konsul Trapezunt an Wangenheim, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 922 „Einige Male verweigerte der Herausgeber mir wie anderen hiesigen Konsulaten die Veröffentlichung von Telegrammen, die nicht rein militärischen Inhalts waren, sondern Polemik gegen Nachrichten der Feinde enthielten.“ Konsul Aleppo an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 923 Deutscher Konsul Beirut an Wangenheim, 9. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 924 Deutscher Konsul Jerusalem an Wangenheim, 20. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128.
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Lokalbehörden, um das Erscheinen dieser Zeitungen zu unterbinden. So weigerte sich etwa die in Bagdad erscheinende arabische Zeitung „Ar-Riad“ Nachrichten aus deutscher Quelle abzudrucken. Statt dessen erschienen dort die russischen offiziellen Telegramme. Der deutsche Konsul vermutete, daß es den Russen gelungen war, den Redakteur zu bestechen. Das Blatt wurde daraufhin verboten.925 Ein weiteres Ereignis ähnlicher Art führte zum Verbot dreier in Beirut von Christen herausgegebener Zeitungen.926 Die Deutschen registrierten dabei sehr wohl die beschränkte Verbreitung der Tagespresse im Osmanischen Reich. Ihre Propaganda erreichte schlicht nicht genügend Menschen. Also flankierten die Konsulate die Beeinflussung der Presse mit der Herausgabe und Verteilung von Flugblättern und Flugschriften. Der Konsul in Damaskus berichtete über rund 1400 Extrablätter mit deutschen Kriegsnachrichten, die er in türkischer Sprache drucken und zwischen „Damaskus – Hauran – Medina und Haifa“ verteilen ließ.927 Zusätzlich habe er 1000 Exemplare des Deutschen Weißbuches zum Kriegsausbruch in arabischer Übersetzung zusammen mit den Kriegsdepeschen der ersten drei Monate in diesem Gebiet verteilt. Eine nicht genannte Menge an Flugblättern, die der Konsul von der Botschaft erhalten hatte, sei an Mekka-Pilger verteilt worden.928 Auch die anderen deutschen Konsuln haben regelmäßig Flugblätter in Auflagen zwischen 100 und 2000 Stück verbreitet.929 Diese Flugschriften wurden dezentral in den einzelnen Konsulaten verfaßt. Aus Konstantinopel dürfte in dieser frühen Phase des Krieges nur wenig Material den Weg in die Provinzen des Reiches gefunden haben. Flugblätter der Botschaft wurden auch nur ein einziges Mal vom
925 Deutscher Konsul Bagdad an Wangenheim, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 926 „Was die Lokalpresse angeht, so haben die hiesigen christlichen Blätter, die die Lügennachrichten unserer Gegner weithin verbreiteten, sich selbst das Grab geschaufelt. Die deutschfreundliche Haltung der hiesigen Behörde hatte vornehmste Blätter, die arabische Tageszeitung Lissan ul Hal, den französischen Reveil den arabischen Es Sabbat, zu einer Demonstration veranlasst, indem sie erklärten, dass die Regierung ihnen verbieten wolle ,die Wahrheit‘ über die Kriegslage zu bringen, so würden sie ihr Erscheinen zeitweilig einstellen. Als sie nun ihre Drohung ausführten, wurden sie von der Regierung für definitiv suspendiert erklärt. [...] So sind sie eingegangen und unsere Nachrichten und die der Agence Ottoman sind die einzigen, die gegenwärtig in der Tagespresse veröffentlicht werden.“ Deutscher Konsul Beirut an Reichskanzler, 15. Oktober 1914. PAAA, Türkei 177, Der Libanon (Syrien), R 14033. 927 Deutscher Konsul Damaskus an Wangenheim, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 928 Ebenda. 929 Vgl. Deutscher Konsul Beirut an Wangenheim, 9. Dezember 1914. Deutscher Konsul Jerusalem an Wangenheim, 20. Dezember 1914. Deutscher Konsul Trapezunt an Wangenheim, 10. Dezember 1914. Deutscher Konsul Aleppo an Wangenheim, 11. Dezember 1914. Deutscher Konsul Bagdad an Wangenheim, 10. Dezember 1914. Alle PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128.
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Damaszener Konsul erwähnt.930 Allerdings gab es einen Austausch des Materials unter den Konsulaten. So wurden etwa in Aleppo gedruckte Flugblätter an die anderen Konsulate geliefert, allerdings nur in relativ geringer Stückzahl von jeweils bis zu 100 Exemplaren.931 Inhaltlich sind von den Konsulaten neben den amtlichen deutschen Kriegsnachrichten vor allem antibritische Aufsätze übersetzt worden.932 Die Wirksamkeit dieser Nachrichtenpropaganda ist außerordentlich schwer einzuschätzen. Es bleibt zum einen fraglich, ob von Europäern für Europäer verfaßte Aufsätze im Orient Wirksamkeit entfalten konnten, zum anderen blieb gedruckte Propaganda zwangsläufig auf den Kreis der alphabetisierten Osmanen beschränkt. Das aber war nur eine Minderheit. Die deutschen Protagonisten waren sich dieses Problems durchaus bewußt: „Ein grosses Hindernis bildet bei all diesen Bestrebungen der Umstand, dass kaum zwei Prozent der Bevölkerung lesen oder auch nur die in literarischer Sprache abgefassten Drucksachen beim Vorlesen verstehen können.“933 Daher entwickelten die Deutschen schon sehr früh Handlungsalternativen. Diese bestanden insbesondere aus der Einführung einer frühen Art von Nachrichtensälen, in denen zwar auch schriftlich fixierte Nachrichten und Aufsätze einzusehen waren, vor allem aber Bilder mit kurzen, in der Landessprache verfaßten Bildunterschriften gezeigt wurden. Diese frühen Einrichtungen gab es nachweislich in Jerusalem,934 Jaffa,935 930 Deutscher Konsul Damaskus an Wangenheim, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 931 Deutscher Konsul Aleppo an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 932 „[...] so einen in der Woche erschienenen Aufsatz des Unterstaatssekretärs von Zimmermann über ,England und den Krieg‘ mit einigen dem Verständnis der hiesigen Leser angemessenen Veränderungen; ferner die Äusserungen Bernard Shaws über die Heuchelei der leitenden englischen Kreise, desgleichen solche des Millionärs Vanderbildt und einen in verschiedenen Zeitungen, darunter auch im Osmanischen Lloyd erschienenen, Englands ränkevolles Vorgehen behandelnden Aufsatz ,Ein interessantes Frage- und Antwortspiel.“ Konsulat Jaffa an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 933 Deutscher Konsul Bagdad an Wangenheim, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 934 „Ausserdem werden sie [die Nachrichten] am Konsulat und früher in der Post, sodann an der Deutschen Palästinabank für das Publikum ausgehängt. Jetzt haben wir den Vorraum des bisherigen Postlokals als ,Kriegsnachrichten-Büreau‘ eingerichtet, in welchem nicht nur Kriegstelegramme ausgehängt, sondern auch von den hiesigen Deutschen hergegebene illustrierte Zeitschriften zur Benutzung für das Publikum ausliegen.“ Deutsches Konsulat Jerusalem an Wangenheim. 20. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 935 „[So] ging ich gleich nach meinem Eintreffen in Jaffa daran, die Bevölkerung durch Aushängen geeigneter Bilder zu beeinflussen, litt aber dabei zunächst unter der Schwierigkeit, dass nur sehr wenig illustrierte Zeitschriften eintrafen [...]. Die hiesigen Deutschen steuerten jedoch bei, was sich bei ihnen fand, so dass ich vor dem neuen Gebäude der Deutschen Palästina Bank zunächst eine, später noch eine zweite Tafel mit Bildern aushängen konnte, die, mit arabischen Unterschriften versehen, vom Publikum eifrig betrachtet wurden. [...] Besonders die mir von Hause zugehende, in
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Aleppo,936 und Damaskus.937 In Damaskus fanden auch deutsche Filmvorführungen statt.938 Neben all diesen Propaganda-Bemühungen sprachen die Konsuln die Bevölkerung zudem auch direkt an. Diese Aktionen erscheinen in den Berichten immer ein wenig anrüchig, wenn auch die Berichterstatter keinerlei Scham an den Tag legten. Der Konsul in Damaskus etwa berichtete, wie er Massendemonstrationen zu Gunsten der Mittelmächte organisierte und Mittelsmänner dazu brachte, in Moscheen für Deutschland zu sprechen.939 Der deutsche Konsul in Jaffa ging offenbar noch einen Schritt weiter. Er schüchterte Entente-freundliche Christen ein, die sich in der Öffentlichkeit in diesem Sinne äußerten, indem er sie wissen ließ, „es sei mir bisher gelungen, durch gütliches Zureden ein Christenmassacre zu verhindern, ich könne aber für nichts einstehen, hätte auch keine Veranlassung, ihn und seine Genossen zu schützen, wenn ihnen gelegentlich einige Fanatiker die Kehle durchschneiden“.940 Über das Resultat dieser kaum verhohlenen Drohung berichtete der Konsul ohne Illusionen. Zwar hätte sich die politische Meinung dieser Leute nicht geändert, sie seien jetzt aber in der Öffentlichkeit weniger präsent und heuchelten „mehr und mehr deutschfreundliche Gesinnung“.941 Mit Zuckerbrot versuchte der Konsul dagegen die Sympathien der jüdischen Bevölkerung zu gewinnen. Viele von ihnen waren russische Staatsbürger. Um sie sich gewogen zu machen übernahm der Deutsche nach der Abreise des russischen Konsuls die Vertretung ihrer Interessen gegenüber den osmanischen Behörden: „Auch bei Haussuchungen und Requisitionen, die gegen die hiesigen Juden veranstaltet wurden, bin ich mit Erfolg bemüht gewesen, durch Rücksprache mit den türkischen Militär- und Zivilbehörden unnötige Härten abzustellen, von dem Gedanken ausgehend, dass jeder den palästinenser Juden geleistete Dienst bei der internationalen Judenschaft ein freundliches Echo findet und sich somit im Urteil der Neutralen uns gegenüber bezahlt macht.“942 grellen Farben gehaltenen Kriegsbilderbogen zeigten sich dem Verständnis der hiesigen Bevölkerung angemessen.“ Deutsches Konsulat Jaffa an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 936 „An der deutschen Schule, die an verkehrsreicher Stelle liegt, ist ein Schaukasten zur Ausstellung von Kriegsbildern aller Art angebracht, die alle drei Tage gewechselt werden. Unterschriften in arabischer Sprache erleichtern das Verständnis. Die Besichtigung durch das Publikum entspricht den Erwartungen.“ Deutsches Konsulat Aleppo an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 937 Deutscher Konsul Damaskus an Wangenheim, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 938 Ebenda. 939 Ebenda. 940 Deutscher Konsul Jaffa an Wangenheim, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 941 Ebenda. 942 Ebenda.
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Über einen Erfolg all dieser Bemühungen ist schwer zu urteilen, auf jeden Fall aber stießen diese Aktivitäten der deutschen Konsuln den türkischen Behörden übel auf. Mitte März 1915 beschwerte sich Enver Pascha beim deutschen Botschafter über die Propaganda der Deutschen, die der „Regierung Schwierigkeiten verursachen würde“.943 Wangenheim forderte die Konsuln zu Berichten auf, stellte sich im übrigen aber schützend vor sie und verzichtete offenbar sogar auf einen Bericht nach Berlin.944 Zwei Wochen später war ihm das nicht mehr möglich. Enver beschwerte sich erneut über die deutschen Aktionen und berief sich dabei auf Klage Cemal Paschas, des Gouverneurs in Syrien.945 Wangenheim meldete das nach Berlin und wies in diesem Bericht darauf hin, „wie wichtig es ist, daß wir weiterhin streng an dem schon jetzt anerkannten Grundsatz festhalten, bei unserer Propaganda innerhalb des türkischen Reiches [...] nichts ohne Wissen und Zustimmung der Regierung zu unternehmen und uns in beständigem Einvernehmen mit den örtlichen Behörden zu halten.“946 Wie immer in den Jahren des Krieges beobachteten auch die Österreicher das Vorgehen der Deutschen ganz genau. Der ungarische Journalist Samuel Kastriner verfaßte auf Anregung des Militärbevollmächtigten Joseph Pomiankowski einen längeren Bericht über seinen Aufenthalt in Syrien.947 Darin geht Kastriner exemplarisch auf die Propagandatätigkeit des deutschen Konsuls in Damaskus ein. Loytved-Hardegg wurde von dem Journalisten als ein ausgesprochen fähiger Strippenzieher geschildert, der in Damaskus über großen Einfluß verfügte. Insbesondere der Marineminister und Gouverneur von Syrien stehe unter dem Bann des Deutschen. Vor allem aber nahm Kastriner eine Veränderung in der „bisher stark französisch gesinnten Bevölkerung“948 wahr, die er auf den Erfolg der deutschen Propaganda zurückführte: „Die Zeitungen erschienen täglich mit Deutschland überschwenglich verherrlichenden Artikeln, [...]. Dann begannen die Demonstrationen, die sich täglich wiederholten. An einer Straßenecke wurde die deutsche Flagge gehißt und ein Volksredner begeisterte die Menge für das mächtige Deutschland. Anfangs kostete das Geld, später jedoch ging die Geschichte schon gratis – die Leute gewöhnten sich daran, Deutschland hochleben zu lassen.“949 Der Österreicher registrierte weiterhin ein deutliches Interesse der Leute für das früher fast unbekannte Deutschland950 – genau das also, was 943 Wangenheim an Reichskanzler, 2. April 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 944 Ebenda. 945 Ebenda. 946 Ebenda. 947 Beilage zu k.u.k. Botschafter in Konstantinopel an Ministerium des Äußeren, 28. Januar 1915. HHStA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 209, Berichte. 948 Ebenda. 949 Ebenda. 950 „Am Neujahrstage erzählte mir ein Kaufmann, er hätte noch nie deutsche Ware bezogen, nach dem Krieg jedoch, wenn die Schiffahrt wieder frei ist, werde er nur mehr in Deutschland einkaufen. Ähnliches hörte ich von mehreren Seiten.“ Ebenda.
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die Deutschen in der Frühphase des Krieges erreichen wollten. Für die Richtigkeit dieser Beobachtungen spricht, daß Kastriner sonst eher Deutschland-kritisch eingestellt war und in seinem Bericht keine Gelegenheit ungenutzt ließ, das Verhalten der Deutschen in der Türkei zu kritisieren. In Berlin allerdings waren das Auswärtige Amt und die Nachrichtenstelle für den Orient unzufrieden mit der dezentralen, unkoordinierten Art der deutschen Propaganda. Die einzeln agierenden Konsuln waren zum einen nur schwer zu kontrollieren, was ja bereits zu Konflikten mit Enver Pascha geführt hatte. So war es denn auch oberster Auftrag Oppenheims, ausschließlich im Einvernehmen mit den türkischen Behörden einen zentralisierten Propagandaapparat aufzubauen. Als er im April 1915 in Konstantinopel eintraf, legte man ihm nahe: „In allen diesen Angelegenheiten unbedingtes Zusammenwirken mit den türkischen Zentral- und Provinzial-Behörden sowie Anlehnung an die islamische Geistlichkeit, die Bruderschaften usw. unter Betonung des panislamischen Gedankens, des Khalifates des Sultans, des osmanischen Einheitsstaates und der deutsch-türkischen Freundschaft und Verbrüderung.“951 Zum anderen war es den Konsuln offenbar nicht gelungen, feindliche Propaganda vor allem in Syrien ganz auszuschalten. Oppenheim selbst bemängelte, daß zu einer „ernsten, zielbewußten Gegenpropaganda“952 das nötige Geld und eine schlagkräftige Organisation gefehlt habe. Flugblätter britischer Provenienz mit Aufrufen, die türkischen und deutschen Offiziere zu töten und die arabischen Provinzen vom Osmanischen Reich loszulösen, seien weit verbreitet gewesen. Berichte der Agenturen Reuter und Havas sowie britische Zeitungen seien noch immer ins Land gelangt, und die Leute hätten ihnen geglaubt.953 Diesen Erscheinungen sollte Oppenheim bei seiner Mission954 also unter anderem durch die Etablierung einer wirksamen Gegenpropaganda einen Riegel vorschieben. Seine Instruktionen faßten das so: „Einwirkung auf die Stimmung in Syrien, die infolge der Ausstrahlung nach allen Gebieten des Islam von grosser Bedeutung ist. Dieselbe wird infolge des kriegerischen Vorgehens gegen die Dardanellen und die kleinasistische Küste und die Schwierigkeiten der gegen Egypten vorgehenden türkischen Armee sowie der wirtschaftlichen Depression und der starken Propaganda unserer Feinde ganz zweifellos nicht mehr so günstig sein wie bei Beginn des Krieges.“955 Zu diesem Zweck waren die Anweisungen an Oppenheim recht offen gehalten. Er sollte 951 Aufgaben der Mission des Kaiserlichen Ministerredidenten Freiherrn von Oppenheim, 12. März 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 952 Oppenheim: Nachrichtensaal-Organisation, S. 12. 953 Ebenda. 954 Seine Mission war jedoch nicht ausschließlich eine propagandistische, die etwa den Aufbau von Nachrichtensälen zum Zwecke hatte. Vgl. dazu Schabinger: Mosaiksplitter, S. 131. Oben wurden bereits die nachrichtendienstlichen Aspekte der Oppenheim-Mission behandelt. Siehe S. 87–92. 955 Aufgaben der Mission des Kaiserlichen Ministerresidenten Freiherrn von Oppenheim, 12. März 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130.
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zum einen „die Nachrichtenvermittlung von Europa nach Konstantinopel [...] studieren, bzw. einrichten“956. Zum anderen sollte Oppenheim „Nachrichtenzentralen in den größeren syrischen Städten“957 sowie in den Pilgerzentren und dem Hedschas etablieren. Für die gesamte Mission bekam der Agent eine halbe Millionen Mark zur Verfügung gestellt958. Wie er jedoch konkret vorgehen sollte, war in den Instruktionen nicht festgelegt. Der Baron wählte den Ausbau der bereits in Ansätzen vorhandenen Nachrichtensäle als Weg. Dabei handelte es sich um öffentlich zugängliche Räume, angemietet oder in den Konsulaten befindlich, in denen deutsche Zeitungen und Zeitschriften sowie Bilder, Flugblätter und Pamphlete in Türkisch und Arabisch auslagen. Oppenheim sorgte für eine straffe Hierarchie und eine zentrale Steuerung der kommunizierten Inhalte.959 Die Steuerung von Deutschland aus lag bei der NfO. In der Türkei wurde als Zentrale die Nachrichtenstelle der Kaiserlich Deutschen Botschaft in Konstantinopel geschaffen. Ihr Chef war Oppenheim selbst. Die wichtigsten Einrichtungen in den Provinzen, die sich an Konsularsitzen befanden, wurden von den Konsuln geführt. Sie hatten Konstantinopel regelmäßig zu berichten. Den Hauptsälen wiederum unterstanden mehrere Nebensäle in kleineren Orten. Diese kleineren Räume wurden von „deutschen Kaufleuten, vereinzelt auch Österreichern oder Mitgliedern des türkischen [...] Komitees für Einheit und Fortschritt“960 geleitet. Darüber hinaus waren Einheimische als Hilfskräfte angestellt. Auf einer Karte961 führte Oppenheim für das Jahr 1916 insgesamt 67 Nachrichtensäle auf. 16 weitere listete er als in Planung befindlich. Die Einrichtungen befanden sich vor allem entlang der Eisenbahnlinien. Allerdings existierten auch in kleinen, abgelegenen Orten wie Kerak oder Kirkuk solche Säle. Besonders reichlich waren Syrien, Palästina und der Libanon damit gesegnet. Allein hier gab es 20 Nachrichtensäle, was sich aus der Bedeutung, die dieser Region schon in den Instruktionen Oppenheims beigemessen wurde, erklärt. Weitere Konzentrationen von Nachrichtensälen gab es in der europäischen Türkei rund um die Meerengen (13) und in Südost-Anatolien, im Kurden- und Armenier-Gebiet (acht und sechs geplante). Nach welchem Muster die Nachrichtensäle eingerichtet wurden, ist zum Teil aus logischen Gründen nachzuvollziehen. Politische Gründe hatte es ganz sicher, wenn in Konstantinopel gleich drei Säle existierten und im persischen Kermānšāh im Zusammenhang mit der deutschen Persien-Expedition ein solcher eröffnet wurde. In den Zentren des Reiches wie Beirut oder Damaskus gab es deutsche Konsulate, dort war die Einrichtung eines 956 Ebenda. 957 Ebenda. 958 Ebenda. 959 Die folgende Beschreibung der Nachrichtensäle beruht auf Oppenheim: Nachrichtensaal-Organisation. Der Baron hinterließ in diesem „streng vertraulichen“ Sonderdruck unter anderem ein ausführliches Organigramm seiner Organisation. 960 Ebenda, S. 13. 961 Ebenda, S. 34. Alle weiteren Angaben zur Anzahl der Nachrichtensäle basieren auf dieser Karte.
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Nachrichtensaales sinnvoll. Nachrichtensäle in der Nähe der Meerengen hatten wohl auch die dort tätigen deutschen Soldaten als Kunden im Blick. Im Falle der kleineren Städte dürfte oftmals einfach die Gelegenheit den Ausschlag gegeben haben – es gab einen verläßlichen Leiter, also eröffnete man einen Nachrichtensaal. Bei den größeren Nachrichtensälen handelte es sich um gemietete Ladenlokale in den Geschäftsvierteln. Sie waren ganztägig kostenlos geöffnet, „an einem Tag der Woche während einiger Stunden ausschließlich für die eingeborenen Frauen“.962 Das Propagandamaterial wurde nun fast ausschließlich von der NfO aus Deutschland geliefert. Datailliert beschrieb Oppenheim selbst die Auslagen: „In den Nachrichtensälen werden folgende Propagandamaterialien vorgeführt: 1. Die neuesten Tagesdepeschen in großern Lettern, Kriegsberichte, politische Nachrichten usw. überall auf türkisch, außerdem in den Landessprachen arabisch, griechisch usw. gegebenenfalls auch auf französisch, vor allem auf deutsch. 2. Türkische und andere Landeszeitungen, 3. Deutsche illustrierte Zeitschriften, auch Frauenzeitschriften, die in der Zentrale in Konstantinopel mit türkisch und arabisch gedruckten Beilagen mit der Übersetzung der Unterschriften zu den Abbildungen versehen werden. 4. Eine große Anzahl von Bildern, in den Landessprachen beschriftet, mit Darstellungen der Kriegs- und Tagesereignisse, Porträte usw. 5. Broschüren, Flugschriften und sonstige Drucksachen politischen, militärischen und sonstigen Inhalts in türkischer und anderen Sprachen. 6. Zu dauerndem Wandschmuck sind Bildervergrößerungen der verbündeten Herrscher, Staatsmänner und Heerführer, Karten der Kriegsschauplätze und dergleichen angebracht. Die illustrierten Zeitschriften und Bilder werden in allen Sälen wöchentlich einmal gewechselt.“ 963
Einige Übersetzungen fertigte wohl auch die Zentrale in Konstantinopel an. Das Material wurde dann auf die einzelnen Nachrichtensäle verteilt. Damit fiel die in der Frühzeit geübte Praxis der Konsuln weg, sich eigenes Propagandamaterial zu erstellen. Gewährleistet war so die einheitliche Linie der Kommunikation. Neben dem Betrieb des Nachrichtensaales hatte das dort beschäftigte Personal weitere Aufgaben. Propagandamaterial wurde auch in Cafés, Clubs, Schulen und Hospitälern verteilt. Daneben zählte die Kontaktpflege mit der lokalen Presse zu den Aufgaben des Nachrichtensaalpersonals. An den Sitzen der Konsuln blieb diese Aufgabe damit in den Händen der Konsularbehörden, die sich allerdings einer engeren Führung aus Konstantinopel unterwerfen mußten. Oppenheim stellte dazu fest: „Die deutsche Propaganda in der Türkei ist fast vollständig bei der Nachrichtenstelle der Kaiserlichen Botschaft zentralisiert.“964 962 Oppenheim: Nachrichtensaal-Organisation, S. 13. 963 Ebenda, S. 13f. 964 Ebenda, S. 15. Diese Zentralisierung brachte natürlich bürokratischen Aufwand mit sich. So beschwerte sich die Nachrichtenstelle der Botschaft im November 1915 bei der NfO über die dauernde Zusendung von englischen Propagandabroschüren in großen Mengen. Diese seien in
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Der Erfolg der Nachrichtensäle scheint den Aufwand gerechtfertigt zu haben. Zwar ist Oppenheims eigene Angabe – er schrieb von bis zu 10.000 Besuchern täglich in Provinzsälen und von bis zu 20.000 im größten Saal, dem von Pera – wohl übertrieben, doch scheint das Konzept durchaus wirkungsvoll gewesen zu sein. Die kostenlos zugänglichen Säle, in denen es wochenweise wechselnde Bilderserien zu sehen gab, dürften auch für Analphabeten attraktiv gewesen sein. Wer lesen konnte, fand hier – zwar einseitige und parteiisch gefärbte – so doch kostenlose Informationen über das Weltgeschehen; in abgelegenen Gegenden ein durchaus attraktives Angebot. Der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Gustav Stresemann bereiste die Türkei Anfang 1916. Insgesamt war sein Bericht über die Zustände im Osmanischen Reich965 wenig schmeichelhaft für die Türken und die in der Türkei tätigen Deutschen. Die Nachrichtensäle und die Nachrichtenpropaganda jedoch fanden ausdrücklich Stresemanns Lob. Er schrieb so etwa über Tausende Besucher in den Sälen in Stambul und Pera. Als besonders gelungen sah er die Präsentation vieler Bilder an, „die auch den Analphabeten das Verständnis für die Kriegsvorgänge sehr erleichtern“.966 Fazit Stresemanns: „Ich halte diese Art der Propaganda [...] für außerordentlich gut im Interesse unserer Sache, namentlich, weil sie auch nicht als deutsche Beeinflussung empfunden wird, da in den Nachrichtenbüros nicht erkenntlich ist, dass speziell Deutschland der Veranstalter dieser Unternehmung ist.“967 Stresemann forderte sogar die Weiterführung des Projekts nach dem Krieg.968 Auch die Österreicher schienen die Nachrichtensäle als erfolgversprechend einzuschätzen, beteiligten sie sich doch an ihnen. In den deutschen Einrichtungen waren österreichisch-ungarische Zeitungen und Zeitschriften, Bilder und Meldungen zu finden.969 Noch im Juni 1917 beschrieb ein anonymer Konfidenten-Bericht die Tätigkeit der Nachrichtenstelle der deutschen Botschaft,970 die der Autor als äußerst effizient schildert. Während sich die publizistische Propaganda Deutschlands in den Nachrichtensälen also überwiegend an wenig und ungebildete Bevölkerungsschichten richtete, der Türkei unbrauchbar, da niemand Englisch spreche. Offenbar handelte es sich um Irrläufer, die eigentlich für den Einsatz in Indien gedacht waren. Nachrichtenabteilung an NfO, 25. November 1915. BA, Deutsch-Türkisches Theater in der Türkei R 901/71225. 965 Bericht Gustav Stresemanns an den Reichskanzler, 14. März 1916. BA, Reichskanzlei, R 43/2458i. 966 Ebenda. 967 Ebenda. 968 Für die Produktivität der Nachrichtenstelle spricht folgende Statistik: Zwischen 21. Mai 1915 und 31. Dezember 1915 erschienen 19 Nummern einer Gefangenenzeitschrift für Muslime in Urdu, Hindi, Russisch, Turkotatarisch, Georgisch und Persisch; 386 Druckschriften in neun europäischen und elf asiatischen Sprachen waren seit der Gründung 1914 in einer Auflage von rund 2,5 Millionen Stück erschienen. 15 deutsche und 20 ausländische Mitarbeiter hatten feste Verträge mit der Nachrichtenstelle. Schabinger: Mosaiksplitter, S. 141. 969 Oppenheim: Nachrichtensaal-Organisation, S. 14. 970 Publizistische Propaganda der deutschen Botschaft, 4. Juni 1917. HHStA, PA, XL, Interna, Konfidentenberichte 1914–1918, 275.
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bemühte man sich, die Sympathie der Eliten über direkte Ansprache zu gewinnen. Diese Aufgabe versuchte vor allem die „Deutsch-Türkische Vereinigung“ zu erfüllen. Selbst wenn den Protagonisten dieser Vereinigung die deutsch-türkische Freundschaft wirklich Herzensangelegenheit gewesen sein sollte, so war die Funktion und vor allem deren Wahrnehmung doch die einer reinen Propagandaorganisation. Die „Deutsch-Türkische Vereinigung“ ist kein Kind des Krieges, kein Produkt des deutsch-türkischen Bündnisses. Treibende Kraft dieser institutionalisierten Freundschaftsbestrebungen war der Liberale Ernst Jäckh (1875–1959). Zuerst als Journalist tätig, wurde er 1914 als Professor für türkische Geschichte an die Universität Berlin berufen.971 Während des Krieges widmete sich Jäckh fast ausschließlich verschiedenen deutsch-türkischen Freundschaftsprojekten. Schon vor dem Krieg war Jäckh ein beredter Advokat eines engen deutsch-türkischen Bündnisses. Für ihn gaben dabei vor allem wirtschaftliche Gründe den Ausschlag. Als Ideal schwebte dem Professor ein Zustand vor, in dem das Osmanische Reich Rohstofflieferant und Absatzmarkt für Deutschland sein sollte, während das Reich die Verarbeitung und Veredelung der Rohstoffe übernahm.972 Allerdings war Jäckh ausdrücklich kein Vertreter eines direkten deutschen Siedlungskolonialismus.973 Deutsche Agrarkolonien lehnte er vielmehr vehement ab.974 Er sah er die Rolle seines Landes als eine Art Lehrmeister und Kulturboten für eine unterentwickelte Türkei.975 Man kann – im Lichte der Jäckhschen Persönlichkeit und seiner Tätigkeit zwischen 1914 und 1918 – davon ausgehen, daß er das ernst meinte. Jäckh begrüßte die jungtürkische Revolution von 1908 glühend und hielt sie für den Beginn eines großen türkischen Zeitalters.976 Während des Krieges entwickelte er eine Mitteleuropakonzeption. Er forderte darin die Schaffung eines deutsch-türkischen Mitteleuropa von „Helgoland bis Bagdad“977 als Gegengewicht zu Großbritannien. Dies sei eine Notwendigkeit, die sich ,,mit fast mathematischer Gesetzmäßigkeit“978 ergebe. Dieses neue Mitteleuropa betrachtete Jäckh als „nationale[n] Sicherung für alle beteiligten Völker: Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei, und auch noch Griechenland 971 Vgl. DBE, Stichwort Jäckh. 972 Vgl. Jäckh, Ernst: Deutschland im Orient nach dem Balkankrieg. München, 1913, S. 13–15. 973 Ebenda 974 Ebenda, S. 20f. 975 „Bagdadbahnarbeit heißt nicht nur Bahnbau, sondern auch Ackerkultur. Die Bagdadbahngesellschaft bringt dem anatolischen Bauer auch europäische Landwirtschaftsmaschinen samt Sämereien sowie in Versuchs- und Unterrichtsanstalten durch Landwirtschaftsinspektoren auch die nötige Anleitung zur rationellen Arbeit. Der anatolische Bauer ist weder phlegmatisch noch fanatisch, sondern fleißig und zäh, zuverlässig und intelligent, und er vertauscht bald und gern die biblisch-patriarchalischen Rudimente des Dreschschlittens und der Wurfschaufel mit der Maschinenmechanik der Bagdadbahn.“ Ebenda, S. 18. 976 Vgl. Jäckhs Buch über die Tükei während der Jahre 1908 bis 1914. Es erlebte bis 1916 mindestens sechs, teilweise ergänzte, Auflagen. Jäckh: Halbmond. 977 Jäckh, Ernst: Die Türkei und Deutschland. Berlin, 1916, S. 17. 978 Ebenda.
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und Rumänien“.979 Deutschland und die Türkei sah er gar in einer „gottgewollten Abhängigkeit“980 voneinander. Der Berliner Professor besaß also ein festes theoretisches Fundament für seine Freundschaftspropaganda in der Türkei, das er auch, leicht verständlich aufgeschrieben, per Flugschriften in Deutschland zu verbreiten suchte981, kurz: Jäckh war ein Liberaler und glaubte an den Fortschritt der Menschheit. Die Geschichte der „Deutsch-Türkischen Vereinigung“ und des Freundschaftshaus in Konstantinopel ist gut dokumentiert,982 einige Bemerkungen zur Rezeption dieser Aktivitäten durch die Zeitgenossen sind jedoch angebracht. Die Tätigkeit Jäckhs in der Türkei, die Planungen des Freundschaftshauses – eines Gebäudes, das mit Klubräumen, Vortragssälen und einer Bibliothk als deutsch-türkisches Zentrum dienen sollte – sie wurden von den Deutschen in der Türkei wie in der Heimat mit größter Skepsis, ja mit Ablehnung betrachtet. Eine Zusammenfassung der Stimmung unter den Deutschen in der Türkei lieferte der Zentrums-Abgeordnete Matthias Erzberger im Bericht über seine Reise in die Türkei,983 die im Februar 1916 stattfand. Der Abgeordnete sei „von allen Seiten“984 gebeten worden, offizielle Empfehlungen und Sammlungen zu verhindern. In Konstantinopel selbst sei die Unterstützung des Projektes gering. In der Botschaft habe Erzberger erfahren, daß „kein einziger Kaufmann“985 bereit sei, im Unterstützungskomitee mitzuarbeiten. Offenbar gab es in der deutschen Kolonie auch erhebliche Vorbehalte gegen Ernst Jäckh selbst, wie Erzberger schrieb: „Es ist mir aufgefallen, wie nahezu übereinstimmend scharf auch die Propaganda des Herrn Professor Jäckh verurteilt worden ist und wie sogar von den Seiten, die dem Projekt des Herrn Professor Jäckh wohlwollend gegenüberstehen, gewünscht wurde, daß Professor Jäckh mehr zurücktreten soll.“986 Der Abge979 Ebenda. 980 Ebenda, S. 37. 981 Etwa in der von ihm herausgegebenen Reihe „Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften“. Vgl. Jäckh, Ernst: Die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft. Der deutsche Krieg, 24. Heft, Stuttgart, 1915. 982 Zu Jäckhs eigener – recht schwärmerisch geratenen – Darstellung seiner Freundschaftsaktivitäten vgl. Jäckh, Ernst: Der goldene Pflug. Lebensernte eines Weltbürgers. Stuttgart, 1954. S. 130–140. Vgl. auch: Kloosterhuis: Imperialisten, S. 595–657. Gencer: Bildungspolitik, S. 193–230. Mangold, Sabine: „... mit der Eigenart der türkischen Volksstämmeund den Kulturwerten des Islam bekannt und vertraut machen ...“ Die Deutsch-Türkische Vereinigung in Elberfeld und Barmen. In: Hentzschel-Fröhlings, Jörg; Hitze, Guido; Speer, Florian (Hrsg.): Gesellschaft, Region, Politik. Festschrift für Hermann de Buhr, Heinrich Küppers und Volkmar Wittmütz. Norderstedt, 2006, 275–284. 983 Bericht über meine Reiseeindrücke in der Türkei, 5.–13. Februar 1916. PAAA, Türkei 134, Allgemeine Angelegenheiten der Türkei, R 13196. 984 Ebenda. Erzberger sprach nach eigenen Angaben mit Militärs, Diplomaten und vielen Vertretern der deutschen Kolonie in Konstantinopel. 985 Ebenda. 986 Ebenda.
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ordnete berichtete außerdem, daß die „Hereinziehung der Person seiner Majestät in dieses Projekt [...] auf das lebhafteste bedauert“987 wurde. Diese Einschätzung spiegelt höchstwahrscheinlich die Tatsachen recht wahrhaftig wieder. Bestätigt wurde nämlich Erzbergers Bericht nur wenige Monate später durch Gustav Stresemann.988 Dieser beschrieb im März 1916 die Stimmung in der deutschen Kolonie gegenüber dem Jäckh-Projekt als stark ablehnend. Er fürchtete, das Haus könnte auf die Türken verletzend wirken und den Eindruck vermitteln, „dass das reiche Deutschland der armen Türkei einmal zeigen wolle, was es zu leisten in der Lage sei“.989 Darüber hinaus sei der Zweck des Freundschaftshauses unklar.990 Im Falle einer eventuellen späteren Wendung der türkischen Politik hin zur Entente würde das Freundschaftshaus gar lächerlich wirken. Auch Stresemann warnte in seinem Schreiben vor der Tätigkeit Jäckhs. Dieser erziehe die Türken durch sein dauerndes Lob der Türkei zum Größenwahn. Viel schlimmer aber seien die Folgen seiner Agitation in Deutschland. Jetzt nämlich glaubten in Deutschland viele Menschen, Asien sei das „Dorado der wirtschaftlichen Zukunft“.991 Stresemann schrieb in seinem Bericht: „Zehntausende von Briefen aus Deutschland geben Kunde davon, dass deutsche Kaufleute, Ingenieure, Journalisten usw. glaubten, es sei jetzt die Zeit gekommen, um sich in der Türkei betätigen zu können.“992 Diese Art der Propaganda müsse „mit aller Entschiedenheit“993 gebremst werden. Jäckhs Persönlichkeit scheint schwierig gewesen zu sein. Durchdrungen von der Bedeutung seiner Mission, posierte er in türkischer Uniform und eckte auf diese Weise wohl erheblich bei wirklichen Soldaten an.994 Und so finden sich auch in den Erinnerungen Otto Liman von Sanders’, des Chefs der Militärmission, ausgesprochen kritische Bemerkungen über das „Buhlen um die Gunst der Türken“.995 Jäckhs Sendungsbewußtsein, ja seine Besessenheit, insbesondere vom Bau des Freund987 Ebenda. 988 Bericht Gustav Stresemanns an der Reichskanzler, 14. März 1916. BA, Reichskanzlei, R 43/2458i. 989 Ebenda. 990 „Wenn es etwa Klubräume enthalten solle, so würden diese nicht benutzt werden, denn die Deutschen wohnten in Pera und kämen nicht nach Stambul herüber und die Türken würden ebenfalls nicht kommen, weil sie eigene Klubräume haben.“ Ebenda. 991 Ebenda. 992 Ebenda. 993 Ebenda. 994 Bezeichend dafür ist eine Gruppenaufnahme aus dem Dardanellen-Hauptquartier von 1915: Es zeigt eine Gruppe deutscher und türkischer Offiziere. Rechts im Vordergrund ist Jäckh in Uniform mit türkischer Kopfbedeckung und Kriegsdekorationen zu sehen. Im Bild nimmt er eine Führerpose ein, ist aber deutlich separiert von der restlichen Gruppe. Prigge, E. R.: Der Kampf um die Dardanellen. Deutsche Orientbücherei, Band 13, Weimar, 1916, S. 32. Jäckhs im Alter noch verstärkte Egozentrik illustriert die von ihm über sich selbst verfaßte, quasi hagiographische Schrift „Weltsaat“. Das Buch ist ein stellenweise wirres Eigenlob Jäckhs auf 340 Seiten. Jäckh, Ernst: Weltsaat. Stuttgart, 1960. 995 Liman von Sanders: Türkei, S. 192.
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schaftshauses, dürfte in einer Situation, in der das Osmanische Reich um seine Existenz kämpfte und in der die türkische Armee bis an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit gefordert war, fehl am Platze gewirkt haben. Insbesondere deutsche Offiziere und Beamte, die täglich mit unzureichenden Ressourcen zu kämpfen hatten, fragten sich wohl mit Recht nach dem Sinn eines luxuriös ausgestatteten Freundschaftshauses. Die Ablehnung der Jäckhschen Projekte durch eine Mehrheit der Deutschen in der Türkei dürfte ihre Ursache wohl darin haben, weniger in einer generellen Überheblichkeit und halbkolonialen Attitüde gegenüber dem Verbündeten, wie Kloosterhuis annimmt.996 Die Österreicher in Konstantinopel beobachteten die Jäckhsche Tätigkeit mit einer Mischung aus blanker Ablehnung, Verwunderung und Schadenfreude. Schon ein anonymer österreichischer Konfidentenbericht997 hob das fehlende Interesse der Türken an der Grundsteinlegung des Freundschaftshauses hervor. Es seien nur rund hundert Personen erschienen, die Presse habe sich, außer den beiden der deutschen Botschaft treuen Zeitungen „Tanin“ und „Sabah“, „wenig enthusiastisch“998 gezeigt. Mit schadenfrohem Unterton sagte der anonyme Verfasser außerdem voraus, das Freundschaftshaus werde vielleicht eines Tages fertig werden, „es dürfte aber ebenso in Vergessenheit geraten, wie es mit dem zur Erinnerung an die Besuche Kaiser Wilhelms auf dem Hippodromplatze errichteten Kaiser-Brunnen der Fall war“.999 Die Deutschen würden sich trotz des großen Aufwandes „nicht wirklich Sympathien bei den Türken erwerben“.1000 In den anonymen Konfidentenberichten, verfaßt von Informanten der Botschaft, war die Sprache gewöhnlich etwas offener, gelegentlich auch emotionaler als in offiziellen Schriftstücken. Trotzdem dürfte diese Einschätzung die Meinung der maßgeblichen Österreicher in Konstantinopel recht genau beschreiben. Der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte bescheinigte dem Jäckhschen Projekt in seinen Memoiren gar komplettes Scheitern.1001 Er beschrieb ebenfalls die Erleichterung vieler Deutscher, als Jäckh aus Konstantinopel abreiste. „Gott sei Dank, daß dieser Jäckh fort ist!“,1002 habe er oft zu hören bekommen. Das Freundschaftshaus wurde im übrigen nie fertig gestellt.
996 Kloosterhuis: Imperialisten, S. 627. 997 Die Gründung des deutsch-türkischen Freundschaftshauses, 28. April 1917. HHStA, PA, XL, Interna, Konfidentenberichte 1914–1918, 275. 998 Ebenda. 999 Ebenda. 1000 Ebenda. 1001 „Die durch den Professor Jäckh [...] bewirkte Gründung des ,deutsch-türkischen Freundschaftshauses‘, sowie die von ihm stets von neuem inszenierten gesellschaftlichen Veranstaltungen hatten gar keinen Erfolg und ermüdeten Türken wie Deutsche in gleichem Maße.“ Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 245. 1002 Ebenda.
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2.6 Endziel Aufstand: Deutsche Propaganda für den Heiligen Krieg Die Propaganda das Heiligen Krieges (ğihād) spielte im strategischen Denken der deutschen Führung eine ausgesprochen wichtige Rolle. Dabei existierte ganz offensichtlich eine stark vereinfachte, jedoch in ihrer Vereinfachung sehr logisch erscheinende Gedankenkette. Diese läßt sich wie folgt zusammenfassen: 1. Der oberste geistige Herrscher aller Muslime ist der türkische Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif. 2. Ihm schuldet jeder Muslim Gehorsam. 3. Da der Islam keine Trennung von Staat und Religion kennt, erstreckt sich dieser Gehorsam auch auf politische Aspekte. 4. Daraus ergibt sich die Pflicht aller Muslime, einem Aufruf des Kalifen zum ğihād zu folgen. 5. Dieses wird geschehen, da das Zusammengehörigkeitsgefühl der Muslime stärker ist als eventuelle nationale oder ökonomische Bindungen. Die Religion und die Einheit aller Muslime haben Primat (Panislamismus).1003 Über diese Vorstellungen brach schon während des Krieges eine Auseinandersetzung unter Islamwissenschaftlern aus. Der Holländer Snouk Hurgronje hatte in einem Aufsatz1004 die Instrumentalisierung der Religion durch die deutsche Regierung scharf angeprangert. Der deutsche Orientalist Carl Heinrich Becker antwortete mit einer Schrift,1005 in der er versuchte, diese Kritik an der deutschen Islampolitik zu entkräften.1006 Nach dem Krieg erschien politischen Denkern das Konzept des Heiligen Krieges gelegentlich als Zeichen fehlender Modernität des Kaiserreiches. Als Beispiel sei hier Ernst Jünger genannt.1007
1003 Diese Logik findet sich unter anderem bei Jäckh: Halbmond, S. 239f. und S. 245f. 1004 Hurgronje, Snouk: Holy War made in Germany. New York, 1915. 1005 Becker, Carl Heinrich: Deutschland und der Heilige Krieg. In: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 9, 1915, S. 632–662. 1006 Vgl. zur Diskussion um ğihād und Panislamismus: Schwanitz, Wolfgang G.: Djihad ,Made in Germany’: Der Streit um den Heiligen Krieg 1914–1915. In: Sozial.Geschichte. 2, 2003, S. 7–34. Heine, Peter: C. Snouck Hurgronje versus C.H. Becker. Ein Beitrag zur Geschichte der angewandten Orientalistik. In: Welt des Islam, XXIII–XXIV, 1984, S. 378–387. Hagen, Gottfried: German Heralds of Holy War: Orientalists and Applied Oriental Studies. In: Comperative Studies of South Asia, Africa and the Middle East, 24, 2004, S. 145–162. Zum Spannungsfeld von Panislam und Panturkismus in der Ideologie der Jungtürken vgl. Landau, Jacob M.: PanIslam and Pan-Turkism during the final years of the Ottoman Empire. In: Ders.: Exploring Ottoman and Turkish history. London, 2004, S. 25–29. 1007 „Von der Ideologie der Mittelmächte läßt sich jedoch sagen, daß sie weder zeitgemäß noch unzeitgemäß, noch der Zeit überlegen gewesen ist. [...] So kann dem Beobachter eine gewisse Vorliebe für die Verwendung veralteter Requisits, für einen spätromantischen Stil, im besonderen den der Wagner-Oper, nicht entgehen. Worte, wie das von der Nibelungentreue, auf den Erfolg der Ausrufung des heiligen Krieges des Islam gesetzte Erwartungen gehören hierher.“ Jünger, Ernst: Die totale Mobilmachung, Berlin, 1930. In: Jünger, Ernst: Politische Publizistik, 1919–1933. Stuttgart, 2001, S. 569.
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Vergessen wird bei der Betrachtung allerdings überwiegend1008, daß die panislamische Karte bereits auf dem Tisch lag, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Nach dem Verlust großer europäischer Landesteile mit vorwiegend christlicher Bevölkerung stellten panislamische Ideen einen bedeutenden Teil der ideologischen Grundlagen jungtürkischer Herrschaft dar. Zum einen stellten Muslime (Türken und Araber) nun die Mehrheit der Bevölkerung im Reich. Für sie mußte also ein einigendes Band gefunden werden, das am ehesten die gemeinsame Religion bilden konnte. Zum anderen waren panislamische Vorstellungen geeignet, Abwehrkämpfen gegen christliche Mächte – wie etwa in Libyen – einen ideologischen Unterbau zu geben.1009 So nutzten schon die Jungtürken panislamisches Gedankengut für politische Zwecke, obwohl das Komitee nach der sich weitgehend islamisch legitimierenden Konterrevolution von 1909 Aktivitäten des politischen Islam mißtrauisch gegenüber stand.1010 Die Spur wirksamer panislamischer Ideologie in der osmanischen Politik kann allerdings schon bis zu Abdulhamid zurückverfolgt werden. Der Sultan stilisierte sich als erster muslimischer Herrscher nach Jahrhunderten wieder aktiv als Kalif aller damals 300 Millionen Muslime, auch wenn sie außerhalb seines Herrschaftsbereiches lebten.1011 Daß dies oft übersehen wird, mag mit der geringen Beachtung zusammenhängen, die der Panislamismus Abdulhamids in der deutschen Öffentlichkeit erfahren hat. Die Presse im Kaiserreich befaßte sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts noch kaum mit dem Thema.1012 Es waren also keineswegs deutsche Propagandisten, die panislamisches Gedankengut in die Region implantierten. Vielmehr nutzten sie bereits bestehende Ansätze für ihre eigenen Zwecke aus. In diesem Zusammenhang ist Philipp H. Stoddard uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er panislamische Ideologie in seiner Studie als politisches Werkzeug beschreibt, mit dem sowohl Deutsche als auch Türken ihre eigenen Ziele zu erreichen versuchten, und die regelrecht militärpolitische Grundzüge annahm.1013 In der Tat manifestierte sich diese Ideologie in Aktionen, die nur mit dem Terminus ,,geheimdienstliche Tätigkeit“ zusammenzufassen sind. Stoddard 1008 Vgl. Schwanitz, Wolfgang G.: Max von Oppenheim und der „Heilige Krieg“. Zwei Denkschriften zur „Revolutionierung islamischer Gebiete“ 1914 und 1940. In: Sozial.Geschichte, 3, 2004, S. 37f. 1009 Vgl. zum panislamischen Element in der jungtürkischen Ideologie Ahmad: Young Turks, S. 152–155. 1010 Zürcher: Turkey, S. 135f. 1011 „The aim of Abdülhamit’s version of Pan-Islam was clear: to halt the decline of the world of Islam by blocking the imperialism of Christian Europe.“ Stoddard: Ottoman government, S. 10. 1012 Alkan, Necmettin: Die deutsche Weltpolitik und die Konkurrenz der Mächte um das osmanische Erbe. Die deutsch-osmanischen Beziehungen in der deutschen Presse 1890–1909. Münster, 2003, S. 293f. 1013 „Panislam was not quite the romantic fantasy that many writers have belittled as a product of the fertile imagination of Enver Paşa and the Germans. [...] Both Enver and the Germans frequently spoke in grand Pan-Islamic language while acting according to their specific purposes.“ Stoddard: Ottoman government, S. 12.
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identifiziert als wesentlichen Träger panislamischer Tätigkeit auf türkischer Seite den Teşkılāt-ı Mahsusa, den Geheimdienst der Jungtürken, und beschreibt vier Hauptziele panislamischer Politik während des Weltkrieges: • die Feinde des Reiches zu schädigen, indem Revolten und Aufstände in ihren muslimischen Besitzungen sie zwingen, große Kontingente von Truppen dort zu unterhalten, • die Entente davon abzuhalten, muslimische Truppen gegen das Osmanische Reich einzusetzen, • Freiwilligenverbände und Agenten zu rekrutieren, die nach Maßgabe der Deutschen und der Türken gegen die Entente antreten, sowie • muslimische Gebiete unter Entente-Kontrolle in Aufruhr zu halten.1014 Stoddard zeigte darüber hinaus in Ansätzen, daß der türkische Anteil an der panislamischen Propaganda während des Weltkrieges erheblich war – panislamische ğihādPropaganda war eben keine ausschließlich deutsche Domäne.1015 In seiner Denkschrift vom Oktober 1914 hatte Oppenheim sie allerdings als Grundvoraussetzung für die Umsturzbewegungen in den islamischen Gebieten der Gegner Deutschlands postuliert.1016 Doch auch dieser Grundgedanke war nicht neu. Die deutschen diplomatischen Vertretungen in Indien etwa beobachteten panislamische Strömungen schon seit Jahren aufmerksam und entwickelten auch Ideen für deren eventuelle Nutzbarmachung im Sinne deutscher Interessen.1017 Mit dem türkischen Aufruf zum Heiligen Krieg im November 19141018 waren die Voraussetzungen für konzentrierte panislamische Propaganda im Feindesland1019 schließlich gegeben. Doch in der praktischen Umsetzung stießen die Deutschen auf 1014 Ebenda. 1015 Ebenda, S. 31–39. 1016 „Sie muß mit dem Nimbus des Sultan Chalifa umgeben und in seinem Namen ausgeführt werden. Der Aufruf zum heiligen Kriege, zur Abschüttelung der Fremdherrschaft hat zu erfolgen, sobald die Türkei losschlägt.“ Oppenheim: Denkschrift. S. 7. 1017 „Tausende Kanäle führen von hier nach Konstantinopel und des Propheten Erbschaft in starker Hand könnte Erscheinungen zeitigen, die den Frieden des Landes bedenklich zu erschüttern vermöchten. Wer überdenkt, was den Maharatten erreichbar war, wird ahnen, über welches Gewicht die 60–70 Millionen Mohammedaner Indiens verfügen.“ Deutscher Generalkonsul in Kalkutta an Reichskanzler, 16. Januar 1913. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. Mit „Maharatten“ bezieht sich der Schreiber auf das Marāhā-Reich in Indien, das der britischen Eroberung noch im 19. Jahrhundert energischen Widerstand entgegensetzte. Ähnliche Töne werden auch angeschlagen in: Deutscher Generalkonsul in Kalkutta an Reichskanzler, 12. März 1913. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1018 Das semioffizielle deutsche Wolffs Telegrafen Büro verbreitete die Nachricht am 21. November 1914. Wolffs Telegrafen Büro, Kriegs Depeschen. Berlin, 1914–1918, S. 221. 1019 Auch an den europäischen Fronten des Krieges versuchten die Deutschen, mit Hilfe panislamischen Gedankengutes auf die muslimischen Truppen ihrer Gegner einzuwirken. Dieses Kapitel der deutschen Propaganda erwartet noch eine gründliche Aufarbeitung. Vgl. Schabinger: Mosaiksplitter, S. 111–115.
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Hindernisse. Es waren dies Hindernisse, die schon Oppenheim in seiner Denkschrift anklingen lassen hatte, die ihm also sehr wohl bewußt gewesen waren. Zum einen war da ein Widerspruch grundsätzlicher Natur: Wie kann ein islamisches Land als Verbündeter christlicher Nationen zum Heiligen Krieg gegen andere christliche Nationen aufrufen? Für Oppenheim war das mit einer entsprechenden Formulierung in den Aufrufen zum Heiligen Krieg zu lösen: „Gleich hier aber sei bemerkt, daß dieser Aufruf nicht gegen die Kafir (die Ungläubigen) im allgemeinen, sondern gegen die betreffenden Fremdherren zu richten ist, um nicht andere Nationalitäten darunter leiden zu lassen und insbesondere in Indien einer Spannung zwischen Hindus und Muhammedanern vorzubeugen.“1020 Genau so geschah es auch.1021 Der Freiherr unterschätzte allerdings das Problem. Oftmals nämlich machten aufgehetzte islamische Propagandisten eben keine Unterschiede zwischen deutschen und österreichischen respektive britischen und französischen Christen.1022 Nur einen Monat später verhinderte das Auswärtige Amt sogar eine Publikation der Deutsch-Türkischen Vereinigung, in der das Christentum angeblich gegenüber dem Islam zurückgesetzt wurde: „Zu behaupten, daß gerade in Fragen des religiösen Lebens [...] wir ,christlichen‘ Deutschen von unseren mohammedanischen Waffenbrüdern [...] nur lernen könnten, ist eine starke Entgleisung. Eine solche Propaganda schadet nach allen Seiten. Sie stösst nicht nur überzeugt religiöse Kreise Deutschlands vor den Kopf, sondern auch solche, die ganz unabhängig von christlichen Erwägungen, doch ihre Würde als Glieder eines an erster Stelle stehenden Kulturvolkes gewahrt wissen wollen. Andererseits müssen fanatische Muslime in ihrem Glauben bestärkt werden, dass sie uns auch in der Kultur [...] überlegen sind“,
heißt es dazu in einer anonymen Aktennotiz.1023 Es gab eben auch bei der Propaganda Grenzen, wenn nämlich das eigene Ansehen und Prestige beschädigt wurden. Ein weiterer Widerspruch der deutschen panislamischen Propaganda offenbarte sich in einem wahren PR-Desaster, das die Deutschen im ersten Drittel des Jahres 1916 erlebten. In der Times vom 8. April 1916 erschien unter der Überschrift „Anti-Moslem Germany. Measures to stop the spread of Islam“ ein Artikel, der den Inhalt eines zweieinhalb Jahre zuvor verfaßten Zirkulars des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, Heinrich Albert Schnee, wiedergab. Dieses war den Briten bei der Eroberung der deutschen Kolonie in die Hände gefallen. Der Inhalt war für die 1020 Oppenheim: Denkschrift, S. 7. 1021 Zu Inhalten und Interpretationen der türkischen Aufrufe zum Heiligen Krieg vergleiche Stoddard: Ottoman government, S. 25–31. 1022 Vgl. eine anonyme Aktennotiz vom 24. November 1915, in der das Problem ausgesprochen bitter angesprochen wird. PAAA, Aktennotiz, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1023 Anonyme Aktennotiz für den Legationssekretär v. Wesendonk, 14. Dezember 1915, PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549.
