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German Pages 396 Year 2014
Wiebke Bobeth-Neumann Karriere »Grundschulleitung«
Theorie Bilden | Band 31
Editorial Die Universität ist traditionell der hervorragende Ort für Theoriebildung. Ohne diese können weder Forschung noch Lehre ihre Funktionen und die in sie gesetzten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen. Zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung besteht ein unlösbares Band. Auf diesen Zusammenhang soll die Schriftenreihe Theorie Bilden wieder aufmerksam machen in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden. Der Zusammenhang von Theorie und Bildung ist in besonderem Maße für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung, da Bildung nicht nur einer ihrer zentralen theoretischen Gegenstände, sondern zugleich auch eine ihrer praktischen Aufgaben ist. In ihr verbindet sich daher die Bildung von Theorien mit der Aufgabe, die Studierenden zur Theoriebildung zu befähigen. Die Reihe Theorie Bilden ist ein Forum für theoretisch ausgerichtete Ergebnisse aus Forschung und Lehre, die das Profil des Faches Erziehungswissenschaft, seine bildungstheoretische Besonderheit im Schnittfeld zu den Fachdidaktiken, aber auch transdisziplinäre Ansätze dokumentieren. Die Reihe wird herausgegeben von Hannelore Faulstich-Wieland, HansChristoph Koller, Karl-Josef Pazzini und Michael Wimmer, im Auftrag der erziehungswissenschaftlichen Fachbereiche der Universität Hamburg.
Wiebke Bobeth-Neumann
Karriere »Grundschulleitung« Über den Einfluss des Geschlechts beim beruflichen Aufstieg ins Schulleitungsamt
Für meine Mutter, Almut Bobeth, und meinen Mann, Aaron D. Neumann
Die Publikationskosten wurden gefördert durch die Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung D-53894 Mechernich, www.gerda-weiler-stiftung.de
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Inhalt
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Einleitung und Fragestellung | 9
Berufsfeld Grundschule | 19 2.1 Entwicklung der Grundschulen | 20 2.2 Geschlechterverhältnisse im Lehr- und Schulleitungsberuf | 29 2
Karrierewege im Berufsfeld Grundschule | 35 3.1 Der Karriereweg ins Schulleitungsamt als Statuspassage | 35 3.2 Rekrutierungspraxis und Aufgaben von Schulleitungen an schleswig-holsteinischen Grundschulen | 42 3.3 Professionalisierungsentwicklungen des Berufsbildes Schulleitung | 49 3.4 Qualifizierung von Schulleiterinnen und Schulleitern in Schleswig-Holstein | 57 3.4.1 Fortbildungsangebot „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ | 59 3.4.2 Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ | 60 3.4.3 Zusammenfassende Betrachtung der Qualifizierungssituation | 62 3
4.1 4.2 4.3 4.4
Forschungsüberblick und theoretische Rahmung | 67 Stand der Forschung zu Schulleitung und Geschlecht | 67 Das Denkmodell Bourdieus | 88 Die Rahmenanalyse Goffmans | 100 Der erkenntnistheoretische Rahmen in Bezug auf die Konsequenzen für die Arbeit | 106
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Empirisches Vorgehen | 111
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5.1 Vorstellung und Durchführung des empirischen Forschungsprozesses | 111 5.2 Zwischen Reifizierung und Ignorierung von Geschlechterdifferenzen | 114 5.3 Methodisches Vorgehen bei der Datenerhebung | 116 5.3.1 Interviews | 117 5.3.2 Teilnehmende Beobachtung | 122 5.4 Datenauswertung mit der dokumentarischen Methode | 131
Einführung ins Forschungsfeld | 145 6.1 Einführung ins Feld: Präsenzveranstaltung des Studienganges „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ | 145 6.2 Einführung ins Feld: zwei Module des „Trainings zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ | 160 6
Sinngenetische Typenbildung | 173 7.1 Typus „risikoloses Probehandeln“ | 177 7.1.1 Situativer Kontext: „Ich glaub, ich bin so ein bisschen Mami so im Kollegium“ | 178 7.1.2 Interaktion: „Schulmanagement, das klingt ja auch so, will die jetzt Schulleiterin werden, dreht die jetzt ganz ab?“ | 186 7.1.3 Intention: „Ich glaube, man kann auch ganz viel im Kleinen bewegen“ | 195 7.1.4 Konsequenzziehung: „nicht so vordergründig ist, dass das unbedingt nächstes Jahr passieren muss“ | 201 7.1.5 Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension am Beispiel der Probandin Krug | 203 7.2 Typus „Abgrenzungsneigung“ | 209 7.2.1 Situativer Kontext: „das ist mein Arbeitsplatz und nicht mein Wohnzimmer“ | 210 7.2.2 Interaktion: „Ich hab’ das nie irgendwie verheimlicht“ | 223 7.2.3 Intention und Konsequenzziehung: „Wenn sich irgendeine Schule ergibt […], bewerbe ich mich auch jetzt schon während des Studiums“ | 233 7.2.4 Konsequenzziehung Herr Lohse: „Ich glaube, dass das für viele Kollegen ein Problem sein wird mit der Akzeptanz von extrem jungen Schulleitern“ | 236 7.3 Typus „Bestätigungsbedürfnis“ | 240 7.3.1 Situativer Kontext: „hab mir meinen Stand so erarbeitet, dass ich auch mal gefragt werde“ | 240 7.3.2 Interaktion: „Und da sagten alle: Das wär Klasse, wenn du Schulleiter wirst“ | 247 7.3.3 Intention: „Also nee, wenn die sich gegen mich entscheiden, dann hab’ ich keine Lust mehr“ | 252 7.3.4 Konsequenzziehung: „Ich bin nicht bereit, alles dafür aufzugeben“ | 258 7.3.5 Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension am Beispiel der Probanden Basting und Hagen | 260 7
7.4 Typus „handelnder Positionsanstieg“ | 265 7.4.1 Situativer Kontext: „es hat sich irgendwie gezeigt, dass ich irgendwie Interesse hab, so mitzumischen und mitzuentscheiden“ | 266 7.4.2 Interaktion: „Ich hab das Kollegium ganz offen und ehrlich gefragt: Könntet ihr euch das vorstellen?“ | 274 7.4.3 Intention: „Ich bin ja jetzt jemand anders“ | 281 7.4.4 Konsequenzziehung: „Aber jetzt wollte ich das durchziehen“ | 287 7.5 Zusammenfassung | 295 Soziogenetische Analyse | 305 8.1 Statuspassage und Konstruktion von Männlichkeit | 306 8.1.1 Vergeschlechtlichung der Arbeitsfelder „Grundschullehrer“ und „Schulleiter“ | 307 8.1.2 Eminenter geschlechtshomogener Ermutigungserhalt männlicher Lehrkräfte | 315 8.1.3 Hohe Bewerbungsquantität | 322 8.1.4 Heruntermodulation des Stellenwerts von Ermutigung und Bestätigung bzw. soziale Distanzierung a posteriori | 324 8.1.5 Zwischenfazit | 330 8.2 Statuspassage und Konstruktion von Weiblichkeit | 332 8.2.1 Ausbleibende Ermutigung junger Grundschullehrerinnen | 333 8.2.2 Restriktive Ausgangspositionierung | 339 8.2.3 Qualifizierungssackgasse | 346 8.2.4 Variantenvielfalt von Offenlegungstaktiken | 350 8.2.5 Zwischenfazit | 355 8
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Resümee | 361
Literaturverzeichnis | 371
1. Einleitung und Fragestellung
Hi zusammen, […] Ich mache gerne was mit Kindern, egal ob junge oder älter. Daher bin ich gerade echt am Überlegen, ob für mich nicht sogar das Grundschullehramt in Frage käme. Würde dann Englisch und das Mathe/ naturwissenschaftliche Profil nehmen. Mit dem ich mich gestern unterhalten habe, meinte man kann auch als Mann schneller Konrektor oder Rektor an einer Grundschule werden...meint ihr da ist was dran? Und generell wie sieht es mit Männern als Grundschullehrer aus? Früher war das ja eher so, wenn man als man Grundschullehrer war, dann war man irgendwie nicht so hoch angesehen wie jemand am Gymnasium...ist da was dran? 1
Danke für eure Einschätzung.
So schreibt PhilS3012 am 16.05.2012 auf studis-online.de. Was veranlasst Phil zu diesem Internetbeitrag? Nach eigenen Angaben hat Phil Interesse an der Arbeit mit Kindern. Dies bewegt ihn dazu, die Aufnahme des Studiums für das Grundschullehramt zu erwägen. Wenngleich er dieser Wahlmöglichkeit etwas skeptisch gegenübersteht, haben sich seine Pläne schon so weit konkretisiert, dass er eine bestimmte Fächerkombination ins Auge fasst. Sein Internetbeitrag fokussiert nun aber weder auf das Für und Wider der Fächerwahl noch auf Erfahrungsübermittlungen aus der Praxis von Grundschullehrkräften oder dem Erleben Studierender, sondern wird auf eine ganz andere Ebene verlagert: Die Studien- bzw. Berufswahl wird in einen Zusammenhang mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit gebracht. Doch Phil beschäftigt sich nicht nur „generell“ mit der Frage, „wie es mit Männern als Grundschullehrer aussieht“, sondern führt hinsichtlich der Passung von Geschlecht und Berufswahl zwei weitere Aspekte ins Feld: die Karrieremöglich-
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http://www.studis-online.de/Fragen-Brett/read.php?101,1160848, 03.07.2012 (orthographisch unkorrigiert übernommen)
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keiten und das Sozialprestige. So befürchtet Phil einerseits, mit seiner Studienwahl die Weichen für einen niedrigeren sozialen Status zu stellen (anders, als es beispielsweise mit der Aufnahme des Lehramtsstudiums einer anderen Schulform der Fall wäre), andererseits sieht er auch im grundschulischen Feld noch eine erlösende Hintertür: den Schulleitungsposten. Bereits vor der Entscheidung für den Studiengang diese Aufstiegsoption mitdenkend, hält er die Realisierung dieser Option infolge seiner Geschlechtszugehörigkeit für recht wahrscheinlich und kann auch bereits jetzt eine (männliche) Person ins Feld führen, die ihm dies bescheinigt. Hinsichtlich dieser Blickrichtung steht Phil nicht alleine da: Nicht nur das Alltagsempfinden, sondern auch zahlreiche Forschungen bestätigen, dass die wenigen Männer an deutschen Schulen in der Schulleitungsposition überrepräsentiert sind (vgl. Baar, 2010; Werle, 2001)2. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieses Missverhältnis an den Grundschulen, wo bisweilen ausschließlich Frauen im Kollegium arbeiten – und dies unter männlicher Leitung. „Jeder zweite Mann, der 25 Jahre im Dienst ist, wird Schulleiter“ (Koch-Priewe, 1996b, S. 179), schreibt Koch-Priewe über den Grundschulbereich. Die Gründe für diesen geschlechtssegregierten Berufsverlauf werden indes in unterschiedlichen Erklärungen gesucht. Zeigen „die Männer“ ein derart beträchtliches Streben nach Führungspositionen? Sind die Karrierebemühungen „der Frauen“ bei gleicher Qualifikation geringer? Oder sind sie gleich geringer qualifiziert für beruflichen Aufstieg im schulischen Feld? Tritt ihre Berufsorientierung vor der familiären Ausrichtung in den Hintergrund und hemmt dies etwaige Karriereambitionen? Drei Theorien zur Erklärung dieser Unter- respektive Überrepräsentanz zeigen im öffentlichen Diskurs große Beharrlichkeit und werden in der wissenschaftlichen Forschung kritisch bis ablehnend diskutiert (vgl. Brehmer, 1987; Miller, 2001; von Lutzau, 2008; Steber, 2008): Ein Erklärungsansatz fokussiert auf die speziellen weiblichen Lebensentwürfe, aufgrund derer sich Frauen seltener auf Leitungspositionen bewerben, weil sie einer familiären Ausrichtung Priorität gewähren und eine Unvereinbarkeit von beruflichem Aufstieg und mütterlicher Verantwortlichkeit antizipieren – vielfach rezipiert unter dem Schlagwort der weiblichen „Karrieredistanz“ (Steber, 2008, S. 75). Diese berufliche Zielsetzung einer Geschlechtergruppe wird dabei weder als Folge sozial konstruierter Aufteilung und Zuständigkeit für
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So wurden beispielsweise in einer quantitativen Erhebung von Werle, in der 164 Schulleitungen aller Schulformen im Saarland befragt wurden, 81,7% aller Schulen von männlichen Schulleitungen geleitet (vgl. Werle, 2001, S. 132).
1. E INLEITUNG
UND
FRAGESTELLUNG
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Arbeit und Familie noch als Resultat vorherrschender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen interpretiert. Stattdessen wird eine „natürliche“ – und bipolare – Bedürfnisausrichtung unterstellt, der die Lehrkräfte folgen. Eine zweite Blickrichtung zieht Geschlechterstereotype aus einer anderen Perspektive als Erklärung heran und rekurriert auf divergierende Fähigkeiten und Interessen, die Lehrerinnen die Arbeit mit (kleinen) Kindern bevorzugen lassen und in Lehrern den Wunsch zur Übernahme von Führungsaufgaben wecken. Diesem Ansatz zufolge werden weibliche Neigungen wie Fürsorglichkeit und ausgeprägte Beziehungsorientierung in Leitungspositionen nicht mehr befriedigt – Brehmer resümierte eine „klare Dichotomie zwischen Emotionalität und Organisationsfähigkeit“ (Brehmer, 1987, S. 124) zwischen den Geschlechtern –, weshalb die mit Schulleitung verbundenen Tätigkeiten von dieser Geschlechtergruppe als nicht anstrebenswert bewertet werden. Ein dritter Erklärungsansatz weicht von den vermeintlich spezifischen Interessensausrichtungen der Frauen ab und wendet sich von subjektiven, akteurbezogenen Begründungen zu objektiven äußeren Barrieren. Die Gründe werden in der Diskriminierung dieser Geschlechtergruppe gesehen: „Frauen werden strukturell und institutionell beim Aufstieg benachteiligt“ (Fischer, 1996, S. 179). Demzufolge begünstigen und forcieren Institutionen Berufsverläufe mit geschlechtlicher Differenzierung. Herausgearbeitet wurden solche Aufstiegsbarrieren für die Schulform Berufsschule (vgl. Forberg, 1997). Bereits dieser bruchstückhafte, kursorische Ausschnitt verdeutlicht, dass Begründungen für die Geschlechtersegregation von Berufen zuvorderst häufig auf differenztheoretischen Argumentationen basieren. Demzufolge wird zum einen von einer Dichotomie von Frauen und Männern ausgegangen und zum anderen eine Gruppenhomogenität innerhalb der jeweiligen Geschlechtergruppe postuliert. Dies führt dazu, dass a priori Geschlecht in eine die Berufswahl und den Berufsverlauf konstituierende dominante Position erhoben wird und andere, komplexere Anhaltspunkte in eine Sekundärposition rücken. All diese auf natürliche Differenz ausgerichteten Schlussfolgerungen führen die Begründungssuche zu keinem befriedigenden Ergebnis, zeigen doch Studien, dass sich die beruflichen Ziele und die Aufstiegsbereitschaft von Männern und Frauen nicht unterscheiden (vgl. Autenrieth, 1993; Geenen, 1994) und sowohl das Auftreten von Karriereambitionen als auch ein positives Verhältnis zu Macht und Einflussnahme keinesfalls nur einem Geschlecht vorbehalten ist (vgl. Winterhager-Schmid, 1997). Das Geschlecht ist demzufolge nicht das Differenzkriterium zur Erklärung der beruflichen Laufbahnentwicklung, wenn man es in Beziehung zur Karriereorientierung setzt. Auch eine Begründung basierend auf institutioneller Diskriminierung greift ins Leere, lässt sich doch der evidente pro-
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zentuale Anstieg von weiblichen Schulleitungen im grundschulischen Feld als Folge eines Überwindens struktureller Rahmenbarrieren deuten. Die Anzahl der schleswig-holsteinischen Grundschulen3, die von Schulleiterinnen geleitet werden, hat zwischen 1999 und 2009 um mehr als ein Drittel zugenommen. Dennoch kann der Blickwinkel, der Geschlecht als ein zu berücksichtigendes Kriterium mitdenkt, nicht vollends negiert werden. In einer Gesellschaft, in der die differenzformende Vergeschlechtlichung verschiedenster Bereiche so tief verwurzelt ist, dass Gildemeister und Wetterer von einem „Gleichheitstabu“ (Gildemeister/Wetterer, 1995, S. 227) sprechen, fällt der Strukturkategorie Geschlecht in einem beruflichen Feld, in dem das quantitative Ungleichgewicht zwischen Lehrern und Lehrerinnen so augenfällig ist wie an Grundschulen, ein entsprechend hoher Stellenwert zu. Wenngleich man dies kritisieren kann, ignorieren kann man es nicht. Die vorliegende Untersuchung rekonstruiert und analysiert den Weg von Grundschullehrkräften in Schleswig-Holstein ins Schulleitungsamt. Dabei greift sie den Geschlechteraspekt in Bezug auf die Frage nach der Disposition für beruflichen Aufstieg und der Art und Weise des Durchquerens der Statuspassage ins Schulleitungsamt nun in umgekehrter Reihenfolge auf. Zunächst gilt es, die Bewältigungsausrichtung der Statuspassage der befragten Lehrkräfte zu explizieren und zu analysieren. Als tertium comparationis dient dabei die Statuspassagenbewältigung sowie der Orientierungsrahmen, auf dem diese basiert – nicht die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtergruppe. Dieses Vorgehen räumt die Möglichkeit ein, eine Vielfältigkeit zu berücksichtigen, der nicht von vornherein Geschlecht übergeordnet ist. Die Praxis der Statuspassagenbewältigung soll nachvollzogen, die individuelle Verarbeitung der vorgefundenen Bedingungen offengelegt und strukturidentische Muster sollen zu sinngenetischen Typen verdichtet werden. Das Ziel besteht darin, aus der Perspektive einer offenen Herangehensweise einen Verstehensprozess zu ermöglichen, der Strukturen und Gesetzmäßigkeiten nicht vorab erwartet und in den empirischen Daten sucht, sondern induktiv aus der erforschten Praxis heraus entschlüsselt, so dass eine Antwort auf die Frage gegeben werden kann: Wie bewältigen Grundschullehrkräfte die Statuspassage ins Schulleitungsamt und welchen Einfluss haben das soziale Feld und die Positionierung der Akteure in demselbigen? Um den Ausgangspunkt all dieser Vorbedingungen und Weichenstellungen des Prozesses der Statuspassage, nämlich die habituelle Disposition der Akteure,
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Die vorliegende Arbeit fokussiert auf das Bundesland Schleswig-Holstein.
1. E INLEITUNG
UND
FRAGESTELLUNG
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herausarbeiten zu können, wird auf Bourdieus Habituskonzept als theoretisches Fundament und Denkinstrument zurückgegriffen. Hinsichtlich der praktischen Umsetzung, die das Resultat des Prädisponiert-Seins der Agierenden oder ihre individuelle Reaktion auf von außen herangetragene Erwartungen ist, dient Goffmans Rahmenanalyse als wichtiges Analyseelement. Durch die Bezugnahme auf diese beiden theoretischen Konstrukte können sowohl die inkorporierten Habitusausprägungen der aufstiegsinteressierten Grundschullehrkräfte als auch die Strukturen des grundschulischen Feldes nachvollzogen und untersucht werden. Während sich der erste empirische Hauptteil der Arbeit somit den sinngenetischen Bewältigungsformen der Statuspassage widmet, ohne bereits nach geschlechterdifferenzierenden Gemeinsamkeiten und Disparitäten zu fragen, wird die Forschungsperspektive im zweiten Hauptteil der Arbeit um die Geschlechterdimension erweitert und obige Frage somit ausgeweitet: Spielt die Geschlechtszugehörigkeit eine Rolle bei der Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt, und wenn ja, worin besteht diese Relevanz? Die eingangs unter Rückgriff auf die mediale Debatte formulierte Aussage, Geschlecht diene in einem derart asymmetrisch besetzten Feld wie dem der Grundschule als dramatisierende und strukturierende Kategorie, wird gewissermaßen einer empirischen Überprüfung unterzogen. Gefragt wird: Dient Geschlecht realiter als relevante Unterscheidungskategorie im Rahmen des beruflichen Aufstiegshandeln von Grundschullehrkräften? Wie wird Differenz konstruiert und von wem? Wird Differenz von den Agierenden durch Eigenkonstruktion oder projizierende Zuschreibungen auf andere Akteure erzeugt? Der forschende Blick richtet sich stets auf vergeschlechtlichte Handlungs- und Interpretationsmuster aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit, Geschlecht sozial zu konstruieren und den Vorgaben des vergeschlechtlichten Habitus zu folgen. An dieser Stelle greifen die Perspektiven ineinander und es gilt zu zeigen, in welcher Hinsicht die Inkorporierung der vergeschlechtlichten Seite des Habitus mit dem habituell geprägten Bewältigungsmuster der Statuspassage korrespondiert oder dieses modifiziert, um die Passung der an das jeweilige Geschlecht gerichteten Erwartungen und Anforderungen aufrecht zu erhalten. Etwaige Gendering-Prozesse werden einerseits auf Grundlage der Narrationen in den Interviews untersucht, andererseits können durch die Methodentriangulation, die neben der Befragung durch Interviews auch die teilnehmende Beobachtung inkludiert, Praktiken der Konstruktionsprozesse realiter beobachtet werden.
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Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Anschließend an dieses erste Kapitel, in welchem nun bereits das Forschungsanliegen und die Fragestellung expliziert wurden, wird im zweiten Kapitel einführend zunächst das forschungsrelevante Grundschulfeld aus verschiedenen Perspektiven näher beleuchtet. Es gilt, aktuelle Reformentwicklungen an Grundschulen vor der Hintergrundfolie des Bundeslandes Schleswig-Holstein kurz aufzugreifen, um einen Einblick in den gegenwärtigen Situationszusammenhang zu gewähren, innerhalb dessen sich Schulleitungshandeln in dem hier fokussierten Bundesland vollzieht. An die sachbezogenen Vorbedingungen anknüpfend wird der personelle IstZustand resümiert, indem die Verteilung des Geschlechterverhältnisses schleswig-holsteinischer Grundschullehrkräfte und Schulleitungen abgebildet wird. Das dritte Kapitel fokussiert zunächst auf die begriffliche Klärung der in dieser Untersuchung relevanten Termini „Karriere“ und „Statuspassage“. Anschließend findet eine Konkretisierung des Karriereweges ins Schulleitungsamt einer Grundschule statt. Dafür ist es erforderlich, sich die Rekrutierungspraxis von Schulleitungen, ihre schulgesetzlich festgeschriebenen Aufgabenbereiche sowie die Qualifizierungsmöglichkeiten, die der Ausübung dieser Berufstätigkeit zugrunde liegen, zu verdeutlichen. Auch ein Blick auf Professionalisierungsentwicklungen des Berufsbildes Schulleitung ist elementar, um an späterer Stelle die inhaltlichen Ausrichtungen der Qualifizierungsmaßnahmen kontextualisieren zu können. Hier entfaltet sich aus theoretischer Blickrichtung bereits die Frage nach der Notwendigkeit des Ausbaus einer Amtsvorbereitung, respektive danach, ob spezielle Qualifizierung überhaupt vonnöten sei. Der empirische Teil dieser Arbeit wird zeigen, dass auch unter den „Praktiker/innen des Feldes“ dieser Diskurs stetig und kontrovers aufgeworfen wird. Der Qualifizierungssituation im Bundesland Schleswig-Holstein wird vor dem Hintergrund der Fragestellung ein essentieller breiter Darstellungsraum zugestanden, da mit der Wahl der Qualifizierungsmaßnahme ein wichtiger – mitunter sogar der erste – Schritt innerhalb der Statuspassage getätigt wird. So werden der Anordnung der Abschnitte dieses Kapitels gemäß, die einer schrittweisen Konkretisierung von allgemeineren Aspekten des Schulleitungsberufes zu der speziellen Qualifizierungssituation folgt, abschließend der Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ und das Fortbildungsangebot „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ vorgestellt. Bei diesen beiden Angeboten handelt es sich um die wesentlichen Elemente des aktuellen Schulleitungs-Qualifizierungsspektrums in Schleswig-Holstein. Im vierten Kapitel finden sich ein Überblick und eine kritische Betrachtung des Forschungsstandes zu Schulleitung und Geschlecht bei gleichzeitigen Verweisen auf empirisch offene Fragen. Dies dient der Abgrenzung der hier vorlie-
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UND
FRAGESTELLUNG
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genden Forschungsperspektive zu bereits bestehenden Studien. Herangezogen werden in dieser Zusammenstellung nur Untersuchungen, die in ihrer Betrachtung von Schulleitungshandeln und Schulleitungswerden auch (oder ausschließlich) das grundschulische Feld berücksichtigen. Die Frage, ob und wie die einzelnen Studien die Aspekte Geschlecht und Schulleitungstätigkeit miteinander verzahnen, wird besonders in Augenschein genommen. Nachfolgend wird die theoretische Konzeption dargelegt, der im Rahmen der vorliegenden qualitativen Untersuchung die Funktion zukommt die empirisch herausgearbeiteten Erkenntnisse auf ein tragfähiges theoretisches Fundament zu stellen und ein Instrumentarium für deren Analyse zu bieten. Den Ausgangspunkt dieser Ausführungen bildet eine Zusammenfassung von Bourdieus Sozialtheorie unter Fokussierung auf die hier besonders tauglichen Begriffe Habitus, soziales Feld, Kapital und symbolische Macht. Mit dem letztgenannten Begriff deutet sich bereits die Nutzbarmachung von Bourdieus Analyseinstrument für die kritische Prüfung von Geschlecht als eventueller Ordnungskategorie an, da „symbolisch“ die subtile Wirkung eines nicht mehr hinterfragten und als natürlich empfundenen (Geschlechter-)Arrangements meint. Die Explikation der theoretischen Basis wird mit einer Darstellung von Goffmans Rahmenanalyse fortgeführt, aus deren Kontext für die Bearbeitung des vorliegenden Forschungsmaterials vorwiegend die Begriffe Rahmung und Rahmenmodulationen, Person und Rolle, Fassade, Bühnenbild und sozialer Anlass akzentuiert werden. Das vierte Kapitel schließt mit einer Erläuterung zum Nutzen des kooperativen Zusammenwirkens beider soziologischen Modelle für diese Arbeit. Zudem wird die Fragestellung unter Hinzuziehung dieses begrifflich-theoretischen Fundaments reformuliert. Mit der Entfaltung der theoretischen Verortung ist die Basis geschaffen, den Blick hin zum empirischen Vorgehen zu wenden. Dies geschieht im fünften Kapitel zunächst durch die Offenlegung der methodischen und methodologischen Überlegungen der Konzeption dieses qualitativen Forschungsdesigns. Die Struktur des Samples und der verwendete Interviewleitfaden werden dabei ebenso beschrieben wie die beachtenswerten Besonderheiten der Erhebungsmethoden qualitative Leitfadeninterviews und teilnehmende Beobachtung. Anschließend findet eine Reflexion der konkret für diese Untersuchung antizipierten Brauchbarkeit der Forschungsmethode teilnehmende Beobachtung statt. Aufgrund der höheren Kritikanfälligkeit (beispielhaft erwähnt seien die Stichworte going native, Selektivität der Beobachtung und fehlender Objektivitätsanspruch durch die Notwendigkeit der schriftlichen Übersetzung von Beobachtetem) und selteneren – wenngleich zunehmenden – Verwendung dieser Forschungsmethode erscheint dies geboten und aufschlussreich. Das fünfte Kapitel schließt mit der Präzisie-
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rung des Auswertungsvorgehens nach der dokumentarischen Methode, dessen Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit durch die Analyse beispielhafter Interviewsequenzen gesteigert werden soll. Mit dem sechsten Kapitel beginnt die Darstellung der empirischen Ergebnisse. Zunächst steht in diesem Kapitel eine analysierende Nachzeichnung der beobachteten Qualifizierungsmaßnahmen „Masterstudium für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ und „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ im Mittelpunkt. Es handelt sich dabei um die beiden Orte, an denen sich die hier untersuchte Statuspassage maßgeblich vollzieht. Dabei können das ins jeweilige Fortbildungsfeld einführende Procedere, die inhaltliche Zielausrichtung sowie Interaktionen unter leitenden und teilnehmenden Personen dokumentiert und unter Hinzuziehung der theoretischen Konzepte untersucht werden. Ziel ist, der Leserin bzw. dem Leser zum einen das Feld aus einer praxisnahen Binnenperspektive nahezubringen und Differenzen in den Inszenierungsformen beider Qualifizierungsangebote herauszuarbeiten. Zum anderen kann hier bereits eine Nähe zu dem Kreis der Erforschten – aufstiegsinteressierten Grundschullehrkräften – hergestellt und durch diesen Vorab-Eindruck in die Typologie übergeleitet werden. Beobachtete Prozesse des doing gender werden in diesem Kapitel noch weitestgehend analytisch ausgeklammert und erst an späterer Stelle erneut aufgegriffen. Aus der Perspektive der Bewältigung der Statuspassage sowohl hinsichtlich praktischer Handlungen als auch inkorporierter Orientierungen wendet sich das siebte Kapitel dem untersuchten Sample zu, Grundschullehrerinnen und -lehrern, die sich die Übernahme einer Schulleitungsposition zum Ziel gesetzt und infolgedessen bereits eine Qualifizierungsmaßnahme begonnen haben oder die bereits kurze Zeit im Schulleitungsamt agieren. Resultierend aus den jeweiligen Dominanten ihrer habituell geprägten Orientierungsmuster, die ihre Statuspassage formen, ergaben sich vier sinngenetische Bewältigungstypen: „risikoloses Probehandeln“, „Abgrenzungsneigung“, „Bestätigungsbedürfnis“ und „handelnder Positionsanstieg“. Fokussiert wird bei der jeweiligen Typendarstellung auf den situativen Kontext, innerhalb dessen sich die Proband/innen bewegen, auf ihre Interaktionen und Intentionen sowie auf die aus Handlungs- und Bewertungsausrichtung folgende Konsequenzziehung der befragten und beobachteten Personen. Mit Bourdieus theoretisch fundiertem Vokabular können die unterschiedlichen Kapitalstrukturen und die Feldpositionen der aufstiegsinteressierten Lehrkräfte herausgearbeitet werden. Zudem kann nach der habituellen Prägung gefragt werden, die den praktischen Erscheinungsformen und deren – im goffmanschen Sprachgebrauch – Rahmengebung zugrunde liegt. Mit Goffman können ferner das Publikum – hier verstanden als Kollegium und Vorgesetzte – und dessen Re-
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FRAGESTELLUNG
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aktionen auf Aufstiegsaspiration in den Blick genommen werden, so dass das Durchlaufen der Statuspassage nicht lediglich als Akt einzelner Personen, sondern unter Berücksichtigung sozialer Einbindung verstanden werden kann. Auf dem Analyseschritt der sinngenetischen Typologie, der mit einer Zusammenfassung schließt, baut die soziogenetische Analyse in Kapitel acht auf, die die unterschiedlichen Bewältigungstypen nun aus einer anderen Perspektive heraus beleuchtet: Die Frage nach dem Einfluss von Geschlecht auf die Bewältigung der Statuspassage wird gestellt. Diese Frage impliziert nicht die Suche danach, wie männliche Statuspassagen kontrastierend zu weiblichen (und umgekehrt) verlaufen, sondern ob und wie in die bereits ermittelten Orientierungen und Bewältigungsformen geschlechtliche Zuschreibungen oder geschlechtsbezogene Eigenkonstruktionen eingeschrieben sind. Die „Konstruktionsarbeit“ (Engler, 2001, S. 443), die die Lehrkräfte auf ihrem Weg ins Schulleitungsamt infolge vergeschlechtlichter Habitus und stereotypisierender Blickwinkel leisten, wird zunächst unter Bezugnahme auf die Konstruktion von Männlichkeit betrachtet. Dabei finden jedoch nicht nur Praktiken der männlichen Lehrkräfte Beachtung. Auch Reaktionen von Seiten des Feldes auf aufstiegsbereite Lehrer werden auf Gendering-Prozesse untersucht. Hieran anschließend wird auf unterschiedliche Konstruktionsprozesse fokussiert, die sich im Aufstiegshandeln von Lehrerinnen dokumentieren. Auch unter Blickrichtung auf diese Geschlechtergruppe werden geschlechtsgebundene Erwartungshaltungen des Feldes aufgedeckt und analysiert, mit denen sich die Agierenden im Prozess der Statuspassage konfrontiert sehen. Kapitel neun resümiert abschließend die Befunde der Untersuchung im Hinblick auf offengebliebene Fragen.
2. Berufsfeld Grundschule
Während die Schulentstehung in Deutschland bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, erfolgte die Implementierung der Grundschule, die nach unserem heutigen Verständnis „das Ergebnis des langen Kampfes um eine Einheitsschule war, das heißt, eine Schule für alle Kinder, unabhängig von Konfession, gesellschaftlicher Schicht und Vermögensverhältnissen der Eltern“ (Reyer, 2006, S. 14, Herv. im Original), erst 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung im Zuge einer Demokratie fordernden Stimmung im Deutschen Lehrerverein und in der Nachfolge anderer Formen der Elementar- und Volksschulen. In den zahlreichen Schulartikeln der Weimarer Reichsverfassung wurden erstmalig die Schulpflicht, Lehrmittelfreiheit und eine einheitliche Lehrerausbildung bestimmt und die Bezeichnung Grundschule1 für die ersten vier gemeinsamen Schulbesuchsjahre aller Kinder (vgl. Reyer, 2006, S. 18f.) löste die in den vorigen einhundert Jahren im nördlichen Deutschland bis dato übliche Begrifflichkeit Volksschule und im südlichen Teil die der Elementar- oder Trivialschule ab (vgl. Friederich, 1987, S. 123). Im Folgenden sollen sich nun zum Zwecke einer Kontextualisierung der Forschungsfrage, zugespitzt auf den fokussierten Forschungsbereich Grundschule und das für die vorliegende Untersuchung relevante Bundesland SchleswigHolstein, einige Ausführungen über das Berufsfeld Grundschule anschließen. Die Berücksichtigung dieser subjektunabhängigen Sachverhalte und Strukturen halte ich für essentiell, um zunächst ein Vorverständnis dafür zu schaffen, unter welchen institutionellen Bedingungen Grundschulleitungen arbeiten und mit welchen gesellschaftlichen Anforderungen sie konfrontiert werden, bevor sich im weiteren Verlauf der Fokus immer stärker auf das Handeln der Akteure rich-
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Für Ausführungen zur Historie der Gründung und Konzeption der Grundschule in ihren Entstehungsjahren siehe Reyer (2006, S. 16ff.) und Knörzer/Grass (1998, S. 9ff.).
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tet. Dieses Vorwissen ist zudem dienlich, um das soziale Feld und dessen implizite Handlungslogik, die die Basis der sozialen Praktiken bildet, zu erfassen.
2.1 E NTWICKLUNG
DER
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Grundschulen sind laut schleswig-holsteinischem Schulgesetz Schulen mit vier Jahrgangsstufen, die den Schülerinnen und Schülern „Grundlagen der Bildung und des Lernens, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem für alle Schülerinnen und Schüler gemeinsamen Bildungsgang“ (Schulgesetz, 2007, § 41, Absatz 1, S. 22) vermitteln. Die Jahrgangsstufen eins und zwei werden dabei als pädagogische Einheit unter der Bezeichnung Eingangsphase zusammengefasst. Je nach Lernentwicklung des einzelnen Kindes kann diese Eingangsphase in einem bis drei Jahren durchlaufen werden. Es obliegt der jeweiligen Grundschule, die Eingangsphase jahrgangsgemischt bzw. jahrgangskonform zu gestalten. Im Schulgesetz verankert ist darüber hinaus die Aufforderung zur Zusammenarbeit und zum Austausch zwischen Grundschulen und Kindertageseinrichtungen im Einzugsgebiet sowie umliegenden weiterführenden Schulen (Schulgesetz, 2007, § 41, Absatz 3, S. 22). Den knappen Worten des Schulgesetzes steht realiter eine Organisation gegenüber, die sich immer wieder elementaren Funktions- und Strukturfragen zu stellen hat und den Aufgaben der wachsenden Leistungsanforderungen der Gesellschaft an die schulische Arbeit entsprechen soll, ohne den pädagogischen Blick auf den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin zu verlieren. Der Beginn der Schulzeit ist im Bewusstsein von Kindern und Eltern als außerordentlich bedeutsames Ereignis verankert, welches sowohl von positiven Vorgefühlen und weitreichenden Hoffnungen als auch von negativen Befürchtungen und der Eventualität des Scheiterns begleitet wird. Folglich steht die Institution Grundschule als erste und grundlegendste Bildungsstätte für Kinder stets im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Erwartungen. Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Grundschule sind hoch: Die Lebenswelt soll den Kindern verstehbar gemacht werden, die Wissensvermittlung darf jedoch nicht auf der Stufe des Informationsinputs stagnieren, sondern soll darüber hinaus Kinder zum aktiven Mitgestalten ihres Lernprozesses anleiten. Aktuelle Entwicklungen vom gesellschaftlichen Strukturwandel über Integration und Gesundheitsförderung bis hin zur Medienkompetenz soll die Grundschule sensibel aufgreifen und sich dieser thematischen Vielfalt mit dem Anspruch, die Kinder optimal auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten, widmen. Zusehends soll und muss die Grundschule kompensatorisch erzieherisch tätig sein und sich auf die Heterogenität der Schü-
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ler/innen einstellen, soll jahrgangsübergreifend unterrichten, Stärken fördern, Schwächen erkennen und diese differenziert bearbeiten2. All diesen Vorhaben werden mit dem Ziel ihrer bestmöglichen Umsetzung verschiedenste Unterrichtskonzepte und Reformbestrebungen gegenübergestellt. So lassen zahlreiche Beiträge in der Literatur die Grundschule in einem ausgesprochen reformbereiten Licht erscheinen (vgl. Fischer, 1996; Hanke, 2006). Ramseger schlussfolgerte: „[…] wenn es in diesem Jahrhundert überhaupt eine Schulform gab, die die Weiterentwicklung der eigenen Institution und ihrer Pädagogik unbeirrt und mit großem Erfolg vorangetrieben hat, dann war es sicher zu allererst die Grundschule“ (Ramseger, 1994, S. 9). Angesichts der Komplexität der Veränderungen, der Fülle neuer Perspektiven und zum Teil kontroverser Lösungsansätze soll hier keine systematische Darstellung der Entstehung der Reformentwicklungen gegeben werden. Ein kurzes Schlaglicht auf diejenigen Veränderungen, deren Implementierung gegebenenfalls Auswirkungen auf die Bereitschaft von Grundschullehrkräften zur Übernahme des Schulleitungsamtes haben könnten, da sie die konkreten Arbeitsbedingungen für Schulleitungen verändern, dient einer Einbettung der vorliegenden Ergebnisse in einen umfänglicheren Zusammenhang. Folglich werden die Reformierungen in den Bereichen Veränderung der Schuleingangsphase, Ausbau des offenen Ganztagesschulangebotes und individuelle Differenzierung und Leistungsbewertung versus Einführung länderübergreifender Bildungsstandards als signifikant angesehen3.
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Da es jedoch zu kurz gegriffen ist, die Institution Schule nur als „Opfer“ veränderter Sozialstrukturen zu sehen, sei an dieser Stelle kurz der von Parsons geprägte Aspekt der wechselseitigen „sensitiven Interpenetration“ (Parsons, 1976, S. 78; S. 279) angesprochen, wonach sich Veränderungen nicht nur einseitig auf Institutionen auswirken, sondern diese ebenso mit ihren Wandlungen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Da weder die Normensysteme der Gesellschaft noch die der Schule statisch sind, sondern dynamischen Austauschprozessen unterliegen, ist Schule folglich zugleich Adressat als auch Adressant gesellschaftlicher Umschwünge (vgl. Parsons, 1976).
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Hanke fasst als einschneidendste Reformen an Grundschulen in den letzten Jahren die folgenden zusammen:
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Verlängerung der Grundschuldauer […], Veränderung der Gestaltung des Schuleingangsbereiches […], Einrichtung von Halbtages- und Ganztagesschulen, Verstärkung der Autonomie der Einzelschule, Schulentwicklung mit Hilfe von Verfahren der Systemsteuerung […],
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Zum Schuljahr 2007/08 wurde das Schulgesetz hinsichtlich der Schuleingangsphase reformiert. Auf Grundlage des veränderten Schulgesetzes wurden erstmals alle schulpflichtigen Kinder eingeschult (vgl. Schulgesetz, 2007, § 22, Absatz 15; Landesverordnung über Grundschulen, 2007, § 1, Absatz 3). Fortan erfolgte keine Zurückstellung mehr aufgrund von Entwicklungsverzögerungen, fehlender Kenntnis der deutschen Sprache oder vermutetem sonderpädagogischem Förderbedarf. Die dadurch weiter zunehmende Heterogenität der Schüler/innen in einem Klassenverband konnte nun noch weniger verleugnet und auch nicht länger durch potentiell homogenisierende Maßnahmen wie das Sitzenbleiben, respektive Überspringen einzelner Schüler/innen vermindert werden. Der problematisierende Blickwinkel sollte einer diese Bewandtnis als Chance interpretierenden Geisteshaltung weichen. Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule wurde zusehends gleitend gestaltet und die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule im Schulgesetz verankert. Dies sollte zur Verständigung beider Institutionen über pädagogische Konzepte, Ziele und Maßnahmen anregen zwecks deren Fortsetzung und Weiterführung in der Schule4. Die Grundschulzeit sollte mit einer im Jahr 2007 per Grundschulgesetz gere-
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veränderte Curricula […], neue Lehr- und Lernformen, neue Formen der Leistungsrückmeldung und -beurteilung […], Integration behinderter Kinder in die gemeinsame Grundschule/ Inklusion, Reflexive Koedukation, Interkulturelles Lernen, Zwei- und Mehrsprachigkeit“
(Hanke, 2006, S. 9). Eine weitere signifikante Reformierung, die jedoch unter dem Fokus auf die Arbeitsbedingungen von Schulleitungen eine nachrangige Rolle spielt, ist m.E. das Fremdsprachenlernen in der Primarstufe. Am 01.08.2006 trat ein Erlass in Kraft, der verfügte, dass der Englischunterricht fortan in Klassenstufe 3 und 4 im Umfang von zwei Wochenstunden verpflichtend erteilt wird (vgl. Nachrichtenblatt vom 30.05.2006, S. 110). In der Eingangsphase wird der Englischunterricht an einigen schleswig-holsteinischen Schulen in eigener Verantwortung zusätzlich zu den vorgeschriebenen Fächern und Stundentafeln erteilt. Deutschlandweit erhielten im Schuljahr 2009/2010 27% der Erstklässler und 40% der Zweitklässler Englischunterricht. Vgl. (https://www.destatis.de/ DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Schulen/Schulen.html, 05.09.2011). 4
Bereits 1970 riet die KMK zu einer Reformierung der Schuleingangsstufe, um eine Senkung des Schuleintrittsalters zu bewirken. Da verschiedene Modelle zur Debatte
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gelten und ab dem Schuljahr 2012/13 verpflichtenden jahrgangsübergreifenden Eingangsphase beginnen (vgl. Landesverordnung über Grundschulen, 2007, § 3, Absatz 3). Die Grundschulen wurden verpflichtet, der Schulkonferenz spätestens bis zum Ende des Schulhalbjahres 2011/12 ein schriftliches Konzept zur Verabschiedung vorzulegen. Wenngleich das Vorhaben des jahrgangsübergreifenden Lernens nicht grundlegend neu ist und landesweit auf freiwilliger Basis in unterschiedlichen Ausprägungen bereits erfolgreich von einigen Schulen praktiziert wurde, löste die Gesetzesvorgabe ein großes, auf konzeptioneller Unsicherheit beruhendes Weiterbildungs- und Beratungsbedürfnis aus, dem kapazitativ kaum nachgekommen werden konnte. Im Jahr 2009 wurde die gesetzlich festgeschriebene Verpflichtung zum jahrgangsübergreifenden Arbeiten durch folgenden Vermerk im Nachrichtenblatt des Ministeriums für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein in einen freiwilligen Akt revidiert: „Das Wort ‚sollen‘ wird durch das Wort ‚können‘ ersetzt“5 (Nachrichtenblatt Nr. 11/12 vom 14.12.2009, S. 341). Während einige Schulen daraufhin ihre reformatorischen Anläufe ad acta legten, wurden die Vorstöße anderer Grundschulen zu handfesten und fortan realisierten, aber sehr verschiedenartigen Konzepten ausgebaut. Im Schulgesetz findet sich keine verbindliche Konkretisierung der Gestaltung der Schuleingangsphase; das Schulgesetz legt lediglich fest, dass „die Schule […] über die Ausgestaltung der Eingangsphase“ entscheidet (Schulgesetz, 2007, § 41, Absatz 2, S. 22) und der Beschluss darüber per Schulkonferenz gefasst werden muss (Schulgesetz, 2007, § 63, Absatz 1, S. 27). Demnach obliegt es einer jeden Schulleitung, hier kooperativ mit ihrem Kollegium pädagogisch innovativ zu werden und eigene Vorstellungen umzusetzen. Eine Erweiterung des Blickfeldes auf die Anschlussschwierigkeiten, die die neustrukturierte Eingangsphase mit sich bringt, vollzieht sich zurzeit noch nicht universell. Es ist gleichwohl abzusehen, dass die Vorteile der individualisierteren und flexibleren Unterrichtsgestaltung nur dann voll zu Tage treten, wenn diese Konzeptualisierung über die ersten beiden Schuljahre hinaus fortgesetzt wird. Obwohl sich einige
standen, wurden in den darauffolgenden Jahren Erprobungsphasen durchgeführt, deren Ergebnis ein bei allen Konzepten positiver Fördereffekt war, ohne jedoch einer Variante eine Vorzugsstellung zu gewähren. So kam es ab 1980 statt einer einheitlichen Neuregelung zu einer verpflichtenden Kooperation zwischen der Grundschule und den ihr vorgelagerten Betreuungseinrichtungen (vgl. Götz, 2005, S. 82ff.). 5
Der ursprüngliche Satz lautete: „Dem pädagogischen Konzept der jeweiligen Schule entsprechend sollen insbesondere in der Eingangsphase jahrgangsübergreifende Lerngruppen gebildet werden“ (Nachrichtenblatt Nr. 6/7 vom 05.07.2007, S. 146).
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schleswig-holsteinische Grundschulen bereits daran versuchen, auch die Jahrgangsstufen 3 und 4 als pädagogische Einheit zu fassen bzw. das jahrgangsübergreifende Lernen auf ein Zusammenlegen aller vier Jahrgangsstufen auszudehnen, ist hinsichtlich dieser Fortführung noch keine flächendeckende konkrete Struktur erkennbar. Aufgrund des gesetzlichen Spielraumes liegt die Frage, ob eine pädagogische Auseinandersetzung über diese Weiterentwicklung erfolgt oder nicht, in der Hand einer jeden Grundschulleitung. Die zweite hier aufgegriffene Reform, die den Ausbau eines Ganztagesschulangebotes umfasst, lässt den Grundschulleitungen ebenso viel Freiraum in der Ausgestaltung beziehungsweise gibt ihnen ebenso wenig konkrete Konzepte vor, wie dies bei der veränderten Schuleingangsphase der Fall ist. Die Einführung der Offenen Ganztagesschulen vollzog sich sukzessive. Auf der im Jahr 2004 stattfindenden Ganztagesschulmesse in Neumünster erläuterte die damalige Ministerpräsidentin Simonis die aktuellen Bewegungen in der schleswig-holsteinischen Bildungslandschaft und stellte dar, dass 200 von 600 Grund- und Hauptschulen bereits Ganztagsangebote eingeführt hatten. Laut Schulgesetz liegt die Entscheidung darüber, ob ein Ganztagesangebot gewährt wird, bei den Schulträgern, die den Bedarf der Eltern und ihrer Kinder prüfen. Die endgültige Genehmigung erfolgt durch das Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein; anschließend können Zuschüsse und Fördermittel gewährt werden (vgl. Richtlinie zur Genehmigung von Offenen Ganztagesschulen in Schleswig-Holstein, Runderlass vom 23.11.2006, S. 3f.). Fällt die Entscheidung für eine Ganztagesschule positiv aus, muss das Angebot mindestens drei Wochentage und an diesen eine jeweilige Gesamtdauer von sieben Zeitstunden umfassen. Die Teilnahme der Schüler/innen muss grundsätzlich auf freiwilliger Basis erfolgen; lediglich Fördermaßnahmen und Hausaufgabenhilfen dürfen für einzelne Schüler/innen bindend sein (vgl. Richtlinie zur Genehmigung von Offenen Ganztagesschulen in Schleswig-Holstein, Runderlass vom 23.11.2006, S. 2). Zum Schuljahresbeginn 2009/10 gab es laut Auskunft des Statistikamtes in Kiel 80 reine Grundschulen und 27 Grund- und Regionalschulen mit einem offenen Ganztagesangebot im Lande. Darüber hinaus bestehen noch 34 gebundene Ganztagesschulen in Schleswig-Holstein in sozialen Brennpunktgebieten und an Schulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Mit der Einführung dieses Schulmodells zum Schuljahr 2010/2011 wurde das Ziel verfolgt, die Chancen von bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Dieses Vorhaben soll einen Modellcharakter für die Weiterentwicklung der bisherigen Offenen Ganztagesschulen haben und umfassend hinsichtlich der pädagogischen Konzepte evaluiert werden. Diese gebundenen Ganztagesschulen haben montags bis
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donnerstags ein achtstündiges und freitags ein fünfstündiges Angebot. Mit Ausnahme des Mittagessens ist das Angebot für die Schülerinnen und Schüler kostenfrei. Der längere Aufenthalt in der Schule erfordert andere räumliche Voraussetzungen, da auch dem Bedürfnis nach Rückzug und Bewegung stattgegeben und das Angebot um ein Mittagessen in der Schule erweitert werden muss. Auch die Möglichkeit einer längeren freiwilligen Betreuungszeit für Grundschulkinder in den späten Nachmittag hinein ist laut Schulgesetz möglich (Schulgesetz, 2007, § 6, Absatz 5, S. 10). Im Anschluss an den regulären Schulvormittag findet an vielen Schulen ein offenes Ganztagesschulangebot am Nachmittag statt. Dieses „additive Modell“ (Holtappels, 2005, S.78) fußt auf freien Wahlangeboten mit verstärkter Kooperation zwischen Schule und außerschulischen Partnern wie Vereinen und Verbänden, pädagogischem Fachpersonal und freiwilligen Kursanbietern. Die derzeitigen Ganztagesschulangebote haben vornehmlich einen freizeitlichen Charakter und es findet keine Verzahnung zwischen dem Vor- und dem Nachmittag statt. Die verlängerte Schulzeit dient dem sozialen Lernen, stärkt die Identifikation mit der eigenen Schule und fördert die Neigungen und Interessen der Schüler/innen durch Angebote, die zu ca. 80% im Freizeit- und Sportsektor zu verorten sind (vgl. Holtappels, 2006, S. 92); eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf ein verändertes Lernmilieu und eine gestiegene Förderungsintensität fällt ihr jedoch noch nicht zu. Dies lässt den Schluss zu, dass die Gestaltungsmöglichkeiten des verlängerten Schultages noch nicht bestmöglich ausgeschöpft wurden. Das Ganztagesschulkonzept erlegt Schulleitungen eine neue komplexe Anforderungsstruktur bei differenter Erwartungshaltung auf: Die möglicherweise heterogenen Anliegen der Eltern, des Schulträgers und der Lehrkräfte müssen miteinander in Einklang gebracht und ein hoher organisatorischer Aufwand sowie eine erweiterte Zusammenarbeit und Kontaktpflege mit Vereinen und Ehrenamtlichen müssen bewältigt werden. Neben Konfliktpotential für Schulleitungen, die nach Amtsübernahme ein Ganztagesschulangebot konstituieren wollen, hat diese Entwicklung auch Folgen für Schulleitungen, die Schulen mit bereits etabliertem Ganztagesschulangebot übernehmen: Die eigene Anwesenheitsverpflichtung verlängert sich in den Nachmittag hinein und erschwert womöglich die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie mit der Folge eines absinkenden Interesses von Aspirant/innen mit kleinen Kindern an der Schulleitungsübernahme. Eine letzte Reform, die hier zur Veranschaulichung der Tatsache aufgeführt wird, dass die Bereitschaft zur Ausübung des Schulleitungsamtes nicht kontextunabhängig, sondern durchaus unter Bezugnahme auf reformatorische Entwicklungen variieren kann, ist die individuelle Differenzierung und Leistungsbewertung versus Einführung länderübergreifender Bildungsstandards.