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Deutschen, die sich zu diesem Zeitpunkt verzweifelt bemühten, sich als Freunde des Islam zu positionieren, mehr als peinlich. In Schnees Runderlaß vom 13. Oktober 1913 ging es nämlich um die Eindämmung islamischer Propaganda in der Kolonie, unter anderem durch restriktive Gesetze für die islamische Betätigung einheimischer Regierungsangestellter und die Förderung der Schweinezucht: „Runderlaß an alle Bezirksämter und alle Militärstationen, sowie die Residentur Urundi, Nr. 24910/II.B. Daressalam, 13. X. 13. Die Dienststellen ersuche ich ergebenst um Bericht innerhalb 3 Monaten, welche Mittel dort möglich erscheinen, um der islamitischen Propaganda durch Regierungsangestellte und eingeborene Lehrer der Regierungsschulen wirksam entgegenzuwirken. Erscheint eine Bestimmung durchführbar, durch die den genannten Personen die islamitische Propaganda ganz untersagt wird? Eventuell käme auch eine Vorschrift in Betracht, durch die es den Lehrern verboten wird, nebenamtlich die Beschneidung, das Amt des Vorbeters in der Moschee usw. auszuüben. Es wird auch zu prüfen sein, ob ein solches Verbot für sonstige farbige Regierungsangestellte durchführbar sein würde. Als wirksames Mittel gegen die Verbreitung des Islam wird von Sachkennern ferner die Förderung der Schweinezucht durch Eingeborene empfohlen. Auch zu diesem Vorschlage bitte ich Stellung zu nehmen. Der Kaiserliche Gouverneur gez. Schnee“1024
Die Deutschen befanden sich jetzt in einer doppelten Klemme. Zum einen nutzten die britischen Stellen das Dokument sofort und intensiv zu antideutscher Propaganda. Dadurch wiederum befürchtete das Auswärtige Amt Verwicklungen mit dem Verbündeten Türkei. Vor der Veröffentlichung des Dokumentes hatten die Briten1025 es darüber hinaus bearbeitet, um der ganzen Affäre noch mehr Schärfe und Brisanz zu geben. Sie fügten zu diesem Zweck in der zur Veröffentlichung bestimmten gekürzten Übersetzung des Runderlasses den Satz ein „Do you consider it possible to make a regulation prohibiting the spread of Islam altogether?“1026 Sämtliche nachgewiesenen Veröffentlichungen der Reuters-Meldung enthielten diesen Satz, der nichts weniger als eine Verfälschung darstellte. In Großbritannien selbst brachten verschiedene Zeitungen die Meldung in dieser Form.1027 Darüber hinaus fand sie auch Verbreitung in anderen europäischen Ländern.1028 Doch damit nicht genug – 1024 Unterstreichungen im Original. Zitiert nach Reichskolonialamt an Auswärtiges Amt, 11. April 1916. PAAA, Orientalia generale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1025 Die Meldung wurde vom Kriegsministerium in London an die Agentur Reuters gegeben. Vgl. den Text der Reutersmeldung in: Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes an Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Staatssekretär des Reichs-Kolonial-Amtes, Kriegsminister und Chef des Admiralstabes, 17. April 1916. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1026 Ebenda. 1027 Times, Financial News, vgl. verschiedene Ausschnitte in PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1028 Zum Beispiel in der italienischen Presse. Vgl. Deutscher Gesandter in der Schweiz an Auswärtiges Amt, 22. April 1916 und eine undatierte Aktennotiz. Beides in PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549.
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die Briten verbreiteten das Schnee-Papier auch in ihrer muslimischen Einflußsphäre, um die deutsche Glaubwürdigkeit als Freund des Islam zu erschüttern. Am 22. April meldete die Londoner Zeitung „The African World“, daß der Inhalt der Schnee-Dokumente an die ägyptischen Behörden telegrafiert worden sei „in order that the widest publicity might be given to them in Egypt and the Sudan“.1029 Genau das taten die Briten auch mit außergewöhnlichem Aufwand. Im Mai warfen englische Flugzeuge über mehreren Küstenstädten in Palästina Flugblätter ab, die ausschließlich die Schnee-Papiere zum Thema hatten.1030 Ebenfalls im Mai erschien ein Artikel in der ägyptischen Zeitung „Al-Ahram“, der nicht nur die Schnee-Affäre dokumentierte, sondern auch zu Protesten gegen Deutschland und die Türkei aufrief und gleichzeitig die britische Regierung als wahren Beschützer der Muslime pries.1031 Während das Auswärtige Amt keine Anstrengungen unternahm, die britischen PropagandaBemühungen abzuwehren, wurde für den Gebrauch des deutschen Botschafters in der Türkei eine umfangreiche Argumentationshilfe durch das Reichskolonialamt zusammengestellt.1032 In dem mehrseitigen Elaborat wurde vor allem auf die britischen Fälschungen verwiesen und argumentiert, daß es sich bei dem Schnee-Papier nur um eine Anfrage an seine Beamten gehandelt habe, quasi um eine Art Ideensammlung. Im Anschreiben machte der Autor der Handreichung allerdings keinen Hehl daraus, daß seine Argumentation stark zu wünschen übrig ließ.1033 Sein Fazit: „Graf Metternich muß versuchen, falls es zu einer Aussprache über die Angelegenheit mit den Türken kommt, aus der Sache zu machen, was möglich ist.“1034 In diesem Fall hatten die Deutschen Glück: Die Türken beachteten die Schnee-Affäre nicht weiter. Im Osmanischen Reich vernachlässigte die deutsche Auffassung von panislamischer Propaganda darüber hinaus ein bedeutendes innenpolitisches Problem: den Gegensatz zwischen türkischen und arabischen Bürgern. Dieser Konflikt zweier Völ1029 Abschrift eines Artikels der African World. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14551. 1030 Deutscher Konsul in Jerusalem an Reichskanzler, 3. Juni 1916. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1031 „Ich schlage vor, dass Moslime, die ihre Religion schützen wollen, durch öffentliche Kundgebung ihre Entrüstung über die Deutschen Ausdruck geben sollen. Dann müssen sie der englischen Regierung für ihre Wohlgesinnung ihren Dank aussprechen und Kundgebungen für den jetzigen Sultan [...] veranstalten. Sodann sollen sie vor dem amerikanischen Konsulat gegen die türkische Regierung protestieren, weil sie auf der Seite eines Staates kämpft, der die Vernichtung des Islam beabsichtigt.“ Übersetzung eines Artikels aus der Zeitung „Al-Ahram“, PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1032 Reichskolonialamt an Auswärtiges Amt, 11. April 1916. PAAA, Orientalia genarale, 9, Der Muhammedanismus, R 14549. 1033 „Sie müssen bedenken, [...] daß die Reutermeldung mehr oder weniger richtig ist und daß tatsächlich der Versuch vorliegt, den Islam gegenüber den Bestrebungen der christlichen Mission etwas in den Hintergrund zu drängen. Ich habe versucht ,to make the best of it‘. Mir scheinen die Argumente auch plausibel zu sein bis auf den Passus, der von der Schweinezucht [...] handelt. Dieser Punkt ist mehr oder weniger rettungslos verloren.“ Ebenda 1034 Ebenda.
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ker wurde zwar von den deutschen Stellen erkannt, gleichzeitig aber unterschätzt. Die Bindungskräfte der Religion beurteilten die deutschen, panislamischen Propagandisten des Heiligen Krieges als deutlich stärker als nationale Differenzen zwischen Türken und Arabern.1035 Ein drittes Problem für die Umsetzung der panislamischen Propaganda war ein technisches. Die islamischen Gebiete der Gegner Deutschlands – Indien, der Persische Golf, Nordafrika, der Kaukasus und Zentralasien – waren ganz einfach schlecht erreichbar. Die Entfernungen waren riesig, die Verbindungen unzuverlässig. Auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches funktionierte zwar das Telegraphenwesen weitgehend zuverlässig, so daß etwa die Konsulate ständig Fühlung nach Konstantinopel halten konnten, die Schwierigkeiten beim Transport des militärischen Nachschubs, von Lebensmitteln oder Propagandamaterial waren jedoch enorm. Die Bahnlinien waren nicht leistungsfähig genug, der Taurus-Übergang war nur auf der Straße möglich, die Wege waren marode und die Küstenschiffahrt ständig von britischen und französischen Einheiten bedroht.1036 Während die Deutschen mit den logistischen Problemen zu Lande leben mußten, versprach damals moderne Technik, die Funktechnik, bei der Nachrichtenübermittlung substantielle Verbesserungen. Das Problem der schlechten Verbindungen etwa nach Persien hatte Oppenheim schon in seiner Revolutionierungs-Denkschrift angeschnitten.1037 Lösungsvorschläge enthielt schließlich eine weitere Denkschrift vom 15. Dezember 1914.1038 Für den Propagandisten Oppenheim war es inakzeptabel, daß Telegramme nach Teheran fünf bis sechs Tage dauerten, und andere persische Städte und die afghanische Hauptstadt Kabul gar nicht erreichbar waren.1039 Um dem abzuhelfen, konzipierte Oppenheim ein technisches Nachrichtensystem, das Telegraphie und Funkstationen kombinieren sollte.1040 Bei Konstantinopel (Osmanie) existierte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Großfunkstation, die mit der zentralen Funkstation in Deutschland (Nauen) in Verbindung stand. Über diesen Weg hielten Botschaft und Militärmission die Verbindung 1035 Vgl. zur deutschen Sicht der Araber im Osmanischen Reich McKale, Donald: Germany and the Arab question in the First World War. Middle Eastern Studies, 29/2, London, 1993, S. 236– 253. 1036 Diese logistischen Probleme sind ein Hauptthema vieler deutscher und österreichischer Erinnerungen an den Krieg im Orient. Vgl. dazu etwa Pomiankowski: Zusammenbruch. S. 282, 285, 290. Liman von Sanders: Türkei. S. 164, 223f. Falkenhayn: Heeresleitung, S. 43f. Niedermayer: Glutsonne, S. 19–21. Wiegand, Gerhard (Hrsg.): Halbmond im letzten Viertel. Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand 1895–1918, München, 1970, S. 170–178. und besonders Euringer, Richard: Vortrupp Pascha. Hamburg, 1937, S. 81–177. Mühlmann: Waffenbündnis, S. 34. 1037 Oppenheim: Revolutionierung. S. 11 1038 Oppenheim, Max Freiherr von: Errichtung von Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei. BA, R 901/80746. 1039 Ebenda, S. 1. 1040 Für das folgende ebenda, S. 2–5.
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zu den Zentralstellen in Deutschland. Die Station am Bosporus sollte nun als Relaisstation für die noch zu schaffenden Regionalstationen dienen. Dort sollten Nachrichten aus Deutschland vermittelt und für die Weiterleitung ins Reich empfangen werden. In der Fläche wollte Oppenheim schließlich ein System von kleineren Regionalstationen aufbauen,1041 die untereinander per Telegraph kommunizieren sollten. Deutsches Militär sah Oppenheim zur Betreuung der Stationen vor, außer in Mekka und Medina. Dorthin wollte er aus religiösen Gründen Türken schicken.1042 Die Kosten bezifferte Oppenheim schließlich auf 1,185 Millionen Mark.1043 Schon zwei Tage später befürwortete Unterstaatssekretär Zimmermann Oppenheims Vorschläge und wies die Botschaft in Konstantinopel an, Pläne zu ihrer Umsetzung zu entwickeln.1044 Daraus resultierte im Februar 1915 eine Denkschrift des Leiters der Großfunkstation Osmanie bei Konstantinopel, Schlee.1045 Er führte vor allem technische Schwierigkeiten auf, wies aber auch darauf hin, daß der Aufbau der Stationen eine längere Zeit in Anspruch nehmen werde und schlug statt fest installierter größerer Stationen den Einsatz tragbarer Funkeinrichtungen vor. Entstanden ist letztlich eine Mischform aus festen und mobilen Stationen. Fest installierte Funkstationen errichteten die Deutschen in Bagdad,1046 Damaskus, Jerusalem und Beirut.1047 Darüber hinaus wurde die Verbindung weiter nach Osten durch tragbare Anlagen aufrecht erhalten. Die festen Stationen dienten als Relaisstationen für die Nachrichtenübermittlung nach und von Konstantinopel sowie Berlin. Mindestens fünf tragbare Stationen gelangten mit der ersten Ägypten-Expedition an die SuezFront,1048 in Persien gab es eine mobile Station in Yesd1049 und in Kermānšāh.1050 Zu Anfang des Jahres 1917 berichtete der Geschäftsträger in Persien, Rudolf Nadolny, nochmals über eine Mischform der Nachrichtenübermittlung aus Afghanistan und
1041 Türkei: Erzerum, Van, Bagdad, Damaskus, Ma‘ān, Mekka, Medina; Afghanistan: Kabul, Qandahār, Herāt; Persien: Teheran, Isfahan, Schiras, Bīrğand, Täbriz, Solt.ānābād, ebenda, S. 5 1042 Ebenda, S. 7. 1043 Ebenda, S. 10. 1044 Zimmermann an Botschaft Konstantinopel, 24. Dezember 1914. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1045 Denkschrift, 12. Februar 1915. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1046 Niedermayer an Auswärtiges Amt, 4. März 1915. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1047 Deutsche Botschaft an Auswärtiges Amt, 9. März 1915. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1048 Denkschrift, 12. Februar 1915. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1049 Zimmermann an Kriegsministerium, 6. April 1916. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1050 Nadolny an Auswärtiges Amt, 25. November 1916. BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774.
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Persien.1051 Aus der Tiefe des Raumes wurde zuerst über Funk mit Bagdad Verbindung aufgenommen, von dort aus wurde dann nach Konstantinopel gedrahtet. Dieses System scheint sich während des Krieges bewährt zu haben, auch wenn Oppenheims sehr viel weitergehende Ideen nicht umgesetzt wurden. Über die Grundzüge der politischen und militärischen Entwicklung waren die deutschen Emissäre jenseits der osmanischen Grenzen jedenfalls immer informiert. In diesen Regionen übernahmen die Konsulate in den Grenzgebieten des Osmanischen Reiches in der Zeit zwischen Ende 1914 und Mitte 1915 die Vorreiterrolle bei der Verbreitung panislamischen Materials. Die bereits oben erwähnten Berichte der fünf Konsulate an den Botschafter1052 über ihre Propagandatätigkeit erhellen auch ihre Tätigkeit im nichtosmanischen Ausland. Im wesentlichen beschränkte sich diese auf die Verbreitung von Druckschriften, die aus Konstantinopel und Deutschland geliefert wurden. Es steht zu vermuten, daß es sich um das gleiche Material handelte, das auch zur Inlandspropaganda in den arabischen Gebieten des Osmanischen Reiches verwandt wurde. Die meisten Konsulate konzentrierten sich auf Ägypten. Der deutsche Konsul in Beirut etwa verschickte Druckschriften an Deckadressen in Ägypten. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen der Türkei und England mußte er dies allerdings einstellen.1053 Ähnlich erging es dem Konsul in Aleppo, der bis zum Kriegszustand die deutschen Kriegstelegramme nach Ägypten weitergeleitet hatte.1054 Der Konsul in Jaffa scheint hingegen, wohl ob der Grenzlage seines Konsularbezirkes, besseren Erfolg gehabt zu haben. Neben der Versendung von Flugblättern schafften laut seines Berichtes Emissäre zweimal Propagandamaterial nach Ägypten. Er berichtete auch über türkische Versuche, Drucksachen nach Ägypten zu bringen: „Die türkische Regierung schmuggelte Flugblätter in Brot eingebacken und in den Schuhen von Reisenden eingenäht nach Aegypten ein. Nachdem auch dies Verfahren von den englischen Behörden entdeckt worden war, erklärte mir ein von Norden her durchkommender Vertrauensmann, dass er sich dadurch helfen wolle, dass er das von ihm zu verteilende Flugblatt bei der Landung in seinem After versteckt halten würde.“1055
1051 Nadolny an Auswärtiges Amt, 1. Januar 1917, BA, Telefunkenstationen in Persien, Afghanistan und der asiatischen Türkei, R 901/80774. 1052 Wangenheim an Reichskanzler, 3. Februar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1053 Deutscher Konsul in Beirut an Wangenheim, 9. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1054 Deutscher Konsul in Aleppo, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1055 Deutscher Konsul Jaffa an deutschen Generalkonsul in Jerusalem, 11. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128.
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Das Konsulat in Trapezunt versuchte, in den russischen Kaukasus und nach Persien hinein zu wirken. Der Konsul verschickte dazu vor allem die lokale türkische Zeitung, die „auch dort gelesen wird“.1056 Der deutsche Generalkonsul in Jerusalem sah sich hingegen außerstande „über die Landesgrenzen hinaus zu wirken“.1057 Sein Kollege in Damaskus erwähnte erst gar keine Versuche, nicht-osmanische Muslime zu beeinflussen.1058 Von Bagdad aus versuchte der Konsul dagegen „durch Vermittlung [...] der Firma Robert Woenkhaus & Co. eine weitgehende Verbreitung der uns guenstigen Nachrichten in den Kuestenlaendern des Persischen Golfes, Suedarabien und Suedpersien“1059 zu erreichen. Die Verbindung mit Indien scheiterte allerdings an „der strengen Handhabung der postalischen Zensur durch die Englaender“.1060 All diese Bemühungen jedoch erschienen den Propagandastrategen in Berlin nicht ausreichend. In seiner Revolutionierungsdenkschrift kritisierte Oppenheim die mangelnde Wirksamkeit der grenzüberschreitenden panislamischen Propaganda.1061 Auf seiner Reise in den Orient im zweiten Drittel des Jahres 1915 wollte sich der Freiherr des Problems schließlich selbst annehmen. In den von ihm verfaßten „Aufgaben der Mission des kaiserlichen Ministerresidenten Freiherrn von Oppenheim“1062 liest sich das so: „Versuch dauernder Kommunikation mit Egypten, dem Sudan, Abessynien, den anderen afrikanischen Gebieten unserer Feinde, sowie Persien, Afghanistan, Indien und Kaukasien“.1063 Von Erfolg gekrönt war dieser Versuch nicht. Für die Dauer des Krieges gelang es Deutschland nicht, eine „dauernde Kommunikation“ mit diesen Gebieten herzustellen. Letztlich fand panislamische Propaganda immer nur dort statt, wo sich eine deutsche Revolutionierungsmission aufhielt oder wo mit Glück Propagandamaterial auftauchte. Eine konsequente, dauernde, planmäßige und intensive Penetrierung der öffentlichen Meinung im deutschen Sinne war so unmöglich. Zur Illustration sei das Beispiel der persischen Zeitschrift „Kweh“ angeführt. Die mit großem finanziellem Aufwand in Berlin von der NfO und einem exilperischen Komitee produzierte Zeitschrift hatte nach Ghahari in Konstantino1056 Deutscher Konsul Trapezunt an Wangenheim, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1057 Deutscher Generalkonsul in Jerusalem an Wangenheim, 20. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1058 Deutscher Konsul Damaskus an deutschen Generalkonsul in Jerusalem, 21. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1059 Deutscher Konsul Bagdad an Wangenheim, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 1060 Ebenda. 1061 Oppenheim: Denkschrift, S 11. PAAA, R 20938. 1062 Aufgaben der Mission des kaiserlichen Ministerresidenten Freiherrn von Oppenheim, 12. März 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 1063 Ebenda.
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pel grade einmal 112 Leser. Ein Versand nach Persien hinein fand so gut wie nicht statt.1064
2.7 An der Grenze zur Panik: Britische Propaganda-Abwehr Schon bevor sich Großbritannien im Krieg mit der Türkei befand, bekamen seine Vertreter am Bosporus das Wirken der deutschen Propagandamaschine zu spüren. Die Reaktion war zu diesem Zeitpunkt Überraschung über die Intensität und auch die Wirksamkeit der deutschen Bemühungen. Einen ersten Eindruck über die Wucht der Propaganda bekam London durch einen Bericht des britischen Konsuls in Dschidda.1065 Dieser berichtete über „a very strong pro-German feeling among the Arabs and the Turks“.1066 Nachrichten über deutsche Siege würden täglich intensiv verbreitet. Er versuche, die eigenen Meldungen so schnell als möglich an den Mann zu bringen. Zugriff auf die einheimische Presse habe er nicht erlangen können. Der Eigentümer der lokalen Zeitung habe die Veröffentlichung von Nachrichten aus britischer Quelle abgelehnt, „partly because he is inhebed with a pro-German feeling and partly through fear of local authorities“.1067 Zumindest in Dschidda waren die Briten zu diesem Zeitpunkt eindeutig in der propagandistischen Defensive. Aber nicht nur dort. Am 15. Oktober berichtete der britische Botschafter Sir Louis Mallat an Sir Edward Grey über intensive Propaganda Deutschlands auch in der Hauptstadt Konstantinopel.1068 In den darauffolgenden Nachrichten an das Foreign Office beschäftigte sich der Botschafter dann zunehmend auch mit dem Inhalt der deutschen Verlautbarungen – ein Zeichen, daß es mit dem einfachen Ignorieren nicht mehr getan war. Am 24. Oktober hob Mallat vor allem Berichte über die Zustände in Ägypten und die britische Herrschaft dort hervor. Die britische Unterdrückung sei ein dauerndes Thema.1069 Am gleichen Tag widmete Mallat ein weiteres langes Telegramm nach London dem Thema „deutsche Propaganda“.1070 Die von Deutschland inspirierten Schilderungen über Unzufriedenheit in Ägypten und Indien würden geglaubt. Aus diesem Grund sollten die ägyptische und die indische Regierung endlich verstärkt diesen Behauptungen entgegentreten. Mallat machte die Dringlichkeit deutlich: ,,These things cannot be repeated too often and I should like some more 1064 Ghahari, Keivandokht: Nationalismus und Modernismus in Iran in der Periode zwischen dem Zerfall der Qağaren-Dynastie und der Machtfestigung Reza Schahs. In: Islamkundliche Untersuchungen, 235, Berlin, 2001, S. 54. 1065 Britischer Konsul Jiddah an Mallat, 12. September 1914. NA, FO 371/2140. 1066 Ebenda. 1067 Ebenda. 1068 ,,A daily stream of calumny and mendacity pours from German Embassy, and is circulated throughout the country, with the object of inoculating belief that Great Britain ist the enemy of Islam.“ Sir Louis Mallat an Sir Edward Grey, 15. Oktober 1914. NA, FO 371/2143. 1069 Sir Louis Mallat an Sir Edward Grey, 23. Oktober 1914. NA, FO 371/2139. 1070 Sir Louis Mallat an Sir Edward Grey, 23. Oktober 1914, 10 Uhr Vormittags. NA, FO 371/2139.
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power.“1071 Das ideale Mittel seien kurze und leicht verständliche Verlautbarungen, die Großbritanniens feste Position in Indien und Ägypten, die schlechte finanzielle Situation Deutschlands, seine weltweite Isolation und im Gegensatz dazu Großbritanniens Handelsmacht zum Inhalt haben sollten.1072 In London allerdings wurde diese Sicht keineswegs geteilt. Dort betrachtete man zu diesem Zeitpunkt die deutsche Propaganda bestenfalls als unfairen Tritt vor das britische Schienbein, den man vernachlässigen konnte; als Ausdruck deutscher Wut, die sich aus der für die Deutschen unerwarteten Parteinahme des Empires für Rußland und Frankreich zu Kriegsbeginn erklärte. Der Bearbeiter im Foreign Office, Sir Lancelot Oliphant, notierte so auf dem Mallat-Bericht fast schon beleidigt: „Russia is not regarded with such deadly hatered.“1073 Das Foreign Office unternahm zu diesem Zeitpunkt noch keine Schritte, der deutschen Propaganda entgegenzutreten. Ein weiterer Bericht des britischen Konsuls in Adrianopel bestätigte die deutschen Erfolge. Auch er trug aber nicht dazu bei, dem Propagandaproblem im Foreign Office eine höhere Priorität zukommen zu lassen.1074 Der Inhalt hätte allerdings alarmierend genug sein müssen: Die Bevölkerung beziehe ihre Informationen ausschließlich aus deutschen Quellen, hieß es darin. An der Filiale der Deutschen Orientbank und am österreichisch-ungarischen Konsulat seien Nachrichten und Fotos ausgehängt, die Deutschen würden darüber hinaus Multiplikatoren, wie etwa wohlhabende Kaufleute, direkt ansprechen und zu gewinnen suchen.1075 Im Moment des Eintritts der Türkei in den Krieg war die Inlandspropaganda der Deutschen im Osmanischen Reich für die Briten vorerst von geringer Bedeutung. In der Tat versuchten die Briten während des Krieges zu keinem Zeitpunkt, eine antijungtürkische Propaganda unter der türkischsprachigen Bevölkerung des Osmanischen Reiches, etwa durch das Einschmuggeln von Flugschriften, zu entfachen. Ihre Bemühungen galten später ausschließlich der Gewinnung der Arabern. Vorerst aber mußte ihre Sorge nun zu allererst panislamischen Bestrebungen in den von ihnen kontrollierten islamischen Gebieten, ganz besonders Ägypten, gelten.1076 Erste Ideen, wie Großbritannien den Kampf um die Herzen und Köpfe der Muslime gewinnen könnte, enthielt ein Memorandum Lord Cromers1077 vom 16. Oktober
1071 1072 1073 1074 1075 1076
Ebenda. Ebenda. Ebenda. Britischer Konsul in Adrianopel an Sir Edward Grey, 13. November 1914. NA, FO 371/2146. Ebenda. Siehe zu den administrativen Maßnahmen zur Ausschaltung der dortigen deutschen Propaganda S. 72–74. 1077 Cromer, Evelyn Baring; bis 1883 Sir Evelyn Baring (1841–1917). 24 Jahre lang britischer Vertreter in Ägypten. British Agent und Consul General von 1883–1907. Arbeitete konsequent im Sinne einer permanenten Okkupation Ägyptens durch Großbritannien. 1916 Präsident der „Dardanelles Commission“ zur Untersuchung des militärischen Fehlschlages an den Dardanellen.
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1914.1078 Cromer hielt eine Proklamation an die Muslime der Welt nach Kriegsausbruch für die wichtigste zu treffende Maßnahme. Darin wiederum sah er als zentralen Punkt die Zusicherung, daß die heiligen Stätten in Mekka und Medina nicht unter christliche Herrschaft fallen sollten, sondern in muslimischer Hand bleiben würden. In der Tat hielt sich die britische Politik an diesen Grundsatz. Cromer sah außerdem die Notwendigkeit, sich der Unterstützung pro-britischer Muslim-Führer, wie etwa des Agha Khans, zu versichern. Allerdings schätzte auch er den Nimbus des türkischen Sultans als Träger des Kalifen-Titels mindestens genauso hoch ein, wie die Deutschen auf der anderen Seite, die ja genau diesen Nimbus zu einem Kern ihrer Propaganda gemacht hatten.1079 Trotzdem gelang es den Briten nach Ausbruch des Krieges mit der Türkei vor allem in Indien, eine ganze Reihe muslimischer Notabler zu öffentlichen Sympathiekundgebungen für die britische Krone zu bewegen. Im November 1915 meldete die indische Regierung sechs solcher Unterstützungsadressen nach London.1080 Die Annahme dürfte nicht fehlgehen, daß diese Telegramme auf mehr oder weniger starken Druck der britischen Kolonialmacht zurückzuführen waren. Die aufgeführten muslimischen Fürsten hingen schließlich auf Gedeih und Verderb von dieser ab. Die Unterstützungsadressen wurden durch die Regierung der Presse zugeleitet.1081 Ende Dezember 1914 und im Januar 1915, also kurz nach dem türkischen Aufruf zum Heiligen Krieg, trat die britische Propagandaabwehr schließlich verstärkt in Aktion. Über ihren Botschafter in Rom erhielt die britische Regierung im Dezember 1914 aus einer amerikanischen Quelle eine Liste türkischer Emissäre, die den Aufruf zum Heiligen Krieg in Ägypten, Tunesien, Algerien, Marokko, Indien und Afghanistan verbreiten sollten.1082 Leider ist nicht zu klären, ob diese Informationen dazu beitrugen, daß die Türken ihre Missionen möglicherweise nicht ausführen konnten.1083 Auf jeden Fall wurde die Liste aber sowohl an die Regierungen in Ägypten und Indien als auch an den französischen Verbündeten weitergeleitet. Sie ging auch den Mitgliedern des Committees of National Defence zu. Dieser Verteiler unterstreicht, wie wichtig in London inzwischen nun doch die panislamische Propaganda der Gegner genommen wurde. 1078 Memorandum by Lord Cromer respecting the steps to be taken in event of war with Turkey, 16. Oktober 1914. NA, CAB 37/121/124. 1079 „I doubt whether any Moslem would have the courage publicly to challange the right of the Sultan to be Khalif.“ Ebenda, S. 2. 1080 Nizam of Hyderabad, Begum of Bhopal, Nawab of Jaora, Nawab of Tonk, Nawab of Banganapalle, Nawab of Maer Kotla. Government of India, Foreign and Political Depertament an Austen Chamberlain, Secretary of State for India, 16. July 1915. NA, FO 371/2490. Umschriften wie in der Quelle. 1081 Ebenda. 1082 Britischer Botschafter in Rom an Sir Edward Grey, 4. Dezember 1914. NA, FO 371/2140. 1083 Diese Emissäre wurden von der türkischen Regierung geführt, entsprechende Aufklärung kann nur die Auswertung osmanischer Quellen bringen, die – wie einleitend dargelegt – nur schwer zugänglich sind. Den Rahmen dieser Arbeit würde das sprengen.
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Die Bedrohung durch die türkisch-deutsche Propaganda ließ darüber hinaus zu diesem Zeitpunkt in London und Paris eine Abstimmung unter den beiden Verbündeten notwendig erscheinen. Schließlich waren islamische Einflußgebiete beider Mächte Ziele der panislamischen Bemühungen der Mittelmächte. Ein diesbezügliches zweitägiges Treffen fand Ende Dezember 1914 in Paris statt. Beteiligt waren hochrangige Vertreter der jeweiligen Außen- und Kriegsministerien. Zu Beginn des Treffens war auch der französische Außenminister Théophile Delcassé kurzzeitig anwesend.1084 Den Vorsitz der britischen Delegation hatte der Hohe Kommissar von Ägypten, Sir Henry MacMahon. Die Abwehr des von der Türkei verkündeten Heiligen Krieges bezeichnete der französische Außenminister laut britischem Protokoll als „great and common interest“1085 beider Nationen. MacMahon legte die Ansichten der britischen Seite dar: Entscheidend für das zukünftige Verhalten der Muslime sei letztlich die Kriegslage in Europa. Wenn die Entente Rückschläge erleiden sollte oder keine entscheidenden Siege über die Mittelmächte erringe, dann könnten antibritische und antifranzösische panislamische Bewegungen durchaus zur Gefahr werden. Um dies bereits im Ansatz zu verhindern, seien geeignete Maßnahmen erforderlich.1086 Die Briten schlugen ihren Gastgebern daraufhin eine dreistufige Vorgehensweise vor, die diese auch vorbehaltlos akzeptierten: • Prominente muslimische Notable sollten, inspiriert durch französische und britische Behörden, den Heiligen Krieg der Türkei öffentlich verurteilen und aktiv daran arbeiten, „to influence their co-religionists’ views“.1087 Die britische Seite führte als Beispiel die Proklamation des Agha Khan an. • Agenten unter den ‘ulamā‘ und an muslimischen Universitäten sollten die Studenten im Sinne der Entente beeinflussen. Entsprechende Vertrauensleute seien an der Kairoer Al-Azhar-Universität bereits im Einsatz. • Ein allgemeines Wohlverhalten gegenüber dem Islam, um der panislamischen Agitation keine Munition zu liefern. Vor diesem Hintergrund sollte es insbesondere keine offizielle Stellungnahme Großbritanniens und Frankreichs zur Frage des Kalifates und zur Rolle des osmanischen Sultans als Kalifen geben.1088 Der folgende Tag des Treffens stand dann vor allem im Zeichen der Presse und der Entwicklung einer gemeinsamen Argumentationslinie gegen panislamische Propaganda. Vereinbart wurde der Austausch von Propagandaartikeln, die sowohl in Blättern in Französisch-Nordfrika als auch Ägypten erscheinen sollten. Inhaltlich 1084 Resumé of conversations held on December 30th and 31st, 1914, at the French Ministry for Foreign Affairs, between Monsieur Gout, assisted by Colonel Hamolin and Monsieur Peretti, and Sir Henry MacMahon, assisted by Mr. Fitzmaurice and Mr. Loraine. NA, FO 371/2480. 1085 Ebenda. 1086 Ebenda. 1087 Ebenda. 1088 ,,In short, we should carefully abstain from any action which might be interpreted by Moslems as undue intervention in matters affacting their religion.“ Ebenda.
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sollte vor allem die Schuld der Jungtürken am Krieg und ihr Bündnis mit nichtmuslimischen Staaten thematisiert werden, um damit die türkische Propaganda zu desavouieren.1089 Es ging aber auch darum, nationalen Bewegungen in den eigenen muslimischen Gebieten dadurch die Basis zu entziehen, daß Sympathien für die Jungtürken untergraben wurden.1090 Im Londoner Foreign Office war man über den Abschluß mit Frankreich mehr als glücklich. Sir Lancelot Oliphant etwa hob in seinen Randnotizen vor allem die gemeinsame Pressearbeit und die Vereinbarung hervor, daß sich die beiden Mächte einer Einmischung in muslimische Belange enthalten wollten.1091 Im folgenden Jahr 1915 erschien die britische Propagandaabwehr aber vorerst seltsam zurückhaltend. Eine Struktur oder eine spezielle Organisation, in deren Zuständigkeit diese Aufgabe fiel, gab es nicht. Die Deutschen waren mit der Schaffung der NfO hier bereits erheblich weiter und arbeiteten zu diesem Zeitpunkt professioneller. Auf britischer Seite scheinen hingegen einzelne Militär- oder Zivilstellen unkoordiniert tätig gewesen zu sein. So gab etwa das Militär nach der Einnahme von Basra dort eine arabische Zeitung heraus, sah sich aber bald überfordert und verlangte von der indischen Regierung Unterstützung in Form von Maschinen und eines „European with experiance both of the mechanical and financial sides of printing business“.1092 Diese Unterstützung bekam das Militär schließlich auch – allerdings erst mit erheblicher Verzögerung.1093 Die strukturellen Mißstände wurden schließlich mit der Gründung des Arab Bureaus behoben. Diese Organisation war von den wichtigsten Zentralstellen der britischen Regierung getragen1094 – ein deutlicher Unterschied zur NfO, die eine ausschließliche Gründung des Auswärtigen Amtes war. Der Premierminister selbst unterstützte die Schaffung des Arab Bureau.1095 Die grundsätzlichen Aufgaben der neuen Organisation bestanden laut Gründungsprotokoll zum einen darin, ,,to keep the Foreign Office, the India Office, the Committee of Imperial Defence, the War Office, the Admiralty, and the Government of India simultaneously informed of the general tendency of Germano-Turkish policy“.1096 Dazu sollte einmal monat1089 Ebenda. 1090 ,,[Discourage] ,Young‘ extremists in other Mohammedan countries and still further alienate sympathy with the methods of anarcistic agitation adopted in recent years by a section of Young Indian, Young Egyptian and perhaps Young Tunesian and other ,Young‘ wirepullers who travestied true liberalism.“ Ebenda. 1091 Randnotiz, ebenda. 1092 Sir Percy Cox, Political Resident at the Persian Gulf an The Secretary to the Governmant of India in the Foreign and Political Department, Delhi, 17. Februar 1915. NA, FO 371/2777. 1093 The Secretary to the Governmant of India in the Foreign and Political Department, Delhi an Sir Percy Cox, Political Resident at the Persian Gulf, 20. März 1915. NA, FO 371/2777. 1094 Foreign-, War-, und India Office sowie Admiralty. Establishment of an Arab Bureau in Cairo, 7. Januar 1916. NA, CAB 42/7/4. 1095 Ebenda. 1096 Ebenda.
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lich ein Bericht erscheinen, basierend auf der Auswertung der feindlichen Presse.1097 Wenn auch im Gründungsprotokoll an erster Stelle genannt, war doch diese Aufgabe die weniger wichtige. Zum anderen nämlich war das neue Arab Bureau vor allem als Propagandastelle konzipiert.1098 Vorgesehen waren dabei die Erstellung von Zeitungsartikeln für die Publikation in Indien und Großbritannien, die Verteilung von Propagandamaterial der britischen Zentralstellen im Orient, „[stimulation of ...] pro-Entente and anti-German feelings in Egypt, Arabia and Turkey by means of native Agents“1099 sowie die Koordination dieser Tätigkeiten mit dem französischen Verbündeten.1100 Diese Tätigkeitsbeschreibung erinnert an die oben beschriebene der NfO. Vorbild dürfte die deutsche Stelle nicht gewesen sein, allerdings zeigt diese Ähnlichkeit, daß auf beiden Seiten letztlich in gleichen Kategorien gedacht wurde. Aufrührerische Propaganda im Feindesland war eben kein deutsches Hirngespinst, sondern wurde auch auf der anderen Seite der Front ernst genommen. Der einzige Unterschied liegt darin, daß die organisatorische Ausformung auf britischer Seite rund 15 Monate später geschah als in Deutschland. Es sei bemerkt, daß in der Aufgabenbeschreibung des Arab Bureau gegenüber dem deutschen Modell ein Punkt fehlte: Ursprünglich ging es den Gründern um Propaganda. Revolutionierung, konkret die Aufstachelung der Araber zum Aufstand, spielte Anfang 1916 noch keine Rolle. Die britische Politik hielt die Erfolgsaussichten der Revolutionierung der Araber oder anderer Minderheiten im Osmanischen Reich zu diesem Zeitpunkt für zu gering.1101 Die panislamische Gefahr jedoch war der britischen Regierung ein ständiger Dorn im Auge. Auch auf Kabinettsebene spielte dieses Thema immer wieder eine prominente Rolle. Insbesondere die indische Regierung und das India Office sahen sich wegen der starken muslimischen Minorität in Indien bedroht. So setzte der Staatssekretär für Indien im Juli 1916 zwei Memoranden an die Kabinettsmitglieder in Umlauf, die sich hauptsächlich mit der panislamischen Propaganda der Mittelmächte befaßten.1102 Diese beiden Memoranden standen in einer gewissen Weise im Widerspruch zueinander. Während Arthur Hirtzel in der panislamischen Propaganda ganz entschieden eine Bedrohung des Empire sah, hielt sich Holderness in dieser Frage eher zurück. Hirtzel argumentierte dabei nicht nur mit der Entwicklung im Krieg, sondern zog die Traditionslinie dieser Bedrohung bis zur Jahrhundertwende zurück. So sei der türkisch-griechische Krieg ein Auslöser der Aufstände an der indischen 1097 Ebenda. 1098 ,,The second function will be to co-ordinate propaganda in favour of Great Britain and the Entente among non-Indian Moslems...“ Ebenda. 1099 Ebenda. 1100 Ebenda. 1101 Vgl. Resumé of conversations held on December 30th and 31st, 1914, at the French Ministry for Foreign Affairs, between Monsieur Gout, assisted by Colonel Hamolin and Monsieur Peretti, and Sir Henry MacMahon, assisted by Mr. Fitzmaurice and Mr. Loraine. NA, FO 371/2480. 1102 Memorandum by Sir A. Hirtzel, Political Department, India Office, 25. Mai 1916, NA, CAB 37/148/33 und Memorandum by Sir Thomas Holderness, 13. Juni 1916, NA, CAB 37/149/31.
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Grenze im Jahre 1897 gewesen. Während des türkisch-italienischen Krieges und der beiden Balkankriege hätten indische Muslime immer wieder versucht, die britische Regierung zugunsten des Osmanischen Reiches zu beeinflussen. Die Situation unter den indischen Muslimen sei angespannt1103 und der Heilige Krieg der Deutschen sei vor allem deswegen gescheitert, weil er propagandistisch nicht genügend vorbereitet worden sei, da er zu früh ausgerufen wurde. Hirtzels Fazit: Die schiere Existenz des Osmanischen Reiches, das jederzeit zum Werkzeug der Deutschen werden könne, sei eine Bedrohung Großbritanniens. Deswegen müsse diese Bedrohung gemildert werden und „the only existing organised Government that can further pan-islamic ideas“1104 müsse beseitigt werden. Hirtzels Kollege Thomas Holderness sah das panislamische Problem weniger dramatisch. Sein Hauptargument: Die Deutschen selbst würden schließlich durch den panislamischen Geist, den sie aus der Flasche gelassen hatten, bedroht. Aus diesem Grund liege es auch im deutschen Interesse, die panislamische Waffe, vor allem nach dem Krieg, nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.1105 Holderness ging dabei von einem Vergleichsfrieden zwischen den Mittelmächten und der Entente aus. Einen reinen Siegfrieden schloß der Brite zu diesem Zeitpunkt aus. Erstaunlich ist an dieser Argumentation weniger die Skepsis gegenüber einer unmittelbaren Gefahr durch die deutsch-türkische Propaganda. Es überrascht vielmehr, daß Holderness die Gefahr für Deutschland ebenso hoch einschätzte wie für das Empire und letztlich Vernunftgründe anführte, die seiner Meinung nach Deutschland davon abhalten würden, an dieser Front den Bogen zu überspannen. Bei beiden Memoranden handelt es sich letztlich nur um theoretische Erwägungen, die allerdings die Breite der Ansichten auf britischer Seite recht farbig illustrieren. Auf dem Propagandaschlachtfeld gingen die Briten seit Mitte 1916 verstärkt in die Offensive. Es ist auffällig, daß von diesem Zeitpunkt an politische Nachrichten immer auch auf ihre mögliche propagandistische Verwertung geprüft wurden. Als ein Beispiel sei die Verwertung des Rücktritts des šaykh al-islām, des obersten Rechtsgelehrten des Osmanischen Reiches, im Mai 1916 genannt. Der britische Militärattaché in Bern hatte die Hintergründe des Rücktritts erfahren und nach London gemeldet. Demnach hatte die türkische Regierung trotz der Proteste des šaykh al-islām mehrere Imame zum Tode verurteilt, weil sie in den Moscheen antideutsch gepredigt hatten. Darüber hinaus war die Zuständigkeit der Scharia-Gerichtshöfe auf das Familienrecht begrenzt worden. Daraufhin war der šaykh al-islām zurückgetreten und wurde ersetzt durch ,,the well-known Young Turk politician and lawyer Mussa Kiassim Bey, [...] who is a politician and not varsed in religious matters at 1103 „[...] the strain upon the loyalty of the Moslem population has been great, and has increased with the growing length of the war and the failure of Great Britain to secure any military success against the Turks.“ Memorandum by Sir A. Hirtzel, Political Department, India Office, 25. Mai 1916, NA, CAB 37/148/33. 1104 Ebenda. 1105 Memorandum by Sir Thomas Holderness, 13. Juni 1916, NA, CAB 37/149/31.
Britische Propaganda-Abwehr | 221
all“.1106 Der anonyme Bearbeiter in London erkannte die propagandistischen Möglichkeiten des Vorgangs.1107 Er leitete den Bericht direkt an Sir Edward Grey weiter, der schließlich das weitere Vorgehen persönlich anordnete. Der Bericht sei an „His Majesty’s Representatives in various Moslem foreign countries“1108 weiterzuleiten. Diese sollten die Nachricht nach eigenem Ermessen verbreiten. Eine Vorgabe für die Interpretation gab es nicht. Leider ist nicht mehr nachzuweisen, in welchen Formen diese Nachricht schließlich bekannt gemacht wurde. Letztlich waren diese Aktionen allerdings nicht viel mehr als Fingerübungen. Die eigentliche Propagandaoffensive der Briten setzte ein, als es um die Kommunikation ihres eigenen Revolutionierungsprojektes ging – den „Arabischen Aufstand“. Die Brisanz des Aufstandes für die antitürkische und antideutsche Propaganda lag auf der Hand. Es hatten sich schließlich – wenn auch nur noch nominelle – Untertanen des Kalifen gegen ihren Herren erhoben. Noch wichtiger: Muslime hatten gegen ihr geistliches Oberhaupt zu den Waffen gegriffen, gegen denjenigen also, der sie noch nicht einmal zwei Jahre zuvor im Namen des Islam zum Krieg aufgerufen hatte. Das Scheitern der panislamischen Propaganda konnte durch den Aufstand hervorragend verdeutlicht werden. In diesem Sinne hat der „Arabische Aufstand“ auch eine bisher wenig gewürdigte propagandistische Seite. Im Hedschas begannen einige Araberstämme am 5. Juni 1916 milittärische Aktionen gegen die osmanische Armee. Bedingt durch die schlechten Nachrichtenverbindungen in diese Region fand dies in den ersten drei Wochen faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Weder die Briten noch die arabischen Führer traten in diesen Tagen mit einer Proklamation oder einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Das Motiv der Briten dürfte darin gelegen haben, daß sie ihre Unterstützung der Aktion des Scherifen nicht offen zugeben wollten. Das hätte dem Aufstand viel Rechtfertigung nehmen können, denn schließlich war auch Großbritannien eine christliche Macht, ebenso wie das mit der Türkei verbündete Deutschland. Es kam allerdings bald der Zeitpunkt, an dem die Geschehnisse im Hedschas der Welt mitgeteilt werden mußten, wollte man nicht riskieren, daß die deutsche Propaganda das Feld zuerst besetzte. Am 19. Juni 1916 schlug Sir Henry MacMahon dem Foreign Office einen Text vor, der, über Reuters verbreitet, den Aufstand in Arabien bekannt machen sollte. MacMahon drängte, denn ,,news is beginning to get rumored in Moslem circles and we have reason to believe that news has reached Turkish Commander-in-Chief in Syria“.1109 Das Foreign Office bestätigte den Text. Dieser enthielt in streng nachrichtlicher Form die Proklamation der arabischen Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, Informationen über die Einnahme der Städte Mekka, 1106 Resignation of Sheik-ul-Islam, britischer Botschafter in Bern an Foreign Office, 27. Mai 1916. FO 371/2778. 1107 „This is valuable material for use in Moslem countries.“ Aktennotiz zu Resignation of Sheik-ulIslam, britischer Botschafter in Bern an Foreign Office, 27. Mai 1916. FO 371/2778. 1108 Ebenda. 1109 Sir Henry MacMahon an Foreign Office, 19. Juni 1916. NA, FO 371/2773.
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Dschidda und at.-T.ā‘if durch die Kämpfer des Scherifen, die Belagerung von Medina und Erleichterungen für Händler und Pilger durch die Öffnung des Hafens Dschidda.1110 Absichtlich ließ MacMahon die Rolle der Briten unerwähnt, ganz im Sinne der Vermittlung des oben beschriebenen Bildes von Großbritannien als einer Macht, die sich nicht in muslimische Angelegenheiten mischt, und konzentrierte sich in seinem Entwurf auf Informationen, die für Muslime gute Nachrichten sein mußten.1111 Der Text wurde auch den Franzosen zugeleitet, die Veröffentlichung jedoch geschah erst am 28. Juni 1916 über den Reuters-Draht.1112 Die indische Regierung sowie die britischen Stellen in Ägypten und Nordafrika sollten darüber informieren, wie die Neuigkeiten von den Muslimen aufgenommen wurden. Indien berichtete etwa eine Woche lang täglich.1113 Die Reaktionen dürften jedoch kaum den britischen Vorstellungen entsprochen haben. Sie reichen von brüsker Ablehnung des Aufstandes bis bestenfalls zu gleichgültigem Hinnehmen. Gelegentlich wurde den Nachrichten vom Ausbruch des Aufstandes sogar schlicht nicht geglaubt. Die ägyptische Regierung veranlaßte daher die Herausgabe von Hedschas-Briefmarken, „which would carry the Arab propaganda, self-paying and incontrovertible, to the four corners of the world“.1114 Man kann die Zurückhaltung in der islamischen Welt durchaus auch als Erfolg der deutsch-türkischen Propaganda interpretieren. Im folgenden seien die entsprechenden Berichte zusammengefaßt,1115 weil sie bisher in der Literatur noch nicht gewürdigt wurden: Sir Henry MacMahons Bericht1116 vom 3. Juli 1916 aus Ägypten vermittelt den Eindruck abwartender Ruhe. Die Nachricht habe wenig Interesse geweckt und wenig Anlaß zu Diskussionen gegeben. Die arabische Presse habe wenig berichtet – weil sie entweder die Nachricht für falsch hielt oder aber den Aufstand als eine der immer wiederkehrenden Revolten interpretierte, mit denen die Türken schnell fertig werden würden. Die Stimmung in der Bevölkerung sei gespalten zwischen denjenigen, die den Scherifen als „rebel against the Caliph or servile instrument of the British“1117 sähen und denjenigen, die sich vom Aufstand ein Ende der osmanischen Herrschaft über arabische Gebiete versprächen.
1110 Ebenda. 1111 „I have purposely avoided any mention of fact that Shereef is actively supported by His Majesty’s Government but have alluded to opening of pilgrimage which should be acceptable news to all Moslems especially in India.“ Ebenda. 1112 Ebenda. 1113 Ebenda. 1114 Storrs: Orientations, S. 220. 1115 Berichte über die öffentliche Stimmung angesichts der Scherifen-Revolte brachte auch das Arab Bureau in seinen monatlichen Publikationen. Diese stützen sich vor allem auf die Berichte der Konsuln, der indischen Regierung und der ägyptischen Behörden. Vgl. zum Beispiel Arab Bureau Bulletin, No. 9, 9. Juli 1916, S. 1–6. NA, FO 371/2771. 1116 Sir Henry MacMahon an Foreign Office, 3. Juli 1916. NA, FO 371/2773. 1117 Ebenda.
Britische Propaganda-Abwehr | 223
Im Hinblick auf Indien offenbart der Telegrammwechsel zwischen dem Foreign Office und dem Foreign Department der indischen Regierung schwere Konflikte um die mit dem Aufstand verbundenen Kommunikationsfragen. Der erste Bericht vom 29. Juni 19161118 spricht von einer absoluten Überraschung unter den Muslimen Indiens. Viele zweifelten die Wahrheit der Nachricht an, andere vermuteten, daß die Briten einen Anteil an der Revolte hätten. Im Inneren des Landes habe die „All India Muslim League“ das Verhalten des Scherifen verurteilt. An der Nordwestgrenze seien die Reaktionen ,,bad in the extreme, and the Sherif ’s action is universally condemed“.1119 In den Moscheen werde sein Name verflucht. Britische Beteiligung werde überall vermutet. Der Aufstand füge dem politischen Klima in Indien schweren Schaden zu.1120 Nach diesem Lagebericht folgten schwere Vorwürfe in Richtung London und Kairo. Die indische Regierung erhalte keine Nachrichten über den Verlauf des Aufstandes. Darüber hinaus habe man keine Informationen, welche Politik die britische Regierung verfolge. Man habe ins Auge gefaßt, öffentlich die Beteiligung der britischen Regierung abzustreiten und so die Wogen zu glätten. Aus Mangel an Informationen sei dieser Gedanke aber wieder fallen gelassen worden.1121 Die Antwort des Foreign Office vom nächsten Tag1122 spielte den Schwarzen Peter zurück und gab gleichzeitig klare Anweisungen über die zu verfolgende Kommunikationslinie. Die Überraschung der indischen Muslime sei nur durch das propagandistische Versagen der indischen Regierung zu erklären. Eine öffentliche Erklärung sei nicht angebracht. Statt dessen solle man mit muslimischen Multiplikatoren in Kontakt treten und ihnen gegenüber klarmachen, daß derjenige ein Feind der Briten sei, der die Türken verteidige. Der Scherif sei durch den Aufstand ein Feind der Türken geworden und damit ein Freund der Briten. Abermals sicherte London zu, daß die Frage des Kalifates durch die Muslime selbst zu lösen sei. Auch die Verfügung über die heiligen Stätten sollte ihnen belassen werden. Zur britischen Beteiligung am „Arabischen Aufstand“ habe die indische Regierung zu schweigen.1123 Diese ging in der Tat auf diese Weise vor, warnte aber, „to excite Moslem opinion about scheme which might prove abortive“.1124 Die Telegramme der nächsten Tage zementierten das Bild allgemeiner Ablehnung der Revolte in Indien. In Madras veröffentlichten Muslime gar eine Resolution gegen den Scherifen.1125 Das Fazit des anonymen Berichterstatters lautete: ,,There is no sympathy for Arab, [...] , and no propaganda of which Arab movement is 1118 Viceroy, Foreign Depertament, an Foreign Office, 29. Juni 1916. NA, FO 371/2773. 1119 Ebenda. 1120 „This development is all the more deplorable in that both in internal India and on our frontier we had secured a condition of extraordinary quiet, and the prospects of peace were very favourable.“ Ebenda. 1121 Ebenda. 1122 Foreign Office an Viceroy, 30. Juni 1916. NA, FO 371/2773. 1123 Ebenda. 1124 Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 3. Juli 1916. NA, FO 371/2773. 1125 Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 6. Juli 1916. NA, FO 371/2773.
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main feature could have beneficial effect“.1126 Antiarabische Kundgebungen fanden ebenfalls in Delhi,1127 Kalkutta,1128 Morādābād und Barreilly1129 statt. Die Regierung unterdrückte die Publikation entsprechender Resolutionen1130 und die öffentliche Äußerung antischerifischer Meinungen.1131 Auch in Kabul wurde der Aufstand des Scherifen verurteilt, man glaubte dort, dieser sei von den Briten angestiftet.1132 Das Arab Bureau faßte schließlich im August die Stimmung in Indien in seiner monatlichen Publikation zusammen:1133 Während die Stimmung unter den Muslimen noch immer als bedrohlich beschrieben wurde, empfand das Bureau das Verhalten der Hindus als „quite satisfactory“1134. Auch im französisch und spanisch beherrschten Nordafrika löste der „Arabische Aufstand“ keinen nationalarabischen Taumel aus. Die britischen Berichte lassen außerdem darauf schließen, daß deutsche Propaganda in dieser Region recht stark gewirkt hat. Aus Tanger berichtete der britische Konsul, daß die Mehrheit der Bevölkerung die Nachricht von der Revolte gar nicht als wichtig wahrgenommen habe.1135 Besonders die „educated and better informed classes“1136 seien zudem mißtrauisch gegenüber dem Wahrheitsgehalt der in den Zeitungen verbreiteten Meldungen. Es sei nicht auszuschließen, daß diese Haltung auf das Wirken deutscher Agenten zurückzuführen sei. Der wichtigste, die öffentliche Meinung am stärksten prägende Punkt sei die Frage der Heiligen Stätten, die keinesfalls unter die Herrschaft einer christlichen Macht geraten dürften.1137 Ein Bericht des Konsuls in Fez1138 bestätigt dieses Bild. Auch er berichtete, daß vor allem Notable der Meinung waren, der Aufstand sei „instigated and supported by Christians“.1139 Noch hoffnungsloser erscheint die Lage im spanischen Teil Marokkos. Der britische Vizekonsul in Tetuan vermittelte in seinem Bericht1140 das Bild eines wahren Kommunikations-GAUs. Unter dem Einfluß deutscher Propaganda glaube in seinem Bereich niemand an
1126 1127 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134 1135 1136 1137
Ebenda. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 9. Juli 1916. NA, FO 371/2773. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 10. Juli 1916. NA, FO 371/2774. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 13. Juli 1916. NA, FO 371/2774. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 9. Juli 1916. NA, FO 371/2773. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 10. Juli 1916. NA, FO 371/2774. Viceroy, Foreign Department, an Foreign Office, 13. Juli 1916. NA, FO 371/2774. Arab Bureau Bulletin, No. 15, 10. August 1916, S. 172–164. NA, FO 371/2771. Ebenda. Britischer Konsul in Tanger an Foreign Office, 29. Juni 1916. NA, FO 371/2773. Ebenda. „The graet point, [...], is that the Holy Places should be entirely in Moslem hands, [...] , but in any case entirely independent of any non-muslim power, be it German, British, French or any other.“ Ebenda. 1138 Britischer Konsul in Fez an Foreign Office, 2. Juli 1916. NA, FO 371/2774. 1139 Ebenda. 1140 Britischer Vizekonsul in Tetuan an Foreign Office, 4. Juli 1916. NA, FO 371/2774.