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Im Zuge der didaktischen Neuorientierung der vergangenen Jahre verminderte sich der Einsatz von klassischen Lehrwerken allmählich, da sich zunehmend die Meinung durchsetzte, dass die Aufgabe von Grundschulen nicht primär Wissensvermittlung, sondern die Anleitung der Fähigkeit zum eigenständigen, selbstorganisierten Lernen sei und das gleichschrittige Vorangehen weder aktive Lernprozesse auslösen noch diese unterstützen könne. An die Stelle der Schulbücher trat Fachunterricht im Kontext freier Arbeit. Materialien für spezifische Aufgaben werden bereitgestellt und die Schüler/innen arbeiten mit Tages- oder Wochenplänen oder erstellen – zum Teil auch fächer-, klassen- oder jahrgangsübergreifend – Projektarbeiten. Differenzierte Lernangebote ermöglichen eine individuelle Förderung. Sie motivieren leistungsstärkere Schüler/innen zum Erreichen erweiterter Ziele und geben schwächeren und langsamer lernenden Schüler/innen zusätzliche Lernzeit zum Erwerb tragfähiger Grundlagen. So zweifellos unerlässlich Differenzierungen sind und so kontinuierlich dieses Thema seit der Errichtung der für alle Schüler/innen gemeinsamen ersten Grundschule im Jahre 1920 in der pädagogischen Fachliteratur zirkuliert, ist dennoch differenzierter Unterricht bis heute nicht selbstverständlich, wie empirische Untersuchungen und die dazu publizierte Kritik erkennen lassen (vgl. Bos, 2006, S. 32; Feige, 2005, S. 433f.). Dem Blick auf den individuellen Lernfortschritt steht die Forderung nach einer konkreteren Definition der Lernziele und einer daraus resultierenden Prüfund Vergleichbarkeit der Lernergebnisse gegenüber. Die Konfrontation mit genormten Anforderungen birgt jedoch auf Seiten der Schüler/innen die Gefahr von Versagenserfahrungen, die in ein negatives Selbstbild und eine abnehmende Leistungsbereitschaft münden, und engt den Spielraum für selbstgesteuerte Lernund Arbeitsprozesse sowie die oben beschriebenen Differenzierungsbestrebungen wieder ein. Die nie abebbende Diskussion um Bewertungsverfahren, Notengebung, Zeugnisse und Schulartenempfehlung begleitet alle Neukonzeptionen der Grundschule ebenso wie die kontrovers geführte Debatte darum, ob bereits in den ersten vier Schuljahren eine Selektion auf die späteren Schulstufen hin stattfinden soll oder nicht. Ein Beschluss der KMK im Jahre 2004 legte die Einführung länderübergreifender Bildungsstandards fest6. Alle Länder verpflichteten sich dazu, diese ein-
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Bildungsstandards gelten seit Schuljahresbeginn 2004/2005 für den Mittleren Schulabschluss in den Fächern Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache. Seit 2005/2006 gibt es Bildungsstandards in ebendiesen Fächern auch für den Hauptschulabschluss. Für die Primarstufe (Ende Klassenstufe 4) sind seit Schuljahresbeginn
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zuführen, anzuwenden und an landesweiten Vergleichsarbeiten teilzunehmen. Die zentrale Aufgabe der Bildungsstandards ist eine Erhöhung der Transparenz und Verbindlichkeit der Leistungsanforderungen in den Kernfächern, aus denen hervorgeht, welche Ansprüche Schüler/innen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Bildungskarriere – zum Ende der Klassenstufe vier, zum Hauptschulabschluss bzw. zum Mittleren Schulabschluss – erfüllen müssen. Neben dieser Überprüfungsfunktion kommt den Bildungsstandards ein Entwicklungsauftrag zu, im Zuge dessen sie dazu beitragen sollen, die Qualität von Lernprozessen positiv zu beeinflussen. Bildungsstandards bleiben gleichwohl folgenlos, wenn nicht deren konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und die damit einhergehende Weiterentwicklung von Unterricht konsequent an die Lehrkräfte herangetragen und mit diesen gemeinsam in der täglichen Unterrichtspraxis etabliert werden, so dass es zu einem Umdenken von Unterricht als Vermittlung vordergründigen Faktenwissens hin zu einer kompetenzbasierten Initiierung von Lernaktivitäten kommt. Dies könnte die Entwicklung einer neuen Lehrplangeneration zur Folge haben, in der die Bildungsstandards in stärkerem Maße Berücksichtigung finden und Kompetenzerwartungen mit Empfehlungen auf inhaltlicher Ebene verzahnt werden (vgl. Bremerich-Vos, 2010, S. 14ff.). In Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachleitungen und den Lehrkräften obliegt die Implementierung eines auf den Bildungsstandards basierenden Unterrichts und letztlich auch die Kontrolle der Umsetzung den Schulleitungen. Die Möglichkeiten individueller Bewertungen bleiben bestehen. Im ersten Halbjahr der Jahrgangsstufe 1 kann nach einem entsprechenden Beschluss der Schulkonferenz auf die Erteilung eines Zeugnisses verzichtet und die Lernentwicklung stattdessen in einem Elterngespräch verdeutlicht werden (vgl. Landesverordnung über Grundschulen vom 22.06.2007, § 6, Absatz 2). In den beiden Jahren der Eingangsphase sowie ebenfalls im dritten Schuljahr – nach entsprechendem Beschluss der Schulkonferenz (vgl. Landesverordnung über Grundschulen vom 22.06.2007, § 6, Absatz 3) – werden Berichtszeugnisse oder Beurteilungen in tabellarischer Form erteilt. In Klassenstufe 4 sind Notenzeugnisse bindend. Ist der Blick dann plötzlich zu starr auf Notengebung fokussiert und eine Auslesefunktion intendiert, steht dies den vorausgegangenen pädagogischen Bestrebungen in augenfälligster Weise entgegen und droht diese zu konterkarieren.
2005/2006 Bildungsstandards in den Fächern Deutsch und Mathematik verbindlich. Im gleichen Jahr wurden die Bildungsstandards für den Schulabschluss nach Klassenstufe 10 noch um die Fächer Biologie, Chemie und Physik ergänzt.
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Das Spannungsfeld von Leistungsausrichtung, Ausleseorientierung und der Erfüllung normierter Wissensvermittlung versus Kompetenzorientierung, kooperativem und sozialem Individuallernen löst immer wieder Konflikte aus und hat, wie zahlreiche Studien belegen, durch seine ambivalenten Anforderungen negative Auswirkungen auf die Berufszufriedenheit der Lehrkräfte (vgl. Gudjons, 1993, S. 85; Bieri, 2003, S. 335; Möller, 2009, S. 41f.) 7. Die einzelnen Schulen setzen sich mit diesem Dilemma höchst unterschiedlich auseinander, da ihnen hier die Gestaltungsautonomie obliegt und die gesetzlichen Rahmenbedingungen übergeordnet und vage formuliert sind: „Die beteiligten Lehrkräfte und die Schulleiterin oder der Schulleiter im Rahmen ihrer oder seiner Aufgaben bewerten die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in pädagogischer Verantwortung“ (Schulgesetz, 2007, § 16, Absatz 2, S. 12). Die Qualität der einzelnen Grundschulen divergiert trotz großen Reformwillens und ausgeprägter Innovationsbereitschaft durch die erstarkte Gestaltungsautonomie merklich und diesem Auseinanderdriften scheint kaum entgegenzuwirken zu sein. Auf der Suche nach innerschulischen für die Qualität verantwortlichen Einflussfaktoren rücken stets früher oder später die Schulleitungen in den Fokus (vgl. Czerwenka, 2005, S. 114). Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Einzelschule und ihre vermeintlichen Versäumnisse und Schulleiterinnen und Schulleiter werden zu erwartungsbeladenen Aspirant/innen in der Interdependenz zwischen individuellen Handlungsspielräumen und bürokratischer Organisation. Die Auswahl der in diesem Abschnitt erläuterten Reformen basiert auf ihren Auswirkungen für die Tätigkeit als Schulleitung einer Grundschule in Schleswig-Holstein. Ob die bildungspolitischen Reformen und die aus ihnen resultierenden veränderten Rahmenbedingungen für die in Schulleitung tätigen Personen Faktoren sind, die Einfluss auf das Interesse an der Übernahme dieses Amtes haben, wird bei der Analyse der empirischen Daten noch einmal mitbedacht.
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Nach einer in der Schweiz durchgeführten Studie von Bieri fühlten sich Grundschullehrkräfte stärker als Lehrpersonen aller anderen Schularten durch den „Zwang zur Benotung und Selektion“ belastet. Die Werte weiblicher Lehrkräfte überstiegen die der männlichen in dieser Auffassung deutlich. Dennoch erreichten Grundschullehrkräfte gegenüber Lehrkräften anderer Schularten insgesamt den höchsten Wert hinsichtlich der Berufszufriedenheit und Lehrerinnen wiesen noch günstigere Werte auf als Lehrer (vgl. Bieri, 2003, S. 413ff.).
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2.2 G ESCHLECHTERVERHÄLTNISSE IM L EHR S CHULLEITUNGSBERUF
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UND
Im vorausgegangenen Kapitel wurden die neuen Anforderungen, die die gesellschaftlichen Veränderungen an die Schulform Grundschule und dementsprechend an das Berufsbild der Grundschullehrkraft und Grundschulleitung stellen sowie die daraus resultierenden Reformentwicklungen kurz skizziert. Vor diesem Hintergrund ist nun offensichtlich geworden, welche herausfordernd kontrastreiche praktische und theoretische Tätigkeit dieses Berufsbild in sich birgt. Wer lässt sich auf diese Aufgabe ein? Führt man sich das vehemente Eintreten für eine Erhöhung des Männeranteils an Grundschulen vor Augen, so scheinen es vornehmlich die Frauen zu sein, die sich ohne werbende Kampagnen und „gänzlich freiwillig“ diesem Beruf zuwenden. Die Behauptung, der Grundschullehrberuf sei ein Frauenberuf, ist evident und ein statistischer Überblick über die Entwicklung des Geschlechterverhältnisses im Lehr- und Schulleitungsberuf dieser Schulform konkretisiert diese Wahrnehmung.
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Geschlechterverhältnis der Grundschullehrkräfte an Schulen in Deutschland8
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Statistischen Bundesamts, 2011
Geschlechterverhältnis der Grundschullehrkräfte an schleswig-holsteinischen Schulen
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Statistischen Bundesamts, 2011
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Obige Darstellung berücksichtigt Zahlenangaben zum Geschlechterverhältnis erst ab dem Jahr 1992, da weiterzurückliegende Angaben des Statistischen Bundesamtes noch ausschließlich auf das alte Bundesgebiet Bezug nehmen. Der Einheitlichkeit halber bildet auch die zweite Abbildung, die sich auf Schleswig-Holstein bezieht, Zahlen erst ab 1992 ab.
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Es zeigt sich nicht nur im Hinblick auf schleswig-holsteinische Grundschulen, sondern ebenso bezogen auf die Grundschulstatistik Deutschlands eine signifikante Dominanz weiblicher sowie eine leicht rückläufige Tendenz männlicher Grundschullehrkräfte. Desgleichen dokumentieren die Abbildungen die Konstanz, mit der sich diese Entwicklungsrichtung seit fast zwanzig Jahren – und wie ältere Statistiken zeigen, bereits deutlich länger (vgl. Blossfeld, 2009, S. 28 und 92f.) – fortsetzt. Bezogen auf das Schulleitungsamt hingegen lässt sich eine andere Tendenz erkennen, die in den folgenden Visualisierungen verdeutlicht werden soll: Geschlechterverhältnis im Schulleitungsamt schleswig-holsteinischer Grundschulen9
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Statistischen Landesamtes Kiel, 10
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Wurden im Schuljahr 1998/1999 nur 162 Grundschulen in Schleswig-Holstein von weiblichen Schulleitungen geleitet – gegenüber 254 männlichen Schulleitungen –, konnte in den folgenden zehn Jahren ein deutlicher Aufwärtstrend von Frauen in Schulleitungspositionen an Grundschulen verzeichnet werden. So hatten im Schuljahr 2008/2009 bereits 253 Frauen das Schulleitungsamt inne, wäh-
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Durch Schulschließungen bzw. –zusammenlegungen variiert die Gesamtanzahl der Schulen im Schulverzeichnis.
10 Entsprechende geschlechterdifferenzierte Daten wurden für das Bundesland Schleswig-Holstein vor 1998 nicht erhoben.
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rend die Anzahl männlicher Schulleitungen auf 153 sank. Es handelt sich demzufolge um eine proportionale Umkehr, bei – ebenso wie im Grundschullehrberuf – sinkendem Männeranteil. Weitet man den Blick auf die Schulen aus, die sowohl Grundschüler/innen als auch Hauptschüler/innen11 unterrichten, so ergibt sich ein divergentes Bild: Geschlechterverhältnis im Schulleitungsamt schleswig-holsteinischer Schulen, die den Grund- und den Hauptschulzweig vereinen
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Statistischen Landesamtes Kiel, 12
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Die Angaben über die Verteilung männlicher und weiblicher Personen im Schulleitungsamt, die leider nicht bundesweit vorliegen und somit in Fokussierung auf das Bundesland Schleswig-Holstein abgebildet werden, zeigen, dass zwar eine
11 Mit der Reformierung der Schulformen und der Erschaffung von Regional- und Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein zum 01.08.2007 wurde diese Schulform abgeschafft bzw. die bestehenden Konstellationen liefen aus. 12 Entsprechende geschlechterdifferenzierte Daten wurden für das Bundesland SchleswigHolstein vor 1998 nicht erhoben.
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quantitative Zunahme von Schulleiterinnen zu registrieren, aber eine geschlechtsspezifische Segregation13 dennoch nicht zu übersehen ist. In dieser Schulform dominiert der Anteil männlicher Schulleitungen über alle Schuljahre hinweg deutlich, obgleich er bei geringfügiger Progression weiblicher Schulleitungen leicht rückläufig ist. Demzufolge wird auch hier offensichtlich, dass die seit 2003 erkennbare weibliche Dominanz hinsichtlich der Besetzung von Schulleitungspositionen ausschließlich für die Schulform Grundschule zu verzeichnen ist.
13 Eine horizontale und vertikale Segregation der Tätigkeitsfelder entlang der Geschlechtergrenze sogar innerhalb einer Schulform ermittelte Forberg in ihrer Studie zum beruflichen Schulwesen. Ihren Ergebnissen nach sind auf horizontaler Ebene die Fachrichtungen und auf vertikaler die entscheidenden Funktionsstellen geschlechtsdifferenziert vergeben (Forberg, 1997, S. 214ff.) und die „Lehrerinnen am häufigsten in den typischen Frauenfachrichtungen Erziehung und Pflege sowie Hauswirtschaft in eine schulische Führungsposition gelangt“ (Forberg, 1997, S. 215).
3. Karrierewege im Berufsfeld Grundschule
Der in dieser Untersuchung immerfort gestreifte Begriff Karriere soll im Folgenden kurz definitorisch erläutert werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Zuspitzung der Dimension der Berufstätigkeit auf die Begriffsdefinition Karriere vorgenommen. Weder die allgemeine Entwicklung der weiblichen Erwerbstätigkeit im zeitgeschichtlichen Kontext noch eine ausführliche Darstellung des historischen Aspekts des Schulleitungsberufes finden hier Berücksichtigung. Für eine inhaltliche Ausweitung des ersten Schwerpunktes sei verwiesen auf die umfassende Darstellung in Dierks (2005, S.17ff.) und Maier (1993, S. 257ff.), für letzteren auf von Lutzau (2008, S. 15ff.) und Kerchner (1992, S. 47ff. und S. 106ff.).
3.1 D ER K ARRIEREWEG INS S CHULLEITUNGSAMT ALS S TATUSPASSAGE Im alltäglichen Sprachgebrauch umfasst der Begriff Karriere, der sich ursprünglich vom lateinischen Wort carrus für Wagen ableitet, die berufliche Laufbahn eines Menschen. Da dieser Begriff zumeist eine Aufwärtsentwicklung impliziert, geht mit seiner Nennung häufig die Bezugnahme auf einen Aufstieg in der Hierarchie des beruflichen Feldes, eine Weiterentwicklung der Kompetenz, „die Übernahme höher bewerteter Funktionen in einer hierarchisch gegliederten Organisation“ (Brockhaus, Stichwort „Karriere“, 1990, S. 494) oder/und eine finanzielle Prämierung einher. Während die Auffassung darüber, welche Weiterentwicklung als Karriere einzustufen ist, individuell und kulturell variiert (vgl. wikipedia, 28.06.2011)1, herrscht Einigkeit darüber, dass Karrierewege übli-
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Cain unterscheidet unter Rückbezug auf Hugh (1937) überdies zwischen der objektiven Karriere, die auf definierten Positionsveränderungen basiert und der subjektiven Karrie-
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cherweise nicht zufällig verlaufen, sondern sich in sozial vorstrukturierten Stufen oder Mustern vollziehen. „Karrieren können somit als sozial zurechenbare Leistungen von Individuen im Rahmen je bestimmter gesellschaftlicher Ordnungen analysiert und empirisch als Verkettung von sozialen Ereignissen oder besser von „Statuspassagen“ rekonstruiert werden“ (Dausien, 2006, S. 62). Karriere schließt folglich zwei Aspekte ein: zum einen die individuelle Seite des beruflichen Voranschreitens und zum anderen die äußere Rahmung, innerhalb derer „askriptive – das heißt individuell unbeeinflußbare – Kriterien“ (Vester, 2001, S. 397) bestehen, die als Determinanten für die Handlungschancen individuell nur bis zu einem gewissen Grade überschritten oder verändert werden können. Dieser Aspekt von der äußeren, den Handlungsspielraum einengenden Determiniertheit spiegelt sich insbesondere in den historisch sowohl ferneren als auch näheren Karrierewegen von Frauen wider. Soziologisch kommt der Karrierebegriff bereits lange zur Anwendung. Mannheim charakterisierte Karriere als vorgeformte Abstufungen in den Bereichen „Wirkungsmöglichkeiten in Gestalt von geteilten Kompetenzen […], Belohnungsgrößen in Gestalt des Gehaltes […] und […] Prestige in Gestalt des Amtstitels“ (Mannheim, 1930, S. 474). Er fasste die Karrierestufen sehr statisch auf und verortete Karriere daher in einem Feld, in dem keine Kämpfe mehr über die Machtverteilung und der den einzelnen Positionen inhärenten Machtzuschreibung ausgetragen werden. Folglich war Karriere für ihn eine „Amtskarriere“, in der nicht wegzudenkenden Verbindung mit apriorischer „Übersehbarkeit und Kampfentleertheit“ (Mannheim, 1930, S. 475). Goffman, der ebenso wie Glaser/Strauss (1974) und Gerhardt (1986) die Bezeichnung Karriere auch für den fortschreitenden Verlauf einer Krankengeschichte verwendete, führt den Karrierebegriff so aus, dass seine Definition auch die für die hier vorliegende Untersuchung wesentlichen Aspekte enthält: „Zu den Vorteilen des Begriffs der Karriere gehört seine Doppelseitigkeit. Einerseits berührt er jene hoch und heilig gehaltenen Dinge wie das Selbstbild und das Identitätsgefühl; andererseits betrifft er die offizielle Stellung, rechtliche Verhältnisse […] und ist Teil eines der Öffentlichkeit zugänglichen institutionellen Ganzen“ (Goffman, 1972, S. 127). Der Akzeptanz der Karriere für Frauen im Sinne eines gesellschaftlich tolerierten Lebensentwurfes ging ein langer und holpriger Weg voraus. Wurden in
re, „the moving perspective in which the person sees his life as a whole“ (Cain, 1964, S. 298). Wikipedia (2011): Karriere. Online verfügbar unter: http://de.wikipedia.org/ wiki/Karriere
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der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg akademische Lebenswege noch als Bruch mit der Weiblichkeit und einem Abweichen von normativen Lebensentwürfen angesehen, nahm Ende der 1950er Jahre sukzessive die Trennschärfe der kontrastierenden Alternativen Familie und Ehe oder Berufstätigkeit zugunsten von Mischformen ab, die jedoch der Ausübung des Berufes eine nachrangige Rolle vor dem reibungslosen Alltagsablauf in Haushalt und Familie zuwiesen. So billigte das 1958 in Kraft getretene Gleichberechtigungsgesetz, welches in einigen Aspekten eher das Gegenteil verkörperte, einen beruflichen Werdegang von Frauen nur, wenn dieser den häuslichen Aufgaben untergeordnet wurde (vgl. Maier, 1993, S. 273). Auch im Zuge der Frauenbewegung wurde, obgleich Erwerbstätigkeit für eine autonome weibliche Existenz ausdrücklich als erstrebenswert betrachtet wurde, Karriere eher tabuisiert, da mit ihr der Wunsch, über andere dominieren zu wollen, assoziiert und abgelehnt wurde. Die generelle Zurückweisung hierarchischer Strukturen betraf auch die Karriereoption. Die feministische Bewegung kritisierte die Frauen, die „sich mit dieser Alibifunktion bzw. einer individuellen Karriere auf Kosten der insgesamt ausgeklammerten Frage der Veränderung der Gesellschaft, also der Abschaffung des Patriarchats, abfanden“ (Mabry, 1981, S. 225) und sich in männerdominierte und männerbegünstigende Organisationsstrukturen – zu einem aus feministischer Sicht hohen Preis – integrierten. Die positive Konnotation, die schließlich den Begriff Karriere bis in die 1980er Jahre begleitete, wurde seit den 1990er Jahren immer wieder auch durch den Beiklang von Egoismus und Machtgier substituiert. Heutzutage werden Frauen einerseits ermutigt, Familie und Karriere – trotz mitunter widriger Umstände durch mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten – zu verbinden2, andererseits erhalten sie auch für tradierte Rollenmuster unvermindert gesellschaftliche Anerkennung. Wenngleich der gesellschaftliche und
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In diesen Zusammenhang reihen sich immer wieder die Begriffe „Vereinbarkeit“ und „Work-Life-Balance“ ein, die sich beide – und bei letzterem ist diese Konnotation neu und wendet sich ab vom ursprünglichen Sinngehalt, der die Ausgewogenheit von beruflicher Be- und freizeitlicher Entlastung von Personen in Führungspositionen implizierte – auf die Ermöglichung der Bewerkstelligung einer Familiengründung und beruflichen Kontinuität beider Elternteile beziehen und in Richtung der Familienpolitik appellieren. Kritik an diesen Schlagwörtern wird dann laut, wenn die politische Dimension ausgeklammert wird und sich ihre Bedeutung einem pädagogischen Edikt annähert, welches suggeriert „die Balance soll/kann – mit geeigneten Mitteln und Trainings – von jedem und jeder selbst hergestellt werden“ (Dausien, 2006, S. 69).
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politische Druck, den Anteil an Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, steigt und die Debatte um die Einführung der Frauenquote eine hohe Aktualität hat, bleiben grundlegende Strukturveränderungen, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung betreffen und ein gleichberechtigtes Zusammenleben von beruflich erfolgreichen Frauen und Männern protegieren, noch aus. Mit Bourdieu gesprochen: „Die sichtbaren Veränderungen der Situation der Frauen verdecken das Fortbestehen der unsichtbaren Strukturen“ (Bourdieu, 2005, S. 184). Der Karriereweg ins Schulleitungsamt war für Frauen in den letzten einhundert Jahren mit Einschränkungen verbunden. Nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts vornehmlich private Schulen, die ausschließlich von Mädchen besucht wurden, von weiblichen Leitungen, für die die Zölibatsklausel3 galt, geführt wurden, vollzog sich mit der Weimarer Verfassung ein sukzessiver Rückgang der Beschränkungen mit der Folge der Zunahme weiblicher Schulleitungen und des Protests männlicher Lehrkräfte. Dieser fortschrittlichen Entwicklung wurde durch die nationalsozialistische Ideologie der Übermutter ein Ende gesetzt. Das Interesse von Frauen an dieser Position stieg jedoch stetig an.4 Die Positionsinhaberinnen waren zunächst noch größtenteils unverheiratet und kinderlos, was auf den Umstand zurückzuführen ist, dass bis Ende der 1980er Jahre eine Vollzeitbeschäftigung für die Ausübung des Schulleitungsamtes vorausgesetzt wurde (vgl. von Lutzau, 2008, S. 32). Für Grundschullehrerinnen und -lehrer stellt das Schulleitungsamt innerhalb ihres Berufsfeldes die einzige Aufstiegsmöglichkeit ohne ein Abrücken von der Schule und verbunden mit gesteigerter Einflussnahme und höherem Gehalt dar. Da die institutionellen Strukturvoraussetzungen heutzutage unabhängig von der Geschlechterzugehörigkeit jedem die gleichen Zugangsmöglichkeiten zum Bildungssystem und zu höheren Positionen im Schulwesen gewährleisten, konstituiert sich eine Karriere im Berufsfeld Schule aufgrund eines individuellen Auf-
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Welche Intoleranz noch in den 1960er Jahren gegenüber der Vereinbarkeit von Familie und Berufsalltag als Lehrerin bestand, wird man gewahr in Adolphs (1964, S. 82ff.), die sich nicht nur fragt „Warum sind verheiratete Frauen, darunter auch solche, die es aus finanziellen Gründen eigentlich nicht nötig hätten, in der Schule tätig?“ (Adolphs, 1964, S. 101), sondern Lehrerinnen mit eigenen Kindern vorwirft, „wenn eine pädagogisch vorgebildete Frau sich mit ihren eigenen Kindern langweilt, die Übertragung von der Theorie in die Praxis also nicht zu vollziehen mag, dann ist wohl die Frage berechtigt, ob eine solche Frau überhaupt als Lehrerin geeignet ist“ (Adolphs, 1964, S. 103).
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In den 1960er Jahren war bereits ein kontinuierlicher und insbesondere an Grundschulen zu verzeichnender Anstieg an Schulleiterinnen zu erkennen (vgl. Hänsel, 1996, S. 125).
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stiegsinteresses und einer persönlichen Karrierekonstruktion. Dieser Aspekt und die Frage, ob und inwieweit dennoch eine implizite Abhängigkeit zwischen Karriereverlaufsmuster und Geschlechterkategorie besteht, die auf die Bewältigung der Statuspassage wirkt, motivieren das Forschungsinteresse dieser Arbeit. Die zur Klärung dieser Fragestellung interviewten und beobachteten Personen befanden sich zu ebendiesem Zeitpunkt innerhalb oder am Ziel ihres Karriereverlaufs. Da diese spezielle Phase im Folgenden als Statuspassage bezeichnet wird, folgt nun eine Explikation dieser Begrifflichkeit. Der Begriff Statuspassage5 entstammt ursprünglich der Ethnologie und fand über diesen Weg Eingang in die Soziologie. Zunächst wurde die Bezeichnung der Statuspassage eng mit den Entwicklungsschritten im Lebensverlauf entlang der altersbedingten Veränderungen (Pubertät, Ausbildungsphase, Rente usw.) verknüpft. Van Gennep und Cain richteten den Blick schon früh auf die mit einer Statuspassage verbundenen Rituale in unterschiedlichen Gesellschaften: „Three types of rites of passage – separation, transition and incorporation – may be distinguished. Periodically during the life course, an individual participates in special rites as he divests himself of one age status (separation), makes a change of age status (transition), and becomes incorporated into the next status in a structured succession of statuses (incorporation)“ (Cain, 1964, S. 278). Von dieser altersdeterminierten Abstufung distanzierten sich Glaser und Strauss ebenso wie von der starken Ausrichtung auf Ritualisierungen. Ihrer Argumentation zufolge vollziehen sich die modernen Statuspassagen häufig ohne eine rituelle Rahmung und fußen stattdessen auf der individuellen Ausgestaltung durch die Akteure (vgl. Glaser/Strauss, 1971, S. 141f.). Diese „haben weitgehend Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich Zeitpunkt, Art und Form der Bewältigung der Statuspassagen und können einige generell meiden“ (Friebertshäuser, 1992, S. 36).
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Statt Statuspassage wird in der Literatur auch häufig der Begriff Statusübergang verwandt. Es wird keine Differenzierung der beiden Begriffe angelegt (vgl. Mansel, 1994; Schittenhelm, 2005); mitunter werden sie sogar nebeneinander verwendet, beispielsweise in Huininks Definition, in der es heißt, Statuspassagen ließen sich „als Phasen im Lebenslauf verstehen, in denen Statusübergänge in mehreren Lebensbereichen zu einer umfassenden Neustrukturierung der Lebensumstände führen“ (Huinink, 1995, S. 156, Herv. W. B.-N.). Die wörtliche Übersetzung des englischen Begriffs „status passage“ bezeichnet m. E. stärker noch den Aspekt des Durchgehens durch eine veränderungsreiche Phase als nur den eher punktuell anmutenden Übergang von einem Zustand in den nächsten, weshalb in dieser Arbeit der Bezeichnung Statuspassage der Vorzug gegeben wird (vgl. auch Glaser/Strauss, 1971, S. 47f.).
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Nach Glaser und Strauss handelt es sich bei den entscheidenden, eine Statuspassage konturierenden Eckpfeilern um die Dimensionen Zeit, Umkehrbarkeit und Erwünschtheit (vgl. Glaser/Strauss, 1971, S. 14ff.)6. Insbesondere der Zeitaspekt unterliegt einer großen Variationsbreite, so dass der Umbruchsmoment, der „für die betreffenden Personen mit Suchprozessen und in der Regel mit einer Neuorientierung“ (Schittenhelm, 2005, S. 17) einhergeht, sowohl zeitlich determiniert als auch von einer ungewissen Dauer oder einem gänzlich offenen Ausgang charakterisiert sein kann. Der immanente phasische Charakter bei gleichzeitigem Zurücktreten der Bedeutungsschwere von Anfangs- und Endpunkt ist für vorliegende Untersuchung von großer Relevanz, da er die Möglichkeit offenlegt, sich bei der Deskription und Analyse einer Lebensphase des Suchens und Neuorientierens des Begriffs Statuspassage zu bedienen, wenngleich ein Statusübergang letztlich nicht in jedem Fall vollzogen wird. Damit lehnt sich die Definition einer Statuspassage an das Übergangskonzept Elders an (vgl. Elder, 1985, S. 23ff.), welches in der Lebenslaufforschung angewendet wird, und der Tatsache Rechnung trägt, dass „viele Veränderungen im Lebenslauf nicht nur als punktförmige Zustandswechsel, sondern prozesshaft erfolgen, also mehr oder weniger Zeit in Anspruch nehmen“ (Sackmann/Wingens, 2001, S. 19). Vor diesem Hintergrund können die Aufstiegsbemühungen ins Schulleitungsamt als institutionell gerahmte Statuspassage aufgefasst werden, obgleich das Resultat dieses Weges, wie später zu zeigen sein wird, keinesfalls immer dasselbe ist. Ebenso wenig starten die Proband/innen ihre Statuspassage von ein und demselben klar definierten Ausgangspunkt, der Aufschlüsse darüber geben könnte, weshalb überhaupt und warum zu diesem Zeitpunkt die Statuspassage begann. Diesbezüglich argumentiert Erzberger, dass „Strategien der ‚Haupteffekt-Suche‘ bei einer ganzen Reihe von Forschungsfragen ins Leere (laufen), da dieser Fokus der Analyse von Verläufen und speziell Lebensverläufen häufig nicht angemessen ist“ (Erzberger, 2001, S. 144) und Abbott resümiert: „Life never occurs in main effects“ (Abbott, 1990, S. 144). Möglichkeiten, dem Warum der Entstehung einer ebensolchen institutionellen Statuspassage auf den Grund zu gehen, sieht Windzio im Tätigkeitsfeld der Lebenslaufforschung, da der Kausalzusammenhang sich „dem Beobachter […]
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Auf zwei weitere Schwerpunkte in der Darstellung von Glaser und Strauss wird hier aufgrund ihrer Irrelevanz für die Untersuchung der Statuspassage ins Schulleitungsamt nicht eingegangen: Es handelt sich um die Differenzierung zwischen individuellen und kollektiven Statuspassagen und den Aspekt der „multiple status passages“ (vgl. Glaser/Strauss, 1971, S. 116ff. und S. 142ff.).
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erst in Verbindung mit zeitlich weit zurück liegenden Entscheidungen“ (Windzio, 2001, S. 169) erschließt. Da dieser biographische Rekurs im Forschungsdesign vorliegender Arbeit nicht angelegt ist, stehen hier die Handlungsorientierung der Proband/innen innerhalb der Statuspassage, die ihr innewohnende subjektive Logik sowie deren Folgen im Mittelpunkt, ohne dass retrospektiv dafür verantwortliche Erlebnisse oder lebensgeschichtliche Zusammenhänge definiert werden sollen. Jedoch lassen sich bei einigen Proband/innen – dieses Ergebnis soll bereits vorweggenommen werden – Veränderungen im Bewertungs- und Wahrnehmungsschema im zeitlichen Verlauf erkennen. Eine analytische Annäherung an diesen Umstand kann mit dem Konzept der Prozessstrukturen von Schütze gelingen, da dieses vier Arten von lebensgeschichtlichen Prozessen fokussiert: „institutionelle Ablaufmuster […], Handlungsschemata von biographischer Relevanz, Verlaufskurven und Wandlungsprozesse“ (Schütze, 1981, S. 67). Somit kann mit geeigneter Terminologie dem prozessualen Charakter der Statuspassage unter einem nur bei Bedarf retrospektiven Blickwinkel nachgegangen werden; Schützes Begriff des Wandlungsprozesses kommt dabei zur Anwendung. Da Status ohne ein soziales System, innerhalb dessen er verhandelt oder zugeschrieben7 wird, nicht denkbar ist, klingt hier bereits die Bezugnahme auf das soziale Feld an, in welchem sich die Statuspassage des Akteurs vollzieht. Die Statuspassage ist folglich an einen konkreten sozialen Kontext gekoppelt, der sich als förderlich oder hemmend darstellen kann. Im Rahmen dieses Sozialgefüges löst die Statuspassage neue Aushandlungen der sozialen Position aus, die nicht in jedem Fall in eine Statuserhöhung münden. Dieser Konnex von Akteur und Feld weist darüber hinaus auf die Anschlussfähigkeit der Begrifflichkeit Statuspassage an die Theorie Bourdieus hin (vgl. Kapitel 4.2). Die akteurbezogene Dimension der Bewältigung8 einer Statuspassage, konkret: der Übergang ins Schulleitungsamt, wird im empirischen Teil dieser Arbeit
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Hinsichtlich des Aspekts der zugeschriebenen Statusmerkmale und der Frage nach einer sich im Berufsfeld Grundschule möglicherweise niederschlagenden gesellschaftlichen Erwartungshaltung wird an späterer Stelle die Geschlechterkategorie beachtenswert.
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Der Bewältigungsbegriff wird nicht weiter eingeführt, da er im Kontext dieser Arbeit einer Entlehnung aus der Alltagssprache folgt, die ihn konnotativ in die Nähe des Terminus „Gestaltung“ rückt und weder eine Zuordnung zum sozialpädagogischen Bewältigungsparadigma noch zum psychologischen Coping-Konzept gegeben ist, da beide Definitionen stets die Bewältigung einer krisenhaften Situation bezeichnen (vgl. Rahn, 2005, S. 94ff.; Böhnisch/Schefold, 1985). Das vorliegende Forschungsinteresse
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für die Entwicklung einer Typologie herangezogen. Damit wird die Ebene der bloßen Strukturierung und Abfolge von Handlungsschritten der Proband/innen zugunsten des von ihnen konstruierten Sinns verlassen und der Frage nachgegangen: Welche handlungsleitende Grundhaltung liegt der Vollführung der Statuspassage zugrunde?
3.2 R EKRUTIERUNGSPRAXIS UND A UFGABEN VON S CHULLEITUNGEN AN SCHLESWIG - HOLSTEINISCHEN G RUNDSCHULEN Befasst man sich mit den im Berufsfeld Grundschule möglichen Statuspassagen und fokussiert den Weg ins Schulleitungsamt als der einzigen statusverändernden Position, die innerhalb des unmittelbaren schulischen Rahmens eingenommen werden kann, richtet sich der Blick auf die Rekrutierungspraxis, die grundlegenden Voraussetzungen für diese Tätigkeit, die Aufgaben und das Qualifizierungsprocedere. Im Folgenden wird die Rekrutierungspraxis von Schulleiterinnen und Schulleitern an Grundschulen erläutert. Dies geschieht, dem Sample der vorliegenden Untersuchung entsprechend, ausschließlich mit Blick auf den Ritus im Bundesland Schleswig-Holstein, da die Darstellung der voneinander abweichenden Modalitäten der einzelnen Länder den Rahmen der Arbeit sprengen würde9. Personen, die das Schulleitungsamt übernehmen wollen, benötigen laut Schulgesetz die „Befähigung für eine Lehrtätigkeit an der betreffenden Schule“ (Schulgesetz, 2007, § 33, Absatz 1, S. 19), sollten mindestens drei Jahre an der entsprechenden Schulart unterrichtet (Landesverordnung über die Laufbahnen der Lehrerinnen und Lehrer, 1998, § 8, Absatz 4, S. 1) und in einigen der folgenden Bereiche bereits überdurchschnittliche Leistungen gezeigt haben:
befasst sich jedoch mit dem Bewältigungshandeln eines, wenngleich z.T. mit Belastungen verbundenen, Prozesses berufsbiographischer Veränderung, der nicht als Lebenskrise zu verstehen ist. 9
Lässt man den Blick noch weiter schweifen, fällt auf, dass die Differenzen, die bezogen auf Vergleiche zwischen den einzelnen Bundesländern beträchtlich erscheinen, nahezu verblassen, zieht man zur Gegenüberstellung zusätzlich andere Länder heran. So ist beispielsweise in den USA und in England die Erlangung des Schulleitungsamtes nicht einmal an eine vorherige Berufsausbildung zum Lehramt geknüpft (vgl. Dichanz, 1991, S. 148f.).
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„Fähigkeiten der Leitung und Personalführung Organisations- und Verwaltungsgeschick Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit – Mitarbeitermotivation Integrationskraft – Konfliktfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Fachliche und pädagogische Fähigkeiten Nachgewiesene unterrichtliche und außerunterrichtliche Gestaltungsfähigkeiten Kenntnisse über den Stand der didaktischen und pädagogischen Diskussion Bereitschaft zur Einleitung innovativer Prozesse Kreativität Beratungskompetenz“ (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, 1997, S. 238)
• „Als weitere Eignungsmerkmale kommen insbesondere Erfahrungen durch eine Tätigkeit in der Schulverwaltung, in der Lehreraus- und -fortbildung oder in leitender Stellung im Auslandsschuldienst in Betracht“ (Schulgesetz, 2007, § 33, Absatz 1, S. 19).
Freie Stellen für Schulleitungsposten werden öffentlich ausgeschrieben. Jede Lehrkraft kann sich auf einen Schulleitungsposten bewerben. Bewerbungen an der eigenen Schule sind jedoch nur möglich, wenn auf zwei aufeinander folgende Ausschreibungen keine Bewerbung von außerhalb eingegangen ist. Die Bewerbung ist stets spätestens einen Monat nach Erscheinen der Ausschreibung vorzulegen – von Personen im Landesdienst hat dies auf dem Dienstweg zu erfolgen – und beinhaltet eine tabellarische Darstellung des beruflichen Werdeganges sowie ein Lichtbild. Die bzw. der Vorgesetzte der Bewerberin bzw. des Bewerbers erstellt eine Anlassbeurteilung, die gemeinsam mit den Daten der Personalakte von der obersten Schulaufsicht zur Kenntnis genommen und auf deren Grundlage ein Eignungsvermerk erstellt wird (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, 1997, S. 238). Für diesen Eignungsvermerk werden die Qualifikationen aller Bewerberinnen und Bewerber miteinander verglichen und in einer Synopse bewertend festgehalten. Vom zuständigen Bildungsministerium werden unter Berücksichtigung eines Gleichgewichts zwischen Männern und Frauen bis zu vier Bewerber/innen aus den eingegangenen Bewerbungen ausgewählt und der Schule zur Wahl vorgeschlagen. Die Wahl muss anschließend innerhalb von sechs Unterrichtswochen erfolgen. Nach Eingang dieser Bewerbungsvorschläge wird ein Schulleitungswahlausschuss gebildet, der sich aus Vertreter/innen des Schulträgers, der Lehrkräfte und der Eltern zusammensetzt. Mindestens 40% der Mitglieder des Schulleitungs-
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wahlausschusses müssen laut Schulgesetz Frauen sein. Der Schulträger entsendet zehn von der Vertretungskörperschaft gewählte Personen. Bei Kreisen oder Gemeinden hat jede Fraktion das Recht, auf einem Verhältniswahlrecht zu bestehen. Auch die Schule entsendet zehn Mitglieder, je fünf Lehrkräfte und fünf Eltern. Diese Vertreter/innen werden von den Lehrkräften in einer Konferenz bzw. von den Eltern in der Schulelternbeiratssitzung gewählt. Verfügt die Schule über weniger als sechs Lehrkräfte, setzt sich der Wahlausschuss aus ebendiesen und der gleichen Anzahl an Eltern zusammen. Der Schulträger entsendet in diesem Fall auch nur Vertreter in der Mitgliederanzahl von Lehrern und Eltern zusammen (vgl. Schulgesetz, 2007, § 38, Absatz 1-6, S. 19). Die sich bewerbenden Personen stellen sich dem Schulleitungswahlausschuss vor, anschließend erfolgt die Wahl. Wer mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten hat, wird dem Ministerium zur Ernennung vorgeschlagen. Ist dies bei keinem der Bewerber/innen im ersten Wahlgang der Fall, erfolgt ein zweiter Wahlgang. Bleibt auch dieser ohne eindeutiges Ergebnis, kommt es zu einer Stichwahl zwischen je zwei Bewerber/innen in der Reihenfolge der Stimmenanzahl. Wer die meisten Stimmen erhält, ist gewählt und besetzt das Schulleitungsamt im Beamtenverhältnis zunächst für zwei Jahre auf Probe. Nach Ablauf der Probezeit wird durch die Schulaufsicht eine dienstliche Beurteilung der Kompetenzen Schulorganisation und Organisationsentwicklung, Schulgestaltung und pädagogische Schulentwicklung, Personalführung und Personalentwicklung erstellt und entschieden, ob die Leitungsaufgabe auf Lebenszeit übertragen werden kann (vgl. Erlass des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, 2004, S. 352). Neben dem oben geschilderten Procedere ist folgender Alternativablauf rechtlich möglich: Eine Lehrkraft, die „mindestens vier Jahre a) in der Schulverwaltung, b) in einer öffentlichen zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation oder einer ähnlichen Einrichtung oder c) in leitender Stellung in der Lehrerbildung oder in leitender Stellung im Auslandsschuldienst tätig war“ (vgl. Schulgesetz, 2007, § 40, Absatz 1, S. 21) kann vom zuständigen Ministerium für Bildung ohne vorangehende Wahl ins Schulleitungsamt berufen werden. Es folgt vorher jedoch eine Anhörung des Schulleitungswahlausschusses der jeweiligen Schule. Aus der Darstellung der Rekrutierungspraxis kann geschlussfolgert werden, dass zur Bewerbung auf einen Schulleitungsposten zwar formal festgeschriebene Schritte durchlaufen werden müssen, das Anforderungsprofil jedoch bezüglich der Konkretisierung der Qualifikationen und deren Erlangungsweges noch recht vage bleibt. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die der Bewerberin bzw. dem Bewerber in der dienstlichen Beurteilung attestierten Fähigkeiten in
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einem – überspitzt formuliert – anderen Beruf, nämlich dem der Lehrkraft, bescheinigt, als positives Attribut mitgegeben und auf die Schulleitungstätigkeit übertragen wurden10. Die Mitglieder des Schulleitungswahlausschusses haben keine Möglichkeit, sich auf verlässliche und für die künftige Beschäftigung relevante Zertifizierungen zu verlassen, sondern können ihre Wahl nur auf Basis einer Vorstellung der Bewerberin bzw. des Bewerbers und der zugehörigen Personaldaten treffen. Diese Tatsache legt nahe, dass vermutlich evidente Ausprägungen von evokatorischen Persönlichkeitseigenschaften in überproportional hohem Maße in den Wahlakt einfließen und die Frage nach der in praxi bestehenden Eignung für Führungsaufgaben in den Hintergrund drängen. Ähnlich prekär ist die Lage für die sich bewerbende Lehrkraft: Weder vor der Präsentation vor dem Schulleitungswahlausschuss noch anschließend ist es dieser möglich, sich sichere Informationen über die künftige Schule, die über die stichwortartige Kurzbeschreibung in der Stellenausschreibung hinausgehen, zu beschaffen und so den potentiell bevorstehenden Anforderungsrahmen zu konkretisieren. Von einer Kontaktaufnahme zur aktuellen Schulleiterin bzw. dem Schulleiter und dem Kollegium wird der Bewerberin bzw. dem Bewerber von Seiten der Schulaufsicht eindringlich abgeraten. Auf diese Problematik stieß auch Storath in seiner 1992 durchgeführten Befragung bayrischer Schulleitungen und konstatierte, dass sich die Bewerber/innen „letztlich auf ein ‚russisches Roulette‘ einlassen“ (Storath, 1995, S. 131). Die Rechte und Pflichten der Schulleitungen sind für das Land SchleswigHolstein im Schulgesetz unter den Paragraphen „§ 33 Schulleiterinnen und Schulleiter, § 62 Zusammensetzung der Schulkonferenz, § 63 Aufgaben und Verfahren der Schulkonferenz, § 64 Lehrerkonferenz, § 67 Beanstandungs- und Eilentscheidungsrecht, § 68 Verfahrensgrundsätze“ (Schulgesetz, 2007, S. 24ff.11) definiert. Da jede Schulleitung auch Lehrkraft ihrer Schule ist, ist der normative Rahmen des Weiteren in der Lehrerdienstordnung unter § 2 und § 3 (Lehrerdienstordnung,
10 Der fehlenden Verbindlichkeit einer Vorab-Qualifizierung wird häufig die Annahme zugrunde gelegt, potentielle Bewerber/innen würden aus einer abgeschlossenen Qualifizierungsmaßnahme einen Rechtsanspruch auf eine Führungsposition ableiten. Da die Garantie eines Stellenangebotes jedoch nicht gewährleistet werden kann, berufen sich viele Bundesländer darauf, dass der Besuch der Weiterbildungsmaßnahme „zwar die Bewerbungssituation verbessert, aber ein Rechtsanspruch nicht erhoben werden könne“ (Rosenbusch/Huber, 2002, S. 121). 11 Die angegebene Jahreszahl bezieht sich ebenso wie die der Lehrerdienstordnung jeweils auf die aktuellste Erlassänderung.
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1998, S. 1ff.) festgeschrieben; aktuelle Erlassänderungen werden über die Nachrichtenblätter veröffentlicht. Die Arbeitsgemeinschaft der Schulleiterverbände Deutschlands (ASD) konstatierte bereits 1994, „dass in keinem Bundesland eine dezidierte Zusammenstellung der Tätigkeiten von Schulleitung existiert. In der Realität kennt jeder Schulleiter die Fülle seiner Einzelaufgaben“ (ASD, 1999, S. 41). Infolgedessen legte er 1997 ein Konzept zur bundeslandübergreifenden Berufsausbildung von Schulleitungen vor, verbunden mit der Kritik, dass in den 16 deutschen Bundesländern ebenso viele unterschiedliche Schulgesetze und folglich abweichende Rechte und Pflichten der Schulleitungen existieren. Diese wurde von der Aufforderung flankiert, die „Voraussetzungen für eine Bewerbung […] bundeseinheitlich zu regeln“ (ASD, 1999, S. 32). Die Berufsausbildung für Schulleitungen sollte für alle Schularten und Bundesländer Gültigkeit haben und einen Orientierungskurs, aufbauende Grundkurse, einen Kompaktkurs vor Dienstantritt und einen Kompaktkurs in der Probezeit umfassen. Zu einer Umsetzung dessen kam es nicht. Schulleiterinnen und Schulleitern ist die Gesamtverantwortung für ihre Schule übertragen worden. „Mit dem gesetzlichen Auftrag sind Anforderungen in den Aufgabenfeldern Sicherung des Bildungsauftrages, Schulprogrammentwicklung und -evaluation, Umgang mit Schülern, Lehrkräften, Erziehungsberechtigten, außerunterrichtlichem Schulpersonal, Mitwirkungsgremien, Schulträgern, Schulaufsicht und Öffentlichkeit (schulintern und schulextern) verbunden“ (ASD, 1999, S. 31). Schulleitungen sind den Lehrkräften und allen in der Schule angestellten Personen gegenüber weisungsberechtigt. Die Schulleitung plant den Personaleinsatz und die Unterrichtsverteilung. Die Ausbildung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst liegt in ihrem Verantwortungsbereich genauso wie die stetige Weiterentwicklung der Bildungsqualität im täglichen Unterricht. Zu diesem Zweck hat die Schulleitung das Recht zu Unterrichtsbesuchen, die auch unangekündigt erfolgen können. Um sich einen Überblick über Bewertungsmaßstäbe von Schüler/innenleistungen zu verschaffen, müssen der Schulleitung auf Verlangen drei Klassenarbeiten einer jeden Leistungskontrolle in den Hauptfächern sowie ein Klassenspiegel vorgelegt werden. Die regelmäßige Kontrolle der Klassenbücher und Stoffverteilungspläne gehört weiterhin zu den Aufgaben von Schulleitung. Zudem muss sie die Lehrkräfte über aktuelle Erlassänderungen informieren und zur regelmäßigen Kenntnisnahme der Nachrichtenblätter auffordern. Schulische Veranstaltungen und außerschulische Fahrten müssen von der Schulleitung genehmigt werden. Die vom Schulträger und vom Land zugewiesenen Haushaltsmittel werden von der Schulleitung verwaltet. Über deren Verwendung, die Verwirklichung des Schulprogramms und Veränderungen hin-
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sichtlich der zugewiesenen Planstellen müssen Schulleiterinnen und Schulleiter der Schulkonferenz jährlich Rechenschaft ablegen. „Die Schulleiterinnen und Schulleiter können ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter und andere Lehrkräfte beauftragen, Teile ihrer Aufgaben in ihrem Auftrag zu erfüllen“ (Schulgesetz, 2007, § 33, Absatz 6, S. 20). Da die Schulleitungen die Schule nach außen repräsentieren, wird der Kooperation ein großer Stellenwert eingeräumt. Diese bezieht sich auf die Schulaufsicht und den Schulträger ebenso wie auf die Elternschaft. Für viele Schulleitungen bedeutet dies auch das Engagement für schulische Einbindung in örtliche oder dörfliche Gepflogenheiten (vgl. Schulgesetz, 2007, § 33, Absatz 6, S. 20ff.). Mit ihrer Position auf der unteren Leitungsebene ist ein Spannungsfeld zwischen dem ihnen übergeordneten Bereich der Schulaufsicht und des Kultusministeriums, welche sie an Weisungen und Anordnungen bindet und dem ihnen untergeordneten Feld der Lehrkräfte, Eltern und Schüler/innen verbunden. Dies verdeutlicht das folgende Kapitel (vgl. ausführlicher auch Werle, 2001, S. 60ff.; Neulinger, 1990, S. 232ff.). Lehrkräfte, die den Schulleitungsposten bekleiden, sind nach wie vor unterrichtsverpflichtet. Die Anzahl ihrer zu leistenden Unterrichtsstunden richtet sich nach der Anzahl der Schüler/innen: je geringer die Gesamtschülerzahl, desto höher die Unterrichtsverpflichtung respektive desto geringer die Anzahl der Wochenstunden, die für Schulleitungsaufgaben zugestanden wird. Die Formulierung des „Leitungszeiterlasses“ zur Bemessung des Zeitbudgets scheint die Unterrichtstätigkeit als Basisbestimmung für Schulleitungen anzusehen, da die Schulleitungen „für die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben ein Zeitbudget […] im nach Schülerzahl gestaffelten Umfang“ (Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Nachrichtenblatt vom 30.09.2010, S. 277) erhalten. Die Perspektive eines auf einen Erlass für die verbleibende Leitungszeit gerichteten Blicks impliziert folglich die Dominanz der unterrichtlichen Tätigkeit von Schulleitungen. Die zugestandenen Leitungsstunden werden von der wöchentlichen Unterrichtspflichtstundenzahl subtrahiert, die für Grundschullehrkräfte mit voller Stelle 28 Wochenstunden umfasst. Folgende Tabelle zeigt die Staffelung des Stundendeputats für Grundschulleitungen in Unterrichtswochenstunden (UWStd.) nach Schüler/innenanzahl:
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Zeitbudget für Leitungsaufgaben schleswig-holsteinischer Grundschulleitungen12 Anzahl der Schülerinnen und Schüler
Zeitbudget für Leitungsaufgaben in UWStd.
Zahl der Schulen in absoluter Anzahl
Zahl der Schulen in %
bis 49
7
4
1%
50 – 80
8
24
6%
81 – 110
9
56
14%
111 – 140
10
45
11%
141 – 170
11
48
12%
171 – 200
12
51
13%
201 – 260
13
69
17%
261 – 320
14
53
13%
321 – 399
15
28
7%
400 – 499
16
14
4%
500 – 599
17
2
1%
600 – 749
18
2
1%
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben des Leitungszeiterlasses vom 31.08.2010 (Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Nachrichtenblatt vom 30.09.2010, S. 277)
Die obigen Darstellungen veranschaulichen, welch knapper zeitlicher Umfang Grundschulleitungen für die Ausübung ihrer Leitungstätigkeit gewährt wird. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn man beachtet, dass im Schuljahr 2010/2011 nur 18 schleswig-holsteinische Grundschulen von mehr als 400 Schüler/innen besucht wurden. Folglich standen dem Großteil der Schulleitungen nur 7-15 Verwaltungsstunden wöchentlich zur Verfügung. Der internationale Vergleich zeigt, dass eine derart hohe Gewichtung der Unterrichtstätigkeit von Schulleitungen außer in Deutschland nur noch in Frankreich üblich ist. Eine Bilanz von Bos dokumentiert, dass die wöchentliche Arbeitszeit von deutschen
12 Da kein Zusammenhang zwischen der Verteilung der Schulgrößen auf das Geschlecht der Schulleitungen existiert, bleiben in der obigen Tabelle Geschlechterangaben unberücksichtigt.
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Grundschulleitungen ca. 50 Stunden beträgt. Von dieser Zeit entfallen 38% auf die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie die Ausübung des Unterrichtens. Die Arbeitszeit, die von Schulleitungen anderer europäischer Länder für die Unterrichtsaktivität aufgewendet wird, liegt zwischen 2% in Schweden und Italien und max. 20% in Österreich (vgl. Bos, 2007, S. 68f.).
3.3 P ROFESSIONALISIERUNGSENTWICKLUNGEN DES B ERUFSBILDES S CHULLEITUNG Den folgenden Ausführungen über die Professionalisierungsbestrebungen des Tätigkeitsfeldes Schulleitung und der phasisch auflodernden Debatte um die Frage „Was muss eine Schulleitung können?“ – der die hier später aufgegriffenen Überlegungen, wo und wie ebendies erlernt werden kann, inhärent sind – soll ein Zitat von Leuchtenberger vorangestellt werden, welches aus seinem 1911 erschienenen Ratgeber für angehende Schuldirektoren stammt: „Er versteht sein Fach, er weiß anzuregen, und er weiß Schüler zu beurteilen und zu lenken. Er weiß etwas klar zu machen, auch Trockenes zu beleben, für alles Interesse zu gewinnen, und er hat die rechte Art, den Schülern Respekt zugleich und Vertrauen einzuflößen, Furcht und Liebe; es ist zweifellos: er ist ein wahrer Jugendfreund. Ja, so ungefähr muß man, lieber Direktor, über dich als Lehrer urteilen. Allerdings du bist nun doch eben auch Direktor“ (Leuchtenberger, 1911, S. 50). Dieses Zitat macht das Anfang des 20. Jahrhunderts fehlende Verständnis dafür deutlich, dass Schulleitung nicht nur eine herausragende Facette des Lehrberufes, sondern ein eigenständiger Beruf ist. Diese Sichtweise hat sich mittlerweile gewandelt, wenngleich die Einsicht, dass es eines angemessenen zeitlichen Rahmens für diese Tätigkeit bedarf, noch etwas hinterherhinkt, wie die Darstellung des Zeitkontingents im vorigen Kapitel zeigt. An seiner Aktualität hinsichtlich der – nicht zwangsläufig unproblematischen – Vereinbarkeit beider Rollen haben Leuchtenbergers Worte jedoch nichts eingebüßt. Zusehends rückte in den vergangenen Jahren ein gewandeltes Bild der Schulleitung in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Die Ergebnisse internationaler und nationaler Vergleichsstudien der OECD, die PISA-13, TIMSS-14, VERA-15
13 Die PISA-Ergebnisse 2010 ließen den Schluss zu, dass sich anbahnende Schwierigkeiten im Bereich der Leistungen in der Sekundarstufe I weiter verschärfen. Wer bereits
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und IGLU-Tests16 rüttelten mit ihren zum Teil alarmierenden Ergebnissen wach und entfachten Reformaktivitäten in Bildungseinrichtungen, von denen auch die Rolle der Schulleitung nicht ausgenommen war (vgl. Imhof, 2005, S. 116ff.). Die seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts im Fokus der Reformbestrebungen stehende Schulautonomie in der Hoffnung auf eine optimalere und weniger bürokratische Nutzung der Ressourcen einer jeden Schule17 bezog das Handeln von Schulleitungen immer stärker mit ein. Damit einher ging die Diskussion um eine spezifische Professionalisierung von Schulleitungen und Lehrkräften; auf den breit und vielfach kontrovers diskutierten Diskurs um das Professionsverständnis des Lehrberufes soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden (vgl. Combe/Helsper, 1997; Schütze, 1997; Oevermann, 1997; Hänsel, 1996).
in der Grundschule zur schwächsten Leistungsgruppe zählt, kann dies bis zum Ende seiner Schullaufbahn nicht kompensieren. 14 Die TIMSS wird seit 1995 weltweit in einem vierjährigen Zyklus durchgeführt und dient dazu mathematische und naturwissenschaftliche Schüler/innenleistungen zu untersuchen. 1995 und 2007 beteiligte sich Deutschland an der Studie. Im Gegensatz zu TIMSS 1995 war TIMSS 2007 jedoch auch eine Grundschuluntersuchung mit Schülerinnen und Schülern aus Deutschland am Ende der vierten Jahrgangsstufe. Hier belegte Deutschland von 40 teilnehmenden Staaten den 12. Rang (vgl. http:// www.timss.mpg.de/, 16.06.2011). 15 Seit dem Schuljahr 2004/05 werden in Schleswig-Holstein in allen Grundschulen und seit dem Schuljahr 2007/08 auch in allen weiterführenden Schulen Vergleichsarbeiten in den Klassenstufen 3, 6 und 8 geschrieben, die sich an länderübergreifenden Bildungsstandards orientieren. In der Grundschule werden diese Arbeiten in den Fächern Deutsch und Mathematik durchgeführt. 16 35 Länder nahmen 2006 an der Untersuchung des Leseverständnisses von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Klasse teil. Deutschland belegte Platz 11 (vgl. Bos, 2007). 17 Auf kritische Beiträge darüber, ob diese unterstellten positiven Auswirkungen von schulischer Autonomie tatsächlich realistisch sind und sich durch eine Veränderung struktureller Bedingungen spezifische Bildungsprozesse in praxi positiv verändern lassen, sei an dieser Stelle nur verwiesen, da eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesem Aspekt hier nicht zielführend wäre. Interessante Gedankengänge finden sich beispielsweise im Bildungsprojekt „Schulentwicklung – Pläne, Konzepte und Perspektiven der Schulentwicklung in verschiedenen europäischen Ländern“ in den Berichten von Wittenbruch (2001, S. 31ff.) und Schirp (2001, S. 113ff.).
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Wenn man sich nun von dieser Makro- auf die Mikroebene begibt und Qualitätssteigerung das Ziel ist, welches mit Optimierung der schuleigenen Bedingungen und umfassender schulinterner Evaluation erreicht werden soll, rückt zwangsläufig auch das Berufsbild der Schulleitung, verbunden mit einem hohen Forderungskatalog, ins Zentrum. Mit einer erhöhten Eigenverantwortung und Selbstorganisation jeder einzelnen Schule verändert sich das Profil der Schulleitung, da diese Art Schule bewusst geführt und gestaltet werden muss. In Ergebnissen zahlreicher Forschungen werden „gute“ Schulen zumeist mit folgenden Kriterien in Verbindung gebracht: „eine starke, Zielvorgaben entwickelnde Schulleitung“ (Ackermann, 1998, S. 7), „Qualität der Organisationskultur und des Schulmanagements“ (Holtappels, 2003, S. 42), „Professionalisierung und Unterstützung der Kollegien“ (Burkard/Eikenbusch, 2003, S. 114). Scheint die Grundvoraussetzung für Qualität nun eine verantwortliche Führung der einzelnen Schulen zu sein, die die Partizipation und das Engagement aller Lehrkräfte an Schulentwicklungsprozessen mobilisiert, stellt sich die Frage, wie erfolgreiche Führung im Bildungswesen zu verorten ist, und es bedarf einer Klärung, welche Fähigkeiten Schulleiterinnen und Schulleitern inhärent sein müssen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Handbücher für Schulleitungen, die in großer Anzahl erscheinen, wollen hier Klarheit durch praktische Tipps, zum Teil in Form von Checklisten, schaffen. So wird guten Schulleitungen geraten, eine positive Stimmung zu verbreiten und ausgiebig zu loben (vgl. Whitaker, 2010, S. 41f.), ihre Rolle nicht nur innezuhaben, sondern sie zu leben (vgl. Lohmann, 2007, S. 44ff.) und bei ihren Äußerungen stets zu beachten: „Wenn der Schulleiter niest, bekommt die ganze Schule Schnupfen“ (Whitaker, 2010, S. 48). Selbst wenn man von einer kritischen Betrachtung der einzelnen Ratschläge absieht, zeigt sich hier der universale Anspruch. Zugänge theoretischer Ausrichtung zu diesem weiten Tätigkeitsfeld sehen die Hauptaufgaben von Schulleitung in einem Drei-Wege-Modell, basierend auf Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung (vgl. Rahm, 2005, S. 55). Rolff bezeichnet diese drei Handlungsfelder, die als Sammelbegriffe des Anforderungsinventars für Schulleitung verstanden werden können, als „Trias der Schulentwicklung“ (Rolff, 2010, S. 34). In Hinsicht auf die Organisations- und Unterrichtsentwicklung bewegen sich Schulleitungen stetig in einem Spannungsfeld zwischen Lehrkräften, Eltern und außerschulischen Institutionen sowie strukturellen und organisatorischen Herausforderungen und Erwartungen an Innovation und Bildungsqualität, die von außen an sie herangetragen werden. Unterrichtsentwicklung soll – dem sich erweiternden globalen Bezugsrahmen entsprechend – stärker auf Vergleichbarkeit ausgerichtet werden, welche
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durch die Umsetzung verobjektivierbarer Leistungsstandards gewährleistet werden soll. Organisationsentwicklung hingegen fokussiert zunehmend auf das individuelle Profil einer jeden Schule, welches sich durch ein greifbares Schulprogramm erkennen lässt und ein unverwechselbares Gesicht der Schule konturiert. Dies zu erstellen und es über die Ebene bloßer Außendarstellung zu erheben, erfordert detaillierte Absprachen und kooperative Aushandlungen über einen gemeinsamen Erziehungskonsens und über Schwerpunkte der fachlichen Arbeit zwischen den Lehrkräften unter Anleitung der Schulleitung. Dieser obliegt es, die Schulentwicklungsprozesse zu organisieren und zu moderieren, Qualitätsentwicklungsprojekte zu initiieren, Evaluationen zu leiten, Personalentwicklung zu betreiben und für Austausch unter den Beteiligten zu sorgen. In diesem Kontext müssen Schulleitungen, so formuliert Rahm, zu „Change Agents, (die) zentrale Akteure für Wandel und Innovation“ (Rahm, 2005, S. 106) sind, reifen. An anderer Stelle spricht sie von der Rolle der Schulleiterin bzw. des Schulleiters, die sich „im Schulentwicklungskontext vom instructional leader, der die Organisation von Lehr-Lernprozessen in den Mittelpunkt seines Interesses rückt, hin zum transformational leader, der den schulischen Wandel moderiert“ (Rahm, 2005, S. 78), ändert. Wie können Schulleitungen aber all diesen Ansprüchen gerecht werden, ohne die bereits latent vorhandene Aversion des pädagogischen Feldes gegenüber Führung, Kontrollen und Hierarchien noch zu schüren und Widerstände auszulösen? Wie kann Schulleitung erfolgreich Personalführung, den dritten Baustein des klassischen Drei-Wege-Modells für kontinuierliche Schulentwicklung, betreiben trotz bestehender Skepsis der Pädagog/innen gegenüber der Übertragung von Managementmethoden auf den Erziehungssektor? Nach Bonsen glückt dies am ehesten, wenn die Schulleitung bestenfalls eine Vereinigung eines „Pädagogen mit einem ‚inneren Team‘ aus Manager und Sozialarchitekt, Berater und Betreuer, Prediger und Prophet und gegebenenfalls auch Anwalt oder Politiker“ (Bonsen, 2003, S. 298) verkörpert. Die Anzahl und Wahl der von Bonsen gewählten Berufsgruppen zeigt, wie komplex die an Schulleitung gestellten Anforderungen sind und welch hoher Stellenwert der kommunikativen und sozialen Verantwortlichkeit zufällt. Insbesondere Grundschullehrkräfte scheinen dieser Perspektive eine hohe Bedeutung beizumessen: In einer eigenen schriftlichen Befragung von 54 Grundschullehrkräften dokumentiert sich, dass Grundschullehrkräfte umfassende Organisationszusammenhänge nur marginal im Blick haben, wenn sie an Fähigkeiten guter Schulleitungen denken. Dominierend tritt hingegen die Erwartungshaltung einer an situationsspezifisch angewandten kommunikativen Fähigkeiten und pädagogischzwischenmenschlichem Geschick in der Gestaltung der Arbeitssituation erkenn-
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baren Professionalität hervor. So bezogen sich 70 Äußerungen der befragten Personen auf Aspekte der Personalführung, der Kommunikation und Konfliktbewältigung. Diese Blickrichtung spiegelt sich auch in den für diese Arbeit erstellten Beobachtungsprotokollen wider: So benutzte eine Seminarleiterin die dichotomen Begrifflichkeiten „Struktur“ und „Kultur“ im Hinblick auf Schulentwicklung und resümierte nach einer umfänglichen Diskussionsrunde: „Mir fällt ganz interessant auf, dass Sie (sie deutet mit dem ausgestreckten Arm auf die anwesenden Grundschullehrkräfte) ganz stark auf der Kulturebene argumentieren und die anderen Vertreter anderer Schularten hier eher immer die Strukturebene angesprochen haben.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 391-395-III) Einer kommunikativen Kompetenz wird für eine Erfolg versprechende Personalführung, die unterschwellig wiederum die Organisationsentwicklung beeinflusst, ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die Schulleitung muss sie nutzen, um Lehrkräfte zu motivieren und stets die Integration aller Mitarbeiter im Auge zu behalten. Taktisches Verhandeln und „die verdeckte Ausübung von Macht und Einfluss im Sinne austauschtheoretischer Überlegungen wie beispielsweise der Frage „Wo kann ich wie, wen beeinflussen, weil er mir noch etwas schuldig ist?“ (Bonsen, 2003, S. 297) führen hingegen zu einer Aufspaltung des Kollegiums und einer Isolation einzelner Kolleg/innen, was wiederum zu einer Schwächung des Gesamtkonstrukts führt. Als Gelingensbedingung hingegen gilt eine Abkehr vom Einzelkämpferdasein hin zu einer transparenten unmittelbaren Kommunikationskultur, die alle Beteiligten mit einbindet und dadurch die Bereitschaft für Veränderung signifikant erhöht. Brohm zeigt auf, dass Mitarbeiter/innen „Wandel ablehnen, wenn sie kein Verständnis für die Vision und die Veränderungsziele entwickeln oder wenn sie Angst vor negativen Folgen für die eigene Person fürchten“ (Brohm, 2004, S. 174). Sie postuliert in diesem Zusammenhang als ein Konzept aus der Wirtschaft das „Changemanagement“, welches Vorlagen für die erfolgreiche Leitung von Schulen liefern kann. Das „Changemanagement“ umfasst die aussichtsreiche Weiterentwicklung von Veränderungsmaßnahmen sowie das Kontinuum aus Analyse, Planung, Realisierung und Evaluierung (vgl. Brohm, 2004, S. 174f.) und bezieht auch personenorientierte kommunikative Strategien mit ein. Das Konzept des Changemanagements hat mittlerweile auch einen zentralen Stellenwert in den beiden Qualifizierungsangeboten für Schulleitung in Schleswig-Holstein. Der kurze Überblick über die Professionalisierungsdebatte und die damit einhergehenden Modernisierungsimpulse durch Managementkonzepte aus dem
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wirtschaftlichen Sektor18 offenbart die sich zuspitzende und seit Jahrzehnten bestehende Kritik an der unzureichenden Vorbereitung auf das Schulleitungsamt. So nachdrücklich und hoch die auf Beanstandungen an den faktischen Gegebenheiten basierende Erwartungshaltung ist, so unklar sind die Vorstellungen darüber, wie dieser Befund konkret veränderbar ist. Der Mangel an einer adäquaten, der Tätigkeit als Schulleiterin bzw. Schulleiter vorausgehenden Qualifizierung und kontinuierlichen Assimilation der Fähigkeiten an die sich verändernden Anforderungen wurde in der Literatur breit diskutiert und hat eine lange Tradition. Bereits 1978 subsumierte Döring im „Schulleiter-Handbuch“19 die Situation der Schulleitungen unter den Bezeichnungen „vergessen und überfordert“ (Döring, 1978, S. 12) und begründete dies damit, dass „bei allen Planungsversuchen und Reformbemühungen […] unzureichend überdacht wurde, welche zusätzlichen und neuen Anforderungen sich daraus für die Schulleitung ergeben“ und demzufolge „die bisherigen und neuen Anforderungen an die Schulleitung ohne entsprechende Kompetenz- und Kapazitätserweiterung bewältigt werden müssen“ (Döring, 1978, S. 8). Beständig wird darauf verwiesen, dass, wenngleich die erforderten Fertigkeiten für die Schulleitungstätigkeit nicht in der Lehrer/innenausbildung erworben werden können, dennoch davon ausgegangen wird, dass „ein überdurchschnittlich gut und erfolgreich arbeitender Lehrer prinzipiell als
18 Die Fokussierung auf Management-Fertigkeiten zeichnet sich beispielsweise in den USA noch viel stärker ab, da das dortige Tätigkeitsfeld der Schulleitungen auch noch das „budgeting“ umfasst. So setzt Green eine souveräne Handhabe der finanziellen Mittel voraus: „This function requires the school leader to have detailed knowledge of fiscal operations and business management procedures“ (Green, 2010, S. 4). An anderer Stelle streicht er die Bedeutung eines weiteren Zuständigkeitsbereiches heraus, der für deutsche Schulleitungen in den meisten Bundesländern ebenfalls keine Relevanz hat: „It is important for school leaders to recruit and employ teachers in a timely manner […] (otherwise) the person most qualified to fill the position may have been selected earlier by another school“ (Green, 2010, S. 115). Nicht zuletzt stellt die Kombination beider Aufgabengebiete eine hohe Anforderung an die amerikanischen Schulleitungen: „[…] if the projections are below what are required, individuals with the knowledge, skills and attributes needed for program implementation may not be available” (Green, 2010, S. 116). 19 Die Schriftenreihe „Schulleiter-Handbuch“ erscheint seit 1977 viermal jährlich (seit 2002 unter dem Titel „Schulmanagement-Handbuch“). In den Ausführungen werden die unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Bundesländer berücksichtigt.
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Schulleiter in Frage kommt“ (Neulinger, 1990, S. 10). Diese Auffassung scheint nach einer intensiven Betrachtung des Anspruchspostulats äußerst fragwürdig, insbesondere wenn man empirische Untersuchungen berücksichtigt, die bilanzierten, dass die Mehrheit der Lehrkräfte Schwierigkeiten „in der Wahrnehmung der Schule als Ganzes“ hat und sich Hinweise auf „ein gering entwickeltes Organisationsverständnis von Lehrerinnen und Lehrern“ ergaben (Esslinger, 2002, S. 300). Der Ausbau der Amtsvorbereitung passt sich erst nach und nach den veränderten und gestiegenen Anforderungen an. Liegt dieser Tatsache die Auffassung zugrunde, ein Identitätswechsel von der Lehrkraft zur Schulleitung vollzöge sich automatisch bei Amtsübernahme, oder fußt sie auf der hoffnungsvollen Annahme, es bewürben sich um das Schulleitungsamt nur Personen mit passender Identitäts- und Kompetenzausreifung? Schulleiterinnen und Schulleiter selbst zeigten nach einer quantitativen Fragebogenstudie von Wissinger, in der im Jahr 1992 196 Personen befragt wurden, die zum damaligen Zeitpunkt das Schulleitungsamt an unterschiedlichen Schulformen in Bayern ausübten, durchaus Unsicherheiten, sahen sich in Führungstechniken und Mitarbeiterführung unzureichend ausgebildet und wünschten sich mehr Fortbildung (vgl. Wissinger, 1996, S. 141ff.). Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich schlussfolgern, dass eine Instanz benötigt wird, die diese zum Teil differenten Ansprüche auf einen Nenner bringt, in einer verbindlichen Qualifikationsschulung zusammenfasst und das Leitungshandeln amtierender Schulleitungen regelmäßig evaluiert. Durch die bereits existierenden unterschiedlichen Qualifizierungsmaßnahmen wird diesem Postulat nach Qualitätssicherung bereits Rechnung getragen. Bei aller Befürwortung einer verpflichtenden Regelung zur Qualifizierung und deren Überprüfung soll dennoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass Schulleitungshandeln nicht auf die Ausübung administrativ angeordneter Verwaltungsaufgaben reduziert werden darf. Schulleiterinnen und Schulleiter wirken – das darf bei diesen Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden – auch und vor allem durch ihre Persönlichkeit, mit der sie eine Schule in dem ihnen eigenen Stil leiten, den man nicht universell erzeugen und kriteriengeleitet evaluieren kann. Wenn es jedoch nicht dem Zufall überlassen sein soll, dass Personen mit geeigneten Persönlichkeitseigenschaften das Amt der Schulleitung und damit verbunden die Verantwortung für das Gelingen von Bildungsqualität übernehmen, ist eine spezialisierte Ausbildung als notwendige Voraussetzung anzusehen. Diese anspruchsvolle und komplexe Tätigkeit bedarf eines Konzepts zur Aus- und Weiterbildung, welches auch die Entfaltung individueller Potentiale hinsichtlich der Fähigkeit des Leitens ermöglicht. Schließlich handelt es sich um Personen, deren Persönlichkeit häufig durch jahrzehntelanges Praktizieren der
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Lehrer/innenrolle konturiert wurde und die nun aus dieser Ausgangsrolle heraustreten, an die sie durch die nach wie vor bestehende Unterrichtsverpflichtung andererseits auch weiter gebunden sind, und von denen ein Perspektivwechsel verlangt wird. Da sich infolgedessen zwei Funktionsbereiche vermischen, stellt sich auch die Frage, inwieweit die neue Rolle im Widerspruch steht zu den in den vorausgegangenen Sozialisationsprozessen erworbenen Handlungskompetenzen. Da die Ausgangsbedingungen einer jeden Schule andere und die Voraussetzungen, auf die eine neue Schulleitung stößt, nicht miteinander vergleichbar sind, ist es sicher nicht möglich, eine Ausbildungsform zu entwickeln, die standardisiertes Wissen und fertige Konzepte vermittelt. Die bloße Vermittlung theoretischer Kenntnisse über Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung greift bei einer solch personenbezogenen Tätigkeit sicher zu kurz, dennoch ist eine gewisse Standardisierung der Qualifizierung sinnvoll und ein Annähern der Kompetenzen an die Anforderungen vonnöten, um die Gelingensbedingungen für effektives qualitätsorientiertes Führungshandeln zu steigern. So konstatiert auch Bonsen „Schulleitung ‚wirkt‘ nicht mechanisch und nach linearen, quasi naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, sondern entfaltet ihre Wirkung eben in der Besonderheit und historischen Einmaligkeit einer spezifischen Situation der Einzelschule“ (Bonsen, 2010, S. 195). English bringt es auf den Punkt: „Leadership is both a science and an art“ (English, 2008, S. 1). Die vorausgegangenen Überlegungen sollen mit der Quintessenz des eingangs bereits zitierten Pädagogen Leuchtenberger schließen, mit dem er 1911 das Problem des Schulleiters zusammenfasste: „Denn ein Direktor ist auch nur ein Mensch mit Schwächen und Mängeln und Fehlern. Und doch sind die Direktoren im ganzen eine Auslese aus den Besten ihrer Art, bewährte Männer, hoffentlich nicht wegen Konnexionen, sondern wegen ihrer Tüchtigkeit auf ihren Posten gestellt. Die Aufgaben des Direktors sind eben wirklich schwere“ (Leuchtenberger, 1911, S. 24). Die Vorbereitung auf diese „schweren Aufgaben“ fußt jedoch nach wie vor auf – je nach Bundesland sehr heterogenen – Maßnahmen von einwöchigen Grund- und Aufbaukursen in Bayern bis zu dreiwöchigen freiwilligen Seminaren in Baden-Württemberg20. Auf der Basis einer Fokussierung auf das Land
20 Die Untersuchung von Rosenbusch und Huber bildet die Qualifizierungssituation für Schulleitungen aller 16 Bundesländer in den Jahren 1999/2000 ab. Da ihr Befund für das Bundesland Schleswig-Holstein jedoch nicht mehr der aktuellen Situation entspricht und gleiches auch für andere Bundesländer anzunehmen ist, wird die Studie nicht näher ausgeführt. Lediglich das Fazit der Autoren sei zitiert, da es nichts an sei-
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Schleswig-Holstein werden nun die Qualifizierungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer, die sich für dieses Amt interessieren, expliziert.
3.4 Q UALIFIZIERUNG VON S CHULLEITERINNEN UND S CHULLEITERN IN S CHLESWIG -H OLSTEIN Der Blick auf die differenzierter werdenden Anforderungen an die Tätigkeit der Schulleitung, die das voranstehende Kapitel transparent machte, zeigen die Gefahr, die die Illusion mit sich bringt, es gäbe eine „angeborene“ Befähigung zum Führen einer Schule. Offen bleibt die Frage, wie eine Qualifizierung auszusehen hat und was sie leisten muss, um adäquat anleitend und befähigend zu wirken. Im Folgenden soll der Ist-Stand des aktuellen Qualifizierungsprocedere von Schulleitungen im Bundesland Schleswig-Holstein abgebildet werden. Das „Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH)“ hat neben anderen Schwerpunktsetzungen die Zuständigkeit für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von schleswig-holsteinischen Lehrkräften und gestaltet diese zum aktuellen Zeitpunkt wie folgt: Nach einer Dienstvereinbarung, die zum 01.01.2009 in Kraft trat21, setzt sich die modularisierte Vorbereitung künftiger Schulleitungen aus vier fakultativen Säulen zusammen: Vor der Bewerbung, vor oder nach Dienstantritt können Module des „Trainings zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ besucht werden. Das „TVaS“ ist somit die umfänglichste und zentralste Qualifizierungsmöglichkeit und das einzige Angebot zur Vorab-Qualifizierung von Seiten des IQSH. Nach erfolgreicher Wahl zur Schulleiterin bzw. zum Schulleiter können die gewählten Personen bis zu fünftägige Hospitationsangebote bei erfahrenen Schul-
ner Bedeutsamkeit eingebüßt hat: „Bei genauerem Hinsehen ergibt sich ein durchaus divergierendes Bild, das uns zeigt, dass man offensichtlich in einzelnen Bundesländern unterschiedliche Vorstellungen über den Aufgabenbereich von Schulleitungen hat, dass man Schulleitungspersonal unterschiedlich in seiner Wertigkeit einschätzt und dass deshalb die Schwerpunkte bei der Kompetenzvermittlung verschieden sind“ (Rosenbusch/Huber, 2002, S. 113). 21 Vor der Dienstvereinbarung von 2009 gab es ein dreistufiges Konzept, welches aus 32 freiwilligen Fortbildungsstunden vor einer Bewerbung, 64 verpflichtenden Fortbildungsstunden nach Amtsübernahme sowie diversen freiwilligen Angeboten während der Amtsausübung bestand.
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leitungen nutzen und partizipieren an einer Begleitung zu Dienstbeginn. Diese besteht darin, dass sich neu ernannte Schulleiterinnen und Schulleiter eines Kreises im Beisein einer Schulrätin bzw. eines Schulrates treffen. Dieser sogenannte „Arbeitskreis Schulleitung“ wird auf Initiative der jeweiligen Schulrätinnen bzw. Schulräte initiiert. Daher variieren Umsetzung und Häufigkeit der Treffen in den einzelnen schleswig-holsteinischen Kreisen. Der „Arbeitskreis Schulleitung“ soll den Austausch der neuen Amtsinhaber/innen unterstützen und ihnen bei der Beantwortung im Arbeitsalltag auftretender Fragen helfen. Zudem nehmen sie an einer verpflichtenden dreitägigen Einführungsveranstaltung für bereits gewählte Schulleitungen teil. Folgende Themenbereiche sind Gegenstand dieser Veranstaltung, die vom IQSH logistisch unterstützt und vom Ministerium inhaltlich geplant wird: • „Erwartungen des Landes Schleswig-Holstein an die neuen Schulleiterinnen und Schulleiter, aktuelle bildungspolitische Entwicklungen
• Neue Rolle: Rollenklärung • Die ersten hundert Tage im Amt • Das Personalentwicklungskonzept der Landesregierung: Rückmeldung für Führungskräfte und Mitarbeitergespräche
• • • • • • • •
Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahren Dienst- und Disziplinarrecht Grundlagen zur Erstellung dienstlicher Beurteilungen Schulartennachmittag: Planung eines Schuljahres Schulverwaltung: Einschlägige Vorhaben des Landes Grundlagen der Mitbestimmung Unterrichtsentwicklung, Umsetzung der Ausbildungsordnung Unterstützungssysteme für Schulleiterinnen und Schulleiter“ (vgl. Dienstvereinbarung Schulleiterqualifizierung vom 20.11.2008, S. 335)
Neben dieser vom IQSH durchgeführten Qualifizierungsstruktur besteht in Schleswig-Holstein das Angebot eines Weiterbildungsstudiums der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Für diesen Studiengang wird ebenfalls auf der Homepage des IQSH geworben, da er auf Initiative des IQSH-Direktors gegründet wurde.
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3.4.1 Fortbildungsangebot „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ Die bereits erwähnte Qualifizierung mit der Bezeichnung „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“ stellt in Schleswig-Holstein das wichtigste, wenngleich freiwillige Element der Weiterbildung zur Schulleiterin bzw. zum Schulleiter dar. Seit Februar 2009 wird das „TVaS“ vom „Institut für Qualitätsmanagement an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH)“ durchgeführt. Der Vorläufer des „TVaS“ unter der Bezeichnung „Training zur Übernahme von Führungsaufgaben (TÜF)“ umfasste 32 Stunden, verteilt auf mehrere Wochenendtermine, während das aktuelle Angebot einen Umfang von insgesamt 136 Stunden hat. Das „TVaS“ beinhaltet folgende Themenschwerpunkte: • • • • • • • • • • • •
„Selbst- und Zeitmanagement (8 Stunden) Kommunikation – Basiskompetenzen der Gesprächsführung (8 Stunden) Kommunikation – Umgang mit Konflikten (8 Stunden) Konferenzen leiten – Konferenzen gestalten (8 Stunden) Schulentwicklung – vom Schulprogramm zur Feedback-Kultur (16 Stunden) Unterrichtsentwicklung als Führungsaufgabe (24 Stunden) Unterricht beobachten, beraten und beurteilen (16 Stunden) Rechtliche Grundlagen für schulische Führungskräfte (12 Stunden) Das Schulgesetz und einschlägige Vorschriften (12 Stunden) Gremienarbeit und Zusammenarbeit im öffentlichen Raum (4 Stunden) IT-Kompetenz für schulische Führungskräfte (4 Stunden) Personalführung und Personalentwicklung (16 Stunden)“ (vgl. Dienstvereinbarung Schulleiterqualifizierung vom 20.11.2008, S. 334)
Die Fortbildungsmodule finden sowohl in den Sommerferien innerhalb einer einwöchigen Sommerakademie als auch in einzelner Form über das Schuljahr verteilt statt. Die Kosten für die Teilnahme (10-25 € pro Modul) und die Übernachtung tragen die Lehrkräfte selbst. Die Module sind nicht schulformspezifisch ausgerichtet. Die Modulleiter/innen sind überwiegend Lehrkräfte, die sich durch eine Ausbildung zum Coach, Supervisor oder Mediator für diese Tätigkeit qualifiziert haben. Teilweise handelt es sich auch um erfahrene schulische Führungskräfte, die zu Einzelthemen berichten. Die Teilnahme steht allen Lehrkräften offen; sie ist keine verpflichtende Voraussetzung zur Bewerbung für eine Schulleitungsstelle. Das IQSH verweist auf seiner Homepage darauf, dass „im Rahmen der Erstellung dienstlicher Beurteilungen und bei Bewerbungen auf Funktionsstellen […] die Vorlage entsprechen-
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der Fortbildungsnachweise bei ansonsten gleicher Eignung, Leistung und Befähigung positiv berücksichtigt“ wird (vgl. http://schleswig-holstein.de/IQSH/DE/ SchulentwicklungFortWeiterbildung/FuehrungskraeftequalifizierungPersonalent wicklung/Tes/Tes.html, 26.07.2012). Die Module des „TVaS“ können auch nach der Wahl zur Schulleiterin bzw. zum Schulleiter besucht werden. Gegebenenfalls kann die Schulaufsicht neue Amtsinhaber/innen auch nachträglich zu einer Teilnahme verpflichten. Nach Angaben des Organisators haben 683 Lehrkräfte im Jahr 2010 am „TVaS“ teilgenommen, 2011 waren es 648. Nachdem die Teilnehmenden alle Module besucht haben, wird ihnen auf Antrag eine Abschlussbescheinigung ausgestellt, die in Kopie auch an die Schulaufsicht und die Personalverwaltung – zum Verbleib in der Personalakte – geschickt wird. Die jeweiligen Schulleitungen erfahren von der Qualifizierung ihrer Lehrkräfte nur, wenn diese es ihnen berichten. Derzeit liegen noch keine Evaluationsergebnisse dieser veränderten Schulleitungsfortbildung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor, denen man Aussagen über die Zufriedenheit mit dem modularisierten Grundkonzept entnehmen könnte; Rückmeldebögen zu jedem einzelnen Modul werden jedoch von den Teilnehmenden ausgefüllt und von den Modulleiter/innen zur Kenntnis genommen. Die hohe Anzahl Teilnehmender lässt sich als Indiz für eine positive Resonanz werten. Die Analyse der empirischen Daten der vorliegenden Untersuchung lässt Rückschlüsse auf die Erwartungshaltung und den persönlichen Ertrag aus Sicht der Teilnehmenden zu. 3.4.2 Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ Beim Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ handelt es sich um einen Fernstudiengang der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, der seit August 2007 besteht. Er wurde in einem Kooperationsprojekt zwischen der Christian-Albrechts-Universität (Philosophische Fakultät und Zentrum für Lehrerbildung), dem „Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH)“, dem Cornelsen-Verlag, dem Oldenbourg Schulbuchverlag und der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und SchleswigHolstein e.V. entwickelt. Das Studienangebot wendet sich an Lehrkräfte aller Schularten, Schulleiterinnen und Schulleiter, weitere Führungskräfte an Schulen, Führungskräfte in Ministerien, Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamte, Schulrätinnen und -räte, Schulentwicklungsberater/innen, Fortbildungsleiter/innen und Studienleiter/innen. Das Studium stellt keinen speziellen Bezug zu den Beson-
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derheiten im Bundesland Schleswig-Holstein her und ist daher für Interessierte aus allen Bundesländern geeignet. Die Zulassungsvoraussetzungen schreiben das erste und zweite Staatsexamen bzw. den lehramtsbezogenen Master mit mindestens 240 Leistungspunkten und eine mindestens einjährige Berufserfahrung vor. Das vier Semester umfassende Fernstudium ist berufsbegleitend konzipiert und hat zum Ziel, „die in einem Lehramtsstudium und der entsprechenden Berufstätigkeit bereits erworbenen Qualifikationen“ (Christian-Albrechts-Universität, Studieninformationsblatt „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“, S. 1) zu vertiefen und ein Ineinandergreifen von Theorie und Praxis zu begünstigen, indem „wissenschaftliche Grundlagen für pädagogische Führungstätigkeit, relevante Methoden und Ergebnisse der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung sowie professionelle Kompetenzen in den Bereichen Qualitätsmanagement, Personalführung, Kommunikation und Management von Organisationen“ vermittelt werden (Christian-Albrechts-Universität, Studieninformationsblatt „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“, S. 1). Der Studiengang basiert auf sieben Studienbausteinen (Modulen), die von Studienbriefen ergänzt werden. Die Module umfassen die Bereiche „Qualität sichern und entwickeln; Organisationen managen; diagnostizieren und evaluieren; aus Vergleichsstudien lernen; Unterricht beurteilen und verbessern; Personal führen; professionell kommunizieren“ (Christian-Albrechts-Universität, Studieninformationsblatt „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“, S. 4). Jedes Modul besteht aus zwei bis fünf synchronen E-Learning-Konferenzen und schließt mit einer Prüfung in Form einer Klausur, einer Einsendeaufgabe, eines Portfolios oder einer ähnlichen Prüfungsform ab. Insgesamt sieht die Leistungsanforderung dieses Studienganges sieben Einsendeaufgaben, sechs Klausuren und zwei Praktikumsberichte vor. Gemäß dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) wird für jede bestandene Prüfungsform eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten (LP) vergeben. Ein Leistungspunkt entspricht etwa dem Arbeitsaufwand (Workload) von 30 Stunden Präsenzund Selbststudium. Die sechs Module, die sowohl die Bearbeitung einer Einsendeaufgabe als auch das erfolgreiche Bestehen einer Klausur verlangen, werden mit je bis zu 6 Leistungspunkten bewertet. Im klausurenfreien Modul im vierten Semester können aufgrund des verringerten Workloads höchstens fünf Leistungspunkte erworben werden. Einsendeaufgaben und Praktikumsberichte werden nicht benotet, sondern erhalten die Bewertung „bestanden“ oder „nicht bestanden“. Klausuren werden ganz oder teilweise in Form von Multiple-ChoiceTests durchgeführt, haben einen Umfang von 30 bis 90 Minuten und werden benotet. Diese Noten gehen in die Endnote ein.
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Die Studienvorgabe beinhaltet weiterhin die Teilnahme an je zwei Präsenzveranstaltungen pro Semester. Im Laufe des Studiums müssen die Studierenden außerdem zwei einwöchige Praktika zu einem frei wählbaren Zeitpunkt in Wirtschaftsunternehmen oder im Bildungsbereich (z.B. in Universitäten, Ministerien, der Schulaufsicht oder in Landesinstituten) absolvieren. „Praktika sind zum einen auf allgemeine Leitfragen bezogen, die modulübergreifend definiert wurden; zum anderen sind die Praktika auf spezifische Leitfragen, die mit dem Modul zusammenhängen, ausgerichtet und werden von den Praktikanten vor Praktikumsantritt entwickelt und im Praktikumsbericht diskutiert“ (ChristianAlbrechts-Universität, Studieninformationsblatt „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“, S. 4). Beide Praktikumsleistungen werden im Anschluss an die eingereichten Praktikumsberichte mit je bis zu 2 Leistungspunkten bewertet. Das Studium wird mit einer Masterprüfung, deren Gegenstand der Lehrstoff der sieben Module ist, sowie einer Masterarbeit abgeschlossen. Die Masterarbeit, zu deren Erstellung vom Zeitpunkt der Themenabgabe vier Monate zur Verfügung stehen, umfasst ca. 40-50 Seiten und wird mit bis zu 15 Leistungspunkten honoriert. Die Bewertung wird von zwei Gutachter/innen durchgeführt. Die Gesamtnote errechnet sich aus den Klausurnoten und der Note für die Masterarbeit sowie den erreichten Leistungspunkten. Pro Semester stehen für diesen Studiengang, für den eine Studiengebühr von 630 € pro Semester sowie ein Semesterbeitrag von derzeit 101 € zu entrichten sind, 50 Studienplätze zur Verfügung, die bislang noch keine Auslastung erfahren haben. 45 Personen haben bis 2010 diesen Studiengang erfolgreich abgeschlossen. Die Studierenden kamen aus fast allen Bundesländern; am zahlreichsten vertreten waren Personen aus Schleswig-Holstein und Hamburg. Ca. 10% der Studierenden waren Führungskräfte wie Schulleiter/innen, stellvertretende Schulleiter/innen oder Abteilungsleiter/innen. Etwa die Hälfte der Studierenden unterrichtete an Gymnasien und Berufsbildenden Schulen, ca. ein Viertel an Realschulen und ca. ein Viertel an Grund-, Haupt- und Förderschulen. Der Studiengang wird stetig evaluiert, um eventuell notwendig werdende Weiterentwicklungen des Studienangebotes aus Sicht der Teilnehmenden umsetzen zu können. 3.4.3 Zusammenfassende Betrachtung der Qualifizierungssituation Betrachtet man die unterschiedlichen Modalitäten und Schwerpunktsetzungen der beiden Qualifizierungsmöglichkeiten, die sich potentiellen Bewerber/innen bieten, und behält gleichzeitig im Blick, dass bundesweit ein noch größeres Spektrum an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für angehende Schulleiterinnen
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und Schulleiter auszumachen ist, zeigt sich die Unschärfe, mit der das Aufgabenprofil von Schulleitung in Deutschland wahrgenommen wird. Dieser Eindruck verfestigt sich noch, erweitert man den Horizont auf das internationale Procedere. In Frankreich und den USA sind Stellenwert und zeitlicher Umfang der dort obligaten vorbereitenden Ausbildung und die Bandbreite der allgemeingültigen inhaltlichen Zielsetzungen sehr viel größer22. Insbesondere in den USA sind Aufstiegsaspirationen für Lehrkräfte mit hohen persönlichen Kosten verbunden, da „eine entsprechende Vorbereitung Bedingung für die Bewerbung (ist), aber nicht automatisch Garantie für deren Erfolg, was angesichts der kosten-, zeit- und arbeitsintensiven Programme sehr viel Einsatzbereitschaft der Kandidaten erfordert“ (Rosenbusch/Huber, 2002, S. 220). Rosenbusch und Huber schildern, dass in Ländern wie Australien und den Niederlanden, in denen eine Vorab-Qualifizierung noch freiwillig ist, diese „von den einstellenden Gremien zunehmend erwartet“ (Rosenbusch/Huber, 2002, S. 220) wird. In England wurde im Jahr 2000 das Qualifizierungsprocedere modifiziert und das „National College for School Leadership“ gegründet (vgl. Early/Jones, 2009, S. 166f.), welches ein fünfstufiges Ausbildungsprogramm für angehende Schulleitungen anbietet, das vor der Amtsübernahme mit dem verpflichtenden Abschluss „National Professional Qualification for Headship“ bestanden werden muss (vgl. Rosenbusch/Warwas, 2007, S. 21f.). Hinsichtlich der Dauer der Qualifizierung rangiert Deutschland im unteren Drittel, während der zeitliche Umfang in anderen Ländern ohne Berücksichtigung des Aufwandes an häuslichen Vorarbeiten bis zu 150 Kurstage umfassen kann (vgl. Rosenbusch/Huber, 2002, S. 222ff.). Trotz aller Einschränkungen, die hier und in den vorangegangenen Kapiteln hinsichtlich der Plausibilität der Qualifizierung im Vorfeld der Übernahme des Schulleitungspostens und der Relevanz einer geeigneten Professionalisierung geäußert wurden, kann bilanziert werden, dass mit den obig dargestellten Weiterbildungsangeboten in Schleswig-Holstein heute ein umfangreicheres und komplexeres Konzept zur Verfügung steht als je zuvor, welches den aktuellen Professionalisierungserwartungen entgegenkommt und durch stetige Evaluation verbessert wird. Damit ist ein erster wichtiger Schritt getan, Professionalisierung
22 Differenziertere Informationen über die internationale Qualifizierungsweise von Schulleitungen, die auch interessante Einblicke in das Spektrum der Anbieter geben, die sich von Universitäten über staatliche Institutionen der Lehrer/innenbildung bis zu freien Instituten erstrecken, finden sich bei Huber (2007, S. 142ff.)
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nicht nur als von außen herangetragene Forderung zu verstehen, sondern sie im Sinne eines „Sichentwickelns“ aller Schule leitenden Personen umzusetzen. Nimmt man an, dass beide Qualifizierungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Qualität ähnlich hochwertig sind – eine Beurteilung dessen wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht beabsichtigt – bleibt dennoch die Frage, welchen Einfluss sie auf die Akteure und ihre Statuspassage haben. Die Akteure bezwecken mit ihrem Eintritt in das jeweilige Qualifizierungsangebot eine berufliche Veränderung und begeben sich damit in eine Statuspassage. Die Darstellung der Qualifizierungsstrukturen zeigte bereits, dass es sich um zwei ausgesprochen verschiedenartige Weiterbildungsveranstaltungen handelt, was zum einen die Annahme zulässt, diese hätten eine differente Wirkung auf den Vollzug der Statuspassage, und zum anderen den Gedanken weckt, jedes der Angebote spräche je unterschiedliche Personengruppen an. Im Kontext dieser Arbeit haben beide Aspekte einen hohen Stellenwert. Führt man sich noch einmal die in Kapitel 3.1 aufgezeigten und von Glaser und Strauss entwickelten Eckpfeiler einer Statuspassage vor Augen und ergänzt diese durch die Schlussfolgerung beider Autoren „direction and time result in the shape of a passage“ (Glaser/Strauss, 1971, S. 32), wird evident, dass ebendiese Faktoren – die Ausrichtung und die Zeitdimension – zwei zentrale trennende Merkmale der beiden schleswig-holsteinischen Qualifizierungsmöglichkeiten sind. Das Konzept des „TVaS“ sieht eine große Offenheit der Zeitplanregelung vor, die es den Teilnehmenden ermöglicht, die einzelnen Module über einen ausgedehnten Zeitraum hinweg und gegebenenfalls mit großen Unterbrechungen zu besuchen. Die starke inhaltliche Ausrichtung auf einzelne voneinander unabhängige Themenfelder sowie die Ambition der Organisator/innen, die darin besteht, ein möglichst breites Spektrum interessierter Lehrkräfte durch das Angebot anzusprechen – unabhängig davon, ob dieses Interesse primär thematisch oder aufstiegsorientiert ist –, könnten eine nachlassende Zielorientierung aufstiegsambitionierter Lehrkräfte zur Folge haben. Auch die Bezeichnung „Training“ impliziert eher eine auf langfristiges Lernen ausgerichtete Partizipation als einen zielgerichteten und abschlussorientierten Verlauf. Durch die flexible zeitliche Handhabe der Module unterliegt auch die Bezugsgruppe der Teilnehmenden einer ständigen Veränderung. Kontrastierend dazu erscheinen die zeremonielle Rahmung und das kollektive Erleben einer Hochschulresozialisation, die den Studierenden des Masterstu-
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dienganges widerfährt23. Hinsichtlich ihrer Statuspassage bilden die Studierenden, wenngleich sie differierende berufliche Positionen innehaben, eine homogene Gruppe, so dass ihre Statuspassage zur kollektiven Erfahrung wird. Die Studierenden erlangen innerhalb ihrer für den feststehenden zeitlichen Rahmen von vier Semestern bestehenbleibenden Bezugsgruppe gemeinschaftlich einen Übergangsstatus (vgl. Glaser/Strauss, 1971, S. 47). Zeitlich determinierte Ablaufstrukturen während der Dauer des Studiums, der stetige, durch die Themenausrichtung vollzogene Rückbezug auf die avisierte Leitungsfunktion und der Abschluss in Form einer Prüfung beugen einer Orientierungslosigkeit oder der Gefahr, das Ziel aus den Augen zu verlieren, vor. Die Kontinuität der Teilhabe schafft Raum für eine Entwicklungsphase der Akteure, in der sie Identitätsarbeit hinsichtlich ihres Wandels von der Lehr- zur Leitungspersönlichkeit leisten können. Die Konditionen des Masterstudienganges – von den finanziellen Erfordernissen über die zeitliche Intensität bis hin zum hochschulischen Kontext – führen dazu, dass im Gegensatz dazu die Teilnahme am „TVaS“ augenscheinlich niedrigschwelliger erscheint. Folglich ist auch zu fragen: Wird eine Weiterbildungsmaßnahme, welche ohne große Hemmschwelle angegangen wurde, unter Umständen leichter wieder aufgegeben, so dass es zu einer rückwärtsgewandten Richtungsentscheidung der begonnenen Statuspassage kommt? Der Blick richtet sich folglich auf die Akteure und den Aspekt ihrer Passung zu der einen oder anderen Qualifizierungsmaßnahme. Unter Rekurs auf Bourdieus Habituskonzept kann davon ausgegangen werden, dass der Wahl eines der Weiterbildungsangebote nicht nur praxisökonomische Überlegungen zugrunde liegen, sondern diese vorwiegend auf habituelle Prädispositionen zurückzuführen ist. Das fakultative Qualifizierungsangebot begünstigt eine Orientierung der Akteure an ihren eigenen habituellen Vorgaben, ohne dass sich diese bewusst vergegenwärtigt werden müssen. Inwieweit sich die Wahlentscheidung und damit einhergehend die strukturellen Unterschiede der Angebote als bedeutsam für die Bewältigung der Statuspassage herausstellen, wird die Konstruktion der Bewältigungstypologie erhellen. Die grobe Zusammenfassung der institutionellen Strukturen beider Qualifizierungsmaßnahmen bildet den Ausgangspunkt dafür, die einzelnen Handlungsstrategien der Akteure rekonstruieren und analysieren zu können.
23 In den Auszügen aus den Beobachtungsprotokollen der teilnehmenden Beobachtung im empirischen Teil dieser Arbeit werden, wenngleich der Fokus auf den Akteuren liegt, auch immer wieder Aspekte der Inszenierungsweisen der beiden Qualifizierungsmaßnahmen aufgegriffen.
4. Forschungsüberblick und theoretische Rahmung
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln eine Explikation aller subjektunabhängigen Strukturen des Feldes vollzogen wurde, die den gemeinsamen beruflichen Kontext der Proband/innen dieser Untersuchung ausmachen, verengt sich nun allmählich der Fokus: Das Handeln und die Intentionen der Akteure sollen in den Mittelpunkt rücken. Bevor jedoch dieser Schritt in die Empirie erfolgen kann, gilt es, zwei weitere elementare Grundlagen zu entfalten, die auf die folgenden Fragen antworten: Welcher Forschungsstand über Schulleitungen ist bereits erreicht worden und bietet möglicherweise Anknüpfungspunkte für diese Untersuchung? Welches begrifflich-theoriefundierte Rüstzeug ist voraussetzungsvoll für die Analyse der im Forschungsprozess der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse? Folglich wird zunächst der Forschungsstand referiert und alsdann der theoretische Bezugsrahmen offengelegt.
4.1 S TAND DER F ORSCHUNG ZU S CHULLEITUNG UND G ESCHLECHT Aufgrund der bildungsföderalistischen Struktur und der damit einhergehenden signifikanten Unterschiede, die sowohl die Qualifizierungsmaßnahmen und die Rekrutierungspraxis als auch die Verwaltungs- und Aufgabenfelder von Schulleitung betreffen, und der daraus resultierenden fehlenden Vergleichbarkeit handelt es sich bei den meisten deutschen empirischen Untersuchungen mit Schulleiter/innen um regionale Erhebungen. Ihnen geht im deutschsprachigen Raum keine allzu lange Tradition voraus; erste empirische Studien, die sich mit dem
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Beruf der Schulleitung befassten und die Leitung einer Schule als einen eigenständigen Arbeitsbereich mit spezifischen Anforderungen herausstellten, erschienen Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und lassen sich auf unterschiedlichen Forschungsebenen verorten1: Peter Wolfmeyer legte 1981 eine empirische Untersuchung vor, die durch die Begleitung von Schulleitungen und einer fragebogengestützten Lehrer/innenbefragung Quantität und Charakter ihrer jeweiligen Tätigkeiten zu ergründen suchte. Wenngleich er seine Ergebnisse nicht nach Geschlecht differenziert darstellte – und auch nicht die Frage aufwarf, ob diese Perspektive gegebenenfalls interessante Erkenntnisse hervorbringen könnte – und durchgängig die männliche Formulierung verwendete, wies er im Anhang seiner Veröffentlichung auf den Geschlechteraspekt hin und darauf, dass männliche Probanden in seiner Untersuchung die Mehrheit bildeten. Die Unterrepräsentanz der Frauen subsumierte er sowohl in der Aussage „je höher die Verwaltungsfunktion, desto geringer ist der Anteil der Frauen“ als auch in der Annahme, dass „Frauen aufgrund der Doppelbelastung durch Beruf und Familie die Teilnahme an unserer Untersuchung insbesondere dann häufiger abgelehnt haben, wenn die Interviewtermine außerhalb der Schulzeit lagen“ (Wolfmeyer, 1981, S. 267). Jürgen Baumert und Achim Leschinsky gingen 1986 der Frage nach, wie Schulleiter, die hier ausschließlich in der männlichen Form benannt werden, ihre Rolle definieren und welche Akzente sie in ihrer Arbeit setzen2. Mittels schriftlicher Befragung von 979 Schulleitungen aller Schularten untersuchten sie, welche Einflussmöglichkeiten diese haben, „den strukturellen Machtmangel“ (Baumert/Leschinsky, 1986b, S. 12) auszugleichen.
1
Veröffentlichungen über Schulleitungen gab es bereits früher. Da diese jedoch nur den Ist-Stand rund um die Aufgabenbereiche und die Arbeitsbelastung (vgl. z.B. Leuchtenberger, 1911; Döring, 1978), die Rechte, Pflichten und Privilegien der Schulleitung (vgl. z.B. Kühn, 1926; Flößner, 1980) oder die historische Entwicklung des Berufsbildes Schulleitung im Spannungsverhältnis zwischen Bürokratie und Pädagogik (vgl. z.B. Nevermann, 1982) theoretisch referierten ohne empirische Daten zu erheben, werden sie hier nicht weiter berücksichtigt.
2
Für das Tätigkeitsfeld Grundschule resümierten sie „eine spezifische Volksschultradition“, die darin zum Ausdruck komme, dass Schulleiter dieser Schulform es vorziehen sich „unter tendenziellem Verzicht auf Kontrollmaßnahmen“ auf eine Stufe mit ihrem Kollegium zu begeben. Diese Rollendefinition stehe in historischer Tradition, da „seit der Weimarer Zeit das Verhältnis zwischen Schulleitung und Kollegium ein besonders heikles Thema darstellt“ (Baumert/Leschinsky, 1986a, S. 258).
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Ulrike Kropp untersuchte 1988 die bis dato erschienenen Studien über Schulleitungen auf die Frage hin, welchen Stellenwert die Fortbildung des Kollegiums zur Weiterentwicklung der Schule im Bewusstsein der Schulleitungen – und auch im Bewusstsein der in diesem Bereich Forschenden – hat. Sie kam zu dem Ergebnis, dass dieser Aspekt in den Fragestellungen unterrepräsentiert ist und sich Äußerungen der Befragten, sofern sie überhaupt fallen, auf die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der gewünschten Gewichtigkeit dieses Handlungsinstruments beziehen (vgl. Kropp, 1988, S. 56ff.). 1985 und 1986 erschienen erste Artikel in den Zeitschriften „Schulmanagement“ und „Grundschule“, die die Themenfelder Schulleitung und Geschlecht miteinander verknüpften und die unterrepräsentierte Übernahme des Schulleitungspostens durch Frauen nicht mehr als selbstverständlich ansahen. Hierbei richtete sich das Augenmerk vor allem auf die Darstellung der geschlechtlichen Ungleichheit in der statistischen Verteilung (vgl. Döring, 1986, S. 12f.) und auf die Benachteiligung der Frau in leitender Position durch die familiäre Doppelbelastung (vgl. Krüger/Röhner, 1985, S. 39ff.): „Dies ist umso belastender für die Frau, je qualifizierter ihr Beruf ist“ (Wirries, 1985, S. 17). Obwohl Ingeborg Wirries, die Autorin dieses Zitates, selbst den Weg in die Schulleitung einer Hauptschule in Niedersachsen erfolgreich beschritten hatte – die Anzahl der Schulleiterinnen an niedersächsischen Hauptschulen lag laut Landesverwaltungsamt zu diesem Zeitpunkt bei nur 9% (vgl. Wirries, 1985, S. 15) –, war der intendierte Ausgangspunkt ihres Artikels nicht vorbildgebende Wegbereitung durch eine positive Rekonstruktion ihrer Karriere, sondern die Fokussierung der Schwierigkeiten für weibliche Führungskräfte in Abgrenzung zur männlichen Normalkarriere (vgl. Wirries, 1985, S. 13ff.)3. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass am Ausgangspunkt der empirischen deutschen Forschung zum Schulleitungsamt die Ausgestaltung der Rolle und die Bandbreite des Aufgabenspektrums im Mittelpunkt standen. Die Einflüsse indi-
3
In diesem Zusammenhang sind zwei Anmerkungen interessant: Zum einen verwendete Wirries selbst in einem zwei Jahre zuvor veröffentlichten Zeitungsartikel über die Berufsbeschreibung von Schulleitungen ausschließlich die männliche Bezeichnung – obschon sie zu diesem Zeitpunkt selbst bereits drei Jahre Schulleiterin war – und argumentierte in keinerlei Hinsicht geschlechtersensibel. Zum anderen basiert auch dieser Artikel auf der Grundannahme einer problembelasteten Rolle, die Schulleitungen zu bewältigen haben und die sie mit den abschreckenden Worten „beklagenswert, bedrückend, entmutigend und alles andere als erstrebenswert“ (Wirries, 1983, S. 17) etikettiert.
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vidueller Faktoren wie Geschlecht, Lebensalter, Berufs- und Lebensbiographie wurden in diesen ersten Veröffentlichungen nicht zum Untersuchungsgegenstand. Die Geschlechterperspektive wurde in der Auswertung konsequent ausgeblendet, obwohl die „Frauenforschung“ zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Vormarsch war: Entsprechende Forschungseinrichtungen waren an den Universitäten in Bielefeld und Berlin entstanden, die ersten „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ waren 1980 erschienen4 und die Quotierungsfrage stand angesichts des marginalen weiblichen Anteils an Führungspositionen in der Diskussion (vgl. Nave-Herz, 1993, S. 100ff.). Obwohl Frauen vereinzelt in den Samples obig beschriebener Arbeiten auftauchten, wurde der männliche Schulleiter noch als Norm betrachtet und das Bild einer weiblichen Natur mit häuslich familiärer Prioritätensetzung evoziert. Ab Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts erschien eine Vielfalt empirischer Forschungen, die sich vom Tätigkeitsfeld der Schulleitungen mehr und mehr hin zu deren Individualitäten wendete und ihren Aufstieg in den Blick nahm. Unter Fokussierung auf Geschlecht5 und Schulleitung sind die folgenden zu nennen6: 1992 führte Roland Storath eine Studie über den Prozess der Rollenfindung neu ernannter Schulleiter/innen durch. Er verknüpfte qualitative und quantitative Ansätze, indem er eine Fragebogenerhebung mit 131 bayrischen Schulleitungen
4
Die Frage der angemessenen sprachlichen Berücksichtigung von Frauen stellt sich
5
Dabei fällt auf, dass die Untersuchungen über männliche Schulleiter diejenigen über
dennoch weder der Autorin noch den Autoren zu Beginn der 1980er Jahre. weibliche Schulleiterinnen dominieren. 6
Studien, in deren Sample Lehrkräfte der Schulform Grundschule nicht berücksichtigt werden, werden aufgrund der Ausrichtung der vorliegenden Arbeit hier nicht aufgeführt. In diesem Zusammenhang sei auf die interessante Forschung Angela Forbergs hingewiesen, die ausschließlich weibliche Schulleiterinnen an Berufsschulen unter Verwendung eines sowohl quantitativen als auch qualitativen Methodendesigns zu ihren Laufbahnmotiven und ihrem Rollen- und Führungsverständnis befragte (vgl. Forberg, 1997). Zudem wird die Skizzierung des Forschungsstandes auf den Ergebnisstand im Hinblick auf deutsche Schulen begrenzt. Die internationale Vergleichbarkeit von Karrierekonstruktionen im Lehrberuf ist schwierig, da die internationalen Ausbildungsvoraussetzungen für Lehrkräfte, die den Aufstieg ins Schulleitungsamt anstreben, von den hiesigen abweichen und Schulleitungen auch aus pädagogikfremden Berufsfeldern stammen können.