Britische Propaganda-Abwehr | 225
die Wahrheit der Nachrichten über den Aufstand des Scherifen.1141 Außerdem hätten französische Falschmeldungen über die Beschießung der Kaaba in Mekka durch türkische Artillerie die Glaubwürdigkeit der gesamten Entente-Propaganda beschädigt.1142 Von Gleichgültigkeit in Algerien und Ablehnung des Aufstandes gegen die Türken in Tunesien berichtete schließlich der britische Botschafter in Paris.1143 Aus all diesen Berichten erwuchs für die Briten eine wichtige Aufgabe: Sie mußten ihr Verhältnis zum „Arabischen Aufstand“ öffentlich klar stellen. In der neutralen Presse war die britische Regierung inzwischen als Initiatorin der Revolte identifiziert worden, wie aus einem Bericht der New York Times vom Juli 1916 hervorgeht.1144 Dieser Punkt gab offenbar unter Muslimen den meisten Anlaß zu Spekulationen und lieferte auch Ansatzpunkte für gegnerische Propaganda. Im 5. Juli 1916 legte General Gilbert Clayton, der Chef des zivilen und militärischen Nachrichtendienstes in Ägypten, dem Foreign Office eine Notiz vor, die unter anderem die Lösung dieses Problems behandelte.1145 Die „Lines on which an announcement of the Arab rising might be made in our Moslem possessions“1146 bildeten schließlich von diesem Zeitpunkt an auch tatsächlich die britische Argumentationslinie in der Öffentlichkeit. Clayton betonte zum einen die traditionelle Freundschaft mit der Türkei, erwähnte zum anderen aber auch die britischen Sympathien für „arab aspirations“,1147 ohne diese jedoch näher zu spezifizieren. Die Türkei habe durch den Kriegseintritt auf seiten der Mittelmächte Großbritannien nun die Möglichkeit gegeben „to give practical evidence of her sympathy with these Arabs who have ranged themselves on the side of the Allies against the common enemy“.1148 Clayton wiederholte außerdem die schon bekannten Zusicherungen, daß die heiligen Stätten unter muslimischer Herrschaft bleiben würden und sich Großbritannien nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen gedenke. Claytons Schlußsatz lautete: ,,British propaganda should follow the lines outlined [...] and anti-Arab propaganda, which will be energetically spread by enemy agents in India and Egypt, should be suppressed by all possible means.“1149 Mit dieser Kommunikationslinie wiesen die Briten zum einen der Türkei die Schuld am Krieg, dem Bruch mit dem Empire und dem „Arabischen Aufstand“ zu, betonten zum anderen aber indirekt die Selbständigkeit der Revolte, an der die britische Regierung unbeteiligt erschien, sie nur unterstützte, da sie sich gegen den gemeinsamen Gegner richtete. Ziel war es offenbar, nicht in die gleiche Falle zu gehen, in die 1141 „The population in the town is a whole excessively germanophile and, [...], prefreres to believe the assurances of my German colleague that the whole affair is a pure invention.“ Ebenda. 1142 Ebenda. 1143 Britischer Botschafter in Paris an Foreign Office, 5. Juli 1916. NA, FO 371/2773. 1144 Vgl. zum Beispiel: British hand seen in revolt of arabs. The New York Times, 16. Juli 1916. 1145 Note on the Arab Question, 7. Juli 1916. NA, FO 371/2774, S. 1. 1146 Ebenda. 1147 Ebenda. 1148 Ebenda. 1149 Ebenda, S. 3.
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Deutschland mit seinem Heiligen Krieg getappt war: Eine christliche Macht als spiritus rector des „Arabischen Aufstandes“ hätte diesen in den Augen von Muslimen zutiefst delegitimiert. Religion nämlich blieb eine wichtige Zutat des „Arabischen Aufstandes“, der keineswegs seine Energie nur aus nationalen Empfindungen bezog. Die Briten bekamen das schon Anfang Juli 1916 zu spüren. Ihr Verbündeter, der Scherif, veröffentlichte ohne Rücksprache mit britischen Behörden eine Proklamation, „of a strongly pious nature, fortified with many extracts of the Koran“.1150 Das scherifische Elaborat war rund 1600 Worte lang und rechtfertigte die Revolte vor allem auf religiöser Basis1151 – ein Schlag für die Briten, die im Scherifen eigentlich einen modernen, nationalistischen Führer gesehen, sich aber offenbar getäuscht hatten. Propagandistisch blieb jetzt nur noch, den Schaden zu begrenzen, hatte doch Großbritannien seine Unterstützung für den Scherifen mit den „arab aspirations“1152 begründet, unter denen natürlich nationale Bestrebungen zu verstehen waren. Zudem hatte der Scherif bereits durch Vertrauensleute für die weite Verteilung seiner Proklamation gesorgt. Foreign Office, Clayton, das Arab Buereau und das Department of Millitary Intelligence (DMI) kamen schließlich überein, die Proklamation in einer auf weniger als ein Drittel gekürzten Version zu veröffentlichen. Weggelassen und entschärft wurden vor allem religiöse Bezüge,1153 betont dagegen die neu gewonnene nationale Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Das zeigt, daß eine islamische Rechtfertigung des Aufstandes britischerseits nicht gewollt war. Zu nahe wäre sie der deutschen panislamischen Argumentation gekommen. War nun die britische Propagandaabwehr erfolgreich? Aus dem Gesagten kann wohl geschlußfolgert werden, daß dies nur begrenzt der Fall war. Panislamische Ressentiments waren offenbar in Indien oder Ägypten noch immer einflußreich. Zwar scheint es gelungen zu sein, durch repressive Maßnahmen die Verbreitung deutschtürkischer Propagandamittel zu verhindern, die eigenen Anliegen konnten die Briten aber wohl nur wenig erfolgreich vermitteln. Im Kampf um die Herzen und Hirne der Muslime in seiner Einflußsphäre erreichte Großbritannien ebensowenig einen 1150 1151 1152 1153
Arab Bureau to DMI (Department of Military Intelligence), 9. Juli 1916. NA, Fo 371/2774. Vgl. Yapp: Modern Near East, S. 285. Note on the Arab Question, 7. Juli 1916. NA, FO 371/2774, S. 1. Wie etwa dieser: ,,The only aim intended is to cause victory for the religion of Islam and to exalt the Moslems state based upon the principles of the Mohammedan law to which we shall now return and lean upon, in all our judgements and judicial principles and branches, preparing it to accept all that which is harmony with the religion and all that leads to the mountain of Islam.“ Proclamation to all our brother Moslems, NA, FO 371/2774. In der Reuters-Meldung liest sich dieser Abschnitt dann so: ,,Our one desire is für the victory of Islam, a return to the principles of Mohametan law and we wish to do our best for all classes of the people.“ Arab Bureau to DMI (Department of Military Intelligence), 9. Juli 1916. NA, FO 371/2774. In der bearbeiteten Version ist keine Rede mehr vom universellen Anspruch des islamischen Rechts, nur noch von seinen Prinzipien. Auch die Forderung nach Errichtung eines islamischen Staates geht unter – stattdessen wird die quasi-demokratische Zusicherung von Wohlfahrt für alle Klassen gegeben.
Britische Propaganda-Abwehr | 227
durchschlagenden Erfolg wie Deutschland und die Türkei. Bester Beweis sind die für die britischen Behörden ausgesprochen enttäuschenden Reaktionen auf den Versuch, den „Arabischen Aufstand“ für ihre Sache auszuschlachten. Die Kommunikation dieses Ereignisses war letztendlich die einzig große, wirklich offensive Propagandaaktion der Briten – im Gegensatz zu den Maßnahmen der Deutschen, die immer bemüht waren, ihre Argumentationslinien offensiv zu vermitteln. Im Grunde zeigt das Bild hier agierende Deutsche und fast ausschließlich reagierende Briten. Bei all dem war Propaganda natürlich keineswegs ein Selbstzweck. Anders als den Briten ging es den Deutschen nämlich letztlich darum, daß sich ihre Propaganda zu einer kritischen Masse entwickelte, die schließlich in Revolutionen explodierte, um dem Gegner von innen Schaden zu zufügen und so einen militärischen Sieg über die Entente zu unterstützen.
3 Revolutionierung Die Idee, den Gegner durch importierte Revolutionen zu schwächen, war im Jahre 1914 in Deutschland nichts Neues. Schon während des Deutsch-Französischen Krieges hatte es entsprechende, wenn auch völlig erfolglose Unternehmen gegeben.1 Auch andere europäische Mächte hatten bereits vor dem Krieg ähnliche Konzepte verfolgt. So berichtete Gerold von Gleich in seinen Memoiren von einem Gespräch mit dem griechischen König Georg I., der ihn während des Balkankrieges 1912 über Pläne informierte, den abgesetzten Abdulhamid wieder zum rechtmäßigen Sultan auszurufen, um so einen Bürgerkrieg gegen die Jungtürken zu entfachen.2 Revolutionierungsstrategien hatte auch die britische Regierung bereits im 18. Jahrhundert entwickelt. So sollte der Kapitän George Anson im Jahre 1740 mit einem Geschwader Kriegsschiffe und einem Kommando Marineinfanterie einen Aufstand in den spanischen Kolonien Südamerikas auslösen.3 Religions- und Handelsfreiheit sowie britischen Schutz wollte man all denen versprechen, die sich gegen die spanische Krone erheben würden.4 Während des Ersten Weltkrieges erlebte das Konzept der Revolutionierung eine Blüte. Das mag auf den existentiellen Charakter dieser Auseinandersetzung zurückzuführen sein. Es ist aber auch darin begründet, daß am großen Krieg multiethnische Staaten wie Österreich-Ungarn, Rußland und das Osmanische Reich sowie Staaten mit ausgedehnten Kolonialreichen wie England und Frankreich beteiligt waren. Hier boten sich angesichts der unvermeidlichen nationalen und religiösen Konflikte in diesen staatlichen Gebilden erfolgversprechende Ansatzpunkte zu einer Revolutionierung durch den Gegner. Darüber hinaus sei nochmals auf die Konstellation der Kräfte im Vorderen Orient während des Ersten Weltkrieges hingewiesen. Die Türkei und ihre Verbündeten waren dort in militärischer Hinsicht Briten, Russen und Franzosen weit unterlegen. Zwar genügten die Kräfte, um erfolgreich Abwehrschlachten liefern zu können, für offensive Aktionen jedoch waren sie zu gering. Aus dieser Schwäche heraus mußte die Führung der Mittelmächte nach neuen Wegen suchen, um ihre Nachteile zu kompensieren. Eine symmetrische Lösung, also die Verstärkung der eigenen militärischen Kräfte in der Region, war ausgeschlossen. Es blieben also nur Lösungen, die mit weniger Aufwand eine große Wirkung zu entfalten versprachen. Revolutionierung ist demnach also als Waffe für den asymme1 Vgl. Heine, Peter: Das Rohlfs/Wetzstein-Unternehmen in Tunis während des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Die Welt des Islams, 22/1982, S. 61–66. 2 Gleich: Bagdad, S. 43. 3 Vgl. zu diesem, allerdings gescheiterten, Unternehmen Williams, Glyn: Der letzte Pirat der britischen Krone. Berlin, 2000. Der reißerische deutsche Titel dieses ausgezeichneten Werkes führt in die Irre. Natürlich war Anson so wenig ein Pirat, wie die deutschen Emissäre in Persien während des Ersten Weltkrieges Straßenräuber waren. Anson handelte als Offizier im Auftrag eines souveränen Staates und war eben kein privater, mit einem Kaperbrief ausgestatteter Freibeuter. 4 Ebenda, S. 29.
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trischen Kampf gegen einen weit überlegenen Gegner zu interpretieren. Die Idee ist dabei aus der Not, aus der eigenen Schwäche heraus geboren. Doch diese Waffe ist keineswegs eine Waffe von gestern. Noch heute gehört es zum Standardrepertoire bei internationalen Auseinandersetzungen, interne Gegner des jeweiligen Feindstaates zu unterstützen und zu militärisch-terroristischen Aktionen zu bewegen, auch wenn man selbst militärisch überlegen ist, eine direkte Intervention aber etwa aus politischen Gründen vermieden werden soll.5 Nach Ausbruch des Krieges im Jahr 1914 geriet in Deutschland die Revolutionierung von Feindgebieten schnell als Strategie in den Blickpunkt der maßgeblichen Stellen. Unterstützt wurde dieses Vorgehen von der allerhöchsten Stelle. Der Kaiser selbst sah in Aufständen im gegnerischen Hinterland, vor allem den britischen Kolonien, ein probates Mittel, dem Feind erhebliche Probleme zu bereiten.6 Der Weg über die britischen Kolonien schien damals einigen Militärs der einzig erfolgversprechende, um einen Sieg über England zu erreichen. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Denkschule war Generalfeldmarschall von der Goltz. In einem Papier vom Februar 19157 bezeichnete er eine Landung auf den Britischen Inseln als nur schwer durchführbar. Ein Angriff auf Indien müsse daher als zweite Option vorbereitet werden, um „Englands Weltmacht zu vernichten und Deutschlands endgültigen Sieg zu sichern“.8 Goltz allerdings schwebte als Mittel zu diesem Zweck ein regelrechter Feldzug regulärer Truppen über Ägypten in Richtung Indien vor, bei realistischer Einschätzung der militärischen Möglichkeiten Deutschlands und der Türkei ein Vorhaben mit vielen Fragezeichen. Hindenburg bewertete in seiner Autobiographie rückblickend die Aktionen zur Revolutionierung in Feindgebieten als durchaus nützlich.9 Die große Denkschrift des Barons Oppenheim „Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“10 vom Oktober 1914 skizziert schließlich die einzuschlagende Marschrichtung. Bei all dem lagen diese Pläne keineswegs stringent ausgearbeitet in deutschen Schubladen. Sie waren gerade keine „Masterpläne“ des deutschen Imperialismus zur 5 Das trifft auf die Schweinebucht-Operation in Kuba und den von den USA provozierten Aufstand der irakischen Kurden und Schiiten nach dem ersten Golfkrieg zu. Im indisch-pakistanischen Konflikt unterstützt Pakistan revolutionäre Gruppen im indischen Kaschmir. Die DDR bereitete während des Kalten Krieges auf ideologischer Grundlage handelnde kommunistische Gruppen auf terroristische Aktionen vor und unterstützte die Rote Armee Fraktion (RAF). 6 Reichskanzler an deutsche Botschaft in Konstantinopel, 14. September 1914, PAAA, Ägypten III, Die ägyptische Frage, R 15044. Siehe auch Bihl: Kaukasus-Politik, S. 40. 7 Gutachten über die Wichtigkeit des beschleunigten Ausbaus des kleinasiatischen Eisenbahnnetzes, 26. Februar 1915. PAAA, Großes Hauptquartier, Akten des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, R 22404. 8 Ebenda. 9 „Die praktischen Ergebnisse ihres Kampfes für unsere Kriegführung lassen sich bis jetzt noch nicht überblicken; vielleicht waren sie größer, als wir es damals ahnen konnten.“ Hindenburg: Leben, S. 159. 10 PAAA, R 20938.
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Eroberung der Welt, sondern letztlich aus der Not geborene, improvisierte Ideen, die von der Vorstellung ausgingen, daß der Feind eines Feindes ein Freund sein müsste.11 Zur Leitung verschiedener Revolutionierungsprojekte12 wurde kurz nach Kriegsbeginn die Sektion III.b. (Politik) des Generalstabes des Feldheeres gegründet, die eng mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeiten sollte. Ihr Chef wurde Rudolf Nadolny, im Auswärtigen Amt war sein Partner der Legationsrat Otto Günther von Wesendonk.13 Auf türkischer Seite wurden die Revolutionierungsaktivitäten durch den von Enver gegründeten Geheimdienst Teşkılāt-ı Mahsusa und das „Zentrale Büro für die Islamische Bewegung“ im Kriegsministerium14 geleitet.15 Skeptisch sah der Chef der deutschen Militärmission in der Türkei die bald aus der Heimat nach dem Orient entsandten Revolutionierungsmissionen. Die Pläne seien „weitgehend aber unklar“16 gewesen. Das Auswärtige Amt habe die Missionen auf den Weg geschickt und die Botschaft in Konstantinopel und der Militärattache seien für sie zuständig gewesen. „Die Militärmission war, obwohl diese Missionen fast ausschließlich aus Offizieren bestanden, weder zur Sache gehört worden, noch hatte sie überhaupt eine Nachricht über ihre Absendung erhalten.“17 Ein gänzlich vernichtendes Urteil über diese Art der Kriegführung fällte der ehemalige Botschafter in Konstantinopel und spätere Unterstaatssekretär Richard von Kühlmann. Diese Expeditionen seien „eine Landplage“18 gewesen. Die Idee der Revolutionierung – das war für Kühlmann ein deutscher Sonderweg, dessen Entstehung er mit einer absurdromantischen Sicht des Orients erklärte. In deutschen Hirnen habe sich der Orient eben „noch immer sehr viel von 1001 Nacht bewahrt“.19 War dem wirklich so? Handelte es sich beim Revolutionierungskonzept lediglich um einen verzweifelten deutschen Sonderweg, der von vornherein als strategische Mißgeburt niemals Aussicht auf Erfolg hatte? Waren deutsche Stellen so beschränkt, daß sie sich in Unkenntnis der Realität auf ein zum Scheitern verurteiltes Konzept einließen?
11 Der improvisierte Charakter wird noch 1916 deutlich. So erhielt etwa Gerold von Gleich zur Vorbereitung auf seine Mission in Persien eine sieben Jahre alte russische Denkschrift über Afghanistan. Auch das Kartenmaterial war miserabel. „Unsere beste dienstliche Karte von Persien war ein photografischer Nachdruck einer englischen Karte von W & A Johnston in 1 : 4.311.000.“ Gleich: Bagdad, S. 81. 12 Neben den orientalischen Projekten wurden dort auch Unternehmungen in den USA, Finnland und Irland bearbeitet. Vgl. Nadolny: Mein Beitrag. Wiesbaden, 1955, S. 85f. 13 Ebenda, S. 85. 14 Eine ausführliche Darstellung zu diesen beiden Organisationen ist, wie erwähnt, noch immer in Desiderat. 15 McKale: War, S. 51. 16 Liman von Sanders: Türkei, S. 62. 17 Ebenda. 18 Kühlmann: Erinnerungen, S. 458. 19 Ebenda.
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Exkurs: Der „Arabische Aufstand“ – der britische Revolutionierungscoup An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf das zweite große Revolutionierungsprojekt des Ersten Weltkrieges gestattet. Der so genannte „Arabische Aufstand“ war nichts anderes, als die Revolutionierung der arabischen Stämme, erdacht und maßgeblich zum Ausbruch gebracht durch den britischen Geheimdienst. Die Mär vom autonomen Aufstand unterdrückter, edler Araber verschleierte dieses Faktum vor allem durch die Macht der Lawrence-Legende für Jahrzehnte. Schon im Oktober 1914 gab es auf britischer Seite die ersten Vorschläge für die Revolutionierung des Osmanischen Reiches. Lord Cromers Memorandum20 enthielt vorsichtige, aber schon in eine bestimmte Richtung zielende Vorschläge. Cromer sprach sich dafür aus, unzufriedene Araber gegen die osmanische Regierung zum Aufstand zu bewegen.21 Dafür müßten britische Agenten mit „utmost care“22 ausgewählt werden. Während der britisch-französischen Konsultationen über die Abwehr panislamischer Propaganda im Dezember 1914 brachten die Franzosen das Thema Revolutionierung auf den Tisch. Sie schlugen ihren britischen Verbündeten vor, die Araber durch Agenten zum Aufstand zu bewegen.23 Diese lehnten ab – das sei zur Zeit keine Option, da Großbritannien nicht in der Lage sei, einen Aufstand so zu unterstützen, daß er erfolgreich sein könne. Ein niedergeschlagener Aufstand sei jedoch „disastrous for us“.24 In der Tat dauerte es noch rund zwei Jahre, bis die Briten den Aufstand usayns auslösen konnten. Dazu mußten zuerst, entsprechend Cromers Überlegungen, fähige Agenten gefunden und eine Organisation wie das Arab Bureau aufgebaut werden. Der bekannteste dieser Agenten war Thomas Edward Lawrence, der mit seiner Beschreibung des „Arabischen Aufstandes“ einerseits einen Beitrag zur Weltliteratur schuf, andererseits aber auch den eigenen Mythos zementierte. Lawrence versuchte, sich als selbstloser Helfer eines unterdrückten Volkes zu positionieren – die Verfilmung seines Buches „Die Sieben Säulen der Weisheit“ tat später ein Übriges, diese historische Fälschung weltweit zu verankern. Dabei finden sich in den „Säulen“ selbst Stellen, die den „Arabischen Aufstand“ als das identifizieren, was er war – ein Revolutionierungsprojekt der britischen Regierung. Lawrence selbst beschrieb seinen Auftrag mit den Worten, er sei „mit der Pflicht betraut [gewesen], sie [die Araber] vorwärts zu führen und jegliche Bewegung unter ihnen, die England in sei20 Memorandum by Lord Cromer respecting the steps to be taken in event of war with Turkey, 16. Oktober 1914. NA, CAB 37/121/124. 21 „[...] by judicious treatment rebellion of the Arabs against the Turks might be fostered and become of great political importance.“ Ebenda, S. 3. 22 Ebenda. 23 Resumé of conversations held on December 30th and 31st, 1914, at the French Ministry for Foreign Affairs, between Monsieur Gout, assisted by Colonel Hamolin and Monsieur Peretti, and Sir Henry MacMahon, assisted by Mr. Fitzmaurice and Mr. Loraine. NA, FO 371/2480. 24 Ebenda.
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nem Krieg nutzen konnte, zur höchsten Höhe zu entfalten“.25 Das alles geschah vor allem mit Waffen, Geld und zuletzt auch mit der Unterstützung regulärer Truppen. Nach Lawrence’ Angaben soll die britische Regierung die Araber mit mehr als zehn Millionen Pfund in Gold unterstützt haben.26 Diese Summe scheint realistisch. Die Ausgaben waren so hoch, daß sogar das Finanzministerium in London „much disturbed by the Sherif ’s subsedy“27 war. Türken und Deutschen aber waren die Vorbereitungen zur Revolutionierung der arabischen Gebiete des Osmanischen Reiches durchaus nicht verborgen geblieben. Dokumente, die nach dem Abzug des französischen Konsuls im Damaszener Konsulat beschlagnahmt worden waren, hatten Hinweise auf britisches, französisches und italienisches Geld geliefert, das an oppositionelle Araber geflossen war.28 Cemal Pascha schließlich faßte nach dem Krieg die jungtürkische Sicht der Dinge verbittert so zusammen: „Der Zweck dieser Aufstände war ausschließlich der, das ottomanische Reich durch tausenderlei innere Unruhen zu schwächen und an dem Tage, wo es, einem baufälligen Gebäude gleich, zusammenstürzen würde, Besitzrechte auf die einzelnen Teile des Reiches zu erheben.“29 Klarer kann der Zweck der Revolutionierung eines Staates wohl nicht beschrieben werden. Der ,,Arabische Aufstand“ war demnach nichts anderes als die britische Parallelaktion zu den deutschen Bestrebungen in Afghanistan, Arabien, Persien und Afrika. Dabei fällt eine weitere Parallele zu den deutschen Strategien auf: Auch der „Arabische Aufstand“ kann und muß letztlich als eine aus Schwäche entstandene asymmetrische Aktion der Briten interpretiert werden. Die militärischen Machtmittel reichten bis ins Jahr 1918 schlicht nicht aus, um einen Sieg über die Türkei in der laufenden symmetrischen Auseinandersetzung zu gewährleisten. Die anglobritische Niederlage an den Dardanellen und der osmanische Sieg im Zweistromland waren Symptome dieser Schwäche. Wie die Deutschen griffen die Briten daher auf unkonventionelle Formen der Auseinandersetzung zurück.
3.1 Expeditionen 3.1.1 Die Expedition Moritz Dieses unkonventionelle deutsche Vorgehen wird insbesondere durch eine Vielzahl von Expeditionen in den Jahren 1914 bis 1918 illustriert. Zu den wichtig-
25 Lawrence: Sieben Säulen, S. 184. 26 Ebenda. 27 Anonyme Aketennotiz über ein Gespräch zwischen Vertreten des Foreign Office und des Treasury, 10. Mai 1917. NA, FO 371/3048. 28 Vgl. dazu Djemal Pascha: Erinnerungen eines türkischen Staatsmannes. München, 1922, S. 199– 206. 29 Ebenda, S. 205.
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sten deutschen Revolutionierungsexpeditionen zählt die Expedition Moritz.30 Die Reise des ehemalige Bibliothekars an der khedivialen Bibliothek in Kairo, Professor Bernhard Moritz31, nach Arabien ist dabei weniger als Revolutionierungsdenn als Aufklärungsreise zu sehen, wenn die Grenzen auch unscharf waren. Die deutsche Botschaft bezeichnete seine Mission durchgehend als „Erkundungs- und Propagandareise“,32 Das Ziel war die Hafenstadt Dschidda, als Auftraggeber berief sich Moritz auf den Freiherren Kreß von Kressenstein,33 der bereits seit September 1914 mit den Vorbereitungen zu einer militärischen Expedition gegen den Suezkanal befaßt war. Moritz befand sich am 31. Oktober 1914 rund 300 Kilometer von Mekka entfernt, an der Bahnstation al-‘Ulā. Elf Tage später erreichte er Dschidda mit dem Boot.34 Seine praktische Tätigkeit erschöpfte sich in der Verteilung mitgebrachten Propagandamaterials. Vorgesehen war offenbar auch eine Verteilung dieser Druckschriften im anglo-ägyptischen Sudan. Moritz erreichte hier jedoch nichts. Die britischen Sicherheitsmaßnahmen gegen das Einsickern panislamischer Propaganda schienen schon ihre Wirkung entfaltet zu haben.35 Angeblich rekrutierte Moritz daraufhin mehrere Einheimische für Propagandaaktionen in dieser Region. Wegen der scharfen Überwachung der Küsten durch britische Schiffe konnte er allerdings nicht berichten „was die Parteien im einzelnen gearbeitet haben“.36 Anzunehmen ist, daß diese Parteien Moritz’ Geld nahmen und untertauchten, denn es ist keine deutsche Propagandatätigkeit im Sudan in den britischen Quellen dokumentiert. Durchaus interessante Ergebnisse erzielte dagegen Moritz’ Aufklärungstätigkeit. Er bestätigte zum einen Kreß, daß der größte Teil der sudanesischen Truppen nicht zur Verteidigung des Kanals abgestellt worden war.37 Zum anderen berichtete der Professor ausgiebig von der zweideutigen Haltung des Scherifen usayn und seines 30 Verzichtet wird auf die nordafrikanischen Aktionen des deutschen Konsuls in Tripolis, Otto Mannesmann, vgl. Runderlaß Chef des Generalstabes, 5. November 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, geheim, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Ägypten, Syrien und Arabien, R 21144, sowie die Expediton Schwabe, die Kreß bei der Propaganda in Arabien unterstützen sollte, vgl. Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 3. Februar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21129. 31 Der Professor war Führer Wilhelms II. bei dessen Palästina-Besuch 1898. Rall: Wilhelm II., S. 186. Die Briten vedächtigten ihn schon vor dem Krieg, in Ägypten geheimdienstlicher Tätigkeit nachzugehen. Vgl. Mangold: Bibliothekare, S. 75f. 32 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 18. Februar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 33 Bericht Moritz’, 8. Januar 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 34 Ebenda. 35 „Angesichts des Umfanges dieser Drucksachen war es leider nicht möglich, sie den Pilgern nach dem anglo-ägyptischen Sudan mitzugeben, da diese befürchteten, bei ihrer Ankunft in Port Sudan aufs schärfste untersucht zu werden.“ Ebenda. 36 Ebenda. 37 Ebenda.
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Sohnes Fays.al. Er bezeichnete sie als „Engländerfreunde“,38 berichtete von Versuchen Fays. als, panislamische Propaganda zu verhindern39 und von schweren Konflikten der Scherifen-Familie mit den türkischen Militär- und Zivilstellen.40 Ob allerdings Fays. al wirklich Moritz’ Ermordung angeordnet hatte, wie dieser erfahren haben will, ist nicht mehr zu klären.41 Vielleicht wollte der deutsche Professor auch nur sein Licht ob der überstandenen Gefahr noch heller strahlen lassen. Aus Moritz’ Schreiben hätte allerdings von den deutschen Stellen eine deutliche Warnung vor Fays. al und seinem Vater herausgelesen werden müssen. Das aber geschah nicht. Statt dessen gab man sich auf deutscher Seite dem Optimismus hin, die Scherifen-Familie für die eigenen Zwecke einspannen zu können. Noch im Mai 1915 betonte Oppenheim in einem Schreiben an den deutschen Botschafter „ohne seine Mitarbeit [die des Scherifen] ist eine gründliche und systematische Bearbeitung der islamischen Welt überhaupt nicht möglich“.42 Prompt übertrug Oppenheim denn auch, wie bereits beschrieben, dem Scherifen die Verantwortung für die panislamische Propaganda in Arabien. Allerdings führten der Scherif und sein Sohn auch die Türken hinters Licht, obwohl diese die arabische Politik ja zur Genüge kannten. Cemal Pascha – der Herr Syriens zu diesem Zeitpunkt – vermochte auch noch nach dem Krieg das ihm überraschend erscheinende Überlaufen der Scherifen-Familie zu den Briten kaum zu fassen.43 Es mag sein, daß seine wohl nicht ins Bild der deutschen Vertreter im Osmanischen Reich passende Analyse Moritz ins Abseits katapultierte. Außerdem verfügte er über eine schwierige Persönlichkeit, die für seine Umwelt wohl nicht einfach zu ertragen gewesen war. So wird Moritz als mißtrauisch und geheimniskrämerisch beschrieben.44 Als er Mitte Januar 1915 in Damaskus eintraf, kam es zu schweren Konflikten mit dem deutschen Konsul. Moritz weigerte sich, diesem Details seiner Reise preiszugeben. Er wolle nur direkt an das Auswärtige Amt oder Kreß berichten.45 Der Konsul stellte daraufhin mißtrauische Fragen über Moritz’ zu früh erfolgte Rückkehr von seiner Mission.46 Mitte Februar 1915 lehnte der Botschafter schließlich eine
38 Ebenda. 39 Bericht Moritz’, 16. Januar 1915, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 40 Ebenda. 41 Ebenda. 42 Oppenheim an Deutsche Botschaft in Konstantinopel, 15. Mai 1915, PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21133. 43 Vgl. Djemal: Erinnerungen, S. 241–257. 44 Deutscher Konsul Damaskus an Deutsche Botschaft Konstantinopel, 18. Januar 1915. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 45 Ebenda. 46 Ebenda.
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weitere Verwendung des Professors ab.47 Auf eine Tätigkeit von Moritz im Orient gibt es von diesem Zeitpunkt an keine Hinweise mehr.
3.1.2 Die Expedition Rohloff Die Mission des Breslauer Privatgelehrten Max Rohloff im Jahre 1914/15 ist ein Beispiel dafür, wie leichtgläubig deutsche Behörden zu Beginn des Krieges ihre Agenten auswählten. Denn obwohl es nicht mit letzter Sicherheit nachzuweisen ist, war die Mission Rohloffs offenbar ein Schwindel. Der wegen seiner „auserordentlichen Gewandtheit im Verkehr mit Mohammedanern und seiner Geschicklichkeit“48 gerühmte „Islamforscher“49 hatte die Aufgabe, deutsche Propaganda im Herzen des Islam – der arabischen Halbinsel – zu treiben. Dazu sollte er zuerst von Rotterdam mit dem Schiff nach Sumatra reisen, und sich von da aus nach Dschidda einschiffen, um dort „nicht nur die Ägypter, sondern auch die Tunesier, Algerier und Marokkaner, die Mohammedaner aus Britisch-Indien und, was nicht übersehen werden darf, aus China“50 zu beeinflussen. In Dschidda sollte Rohloff zu diesem Zweck einen einheimischen Pilgeragenten bestechen und über diesen Kontakte zu einflußreichen Pilgern knüpfen.51 Rohloff landete schließlich jedoch laut seines Berichtes52 nicht auf Sumatra, sondern zunächst per Schiff in Konstantinopel. Dort will er Kontakt zur holländischen (!) Gesandtschaft gehabt haben, die ihn mit Pässen versorgt haben soll. Warum er nicht die deutsche Botschaft besuchte, erklärt Rohloff nicht. Von Damaskus aus will der Deutsche dann als Araber verkleidet nach Mekka (!) gereist sein, dort die Pilgerrituale absolviert und dabei jede Menge panislamische Propaganda betrieben haben. Schließlich behauptete Rohloff, über Suez, Tunis, Algier und Italien nach Deutschland zurück gereist zu sein. Aus Breslau schickte er schließlich mit Poststempel vom 1. Dezember 191453 seinen Bericht nach Berlin. Da Rohloff aber angeblich erst Mitte September 1914 in Rotterdam aufgebrochen war, müßte er die Reise und seine vielen Aktionen in nur rund zehn Wochen erledigt haben – in der damaligen Zeit unmöglich. Die Quittung kam im Februar 1915. Rohloff war nämlich auch noch eitel und veröffentlichte in der Neuen Preußischen Zeitung einen Aufsatz über 47 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 18. Februar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. 48 Auswärtiges Amt an deutschen Generalkonsul Rotterdam, 17. September 1914. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21124. 49 Ebenda. 50 Ebenda. 51 Ebenda. 52 Rapport über meine Reise nach Arabien, undatiert. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21127. 53 Ebenda.
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seine Reise.54 Darin behauptete er offen, als Muslim gereist zu sein. Nadolny, damals für orientalische Fragen im Generalstab zuständig, veranlaßte daraufhin eine gründliche Haussuchung bei Rohloff und dessen Festnahme. Sämtliche Papiere wurden beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde gegen den „Islamgelehrten“ wegen Betruges ermittelt. Nadolny warf ihm vor, die Reise nicht gemacht und „seinen bezüglichen Bericht aus der Phantasie erstattet“55 zu haben. Ob Rohloff schließlich verurteilt wurde, ist unklar. Das Auswärtige Amt und der Generalstab jedenfalls ließen den Fall in den Akten verschwinden und behandelten ihn nicht weiter. Um Aufsehen zu vermeiden? Um nicht blamiert dazustehen? Über die Motive dieses Vorgehens kann nur spekuliert werden, da sie den Akten nicht zu entnehmen sind.
3.1.3 Die Expedition Frobenius Eine wirklich angetretene, für die Auftraggeber im Auswärtigen Amt aber ebenfalls äußerst unbefriedigend verlaufene Expedition ist mit dem Namen des deutschen Ethnologen Leo Frobenius verbunden. Unbefriedigend blieb seine Expedition, da sie zu keinerlei Resultat führte. Das Unternehmen war gekennzeichnet durch die fast schon narzißtische Persönlichkeit Frobenius’, der sein eigenes Prestige über alles setzte. Die Quellen zeichnen das Bild eines Orden- und Titeljägers, der zu jeglicher ernsthafter, koordinierter Arbeit als Expeditionsleiter völlig unfähig war. Während Peter Heine56 vermutet, daß der Mißerfolg der Mission vor allem auf mangelnde Vorbereitung und ein „erhebliches Informationsdefizit bei den politischen und militärischen Entscheidungsträgern des deutschen Kaiserreiches auf allen Ebenen“57 zurückzuführen sei, soll hier gezeigt werden, daß vor allem Frobenius’ Persönlichkeit für das geradezu peinliche Ende seiner Expedition verantwortlich war. Denn ihm gelang es noch nicht einmal, das Ziel der Mission zu erreichen. Die Frage, ob er die ihm aufgetragenen Aufgaben hätte erfüllen können, stellte sich damit erst gar nicht. Die Schuld der Entscheidungsträger in Berlin liegt dabei vor allem darin, daß ihre Personalauswahl hier wie in anderen Fällen miserabel war. Auftraggeber der Frobenius-Expedition war das Auswärtige Amt. Die Aufgaben der Mission gehen aus Frobenius’ Legitimation hervor, die im November 1914 zur Vorlage beim deutschen Botschafter in Adis Abeba ausgestellt wurde.58 Danach sollte er zum einen „im Einvernehmen mit der Türkei den Sudan gegen England aufwiegeln“.59 Zum anderen bestand die Aufgabe darin, in Zusammenarbeit mit 54 Nadolny an Generalkommando des IV. Armeekorps in Breslau, 5. Februar 1915. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21127. 55 Ebenda. 56 Heine: Frobenius. 57 Ebenda, S. 4. 58 Erlaß an den deutschen Botschafter in Adis Abeba, November 1914, ohne Tag. NA, GFM 14/138. 59 Ebenda.
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dem Botschafter die abessinische Regierung zu einem Kriegseintritt auf deutscher Seite zu bewegen. Deutschland war bereit, Abessinien für diesen Fall erhebliche territoriale Zusagen zu machen.60 Natürlich waren solche Versprechungen wohlfeil, denn schließlich hatte Deutschland keine unmittelbaren eigenen Interessen in dieser Region. Letztlich handelte es sich um den Versuch, die abessinische Regierung zu ködern, mit dem Ziel, die Briten durch deren Kriegseintritt zu zwingen, an einer weiteren Front zu kämpfen. Eine wichtige Einschränkung gab es allerdings: Frobenius sollte alles vermeiden, was Italien, eine Macht mit Interessen in der Region, in den zu entfachenden Konflikt würde hineinziehen können. Dieser Punkt war so wichtig, daß in einem solchen Fall sogar die Mission abgebrochen werden sollte.61 Der italienische Faktor wurde schließlich, neben den persönlichen Defiziten des Expeditionschefs, zu einem wichtigen Grund für das Scheitern der FrobeniusMission. Eine gewisse Ratlosigkeit bezüglich der Expedition herrschte zu diesem Zeitpunkt in der Botschaft in Konstantinopel. Wangenheims Aufgabe als Botschafter war es, die Unterstützung der Türken für die Mission zu gewinnen. Frobenius sollte seine Aufgabe durch die Verleihung einer türkischen Würde erleichtert werden. Allerdings fühlte sich Wangenheim nicht genügend informiert, um Enver Pascha in dieser Hinsicht anzugehen. So ist seine Rückfrage nach Berlin zu erklären, in der er dringend die Gründe für Frobenius’ Entsendung zu erfahren suchte und auch offen die Frage nach der Qualifikation des Expeditionschefs stellte.62 Jedenfalls gelang es Wangenheim nicht, für Frobenius einen türkischen Titel zu erlangen. Der türkische Kriegsminister Enver Pascha lehnte ab. Nach Interpretation des Botschafters „aus der Überlegung, daß Türken alle solchen Expeditionen alleine besser ausführen könnten und es deutscher Einflußnahme nicht bedürfe“.63 Frobenius, im November schon in Konstantinopel eingetroffen, begann unterdessen, seine Ausrüstung zusammenzustellen. Eine Liste enthüllt, was damals als unerläßlich für die Erfüllung eines solchen Auftrages galt. Frobenius rüstete sich folgendermaßen aus: „Khakis und Kordanzug mit Mütze, Filzhut, braune Schuhe und Gamaschen, Sporen, Bett, Stuhl, Tisch, Decke, Schlafsack, Sauer Pistole, Fernglas, Ledergürtel, Umhang. [...] für 40.000 Kronen Mariatheressienthaler, [...] 50 Kilo Sprengstoff“64. Alle Forderungen wurden durch das Auswärtige Amt anstandslos erfüllt.65 Frobenius entwickelte darüber hinaus erhebliche Aktivitäten, um doch noch 60 „Sie sind gegebenenfalls ermächtigt, der abessinischen Regierung zu erklären, die Kaiserl. Regierung sei damit einverstanden, daß sich Abessinien einen Gebietszuwachs in der Gegend des Blauen Nils sichert und daß wir jede abessinische Machterweiterung in dieser Richtung mit Genugtuung begrüßen würden.“ Ebenda. 61 Ebenda. 62 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 18. November 1914. NA, GFM 14/138. 63 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 29. November 1914. NA, GFM 14/138. 64 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 7. Dezember 1914. NA, GFM 14/138. 65 Auswärtiges Amt an Wangenheim, 8. Dezember 1914. NA, GFM 14/138.
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in den Besitz eines türkischen Titels zu gelangen.66 Anfang Januar befand er sich in Damaskus, um dann über Medina und das italienische Kolonialgebiet weiter nach Abessinien zu reisen.67 Noch von dort drängte er darauf, ihn endlich zum türkischen Pascha zu befördern und diese Beförderung öffentlich bekannt zu machen.68 Doch letzteres war gar nicht mehr notwendig. Frobenius scheiterte mit seinen hochfliegenden Plänen nämlich schon auf italienischem Gebiet, was auch deutschitalienische Verstimmungen nach sich zog. Im Februar hatte Frobenius bei Massawa (heute Eritrea) italienisches Gebiet erreicht. Die deutsche Regierung erfuhr davon aus Rom, wo der italienische Eisenbahnminister dem deutschen Botschafter diese Nachricht mitteilte. Gleichzeitig setzte er die deutsche Regierung in Kenntnis, daß Frobenius und seine Begleiter auf keinen Fall die Genehmigung zur Weiterreise nach Abessinien erhalten würden.69 Die Gründe wurden zu diesem Zeitpunkt nicht recht klar. Erst im Nachhinein zeigte sich, daß Frobenius’ Verhalten wohl ausschlaggebend gewesen war. Das Auswärtige Amt berief die Expedition jedenfalls auf Grund dieser Nachricht zurück.70 Damit war das Kapitel Frobenius allerdings bei weitem noch nicht beendet. Dieser reiste per Schiff von Eritrea, wo er nicht länger bleiben konnte, nach Italien. Anfang April 1915 befand er sich in Rom. Dort machte er einen äußerst ungünstigen Eindruck. Mit Nachdruck forderte Frobenius nämlich einen italienischen Orden für sich.71 Er erhielt keine italienische Dekoration, trat aber in Rom ausgesprochen auffällig und mit einer gehörigen Portion Großmannssucht auf, so daß sein Auftrag bald durch Presseberichte publik wurde.72 Das brachte das Faß zum Überlaufen: Die maßgeblichen deutschen Stellen im Orient und in der Heimat begannen, sich gegen ihn zu stellen. Speerspitze war der deutsche Botschafter in Konstantinopel. Zwei Mal intervenierte er auf das schärfste in Berlin, um eine Wiederholung der FrobeniusExpedition oder auch nur seine weitere Verwendung zu verhindern. So schrieb Wan66 Vgl. Frobenius’ Bericht I., 25. November 1914 und seinen Bericht II., 1. Dezember 1914. GFM 14/138. 67 Bericht Frobenius’ aus Damaskus. 10. Januar 1915. GFM 14/138. Seine Expedition bestand zu diesem Zeitpunkt aus fünf Deutschen und 18 türkischen Soldaten. 68 Ein kurioses, fast schon bizarres Detail in diesem Bericht beleuchtet Frobenius‘ Egozentrik. In dem Telegramm – solche Nachrichten wurden üblicherweise knapp gehalten – widmete er eine ganze Passage persönlichen Versicherungsfragen: „Ferner bitte ich vom Auswärtigen Amt Berlin Mitteilung zu machen an Frau Frobenius, Grunewald, dass ich etwa am 15t. Januar als General [Frobenius hebt hier auf seine – noch gar nicht erfolgte – Beförderung zum Pascha ab] den Wendekreis des Krebses überschreite. Dies ist wegen rechtzeitiger Tropen- und Kriegsversicherung nötig.“ Ebenda. 69 Deutscher Botschafter in Rom an Auswärtiges Amt, 21. Februar 1915. NA, GFM 14/138. 70 Deutscher Botschafter in Rom an Auswärtiges Amt, 23. März 1915. NA, GF 14/138. 71 Deutscher Botschafter in Rom an Auswärtiges Amt, 10. April 1915. NA, GF 14/138. 72 „Im hiesigen Hotel, wo er als Frobenius Pascha Exzellenz auftrat, mag er oder seine Begleiter Pressevertreter empfangen haben; die wenig glücklichen Auslassungen der hiesigen Blätter sind wohl auf ihn zurückzuführen.“ Ebenda. Am 9. April 1915 erschien so etwa über die Frobenius-Expedition ein vierspaltiger Artikel mit mehr als 200 Zeilen in der römischen Zeitung La Tribuna.
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genheim in einem Telegramm: „Seine nochmalige Entsendung würde deutschem Ansehen zweifellos auf nicht wieder gutzumachende Weise schaden.“73 Wenige Tage später legte der Botschafter einen ausführlichen Bericht an den Reichskanzler nach, in dem er Frobenius „Charlatanismus“74 vorwarf. Frobenius habe nichts erreicht und auf seiner Reise von türkischen und deutschen Titeln skrupellosen Gebrauch gemacht. Wangenheims Fazit fiel harsch aus: „ [...] so kann ich nur sagen, dass mir wenige Persönlichkeiten begegnet sind, die es in so seltenem Maße wie Frobenius verstanden haben, bei Deutschen und Einheimischen Anstoß zu erregen.“75 Wieder in Deutschland, versuchte Frobenius seinerseits, nochmals auf eine Mission geschickt zu werden. Gegenüber dem Auswärtigen Amt hatte er angedeutet, deswegen auch beim Kaiser selbst vorstellig werden zu wollen. Das Auswärtige Amt wies seinen Vertreter im Großen Hauptquartier deswegen an, den Monarchen gegen Frobenius einzunehmen und so eine eventuelle erneute Entsendung zu verhindern.76 Nadolny ließ Frobenius schließlich in einem Gespräch wissen, daß „seine Rückkehr nach Arabien ausgeschlossen“77 sei. In der Tat wurde der Ethnologe während des Krieges nie wieder durch staatliche Stellen des Deutschen Reiches verwendet. Was genau aber hatte ihn im Orient so unmöglich gemacht? Frobenius’ eigene Berichte geben darüber natürlich keine Auskunft. Was sich in Eritrea wirklich abgespielt hatte – diese Informationen erhielten Wangenheim und das Auswärtige Amt tröpfchenweise, zum einen durch mündliche Berichte von Deutschen und Türken im Osmanischen Reich, die Frobenius auf seiner Reise begegnet waren, zum anderen durch den Bericht des Kapitäns des deutschen Frachters „Christian X.“.78 Dieser war Frobenius in Massawa begegnet. Die Expeditionsteilnehmer hatten während ihres Aufenthaltes in Eritrea auf seinem Schiff gewohnt. Der Kapitän berichtete unter anderem, daß Frobenius mit der Verleihung deutscher Würden ausgesprochen großzügig verfuhr, auf eigene Faust im Namen des Auswärtigen Amtes einen erheblichen Kredit aufnahm und Lebensmittel requirierte. Darüber hinaus muß Frobenius ausgesprochen offen über seine Mission geredet haben, so daß sich sein Aufenthalt in der Hafenstadt schnell herumsprach.79 Der spätere deutsche Botschafter in Konstantinopel, Richard von Kühlmann, berichtete in seiner Autobiographie, ohne den Namen zu nennen, ausführlich über Frobenius’ Mission. Danach habe Frobenius beim Einlaufen in den Hafen von Massawa in voller Uniform am Bug seines Seglers ge73 74 75 76
Wangenheim an Auswärtiges Amt, 30. April 1915. NA, GF 14/138. Wangenheim an Reichskanzler, 2. Mai 1915. NA, GFM 14/138. Ebenda. Auswärtiges Amt an Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Großen Hauptquartier, 4. Mai 1915. Weltkrieg Nr. 11g, geheim, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Ägypten, Syrien und Arabien, R 21147. 77 Aktennotiz, Mai 1915, Ebenda. 78 Motorschiff Christian X. 16. Reise, Rapport des Kapitäns, Massaua, 26. Februar 1915. Weltkrieg Nr. 11g, geheim, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Ägypten, Syrien und Arabien, R 21145. 79 Ebenda.
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standen und mit seiner Begleitung donnernde Hurras auf Wilhelm II. ausgebracht.80 Nach Kühlmann trat Frobenius in Konstantinopel stets in Begleitung eines farbigen Knaben auf, der ihm den Regenschirm voran trug.81 In Syrien sei er in Phantasieuniform unter dem Namen „Abdul Kerim Pascha, der Berater des deutschen Kaisers aufgetreten“.82 Erheblich ernster scheinen Vorwürfe gewesen zu sein, Frobenius und seine Männer hätten sich „Freiheiten mit Beduinenmädchen erlaubt“83 und dadurch Aufruhr unter der syrischen Bevölkerung hervorgerufen. Schließlich sagte Kühlmann ihm noch eine Vorliebe für Alkohol nach: „Ein Konsul teilte mir mit, der mysteriöse Reisende ziehe kreuz und quer in Syrien und Palästina umher; zerbrochene KognakFlaschen bezeichneten, wie er sich ausdrückte, seinen Weg.“84 Mag man auch nur die Hälfte dieser Vorwürfe glauben – Frobenius hatte sich eindeutig durch sein Verhalten völlig ins Abseits manöveriert. Der deutschen Kriegführung war durch seine Expedition keinerlei Nutzen, sondern nur diplomatische Verwicklungen mit Italien und Peinlichkeiten in der Zusammenarbeit mit der Türkei erwachsen.
3.1.4 Die deutsche Zentralafrika-Expedition Ein von vornherein auf einer nicht erfüllten Prämisse basierendes und als Fehlschlag zu bezeichnendes Revolutionierungsunternehmen war die so genannte ZentralafrikaExpedition. Die Planungen dazu beruhten auf Ideen des Herzogs Adolf Friedrich von Mecklenburg, der im Reichskolonialamt Unterstützung fand.85 Das Unternehmen sollte „von Ägypten aus gegen den englischen Kolonialbesitz in Zentralafrika“86 geführt werden. Die an keiner Stelle der überlieferten Dokumente genannte Prämisse dafür war natürlich die Eroberung Ägyptens durch die Türken. Da diese niemals erfolgte, waren weitgehende Revolutionierungsplanungen für Zentralafrika hinfällig. Im Februar 1915 sollte zuerst die Durchführbarkeit eines solchen Vorhabens durch zwei Erkundungskommandos geprüft werden.87 Träger des Unternehmens war das Reichskolonialamt. Das Auswärtige Amt und der Generalstab des Feldheeres billigten die Expeditionen. Unter dieser Voraussetzung überwies das Reichsschatzamt 200.000 Mark.88 Seitens der Militärs scheint es allerdings Skepsis gegeben zu haben. 80 81 82 83 84 85
Kühlmann: Erinnerungen, S. 463. Ebenda, S. 460. Ebenda. Ebenda, S. 462. Ebenda. Staatssekretär Reichskolonialamt an Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 24. Februar 1915. NA, GFM 14/138. 86 Ebenda. 87 Ergebnis der Beratung, betreffend eine arabisch-ägyptische Expedition gegen den englischen Kolonialbesitz Zentralafrikas. Berlin, 23. Februar 1915. NA, GFM 14/138. 88 Ebenda.
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Ausrüstung, Waffen und „sonstiges Heeresgerät“89 wollte das Kriegsministerium erst zur Verfügung stellen, „wenn Deutschland im Kampf nach zwei Fronten wenigstens in einer Richtung wesentlich entlastet sei“.90 Für die Militärs hatten die Revolutionierungspläne also keineswegs Priorität. Die beiden Vorkommandos sollten zeitversetzt abreisen. Das erste hatte die Aufgabe, die Sinai-Halbinsel, die Regionen um Medina, Port Sudan, Khartum, Addis Abeba, sowie Uganda und Französisch Somaliland zu erkunden91 sowie Fühlung mit Musil aufzunehmen.92 Die Entsendung der zweiten Staffel machte das Kolonialamt von den Ergebnissen dieser Erkundung abhängig.93 Die Expedition bestand aus drei Deutschen unter Führung des Obersten Rochus Schmidt.94 Die drei kamen nicht weit. Im Mai 1915 saßen sie in Jerusalem fest.95 Den Suezkanal konnten sie nicht überschreiten, andere Wege in Richtung Arabische Halbinsel vermochten sie offenkundig nicht zu finden. Der deutsche Botschafter in der Türkei hatte die drei Männer auf dem Halse und versuchte, sie so schnell wie möglich wieder los zu werden. In Jerusalem gebe es zu viele Deutsche: „Anwesenheit so vieler deutscher Offiziere an einem Ort in politischer Hinsicht höchst unerwünscht und geeignet, Gegnern Material für Propaganda unter Arabern zu liefern.“96 Operationen gegen den Kanal seien nicht vor dem Herbst zu erwarten, Verwendung habe man für die drei nicht, und die Rückreise sei billiger als ein weiterer Aufenthalt in Jerusalem.97 Spätestens im Juli befand sich das Erkundungskommando wieder in Berlin, wo Oberst Schmidt einen Abschlußbericht verfaßte, der dem Kolonialamt, dem Auswärtigen Amt und dem Generalstab zugeleitet wurde.98 Dieser Bericht ist ein Dokument des Scheiterns: Schmidt vermochte keinerlei Informationen über die Stimmung auf dem Sinai, der Arabischen Halbinsel oder gar in Afrika zu liefern. Statt dessen erging er sich ausführlich über die Chancen und Risiken eines zweiten Kanalunternehmens, das Scheitern des ersten, die Person Cemal Paschas und die Lage in Syrien – alles Dinge, die mit seinem eigentlichen Auftrag nichts zu tun hatten. Die Zentralafrika-Expedition hätte das Kolonialamt zu diesem Zeitpunkt eigentlich zu den Akten legen können und müssen. Allerdings war trotz des offensichtlichen Mißerfolges an eine Liquidierung des Unternehmens noch nicht zu denken. Der Grund dafür war die Person des Mecklenburger Herzogs. Dieser nämlich war 89 Ebenda. 90 Ebenda. 91 Anweisung Nr. 1 für die I. Staffel des Arabisch-Ägyptischen Erkundungskommandos. 23. Februar 1915. NA, GFM 14/138. 92 Ebenda. 93 Ebenda. 94 Ebenda. 95 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 6. Mai 1915. NA, GFM 14/139. 96 Ebenda. 97 Ebenda. 98 Schlußbericht des Obersten Rochus Schmidt, 29. Juli 1915. GFM 14/139.
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bereits Ende Juli nach Konstantinopel gereist, um seine Pläne weiter zu verfolgen. Der deutsche Botschafter berichtete von einem Treffen des Herzogs mit Enver Pascha, bei dem der Türke dem Deutschen offenbar seine Pläne endgültig und gründlich ausredete.99 Bei einem Empfang beim Sultan überbrachte der Herzog diesem einen Orden, wurde selbst dekoriert, besichtigte einige Tage die Dardanellen-Front und reiste nach einem Aufenthalt von zehn Tagen wieder zurück nach Deutschland.100 Erst damit waren die Afrika-Pläne endgültig beerdigt.