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(19 davon an Grundschulen) durch 12 problemzentrierte Interviews ergänzte. Die Studie befasste sich intensiv mit der ersten Phase der neuen Tätigkeit und eruierte dem Titel entsprechend7 den „Praxisschock“ rundum die Arbeitsbelastung und die Beziehung zu Institutionen, Gremien und Personen. Bezüglich des Aspekts der Ermutigung erfahren seine Ergebnisse hier durch die Nähe zum Erkenntnisinteresse meiner Untersuchung eine etwas genauere Würdigung: In seiner Fragebogenerhebung durchleuchtete er die Situation der angehenden Schulleitungen im Vorfeld ihrer Bewerbung und erfragte mittels vorgegebener Items unterstützend wirkende Faktoren, die zur Bewerbung ermutigten: „Sie bewarben sich u.a. auch um die Funktionsstelle, weil Sie – Zuspruch aus dem Kollegenkreis erfuhren, – von Verbänden gebeten wurden […], – von politischen Parteien aufgefordert wurden, – von Eltern ermutigt wurden, – von Schulleitern Zuspruch erhielten, – von der Schulaufsicht angesprochen wurden, – aus Ihrer Privatsphäre (Ehepartner, Familie, Verwandte, enge Bekannte etc.) dazu angeregt wurden“ (Storath, 1995, S. 261). Die Proband/innen kreuzten mitunter mehrere Antwortmöglichkeiten an. 74,4% der Nennungen bezogen sich auf das schulische Umfeld, während auf die Ermutigung von privater Seite nur 13,2% entfielen (vgl. Storath, 1995, S. 122). Frauen nannten häufiger als Männer mehrere Ermutigungsfaktoren und die Rangfolge ihrer Ermutiger unterschied sich von der der männlichen Schulleiter darin, dass sie in etwa doppelt so häufig Anregungen aus der Familie erhalten hatten. Storath sieht darin einen weiteren „Beleg dafür, dass Frauen bezüglich ihrer beruflichen Karriere nicht nur mit Vorurteilen, sondern mit naheliegenden ‚handicaps‘ durch ihre Doppelrolle als Mutter/Ehefrau und Schulleiterin zu kämpfen haben“ (Storath, 1995, S. 194). Während damit möglicherweise der höhere Ermutigungsbedarf aus dem privaten Umfeld erklärbar wird, bleibt die Frage offen, weshalb die Frauen geringere Ermutigungen aus dem beruflichen Kontext angaben. Am Rande sei noch erwähnt, dass Storaths Untersuchungen zu entnehmen ist, dass „Frauen mehr Funktionen im Vorfeld der Ernennung bekleiden als Männer“ (Storath, 1995, S. 192) und den Zeitpunkt der Qualifizierungsmaßnahme, dieser lag in Bayern zum Forschungszeitpunkt erst nach der Ernennung, tendenziell negativer beurteilten (vgl. Storath, 1995, S. 199). Unabhängig vom Geschlecht klingt bei Storaths Proband/innen der Wunsch nach inhaltlicher Erweiterung der Qualifikationsmöglichkeiten an, wenngleich das bereits bestehende Angebot von etwa drei Viertel der Befragten als „eher hilfreich“ (Storath, 1995, S. 140) beurteilt wird. Hierbei muss aller-
7
Storath betitelte seine Veröffentlichung wie folgt: „Praxisschock“ bei Schulleitern? Eine Untersuchung zur Rollenfindung neu ernannter Schulleiter.
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dings kritisch angemerkt werden, dass diejenige Fortbildungsinstanz die beste Beurteilung erhielt, über die die Fragebögen mit einem beiliegenden Begleitschreiben des Direktors versendet worden waren (vgl. Storath, 1995, S. 141). Kurt Czerwenka et al. stellten 1994 die Ergebnisse ihrer Studie zu Berufsverläufen von Lehrkräften vor. Diese sollen hier aufgrund ihrer Fokussierung auf berufliche Entwicklungsverläufe im Zusammenhang mit Geschlecht sowie einer meines Erachtens erwähnenswerten Geschlechterreifizierung kurz Berücksichtigung finden, obwohl die Autoren nicht explizit Schulleitungen befragten8. Ihre Untersuchung basierte auf dem Interesse an der zumeist jahrzehntelang andauernden Beschäftigung von Lehrkräften im selben Beruf und manifestierte sich in der Analyse der beruflichen Entwicklung von Lehrerinnen und Lehrern. Dabei legten die Forscher einen Schwerpunkt ihres Erkenntnisanliegens auf die hypothetisierten geschlechtsspezifischen Differenzen in den Berufsbiographien9. Ihre Erwartungshaltung einer voneinander abweichenden beruflichen Entwicklung von Männern und Frauen schwang von vornherein mit, da sie voraussetzten, dass „insbesondere in Berufen, die eben gerade nicht in kalter, unpersönlicher Form erledigt werden können – und der Lehrerberuf gehört sicherlich dazu – […] sich das geschlechtsspezifisch unterschiedliche Verständnis von Beruf bzw. Berufsarbeit und Karriere auf die Wahrnehmung und Erfüllung beruflicher Anforderungen (auswirkt)“ (Czerwenka, 1994, S. 19). Weiterhin pauschalisierten sie, dass „Frauen ihren Lebenslauf hauptsächlich entlang privater Lebensereignisse rekonstruieren, wohingegen bei Männern die Stationen der Berufskarriere im Mittelpunkt stehen“ (Czerwenka, 1994, S. 40). Dieser Eindruck wird noch verstärkt, betrachtet man die Interpretation einiger Ergebnisse ihrer Fragebogenerhebung mit 514 niedersächsischen Lehrkräften. Bei der Beurteilung der eigenen Kompetenzen zeichnet sich ein signifikanter Geschlechtereffekt zugunsten der männlichen Lehrkräfte hinsichtlich der Fähigkeit ab, „Verwaltungsaufgaben zu lösen“ (Czerwenka, 1994, S. 115). Dieser ist laut Czerwenka „erwartbar“, belegt aber „selbstverständlich nicht […], daß Männer wirklich besser verwalten können als Frauen. Nur: Frauen trauen sich das sehr viel seltener zu“
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Die Autoren fassen unter der Berufsbezeichnung „Lehrkräfte“ auch Schulleitungen und stellvertretende Schulleitungen, die ebenfalls Bestandteil des Samples sind, ohne dass Angaben zu ihrer Anzahl gemacht werden.
9
Weitere Variable wie die Schulform oder das Alter der Proband/innen, die die berufliche Entwicklung beeinflussen können, wurden von Czerwenka et al. ebenfalls als Auswertungskriterien berücksichtigt (vgl. Czerwenka, 1994, S. 34ff.), haben in der vorliegenden verkürzten Schilderung jedoch nur einen marginalen Stellenwert.
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(Czerwenka, 1994, S. 115). Der vorstellbare Erklärungsansatz, dass die rekrutierten Probandinnen aufgrund eines Ungleichgewichts der Ämterverteilung noch kaum Erfahrungen mit diesen Tätigkeiten gemacht haben, geschweige denn eine routinierte Alltagspraxis entwickeln konnten, wird nicht in Betracht gezogen, obschon die Daten dafür sprechen (vgl. Czerwenka, 1994, S. 163f., S. 187 und S. 213). Mangelndes Selbstvertrauen von Frauen fungierte auch als Erklärung dafür, dass Lehrerinnen eher als Lehrer eine größere Steigerung ihrer Kompetenz in naher Zukunft für möglich halten und ihre Fähigkeiten im Erziehen, Beraten und Unterrichten nicht höher einschätzen als ihre männlichen Kollegen, wenngleich sie diesen Tätigkeiten eine größere Bedeutung beimessen: „Würde diese Argumentationslogik konsequent verfolgt werden, hätten die Lehrerinnen, da sie Erziehen, Unterrichten und Beraten für wichtiger halten als ihre männlichen Kollegen, auch angeben müssen, daß sie diese Aufgaben besser bewältigen können als ihre männlichen Kollegen. Dieses ist jedoch nicht der Fall – erneut ein Hinweis auf das mangelnde Selbstbewußtsein der Lehrerinnen!“ (Czerwenka, 1994, S. 179) Die Einschätzung der Lehrerinnen, dass das Erledigen von Verwaltungsaufgaben eine dem Erziehen, Beraten, Unterrichten usw. untergeordnete Bedeutung habe, wird damit begründet, dass „Frauen für solche Tätigkeiten überhaupt nicht motiviert“ (Czerwenka, 1994, S. 124) seien. Damit wurde pauschalisierend die Relevanzsetzung dieser Tätigkeit mit der Einsatzbereitschaft für diesen Aufgabenbereich gleichgesetzt. Die Tatsache, dass die Antworten der Proband/innen, gezielt auf eine Karrierebereitschaft hin befragt, keine Geschlechterdifferenzen hinsichtlich der Items „höhere Aufgaben erfordern höhere Arbeitsbelastung“ und „Organisation und Verwaltung sind uninteressant“ (Czerwenka, 1994, S. 133) zu Tage brachten, wurde nicht Hypothesen falsifizierend gedeutet. Die Abwesenheit eines Geschlechtereffekts bei der Teilnahme an Fortbildungen und dem Erwerb von Zusatzqualifikationen wurde gleichermaßen sehr tendenziös und ohne entsprechende Anhaltspunkte in den quantitativen Daten erklärt: „Hier dürfte sich gezeigt haben, daß gerade die Mütter unter den Lehrerinnen Fortbildungsveranstaltungen als Entlastung aus ihren Familienpflichten betrachten“ (Czerwenka, 1994, S. 162). Das Konglomerat der obig aufgeführten Interpretationen scheint schließlich den Verdacht der Existenz einer spezifisch weiblichen Persönlichkeitsstruktur, die sich durch fehlendes Selbstbewusstsein und mangelnde Motivation selbst im Wege steht, zu untermauern (vgl. Czerwenka, 1994, S. 132f.). Obschon die Untersuchenden sich davon distanzierten, „das weibliche Muster immer nur als abweichend oder gar als defizitär“ wahrzunehmen, setzten sie dennoch einen typisch weiblichen Lebensentwurf als Kontrast zum männli-
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chen als gegeben voraus und reifizierten die obige Sichtweise, indem sie diesen kontinuierlich als Begründung für berufliche Restriktionen heranzogen10. Jochen Wissingers Untersuchung aus dem Jahr 1996 griff noch einmal den Aspekt der Professionalisierung auf, der bereits bei Storath im Mittelpunkt stand. Wissinger befragte unter Verwendung standardisierter Fragebögen 196 Schulleitungen unterschiedlicher Schulformen in Bayern nach Berufswahlmotiven, Identifikation mit und Ausgestaltung der Führungsrolle. Er deckte gravierende Folgen der unzureichenden Qualifikation der Lehrkräfte für das Amt der Schulleitung auf und konstatierte, dass den Lehrkräften die Möglichkeit vorenthalten werde, einen Perspektivwechsel zugunsten ihres neuen Amtes zu vollziehen, so dass sie in der Identität der Lehrer/innenrolle verhaftet blieben. Obgleich er seine Arbeit im Feld der Schulentwicklungsforschung verortete, sehe ich dennoch einen Anknüpfungspunkt zu der Fragestellung meiner vorliegenden Arbeit, liest man sie im Hinblick auf den Aspekt der Karriereorientierung, der in Wissingers Untersuchung eine Auswertungskategorie darstellt. Trotz seines ursprünglichen Ansatzes, sein umfangreiches Sample nach den Kriterien Region, Schulart und Geschlecht zu rekrutieren, konnte Wissinger nur 22 Frauen – überwiegend aus Grundschulen – für seine Befragung heranziehen und verzichtete aufgrund dieses Ungleichgewichts, dessen Ursache er nicht näher erläuterte, in der Auswertung seiner Daten auf die Strukturkategorie Geschlecht. Wissinger fasste die Berufswahlmotive der Befragten unter drei Faktoren zusammen: „Führungsorientierung, Karriereorientierung und Alternativorientierung“ (Wissinger, 1996, S. 98). Dem Aspekt Karriereorientierung ordnete er lediglich die Items „Ich wollte mehr Ansehen“ und „Ich wollte mehr Geld verdienen“ (Wissinger, 1996, S. 98) zu und zeigte dadurch, wie unzureichend Standardisierungen hinsichtlich der Durchdringung von Motivstrukturen sein können. Diese einseitige Eingrenzung des Karriereverständnisses auf Status und Prestige und Wissingers Mutmaßung, die hohe Zustimmung der Haupt- und Realschulleitungen zu diesen Motiven könne daraus resultieren, dass „LehrerInnen der Haupt- und Realschule möglicherweise gegenüber den KollegInnen an Grundschule und Gymnasium ein geringeres Prestige empfinden“ (Wissinger, 1996, S. 99), lässt das Gefühl entstehen, die Orientierung an dieser Auswertungskategorie sei amoralischer, weil eigensüchtiger, als eine Ausrichtung an den anderen beiden Faktoren Führungs- und Alternativorientierung. Wissinger legte dem Item „Karriere“ ausschließlich extrinsische Motive zugrunde und ließ den Aspekt des Karrierestre-
10 Auf die „Doppelbelastung von Frauen in Beruf und Haushalt“ (Czerwenka, 1994, S. 217) wird an fünf Stellen verwiesen (vgl. z.B. Czerwenka, 1994, S. 212).
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bens als Ausdruck einer Radiuserweiterung des eigenen Handlungsspielraumes innerhalb einer einflussreicheren Position oder einer Anreicherung des eigenen Lebenslaufes durch neue Berufserfahrungen in einem an Aufstiegs- und Veränderungsmöglichkeiten mangelnden Beruf außer Acht. Mit dem von ihm evozierten Korrelat eines Minderwertigkeitsgefühls enthielt er seinen Proband/innen die Möglichkeit vor, ihre Aufstiegsambitionen unter Rekurs auf die inhaltliche Ausrichtung zu begründen. Die vorgegebenen Motive signalisierten hingegen einen Karrierewunsch aufgrund einer Spiegelung mit anderen und riefen dadurch eine negative gesellschaftliche Konnotation hervor. Hervorzuheben ist hier ebenfalls die Arbeit von Luise Winterhager-Schmid (1997). Ähnlich wie Wissinger griff auch sie die Motivation zur Übernahme einer Führungsfunktion auf, zog zu deren Enträtselung jedoch sowohl ein völlig anders strukturiertes Sample als auch ein differentes methodisches Vorgehen heran. So führte sie eine teilnehmende Beobachtung in einem niedersächsischen „Orientierungskurs“ für potentiell an Schulleitungsfunktion interessierte Lehrerinnen durch und befragte 330 Lehrerinnen mit Fragebögen. Weiterhin zog sie zu ihrer Auswertung einige Interviews hinzu. Winterhager-Schmids Erkenntnisse sind richtungweisend für meine Untersuchung, da mit ihrer Erhebung erstmals Einblicke in die Motivlage von aufstiegsbereiten Lehrerinnen und ihrer Situation vor der (potentiellen) Bewerbung erzielt wurden. Befragt nach ihren Erwartungen an den Orientierungskurs, kristallisierte sich eine prozentuale Verteilung auf drei zentrale Erwartungshaltungen heraus: 53% der Teilnehmerinnen erhofften sich eine Orientierungshilfe für ihre weiteren beruflichen Entwicklungsschritte, 39% erwarteten eine konkrete Vorbereitung und Unterstützung ihrer bereits ausdrücklichen Bewerbungsabsichten und 8% besuchten diesen Kurs in der Annahme, Hilfestellungen und Anregungen für ihre jetzige Tätigkeit zu bekommen (vgl. Winterhager-Schmid, 1997, S. 126). Diese recht differente Motivstruktur der Teilnehmerinnen wird an späterer Stelle unter Hinzuziehung der Interviewäußerungen der Befragten meiner vorliegenden Untersuchung noch einmal aufgegriffen und kann dann auch – als Erweiterung der Erkenntnisse WinterhagerSchmids – zu den Erwartungen der männlichen Teilnehmer in Beziehung gesetzt werden, um zu beleuchten, ob hier eine Differenzgrenze hinsichtlich Geschlecht verläuft. Insgesamt attestierte Winterhager-Schmid den niedersächsischen Orientierungskursen eine positive Bewertung und dokumentierte dies durch die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen – 96,5% empfanden ihre Erwartungen als erfüllt (vgl. Winterhager-Schmid, 1997, S. 151) –, durch einen „deutlichen Anstieg der Anzahl von Frauen, die sich nach dem Besuch eines Orientierungskurses“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 140) auf eine Schulleitungsstelle oder einen Konrektorinnenposten bewarben, und durch die Tatsache, dass sie sich auch
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durch „schlechte Erfahrungen im Bewerbungsverfahren“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 140) nicht entmutigen ließen und „eindrucksvoll positive Langzeiteffekte“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 151) wie Netzwerkbildung vorwiesen. Die Erforschung einer geschlechtshomogenen Gruppe ohne Vergleichsgruppe birgt immer aber auch die Gefahr, in der Darstellung ungewollt Geschlechterstereotype zu manifestieren, indem die weiblichen Aufstiegsaspirationen nur in Abgrenzung zur vermeintlich normalen männlichen Karriere wahrgenommen werden und die „Besonderung von Frauen“ (Gildemeister, 2004, S. 27) mit Führungsbereitschaft suggeriert wird. Dies klang in Winterhager-Schmids Schlussfolgerung, dass Frauen ihre Karrieren nicht wie Männer „ausgerichtet auf stetigen Statusgewinn und höheren Verdienst“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 171) planen, sondern „ihre Lebens- und Karriereplanung darauf (abzielt), berufliche Zufriedenheit zu erlangen“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 171), implizit an. Während sie die weiblichen Lehrkräfte und ihre Motive beständig in großer Differenziertheit darstellte, wurden die männlichen – insbesondere in ihrer Funktion als Schulleiter – pauschal als despektierliches Kontrastprogramm herangezogen. Die Defizite ihres Tuns bildeten den Ausgangspunkt für weibliches Führungsstreben, wenn Argumente wie „große Unzufriedenheit mit erlebter, überwiegend männlicher Schulleitung“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 181) und „sie wollen nicht so werden wie die ihnen (oft) ärgerlichen männlichen Positionsinhaber“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 156) aufgeführt wurden. Auf Grundlage der Negativfolie des Mannes in Führungspositionen wurde die geglückte Leitung qua Geschlecht antizipiert und weibliche Führung idealisiert. Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass das methodische Vorgehen von Winterhager-Schmids Erhebung, die in dieser Zusammenfassung des Forschungsstandes einmalige ethnographische Forschung, lediglich zum Ziel hatte, die Konzeption der Orientierungskurse zu durchschauen und auf Grundlage des Beobachteten einen „back home-Fragebogen“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 72) zu erstellen, den die Teilnehmerinnen sechs Wochen nach Kursende zugeschickt bekamen. Aus heutiger Sicht vor dem Hintergrund der zunehmenden Popularität ethnographischer Forschungsansätze hätte das Potential noch tiefgreifender genutzt werden können. Möglicherweise hätte ein aufschlussreicher Erkenntnisgewinn daraus erfolgen können, zu beobachten, ob auch die Teilnehmerinnen einer gleichgeschlechtlichen Gruppe intersubjektiv ihr soziales Geschlecht bestätigen und so zur Aufrechterhaltung von Geschlechtsstereotypen beitragen. Ruth Rustemeyer untersuchte die berufliche Laufbahnentwicklung von Schulleiter/innen, Lehrer/innen und Lehramtsstudierenden, indem sie unter Berücksichtigung der Persönlichkeits-, Umwelt- und Hintergrundvariablen, die sie in einer Fragebogenerhebung mit 109 Studierenden, 82 Lehrkräften an Grund-
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und Hauptschulen und 91 Schulleitungen überwiegend an Grund- und Hauptschulen eruierte, ein theoretisches Modell konzipierte. Die Untersuchung wurde im Bundesland Rheinland-Pfalz in den Jahren 1997/1998 durchgeführt und soll hier unter einem besonders interessanten Anknüpfungspunkt zu meiner Forschung kurz Beachtung finden. Rustemeyer erfasste mit einer deutschen Adaption der 1974 entwickelten standardisierten Skala des Bem-Sex-Role-Inventory die Ausprägung der sozialen Geschlechtsrollenorientierung durch die Bildung von vier unterschiedlichen Geschlechtsrollentypen (feminin, maskulin, androgyn und undifferenziert). Nach Bem werden Maskulinität und Femininität nicht als einander dualistisch gegenüberstehende Pole betrachtet, sondern als Dimensionen, die beide zugleich der Beschreibung einer Person dienen können, da das Selbstkonzept eines Menschen sowohl weibliche als auch männliche Komponenten in unterschiedlicher Ausprägung enthalten kann. Die Werte in Rustemeyers Untersuchung ergaben, dass die Gruppe der Schulleitungen signifikant höhere Maskulinitätswerte erreichte als die beiden anderen befragten Gruppen. Ein Geschlechtseffekt war jedoch nicht auszumachen (vgl. Rustemeyer, 1998, S. 77), d.h. die Maskulinitätswerte der Schulleiter waren nicht höher als die der Schulleiterinnen11. Auch hinsichtlich anderer Faktoren konnte Rustemeyer Gruppeneffekte, jedoch keine bedeutsamen Unterscheidungen in den Werten von Frauen und Männern offenlegen. So zeichnete sich die Gruppe der Schulleitungen sowohl durch die größte Karriereorientierung als auch „durch das höchste Leistungsstreben im Vergleich zu Studierenden und Lehrkräften aus“ (Rustemeyer, 1998, S. 78), woraus die Autorin schlussfolgerte, dass „ein hoher Maskulinitätswert mit hohem Leistungsstreben einhergeht“ (Rustemeyer, 1998, S. 79). Ihren Ergebnissen ist zu entnehmen, dass weibliche Schulleiterinnen ebenso konsequent und zielstrebig ihre beruflichen Ziele verfolgen wie ihre männlichen Kollegen. Der Einfluss des biologischen Geschlechts wurde in Rustemeyers Ergebnissen erst evident, wenn man sich mit den Werten zur Bewerbungswahrscheinlichkeit von Lehrkräften um einen Schulleitungsposten befasste. Hier korrelierte die Unterbrechung der Berufstätigkeit durch eine Phase der Kinderbetreuung – überwiegend vollzogen von den Lehrerinnen – hoch mit einem geringen Interesse am Schulleitungsamt (vgl. Rustemeyer, 1998, S. 91). Dies führte die Autorin darauf zurück, dass „sich dieser Sachverhalt im Auswahlverfahren eher negativ niederschlagen (dürfte), und vermutlich wird dies realistisch von potentiellen
11 41% der Schulleiterinnen wurden von Rustemeyer dem maskulinen Geschlechtsrollentypus zugeordnet; bei den männlichen Schulleitern waren es ebenfalls 41% (vgl. Rustemeyer, 1998, S. 86).
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Bewerberinnen und Bewerbern kogniziert, vermutlich mit der Konsequenz, dass eine mögliche Bewerbung erst gar nicht in Betracht gezogen wird“ (Rustemeyer, 1998, S. 96f.). Die mentale Barriere, die Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Verpflichtungen auf Führungsebene würde Schwierigkeiten mit sich bringen, sah Rustemeyer als weitere mögliche Ursache dafür, dass Frauen sich bei ursprünglich gleichen Karriereambitionen (in dieser Studie ermittelt durch die Befragung von Lehramtsstudierenden) eher von ihrem Vorhaben abbringen ließen als Männer. Diese innere Blockade zeigte sich für Rustemeyer als Reaktion „auf äußere Barrieren, im Sinne von verinnerlichten gesellschaftlichen Erwartungen“ (Rustemeyer, 1998, S.103). Miller ergänzte den bestehenden Forschungsstand mit ihrer 2001 erschienenen und auf breiter quantitativer Basis beruhenden Studie, in der Fragebögen als Messinstrumente fungierten. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit lag in einer geschlechtervergleichenden Darstellung der beruflichen Werdegänge von Grundschullehrkräften in Nordrhein-Westfalen. Aufgrund der großen Bedeutung, die ihre Ergebnisse für die vorliegende Untersuchung haben – ursächlich dafür ist, dass mit Millers Arbeit erstmalig eine Fokussierung auf Grundschullehrkräfte vorgenommen wurde – wird an späterer Stelle noch einmal ein Rückgriff auf einzelne Befunde ihrer Arbeit vollzogen. Miller schloss eine Lücke in der empirischen Forschung über Schulleitungen hinsichtlich der Gegenüberstellung einer männlichen und einer weiblichen Vergleichsgruppe. Mit ihrem Blickwinkel auf Geschlechtergleichheiten und Geschlechterdifferenzen zugleich gelang ihr in der Fragebogenauswertung von 264 weiblichen und 370 männlichen Schulleitungen die Balance zwischen einer Dramatisierung von Geschlecht im Sinne einer sensiblen Wahrnehmung, eines stringent verfolgten Auswertungskriteriums und einer Entdramatisierung (vgl. Faulstich-Wieland, 2004, S. 219ff.) durch die Überwindung des rein dualisierenden Horizonts. Interessante Erkenntnisse für die hier behandelte Fragestellung lassen sich vor allem aus ihren Ergebnissen zum Erwerb von Zusatzqualifikationen und zum Ermutigungsaspekt ableiten. So konnte Miller stereotype Vorannahmen widerlegen, die unterstellten, dass Frauen durch ihre prozentual häufigere Teilzeitbeschäftigung und ihre familiären Verpflichtungen im Bereich der Zusatzqualifizierungen unterrepräsentiert sind. Ihre empirische Untersuchung ergab, dass Frauen vor der Amtsübernahme des Schulleitungspostens ein breiteres Spektrum an Qualifikationen erworben hatten als Männer (vgl. Miller, 2001, S. 184ff.). Inwieweit dies als konkrete Karriereplanung zu verstehen ist, kann mit Millers Erhebungsinstrument, welches Karriereverläufe nur rein äußerlich nachzeichnet, nicht eruiert werden. In einem qualitativen Vorgehen können hier aber vertiefende Erkenntnisse über die Ursachen gewonnen werden. Bei der Auswertung ihrer Fragebogenitems, die sich auf die
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Ermutigungen im Vorfeld der Bewerbung bezogen, kam Miller zu dem Resultat, dass „das Bild, wonach nur die Schulleiterinnen der Ermutigung bedürfen, […] sich nach diesen Befunden als unzutreffend“ (Miller, 2001, S. 218) erweist und die Ermutigung für beide Geschlechter eine große Bedeutung hat. Dennoch stieß sie auf Geschlechterdifferenzen. Eine signifikante gleichgeschlechtliche Ermutigung ließ sich an Miller Resümee ablesen: „Konkret fühlen sich Schulleiterinnen stärker von Kolleginnen, Schulleiterinnen und Schulrätinnen ermutigt als ihre männlichen Kollegen, und umgekehrt erfahren Schulleiter eine Ermutigung eher durch Kollegen und Schulleiter“ (Miller, 2001, S. 290). Offensichtlich ist, dass die Art und Weise von Millers Befragung eine qualitative Beurteilung der individuellen Bedeutung der Ermutigung und des Stellenwerts für das Einleiten weiterer Karriereschritte nicht zulässt. Hieran kann mit der vorliegenden qualitativen Forschungsmethode aber Anschluss genommen werden. Auch muss hinsichtlich der Aussagen über erhaltene Ermutigung die zeitliche Differenz berücksichtigt werden, aus der heraus ihre Proband/innen argumentieren: Zum Zeitpunkt der Befragung waren diese im Durchschnitt bereits neun Jahre im Amt (vgl. Miller, 2001, S. 214). 2008 veröffentliche Mechthild von Lutzau eine Untersuchung, in der sie Zusammenhänge zwischen Biographie, Aufstiegsbereitschaft und Leitungshandeln von weiblichen Schulleiterinnen in Nordrhein-Westfalen analysierte. Die zu diesem Zweck mit 30 Schulleiterinnen unterschiedlicher Schulformen geführten Interviews, die von der Autorin uneinheitlich mal als Expertinneninterviews, problemzentrierte Interviews oder Leitfadeninterviews bezeichnet wurden, fanden in den Jahren 1992 und 1993 statt. Da von Lutzaus Ansatz in der Fokussierung auf ausschließlich weibliche Schulleitungen unikal ist, finden ihre Ergebnisse im Hinblick auf den Erkenntnisschwerpunkt dieser Arbeit nähere Betrachtung, obgleich ihr Sample nur fünf Grundschulschulleiterinnen umfasst. Von Lutzaus Forschungsinteresse war biographisch orientiert und inkludierte folglich Fragestellungen zur Ursprungsfamilie, aus denen sie den Einfluss von familiären Konstellationen auf das weibliche Karrierestreben ableiten wollte. Ihre Ergebnisse gipfelten nicht in einem Hauptmerkmal, welches Aufstiegsbereitschaft konstituiert, sondern zeigten Lebensbedingungen auf, die einer Karriereambition dienlicher scheinen als andere. Die entscheidenden Sozialisationsfaktoren, die sie auf Grundlage ihrer Interviews herausarbeiten konnte, sind „die Orientierung am Vater, Übernahme von Verantwortlichkeiten gegenüber Geschwistern in der Herkunftsfamilie, Sprecherinnenfunktionen in Schule und Jugendgruppen, ‚extravagante‘ Berufswünsche, Auslandsaufenthalte als Schülerin und Studentin, als Selbstständige arbeitende Eltern, spezielle Erwartungen an die berufliche Zukunft von Autoritätspersonen in der Kindheit, keine geschlechtstypische Erzie-
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hung oder der Wunsch, die Rechte eines Jungen zu haben“ (von Lutzau, 2008, S. 348). Nach ihrer Erkenntnis trafen auf jede der befragten Schulleiterinnen mehrere dieser Merkmale zu. Sie leitete die These ab: „Je mehr […] Aufstiegsmerkmale auf eine Lehrerin zutreffen, desto leichter war ihr Aufstieg“ (von Lutzau, 2008, S. 349). Trotz einer gewissen sozialisatorischen Prädisposition schien es nach ihrer Recherche eines Anstoßes zu bedürfen, der den Karriereweg einleitet; Anzeichen für eine stringente Karriereplanung, der andere Lebensbereiche zielgerichtet und bewusst untergeordnet werden, konnte sie bei ihren weiblichen Probandinnen nur sehr vereinzelt erkennen. Hier werden deutliche Differenzen zu den oben vorgestellten Befunden aus Rustemeyers Untersuchung sichtbar. Signifikant war, dass biographische Brüche und Schicksalsschläge einen Impuls darstellten, der einen Karriereschub auslöste. Von Lutzau erkannte in den aus den Lebenseinschnitten resultierenden Karriereambitionen einen „Ersatz für diese nicht erfüllbaren Lebensentwürfe“ (von Lutzau, 2008, S. 349), die sie als typisch weibliche Wünsche (Partnerschaft, Familiengründung) zusammenfasste. Wurden diese Pläne aus verschiedensten Gründen konterkariert, sah sie darin eine Bedingung, die den Ausschlag für weibliche, nicht aber für männliche Karrieren gab. Die Ausrichtung der Antworten könnte auf die Fragestellung zurückzuführen sein, durch die den Befragten eine Besonderheit der Stellung „Frau in Führungsposition“ suggeriert wurde, auf die sie möglicherweise mit antizipierten, sozial erwünschten Darstellungen ihres Karriereweges reagierten. Aus der Art der Interpretation der Darstellungen wurde eine die weibliche Geschlechterrolle reifizierende Haltung offenbar. Eine zweite Säule neben dem Karrierebeginn durch eine Lebenszäsur stellte ihrer Forschung nach der schleichende Einstieg durch die stellvertretende Übernahme von Führungsaufgaben dar. Von Lutzau zog die Schlussfolgerung, dass Frauen sich erst nach Ermutigung und Aufforderung anderer bewürben (vgl. von Lutzau, 2008, S. 352). Dieser Umstand stellt sich auf Grundlage meiner Interviewresultate anders dar und wird an passender Stelle einer kritischen Analyse unterzogen. Als Bewerbungsvoraussetzung sahen die von ihr befragten Frauen die prinzipiell positive Haltung des Partners zu ihrem Vorhaben sowie ein gewisses Alter der Kinder als erforderlich an (vgl. von Lutzau, 2008, S. 352). Die Schulleiterinnen in von Lutzaus Sample, die auch Kinder hatten, berichteten nicht von größeren Schwierigkeiten als die ohne Kinder, stattdessen betrachteten alle befragten Schulleiterinnen „ihren eigenen Familienstand oder Lebensentwurf als den für die Schulleitungsfunktion und Schulentwicklung günstigsten“ (von Lutzau, 2008, S.345).
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Gefragt nach der Unterstützung durch den Partner, ließ sich in den Antworten ihrer Probandinnen mehrheitlich das Vorkommen verbalen und psychischen Beistands erkennen, weniger jedoch die Bereitschaft, sich durch faktische Bemühungen einzubringen. Von Lutzau wertete dies – und es mutet fast zynisch an – dennoch als positive Beihilfe, „denn die Abwesenheit von Störung ist bereits ein Fortschritt und in der Berufskarriere einer Frau keineswegs der Normalfall“ (von Lutzau, 2008, S. 138). Dieser Aspekt ist möglicherweise auf das Alter der Interviewpartnerinnen aus von Lutzaus Sample zurückzuführen, die den Geburtsjahrgängen 1929-1952 (eine Schulleiterin war 1957 geboren) entstammten12. Abschließend soll von Lutzaus Studie unter dem Aspekt der Geschlechterrelevanz für die Karrierebedingungen kritisch betrachtet werden. Zahlreiche ihrer befragten Schulleiterinnen thematisierten bzw. problematisierten ihr Geschlecht im Umgang mit höheren Instanzen oder auch ihrem Kollegium. Von Lutzau konstatierte, dass „die Erwartungshaltung der Kollegien gegenüber Schulleiterinnen […] mitunter fordernder (ist), indem sie sie als Frau ansprechen und verlangen, Entscheidungen offen zu legen“ (von Lutzau, 2008, S. 346), „die Kollegien […] im Allgemeinen in den Schulleiterinnen zuerst die Frau, dann die Leiterin (sehen)“ (von Lutzau, 2008, S. 343) und „eine Schwierigkeit, die sehr viele Schulleiterinnen thematisieren, […] die Tatsache (ist), dass sie zu Beginn ihrer Tätigkeit von den Schulverwaltungsämtern nicht ernst genommen und herablassend behandelt wurden“ (von Lutzau, 2008, S. 344). Aber auch umgekehrt wur-
12 In Flaakes im Jahr 1982 durchgeführter und 1989 veröffentlichter Untersuchung wird aus der Befragung von weiblichen Lehrkräften der Geburtsjahrgänge 1931-1943 eine noch weitreichendere Folge einer akademischen Berufsausbildung für Frauen dieser Generation ersichtlich: Nicht mangelnde Unterstützung seitens des Partners und eine daraus resultierende Doppelbelastung sondern die bewusste Abkehr vom tradierten Weiblichkeitsbild zugunsten der Berufstätigkeit kennzeichnete den Lebensweg dieser Lehrerinnen. Folglich gingen sie weder Partner- noch Mutterschaft ein (Flaake, 1989, S. 164ff.) und arbeiteten weder in Teilzeit noch in phasischer Beurlaubung. Diese willentliche Distanzierung vom normativen weiblichen Lebenskonzept hatte laut Flaake auch Auswirkungen auf zahlreiche Verhaltensmuster und Handlungsstrategien im Beruf und diente daher als Erklärung für die von ihr ermittelte Trennlinie zwischen den Haltungen älterer und jüngerer Lehrerinnen, da die Berufstätigkeit für letztere eine divergente Tragweite hat (vgl. Flaake, 1989, S. 214ff.). Die Differenzen zwischen den Generationen sind ihrer Studie nach signifikanter als zwischen den Geschlechtern (vgl. Flaake, 1989, S. 222).
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de in den Interviews geschildert, dass einige Bewerberinnen gerade aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt behandelt wurden, da die entsprechenden Dezernenten der Meinung waren, wenn sich schon Frauen für Schulleitungsämter bewürben, müssten sie auch begünstigt werden (vgl. von Lutzau, 2008, S. 188 und S. 215). Diese positive Diskriminierung gipfelte in der Äußerung einer Schulleiterin, sie hätte die Stelle sicher nicht bekommen, wenn sie ein Mann gewesen wäre (vgl. von Lutzau, 2008, S. 189). Insgesamt vertrat mehr als ein Drittel der Befragten die Ansicht, aufgrund ihres Geschlechts die Amtsübernahme ermöglicht bekommen zu haben (vgl. von Lutzau, 2008, S. 233). All diese Beispiele zeigen, wie viele der in den Interviews geschilderten Probleme und Erlebnisse von den Befragten selbst auf die Geschlechtszugehörigkeit hin interpretiert wurden. Dies lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass von Lutzaus schulartengemischtes Sample widerspiegelt, welche Ausnahmerolle Schulleiterinnen an Schularten jenseits der Grundschulen einnehmen und wie ihre Geschlechtszugehörigkeit infolgedessen im Fokus steht. Ein anderer Erklärungsansatz richtet den Blick auf die oben bereits kurz problematisierte Art der Fragestellung. In ihrer Interviewanfrage intendierte von Lutzau sowohl bereits den geschlechtsdualistischen Aspekt als auch ihre „Auffassung, dass mehr Frauen in Schulleitungspositionen gelangen sollten“ (von Lutzau, 2008, S. 123), was nach ihren eigenen Angaben dazu führte, dass sie „dem feministischen Diskurs“ (von Lutzau, 2008, S. 107) zugeordnet wurde. Alle biographischen Retrospektiven ihrer Probandinnen wurden demzufolge unter dieser Wahrnehmungsakzentuierung getätigt, weshalb nicht nur Antworten unter dem Aspekt der sozialen Erwünschtheit anzunehmen sind, sondern die Geschlechterfrage auch über individuelle Gegebenheiten erhoben und erlebte Situationen (nachträglich) auf den Status als Frau zurückgeführt wurden. Von Lutzau sah „das soziale Geschlecht […] in meinem Forschungsansatz (als) eine der zugrunde liegenden Dimensionen“ (von Lutzau, 2008, S. 108) und wollte durch die detaillierte Darstellung einzelner beruflicher Karrieren den Geschlechterdualismus überwinden (vgl. von Lutzau, 2008, S. 74), konstruierte jedoch die Geschlechterpolarisierung erneut durch ihre Fragestellungen. Wenngleich sie sich mit dem Risiko des sozial erwünschten Antwortverhaltens auseinandersetzte und zu dem Ergebnis kam, dass „die von mir befragten Schulleiterinnen dagegen relativ immun zu sein schienen“ (von Lutzau, 2008, S. 108), stand das Thema „Geschlecht“ im Raum und es ist davon auszugehen, dass die Befragten vorsätzlich eine Haltung dazu hervorbrachten und ihr eigenes Biographieerleben nicht als normale Lebensgeschichte und neutralen Karriereaufstieg Revue passieren ließen, sondern als bewusst weiblich konnotierten Werdegang. Auch Interviewantworten wie „Auch wenn das jetzt nicht in Ihre Theorie passt, muss ich doch sa-
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gen…“ oder „Sie werden das jetzt nicht gern hören, aber …“ (von Lutzau, 2008, S. 108), von der Autorin unter der Schlussfolgerung subsumiert, Schulleiterinnen seien zur reflexiven Biographieverarbeitung und bewussten Abgrenzung zu sozialer Erwünschtheit in der Lage, zeigen, dass sich die Probandinnen während ihrer Berichterstattung mit der Positionierung der Interviewerin auseinandersetzten und auf ihre Biographie in beabsichtigter Übereinstimmung oder Ablehnung einer feministischen Grundhaltung, in jedem Fall aber unter der andere Aspekte dominierenden Kategorie Geschlecht zurückschauten. Im Jahr 2010 veröffentlichte Robert Baar eine Untersuchung, die die Habitus männlicher Grundschullehrer analysierte, indem er die Arbeit in einem weiblich konnotierten Berufsfeld untersuchte. Er führte dazu Interviews mit 11 Lehrern und stellte in seiner Arbeit sechs Fallanalysen dar. In einem zweiten Schritt fokussierte er auf die sechs dominanten Themenfelder aus den Interviews und verglich die Falldarstellungen vor dem Hintergrund dieser Themen miteinander. Abschließend fasste Baar seine Erkenntnisse zu zwei Typen zusammen: dem „Reflexiven Typ“ und dem „Nicht-Reflexiven Typ“ (Baar, 2010, S. 370ff.). Diese beiden Typen werden in Kapitel 8.2.5 noch einmal herangezogen. Seine Ergebnisse verweisen auf den Umstand einer besonderen Position, die der männliche Grundschullehrer im (vorwiegend) weiblichen Kollegium einnimmt. Wenngleich Baar auf Grundlage seines empirischen Datenmaterials herausarbeiten konnte, dass diese Position durchaus mit positiver Diskriminierung einhergeht, orientierten sich die Lehrer seines Samples handlungspraktisch vorwiegend an ihrem Begehr, sich vom weiblichen Kollegium abzugrenzen und sich in hegemonialer Position diesem überzuordnen. Immer wieder rekurrierte Baar auf die Notwendigkeit, die die Lehrer empfinden, „die Differenz zu den weiblichen Kolleginnen weiter (zu) dramatisieren und sich in einem komplementären Kontrast (zu) inszenieren“ (Baar, 2010, S. 397). Ob sich ein vergleichbares Handeln auch in vorliegender Untersuchung dokumentiert, ist Teil des Forschungsanliegens. In der negierten Kollegialität und Kooperation sah Baar vor allem eine Erschwernis für professionelles Lehrerhandeln. Einen massiven Rechtfertigungsdruck für den geschlechtsinadäquaten Beruf konstatierte Baar primär anderen Männern gegenüber (vgl. Baar, 2010, 394f.). Da sein Sample nur männliche Grundschullehrer umfasste, konnte er Konstruktionsleistungen auch nur bei diesen ermitteln. Mit der Herangehensweise der vorliegenden Studie kann die Forschungsperspektive um die soziale Konstruktion von Geschlecht von Seiten der Lehrerinnen im grundschulischen Feld ergänzt werden. Der Überblick über den Forschungsstand zeigt, dass die Forschung zum Berufsfeld Schulleitung in inhaltlicher Hinsicht umfassender geworden ist, in methodischer jedoch noch recht kongruent scheint. Die Erhebungen wurden vor-
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wiegend mittels Interviews oder Fragebögen ausgeführt; zum Teil lag eine methodenplurale Vorgehensweise zugrunde. Richtet man den Blick auf die inhaltliche Ausrichtung der bestehenden Schulleitungsforschung, fällt auf, dass mehrheitlich der Geschlechteraspekt ausgeblendet oder unter Rekurs auf vermeintlich allgemeingültige weibliche Verhaltensmuster Erklärungen für die fehlende Aufstiegsbereitschaft von Frauen gefunden wurden. Unterschiede innerhalb der geschlechterdualen Kategorien wurden zugunsten einer scheinbar natürlichen Kategorisierung vernachlässigt und Interpretationen, die bei der Ausgestaltung des Karriereweges eine Geschlechterneutralität und eine andere Differenzgrenze als die zwischen den Geschlechtern miteinbeziehen, finden sich kaum. Vorwiegend akteurorientierte Ansätze, die darauf basieren, aus differenztheoretischer Perspektive Befunde durch unterschiedliche Motive für beruflichen Aufstieg bzw. differente Interessenslagen von Frauen und Männern zu interpretieren (beispielsweise in den Arbeiten von Czerwenka und WinterhagerSchmid), wurden zur Erklärung der Entstehung einer geschlechtsspezifischen Segregation im schulischen Feld herangezogen. Neben den akteurorientierten Ansätzen schlagen sich in der bisherigen Forschung auch strukturorientierte Interpretationsansätze nieder. Strukturorientierte Ansätze fassen ebenfalls Männer und Frauen zu zwei divergenten Gruppen zusammen, führen aber zur Begründung einer vertikalen und horizontalen Segregation von Berufen strukturelle Aspekte ins Feld. Ein Argumentationsstrang bezieht sich auf die hierarchische Anordnung der einzelnen Schulformen und ihrer Lehrkräfte, die sich aus dem sozialen Ansehen, dem Professionalisierungsanspruch und der Besoldungshöhe ergibt und Grundschullehrkräfte auf den niedrigsten Rang verweist. Seit Männer nun aber zusehends seltener den Beruf des Grundschullehrers ergreifen, ist ein deutlicher Zuwachs an weiblichen Schulleitungen zu verzeichnen. Frauen besetzen folglich ein Berufsfeld, welches Männer ihnen mangels eigenen Interesses übriggelassen haben13 (vgl. Miller, 2001, S. 86f.). Eine weitere Argumentation fokussiert auf vorgefundene oder antizipierte gesellschaftliche Bedingungen, die beispielsweise durch unzureichende Kinderbetreuungsangebote Frauen am Vorhaben eines beruflichen Aufstiegs hindern (beispielsweise in der Arbeit von Rustemeyer).
13 Für dieses „Übriglassen“ führt Baar die Bezeichnung „Warteschlange“ mit der Erklärung ins Feld, dass „sich ein neues, attraktives Berufsfeld (eröffnet), (wenn) Männer aus dem alten Berufsfeld ab(wandern) und […] der Warteschlange hinter sich Platz“ machen (Baar, 2010, S. 64).
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An einem dritten Erklärungsansatz, der das Wechselspiel der gegenseitigen Beeinflussung von Strukturen und Interaktionen berücksichtigt, ist beispielsweise Baar orientiert, der diesen als „interaktionstheoretischen Ansatz“ (Baar, 2010, S. 65) bezeichnet. Diese Argumentationslinie zu betrachten, impliziert zwar einen kurzen Exkurs in die praxisorientierte Geschlechterforschung, dennoch soll sie hier Beachtung finden, da sie durch die Fokussierung auf Interaktionsprozesse14 der Fragestellung dieser Arbeit dienlich sein kann. Die Interaktion innerhalb geschlechtergemischter Gruppen ist alltäglich und geht automatisch mit geschlechtlicher Identifizierung der einzelnen Personen einher. Hirschauer argumentiert, dass die gesellschaftliche Struktur mit ihrer Ausrichtung auf eine einwandfreie und zügige Identifikation der Geschlechtszugehörigkeit einen Zwang zur persönlichen Verortung bewirkt. Dieser Prozess geht weit über die Einflussnahme des Individuums hinaus, weshalb Hirschauer diagnostiziert, dass „die Geschlechterdifferenz kein Reservat kennt, sondern omnipräsent ist und unberechenbar überall relevant gemacht werden kann“ (Hirschauer, 2001, S. 215, Herv. im Original). Die Kursivschreibung des Wortes „kann“ weist bereits die Richtung seiner weiteren Argumentation und führt unmittelbar zu seiner Wortschöpfung undoing gender. Undoing gender impliziert nach Hirschauer die Unvermeidbarkeit einer eindeutigen Geschlechtsattribution, in deren Folge jedoch die Chance des In-den-Hintergrund-Tretens besteht. „Das Wissen von der Geschlechtszugehörigkeit kann im Verlauf der Interaktion risikolos vergessen werden, eben weil es durch die Darstellungen ihrer Teilnehmer gespeichert wird“ (Hirschauer, 2001, S. 216f.). Einmal im Zuge der Begegnung „quasi automatisch“ erkannt, muss keine weitere Bezugnahme auf Geschlecht vollzogen werden. Das Interagieren ohne Rekurs auf Geschlecht ermöglicht folglich einen Ausschlag in beide Richtungen: Geschlechterdifferenz kann interaktionistisch innerviert werden, muss jedoch nach einer einwandfreien Identifikation aufgrund ihrer Offensichtlichkeit für alle Beteiligten keinesfalls kontinuierlich reproduziert werden15. Mit anderen Worten: Was nicht verpackt ist, ent-
14 Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit sozialen Interaktionen, Handlungsabläufen und Körperpraxen in Bezugnahme auf Geschlecht findet sich in der Explikation der Theorie Erving Goffmans in Kapitel 4.3. 15 Mit dem Umstand, dass die Geschlechterzugehörigkeit jedoch nicht „übersehen“, sondern erst nach einer klaren Identifizierung in den Hintergrund treten kann, befasst sich Hirschauer eingehender als es hier dargestellt werden kann: Kurz umrissen tritt er zum einen für eine „Ambiguitätstoleranz“ (Hirschauer, 2001, S. 232) ein, im Sinne eines Übersehen-Könnens von Geschlecht, wie es, wenn überhaupt bei Kontakten, die eine
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behrt den Reiz des Rätselhaften und muss nicht enthüllt werden. Die Offensichtlichkeit hat einen raschen, die Komplexität reduzierenden Effekt und begünstigt folglich die Wahrscheinlichkeit einer Überlagerung von Geschlecht durch andere strukturierende Kategorien wie beispielsweise Status- oder Altersdifferenzen (vgl. Hirschauer, 2001, S. 219). Der großen Bereitschaft zur Kategorisierung liegt oftmals das Ansinnen zugrunde, eine Steigerung des Vertrautheitspegels zwischen Personen gleichen Geschlechts zu erwirken: „Gleichheit oder Verschiedenheit von Geschlecht bietet je spezifische Möglichkeiten, aus Fremden Bekannte zu machen. Die Geschlechterdifferenz ist insofern ein Passepartout der Kommunikation“ (Hirschauer, 2001, S. 220). Das Gefühl der Fremdheit und der Vereinzelung wird rezessiv und von einer solidarisierenden Einheitlichkeit dominiert, die Geschlecht als kleinsten gemeinsamen Nenner hat. Dieses Ansinnen ist jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt: Hirschauer spricht von einer „Spielverweigerung“ (Hirschauer, 2001, S. 221), wenn das Gegenüber diese Vertraulichkeit übergeht oder abweist. Innerhalb der Handlungspraxis ist stets Spielraum für neutrale Entfaltungsmöglichkeiten und das Nicht-Aktualisieren der Geschlechterdifferenz. Eine Wahrnehmung für die unterschwellig dennoch immer bestehende Existenz der Geschlechterkomponente in alltäglicher Interaktion wird nur dann entwickelt, wenn die Geschlechtszugehörigkeit plötzlich flagrant wird, indem entweder die „Interaktionsteilnehmer markiert und ihre Geschlechtszugehörigkeit von einem diffusen sozialen Status zu einer Mitglied-
Sinneswahrnehmung ausschließen – beispielsweise im virtuellen Raum des Internets – möglich ist. Zum anderen fasst er unter dem Begriff „Agnosietoleranz“ (Hirschauer, 2001, S. 232) eine über die erstere Fähigkeit hinausgehende Kompetenz, die das Verlernen des Erkennens der Geschlechterunterscheidung beschreibt. Im Fokus der Klassifizierung der Geschlechterzugehörigkeit steht dann nicht das Gegenüber, welches sich geschlechtlich unmissverständlich darstellt – und dies auch muss, da ihm anderenfalls gesellschaftliche Sanktionen drohen –, sondern die betrachtende Person, die die Technik des Erkennens verlernt. Ebenso wie die Fokussierung auf das Erkennen von Geschlecht ist nach Hirschauer auch ein Übersehen von Geschlecht als alltägliche Handlungsstruktur und auch ein Verschwimmen der Geschlechtergrenzen gemäß einer pluralisierenden Grundhaltung denkbar, „dass man das heute nicht mehr so genau wissen kann“ (Hirschauer, 2001, S. 232), sowie eine nachlassende Fixierung auf die eigene Geschlechterzugehörigkeit – „keine travestitische Grenzüberschreitung, bloße Indifferenz – die Schlagbäume sind weg, man fährt einfach weiter und trifft biographische Entscheidungen, ohne die eigene Geschlechtszugehörigkeit dabei von Bedeutung zu finden“ (Hirschauer, 2001, S. 234).
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schaftskategorie aufgebaut“ werden oder „die Interaktionsbeziehung markiert und so das Geschlecht als Relationskategorie aufgebaut“ (Hirschauer, 2001, S. 217, Herv. im Original) wird. Für ebendiese Aspekte scheint das grundschulische Feld beste Voraussetzungen zu bieten, da sich hier nicht – wie oben formuliert – alltägliche Interaktionen in geschlechtergemischten Gruppen ereignen, sondern die individuelle Praxis männlicher Grundschullehrer fast ausschließlich aus Interaktionen mit Frauen besteht. Infolge dieses Ungleichgewichts beider Geschlechtergruppen kann sich – folgt man der Erklärung des interaktionstheoretischen Ansatzes – prozesshaft die Geschlechterzugehörigkeit in den Vordergrund schieben und eine Differenzverstärkung auslösen (Baar, 2010, S. 65f.). Jedwede Interaktion findet unter einer Art geschlechtlichem Filter statt, der qua Feldstruktur besonders wirkmächtig ist und eine geschlechtsbezogene Normsetzung mit hervorbringt. Die Identitätsbildung männlicher Grundschullehrer wäre demnach stärker mit der geschlechtsbezogenen Normsetzung im Einklang, wenn diese innerhalb des weiblich konnotierten Berufsfeldes männliche „Nischen“ wie beispielsweise das Schulleitungsamt besetzen. Denkbar ist folglich, dass das jeweilige Verhalten sich an dieser „informellen Kontrolle“ durch das andersgeschlechtliche Gegenüber ausrichtet und besonders ausgeprägt dualistische Verhaltensmuster zutage fördert, beispielsweise ein Aufstiegsstreben der männlichen Grundschullehrer. Der Frage, ob die geringe Anzahl männlicher Grundschullehrer diesen den Aufstieg ins Schulleitungsamt womöglich erleichtert, wird in vorliegender Arbeit aufgegriffen. Erwartungshaltung, „Vorverurteilung“ und Unterrepräsentanz könnten Faktoren sein, die männlichen Grundschullehrern als Ressourcen dienen, vom Berufsbeginn an eine offensive Aufstiegshaltung zu pflegen. Die vorliegende Untersuchung beinhaltet den Versuch, die Komplexität der individuellen Bewältigungsstrategien von Aufstiegsbestrebungen und die Relationen von Ermutigung und daraus resultierenden Handlungen noch intensiver zu beleuchten. Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Karrieremustern sollen unter Anwendung der qualitativen Forschungsmethoden ethnographischer Beobachtung und der Durchführung von Interviews aufgezeigt werden. Da eine elementare Voraussetzung des Verstehens der Ergebnisinterpretationen die Auseinandersetzung mit dem Habituskonzept Bourdieus und der Rahmenanalyse Goffmans ist, dienen diese doch als theoretische Grundlagen für den empirischen Teil der Arbeit, werden nachstehend zunächst Bourdieus Anschauung und anschließend Goffmans Perspektive ausführlicher in den Blick genommen. Dies geschieht in Bezug auf die Konsequenzen für diese Arbeit und mit dem Ziel, die Leser/innen mit einer dienlichen Nomenklatur auszurüsten.
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Beide Konzepte waren nicht Grundlage einer Hypothesengenerierung im Vorfeld der empirischen Forschung dieser Arbeit, stellen aber ein geeignetes Begriffsinventar für die Analyse und den Versuch, Beobachtetes mit Hilfe eines Modells erklärbar zu machen, dar. Dennoch wohnt diesem Vorgehen das Paradox inne, dass die Akteure in der Realität nicht bewusst von rationellen Konzeptualisierungen geleitet werden, weshalb die „Logik wissenschaftlichen Argumentierens und die Logik praktischen Handelns […] sich daher prinzipiell – und zwar auch dort, wo die Wissenschaft den Versuch unternimmt, die Logik praktischen Handelns zu rekonstruieren“ (Liebau, 1987, S. 34), unterscheiden. Mit der Logik wissenschaftlichen Argumentierens werden hier die Karrierewege der Akteure rekonstruiert und dabei Sinnstrukturen erstellt, die den Handlungsvollzug stets von seinem Endpunkt aus nachvollziehen und das Handeln folglich kohärenter und zusammenhängender erscheinen lassen als es in der Realität war. Was dem Akteur ein gewisser Grad an Unvorhersehbarkeit ist, die sein Tun beständig begleitet und beeinflusst, ist der forschenden Person eine unumgehbare Vorhersehbarkeit und Retrospektive.