3.1.5 Die Expedition Musil Die Arabien-Expedition des Prälaten Alois Musil101 war das einzige Orient-Unternehmen, bei dem Österreich-Ungarn federführend war. Rätselhaft erscheint das Zustandekommen der Expedition, wurden die damit verbundenen Umstände doch in Österreich ganz anders interpretiert als in Deutschland. Eine Aktennotiz des Ministeriums des Äußeren legt nahe, daß die deutsche Regierung Musil gebeten hatte, für sie tätig zu werden.102 Musil habe allerdings zur Bedingung gemacht, daß er Chef der Mission werde, „und dadurch der österreichisch-ungarischen Politik die Vorteile einer solchen Beeinflussung der Araberstämme zugute kommen lassen könnte“.103 Das Ministerium des Äußeren entschied sich, Musil zu unterstützen und holte auch die Zustimmung des österreichischen Kaisers zu dem Unternehmen ein.104 Musil dürfte allerdings falschgespielt haben. Offenkundig hatten ihn keineswegs die Deutschen angesprochen. Ein solches Vorgehen scheint auch im Lichte des stark ausgeprägten Prestigedenkens dieser Zeit unwahrscheinlich. Die Deutschen hätten es als Schwäche interpretiert, den Bundesgenossen in dieser Sache um Hilfe zu bitten. Es hätte den Eindruck vermitteln können, als ob es in Deutschland für solche Aufgaben keine 99 Wangenheim an Auswärtiges Amt, 13. August 1915. NA, GFM 14/139. 100 Ebenda. 101 Geboren 1868 in Mähren, Professor der Biblischen Hilfswissenschaften und der arabischen Sprache an der Universität Wien. Reisen nach Arabien 1906, 1908, 1910, 1912. Geographische und ethnologische Forschungen. Vgl. Aktennotiz, Ministerium des Äußeren, 2. Juli 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 102 „Wie dem Ministerium des Aeußeren bekannt ist, organisiert Deutschland geheime Missionen nach Afghanistan, Sibirien, dem Kaukasus und Aegypten, um die dortige einheimische Bevölkerung gegen Rußland beziehungsweise England aufzuwühlen. Eine solche Mission wird deutscherseits auch für Arabien vorbereitet und hat man sich zu diesem Zwecke mit dem bekannten Arabienforscher und -Kenner Professor Musil in Verbindung gesetzt.“ Aktennotiz Ministerium des Äußeren, 6. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 103 Ebenda. 104 Ebenda. Musil wurde noch vor seiner Mission der Titel „Hofrat“ verliehen. Vgl. Minister für Kultus und Unterricht an Minister des Äußeren, 11. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915.
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geeigneten Männer gegeben hätte. Musil hatte sich schlicht den Deutschen angedient. Belegt wird das durch ein Schreiben des deutschen Botschafters in Wien.105 Es berichtet von Musils Besuch am 13. Oktober 1914, bei dem der Prälat um deutsche Unterstützung für seine Mission warb.106 Allerdings befürwortete der deutsche Botschafter das Vorhaben Musils in seinem Schreiben wärmstens. An keiner Stelle gibt es aber Hinweise darauf, daß etwa die deutsche Regierung Musil rekrutiert oder um seine Mitarbeit gebeten hätte.107 Von Wien aus reiste Musil im Oktober 1914 zuerst nach Konstantinopel. Er führte 26.500 österreichische Kronen in Gold mit sich.108 Weitere 50.000 Kronen sollten für ihn auf Konten der Deutschen Bank in Konstantinopel und Bagdad und Damaskus bereitstehen, Deutsche und Österreicher übernahmen je zur Hälfte die Kosten.109 In Konstantinopel ereichte unterdessen der österreichische Botschafter die Zustimmung der Türken zu Musils Mission.110 In Wien war die Aufgabe allerdings äußerst vage formuliert worden: „Ein Unternehmen in Arabien, um die dortigen Beduinen gegen Ägypten aufzuwiegeln“.111 Erst nach Musils Ankunft in Damaskus wurden die Ziele konkreter. Offensichtlich liefen diese auf eine Unterstützung des ersten deutsch-türkischen Unternehmens gegen den Suezkanal hinaus. So sollte der Prälat gemeinsam mit Nūrī Šalān, dem Führer der Ruwala-Beduinen, die arabischen Stämme dazu bewegen „ein Hilfskorps von 2500 Mann gegen Ägypten und ein anderes Korps zur Ueberwachung der Drusen zustande[zu]bringen“.112 Außerdem sollte er die Stämme dazu bewegen „etwaige Landungen englischer Truppen in Akaba oder am Roten Meer zu hindern“113 sowie den Frieden zwischen den arabischen Fürsten Ibn Sa‘ūd und Ibn Rašīd zu vermitteln, die in einen Krieg auf der arabischen Halbinsel verstrickt waren.114 105 Deutscher Botschafter in Wien an Auswärtiges Amt, 14. Oktober 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, geheim, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Ägypten, Syrien und Arabien, R 21145. 106 Ebenda. 107 Das im Gegensatz zu Bauer, der annimmt, daß die Deutschen Musil angesprochen hatten. Vgl. Bauer: Musil. S. 205. 108 Musils handschriftliche Kostenaufstellung für seine Mission und Aktennotiz , 23. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 109 K.u.k Botschafter in Berlin an Ministerium des Äußeren, 26. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 110 Pallavicini an Ministerium des Äußeren, 27. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 111 Aktennotiz Ministerium des Äußeren, 6. Oktober 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 112 Telegramm Musils an Auswärtiges Amt, zitiert in k.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 28. November 1914. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 113 Ebenda. 114 Ebenda.
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Musils Eintreffen in Konstantinopel war für ihn ausgesprochen enttäuschend. In einem Brief an das Ministerium des Äußeren beklagte er sich, daß niemand über seine Mission informiert gewesen sei. Die Botschaften hätten sich nicht um ihn gekümmert, nur bei Liman von Sanders habe er Verständnis gefunden. Dieser habe ihn schließlich auch bei Enver eingeführt.115 Musil verlangte mehr Geld und verstieg sich zu der Behauptung, „dass die Aktion gegen Ägypten nur mit meiner Hilfe erfolgreich durchgeführt werden kann“.116 Aber schon im Januar erreichte Wien eine erste Nachricht vom Scheitern Musils. Die Träume vom arabischen Hilfscorps hatten sich in Luft aufgelöst.117 In den folgenden Wochen berichtete Musil schließlich von angeblich durch ihn vermittelten Friedensschlüssen zwischen verschiedenen arabischen Stämmen, vor allem aber zwischen Ibn Rašīd und Nūrī Šalān sowie Ibn Rašīd und Ibn Sa‘ūd. Dieser Friedensschluß sollte laut Musil Streitkräfte Ibn Rašīds für den Einsatz am Kanal frei machen.118 Allerdings blieben auch diese Streitkräfte Phantasiegebilde. Trotzdem machte der Prälat unter den Österreichern in Syrien und auch in Wien durchaus Eindruck. Ihm gelang es, seine Mission als Erfolg zu verkaufen.119 Das mag wohl vor allem daran liegen, daß die entsprechenden Stellen über die wirklichen Verhältnisse in Arabien nur ausgesprochen schlecht orientiert waren. So schenkte man auch seiner Meldung uneingeschränkt Glauben, er habe „alle Stämme [...] zwischen dem Rothen Meere und dem persischen Golf für die Regierung gewonnen“.120 Ob Musil bewußt gelogen hat oder aber von seinen arabischen Verhandlungspartnern über den Tisch gezogen wurde, ist nicht mehr vollständig zu klären. Anzunehmen ist wohl eher letzteres. Fakt ist, daß insbesondere Nūrī Šalān, dem Musil voll vertraute, später mit seinen Ruwala zu einer wichtigen Stütze der durch die Briten entfachten Revolutionierung der Araber, des sogenannten Arabischen Aufstandes, 115 Brief Musils an k.u.k. Minister des Äußeren, Abschrift, Damaskus, 1. Dezember 1914. NA, GFM 14/138. 116 Ebenda. Merkwürdigerweise behauptet Bauer, die Deutschen in Damaskus hätten Musil gesagt, die Aktion gegen den Kanal könne nicht ohne ihn durchgeführt werden. Bauer belegt nicht. In der Tat gibt es keine Hinweise auf eine solche Äußerung. Vgl. Bauer: Musil, S. 209. 117 „Der zwischen den Stämmen der Ruala und der Schammar bestehende Kriegszustand macht bisher Entsendung des bereitgestellten Hilfscorps von 5000 Mann unmöglich. Musil reist demnächst weiter nach Ibn-Reschid [sic!], um den Frieden zu verhandeln.“ Musil an Ministerium des Äußeren, 31. Januar 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 118 Brief Musils an k.u.k. Minister des Äußeren, Abschrift, Damaskus, 29. Dezember 1914. NA, GFM 14/138. 119 Vgl. k.u.k Konsul in Damaskus an Ministerium des Äußeren, 16. Februar 1915. HHStA, PA, Generalia 1907 – 1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. Der Konsul bewertete Musils Leistungen bei den „Friedensschlüssen“ als bedeutender als die mißglückte Stellung eines Hilfskontingentes aus Beduinen. 120 Meldung Musils, 18. April 1915. Zitiert in: k.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 23. April 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915.
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wurde.121 Gleiches gilt für weitere Stämme wie die Howeitat und Beni Sahr, die Musil auf die Seite der osmanischen Regierung gebracht haben wollte, die später aber allesamt auf britischer Seite kämpften.122 Noch vor Musils Rückkehr nach Wien im Laufe des Jahres 1915 kamen ernste Zweifel an seinen Erfolgen auf. Die Türken glaubten dem Prälaten kein Wort. Enver Pascha artikulierte das deutlich gegenüber dem österreichisch-ungarischen Militärbevollmächtigten:123 Die Tatsachen stimmten mit den Berichten Musils nicht überein. Ibn Sa‘ūd und Ibn Rašīd hätten keinen Frieden geschlossen. Darüber hinaus sei Musil als Muslim aufgetreten, hätte Gebete mit den Arabern verrichtet. Das habe Mißtrauen erzeugt, weil gleichfalls bekannt geworden sei, daß Musil „ein fremder Sendling sei“124. Auch die Deutschen waren von Musils Leistungen mehr als enttäuscht. Oberst Kreß, Führer der Kanaloperation, sprach sich im Mai 1915 gegen eine Dekorierung Musils aus.125 Liman von Sanders schließlich beantragte für Musil das Eiserne Kreuz II. Klasse126 – eine niedrige Auszeichnung als Trostpflaster, die deutlich die Leistungen Musils bewertete: Die deutschen Militärs in der Türkei sahen sie als nicht vorhanden an: „Bei den in Frage kommenden militärischen Stellen ist man nach wie vor der Ansicht, daß die Unternehmung des Hofrats Musil keine wesentlichen Erfolge gezeitigt habe. Nach einer Mitteilung des Marschalls Liman von Sanders hat Oberst von Kress auf erneute Anfrage geantwortet, daß ihm Verdienste des Hofrats Musil nicht bekannt seien.“127 Noch im Januar 1918 berichtet der deutsche Konsul in Damaskus von falschen Informationen Musils, die dieser während seiner Expedition verbreitet habe.128 In Österreich blickte man dagegen freundlicher auf den Missionschef. Zwar bescheinigte auch der Militärbevollmächtigte Pomiankowski in seiner Autobiographie Musil komplettes Scheitern,129 während des Krieges sah man das in Wien jedoch deutlich anders. Vermutlich wollte man sich dort gegenüber den Deutschen keine Blöße geben, indem Musils Mission als erfolglos interpretiert wurde. So wurde ihm im Jahr 1917 eine höhere Auszeichnung verliehen, nämlich der Stern zum Komturkreuz des Franz Joseph Ordens.130 Die Begründung lautete, Musil habe „die ihm gestellte Aufgabe zur vollen Zufrie121 Vgl. Lawrence: Sieben Säulen, S. 194 und S. 332f. sowie Wilson: Lawrence, S. 307 f. 122 Musil an Ministerium des Äußeren, 27. Februar 1915. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 123 K.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 4. Mai 1915. HHStA, PA, Generalia 1907– 1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915. 124 Ebenda. 125 „Hofrat Musil hat keine seiner vielen Versprechungen wegen Lieferung von Kamelen und Kamelreitern erfüllt.“ Kreß an Generalstab Berlin, Sektion Politik, 19. Mai 1915. NA, GFM 14/139. 126 Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 3. November 1916. NA, GFM 14/139. 127 Ebenda. 128 Deutscher Konsul in Damaskus an Auswärtiges Amt, 31. Januar 1918. NA, GFM 14/139. 129 Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 171f. 130 Aktennotiz, Ministerium des Äußeren, 2. Juli 1917. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 948, Krieg 24: Mission Musil nach Syrien, 1914–1915.
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denheit der beteiligten Regierungen gelöst“.131 Bemerkenswert ist, daß trotz des offenkundigen Scheiterns der Musil-Mission bis heute in der österreichischen Literatur seine Aktivitäten als ausgesprochen erfolgreich bewertet werden.132 Im September 1917 gelangte Musil noch einmal in offiziellem Auftrag ins Osmanische Reich. Seine Aufgabe bestand diesmal vor allem darin, die österreich-ungarische Position in Konkurrenz zur Deutschland einzuschätzen und zu bewerten.133 Offenbar versuchte Musil auf dieser Mission vor allem, durch Bestechung gegen Deutschland zu arbeiten und eine Basis loyaler Einheimischer für Österreich-Ungarn zu schaffen.134 Sein Biograph Bauer zitiert ein von Musil 1919 verfaßtes Schriftstück, in dem dieser schrieb, er habe „im Jahre 1917 […] im Osten nur gegen die Preußen gearbeitet. Mit den Engländern und Franzosen stand ich in freundlicher Verbindung.“135 Der erste Teil dieser Äußerung dürfte wahr sein. Musil war den Deutschen seit seiner ersten Mission in tiefer Abneigung verbunden. Der zweite Teil ist wohl aber eine Erfindung des phantasievollen Prälaten. Es existieren keinerlei Hinweise, die einen Kontakt Musils zu Briten oder Franzosen während des Krieges belegen. Hätte es einen solchen gegeben, wäre dieser ganz sicher dokumentiert worden. Bei aller Großmannssucht und Überhebung war Musil schließlich durch seine Vorkriegspublikationen ein bekannter und durch seine offiziellen Aufträge von der k.u.k. Regierung ein wichtiger Mann. Das britische Arab Bureau hätte die Chancen eines solchen Kontaktes nicht ungenutzt gelassen. Hier hätte sich für die Briten nämlich die Möglichkeit ergeben, Informationen abzuschöpfen. Das wiederum hätte zwangsläufig Spuren in den Aufzeichnungen dieser Institution hinterlassen. Solche Spuren aber existieren nicht; mithin dürfte Musils Aussage eine Unwahrheit gewesen sein.
3.1.6 Die Stotzingen-Neufeld-Expedition Bei der Stotzingen-Neufeld-Expedition handelt es sich um ein Unternehmen, das relativ spät ins Werk gesetzt wurde. Die Euphorie des Heiligen Krieges und der damit verbundenen Chancen für die Revolutionierung von Feindgebiet, die im Jahre 1914 noch im Auswärtigen Amt, im Reichskolonialamt und bei den militärischen Stellen Deutschlands geherrscht hatte, war zu diesem Zeitpunkt schon deutlich gedämpft. Trotzdem versuchten die Deutschen noch einmal, die Waffe Revolutionierung zu
131 Ebenda. 132 Vgl. zum Beispiel Pethö: Agenten, S. 110; Bauer: Musil, S. 256f. und insgesamt Feigl: Musil von Arabien. Vorkämpfer der islamischen Welt. Frankfurt/Main, 1988. 133 Vgl. Instruktion für die vom k.u.k. Kriegsministerium abgehende Orientmission. In. Bauer: Musil, S. 298–300. 134 Vgl. Bauer: Musil, S. 309–311. 135 Ebenda, S. 312.
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reaktivieren. Das geschah im Gegensatz zu früheren Versuchen nun aus voller Defensive heraus. Es sollte der letzte Versuch dieser Art sein. Seit Kriegsbeginn hatte die Sorge um die militärische Lage in den deutschen Kolonien in Afrika das Reichskolonialamt umgetrieben. Ende 1915 sah der Staatssekretär keine Möglichkeit mehr, den Truppen in Kamerun und Deutsch-Ostafrika durch eine Flottenaktion Nachschub oder Verstärkung zuzuführen.136 Das Fazit des Staatssekretärs war ein Griff in die Wunderkiste asymmetrischer Operationen: „Unter diesen Umständen bleibt als einziger Weg, auf welchem die noch in unserem Besitz befindlichen Kolonien von dem Druck der feindlichen Übermacht entlastet werden könnten, die Erregung von Eingeborenen-Aufständen in den benachbarten Provinzen.“137 Für Kamerun sah das Amt diese Möglichkeit aus geographischen Gründen nicht, jedoch sehr wohl für Deutsch-Ostafrika. Das Vorhaben lautete: Revolutionierung des Südsudan mit Unterstützung der abessinischen Grenzstämme.138 Der Vorschlag des Kolonialamtes lief darauf hinaus, mit großen Geldmitteln versehene Emissäre in die Region zu senden. Diese sollten keineswegs Europäer sein, sondern „eingeborene Emissäre [...] In Frage kommen arabische Händler, die ihren Sitz in den arabischen Küstenplätzen im Inneren, zumal in Hodeida, haben und die schon seit Jahrzehnten mit Waffen und Munition auf ihren Schmugglerpfaden bis tief in den Sudan und das Innerste Afrikas hineingezogen sind. [...] ehrgeizige abessinische Große, die sich durch erfolgreiche Raubzüge in den Sudan Geld und Anhang erwerben möchten, [...] dann aber vor allem die Häuptlinge der arabischen Grenzstämme.“139 Nach Vorstellung des Amtes sollten diese Operationen von Südarabien geleitet werden. Dort sollte ein Deutscher „die Verhandlungen sowohl mit den arabischen als auch den abessinischen Mittelspersonen führen, die Geldmittel verteilen usw.“140 Als Budget veranschlagte das Amt eine Million Mark. Der Generalstab unterstützte die Idee aus dem Kolonialamt.141 Das Personal sollte aus Salomon Hall, der schon mit Frobenius unterwegs war, dem Deutschen Carl Neufeld142 und einem noch nicht bestimmten Chef des Unternehmens beste-
136 Staatssekretär des Reichskolonialamtes an Chef des Generalstabes, 29. Dezember 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 137 Ebenda. 138 Ebenda. 139 Ebenda. 140 Ebenda. 141 Falkenhayn an Reichskolonialamt, 2. Januar 1916. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 142 Carl Neufeld, geboren am 4. August 1856, gestorben in Beelitz bei Berlin, am 2. Juli 1918. Bekannt geworden als der Gefangene des Mahdi. Vgl. Der Neue Orient, No. 8, Berlin, 30. Juli 1918, S. 391f. Nahm an der Expedition gegen die Mahdisten nach Khartum (1884/85) teil. Später Kaufmann. Geriet in die Gefangenschaft des Mahdi (1887). Erst 1898 befreit. DBE, Stichwort Neufeld.
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hen.143 Neufelds Instruktionen waren, wohl als Resultat der schlechten Erfahrungen mit vorangegangenen Agenten, vor allem mit Frobenius, ausgesprochen scharf formuliert. So sollte Neufeld ausdrücklich jegliches Aufsehen vermeiden, strengste Verschwiegenheit üben und jegliche Reibereien mit türkischen Stellen unterlassen. Seine gesamte Post unterlag der Zensur. Zuwiderhandlungen waren mit Sanktionen bedroht. Im Falle eines Erfolges wurde Neufeld dagegen nur eine Belohnung von bis zu 5000 Mark versprochen.144 Bis zum März 1916 dauerten die Vorbereitungen. Die politische Abteilung des Generalstabes hatte inzwischen den Freiherren Othmar von Stotzingen zum Leiter der Expedition und der in Südarabien zu errichtenden Nachrichtenstelle ernannt. Neufeld und Hall wurden ihm unterstellt, der Dragoman Diehl als Vertreter des Auswärtigen Amtes ihm zugeteilt. Zur Gruppe gehörten auch zwei Funker.145 Das Auswärtige Amt hatte unterdessen Enver Paschas Erlaubnis zur Errichtung der Nachrichtenstelle eingeholt, so daß Neufeld und Stotzingen im März 1916 von Konstantinopel in Richtung Damaskus aufbrechen konnten.146 Die Stadt erreichte Stotzingen mit seinen Leuten am 16. April. Nach ausgedehnten Querelen mit Cemal Pascha – der Herr Syriens fühlte sich übergangen, weil er von seiner Regierung nicht über die Expedition informiert worden war und versuchte alles, um die Gruppe aufzuhalten147 – reisten die Deutschen schließlich am 28. April nach al-‘Ulā weiter.148 Dort fehlten Transporttiere, so daß Stotzingen seine Funkanlage, beträchtliche Teile seiner Ausrüstung sowie gemünztes Geld den Türken anvertrauen mußte, da er schlicht keine Möglichkeit mehr hatte, diese Dinge zu transportieren.149 Am 23. Mai erreichte die Gruppe – Neufeld war schon früher dorthin abgereist – schließlich Yanbu‘, wo die Türken der Expedition endgültig ein Ende machten. Stotzingen und seine Begleiter wurden rund drei Wochen festgehalten. Der Expeditionsführer verglich die Situation mit der von Gefangenen.150 Schließlich brach am 5. Juni der Aufstand des Scherifen vom Mekka aus. Die Türken in Medina verboten daraufhin ultimativ die Weiterreise und verfügten die Rückkehr nach Damaskus. Diese geschah 143 Staatssekretär des Reichskolonialamtes an Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 17. Januar 1916. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 144 Instruktionen für Herrn Carl Neufeld. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 145 Sektion Politik des Generalstabes, Hauptmann Nadolny, an Auswärtiges Amt, 12. März 1916. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 146 Auswärtiges Amt an Botschafter in Addis Abeba, 13. März 1916. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21139. 147 1. Bericht des Freiherrn von Stotzingen, 16. April 1916. NA, GFM 14/139. 148 4. Bericht des Freiherrn von Stotzingen, 5. Mai 1916. NA, GFM 14/139. 149 Ebenda. 150 6. Bericht des Freiherrn von Stotzingen, 16. Juli 1916. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21142.
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zu Beginn mit Booten. Stotzingen beschrieb diese Rückreise als „fluchtartig“.151 Erhebliche Mengen Gepäck mußte er einfach zurücklassen. Sogar den Chiffrecode verbrannten die Deutschen. Ende Juni traf Stotzingen wieder in Damaskus ein – tief gedemütigt. Seinen Auftrag bezeichnete er als unerfüllbar.152 Daraufhin wurde Stotzingen Kreß zugeteilt und die Expedition aufgelöst.153 Die Stotzingen-Neufeld-Episode hatte allerdings ein den Deutschen verborgenes Nachspiel. Sie ermöglichte den Briten einen tiefen Einblick in die deutsche Revolutionierungstätigkeit. Dieser war so interessant, daß das Arab Bureau sich intensiv mit der Stotzingen-Expedition befaßte. Was war geschehen? Bei seiner Flucht aus Yanbu‘ hatte Stotzingen nicht nur Gepäck, sondern auch viele Schriftstücke zurückgelassen. Der Sohn des Herren von Yanbu‘ übergab diese den Briten.154 Darüber hinaus war ein Teil der Expeditionsmitglieder – zwei nicht identifizierte Deutsche, ein Türke und ein Inder, den Briten in die Hände gefallen. Die Deutschen waren dabei ums Leben gekommen, ihre Papiere gelangten zum Arab Bureau nach Kairo.155 Dort wurden einige Dokumente übersetzt und gedruckt, darunter Stotzingens vierter Bericht.156 Es gelang dem Arab Bureau auf diese Weise, den Verlauf der Stotzingen-Neufeld-Expedition nachzuvollziehen. Was Stotzingens konkreten Auftrag betraf, tappten die Briten dagegen noch im dunkeln. Die einzige Vermutung war, daß ,,Stotzingen’s mission was (in part at any rate) connected with the installation of wireless telegraphy in Arabia“.157 Das war grundsätzlich richtig, wenn es auch keineswegs Stotzingens Hauptaufgabe war, ja der Funk nur Mittel zum Zweck sein sollte. Erst im August 1916 wurde Stotzingens komplette Mission den Briten enthüllt. Nach einem nicht genauer zu lokalisierenden Gefecht in Mespotamien war ihnen ein türkisches Schriftstück in die Hände gefallen, das Stotzingens Aufgaben im Detail enthielt.158 Die Schlußfolgerung des Arab Bureau aus der Auswertung der Stotzingen-Papiere erscheint von einer gewissen Erleichterung geprägt. Der Ausbruch des Aufstandes habe letztlich eine eminente Gefahr für die britische Position im Orient gebannt. Die deutsch-türkische Aktion wurde dabei als bedrohlich eingestuft – selbst wenn die Expedition und ihr konkretes Programm letztlich gescheitert waren.159 151 Ebenda. 152 Deutscher Konsul in Damaskus an Auswärtiges Amt, 30. Juni 1915. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21142. 153 Deutscher Militärattaché an Stotzingen, 14. Juli 1916. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21142. 154 Arab Bureau Report, No. 14, 7. August 1916, S. 133. NA, FO 371/2771. 155 Ebenda, S. 135. 156 Ebenda, S. 136–138. 157 Ebenda, S. 133f. 158 Arab Bureau Report No. 22, 19. September 1916. NA, FO 371/2775. 159 „It [the arab rising] will continue as long as the Sherif holds out, to prevent the possibility of a considerable extension of our oriental front both by sea and land: otherwise there might result,
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3.1.7 Persien und Afghanistan Neben den Expeditionen in arabischsprachige Gebiete des Nahen und Mittleren Ostens stehen deutsche Operationen in Persien und Afghanistan. Sie stellen den eigentlichen Kern der Revolutionierungsstrategie der Mittelmächte dar. Dabei standen die dortigen Aktionen in einem engen inneren Zusammenhang. Nicht nur mußten ja die Afghanistan-Emissäre Persien durchqueren, auch sämtliche Nachrichtenverbindungen nach Konstantinopel und weiter nach Berlin konnten nur über persisches Territorium aufrechterhalten werden. Trotzdem sollen die beiden Operationen getrennt betrachtet werden, um ihre speziellen Anatomien zu verdeutlichen. Die verschiedenen deutschen Missionen nach Afghanistan160 sind die bekanntesten Revolutionierungsversuche Deutschlands. Viel ist über diesen Versuch, Afghanistan zum Kriegseintritt auf seiten der Mittelmächte zu bewegen geschrieben worden.161 Trotzdem scheint es nützlich, den Ablauf der Expedition darzustellen, insbesondere vor dem Hintergrund britischer Reaktionen und britischer Einschätzungen der deutschen Aktionen. Afghanistans politische Situation war geprägt von seiner Sandwich-Lage zwischen dem britischen Indien und Rußland. Seine Herrscher, zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem ‘Abd ar-Raåmān, verstanden es, durch eine Schaukelpolitik zwischen den Mächten162 und eine Reihe militärischer Erfolge163 die Kolonialisierung zu verhindern. Außenpolitisch allerdings besaßen die Herrscher keineswegs freien Handlungsspielraum. Die Anglo-Afghanische Übereinkunft von 1880 fixierte gewisse Einschränkungen. Demnach verpflichtete sich Großbritannien, ein unabhängiges Afghanistan anzuerkennen und gegen Angriffe von außen zu verteidigen, vorausgesetzt, der Emir beschränke seine auswärtigen Beziehungen auf Indien.164 Der Historiker Ludwig W. Adamec beschrieb drei Pfeiler der afghanischen Außenpolitik: for us and our allies, new and unpleasent problems of external policy – in Abysssinia, and internal politics – in our own provinces.“ Ebenda, S. 274. 160 Als Abriß zu den deutsch-afghanischen Beziehungen vgl. Schlagintweit, Reinhard: Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan – Rückblick und Ausblick. In: Löwenstein, Wilhelm: Beiträge zur zeitgenössischen Afghanistanforschung. Bochum, 1997, S. 23–35. 161 Vgl. unter anderem Mühlmann: Waffenbündnis, S. 70f.; Vogel: Niedermayer; Hughes, Thomas L.: The German Mission to Afghanistan. In: Schwanitz, Wolfgang G. (Hrsg.): Germany and the Middle East 1871–1945. Princeton, 2004, S. 25–63. Hans-Ulrich Seidt als Biograph Niedermayers behandelt zwangsläufig die deutsche Afghanistan-Expedition. Seidt, Hans-Ulrich: Berlin, Kabul, Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik. München, 2002, S. 43–104. Eine Einordnung in geopolitische Theorien nimmt ebenfalls Seidt vor. Ders.: Eurasische Träume? Afghanistan und die Kontinuitätsfrage deutscher Geopolitik. In: Orient, 3/2004, S. 423–442. 162 Vgl. Adamec, Ludwig W.: Afghanistan, 1900–1923, A Diplomatic History. Berkley und Los Angeles, 1967, S. 14–16. Adamec Ludwig W.: Historical Dictionary of Afghanistan. New York and London, 1991, S. 17 f. 163 Adamec: Dictionary, S. 32–35. 164 Adamec: Afghanistan, S. 16.
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„(1) assertion of national independence, (2) insistence on isolationism, and (3) promotion of a balance of power“.165 Beziehungen zum deutschen Reich und zu Österreich-Ungarn bestanden nicht. Der erste Deutsche in Kabul, Gottlieb Fleischer, war ein Angestellter der Firma Krupp, der dort eine Munitionsfabrik aufbaute. Nach Adamec wurde er 1904 nahe der indischen Grenze getötet.166 Die Afghanistan-Operation war eine derjenigen deutschen Aktionen, die bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch Form anzunehmen begannen. Es ist durchaus möglich, daß türkische Anregungen dabei eine Rolle spielten, wenn auch dieses Revolutionierungskonzept ein deutscher Plan war. So sprach der deutsche Botschafter in Konstantinopel bereits am 14. August 1914 mit Enver Pascha über den Komplex Afghanistan.167 In diesem Gespräch versicherte der Kriegsminister dem Deutschen, daß der Emir von Afghanistan168 „zu jeder feindlichen Unternehmung gegen England und Rußland bereit“169 sei. Er stehe mit ihm durch türkische Verbindungsoffiziere in Kontakt.170 Auch der Leiter der Afghanistan-Expedition, Oskar Ritter von Niedermayer, ging davon aus, daß die Idee zu seiner Afghanistan-Expedition ursprünglich von Enver stammte.171 Auch der Kaiser war in die Pläne eingeweiht. Wilhelm II. sprach sich dabei gegen die Mitnahme eines Handschreibens an den Emir von Afghanistan aus, um eine mögliche Kompromittierung zu vermeiden, wenn dieses in Feindeshand fallen sollte. Statt dessen bestand der Kaiser auf einer mündlichen Botschaft und einem Ehrensäbel als Geschenk für den afghanischen Monarchen.172 Niedermayer traf Ende September in Konstantinopel ein. Verschiedene Mitglieder der persischen Expedition traf er schon nicht mehr an; sie waren bereits nach Osten weitergereist. In seinem ersten Bericht aus Konstantinopel173 klagte Niedermayer vor allem über die unklare Struktur der Expedition; die Frage nach der Führung sei nicht beantwortet. Außerdem kritisierte er türkische Obstruktion. Die türkischen Behörden versuchten offenbar, die Expedition in ihre Hand zu bekommen.174 Dem deutschen Botschafter Wangenheim gelang es schließlich, die internen 165 Ebenda, S. 17. 166 Adamec: Dictionary, S. 88. 167 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 14. August 1914. NA, GFM 14/139. 168 abībollāh (1871–1919), Emir 1901–1919. Begann eine vorsichtige Modernisierung seines Landes, insbesondere in technischer Hinsicht. Wurde 1919 von Befürwortern eines Krieges gegen Großbritannien getötet. Vgl. Adamec: Dictionary, S. 99 f. 169 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 14. August 1914. NA, GFM 14/139. 170 Ebenda. 171 Niedermayer: Glutsonne, S. 16. 172 Staatssekretär an Unterstaatssekretär, 10. Oktober 1914. NA, GFM 14/139. 173 Niedermayer an Staatssekretär des Auswärtigen, 2. Oktober 1914. NA, GFM 14/139; vgl. auch Niedermayer: Glutsonne, S. 16f. 174 „Wir haben ja wohl das Geld, das Bestimmungsrecht aber die Türken. Es müsste uns von vornherein alleiniges Bestimmungsrecht zugebilligt werden. Gelegenheit und Möglichkeit, die Deutschen
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Führungsstreitigkeiten zumindest vorläufig zu besänftigen. Danach sollte die Expedition von Wilhelm Waßmuß, Oskar von Niedermayer und Hermann Consten gemeinsam geführt werden. Im Falle militärischer Ereignisse sollte der älteste Offizier, Major Friedrich von Versen, die Führung übernehmen.175 Schließlich konnte die deutsche Gruppe am 28. September 1914 Konstantinopel in Richtung Syrien verlassen.176 Unterdessen versuchte der deutsche Generalstab, die chaotische Führung der deutschen Expeditionen zu straffen und zu zentralisieren. Falkenhayn besetzte diese Führungsstelle, wie beschrieben, mit Rudolf Nadolny. Dessen Aufgabe war es, die deutschen Revolutionierungsunternehmen zu leiten und zu koordinieren sowie dazu „selbständig mit den Obersten Reichs- und preußischen Landesbehörden unmittelbar in Verbindung treten“.177 Zu Nadolnys Aufgabenbereich zählte zu diesem Zeitpunkt das Afghanistan- und Persienunternehmen noch nicht.178 Dieses kam allerdings spätestens im Februar 1915 hinzu.179 Nadolny selbst behandelt in seiner Autobiographie das Afghanistan-Unternehmen nur kurz und faktisch.180 Wie schätzten die Deutschen die Lage in Afghanistan zu diesem Zeitpunkt ein? Welche Nachrichten formten ihr Bild von den Verhältnissen in ihrem Zielland? Um es vorwegzunehmen – dieses Bild sah für ihre Mission durchaus günstig aus. Aus den eintreffenden Nachrichten aus Afghanistan konnte eine Chance für den Erfolg der Mission, also den Kriegseintritt Afghanistans auf seiten der Mittelmächte, herausgelesen werden. Im Dezember 1914 berichtete Wangenheim über ein Telegramm des Emirs an Enver Pascha. In diesem soll der Emir angefragt haben, „ob er die Russen oder die Engländer angreifen soll“.181 Der deutsche Geschäftsträger in Teheran meldete unter Berufung auf Agentenberichte im Januar 1915 große antirussische Demonstrationen in Herāt und Kabul, auf denen Krieg gegen Rußland die Hauptforderung gewesen sei. Die britische Agitation sei hingegen wenig erfolgreich kalt zu stellen, ist ja reichlich vorhanden. Wir wollen doch nicht das Werkzeug der türkischen Politik sondern der deutschen sein.“ Niedermayer an Staatssekretär des Auswärtigen, 2. Oktober 1914. NA, GFM 14/139. Unterstreichung im Original. 175 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Reichskanzler, 21. Oktober 1914. NA, GFM 14/139. 176 Waßmuß an Reichskanzler, undatiert, in Berlin eingegangen am 21. Oktober 1914. NA, GFM 14/139. 177 Runderlaß Chef des Generalstabes, 5. November 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, geheim, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Ägypten, Syrien und Arabien, R 21144. 178 Nadolny sollte sich im Herbst 1914 um die Unternehmen Otto von Mannesmanns in Nordafrika und die Expedition Musils kümmern. Ebenda. 179 Chef des deutschen Generalstabes an Militärattaché in Konstantinopel. 9. Februar 1915. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21128. In diesem Schreiben bezeichnete Falkenhayn die Expedition als gemeinsames Projekt von Auswärtigem Amt und Generalstab, das durch Nadolnys Abteilung koordiniert wurde. 180 Nadolny: Beitrag, S. 88. 181 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 5. Dezember 1914. Großes Hauptquartier, Akten des Vertreters des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier, R 22404.
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gewesen.182 Zwei Tage später bestätigte die Meldung eines weiteren Agenten diese Informationen.183 Das Bild des afghanischen Herrschers als antienglisch dürfte auch Enver Pascha zu dieser Zeit maßgeblich mitgeprägt haben. Ein entsprechendes Porträt des Emirs zeichnete er zum Beispiel gegenüber dem deutschen Korvettenkapitän Humann.184 Der Botschafter gab diese Nachrichten sofort weiter an den Reichskanzler. All diese Berichte ließen den Eindruck enstehen, das Land würde quasi wie eine reife Frucht den Mittelmächten in den Schoß fallen. Glaubte man dies, mußte ein Erfolg der deutschen Afghanistan-Mission absolut im Bereich des Möglichen liegen – wenn man erst dorthin gelangt war. Letzteres erschien den Expeditionsteilnehmern, auch dem diplomatischen Chef des Unternehmens, Werner Otto von Hentig, als das eigentliche Problem: „Fast noch nie, auch nicht in Friedenszeiten, war ein Deutscher aus Afghanistan wieder herausgekommen. Die scharfe Bewachung der afghanischen Grenze auf der indischen sowohl wie der turkestanischen und persischen Seite durch Engländer und Russen hatte jeden freien Verkehr mit dem rätselhaften Land unterbunden“.185 Mag all das aus der heutigen Sicht und vor allem wohl auch aus dem Wissen um das Resultat der deutschen Afghanistan-Expedition heraus überoptimistisch wirken, so war dieser Optimismus doch damals sehr berechtigt. Es gab in der Tat überschwengliche Sympathie für Deutschland, sogar bei den höchsten Repräsentanten der afghanischen Regierung. Darüber berichtete ein britischer Agent in Kabul im November 1914:186 Anläßlich eines Essens mit dem Oberkommandierenden der Armee und zwei Ministern des Emirs erklärten diese ihre Bewunderung für die deutschen Erfolge an der Westfront und entwarfen ihm gegenüber die Vision eines Krieges, in dem die Türkei und die restlichen islamischen Länder gemeinsam mit Deutschland gegen den Rest der christlichen Nationen kämpfen und siegen würden.187 Der afgha182 Deutscher Geschäftsträger in Teheran an deutschen Botschafter in Konstantinopel, zitiert in Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 1. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 183 Deutscher Geschäftsträger in Teheran an deutschen Botschafter in Konstantinopel, zitiert in Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 3. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 184 „Enver Pascha berichtet von dem Emir, daß er ein fanatischer Muhamedaner ist. Seiner Ansicht nach wird er zugunsten des Islams in den Krieg eingreifen, wenn es die Verhältnisse irgendwie aussichtsreich erscheinen lassen. Englisches Geld wird er nehmen, so lange er kann, schon um keinen Verdacht zu erregen. [...] Zur Zeit des Tripoliskrieges sandte er Enver ein langes Anerkennungsschreiben nach der Cyreneika und hat auch zur Unterstützung Envers Geldsammlungen im Lande veranstaltet.“ Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Reichskanzler, 26. Februar 1915. NA, GFM 14/140. 185 Hentig: Diplomatenfahrt, S. 22. 186 Diary of the British Agent at Kabul for the week ending the 8th November 1914. NA, FO 371/2147. 187 „The eventual violation, said the Naib-us-Sultanat, of neutrality by Turkey in favour of the German cause is to be feared and a hope is to be entertained that it will be followed by a universal war involving the whole world under the pretence or the other – a war between Christianity and Islam [...] – a war in which Islam and one Christian power (Germany) would be ranged on the one side
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nische Monarch H. abībollāh jedoch dachte wohl aus politischer Klugheit anders. So meldete der britische Agent in Kabul im Dezember 1914 in durchaus erleichtertem Tonfall, daß der Emir sich dem Aufruf des Sultans zum Heiligen Krieg nicht anschließen, sondern seine Neutralität bewahren werde.188 Die Deutschen waren dennoch keineswegs blauäugige Optimisten. Zumindest Oskar von Niedermayer war die Schwierigkeit seines Auftrages und auch die Möglichkeit eines Scheiterns seiner Mission durchaus bewußt. Entsprechende Bedenken formulierte er offen in seinen offiziellen Berichten.189 Die Deutschen Emissäre hatten – kein Wunder bei der schnellen, fast überstürzten Art und Weise, in der die Afghanistan-Expedition aufgestellt worden war – nicht zuletzt mit lästigen, ja verheerenden internen Problemen zu kämpfen. Diese hielten sowohl die Männer im Felde als auch die Führung im Generalstab und im Auswärtigen Amt über Wochen, ja Monate in Atem. Erst im Mai 1915 war die Homogenität der Afghanistan-Mission mit der Unterstellung von Hentigs unter Niedermayer endgültig hergestellt.190 Zu den ausgesprochen unangenehmen Begleiterscheinungen in der Frühzeit zählte auch das wenig diskrete Verhalten einiger Teilnehmer, die allerdings nicht mehr klar zu identifizieren sind. So beschwerte sich Wangenheim in Berlin über unstatthaften Briefwechsel von „Teilnehmern deutscher Expeditionen mit Frauenzimmern in Konstantinopel“.191 Darüber hinaus hätten sich Teilnehmer in Briefen nach Deutschland offen über ihre Aufgaben ausgesprochen, ja sogar Fotos beigelegt, die sie stolz in Uniform hoch zu Roß zeigten.192 Auch Kühlmann berichtet in seinen Memoiren vom zügellosen Verhalten einiger Deutscher in Konstantinopel.193 Unterdessen waren Niedermayer, Waßmuß und drei Inder von Aleppo nach Bagdad gereist, wo sie nach 16 Tagen am 5. Januar 1915 eintrafen.194 Dort trennten sich Niedermayer und Waßmuß. Niedermayer erhielt den alleinigen Befehl über die Afghanistan-Expedition, während Waßmuß sich der Revolutionierung Persiens zuwenden wollte.195 Unterdessen waren auch andere Deutsche in Bagdad eingetroffen, and ther rest of the Christian powers on the other. According to the spreaker there were already indications that Islam and Germany would be victorious [...] “ ebenda 188 Diary of the British Agent at Kabul for the period ending 24th December 1914. NA, FO 371/2482. 189 „Ich halte an und für sich die Aufgabe, den Emir zum Losschlagen gegen Indien zu bewegen für außerordentlich schwierig. Er will jedenfalls Garantien für Waffenlieferungen, gegebenenfalls auch einige Truppenunterstützung.“ Bericht Niedermayers, ergänzende Bemerkungen zum Telegramm vom 15. Januar 1915, Bagdad, 20. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 190 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 5. Mai 1915. NA, GFM 14/140. 191 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 3. Januar 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unsere Feinde in Syrien und Arabien, R 21129. 192 Ebenda. 193 Kühlmann: Erinnerungen, S. 458. 194 Waßmuß an Reichskanzler, Bagdad, 18. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 195 Ebenda, vgl. auch Niedermayer: Glutsonne, S. 22.
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die sich ebenfalls nach Persien begeben sollten.196 Problematisch blieb das Verhältnis zu den Türken. Diese wollten die Deutschen von Bagdad aus nicht weiterreisen lassen.197 In der Tat trat in Bagdad so etwas wie ein Stillstand ein. Dieser war das Resultat deutsch-türkischer Reibungen, die sich sowohl an den unterschiedlichen politischen wie ökonomischen198 Interessen der Deutschen und Türken entzündeten als auch an dem, was man heute mit mangelnder interkultureller Kompetenz bezeichnen würde.199 Der deutsche Militärattaché faßte diese Aspekte des Konfliktes so zusammen: „Die Führer, Hauptmann Klein [Führer der Expedition zur Revolutionierung Südpersiens] und Oberleutnant Niedermayer haben offenbar in der äußerst schwierigen Behandlung türkischer Charakter-Eigentümlichkleiten Fehler gemacht, so daß zeitweise das unerlässliche Zusammenwirken mit den türkischen Behörden in Bagdad, besonders mit dem Oberstkommandierenden Suleiman Askeri völlig abgerissen war. Verschärft wurde diese aus dienstlichen Gegensätzen entsprungene Verstimmung durch den höchst unangebrachten Besuch einiger Expeditionsmitglieder in dem hochheiligen schiitischen Wahlfahrtsort Kerbala. Rittmeister Professor Sarre und andere gewiegte Orientkenner halten diesen (zweifellos gut gemeinten) Besuch für einen schweren Taktfehler, der uns böses Blut gemacht hat. Die schiitischen Priester haben sich infolge dieser Invasion wochenlang umständlichen Reinigungsproceduren unterwerfen müssen. Eine andere Massregel des Hauptmann Klein: die Entsendung des Ingenieurs Blumenau mit einem ,prospector‘Auftrag nach den Oelquellen vorn Kerkuk, den Erzlagern von Diarberkir und den Kupfergruben bei Angora dürften eine andere Saite in den Gemütern Suleiman Askeris und seines Adlatus Rauf Bey unharmonisch berührt haben, nämlich die sehr empfindliche geschäftliche. Askeri und Rauf gelten als smarte Geschäftsleute; unter ihrer geflissentlichen Fernhaltung Kleins von den Karun-Oelquellen vermutet man wohl nicht zu Unrecht finanzielle Gründe und das Interesse der Expedition Klein für Kerkuk hat ihrem Argwohn gegen eine spätere deutsche Ausbeutung der Karun-Quellen neue Nahrung gegeben.“
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, daß der inzwischen ausgeschiedene Waßmuß der einzige Expeditionsteilnehmer war, der Persisch sprach,200 und Niedermayer sich mit dem Chef der türkischen Afghanistan-Mission auf Englisch verständigte.201 Niedermayers Eindruck in dieser Phase war, daß die Türkei „das türkisch-persische Grenzgebiet, wie überhaupt alle Tätigkeit in den östlichen islamischen Staaten als 196 Deutscher Militärattaché in Konstantinopel an Stellvertretenden Generalstab, Abteilung III.b. NA, GFM 14/140. 197 Waßmuß an Reichskanzler, Bagdad, 18. Januar 1915. NA, GFM 14/140. Niedermayer: Glutsonne, S. 25–44. 198 Vgl. Mühlmann: Waffenbündnis, S. 70f. 199 Deutscher Militärattaché in Konstantinopel an Stellvertretenden Generalstab, Abteilung III.b. NA, GFM 14/140. Unterstreichung im Original. 200 Niedermayer: Glutsonne, S. 22. 201 Ebenda, S. 25.
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ihre eigenste politische Domäne zu betrachten wünschte, in der sie als islamische Vormacht mit der Ausrufung des Heiligen Krieges den stärksten Einfluß zu haben glaubte, und daß jede deutsche Tätigkeit, die nicht in einem ganz engen und rein militärischen Rahmen unter ausschließlicher türkischer Kontrolle sich abspielte, bekämpft wurde“.202 Wegen dieser türkischen Widerstände brach die AfghanistanExpedition erst am 28. März 1915 von Bagdad auf.203 Im Grenzgebiet drohten die Deutschen zwischen die Fronten eines regionalen türkisch-persischen Konfliktes zu geraten. Dort hatte Rauf Bey, der türkische Befehlshaber an der persischen Grenze, begonnen, Dörfer zu plündern, was der örtliche persische Gouverneur mit Waffengewalt verhindern wollte. Nur durch rasche Weiterreise entgingen die Deutschen einem peinlichen Loyalitätskonflikt.204 Über Kermānšāh und Solt. ānābād erreichte Niedermayer schließlich am 25. April Teheran.205 Dort hielt sich Niedermayer einige Zeit auf, bevor er sich gemeinsam mit Hentig in Richtung Afghanistan auf den Weg machte. Die Grenze überschritt die aus rund 150 Tieren bestehende Karawane am 21. August 1915.206 Niedermayer berichtete von erheblichen Strapazen beim Durchqueren der Wüste und ernsten Auseinandersetzungen mit seinen persischen Begleitern: „Ich bin empört über die persischen Reiter, [...] sie haben mir die größte Verlegenheiten bereitet, vielfach Expeditionsgut gestohlen, und sind dann durchgebrannt. Ich bin mit eiserner Strenge gegen alle Verräter vorgegangen.“207
Was die Deutschen in Afghanistan erwartete, ist schnell zusammengefaßt. Ihr Empfang durch den Emir war zurückhaltend. Die Deutschen fanden sich in einer Art ehrenvoller Gefangenschaft wieder. Eine Audienz erlangte Niedermayer nur unter Schwierigkeiten.208 Zum Eintritt in den Krieg konnte die Mission den afghanischen Herrscher nicht bewegen. Dieser vermied alle Schritte, die ihn in einen militärischen Konflikt mit den Briten in Indien verwickeln konnten und hielt seine Neutralität aufrecht, auch gegen den Widerstand einer starken pro-deutschen Gruppe am Hof, die von seinem Bruder Nas.rollāh geführt wurde.209 Niedermayer verglich den Emir mit einem Kaufmann, der für sich aus allem das beste herausholen wollte – „alles schien für ihn Geschäft zu sein“.210 202 Ebenda, S. 27. 203 IV. Bericht Niedermayers, Teheran, 30. April 1915. NA, GFM 14/141. 204 Niedermayer: Glutsonne, S. 49f. 205 Ebenda. 206 Bericht Niedermayers, 21. August 1915. GFM 14/141. Hier gibt es Unstimmigkeiten. Hentig schrieb in seinen Memoiren vom 22. Juli 1915 als Tag des Grenzübertritts. Vgl. Hentig: Diplomatenfahrt, S. 86. 207 Ebenda. 208 Vgl. Vogel: Niedermayer, S. 81–83. Adamec: Afghanistan, S. 88–95. 209 Vgl. Niedermayer: Glutsonne, S. 155f. 210 Ebenda, S. 154.
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Im Januar 1916 unterschrieben der Emir und die deutsche Mission einen Vertrag, ,,which gave the mission a face-saving document and at the same time appeased the war party and provided breathing spell in order to determine which actions might be required in response to subsequent events“.211 Der Vertrag beinhaltete die Anerkennung der afghanischen Souveränität, Waffenlieferungen und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Deutschland verpflichtete sich, den Weg durch Persien zu öffnen, um Afghanistan effektiv Hilfe leisten zu können.212 Der Emir formulierte zusätzlich Bedingungen, unter denen er in den Krieg eintreten würde. Zum einen müßten deutsche oder türkische Truppen die Briten in Balūchistān (heute westlichste Provinz Pakistans) angreifen, zum anderen in Indien ein Aufstand ausbrechen.213 Diese Bedingungen waren unerfüllbar, und so verließ die deutsche Mission schließlich Ende März 1916 Kabul. Hentig gelangte durch China und über die USA wieder nach Deutschland,214 Niedermayer ging zurück nach Persien. Dies war allerdings keineswegs das Ende der deutschen Versuche, Afghanistan doch noch auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen. Ende Dezember 1916 schickte der deutsche Geschäftsträger in Persien einen Vertreter nach Kabul.215 Im April 1918 forderte der Kaiser selbst Niedermayer auf, eine Einschätzung abzugeben, ob ein erneutes Herantreten an den Emir bezüglich eines Einfalls in Indien Aussicht auf Erfolg habe. Die russische Gefahr sei behoben, England durch Mangel an Schiffsraum behindert. Allerdings komme eine Entsendung deutscher Truppen nicht in Frage.216 Niedermayer hielt zu diesem Zeitpunkt ein solches Vorhaben für nicht erfolgversprechend.217 Die Briten hätten die vergangenen zwei Jahre seit der Abreise der Deutschen genutzt, um starken Druck auf den Emir auszuüben. Nur militärische Hilfe unter Einschluß einer „deutschen Kerntruppe von einigen tausend Mann“218 könne die Afghanen nun noch zu einem Kriegseintritt bewegen. Das aber war nicht zu leisten, insbesondere weil der Weg durch Persien nicht geöffnet werden konnte, und so wurde die afghanische Idee Ende April 1918 endgültig zu Grabe getragen, indem entsprechende Projekte nicht mehr weiter verfolgt wurden. Afghanistan trat also nicht in den Krieg gegen England ein. Das Hauptziel der Niedermayer-Expedition war damit nicht erreicht worden. War sie deshalb ein kompletter Mißerfolg? Keinesfalls! Nadolny, der in Berlin das Heft in der Hand gehabt hatte, bewertete sie vielmehr als erfolgreich. Denn schon allein die Anwesenheit der Deutschen in Persien und ihr Durchbruch nach Afghanistan hatten in London und 211 Adamec: Afghanistan, S. 93. 212 Ebenda, S. 94. 213 Vogel: Niedermayer, S. 94 214 Vgl. Hentig: Diplomatenfahrt, S. 106–239. 215 Deutscher Geschäftsträger in Persien an Auswärtiges Amt, 22. Dezember 1916. NA, GFM 14/141. 216 Großes Hauptquartier an General von Lossow, 19. April 1918. NA, GFM 14/142. 217 Deutscher Militärbevollmächtigter in Konstantinopel an Oberste Herresleitung, 23. April 1918. NA, GFM 14/140. 218 Ebenda.
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Delhi zu höchster Nervosität geführt und erhebliche Anstrengungen ausgelöst, das deutsche Vorhaben zu torpedieren: „Immerhin waren die Engländer wegen Indien in Sorge und ließen namhafte Truppen dort, so daß der Zweck des Unternehmens erreicht war.“219 Wie eine Bombe schlug im Foreign Office die Nachricht ein, daß es der deutschen Afghanistan-Expedition gelungen war, die Salzwüste (Dašt-i Kavīr) zu durchqueren und alle britischen und russischen Versuche, etwa der Einsatz von Kosaken, dieses nicht hatten verhindern können.220 Aufschlußreich sind die Marginalien des bearbeitenden Referenten, Lancelot Oliphant. Er notierte: ,,The worst part of this is that the Germans have succeeded in crossing the Salt Dessert or Kavir and have now a fairly save course in front of them.“221 Ein weiterer nicht identifizierter Angehöriger des Foreign Office ergänzte: „Everything will depend on the attitude of the Amir.“222 Bereits rund einen Monat bevor die Deutschen die Grenze nach Afghanistan überquerten, sah London offenbar keine Chance mehr, sie aufzuhalten. In Indien läuteten die Alarmglocken noch lauter. Auch das Büro des britischen Vizekönigs schätzte die Möglichkeit, Niedermayer und seine Leute noch aufzuhalten, als ausgesprochen gering ein.223 Für den Umgang mit den deutschen Agenten schlug Delhi eine Art Eindämmungsstrategie vor.224 Loyale persische Truppen und Kosaken sollten unter Führung der britischen Konsuln die Bewegungsfreiheit anderer deutscher Gruppen möglichst weit einschränken. Darüber hinaus sollte der Emir in Kabul verstärkt politisch bearbeitet werden, insbesondere sollte er Gerüchten in seinem Land entgegentreten, daß Niedermayers Gruppe die Vorhut einer türkischdeutschen Armee sei. Die Gefahr für die britische Position in Afghanistan und auch Persien wurde in diesem Schriftstück ganz klar formuliert. Selbst eine Niederlage probritischer Einheiten in einem Gefecht wurde nicht ausgeschlossen: „These German parties when united will, amount to about 250 men with 6 machine guns and may command large support of local malcontents. Any reverse to our regular troops would have deplorable effect both locally and in Afghanistan“.225 Der britische Botschafter in Teheran, Charles Marling, vertrat in seiner Antwort226 dagegen die Meinung, Afghanistan sei sicher, die Regierung werde den deutschen Vorschlägen widerstehen. Allerdings konstatierte Marling auch, daß panislamische Ideen, wie sie die Deutschen zu verbreiten suchten, durchaus beunruhigend für die Briten in Indien sein könnten.227 219 Nadolny: Beitrag, S. 88. 220 Britischer Konsul in Meshed an britischen Botschafter in Teheran, weitergeleitet an Foreign Office, 16. Juli 1915. NA, FO 371/2430. 221 German Parties in Persia, Message from Consul at Meshed, 16. Juli 1915. NA, FO 371/2430. 222 Ebenda. 223 Viceroy an Foreign Office, 26. Juli 1915. NA, FO 371/2422. 224 Ebenda. 225 Ebenda. 226 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 1. September 1915. NA, FO 371/2422. 227 Ebenda.