4.2 D AS D ENKMODELL B OURDIEUS Zur Analyse des Datenmaterials dieser Arbeit wird auf die Grundzüge bourdieuscher Denkart zurückgegriffen. Folglich werden die fundamentalen Begriffe Habitus, soziales Feld, Kapital und symbolische Macht, welche einen Bezug zur vorliegenden Untersuchung haben, nun kurz umrissen, ohne dass indessen in diesem Rahmen weitere Dimensionen von Bourdieus Soziologie wie beispielsweise die Konstruktion theoretischer Klassen oder seine politischen Schriften die ihnen gebührende Beachtung erhalten. Der eine oder andere Begriff Bourdieus erhielt erst im Laufe seiner Publikationen (und vor allem seiner empirischen Forschung) die endgültige Schärfe. Eine größere Bedeutung als den steten und zahlreichen Versuchen, diesen eine allgemeingültige Definition aufzuzwängen, maß Bourdieu der Anwendung seiner soziologischen Begriffe und deren Anfüllen mit empirischem Gehalt zu. In diesem Kapitel soll dennoch ein Zwischenschritt in Richtung eines definitorischen Versuchs gewagt werden. Bourdieus Subjektanalyse kommt im Gegensatz zu den Doktrinen anderer Theoretiker wie Foucault oder Butler ohne den Begriff Subjekt aus, worin sich bereits in signifikanter Art und Weise die inhaltliche Ausrichtung seines Konzepts manifestiert. Bourdieu fokussiert in seiner Betrachtungsweise das Subjekt als sozialen Akteur, als Handelnden und Träger des Habitus und richtet sein Au-
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genmerk stets auf die Homologien, die das verbindende Element zwischen verschiedenen Verhaltensweisen und Handlungsmustern unterschiedlicher Menschen aufgrund der Existenz einer gemeinsamen subjektübergreifenden Habitusform bilden. Der Habitusbegriff impliziert ein stark körperliches Moment, da er das Subjekt nicht als mentales Konstrukt „der Reflexion, der Planung, der bewussten Erinnerung etc.“ (Reckwitz, 2008, S. 42) begreift. Vielmehr ist es Träger eines inkorporierten Wissens, welches „sich unmittelbar in den Routinen der dem Einzelnen nur natürlich vorkommenden körperlichen Bewegungen“ (Reckwitz, 2008, S. 42) niederschlägt und nicht kontrollierbar ist. Der Habitus, die „Wurzel von Praxen“ (Bourdieu, 1981, S. 187), äußert sich sowohl in den Erscheinungsformen des Auftretens und in den Präferenzen für (beispielsweise) Hobbies, Konsumgüter und Nahrungsmittel als auch in der universellen Bevorzugung eines bestimmten Umkreises. Worauf basieren nun individuelle Habitusformen? Nach Bourdieu bildet sich der Habitus aus den Erfahrungen des Individuums und sucht fortan stetig „nach Bedingungen, die denen seiner Erzeugung entsprechen – eben weil er für sie gerüstet ist“ (Rehbein, 2006, S. 94). Er ist somit eine „strukturierte Struktur“, die als „strukturierende Struktur“ (Bourdieu, 1987, S. 98) wirkt. Sein Ursprung liegt in der Vergangenheit, sein Gewordensein ist für den Habitusträger nicht rekonstruierbar, seine Funktion ist aber deutlich progressiv, da er als Richtungsanzeiger für künftiges Handeln dient. Der Extrakt der gelebten Lebensgeschichte ist in Form des Habitus selbstverständlich aktivierbar ohne ein Bewusstsein dafür, „daß es das, was es erkennt, selbst hervorbringt“ (Bourdieu, 1987, S. 257). „Er oder sie entwickelt einen Habitus, in dem sich die frühen Erfahrungen des sozialen Orts, in den er/sie hineingeboren wurde, eingelagert haben; einen Habitus, der bestimmte Wünsche, Zeithorizonte, Aspirationen, Umgangsweisen mit der Welt eröffnet und andere ausschließt“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 43). Diese „Art Erfahrungswissen“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 27) bewirkt eine Kanalisierung und Interpretation der alltäglichen Wahrnehmung auf Basis der inkorporierten Denkschemata und markiert so ein Orientierungsraster, welches „mit der automatischen Sicherheit eines Instinktes“ (Bourdieu, 1987, S. 191) funktioniert. Im Alltagsgeschehen werden die Eigenschaften und Handlungsweisen der Mitmenschen ebenso wie auch Gegenstände unterschiedlich, jedoch für jeden als legitime und unabänderliche Wirklichkeit wahrgenommen, ohne dass die eigene Perzeptibilität hinterfragt wird. Das passende soziale Feld – begrifflich später genau definiert – verhindert ein Infragestellen der bestehenden Denkstrukturen und bringt nicht nur feldkonformes, sondern auch ein mit dem Agierenden übereinstimmendes Verhalten hervor. Die sich ähnelnden Habitus der Akteure einer Klasse oder eines Feldes ermöglichen die Ausübungen von Praktiken „ohne ausdrückliche Abstimmung“
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(Bourdieu, 1987, S. 109): „Habitusformen anerkennen spontan Ausdrucksformen, in denen sie sich wieder finden“ (Bourdieu, 1987, S. 198, Herv. im Original). Die habituelle Vorgabe dient nicht nur der Orientierung innerhalb des gesellschaftlich Möglichen, sondern hat darüber hinaus auch sinnstiftende Funktion. Die Agierenden handeln innerhalb eines Feldes, dessen Spielregeln, in Bourdieus Sprachgebrauch Illusio (vgl. Bourdieu, 2005, S. 132), sie intuitiv anerkennen, da sie in dessen Spielabläufe „hineingeboren, mit dem Spiel geboren“ (Bourdieu, 1987, S. 123) wurden, so dass sie weder ihren Einsatz noch die Begrenztheit dieser Konstruktion außerhalb des Feldes erkennen können. „Nur dem, der sich vollständig vom Spiel zurückzieht, der vollständig mit dem Zauber, der illusio bricht und damit auf alles verzichtet, um das es bei diesem Spiel geht […], nur ihm kann sich die Welt in der Absurdität einer des Künftigen und mithin des Sinns entblößten Gegenwart darbieten“ (Bourdieu, 1987, S. 150, Herv. im Original). Dies bedeutet keinesfalls, dass das Subjekt durch seinen Habitus unterjocht und unfrei für eigene Entscheidungen wird. Der Habitus gibt lediglich den Radius der Präferenzen vor, innerhalb dessen das Spektrum an Alternativen noch sehr variationsreich ist und innerhalb dessen selbstverständlich gewählt wird, ohne dass ein Interesse am Blick über das Terrain hinaus – außer zur Bildung eines distinktiven Urteilsvermögens – besteht (vgl. Bourdieu, 1987, S. 104). „Gerade unter diesen Bedingungen der Selbstverständlichkeit empfindet man sich als frei und autonom, weil man dem Habitus nur freien Lauf lassen braucht, um perfekt an alle Situationen angepasst zu handeln“ (Rehbein, 2006, S. 99). Somit kommt dem Habitus eine distinktiv regulierende Funktion zu. Die spezifische Ausformung des Habitus und die Ausführung einer passenden Praxis ist die Voraussetzung für die Neigung zu bestimmten Feldern. Unter dieser Perspektive ist davon auszugehen, dass der Habitus der Proband/innen der vorliegenden Untersuchung sowohl ihr generelles Interesse an einer Erweiterung ihres beruflichen Handlungsspielraums auf das Tätigkeitsfeld Schulleitung als auch ihre Präferenz für eines der beiden Qualifizierungsangebote leitet. Nachdem die obigen Ausführungen dem Habitus gewisse Trägheitselemente zuweisen, gilt es, das Spektrum der Habitusveränderung und der Chancen eines sozialen Aufstiegs ins Auge zu fassen. Betritt ein Akteur beispielsweise durch einen Berufswechsel oder eine neue Freizeitaktivität ein ihm bislang unbekanntes Feld, zeigt sich sein Habitus sukzessive anpassungsfähig, was dem Akteur die Akzeptanz im neuen Umfeld ermöglicht. Neue Denkstrukturen und Handlungsweisen ergänzen die ursprüngliche habituelle Prägung, ohne sie auszulö-
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schen oder zu überschreiben16. Dieser Erhalt der primären Beschaffenheit des Habitus kann sich bei einem avisierten sozialen Emporkommen als obstruktiv erweisen. Unter einem sozialen Aufstieg versteht Bourdieu vorwiegend eine positionelle Verbesserung eines Akteurs innerhalb seines ursprünglichen Feldes. Grundlegend für diese Verschiebung ist die Tatsache, dass sich eine Position immer nur in der Abgrenzung zu anderen Positionen und durch die wechselseitige Platzvergabe durch andere Akteure, also durch Unterscheidung und Zuweisung, bestimmen lässt. Inmitten des Feldes sind hierarchische Verschiebungen keine Seltenheit und Veränderungen der Sozialstruktur innerhalb der Gruppe vollziehen sich, „ohne daß das etwas an ihrer herrschenden oder beherrschten Position gegenüber den anderen Gruppen ändert“ (Bourdieu, 1981, S. 71). Bourdieu hält dennoch auch das Verlassen eines Feldes zugunsten einer individuellen verbesserten sozialen Lage für realisierbar17, wenngleich dies zunächst mit dem Erkennen und Verändern des eigenen Habitus und folglich mit erheblichen Restriktionen und Anstrengungen verbunden ist, die zu ertragen der Blick auf die antizipierte aussichtsreiche Zukunft erleichtert. Der ursprüngliche Habitus kann nicht durch einen dem neuen Feld angemesseneren ersetzt werden, sondern unterliegt einer allmählichen Transformation und Erweiterung. Er ist lernfähig und „wie ein dispositionelles Netz organisiert […], das Erfahrungen und sinnliche Eindrücke aufnimmt und in spezifischer Weise verarbeitet, damit aber auch selbst immer wieder modifiziert wird“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 63f.). Was bleibt, ist die Prägung des Habitus auf den fortwährenden Wunsch, dazuzugehören und die Nachwirkungen „von der Anstrengung des Aufstiegs, von den Entsagungen auf dem Weg nach oben, von der Sorge um den Eindruck, der er und sie auf die anderen machen, und vor allem von dem Bestreben, ihre Herkunft, ihre Geschichte und ihre Nähe zu den unteren Klassen zu vergessen und unsichtbar zu machen“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 47). Den Bemühungen, die mit dem sozialen Aufstieg einhergehen, wohnt meist ein Bruch zum alten Umfeld, „zu
16 Den umgekehrten Fall, die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Habitus trotz eines Wandels der äußeren Voraussetzungen und „Praxen, (die unter) den gegebenen Bedingungen objektiv unangemessen sind, weil sie vergangenen oder aufgehobenen Bedingungen entsprechen“, beschreibt Bourdieu ausführlich mit der Hysteresis-These (auf Marx zurückgehend auch Don Quijote-Effekt genannt) (vgl. hierzu Bourdieu, 1981, S. 135ff. und S. 171). 17 Sein eigener Lebensweg war ebenfalls von einem sozialen Aufstieg geprägt. In seiner „Autobiographie“, von ihm statt Autobiographie als Selbstversuch bezeichnet, veranschaulicht er seinen Werdegang eindrucksvoll (vgl. Bourdieu, 2002).
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anderen Familienmitgliedern […], die nicht vorwärtsgekommen sind‘“ (Bourdieu, 1981, S. 189), inne. „Vom Überläufer wird eine völlige Umkehrung seiner Wertordnung, eine Umstellung seiner ganzen Lebensführung verlangt“ (Bourdieu, 1981, S. 189). Die Tatsache, dass diesen Überlegungen Bourdieus wenig Potential für eine Überwindung der eigenen Prädestination oder für einen grundlegenden Umbruch der bestehenden Verhältnisse der Gesellschaft innewohnt, haben Kritiker immer wieder zum Anlass einer kontroversen Diskussion genommen. Bourdieu selbst sah das Verstehen der Hintergründe als wesentlich für das Infragestellen und Verändern der gesellschaftlichen Strukturen an. So übte er beispielsweise Kritik an der reproduktiven Institutionalisierung des Schulsystems, welches unterschwellig ein gewisses habituelles Gebaren erwartet und voraussetzt, dessen Existenz oder Nichtexistenz die Demarkationslinie darstellt, Begünstigungen für Begünstigte entlang ihrer bestehenden Kapitalstruktur hervorbringt und hinsichtlich der Zukunftschancen der Schüler einen „Schicksalseffekt“ (Bourdieu, 1998b, S. 45) hat18. Bourdieus Anliegen war in erster Linie, eine Theorie zu entwerfen, die die Logik des Handelns erklärbar macht, weil sie sich direkt aus empirischen Erkenntnissen ableitet. Bereits aus obigen Erläuterungen seines Habituskonzepts wurde ersichtlich, dass sein Fokus dabei über den Handlungshorizont der einzelnen Person hinausgeht und sich immer wieder auf die Partizipation an einem sozialen Feld richtet, wobei zwischen Habitus und Feld eine reziproke Beziehung existiert19. Folglich wird nun eine Begriffsbestimmung des Feldterminus substantiell. Die Gesellschaft lässt sich als sozialer Raum oder als ein soziales Feld fassen. Da die Makrostruktur sozialer Systeme von Bourdieu mit dem Begriff „Raum“ gefasst wird, wird in dieser Arbeit, die auf die Mikroebene des Systems Schule fokussiert, die Bezeichnung „soziales Feld“ verwendet. Akteure bilden gemeinsam ein soziales Feld, in welchem sich ihre subjektiven Habitus aktualisieren und beobachtbar werden. Jedoch sind die Akteure nicht nur Mitglied eines einzigen Feldes, sondern agieren zuweilen in unterschiedlichen, bezogen auf die
18 Vgl. ausführlich zu Bourdieus pädagogischer Betrachtungsweise auch Liebau (1987, S. 144ff.). 19 Inwieweit die Mechanismen und Zwänge eines Feldes zum Gesetz seiner Akteure werden und sich in den Praktiken einer jeden einzelnen Person erkennen lassen, wird anhand von Bourdieus Vorlesungen über das Fernsehen und das Feld des Journalismus m. E. besonders deutlich, vgl. hierzu Bourdieu (1998a).
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vorliegende Untersuchung beispielsweise sowohl innerhalb ihres Kollegiums als auch innerhalb der Qualifizierungsgruppe. Die Spielregeln eines jeden Feldes werden, ohne dass sie offenkundig gemacht werden, von allen Teilnehmer/innen verstanden, befolgt und für wichtig erachtet. Diese Übereinstimmung über die Regeln und deren Bedeutsamkeit bezeichnet Bourdieu bezogen auf den Habitus als Doxa, bezogen auf die Illusion der Wirklichkeit und Wichtigkeit der Spielregeln des Feldes als Illusio20. Doxa und Illusio ermöglichen, dass „die Handelnden sich objektiv einig sind, beim selben Zeichen, Sprechakt, Handeln dieselbe Bedeutung und bei derselben Bedeutung dasselbe Zeichen zu assoziieren, bzw. sich bei ihren Chiffrier- und Dechiffrieroperationen auf ein und dasselbe System konstanter Relationen zu beziehen“ (Bourdieu, 1987, S. 51). Da die eigenen doxischen Leitlinien der Ratio der Akteure (und demzufolge auch der der soziologisch Forschenden) nicht zugänglich sind, besteht die Gefahr eines zu raschen Verstehens unvertrauter Praktiken aus einem vermeintlich objektiven, aber eingegrenzten Blickwinkel heraus (vgl. Bourdieu, 1987, S. 49ff.). Ebenso wie die Konstitution des inkorporierten Habitus als voraussetzungsvoll für den Feldzugang, das Heimischsein und die Akzeptanz im Feld angesehen werden kann, etablieren sich auch die feldimmanenten Strukturen durch die Habitus der Akteure21. Das Fortbestehen der objektiven Strukturen ist maßgeblich davon abhängig, dass diese kontinuierlich von den Handelnden „zum Leben erweckt und am Leben erhalten werden“. Bezogen auf den Gegenstand dieser Arbeit haben Habitus und Feld folgenden Stellenwert: Der Habitus erzeugt die Neigung, sich in eine berufliche Statuspassage zu begeben, und bringt konfrontiert mit dieser Denk- und Wahrnehmungsmuster hervor, die in Bewertungs- und Handlungsschemata münden und die Bewältigung gestalten. Die eigengesetzliche Bewältigungsform erfolgt jedoch „nicht losgelöst vom jeweiligen sozialen Umfeld […], denn dieses Feld macht bereits
20 Verschiedentlich wird darauf hingewiesen, dass Bourdieu die Begriffe Doxa und Illusio nicht immer trennscharf und einheitlich verwendet, vgl. hierzu bspw. Rehbein (2006, S. 106) und Koller (2009, S. 80). 21 Dass der Habitus eines Menschen zu jeder Zeit auf ein passgenaues Feld trifft, wird durch die zunehmende Komplexität und Vielfalt der gesellschaftlichen Gruppen immer unwahrscheinlicher. Eine starke Diskrepanz kann nach Bourdieu einerseits zu Feldveränderungen bis hin zu Revolutionen durch die Akteure führen, andererseits zu habituellen Modulationen, um unpassende Praktiken zu verhindern und unerwünschte Konditionierungen abzulegen (vgl. Bourdieu, 1987, S. 117).
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definitorische Vorgaben und hat einen entscheidenden Sozialisationseffekt auf die sich darin bewegenden Individuen“ (Friebertshäuser, 1992, S. 302). Mit der Terminologie Bourdieus liegen der Entscheidung der befragten Proband/innen für die universitäre Qualifizierungsmaßnahme respektive die Trainingsmodule des „TVaS“ eine feldangemessene Illusio und Doxa zugrunde, die zum einen dem Procedere des jeweiligen Qualifizierungsangebotes eine als qualitätsvoll beurteilte Wertung und zum anderen sich selbst als Person eine adäquate Passung dazu zugestehen. Doch wenngleich diese Einmütigkeit innerhalb eines jeden Feldes vordergründig das Bild einer inneren Harmonie nach vollzogener äußerer Abgrenzung evoziert, ist die Teilhabe am Feld keineswegs konfliktfrei. Bourdieu operiert in dieser Hinsicht mit dem Begriff Kampf und wird ob dieser etwas überspitzten Vokabel gelegentlich kritisiert, da das Bild, welches er illustrieren wolle, doch eher dem „eines gesellschaftlichen Wettrennen(s) […], in dem alle Teilnehmer permanent in Bewegung sind“ (Nollmann, 2004, S. 140), entspräche. Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung tritt jedoch immer wieder die Kontroverse um die nebeneinander existierenden Qualifizierungsmöglichkeiten für angehende Schulleitungen und deren „Anerkennungs- und Legitimitätskapital“ (Bourdieu, 1998b, S. 104) in den Fokus, und zwar in einem Duktus, der nachdrücklich die Verwendung des bourdieuschen Begriffes Kampf, im Sinne der Maximierung einer feldimmanten Akzeptanz, rechtfertigt. Das Ziel der Kämpfe liegt nach Bourdieu in der Aneignung unterschiedlicher Kapitalformen und in der Verbesserung der eigenen Position. Jeder Akteur handelt nach einer ihm eigenen „Logik der Praxis“ (Bourdieu, 2002, S. 73), die ihn dazu veranlasst, im Kontext seiner habituell geprägten Ziele ökonomisch und zielgerichtet vorzugehen, um durch sein Handeln das Maß an möglichst positiven Auswirkungen hoch und das der Konflikte niedrig zu halten. Dafür wendet er Strategien an, die ihm aus seiner Position heraus notwendig erscheinen. Bisweilen handelt es sich bei dem Ziel, für welches man habituell prädisponiert ist und auf welches man nicht ohne weiteres kognitiv zugreifen kann, und bei dem, welches man gerade aktiv zu verfolgen meint, um zwei verschiedene und stark divergierende Ziele. So werden die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass das Bestreben, einen höherstehenden Posten im Beruf zu erlangen, von quasi automatisch greifenden Sinnstrukturen sabotiert werden kann. Demzufolge ist auch die soziale Position, die die Proband/innen außerhalb ihrer Teilhabe an der Qualifizierungsmaßnahme in ihrem schulischen Feld einnehmen, entscheidend für das Verständnis der Bewältigung ihrer Statuspassage und wird in der Analyse einen zentralen Stellenwert einnehmen. Der Wille nach Verbesserung der eigenen Position sowie Bestrebungen zur Machterhaltung und -erweiterung verursachen Spannungen, da die unterschiedli-
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chen Akteure nicht in gleicher Weise mit Kapital ausgestattet sind. Der Kapitalbegriff, der hier ins Spiel kommt und eng mit den bourdieuschen Termini Habitus und Feld verwoben ist, umfasst neben dem ökonomischen auch kulturelles und soziales Kapital und lässt sich als dreierlei Potential der Handelnden verstehen. Im Hinblick auf dieses Forschungsanliegen kommt dem kulturellen und dem sozialen Kapital eine besondere Bedeutung zu. Das kulturelle Kapital fächert Bourdieu in inkorporiertes, institutionalisiertes und objektiviertes22 Kapital auf. Die Aneignung inkorporierten Kapitals vollzieht sich durch den Erwerb von Bildungsinhalten, die eine Person unter Aufbietung persönlicher Initiative verinnerlicht23. Diese Investition setzt neben dem eigenen Engagement auch eine gewisse Basis ökonomischen Kapitals voraus, die es beispielsweise ermöglicht, zugunsten des Wissenserwerbs die Kräfte für das Bestreiten der Lebenshaltungskosten zu reduzieren (vgl. Bourdieu, 1992a, S. 55ff.). Indem sie beispielsweise in institutionalisiertes kulturelles Kapital, welches von Bourdieu auch als symbolisches Kapital bezeichnet wird24, modifiziert wird, soll sich diese biographische
22 Objektiviertem kulturellem Kapital, welches Gegenstände bezeichnet, die der Bildung dienen oder zur Vortäuschung eines gehobenen Bildungsstandes erworben werden können, wie Bücher, Kunstwerke etc., wird in diesem Rahmen keine weitere Beachtung geschenkt, wenngleich damit eine Vernachlässigung von Bourdieus interessantem Gedanken einhergeht, nur der Besitz objektivierten kulturellen Kapitals sei übertragbar, nicht aber das Verständnis dafür (vgl. Bourdieu, 1992a, 59ff.). 23 Hinsichtlich der Ermöglichung einer Aneignung von inkorporiertem kulturellem Kapital übt Bourdieu Kritik an der Schule, da diese sich zum einen gegen die Kinder aus der unteren Gesellschaftsschicht richtet und „Kinder aus denjenigen Familien, die ökonomisch und kulturell am stärksten benachteiligt sind, aus der Schule (herausdrängt)“ (Bourdieu, 1992a, S. 16). Zum anderen vermittelt sie insbesondere aufgrund ihrer trägen Institutionalisierungsform zu selten Wissen „in einer gesellschaftlich nützlichen Weise oder für eine vernünftige Entwicklung“ (Bourdieu, 1992a, S. 21). Vgl. zur Auseinandersetzung mit dem Bildungswesen auch Bourdieu (1992a, S. 112f.). 24 Den Begriff symbolisches Kapital verwendet Bourdieu nicht nur im Zusammenhang mit institutionalisiertem kulturellem Kapital, wie Schulabschlüssen oder akademischen Titeln, sondern ebenso, wenn er über soziales Kapital spricht, da dieses wie auch gesellschaftlich anerkannte Bildungsabschlüsse ein gesteigertes Ansehen hervorrufen kann. Auch die vorwiegend von Frauen ausgeführte und auf Repräsentation ausgerichtete Initiative im häuslichen Umfeld, wie beispielsweise die Dekoration des Hauses, bezeichnet Bourdieu als Verwaltung symbolischen Kapitals (vgl. Bourdieu, 2005, S. 172f.). Die Verwendung der Betitelung „symbolisch“ rekurriert bei Bourdieu
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Investition später auszahlen. Als institutionalisiertes kulturelles Kapital bezeichnet Bourdieu die offizielle Legitimation des zuvor erworbenen inkorporierten kulturellen Kapitals in Form von Berufsbezeichnungen, Zeugnissen usw. Diese Kapitalform kann (und soll zumeist) die Kumulation ökonomischen Kapitals zur Folge haben. Die Fähigkeit, die zweite bedeutende Kapitalsorte, das soziale Kapital, zu erlangen, geht mit der Begabung einher, Verbindungen zu anderen Mitgliedern des Feldes zu unterhalten. Diese Kapitalform ist das Resultat sozialer Beziehungen und hat die Wirkungsfähigkeit, als symbolisches Kapital das eigene kulturelle und ökonomische Kapital anzureichern. „Für die Reproduktion von Sozialkapital ist eine unaufhörliche Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschakten erforderlich, durch die sich die gegenseitige Anerkennung immer wieder neu bestätigt“ (Bourdieu, 1992a, S. 67). Diese Beziehungsarbeit geht nicht ohne den Einsatz von Zeit und finanziellen Mitteln vonstatten, da sie stets progressiv ausgerichtet ist. Mit anderen Worten: Der unmittelbaren Nutzbarkeit ist eine lange Phase vorangestellt, in der die Verbindung den Anschein des Selbstzwecks erweckt. Das soziale Kapital eignet sich zur Interpretation des unterschiedlich großen Erfolges, „den Menschen trotz vergleichbarer Ausstattung mit ökonomischem und kulturellem Kapital erzielen“ (Koller, 2004, S. 146). Wenn das soziale Kapital über derart weitreichendes Potential verfügt, Bourdieu spricht ihm einen „Multiplikatoreffekt auf das tatsächlich verfügbare Kapital“ (Bourdieu, 1992a, S. 64) zu, kann davon ausgegangen werden, dass die Akteure zu dessen Akkumulation verschiedene Strategien anwenden. Diese zum Teil aufwändigen Taktiken, wie beispielsweise Beschenkungen, konstante Kontaktpflege und Hilfsdienste, mögen außerhalb des Feldes – und unter Unkenntnis der ihm zugrunde liegenden Spielregeln – unwirtschaftlich und sinnlos erscheinen, „während sie im Rahmen der umfassenden Logik des sozialen Austausches eine sichere Investition (darstellen), deren Profite über kurz oder lang in monetärer
unabhängig von der Kapitalsorte folglich immer auf Anstrengungen, die dazu geeignet sind, Anerkennung zu induzieren. Diese Anerkennung ermöglicht in ihrer Folge eine weitere Vermehrung des eigenen Kapitals, dient sozusagen als Kredit: „Wenn man weiß, daß symbolisches Kapital Kredit ist […], wird ersichtlich, daß die (ökonomisch stets sehr aufwendige) Zurschaustellung des symbolischen Kapitals einer der Mechanismen ist, die (sicher überall) dafür sorgen, daß Kapital zu Kapital kommt“ (Bourdieu, 1987, S. 218, Herv. im Original). Allerdings muss das symbolische Kapital eine Passung zur Wahrnehmung der Akteure in dem Feld aufweisen, in dem es wirken soll, sonst läuft sein Demonstrationszweck ins Leere.
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oder anderer Gestalt wahrgenommen werden können“ (Bourdieu, 1992a, S. 72). Bourdieu stellt die komplexe Konstruktion dieser Tauschakte dar, deren Gelingen davon abhängt, den tatsächlichen Zweck zu verschleiern, angemessene zeitliche Abstände einzuhalten und „die ‚mechanischen Gesetze‘ des Zyklus der Wechselseitigkeit (als) unbewußte Grundlage der Verpflichtung zum Schenken, der Verpflichtung zum Gegengeschenk und der Verpflichtung zur Annahme“ (Bourdieu, 1987, S. 180) anzuerkennen. Es ist augenfällig, dass das Feld, in welchem sich die Proband/innen der vorliegenden Untersuchung bewegen, darauf ausgerichtet ist, kulturelles Kapital zu vermitteln. Es ist zu vermuten, dass auch die Proband/innen selbst ein besonderes Interesse an der Aneignung dieser Kapitalsorte haben und ihr eine hohe Gewichtigkeit beimessen. Die Weiterbildungsangebote, die jede/r von ihnen besucht hat, verleihen am Ende Zertifikate, die ihnen institutionalisiertes kulturelles Kapital in symbolisierter Form bescheinigen und ihnen damit neue berufliche Möglichkeiten eröffnen. Es deutet sich aber in den Begriffsbestimmungen der einzelnen bourdieuschen Kapitalsorten bereits an, dass nicht nur die offensichtlichste aller Kapitalarten von Bedeutung für den eingeschlagenen Weg der Proband/innen ist, sondern auch das soziale Kapital als entscheidender Weichensteller fungieren kann. Dieser Gedanke impliziert nicht nur die Fähigkeit, soziales Kapital innerhalb der Qualifizierungsmaßnahme aktivieren zu können, sondern bezieht auch das innerhalb des Kollegiums bereits akkumulierte Sozialkapital mit ein. Der Blickwinkel in dieser Arbeit darf folglich nicht nur in der Ausrichtung auf das zu erwerbende soziale Kapital bestehen, sondern muss vielmehr auch auf das bereits als Ressource zur Verfügung stehende Kapital gelenkt werden. Bourdieu machte auch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zum Gegenstand seiner soziologischen Betrachtungen, da er über bestehende symbolische Machtverhältnisse aufklären wollte. Diesen Überlegungen wird hier aufgrund des Erkenntnisinteresses der Arbeit ebenfalls Raum gegeben. Bourdieu versteht Geschlecht als eine soziale Konstruktion, die auf den biologischen Körper rekurriert, um die „natürliche Rechtfertigung des gesellschaftlich konstruierten Unterschieds […] und insbesondere der geschlechtlichen Arbeitsteilung“ (Bourdieu, 2005, S. 23) zu plausibilisieren. Seine Ambitionen, Prozesse zu demaskieren, die das „kulturell Willkürliche in Natürliches“ (Bourdieu, 2005, S. 8) umdeuten, zielen auf Veränderbarkeit des Bestehenden ab: „Will man die Welt verändern, muß man die Art und Weise, wie die Welt ‚gemacht‘ wird, verändern. Das heißt, man muß die Weltsicht und die praktischen Operationen verändern, mit denen Gruppen produziert und reproduziert werden“ (Bourdieu, 1992a, S. 152). Auch hinsichtlich der geschlechtlichen Analyse
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kommt dem Habitus eine zentrale Bedeutung zu: Der Geschlechterdualismus und damit einhergehend eine Hierarchisierung der Geschlechter ist als elementarer Bestandteil tief im Habitus verwurzelt und verunmöglicht eine Abkehr von der als natürlich empfundenen Polarität zweier Geschlechter. Die Toleranzschwelle für eine uneindeutige geschlechtliche Identität anderer ist verschwindend gering, folglich „arbeitet“ der Habitus auch ostentativ an der eigenen Eindeutigkeit durch die „ständige Orientierung von Handlungen, Signalen, Wahrnehmungen und so weiter an einem binären Code, bei der ständig ‚die andere‘ von zwei Möglichkeiten des Seins verworfen und aus dem Bereich der eigenen Möglichkeiten ausgeschlossen wird“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 50). Die Gültigkeit und Stärke dieser binären hierarchischen Konstruktion wird ganz maßgeblich von der Akzeptanz der Agierenden beeinflusst. Durch ihr doing gender reproduzieren sie diese vermeintlich natürliche Kategorisierung und erhalten als „Produkt einer sozialen Benennungs- und Einprägungsarbeit“ (Bourdieu, 2005, S. 91) die männliche Vorherrschaft. Bourdieu spricht zur Veranschaulichung dessen von sanfter oder symbolischer Gewalt, deren Ziel die Machterhaltung bzw. -erweiterung ist (vgl. Bourdieu, 2005, S. 8 und S. 63ff.). Aus der Billigung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses, welches „zugleich […] im Habitus der Herrschenden wie der Beherrschten verankert ist“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 52), resultiert eine Funktionalität, die „sich der stillschweigenden Komplizität derer bedient, die sie erleiden, und oft auch derjenigen, die sie ausüben, und zwar in dem Maße, in dem beide Seiten sich dessen nicht bewußt sind, daß sie sie ausüben oder erleiden“ (Bourdieu, 1998b, S. 21). Sobald die Verteilung der Machtverhältnisse als gegeben akzeptiert wird, ist die Vormachtstellung der Herrschenden dadurch gesichert, „das System laufen zu lassen“ (Bourdieu, 1987, S. 236). Durch jegliches Handeln wird dieser Umstand immer weiter reproduziert. Als Beispiele für diesen „self-regulating market“ (Bourdieu, 1987, S. 238) nennt Bourdieu straff strukturierte Institutionen wie die des Bildungswesens, deren „volle Institutionalisierung ermöglicht, […] daß die anderen glauben und gehorchen und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen“ (Bourdieu, 1987, S. 240). Werden bestehende Herrschaftsverhältnisse jedoch grundsätzlich hinterfragt, nicht akzeptiert oder fehlt die objektivierte Anerkennung, kann Macht nur über den persönlichen Einsatz der Ausübenden vollzogen werden. Zur Erhaltung der Autorität ist dann ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Herrschenden und Unterlegenen vonnöten. Diese Bemühungen führen jedoch zur Sichtbarkeit des Anliegens der Machterhaltung und können damit ebenso zu ihrer Demontage führen (vgl. Bourdieu, 1987, S. 239f.). Die Herrschaftsverhältnisse bestehen nach Bourdieu in einer männlichen Hegemonie, deren Auswirkungen sich nicht nur auf den Arbeitsmarkt, sondern
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ebenso auf den privaten Raum erstrecken, da dem Männlichen durch die Gleichsetzung mit dem Allgemeingültigen eine symbolische Macht zuteilwird, die auch „das Denken und die Wahrnehmung der Frauen“ (Krais/Gebauer, 2002, S. 53) bestimmt und ihr eigenes Selbstbild konturiert. Bourdieu inkludiert in seine Betrachtungen zur männlichen Hegemonie auch immer wieder das Auftreten von Körperpraktiken und Kleidungsstilen, die Frauen „in eine Art unsichtbare Umzäunung“ (Bourdieu, 2005, S. 54) einschließen und die kontrastierend denen der Männer gegenüberstehen. Diese körperliche Seite des Habitus, von Bourdieu auch „körperliche hexis“ (Bourdieu, 2005, S. 57) genannt, beobachtete er in extrem ausgeprägter Form in der traditionell landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft der kabylischen Bergbauern in Algerien (vgl. Bourdieu, 1987, S. 129ff. und S. 376ff.). Doch auch im heutigen Alltag in der westlichen Welt lässt sie sich registrieren und bringt Körperhaltungen hervor, „die zutiefst mit der den Frauen angemessenen moralischen Haltung und Zurückhaltung verknüpft sind“ (Bourdieu, 2005, S. 55). Durch die doxische Akzeptanz dieser Unterwerfung sind Gutheißung und Erhaltung der Machtverhältnisse untrennbar miteinander verwoben. Dies impliziert jedoch keineswegs, dass die Frauen die Vormachtstellung der Männer willentlich legitimieren, vielmehr ist dieses Phänomen nach Bourdieu ein Produkt von habituellen und dem Bewusstsein nicht zugänglichen Dispositionen, die durch die gesellschaftlichen Strukturen reproduziert werden (vgl. Bourdieu, 2005, S. 78). Je näher sich Disposition und erlebte bzw. erlittene Strukturierung stehen, desto weniger wird letztere in Frage gestellt. „Die magische Grenze ist also überall, in den Sachen und in Leibern zugleich, d.h. in der Ordnung der Dinge, in der Natur der Dinge, in der Routine und Banalität des Alltags“ (Bourdieu, 1987, S. 385) und wird kontinuierlich reproduziert durch gewohnheitsgemäße Redeweisen, „bei denen man sich wohlfühlt, weil zugleich heimisch und mit anderen verbunden“ (Bourdieu, 1987, S. 385). Bourdieu inkludiert in seine Überlegungen jedoch die Möglichkeit der Bewusstmachung einverleibter Denkkategorien und verdeckter gesellschaftlicher Zwänge, der eine Dynamisierung der bestehenden Verhältnisse und eine Veränderung der Verteilungsstruktur entspringen könnte (vgl. Bourdieu, 1987, S. 257f.). Ein Offenlegen vermeintlicher Gesetzmäßigkeiten und deren Identifizierung als veränderbare Konstrukte erhöhen demnach die Selbstbestimmung. Wissenschaft – von der Gesellschaft wahrgenommen und verstanden – wird diskursfähig und transformiert sich Bourdieus zuversichtlicher Annahme zufolge in verändertes Handeln. Somit liegt ein zielgerichteter Anschluss an die Sozialtheorie Bourdieus für diese Arbeit in seiner Intention, eine reflexive Denkweise anzuregen und ein „Instrument der Wachsamkeit“ (Bourdieu, 1992b, S. 39) zur Verfügung zu stel-
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len. Diese Aussage fasst er wie folgt zusammen: „Die Soziologie ist ein höchst machtvolles Instrument der Selbstanalyse, die es einem ermöglicht, besser zu verstehen, was man ist, indem es einem die sozialen Bedingungen, die einen zu dem gemacht haben, was man ist, sowie die Stellung begreifen läßt, die man innerhalb der sozialen Welt innehat“ (Bourdieu, 1992b, S. 223).
4.3 D IE R AHMENANALYSE G OFFMANS Bourdieus Zitat von der Stellung der Akteure in der sozialen Welt soll überleiten zu Goffmans Vorgehensweise, ebendiese Stellung mit Hilfe einer Theatermetapher zu analysieren. Für Goffman, der selbst zahlreiche Feldstudien durchführte, ist die Ethnographie der Schlüssel zur Erkenntnis. Er bedient sich u.a. der Sprache des Theaters25, um ein Verstehen des Handelns zu erwirken und versieht dieses dadurch gleichzeitig mit der Zuschreibung einer ihm innewohnenden Künstlichkeit, einer Performanz. Die analogische Verwendung von Theaterbegriffen soll jedoch Künstlichkeit nur von außen applizieren, um durch einen verfremdeten Blick das Selbstverständliche sichtbar und erklärbar werden zu lassen, den Akteuren jedoch weder Simulation noch Rollenhaftigkeit unterstellen. Stattdessen steht ein nahezu unendliches Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, aus welchem die Akteure zugunsten eines stimmigen Gesamtbildes auswählen. Doch wie kommt passendes Verhalten zustande? Ausdifferenzierte
25 Die Theatermetapher galt lange Zeit als Inbegriff der Goffmanschen Soziologie, da sein Werk „Wir alle spielen Theater“ größte Popularität erreichte. Knoblauch weist in seinen einleitenden Worten zu „Interaktion und Geschlecht“ jedoch daraufhin, dass sich Goffman in seinen Wirkungsjahren sukzessive von dieser Verbildlichung löste (vgl. Knoblauch, 1994, S. 11), womit eine erneute Modifizierung seiner Begrifflichkeiten einherging. Diesen Aspekt der fehlenden Beständigkeit einer begrifflichen Schärfe, der häufig als Kritikpunkt angebracht wird, schwächt Knoblauch ab, wenn er schreibt, Goffmans Analysen sollten „weniger als Theorie betrachtet werden, sondern als heuristische Zugänge zu einem gleichbleibenden Thema: der Interaktionsordnung“ (Knoblauch, 1994, S. 16). Dies wird auch von Kardorff gestützt, der betont, dass die fehlende konzeptionelle Geschlossenheit „im Hinblick auf praktische Problemstellungen gerade von Vorteil (ist): ohne den Zwang, einzelne Erfahrungen im Rahmen einer übergreifenden Theorie deuten zu müssen, lassen sich Segmente alltäglicher Routinen in ihrer realen gesellschaftlichen Isoliertheit untersuchen und für praktische Zwecke (neu) interpretieren“ (von Kardorff, 1991, S. 331).
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Regeln für jede Situation wären „in ihrer notwendigen Abstraktheit zu schwerfällig, um der Buntheit der Wechselwirkungen überhaupt gerecht werden zu können“ (Hettlage, 1991, S. 101), folglich sind die Akteure auf eine grundlagenbildende Ansozialisation26 sowie ein situatives Rahmungswissen, welches sich die Personen während des Handelns laufend vermitteln, angewiesen. Dies bedarf einer Erläuterung, in der im Folgenden auch die Begrifflichkeiten Person und Rolle, Fassade, Bühnenbild, sozialer Anlass, Ensemble, Rahmen und Interaktion definiert werden, da diese sowohl konstitutiv für Goffmans Rahmenanalyse als auch für die Analyse der ethnographischen Beobachtungsfragmente sind, die in die Typologie im empirischen Teil dieser Arbeit einfließen. Goffman nimmt eine Ausdifferenzierung aller handelnden Akteure in Person und Rolle, die „Person-Rolle-Formel“ (Goffman, 1977, S. 297), vor, wobei erstere Bezeichnung das Individuum unter eher umfassendem Blickwinkel benennt, während letztere auf die spezielle Funktion ebendieses innerhalb interaktioneller Gegebenheiten fokussiert27. Verhalten und interagierendes Handeln werden stets im Kontext ihrer Gesamtrahmung wahrgenommen und im Hinblick auf den oder die jeweiligen Adressat/innen ausgeführt. Dieses Konstrukt beschreibt Goffman mit Hilfe der Begriffe (persönliche) Fassade und Bühnenbild. Im allgemeinen Verständnis unterliegt diese Zweiheit der Erwartung, alles möge sich zu einem stimmigen Gesamtbild vereinen. Die Fassade umfasst die äußere Rahmung, innerhalb derer die Akteure ihre persönliche Fassade darbieten. Letztere schließt sowohl veränderliche Komponenten des Verhaltensrepertoires wie die Sprechweise und die Gestik als auch unveränderbare Aspekte wie die Geschlechtszugehörigkeit mit ein. Folglich differenziert Goffman hier zwischen Verhalten und Erscheinung. So plausibel die Konstante der Geschlechterzugehörigkeit auch auf den ersten Blick wirken mag, kann sie dennoch nach den vorangegangenen
26 Dem Prozess der gesellschaftlichen Genese dieser Regeln und der individuellen Ansozialisation widmete Goffman weniger Interesse als dem Aspekt der interaktiven Konstituierung, also dem, „was die Handelnden unter Berücksichtigung ‚ritueller‘ Anforderungen aus diesen Regeln machen“ (Bergmann, 1991, S. 315). 27 Eine ähnlich hohe Bedeutung wie dem Begriff Rolle kommt im Rahmen dieser Arbeit dem Terminus Position zu. Eine klare begriffliche Definition der Bezeichnung Position fehlt bei Goffman. Eine Rolle definiert er als Tätigkeit, „die jemandem in seiner Position auferlegt werden“ (Goffman, 1973b, S. 95) kann: „Demgemäß ist es eine Position und nicht eine Rolle, die man einnehmen, die man ausfüllen und wieder verlassen kann, denn eine Rolle kann nur ‚gespielt‘ werden; aber kein Student scheint diese Logik zu beachten, und ich will das auch nicht tun“ (Goffman, 1973b, S. 95).
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Überlegungen zur sozialen Konstruktion von Geschlecht nicht undiskutiert übergangen werden, bildet doch erst die Inszenierung den entsprechenden Rahmen, um ebendieser Konstruiertheit näherzukommen. Goffmans Zugang zur Geschlechterzugehörigkeit wird daher am Ende der Explikation seiner Rahmenanalyse noch einmal in den Mittelpunkt rücken. Zunächst aber gilt es, das Bühnenbild als zweites zugehöriges Element zu betrachten. Mit seiner Kulisse bildet das Bühnenbild den gegenständlichen Rahmen für die entsprechenden Interaktionen und fordert von den Akteuren, sich in diesen einzufinden, um ihr Anliegen auszuüben. Beispielhaft kann Schule mit all den dazugehörigen Prozessen und Abläufen als Fassade betrachtet werden, in die sich Lehrkräfte zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ebenso eingliedern müssen wie in das entsprechende Bühnenbild, welches sich aus dem dazugehörigen Beiwerk wie Klassen- und Lehrer/innenzimmer, Vertretungsplan und Pausenhof zusammensetzt. Wird vor der Fassade nun ein spezielles Anliegen ausgeübt, spricht Goffman von einem sozialen Anlass. Kennzeichnend für diesen ist, dass Vorgaben hinsichtlich des Beweggrundes des Zusammentreffens, der Funktion der Teilnehmenden und einer strukturierenden Rahmung bestehen. Im obigen Bild verbleibend würden beispielsweise Elternabende oder Konferenzen einem sozialen Anlass im schulischen Rahmen entsprechen. Wird ein sozialer Anlass von mehreren Darsteller/innen gemeinsam konstituiert, spricht Goffman von einem Ensemble. „Ich werde den Ausdruck Ensemble für jede Gruppe von Individuen verwenden, die gemeinsam eine Rolle aufbauen“ (Goffman, 1973a, S. 75). Einem Ensemble kann – muss jedoch nicht – an der Aufrechterhaltung des gemeinsamen Schauspiels gelegen sein. In der Darstellung der Typologie in vorliegender Arbeit wird transparent, dass ein gemeinsames Ensemble in Darsteller/in und Publikum auseinanderfallen kann, sobald sich eine Lehrkraft mit beruflichem Aufstieg befasst (vgl. Goffman, 1973a, S. 218f. sowie Kapitel 7 dieser Arbeit). All dies geht in Goffmans populärem Rahmenkonzept auf, dessen Ausgangspunkt darin besteht, die Bestandteile von Rahmen zu untersuchen, die Akteure beständig reproduzieren, ohne dass sie ihnen bewusst sind oder von ihnen detailliert beschrieben werden könnten. Der Begriff Rahmen bezeichnet dabei die vorgegebene soziale Struktur, „einen Verständigungshintergrund für Ereignisse“ (Goffman, 1977, S. 32), der unmittelbare Auswirkungen auf die Akteure hat, die in ihrem Verhalten durch sie reglementiert werden. So deterministisch dies anmutet, bleibt dennoch jede Menge Spielraum, denn: „Es sind immer Individuen – nicht Regeln – die handeln, und sie können absichtlich oder oftmals auch unabsichtlich gegen die vorhandenen Regeln verstoßen“ (Lenz, 1991,
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S. 39). Obgleich nicht jeder Akteur die Wirklichkeit für sich konstruieren kann, so bezieht er dennoch individuell Position zu dem, was auf ihn wirkt, und wird zum Mitwirkenden in verändernder, bestätigender oder ablehnender Art und Weise28. Die Rahmen, als „eine sozial akzeptierte Wirklichkeit […], auf die man sich für ein bestimmtes Setting einigen konnte“ (Hettlage, 1991, S. 151), werden folglich prozessual hergestellt und sind damit einer gewissen Fragilität in Form von Rahmenstreitigkeiten, Rahmenirrtümern und Rahmenbrüchen (vgl. Goffman, 1977, S. 331ff.) unterworfen. Damit fasst der Begriff Rahmen nicht nur Deutungen von Interaktionsverläufen, sondern ebenso deren aktualen, gänzlich unreflektierten und im Handeln konstituierten Entstehungsprozess, eben „auch Handlungs- und Interaktionsszenen, wie sie tatsächlich ablaufen“ (Hettlage, 1991, S. 187, Herv. im Original). Den Rahmen kommt demzufolge einerseits eine formalisierend vereinfachende Funktion bei Interaktionen zu, da sie bereits die fragmentarischste Interaktionssequenz einordenbar machen, indem sie eine interpretierende Definition des Erlebten, Geschilderten oder Beobachteten ermöglichen29. Andererseits oktroyieren sie den Akteuren passende Verhaltensweisen, selbstverständlich und ohne explizite Benennung, jedoch mit erheblichen Sanktionierungen im Falle von Missachtung, Unkenntnis oder sozialer Unbeholfenheit30 (vgl. Goffman, 1994, S. 66f.). Dementsprechend sind die Akteure an der Aufrechterhaltung der jeweils situativ angemessenen Interaktionen interessiert, da sie einer kontinuierlichen und positiven Bekräftigung ihrer Rolle dienen. Neben den passenden In-
28 Goffman verzahnt in seiner Argumentation die Ansätze von Simmel und Durkheim, da er die „soziale Ordnung, als soziale Tatsache (Durkheim) einerseits, und als Prozess sozialer Wechselwirkungen (Simmel) andererseits“ ansieht (Raab, 2008, S. 34, Herv. im Original). 29 Jedoch bedenkt Goffman nicht nur die strukturgebende Funktion von Rahmen, sondern ebenfalls die Möglichkeit Rahmen auf vielfältige Art und Weise zu transformieren. Dafür stehen den Akteuren unterschiedliche Formen der Modulation zur Verfügung: So-Tun-als-ob, Wettkampf, Zeremonie, In-anderen-Zusammenhang-Stellen (vgl. Goffman, 1977, S. 87ff.). Nur bei unmodulierten Tätigkeiten sind der Kern und der Rand des Rahmens identisch. 30 Die besonders auffällige Art und Weise von psychisch erkrankten Personen situative Unangemessenheiten an den Tag zu legen und dadurch den Beobachtenden die Grundregeln „normalen“ Agierens erst bis ins kleinste Detail bewusst werden zu lassen, veranlasste Goffman dazu, Forschungen in psychiatrischen Einrichtungen durchzuführen (vgl. Goffman, 1972).
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teraktions- und Kommunikationsmustern wird die Rollenstabilität auch durch die äußere Darbietung, beispielsweise die entsprechende Kleidung, unterstützt. Im Zuge der Identifikation mit einer Rolle kann es auch zu einer Überhöhung derselben kommen, die sich in einer dramatischen Darstellung zeigt, für die ein hohes Maß an Energie aufgewendet wird, welche lediglich der Darstellung und nicht der Tätigkeit an sich zugutekommt. Doch auch Gegenteiliges gehört zum Repertoire menschlicher Verhaltensweisen: Erzeugt ein Akteur bewusst Brüche in der Wahrnehmung dieses Gesamtbildes, spricht Goffman von Rollendistanz. Damit eröffnet sich der handelnden Person die Möglichkeit, Facetten ihres Selbst in die Ausübung ihrer Rolle einfließen zu lassen und sich gleichzeitig in kritischem, ironischem oder humoristischem Abstand zu dieser zu positionieren, ohne sie dennoch gänzlich zu negieren. Dieses Verhalten läuft jedoch ins Leere, sofern es nicht auf ein Publikum trifft. Das Publikum bzw. das Gegenüber in der interaktionellen Situation wird vom Akteur im Augenblick der Wahrnehmung identifiziert – selbiges geschieht selbstverständlich auch umgekehrt. Die Identifikation eines Gegenübers erfolgt nach einer recht simplen Kategorisierung, in der Alter, Geschlecht, Klasse und ethnische Zugehörigkeit die auf den ersten Blick erkennbaren Koordinaten – „diffuse Statuskategorien“ (Goffman, 1994, S. 93) – sind, mit denen sogleich eine stereotypisierende Platzanweisung einhergeht. Nachdem diese soziale Identität auf die Andere oder den Anderen appliziert wurde, wird ihr oder ihm zwar im zweiten Schritt einer ausdifferenzierteren persönlichen Identitätszuschreibung eine Individualität zugestanden, doch das von außen oktroyierte Image kann durch diese nicht völlig konterkariert werden (Goffman, 1974, S. 255f.). Der soziale Kontakt bringt demnach eine Fremdzuschreibung mit sich, welche das Individuum in verschiedenen Abstufungen akzeptieren oder ablehnen kann. In jedem Fall bleibt die Auseinandersetzung mit diesen Fremdzuschreibungen nicht aus, gleich ob sie akzeptiert und eventuell noch verstärkt, ob sie passiv oder aktiv abgelehnt werden, indem das Individuum bemüht ist, kontrastierende Verhaltensweisen entgegenzusetzen. Mit der unabdingbaren Auseinandersetzung einher geht auch ein Informationscharakter für die Person, welche aus den Fremdzuschreibungen Rückschlüsse über ihren Platz im Feld ziehen, ihr Verhalten aufgrund der informellen sozialen Kontrolle überdenken und neu entlang der sozialen Normen – respektive diese situativ konterkarierend – justieren kann. Es besteht ein reziprokes Verhältnis zwischen dem Ich-Zustand und den IstZuschreibungen: „Was ein Individuum für sich selbst ist, ist nicht etwas, was es erfunden hätte, sondern das, was sich bei den ihm gegenüberstehenden signifikanten Anderen als Erwartung in Bezug auf es herausgebildet hat, als was sie es
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behandelt haben, und als was es schließlich sich selbst sehen musste, um auf ihre Reaktionen ihm gegenüber reagieren zu können“ (Goffman, 1974, S. 367). Das Selbst, so schlussfolgert Goffman, ist somit „ein Produkt gemeinsamer zeremonieller Arbeit“ (Goffman, 1971, S. 94). Die auf diese Weise kontinuierliche und demzufolge verfestigende Aktualisierung der sozialen Positionierung birgt eine zweifache Erwartungshaltung: Das Individuum „erwartet, daß ihm sein Anteil an den Gruppenerwartungen und -verpflichtungen aufgrund (und als Bestätigung) seiner spezifischen Annahmen über sich selbst zugeteilt wird“ (Goffman, 1974, S. 445) und das Umfeld konstituiert aus dem Auftreten der Person eine gewisse Erwartung, die sich auf passendes Verhalten bezieht. Das Procedere der alltäglichen Interaktion bildet demzufolge das Substrat für sich verfestigende Machtstrukturen, denen sich Goffman unter dem Blickwinkel auf Geschlechterkonstruktionen ab Mitte der 1970er Jahre widmete. Er erkannte in seinen Beobachtungen und in den Darstellungen anderer eine von den Akteuren beiderlei Geschlechts betriebene, kontinuierliche Reproduktion von Merkmalen, die als „geschlechtspassend“ identifiziert und aufgrund der immerwährenden Wahrnehmung als natürlich ausgelegt werden. Die Geschlechterungleichheit führte Goffman jedoch nicht nur auf die antagonistische Darstellung, das doing gender, bei dem sich Frauen und Männer gegenseitig unterstützen, zurück, sondern ebenso auf die Einwirkung der Institutionen als sozialstrukturelle Weggabelung. Lange bevor Individuen eine Geschlechteridentität entwickeln und „Glaubensvorstellungen davon übernehmen, was einen Mann oder eine Frau ausmacht“ (Knoblauch, 1994, S. 43), werden sie „einer der zwei Geschlechterklassen zugeordnet“ (Knoblauch, 1994, S. 42) und mit Rollendifferenzierungen31 konfrontiert, so dass sich allmählich eine menschliche Natur erschafft, als „eine Art von Konstruktion, aufgebaut nicht nach inneren psychischen Neigungen, sondern nach moralischen Regeln, die ihm von außen auferlegt worden sind. Wenn diese Regeln befolgt werden, bestimmen sie die Selbsteinschätzung und die Bewertung anderer in der Begegnung“ (Goffman, 1971, S. 52). So bewerten Personen nicht nur die Verhaltensweisen und das äußere Erscheinungsbild ande-
31 Eine Institution mit eminenter Vorbildfunktion ist die Familie (vgl. Goffman, 1994, S. 128ff.). Eine andere Form der Verkörperung institutionalisierter Differenzschaffung, von Goffman als „institutionelle Reflexivität“ (Goffman, 1994, S. 107) bezeichnet, ist die Werbung. Goffmans intensive Auseinandersetzung mit der in der Werbung konstruierten Geschlechterdarstellung brachte unter anderem hervor, dass deren ÜberInszenierung auf die alltägliche Interaktion zurückwirkt und die betrachtende Person mahnt, „welchen Platz wir einzunehmen haben“ (Goffman, 1981, S. 117).
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rer nach geschlechterorientierten Maßstäben und werden wiederum von diesen bewertet, sondern sie beurteilen auch sich selbst wie selbstverständlich entlang einer weiblichen bzw. männlichen Norm. Da sie dieser zumeist nahekommen wollen, suchen sie „jede laufende soziale Aktivität nach den Mitteln ab […], die der Darstellung des sozialen Geschlechts dienlich sind“ (Goffman, 1994, S. 149). Hinsichtlich der verfestigten Differenzierung entlang einer Geschlechtergrenze gebührt der Körperlichkeit nach Goffman eine wesentliche Bedeutung. Unabhängig davon, dass körperliche Differenzen zwischen Männern und Frauen für alltägliche Verrichtungen eine unbeträchtliche Relevanz haben, da man sich weder in sozialen Interaktionen körperlich miteinander misst noch berufliche Tätigkeiten mehrheitlich außergewöhnliche Robustheit erfordern, kommt ihnen dennoch ein hoher sozialer Stellenwert zu. Körperliche Unterschiede sind folglich weniger deshalb relevant, weil sie dem einen oder anderen Geschlecht gewisse Tätigkeiten verkomplizieren, sondern vielmehr aufgrund ihrer inhärenten Potenzialität, das soziale Geschlecht zu inszenieren. Nicht die Außenwelt setzt mit ihren Anforderungen Geschlecht relevant, sondern in Interaktionen werden beständig Gelegenheiten zur Demonstration des sozialen Geschlechts produziert. „Einmal mehr bieten diese Szenarien weniger die Möglichkeit zum Ausdruck natürlicher Unterschiede, als vielmehr zur Erzeugung dieses Unterschieds als solchem“ (Goffman, 1994, S. 148). Gestik, Mimik und körperliche Darstellung – die gesamte Gender-Performanz – können nicht aus biologischen Tatsächlichkeiten hergeleitet werden, erhalten jedoch den dogmatischen Stellenwert einer Demarkationslinie, die letztlich „unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Positionen“ (Kotthoff, 1994, S. 163) festlegt.
4.4 D ER ERKENNTNISTHEORETISCHE R AHMEN IN B EZUG AUF DIE K ONSEQUENZEN FÜR DIE A RBEIT Mit Bourdieu und Goffman sind zwei Soziologen benannt, die ihre Erkenntnisse über eine theoretische Basis hinaus als Werkzeuge zur Analyse der Wirklichkeit begreifen. Konkret auf die vorliegende Arbeit bezogen bedeutet dies, dass ihre Grundbegriffe und Theorien es ermöglichen, die Karrierekonstruktionen der befragten Lehrkräfte nicht nur deskriptiv nachzuzeichnen, sondern auf einer tieferen Ebene zu analysieren. Der Ausgangspunkt der Theorie der beiden Soziologen Bourdieu und Goffman ist das tatsächliche Verhalten der Akteure in ihrem realen Umfeld. Dies macht ihre Erkenntnisse so anwendbar für diese Untersuchung. Die theoretische Perspektive verhilft dazu, das Handeln der einzelnen Akteure nicht nur isoliert,
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sondern als Teil eines sozialen Konstrukts zu begreifen und zu erkennen, dass sich Aktionen innerhalb eines spezifischen Kontextes sinnhaft und nicht willkürlich vollziehen, wenngleich nicht alle Handlungen einer bewussten Planung durch die Handelnden unterliegen. Zwei zentrale Aspekte sind bei der empirischen Untersuchung der Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt von Interesse: Welcher Handlungsund Verhaltensweisen bedienen sich die aufstiegsinteressierten Lehrkräfte auf ihrem Weg und welchem subjektiven Sinn folgen sie dabei? Und: Welche Bedeutung kommt dem sozialen Feld zu? Die beiden soziologischen Modelle ergänzen einander zur Bearbeitung des vorliegenden Forschungsinteresses: Für das Ziel einer Rekonstruktion des Aufstiegshandelns ist der Ansatz Bourdieus geeignet, „weil Bourdieu soziale Phänomene weder auf subjektive noch auf objektive Kategorien reduziert. Stattdessen konstruiert er mit dem Habitus eine Schnittstelle zwischen objektiven sozialstrukturellen Bedingungen und den Motiven und Einstellungen des Subjekts“ (Degele, 2004, S. 70). Es lässt sich aus dem aus Interviews und Beobachtung herausgefilterten Handlungsset der Akteure eine „Logik der Praxis“ (Bourdieu, 2002, S. 73) rekonstruieren, die zwar vordergründig ertragreiche Resultate für den Handelnden anstrebt, aber gleichzeitig fest in das habituelle Netz eingeflochten und auf Reibungsvermeidung mit diesem konzentriert ist. So visieren die Befragten in der vorliegenden Untersuchung nur auf den ersten Blick zielsicher die von ihnen erwünschte Positionsveränderung an, lassen sich aber hintergründig von ihrem Habitus leiten, der vorgibt „was im Hinblick auf ein wahrscheinliches Zukünftiges getan oder unterlassen, gesagt oder verschwiegen werden muß“ (Bourdieu, 1987, S. 99, Herv. im Original). Sie handeln folglich nicht nach situativ variablen Maßstäben, sondern folgen der ihnen innewohnenden handlungsleitenden Struktur, weshalb die „Untersuchung unsichtbarer Strukturen – die, wie die Schwerkraft, zu den Dingen gehören, die keiner sieht, die man aber voraussetzen muß, um zu verstehen, was geschieht – zu persönlichen Erfahrungen übergehen kann, wie unsichtbare Kräfteverhältnisse sich in persönliche Konflikte, in existentielle Entscheidungen umsetzen“ (Bourdieu, 1998a, S. 75). Neben dem Habitus als entscheidendem Parameter fordert die Perspektive Bourdieus zu einer Erweiterung des Blicks auf das die Akteure umgebende Feld sowie zur Beantwortung der Frage auf, inwiefern dieses Einfluss auf ihr Handeln nimmt. Dies fasst Bourdieu in der Formel Habitus x Kapital + Feld = Praxis zusammen (vgl. Bourdieu, 1982, S. 175), mit der er verdeutlichen will, dass zum Verstehen einer Praxis nicht nur die habituellen Prädispositionen und die zur Verfügung stehenden Kapitalien der agierenden Person herangezogen werden dürfen, sondern stets die Variable Feld hinzuaddiert werden muss. Die Position
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im Feld fußt wiederum nicht nur auf dem Habituseinfluss, sondern auf drei weiteren Wirkungsgrößen: dem Kapitalvolumen, der Kapitalstruktur und der zeitlichen Verlaufs- bzw. Entwicklungskomponente (vgl. auch Staab, 2009, S. 163). Diese Faktoren haben bei der für diese Arbeit ebenfalls zentralen Frage nach der Wirkungskraft des sozialen Feldes einen entscheidenden Stellenwert und mit ihnen bahnt sich eine Nähe zu Goffmans Doktrin an. Goffmans Theatermodell korrespondiert mit Bourdieus Blick auf Akteur und Feld, doch während Bourdieu die Strukturen und ihre Entstehung aufdeckt, ergo „was dahinter liegt“, zeigt Goffman deren Expressivität, veranschaulicht an Interaktionen im Feld. Unter der Bezeichnung Interaktion fasse ich im Rahmen dieser empirischen Datenerhebung neben der teilnehmenden Beobachtung auch die Interviewsituation, die aus diesem Blickwinkel eine Interaktion mit der Interviewerin darstellt. Entsprechend schreibt Goffman, man könne vordergründig denken, dass in Mitteilungen verbaler Form nur Informationen und Argumente ausgetauscht werden, aber „als Nebenergebnis davon läßt der Handelnde zum Beispiel dies oder jenes von seiner Persönlichkeit, […] seinen Motiven und seiner Haltung gegenüber anderen Anwesenden durchblicken“ (Goffman, 1977, S. 612). So dokumentieren sich neben dem reinen Informationsgehalt zum einen die expressive Seite des Agierens und zum anderen in die Sprache eingelassene und „über die gegebene Situation hinausreichende Interaktionskontexte – wie etwa (das geteilte) Wissen um Handlungserwartungen und Handlungsanforderungen oder die Erfahrungen im Umgang mit Regeln und Normen“ (Raab, 2008, S. 52)32. Da Handlungserwartungen und -anforderungen nicht nur von institutioneller Seite an Akteure im schulischen Feld herangetragen werden, sondern ebenso von Mitagierenden distribuiert werden, kommt diesen Personen eine stets mitzudenkende Tragweite im Prozess des Durchlaufens der Statuspassage zu. Das Feld ist folglich nicht nur hinsichtlich der vollzogenen respektive bewusst unterlassenen Interaktionen interessant, sondern muss auch mit Blick auf die Positionierungen meiner Proband/innen betrachtet werden, die sie zu Beginn ihrer Statuspassage und währenddessen innehaben. Diese können sie nicht mühelos verändern, sondern müssen sie sozial aushandeln. Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei Zuschreibungen von außen zu, die „für die eigene aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Positionierung relevant sind, und zwar werden
32 Diese Sichtweise korrespondiert ebenfalls mit dem für diese Arbeit genutzten Auswertungsverfahren, der dokumentarischen Methode. Im Vokabular wird obig beschriebenes inkorporiertes „Feldwissen“ als konjunktives Wissen bezeichnet (vgl. auch Kapitel 5.4).
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sie dies, darin sind sich Bourdieu und Goffman einig, über ihren Einfluss auf die subjektiven Selbstverständnisse der Menschen“ (Peters, 2009, S. 84). Das Wie der Konstruktions- und Inszenierungsleistung der Agierenden im Feld und der feldinternen Einflussnahme im Sinne von Positionsvergaben und Zuschreibungen lässt sich Goffman folgend sowohl beobachten als auch aus der sprachlichen Darstellung filtern und mit seinem Vokabular analysieren. Da diese Handlungspraxis – wie bereits verdeutlicht wurde – auch durch den Habitus hervorgebracht wird und die Kapitalien durch ihre Relation zueinander das Feld konstituieren, schließt sich hier der Kreis zwischen beiden soziologischen Konzepten. Dem „Gegenstandsvorverständnis“ (Steinke, 1999, S. 124) dieser Arbeit lag zunächst lediglich das Interesse daran zugrunde, wie Grundschullehrkräfte ihren Karriereweg ins Schulleitungsamt konstruieren, wie sie ihre einzelnen Schritte begründen, mit welchen Schwierigkeiten und Zweifeln sie sich auseinandersetzen und von welcher Seite sie Ermutigung erhalten. Mit dieser offenen Zugangsweise sollte ein Einblick in die praktischen Handlungen der sozialen Akteure gewonnen werden. Bereits der erste empirische Kontakt offenbarte jedoch die große Relevanz des sozialen Feldes für die Handelnden. Nach sorgfältiger Analyse trat schließlich die feldimmanente Einflussnahme – Feld primär verstanden als Kreis der an einer Schule Tätigen – auf die Aufstiegsbestrebungen deutlich zu Tage. Dieser Feldfaktor ging weit über den ursprünglich avisierten Aspekt einer potentiellen Einflussnahme durch Ermutigung hinaus. Die Ausgangsposition der Aufstiegsaspiranten erwies sich als entscheidende Ressource, auf die sie zur Realisierung ihres Vorhabens zurückgreifen konnten, die ihre Pläne jedoch auch konterkarieren konnte. Unverkennbar trat die Unmöglichkeit hervor, ihre Taktiken isoliert zu betrachten. Die Fragestellung konnte nach dieser Feststellung auf der Basis des theoretischen Hintergrunds Bourdieus und Goffmans weiterentwickelt und folglich um den Aspekt des sozialen Feldes und somit um folgende Fragen erweitert werden: Welche Bedeutung kommt der Ausgangsposition im Feld bei der Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt zu? Welche Rolle spielen Zuschreibungen des sozialen Feldes, wenn sich Lehrkräfte aufstiegsinteressiert positionieren? Da die Begrifflichkeit der Zuschreibung sogleich auf den Blickwinkel der Geschlechterkonstruktion rekurriert, ist es zudem bedeutsam, zu fragen: Werden die Akteure mit geschlechtlichen Erwartungen konfrontiert? Bedienen sie mit ihrem Handeln geschlechtliche Erwartungen? Stoßen sie an Grenzen, die entlang einer geschlechtlichen Trennlinie verlaufen?
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Da die Dimension des Geschlechts auch in den Theorien beider für diese Arbeit bedeutungsvollen Soziologen einen Stellenwert hat, können ihre Grundbegriffe und Theorien auch diese Fragerichtung unterstützen und anregen. Im bisherigen Forschungsstand hat sowohl die Bezugnahme auf das soziale Feld als auch die Sensibilität für verdeckte Mechanismen des doing gender einen eher marginalen Stellenwert (vgl. Kapitel 4.1). Zwar wurde die Geschlechtszugehörigkeit auch bereits in einigen qualitativen Studien mitgedacht (vgl. von Lutzau, 2008; Steber, 2009), dies geschah dann jedoch primär unter der Perspektive der „hemmenden bzw. fördernden Strukturen speziell für weibliche Biographien“ (Steber, 2009, S. 2) und konstruierte dadurch die Bedeutsamkeit einer Interdependenz von Geschlecht und beruflichem Aufstieg unter Spezialisierung auf Weiblichkeit und dementsprechend auf ausschließlich weibliche Probandinnen33.
33 Baar wiederum konzentriert sich auf ein ausschließlich männliches Sample, jedoch nicht unter dem Blick auf beruflichen Aufstieg im schulischen Feld (Baar, 2010).
5. Empirisches Vorgehen
An das im vorigen Kapitel präzisierte Forschungsinteresse auf Grundlage herausgearbeiteter Forschungsdesiderata und das ausgeführte theoretische Fundament schließt sich nun eine Vorstellung des durchgeführten empirischen Forschungsprozesses, der verwendeten Erhebungsinstrumente und des angewandten Auswertungsverfahrens an.
5.1 V ORSTELLUNG
UND D URCHFÜHRUNG DES EMPIRISCHEN F ORSCHUNGSPROZESSES
Quantitative Erhebungen können Daten zusammentragen, die über äußerlich beobachtbare Merkmale Aufschluss geben, bezogen auf die vorliegende Fragestellung beispielsweise über die Anzahl der Teilnehmenden der einzelnen Qualifizierungsmaßnahmen, die Geschlechterverteilung in den Kursen oder den Zeitpunkt und ihr Alter bei Amtsübernahme. Darüber hinaus können Motive zur Amtsübernahme mittels Fragebögen erhoben und das Vorkommen vorab definierter Einflüsse erfragt werden. Dieser Untersuchung liegt jedoch ein exploratives Forschungsinteresse zugrunde, welches ein qualitatives Forschungsdesign unter induktiver Herangehensweise erfordert. Um Informationen über die Verhaltensweisen der Proband/innen bei der Bewältigung ihrer Statuspassage und die dahinterliegenden Zusammenhänge erheben zu können, muss den Befragten mehr Raum zur Explikation ihrer erlebten Situation gegeben werden, als es eine fragebogengestützte Erhebung ermöglichen würde. Folglich wäre auch der schematische Nachvollzug der sequentiellen Abfolgen der Statuspassage der Befragten nicht zielführend, da Deutungsmuster und die innere Logik erst aus einer narrativen Darstellung zugänglich werden.
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Der Sampleauswahl lag eine Fokussierung auf die Aspekte Schulform und geschlechtsbezogene Kontrastgruppenbildung zugrunde. Diese Eingrenzung werde ich im Weiteren begründen. Es entstand folgendes Forschungsdesign: Als qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung wurden Befragungen mittels Leitfadeninterviews sowie teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Interviews, die zum Zwecke der Gewinnung qualitativer Daten geführt werden, unterliegen nicht dem Gebot der statistischen Repräsentativität und umfassen eine deutlich kleinere Zahl von Untersuchungsobjekten, als es bei quantitativen Erhebungen der Fall ist. Die Proband/innen werden aufgrund spezieller Kriterien gezielt ausgewählt, die biographiespezifisch, berufsbezogen oder auf einen anderen Sinnzusammenhang gestützt sein können. Bei der Konstruktion eines solchen qualitativen Stichprobenplanes müssen vorab „theoretisch bedeutsame Merkmalskombinationen bei der Auswahl der Fälle möglichst umfassend“ (Kelle, 2010, S. 55) berücksichtigt werden. Beim theoretical sampling wird die Datenerhebung im Verlauf des Forschungsprozesses fortgesetzt. Dies geschieht „anhand zentraler Kategorien der sich entwickelnden Theorie“ (Kelle, 2010, S. 50). „Das neu hinzugezogene Material wird dabei mit dem Ziel ausgesucht, im Wege ständigen Vergleichens sowohl neue Eigenschaften und Dimensionen der vorliegenden Konzepte herauszuarbeiten als auch weitere Konzepte zu entwickeln“ (Strübing, 2003, S. 154). Die vorliegende Untersuchung basiert auf einem kombinierten Vorgehen, welches ich als stichprobenplanorientiertes Vorgehen mit zusätzlicher Sampleerweiterung bezeichne. Zunächst wurde ein qualitativer Stichprobenplan konzipiert, der die Kriterien Berufstätigkeit an einer schleswig-holsteinischen Grundschule, ausgewogenes Geschlechterverhältnis und Teilnahme an einer der beiden vorgestellten Qualifikationsmaßnahmen bzw. Schulleitungstätigkeit seit maximal fünf Jahren beinhaltete. Eine vorläufige Stichprobengröße von ca. 10-15 Proband/innen vor dem Hintergrund der Realisierbarkeit der Datenauswertung wurde angepeilt und mit der Rekrutierung und Befragung von geeigneten Personen begonnen. Anschließend wurden parallel zu den ersten Schritten der Datenauswertung und nach Schöpfung ausgedehnterer Erkenntnisse durch die geführten Interviews im Sinne einer kriteriengeleiteten Fallkontrastierung Stichprobenergänzungen für eine weiterführende Informationsgenerierung und Varianzmaximierung vollzogen. Es wurden einige weitere Interviews geführt, so dass der stichprobenplanorientierte Forschungsbeginn durch eine zusätzliche Sampleerweiterung angereichert wurde. Der weiteren Fallauswahl lag nun das Bestreben zugrunde, die zuvor am Material erarbeiteten Zusammenhänge und Hypothesen zu überprüfen. Als besonders reizvoll erwies sich in dieser fortgeschrittenen Phase die Hinzu-
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ziehung von Einzelinterviews mit Personen, auf die ich zuvor in der teilnehmenden Beobachtung aufmerksam geworden war. Insgesamt wurden 15 Personen, neun weibliche Probandinnen und sechs männliche, befragt. Bei einer Person ergaben sich – aufgrund später näher zu erläuternder Begebenheiten – das Interesse und die Möglichkeit einer zweiten Befragung, so dass insgesamt 16 Interviews geführt wurden. Die Kontaktaufnahme erfolgte durch eine Emailanfrage, die über das IQSH an Teilnehmende des „TVaS“ und über die Koordinierungsstelle des Master-Weiterbildungsstudiums an die Studierenden weitergeleitet wurde. Der Kontakt zu den Schulleiter/innen wurde über Schlüsselpersonen, sogenannte Gatekeeper, hergestellt, die über persönliche Verbindung zu diesen verfügten. Einige Interviewpartner wurden während der teilnehmenden Beobachtung in den Qualifizierungsangeboten angesprochen. Durch die unterschiedlichen Zugangswege bei der Zusammenstellung des Samples konnte eine große Heterogenität der Befragungsgruppe und eine Ausdehnung auf mehrere schleswig-holsteinische Kreise erreicht werden. Das Alter der interviewten Personen lag zwischen 32 und 56 Jahren. Die Interviews fanden bei den Befragten zu Hause bzw. in deren Schulen statt. Es gab keine zeitliche Begrenzung; im Durchschnitt hatten die Interviews eine Dauer von etwa 45-80 Minuten. Im Anschluss an die Interviews wurden mit einem Kurzfragebogen demographische Daten erfasst. Des Weiteren wurden von mir nach jedem Interview zeitnah alle Impressionen in einem handschriftlichen Kurzprotokoll festgehalten. Das erste zentrale Kriterium der Fallauswahl für die vorliegende empirische Untersuchung war, neben der Vorbedingung einer Partizipation an einer der beiden Qualifizierungsmaßnahmen, die Lehrtätigkeit an einer Grundschule in Schleswig-Holstein. Die zweite Fokussierung der Untersuchungsgruppe richtete sich auf die Kategorie Geschlecht. Diese beiden Schwerpunktsetzungen basieren auf der Gegebenheit, dass es sich bei Grundschulen um ein Feld handelt, in dem es – wie an anderer Stelle bereits dargestellt und diskutiert – zusehends zur Unterrepräsentanz von Männern kommt; eine Tatsache, die sich jedoch im Anteil an Schulleitungspositionen noch nicht niederschlägt. Das Schulleitungsamt wird nach wie vor von einem recht hohen Prozentsatz männlicher Personen bekleidet. Kurz: Das Thema Geschlecht lässt sich aufgrund der an Grundschulen vorherrschenden Konstellationen nicht ausblenden. Richtet man den Blick auf die Konstruktion von Karrierewegen bei Grundschullehrkräften und versucht, deren individuelle Auslegung dieser Entstehung nachzuvollziehen und zu interpretieren, wird nur eine beide Geschlechter berücksichtigende Betrachtungsweise diesem Ansinnen gerecht, wenngleich diese, wie im Folgenden beschrieben, nicht ganz gefahrlos zu vollführen ist.
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5.2 Z WISCHEN R EIFIZIERUNG UND I GNORIERUNG VON G ESCHLECHTERDIFFERENZEN Der Begriff Reifizierung meint die beständige Zuschreibung differenter Eigenschaften, die entweder Frauen oder Männern wesenseigen sein sollen und als „Deutungsmuster von Interaktionsprozessen und Handlungspraktiken stillschweigend vorausgesetzt werden, ohne derer sozialen Konstruiertheit gerecht zu werden“ (Baar, 2010, S. 109). Wenn ein aus Männern und Frauen zusammengesetztes Sample Grundlage eines qualitativen empirischen Forschungsvorhabens ist, lässt sich die Reifizierungsproblematik nicht vollends umgehen. Da es unvermeidbar ist, bei der Datenauswertung auf die Bezeichnungen Männer und Frauen zurückzugreifen, bedient man sich zwangsläufig der vereinheitlichenden Kategorien unserer Gesellschaft, die auf eine fundamentale Dichotomie ausgerichtet sind, und klassifiziert von vornherein zwei vermeintlich unterschiedliche Gruppen. Umso wichtiger ist es, sich mit diesem Aspekt auseinanderzusetzen, um sich darüber bewusst zu werden, dass nicht durch die Forschungsfrage und das Risiko einer mit ihr einhergehenden immanenten Ergebniserwartungshaltung, für die man unwillkürlich Bestätigungen sucht, erst Differenzen zwischen den Geschlechtern geschaffen werden dürfen. Anderenfalls mündet das ursprüngliche Bestreben, die Bipolarität der Geschlechter zu hinterfragen, schnell in einer differenztheoretischen und reifizierenden Darstellung, deren Auswirkung eine Reproduktion der Ungleichheit der Geschlechter ist. Dieser Problematik steht nun aber diametral die ebenso widersinnige Praktik der Leugnung der Relevanz von Geschlecht für Karrierekonstruktionen gegenüber, die eine gedankliche Vorab-Blockade nach sich ziehen würde. Darüber hinaus würde mit der Annahme, Geschlecht habe keinerlei Bedeutung für den Karriereweg und die Bewältigung dieser Statuspassage, auch die Ignoranz der empirischen Tatsache, dass der prozentuale Anteil an männlichen Grundschulleitungen signifikant hoch ist, einhergehen. Infolgedessen soll in dieser Arbeit weder eine dramatisierende noch eine bagatellisierende Perspektive eingenommen werden, sondern der Blick auf die Strukturkategorie Geschlecht gewissermaßen verzögert werden, indem in Anlehnung an den Rat von Degele und Schirmer „nach der Erhebung und Ordnung der Daten auf Geschlecht (geblickt wird), nicht davor“ (Degele/Schirmer, 2004, S. 107, Herv. im Original). Damit soll verhindert werden, dass Frauen und Männer als jeweils homogene und einander antagonistisch gegenüberstehende Einheit vorausgedacht werden, statt zu ergründen, ob die Geschlechtszugehörigkeit im Kontext der Forschungsfrage eine Rolle spielt. Zu der Suche nach situativer
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Relevanz formuliert Hirschauer: „Methodisch müsste die Forschung zwar für die Geschlechterunterscheidung sensibilisiert sein, sich andererseits aber zum strikten Kriterium machen, ob diese Unterscheidung auch in der beobachteten Praxis stattfindet, ob sie also mitvollzogen oder zurückgewiesen wird“ (Hirschauer, 2001, S. 214). Es kann folglich in vorliegender Arbeit nicht darum gehen, Männer und Frauen bei der Bewältigung ihrer Statuspassage als zwei dichotome Endpole miteinander zu vergleichen, sondern individuelle Differenzen zu beleuchten, deren Differenzgrenze nicht zwangsläufig zwischen den Geschlechtern liegt. Das Augenmerk ist darauf zu richten, in welchen Kontexten dieses Karriereprozesses die Strukturkategorie Geschlecht überhaupt eine Rolle spielt. Somit wird der Reifizierung von Geschlechterdifferenz auch dadurch entgegengetreten, dass durch eine neutrale Fragehaltung in den Interviews der Ball den Proband/innen zugespielt wird, die dann durch ihre Antworten den Rahmen festsetzen, indem Geschlecht zum Thema gemacht wird oder unbeachtet bleibt. Die soziogenetische Analyse am Ende dieser Arbeit widmet sich unter anderem der Betrachtung, welche – potentiell vergeschlechtlichten – Verhaltensweisen die Proband/innen einander hinsichtlich der Karrierekonstruktion und Bewältigung der Statuspassage zuweisen, ob sie dabei Stereotypen folgen oder ob sich unter der Schwerpunktsetzung auf reale Erlebnisse eine andere Tendenz entfaltet. Nichtsdestotrotz setzt auch die beiläufige Geschlechterforschung die Existenz von zwei Geschlechtern voraus und beteiligt sich dadurch letztlich an der sozialen Konstruktion von Geschlecht. Um nicht Gefahr zu laufen, den der Geschlechtszugehörigkeit zugeschriebenen Differenzannahmen aufzusitzen, erfordert es sowohl Distanznahmen „von der Alltagserfahrung […], die auch das Forscher-Selbst einem gewissen Stress aussetzen“ (Hirschauer, 1994, S. 690) als auch ein kritisches Hinterfragen der eigenen Verwobenheit in die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit, da auch die Forscherin selbst keinen Blick „von außen“ einnehmen kann. Nach Bourdieu folgt die Wahrnehmung Annahmen, die „sich jedem Akteur als transzendente aufzwingen“ (Bourdieu, 2005, S. 63) und „als Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmatrizen aller Mitglieder der Gesellschaft, als historische Transzendentalien“ (Bourdieu, 2005, S. 63) übernatürlich erscheinen. Das Risiko der Beeinflussung des Erkenntnisprozesses durch insbesondere diese nicht bewusst reflektierten Erwartungen und Wertungen ex ante, die das Potential besitzen, Geschlechterdifferenzen zu perpetuieren, sollte also stets mitgedacht werden. Daher ist es für den Aspekt der Reifizierungsproblematik ebenso wie für die Validität der Forschungsergebnisse von großer Bedeutung, dass der Gegenhorizont, der zur Kontrastierung und zum besseren Verständnis der empirischen Aussagen herangezogen wird, nicht auf der Ebene des spontanen Nachvollzugs oder der intuitiven Ablehnung der forschenden Person liegt,
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sondern aus verschiedenen anderen empirischen Erfahrungsräumen besteht. Dafür bietet die Vorgehensweise der dokumentarischen Methode die besten Voraussetzungen.
5.3 METHODISCHES VORGEHEN BEI DER DATENERHEBUNG Der Kombination zweier Erhebungsmethoden der qualitativen Sozialforschung lag das Ziel zugrunde, umfassendes und aussagekräftiges Material aus unterschiedlichen Kontexten zu gewinnen. Kelle und Erzberger setzen sich mit der Triangulation in der Forschungspraxis auseinander und differenzieren zwischen der „Triangulation als gegenseitige Validierung“ und der „Triangulation als […] Integration unterschiedlicher Perspektiven“ (Kelle/Erzberger, 2001, S. 127). In vorliegender Arbeit basierte die Entscheidung für die Methodentriangulation auf dem Wunsch nach perspektivischer Ergänzung des Gesamtbildes des Untersuchungsphänomens, während eine Konvergenz der Ergebnisse aufgrund der nun anschließend erläuterten Vorgangsweise nicht angestrebt wurde. Zunächst werden die beiden verwendeten Methoden, das Leitfadeninterview und die teilnehmende Beobachtung, kurz theoretisch umrissen. Die Ausführungen zum Leitfadeninterview schließen einige Anmerkungen zur Abgrenzung dieser Interviewform zu anderen ähnlichen Interviewvarianten ein, da es in der Fachliteratur oftmals zu einer verwirrenden Begriffsvermischung, Neubesetzung bzw. einer Gleichsetzung unterschiedlicher Interviewbezeichnungen kommt. Gelegentlich werden auch zahlreiche Interviewvarianten als Unterformen des Leitfadeninterviews verstanden. Bezug nehmend auf diese Uneinheitlichkeit der Begriffsverwendung spricht Lamnek von „babylonischem Sprachengewirr, weil die Terminologie nicht […] übereinstimmend gefasst ist“ (Lamnek, 2005, S. 330). Das grundlegendste Unterscheidungskriterium für die unterschiedlichen Typen qualitativer Interviews liegt meines Erachtens in den beiden Dimensionen „Intention des Interviews“ und „Grad der Standardisierung“. Vordergründig für die Bezeichnungsfindung sind dann die Aspekte, welches Erkenntnisziel mit dem Interview verfolgt werden soll und wie starr der Vorgaberahmen gefasst wurde. Nachfolgende Ausführungen erheben nicht den Anspruch einer auf Vollständigkeit beruhenden Wiedergabe aller Variationen qualitativer Interviews, sondern sollen lediglich die gewählte Bezeichnung der dieser Studie zugrunde liegenden Interviewform legitimieren.
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5.3.1 Interviews Leitfadeninterviews1 zeichnen sich durch Standardisierung und Strukturierung durch die Interviewerin bzw. den Interviewer aus, geben der befragten Person folglich nicht so viele Freiheiten wie narrative Interviewformen, engen gleichzeitig jedoch weniger ein als Interviews mit geschlossenen Fragen. „Ein Leitfaden besteht aus Fragen, die einerseits sicherstellen, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden, die andererseits aber so offen formuliert sind, dass narrative Potenziale des Informanten dadurch genutzt werden können“ (Marotzki, 2003, S. 114). Die vorgegebene Bandbreite der anzusprechenden Themen ermöglicht eine spätere Vergleichbarkeit mit anderen Interviews, denen der gleiche Leitfaden zugrunde lag. Die Informationsgewinnung ist jedoch erheblich vom Vermögen der Interviewerin bzw. des Interviewers abhängig, sich mit seinen Fragen der Dynamik des Gesprächs anzupassen. Sie leidet, wenn die interviewende Person sich zu stark am Leitfaden orientiert, dadurch das Interview auf eine Frage-Antwort-Situation reduziert, Gelegenheiten zur Nachfrage und Vertiefung versäumt oder selbstläufige Narrationen durch Fragen abblockt. Der Leitfaden muss „flexibel und nicht im Sinne eines standardisierten Ablaufschemas gehandhabt (werden), um unerwartete Themendimensionierungen durch den Interviewten nicht zu unterbinden“ (Marotzki, 2003, S. 114). Narrative Interviews lassen den Verlauf des Interviews völlig offen und favorisieren einen erzählenden Duktus ohne Bewertungen und Argumentationen. Sie beginnen ebenso wie bei den von mir durchgeführten Interviews mit einer erzählgenerierenden offenen Frage. Trotzdem trifft auf die für meine empirische Untersuchung geführten Interviews nicht die Bezeichnung narrative Interviews zu, da sie dem offenen Charakter der Steigreiferzählungen ohne intervenierende Nachfragen nicht entsprechen. Dennoch ähneln sich beide Interviewformen in vielen Gesichtspunkten, wie beispielsweise in dem, dass durch möglichst ausführliche Erzählungen, die immer zugleich retrospektive Interpretationen sind, Orientierungsmuster und charakteristische Handlungsweisen aufgedeckt werden sollen. Die Bezeichnung narrative Interviews wird in der Literatur ausgesprochen weit gefasst2 und mitunter auch als Synonym für biographische Interviews
1
Wikipedia verwendet auch die Bezeichnung „Leitfadengesteuertes Interview“ (vgl.
2
Atteslander spricht dieser Interviewform aufgrund der fehlenden Stimuli des For-
http://de.wikipedia.org/wiki/Leitfadeninterview, 28.07.2012). schers gar die Eigenschaft eines Interviews ab und spricht lediglich von einer „Forschungssituation“ (Atteslander, 2008, S. 133).
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verwendet (vgl. Hopf, 2008, S. 355), da diese Interviewform für die Datenerhebung in der Biographie- und Lebenslaufforschung prädestiniert ist (vgl. Lamnek, 2005, S. 358). Erwähnenswert vor dem Hintergrund dieser Arbeit ist weiterhin das episodische Interview, da mit Flick davon auszugehen ist, dass mit dieser Interviewkonzeption „der Versuch unternommen (wird), die Vorteile des narrativen mit denen des leitfadenorientierten Interviews gemeinsam zu nutzen, über Abläufe und Kontexte zu erzählen und gleichzeitig Routinisierungen des Alltags und Verallgemeinerungen mit aufzunehmen“ (Flick, 1995, S. 128). Diese Interviewform will neben Erfahrungen der befragten Person, die in konkrete Begebenheiten verpackt sind, auch das aus diesen Erlebnissen abgeleitete Wissen ermitteln und den Befragten anregen, Deutungen und Generalisierungen anzubahnen. So ist nach Flick das episodische Interview eine Methodentriangulation. Wenngleich die Befragten in vorliegender Studie als Expertinnen und Experten für ihre berufliche Tätigkeit bzw. die Qualifikationsmaßnahme, an der sie zum Zeitpunkt des Interviews partizipierten, anzusehen sind, lassen sich die geführten Interviews nicht unter die Bezeichnung Experteninterviews subsumieren3. Charakteristisch für Experteninterviews ist, dass biographische Verläufe und persönliche Motive der interviewten Person in den Hintergrund treten und der Fokus des Befragungsinteresses auf dem „klaren und abrufbaren Wissen“ (Mayer, 2008, S. 41) liegt, auf welches die Befragten aufgrund ihrer Position zurückgreifen können. Meinem Forschungsinteresse lag jedoch explizit die Darstellung und Sinngebung der individuellen beruflichen Statuspassage zugrunde, der gegenüber sowohl das Tätigkeitsfeld Schulleitung als auch die inhaltliche Bewertung der Qualifizierungsangebote in den Hintergrund traten. Marotzki bemüht den Oberbegriff thematisches Interview und fasst hierunter auch die Interviewformen fokussierte4 und problemzentrierte Interviews. Er führt an, dass diesen Interviewtypen gemeinsam ist, dass „innerhalb der vorgegebenen Themenkomplexe […] in der Regel versucht (wird), mit offenen Fragen das narrative Potenzial des Informanten zu nutzen“ (Marotzki, 2003, S. 154).
3
Argumentiert man mit Mayer werden Experteninterviews als eine Unterform der Leit-
4
In ihrer ursprünglichen in den 1940er Jahren von Robert Merton, Patricia Kendall u.a.
fadeninterviews gefasst (vgl. Mayer, 2008, S. 38). entwickelten Form sind fokussierte Interviews jedoch zu verstehen als Interviews, denen vorab ein bestimmter Gesprächsanreiz wie beispielsweise ein Film oder ein Artikel zugrunde lag (vgl. Hopf, 2008, S. 353).
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Folgt man dieser Verallgemeinerung scheint die Bezeichnung thematisches Interview ebenfalls möglich für die als Grundlage dieser Studie geführten Interviews. Die Leitfadeninterviews meiner Untersuchung wurden im Zeitraum von Juli 2010 bis August 2012 geführt. Vor Beginn der Leitfadeninterviews wurde den Proband/innen zunächst das Vorgehen erläutert und auf die Anonymisierung sowie auf das bereits in der Interviewanfrage erwähnte Aufzeichnen des Interviews mit einem Digital Voice Recorder5 hingewiesen. Die Interviews wurden mit folgender erzählgenerierenden offenen Einstiegsfrage eröffnet: „Bitte schildern Sie mir, wie es dazu kam, dass Sie den Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ studieren/ an dem Fortbildungsangebot „TVaS“ teilgenommen haben/ das Amt der Schulleitung ausüben.“ Diese Fragetechnik hatte zum Ziel, ein offenes Gesprächsklima einzuleiten und zur ungezwungenen retrospektiven Schilderung – im Verlauf derer die Tonaufzeichnung in den Wahrnehmungshintergrund rücken sollte – des zurückliegenden Weges bis hin zur aktuellen Situation anzuregen. Durch die Offenheit der Frage entstand ein großer Antwortspielraum und es oblag den Proband/innen, zu bestimmen, welche Aspekte bedeutungsrelevant waren und wie weit die Ausführungen auf in der Vergangenheit Erlebtes zurückgreifen sollten. Diese Möglichkeit der individuellen Fokussierung führte zu einem breiten Ant-
5
Bei der Transkription wurde aus Gründen der Praktikabilität und im Hinblick auf das Forschungsinteresse keine feinsprachliche Analyse nach phonetisch-phonologischen Maßstäben durchgeführt. In der Fachliteratur findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Transkriptionssysteme, da sich kein allgemeingültiges Verfahren durchgesetzt hat (vgl. Flick, 1995, S. 192f.). Um das hier angewandte Vorgehen dennoch intersubjektiv nachvollziehbar zu machen, soll an dieser Stelle auf folgende Vereinheitlichungen hingewiesen werden:
• • • •
Fülllaute (z.B. mmh, äh) wurden verschriftlicht. Der sprachliche Stil wurde nicht geglättet oder in irgendeiner Form verändert. Satz- und Wortabbrüche wurden mit einem Strich (z.B. Ich dachte- ) gekennzeichnet. Erläuterungen der Interviewerin, nonverbale Reaktionen der Interviewten und der Interviewerin und die Sekundenanzahl auffälliger Pausen wurden in Klammern gesetzt.
• Die genannten Orte und Personen wurden mit einem X anonymisiert. • Sofern ein Transkriptausschnitt mit einer Auslassung in dieser Arbeit aufgeführt wird, wurden Auslassungsstellen mit Punkten in einer Klammer gekennzeichnet […]. Diese Transkriptionsregeln folgen den Vorgaben von Langer (2010, S. 515ff.).
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wortspektrum und unterstützte in entscheidendem Maße die Gewinnung aufschlussreicher Daten. An diesen Erzählanstoß schloss sich folgender Leitfaden an, dessen Frageabfolge sich der Gesprächsdynamik anpasste, wodurch ein starres, die Konversation blockierendes Abarbeiten des Fragebogens zugunsten einer offenen, sensitiven Gesprächsführung vermieden wurde. Folglich kam es in zahlreichen Interviewsituationen ebenso zu Folgefragen, die aus dem Gesprächszusammenhang formuliert wurden, wie auch zu Auslassungen, wenngleich das Aufgreifen aller forschungsrelevanten Themenbereiche stets beachtet wurde. Die Reihenfolge und die Formulierungen wurden flexibel gehandhabt. Dies Vorgehen wurde dadurch unterstützt, dass ich während der Interviewsituation lediglich eine stichwortartige Abfolge der Fragen, einen sogenannten technischen Leitfaden, nutzte.
Interviewleitfaden 6 Allgemeine Einstiegsfrage Bitte schildern Sie mir, wie es dazu kam, dass Sie den Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ studieren/ die Schulleitungsfunktion ausüben/ an Seminaren des „TVaS“ teilgenommen haben. I. Ermutigung 1. Wie sind Sie auf diesen Studiengang aufmerksam geworden? Wie sind Sie auf diese freie Stelle aufmerksam geworden? Wie sind Sie auf dieses Fortbildungsangebot aufmerksam geworden? 2. War Ihre Immatrikulation ein spontaner Entschluss oder haben Sie diese Entscheidung länger geplant? War es eine spontane oder länger geplante Entscheidung Schulleiter/in zu werden? Haben Sie sich spontan zur Teilnahme entschlossen oder das länger geplant? gültig für alle drei Befragungsgruppen:
3. Fühlten Sie sich von jemandem zu diesem Schritt ermutigt? 4. Wie würden Sie diese Ermutigung konkret beschreiben?
6
Schriftart normal = Fragen an Studierende des Masterstudienganges, Schriftart kursiv = Fragen an Schulleitungen, Schriftart fett = Fragen an Teilnehmer/innen des „TVaS“
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5. War diese Ermutigung ausschlaggebend für Ihre Entscheidung? 6. Glauben Sie, dass Sie auch ohne diese Unterstützung dieselbe Entscheidung getroffen hätten? 7. Welche Rolle spielte Ihre Partnerin/Ihr Partner bei Ihrer Entscheidungsfindung? II. Ziele und Opportunitäten 8. Wie soll es nach bestandener Masterprüfung weitergehen? Wie haben Sie sich auf Ihr neues Amt vorbereitet? Was versprechen Sie sich von diesen Fortbildungsmodulen? 9. Erwarten Sie, dass man auf Sie zukommt oder werden Sie sich selbst ein neues Tätigkeitsfeld suchen? Hätten Sie sich auch ohne Fortbildungsmöglichkeit auf diese Stelle beworben? Suchen Sie ein neues Tätigkeitsfeld? III. Restriktionen 10. Hatten Sie Zweifel, ob dieser Studiengang das richtige für Sie ist? Hatten Sie Zweifel, ob diese Tätigkeit das richtige für Sie ist? Hatten Sie Zweifel daran, dass Sie diese Fortbildungsmodule besuchen sollen? gültig für alle drei Befragungsgruppen:
11. Warum haben diese Zweifel Sie letztlich doch nicht abgehalten? 12. Was war Ihre größte Sorge? Haben Sie diesen Studiengang alleine oder gemeinsam mit einer Bekannten/ einem Bekannten, Kollegin/Kollegen etc. begonnen? 13. Haben Sie die Fortbildungsmodule alleine oder gemeinsam mit einer Bekannten/einem Bekannten, Kollegin/Kollegen etc. besucht? 14. Schränkt Sie Ihr berufsbegleitendes Studium in irgendeiner Weise ein? Fühlen Sie sich durch Ihre neue Position belastet? Fühlten Sie sich durch die Fortbildungsmodule belastet? IV. Handlungsalternativen 15. Hat es alternative Fortbildungsmöglichkeiten gegeben? Wie wäre es nach einer erfolglosen Bewerbung weitergegangen? Hatten Sie alternative Weiterbildungsideen?
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V. Soziale Positionierung 16. Wie sind Sie mit Ihrer Immatrikulation umgegangen? Wem haben Sie das erzählt? Wem haben Sie in Ihrem beruflichen Umfeld von Ihren Plänen Schulleiter/in zu werden erzählt? Wem haben Sie in Ihrem beruflichen Umfeld von Ihrer Teilnahme am „TVaS“ erzählt? 17. Können Sie mir Situationen schildern, wie die Reaktionen Ihres Kollegiums waren? Wie haben Sie die Reaktionen Ihres damaligen Kollegiums/Vorgesetzten empfunden? Wie haben Sie die Reaktionen Ihres Kollegiums/Vorgesetzen empfunden? gültig für alle drei Befragungsgruppen:
18. Beschreiben Sie mir bitte Ihre Stellung in Ihrem Kollegium. VI. Genderaspekt 19. Erzählen Sie mir bitte etwas über Ihre Mitstudierenden. Erzählen Sie mir bitte etwas über andere Schulleiter/innen, die Sie kennen gelernt haben. Erzählen Sie mir bitte etwas über die anderen Teilnehmer/innen am „TVaS“. 5.3.2 Teilnehmende Beobachtung Die teilnehmende Beobachtung lässt sich als die zentrale Methode der ethnographischen Forschung, einer Form der Kulturbeschreibung, fassen und verzeichnet seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum eine wachsende Akzeptanz und Anwendung. Die Forscherin bzw. der Forscher begibt sich zur teilnehmenden Beobachtung ins Feld in der Annahme, dass dort Aspekte erforschbar sind, die über das Führen von Interviews oder mit Hilfe anderer qualitativer Forschungsmethoden nicht fassbar sind. Während in der Interviewsituation Informationen zu Einstellungen, subjektiven Interpretationen des Erlebten und Vorstellungen erhoben werden können, kann die Beobachtung situative Verhaltensweisen und soziale Aushandlungsprozesse zu Tage bringen. Diese sind in der Befragung nur eingeschränkt eruierbar, da die Aussagen zu persönlichem Verhalten eigenen Interpretationen und einer vorsätzlichen Präsentation der Persönlichkeit unterliegen, indes Alltagshandeln sich spontan und unreflektiert vollzieht.
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Die nähere Veranschaulichung dieser Forschungsmethode bringt eine Unterteilung in direkte und indirekte, offene und verdeckte, teilnehmende und nichtteilnehmende, strukturierte und unstrukturierte Beobachtung in künstlichen oder natürlichen Beobachtungssituationen hervor (vgl. Schnell, 2005, S. 391ff.; Lamnek, 2005, S. 560ff.). Da die meisten Dichotome für sich sprechen und keiner weiteren Explizierung bedürfen, wird im Weiteren lediglich die Beobachtungsform näher ausgeführt, die in vorliegendem Fall verwirklicht wurde. Die Vorgehensweise, die dieser Untersuchung zugrunde lag, ist dementsprechend als offen, unstrukturiert und nichtteilnehmend zu bezeichnen. Der Argumentation von Atteslander folgend, der die Betitelung nichtteilnehmend ablehnt, da der Beobachter „immer über seine Wahrnehmungs- und Interpretationstätigkeit in die übergeordnete Beobachtungssituation integriert ist (und es folglich) bei der Beobachtung nicht zu einer Nicht-Teilnahme kommen“ (Atteslander, 2008, S. 85) kann, wird die vom ihm präferierte Bezeichnung passive versus aktive Teilnahme vorgezogen. Es handelt sich folglich um eine offene, passiv teilnehmende und unstrukturierte Beobachtung. Die Entscheidung für eine offene Beobachtung folgte der Annahme, dass die Anwesenheit einer Beobachterin bzw. eines Beobachters die Verhaltensweisen von Personen nicht nachhaltig beeinflusst, da im Gegensatz zur Interviewsituation die Aufmerksamkeit rasch von der beobachtenden Person auf die zu bewältigenden Handlungsabläufe, in diesem Fall die Partizipation an der Qualifizierungsmaßnahme, umschwenkt7 (vgl. Schnell, 2005, S. 403). Eine verdeckte Beobachtung hingegen würde mutmaßlich zu einem Rollenkonflikt führen, da durch die aktive Teilnahme an den Qualifizierungskursen ein Handlungsdruck entstünde, der eine Beeinträchtigung des originären Ziels, des Beobachtens und Protokollierens, darstellte. Ferner bestünde mit der eigenen Aktivität in einer Qualifizierungsgruppe die Gefahr einer Überidentifikation mit dieser, dem so bezeichneten going native (vgl. Atteslander, 2008, S. 78). Diese übermäßige Vertrautheit, die sich in länger andauernden Prozessen der Beobachtung einstellen kann, birgt auf Seiten der Forscherin bzw. des Forschers das Risiko, Bemerkenswertes zu übersehen. Das Dilemma Nähe zum und Partizipation am Feld unter Aufrechterhaltung einer forschenden Distanz herzustellen, ist eine der
7
Letztlich ist es meines Erachtens zielführend die Fokussierung auf den – ohnehin aussichtslosen – Versuch sich als feldforschende Person unsichtbar zu machen, zugunsten der Erkenntnis aufzugeben, dass Rückschlüsse auf die Habituskonstruktionen der Proband/innen gerade auch durch die Art der Reaktionen auf die anwesenden Forschenden geschlossen werden können.
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Schwierigkeiten, die diese Methode mit sich bringt (vgl. Lüders, 2003, S. 152f.; Schnell, 2005, S. 402f.). Die Beobachtung erfolgte ohne ein strukturiertes Beobachtungssystem. Die Formulierung eines Beobachtungsschemas wird kontrovers diskutiert. So fordern Friedrichs und Lüdtke ebendies (vgl. Friedrichs/Lüdtke, 1977, S. 60f.), Mayring hält „Beobachtungsleitfäden“ (Mayring, 2002, S. 81) unter dem Postulat einer gewissen Offenheit für sinnvoll, während Lamnek argumentiert, jegliches Kategorienschema widerspräche qualitativer Methodologie und „ist deshalb abzulehnen“ (Lamnek, 2005, S. 570)8. Atteslander lehnt strukturiertes Beobachten nicht ab, verweist jedoch kritisch auf die Nachteile, die seines Erachtens insbesondere darin liegen, dass „Verhaltensweisen, die im Verlauf der Beobachtung auftreten und nicht durch das Kategoriensystem abgedeckt sind, entweder nicht wahrgenommen, oder als nicht beobachtungsrelevant eingeschätzt“ (Atteslander, 2008, S. 81) werden. Wird über methodische und methodologische Probleme dieses Forschungsvorgehens disputiert, steht neben der oben erläuterten Unstimmigkeit über die Zulässigkeit einer Standardisierung zumeist die Schwierigkeit der Subjektivität der Eindrücke und der daraus resultierenden Analysen im Zentrum (vgl. Lamnek, 2005, S. 557ff.). Während die aus Interviews generierten Informationen authentisch aufgezeichnet, beliebig oft reproduziert und zu ihrer Auswertung und Interpretation mehrere Personen hinzugezogen werden können, sind die Umstände bei teilnehmenden Beobachtungen weniger komfortabel. Der beobachtenden Person ist es durch die Schnelligkeit der Abfolge sozialer Aktionen nicht möglich, alle Handlungen zu erfassen, Entscheidungen über deren Gewicht zu treffen und diese angemessen zu protokollieren. Folglich unternimmt sie subjektive Reduktionen und Selektionen, die den neutralen Aussagewert der Handlungen zugunsten von Interpretationen und eigenen Tendenzen der Beobachterin bzw. des Beobachters verfälschen. Die feldforschende Person unterliegt der Gefahr, mit einem bestimmten Ziel bzw. einer eigenen Tendenz ins Feld zu gehen und aufgrund dieser „Wahrnehmungsakzentuierung“ (Lamnek, 2005, S. 557) die Ergebnisse unbewusst zu verzerren. Deshalb wollen Friedrichs und Lüdtke die Chancen der Intersubjektivität erhöhen, indem sie die Personalunion von Forscher/in und Beobachter/in auflösen und die simultane Teilnahme mehrerer Beobachter/innen an ein und derselben Beobachtungssituation befürworten.
8
Auch Girtler lehnt jegliche „A-priori-Systematisierung“ ab und arbeitete in seinen zahlreichen empirischen Untersuchungen stets ohne Beobachtungsschemata (Girtler, 1984, S. 6).
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Vor dem Hintergrund der zusammengefassten Restriktionen, denen diese Forschungsmethode unterliegt, resümiert Lüders, dass diese Methode nicht im Vergleich zu anderen die „echteren bzw. wahreren Einsichten“ (Lüders, 2003, S. 152) verschaffe, sondern eine andere Qualität von Einsichten „und es wäre methodologisch und inhaltlich zu präzisieren, was diese andere Qualität jeweils auszeichnet“ (Lüders, 2003, S. 152). Im Folgenden wird nun zunächst versucht, vom individuellen Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung aus zu erhellen, worin der spezielle Nutzen dieser Methode für diese Studie liegt und warum trotz laut Lüders gegenwärtigem diffusem und stagnierendem Diskussionsstand (Lüders, 2003, S. 152) dieser Praktik ein nicht zu unterschätzender Erkenntnisgewinn zu unterstellen ist. Im Anschluss an diese methodologischen Erläuterungen werden dann die einzelnen praktizierten Vorgehensschritte dargelegt. Die Methodentriangulation dieser Untersuchung wirft die Frage auf, weshalb eine methodische Ergänzung der Interviewbefragung durch die teilnehmende Beobachtung für bedeutsam erachtet wurde. Damit wird auch der Kritik Kelles entgegengetreten, dass „ein zentrales Problem aller Debatten über Triangulation und vieler Anwendungsversuche (darin besteht), dass […] die Notwendigkeit vernachlässigt wird, die Verbindung der Methoden zu den inhaltlichen theoretischen Überlegungen über die Natur der untersuchten Gegenstandsbereiche zu klären“ (Kelle, 2001, S. 127). Ausschlaggebend für die methodische Entscheidung zugunsten der teilnehmenden Beobachtung war die Relevanz des Geschlechteraspekts im Rahmen dieser Studie. Bereits bei der Konzeption des Interviewleitfadens gingen mit den Geschlecht thematisierenden Fragen besondere Abwägungen einher. Auf Fragen, die bereits explizit genderorientiert waren, wurde von vornherein verzichtet aufgrund der befürchteten sozialen Erwünschtheit im Antwortverhalten, der kritischen Distanznahme zum selbstverständlichen Alltagshandeln und -denken und der damit einhergehenden vorsätzlichen Konstruktion einer Haltung zu Geschlecht und beruflichem Aufstieg. Geschlecht wurde in jedem Interview in gleicher Weise nicht thematisiert und lediglich bei Nachfragen in die Formulierung aufgenommen9.
9
Beispielhaft soll hier folgende – gekürzte – Interviewsequenz angeführt werden: „Also wir sind eine Gruppe von drei Personen, die sich regelmäßig eigentlich wöchentlich eigentlich nach jedem Präsenzseminar treffen im Online-Raum, manchmal auch telefonisch. […] Der eine arbeitet am Gymnasium, der andere am Schulzentrum. […] Eine wirklich sehr offene Gruppe und es macht Spaß sich auszutauschen.“
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Während die individuelle Ausgestaltung und Sinngebung der eigenen Statuspassage in den Interviews aufgedeckt werden kann – und auch dies bereits Rückschlüsse auf die Geschlechterwahrnehmung der Proband/innen zulässt –, verschiebt sich bei der Beobachtung der Blickwinkel auf die Deutung der sozialen Interaktions- und Kommunikationsmuster. Dabei können unhinterfragte und routinierte Haltungen und ein Wissen, welches „mehr im Körper steckt als im Kopf“ (Wetterer, 2008, S. 50) wahrgenommen werden, da das Wissen, welches Menschen in sich tragen, zum größten Teil „überhaupt nicht sprachfähig (ist), es ist zu einem beträchtlichen Teil stumm, ein körperliches Können, kein abfragbares Wissen“ (Hirschauer, 2008, S. 86). Dazu schreibt auch Friebertshäuser: „Die Stärke dieses Forschungsansatzes liegt darin, dass er es vermag, kulturelle Phänomene […] und alltägliche Handlungspraktiken […] zu erfassen, die in Interviews häufig nicht thematisiert werden, weil sie einer Erzählung nicht würdig erscheinen oder auf einer unbewussten Ebene angesiedelt sind“ (Friebertshäuser, 2008, S. 55). Hinsichtlich der Relevanz von Geschlecht im Kontext beruflichen Aufsteigens ist zu vermuten, dass diese im Rahmen sozialer Interaktion einen anderen Stellenwert hat bzw. anders zu Tage tritt, als dies im verbalen Nachvollzug der Praxis der Fall ist10, wenn Handelnde zu Betrachtenden überwechseln und das Tun im Nachhinein mit einem Hintersinn aufladen.11 Mit Bourdieu gesprochen: „Alles weist darauf hin, daß der Handelnde, sobald er über seine Praxis nachdenkt und sich damit sozusagen theoretisch in Positur wirft, keine Chance mehr hat, die Wahrheit seiner Praxis zu formulieren“ (Bourdieu, 1987, S. 165). Aus dieser Annahme heraus, dass aufschlussreiche Beobachtungen am ehesten dann zu erzielen sind, wenn die Aufmerksamkeit der Akteure am wenigsten auf den Interessenfokus der forschenden Person ausgerichtet ist, entstand der Gedanke, das forschungsrelevante Feld von zwei Seiten empirisch zu erschließen, um ein vertieftes Verständnis zu ermöglichen.