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Die deutschen Aktionen in Afghanistan beschäftigten sogar das britische Kabinett. So zirkulierte Ende Dezember 1915 ein geheimes Papier unter den Kabinettsmitgliedern, in dem der Staatssekretär für Indien Berichte über die Deutschen in Afghanistan hatte zusammenfassen lassen.228 Wie dem Vorwort zu entnehmen ist, war er von verschiedenen Kabinettskollegen darum gebeten worden. Das Papier hebt – wohl um beruhigend zu wirken – deutlich auf die Loyalität des Emirs ab. Dieser habe immer wieder versichert, daß die Ankunft der Deutschen „would not have no detrimental effect whatever on his neutrality“.229 Britische Agenten begannen allerdings schon bei der Ankunft der Niedermayer-Gruppe in der ersten größeren Stadt, Herāt, gegen die Deutschen zu arbeiten.230 Trotz der immer wieder hervorgehobenen Loyalität des Emirs macht das Papier auch deutlich, daß die Situation in Afghanistan keineswegs vollständig unter Kontrolle war. Zum einen weckte die Ankunft der Deutschen unter den Menschen im Land erhebliche Phantasien und Sympathien,231 während die Neutralitätspolitik des Emirs in breiten Bevölkerungsschichten abgelehnt wurde.232 Zum anderen gab es auch in der Umgebung des Emirs prodeutsche Sympathien. Die Briten hoben insbesondere lange Besuche zweier Minister bei den Deutschen hervor.233 Besorgniserregend war für die Briten die innenpolitische Lage des Emirs. Der nämlich kam immer mehr unter Druck antibritischer Kreise und mußte diesen Druck kanalisieren. In einem an die Kabinettsmitglieder weitergeleiteten Telegramm des Vizekönigs an den Staatssekretär für Indien234 berichtete dieser von erneuten Neutralitätszusicherungen des Emirs vor dem Hintergrund der Einberufung einer Versammlung der wichtigsten Stammesführer und Würdenträger, bei der über die deutschen Vorschläge beraten werden sollte. Diese Versammlung wurde laut britischer Interpretation durch erhebliche prodeutsche Gefühle in der Bevölkerung und unter den Notabeln notwendig und war für den Emir die einzige Möglichkeit, seine Neutralitätspolitik sanktionieren zu lassen.235 Bei der Versammlung in Kabul, die 228 The arrival of a party of Germans &c., in Afghanistan, 30. Dezember 1915. NA, CAB 37/139/66. 229 Ebenda. 230 „The Britisch Agent at Herat seems to have done good service in turning a number of small incidents to their disadvantage, with the result that they gradually became somewhat discredited.’’ Ebenda. 231 „Extraordinary stories have reached us from Cabul, exaggerating the number of Germans and Austrians who have reached that place, and magnifying the part that they are likely to play in Afghanistan.“ Viceroy an Staatssekretär für Indien, 8. Oktober 1915, zitiert in The arrival of a party of Germans &c., in Afghanistan, 30. Dezember 1915. NA, CAB 37/139/66. 232 „The general impression left by the various reports is that the Amir himself is firm, but his policy is very unpopular and that the forces against him are strong.“ The arrival of a party of Germans &c., in Afghanistan, 30. Dezember 1915. NA, CAB 37/139/66. 233 Ebenda. 234 Vizekönig an Staatssekretär für Indien, 8. Februar 1916. NA, CAB 37/142/18. 235 „Durbar was neccessitated by general popular excitement caused by reaction from Persia and presence of Turko-German mission in Kabul. [...] Amir seemed to be feeling extreme difficulty of his position, but to be confident that he could weather it.“ Ebenda.
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schließlich am 29. Januar stattfand, appellierte der Emir an die nationale Einheit der Afghanen und ordnete an, daß Ratsversammlungen in den Provinzhauptstädten abgehalten werden sollten, „so that every individual might know how matters stood and be impressed with the necessity for allegiance to the Amir and united action.“236 In den Augen der Briten hatte sich der Emir damit nach keiner Seite festgelegt.237 Dem Herrscher blieb wohl auch keine andere Wahl. Es hatte sich nämlich eine kriegerische Stimmung unter den Massen breit gemacht, die hofften, daß der Emir den ğihād gegen die Entente proklamieren werde.238 Nach dem britischen Bericht hatte sich eine riesige Menschenmenge in dieser Erwartung vor dem Versammlungsort eingefunden.239 Erleichterung spricht erst aus einem britischen Telegramm vom 8. April 1916.240 Der Emir behandle die Deutschen erheblich weniger höflich, obwohl sie die afghanische Armee ausbilden würden. Darüber hinaus habe er ,,Chiefs and Mullahs“241 in Kabul interniert ,,doubtless to tide over critical time“.242 Erstmals sprach eine britische Meldung in optimistischer Art und Weise davon, daß der Emir die Neutralität aufrechterhalten werde.243 Auch in den angelsächsischen Ländern wird die Niedermayer-Expedition heute durchaus als erfolgreich beurteilt. Ludwig Adamec244 zum Beispiel sieht Afghanistans Kriegseintritt nur als daran gescheitert, daß die Mittelmächte letztlich den Krieg auf dem europäischen Schauplatz verloren. Der Emir sei gewillt gewesen, ein Bündnis mit Deutschland abzuschließen, da er das Kriegsglück nicht habe voraussehen können und seine Unabhängigkeit auch von den Mittelmächten anerkannt sehen wollte245. Als deutsche Erfolge beurteilt Adamec die Tatsache, daß die NiedermayerExpedition „disturbed Russia and Britain greatly with its activities, and it carried hostile propaganda into an area hitherto the exclusive concern of those two powers. The expedition came with no more than a massage and it nearly succeeded in involving Afghanistan in the war.“246 Ein ausgesprochen positives Fazit, das über die
236 Vizekönig an Staatssekretär für Indien, 16. Februar 1916. CAB 37/142/18. Ebenfalls weitergeleitet an Kabinettsmitglieder. 237 „Although the words of the Amir are open to dual interpretation, we prefer to regard them as not in contradiction with his recent assurances.“ Ebenda. 238 Ebenda. 239 Ebenda. 240 Vizekönig an Staatssekretär für Indien, 8. April 1916. NA CAB 37/145/21. Das Dokument ging ebenfalls als Zirkular an die Kabinettsmitglieder 241 Ebenda. 242 Ebenda. 243 „General opinion in Kabul is that nothing will move Amir from his policy short of actual arrival of a turkish force.“ Ebenda. 244 Adamec: Afghanistan, S. 95f. 245 Ebenda, S. 96. 246 Ebenda
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unmittelbaren Ereignisse hinausgeht, zog schließlich vor wenigen Jahren Thomas Hughes,247 der die das deutschen Vorgehen gar als antikolonialistisch interpretiert. Wie nah die Deutschen dem Erfolg kamen, illustriert ein Blick auf die weitere politische Entwicklung in der Region. Als 1919, nach der Ermordung seines Vaters abībollāh, Prinz Amānollāh248 den Thron bestieg, führte sein Bestreben, die Fesseln des anglo-afghanischen Übereinkommens von 1880 zu lösen, tatsächlich zu einem Krieg gegen Großbritannien – für die Deutschen genau ein Jahr zu spät. Der Vater des neuen Emirs war einem Attentat unzufriedener Anhänger der Kriegspartei zum Opfer gefallen, die das Gefühl hatten, der alte Emir habe die einzigartige Chance verpaßt, die Unabhängigkeit von Großbritannien zu erkämpfen.249 Der nun folgende dritte Anglo-Afghanische Krieg war eine ernsthafte Herausforderung für die Briten, die in einem Teil der Front überrannt wurden und in deren Rücken Aufstände indischer Stämme drohten.250 Die indische Regierung bat um einen Waffenstillstand, und in den folgenden Verhandlungen gelang es dem neuen Emir, fast alle seine politischen Ziele durchzusetzen, insbesondere volle außenpolitische Handlungsfähigkeit zu erlangen.251 Auffällig sind die Argumente, mit denen Amānollāh seine Afghanen zu den Waffen rief, denn sie gleichen auffällig dem, was die Deutschen seinem Vater nur wenige Jahre zuvor vorgetragen hatten. Insbesondere Hinweise auf die schlechte Situation der Muslime unter britischer Herrschaft, die Bedrohung islamischen Territoriums durch den britischen Krieg gegen die Türkei und der Aufruf zum Heiligen Krieg sind bemerkenswert.252 Der Herrscher ließ sogar Flugblätter drucken, in denen behauptet wurde, Indien und Ägypten hätten sich erhoben und Deutschland den Krieg gegen Großbritannien wieder aufgenommen.253 All das mutet wie eine Kopie deutscher Propagandatechniken aus den Jahren des Ersten Weltkrieges an. Während in Afghanistan eine direkte miltärische Präsenz der Entente fehlte, so traf dies auf Persien in keiner Weise zu. Persien war bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein zerrissenes Land.254 Eine wichtige politische und militärische Rolle 247 „In many ways the Germans were on the side of the future – on the side of anti-colonialism and self-determination, not only for Afghanistan, but for Persia, India, and even Russian Turkistan. The Germans brought Muslims and Hindus together in their Mission, and were in turn the beneficiaries of Muslim-Hindu collaboration, that historically rare phenomenon.“ Hughes: Afghanistan, S. 61. 248 Vgl. Adamec: Dictionary, S. 28. 249 Damit ist das deutsche Bündnisangebot gemeint. Ebenda, S. 100. 250 Vgl. ebenda, S. 34f. 251 Vgl. Adamec: Afghanistan, S. 111–125. 252 Adamec zitiert den Aufruf des Emirs so: „See what tyranny has been practiced on our bretheren in India! Not only this but Baghdad and the Holy Places have been seized by tyranny! [...] I ask you if you are prepared for holy war. If so, gird up your loins! The time has come!“ Ebenda, S. 112. 253 Ebenda. 254 Vgl. zur persischen Geschichte dieser Zeit folgende Überblicksdarstellungen, auf die sich auch der folgende Abriß stützt: Keddie, Nikki; Amanat, Mehrdad: Iran under the late Qâjârs, 18481922. In: Avery, Peter; Hambly, Gavin; Melville, Charles: The Cambridge history of Iran, Vol. 7,
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spielten Nomadenstämme, zu ihnen gehörte etwa ein Viertel der Bevölkerung. Der Grad ihrer Unabhängigkeit von der Zentralregierung reichte von fast vollkommener Eigenständigkeit bis hin zu innerer Autonomie. Die Stämme waren den städtischen Bewohnern durch die Verfügbarkeit von Pferden und den ständigen Umgang mit Waffen militärisch überlegen, da Persien ein Land ohne stehendes Militär oder nennenswerte Sicherheitskräfte war. Erst 1911 begann der Aufbau einer Gendarmerie, die lange Zeit die einzige schlagkräftige Truppe im Land darstellte. Diese Überlegenheit über die Städter führte möglicherweise auf deutscher Seite zu der Fehleinschätzung, Stammesreiter könnten auch gegen reguläre Truppen Großbritanniens und Rußlands erfolgreich eingesetzt werden. Weitere Machtfaktoren, auf die der Schah Rücksicht nehmen mußte, waren Großgrundbesitzer, wohlhabende Kaufleute sowie die schiitische Geistlichkeit. Der britische und russische Einfluß war stark. Heftige Proteste der unteren Schichten richteten sich insbesondere gegen das Tabakmonopol, das ein Brite 1891 erhalten hatte. Demonstrationen, Unruhen, wachsende Staatsverschuldung und der immer weiter um sich greifende Einfluß ausländischer Mächte führten schließlich zur konstitutionellen Revolution von 1905. In deren Ergebnis bekam Persien eine Verfassung, und es entstand ein Parlament (mağlis), das städtisch dominiert war. Es folgten Konterrevolution und die Errichtung eines zweiten Parlamentes, das bis 1911 bestand, aber vom Schah unter russischem Druck aufgelöst wurde. Erst 1914 wurde eine neue mağlis gewählt. Im gleichen Jahr kaufte die britische Regierung eine Mehrheit an der Firma, die sämtliche Ölkonzessionen im Land hielt, die Anglo-Persian Oil Company. Hintergrund war die Umstellung der Feuerung auf britischen Kriegsschiffen von Kohle auf Öl. Persien hatte für die Briten damit strategische Bedeutung gewonnen. Die konstitutionelle Revolution brachte Persien neben innerer Unruhe ein außenpolitisches Desaster. 1907 hatten Großbritannien und Rußland einen Vertrag abgeschlossen, der das Land in zwei Einflußzonen aufteilte: im Norden eine russische, im Süden eine britische. Die Perser waren damit nicht mehr Herr im eigenen Haus. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte Persien seine Neutralität erklärt. Das allerdings hatte keine faktische Bedeutung, denn das Land war ja nur noch dem Namen nach unabhängig, und so begannen Rußland und Großbritannien, ihre militärische Präsenz im Land auszubauen. Im Norden kämpften russische Truppen gegen türkisch-persische Irreguläre. Im Süden hatte Großbritannien Truppen in Būšir gelandet. Darüber hinaus waren die Briten auch im Gebiet zwischen der russischen und ihrer eigenen Einflußzone militärisch aktiv geworden. Es ging dabei um den Schutz der Ölquellen, die sich im Besitz der Anglo-Persien Oil Com-
From Nadir Schah to the Islamic Republic. Cambridge, 1991, S. 174. Yapp: Modern Near East, S. 247–260, S. 287f. Browne, Edward G.: The Persian revolution of 1905–1909. Cambridge, 1910. Avery, Peter: Modern Iran. London, 1965. Keddie, Nikki: Religion and rebellion in Iran: the Tobacco-Protest of 1891–92. London, 1966.
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pany befanden.255 Die Autorität der persischen Zentralregierung in Teheran reichte 1914 nicht mehr weit über die Stadtgrenzen hinaus. Auf dem Land herrschten Stammesfürsten und lokale Machthaber, und „der Zusammenhalt des Reiches wurde nur dadurch gewahrt, daß die Zentralstelle in Teheran es verstand, einen Stamm gegen den anderen auszuspielen“.256 Die Beziehungen Deutschlands zu Persien waren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges für das Reich von geringer Bedeutung. Es existierten allerdings wirtschaftliche Interessen, die vor allem mit dem Namen des Handelshauses Wönckehaus verbunden waren. Das deutsche Interesse an der Ausbeutung einer Eisenerzmine auf der Golfinsel Abu Musa führte 1906 zu einer diplomatischen Krise zwischen Großbritannien und Deutschland.257 Der deutsche Konsul in Būšir, Wilhelm Waßmuß, wurde darüber hinaus von den Briten beschuldigt, schon in den Jahren 1909/1910 und 1913/1914 illegal mit Waffen gehandelt und diese insbesondere an englandfeindliche Stämme im indisch-afghanischen Grenzgebiet geliefert zu haben.258 Wie gering die Bedeutung der deutsch-persischen Beziehungen aber trotz alledem waren, illustriert ein Vorfall, den der spätere Botschafter in Konstantinopel, Richard von Kühlmann, berichtete. In seiner Zeit als Diplomat in Konstantinopel vor dem Krieg war er mit Vorbereitungen zu einem Besuch des Schahs in Europa befaßt. Kühlmann stieß dabei im Zuge der Vorbereitung einer Begegnung Wilhelms II. mit dem Schah in Potsdam auf eine regelrechte Abneigung des Kaisers, sich mit persischen Angelegenheiten überhaupt zu befassen. Kühlmann berichtet die Episode in seinen Memoiren so: „Auf ärztlichen Rat plante der Schah, sich zum Kurgebrauch nach Europa zu begeben, und bei dieser Gelegenheit hoffte er, seiner Majestät dem Kaiser einen Besuch abstatten zu können. [...] Pflichtgemäß hatte ich diese Meldung telegrafisch weitergegeben. Kurz darauf erhielt ich vom Ausswärtigen Amt die Mitteilung: ,Seine Majestät haben auf Ihren Drahtbericht höchst persönlich zu bemerken geruht: ,Pfui Teufel, wie unangenehm, den soll mir Kühlmann vom Leibe halten.“259
Im Militär war Skepsis gegenüber Persien und den Persern verbreitet. Der später als Stabschef in Mesopotamien tätige Gerold von Gleich etwa bekannte offen, er habe „die Perser niemals ganz ernst genommen, am wenigsten die heutigen“.260 Gut hingegen waren die Verbindungen der türkischen Machthaber zu bestimmten politischen Kreisen im Nachbarland. Vor dem Krieg bestanden Verbindungen zwischen 255 Vgl. Kiesling, Hans von: Mit Feldmarschall von der Goltz Pascha in Mesopotamien und Persien. Leipzig, 1922, S. 76. 256 Ebenda, S. 125f. 257 McKale: War, S. 37. 258 Ebenda. 259 Kühlmann: Erinnerungen, S. 179. 260 Gleich: Bagdad, S. 75.
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persischen Konstitutionalisten und dem Jungtürkischen Komitee.261 Konstantinopel war ein Zentrum der exilpersischen Opposition.262 Die Revolutionierung Persiens gegen Großbritannien und Rußland war ein Projekt, das dennoch bereits kurz nach Kriegsausbruch erste Formen anzunehmen begann. Zwei Ausarbeitungen – eine von Waßmuß263, die andere aus der Feder des Barons von Oppenheim264 – faßten diese Pläne zusammen. Obwohl das entsprechende Unternehmen schließlich zustande kam, fand es in der deutschen militärischen Führung eher skeptische Aufnahme. Das galt zum einen für Hindenburg in der Heimat, dem das Konzept der Revolutionierung fremd war und der ausschließlich in konventionellen militärischen Kategorien dachte,265 zum anderen lehnte aber auch der maßgebliche deutsche Militär in der Türkei, Generalfeldmarschall Otto Liman von Sanders, ein persisches Unternehmen ab.266 Reibereien zwischen militärischen und zivilen Stellen waren also programmiert. Es erklärt sich angesichts dieser Konstellation auch, warum das Auswärtige Amt letztlich die Führungsinstanz aller Revolutionierungsplanungen blieb. Im Auswärtigen Amt war für die persische Angelegenheit der Dirigent der politischen Abteilung, Baron Langwerth von Simmern, zuständig. Sein Vertreter war der Legationssekretär von Wesendonk. Im Generalstab bearbeitet Nadolny als Chef der Sektion Politik des Großen Generalstabes die Persien-Aktion.267 Der Konsul Waßmuß sah als Voraussetzung für eine erfolgreiche Revolutionierung Persiens die Verbreitung von „Nachrichten von den deutschen Siegen“.268 Dafür sollten die deutschen Konsulate in Persien benutzt werden, denen man telegra261 Vgl. Pistor-Hatam, Anja: Iran und die Reformbewegung im Osmanischen Reich. (Islamkundliche Untersuchungen, Band 158). Berlin, 1992, S. 219–225. 262 Ebenda. 263 Undatierte Denkschrift Waßmuß’, wohl aus dem September 1914. NA, GFM 14/139. 264 Die Beteiligung Persiens am gegenwärtigen Weltkrieg. Denkschrift des Baron Oppenheim an den Reichkanzler. 7. September 1914. NA, GFM 14/139. 265 „Zahlreiche wohlgemeinte Darlegungen suchten mich im Laufe des Krieges von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß Mesopotamien und Syrien mit stärkeren Kräften verteidigt, ja daß hier wie dort zum Angriff übergegangen werden müßte. [...] Augenscheinlich irrten die Gedanken uneingestandenermaßen vielfach über Mesopotamien durch Persien, Afghanistan nach Indien und von Syrien nach Ägypten. Man träumte im Stillen an der Hand der Karten, daß wir auf diesen Landwegen an den Lebensnerv der uns so gefährlichen britischen Weltstellung herankämen. [...] Zu ihrer Durchführung fehlte uns aber die erste Vorbedingung derartig weitgreifender Operationen, nämlich genügend leistungsfähige Nachschublinien.“ Hindenburg: Leben, S. 191f. 266 In seinen nur wenige Monate nach Kriegesende verfaßten Erinnerungen schrieb Liman von Sanders dazu: „Persien spielte damals in der türkischen Politik eine große Rolle. Leider hat sich Deutschland auch dort in einem Maße engagiert, welches schwer verständlich ist, und das ich von Beginn an bedauert habe. [...] Das deutsche Programm ,Befreiung Persiens durch Deutsche und Türken ohne selbstsüchtige politische Interesssen‘ war gewiß ein sehr anerkennenswertes, aber praktisch war es keinesfalls.“ Liman von Sanders: Türkei, S. 170f. 267 Blücher, Wipert von: Zeitwende im Iran, Biberach, 1949, S. 18. 268 Undatierte Denkschrift Waßmuß‘, wohl aus dem September 1914. NA, GFM 14/139.
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fisch bereits übersetztes Material aus Berlin oder Konstantinopel zukommen lassen wollte269 – eine Idee, die allerdings niemals verwirklicht wurde. Die Kommunikationswege waren dafür zu unzuverlässig. Waßmuß sah den Anschluß Persiens an die Mittelmächte und den Eintritt des Landes in den Krieg als wichtigen Faktor für einen möglichen Aufstand in Indien. Zwar traute er den Persern selbst militärisch nicht viel zu, setzte aber auf die Stämme des Nordens und eine latent antibritische und antirussische Stimmung im Lande.270 Die Herbeiführung des Aufstandes allerdings wollte Waßmuß den Türken überlassen. Die deutsche Beteiligung beschränkte sich in seiner Vorstellung auf die propagandistische Unterstützung der Türken durch die deutschen Konsuln und die Entsendung einiger weniger zusätzlicher Deutscher.271 Die offizielle persische Neutralität interessierte Waßmuß dabei nicht. Er erwähnte sie, allerdings nur, um zu erklären, wie sie zu umgehen sei272 – eine deutliche Parallele zur Behandlung der belgischen Neutralität bei Kriegsbeginn. Im Falle einer Kriegserklärung setzte Waßmuß dagegen auf die von deutschfreundlichen schwedischen Offizieren befehligte Gendarmerie. Sie sollte nach seiner Vorstellung gemeinsam mit den Stämmen und türkischen Truppen gegen die rund 500 Mann indischer Truppen im Süden und die 13.000 Russen im Norden vorgehen.273 Waßmuß’ Argumente nahm Oppenheim in einer Denkschrift an den Reichskanzler274 vollständig auf – mit einer wichtigen Ausnahme: Oppenheim zweifelte daran, daß die Türken in der Lage sein würden, Persien auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen. Dazu seien die traditionellen Gegensätze und der Disput über „gewisse Grenzgebiete“275 zu große Hindernisse. Oppenheim regte aus diesem Grund ein Gespräch zwischen deutschen, türkischen und persischen Vertretern in Konstantinopel an. Eine solche Konferenz kam in der Tat zustande, allerdings erst zu Beginn 269 Ebenda. 270 „Die sesshafte Bevölkerung, besonders in den Städten, ist im höchsten Maße feige und unkriegerisch. Die Regierung steht gänzlich unter russischem und englischem Einflusse. Doch darf man nicht vergessen, dass diese Unterwürfigkeit nur erzwungen ist. Die persische Regierung würde einer Anregung von aussen in dem Augenblicke folgen, wo sie sich von dem englisch-russischen Drucke befreien zu können glaubt. Die persische Bevölkerung hofft schon seit langem auf diese Befreiung durch Deutschland. [...] Im Norden wohnen genug kriegerische Stämme, die Schahsewenen, Turkmenen usw., die sich bei Aussicht auf Erfolg mit Wollust auf die Russen stürzen würden.“ Ebenda. 271 So schlug Waßmuß ausdrücklich Oskar Niedermayer vor, der dafür „von ganz unschätzbarem Werte wäre“, da er zwei Jahre in Persien gearbeitet habe und über ausgedehnte Kontakte verfüge. Ebenda. 272 „Aber auch ohne Kriegserklärung [Persiens an England und Rußland] ist es nach meiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse sehr wohl möglich, kriegerische Stämme Südpersiens zu einem Zuge nach den Küstenplätzen, zur Vertreibung der englischen Truppen und Zerstörung der Kabel [nach Indien] zu bewegen.“ Ebenda. 273 Ebenda. 274 Die Beteiligung Persiens am gegenwärtigen Weltkrieg. Denkschrift des Baron Oppenheim an den Reichkanzler. 7. September 1914. NA, GFM 14/139. 275 Ebenda.
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des Jahres 1915. Dieses Treffen fand am 11. Februar 1915 in Konstantinopel statt. Anwesend waren Enver Pascha, der persische Botschafter in Konstantinopel, der deutsche und der österreichisch-ungarische Gesandte in Persien, Heinrich XXXI. Prinz von Reuß und Johannes Nepomuk Graf Logothetti, der schwedische Gendarmerieoffizier Nils de Mare sowie die Feldmarschälle von der Goltz und Liman von Sanders, der General Bronsart von Schellendorf und der deutsche Militärattaché Oberst Erich von Leipzig.276 Während dieser Konferenz einigten sich Enver und der persische Botschafter, daß Aserbeidschan persisch bleiben sollte. Der persische Botschafter machte dagegen den Kriegseintritt seines Landes vom Erscheinen regulärer türkischer Truppen abhängig, das Enver zusagte. Der Botschafter und ebenfalls der anwesende schwedische Offizier warnten aber vor der Unzuverlässigkeit der Stämme.277 Doch zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Expeditionen, die einen erheblichen Teil ihrer Ressourcen eben auf die Revolutionierung dieser Stämme verwenden sollten, bereits auf dem Weg.278 In London erkannte das Foreign Office die dunklen Wolken, die sich seit dem Kriegseintritt der Türkei auch über den britischen Positionen in Persien zusammenzuziehen begannen. Die britische Regierung hatte zu diesem Zeitpunkt dort nur ein einziges Ziel: die Ruhe erhalten und islamisch motivierte Unruhen verhindern. Da das auch und vor allem vom Verbündeten Rußland abhing, machte die britische Regierung dieses Anliegen ihrem Alliierten unmißverständlich klar. Der britische Botschafter erhielt die dringende Anweisung, die Russen nachdrücklich zu einem sanften und ruhigen Vorgehen in Persien aufzufordern, um das Land nicht in die Hände der Mittelmächte zu treiben.279 Der britische Historiker John Keegan weist zusätzlich auf die Bedeutung Persiens als Rohstofflieferant für Großbritannien hin.280 In der Tat war die Anglo-Persian Oil Company hochgradig beunruhigt über die deutschen Umtriebe in Persien.281 276 Abschrift von Notizen des Treffens, angefertigt durch Graf Logothetti, 11. Februar 1915. KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1/12. und Abschrift von Notizen des Treffens, angefertigt durch den deutschen Militärattaché Oberst von Leipzig, 11. Februar 1915. NA, GFM 14/140. Die Notizen decken sich inhaltlich, scheinen aber nicht nach protokollarischer Manier abgeglichen worden zu sein. 277 Ebenda. 278 Ein Kader von 23 Deutschen wurde bereits am 3. September 1914 in Berlin vereidigt. Vgl. Expeditionsliste Persien, 3. Sepzember 1914. NA, GFM 14/139. 279 „[...] a strain may be put upon Mahommedan opinion in India and Egypt by the inevitable war with Turkey. In order therefore to ease that strain and help us to conciliate Muselman opinion ist is essential that the Russian Government should do all in their power to show the utmost bearing and friendliness to Persia and avoid all harshness there. [...] Unless the war with Turkey is set off by a benevolent attitude in Persia there may be no limit to embarassment and weakening of our hands that may be caused.“ Foreign Office an britischen Botschafter in St. Petersburg, 4. November 1914. NA, WO 106/945. 280 Vgl. Keegan: Tragödie, S. 310. 281 Vgl. dazu unten, S. 285f.
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Das sich nun entspannende Persienunternehmen war formal eine gemeinsame Aktion der Türkei und Deutschlands. Grob gesagt stellte die Türkei reguläre Truppen zur Verfügung, während die Deutschen mittels ihrer Agenten und der bereits in Persien verfügbaren Konsulen eine Infrastruktur für Propaganda und die Revolutionierung der Bevölkerung schufen. Parallel liefen diplomatische Versuche, Persien auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen. Österreich-Ungarn war in Persien ebenfalls engagiert. Diese Rolle beschränkte sich aber weitgehend auf Hilfstätigkeiten für Deutschland. Ohne Ambitionen war die Doppelmonarchie allerdings in Persien ebensowenig wie im Osmanischen Reich. Österreich-Ungarn schickte zur Wahrung seiner Interessen zunächst einen neuen Botschafter, den Grafen Logothetti, und einen Militärattaché, Oberst Wolfgang Heller, nach Teheran.282 Logothetti war kein Freund der Deutschen. Schon in seinem ersten Bericht, noch aus Bagdad, klingt das so bekannte Thema österreichischer Orientberichte dieser Zeit auf. Die Deutschen seien unbeliebt, die Österreicher dagegen genössen große Sympathien.283 Logothetti beklagte sich außerdem über die Geheimniskrämerei seines deutschen Kollegen und Reisegefährten Prinz Reuß. Offenbar planten die Deutschen eine größere Aktion in Persien, er aber werde nicht eingeweiht.284 Der Botschafter berichtete auch von einer „bedenklichen Abkühlung“285 des persisch-türkischen Verhältnisses. Grund seien Exzesse türkischer Truppen an der Grenze und „die verunglückte Besetzung von Täbriz“.286 Heller, Logothetti und Reuß trafen am 26. April 1915 in Teheran ein. Als Vertreter antibritischer und antirussischer Mächte wurden sie offenbar begeistert begrüßt. Der Österreicher berichtete von Jubelstürmen, der Desertion persischer, unter russischem Kommando stehender Kosaken, und der Flucht des britischen und russischen Konsuls in Kermānšāh.287 Darüber hinaus erwähnt Logothetti hier erstmals eine Erscheinung, welche die österreichisch-ungarische Tätigkeit in Persien zu dieser Zeit maßgeblich prägte – die Anwesenheit einer großen Anzahl aus Rußland entflohener Soldaten der Monarchie. Der Botschafter setzte sie zuerst zur Bewachung der Botschaft in Teheran ein. Später waren diese Österreicher, Ungarn, Tschechen und Südslawen an
282 Abreise von Konstantinopel am 15. Februar 1915. K.u.k. Militärbevollmächtigter an Kriegsministerium, KA, Kriegsministerium, 1914, Präs. 47/1/12. 283 K.u.k. Botschafter in Teheran an Ministerium des Äußeren, Bagdad, 30. März 1915. HHSt, PA, Generalia 1907–1918, 892, Haltung Persiens während des Krieges, 1914–1918. 284 „Prinz Reuß vergrößert seinen Stab durch tägliche Zutheilung von Officieren und Beamten der von uns berührten deutschen Vertretungsbehörden. In Kirmanschah und Ispahan werden deutsche Konsuln bestellt und alles weist auf eine grössere deutsche Aktion in Asien hin, der auch wir möglichst billige Vorspanndienste leisten sollen.“ Ebenda. 285 Ebenda. 286 Ebenda. 287 K.u.k. Botschafter in Teheran an Ministerium des Äußeren, 27. April 1915. HHStA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel 1848–1918, 208, Berichte.
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fast allen deutschen Aktionen in Persien und auch Afghanistan288 beteiligt. Dabei ließ ihre Leistungsfähigkeit in den Augen der Deutschen stark zu wünschen übrig, was zu Konflikten führte.289 Logothetti allerdings hielt es für möglich, daß mehrere tausend Österreicher nach Persien fliehen könnten. Damit sah er die Chance, eine eigene militärische Machtbasis für Österreich-Ungarn zu schaffen.290 Allerdings wurden es im Laufe des Krieges nie mehr als rund 200. Der Österreicher versuchte dennoch, auch militärisch Einfluß zu gewinnen. So startete er etwa einen gescheiterten Versuch, den Schah zu überreden, seine Leibgarde durch den k.u.k. Militärattaché Heller ausbilden zu lassen.291 Aufbauend auf das von ihm wahrgenommene hohe Ansehen der Monarchie in Persien und in Konkurrenz zu Deutschland formulierte der Botschafter außerdem drei sehr viel weitergehende Ziele seiner Arbeit „ [...] für den Fall, als es nach dem Kriege auf Grund unserer Waffenerfolge und eventueller Gebietserwerbungen für passend gehalten würde, über den engen Rahmen einer Balkanpolitik das Gebiet der Weltpolitik zu betreten“.292 In diesem Falle böte „eine Achtung gebietende Stellung in Persien den Schlüssel zu Zentralasien, [...] wie dies allem Anschein nach von Deutschland ins Auge gefasst wird“.293 Logothetti schwebten dazu drei wesentliche Mittel vor.294 Erstens sollte eine österreichische Militärmission zur Reorganisation der persischen Armee entsandt werden. Zweitens schlug er den Bau einer Eisenbahnlinie von der türkischen Grenze bis nach Täbris vor „als Fortset288 Vgl. k.u.k. Botschafter in Teheran an Ministerium des Äußeren, 3. Juni 1915. PA, XII, Türkei, Konstantinopel 1848–1918, 209, Berichte. Logothetti überließ Niedermayer 20 österreich-ungarische Soldaten für die Afghanistan-Expedition. 289 Jung wirft den Deutschen in Persien in diesem Zusammenhang vor, sie hätten diese österreichisch-ungarischen Ex-Gefangenen als „Menschen zweiter Wahl“ behandelt. Belegt wird das durch Dokumente, die Beschwerden über die Besoldung dieser Männer enthalten. Jung: Gesandtschaftsdetachment, S. 21f. Vgl. auch Jung: Wüstenkrieg, S. 75–82. Allerdings dürfte es durchaus einen erheblichen Unterschied in der Motivation zwischen Deutschen und Österreichern gegeben haben. Die ehemaligen Gefangenen hatten wohl vor allem im Sinn, wieder nach Hause zu kommen, während die Deutschen sich für die Persien-Operation freiwillig gemeldet hatten. Darüber hinaus machten sich die eskalierenden Nationalitätenprobleme in der Heimat auch bei den österreich-ungarischen Truppen in Persien unangenehm bemerkbar. Niedermayer schrieb dazu später: „Es war ein buntes Gemisch von Polen, Ungarn, Böhmen, Kroaten, Ruthenen, Rumänen und Bosniaken, die schon infolge der großen Streitigkeiten untereinander nicht leicht zu einer brauchbaren Truppe zusammenzuschweißen waren. Im großen und ganzen aber hielten sie sich wacker und waren wertvolle Helfer und treue Kameraden.“ Niedermayer: Glutsonne, S. 234. 290 „Sollten [...] mehrere tausend Soldaten hier eintreffen, wäre, unter der Voraussetzung des Zuschubes von Waffen, Möglichkeit gegeben, unsererseits auf die Haltung der Regierung einzuwirken.“ K.u.k. Botschafter in Teheran an Ministerium des Äußeren, 3. Juni 1915. PA, XII, Türkei, Konstantinopel 1848–1918, 209, Berichte. 291 K.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 8. August 1915. PA, Generalia 1907–1918, 892, Haltung Persiens während des Krieges, 1914–1918. 292 Ebenda. 293 Ebenda. 294 Alle Punkte ebenda.
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zung eines vom Schwarzen Meer über Erzerum nach Bajezid führenden Schienenstranges, wodurch wir für unsere ,pénétration pacifique‘ eine Einbruchsstraße nach Zentralasien gewinnen könnten, die von keiner europäischen Großmacht beherrscht wird“.295 Schließlich sollte eine österreich-ungarische Bank in Persien errichtet werden. Im Dezember 1915, als es ausgesprochen wahrscheinlich schien, daß Persien auf die eine oder andere Weise mit den Mittelmächten marschieren würde, formulierte Logothetti weitere Ziele in Persien, die in Wien unwidersprochen blieben. Dazu zählten die Verfügung über persische Rohstoffe, vornehmlich Baumwolle und Kupfer, sowie Zugang zum persischen Markt für österreichisch-ungarische Produkte.296 Logothetti ging sogar so weit, gegen einen Vertrag Persiens mit Deutschland, dessen Abschluß zu diesem Zeitpunkt durch Reuß forciert wurde und „mit dem das gesamte Heeres- und Finanzwesen, die Minen, Industrie, ja sogar bis zu den Ausgrabungen, für Deutschland monopolisiert wird“297 zu intervenieren. Erstaunlich an den österreichischen Bestrebungen in Persien ist, daß sie weit ehrgeiziger waren als die deutschen. Dies steht im Gegensatz zur herrschenden Meinung, wie sie etwa von Peter Jung vertreten wird. Dieser hält es für das Hauptziel der österreichischen Politik in Persien, das Land aus dem Krieg neutral herauszuhalten. Er sieht vor allem die geflüchteten k.u.k. Gefangenen als einen wichtigen Grund österreichisch-ungarischer Betätigung in Persien.298 Allerdings widersprechen die Quellen diesen Annahmen deutlich. Während die Deutschen Persien vor allem als weiteren Gegner der Entente ins Feuer schicken wollten und seine islamisch motivierte Revolutionierung als Etappe zu einem Aufstand in Indien betrachteten – die Oppenheim- und Waßmuß-Memoranden sprechen eine deutliche Sprache – verfolgte Österreich einen klar imperialistischen Kurs. Während es den Deutschen darum ging, den Feind ihrer Feinde dazu zu bringen, die Waffen gegen diese zu erheben, versuchten österreichisch-ungarische Vertreter, eine Basis für den Schritt der Donau-Monarchie in die Weltpolitik zu schaffen. Mit Blick auf die geringen österreichischen Ressourcen in Persien und im Vergleich zum Aufwand, den Deutschland in finanzieller und personeller Hinsicht betrieb, erscheint das merkwürdig, ja fast absurd. Daß dieser Bissen letztlich erheblich zu groß war, zeigte sich auch in der Tatsache, daß es den Österreichern nicht einmal gelang, ihre nach Persien geflüchteten Soldaten ohne deutsche Hilfe zu organisieren und sie einer nutzbringenden Verwendung zuzuführen. Die Vertreter der Monarchie traf darüber hinaus ein Schicksalsschlag, der aus dilettantischer Sorglosigkeit erwuchs: Bei einem Jagdausflug (!) geriet der österreichisch-ungarische Militätattaché Wolfgang Heller in russische Gefangen-
295 Ebenda. 296 K.u.k. Botschafter an Ministerium des Äußeren, 10. Dezember 1915. PA, Generalia 1907–1918, 892, Haltung Persiens während des Krieges, 1914–1918. 297 Ebenda. 298 Vgl. Jung: Gesandschaftsdetachment. S. 7.
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schaft.299 Heller kehrte erst im April 1918, nach der Russischen Revolution in die Heimat zurück.300 Vorerst aber begann sich das Drama auf persischem Boden zu entwickeln. Am gleichen Tage, an dem in Konstantinopel deutsche, österreichische, türkische und persische Vertreter zusammensaßen, befanden sich bereits deutsche Emissäre unter der Führung Niedermayers und Kleins in Bagdad. Wie bereits erwähnt, hatten die Deutschen dort erhebliche Widerstände der türkischen Behörden zu überwinden, bis es ihnen gelang, die Weiterreise nach Persien anzutreten. Diese Konflikte entsprangen augenscheinlich einer unterschiedlichen Beurteilung der Lage. Türkische Truppen hatten unter Führung Rauf Beys, einem nicht sonderlich deutschfreundlichen Offizier, die Grenze nach Persien überschritten und dort Territorium besetzt. Bei verschiedenen Zusammenstößen gab es Tote,301 und die Türken machten sich durch offen annektionistisches Auftreten sehr unbeliebt.302 Die Deutschen in Bagdad kritisierten dieses Verhalten. Das wiederum wurde offenbar von den Türken als ungebetene Einmischung in ihre Angelegenheiten angesehen und mit einer Blockade der deutschen Pläne quittiert.303 Obwohl die Türkei bei der Konferenz am 11. Februar 1915 in Konstantinopel territoriale Ansprüche in Persien ausgeschlossen hatte, verfolgten die türkischen Stellen in Bagdad eine ganz andere Politik. Letztlich war die Entfernung einfach zu groß, um den Willen der Zentralstellen durchzusetzen. Reuß wußte sich im März 1915 jedenfalls nicht anders zu helfen, als um die Abberufung Rauf Beys zu bitten,304 womit er auch Erfolg hatte.305 Rauf hatte sich unter anderem dadurch unmöglich gemacht, daß er die Ausrüstung der Niedermayer-Expedition vorübergehend beschlagnahmen ließ.306 Diese deutsch-türkischen Auseinandersetzungen veranlaßten nun Berlin zum Handeln. Nadolny, der inzwischen die Koordinierung der deutschen Aktivitäten 299 Aktennotiz Kriegsministerium, 16. Februar 1916. KA, Kriegsministerium, 1916, Präs. 46/21/6– 47/13/15. 300 Vertreter des k.u.k. Ministeriums des Äußeren beim k.u.k. Armeeoberkommando, 23. April 1918. HHStA, PA, Generalia 1907–1918, 892, Haltung Persiens während des Krieges, 1914–1918. Vgl. auch Hellers Niederschrift über seine Erlebnisse in Persien und Rußland. KA, Nachlaß Heller, L/92, 5a „Als Soldat, Diplomat und Kerkersträfling“. 301 Die Türken operierten in der Stärke von mehreren tausend Mann in drei Gruppen: eine südlich des Euphrat gegen Basra, eine weitere am Tigris, die dritte gegen Nasrieh. Niedermayers Bericht No. II, 27. Februar 1915. NA, GFM 14/140. 302 „Trotz großer Sympathien für uns und Überzeugung von ehrlichen Absichten Deutschlands herrscht großes Misstrauen gegenüber Türken, deren Organe ungeschickterweise Annexionsgelüste besonders für Asserbeidschan und Karun offen aussprachen. Deshalb ist es zu gewaltsamem Zusammenstoss zwischen ihnen und persischen Stämmen gekommen.“ Deutscher Gesandter in Persien an Auswärtiges Amt, Bagdad, 21. März 1915. NA, GMF 14/140. 303 Ebenda. 304 Ebenda. 305 Niedermayer an deutsche Botschaft in Konstantinopel, Bagdad, 15. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 306 Niedermayers Bericht No. II, 27. Februar 1915. NA, GFM 14/140.
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übernommen hatte, befahl einen Kurswechsel. Hatten die Deutschen zuvor fast bedingungslos auf die Zusammenarbeit mit den Türken gesetzt, sollte jetzt eine weitgehend unabhängige deutsche Linie gesucht werden.307 Die türkisch-persischen Gegensätze seien den deutschen Zielen hinderlich, argumentierte Nadolny. Er regte an, statt dessen die militärische Unterstützung der persischen Gendarmerie308 zu suchen und deren schwedische Offiziere direkt auf die deutsche Gehaltsliste zu setzen.309 Die Unterstützung dieser einzigen schlagkräftigen militärischen Abteilung in Persien sollte die türkische Hilfe auf diesem Gebiet ersetzen. Die Gendarmerie hatte eine Stärke von etwa 7000 Mann und wurde von 120 einheimischen und 34 schwedischen Offizieren befehligt. Die Schweden waren überwiegend prodeutsch eingestellt. Beim Kriegsausbruch tranken schwedische Offiziere im Teheraner Club in Gegenwart von Entente-Diplomaten lautstark auf das Wohl des Deutschen Kaisers, wie Wipert von Blücher berichtet.310 Ein Grund für den Anschluß der schwedischen Offiziere an Deutschland dürften Spannungen zwischen ihnen und den Entente-Mächten gewesen sein. Sowohl Rußland als auch Großbritannien war die schwedische Mission nämlich lästig.311 Rund 20 Offiziere und Unteroffiziere wurden schließlich in die preußische Armee übernommen.312 Die Verdienste schwedischer Militärs in deutschen Diensten während des Weltkrieges erkannte später auch die Republik an. In den zwanziger Jahren wurde zur Erinnerung an dieses Engagement eine schwedische Fahne im Berliner Zeughaus aufgehängt. Reichswehrchef Hans von Seeckt hielt bei dieser Gelegenheit eine Ansprache, in der er den Einsatz schwedischer Soldaten für Deutschland würdigte.313 Nach dem langen Stillstand trennten sich die verschiedenen Gruppen Anfang 1915 in Bagdad. Gruppe eins unter Führung von Max Schünemann verließ im Januar 1915 die Stadt mit dem Auftrag, Stützpunkte in Qasr Širīn und Kermānšāh einzurichten. Diese Stützpunkte sollten als Etappe für nachfolgende Deutsche dienen. Niedermayers Anweisungen zu diesem Zweck lautete: „Auswahl einer geeigneten Persönlichkeit (eines ortsansässigen Deutschen, schwedischen Offiziers, oder eines sonst völlig zuverlässigen Menschen, wo keiner vorhanden eines Herren der Expedition), Verpflichtung des betreffenden Gouverneurs, Kommandanten etc., Bereitstellung persischen Silbergeldes, vorbereitende Massnahmen für die Unterkunft und Verpflegung von Menschen und Tieren, wenn nötig Bereitstellung von Transporttie307 Stellvertretender Generalstab, Abteilung III.b., Nadolny an Auswärtiges Amt, 22. Februar 1915. NA, GFM 14/140. 308 Zur Geschichte der schwedischen Gendarmarie-Mission in Persien vgl. Ineichen, Markus: Die schwedischen Offiziere in Persien (1911–1916). Bern, 2002. 309 Stellvertretender Generalstab, Abteilung III.b., Nadolny an Auswärtiges Amt, 22. Februar 1915. NA, GFM 14/140. 310 Blücher: Zeitwende, S. 16. 311 Ineichen: Offiziere, S. 147. 312 Gehrke: Persien, S. 57. 313 Wortlaut in Seeckt, Hans von: Gedanken eines Soldaten. Berlin, 1929, S. 42f.
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ren, im übrigen Einrichtung einer Nachrichtenzentrale.“314 Weiter reisen sollte Schünemann nach Teheran und von dort aus „in sein Arbeitsgebiet Aserbeidschan“315. Zugeteilt wurden ihm „2–3 deutsche Herren“316. Gruppe zwei unter Führung von Erich Zugmayer reiste in Begleitung von Walter Griesinger am 26. Februar 1915 von Bagdad nach Isfahan. Dort übernahm Griesinger das deutsche Konsulat und begann, einen Stützpunkt aufzubauen.317 Gruppe drei unter Führung von Peter Paschen reiste über Mosul und Hamadan nach Isfahan. Paschen selbst ging von dort weiter nach Teheran. Die Gruppe sollte die Etappe Isfahan verstärken und auf dem Weg dorthin vor allem Nachrichten sammeln.318 Gruppe vier unter Führung von Eduard Seiler beförderte Gepäck und Ausrüstung von Bagdad über Kermānšāh und Solt. ānābād nach Isfahan. Dort sollte die Gruppe Propaganda betreiben, einen Stützpunkt in Yezd und Schiras errichten und Nachrichten sammeln.319 Gruppe fünf mit Niedermayer, dem deutschen Militärattaché Georg Graf von Kanitz und dem deutschen sowie dem österreichisch-ungarische Botschafter reiste am 28. März von Bagdad nach Teheran.320 Schließlich sollte Gruppe sechs unter Führung Wilhelm Waßmuß’ von Bagdad aus Schiras erreichen.321 Die einzelnen Mitglieder der Gruppen lassen sich nicht mehr klar identifizieren. Darüber hinaus besaßen die Deutschen bereits vor dem Abmarsch dieser Gruppen kleinere Stützpunkte in Persien. In Hamadan mit dem Agenten der Firma Peta, Weber; in Solt.ānābād das deutsche Konsulat mit dem Konsulatsverweser Rohner. In Isfahan war Dr. Pugin bei Kriegsausbruch zum Konsul ernannt worden. In Schiras 314 Niedermayers Befehle für Gruppe 1: Schünemann. 12. Januar 1915. NA, GFM 14/140. 315 Ebenda. 316 Ebenda. 317 „Möglichst unauffälliges Betreten der Stadt. [...] Auskundschaftung günstiger Elemente. Besuche Postdirektor, Bachtiarenchefs! – Nach vorheriger Erkundung dürfte es sich empfehlen, die dort ansässigen Vertreter der Firma Ziegler (Schweizer) zur Unterstützung heranzuziehen. Scharfe Kontrolle englischem und russischen Konsulates [...], sowie Zolldirektors. Bereitstellung persischem Silbergeldes.“ Befehl für Gruppe 2: Zugmeyer. Bagdad 21. Februar 1915. NA , GFM 14/140. 318 „Durchweg genaueste Erkundung und Überwachung feindlicher Elemente (englischer, russischer Konsuln, englischer Bank- und Telegrafenbeamten, belgischer Zollbeamten), Beseitigung derselben nur, wenn unauffällig und ohne große schädliche Folgen, Besuche bei Stammesoberhäuptern, und bei dem Gouverneur, Kargusar, Post- und Telegrafenvorstand der einzelnen Provinzen, bei Geistlichkeit; aber nur, wenn diese Personen von vornherein einigermaßen vertrauenswürdig erscheinen oder geschildert werden. Nur allgemeine Propaganda. Zweck unseres Aufenthaltes in Persien ist stets strengstens geheim zu halten!“ Befehl für Gruppe 3: P. Paschen, Bagdad, 23. Februar 1915. NA, GFM 14/140. 319 „Überwachung und Bestechung des Telegrafen- und Postpersonals, das meist in englischen Händen und daher unzuverlässig. Bei wichtigen Sachen Absendung von Spezialboten (Schandarmen). Zerstörung von Telegrafenleitungen nur in dringenden Fällen und mit großer Vorsicht, da englische und persische Leitungen auf dem selben Gestänge wechselnd laufen.“ Befehl für Gruppe 4: Seiler, Bagdad, 25. Februar 1915. NA. GFM 14/140. 320 IV. Bericht Niedermayers, Teheran, 30. April 1915. NA, GFM 14/141. 321 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 11. März 1915. NA, GFM 14/140.
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saß der Vertreter der Persischen Teppichgesellschaft, Röhr; in Kermān der Schweizer Miendly, und in Teheran selbst existierte die deutsche Gesandtschaft. Außerdem gab es in Būšir ein deutsches Konsulat, das vom Konsul Dr. Listmann geführt wurde.322 Damit hatten die Deutschen sich ein Netz sicherer Basen fast im ganzen Land geschaffen. Es waren dieses letztlich Residenturen einer geheimen Organisation, die mit äußerster Stringenz ihre Ziele in Persien zu verfolgen begann. Auf welche politischen und militärischen Machtfaktoren mußte sich die Arbeit des deutschen Agentennetzes konzentrieren? Anfang 1915 war das zum einen die persische Gendarmerie, zum anderen waren es, bei aller Skepsis der Deutschen, die Grenzstämme. Ideologisch allerdings begann zu diesem Zeitpunkt ein Wandel einzutreten. Der Heilige Krieg als Motivation zündete in Persien nicht. Statt dessen gerieten „die patriotisch-politischen Ideen der demokratischen Partei“ 323 ins Blickfeld der deutschen Agenten. Einen ersten Hinweis auf diesen Umschwung liefert ein Telegramm Wangenheims, in dem es gar heißt: „von ihrer Haltung wird die Entwicklung in Persien und der Entschluß der Regierung mehr abhängen als von den Stämmen“.324 In der Tat begannen die Deutschen in Persien, die demokratische Bewegung Schritt für Schritt von sich abhängig zu machen. Nach dem Historiker Keivandokht Ghahari spaltete sich die politische Szene in Persien zu dieser Zeit in drei Gruppen. Zum einen waren da die Konservativen, die sich „für die Passivität Irans und damit die Unterstützung der Alliierten aussprachen“.325 Dann gab es die Gemäßigten, die über den britisch-russischen Einfluß verärgert waren, politisch aber nicht handeln wollten, und schließlich existierte „eine kleine radikale Gruppe – die Mehrheit davon bestand aus Demokraten“,326 die mit den Mittelmächten gegen Rußland und Großbritannien vorgehen wollte. Im Juli 1915 brachte diese Gruppe den Schah dazu, den von ihnen unterstützten Mostofi al-Mamalek zum Premierminister zu ernennen.327 Die deutschen Aktivitäten blieben den Briten nicht lange verborgen. Im März 1915 fingen sie ein Telegramm der deutschen Gesandtschaft in Teheran an den deutschen Konsul in Būšir, Listmann, ab, in dem dieser aufgefordert wurde, sich nicht durch eine Lieferung von 1400 Kisten Waffen und Munition kompromittieren zu lassen. Diese würden von schwedischen Gendarmerieoffizieren „for our secret objects“328 abgeholt. Diese Nachricht erregte die Briten in Teheran und in London auf das höchste, war dies doch zum einen ein direkter Fingerzeig auf deutsche Agen322 All dies aus Befehl für Gruppe 2: Zugmeyer. Bagdad 21. Februar 1915. NA , GFM 14/140. 323 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 9. März 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19141. 324 Ebenda 325 Ghahari: Nationalismus, S. 32. 326 Ebenda. 327 Ebenda. 328 Übersetzung eines deutschen Telegramms der Gesandtschaft in Teheran an das deutsche Konsulat in Buschir. In: Memorandum communicated to the Minister for Foreign Affairs on March 17 1915. NA, FO 371/2430.
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ten und deren Aktivitäten in Persien, zum anderen aber auch ein erster und ernster Hinweis, daß die schwedischen Offiziere in deren Pläne eingebunden waren.329 Der britische Geschäftsträger protestierte bei der persischen Regierung, die alle Schuld von sich wies.330 Die Waffen seien ausschließlich für die Gendarmerie bestimmt gewesen, der britische Geschäftsträger Sir Walter Townley sei „biased reports [...] against the Gendarmerie organisation“331 aufgesessen. Unterdessen wurde Pugin in Isfahan vor allem den Russen außerordentlich lästig, so lästig, daß der russische Außenminister mehrfach den britischen Botschafter darauf ansprach und gemeinsame Aktionen gegen den deutschen Agenten forderte,332 zu denen es vorerst allerdings nicht kam. Die Russen bescheinigten Pugin in Isfahan zähneknirschend außerordentlich erfolgreiche Arbeit, die ihre Position erheblich unterminierte.333 In London versuchten zur gleichen Zeit Beamte des India Office Maßnahmen zu treffen, um die deutschen Agenten unschädlich zu machen. Besonders Erich Zugmayer war in ihr Visier geraten.334 Das India Office wies schließlich die indische Regierung an, ,,to instruct their officers in the British sphere to endeavor to arrange with friendly native assistance for the capture of Dr. Zugmayer and any other Germans who may enter our sphere and their deportation to India.“335 Das war die Erklärung eines längst inoffiziell in Persien ausgebrochenen Agentenkrieges zwischen der Entente und den Mittelmächten. Die ersten Erfolge hatten die Briten zu verzeichnen: Waßmuß wurde auf britische Initiative auf dem Weg nach Schiras überfallen. Er entkam, sein Gepäck und seine Papiere aber gerieten in Feindeshand.336 Darüber hinaus wurden das Archiv des Konsulates in Būšir durch die Briten beschlagnahmt und der Konsul verhaftet.337 Beide Schläge alarmierten Berlin. Nadolny war sich klar darüber, daß der Gegner nun über die deutschen Pläne weitgehend informiert sein mußte.338 Deswegen drängte er auf schleunigste Aktion, um die persische Neutralität zugunsten der Mittelmächte zu kippen. Die Zeit sei 329 Ebenda. 330 Translation of a note from the Persian Government dated March 29 1915. NA, FO 371/2430. 331 Ebenda. 332 Britischer Botschafter in St. Petersburg an Foreign Office, 14. März 1915. NA, FO 371/2429. 333 „A party of Mullahs has been formed [...] which carries on campaign against Belgien employees and demands abolition of new Novagel tax threatening Governor with riots if it is not immedietly suspended. Pugene [sic] has started press campaign in support of movement. [...] He spreads rumour that Belgians do not want to pay Gendarms and put stop to only national armed force in Persia. Pugene gives out that he is embracing Islam; convokes meetings in which Mullahs preach Holy War against Allies, distributes appeals to Musselman to massacre any of their co-religionists in the service of Christians. [...] Pugenes propaganda has created a dangerous situation in Ispahan which the least incindent might serve to explode with disastrous consequences.“ Ebenda. 334 Staatssekretär für Indien an Foreign Office, 1. April 1915. NA, FO 371/2429. 335 Ebenda. 336 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 11. März 1915. NA, GFM 14/140. 337 Stellvertretender Generalstab, Abteilung III.b., Nadolny an Auswärtiges Amt, 5. April 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19142. 338 Ebenda.