I: „Also in Ihrem kleineren Kreis, habe ich das richtig verstanden, sind zwei weitere Lehrer? Haben Sie auch noch mit anderen weiblichen Studierenden näheren Kontakt?“ (Herr Wirth, Z. 310-329) 10 Friedrichs und Lüdtke unterscheiden hier zwischen „covert behavior“, dem potentiellen Verhalten, welches in Interviews zu Tage gefördert wird und „overt behavior“, dem tatsächlichen Verhalten, welches im Dunkeln bleibt (Friedrichs/Lüdtke, 1977, S. 93). 11 In Kapitel 4.1 wurde diese besondere Tragweite, die der Geschlechteraspekt meines Erachtens durch die Art und Weise der Fragetechnik erhalten kann, bereits am Beispiel der Studie von Lutzaus kritisch diskutiert.
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Die teilnehmende Beobachtung sollte drei Aspekte beleuchten: die Strukturen der Qualifizierungsmaßnahmen, die Teilhabe und Präsentation der Akteure „im Ganzen“12 sowie deren soziale Praktiken und interaktiven Diskurse in Bezug auf Geschlecht. Für das Erlangen eines Überblicks über beide Qualifizierungsmaßnahmen wurden die jeweiligen Einführungsveranstaltungen als besonders aufschlussreich erachtet. Diese Momente, die bezogen auf das „TVaS“ den ersten Veranstaltungstag und bezogen auf den Masterstudiengang die erste Präsenzveranstaltung umfassten, haben einen weichenstellenden Charakter hinsichtlich der weiteren Abläufe und einen hohen Aussagewert über die immanente Struktur und den institutionellen Habitus des jeweiligen Feldes. Diese institutionalisierte Rahmung lässt dann wiederum Rückschlüsse auf die entsprechenden Prädispositionen der Teilnehmenden zu. Die Teilhabe der Akteure lässt sich am besten beobachten, wenn die oder der Forschende nicht unmittelbar in die interaktionelle Dynamik und das rasche Wechselspiel von Handlungen eingebunden ist, sondern durchaus befremdet und am Rand stehend die Geschehnisse von außen betrachtet. Dieser Leitgedanke, die Komplexität der Gesamtsituation auf diese Weise eher erfassen zu können und daher eine gewisse Fremdheit aufrecht erhalten zu wollen, mündete in der Modalität, sich als Forschende zu erkennen zu geben und sich nicht als ebenfalls Teilnehmende zu maskieren. Der Beobachtungsaspekt der Interaktionen und Wortbeiträge entpuppte sich im Verlauf der Forschung als besonders gewinnbringend, da zum einen Personen beobachtet werden konnten, mit denen im Vorfeld bereits ein Interview geführt wurde, und zum anderen Personen nach der teilnehmenden Beobachtung für Interviews rekrutiert werden konnten. Da während dieses Prozesses die Auswertung voranschritt, konnte eine Verknüpfung und Verdichtung der gewonnenen Erkenntnisse unter dualer Perspektive vorgenommen werden. So kristallisierte sich beispielsweise im Verlauf erster Analyseschritte die Bezugnahme der Akteure auf das soziale Umfeld – in diesem Fall das Lehrer/innenkollegium – als eine zentrale Kategorie der Statuspassagenbewältigung heraus. Durch die teilnehmende Beobachtung konnte nun der Fragehorizont hinsichtlich dieser Schlüsselkategorie erweitert werden: Wie positionieren sich die Teilnehmenden im Rahmen eines vermeintlichen Konkurrentenkreises? Lassen sich kollektive Erfahrungsräume in den Gesprächen untereinander
12 Die umgangssprachliche Formulierung „im Ganzen“ umfasst – wie später deutlich wird – die den Handlungen zugrunde liegenden habituell beeinflussten Orientierungsrahmen der beobachteten und befragten Personen.
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ausmachen, in denen homologe Orientierungsmuster zum Ausdruck gebracht werden? Dadurch konnten die aus den Einzelinterviews herausgearbeiteten Orientierungsrahmen13 angereichert und ergänzt werden. Wenngleich zu Beginn des Kapitels schon einige Anmerkungen über die Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns der teilnehmenden Beobachtung für den Genderaspekt getätigt wurden, soll aufgrund der Bedeutsamkeit dieser Blickwinkel abschließend noch einmal aufgegriffen werden. Klang es eingangs noch, als bestünde der Ertrag dieser Methode darin, „die Konstrukteure des Geschlechts auf frischer Tat (zu) ertappen“ (Hagemann-White zitiert nach Gildemeister, 2004, S. 30), muss diese Mutmaßung zugunsten einer größeren Offenheit erweitert werden: Schließlich obliegt es den Akteuren, ob der jeweilige Moment zum Schauplatz der Geschlechtlichkeit instrumentalisiert wird. Konkrete soziale Praktiken zu beleuchten, bedeutet nicht zwangsläufig, gegendertes Verhalten aufzudecken, nur weil der Beobachtungsfokus gemeinsam auftretende Handlungen männlicher und weiblicher Akteure umfasst. Ebenso ist denkbar, dass die Geschlechterkategorie von anderen Aspekten überlagert wird.14 Das müsste jedoch nicht bedeuten, dass dies in eine permanente Irrelevanz mündet, sondern dass Geschlecht situativ aktualisiert werden kann. Es gilt also, der Frage nachzuspüren, wann Geschlecht im interaktionellen Miteinander von aufstiegsinteressierten Lehrkräften im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen dramatisiert oder übergangen wird. Wird Geschlecht relevant, geht mit dieser Wahrnehmung unmittelbar die Überlegung einher, von welcher Intention dies beglei-
13 Dieser für die dokumentarische Methode charakteristische Terminus wird ebenso wie das Procedere seiner Offenlegung in Kapitel 5.4 expliziert. 14 So fanden Faulstich-Wieland, Weber und Willems hinsichtlich des Schüler/inseins heraus, dass diese „Geschlecht dann als Ressource (nutzen), wenn es gewinnträchtig ist“ (Faulstich-Wieland/Weber/Willems, 2004, S. 222), in vielen Situationen einem zielführenderen doing student jedoch den Vorzug vor einer Geschlechterinszenierung geben. Außerdem konstatieren Faulstich-Wieland, Weber und Willems, dass die Kategorie Geschlecht im Rahmen interaktioneller Handlungen situativ in unterschiedlichen Varianten auftreten kann: „Geschlechtszugehörigkeit spielt eine Rolle
• nur eine Geschlechtsgruppe zeigt bestimmte Strategien • die Strategien werden unterschiedlich gehandhabt Geschlechtszugehörigkeit spielt eine untergeordnete Rolle
• beide Geschlechter zeigen die gleichen Strategien • die Strategien werden gleich gehandhabt“ (Faulstich-Wieland/Weber/Willems, 2004, S. 213).
5. E MPIRISCHES V ORGEHEN
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tet wird. Dient es einer Rollenzuweisung oder der Aushandlung von Statuspositionen? Werden dadurch bestimmte Strategien verfolgt, die die Bewältigung der Statuspassage retardieren oder begünstigen? Die Triangulation der Methoden Leitfadeninterview und teilnehmende Beobachtung wird folglich der Vielschichtigkeit der Thematik gerecht und ermöglicht eine Rekonstruktion der Bedeutung von Geschlecht beim Aufstiegshandeln. Der Zeitpunkt des ersten Erhebungsprozesses der teilnehmenden Beobachtung15 lag im Oktober 2010. Die erste teilnehmende Beobachtung wurde bei einer Präsenzveranstaltung des Masterstudienganges „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ in Kiel durchgeführt. Die zweite Erhebungsphase lag im August 2011 und beinhaltete die teilnehmende Beobachtung während verschiedener Module des „TVaS“. Eine dritte Beobachtungsphase wurde im Juli 2012 beim „TVaS“ vollzogen. Die zeitliche Zäsur sollte zwei Restriktionen, die die Methode der teilnehmenden Beobachtung mit sich bringt, reduzieren, nämlich die Phänomene der Wahrnehmungsakzentuierung und der nachlassenden Perzeptibilität im Verlauf einer Beobachtungsspanne. Aus dem gewonnenen Abstand heraus konnten neue Daten eines anderen Personenkreises zu den bereits erhobenen in Beziehung gesetzt werden. Zudem wurden die Dimensionen der Beobachtung durch die parallel dazu fortschreitende Auswertung und das Eintauchen in die theoretische Grundlage ausgereifter. Das methodenplurale Vorgehen ermöglichte es mir, sowohl die späteren Feldphasen aufgrund der Erhebungen der ersten enger zu fokussieren, beispielsweise verstärkt informelle Situationen zu beobachten, als auch die in den Interviews erhobenen Aussagen und die sich in dieser Phase allmählich konstituierende Typologie zu ergänzen. Die Teilnehmenden der beiden beobachteten Qualifizierungsmaßnahmen wurden über die Anwesenheit und über das Anliegen der Beobachterin – ohne eine explizite inhaltliche Präzisierung – aufgeklärt. Das Bestreben der passiv teilnehmenden Beobachtung wurde vereinzelt durch die Aufgeschlossenheit der zu Beobachtenden inhibiert, die mich in ihr Tun einbezogen und ganz unbefangene Kommunikationssituationen herstellten, durch die ich gelegentlich zum „observer-as-parcipant“ (Weidmann, 1974, S. 13) avancierte. Lamnek interpretiert dies durchaus als positives Zeichen einer gelungenen Einführung ins Feld
15 Vgl. zur reflektierten Subjektivität, die insbesondere beim Einstieg ins Feld vollzogen werden sollte, Steinke (1999, S. 231ff.). Diesem Ansinnen wurde in vorliegender Arbeit gefolgt, indem alle Eindrücke – die Besonderheiten des Feldes sowie die eigenen Befindlichkeiten der Forscherin – beim Feldeinsteig in Form eines Forschungstagebuches festgehalten wurden und an geeigneten Stellen in die Auswertung einfließen.
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und spricht von „unterschiedlichen Teilnahmegraden“ (Lamnek, 2005, S. 612), die die Forscherin bzw. der Forscher im Beobachtungsprozess einnimmt. Die Bezugnahme der Teilnehmenden auf mich als Forschende legt die Befürchtung nahe, meine Anwesenheit könne Verhaltensmodifikationen veranlasst haben. Auch Emerson konstatiert, dass „the ethographer’s presence in a setting inevitably has implications and consequences for what is taking place“ (Emerson, 1995, S. 3). Innerhalb der Beobachtungsphase, die sich mit Unterbrechungen jeweils über den ganzen Tag hinzog, ließ sich jedoch ein rascher Gewöhnungseffekt ausmachen, so dass allenfalls in der Anfangsphase von Irritationen durch die Anwesenheit der Beobachterin ausgegangen werden kann. Der erste Feldzugang sollte der Gewinnung erster Eindrücke dienen und durch eine unstrukturierte Herangehensweise, die zunächst ein nahezu ungreifbares Einströmen der gesamten Komplexität aller sozialen Interaktionen zur Folge hatte, möglichst unvoreingenommen mannigfaltige Dimensionen der Beobachtung mit sich bringen. Der Schwerpunkt der Beobachtung war stets auf die Selbstpräsentation der Teilnehmenden, auf ihre verbalen und nonverbalen Reaktionen und auf ihren Umgang mit anderen Akteuren sowie den Leitenden gerichtet. Die Präsentation und Strukturierung der Qualifizierungskurse war ebenfalls von großem, wenngleich nachrangigem Interesse. Innerhalb der zeitversetzten Beobachtungsphasen konnten einige Akteure beobachtet werden, mit denen zuvor oder anschließend Interviews geführt wurden. Dennoch beziehen sich die empirischen Fragmente beider Erhebungsmethoden nicht gänzlich auf denselben Personenkreis. Dies löste zunächst einige Unsicherheiten hinsichtlich der Anwendbarkeit der Erkenntnisse aus. Insbesondere das Postulat der gegenseitigen Validierung, welches in einem frühen Ansatz von Denzin so aufgefasst wurde, „dass mit verschiedenen Methoden ein und derselbe Gegenstand […] abgebildet werde und dass man die dabei resultierenden Teilansichten nur noch zusammensetzen müsse“ (Denzin zitiert nach Flick, 2004, S. 17), stieß in der qualitativen Sozialforschung auf Kritik. Sieht man den Zugewinn der Methodentriangulation jedoch nicht in ihrer wechselseitigen Validierungsfunktion, sondern in einer Ausweitung der jeweils begrenzten Reichweite einer jeden Methode, ist es durchaus zielführend, dasselbe Phänomen an unterschiedlichen Personen zu untersuchen. Die so gewonnenen Erkenntnisse können in der Auswertung zu einer „Mehrperspektivenanalyse“ (Schittenhelm, 2005, S. 290) zusammenfließen (vgl. auch Flick, 2004, S. 13f.).
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Während der Feldbeobachtungen wurde im Modus des „participating-towrite style“ (Emerson, 1995, S. 18) bereits mit dem Verfassen handschriftlicher Notizen begonnen16. Mit dieser Verschriftlichung ist schon eine erste reflexive Selektion verbunden: „This often invisible work – writing ethnographic fieldnotes – is the primordial textualization that creates a world on the page and ultimately shapes the final ethnographic, published text“ (Emerson, 1995, S. 18). In unmittelbarem Anschluss an die Beobachtungsphasen wurden ausführliche Feldprotokolle erstellt.
5.4 D ATENAUSWERTUNG MIT DER DOKUMENTARISCHEN
M ETHODE
Die Datenauswertung nach Maßgabe der dieser Arbeit zugrunde liegenden dokumentarischen Methode stellt einen möglichen Weg dar, den Ansprüchen an Validität17 und angemessene Reflexion der Subjektivität gerecht zu werden. Da das Reliabilitätspostulat mit der induktiven Vorgehensweise und aufgrund der fehlenden Standardisierbarkeit qualitativer Forschung nicht vereinbar ist und auch viele Formen von Objektivität und Validität nicht probat für qualitative Forschungsmethoden sind, hat Steinke Kernkriterien für die Bewertung qualitativer Untersuchungen entwickelt (vgl. Steinke, 1999, S. 205ff.). In Anlehnung an diese Bewertungskriterien, jedoch unter Bezugnahme auf mein Forschungsanliegen und verkürzt und modifiziert hinsichtlich meines Verwendungszusammenhangs, sollen hier drei Gütekriterien, die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, die komparative Analyse und die theoretische Fundierung, Erwähnung finden. Qualitative Forschungsstandards und vereinheitlichte Auswertungsnormen sollen die Subjektivität der Auswertungsperspektive reduzieren. Der Gesamtpro-
16 Emerson legt verschiedene Stile der teilnehmenden Beobachtung dar. Der maximale Kontrast zu dem hier angewendeten Vorgehen ist der „experiential style, writing may be put off for hours or even days“ (Emerson, 1995, S. 18), da die bzw. der Forschende in diesem Fall nach einer langen zeitlichen Zäsur nur noch aus der Erinnerung heraus schreibt. 17 Da der Begriff Validität sehr unterschiedlich ausgelegt und zwischen zahlreichen Validitätsformen unterschieden wird, soll Validität hier in Anlehnung an Steinke verstanden werden als Gültigkeit qualitativer Forschungsergebnisse (vgl. Steinke, 1999, S. 158ff.).
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zess dieser Untersuchung kann in seiner Komplexität nicht exemplarisch anhand eines Auswertungsbeispiels in Einzelschritte zerlegt werden, dennoch soll eine Explikation der einzelnen Arbeitsschritte Außenstehenden ermöglichen, die Interpretationsschritte und die Typengenerierung nachzuvollziehen. Auf Grundlage dieser Transparenz kann anschließend intersubjektiv die Ergebnisfindung rekonstruiert und bewertet werden. Eine diskursive Umsetzung der Forderung nach intersubjektiver Nachvollziehbarkeit bestand in der vorliegenden Arbeit darin, mit Hilfe der Teilnehmenden eines Colloquiums, einer Netzwerkstatt und der aktiven Teilnahme an Forschungswerkstätten mehrere Deutungsperspektiven anhand des gleichen Informationsmaterials herauszuarbeiten, um die Objektivität und Zuverlässigkeit der Interpretation zu steigern. So konnten Interpretationsabsicherungen und bei Alternativdeutungen erneute Prüfungen des empirischen Materials vollzogen werden. Diese Vorgehensweise steht in unmittelbarer Wechselwirkung zu einem weiteren Gütekriterium, welches in dieser Arbeit zum Tragen kommt: der komparativen Analyse, einem Element der dokumentarischen Methode. Bourdieu sagt: „Die Unbestimmtheit, in der das Verhältnis zwischen dem Standpunkt des Beobachters und dem des Handelnden gelassen wird, spiegelt sich in der Unbestimmtheit des Verhältnisses zwischen den vom Beobachter zur Erklärung der Praktiken hervorgebrachten Konstruktionen (Schemata oder Diskursen) und eben diesen Praktiken selbst wider […]“ (Bourdieu, 1987, S. 70). Er spielt damit auf eine Voreingenommenheit der bzw. des Forschenden an, die in deren bzw. dessen doxa begründet liegt und sie bzw. ihn in einer speziellen Blickrichtung gefangen hält. Dies schlägt sich sodann in der Interpretation nieder, da „Objekte der Erkenntnis konstruiert und nicht passiv registriert werden“ (Bourdieu, 1987, S. 97, Herv. im Original). Die komparative Analyse der dokumentarischen Methode verringert die Determiniertheit der Perspektive durch eine Gegenüberstellung der empirischen Daten. Die Interpretationsansätze werden auf Basis der erhobenen Daten und deren unmittelbarem Vergleich miteinander gebildet. Dadurch tritt die Perspektive der bzw. des Forschenden in den Hintergrund. Die Kontrastierung verläuft folglich nicht zwischen dem Horizont der befragten Person und dem von der analysierenden Person als selbstverständlich bewerteten eigenen, sondern zwischen den Standpunktspektren der einzelnen Proband/innen. „Interpretation vollzieht sich grundlegend vor dem Vergleichshorizont einer Imagination hypothetischer alternativer Praktiken“ (Bohnsack, 2007, S. 195). Die theoretische Fundierung schließlich, die sich in der vorliegenden Untersuchung aus den Ansätzen Bourdieus und Goffmans konstituiert, konturiert die Perspektive, unter der die Empirie analysiert wird. Die beiden theoretischen Bezüge dieser Arbeit bieten ein Grundgerüst analytischer Begrifflichkeiten und sol-
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len durch ihre kooperative Anwendung dazu befähigen, „mehr zu erkennen als dies von einem monoparadigmatischen Standpunkt aus möglich wäre“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 45). Den gewonnenen Daten konnte durch die theoretische Einbettung, die zugleich für die Leserin bzw. den Leser eine Brücke schlägt, durch die die vorgenommene Theoretisierung der empirischen Beobachtungen nachvollziehbar wird, mit einer sukzessiven Verständniserweiterung begegnet werden. Am Rande erwähnt sei hier noch die Triangulation, die ebenfalls zur Verbesserung der Qualität eines qualitativen Forschungsvorhabens beitragen kann. Gemäß der vier Triangulationstypen können verschiedene Datenquellen genutzt, unterschiedliche Untersuchende in die Arbeit einbezogen, mehrere Theorieansätze zur Analyse herangezogen oder mehr als eine Methode angewendet werden. Das Ziel dabei ist nicht die Übereinstimmung, sondern die Möglichkeit, Stärken und Schwächen der jeweiligen Vorgehensweisen aufzuzeigen, durch methodische Gegengewichte auszugleichen und methodische Verzerrungen zu verhindern (vgl. Steinke, 1999, S. 46f. sowie Kapitel 5.3.2 der vorliegenden Arbeit). Das Schlüsselkriterium zur Bewertung qualitativer Forschung für die Leserin bzw. den Leser des „Endproduktes“ ist sicherlich die Möglichkeit des Nachvollzugs des Forschungsprozesses. Dieses Ansinnen wird sowohl durch eine Formalisierung der Vorgehensweise als auch durch eine Darstellung der Forschungsschritte umgesetzt. Diesem Vorgehen ist ein Dilemma inhärent: Weder eine verknappte Darstellung, die das Ziel des Nachvollzugs verfehlt, noch eine langatmige Entfaltung, die statt zur Transparenz eher zur Unübersichtlichkeit beiträgt, soll erzeugt werden. Nachfolgende Ausführungen fußen demzufolge auf dem Versuch eines Mittelweges: Die Entfaltung des Analyseprozesses wird auf die Erläuterung der Auswertungsmethode anhand eines konkreten Beispiels der dieser Arbeit zugrunde liegenden Empirie beschränkt. Den Einstieg in den Analyseprozess begann ich zunächst unter Anwendung der Grounded Theory nach Strauss/Corbin (1996) mit den klassischen Schritten der drei Kodierphasen sowie der Erstellung eines Kodierparadigmas, die einst von Glaser und Strauss im Anschluss an eine Forschungsarbeit zum Umgang mit sterbenden Patient/innen in amerikanischen Krankenhäusern (vgl. Glaser/ Strauss, 1974) konstituiert wurden. Dieses Procedere führte zwar zu einer sehr präzisen Aufschlüsselung des inhaltlichen Gehalts der Interviews, zeitgleich und gewissermaßen widersprechend zur detaillierten Auseinandersetzung rückte das Gesamtbild des Interviews und somit die Möglichkeit der Offenlegung eines Orientierungsrahmens, eines der Handlung übergeordneten semantischen Gehalts, jedoch aus meinem Blickfeld. Wie bei einem Puzzle, welches nicht gelingt, sobald man sich so stark in der differenzierten Betrachtung eines jeden
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Einzelteils verliert, dass das Einsortieren und die Anschlussfähigkeit an die anderen Teile in den Hintergrund treten, erschlossen sich mir eher einzelne Handlungsaspekte der Proband/innen als ein ihre Praxis strukturierendes Muster. Die Wahl der Vorgehensweise der vorliegenden Datenauswertung fiel schließlich auf die dokumentarische Methode, die von Bohnsack in Anlehnung an Garfinkel und Mannheim zu einem methodologisch konzeptualisierten Auswertungsverfahren der qualitativen Sozialforschung ausgearbeitet wurde und die es ermöglicht, „über eine Abfolge von Handlungssequenzen oder von Erzählsequenzen zu Handlungen hinweg Kontinuitäten zu identifizieren“ (Nohl, 2008, S. 51). Die Motivation, die der Wahl dieses Auswertungsverfahrens zugrunde lag, bestand in dessen Ausrichtung auf die rekonstruktive Analyse des handlungsleitenden Wissens der Proband/innen, die auf das Wie ihrer Handlungen abzielt. Bezogen auf die vorliegende Fragestellung, ermöglicht die Anwendung der dokumentarischen Methode die Hinwendung zu einer von den Proband/innen unbeabsichtigten Dokumentation einer Bedeutungsstruktur, die ihren Handlungen, in diesem Fall der Wahl der Qualifikationsmaßnahme, der Positionierung im Feld und ihrer Karrierekonstruktion, zugrunde liegt. Der Blick richtet sich folglich auf das Handlungsprocedere der befragten Personen, das Was bzw. den immanenten Sinngehalt, und dessen dahinterliegende orientierungsgebende Sinnausdeutung, dem Wie bzw. dem dokumentarischen Sinngehalt. Aus der Verknüpfung zurückliegender Erfahrungen mit der aktuellen Situation und dem daraus resultierenden Wissen generieren die Proband/innen einen praktischen Sinn, der bewirkt, dass sie sich mit ihrem Handeln im Einklang fühlen. Dieser Schritt ist der Praxis nachgeordnet, die zunächst vorwiegend spontan und unreflektiert erfolgt. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von „intentionsloser Intentionalität“ (Bourdieu zitiert nach Eder, 1989, S. 397); Schütz fasst diesen Aspekt unter der Bezeichnung „Um-zu-Motiv“, in welchem sich durch eine bestimmte Art von Motiven der subjektive Sinn des Handelns konstituiert (Schütz, 1974, S. 115ff.). Im Folgenden soll die Grundstruktur der gewählten Auswertungsmethode sowohl mit der Intention der Möglichkeit der Prozessrekonstruktion als auch zum Zweck der Validierung der gewonnenen Ergebnisse dargelegt werden. Das Vorgehen nach der dokumentarischen Methode gliedert sich in vier Schritte, die im Folgenden unter Bezugnahme auf die hier vorliegende Forschungsfrage expliziert werden sollen. Die geführten Interviews wurden zunächst im Sinne der formulierenden Interpretation ohne Einbeziehung von theoretischem oder kontextualisiertem Wissen beschrieben und systematisch zusammengefasst. Dieser Schritt verbleibt vollends auf der inhaltlichen Ebene der Äußerung der Befragten; auch signifikante Begriffe werden übernommen (bei-
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spielsweise die Bezeichnung „Kontrahent“ für einen Mitbewerber, „Mischwald“ für die Darstellung einer führungsstarken, aber nicht dominanten Leitungsvorstellung). Die formulierende Interpretation ermöglicht eine thematische Gliederung und Entschlüsselung der Schwerpunktsetzung der Proband/innen, die trotz einer leitfadengestützten Frageorientierung erheblich variieren kann. Beispielhaft soll hier auf einen Transkriptausschnitt der vorliegenden Untersuchung zur Veranschaulichung des formalen oben geschilderten Vorgehens – zunächst der formulierenden Interpretation – zurückgegriffen werden18: „Ich probier einfach aus. Ne? Neue Ideen ins Kollegium einzubringen. Ich hab mich gerade vorgestern hingesetzt. Ich möchte gerne, dass wir was machen. Das hab ich auch mit keinem besprochen. Ich werd versuchen, das auf der Konferenz so vorzutragen, dass alle sagen: Oh ja, das wollen wir machen (lacht). So was mache ich dann, ich probier mich aus, ohne dass davon wirklich was für mich abhängt.“ (Frau Andres, Z. 243-247)
Oberthema: Anwendung der neu erworbenen Schulleitungsqualifikation Unterthema: neue Ideen ins Kollegium einbringen Frau Andres nutzt ihre neu erworbene Schulleitungsqualifikation dafür, innerhalb ihrer Schule zur Umsetzung „neuer Ideen“ anzuregen. Sie kann sich dadurch unverbindlich „ausprobieren“ und ihre Überzeugungskraft ihrem Kollegium gegenüber testen.
In dieser ersten Arbeitsphase kann neben der thematischen Rahmung auch bereits eine erste Relevanzsetzung identifiziert werden, da „Fokussierungsmetaphern“ (Bohnsack, 2007, S. 123), lange narrative Sequenzen (häufig mit Beispielen oder Gesprächswiedergaben in wörtlicher Rede) und eine hohe Eigendynamik im eventuell deutlich über die Frage hinausgehenden Erzählen zeigen, dass die Proband/innen sich ganz im Erzählen verlieren, da ein ihnen bedeutsamer Gegenstand behandelt wird. Im nächsten Schritt entfernt man sich von der deskriptiven Darstellungsweise und wendet seinen Blick von der inhaltlichen Handlungsebene auf die Art und Weise der Handlungsdarstellung. Nachdem man sich mit Hilfe einer thematischen Abfolge vor Augen geführt hat, welche Inhalte die interviewte Person an-
18 Wenngleich in der dokumentarischen Methode das partielle Transkribieren einzelner Audiopassagen zulässig ist, die eine Passung zur Fragestellung und eine hohe narrative oder metaphorische Dichte aufweisen, wurden die ersten 13 Interviews vollständig transkribiert; bei den letzten drei Interviews wurde eine reduzierte Transkription vollzogen.
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gesprochen hat, folgt die Analyse des Darstellungsmodus, die reflektierende Interpretation. Hier wird zunächst eine Identifikation der Textsorten vorgenommen, denen das Geäußerte entspricht. Nohl unterscheidet zwischen Erzählung, Beschreibung, Argumentation und Bewertung (Nohl, 2008, S. 48f.). Dabei lassen sich insbesondere in Erzählungen und Beschreibungen die Erfahrungen der Befragten auf der Ebene der „unmittelbaren Handlungspraxis“ (Nohl, 2008, S. 48) identifizieren. Diese werden als „atheoretisches, konjunktives Wissen“ bezeichnet (Nohl, 2008, S. 49). In der Argumentation und Bewertung hingegen löst sich die befragte Person ein Stück weit von ihrem ursprünglichen Erlebnis und wendet sich stärker der Ebene der Interviewerin bzw. des Interviewers zu. Die Probandin bzw. der Proband versucht, die zuvor geschilderten Abläufe zu kommentieren und durch Stellungnahmen zu explizieren. Dieser Vorgang wird in der dokumentarischen Methode als „theoretisches, kommunikatives Wissen“ (Nohl, 2008, S. 49)19 bezeichnet. Diese reflektierende Interpretation wird zunächst auf der Ebene eines jeden Interviews vollzogen, bevor die Interviews fallübergreifend miteinander verglichen werden: Oberthema: Anwendung der neu erworbenen Schulleitungsqualifikation Unterthema: neue Ideen ins Kollegium einbringen Z. 243: Proposition durch Frau Andres Frau Andres wirft zum ersten Mal ihre Orientierung einer ausprobierenden Haltung innerhalb ihres Kollegiums auf.
Z. 243-246: Elaboration und Exemplifizierung (Erzählung und Beschreibung) durch Frau Andres Frau Andres arbeitet ihre Orientierung weiter aus und veranschaulicht das Ausprobieren, indem sie im Modus des Erzählens ihre konkrete Handlungspraxis beschreibt, die darin besteht, eigenständig eine neue Idee im Rahmen der anstehenden Konferenz vorzutragen. Ihrem Tun geht sowohl eine inhaltliche Vorbereitung („hingesetzt“) als auch eine performative („werd versuchen… so vorzutragen“) voraus. Sie verdeutlicht schließlich, dass es
19 Bei Gruppendiskussionen kann in dieser Phase eine hohe interaktive und metaphorische Dichte festgestellt werden. Diese Phasen eignen sich insbesondere zur Identifikation der Orientierungsrahmen der Teilnehmenden.
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einer motivationalen Darbietung ihrerseits bedarf, um die Zustimmung des Kollegiums zu erwirken. Die Exemplifizierung unterfüttert die oben rekonstruierte Orientierung durch ein konkretes Beispiel für ihre handlungspraktische Umsetzung.
Z. 246-247: Differenzierung durch Frau Andres Frau Andres konsolidiert ihren Orientierungsgehalt („so was mache ich“) und markiert gleichzeitig die Grenze ihrer Orientierung, die im Ausprobieren ohne Verbindlichkeit und Konsequenzen besteht. Sie verbindet mit der Qualifizierung zur Schulleitungstätigkeit nicht das Ziel eines Positionsanstiegs, sondern interpretiert diese im Sinne einer zwanglosen Enaktierung von Innovationen in gleicher Position.
Obgleich die Sinnstruktur der Probandin hinsichtlich der Verwendung ihrer erworbenen Qualifizierung im vorliegenden Transkriptausschnitt bereits recht offenkundig wird, lässt sich erst von einem reliabel identifizierten Orientierungsrahmen sprechen, wenn an thematisch unterschiedlichen Stellen des Interviews eine homologe Struktur herausgearbeitet werden kann. Beispielhaft soll hier noch eine weitere Sequenz ergänzt werden: „Also, diese Fortbildungen verschaffen mir mehr Klarheit darüber, ähm… also unabhängig von Schulleitung, überhaupt als Lehrer, da leite ich ja auch eine Klasse und die Eltern an, überhaupt in dem eigenen Job strukturierter zu sein und zu wissen, worauf es ankommt, sowohl in Konfliktbereichen, Kommunikationsbereichen, Gremienbildung und Teambildung. Ich würde sagen, was ich aus den Fortbildungen mitgenommen habe, versuche ich auch hier im Kleinen umzusetzen.“ (Frau Andres, Z. 108-113)
Bei der Rückbindung der Schulleitungsqualifizierung auf deren Inhalte sowie deren Umsetzbarkeit „im Kleinen“ unter gleichzeitiger Distanznahme von einer Aufstiegsorientierung („also unabhängig von Schulleitung“) handelt es sich um eine Perspektive, die über die gesamte Berichterstattung der Probandin Frau Andres aufrechterhalten und widerspruchsfrei entfaltet wird. Durch die Kontrastierung mit Interviewsequenzen weiterer Proband/innen tritt die Ausprägung der als experimentell-aktionistisch zu bezeichnenden Orientierung der Probandin besonders evident hervor und lässt sich sukzessive konkretisieren. Zur Entschlüsselung von Orientierungsrahmen, die bei unterschiedlichen Personen sehr different ausfallen können, wird daher so früh wie möglich der Schritt der komparativen Analyse vollzogen, der darin besteht, stark narrativ beschaffene Interviewabschnitte zweier oder mehrerer Interviews einander
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gegenüberzustellen, um die verschiedenartigen Hintergründe herauszuarbeiten, vor denen die Proband/innen ihre Handlungen abbilden. So stellt sich die Passage mit der thematischen Ausrichtung auf die Anwendung der neu erworbenen Schulleitungsqualifikation bei einer weiteren Probandin des vorliegenden Untersuchungssamples wie folgt dar: „Ich hab ja diese letzte positive Rückmeldung, also diese besonders positive Rückmeldung durch diese Fortbildung bekommen. Daraufhin hab ich mir den Mut gefasst: So, dann bewerb ich mich jetzt auch.“ (Frau Benecke, Z. 135-137)
Ohne an dieser Stelle eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Sequenz zu betreiben, wird bereits deutlich, dass sich hier ein differenter empirischer Vergleichshorizont andeutet. Diese Probandin rekurriert weder auf die Inhalte der Qualifizierungsmaßnahme noch auf eine mögliche Implementierung neuen Wissens in ihr derzeitiges Kollegium. Ihrer argumentativen Elaboration ist hingegen zu entnehmen, dass sie den Wert der erworbenen Qualifikation in erster Linie in der erhaltenen persönlichen Bestätigung sieht, die ausschlaggebend für eine sich anschließende Bewerbung und demzufolge für einen Positionsanstieg war. Ihr Orientierungsrahmen ist folglich im Kontrast zur Probandin Frau Andres als eher zweckrational zu charakterisieren. Durch die komparative Analyse erhellt, fällt im weiteren Verlauf des Interviews mit Frau Benecke auf, dass neben einer gewissen Zweckrationalität eine zweite Orientierung im Datenmaterial erkennbar wird. Die Probandin nimmt eine beständige Aktualisierung und Exemplifizierung ihres Orientierungsgehalts einer Bestätigungsbedürftigkeit vor: „Und hatte da ganz viel positive Rückmeldung, indem dann Kollegen sagten: Das war unglaublich. Das merkte man gar nicht, dass das so spontan war, dass du gar nicht vorbereitet warst und eben erst die Zusage hattest. Und dann hab ich noch mal von der Frau X die Mail bekommen, so als Feedback. Sie hat sich noch mal dafür bedankt, dass ich mich bereiterklärt hab und hat, also die hat, so ’ne tolle Mail hab ich noch nicht in meinem Leben bekommen.“ (Frau Benecke, Z. 111-116)
Hier zeigt sich, dass das bei dieser Verfahrensweise recht früh eingesetzte Vergleichen zwischen mehreren Interviews das Aufspüren des individuellen Rahmens eines jeden Akteurs erleichtert, weil just in der Konfrontation mit den Erzählsequenzen anderer Interviews die implizite Systematik und Nachwirkung eines Erzählabschnitts auf den nächsten ins Auge fällt. Bohnsack erläutert, dass die bzw. der Interviewte „über den Aufbau seiner Erzählung nicht reflektiert, sondern ihn intuitiv vollzieht“ (Bohnsack, 2007, S. 94), wodurch sich die unbe-
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wusst gewählte Fokussierung eigendynamisch weiterentwickelt und die Erzählerin bzw. der Erzähler in dem einmal eingenommenen Blickwinkel fixiert bleibt. Die Rekonstruktion solch einer spezifischen Orientierung ist das Ziel, dem man sich insbesondere mit dem Herzstück der dokumentarischen Methode, der komparativen Analyse, annähert. Dieser Schritt löst den Analyseprozess vom Einzelfall, so dass all die Fälle, in denen derselbe Orientierungsrahmen, ein als „tertium comparationis“ (Nohl, 2008, S. 60) bezeichneter gemeinsamer Nenner, sichtbar wird, anschließend gemeinsam typisiert werden können. Die stets im Zusammenhang mit qualitativer Analyse aufgeworfene Gefahr der interpretativen Verzerrung durch die Subjektivität der bzw. des Forschenden wird durch diese Handlungsweise reduziert, indem in der komparativen Analyse die Orientierungen der anderen Proband/innen zum Vergleichshorizont erhoben werden und nicht die Position der bzw. des Untersuchenden (vgl. Bohnsack, 2007, S. 236). Als Beispiel soll hier eine Interviewsequenz fungieren, in der die von Frau Benecke aufgeworfene Sinnstruktur des Bestätigungsbedarfes in einem Interview mit dem Probanden Herrn Panitz ebenfalls zu identifizieren ist: „Er hat eine Beurteilung geschrieben, die war super gut. Und er hat nicht nur runter geschrieben: Ich kann Herrn Panitz empfehlen, sondern: Ich kann Herrn Panitz sehr empfehlen. Das fand ich sehr, sehr schön. Das war für mich so ein ganz persönliches Bonbon. […] Da hab ich mir gesagt: Das war gut. Und ein Freund von mir, der im Ministerium arbeitete, der sagte: Walter, du hast dich super verkauft, bleib dran.“ (Herr Panitz, Z. 94-103)
In beiden Interviews finden sich Exemplifizierungen einer hohen Bedeutungsbeimessung von Bestätigung, die in Form von ausführlichen Erzählungen sowie dem Aufwerfen negativer Gegenhorizonte im Falle eines Ausbleibens der Bestätigung dargelegt werden. Diesen Bestätigungsbedarf zu identifizieren gelingt nur, wenn andere Interviews als Kontrast herangezogen werden und die Möglichkeit aufwerfen, dass derselbe Weg auch ohne Erfordernis der Bestätigung durch andere gegangen werden kann. Dem gesamten Vorgehen liegt, wie aus obiger Darstellung deutlich geworden ist, die Fokussierung auf eine hypothesengenerierende Analyseebene der empirischen Daten zugrunde. Das heißt, die empirischen Daten werden nicht theoretischen Kategorien untergeordnet, sondern die theoretischen Bestandteile werden aus den erhobenen Daten entwickelt und an jeweils anderen Fällen überprüft. So entsteht die erste Typenbildung20. Die
20 Zu den unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Typenbildung, der Abgrenzung zwischen Real- und Idealtypen sowie empirischen und heuristischen Typologien siehe
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von mehreren Proband/innen geteilte Praxis – im Sinne einer „Handschrift“, die sich in verschiedenen Handlungsfeldern zeigt und der eine spezifische, sprachlich nicht explizierbare Akzentsetzung zugrunde liegt – bildet die Grundlage für die Rekonstruktion sinngenetischer Typen. Ein typenbildendes Verfahren ermöglicht im vorliegenden Fall eine Loslösung von der Interpretation des Karriereverlaufes eines Einzelfalls im Kontext der individuellen Lebensgeschichte zugunsten einer Analyse einzelfallübergreifender Orientierungsrahmen. Die Basistypik konstituiert sich bereits durch das Erkenntnisinteresse, welches dem Forschungsprozess zugrunde liegt. In der vorliegenden Untersuchung wird folglich eine „Basistypik der Bewältigung einer Statuspassage“ eruiert. Dafür müssen die empirischen Daten, die zunächst als komplexe Alltagswirklichkeiten vor der bzw. dem Forschenden liegen, gewissen Fokussierungen unterworfen werden, die die Gesamtheit der Umstände beschneiden, aber den Erkenntnisgewinn des Forschungsinteresses protegieren. Weitere Fragestellungen, denen aufgrund der Datenlage ebenfalls nachgegangen werden könnte, wie beispielsweise der Motivlage für das Aufstiegsinteresse ins Schulleitungsamt, mussten aus dem Analyseprozess ausgeklammert werden, um die Zielgerichtetheit der zentralen Intention der Untersuchung nicht zu gefährden. Die „Basistypik der Bewältigung einer Statuspassage“ umfasst vier unterschiedliche Bewältigungsformen des Karriereverlaufs, die sich zwischen den Grundhaltungen Abgrenzung versus Nähe zum Feld auf der einen Achse sowie Zielbewusstheit versus Vagheit auf der anderen verorten lassen. Mit der Orientierung an Abgrenzung oder Nähe können sowohl die Bezugnahme auf das soziale Umfeld als auch dessen Auswirkungen (in Form der a-priori-Positionierung) auf den Statuspassagenverlauf in den Blick genommen werden, während die Kriterien Zielbewusstheit oder Vagheit auch die Konsequenzen der Qualifizierungswahl der Proband/innen in den Fokus rücken. Während des Prozesses der Konstitution der sinngenetischen Typologie und nach deren vorläufigem Abschluss kommt der intersubjektiven Diskussion ein erhöhter Stellenwert zu. So soll verhindert werden, dass auf die offene Beobachtungsperspektive und die Sensibilität für die Denkweisen und Haltungen der Proband/innen, die noch beim Zugang ins Feld herrschten, bei Ansicht und Konzeptualisierung der Daten plötzlich eine vorschnelle Schemabildung folgt. Die
Kluge (1999, S. 51ff. und S. 257ff.). In der vorliegenden Untersuchung werden auf Grundlage einer empirischen Realtypenkonstruktion theoretische Erklärungen und Sinnzusammenhänge formuliert; folglich wird die Auseinandersetzung mit dem auf Weber zurückgehenden Idealtypus vernachlässigt.
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gewonnenen Deutungsmuster dieser Forschungsarbeit wurden sowohl mit Forschenden des eigenen Faches als auch mit fachfremden Personen diskutiert, um Erkenntnisvarianten zu evozieren, neue Impulse zur Bereitschaft der Hinterfragung erarbeiteter Resultate zu setzen und eine Bewusstmachung der eigenen apriorischen Konzepte und subjektiven Sichtweise zu ermöglichen21. In diese Phase fällt auch das Hinzuziehen einiger ergänzend erhobener Daten zum Zweck der Gewinnung weiterer differenzierender Merkmale für bereits vorliegende Analyseeinheiten sowie bislang unentdeckter relevanter Aspekte. An den Schritt der sinngenetischen Typenbildung schließt sich unweigerlich die Frage an, worauf diese aufgefundenen gemeinsamen Orientierungsrahmen zurückzuführen sind. Ist die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wie einer Generation, einem bestimmten Milieu oder dem weiblichen bzw. männlichen Geschlecht bedeutsam für die Ergebnisse meiner sinngenetischen Typenbildung? Das muss sich nun, wenn man den Blick auf diese Strukturdimensionen richtet, erst erweisen. Für diese neue Suchrichtung wurden erneut Vergleiche zwischen den Fällen angestellt, die Aufschluss darüber geben sollen, in welcher Weise das Handeln von einem dieser sozialen Faktoren beeinflusst ist. Da soziale Disparitäten zwischen meinen Proband/innen im Rahmen des mir möglichen Einblicks nicht bestanden, weil alle ein Hochschulstudium abgeschlossen haben, eingehendere Erkenntnisse über den biographischen Kontext und die Ursprungsfamilie auf Basis der auf die Fragestellung der Arbeit zugeschnittenen Befragung nicht gewonnen wurden und auch die Generationenzugehörigkeit aufgrund der Samplestruktur keine geeignete Analyserichtung darstellte, bot es sich an, die Geschlechtszugehörigkeit in den Fokus zu rücken. Ändert man dementsprechend den Blickwinkel auf die zuvor verglichenen und innerhalb des ersten tertium comparationis entwickelten Orientierungsrahmen und betrachtet sie unter dem Schwerpunkt der Geschlechterzugehörigkeit, fallen unterschiedliche Bedingungen und Bearbeitungen der Statuspassage auf soziomorpher Ebene ins Auge. Es können Faktoren herausgearbeitet werden, die darauf hinweisen, dass sich die Geschlechtszugehörigkeit in gewissen Aspekten der Statuspassage ins Schulleitungsamt als relevant erweist. In der Gemeinsamkeit eines zuvor in der sinngenetischen Typenbildung erarbeiteten Typus zeigen
21 Präsentationen der Arbeitsintervalle fanden in folgenden Gruppen statt: im Colloquium bei Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland, in einer Forschungswerkstatt im Rahmen des 15. Magdeburger Methodenworkshops am 10./11.02.2012, innerhalb der Teilnahme an der NetzWerkstatt der Universität Berlin sowie bei einer geschlechter- und arbeitssoziologischen Forschungswerkstatt am 20./21.07.2012 an der Universität Leipzig.
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sich nun Differenzen zwischen den Geschlechtern, die in einer soziogenetischen Analyse22 analysiert werden. Die bisherige Explikation des Auswertungsvorgehens nach der dokumentarischen Methode ließ einen Aspekt noch unberücksichtigt: Da dem Forschungsdesign eine Triangulation der Erhebungsmethoden zugrunde lag, muss neben dem Auswertungsprocedere des Interviewmaterials auch die Herangehensweise an das erhobene Datenmaterial der teilnehmenden Beobachtung entfaltet werden. Bei der Anwendung der dokumentarischen Methode auf Beobachtungsprotokolle werden diese bereits als formulierende Interpretation und demzufolge als erster methodischer Schritt betrachtet, da trotz Neutralitätsversuchs immer bereits Interpretationstendenzen in die Verschriftlichung von Beobachtetem hineinspielen. Die reflektierende Interpretation wurde auf jene Passagen der Protokolle aus der teilnehmenden Beobachtung angewendet, die hinsichtlich der Forschungsfrage als relevant erachtet wurden. Das indizierte Procedere des systematischen Vergleichens, die komparative Analyse, war insbesondere für das Herausarbeiten von Kontrasten und Homologien zur Erzeugung einer institutionellen Charakteristik der beiden Qualifizierungsmöglichkeiten von Bedeutung (vgl. Kapitel 6.1 und 6.2). Dabei galt das Augenmerk dem szenischen Arrangement, welches sich in den räumlichen Gegebenheiten, den Ablaufmustern sowie der inhaltlichen Struktur der Qualifizierungsmaßnahme darstellt. Sowohl hinsichtlich der sinngenetischen Typenbildung als auch der soziogenetischen Analyse wurde den Sequenzen in den Protokollen besondere Beachtung geschenkt, in denen sich Positionierung und interaktive Bezugnahme der Akteure dokumentieren. Von Interesse waren dabei sowohl die Teilhabe am Seminarablauf als auch die Handlungen und Interaktionen zwischen den Teilnehmenden. Passagen der Beobachtungsprotokolle, die darüber Aufschluss gaben, wurden daraufhin untersucht, ob sich hinter der protokollierten Handlung ein Orientierungsrahmen offenlegen lässt, der aus den Interviews bereits herausgearbeitet wurde oder die bisherigen Befunde ergänzt. Dies soll mit einem Beispiel verdeutlicht werden:
22 Die dokumentarische Methode verwendet für diese Phase des Interpretationsprozesses klassischerweise den Ausdruck soziogenetische Typenbildung. Da in vorliegender Untersuchung jedoch keine zweite Typologie erstellt wurde sondern die identifizierten geschlechterdifferenzierenden Aspekte die Darstellungsstruktur bilden, verwende ich im Folgenden die Bezeichnung soziogenetische Analyse.
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Eine GS-Schulleiterin (46) erzählt in einem informellen Pausengespräch, sie habe sich irgendwann mal gesagt, sie sei Schulleiterin bis sie 45 sei. […] Sie berichtet von ihrem Werdegang und davon, dass sie zunächst eine Phase als Konrektorin zur Vorbereitung nutzte. […] Tn (m) sitzt ihr gegenüber. Er sagt: „Ich fahre gerne mit dem Rad, auch sportlich bergauf. Das ist wie mit der Schulleitung vielleicht. Ich möchte mich auch mal bewerben, glaube ich. Bergauf ist für mich nichts Negatives.“ Die Schulleiterin lacht: „Also dann würde ich sagen, hab ich mir mit der Konrektorenzeit schon mal die richtigen Schuhe angezogen.“ Zwei danebensitzende Teilnehmerinnen, die sich in einem vorigen Gespräch bereits von Aufstiegsbestrebungen distanziert hatten („wir müssen nicht unbedingt Schulleitung sein“), hören zu und reagieren verbal nicht auf den Dialog. Sie drehen nun ihre Oberkörper etwas von den Sprechenden weg, wenden sich einander zu und vertiefen sich leiser in ein Gespräch über eine anstehende Projektwoche. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 84-98)
In dieser Szene zeigt sich, dass die von der Teilnehmerin aufgeworfene Vorgehensweise eines allmählichen positionellen Anstiegs von ihrem Gesprächspartner aufgegriffen und verdichtet wird. Er elaboriert ihre Proposition durch eine dramaturgische Verdichtung vor dem Hintergrund eines sportlichen Kontextes. Sein entfaltetes Deutungsmuster, Positionsanstieg sei vergleichbar mit sportlicher Herausforderung, ist für sie zwar unvertraut – sie lacht –, dennoch liegt diesem inhaltlich ein konjunktiver Erfahrungsraum zugrunde, den sie mit dem Sprecher teilt. Folglich kann sie spontan die metaphorische Beschreibung aufgreifen, so dass es zu einer parallelisierenden Diskursorganisation kommt. Ohne hier weiter ins Detail gehen zu wollen, lässt sich resümieren, dass sich beide Personen in ihrer subjektiven Intention von Aufstiegsorientierung und Zielstrebigkeit vereinen. Die beiden anderen Teilnehmerinnen hingegen können nicht interaktiv auf diesen Diskurs Bezug nehmen, da sie den ihm zugrunde liegenden Orientierungsrahmen nicht teilen. Sie regen keine oppositionelle Diskursorganisation an, sondern wenden sich ab und thematisch ihrem differenten Handlungsrahmen – einer inhaltlichen Orientierung – zu. Auch in ihrer Hexis dokumentiert sich die empfundene Differenz: Durch körperliches Abwenden und leise Intonation markieren sie eine Grenze zwischen den dialogisierenden Personen und sich. Bei den vier Akteur/innen deuten sich Orientierungsrahmen respektive Modi der Bewältigung der Statuspassage an, die sich auch aus Interviews mit anderen Proband/innen eruieren ließen. Obiges Beispiel sollte zeigen, dass die „Perspektivendiversifikation“ (Willems, 1997, S. 297), die durch die Triangulation von Beobachtung und Interviewführung erreicht werden kann, unterschiedliche Zugänge zu den Orientierungsrahmen von Lehrkräften auf dem Weg ins Schulleitungsamt, mit anderen
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Worten zu den die Statuspassage strukturierenden habituellen Prädispositionen, ermöglichen soll. Damit ist die Veranschaulichung des Auswertungsvorgehens abgeschlossen und mit der Einführung in das Feld des Studienganges „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ sowie in das des „TVaS“, die durch die Darstellung der beobachteten Veranstaltungen erfolgt, kann ein erster Blick auf die Ergebnispräsentation gerichtet werden.
6. Einführung ins Forschungsfeld
Dieses Kapitel beschreibt einführend das Feld, in dem die ethnographische Beobachtung durchgeführt wurde. Es handelt sich um die situative Darstellung einer Präsenzveranstaltung des Studienganges „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ sowie zweier Module des „Trainings zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“. Dabei soll ein Eindruck beider Fortbildungsveranstaltungen nicht nur durch Beobachtungen, sondern auch bereits durch die Ergänzung einiger erhobener verbaler Daten sowie analytischer Anmerkungen vermittelt werden; dies geschieht jedoch mit der Ausrichtung auf eine reduzierte Wiedergabe zum Zwecke der Veranschaulichung und unter Vermeidung von Redundanz. Verzichtet wird zugunsten einer Auffächerung rein strukturell-organisatorischer Abläufe, die es ermöglichen soll, den Charakter der Institutionen zu erfassen, an dieser Stelle noch auf akteurorientierte Fokussierungen wie die Wiedergabe von Feinheiten in interaktionellen Prozessen1. Diese fließen in die Typologie mit ein.
6.1 E INFÜHRUNG INS F ELD : P RÄSENZVERANSTALTUNG DES S TUDIENGANGES „M ASTER FÜR S CHULMANAGEMENT UND Q UALITÄTSENTWICKLUNG “ Die ethnographisch beobachtete Präsenzveranstaltung des Studienganges „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ fand im Oktober 2010 an
1
Damit sind beispielsweise umfängliche interaktionelle und kommunikative Handlungen während Gruppenarbeitsphasen gemeint.
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einem Freitagnachmittag und Sonnabend an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel statt. 95 Studierende des ersten, zweiten und dritten Semesters nahmen an dem Präsenzseminar teil. In der Eingangshalle des Universitätsgebäudes befindet sich auf der rechten Seite ein Flipchart, dem man die Raumnummern und Namen der Dozentinnen und Dozenten der drei angebotenen Module entnehmen kann. Auf der linken Seite ist ein Buffet mit Kaffee, kalten Getränken, Kuchen, belegten Brötchen und Obst aufgebaut. Zwei Koordinatorinnen, die Namensschilder tragen, bedienen die Studierenden. In der Mitte der Eingangshalle stehen einige Stehtische. Die eintreffenden Studierenden – in legerer Garderobe – legen weder Jacken noch Taschen ab, versorgen sich mit Getränken und Kuchen und stellen sich an die Tische. Da die Studierenden sich untereinander nicht zu kennen scheinen, ihnen die Koordinatorinnen jedoch in ihrer Funktion als Ansprechpartnerinnen für alle organisatorischen Fragen bekannt sind, dienen sie als erste Gesprächspartnerinnen. Der Eingangsbereich füllt sich allmählich und es entstehen erste Gespräche. In den Interaktionsmustern dominieren Zurückhaltung und flüchtige Themenwechsel, die sich überwiegend auf die Anfahrtssituation, Parkplatzsuche und die Erwartungen an die Veranstaltung beziehen. Die Äußerungen enthalten partiell ermutigende Elemente, verlaufen jedoch schnell im Sande, da die Teilnehmenden einander überwiegend fremd sind: 1. Tn (w): „Bin ja gespannt, wie’s hier gleich wird.“ 2. Tn (w): „Ja. Die erste Einsendeaufgabe war ja schon mal sehr aufwändig. Fanden Sie das auch?“ 1. Tn (w): „Ja, ich hab’s dann zum Teil erst mal gelassen.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 13-32) Die Veranstaltung beginnt im Hörsaal, welcher ca. 200 Personen Platz bietet. Die meisten Teilnehmenden sitzen alleine und lassen einen Platz zur nächsten Person frei. Die ersten Reihen bleiben unbesetzt. In der Begrüßung des Initiators dieses Studienganges werden insbesondere die 39 Erstsemester-Studierenden herzlich willkommen geheißen, deren hohe Zahl mit Freude zur Kenntnis genommen wird. Die steigende Anzahl Immatrikulierter wird in der Begrüßungsansprache auf die erfolgreiche Mund-zu-Mund-Propaganda von Lehrkräften in ihren Kollegien und Bekanntenkreisen zurückgeführt, zu deren Fortführung auch umgehend ermuntert wird, da die Marketingstrategien weniger erfolgreich seien. Die Ansprache endet mit der Verlautbarung über das Missfallen, dass die Teilnahmebereitschaft der Studierenden an der am Abend stattfindenden feierlichen Übergabe der Masterurkunden sehr gering sei und mit der Ankündigung, dass die Modalitäten zum kommen-
6. E INFÜHRUNG
INS
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den Semester so verändert werden, dass mehr Zuschauerinnen und Zuschauer dieser Feier 2
beiwohnen. Konkrete Vorhaben werden nicht benannt.