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günstig, da nur etwa 2000 Briten im Süden und 5000 Russen nördlich von Teheran stünden.339 An eigenen Kräften rechnete Nadolny auf 7500 Mann persische Gendarmerie und rund 40.000 Mann der „Bergstämme (vornehmlich Kurden, Schachsewennen, Bachtiaren und Kaschgaie)“.340 Der deutsche Militärattaché in Persien, Graf Kanitz, hielt ein schnelles Losschlagen dagegen für gefährlich. Er empfahl dringend, zuerst die Gendarmerie auf 30.000 Mann zu bringen. Ansonsten sei Persien schnell geschlagen.341 Waßmuß hatte unterdessen freie Hand erhalten, auch gewaltsam gegen Engländer in der Gegend von Schiras vorzugehen.342 Die Deutschen waren – einmal mehr – in eine Strategiedebatte verfallen, die sich über Tausende von Kilometern hinweg zwangsläufig unter großen Verzögerungen abspielte. Wangenheim erkannte zu diesem Zeitpunkt, daß die großen Entfernungen und schweren Verzögerungen in der Nachrichtenübermittlung die Führung des Persien-Unternehmens von Berlin, Konstantinopel, ja sogar von Bagdad aus unmöglich machten.343 Letztlich entschied Berlin im Kanitzschen Sinne. Der Generalstab wies Teheran an, die „Lage noch hinzuhalten und vorläufig nur dann loszuschlagen, wenn die Verhältnisse drängen“.344 Im Klartext bedeutete das zweierlei: Auf diplomatischer Ebene sollte weiter an einem persischen Bündnis gearbeitet, der Kriegseintritt aber aufgeschoben werden. Auf der geheimdienstlichen Ebene bedeutete es, eine etwaige Revolutionierung des Landes noch hinauszuzögern. Die Deutschen in Persien befanden sich mit dieser Anweisung in einer schwierigen Lage; Revolutionen lassen sich schließlich nicht nach Gusto heraufbeschwören oder verschieben. Dies führte dazu, daß sich in den kommenden Monaten die Geschehnisse in Persien immer stärker von einer zentralen Führung abkoppelten und das Netzwerk dort zunehmend eigenverantwortlich handelte. Dadurch erzielten die Deutschen letztlich regional große Erfolge, ihre Aktionen aber waren mangelhaft koordinierten. Mitte 1915 verstärkten die Briten den Druck auf das deutsche Agentennetz. Die Konsuln in Kermān und Sīstān sowie der britische Agent in Belutschistan bekamen die Anweisung ,,to spend Secret Service money freely with object of putting leading men against such parties, getting them boycotted, and collecting information with regard
339 Ebenda. 340 Ebenda. 341 Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 11. Mai 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19142. 342 „Aufhebung englischer Kolonie Schiras wäre als Repressalie gegen Gefangennahme Listmanns zu begrüßen. Urteil über Zweckmäßigkeit des Unternehmens muß Beurteilung dortiger politischer Gesamtlage überlassen bleiben.“ Auswärtiges Amt an Gesandtschaft Teheran, 22. April 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19142. 343 „Jedenfalls ist die Lage in Persien von hier aus nicht mehr zu übersehen und auch nicht mehr zu beeinflussen.“ Deutscher Botschafter in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 12. Mai 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19142. 344 Stellvertretender Generalstab, Abteilung III.b., Nadolny an Auswärtiges Amt, 21. Mai 1915. PAAA, Persien 21, Persische Frage, R 19142.
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to their numbers, movements [...]“345 – ohne Erfolg: Der britische Botschafter faßte im Mai die Tätigkeit der Deutschen zusammen.346 Waßmuß habe in Schiras und der Region Fārs eine starke antibritische Stimmung hervorgerufen. Pugin, Griesinger und Zugmayer hätten Isfahan fast ganz in ihre Hand bekommen, der Gouverneur sei unfähig gewesen, sie zu stoppen. Ähnlich sei die Situation in Solt. ānābād und Hamadan, nur in Teheran sei die Lage zufriedenstellend. Marlings Bilanz klang ernüchternd für die Briten: ,,There is no disguising the fact that the Turco-German campaign has achieved a considerable meassure of success. It is built up almost entirely on the foundation of Persian hatred for Russia, and is no proof of any affection for Germany. [...] but there is an acute satisfaction at seeing Russia flouted by the Germans, and public opinion, such as it is, dislikes and opposes any action of the Government, either in the capital or the provinces, which interferes with German activity.“347
Zu diesem Zeitpunkt kam auch der diplomatische Leiter der Afghanistan-Expedition, Werner Otto von Hentig, ins Land. Er fand eine Situation vor in der „derjenige [gebietet], der die Macht am Platz in Händen hat. [...] Damals, als ich meinen Marsch antrat, herrschten wir Deutschen in Mittelpersien“.348 Ganz offensichtlich hatten die deutschen Agenten die öffentliche Meinung bereits zu ihren Gunsten entscheidend beeinflußt und einen großen Propagandaerfolg erzielt. Hentig beschreibt die Situation so: „Eine eigentliche Herrschaft im Sinne der englischen oder russischen dachten wir natürlich nie auszuüben, konnten es auch nicht bei dem Mangel aller Verbindungen, dem Fehlen von wirklichen Machtmitteln. Wohl aber hatten wir uns auf Grund lebhafter Sympathien der weitesten Bevölkerungsschichten [...] eine große Stellung geschaffen.“349 Weitere Berichte des britischen Botschafters bis in den Herbst 1915 hinein bestätigen dieses Bild. In Isfahan wurde die Situation für die Briten sogar so bedrohlich, daß der britische Generalkonsul empfahl, alle englischen Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Die Einnahme von Būšir durch die Briten habe die Situation gefährlich eskalieren lassen.350 Der britische und der russische Botschafter stimmten der Bitte des Konsuls zu, obwohl es bedeute „to play German game“.351 In Delhi und London wurden diese Berichte ernst genommen. Der britische Vizekönig in Indien hielt im September 1915 den Kriegseintritt Persiens auf seiten der Deutschen nur noch für eine Frage der Zeit. Er spekulierte bereits über die Fol345 Vizekönig an Foreign Office, 3. Juli 1915. NA, FO 371/2430. 346 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 18. Mai 1915. NA, FO 371/2430. 347 Ebenda. 348 Hentig: Diplomatenfahrt, S. 42. 349 Ebenda. 350 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 3. September 1915. NA, FO 371/2434. 351 Ebenda.
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gen eines solchen Schrittes, die für Großbritannien in wirtschaftlicher, militärischer und propagandistischer Hinsicht ausgesprochen schwierig zu bewältigen gewesen wären.352 Im Londoner Foreign Office notierte Lancelot Oliphant auf dem Deckblatt einiger Berichte aus Persien deutlich erregt: ,,Within the last few months three British officials and one Russian have been murdered in addition our Consul General at Ispahan has been wounded and our Consul at Shiraz almost besieged.“353 Eine Lösung für dieses Problem vermochte der Beamte allerdings nicht zu bieten. Sein Vorschlag für einen Kredit an die persische Zentralregierung,354 um den Einfluß auf diese zu verstärken, erscheint eher hilflos. Wirkliche Machtmittel hatte Großbritannien zu diesem Zeitpunkt in der Region nicht zur Verfügung: „A promis of troops is, I fear, impossible at any rate while our Indian troops are locked up in France.“355 Der britische Botschafter eröffnete der persischen Regierung im Oktober zumindest, daß die Tilgung der Schulden vorübergehend ausgesetzt sei. Darüber hinaus sagte er einen neuen Kredit über 30.000 Pfund zu.356 Die Situation war inzwischen so eskaliert, daß sich das Dardanellen-Komitee, das eigentlich das Scheitern des britischen Landungsunternehmens untersuchen sollte, unter Leitung des Premierministers mit Persien befaßte.357 Churchill charakterisierte das deutsche Vorgehen als „acting as bucaneers“358 und schlug ein analoges Agieren der Briten vor, ohne dies weiter auszuführen: „He thought it might be possible für us to act as counter buccaneers.“359 Der britische Außenminister gab wenige Tage später die Schlacht um Persien schon fast verloren. In einem Telegramm an den Botschafter in Teheran360 sprach er offen von der Möglichkeit, daß die Deutschen bereits einen Vertrag mit Persien abgeschlossen haben könnten und die Kriegserklärung an Großbritannien oder ein Coup d’Etat „at any moment“361 erfolgen könne. Der Minister wies seinen Botschafter an, bei der persischen Regierung wegen der Sicherheit der Konsuln und anderer Briten zu intervenieren und dies mit der Drohung zu verbinden, „in future we shall 352 „[...] we should be confronted with following difficulties. (1) Our Consuls and communities would be in more precarious position than now. (2) We should be compelled either to abandon the Anglo-Persian Oil Company’s pipe line or to defend it at expense of operations in Mesopotamia. (3) Enormous political capital would be made by Turkey and Germany out of entry into war of second Muslim state against us. This would react inevitably on Afghanistan [...] and on Muslem opinion in India.“ Vizekönig an Foreign Office, 6. September 1915. NA, FO 371/2434. 353 Persian Crisis, Notiz Sir Lancelot Oliphant, 6. September 1915. NA, FO 371/2434. 354 Ebenda. 355 Ebenda. 356 Britischer Botschafter an persischen Minister des Äußeren, 18. Oktober 1915. NA, FO 371/2435. 357 Secretary’s notes on a meeting of the Dardanelles Committee held at 10 Downing Street, October 4, 1915. CAB 42/4/2. 358 Ebenda. 359 Ebenda. 360 Britischer Außenminister an britischen Botschafter in Teheran, 27. Oktober 1915. NA, FO 371/2435. 361 Ebenda.
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hold the Persian Government responsible for any rupture of friendly relations that may ensue hereafter“.362 Auch der österreichische Militärarzt Kasper Blond, ein geflohener Kriegsgefangener aus Rußland, fand, als er Ende November 1915 nach Teheran kam, dort trotz der inzwischen eingetretenen Rückschläge noch immer eine ausgesprochen deutschfreundliche Stimmung vor.363 Der persische Botschafter in Konstantinopel versicherte dem Generalfeldmarschall von der Goltz kurz vor dessen Abreise nach Mesopotamien im November 1915 sogar, daß in Persien „alles zur Erhebung bereit sei“.364 Die Deutschen auf der anderen Seite feierten zwar Erfolge, waren aber mit ihrer eigenen Organisation unzufrieden. Insbesondere die Frage einer zentralen Führung und Koordination war weiterhin ungelöst. Als Zwischenziel bis zu einem Kriegseintritt Persiens formulierte das Auswärtige Amt Ende September 1915 die „Säuberung eines breiten Streifens in Mittelpersien von Russen und Engländern“.365 Daran beteiligen sollte sich die persische Gendarmerie, die deutschen Expeditionen sowie nach Persien entflohene österreichisch-ungarische Gefangene als „wertvolle Hilfstruppen“.366 Der Kaiser selbst billigte diesen Plan,367 der allerdings für die Geschehnisse auf diesem Kriegsschauplatz angesichts des Fehlens der zentralen Führung wenig Relevanz hatte. Genau diese zentrale Führung versuchten die Deutschen nun in der Person des Feldmarschalls von der Goltz zu schaffen. Damit ging einher, daß die Militärs das Zepter von den bisher weitgehend federführenden Diplomaten übernahmen. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus von einer Militarisierung der deutschen Aktion auf persischem Boden, einer zweiten Phase, sprechen, die schließlich im November 1915 in einem Putschversuch kulminierte. Daß nun die Militärs die Federführung des Persien-Unternehmens übernahmen, bedeutet jedoch nicht, daß sich der asymmetrische Charakter der Operation geändert hätte; es zu einer Resymmetrisierung gekommen wäre. Die Rahmenbedingungen waren schließlich dieselben geblieben. So war es Deutschen und Türken noch immer nicht möglich, große, klassische kämpfende Truppenmassen in Persien zum Einsatz zu bringen. Daß sich das Militär berechtigt, ja offenbar sogar verpflichtet sah, die Führung zu übernehmen 362 Ebenda. 363 „In den Kaffeehäusern war die Niederlage des mächtigen England vor den Dardanellen das Tagesgespräch. In den Basaren lasen die Schriftkundigen der Menge die letzten Telegramme vor. Beinahe wollte es scheinen, als sei der alte religiöse Gegensatz zwischen Suniten und Schiiten eingeschlafen, als stünde der heilige Krieg aller Mohammedaner gegen die Entente unmittelbar bevor.“ Blond, Kasper: Ein unbekannter Krieg. (Österreichische Militärgeschichte, Folge 5). Wien, 1997, S. 50f. 364 Mühlmann: Waffenbündnis, S. 73. 365 Unterstaatssekretär an Großes Hauptquartier, 23. September 1915. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei. R 19155. 366 Ebenda. 367 Großes Hauptquartier an Unterstaatssekretär, 24. September 1915. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei. R 19155.
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und sich nicht scheute, die zivilen Stellen auszuschalten, mag dabei auch im Selbstverständnis des preußisch-deutschen Offiziers gewurzelt haben. Dieses beinhaltete nichts weniger, als daß die Führer der Armee, das militärische Establishment, sich selbst als den wahren Träger der nationalen Interessen betrachteten. Der Historiker Gordon A. Craig hält es denn auch für völlig natürlich, daß diese militärischen Führer sich aus diesem Grund auch für besser qualifiziert hielten als zivile Politiker, die Politik festzulegen, mit denen diese Interessen zu schützen waren.368 Für das Militär hatten die Diplomaten wohl schlicht versagt, indem sie es noch immer nicht geschafft hatten, einen Aufstand zum Ausbruch zu bringen. Betrieben hatte diese Militarisierung vor allem der deutsche Militärbevollmächtigte in Konstantinopel, Otto von Lossow.369 Ihm war es gelungen, im deutschen Großen Hauptquartier Unterstützung für eine solche Veränderung der persischen Aktion zu gewinnen – gegen den Widerstand der Diplomaten.370 Dies führte zu einer Instruktion für Goltz, der Enver, Lossow, Goltz selbst und auch der persische Botschafter in Konstantinopel zugestimmt hatten.371 Auffällig ist, daß der deutsche Botschafter Wangenheim sie weder absegnete noch seine Haltung zu ihr überhaupt thematisierte. Die Anweisungen enthielten im wesentlichen folgende Bestimmungen: Alle Unternehmungen, „[...] deren Zweck es ist die Kraft Persiens im Sinne der Zentralmächte und der Türkei im gegenwärtigen Kriege zu verwerten und zugleich die künftige Unabhängigkeit Persiens sicherzustellen“372 sollten zentralisiert werden. Praktisch waren Goltz damit sämtliche deutschen Emissäre in Persien, ihre einheimischen Hilfstruppen, der deutsche und der türkische Militärattaché in Persien sowie alle regulären türkischen Truppen im Grenzgebiet373 unterstellt. Die ordentlichen, das heißt bereits vor dem Kriege in Persien akkreditierten Konsuln, blieben pro forma weiter dem Auswärtigen Amt unterstellt. Allerdings wurden sie der vollständigen Kontrolle des Oberbefehlshabers unterstellt,374 um „volle Einheitlichkeit des Handelns auf allen politischen Gebieten“375 zu gewährleisten. Der Feldmarschall hatte außerdem die alleinige Verfügungsgewalt über „Gelder, Waffen, Munition und Kriegsmaterial, die 368 Craig: Politics, S. 255. 369 Zu Lossows Tätigkeit in der Türkei vgl. Unger: Militärbeziehungen, S. 125–132. 370 Vgl. dazu Deutscher Botschafter an Auswärtiges Amt, 18. Oktober 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19174. 371 Ebenda. 372 Ebenda. 373 Wilayets (osmanische Provinzen) Mossul, Baghdad, Basra sowie das Irakkorps. All diese Truppen sowie deren Etappeneinrichtungen wurden zur türkischen IV. Armee zusammengefasst. Ebenda. 374 „Die Instruktionen und Direktiven, die ihnen aus der Heimat zugehen, gehen zu gleicher Zeit dem Feldmarschall Frh. v. d. Goltz zu. Ebenso sind die politischen Berichte, die von den genannten Stellen in die Heimat gesandt werden, dem Feldmarschall gleichzeitig in Abschrift zu übermitteln. [...] Der Feldmarschall wird den nach Vorstehendem ihm zugehenden Berichten und Telegrammen, wo erforderlich, seine Auffassung zusetzen.“ Ebenda. 375 Unterstreichung im Original, ebenda.
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Deutschland und die Türkei zur Unterstützung der persischen Bewegung nach Persien senden werden“376. Als unmittelbar zu lösende Aufgabe wurde Goltz gestellt, „die persische Erhebung gegen England und Rußland in Gang zu bringen und durch Zusammenfassung der im Lande vorhandenen militärischen Kräfte die Bildung einer persischen Armee einzuleiten“.377 Neben einer einheitlichen Leitung scheint die angestrebte Zentralisierung auch einen weiteren Zweck verfolgt zu haben. Durch die zentrale Führung sollten die Anfang 1915 so unangenehm fühlbar gewordenen Reibereien zwischen Deutschen und Türken minimiert werden. Diese hatten sich ja vor allem an unklaren Unterstellungsfragen entzündet. Es war ganz einfach nicht eindeutig gewesen, wer das Sagen hatte – Deutsche oder Türken. Der Feldmarschall selbst sah seinen Aufgaben in Persien durchaus optimistisch entgegen. Von der „einheitlichen Leitung aller in Persien und Afghanistan tätigen deutschen Kräfte“378 versprach er sich „einen großen Schritt vorwärts“.379 Von den Stämmen und der Gendarmerie erwartete er ebenfalls viel und formulierte als Ziel „wenigstens das südliche Persien bis zur Linie Kermanschah – Hamadan – Ispahan – Schiras in unsere Hände zu bringen“.380 Noch bevor Goltz an Ort und Stelle war, begannen die Dinge in Persien sich ihrem Höhepunkt entgegen zu bewegen. Kanitz meldete, daß russische Truppen die Grenze in Richtung Teheran überschritten hatten. Es handelte sich um 2800 Mann unter dem Befehl des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch.381 In einer früheren Meldung hatte Kanitz bereits sein weiteres Programm dargelegt. Es beinhaltete nichts weniger als einen Staatstreich. Der Schah sollte mit deutscher Begleitung vor den vorrückenden Russen aus Teheran nach Qum abreisen.382 Warum es für die Deutschen in dieser Phase so wichtig war, den Schah aus Teheran herauszubringen, beschrieb Niedermayer so: „Kam es dort an irgendeiner Stelle zu einem bewaffneten Aufstand gegen Russen oder Engländer, so mußte die Lage in Teheran, das in wenigen Tagesmärschen von den bei Kaswin stehenden Russen erreicht werden konnte, für uns unhaltbar werden. Unter diesem Druck standen auch sämtliche Maßnahmen der persischen Regierung.“383 Gendarmen und irreguläre Stammeskrieger sollten den Vormarsch der Russen aufhalten, während die deutschen Agenten eine „allgemeine Volkserhebung gegen
376 Ebenda. 377 Ebenda. 378 Von der Goltz an Unterstaatssekretär, 17. Oktober 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19174. 379 Ebenda. 380 Ebenda. 381 Deutscher Militärattché in Persien an von der Goltz, 16. November 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19175. 382 Niedermayer: Glutsonne, S. 57. 383 Ebenda.
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die verrottete persische Regierung“ hervorrufen würden.384 Ersetzt werden sollte diese durch ein Kabinett, das aus deutschland-freundlichen Demokraten bestand. Damit befand sich Kanitz in völliger Übereinstimmung mit den für Goltz gültigen Instruktionen. Kanitz gab an, über etwas mehr als 17.000 Mann zu verfügen – Gendarmen und Irreguläre. Am 15. November war der Schah aber noch immer in Teheran – bestürmt von Reuß und Kanitz, die Stadt zu verlassen, weil die Russen immer näher kamen.385 Die Briten in Teheran waren zu dieser Zeit bereits einer Panik nahe. Der britische Geschäftsträger Marling warnte am 6. November London vor einem Staatsstreich,386 den die in Teheran befindlichen Deutschen, Österreicher und Türken aus seiner Sicht leicht in Szene setzen könnten. Warnsignal sei, daß die Perser – wohl unter deutschem Druck – bisher noch keinen Gebrauch von dem ihnen neu eröffneten Kredit gemacht hätten. Wenige Tage später meldete der Botschafter schließlich ein wenig erleichtert den Vormarsch der Russen, fügte aber in der als „most urgent“ gekennzeichneten Nachricht hinzu, daß die Deutschen ganz gewiß den russischen Einheiten militärischen Widerstand entgegensetzen würden.387 Aus Furcht vor der Flucht des Schahs mit den Deutschen autorisierte das Foreign Office Marling sogar, über ein offizielles persisch-russisch-britisches Bündnis zu verhandeln388 – eine Idee, die vorher keine Rolle gespielt hatte, fürchteten die Briten doch, Persien in diesem Falle gegen türkische Truppen verteidigen zu müssen.389 Rückblickend sah der britische Botschafter die Deutschen Mitte Oktober als „masters of Teheran“.390 Kanitz hatte unterdessen die Zusage des Schahs, nach Solt. ānābād oder Isfahan abzureisen – unter der Voraussetzung, daß die russischen Truppen nicht weiter auf Teheran vorrückten.391 Der türkische Botschafter murrte über das Vorgehen von Kanitz und Reuß, befürchtete er doch, bei einem Scheitern ihrer Aktion alles zu verlieren, was in Persien erreicht worden war, insbesondere die Sympathien für die Mittelmächte unter der Bevölkerung.392 Unterdessen setzten die Russen ihren Vormarsch auf Teheran fort. Schließlich standen die Kosaken nur noch 40 Kilometer
384 Deutscher Militärattché in Persien an v. d. Goltz, 12. November 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19175. 385 Deutscher Gesandter in Persien an Auswärtiges Amt, 15. November 1915. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19155. 386 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 5. November 1915. NA, FO 371/2435. 387 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 14. November 1915. NA, FO 371/2435. 388 Foreign Office an britischen Botschafter in St. Petersburg, 24. November 1915. NA, FO 371/2437. 389 Vgl. zu dieser Diskussion etwa Vizekönig an Foreign Office, 6. September 1915. NA, FO 371/2434. 390 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 1. Februar 1916, S. 3. NA, CAB 37/142/5. 391 Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 18. November 1915. Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19175. 392 Ebenda.
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vor der Hauptstadt, ohne daß der Schah Anstalten machte, Teheran zu verlassen.393 Probritische Perser sprengten zur gleichen Zeit eine von Kanitz ins Werk gesetzte Verschwörung, die alle Russen sowie eine Anzahl Entente-freundlich gesinnte Perser beseitigen sollte. Allerdings waren diese Planungen ausgesprochen dilettantisch. Die britische und russische Gesandtschaft bekamen täglich Warnungen, daß die Botschafter Marling und de Etter entführt werden sollten. Kanitz selbst warnte in einer romantischen Anwandlung die Frau des britischen Botschafters vor seinem eigenen Coup.394 Der britische Botschafter verbrannte daraufhin seine Archive.395 Warum die Deutschen letztlich nicht zuschlugen, bleibt rätselhaft. Möglicherweise spielten Konflikte zwischen Deutschen und Türken eine Rolle.396 Reuß – im Februar 1916 wieder in Berlin – stellte es so dar, daß Kanitz den Umsturz versucht habe, obwohl sowohl er als auch der türkische Botschafter ihm dies verboten hatten.397 Der Putsch sei jedoch gescheitert. Reuß ließ sich über die näheren Umstände dieses Scheiterns jedoch merkwürdigerweise nicht weiter aus. Jedenfalls blieb der Schah in Teheran und die Russen besetzten die Stadt. Marling vermochte noch im Februar 1916 sein Glück kaum zu fassen. Der Brite stellte die Vorgänge im Widerspruch zu Reuß so dar, daß es gar keinen Putsch gegeben habe: „I am still wholly unable to understand why the Germans did not act. On a calm review of the whole circumstances, I am convinced that at any moment between the 18th October and the 6th November they could with the greatest ease and with minimum of disorder have forced the Persian Government’s hand.“398 Die genauen Umstände der nun folgenden Reaktionen der Gesandten der Mittelmächte, Prinz Reuß und Logothetti, sind ebenfalls nicht völlig klar. Der österreichische Militärarzt Georg Heiner, der sich als entflohener Kriegsgefangener zu dieser Zeit in Teheran aufhielt und dem eine farbige Schilderung der Ereignisse zu verdanken ist, berichtet von einem Zirkular der persischen Regierung, in dem sämtliche ausländischen Gesandten aufgefordert wurden, dem Schah zu folgen, dieser verließ selbst aber nie die Stadt.399 Möglicherweise flohen der deutsche und der österreichische Gesandte schlicht, um den Russen zu entgehen. Das zumindest glaubte 393 Verhältnisse in Persien im Herbst 1915, Bericht des k.u.k. Militärarztes Dr. Georg Heiner, Wien, 17. Februar 1916. KA, Kriegsministerium, 1916, Präs 47/1/21. 394 „[...] the German military attaché whom we had known very well at Constantinople, secretly sent a letter to my wife assuring her that he would give her warning of any attempts, as ,Germans do not make war on woman and children.“ Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 1. Februar 1916, S. 3. NA, CAB 37/142/5. 395 Ebenda. 396 Der österreichische Militärarzt Heiner schrieb, der türkische Botschafter habe den Deutschen den Coup ultimativ untersagt. Vgl. Verhältnisse in Persien im Herbst 1915, Bericht des k.u.k. Militärarztes Dr. Georg Heiner, Wien, 17. Februar 1916. KA, Kriegsministerium, 1916, Präs 47/1/21. 397 Reuß an Reichskanzler, Berlin, 28. Februar 1916, S. 3. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19181. 398 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 1. Februar 1916, S. 4. NA, CAB 37/142/5. 399 Ebenda.
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ihr Gegenspieler Marling.400 Logothetti und der türkische Botschafter Assim Bey begaben sich in den nahe Teheran gelegenen Ort Šāh Abdul ‘Aíīm,401 Reuß nach Qum. Dort traf den Prinzen ein schwerer Schlag. Wegen eines Nervenzusammenbruchs desertierte sein Dragoman Konsul Litten nach Bagdad402, ohne sich abzumelden. Reuß hatte damit seinen wichtigsten Mitarbeiter zu einem Zeitpunkt verloren, an dem es darum ging, erneut Kontakt zur persischen Regierung herzustellen. Reuß flüchtete daher am 30. November weiter nach Solt.ānābād und traf am 13. Dezember in Kermānšāh ein.403 Die persischen Verbündeten der Mittelmächte hatten ebenfalls die Hauptstadt verlassen. Parlamentsabgeordnete, Demokraten, Stammeskrieger und Gendarmen zogen zuerst nach Qum, später weiter nach Kermānšāh und Hamadan. In Kermānšāh bildeten sie im Januar 1916 unter der Führung des Gouverneurs von Borūğerd, Niíām as-Sult.āneh,404 eine weitgehend machtlose provisorische Regierung. Für Briten und Russen jedoch lieferte diese Regierung eine willkommene Rechtfertigung für eine militärische Einmischung in Persien.405 Kanitz dagegen setzte nun alles auf eine Karte und begann, offen gegen die Russen Krieg zu führen. Er erzielte Anfangserfolge. Die Gendarmerie stürmte Hamadan, erbeutete Geld und Waffen und verfolgte die geschlagenen Russen eine weite Strecke.406 Doch die Russen erhielten Verstärkung. Am 9. Dezember 1915 überrannten sie Kanitz’ Truppen und eroberten Hamadan zurück. Die Perser zogen sich auf Kermānšāh und Solt.ānābād zurück.407 Reuß hatte sich bereits am 7. Dezember 1915 400 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 1. Februar 1916, S. 4. NA, CAB 37/142/5. 401 Sie kehrten nach nicht einmal zwei Wochen nach Teheran zurück. Nur Reuß blieb in Qum. Heiner zitiert ihn mit den Worten: „Es entspricht nicht der Würde eines kaiserlich deutschen bevollmächtigten Ministers sich erst zur Sezession veranlassen und dann wieder zurückrufen zu lassen.“ Verhältnisse in Persien im Herbst 1915, Bericht des k.u.k. Militärarztes Dr. Georg Heiner, Wien, 17. Februar 1916. KA, Kriegsministerium, 1916, Präs 47/1/21. 402 Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, Kum, 27. November 1915. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19156. 403 Reuß an Reichskanzler, Berlin, 28. Februar 1916, S. 6. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19181. 404 „Nisam es Saltaneh war ein älterer bedächtiger Herr von würdigem Äußeren und gemessenem Wesen. Er galt als einer der reichsten Männer Persiens und lebte in den Formen der alten persischen Grandseigneurs. [...] Er war niemals Soldat gewesen und besaß keinerlei militärische Vorkenntnisse. Aber er gehörte zu den Großen des Landes und erfüllte damit eine der wichtigsten Vorbedingungen für den Posten, den er bekleiden sollte. Nisam wurde dann in der Tat vom Komitee als Führer anerkannt, obgleich er nicht zur demokratischen Partei gehörte.“ Blücher: Zeitenwende, S. 28f. Wipert von Blücher kam als Offizier des Freiherrn von der Goltz in Land. Er gehörte dem Stab des Obersten Bopp an. 405 Vgl. Ghahari: Nationalismus, S. 34. 406 Verhältnisse in Persien im Herbst 1915, Bericht des k.u.k. Militärarztes Dr. Georg Heiner, Wien, 17. Februar 1916. KA, Kriegsministerium, 1916, Präs 47/1/21. 407 Türkischer Botschafter in Teheran an Großes türkisches Hauptquartier, 14. Dezember 1915, deutsche Übersetzung. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19156.
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nach Kermānšāh begeben, forderte türkische Truppen an, um die Verbindungslinien in Richtung Bagdad zu sichern und schob die Schuld für den Mißerfolg den Militärs, insbesondere seinem Militärattaché Graf Kanitz, zu.408 Wenig später, Ende Dezember, wurde Reuß durch Philipp Vassel ersetzt.409 Der Graf beging am 15. Januar nach einem Gefecht, bei dem seine Kämpfer vom Stamm der Luren vollständig versagt hatten, Selbstmord. Von da an wurde ihm systematisch das Scheitern des Putsches in Persien angelastet.410 Nach dem Tod des Grafen scheint sich unter der persischen Bevölkerung das Gerücht verbreitet zu haben, Kanitz sei noch am Leben und durchstreife in persischer Bauernkleidung weiter das Land.411 Die Russen waren nun „überall in langsamem methodischem Vorgehen“.412 Vassel hatte keinerlei Nachricht „von allen Konsuln und Offizieren jenseits von Kermanschah“.413 Als einziges Mittel, in Persien noch einen Erfolg zu erreichen, betrachtete er eine türkische Militärintervention.414 Von der Goltz schloß sich dieser Ansicht an.415 In der Tat begann nun der Stabschef des Feldmarschalls, Oberst Arthur Bopp, mit türkischen Truppen die Situation in Nordpersien zu bereinigen. Am 15. Januar schlug er die Russen in mehreren Gefechten.416 Insgesamt verfügte er über 1500 Mann reguläre türkische Truppen, 1000 Gendarmen und einige Irreguläre, die er jedoch als so „gänzlich wertlos“417 einschätzte, daß Bopp nicht einmal deren Zahl angab. Nadolny, zu diesem Zeitpunkt eher Beobachter als Handelnder, schätzte die Lage auf Grund dieser Berichte als ernst, aber nicht hoffnungslos ein.418 Der allgemeine Aufstand sei zwar gescheitert, jedoch habe man „immerhin einen 408 „Der Mitte November erfolgte Vormarsch Russen auf Teheran müßte wohl zum gewissen Teil auf die intensive Arbeit Militärattaché zurückzuführen sein, der hierzu durch das Drängen des Generalstabes möglichst bald loszuschlagen veranlasst wurde.“ Deutscher Gesandter in Teheran, 11. Dezember 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19175. 409 Ebenda. 410 Siehe dazu etwa Deutscher Gesandter in Teheran, Sahnah, 19. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 411 Feldmarschall v. d. Goltz an Wilhelm II., 17. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158. Siehe auch Feldmarschall v. d. Goltz an Wilhem II., 15. Februar 1915. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19182. 412 Deutscher Gesandter in Teheran, Kermanschah, 12. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 413 Ebenda. 414 Ebenda. 415 Von der Goltz an Auswärtiges Amt, 14. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 416 Oberst Bopp an Generalstab, 20. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 417 Ebenda. 418 Notiz Nadolnys zu Oberst Bopp an Generalstab, 20. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179.
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Keil zwischen die russischen und die englischen Operationen geschoben“.419 Schlußfolgerung: „Die Situation wird daher mindestens aus diesem Grunde – ganz abgesehen von der Notwendigkeit der Verbindung nach dem weiteren Osten – auch weiterhin gehalten werden müssen“.420 Ende Januar entschied schließlich der Chef des Generalstabes selbst über das weitere Schicksal der persischen Operation.421 Er schloß sich den Vorschlägen des deutschen Militärbeauftragten in Konstantinopel, Oberst von Lossow, an. Dieser sah „keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen“.422 Rückschläge in Persien seien zu erwarten gewesen. Jetzt gehe es darum, den Fuß in der Tür zu behalten. Aus diesem Grund müsse Deutschland die Demokraten weiter unterstützen, Perser militärisch ausbilden und in Kermānšāh die Abwehr gegen die Russen organisieren.423 Darüber hinaus erreiche man mit Geld, viel Geld, in Persien vielleicht doch noch die Revolutionierung des Landes.424 Und in der Tat war diese optimistische Haltung nicht ungerechtfertigt. Die deutsche Position in Persien war erheblich günstiger, als es die Beteiligten selbst einschätzten. Ihre Gegner, die Briten, bescheinigten den Deutschen weiterhin eine extrem starke Stellung im Land.425 So war etwa die gesamte Region südlich der Linie Yezd – Qum – Solt. ānābād – Kermānšāh unter türkisch-deutscher Kontrolle. Die Provinzen waren weitgehend von telegrafischer Verbindung mit der Hauptstadt abgeschnitten, und im Rest des Landes waren die mit deutschem Geld versorgten Demokraten ausgesprochen aktiv.426 Die Anglo-Persian Oil Company fühlte sich zu diesem Zeitpunkt durch die deutschen Aktivitäten so bedroht, daß sie in zwei wahren Brandbriefen an das Foreign Office dringend um militärischen Schutz für die Ölfelder in Südpersien ersuchte.427 Marling schloß sich dieser Ansicht an, und schließlich bat das Foreign Office in London das Army Council, wo über die Verwendung britischer Truppen entschieden wurde, um die Entsendung einer britischen Einheit nach Südpersien.428 Die Aufgaben dieser Truppe sollten die Sicherung der Ölfelder der Anglo-Persian, die Unterstützung loyaler Notabler in Südpersien und die Wiederherstellung des britischen Prestiges dort sein. Letzteres habe durch
419 Ebenda. 420 Ebenda. 421 Chef des Generalstabes an Unterstaatsekretär, 29. Januar 1916, PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 422 Lossow an Generalstab, zitiert in Chef des Generalstabes an Unterstaatssekretär, 29. Januar 1916, PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19179. 423 Ebenda. 424 Oberst Bopp an v. d. Goltz, 8. Februar 1916. Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19157. 425 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 18. Dezember 1915. NA, FO 371/2438. 426 Ebenda. 427 Vgl. Board of the Anglo-Persian Oil Company an Foreign Office, 1. Dezember 1915 und 24. Dezember 1915. NA, GFM 371/2438. 428 Foreign Secretary an Army Council, 4. Februar 1916. NA, FO 371/2725.
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lange militärische Inaktivität gelitten.429 Grey unterstrich seine Bitte um Truppen mit der Warnung vor ,,a situation which otherwise can scarcely fail to become in the near future a cause for the gravest concern to His Majesty’s Government“.430 Auch die Militärs betrachteten, trotz der Erfolge der Russen, die inzwischen wieder kurz vor Kermānšāh standen, die Situation in Persien mit Sorge. Der Chef des Generalstabes bezeichnete sie in einer Lageanalayse vom 25. Februar 1916 als „far from satisfactory“.431 Es sei den Briten nicht gelungen, die deutsche Propaganda einzudämmen. Als Resultat dieser Entwicklung forderte das Militär „a far more active policy“.432 Den Deutschen sollte mit den gleichen Methoden Paroli geboten werden, die sie gegen die britische Präsenz genutzt hatten. Der Generalstab sah dabei durchaus Probleme propagandistischer Art, riet aber zu Aktionen von ,,small mobile, well equipped, well-armed parties led by adventurous men such as England has never lacked in an emergency, and does not lack today“.433 Der britische Generalstab schlug hier also nichts weniger vor, als eine Kopie der deutschen Strategie. Auch die Voraussetzungen für den Erfolg lesen sich, als ob sie aus den entsprechenden deutschen Strategiepapieren übernommen worden wären: ,,(1.) That the offensive parties can work from secure bases.“434 Genau das hatten die Deutschen Anfang 1915 in weiten Regionen des Landes erreicht. ,,(2.) That they are organized and commanded by officers of energy and resolution who have experience of guerilla warfare and are provided with ample funds and a sufficient armament.“435 Die deutschen Führer hatten zwar keine Erfahrung in Guerilla-Kriegsführung, waren aber trotzdem so erfolgreich, daß sie die britisch-russische Position in Persien an den Rand des Kollapses brachten. Ausgerüstet waren die deutschen Expeditionen mit den modernsten Waffen, die finanzielle Ausstattung war gut, wenn auch keineswegs überreichlich.436 Das Kriegsministerium stellte schließlich auf Druck des Foreign Office eine Truppe gemischt zusammengesetzten Militärs aus Ägypten zur Verfügung.437 Den Befehl über die Truppe, die den Nukleus der späteren South Persian Rifles bildete, erhielt der Brigadegeneral Percy Sykes.438 Er hatte drei Aufgaben zu erfüllen: ,,(1) to restore order, (2) to provide force to take place of now rebel gendarmerie and (3) to re429 Ebenda. 430 Ebenda. 431 Note by the Chief of the Imperial General Staff on the Military Situation in Persia and its possible consequences in India, Afghanistan and elsewhere, 25. Februar 1916, S. 2 NA, CAB 37/143/25. 432 Ebenda. 433 Ebenda. 434 Ebenda. 435 Ebenda. 436 Siehe zu den Finanzen der deutschen Revolutionierung S. 294–298. 437 Zwei Bataillone indische Infanterie, zwei Schwadronen Kavallerie, eine Gebirgsbatterie und eine Maschinengewehrabteilung. Foreign Office an britischen Gesandten in Teheran, 1. März 1916. NA, FO 371/2725. 438 Government of India an britischen Konsul in Kain, 3. März 1916. NA, FO 371/2725.
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store our prestige by the visible demonstration that our influence is unweakened“.439 Sykes traf Mitte März in Persien ein und begann sofort, zusätzliche persische Soldaten zu rekrutieren, um die Guerilla-Strategie des Generalstabes umzusetzen.440 Auf deutscher Seite begann man nach dem relativen Fehlschlag vom Herbst 1915 Anfang 1916 damit, die persische Aktion wieder aufzubauen – vor allem, indem man auf politischem Gebiet Schandensbegrenzung versuchte. Der Gesandte bemühte sich, in Kermānšāh aus Demokraten und gekauften Notabeln eine persische Gegenregierung, eine ,,Regierung der nationalen Verteidigung“ 441 zu schaffen. Allerdings mußte die Stadt am 24. Februar 1916 vor den Russen geräumt werden, und die Deutschen und ihr persischer Anhang zogen sich bis nach Bagdad zurück.442 Bei dem vorangegangenen Gefecht, bei dem etwa 800 Türken, 1000 Gendarmen und 6000 Stammeskrieger gegen die Russen kämpften,443 versagten insbesondere die persischen Irregulären vollständig.444 Der Zustand der eingesetzten türkischen Truppen dürfte allerdings ebenfalls nicht gut gewesen sein. Beteiligte Deutsche berichteten von einer Flecktyphusepidemie.445 Zu den deutschen Emissären in den einzelnen Regionen war darüber hinaus die Verbindung abgebrochen.446 Vassel hatte zur gleichen Zeit schwerste Auseinandersetzungen mit Oberst Bopp und anderen Militärs zu bestehen. Vassel und Bopp standen gar kurz vor einen ,,Ehrenhandel“447. Der Gesandte bat daraufhin um seinen Abschied, was Goltz allerdings ablehnte.448 Daraufhin wies der Unterstaatssekretär Vassel an, auf seinem Posten zu bleiben,449 denn Vassel war der einzige, dem man zutraute, insbesondere die Beziehungen zu den persischen Verbündeten aufrechtzuerhalten. Hier hatten Abmachungen des Grafen Kanitz, vor 439 Ebenda. 440 Ebenda. 441 Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 4. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19157. 442 Feldmarschall v. d. Goltz an Großes Hauptquartier, 5. März 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19181. 443 Siehe Frey, Waldemar: Kut-el-Amara. Berlin, 1932, S. 462. 444 Ebenda. Zu diesem Zeitpunkt sang die deutsche Propaganda allerdings noch immer das hohe Lied der Stammeskrieger. So verbreitete Wolffs Telegrafen Büro noch am 18. Februar 1916 (unwahre) Meldungen von großen Siegen gegen russische Truppen. Wolffs Telegrafen Büro, S. 1292. Eine ähnliche Medung lief nochmals am 13. April 1916. Sie schloß mit dem Satz „Die persischen Krieger zeichneten sich bei dieser Gelegenheit besonders aus.“ ebenda, S. 1410. 445 Vgl. Christ, Eugen: Persien, Auszüge aus dem Tagebuch. Köln, ohne Jahr, S. 27. 446 Feldmarschall v. d. Goltz an Großes Hauptquartier, 26. Februar 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz. R 19181. 447 Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 8. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19157. 448 Goltz’ Notiz zu Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 8. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19157. 449 Unterstaatssekretär an Gesandten in Teheran, 9. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19157.
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allem mit dem Chef der provisorischen persischen Regierung, Niíām as-Sult.āneh, zu erheblichen Verwerfungen geführt. Kanitz hatte den Persern, um sie auf seine Seite zu ziehen, umfangreiche Versprechen gemacht und diese in Form von Verträgen fixiert. So hatte Kanitz mit Niíām folgende Abmachungen getroffen: 20.000 Toman (80.000 Mark) persönliches Monatsgehalt, Garantie des Immobilienbesitzes Niíāms oder eine Entschädigung von 50.0000 Pfund Sterling, Begleichung aller Kriegsausgaben und die Lieferung von Waffen und Munition. Als Gegenleistung versprach Niíām, die Provinzen Isfahan, Kermānšāh und Kurdistan zum Krieg gegen Russen und Briten zu bewegen.450 Vassel mußte nun einerseits die Erfüllung der deutschen Zusagen auf geschickte Weise vermeiden, durfte aber andererseits seine Verbündeten nicht verprellen. Dem Gesandten gelang das offenbar durch eine Mischung aus dilatorischer Behandlung der Angelegenheiten und weiteren Geldzahlungen.451 Unterdessen waren die ursprünglich in Kermānšāh versammelten Perser in Streit geraten. Sie beschuldigten Niz. ām, an dem die Deutschen festhalten wollten, am Teheraner Desaster schuld zu sein und nahmen auch die Deutschen vor Ort nicht von dieser Kritik aus.452 Darüber hinaus gab es im Frühjahr 1916 erhebliche Versorgungsprobleme, die vor allem Waffen und Geld betrafen und ihre Ursache in der mangelnden Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen hatten.453 Dies hatte auch zur Folge, daß die militärische Unterstützung Deutschlands – die Sondermission P des Herzogs Adolf Friedrich von Mecklenburg – bestehend aus 144 Mann, sechs Geschützen 450 Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 25. Januar 1916, mit den französischen Texten der Verträge zwischen Kanitz und Niz.ām in der Anlage. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158 und Feldmarschall v. d. Goltz an Auswärtiges Amt, 23. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158. 451 Vgl. dazu Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 8. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158, Feldmarschall v. d. Goltz an Auswärtiges Amt, 9. Februar 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158, Feldmarschall v. d. Goltz an Auswärtiges Amt, 23. Februar 1916, PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158 und Deutscher Gesandter in Teheran an Auswärtiges Amt, 25. Januar 1916, mit den französischen Texten der Verträge zwischen Kanitz und Niz. ām in der Anlage. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158. 452 „Ich habe den Herren, die trotz ausgiebiger Inanspruchnahme unserer Geldmittel in letzter Zeit sehr arrogant uns gegenüber auftreten, in höflicher Form aber deutlich zu verstehen gegeben, daß ein ,manque d’organisation‘ bei dem deutschen Oberkommando in keiner Weise vorgelegen habe, sondern daß die Räumung Kermanschahs ausschließlich durch die erdrückende Übermacht des Gegners verursacht worden sei; die russische Überlegenheit an Zahl würde allerdings nicht so groß gewesen sein, wenn in der Tat die persischen Streitkräfte, besonders die Stammesreiter richtig kooperiert, d. h. anstatt kampflos davonzureiten, ebenso tapfer gefochten hätten, wie die türkischen Truppen unter ihren türkischen, deutschen und schwedischen Offizieren.“ Legationssekretär Dieckhoff an Auswärtiges Amt, Bagdad, 25. März 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19158. 453 Ebenda.
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und 14 MGs, erst im April in Persien eintraf. Militärische Bedeutung erlangten diese Kräfte nicht mehr.454 Am 19. April 1916 traf die Deutschen im Mittleren Osten ein weiterer Schlag: Der Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz starb. Die anschließende Umstrukturierung der Unterstellungsverhältnisse machte die durch ihn gewährleistete Zentralisierung wieder zunichte. Das Kommando über die VI. Armee übernahm der türkische General Halil Pascha. Sämtliche deutschen Aktivitäten auf persischem Boden und im Irak wurden in der Deutschen Irak-Gruppe zusammengefaßt.455 Führer mit dem Titel „deutscher Bevollmächtigter für die Irak-Gruppe“456 wurde zuerst Oberst von Gleich, danach Generalmajor Greßmann.457 Formell war die Gruppe dem Chef der VI. Armee unterstellt, jedoch betonen die Anweisungen ihre Unabhängigkeit, die Finanzierung erfolgte aus dem „persischen Fonds des Auswärtigen Amtes“.458 Im Juni 1916 wurde im Auswärtigen Amt die Strategie für Persien einer Revision unterzogen. Anstoß war eine 17 Seiten umfassende Aktennotiz, die vermutlich aus Nadolnys Feder stammte und die grundlegende Punkte enthielt.459 Die Lage in Persien beschrieb der Autor des Papiers so:460 Die Briten hatten Būšir wieder besetzt, die Stämme Südwestpersiens unterworfen und Schiras wiedergewonnen. Die Russen hatten die von den Deutschen geworbenen Irregulären und die deutschen Agenten aus der Gegend von Teheran vertrieben. Die persische Regierung „macht offiziell die Politik Englands und Rußlands mit, scheint aber im Stillen noch immer auf eine Aenderung zu hoffen“.461 Der deutsche Agent Waßmuß stand zwischen Būšir und Schiras mit einigen tausend Mann und dem Personal des britischen Konsulates in Schiras als Gefangenen. Weitere deutsche Agenten kontrollierten das Gebiet um Kermān. Truppen der Mittelmächte bereiteten einen Angriff auf Kermānšāh vor, Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg462 stand mit seinen türkisch-persischdeutschen Einheiten inzwischen im Operationsraum bereit. Die Gendarmen hatten 454 Vgl. Mühlmann: Waffenbündnis, S. 77. 455 Anweisungen für die Deutsche Irak-Gruppe, Beilage zu Generalstab an Auswärtiges Amt, 28. Juni 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz, R 19183. 456 Ebenda. 457 Ebenda. 458 Ebenda. 459 Notiz, Das Unternehmen Indien – Afghanistan – Persien, 7. Juni 1916. PAAA, Persien 24, Die Mission des Generalfeldmarschalls Freiherren v. d. Goltz, R 19183. 460 Ebenda. 461 Ebenda. 462 Der Herzog trat dieses Kommando („Sonderkommando P“) mit einigen deutschen Offizieren und reichlich Ausrüstung an, doch sein Vorstoß fand nicht statt. Die Türken wollten keinen deutschen Oberkommandierenden mehr für ihre Truppen in Persien. Die Ausbildung von Persern zu Soldaten scheiterte. Vgl. zu diesem Konflikt die farbige Schilderung des k.u.k. Konsuls in Bagdad. K.u.k. Konsul Bagdad an Ministerium des Äußeren, 15. August 1916. HHStA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 210, Berichte. Halil Pascha soll dem Herzog, den ehemaligen Gouverneur von Togo, im Verdacht gehabt haben, er wolle sich in Persien eine Kolonie erobern. Vgl. Frey: Kut-el-Amara, S. 463.
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sich weitgehend zerstreut oder waren zur persischen Regierung übergegangen. Die Nationalisten und Demokraten unter Niíām hatten sich nach Bagdad zurückgezogen. Die Schlußfolgerungen aus dieser Lageanalyse bestanden aus vier Punkten:463 Das deutsche Prestige in Persien müsse durch einen Erfolg gegen die Russen, der deutlich deutsche Handschrift trage, wiederhergestellt werden. Die noch in Persien vorhandenen Stützpunkte müßten stabilisiert und die dort tätigen Agenten unterstützt werden. Der Weg nach Afghanistan müsse offengehalten werden, und schließlich seien die Bestechungsgelder für persische Notable und Stammesführer zu begrenzen. Mit Rückendeckung durch Falkenhayn und auch des Auswärtigen Amtes brach Nadolny im Juli 1916 selbst nach Persien auf, „um zu sehen, was gemacht werden kann“.464 Einen Erfolg, wenn auch nur einen vorübergehenden, gab es bald: Am 1. Juli nahmen deutsch-türkische Truppen ohne russischen Widerstand465 für kurze Zeit Kermānšāh wieder ein. Eine persische Exil-Regierung466 von deutschen Gnaden ließ sich dort nieder, bei der Nadolny schließlich als neuer Geschäftsträger eintraf.467 Was aber war inzwischen aus den deutschen Agenten in Persien geworden, die dort im Jahre 1915 so erfolgreich gearbeitet hatten? Eduard Seiler, im Juni 1915 Konsulatsverweser in Isfahan, befand sich im März 1916 in Kermān.468 Dieses wurde vom Vormarsch der Russen bedroht, so daß sich Seiler entschloß, das Expeditionsvermögen „den drahtlosen Telegraphen und die Apotheke“469 nach Westen in Sicherheit zu bringen, um diese Ausrüstungen zu retten. Seiler und einige Begleiter blieben weiter in Kermān, um das Feld nicht kampflos preiszugeben. Die Karawane jedoch wurde überfallen, wobei mehrere Deutsche in Gefangenschaft gerieten.470 Seiler und seine Begleiter zogen sich nun auf Schiras zurück – und wurden dort wegen ihrer Umtriebe von den Persern interniert.471 Damit war in der Region Kermān/Schiras die Tätigkeit deutscher Agenten beendet.
463 Ebenda. 464 Nadolny: Beitrag, S. 89. 465 K.u.k. Konsul in Bagdad an Ministerium des Äußeren, 3. Juli 1916. HHSTA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 210, Berichte. 466 Vgl. zu deren Zusammensetzung Nadolny: Beitrag, S. 96. 467 Innenansichten der Regierung Niz. ām in Kermānšāh, die sich weitgehend mit sich selbst befaßte, bietet Blücher: Zeitenwende, S. 67–113. Blücher war ab Sommer 1916 als Mitarbeiter Nadolnys dort tätig. 468 Bericht der Hauptgruppe der Afghanistan-Expedition No. VI., Schiraz, 11. Juli 1916. NA, GFM 14/141. 469 Ebenda, S. 2. 470 Von Versen, Dr. Becker, Fredrich. Ebenda. 471 Dr. Niedermayer, Waldmann, Bohnstorff, Voss, Fasting, Seiler, dazu 22 k.u.k. Mannschaften und zehn Afghanen. Ebenda.
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Zugmayer erging es nicht viel besser. Nachdem sein Versuch gescheitert war, in Balūchistān die Stämme aufzuwiegeln,472 wurde seine Gruppe zweimal überfallen. Beim ersten Mal verlor Zugmayer fast seine gesamte Ausrüstung und durch Flucht die meisten seiner persischen Begleiter.473 Der zweite Überfall kostete die übriggebliebenen acht Deutschen ihr restliches Geld. In Niris wurden sie schließlich interniert und nach Schiras überstellt, wo sie bereits Seilers Gruppe vorfanden.474 Inzwischen war auch Peter Paschen in Gefangenschaft geraten; er war den Russen in die Hände gefallen.475 In London, im Foreign Office, erregte das besondere Freude. Lancelot Oliphant, notierte auf dem Telegramm, das Paschens Gefangennahme meldete: „If true, this would prove an excellent capture.“476 Paschens Übergabe durch Perser an die Russen kommentierte er mit „I doubt whether we shall here much more about Herr Paschen!“477 Niedermayer dagegen war es inzwischen gelungen, sich von Afghanistan aus ins sichere Kermānšāh durchzukämpfen, wo er am 5. September 1916 eintraf.478 Waßmuß war noch immer in Südpersien aktiv.479 Nachrichten aus Teheran erhielten die Deutschen von einem dort zurückgebliebenen Botschaftskanzlisten. Nadolny beschrieb den Überbringer als persischen Diener, der die Nachrichten in seiner Unterhose durch die feindlichen Linien schmuggelte.480 Doch bis zum März 1917 machten entscheidende militärische Ereignisse eine weitere erfolgreiche Tätigkeit deutscher Agenten und die Revolutionierung Persiens unmöglich.481 Bagdad fiel in die Hände der Briten, die sich vom Schock von Kūt al-‘Amārah erholt hatten. Damit war das Hinterland für erfolgreiche Operationen in Persien nicht mehr gegeben. Die Deutschen lösten deshalb die Irakgruppe auf.482 Nur ein paar Verwaltungsbeamte und einige wenige Offiziere sollten zur Betreuung 472 Bericht über die Tätigkeit der Belutschistangruppe der Deutschen Afghanistan-Expedition seit Februar d. J. [1916], Schiras, 9. Juli 1916. NA, GFM 14/141. 473 Ebenda, S. 2. 474 Von der Gruppe Zugmayers gerieten damit in die Internierung: Zugmayer selbst, Dr. Biach (Österreicher), Schröder, Petzold und Roewer. Ebenda. 475 Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 30. Juni 1916. sowie Britischer Gesandter an Foreign Office, 28. Juli 1916. NA, FO 371/2736. 476 Notiz Lancelot Oliphants, 1. Juli 1915 zu Britischer Gesandter in Teheran an Foreign Office, 30. Juni 1916. NA, FO 371/2736. 477 Notiz Lancelot Oliphants, 29. Juli 1915 zu Britischer Gesandter an Foreign Office, 28. Juli 1916. NA, FO 371/2736. 478 Afghanistan-Expedition, Afghanistan-Gruppe, Reise-Bericht, 1. Oktober 1916. NA, GFM 14/141. 479 Er war im April 1917 dafür mit den Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet worden. Deutscher Gesandter für Persien (Nadolny) an Auswärtiges Amt, 7. Mai 1917. PAAA, Persien 24, Die deutsche Irakgruppe, R 19187. 480 Nadolny: Beitrag, S. 98. 481 Vgl. ebenda, S. 101. 482 Deutscher Gesandter für Persien (Nadolny) an Auswärtiges Amt, 6. April 1917. PAAA, Persien 24, Die deutsche Irakgruppe, R 19187.
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der persischen Gegenregierung im Grenzgebiet bleiben.483 Doch auch das wurde bald überflüssig, denn die Perser setzten sich im Frühjahr 1917 Mann für Mann in Richtung Konstantinopel ab.484 Der Unterstaatssekretär zog daraufhin Nadolny aus Mosul ab; einen deutschen Gesandten für Persien gab es damit nicht mehr.485 Der Generalstab stimmte dem zu: „Politische Vertretung für persische Aktion zur Zeit überflüssig“.486 Auch der Plan für eine Entsendung Niedermayers nach Persien wurde aufgegeben.487 Im Herbst 1918 folgte der letzte Akt: Konsul Wustrow brach von Mosul aus nach Täbris auf, um dort das Konsulat wiederzueröffnen. Das gelang zwar, doch wurde der Deutsche schließlich von einem Heckenschützen ermordet.488 Die Zeit für das erfolgreiche Agieren einer geheimdienstlichen Organisation war in Persien vorbei. Fast alle deutschen Agenten hatten das Land verlassen oder waren den Briten in die Hände gefallen. Nach dem Krieg wurden sie samt und sonders auf britisches Betreiben auf eine schwarze Liste der unerwünschten Personen gesetzt. Bereits 1921 wurden die ersten Namen, darunter kurioserweise auch der tote Graf Kanitz, wieder gestrichen.489 Nur ein einziger Deutscher hielt sich auch weiterhin noch in Südpersien – Wilhelm Waßmuß. Jedoch war die Verbindung mit ihm ausgesprochen schwierig herzustellen, meist nur durch Boten. Im Dezember 1917 erhielt Waßmuß vom Auswärtigen Amt nochmals 100.000 Kran für „Propaganda gegen Engländer“490 und die Anweisung, die „Volksstimmung in Südpersien möglichst dahin zu beeinflussen, daß in öffentlichen Versammlungen, durch Telegramme an die persische Regierung und in der Presse in Hinblick auf den nahen Frieden Räumung Südpersiens von Engländern und Anerkennung der persischen Souveränität und Integrität gefordert 483 Ebenda. 484 Unterstaatssekretär an Generalstab, undatiert, Mai 1916. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19165. 485 Im Dezember 1917 gab es Pläne, den frei gewordenen Posten erneut zu bestzen. Die russische Revolution hatte in Berlin die Hoffnung geweckt, daß es möglich sein könnte, die persische Aktion wieder aufzunehmen. Vorgesehen als Gesandter war der damalige deutsche Botschafter in Den Haag, Friedrich Rosen. Dieser wehrte sich allerdings gegen seine Entsendung nach Kräften. Vgl. Rosen, Friedrich: Aus einem diplomatischen Wanderleben, Band 1. Wiesbaden, 1959, S. 126–141. Später schrieb Rosen zu dieser Episode: „Ich war fest entschlossen, lieber meinen Abschied zu nehmen, als mich durch eine Reise als Gesandter nach einem Lande, das sich in den Händen unserer Feinde befand, vor aller Welt lächerlich zu machen.“ Ebenda, S. 132. 486 Generalstab an Auswärtiges Amt, 4. Mai 1917. PAAA, Persien 23, Der Anschluß Persiens an die Zentralmächte und die Türkei, R 19165. 487 Heeresgruppe F (Jildirim) an Auswärtiges Amt, 4. November 1917. PAAA, Persien 21, Nr. 1, Berichterstattung der in Persien zurückgelassenen deutschen Vertreter, R 19152. 488 Blücher: Zeitenwende, S. 125. 489 Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, Nr. 9, Berlin, 1. September 1921. Siehe für die Bewertung dieser Maßnahmen durch die Betroffenen: Litten, Wilhelm: Wer hat die persische Neutralität verletzt? Berlin, 1920. 490 Auswärtiges Amt an Waßmuß, 17. Dezember 1917. PAAA, Persien 21, Nr. 1, Berichterstattung der in Persien zurückgelassenen deutschen Vertreter, R 19152.
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werde“.491 Genau das tat Waßmuß – und mehr dazu. Niedermayer selbst hinterließ ein elfseitiges Manuskript über den Mann, der mit ihm in der persisch-afghanischen Operation zusammengearbeitet hatte.492 Als Legenden beschrieb Niedermayer den angeblichen Übertritt Waßmuß’ zum Islam, seine Ehe mit einer muslimischen Frau und seine Gefangenschaft in einem indischen Kriegsgefangenenlager.493 Trotzdem blieb seine Tätigkeit in Persien spektakulär genug. Im August 1916 hatte es noch so ausgesehen, als ob Waßmuß am Ende sei. Die ihn unterstützenden Stammesführer hatten mit den Engländern einen Gefangenaustausch vereinbart. Dabei waren auch die in Schiras durch die Deutschen im November 1915 verhafteten Engländer freigelassen worden. Außerdem hatten sie die Einstellung der Feindseligkeiten zugesagt. Waßmuß wollte sich nun nach Bagdad zurückziehen, wurde überfallen, verwundet und von seinen Begleitern gesund gepflegt.494 Bis Ende 1918 machte Waßmuß nun die Gegend zwischen Schiras und Būšir unsicher. Niedermayer nannte als Ende seiner Tätigkeit den Januar 1919.495 Ende 1919 sei er schließlich in Köln eingetroffen.496 Der britische Kommandeur der South Persian Rifles in Schiras berichtete noch im Februar 1919 von „raids, robberies and disturbances in South Persia“.497 Darüber hinaus werde Südpersien mit antibritischer Propaganda regelrecht überflutet.498 Das Foreign Office forderte im Juni 1918 die auf persischem Boden stehenden britischen Kräfte auf, Waßmuß endlich dingfest zu machen.499 Ebenfalls im Juni 1918 wies der Chef des Indischen Generalstabes den Kommandeur der South Persian Rifles, Percy Sykes, an, den Kampf gegen Waßmuß verstärkt fortzusetzen, „until order ist restored in Bushire hinterland“.500 Sykes bezeichnete das als eine ausgesprochen schwierige Aufgabe, die nur mit dem Einsatz starker regulärer Truppen zu lösen sei.501 Waßmuß dürfte damit der erfolgreichste deutsche Agent aller Zeiten gewesen sein. Vielfach wurde er mit T. E. Lawrence verglichen 491 Ebenda. 492 Niedermayer, Oskar: Wassmuss, der Engländerschreck. Undatiertes maschinenschriftliches Manuskript mit zwei von Hand gezeichneten Kartenskizzen. 493 Ebenda, S. 2. 494 Ebenda, S. 7. 495 Ebenda, S. 8. 496 Ebenda, S. 11. 497 Colonel E. F. Orton, Kommandeur der South Persian Rifles in Shiras an britischen Konsul in Shiras, 11. Februar 1919. NA, Air 20/664. 498 ,,There has been a continous flood of newspaper articles, pamphlets and circulars, in Persian, circulated in Southern Persia. These articles are most cleverly written and internal evidence, within the subject matter of some of these articles clearly betray their German origin.“ Ebenda. 499 Aktennotiz Lancelot Oliphant, 7. Juni 1918. NA, FO 371/2989. 500 Chef des Generalstabes, Simla, an Percy Sykes, 4. Juni 1918. NA, Air 20/664. 501 „[...] tribes are too strong and too well armed to be subdued except by regular troops. [...] The main course of trouble in South Persia is the formidable collection of well armed men who keep the Bushire – Shiraz road closed. Until the Saulat-Wassmuss combination is dealt with disorders will always ocure in Fars.“ Sir Percy Sikes an Britischen Gesandten in Teheran, 9. Juni 1918. NA, Air 20/664.
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und erreichte in Deutschland sowie in Großbritannien eine gewisse Popularität.502 Vergleicht man die jeweils Waßmuß und Lawrence zur Verfügung stehenden Ressourcen, kann man mit Recht behaupten, daß der Deutsche wesentlich effektiver gearbeitet hat, als das dem Engländer je möglich war. Noch im November 1917 befürchteten die Briten allerdings, daß auch andere deutsche Agenten erneut eine Situation wie 1915 in Persien heraufbeschwören könnten. So drang das Army Council darauf, „all means possible“503 einzusetzen, um das Eindringen deutscher Agenten nach Persien zu verhindern. Wie ein böser Geist spukten in dieser Zeit Gerüchte durch Whitehall, die Büros der Indischen Regierung in Delhi, das War Office und auch die Botschaft in Teheran, Niedermayer bereite erneut eine Expedition nach Persien vor504 – ein Plan, den die Deutschen ja längst aufgegeben hatten.
3.2 Morgenländische Märchen: Die Goldkarawanen Deutschlands Die Revolutionierungsstrategie Deutschlands kostete viel Geld. Es war allerdings weniger als man vermuten sollte, setzt man diese Kosten ins Verhältnis zu den allgemeinen Kriegskosten. Anders als bei anderen Aktionen mußten die Operationen in Persien und Afghanistan in Edelmetallen bezahlt werden, weil dort Gold und Silber die einzig anerkannten Zahlungsmittel waren. Papiergeld wurde, wenn überhaupt, nur mit gewaltigen Wertabschlägen akzeptiert. Schon in Syrien, Teil des Osmanischen Reiches, trafen die Deutschen auf diese Bedingungen. So mußten also Wege gefunden werden, Edelmetalle in größeren Mengen in die Einsatzgebiete zu schaffen. Teilweise hatten die deutschen Emissäre selbst erhebliche Mengen an Gold und Silber bei sich – ein Vorgehen, das nicht ungefährlich war.505 Dieser Aspekt der deutschen Revolutionierungsstrategie im Orient ist bisher in der Literatur kaum beachtet worden.
502 Vgl. Mikusch, Dagobert von: Waßmuß, der deutsche Lawrence. Berlin, 1938 und Sykes, Christopher: Wassmuss, the German Lawrence, London, 1927. 503 War Office an Foreign Office, 6. November 1917. NA, FO 371/29889. 504 Vgl. dazu etwa Government of India, Army Depertment an Foreign Office, 15. Oktober 1917; Foreign Office an britischen Gesandten in Teheran, 13. Oktober 1917 und War Office an Foreign Office, 8. Oktober 1917. NA, FO 371/2889. 505 „Um ganz sicher zu sein, nahm ich den größten Teil der voraussichtlich benötigten Summe in barem Golde mit mir. Welche Erschwernis diese Maßregel bedeutet, kann man sich in unseren Kulturverhältnissen, namentlich bei der Gewöhnung an bargeldlosen und Papierverkehr, kaum vorstellen. Schon in einem Land mit geordneten Polizeiverhältnissen verlangt eine solche Barsumme unablässige Bewachung, in Räuberländern bildet sie eine stete, unmittelbare Gefahr für alles, was sich in der Gesellschaft des Goldes befindet.“ Hentig: Diplomatenfahrt, S. 27. Im folgenden verstehen sich die Währungsangaben immer als Goldwährung.
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Für Persien bediente sich das Auswärtige Amt, dem die Finanzierung dieser Operationen oblag, zunächst in Berlin ansässiger Perser. So schloß das Amt einen Vertrag mit dem in Täbris ansässigen Bankhaus Maison de Banque et de Commerce Hadji Fatih Ali Kazvini, das eine Filiale in Berlin besaß.506 Kazvini verpflichtete sich, im Oktober 1914, 120.000 Toman507 in Gold nach Persien zu transferieren und in den darauf folgenden Monaten jeweils 50.000. Ob oder in welchem Ausmaße diese Abmachung eingehalten wurde, läßt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Die Filialen der Deutschen Bank in Konstantinopel und Bagdad spielten eine wichtige Rolle als Relaisstationen für die Gold- und Silbersendungen. Im Dezember 1914 überwies das Auswärtige Amt 900.000 Mark für Revolutionierungszwecke an diese Filialen; darüber hinaus 20.000 Pfund für die anlaufende Afghanistan-Expedition.508 Doch diese Summen waren noch relativ gering im Hinblick auf den Gesamtbedarf der Operationen. Im März ließ das Schatzamt als erste große Tranche acht Millionen Mark dem Auswärtige Amt zur Finanzierung von Aktionen in Persien, Afghanistan und Indien zukommen.509 Weitere elf Millionen Mark für Zwecke der Revolutionierung überwies das Reichsschatzamt dem Auswärtigen Amt im August 1915.510 Diese elf Millionen Mark wurden in deutschen Goldmünzen an die Deutsche Bank nach Konstantinopel transferiert, dort in türkische Pfund umgeprägt und dann weiter nach Osten gebracht.511 Nachweisbar sind im September 1915 ein Transport von rund vier Millionen Mark nach Erzurum, drei Millionen Mark nach Bagdad und eine weitere Lieferung von 4,4 Millionen Mark ebenfalls nach Bagdad.512 Im Januar 1916 setzte der Generalstab einen Transport mit zwei Millionen Mark von Konstantinopel aus nach Persien in Marsch.513 Eine handschriftliche Aufstellung vom März 1916 kommt bis dahin bereits auf eine Summe von 32,68 Millionen Mark als Aufwendungen für die Revolutionierung Persiens.514 Bis 7. Mai des Jahres gingen noch einmal 1,2 Millionen Mark in Gold nach Persien. Darüber 506 Handschriftliche Verpflichtung Kazvinis, 12. Oktober 1914. NA, GFM 14/139. 507 Kurs: 1 Toman = vier Mark, ebenda. 508 Auswärtiges Amt an Deutsche Botschaft in Konstantinopel, 10. Dezember 1914. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21126. 509 Unterstaatssekretär an Reichsschatzamt, 26. März 1915. PAAA, Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21130. 510 Reichsschatzamt an Auswärtiges Amt, 26. August 1915. Weltkrieg Nr. 11g, Unternehmungen und Aufwiegelung gegen unserer Feinde in Syrien und Arabien, R 21135. 511 Deutsche Botschaft in Konstantinopel an Auswärtiges Amt, 5. Oktober 1915. NA, GFM 14/141. 512 Ebenda. 513 Generalstab an Feldmarschall v. d. Goltz, 12. Januar 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19190. 514 14,4 Millionen Mark für die persische Gendarmerie, eine Million Mark für Propaganda, zwei Millionen für einen Dispositionsfond, Prägung persischer Kran bis 3. März 1915 1,2 Millionen Mark, „für die persische Aktion für März bis August 1915“ vierzehn Millionen Mark. Handschriftliche Aufstellung, Liste für Persien bewilligten Geldes, 16. März 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19190.
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hinaus wurden 5,4 Millionen Silberkran515 nach Persien geliefert.516 Insgesamt hatte das Reichschatzamt 15 Millionen Mark für den Zeitraum April bis August 1916 bewilligt, die in Gold und Silber nach Persien gelangten.517 Für den Zeitraum danach sind Goldtransporte nicht mehr nachweisbar. Wohl aber kamen noch einmal Silberkran im Werte von rund 600.000 Mark nach Persien.518 Das Silber hatte in diesem Zusammenhang für die deutschen Emissäre eine besonders große Bedeutung. Für das tägliche Geschäft wurde vor allem Kleingeld in Silber benötigt. Da es in enormen Mengen gebraucht wurde, war der Ankauf gegen Gold vor Ort bald keine Option mehr.519 Deswegen leitete das Auswärtige Amt Schritte ein, um die Prägung von Ein- und Zweikran-Silbermünzen in Deutschland aufzunehmen. In einem ersten Schritt sollte die preußische Münzdirektion eine Million Ein- und eine Millionen Zweikranstücke herstellen.520 Es folgten weitere Ausprägungen, die solche Ausmaße annahmen, daß der Münze das Silber ausging.521 Dem wurde Abhilfe geschaffen, indem das Untersee-Frachtschiff Deutschland im Dezember 1916 sechs Tonnen Silber aus den USA nach Deutschland brachte.522 Insgesamt wurden bis Februar 1917 insgesamt 17 Millionen Kran ausgeprägt, das entspricht 70,38 Tonnen Feinsilber.523 Bei aller gebotenen Vorsicht, möglicherweise fehlen kleinere, nicht verbuchte Beträge, kann aus dem oben Gesagten geschlußfolgert werden, daß Deutschland für die Revolutionierung im Orient zwischen September 1914 und Juni 1917 mindestens 48 Millionen Goldmark ausgab. Diese Summe mag hoch scheinen, sie relativiert sich allerdings, wenn man die Gesamtkosten des Krieges betrachtet524 oder sich die durchschnittlichen Kosten eines Kriegstages vor Augen hält. So bezifferte 515 1 Millionen Kran = 4,14 Tonnen Silber = 390.000 Mark. Aufstellung von Silber- und Goldtransporten, 11. Mai 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19191. 516 Ebenda. 517 Generalstab an Auswärtiges Amt, 11. August 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19191. 518 Zusammenstellung der auf die Silberprägung für Persien verrechneten Silberankäufe. 28. Juni 1917. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19192. 519 Kanitz an deutschen Botschafter in Konstantinopel, 7. August 1915. NA, GMF 14/141. 520 Staatssekretär des Reichsschatzamtes an Königliche Münzdirektion, 13. Februar 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19190. 521 Generalstab an Auswärtiges Amt, 19. Oktober 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19191. 522 Generalstab an Auswärtiges Amt, 13. Dezember 1916. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19192. 523 Zusammenstellung der auf die Silberprägung für Persien verrechneten Silberankäufe. 28. Juni 1917. PAAA, Persien 24, Nr. 1, Geldangelegenheiten unserer Aktion in Persien, R 19192. 524 Chickering beziffert die direkten Kriegskosten des Deutschen Reiches zwischen 1914 und 1918 mit 40,15 Milliarden Dollar. Chickering, Roger: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. München, 2002, S. 234f. Der Wert des Dollars wird mit dem des Jahres 1908 gleichgesetzt. Daraus ergibt sich eine Summe von rund 168,55 Milliarden Goldmark. 1 Dollar = 4,1979 Goldmark.
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etwa die News York Times im Januar 1915 die täglichen Kosten des Krieges für Frankreich auf 9,912 Millionen Dollar (41,6 Millionen Goldmark), die Kosten für Großbritannien auf täglich 4,25 Millionen Dollar (17,84 Millionen Goldmark) und die täglichen Kriegskosten Deutschlands und Österreich-Ungarns auf 21 Millionen Dollar (88,16 Millionen Goldmark).525 Auch im Vergleich zu den deutschen Waffenlieferungen an die Türkei, die einen Wert von rund 850 Millionen Goldmark erreichten, 526 relativiert sich diese Summe. Vollends preiswert erscheint das deutsche Engagement, wenn man in Betracht zieht, daß sich Großbritannien im Jahr 1918 allein seine militärischen und politischen Aktivitäten in Persien 30 Millionen Pfund kosten ließ.527 Ein Goldpfund entsprach zur Jahrhundertwende etwa 20 Goldmark.528 Dieses Verhältnis hatte sich auch während des Krieges nicht grundlegend geändert. In deutscher Währung hatte also Großbritannien allein im Jahr 1918 rund 600 Millionen Mark nur in Persien ausgegeben,529 während Deutschland für seine Revolutionierungsaktionen im gesamten Orient während des ganzen Kriegs um die 50 Millionen Mark eingesetzt hatte. Diese Zahlen sind nur ein Anhaltspunkt, verdeutlichen aber, daß der deutsche Aufwand keineswegs außergewöhnlich hoch war. Das gilt insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, daß Großbritannien weitere elf Millionen Pfund (220 Millionen Goldmark) für die arabische Revolte bezahlte.530 Und daraus läßt sich noch eine weitere Schlußfolgerung ableiten: Die Briten hatten in diesem großen Spiel eine erdrückende materielle Überlegenheit. Es nimmt also keineswegs wunder, daß sie in einer Auseinandersetzung, die vor allem darauf abzielte, sich Sympathien und Unterstützung zu erkaufen, letztlich am längeren Hebel saßen. Das galt sowohl für den Kriegsschauplatz in Persien als auch für Arabien, aber auch für das ökonomische Kräfteverhältnis des gesamten Krieges. Die Nationaleinkommen Großbritanniens, Rußlands und Frankreichs waren um etwa 60 Prozent höher als das der Mittelmächte.531 Diese Relation verschob sich während des Konfliktes sogar noch weiter zugunsten der Entente-Mächte. Verdeutlicht wird das auch durch eine Episode aus Persien, in der Geld direkt zur Waffe wurde. Im April 1915 versuchten die Deutschen in Teheran, die persische Regierung zu destabilisieren, indem die Legation einen Run auf die unter britischer Kontrolle stehende Staatsbank, die Imperial Bank of Persia, inszenierte. In Vgl. Stichwort Dollar, Mayers Großes Konversationslexikon, Band 5, Leipzig, 1909, S. 90. Diese Umrechnung wird im folgenden weiter verwendet. 525 Diese Zahlen bezeichnen die reinen Kriegskosten, ohne „economic losses and damages done to property“. 45.962.000 a day for war. The New York Times, 22. Januar 1915. 526 Mühlmann: Waffenbündnis, S. 297. 527 The cost of existing policy in Persia, 3. Dezember 1918. NA, TO 12261. 528 Mayers Konversationslexikon, 1905–1909, Band 18, S.632, Stichwort Sovereign. 529 Wie oben erwähnt, kostete die Revolte des Scherifen die Briten rund 10 Millionen Pfund (200 Millionen Goldmark). 530 Vgl. Storrs: Orientations, S. 177. 531 Ferguson: Krieg, S. 246.
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den deutschen Akten gibt es keinen Hinweis auf diese Aktion. Für die Briten stellte sie allerdings ein ernstes Problem dar und ist aus diesem Grund gut dokumentiert. Es handelte sich möglicherweise um ein nicht mit den Zentralstellen abgestimmtes, autonomes Unternehmen der deutschen Vertretung in Teheran. Deutsche Vertreter präsentierten am 21. April 1915 mehr als 60.000 Toman in Banknoten und verlangten deren Einlösung in Silber. Der Bankmanager konnte gerade einmal 30 Prozent der Noten einwechseln, dann war sein Silbervorrat erschöpft.532 Grund war laut britischem Botschafter „their inability to bring coin from the provinces owing to insecurity of roads and by failure of government to repay heavy advances“.533 Die Russen konnten nicht aushelfen, und so konstatierte der britische Botschafter eine ausgesprochen ernste Situation.534 Um das Brechen aller Dämme zu verhindern, verhandelte Marling mit der persischen Regierung über ein temporäres Aussetzen der Silberauszahlung auf Noten.535 Die persische Regierung stimmte dem für 16 Tage zu, unter der Bedingung, daß Großbritannien die Silberdeckung von diesem Zeitpunkt an garantierte.536 Marling sagte das zu. Das Parlament in Teheran verabschiedete am 29. April ein entsprechendes Gesetz, das unmittelbar veröffentlicht wurde. Daraufhin brach eine Spekulationswelle über das persische Papiergeld herein. Geldwechsler und Kaufleute nahmen Papiergeld nur noch zu einem beträchtlichen Diskont an,537 da sie den Gewinn abschöpfen wollten, der ihnen winkte, wenn die Imperial Bank Papier wieder in Silber wechseln würde. „Energetic pressure of the Government“538 ließ schließlich diesen Diskont bis zum 5. Mai auf rund fünf Prozent fallen.539 Damit war die Situation zumindest für einen kurzen Zeitraum entschärft. Diese Frist nutzte die britische Regierung, um die Silbervorräte der Bank aus russischen Quellen wieder aufzufüllen.540 Der deutsche Angriff auf die Zahlungsfähigkeit der Bank war damit abgewehrt – mittels politischen Einflusses der Briten auf die persische Regierung und aufgrund ihrer größeren materiellen Ressourcen, die sie relativ schnell mobilisieren und zum Einsatz bringen konnten.
532 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 22. Apil 1915. FO, 371/2427. 533 Ebenda. 534 „Suspension of payments by bank is certain to cause serious disturbances here, and as they are being fomented by European agitators they may threaten to be of the character which only very strong Government support by both legations can hope to control.“ Ebenda. 535 Britischer Botschafter in Teheran an Foreign Office, 4. Juni 1915, S. 3. NA, FO 371/2424. 536 Ebenda. 537 Marling berichtete von bis zu 15 Prozent. Ebenda. 538 Ebenda. 539 Ebenda. 540 Silber im Werte von 50.000 Pfund verließ St. Petersburg im Mai 1915. Britischer Botschafter in St. Petersburg an Treasury, 16. Mai 1915. NA, TO 11829.
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3.3 Die Legende vom totalen Scheitern: Wie die deutsche Revolutionierung den Orient veränderte Waren die deutschen Revolutionierungsbestrebungen also mithin erfolglos? Das Maximalziel, der allgemeine Aufstand der Muslime im Nahen und Mittleren Osten, in Zentralasien und in Indien gegen England und Rußland, wurde in der Tat nicht erreicht. Die Protagonisten der Revolutionierung treten uns in schriftlichen Bilanzen ihrer Arbeit am Ende des Krieges und damit ihrer Tätigkeit als desillusionierte, gescheiterte Menschen entgegen. Curt Prüfer, der nach seinem Ägypten-Einsatz ab März 1917 bis Kriegsende die Nachrichtenstelle der deutschen Botschaft in Konstantinopel leitete, welche die Nachrichtensäle mit Material versorgte, konstatierte etwa, es sei „trotz aller Werbearbeit nicht gelungen, [...] während des Krieges die verbündeten Türken und die ihnen unterworfenen Fremdvölker zu Freunden zu machen“.541 Die Ursachen seien zum einen im Verhalten einzelner Deutscher in der Türkei und in der „gelegentlich durch politische und militärische Erwägungen bestimmte Zurückhaltung unserer Behörden“542 zu suchen, zum anderen in Mängeln des deutschen Propagandasystems. Dieses Defizit der deutschen Propaganda bestand nach Prüfers Auffassung darin, „dass sie während des Krieges durch Eindringlichkeit wieder gut machen wollte, was sie im Frieden versäumt hatte“.543 Vor dem Krieg sei nichts geschehen; „Türken, Araber, Armenier und Griechen hatten vor dem Kriege über Deutschland und deutsches Wesen nur nebelhafte Begriffe“.544 Während des Krieges wirkte die massive Propaganda dann nur wenig, da „die eigentliche Grundlage, das gegenseitige Verstehen,“545 fehlte. Für die Zukunft empfahl Prüfer eine intensive kulturelle Durchdringung des Orients. Philipp Vassel, zwischen dem 27. Dezember 1916 und dem 13. Juli 1917 deutscher Geschäftsträger in Persien, sah einen Grund für die Ursache seines Scheiterns in der „an Haß grenzenden Gereiztheit der deutschen Militärs und Beamten gegen die Türken“.546 Der Hauptgrund allerdings sei mangelndes Wissen um die politischen Verhältnisse Persiens gewesen. Die Begeisterung der Perser nach den deutschen Siegen sei schlicht falsch interpretiert worden: „Diese Stimmung des Landes ist wohl ohne strenge Kritik des militärischen Wertes der angebotenen Hilfe nach Berlin berichtet worden und fiel da auf denselben fruchtbaren Boden, aus dem damals der heilige Krieg, marokkanische, tunesische und abessynische Expeditionen und andere Schreibtischpflanzen in den blauen Himmel der Phantasie sprossen.“547 Darüber 541 Curt Prüfer an Auswärtiges Amt, Berlin, 2. November 1918. PAAA, R 13758. 542 Ebenda. Worauf Prüfer hier anspielt, ist unklar. Es mag sich aber auf die Armenier-Massaker beziehen. 543 Ebenda. 544 Ebenda. 545 Ebenda. 546 Meine Gesandtschaft in Persien, 27.12.15 – 13.7.16, Entwurf, S. 3. PAAA, Persien 24, Die deutsche Irakgruppe, R 19188. 547 Ebenda, S. 5.
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hinaus sei Nadolny, ein „dem Auswärtigen Amte entnommener Reserveoffizier“,548 der falsche Mann für die Bearbeitung der persischen Angelegenheit gewesen, da er das Land nicht gekannt habe. Die afghanische Expedition führte Vassel ebenfalls auf naive Vorstellungen in Berlin zurück, „daß dem Emir von Afghanistan nur einige deutsche Offiziere und Maschinengewehre fehlten, um Indien zu erobern“.549 Das Scheitern der deutschen Agenten, des Grafen Kanitz und ihrer diplomatischen Flankierung schrieb Vassel letztlich den überspannten Erwartungen des Generalstabes und des Auswärtigen Amtes zu. Der Diplomat nahm insbesondere den Grafen Kanitz in Schutz: „Er kannte Persien von seiner früheren diplomatischen Tätigkeit im Lande recht gut, verstand es meisterhaft, sich und Deutschland unter dem Volke populär zu machen und erschöpfte sich wahrhaft in anstrengendsten Reisen kreuz und quer durch das Land, um überall den Wunsch nach Befreiung des alten Landes von dem jungen russisch-englischen Joche zu beleben. Sein leitender Gedanke war, Persien so früh als irgend möglich zum Losschlagen gegen Rußland zu bringen. Das war sein militärischer Auftrag, und er war ihm von Leuten, die die Dinge nicht übersehen konnten, so dringend immer wieder ans Herz gelegt worden, daß er zweitweise und namentlich gegen sein tragisches Ende von dem Alp, daß vom Erfolg seiner Arbeit des Ausgang des Weltkrieges abhänge, wie erdrückt schien. Wenn er gescheitert ist, und daraus die letzte Konsequenz zu unser aller bitterem Leid gezogen hat, so lag diese nicht zu mindest an der Hast, die er sich unter dem Eindrucke seiner Unterredungen in Deutschland zur Pflicht machte.“550
Dessen Kollege, der österreichisch-ungarische Militärattaché Oberst Heller, sah den Grafen Kanitz hingegen als gefährlichen Phantasten, der letztlich durch seine Tätigkeit das Scheitern der deutschen Aktion in Persien zu verantworten hatte.551 Heller will „alle diese Aktionen von Anbeginn an verurteilt und ein Fiasko derselben vorausgesagt“552 haben. Darüber hinaus gab es seitens der Militärs die Tendenz, dem Auswärtigen Amt die Schuld am vermeintlichen Scheitern der deutschen Aktionen im Orient zuzuschreiben. Als Beispiel seien die Memoiren Hans-Erich von TschirnerTschirnes553 genannt, die sich durch ausgesprochene Unverblümtheit auszeichnen: „Unsere Diplomaten standen geistig oft unter dem Durchschnitt. Dazu waren sie unwissend in allem, was Menschenkentnis betrifft [...] , weil sie [...] innerlich roh, steif und ungebildet [...] waren, so daß sie die Dinge oft mit der Einseitigkeit eines
548 Ebenda. 549 Ebenda. 550 Ebenda, S. 10. 551 Schlußbericht des Oberst Heller über seine Mission in Persien, Wien, 7. Mai 1918. HHStA, PA, XII, Türkei, Konstantinopel, 1848–1918, 211, Berichte, S. 3f, S. 9. 552 Ebenda. 553 Tzschirner-Tzschirne: Wüste.
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eigensinnigen Kindes beurteilten, weil sie das sahen und hofften, was sie zu sehen und zu hoffen wünschten.“554 Diese Niederschriften klingen verheerend – allerdings können solche Selbstzeugnisse, geschrieben in einer Zeit, in der die Niederlage der Mittelmächte im großen Krieg Tatsache oder zumindest schon absehbar war, den Blick auf die wahren Verhältnisse versperren. Darüber hinaus entwickelte sich eine derart negative Bewertung fast schon zu einer Tradition. Selbst angebliche Zeitzeugen, die unmöglich selbst in Berührung mit einer der Revolutionierungsexpeditionen gekommen sein konnten, gossen nach dem Krieg Kübel von Häme über deren Mitglieder aus. Matthias Erzberger etwa verspottete in seiner Autobiographie die Teilnehmer der NiedermayerExpedition auf das heftigste und berichtete von ihrem angeblichen Lotterleben in Istanbuler Hotels.555 Allerdings kann Erzberger den Expeditionsteilnehmern gar nicht persönlich begegnet sein – er kam erst im Februar 1916 nach Konstantinopel, zu einem Zeitpunkt also, als die „Afghanen“ sich dort schon lange nicht mehr aufhielten. Doch die Sicht der Zeitgenossen auf die deutschen Revolutionierungsversuche wirkt bis heute in die Wissenschaft fort. Die deutsch-österreichische Revolutionierung wird dort überwiegend als gescheitert,556 gar als größenwahnsinnig und skrupellos beschrieben.557 Als Ursachen werden viele Gründe genannt. Die Hauptursachen für das Scheitern der Afghanistan-Aktion sieht zum Beispiel Renate Vogel in mangelhaftem Wissen über das Zielland, Streit zwischen Deutschen und Türken, schlechter Organisation und unklaren Kompetenzen der einzelnen Expeditionsmitglieder und der Zentralstellen in Deutschland.558 Die deutsche Auslandspropaganda wertet Stefan Kestler als gescheitert, die Entente sei hier schneller, und der Vorsprung nicht mehr einzuholen gewesen.559 Jedoch existieren daneben wesentlich andere Beurteilungen, auch bereits von Zeitgenossen. Erich von Falkenhayn etwa sah die deutschen Revolutionierungsversuche überwiegend positiv. Er beschrieb sie als unumgänglich, schon um „den Gefahren zuvorzukommen, welche die in ähnlichen Bahnen, nur in entgegengesetzter
554 Ebenda, S. 85. 555 Erzberger: Erlebnisse, S. 61. 556 Vgl. Keegan: Tragödie, S. 309f. Stevenson: First World War, S. 125f. Vogel: Niedermayer, S. 135– 193, Pethö: Agenten, S. 111. Wallach behauptet gar: „Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Deutschland zur Erreichung der Ziele seiner Orientpolitik viel Kraft und Mittel verbrauchte, die dann anderswo fehlten, aber letzen Endes nicht einmal Teilerfolge erzielten.“ Wallach: Anatomie, S. 170. Er bringt allerdings keinerlei Belege für diese Behauptung. Vgl. auch Odermann, Heinz: Verweht in den Sandstürmen der Wüste. Marsch und Kampf des Deutschen Orient-Korps 1914–1918. In: Jaschinski, Klaus; Waldschmidt, Julius (Hrsg.): Des Kaisers Reise in den Orient 1898. Berlin. 2002, S. 124. Eine weitere zeitgenössische Stimme: Seeckt: Tagebuch, 26. Dezember 1917. In: Rabenau: Seeckt, S. 55. 557 Jung: Gesandtschaftsdetachment, S. 7. 558 Vogel: Niedermayer, S. 135–159. 559 Kestler: Auslandsaufklärung, S. 368.
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Richtung wirkende Betätigung Englands mit sich brachte.“560 Carl Mühlmann, ein Offizier der Militärmission und einer der ersten, die sich mit der wissenschaftlichen Verarbeitung des Krieges im Orient befaßte, bewertete die Resultate zwar als enttäuschend, gemessen an den Erwartungen, bescheinigt dem Versuch aber trotzdem Erfolge.561 Seven Hedin schrieb sieben Jahre nach dem Krieg in einer Besprechung des Niedermayer-Buches „Unter der Glutsonne Irans“: „Für England war es eine Lebensfrage, die Pläne der deutschen Expedition zu vereiteln. Die Deutschen beherrschten mehrere Monate das ganze mittlere Persien, und es gelang ihnen, sich die Sympathien der Bevölkerung zu erwerben. [...] Man muß zugeben, daß die Lage der Deutschen in Iran geradezu phantastisch war, wenn man bedenkt, daß einige Dutzend Leute ansehnliche russische Streitkräfte banden und Tausende indischer Soldaten in Indien zurückhielten, in beunruhigender Weise den englischen Feldzug in Mesopotamien beeinflußten und durch ihr Verhältnis zu Afghanistan Befürchtungen für die Sicherheit Indiens erregten.“562
Die Beliebtheit Deutschlands in Afghanistan blieb bis weit in die Zwischenkriegszeit hinein erhalten. Es war kein Zufall, daß der Herrscher des Landes Amānollāh, der inzwischen der Königstitel angenommen hatte, 1928 auch Berlin besuchte. Immerhin bliebt die Türkei bis zum Schluß dem deutschen Bündnispartner treu. Dies dürfte auch deutscher Propaganda zuzuschreiben gewesen sein. Zum anderen stand Persien, und bei dieser Aktion handelte es sich um den wichtigsten Revolutionierungsversuch während des Krieges, kurz vor der Revolution. Wie oben gezeigt, verhinderte nur ein Zögern zur Unzeit den deutschen Erfolg. Letztlich ist es sogar angebracht zu fragen, ob es denn wirklich die Absicht der militärischen Führung in Deutschland war, Persien zu revolutionieren, oder ob es sich dabei nicht vielmehr um ein Maximalziel handelte, an das die entscheidenden Zentralstellen selbst nicht glaubten, das aber von den in Persien Tätigen als einzig erstrebenswertes Ergebnis ihrer Arbeit gesehen wurde. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß genau dies der Fall war. Ein starkes Indiz dafür ist der Bericht des Generalstabsoffiziers Gerold von Gleich über sein Briefing beim Chef der OHL, Erich von Falkenhayn am 11. Februar 1916 im Großen Hauptquartier in Mézières-Charleville an der Westfront. Von Gleich sollte als Goltz’ Stabschef unter anderem die Aktionen in Persien koordinieren. Falkenhayn verabschiedete Gleich nach dessen Bericht mit den Worten: „Für Sie handelt es sich darum, daß Sie möglichst starke englische und russische Kräfte binden. Die Entscheidung suchen wir hier.“563 Genau das aber haben die Deutschen in Persien erreicht. 560 Falkenhayn: Heeresleitung, S. 43. 561 Mühlmann: Deutschland, S. 83f. 562 Hedin, Sven: Unter der Glutsonne Irans (Besprechung). In: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer. 12/1925, S. 162f. 563 Gleich: Bagdad, S. 73.
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Tatsache ist auch, daß die deutschen Aktionen beim britischen Gegner Panik erzeugten; und dieses Gefühl des Bedrohtseins564 brachte nun vielmehr Großbritannien dazu, erhebliche Ressourcen finanzieller, militärischer und personeller Art gegen die deutsche Tätigkeit einzusetzen – Ressourcen, die nun an anderer Stelle fehlten. Zwei weitere Punkte sollen diese schon fast irrationale Angst der Briten vor den Deutschen im Orient, die sich schon kurz nach Kriegsausbruch eintstellte, illustrieren. Zum einen ging die britische Furcht so weit, daß bereits die öffentliche Behandlung islamischer Themen heftige Auseinandersetzung in der britischen Führung hervorrief. Im Dezember 1914 entspann sich zwischen London und Delhi ein ausgedehnter Disput über den Umgang mit dem Heiligen Krieg und vor allem über die Frage des Kalifates, einer Würde, auf die sich der türkische Sultan bei seinen Aufrufen berief und die letztlich seine Legitimierung für einen solchen religiös gerechtfertigten Aufruf zum Kampf darstellte. Was lag also näher, als die Idee des Heiligen Krieges öffentlich mit der Diskreditierung desjenigen zu bekämpfen, der dazu aufgerufen hatte, und ihm seine Legitimierung streitig zu machen? Ein zu gefährlicher Weg, der eine Bombe in der islamischen Welt zünden könnte, so glaubte das Foreign Office und schlug der indischen Regierung statt dessen eine öffentliche Erklärung vor, welche die Frage nach dem Kalifat als „purely domestic question for Moslems“565 bezeichnen und den Eindruck einer Einmischung seitens der Briten damit ausschließen sollte. Die indische Regierung widersprach aus zwei Gründen: Zum einen würde diese Erklärung „be liable to misrepresentation and cause alarm in Indian Moslem world“,566 zum anderen würde sie der britischen Regierung unnötig die Hände binden und Anlaß zu überflüssigen Diskussionen geben.567 In London machte das wenig Eindruck – dort wollte sich das Foreign Office dieser Frage entledigen, und gab in einer Fragestunde im Unterhaus die Erklärung ab, daß die britische Regierung „regards the question of the Khalifat as one that solely concerns Moslems, and that must, therefore, be decided by the Moslems themselves without interference“.568 Das Foreign Office hatte die Sprengkraft der Kalifatsproblematik erkannt und zog es vor, diese Büchse der Pandora nicht zu öffnen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Im Hintergrund wurde jedoch durchaus weiter überlegt, wie, analog zum deutschen Vorgehen in Konstantinopel, die Diskussion um das Kalifat genutzt werden 564 „Wenn sich die volle Wirkung eines Jihad auch nicht abschätzen ließ, schien die potentielle Gefahr doch sehr groß, vor allem in Ägypten, wo die Loyalität gegenüber der Türkei verbreitet war und wo die Kanaleinrichtungen ein verlockendes Angriffsziel darstellten.“ Wilson: Lawrence, S. 159. 565 Foreign Office an Vizekönig, 13. Januar 1915. NA, FO 371/2482. 566 Vizekönig an Foreign Office, 17. Januar 1915. NA, FO 371/2482. Möglicherweise sah die indische Regierung in dieser Erklärung die Gefahr, daß sich indische Moslemführer die Kalifenwürde zulegen und mit diesem Prestige versehen gegen die englische Kolonialmacht vorgehen könnten. Erfahrungen aus dem Sudan lagen in dieser Hinsicht ja mit dem Mahdi-Aufstand vor. 567 Ebenda. 568 Antwort des Vertreters des Foreign Office in der Fragestunde im Unterhaus am 5. Mai 1915. NA, FO 371/2482.
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könnte, um dem Prestige des türkischen Gegners Abbruch zu tun und eine Revolutionierung der Araber gegen die Türken zu fördern. Reginald Wingate, der Generalgouverneur des Sudan, schlug vor, die Kalifenwürde zukünftig vom Osmanischen Sultan zu trennen und auf einen verbündeten Araber zu übertragen.569 Edward Grey notierte auf diesem Vorschlag handschriftlich: ,,It would be worth while to discuss with the India Office whether further action could not be taken by us on the lines advocated in Sir R. Wingate’s enclosure.“570 In der Tat sah das India Office den Scherifen vom Mekka als „the most suitable candidate“;571 darüber hinaus habe auch die russische Regierung darauf gedrängt, die Kalifenwürde auf einen anderen als den türkischen Sultan zu übertragen.572 Trotz der öffentlichen Stellungnahme der britischen Regierung, die Frage sei eine Sache der Muslime, bleibe es der britischen Regierung unbenommen, andere Kandidaten zu unterstützen, so hieß es aus dem India Office.573 In der Tat schrieb die britische Erklärung ja keineswegs fest, daß der jetzige Träger der Kalifen-Würde diese auf alle Zeit besitzen müsse. Das Foreign Office scheint allerdings die Ideen zur Ausnutzung dieses Umstandes hinhaltend behandelt zu haben. Die britische Regierung hielt sich tatsächlich in der Öffentlichkeit an die einmal festgelegte Linie. Es fällt auf, daß auch im Zusammenhang mit dem „Arabischen Aufstand“ kein Versuch unternommen wurde, den Scherifen als eine Art Gegenkalifen aufzubauen. Um den panislamischen Umtrieben der Türken jedoch die Spitze zu nehmen und die durch sie geschürte Angst zu zerstreuen, die Briten könnten die Arabische Halbinsel und damit die Heiligen Stätten in eine Kolonie verwandeln, proklamierte die britische Regierung zusätzlich zu ihrer Stellungnahme zum Kalifat ihre grundsätzliche Politik bezüglich Mekkas und Medinas: „The Government of H.M. the King of England and emperor of India will make it an essential condition in any terms of peace that the Arabian Peninsula and its Mohammedan Holy Places should remain independent (in the hands of an independent sovereign state).“574 Damit suggerierte man den Stämmen und dem Scherifen zusätzlich sehr geschickt, daß die Briten einen souveränen arabischen Staat, das erhoffte Großreich des Scherifen, fördern würden – was man hinterher ja keineswegs tat. Als wie gefährliche panislamische Agitation von den britischen Behörden eingeschätzt wurde, und welchen Aufwand man betrieb, ihr den Boden zu entziehen, zeigt eine Episode aus dem Sudan. Die britische Verwaltung hatte Hinweise, die ,, [...] tend to confirm the suspicion that Turkey is endeavoring to spread the ,Jehad‘ throughout the Mohammedan world by means of pilgrims returning from the 569 Wingate an Foreign Office, 15. Mai 1915. NA, FO 371/2486. 570 Handschriftlicher Kommentar Greys, ebenda. 571 India Office an Foreign Office, 24. Juni 1915, NA, FO 371/2468. 572 Ebenda. 573 Ebenda. 574 Proklamation der britischen Regierung, zitiert in: Intelligence Department, War Office, Cairo, 22. Mai 1915. NA, FO 882/15.
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Hedjaz“.575 Daraufhin führte die Verwaltung ein aufwendiges Verfahren ein, um eventuelle Agitatoren zu identifizieren. Alle zurückkehrenden Pilger wurden dazu vor der Heimkehr in ihre Dörfer zunächst nach Khartum umgeleitet, wo sie einen „course of moral desinfection at the hands of reliable religious leaders“576 über sich ergehen lassen mußten.577 Besonders illustrativ für die fast schon paranoide Angst der britischen Behörden vor der deutschen Revolutionierungs- und Popagandatätigkeit ist die regelrechte Dämonisierung deutscher Protagonisten. Besonders von der Person Oppenheims waren verschiedene Briten geradezu besessen. Mark Sykes578 berichtete Ende Juli 1915 an das Foreign Office über den angeblichen Aufbruch Oppenheims nach Persien und Afghanistan, wohin dieser jedoch tatsächlich niemals reiste. Sykes warnte eindringlich vor Oppenheim: ,,He will leave no stone unturned to do harm to British interests and native Christians. I anticipate he will incite massacre of Armenians in Turkey and do his best to get our isolated people murdered in Persia.“579 Als einziger Abschnitt seines langatmigen Berichtes über die allgemeine Lage ist der Absatz über Oppenheim durch den Bearbeiter in London hervorgehoben worden. Dort hatte man schon von Oppenheims angeblicher Mission gehört. Am 29. Mai hatte der Botschafter in Rom Oppenheims Aufbruch nach Afghanistan gemeldet,580 und der britische Agent in Saloniki berichtete ebenfalls über den Baron und seine angeblichen Aufgaben in Afghanistan und Persien.581 Die Informationen leitete Oliphant nach Kairo und Teheran weiter582. Oppenheim beschäftigte die Briten noch bis weit ins Jahr 1917 hinein – bis in eine Zeit also, in der sie den „Arabischen Aufstand“ schon ausgelöst hatten. In dem vom Arab Bureau herausgegebenen Arab Bulletin findet sich in Nummer 37 vom 4. Januar 1917 die Nachricht, „the notorious Baron Max von Oppenheim“583 sei in Medina angekommen und verhandle mit dem Sherifen über eine Wiederannäherung an die 575 Sudan Agency, War Office an Hochkommissar für Ägypten, 24. Dezember 1914. NA, FO 882/15. 576 Ebenda. 577 Den Pilgern sollte dabei folgendes vermittelt werden: ,,The Mamur [einheimischer niedriger Verwaltungsbeamter] should then warn them that the propagation in the Sudan of Turkish doctrines and ideas is absolutely forbidden, as such doctrines and ideas are contrary to the general accepted traditions of Islam and subversive of all good Governments. In particular they should be reminded that the great Mohammedan religious sheikhs in every part of the world have decided and publicly affirmed that in the present war no religious interest whatever is involved. Therefore any reports to the contrary are baseless and malicious lies spread by the Turks, at the instigation of the Germans, and the repetition of such will be severly punished. This should be explained to them both in Arabic and their own tongue.“ Intelligence Department, Khartoum, Instructions re returning pilgrims, 24. Dezember 1914. NA, FO 882/15. 578 Derselbe, der später dem berüchtigten Sykes-Picot-Abkommen seinen Namen lieh. Advokat einer britisch-französischen Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten. 579 Sir Mark Sykes an Foreign Office, Nish, 29. Juli 1915. NA, FO 371/2486. 580 Britischer Botschafter in Rom an Foreign Office, 29. Mai 1915. NA, FO 371/2489. 581 Mr. Wratislaw (Saloniki) an Foreign Office, 1. Juli 1915. NA, FO 371/2589. 582 Notiz Oliphants, ebenda. 583 Arab Bulletin, No. 37, 4, Januar 1917. NA, FO 882/25.
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Türken. Oppenheim sei zum Islam konvertiert.584 Beide Nachrichten waren ebensolche Enten wie die angebliche Oppenheim-Mission nach Persien und Afghanistan. Dabei herrschte in der britischen Regierung auch noch nach 1919 eine nicht zu unterschätzende Angst vor panislamischer Propaganda und der damit verbundenen Bedrohung der britischen Interessen im Orient. Um Mittel und Wege zu finden, diese Bedrohung zu neutralisieren, existierte in den 20er Jahren das Interdepartmental Committee on Estern Unrest (IDCEU). Ihm gehörten Vertreter des India-, Colonial -, War -, und Foreign Office sowie des Geheimdienstes MI-5 an. Hier gab es durchaus personelle Kontinuität: Lancelot Oliphant, der sich als Chef des Eastern Departments des Foreign Office während des Krieges vor allem mit der Abwehr panislamischer Propaganda und deutscher Revolutionierung befaßt hatte, saß für das Foreign Office im IDCEU585. Panislamische Bestrebungen waren eine der fünf wichtigsten Bedrohungen, die zur Gründung dieser Institution geführt hatten. Ein Papier des IDCEU vom August 1922 stellt dabei explizit fest, daß „pan-Islamic propaganda had resulted in a close sympathy between the different Mohammedan States, with each other’s objects“.586 Die Mitglieder des Committees fürchteten dabei insbesondere eine mögliche Allianz muslimischer Kräfte mit dem russischen Bolschewismus, die sich gegen Indien hätte richten können587 sowie die Instrumentalisierung panislamischer Stimmungen durch Sowjetrußland.588 Letztlich hatte in der Wahrnehmung dieser Institution das kommunistische Rußland das Deutsche Reich als Feindbild ersetzt. Es ging jetzt nicht mehr um die Abwehr eines ğihād made in Germany sondern darum, einen „ğihād zdelano w SSSR“ zu verhindern.589
Exkurs: Lawrence relativiert und die Enttäuschungen britischer Revolutionierung Es lohnt, nach diesen Überlegungen einen Blick auf die britische Revolutionierung türkischen Territoriums zu werfen, die im sogenannten Arabischen Aufstand gipfelte.590 War dieser Aufstand ein Erfolg? Waren die britischen Revolutionierungsversuche erfolgreicher als die deutschen? Die mehrheitlich herrschende Meinung beantwortet diese Fragen mit einem klaren Ja. Allerdings beruht die herrschende Meinung 584 Ebenda. 585 Fisher, John: The Interdepartmental Committee on Eastern Unrest and British response to Bolshevik and other intrigues against the empire during the 1920s. In: Journal of Asian History, 34, 2000, S. 1–34, S. 25. 586 Ebenda, S. 11, zitiert ohne Quellenangabe. 587 Ebenda, S. 8. 588 Ebenda, S. 12. 589 Ebenda, S. 19. 590 Für eine neue Bewertung der politischen Großwetterlage, in der sich der Aufstand abspielte vgl. Thorau: Lawrence, S. 61–64. und ders.: Lawrence von Arabien ein Mann und seine Zeit. München, 2010, S. 73–92.
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eher auf Konstruktionen als auf einer klaren Abwägung von Fakten. Zum einen werden Aktionen des Siegers in einem Konflikt letztlich immer weniger kritisch bewertet als die des Verlierers. Die Vorgänge im Nahen und Mittleren Osten während des Ersten Weltkrieges bilden hier keine Ausnahme. Zum anderen aber erfuhren gerade die britischen Aktivitäten in dieser Region eine heldenhafte Überhöhung, wie sie selten zuvor und niemals wieder danach einem kriegerischen Ereignis zuteil wurde. Diese Überhöhung ist verbunden mit dem Namen T. E. Lawrence, dem Weltruhm, den sein Buch „Die Sieben Säulen der Weisheit“ ihm einbrachte, der Flut von Literatur, die sich bereits kurz nach seinem Tod mit den vermeintlichen Heldentaten des britischen Agenten befaßte, und schließlich mit dem Oscar-gekrönten HollywoodFilm, der Lawrence endgültig in den Himmel eines unantastbaren Helden erhob. Die Realität hingegen zeichnet ein weit bescheideneres Bild des „Arabischen Aufstandes“ und des britischen Agenten Lawrence. Schon die „Sieben Säulen“ selbst liefern Anhaltspunkte, daß der Aufstand keineswegs der durchschlagende Erfolg gewesen war, als der er bis heute gilt. Die Geschichte von einer genialen, zielgerichteten Führung ist danach ebenso ein Märchen,591 wie das Bild der edlen, freiheitsliebenden Helden der Wüste reiner Phantasie entsprang. Nicht umsonst flossen Millionen in Gold an die arabischen Stämme. Letztlich war es diese Bestechung, die sie zum Aufstand bewog. Nach Jeremy Wilson löste Hussein den Aufstand nach langem Zögern schließlich nur aus, weil er befürchtete, daß anrückende türkische Truppen seine Machtbasis im Hedschas gefährden könnten.592 Das „Edle“ relativiert sich mit einem Blick auf Lawrence’ pathologischen, auch bereits für die Zeit regelrecht rassistischen Türkenhaß593 und selbst eingestandene
591 ,,Da unser Aufstand Erfolge zeitigte, haben Außenstehende unsere Führung gepriesen; hinter der Szene jedoch spielte sich das ganze Durcheinander dilletantenhaften Dreinpfuschens ab, planlosen Experimentierens, der Streitigkeiten und launenhafter Willkür.“ Lawrence: Sieben Säulen, S. 118. Ähnliches wurde, wie oben gezeigt, auch über die deutsche Organisation geschrieben. Siehe dazu S. 299f. Die Bewertung wäre aber sicher eine andere gewesen, hätte das Deutsche Reich den Krieg gewonnen. 592 Wilson: Lawrence, S. 198. 593 In den „Sieben Säulen“ etwas schrieb Lawrence über Türken: „Sie gehörten der schwerfälligsten Rasse des westlichen Asien an, wenig befähigt, sich neuen Daseins- und Herrschaftsformen anzupassen, noch weniger, für sich selbst neue Gestaltungen zu erfinden. [...] Die Eingezogenen nahmen ihr Schicksal ergeben und ungefragt hin, wie es die Art des türkischen Bauern ist. Sie waren wie Schafe, ohne eigenen Willen, weder gut noch böse. Sich selbst überlassen, taten sie nichts oder hockten vielleicht stumpfsinnig auf dem Boden. [...] Befahl man ihnen, ihre Väter niederzuschlagen oder ihren Müttern den Bauch aufzuschlitzen, so besorgten sie das mit derselben Teilnahmslosigkeit, wie sie Gutes oder gar nichts taten.“ Lawrence: Sieben Säulen, S. 118. Unverholener Rassismus gegenüber dem osmanischen Gegner scheint in der britischen Armee insgesamt an der Tagesordnung gewesen zu sein. Ian Hamilton, Kommandeur des britischen Expeditionskorps an den Dardanellen, schrieb zum Beispiel in seinem Tagebuch am 15. Juni 1915: „Let me bring my lads face to face with Turks in the open field, we must beat them every time because british volunteer soldiers are superior individuals to Anatolians, Syrians and Arabs and are animated with
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Kriegsverbrechen wie die Ermordung von Gefangenen.594 Letztere verwundern in diesem Zusammenhang jedoch kaum, gehört doch zu den Kennzeichen asymmetrischer Operationen die Verneinung und Nichtbefolgung der Regeln eines klassischen bewaffneten Konfliktes. Bemerkenswert erscheint in diesem Lichte indes das vergleichsweise „saubere“ deutsche Vorgehen zum Beispiel in Persien. Verwiesen sei hier auf die oben erwähnte Warnung des Grafen Kanitz an die Frau des britischen Botschafters vor dem eigenen Putsch.595 Noch wichtiger ist allerdings, daß die arabischen Kämpfer keineswegs effektiv waren. Ihre Schwächen dürften ähnliche gewesen sein wie die der persischen Freiwilligen auf deutscher Seite.596 Durchschlagende militärische Erfolge der sogenannten Arabischen Armee jedenfalls sind eine Legende. Bis Kriegsende gelang es den Arabern nicht, Medina einzunehmen, das von einer nur 4000 Mann starken türkischen Garnison verteidigt wurde.597 Entgegen dem Mythos war die Eisenbahnverbindung nach Medina, um deren Zerstörung sich die Beduinen besonders bemühten, zumindest bis Mai 1918 niemals völlig unterbrochen.598 Die Bahnsicherung entzog der türkischen Armee nur rund 4000 Mann.599 Die deutsch-türkische Luftaufklärung war über die Bewegungen des irregulären Gegners gut informiert.600 Erst im August 1918 kam es zu einem gravierenden Absinken der Tagestransportleistung auf der wichtigen Strecke zwischen Damaskus und Dar‘ā.601 Lawrence selbst bringt in seinen „Sieben Säulen“ mehrere Beispiele dieses militärischen Unvermögens. So vermochten die Beduinen entschlossenen Widerstand weniger türkischer Soldaten nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Zug nicht zu brechen.602 Die Einnahme Akabas sei nur möglich gewesen, weil britische Schiffe die Stadt vorher „zu einem Schuttthaufen“603 gemacht hatten. Gerade einmal 330 Mann verteidigten die Stadt.604 Die Eroberung
a superior idea and an equal joy in battle.“ Zitiert nach Herwig: First World War, S. 155. Die folgenden Ereignisse widerlegten Hamilton bekanntlich vollkommen. 594 Lawrence: Sieben Säulen, S. 804. 595 Siehe oben S. 282. 596 Kiesling beschrieb die Tätigkeit arabischer Irregulärer auf türkischer Seite in den Gefechten bei Kūt al-‘Amārah so: „Im Kampf nicht zu verwenden, hielten sie sich bei den Operationen meist an den Flanken, Tote und Verwundete beraubend, gleichgültig, ob sie dem Feinde oder dem Freunde angehören.“ Kiesling: Mesopotamien, S. 90. 597 Ebenda, S. 145. Vgl. Wilson: Lawrence, S. 200. 598 Vgl. Mühlmann: Waffenbündnis, S. 216. 599 Ebenda, S. 223. 600 Papen, Franz von: Der Wahrheit eine Gasse. München, 1952, S. 106. 601 Zwischen 15. und 21. Mai 1918 wurden dort 697,5 Tonnen Güter transportiert, zwischen 28. August und 2. September 1918 nur noch 238,1 Tonnen. Neulen: Feldgrau, S. 137. 602 Lawrence: Sieben Säulen, S. 533–539. 603 Ebenda, S. 381. 604 Neulen, Hans Werner: Arabischer Aufstand. In: EEW, S. 340.
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des türkischen Stützpunktes al-Mudauwara gelang den Arabern nie. Erst reguläre britische Truppen gelangten hier zu einem Erfolg.605 Diese militärische Unfähigkeit der revolutionierten Araber führte schließlich zu einer immer stärkeren Regularisierung des Aufstandes. Das heißt, reguläre, europäisch geführte Truppen spielten eine immer entscheidendere Rolle in den Kampfhandlungen der Guerilla; es läßt sich eine Resymmetrisierung beobachten.606 Es ist außerdem unstrittig, daß die Entscheidung auf dem nahöstlichen Kriegsschauplatz während der drei Gaza-Schlachten fiel, die ausschließlich von regulären Truppen nach klassischer symmetrischer Art und Weise ausgefochten wurden. Diese Einschätzung wird auch von deutschen Quellen gedeckt. Franz von Papen, damals Stabsoffizier des Jildirim-Unternehmens unter Erich von Falkenhayn und Otto Liman von Sanders, berichtete ausführlich über die erhebliche technische und personelle Übermacht regulärer britischer Truppen, während die Wirkung des Aufstandes auf die militärischen Operation der Türken und ihrer Verbündete in seinem Urteil bestenfalls begrenzt waren.607 Auch er belegt, daß die Antwort auf die Frage, auf welcher Seite die Araber kämpften, letztlich von finanziellen Erwägungen und symbolischen Versprechungen religiöser Natur abhingen.608 In diesem Zusammenhang ist auch das berühmte Loblied Lawrence’ auf die deutschen Truppen neu zu interpretieren. Der Brite schrieb in den „Sieben Säulen“ über seine deutschen Gegner: „Hier zum ersten Mal wurde ich stolz auf den Feind [...] Sie waren 2000 Meilen von Ihrer Heimat entfernt, ohne Hoffnung im fremden, unbekannten Land, in einer Lage, verzweifelt genug, um auch die stärksten Nerven zu brechen. Dennoch hielten ihre Truppen fest zusammen, geordnet in Reih und Glied, und steuerten durch das wirr wogende Meer von Türken und Arabern wie Panzerschiffe, schweigsam und erhobenen Hauptes. Wurden sie angegriffen, so machten sie halt, gingen in Gefechtsstellung und gaben wohlgezieltes Feuer. Da war keine Hast. Kein Geschrei, keine Unsicherheit. Prachtvoll waren sie.“609
Es geht hier weniger um das Lob der Deutschen im Vergleich zu ihren türkischen Verbündeten. Diese Stelle der „Sieben Säulen“ ist vielmehr als Eingeständnis zu lesen, daß seine Beduinen mit gut ausgebildeten und geführten Soldaten nicht fertig werden konnten. Vom militärischen Gesichtspunkt ist daher insgesamt Wolfgang Bretholz zuzustimmen, der in seiner Geschichte der Araber den Aufstand so resümiert: „In Wirklichkeit hat der arabische Aufstand während des Ersten Weltkrieges einen anderen Verlauf genommen als die von Lawrence geschaffene Legende. Militärisch war seine 605 Lawrence, S. 445. Vgl. Wilson: Lawrence, S. 409. 606 Lawrence, S. 634f. 607 Papen: Memoirs, S. 80. 608 „Cemal was never able, to outbid the offers and promises of the British, nor was there any hope of persuading the Turks to give up their control of the Holy Places.“ Ebenda, S. 81. 609 Lawrence: Sieben Säulen, S. 806.
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Bedeutung für den Sieg der Alliierten über die Türken so gering, daß man sich später gefragt hat, ob er den großen Aufwand an Geld, Waffen und Propaganda gelohnt hat. [...] Politisch war der Aufstand vom Anfang bis zum Ende ein Aufstand der Wüstenstämme des Hedschas unter der Führung der Haschimiten, nicht aber ein Aufstand der arabischen Völker gegen die Türkenherrschaft.“610
Und die Folgen dieses „heroischen Zeitalters der arabischen Bewegung“?611 Für die Werkzeuge der britischen Revolutionierung waren sie enttäuschend, wenn nicht im Lichte der hochgespannten Erwartungen katastrophal: „An Stelle der jungtürkischen Imperialdoktrin trat der schlecht verbrämte Mandatskolonialismus der Ententemächte.“612 Sogar unter den britischen Vätern des Aufstandes herrschte Ernüchterung. Angesichts der großen Forderungen des Scherifen kommentierte etwa Ronald Storrs: „In matters of commerce the fault of the Dutch/Is offering too little and asking too much.“613 Inzwischen beginnt sich auch unter angelsächsischen Historikern ein realistischeres Bild des Aufstandes durchzusetzen, das von der LawrenceLegende weniger beeinflußt ist.614 Zieht man noch einmal zusammenfassend die materielle Unterstützung der Briten für die Araber in Betracht, untersucht die Resultate des Aufstandes und vergleicht das alles mit den deutschen Bemühungen im Orient, dann erscheinen die deutschen Unternehmen plötzlich erheblich effizienter und im Resultat erfolgreicher als alle bisherigen Bewertungen sie darstellen.
610 Bretholz, Wolfgang: Aufstand der Araber. München, 1960, S. 93. 611 Mejcher, Helmut: Der arabische Osten im zwanzigsten Jahrhundert 1914–1918. In: Halm, Heinz (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt. München, 2001, S. 433. Vgl. zum auf den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches folgenden Mandatssystem neuerdings Fieldhouse, David K.: Western imperialism in the Middle East 1914–1958. Oxford, 2006. Fieldhouse bilanziert, dieses System „sowed dragon’s teeth that were eventually to grow into the complex of tensions and despotism that constitute the contemporary Middle East.“ Ebenda, S. 348. 612 Mejcher S. 436. 613 Storrs: Orientations, S. 177. 614 Etwa so: „In fact this uprising involved 10–15.000 poorly disciplined tribesman, who secured most of the Hejaz and the Red Sea ports against weak Turkish resistance but failed to spread rebellion into the remainder of the Arab lands or the Arabic-speaking contingents of the Ottoman army, and kept going only with British supplies of arms and cash and offshore naval assistance.“ Stevenson: First World War, S. 124.
4 Von Legenden und einer Stärke aus Schwäche Legenden haben ein ausgesprochen zähes Leben. So fasziniert die Legende des Lawrence von Arabien auch nach über 90 Jahren die Menschen. Von den Medien der am Ende siegreichen Entente-Mächte und ihm selbst geschaffen, schließlich durch den Film mit Unsterblichkeit geadelt,1 hat viele Jahrzehnte die Frage nach der Wahrheit hinter der Legende, der realen Bilanz seiner Tätigkeit, keine Rolle gespielt. Lawrence war das wohl poetischste, abenteuerlichste Symbol des Sieges der Entente über die Mittelmächte, mithin also des angeblichen Sieges der Freiheit über die Unfreiheit, der Menschlichkeit über die Unmenschlichkeit. Die Figur Lawrence – sie war und ist die Verkörperung des Sieges, ein Denkmal, ästhetisch in Szene gesetzt, aber eben ein verklärtes Denkmal mit nur begrenzt gültigem Bezug zur historischen Realität. Nur was hat dies alles nun mit den Aktivitäten Deutschlands und der Habsburger-Monarchie im Orient zu tun? Was hat der Engländer Lawrence mit deutscher Revolutionierung zu tun? Was verbindet den „Helden“ Lawrence mit der Propaganda für den Heiligen Krieg durch Deutsche? Es ist die Überlagerung der historischen Realität durch eine Legende, ja im Falle der geheimdienstlichen Tätigkeit der Mittelmächte im Orient durch einen ganzes Bündel vermeintlicher Gewißheiten. Das gilt insbesondere für Aktivitäten auf den Feldern der Revolutionierung, der Propaganda und des Heiligen Krieges. Die bisher herrschende Meinung sah diese deutsche Tätigkeit im Osmanischen Reich und den angrenzenden Regionen als erfolglose Geldverschwendung, getrieben von imperialistischer Gier, gekennzeichnet von Überheblichkeit und ideologischem Starrsinn, kurz als zweck- und nutzlose politische und militärische Dummheit eines an Hybris erstickenden Deutschen Kaiserreiches.2 Österreich-Ungarn gilt in dieser Sicht, wenn es denn überhaupt eine Rolle spielt, als williger Erfüllungsgehilfe des übermächtigen Deutschen Reiches.3 Es sind dies aber letztlich nur Legenden der und über die Verlierer. Eben diese Verlierer, Männer wie beispielsweise der ehemalige Botschafter im Osmanischen Reich, Richard von Kühlmann, oder der während des Krieges mit geheimdienstlichen Aufgaben im Orient befaßte Curt Prüfer, schufen selbst mit ihren Publikationen die Grundlagen dieser Legenden. Die Niederlage war für sie Anlaß, ihr Tun und ihre Ideen einer an Selbsthaß grenzenden Analyse zu unterziehen, bei der die Finsternis des Mißerfolges alles Licht und vor allem die Zwischentöne, die Teilerfolge also, verdrängte. Nach der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges verlängerten deutsche Historiker wie Fritz Fischer schließlich diese Linie und ordneten die 1 Die Geschichte der Verklärung des T. E. Lawrence, also die Biographie der Legende nicht des Mannes, ist ein Desiderat. Peter Thorau schneidet in seinem Buch diesen Aspekt an. Siehe Thorau: Lawrence von Arabien, S. 175–183. 2 Vgl. oben S. 30–32 sowie S. 299–301. 3 Vgl. S. 27f.
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Ereignisse im Orient zwischen 1914 und 1918 darüber hinaus konsequent in eine angeblich schon immer vorhandene imperialistische, expansionistische und aggressive Tradition des Deutschen Kaiserreiches ein. Die Geschichtsschreibung der Sieger von 1918 nahm diese Tendenzen willig und dankbar auf. So also verfestigten sich diese Legenden und erlangten schließlich den Rang von Gewißheiten. Eine dieser vermeintlichen Gewißheiten besteht in der Annahme, daß Deutschland märchenhafte Goldkarawanen in den Orient in Marsch gesetzt habe, um seine Revolutionierungsprojekte zu finanzieren. Die Kosten dieser Projekte hätten den Nutzen bei weitem überstiegen. Solche Goldkarawanen existierten jedoch in dieser Form nicht. Die Ressourcen, die den deutschen Diensten im Orient zur Verfügung standen, waren mit Blick auf die Gesamtkosten des Krieges zu vernachlässigen. Es handelte sich lediglich um einige hundert Menschen und Geldsummen, die wohl nicht einmal für die Finanzierung zweier Kampftage während der Schlacht bei Verdun ausgereicht hätten. Mit Blick auf die erreichten Resultate aber läßt sich durchaus von einer nutzbringenden Verwendung dieser Mittel sprechen. Zwar erreichten die Deutschen ihre Maximalziele nicht, doch zwangen sie den Gegner, erheblich größere Ressourcen einzusetzen, um ihren Erfolg zu verhindern. Die Deutschen waren trotz ihrer geringeren Aufwendungen damit erheblich effektiver als ihre britischen Gegenspieler.4 Die Entlastungen, die Revolutionierungsaktionen im Orient den deutschen Truppen an der europäischen Front verschafft haben, sind darüber hinaus bis heute weitgehend unterbewertet worden, denn das Empire war in der Frühphase des Krieges gezwungen, große Truppenkontingente in Ägypten zu stationieren, um einen Angriff auf den Suez-Kanal zu verhindern und nationalistische, von Türken und Deutschen unterstützte Kräfte in Schach zu halten. Truppen mußten nach Persien geworfen werden, um einen Umsturz im Lande zu verhindern und die britische Herrschaft über die Ölquellen zu schützen. Rußland intervenierte ebenfalls in Persien. Die Briten kamen darüber hinaus nicht umhin, die Nordgrenze ihrer indischen Besitzungen mit Truppen schützen, denn die unsichere Haltung des Emirs von Afghanistan und der Einfluß deutscher Agenten auf die Stimmung in diesem Land barg für sie unkalkulierbare Gefahren. All diese Einheiten fehlten auf dem europäischen Kriegsschauplatz, wo sie durchaus dazu hätten beitragen können, das Pendel erheblich früher zu Gunsten der Entente ausschlagen zu lassen. Die tödliche Bedrohung der britischen Position im Orient durch die deutschen Aktivitäten war den handelnden Personen in Whitehall, Delhi und Kairo während des Krieges dabei absolut bewußt. Dies zeigt sich insbesondere in den teuren und extrem aufwendigen Maßnahmen gegen die Revolutionierung in Persien, gegen das Vordringen deutscher Agenten nach Afghanistan und die Verbreitung panislamischer Propaganda in den eigenen Einflußgebieten.
4 Das gilt auch für die militärischen Operationen insgesamt. Nach Ferguson kostete es das Deutsche Reich erheblich weniger, einen Entente-Soldaten zu töten als umgekehrt. Vgl. Ferguson: Krieg, S. 309.
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Betrachten wir den nah- und mittelöstlichen Kriegsschauplatz, dann sehen wir zudem ein Bild, das eine weitere Legende zerstört – die Legende der britischen Überlegenheit im konzeptionellen Denken und Handeln bei den Auseinandersetzungen in diesem Raum, die Legende einer überlegen-rational handelnden angelsächsischwestlichen Macht. Wir sehen Deutsche, die in Ägypten, Persien, Afghanistan und dem Osmanischen Reich agieren, die Konzepte dafür entwickeln, wie trotz Mangels an Truppen, Ausrüstung und zuverlässigen Führungsstrukturen ein Angriff auf den Gegner in seiner Peripherie erfolgversprechend unternommen werden kann. Wir sehen also Akteure, die sich nicht mehr darum kümmerten, wie nach der Konvention ein Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts auszusehen hatte – Massenheere, schwere Artillerie, Technisierung, weitgehend mechanisierter Nachschub – sondern die innovativ über diese festgefahrenen Muster hinaus gingen. Wir sehen Kreativität und originelles Denken in einem Moment, in dem de facto sämtliche klassischen militärischen Mittel für einen Angriff auf einen nach diesen Maßstäben ausgezeichnet gerüsteten Gegner nicht zur Verfügung standen. Es ist dies aber keineswegs ein etwas anrüchiger, romantischer oder gar irrationaler deutscher Sonderweg in der Geschichte bewaffneter Auseinandersetzungen. Eine Interpretation, welche die Realität eher trifft, wird durch den Satz vom „Feind meines Feindes, der mein Freund ist“ beschrieben. Nach diesem Grundsatz wurde hier gehandelt. Das Entfachen von Aufständen, das Schüren innerer Widersprüche und das Ausnutzen antikolonialer Strömungen im Machtbereich des Gegners lagen angesichts der Kräfteverhältnisse im Orient einfach nahe. Ähnliches gilt für die zugrundeliegende Ideologie, den Panislamismus. Es war dies kein „Holy War made in Germany“, wie schon zu Zeiten des Ersten Weltkrieges durch den Orientalisten Snouk Hourgronje die Legende begründet wurde. Die panislamische Karte lag ja bereits lange auf dem Tisch, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Nach dem Verlust großer europäischer Landesteile mit vorwiegend christlicher Bevölkerung stellten panislamische Ideen einen bedeutenden Teil der ideologischen Grundlagen jungtürkischer Herrschaft dar, und auch Sultan Abdulhamid hatte seine Herrschaft bereits auf panislamische Legitimationen gestützt. Daß dieses oft vernachlässigt wird, mag mit der geringen Beachtung zusammenhängen, die der Panislamismus Abdulhamids in der deutschen Öffentlichkeit erfahren hat. Die Presse im Kaiserreich befaßte sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kaum mit dem Thema.5 Es waren demnach nicht deutsche Propagandisten, die panislamisches Gedankengut in die Region implantierten. Vielmehr nutzten sie bereits bestehende Ansätze für ihre eigenen Zwecke aus. Die Deutschen verzichteten also auf den Export europäischer Maßstäbe, Werte und Anschauungen und bedienten sich gezielt einer autochthonen Geisteshaltung, die in der Region bereits etabliert war. Dieses Handeln war rational und durchaus erfolgversprechend, hatte der Panislamismus doch zum Beispiel während des Kampfes der libyschen Stämme gegen die Italiener ein großes Mobilisierungspotential bewiesen. 5 Vgl. Alkan: Weltpolitik, S. 293f.
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Auf britischer Seite sehen wir dagegen zu Beginn des Krieges Hilflosigkeit angesichts des deutschen Vorgehens und im weiteren Verlauf des Krieges letztlich eine Kopie der deutschen Strategie. Das Arab Bureau war zunächst gegründet worden, um die propagandistische Hauptwaffe Deutschlands – also panislamische Ideen – zu bekämpfen. Der von dieser Stelle geplante und umgesetzte „Arabische Aufstand“ schließlich war in seinem Kern nichts weiter als ein Revolutionierungsprojekt, mit dem das Osmanische Reich asymmetrisch angegriffen wurde. Waren die militärischen Resultate dieser extrem teuren Revolte bestenfalls begrenzt, so endete der Versuch einer propagandistischen Verwertung des Aufstandes durch die Entente sogar, wie gezeigt, in einem Desaster. Die Kraft religiöser Bindungen scheint doch in den islamisch geprägten Gesellschaften der Region so stark gewesen zu sein, daß ein auf national-arabischen Ideen beruhender Aufstand nur wenige Sympathien zu erregen vermochte, insbesondere im Regionen, die nicht von Arabern besiedelt waren und sind. Die deutsch-türkische panislamische Propaganda hat in dieser Hinsicht doch erhebliche Wirkung entfaltet, eine Wirkung, die ihr bisher jedoch weitgehend abgesprochen worden ist. Indirekt brachte dieses Vorgehen die Briten darüber hinaus in ein schweres Dilemma. Wenn sie versuchten, panislamische Propaganda mit (arabisch)-nationalistischer Propaganda zu kontern, so stellten sie mit der Förderung wie auch immer gearteter nationaler Bestrebungen die Grundlagen des eigenen Empire in Frage. Die Schlüsselfrage lautete in dieser Hinsicht: Wenn nationale Bestrebungen von Volksgruppen beim Gegner gut und richtig sind, wie können sie dann in den eigenen Besitzungen falsch sein? Es gelang den Briten nie mehr, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Das mehr als hilflose Agieren des Interdepartmental Committee on Estern Unrest (IDCEU), dessen Aufgabe es in den 1920er Jahren war, Strategien für die Eindämmung panislamischer, nationalistischer und bolschewistischer Ideen zu entwickeln, illustriert dies – und darüber hinaus die Angst, die bis weit nach Kriegsende das Gespenst des Panislamismus im Empire verbreitete. Die Ereignisse in Afghanistan und Ägypten nach dem Krieg zeigen mehr als deutlich, daß der revolutionäre Sprengstoff, auf den die Mittemächte spekuliert hatten, durchaus vorhanden war. Er detonierte aus deutscher Perspektive nur kurze Zeit zu spät. Wenn wir aber festgestellt haben, daß die Propaganda in diesen Auseinandersetzungen beispielsweise in Afghanistan, aber auch in Ägypten, auffällig dem glich, was die deutsche Propaganda nur wenig früher kommunizierte, so zeigt auch dies, daß die deutsche Revolutionierungsstrategie keineswegs so abgehoben und von vornherein zum Scheitern verurteilt war, wie die Legende glauben machen möchte. Großbritannien gehörte 1918 zwar zu den Siegern, verspielte diesen Sieg aber in der Nachkriegszeit im Vorderen Orient. Mit den Operationen und der Propaganda während des Ersten Weltkrieges hatte auch die Tätigkeit der Mittelmächte als Spätfolge einen beträchtlichen Anteil am Ende des imperialen Konstruktes mit dem Namen „British Empire“. Dies alles ändert nichts an der Tatsache, daß wir bei der Betrachtung der deutschen und österreichischen Operationen auf ein gehöriges Maß an offenkundigem Dilettantismus treffen. Die Betrügereien eines Gondos, die gescheiterten Expeditio-
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nen eines Frobenius oder Musils – sie alle sind keine Musterbeispiele gründlicher Planung oder professioneller geheimdienstlicher Tätigkeit und waren ganz sicher mit hochgespannten Erwartungen stark überfrachtet. In der Tat waren die Vorgaben aus Berlin, beurteilt nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts, übertrieben ehrgeizig. Geht man aber von dem Wissensstand des Jahres 1914 aus, hatte das Ziel einer umfassenden Revolutionierung feindlicher Gebiete durchaus Anspruch auf die Bewertung „realistisch“. Allerdings ließen die Umstände den Verantwortlichen wenig Raum für eine gründliche Vorbereitung der Operationen. Schon gar nicht gab es dafür einen wie auch immer gearteten „Masterplan“, der in irgendeiner Schublade des Großen Generalstabes oder des Auswärtigen Amtes lag und nur noch hätte umgesetzt werden müssen. Die entsprechenden Pläne mußten nach Kriegsausbruch vielmehr erst entwickelt und dann möglichst schnell in die Tat umgesetzt werden, denn die Fronten in Europa brauchten dringend Entlastung. Es wurde daher oftmals improvisiert. Das zur Verfügung stehende Personal wurde aufgrund des Zeitdrucks vielfach nicht gründlich überprüft. In vielen Fällen wollten die Verantwortlichen in den deutschen Zentralstellen ganz sicher auch glauben, was ihnen da von teils eloquenten Figuren an großen Taten und weltbewegenden Umstürzen versprochen wurde. Jedoch sind nicht zu leugnende totale Fehlschläge von untergeordneter Bedeutung angesichts der umfangreichen Teilerfolge, die durch die Bedrohung Ägyptens, die Aktionen in Persien, die Afghanistan-Expedition und die Stabilisierung des deutsch-österreichisch-türkischen Bündnisses durch Propaganda im Osmanischen Reich erzielt wurden. Bei diesen erfolgreichen Operationen trafen im wesentlichen die handelnden Personen selbst die Entscheidungen, denn die verfügbaren Kommunikationsmittel ließen eine straffe zentrale Führung von Berlin oder Konstantinopel aus ganz einfach nicht zu. Die Richtung der Propaganda bestimmten letztlich ebenfalls Personen und Unterorganisationen, die geographisch und mental sehr nah an den Zielregionen waren. So wurde zwar die persische Aktion von einer, wenn auch untergeordneten, Stelle im Stellvertretenden Generalstab betreut, die wichtigsten und ausschlaggebenden Entscheidungen fielen aber vor Ort. Genau das ist ein weiteres Merkmal der untersuchten Operationen: Pro forma gab es zwar meist eine zentrale Steuerung aus Berlin, in der Realität aber entwickelten sich die Operationen eigendynamisch. Die Beteiligten waren daher in erheblichem Maße auf sich selbst gestellt. Ursprünglich vorgegebene Ziele wurden vielfach den regionalen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepaßt. Darüber hinaus blieben die Instruktionen der Zentralstellen sehr allgemein; die Aufgabe lautete etwa lediglich, in Ägypten einen Aufstand zu inszenieren. Wie das im Operationsgebiet zu bewerkstelligen war, blieb dem eingesetzten Personal überlassen. Dieses Denken erinnert stark an die in der preußischen Armee entwickelte Auftragstaktik, die untergeordneten Einheiten ein Ziel vorgibt, ihnen Ressourcen zuteilt, den Weg zur Erreichung dieses Zieles aber den beauftragten Einheiten selbst überläßt. An die im Felde handelnden Personen stellte dieses Vorgehen höchste Anforderungen in bezug auf Flexibilität, Auffassung und Kreativität. In vielen Fällen wurden sie diesen auch
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gerecht. In Persien etwa wurde vor Ort, ohne Anweisungen aus Berlin, der Fokus der Propaganda Schritt für Schritt von panislamischen Inhalten auf national-persische umgestellt, um so ein Bündnis mit nationalistisch denkenden Kräften in den Städten zu ermöglichen. Neben dem unbestreitbaren Vorteil dieses dezentralen Handelns, nämlich auf unerwartete Ereignisse vor Ort schnell reagieren zu können, hatte es allerdings auch ernste Nachteile. Die Koordination der einzelnen Operationen blieb mangelhaft. Die übergreifende Strategie war ausgesprochen breit, fast vage formuliert. Improvisation bestimmte daher oft das Bild. Waren Akteure den Belastungen ihrer Aufgabe persönlich nicht gewachsen, konnte dies für die Operationen verheerende Folgen haben, wie das Beispiel des Grafen Kanitz in Persien zeigt. Für viele Probleme der deutschen Operationen im Orient liegt hier die Ursache. War die Revolutionierungsstrategie demnach tatsächlich Ausdruck strategischen politischen Handelns zur Erringung einer wie auch immer gearteten „Weltherrschaft“? Das jedenfalls wird von Fritz Fischer und seinen Epigonen behauptet. Obwohl es Zeugnisse gibt, die belegen, daß eine solche Strategie von zentralen Stellen im Machtgefüge des Kaiserreiches unterstützt und erwünscht wurde, ist dem auch und gerade im Lichte des eben Gesagten keineswegs so. Es fehlt ganz einfach der ausgearbeitete „Masterplan“, der gewiß in einem solchen Falle vorgelegen hätte. Darüber hinaus existieren deutliche Beweise dafür, daß die Ziele und Motive deutscher Revolutionierungsstrategien und der damit verbundenen Propaganda keineswegs so imperialistischer Natur waren, wie es die Legende will. Zunächst einmal war das Bündnis mit der Türkei an sich deutscherseits ausschließlich vom Ziel getragen, Kräfte der Entente durch das Eröffnen einer zweiten Front vom europäischen Kriegsschauplatz fernzuhalten. In diesen Kontext sind auch die Revolutionierungsbestrebungen einzuordnen Es ging zwischen 1914 und 1918 keineswegs darum, in Ländern wie Afghanistan, Persien, Ägypten und auch der Türkei Kolonien zu errichten oder auch nur einen dominierenden Einfluß zu erlangen. Ausschließliches Ziel war es, die Ententemächte in ihrer Peripherie zu schwächen. Das Deutsche Kaiserreich und die Habsburger-Monarchie befanden sich im Orient in einer defensiven Position. Das Osmanische Reich hatte militärisch alle Hände voll zu tun, die Angriffe der Entente abzuwehren. Hier waren somit bereits gegnerische Kapazitäten gebunden. Die Möglichkeit, den Konflikt in die vom Gegner beherrschten Gebiete zu tragen, bestand aber mit klassischen militärischen Mitteln nicht. Es kam nicht in Frage, eine deutsch-österreichisch-osmanische Armee etwa nach Afghanistan in Marsch zu setzen. Das war spätestens nach dem ersten Suezkanal-Unternehmen klar. Den Mittelmächten blieb als einzige Option also lediglich eine asymmetrische. Das bedeutet, sie mußten Mittel und Wege jenseits einer Massenkriegsführung finden, die Ententemächte anzugreifen. Das Entfachen von Aufständen, das Schüren innerer Widersprüche und das Ausnutzen antikolonialer Strömungen lagen hier einfach nahe. Letztlich haben wir es mit asymmetrischen, offensiven Operationen zu tun, die aus Schwäche geboren wurden. Dabei gilt es aber auf der propagandistischen Ebene ein weiteres Ziel zu benennen: Innerhalb des Osmanischen Reiches sollten die gleichen propagandistischen
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Anstrengungen Deutschlands, die außerhalb Revolutionen entfachen sollten, zu einer Stabilisierung führen. Es ging darum, den Bündnispartner bei der Stange zu halten, und die türkische Bevölkerung im Sinne der Allianz zu beeinflussen. Im Inneren trug diese Propaganda tatsächlich dazu bei, Sympathien für Deutschland zu verstärken, die letztlich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wirkten. Die Propaganda in der Türkei dürfte damit zum Überleben des Bündnisses nicht unerheblich beigetragen haben. Mit Propaganda, Nachrichtendienst, verdeckten Operationen und den Revolutionierungsaktionen waren geheimdienstliche Mittel neben der Diplomatie und der militärischen Zusammenarbeit das dritte große Standbein der deutschen Politik im Orient während des Ersten Weltkrieges. Vieles spricht dafür, daß es zumindest als gleichwertig zu den beiden letztgenannten zu betrachten ist. Die aus der strukturellen Schwäche der Mittelmächte im Orient geborene Notwendigkeit, alternative Mittel für den Angriff auf den Gegner zu finden, führte zwischen 1914 und 1918 im Orient zu einer Situation, in der symmetrische und asymmetrische Elemente gleichermaßen das Gesicht des Krieges prägten. Während an den Dardanellen ein klassischer symmetrischer Kampf Heer gegen Heer stattfand, beschritten die Mittelmächte in Ägypten und Persien den Weg der asymmetrischen Kriegführung. Der Erste Weltkrieg kann also – zumindest auf diesem Kriegsschauplatz – kaum länger als eine reine, klassische, symmetrische Auseinandersetzung betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich um eine Mischform, die in dieser Art in den kriegerischen Auseinandersetzungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr beobachtet werden kann. Die Propaganda Deutschlands und Österreich-Ungarns im Orient wirft aber über diese Sachverhalte hinaus auch ein bezeichnendes Licht auf das Binnenverhältnis zwischen den beiden verbündeten Kaiserreichen. Insbesondere Österreich-Ungarns Rolle war eine andere als die Legende es berichtet. Die Habsburger-Monarchie war keineswegs ohne machtpolitische, ja sogar imperialistische Ambitionen in dieser Region. Sie war eben nicht die sympathische „Kaffeehaus-Großmacht“, die im Orient vor allem ausgleichend tätig war. Österreich-Ungarn agierte zwischen 1914 und 1918 als selbständige, selbstbewußte Macht im Orient und arbeitete dabei sogar gezielt gegen den eigenen Verbündeten Deutschland. Diese Stoßrichtung finden wir klar und deutlich formuliert in einem Dokument des k.u.k. Armeeoberkommandos. Das bereits erwähnte Dokument trug den Titel „Principien zur Abwehr des deutschen Imperialismus in der Türkei“6. Der Text selber ist leider verloren, jedoch gibt es jedoch eine Fülle von Hinweisen auf den Inhalt und damit das Denken der Österreicher. Es ging schlicht darum, Konflikte zwischen Deutschen und Türken möglichst geschickt für die eigenen Interessen auszunutzen. Da die Türkei im Krieg nicht auf europäische Unterstützung verzichten konnte – so die österreichische Idee – würde sie diese doch zunehmend lieber von einer Macht annehmen, die sich als weniger fordernd gerierte als die Deutschen dies taten, einer Macht also, welche die 6 Vgl. zu diesem Dokument oben S. 103.
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Osmanen weniger deutlich spüren lassen würde, wer die Führungskraft im Bündnis war. Diese Strategie ist bei der Analyse der österreichisch-ungarischen Propaganda deutlich zu erkennen. Die Österreicher versuchten, sich konsequent als freundlicher, weniger fordernd und verständnisvoller in bezug auf die türkischen Wünsche zu positionieren als der deutsche Verbündete. Die österreichische Propaganda, die in Konstantinopel im Büro des Militärbevollmächtigten Joseph Pomiankowski zentralisiert war, hatte vor allem die im Entstehen begriffene Mittelklasse des Osmanischen Reiches im Visier. Diese gebildete und teilweise bereits sehr stark europäisierte Schicht erschien den Österreichern am geeignetsten, um pro-habsburgische Sympathien in der türkischen Gesellschaft zu verankern. Die Österreicher konzentrierten sich aus diesem Grund auch weitgehend auf eine Form von Propaganda, die man als kulturpolitisch orientiert bezeichnen kann. Neben Versuchen, Zeitungen unter ihre Kontrolle zu bringen, war die Darstellung Österreich-Ungarns als Kulturnation dabei eines der Hauptanliegen. Mittels Film, Theater, Modenschauen, Konzerte und Ausstellungen wurde dieses Bild transportiert. Auf den deutschen Verbündeten nahmen Pomiankowski und seine Mitarbeiter dabei keine Rücksicht. Immer wieder kam es wegen dieser Propaganda zu schweren Konflikten zwischen den beiden verbündeten Mächten, die schließlich sogar in einem wahren Theater-Krieg in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches gipfelten, in dem sich Österreicher und Deutsche gegenseitig so viele Schwierigkeiten bereiteten, wie nur eben möglich. Ihre nachrichtendienstlichen Kapazitäten konzentrierten die Österreicher vor allem auf die Beobachtung der deutschen Tätigkeit in der Türkei. Jegliche Aktivität, wie etwa der Aufbau deutsch-türkischer Clubs, Konflikte in der Militärmission oder die Propagandatätigkeit der deutschen Konsuln wurden penibel dokumentiert und ausgewertet. Dabei spielte auch immer eine Rolle, wie bestimmte Entwicklungen zur Hebung des österreichisch-ungarischen Prestiges auszunutzen seien. Wirkung auf die Köpfe und Herzen der türkischen Mittelschicht war in diesem Zusammenhang allerdings für die Österreicher kein Ziel an sich. Ein starkes Osmanisches Reich unter maßgeblichem Einfluß der Habsburger-Monarchie sollte unter anderem ein mächtiges Gegengewicht zu den russischen Ambitionen auf dem Balkan bilden.7 Es ist sicher keine Überinterpretation, wenn man davon ausgeht, daß ein solcher Einfluß auch als Versicherung gegen nach dem Kriege befürchtete, überraschende pro-russische Veränderungen in der deutschen Außenpolitik gesehen wurde. Einfluß war darüber hinaus essentiell für die wirtschaftlichen Interessen Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich. Die Türkei wurde als wichtiger Markt für Produkte der österreichischen Industrie, als Quelle von Rohmaterialien und als 7 „Wir werden dann jederzeit über eine starke türkische Armee am Balkan verfügen. Wenn wir diesen Zustand erhalten können, so sind die russischen Ambitionen am Balkan auf eine lange Reihe von Jahren hinaus zunichte geworden.“ Österreichisch-ungarischer Botschafter Pallavicini an MdA, 14. Januar 1915. HHStA, PA, XII, 209.
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Brücke in andere Regionen des Nahen und Mittleren Ostens betrachtet. Der während des Krieges gegründeten „Orientabteilung des Kriegsministeriums“,8 die alle österreichischen Wirtschaftsaktivitäten in der Türkei plante und koordinierte, sollte für ihre Tätigkeit der Weg durch pro-habsburgische Propaganda erleichtert werden. Außerhalb des Osmanischen Reiches zeigte sich Österreich-Ungarn noch viel ambitionierter. In Persien entwickelte der österreichische Botschafter eine regelrechte Strategie, wie das Land unter die wirtschaftliche Kontrolle Österreich-Ungarns zu bringen wäre. Diese reichte vom Zugang zu persischen Rohstoffen über die Reorganisierung der persischen Finanzen und des Militärs durch Österreicher bis hin zu Eisenbahnkonzessionen. Die österreichisch-ungarischen Ziele waren damit erheblich weitreichender als alle Vorhaben der Deutschen in diesem Land. Letztere sahen in Persien vor allem einen potentiellen Verbündeten gegen England und Rußland, den man mittels eines durch Revolutionierung erreichten Regimewechsels zum Kriegseintritt auf seiten der Mittelmächte bewegen müsse. Die österreichischen Pläne bezüglich Persiens wirken dagegen erheblich imperialistischer als alles, was von deutscher Seite mit Blick auf dieses Land jemals formuliert worden war. Es ist bei der Betrachtung der österreichisch-ungarischen Tätigkeit im Osmanischen Reich darüber hinaus ausgesprochen auffällig, wie effektiv die Österreicher ihre im Vergleich zu Deutschland geringen Ressourcen einzusetzen verstanden. Während die Deutschen sich für ihre Propaganda auf die umfangreiche Organisation der Nachrichtenstelle für den Orient, der von dieser getragenen Nachrichtensäle und die Präsenz deutscher Beamter in der osmanischen Verwaltung stützen konnten, verfügten die Österreicher letztlich nur über das Büro des Presse- und Propagandaoffiziers beim Militärbeauftragten. Dieses war mit sechs Offizieren besetzt und beschäftigte darüber hinaus eine geringe Anzahl an freiberuflichen Mitarbeitern. Allerdings machte dieses Personal durch konzeptionelle Stärke wett, was an Arbeitskraft fehlte. Die konsequente Sympathiewerbung unter den Eliten erzielte – obwohl die Wirkung von Propaganda immer ausgesprochen schwer zu bewerten ist – offenbar erhebliche Erfolge. Das zeigte sich darin, daß etwa Gastspiele österreichischer Ensembles immer wieder verlängert wurden, weil sie für lange Zeiträume ausverkauft waren. Die Einnahmen aus der Vorführung österreichischer Filme in der Provinz machten das Projekt finanziell selbsttragend und ermöglichten gar die Einrichtung eines festen österreichisch-ungarischen Kinos in Damaskus. Durch eine Kombination von Bestechung und Sympathiewerbung gelang es den Österreichern darüber hinaus, ihre Anliegen mittels der osmanischen Presse zu transportieren. Als wie bedrohlich die deutschen Verbündeten diese Erfolge einschätzten, zeigen die immer wieder unternommen Störmanöver, die Österreich-Ungarns Propaganda ausbremsen sollten. Nichtsdestoweniger zeigten sich Österreich-Ungarns Emissäre aber auch ausgesprochen flexibel. Wenn sich die Gelegenheit bot, nutzten sie gar die Möglichkeit, über deutsche Kanäle Propaganda für ihr Land zu betreiben. So lag 8 Vgl. auch Pomiankowski: Zusammenbruch, S. 263–268, S. 319–326.
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beispielsweise in den Nachrichtensälen der Nachrichtenstelle für den Orient auch österreichisch-ungarisches Material aus. Letztendlich aber bleibt als wichtigste Erkenntnis von all dem festzuhalten: Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei verloren zwar den Krieg, doch markiert das Jahr 1918 keineswegs das Ende der Wirkung ihrer Tätigkeit im Orient während der Jahre der großen Auseinandersetzung. Die Karten im Spiel um Einfluß im Nahen und Mittleren Osten wurden zwar neu gemischt, und die beiden Staaten gehörten fortan nicht mehr zu den aktiven Spielern. Jedoch dürfte das deutsche Konzept der Revolutionierung maßgeblich dazu beigetragen haben, daß sich etwa Afghanen, Perser und Ägypter durch das deutsche Werben um ihre Unterstützung ihrer eigenen Kraft bewußter wurden. Dies wiederum bedeutete auf mittlere Sicht eine tödliche Gefahr für die Existenz des britischen Weltreiches. In gewisser Hinsicht ist es also durchaus berechtigt zu formulieren, daß die asymmetrischen Aktionen der Mittelmächte im Orient nicht nur eine außerordentlich begrenzte imperialistische Natur besaßen, sondern daß sie im Gegenteil sogar eine – so allerdings nicht ursprünglich angestrebte – antiimperialistische Wirkung hatten. Für die Teilerfolge Österreichs und Deutschlands im Orient und das Scheitern beim Erreichen des Maximalziels auf diesem Kriegsschauplatz gilt aber letztlich, was Friedrich von Rabenau einst über den Ersten Weltkrieg insgesamt geschrieben hat: „Die Begrenztheit der Kräfte der Mittelmächte gegenüber den unerschöpflichen Kraftquellen der ganzen Welt ließ nur eine Kriegführung zu, die nicht das Beste erreichen, sondern nur das Mögliche durchsetzen konnte.“9
9 Rabenau: Seeckt, Band II, S. 12.
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Personenregister ‘Abbās H. ilmī 57, 58, 73, 92, 101, 121f. Abdulhamid II. 15, 41, 149, 205, 228, 313 ‘Abd ar-Rah.mān (Herrscher von Afghanistan) 250 Aehrenthal, Alois Graf 97f. Amānollāh (Herrscher von Afghanistan) 261 Asquith, Herbert 22 Bánffy, Nikolaus Graf 177 Bauer, Johannes 170 Becker, Carl Heinrich 204 Bendiner, E. F. 151f., 155, Bendzsel, Adelbert 144 Berchtold, Leopold Graf von 102 Bernstorff, Johann Heinrich Graf von 95 Bethmann Hollweg, Theobald von 50, 62, 91 Bopp, Arthur 284, 287 Bismarck, Otto von 14, 158 Blond, Kasper 278 Brasch, Ernst Otto 59f. Bronsart von Schellendorf, Friedrich 21, 111, 266 Cassirer, Paul 13 Cavell, Edith 44 Cemal Pascha 19, 41, 62f., 78f., 136, 190, 195, 232, 234, 241, 248, Churchill, Winston 22, 277 Clayton, Gilbert 225f. Conrad von Hötzendorf, Franz 47 Consten, Hermann 252 Cromer, Evelyn Baring (= Sir Evelyn Baring) 215f., 231 Czernin, Ottokar Graf 162 Delcassé, Théophile 217 Dawkins, Richard 43 Dandini de Sylva, Alois Conte 108 de Mare, Nils 266 Deutsch, Josef 142f.
Eisner-Bubna, Oberst 127, 145 Enver Pascha 19, 41, 48f., 61f., 67, 73f., 78–80, 88, 90, 111, 180, 195f., 230, 237, 242, 244f., 248, 251–253, 266, 279 Erzberger, Matthias 49, 81f., 160–166, 174, 201f., 301, Falkenhayn, Erich von 29, 51, 95, 148, 252, 290, 301f., 309, Fays.al ibn H. usayn 88–91, 115f., 234 Fischer, Fritz 17, 30–32, 311, 316 Fleischer, Gottlieb 251 Franz-Josef I. 25 Frobenius, Leo 236–240, 247f., 315 Georg I., König von Griechenland 228 Gleich, Gerold von 228, 263, 302 Goldschmid, Isidor 134f., 145f. Goltz, Colmar Freiherr von der 21, 93, 229, 266, 278, 280f., 284, 287, 289, 302 Gondos, Georg 66–70, 105, 314 Gaul, August 13 Graham, Ronald 54–56, 72f. Grey, Edward 73, 214, 221, 286, 304 Griesinger, Walter 272, 276 H. abībollāh (Herrscher von Afghanistan) 254, 261 Hindenburg, Paul von 23, 29, 40, 153, 229, 264 Heiner, Georg 282f. Helle, Alfred Ritter zur (= Ahmed Nuri Pascha) 41 Heller, Wolfgang 267–270, 300 Hentig, Werner Otto von 253f., 256f., 276, Hilgendorf, Kapitänleutnant 63 Hirtzel, Arthur 219f. Hofer, Norbert 159 Hogarth, David 43
338 | Personenregister
Holderness, Thomas 219f. Hubert Salvator, Erzherzog 173 Hurgronje, Snouk 204 H. usayn ibn ‘Alī, Scherif von Mekka 88–91, 231, 233 Ihsan, Ahmed 137f. Izzet Pascha 23 Jäckh, Ernst 131, 175, 200–204, Jagow, Gottlieb von 57f. Jünger, Ernst 204 Kanitz, Georg Graf von 272, 275, 280– 284, 288, 292, 300, 308, 316 Kamerlander, Agnellus 170 Karl I. 26, 139, 183–185, Kastriner, Samuel 80, 105–107, 195f. Kazvini, Fatih Ali 295 Kitchener, Horatio Herbert 37, 54, 71 Klein, Hauptmann 70, 255, 270 Kolowrat, Alexander 145 Krenger, Alois 147f. Kreß von Kressenstein, Friedrich 49, 51, 62–65, 68f., 85, 106, 233f., 245, 249 Kühlmann, Richard von 162, 230, 239f., 254, 263, 311
Markt, Sebastian 170 Marling, Charles 258, 276, 281–283, 298 Mata Hari 44 Max, Erzherzog 181 Mecklenburg, Adolf Friedrich Herzog von 240f., 288f. Morgenthau, Henry 21 Moritz, Bernhard 232–235 Mors, Otto 73f. Musil, Alois 28, 69, 160, 173, 241–246, 315 Nadolny, Rudolf 211f., 236, 239, 252, 257f., 264, 270–275, 284, 289, 290– 292, 300 Neufeld, Carl 246–249 Nicolai, Walter 34, 38, 75f., 92f., 125 Niedermayer, Oskar von 70, 251f., 254– 260, 270–272, 280, 291–294, 301f. Niz. ām as-Sult.āneh 283, 288f. Nūrī Šalān 114, 244f. Oliphant, Lancelot 54, 74, 215, 218, 258, 277, 291, 305, 306 Oppenheim, Freiherr Max von 87–92, 148, 187–190, 196–199, 206f., 210f., 213, 229, 234, 264f., 269, 305f.
Lauffer, Fritz 65 Lawrence, Thomas Edward („Lawrence von Arabien“) 29, 43, 66, 231f., 293f., 306–311 Leipzig, Erich von 266 Liman von Sanders, Otto 16f., 21, 34, 49, 68, 77, 149, 202, 244f., 264, 266, 309 Lloyd George, David 22 Löytved-Hardegg, Julius 78, 106, 190, 195 Logothetti, Johnnes Nepomuk Graf 266– 269, 282f. Lossow, Otto von 279, 285 Ludendorff, Erich 91, 187
Papen, Franz von 309 Pallavicini, János Markgraf von 102f., 165–168, 175–179, 182 Paschen, Peter 272, 291 Pirie-Gordon, Charles 43 Pietschmann 48f. Pistor, Erich 175f., Pomiankowski, Joseph 48, 60f., 66–69, 103f., 110–112, 117f., 128f., 135–139, 142–145, 149, 156, 185f., 195, 245, 318 Prüfer, Curt 50, 61–65, 71, 74, 83–85, 93, 299, 311
MacMahon, Henry 217, 221f. Mader, Linus 170 Mallat, Louis 214f.
Ranzi, k.u.k. Generalkonsul in Damaskus 78, 114–116, Rauf Bey 255f., 270
Personenregister | 339
Reuß, Heinrich XXXI. Prinz von 266f., 269, 270, 281–284 Roberts, William 22 Rohloff, Max 235f. Ronge, Max 96, 98 Saladin 15 Salm-Reifferscheid, Fürst 163 Schabinger Freiherr von Schowingen, Karl Emil 188 Schmidt, Rochus 241 Schnee, Heinrich Albert 207–209 Schrecker, Karl 128–136, 138–142, 147– 150, 152f., 155–157, 182–186, Schünemann, Max 271 Schwarz, Josef 154 Schwarz, Paul 49 Schwarz, Remigius 170 Seeckt, Hans von 184, 271 Seiler, Eduard 272, 290f. Simon, Paul 68 Slatin, Rudolf Carl Freiherr von (= Slatin Pascha) 52, 72 Storrs, Ronald 37, 55, 66, 310 Stotzingen, Othmar Freiherr von 246–249
Stresemann, Gustav 199, 202 Sykes, Mark 305 Sykes, Percy 286f., 293 Talat Pascha 19f., 41, 81, 95 Tisza, István Graf 177 Tzschirner-Tzischirne, Hans-Erich von 300 Vassel, Philipp 284, 287f., 299f. Versen, Friedrich von 252 Wangenheim, Hans von 77–79, 88, 195, 237, 239, 251f., 254, 273, 275, 279 Waßmuß, Wilhelm 252, 254, 263–265, 269, 272, 274–266, 289, 291–294 Wesendonk, Otto Günther von 230, 264 Wilhelm II. 15, 30, 33, 140, 182f., 185, 240, 263 Wingate, Reginald 304 Wolf-Metternich, Paul Graf 80f., 209 Wrisberg, Ernst von 148 Zimmermann, Arthur 58, 180, 211 Zugmayer, Erich 272, 274, 276, 291
EIN PROJEKT DER ÖSTERREICHISCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT
RUPERT KLIEBER JÜDISCHE | CHRISTLICHE | MUSLIMISCHE
LEBENSWELTEN DER DONAUMONARCHIE 1848–1918
Die Habsburgermonarchie war nicht nur ein Vielvölkerstaat, sondern auch ein multireligiöses Reich. Das Buch betrachtet ihre fünf großen „Konfessionsfamilien“ (ostkirchliche, katholische und evangelische Christen, Juden und Muslime) erstmals vergleichend aus „lebensweltlicher“ Perspektive: Wie stark haben ihre kulturellen und spirituellen Impulse den Alltag der Betroffenen geprägt? Inwieweit haben ihre Normen deren Lebens-Chancen gefördert oder beeinträchtigt? Die Religionsgemeinschaften der Monarchie standen auf einem starken Fundament aus volksreligiösen Vorstellungen und Praktiken, die in kreativer Wechselwirkung zu ihren offiziellen Positionen standen. Die zunehmend religionskritische Zeit zwang sie, neue Vorkehrungen für ein „Leben mit dem Glauben“ zu treffen: für Gottesdienste, religiöse Lebensgestaltung, soziale Hilfe, die Formung der Kinder zu sorgen. Sie kreierten dafür oft recht ähnliche Modelle. Die Monarchie hat mehr als andere Großmächte auf die „religiöse Karte“ gesetzt: Gezielte Förderung sollte die Konfessionen zu Stützen der Gesellschaft machen, was nur teilweise gelang. Sie blieben jedoch „Sinnprovinzen“: Ohne sie wären ihre Länder kulturell ärmer und sozial kälter gewesen; und sie hätten unter den überhitzten Nationalismen der Zeit wohl noch mehr gelitten, als dies ohnehin der Fall war. 2010. GB. MIT SU. 294 S. 58 S/W- & 17 FARB. ABB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-205-78384-8
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Heinrich Berger, Mel anie Dejnega , Regina Fritz, Alex ander Prenninger (Hg.)
Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen Festschrift für Gerhard Botz
Das 20. Jahrhundert war eine Epoche von Kriegen, autoritären Systemen und extremer Gewalt. Gleichzeitig war es aber auch eine Epoche regional langer Friedenszeiten, fortschreitender Demokratisierung sowie der Ächtung von Gewalt. Der Band versammelt Studien zur Machtausübung und Gewalterfahrung im 20. Jahrhundert und deren öffentliche bzw. wissenschaftliche Rezeption. Der Fokus des Bandes liegt auf der österreichischen Zeitgeschichte, daneben ermöglichen Beiträge zu Entwicklungen in anderen europäischen Staaten auch eine vergleichende Perspektive. Die großen Themen des 20. Jahrhunderts werden mit historischen, aber auch mit sozial- und kulturwissenschaftlicher Methoden erschlossen. 2011. 773 S. zahlr. Abb. u. Tab. Gb. 170 x 240 mm. ISBN 978-3-205-78725-9
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Helmut Konr ad, Gerhard Botz, Stefan K arner, Siegfried Mattl (Hg.)
Terror und Geschichte Veröffentlichungen des Cluster Geschichte der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, Band 2
Krieg und Gewalt prägten die Entwicklung Europas und der Welt im 20. Jahrhundert ganz wesentlich. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei der Umgang mit dem Erlebten und Erzählten ein, stellen Traumatisierungen von einzelnen Personen und ganzen Gruppen Gesellschaften doch immer wieder vor Herausforderungen – in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart. In diesem Band präsentieren nicht nur HistorikerInnen, sondern auch PolitikwissenschafterInnen, PsychologInnen und VertreterInnen anderer Fächer Ergebnisse aktueller Forschungen. Darin werden nicht nur Gewalt- und Terrorerfahrungen thematisiert, die durch die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts verursacht wurden, sondern viele unterschiedliche Formen des Terrors, etwa im Umfeld der Revolution in Ungarn 1919, in NS-Konzentrationslagern, in der Sowjetunion oder im Kambodscha der Roten Khmer. 2012. 265 S. 40 s/w-Abb. Br. 170 x 240 mm. ISBN 978-3-205-78559-0
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Hannes Leidinger, Verena Moritz
Der Erste Weltkrieg
Die Autoren stellen den Ersten Weltkrieg im Überblick dar, aus der Sicht der „Feldherrn und Könige“ und dem Blickwinkel des „kleinen Mannes“. Sie beleuchten die militärische wie die zivile Seite des „großen Waffengangs“ und erfassen ihn in seinen globalen Zusammenhängen, Vorbedingungen und Folgewirkungen. 2011. 119 S. Br. 120 x 185 mm. ISBN 978-3-8252-3489-8
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WOLFDIETER BIHL
DER ERSTE WELTKRIEG 1914–1918 CHRONIK – DATEN – FAK TEN
Der Erste Weltkrieg, „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, hat rund 10 Millionen Kriegstote gefordert. In der knapp gefassten Monografie werden übersichtlich innen- und außenpolitische, militärische, sozioökonomische, psychologische, mentalitäts- und kulturgeschichtliche Aspekte dargestellt. Berücksichtigt werden auch alle Fronten inklusive des See- und Luftkrieges sowie die innere Lage aller kriegsführenden Staaten zwischen 1914 bis 1918.
der autor Em. Univ.-Prof. Dr. Wolfdieter Bihl, geb.1937, ist emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und war langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte an der Universität Wien.
2010. 351 S. BR. 8 FARB. KARTEN 135 X 210 MM. ISBN 978-3-205-78379-4
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