Es schließt sich ein einstündiger Vortrag – unterstützt von einer PowerPoint-Präsentation – eines Professors der Universität Marburg zum Thema „Hochbegabung: Wie sie erkannt und gefördert werden kann“ an. Die Studierenden hören zu, ohne mit Nebentätigkeiten beschäftigt zu sein. Einmal klingt ein Handy; zwei Studentinnen kommen nacheinander zu spät und schleichen, ohne etwas zu sagen, auf einen freien Platz. Einige Studierende haben Flaschen mit Getränken auf ihrem Platz. Nur vereinzelt wird etwas mitgeschrieben. Die Witze des Dozenten werden mit lautem Lachen quittiert. Der Dozent beendet seinen Vortrag mit einem Witz und fordert dazu auf, Fragen zu stellen. Es melden sich zwei Studenten. […] Es folgt die Verabschiedung eines Professors, der den Studiengang „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ mitgegründet hat und sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzieht. Er erhält Blumen und lauten Applaus. Eine der beiden Koordinatorinnen tritt an das Mikrofon und gibt organisatorische Hinweise. Sie weist darauf hin, dass alle Studierenden vor den Synchronseminaren am heimischen Computer einen technischen Check mit ihren Headsets durchführen müssen und ermuntert zur Nutzung der Online-Konferenzräume, die dem gegenseitigen fachlichen und persönlichen Austausch dienen sollen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 54-97)
Bereits in dieser einführenden Phase zeichnen sich Disposition und Intention des Masterstudienganges, die auch im weiteren Verlauf des Wochenendseminars eine kontinuierliche Reproduktion erfahren, deutlich ab. Mit der Immatrikulation dokumentiert sich für die Akteure eine formale Rahmung ihrer Statuspassage vor universitärer Fassade. Der Hörsaal als Veranstaltungsort und die einführende Vorlesung wecken Assoziationen an das erste Studium und geben zugleich eine hierarchische Struktur vor, die die Modulleitenden und die Organisierenden den
2
Am Abend findet die Zeugnisübergabe des zweiten Absolventenjahrganges statt. Für die Teilnahme daran und das gemeinsame Essen konnte man sich im Vorfeld für einen Beitrag von 30 € anmelden. Während der Ankommensphase konnte hinsichtlich dieses Themas auch ein Dialog zwischen einer der Organisatorinnen und einer Studentin protokolliert werden: Tn (w): „Warum kommen denn bloß so wenige zur Zeugnisübergabe? Das ist echt blöd.“ Koordinatorin: „Tja, deshalb wird das jetzt auch Pflicht.“ Ich frage die Teilnehmerin, ob sie heute ihr Zeugnis bekommt. Sie strahlt und sagt: „Yes!“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 49-52).
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Studierenden überordnet. Letztere werden wiederum durch die semesterbezogenen Module und die ausdrückliche Begrüßung der Erstsemester hierarchisiert.3 Dennoch sind die Teilnehmenden nicht nur durch ihre Rolle als Kommilitoninnen und Kommilitonen einander verbunden, sondern zugleich potentielle Konkurrentinnen und Konkurrenten um erfolgreiche Beurteilungen und künftige Führungspositionen. Die gesamte Einführungsphase hat sowohl initiierenden als auch reproduzierenden Charakter. Die Erstsemester werden zunächst auf die Modalitäten der Online-Kontaktaufnahme hingewiesen und erhalten im weiteren Verlauf der Präsenzveranstaltung tiefergehende Einblicke in die Gepflogenheiten des Studienganges. Neben ihrer Initiation wird am Beispiel der Bedeutsamkeit, der der Teilnahme an der Zeugnisverleihung beigemessen wird, auch das reproduzierende Element deutlich: Den Studierenden wird die Erwartungshaltung entgegengebracht, die Spielregeln anzuerkennen. Zudem wird das Ziel verfolgt, die Partizipation an der Zeugnisvergabe zur selbstverständlichen Handlungspraxis auszubauen. Nach der Vorlesung im Hörsaal suchen die Studierenden die Räume auf, in denen die drei Module stattfinden, die von insgesamt sieben Dozent/innen (fünf männlich, zwei weiblich) geleitet werden. Die teilnehmende Beobachtung wird im Erstsemestermodul fortgesetzt in der Annahme, dieses sei hinsichtlich der Präsentation des Studienganges und des Sozialisierungsprozesses innerhalb der beginnenden Statuspassage besonders aufschluss4
reich. Das Modul der Erstsemester wird von 16 weiblichen und 19 männlichen Studierenden im Alter von Anfang 30 bis Ende 50 aufgesucht. Diese nehmen an der Tür ihre Namensschilder entgegen. Die Tische sind reihenweise in frontaler Ausrichtung platziert. Dieses Arrangement ist auf ein an einer Kopfseite des Raumes stehendes Pult, ein Smartboard und ein Flipchart fokussiert. Die Studierenden nehmen ihre Plätze ein, wobei zunächst freie Tische bevorzugt werden. Da sich der Raum zusehends füllt, schließen die Hinzukommenden zu bereits sitzenden Personen auf und begleiten dies mit der in der Sie-
3
Auch hinsichtlich der Hierarchie innerhalb des Studienganges ist diese Szene aufschlussreich: Die Abfolge der Redebeiträge orientiert sich an einer „interne(n) Rangfolge eines abfallenden Spannungsbogens“ (Friebertshäuser, 1992, S. 237) und weist der weiblichen Koordinatorin den letzten Redeplatz mit organisatorischer Botschaft zu.
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So schreibt Friebertshäuser über universitäre Einführungs- und Begrüßungsveranstaltungen: „So kann vermutet werden, daß alle wesentlichen Elemente der akademischen und der studentischen Fachkultur hier in komprimierter Form vorhanden sind“ (Friebertshäuser, 1992, S. 225).
6. E INFÜHRUNG
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Form gestellten Frage, ob sie neben der sitzenden Person Platz nehmen dürfen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 99-105) Die Dozentin und der Dozent, die das Modul „Qualität von Schule und Unterricht sichern und entwickeln“ gemeinsam leiten, betreten den Raum und begrüßen die Studierenden. Beide sind formal gekleidet. Im Anschluss an die Begrüßung verdeutlicht der Dozent die Intention der Zusammenkunft: „Wir nehmen uns hier 45 Minuten Zeit zum Kennenlernen. Das ist enorm viel, weil das unser soziales Ziel ist. Sie sollen hier Netzwerke bilden. Das ist eigentlich die einzige Gelegenheit, um sich wirklich kennenzulernen.“ Die Teilnehmenden sollen Dreiergruppen im Umkreis ihres Sitzplatzes bilden, sich vorstellen und jeweils nach erfolgtem Klatschen des Dozenten die Gruppen neu mischen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 113-123)
Der beschriebene Zeitabschnitt verdeutlicht, dass neben den oben erwähnten institutionellen Anliegen der Initiation und Reproduktion (vgl. Friebertshäuser, 1992, S. 62ff.) und dem offensichtlich erscheinenden Motiv der Wissensvermittlung ein übergeordnetes Ziel auf Seiten der Organisatorinnen und Organisatoren zu erkennen ist: die Entstehung sozialer Netzwerke. Dies kommt auch der Erwartungshaltung der Studierenden entgegen. Diese sind nicht nur bemüht, Aspekte des doing student5 erfolgreich zu bewältigen, sondern sich selbst zu präsentieren und soziale Kontakte, denen im weiteren Studienverlauf eine unterstützende Funktion zukommen und innerhalb derer das Voranschreiten der Statuspassage kollektiv erlebt werden kann, zu knüpfen.6
5
Die Bezeichnung doing student umfasst in diesem Fall die Bewältigungsversuche aller universitären Anforderungen sowie das Bestreben eine Vielzahl weiterführender Informationen aus dem Präsenzseminar mitzunehmen.
6
Zu diesem Aspekt findet sich in einem am ersten Abend der ethnographischen Beobachtung angefertigten Memo folgende Anmerkung, zu deren Erklärung Bourdieus „Multiplikatoreffekt“ (Bourdieu, 1992a, S. 64) herangezogen werden kann, der besagt, dass das den Akteuren bereits zur Verfügung stehende bzw. ihnen zugesprochene Kapital leitend dafür ist, welche weiteren Kapitalien noch erlangt werden können: Die aufgeschlossene Aufnahme im Feld sowohl von Seiten der Teilnehmenden als auch der Organisatorinnen und Organisatoren ruft eine sehr angenehme Atmosphäre für mich hervor. Trotz zunehmender Vertrautheit halte ich mich mit Äußerungen stark zurück, um die Aktivität der Teilnehmenden nicht zu verändern. Ich habe auch den Eindruck, dass die Studierenden eifrig das Ziel verfolgen in Kontakt mit anderen Studierenden ihres Semesters zu kommen, um eine tragfähige soziale Basis für das weite-
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Im Modul folgt ein Vortrag zum inhaltlichen Schwerpunkt des Seminars, der von dem Dozenten mit Unterstützung einer PowerPoint-Präsentation stehend gehalten wird und während seiner Dauer von ca. einer Stunde ohne Unterbrechungen, Randgespräche oder Nebenbeschäftigungen verfolgt wird. Die Studierenden machen sich kontinuierlich Notizen. Am Ende werden ein Handout und die Teilnehmer/innenliste herumgereicht. Im Anschluss eröffnet ein Studierender mit seinem Wortbeitrag, welchen er durch Heben des Armes ankündigt und erst nach gestischer Aufforderung des Dozenten beginnt, die Phase des Gedankenaustausches. […] Alle Sprechwünsche werden durch Melden angezeigt und jeweils durch den Modulleiter autorisiert. Inhaltlich beziehen sich die Kommentare vorwiegend auf Kritik an Schulleitungen und schlechte Erfahrungen mit diesen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 156-163)
Die Performanz des doing student findet im hier beobachtbaren Zuhören, Mitschreiben, bestätigenden Nicken und Melden seinen Ausdruck. Widerspruchslos überlassen die studierenden Lehrkräfte ihre eigene berufsbedingt „angestammte Frontalposition“ dem Dozenten und präsentieren die inkorporierte körperliche Haltung eines Lernenden. Ihre Gesichter und Körperhaltungen demonstrieren große Aufmerksamkeit und die Akzeptanz der Zuteilung der Redeerlaubnis durch den Dozenten verweist auf das hierarchische Gefälle. Die gesamte Inszenierung eines jeden einzelnen Akteurs ist auf zwei Adressaten ausgerichtet: die Leitenden und die Mitstudierenden. Beide Seiten fungieren als Zuschauer, denen die perfekte Passung zum institutionalisierten Feld vor Augen geführt werden soll. Der Gruppe der Mitstudierenden kommt jedoch eine Doppelrolle zu, da sie nicht nur Zuschauer, sondern auch auf gleicher Höhe angesiedelte Ensemblemitglieder sind, die neben der Darstellungsausrichtung auch der Spiegelung dienen. Zudem ist ihre Position im weiteren Präsenzseminar respektive voranschreitenden Studium weniger statisch als die der Dozierenden, da sie je nach Intensität der sozialen Kontakte mit ansteigender Vertraulichkeit von der Vorder- zur Hinterbühnenbesetzung überwechseln können. Die Studierenden bekommen im Modul nun den Auftrag, sich in Kleingruppen mit einer Kernaussage des Vortrags auseinanderzusetzen und entweder Praxisbeispiele dazu zu finden oder eine Gegenthese zu erstellen. Da das Ergebnis am Flipchart visualisiert und prä-
re Studium zu bilden, die ihnen später gegebenenfalls bei Schwierigkeiten unterstützend zur Seite steht. Da die Möglichkeit realer Kontakte in diesem Studiengang recht begrenzt ist, erwecken die Studierenden den Eindruck diese kostbare Zeit nicht mit mir vergeuden zu wollen, da ich ihnen später nicht mehr nützlich sein könnte.
6. E INFÜHRUNG
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sentiert werden soll, erhalten die Teilnehmenden von der Dozentin, die bislang noch nicht in Erscheinung getreten war, sondern die vorhergehenden Abläufe von ihrem Platz hinter dem Pult aus verfolgte, verschiedenfarbige Stifte und großes Papier. Die Gruppen bilden sich zwischen Personen, die nah beieinander sitzen, so dass niemand den Platz wechseln muss, sondern lediglich Stühle gerückt werden. Es entstehen sieben gemischtgeschlechtliche Gruppen und eine Gruppe mit ausschließlich männlichen Teilnehmern. In allen Gruppen beginnt ein reger Austausch, wodurch die Geräuschkulisse im Raum deutlich ansteigt. Innerhalb der Gruppen wird scheinbar mühelos von der Sie- zur Du-Form gewechselt. […] Während der Arbeitsphase gehen die Dozentin und der Dozent durch den Raum, werden aber durch die hohe Interaktionsdichte in den Gruppen nicht in Gespräche verwickelt. Es kommt zu der einzigen beobachteten Situation, in der Geschlecht von einer leitenden Person explizit thematisiert wird: Der Dozent geht an der einzigen Gruppe vorbei, die nur aus männlichen Teilnehmern besteht und sagt: „Nur Männer, ich glaub’s nicht.“ Ein Teilnehmer erwidert lachend: „Ich glaub, das ist unser Problem.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 181-231) Nach Ablauf der Gruppenarbeitszeit äußert sich erstmals die Dozentin und erläutert den Studierenden den weiteren Ablauf: Jede Gruppe soll ihr Arbeitsergebnis präsentieren, wobei vorweggenommen wird, dass einige Gruppen aus zeitlichen Gründen voraussichtlich erst am kommenden Tag an der Reihe sein werden. […] Nachdem drei Gruppen ihre Präsentation und eine sich jeweils anschließende Phase kurzer Nachfragen beendet haben, dankt ihnen die Dozentin und drückt aus, dass ihr die Arbeitsphase sehr gut gefallen habe. Sie ermuntert die Studierenden zu einer Rückmeldung durch einen hochgestreckten bzw. nach unten deutenden Daumen. Alle Studierenden zeigen einen nach oben gerichteten Daumen an. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 245269)
Die Wissensdemonstration im Fokus der Aufmerksamkeit aller Studierenden ist gekennzeichnet durch eine hohe Ernsthaftigkeit der Präsentierenden. Die Ergebnisse einer jeden Gruppe sind in zeichnerischer Form anschaulich auf einem Plakat abgebildet und werden durch mündliche Erläuterungen ergänzt. Die Präsentation einer Gruppe, zwei weibliche und zwei männliche Studierende, fällt jedoch aus dem Rahmen7:
7
Die Interaktionen dieser Gruppe während der Arbeitsphase rücken aufgrund ihres Aussagewertes hinsichtlich Geschlechterkonstruktionen innerhalb der Darstellung der soziogenetischen Analyse noch einmal in den Mittelpunkt des Interesses (vgl. Kapitel 8.2.2).
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Die beiden Männer gehen nach kurzem Zögern nach vorne, die beiden Frauen bleiben sitzen. Eine sagt: „Macht ihr mal.“ Das Plakat dieser Gruppe ist das einzige ohne eine Visualisierung, es steht lediglich die These „Unterrichtshospitationen und Rundgänge sind nur zielführend, wenn Transparenz und Akzeptanz im Kollegium besteht“ darauf. Die Männer nehmen eine lockere Körperhaltung rechts und links des Plakats ein und lesen lachend den Satz vor; einer der beiden Vorstellenden endet: „Uns fehlte die Zeit zum Visualisieren und wir wussten auch nicht, wie das geht.“ Sie setzen sich wieder und erhalten den stärksten Applaus aller Gruppen, Gelächter und einzelne „Juhu-Rufe“. Die Dozentin sagt lachend: „Vielen Dank. Umgang mit Schwächen müssen Sie ja nicht mehr lernen.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 364-371)
Der außergewöhnliche Charakter dieser Präsentation besteht darin, dass sie sich deutlich von der institutionalisierten Erwartungshaltung distanziert, die zum einen in einer Visualisierung und zum anderen in einer „ernsthaften“ Erläuterung dieser bestand. Die beiden Akteure verkörpern durch ihre nachlässige Präsentation und ihren gelassenen Umgang mit der Nicht-Erfüllung der von ihnen erwarteten Rolle eine Rollendistanz.8 Während die Teilnehmerinnen dieser Gruppe versuchen, die Präsentation zu umgehen, da sie mit dem Ergebnis unzufrieden sind – und eventuell auch in der Befürchtung, einen Statusverlust vor den Zuschauern sowie die Zuschreibung der Inkompetenz zu riskieren –, heben die männlichen Akteure das Defizit performativ hervor. Ihre Darbietung im Duktus einer Inszenierung wird auf dieser Ebene verstanden und in der ihr entsprechenden Rahmung aufgegriffen: Die Leiterin nimmt auf der Darstellungsebene Bezug auf die Gruppenarbeit, während sie alle anderen Präsentationen auf der fachlichen Ebene kommentierte, und drückt dadurch auch eine Solidarität mit den Studierenden aus. Auch vom Publikum wird der performative Charakter erkannt und durch lautes Applaudieren Anerkennung für die Inszenierung bekundet.9 In
8
Dass diese Präsentation keinesfalls einer a priori Anforderungsablehnung entspringt, sondern ein Resultat einer misslungenen Gruppenarbeit ist, die durchaus von dem Versuch geleitet wurde die entsprechende Aufgabe pflichtgemäß zu lösen, ist weder den Leitenden noch den anderen Studierenden bewusst und erschließt sich erst aus dem Gesamtkontext. Da diese Gruppe in der Arbeitsphase fokussiert wurde, sind nähere Erläuterungen möglich (vgl. Kapitel 8.2.2).
9
Am Beispiel des Schülerverhaltens konnte Budde Ähnliches aufdecken und resümierte: „Je größer die dargestellte Distanzierung zum Unterricht, umso größer ist das symbolische Kapital und damit der Statusgewinn, den ein Junge erreichen kann“ (Budde, 2005, S. 194).
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diesen Reaktionen beider Publikumsseiten dokumentiert sich die Akzeptanz des ihnen Dargebotenen. Das Modul wird beendet. Die Studierenden räumen ihre Materialien ein, erheben sich und kommen innerhalb ihrer Sitzplatznähe miteinander ins Gespräch darüber, wie der Abend verbracht werden soll. Viele Studierende wollen schnell nach Hause fahren und begeben sich rasch zum Ausgang. Die Studierenden, die eine weitere Anreise hatten und im Hotel übernachten, treffen Verabredungen zum Essengehen. Die Kontakte scheinen recht wahllos und unabhängig von Schulform und Geschlecht zu entstehen, sondern bilden sich eher im Umkreis derer, die bereits durch die Arbeitsgruppe in Kontakt zueinander gekommen 10
waren . […] Zwischen zwei Studierenden wird der Themenkomplex der abendlichen Zeugnisverleihung noch einmal flagrant: 1. Tn (m): „Ich geh da nicht hin. Ich kenn da gar keinen von denen. Außerdem haben die doch ihre eigenen Netzwerke. Mir kann keiner erzählen, dass denen das wichtig ist, dass wir da sind.“ 2. Tn (m): „Mich hat auch ehrlich der Preis abgeschreckt. 30 € für das Buffet.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 274-296)
Die knappe Schlussphase des ersten Präsenztages verdeutlicht, welchem Auftrag sich der Masterstudiengang „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ verpflichtet fühlt: Neben Wissensvermittlung, Einführung in und Präsentation des Studienganges wurde der Bildung sozialer Kontakte ein breiter Raum gegeben. Letzteres Ansinnen wird nun jedoch nicht durch Angebote informelleren Rahmens fortgesetzt, da die Zeugnisverleihung als gemeinsame Abendrahmung vorgesehen war. Die geringe Annahme dieses Angebotes führt dazu, dass die Studierenden die Fortführung ihrer Sozialkontakte nun alleine bewältigen müssen und eine Annäherung der unterschiedlichen Semester, die im Sinne der Übermittlung von „Insiderinformationen“11 durchaus förderlich wäre, eher unwahrscheinlich ist.
10 Eine Gruppe Studierender, in deren Nähe ich gesessen hatte, bietet mir an sie zum Essen zu begleiten. Ich lehne zugunsten der Beobachtung der Zeugnisverleihung ab. 11 Die Bedeutsamkeit von inoffiziellem Wissen, Goffman bezeichnet diese Kommunikationsform als Regieanweisungen (vgl. Goffman, 1973a, S. 160f.), wird in Dialogen der Akteure immer wieder beobachtbar: Zwei Studierende unterhalten sich beim Kaffeeholen. Tn (w): „Das einzige, was mich gerade etwas nervös macht, ist, dass die erste Klausur doch eigentlich erst im März sein sollte. Dachte ich zumindest. Und nun ist die schon in sechs Wochen.“
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Die teilnehmende Beobachtung wird bei der Zeugnisausgabe in einem großen Saal der Christian-Albrechts-Universität weitergeführt: Im vorderen Bereich des Saals ist eine Bühne aufgebaut, im hinteren Teil das Buffet. Die Tische stehen in langen, schmalen Reihen und sind feierlich gedeckt. Die Absolventinnen und Absolventen sind elegant gekleidet und sitzen in der Nähe der Bühne. Ihre Fotos werden auf einem Smartboard unter der Überschrift „Wir gratulieren“ im Verlauf des Abends immer wieder eingeblendet. 27 Personen (12 Frauen, 15 Männer) bekommen ihr Zeugnis verliehen. An der Zeugnisverleihung nehmen 75 Personen teil, die scheinbar aus dem familiären Umfeld der Absolventinnen und Absolventen oder von der Kieler Universität stammen. Sieben Erstsemester-Studierende (sechs Frauen, ein Mann) und eine Studentin des zweiten Semesters partizipieren ebenfalls an der Zeugnisfeier. Einige von ihnen haben sich vorab im Hotel umgezogen und demonstrieren durch ihre nun festlichere Kleidung sowohl eine bereits beginnende Inkorporation der Erwartungen als auch, dass sie die angebotene Inszenierung erstnehmen. Die Abendveranstaltung beginnt mit einer Rede von zwei Dozenten der Universität; anschließend spricht ein ca. 50jähriger Absolvent. Dieser legitimiert seine Rolle zunächst mit der Erklärung, er sei von den übrigen Absolventinnen und Absolventen ausgewählt worden und dankt dann für die gelungene Organisation des neuen Studienganges. Hiernach spricht er über Aufregung vor Klausuren und darüber, dass einige Absolventinnen und Absolventen des vorigen Jahrganges schon Schulleitungspositionen eingenommen hätten. Im Rahmen der anschließenden Zeugnisübergabe wird jede Empfängerin bzw. jeder Empfänger namentlich aufgerufen und das Zeugnis mit einem Händedruck und unter großem Applaus überreicht. Im weiteren Verlauf des Abends wird am Buffet gegessen, Musik von einer Band gespielt und vereinzelt getanzt. Die Erstsemester-Studierenden bleiben unter sich, unterhalten sich immer aufgeschlossener über ihre Herkunft und private Kontexte und verlassen die Veranstaltung sehr rasch. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 298-323)
Die festliche Fassade mit den entsprechenden Requisiten Buffet, Band und Bühne ist darauf ausgerichtet, dem Anlass entsprechende Wichtigkeit zu verleihen. Dieses Ansinnen wird von allen Beteiligten in ihren Verhaltensweisen reproduziert: Kleidung und Frisur werden angepasst, Familienmitglieder und Kameras mitgebracht.
Tn (m): „Das geht aber. Mir hat jemand erzählt, man setzt sich am Wochenende vorher mal hin und das reicht.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 344-349)
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Auch die Erstsemester-Studierenden zeigen nonverbal eine Akzeptanz der Veranstaltung, indem sie die Darbietung auf der Bühne schweigend verfolgen, sowie selbstverständlich bereits eine Bindung an die Institution, da sie die Feier überhaupt aufgesucht haben. Dennoch distanzieren sie sich auch von der ritualisierten Zeugnisverleihung zum einen, da sie konsequent unter sich bleiben und zum anderen durch die fehlende Verständigung über diese. „Der Handelnde kann durch das Bezeugen von Achtung, die er gar nicht wirklich empfindet, eine Art innerer Autonomie behalten, da er sich von der zeremoniellen Ordnung distanziert, und zwar gerade in dem Moment, in dem er sie aufrechterhält“ (Goffman, 1971, S. 66). Die Erstsemester-Studierenden nehmen die Rolle der Zuschauenden nur für einen kurzen Zeitraum ein, greifen im Rahmen ihrer Kommunikation die Inszenierung nicht weiter auf und auch der Austausch über Studienaspekte tritt zugunsten privater Themen in den Hintergrund. Dadurch demonstrieren sie, dass die Vorderbühne der Zeugnisverleihung ihnen lediglich eine geeignete Fassade bietet, ihr eigentliches Ziel, die Intensivierung der Kontaktaufnahme, zu verwirklichen. Körperlich und kommunikativ bringen sie auf diese Weise erstmals gemeinsam die Performanz eines Wir zum Ausdruck. Eine fachkulturelle Grenzziehung wird hier erkennbar, die sich darin zeigt, dass die Organisierenden richtungsweisende Elemente (Aufforderung zur Nutzung der Online-Konferenzräume, lange Kennenlernphase im Modul) zur Bildung von Vertrautheit bereitstellen, ein „verfreizeitlichendes“ Aufweichen des Studientages dagegen ablehnen. Das Kennenlernen muss folglich innerhalb der formalen Rahmung vollzogen werden. Am nächsten Morgen treffen die Studierenden recht knapp vor dem Beginn des Moduls um 9.00 Uhr in der Eingangshalle ein, die wie am ersten Tag hergerichtet ist. Sie nehmen sich Kaffee und Obst und suchen denselben Modulraum auf wie am Tag zuvor. Während der Ankommensphase ist es lauter als am Tag zuvor. Einer der Studierenden, der mir am vorigen Abend angeboten hatte, mit ihm und drei weiteren Personen zu essen, spricht mich an und berichtet, in welchem Restaurant sie gegessen haben und dass der Abend sehr nett gewesen sei. Kurz darauf suchen die beiden Studentinnen, die zu dieser kleinen Gruppe gehörten, meine Nähe und verkünden lachend: „Du hast nichts verpasst. Das war nicht 12
so toll, eher langweilig.“
(Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstu-
diengang, Z. 335-342)
12 Noch am Tag zuvor war mir von einer der beiden Frauen ebendiese Hinterbühnenvertrautheit verweigert worden:
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Die Personen scheinen überwiegend dieselben Plätze eingenommen zu haben wie am Vortag. Alle tragen ihre Namensschilder. Fünf Studierende fehlen. Die Dozentin und der Dozent betreten den Raum, begrüßen die Teilnehmenden und bitten die Gruppen, die am Vortag ihr Ergebnis noch nicht präsentiert hatten, um eine kurze Darstellung. Die restlichen Gruppen gehen nacheinander nach vorne und erläutern ihr Plakat. Jeder Vortrag dauert ca. drei Minuten. Die Redeanteile zwischen weiblichen und männlichen Teilnehmenden sind wie am Vortag ausgewogen und Sprecherwechsel vollziehen sich stets, ohne dass die Akteure einander ins Wort fallen. Bis zur Mittagspause hält der Dozent einen Vortrag, der nicht unterbrochen wird. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 359-375) Zum Mittagessen scheinen die meisten Studierenden die Mensa aufzusuchen. Die Gespräche beinhalten überwiegend Erzählungen aus der eigenen Schule. Eine Tischgruppe unterhält sich lange über sportliche Interessen. […] Die Koordinatorin des Studienganges schildert mir, wie wichtig eine positive Mund-zu-Mund-Propaganda für diesen Studiengang und wie qualitativ hochwertig dieses Angebot ist. Sie erläutert die Zugeständnisse, die den Studierenden entgegengebracht werden. So gäbe es die Möglichkeit, das Studium ein Semester lang zu unterbrechen oder die Zeit zum Verfassen der Masterarbeit zu verlängern. Es wäre bisher auch noch keiner durchgefallen und die Abbruchquote läge bei 1,6%. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 376-390)
Die Studierenden nutzen die Mittagspause als Hinterbühne, um sich zu entspannen. Dabei begünstigen sie durch ihre Themenwahl eine aufkeimende Vertrau-
Ich frage eine Erstsemester-Studentin (im Beisein zweier anderer Studentinnen), ob sie nach diesem ersten Präsenztag jetzt erschöpft sei. Sie entgegnet: „Ist das dein Ernst? Weißt du, im Studium war ich auch noch so zimperlich, gleich zu Hause geblieben, wenn ich meine Tage hatte oder so. Das ändert sich dann ganz schnell, wenn man erst mal richtig arbeitet. Da kann man dann viel mehr ab.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 330-333) Aufgrund meiner beobachtenden Tätigkeit verortete sie mich im studentischen Kontext, was eine distinkte Reaktion zur Folge hatte, da sie diese Lebensphase bereits erfolgreich abschlossen hatte. Implizit vermittelte sie durch ihre Äußerung auch ihre Interpretation der Feldregeln sowie ihre Befürchtung, dass die Anforderungen eines berufsbegleitenden Studiums und die Geschlechtszugehörigkeit miteinander in Konkurrenz treten und der Eindruck einer komplizenhaften Weiblichkeit, die auf der Hinterbühne ein NichtGewachsen-Sein offenbart, entstehen könne. Am folgenden Tag scheint sich nun situativ die Differenzgrenze zugunsten einer geschlechtlichen Solidarisierung zu verschieben.
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lichkeit, indem sie an einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund – die Lehrtätigkeit in der Schule – anknüpfen und nicht etwa die potentiell konkurrenzgeprägte Zukunft – das Studium bzw. spätere Berufsziele – thematisieren. Die Koordinatorin hingegen setzt die Präsentation des Studienganges fort und nimmt die Gelegenheit wahr, die Etablierung der neuen Qualifizierungsmöglichkeit voranzutreiben und das Anliegen des Studiums – ein Professionalisierungsbestreben – zu konkretisieren. Es werden auch bereits Belege für den Erfolg des Studienganges angeführt, die später noch durch per Email an mich versandte, anerkennende Pressemitteilungen ergänzt werden. Neben der Reputation verfolgt ihre Inszenierung die Demonstration einer großen Liberalität: Nicht nur eine Anforderungshaltung, sondern auch ein unmittelbarer persönlicher Kontakt unter der Prämisse von Einfühlungsvermögen wird vermittelt. Nach der Mittagspause erteilt der Dozent einen Arbeitsauftrag, der sich auf die mitzubringenden Schulprogramme bezieht und der eine neue Bildung von Dreiergruppen erfordert. Meldung eines Tn (m): „Ich hab das nicht gewusst, dass man ein Schulprogramm mitbringen sollte.“ Tn (w) sagt laut: „Das stand aber in der Einladung.“ Der Dozent bestätigt das. Neue Gruppen bilden sich, indem die Studierenden umhergehen und fragen: „Kann ich bei Ihnen noch dazu?“ Zum Teil machen sich auch Zweier-Teams auf die Suche nach einer dritten Person: „Wir sind zwei. Willst du noch dazu?“ Die Studierenden stellen sich innerhalb ihrer Gruppen nicht erneut vor, da sie Namensschilder tragen. Dort, wo zunächst noch gesiezt wurde, wechseln die Personen mit dem Einstieg in die Arbeit ins Duzen. Die Gruppen wirken hinsichtlich Alter, Geschlecht und Schulform sehr heterogen. Da scheinbar weitere Studierende kein Schulprogramm dabeihaben, dies jedoch nicht laut sagen, bilden sich durch leise Absprachen viele Gruppen unter der Berücksichtigung, dass in jeder wenigstens ein Schulprogramm verfügbar ist. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 399-409)
Diese kurze Sequenz verdeutlicht zum einen die (verschulte) Handlungspraxis des Mitbringens entsprechender Requisiten und die situative Akzeptanz und Übernahme dieser Erwartungshaltung durch die Teilnehmerin, welche sich sogleich in institutioneller Anpassung vernehmbar zu dem Fehlverhalten des Teilnehmers äußert. Zum anderen zeigt das Beobachtete eine plötzliche Zweiteilung des Seminarraumes in eine Vorder- und eine Hinterbühne, zu der die Dozierenden keinen Zugang haben. Die Akteure solidarisieren sich miteinander trotz ihrer erst flüchtigen Bekanntschaft, die sich eindrücklich im Nebeneinander von Duzen und Siezen sowie im situativen Wechsel beider Anredeformen dokumentiert, gegen die ihnen hierarchisch übergeordneten Personen.
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In den Gruppen werden die mitgebrachten Schulprogramme vorgestellt und diskutiert. Die Diskussionen gleiten rasch ab und befassen sich mit negativ erlebten Schulleitungen, die viel Einsatz beim Erstellen von Schulprogrammen, denen dann keinerlei Funktion zukommt, erwarten oder neuen Schulleitungen, die sich für bereits geleistete Arbeit an Schulprogrammen nicht interessieren und diese nicht aktualisieren lassen. […] Im Anschluss an die Gruppenarbeit werden die Stärken und Schwächen der Schulprogramme im Plenum diskutiert und durch eine PowerPoint-Präsentation der Dozentin ergänzt. Während der Präsentation tituliert die Dozentin die Studierenden wiederholt als „künftige Führungskräfte“. Dies wurde auch bereits am ersten Seminartag bei Ansprachen durch den Dozenten beobachtet, der seine Sätze häufig mit der Anrede „Sie als künftige Führungskräfte“ begann. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 437-445)
Die Studierenden signalisieren weiterhin die Bereitschaft zur Bewältigung der an sie gestellten Anforderungen, distanzieren sich jedoch stärker als am Tag zuvor phasenweise von ihrer Rolle, indem sie Randgesprächen mehr Raum lassen und Gruppenarbeitsphasen auch als Entspannungsmoment bewerten. Der Herabsetzung der abwesenden Schulleitungen kommt dabei ein moralfestigender Charakter zu; die Abwertung und das geteilte Unverständnis lösen die Akteure aus ihrer Vereinzelung und formieren sie zu einer Gruppe. Die Anspracheform durch die Leitenden aktualisiert immer wieder aufs Neue das langfristige Ziel der Teilnehmenden – die Übernahme einer Führungsposition – und weist diesem einen zentralen Stellenwert zu. Die Ausrichtung des Studienganges auf die Professionalisierung für eine berufliche Tätigkeit und damit verbunden die Voraussetzung eines aufstiegsorientierten Habitus zeigt sich hier noch einmal in eindrücklicher Evidenz. Zudem wird die avisierte soziale Identität13 der Akteure bereits vorweggenommen, indem auf diese und nicht auf ihren Status als Studierende rekurriert wird. Es kommt in der Folge zu einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen Studierenden und Leitenden: Da letztere fortwährend auf das Führungsziel Bezug nehmen, geben auch die Studierenden der Auseinandersetzung mit gelungener respektive misslungener Leitung sowie den Aufgaben von Führungskräften immer wieder Raum in ihren Gesprächen.
13 Goffman verwendet auch den Begriff der „virtuellen Identität“ (Goffman zitiert nach Lenz, 1991, S. 71) für Fremdzuschreibungen, die nicht auf tatsächlichen Merkmalen beruhen.
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Auf die Präsentation folgt eine lange Phase, in der der Dozent organisatorische Hinweise gibt, die für den erfolgreichen Verlauf des Studiums relevant sind. Er beschließt seinen Vortrag mit der Aufforderung zum gegenseitigen Emailaustausch, zum Besuch der Lernplattform im Netz und zum Konstituieren von Lerngruppen zwischen Studierenden mit nahe beieinander liegenden Wohn- bzw. Arbeitsorten. Nach der Verabschiedung durch die beiden Leitenden packen die Studierenden ihre Taschen. Zahlreiche Blöcke werden herumgereicht und die Studierenden fordern andere Teilnehmende zum Emailaustausch auf. 1. Tn (m): „Da kam doch noch einer aus X. Wer war das…? Das wär praktisch zum Lernen.“ 2. Tn (w): „Ich glaub, er dort.“ Der Student begibt sich zu der benannten Person, um deren Emailadresse zu erbitten. 3. Tn (w): „Sie waren doch auch an der Grundschule, oder? Dann sollten wir vielleicht die Emailadressen austauschen.“ Die Studierenden begeben sich in Richtung Ausgang und beginnen mit der Verabschiedung. Diese verläuft ohne Händeschütteln oder Umarmungen und wird von eher verallgemeinernden Äußerungen begleitet („War nett, euch kennengelernt zu haben.“ „Gute Heimreise, bis zum Januarseminar.“ „Passt auf eure Studentenausweise auf! Nicht vergessen: Wir kommen jetzt wieder billiger ins Kino.“) Ein männlicher Teilnehmer sagt beim Verlassen des Gebäudes: „Das war’s. Sehr gut.“ Eine Studentin erwidert lachend: „Na, nun geht’s ja erst richtig los.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 446-474)
Die Abschlussphase wird für einen Ausblick und letzte Erklärungen genutzt. Da es der Dozent mit einer Gruppe zu tun hat, die mit universitären Regularien grundsätzlich bereits durch ihr erstes Studium vertraut ist, beziehen sich seine Erläuterungen vorrangig auf die neue Dimension des Studienganges: den virtuellen Bereich. Auch in dieser Schlusssequenz wird noch einmal die Rahmung „Bindung an die Institution durch Bindung an Mitstudierende“ aufgegriffen. Der inhärenten Aufforderung kommen die Teilnehmenden auch umgehend nach. Der Art der Kontaktweiterführung ist anzumerken, dass sie primär auf Praktikabilität und nicht auf reziproker Sympathie beruht und sich folglich exakt an den institutionellen Vorgaben des zweckgebundenen Netzwerkens orientiert. Der Kontakt-
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datenaustausch, den die Akteure selbst bewältigen sollen14, ist dabei eine entscheidende Schnittstelle, die über Andauern oder Abbruch der frischen Sozialbeziehungen entscheidet, da die Studierenden einander persönlich erst drei Monate später wieder begegnen. Die „Schlussklammer“, die die Einführungsveranstaltung wie „eine Art Phase hinter den Kulissen“ (Goffman, 1977, S. 500) rahmt, gibt Einblick in das befriedigende Gefühl der Studierenden, zum einen die Initiation erfolgreich absolviert, den neuen Status des Studierenden erlangt und „Handwerkszeug“ für das künftige erfolgreiche Agieren im neuen Terrain vermittelt bekommen zu haben. Die studentische Resozialisierung und die Identifikation mit der zukünftigen Rolle dokumentieren sich auch im Rekurs auf das Symbol des Studentenausweises, welcher gleichzeitig auch zur Legitimation der beginnenden Statuspassage anderen Personen gegenüber eingesetzt werden kann. Zum anderen weckt das Präsenzseminar antizipatorische Gedanken hinsichtlich des weiteren Verlaufs; ein Aspekt, der darauf hinweist, dass die Studierenden den Ort in dem Bewusstsein verlassen, soeben etwas Bedeutendes begonnen zu haben.
6.2 E INFÜHRUNG INS F ELD : ZWEI M ODULE DES „T RAININGS ZUR V ORBEREITUNG AUF S CHULLEITUNGSAUFGABEN (TV A S)“ Im Rahmen der 7. Sommerakademie, einer einwöchigen Veranstaltungsreihe in der vorletzten Sommerferienwoche 2011, die vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein durchgeführt wurde, wurden insgesamt 23 Kurse angeboten. Darunter befanden sich auch neun der insgesamt zwölf Module des „TVaS“. Die Angebote der Sommerakademie erfreuen sich stets großer Beliebtheit und die hohen Anmeldezahlen führen zu Nachrücklisten. Die hier dokumentierte ethnographische Beobachtungsphase wurde auf die „TVaS“Module „Selbst- und Zeitmanagement“ sowie „Kommunikation – Umgang mit Konflikten“ fokussiert, da diese nach Aussage der Organisator/innen meist zum Einstieg in die „TVaS“-Reihe gewählt werden und weitere Module auf diesem Basiswissen aufbauen.
14 Schließlich wäre ebenso das Herumreichen eines Verzeichnisses denkbar, in welchem die Namen und Daten aller Studierenden einschließlich Schulform und Wohnort aufgeführt sind.
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Die Teilnehmenden betreten allmählich das Fortbildungszentrum, in dessen Eingangsbereich sich Sitzmöglichkeiten, Stelltafeln, an denen man die Raumzuordnung und die Namen aller Teilnehmenden ablesen kann, sowie ein Tisch, auf dem Kaffee, Tee, Obst und kalte Getränke aufgebaut sind, befinden. Viele Personen nehmen sich ein Getränk und begeben sich aufgrund des guten Wetters auf die große Dachterrasse. Es entstehen Gespräche zwischen Personen, die sich schon zu kennen scheinen. Auch der Organisator steht als Ansprechpartner zur Verfügung und wendet sich freundlich an die Ankommenden. Gegen kurz vor neun Uhr suchen alle Lehrkräfte die Seminarräume auf. Die Beobachtung des ersten Tages fokussiert sich auf das Seminar „Zeit- und Selbstmanagement“. Die Seminarleiterin, leger gekleidet, befindet sich bereits im Tagungsraum und hat einen Stuhlkreis sowie mehrere große Pinnwände aufgestellt. 18 Teilnehmende, elf Frauen und sieben Männer im Alter zwischen ca. 30-55 Jahren, betreten nach und nach den Raum, werden freundlich begrüßt und nehmen im Sitzkreis Platz. Das Modul beginnt mit einer Vorstellung der Leiterin und ihrer Bitte um eine gegenseitige Anrede in der Du-Form. Anschließend stellt sie den Tagesablauf, welchen sie auf einem Flipchart visualisiert hat, vor und fordert die Teilnehmenden auf, ein Namensschild zu beschriften und dieses vor sich auf dem Fußboden zu platzieren. Nun sollen sich die Personen mit ihrem Nachbarn oder ihrer Nachbarin darüber austauschen, welche Erwartungen sie an den Seminartag haben. Es folgt eine Vorstellungsrunde, in der jeder seinen Namen, seine berufliche Situation und seine Erwartung nennt. Die Erwartungen beziehen sich alle auf inhaltliche Aspekte der Tagesordnung. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 16-37)
Bei der Betrachtung der Eröffnungssequenz wird zunächst der Verzicht auf einen gemeinsamen Auftakt, welcher der Veranstaltung eine übergreifende Rahmung zuteilwerden ließe, evident. Zwar treffen die Teilnehmenden auf eine freundliche „Zugangs-Zeremonie“ (Goffman, 1974, S. 118) und finden bei Fragen sogleich einen Ansprechpartner, die erste Gruppenzugehörigkeit stellt sich jedoch erst nach Aufsuchen der Seminarräume ein. Innerhalb des ersten beobachteten Raumes wurde ein autoritäres Erscheinungsbild auf mehreren Ebenen vermieden: So dokumentiert sich in der Kleidung der Leiterin und ihrer Vorbereitung der Requisiten in Anwesenheit der Ankommenden, der Anordnung der Möblierung, die ein aufeinander ausgerichtetes Arbeiten begünstigt, der gewünschten Anredeform15 und der Einstiegsfrage nach den Erwartungen der Ak-
15 „Zweifellos ist die gegenseitige Anrede mit Vornamen eine kulturell etablierte Ressource zur Gestaltung unmittelbarer Interaktionen. Sie impliziert eine geringere For-
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teure die Ambition einer Reduktion des Institutionalisierungsgrades. Mit der Explikation der Erwartungshaltung zunächst im dialogischen Austausch, anschließend in der Plenumsdarlegung, und der Herstellung der Namensschilder wird zum einen die Individualität des einzelnen Teilnehmenden von Seiten der Leiterin respektiert und ein offenes Zugehen auf Augenhöhe beabsichtigt. Die Offenheit zeigt sich auch in der Bekanntmachung des Tagesablaufes. Zum anderen impliziert das Vorgehen der Leiterin die Intention einer sozialen Öffnung der Teilnehmenden zur atmosphärischen Lockerung. Bereits in der Eingangssequenz zeigt sich die Dominanz der inhaltlichen Ausrichtung der Module – auf die noch verschiedentlich rekurriert wird – und deren Adaption durch die Teilnehmenden. So werden weder in der Vorstellungsrunde berufliche Aufstiegsziele thematisiert noch in den benannten Erwartungen. Die Leiterin erhebt sich nach der Vorstellungsrunde aus dem Sitzkreis, erläutert am Flipchart stehend das „Modell der Lebensbalance“ und teilt im Anschluss einen Arbeitsbogen aus, auf dem die Teilnehmenden die Stunden eintragen sollen, die sie wöchentlich in jeden der vier Lebensbereiche investieren. Dabei steigt die Geräuschkulisse durch Gespräche und Gelächter an. Nun wird jede Person aufgefordert, einen Klebepunkt auf dem Feld des Flipcharts zu platzieren, welches sie zurzeit vernachlässigt. Zur Auswahl stehen: soziale Kontakte, Beruf, Körper und Sinn. Die Leiterin erläutert, dass man auch zwei Punkte bekommen könne, wenn einem die Festlegung schwerfalle. Ein Teilnehmer sagt laut, er könne mit der Aufgabe nichts anfangen. Hierauf reagiert die Leiterin verständnisvoll und fordert auch andere Teilnehmende auf, ehrlich zu äußern, wenn es ihnen ebenso ginge. Diesem Angebot kommt niemand nach. Der Teilnehmer klebt keinen Punkt auf. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 49-59)
Das Oktroyieren einer Aufgabenstellung und infolgedessen die Inanspruchnahme einer herausgehobenen Position wird von der Leiterin in dieser Szene negiert16, indem sie den Auftrag einerseits zur Erleichterung ausweitet und ande-
malität und bedeutet den Verzicht auf einen gehobeneren Ton in den rituellen Umgangsformen“ (Goffman, 1994, S. 84). 16 Eine ähnliche Szene dokumentiert sich in einem anderen Beobachtungsprotokoll mit Blick auf eine andere Seminarleiterin: Die Leiterin leitet ihren nächsten Satz mit den Worten „Angesichts der fortgeschrittenen Zeit…“ ein. Das löst ein Lachen aus. Auf der Tagesordnung steht noch das Thema „Feedbackkultur“. Sie fährt fort: „…möchte ich Sie fragen, ob Sie noch den Vortrag dazu wollen oder ob Ihnen das Handout reicht?“ Viele lachen, es wird herumgedruckst, niemand äußert sich vernehmlich ab-
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rerseits die Verweigerung dessen nicht nur in einem Einzelfall akzeptiert, sondern regelrecht zu abwehrendem Anschlussverhalten ermutigt. Es folgt eine kleine Darstellung, zu der eine Teilnehmerin nach vorne gebeten und der Sitzkreis an einer Seite (für eine Art improvisierte Bühne) geöffnet wird. Die Leiterin schickt voran, dass sie die Lehrerin nach vorheriger Absprache und Einweisung in das Kommende nach vorne gebeten hat. Die Lehrerin nickt und nimmt auf einem Stuhl Platz. Nun wird sie aufgefordert, die Augen zu schließen, an verschiedene Ereignisse zu denken und darüber Auskunft zu geben, ob sie diese vor, hinter oder neben sich sieht. Diese Übung dient der Aufdeckung verschiedener Zeittypen. Anschließend widmen sich die Lehrkräfte in Zweier- oder Dreiergruppen derselben Aufgabe. Dazu verlassen sie zum Teil den Raum. Die Ergebnisse aus den Partnerübungen werden im Plenum nicht aufgegriffen. Die Dozentin hält nun eine PowerPoint-Präsentation zu den unterschiedlichen Zeittypen. Nach deren Ende spricht ein Teilnehmer sie an und schildert ausführlich ein Problem mit einem Kollegen, welches auf unterschiedlichen Zeitvorstellungen beruht. Sie widmet ihm – ebenso wie alle anderen Teilnehmenden – ihre Aufmerksamkeit und berät ihn. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 60-72)
Die Dozentin drückt in dieser Situation in zweierlei Hinsicht Achtung vor den Teilnehmenden aus, indem sie sich geduldig eines Problems annimmt und indem sie die mimende Akteurin in das Procedere einweiht und Freiwilligkeit voraussetzt. Dies legt sie auch allen anderen Personen gegenüber offen, so dass diese wissen, dass derlei öffentliche Präsentationsbereitschaft von ihnen nicht vorausgesetzt und ein beschämendes Vorführen von Personen in jedem Fall vermieden wird.17 Ihre Vorgehensweise bewirkt, dass die Lehrerin ebenso wie im weiteren Verlauf die anderen Teilnehmenden sich bereitwillig und ohne erkennbare Hemmungen auf die mit einem Augenschließen verbundene Aufgabe einlassen. Das Mittagessen findet in einem Raum innerhalb desselben Gebäudes statt. Die Teilnehmenden lassen ihre Taschen, Jacken etc. überwiegend im Modulraum an ihrem Platz zu-
lehnend zum Vortrag. Die Leiterin sagt: „Dann frage ich so: Wer will das Handout?“ Alle Arme gehen hoch. „Wer will das Handout und das Dingsbums?“ Alle lachen laut, niemand meldet sich. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 395-402-III) 17 Dieselbe Abfolge wiederholt sich im weiteren Verlauf noch einmal. In diesem Fall werden eine Teilnehmerin und ein Teilnehmer in einer kurzen Pause auf ihre Bereitschaft hin angesprochen und erhalten die Gelegenheit einen kurzen Dialog vorzubereiten.
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rück. Beim Mittagessen bleiben die Modulgruppen weitgehend unter sich. Da die Pausen einiger Module zeitversetzt stattfinden, gibt es auch wenig Gelegenheit zur Begegnung mit anderen Lehrkräften. Nach dem Essen werden – wie auch beim morgendlichen Beginn des Modules – Getränke mit in den Raum genommen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 78-82)
Das Zurücklassen der „Besitzterritorien“ (Goffman, 1974, S. 67) dokumentiert eine Vertrautheit mit dem Modulraum und eine „externe, deutlich sichtbare, verteidigungsfähige Begrenzung eines räumlichen Anspruchs“ (Goffman, 1974, S. 61), der auch nach Abwesenheit aufrechterhalten werden soll.18 Ebenso wird durch das Überführen von Getränken in diesen Raum ein Aufweichen der Phasenübergänge und eine Gelassenheit demonstriert19. Die Handlungspraxis der gruppenübergreifenden Kontaktaufnahme wird institutionell erschwert durch die Dramaturgie der Pausenzeiten. Auf diese Weise werden auch Kontakte, die in Modulen der vorigen Tage geknüpft wurden, wieder gefährdet, da die Teilnehmenden die Pausen nicht gemeinsam verbringen können.
18 Darüber hinaus konnte auch beobachtet werden, dass Teilnehmende aus anderen Modulen die jeweils fremden Modulräume nicht betraten, sondern der Austausch – so als hätten sie kein Zugangsrecht – außerhalb dieser territorialen Grenzen auf den Fluren stattfand. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass nur einzelne Personen Kontakte zu Teilnehmenden anderer Module pflegten, die wiederum in den fremden Personen nicht die Interpretation, sie seien ein Eindringling, hervorrufen wollten. 19 Die Gelassenheit und Verfreizeitlichung tritt evident aus allen Beobachtungsprotokollen hervor. Hier drei weitere Beispiele: Alle sind eher freizeitlich gekleidet. Die Männer tragen Oberhemden mit kurzem Arm, keine T-Shirts, überwiegend Jeans. Einige Frauen tragen Oberteile, die die Arme gänzlich unbedeckt lassen. Zwei haben Sonnenbrillen im Haar. Eine stellt eine Sonnencreme vor sich auf den Tisch. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 38-41-III) Zwei Frauen haben unter dem Tisch ihre Schuhe ausgezogen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 155-III) Eine Modulgruppe hat ihren Tagungsort in den Garten verlagert. Infolge der Sonneneinstrahlung muss die Gruppe im Verlauf des Moduls dreimal mit ihren Stühlen und Flipcharts den Aufenthaltsort wechseln und in schattige Ecken umziehen. Einmal fällt das Flipchart durch eine Windböe um und muss vom Modulleiter und einem Teilnehmer aufgerichtet werden. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 435-439-III)
6. E INFÜHRUNG
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Nach dem Mittagessen schlägt die Dozentin ein Bewegungsspiel gegen den Leistungsabfall vor. Sie gibt Gelegenheit für ablehnende Kommentare, die aber ausbleiben. Das von ihr animierte Spiel nennt sich „Eichhörnchen-Spiel“ und besteht darin, dass immer drei Personen zusammen ein Eichhörnchen und einen Bau verkörpern, wobei die Gruppen sich durch rasches Hin- und Herlaufen und lautes Rufen neu konstituieren. Die Rolle des „Eichhörnchenbaus“ erfordert es, auch andere Teilnehmende an den Händen zu fassen. Der Geräuschpegel steigt stark an, es wird viel gelacht. Als anschließend alle wieder ihre Plätze eingenommen haben, hält die Dozentin eine PowerPoint-Präsentation zum „Eisenhower-Prinzip“. Alle hören aufmerksam zu, nur wenige schreiben etwas mit. Gelegentlich wird ihr Vortrag von Kommentaren unterbrochen. Die Beiträge folgen aufeinander, ohne dass die Personen sich melden oder die Dozentin sie auffordert. […] Auf eine Bemerkung hin sagt die Leiterin: „Wir sind es gewohnt als Lehrer, dass wir alle auf einer Ebene sind. Der Stellvertreter gehört zu uns und auch der Schulleiter ist primus inter pares. Das läuft ja in Betrieben ganz anders.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 112-129)
Die raschen Körperbewegungen des Spiels bilden einen maximalen Kontrast zu der bislang durchweg eingenommenen ruhigen, sitzenden Körperhaltung. Das Spiel, welchem hier die Aufgabe einer Phasenübergangspraxis zukommt, birgt ein stark körperliches Moment, da die Akteure hier territoriale Körpergrenzen übertreten und einander gegenseitig berühren. Alle Teilnehmenden lassen sich bereitwillig auf die situative Spielerei ein und das anvisierte Ziel einer energetischen Rekonvaleszenz scheint rasch erreicht. Die Verhaltensweisen der Zuschauenden beim anschließenden Vortrag dokumentieren ebenfalls deren Adaption der bewusst reduzierten Institutionalisierung. Sie bringen zwar performativ Lern- und Aufmerksamkeitsbereitschaft zum Ausdruck, übernehmen jedoch auch unaufgefordert das Rederecht und leiten dieses durch Blickkontakte ohne Zutun der Dozentin weiter, wodurch sie sich hierarchisch auf einer Stufe mit ihr positionieren. Die Äußerung der Modulleiterin hinsichtlich der Position von Schulleitungen innerhalb des schulischen Feldes steht, wie viele der bereits aufgeworfenen Aspekte, in maximalem Kontrast zu der Denkart und Intention des Masterstudienganges. Während diesem in vielerlei Hinsicht eine hierarchisierende Orientierungsausrichtung eigen ist, vermittelt das gesamte Konzept des „TVaS“ ein paritätisches Nebeneinander von Führungsund Lehrkräften, welches sich demzufolge auch in den Habitus der Modulleitenden offenbart. Es schließen sich eine Partnerarbeit, ein Rollenspiel zweier Personen, eine Diskussion zum Inhalt des Rollenspiels, eine Explikation des Aspekts der „Aufschieberitis“ am Flip-
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chart sowie ein Arbeitsblatt dazu an, welches die Teilnehmenden interessiert, aber unterbrochen von leisen Gesprächen mit den Sitznachbarn, lesen. […] Dann wird der Schluss des Moduls eingeleitet. Die Lehrkräfte sollen der Dozentin ein schriftliches Feedback geben, welches sie schweigend verfassen. Dann wiederholt die Leiterin noch einmal, welche Themen im Verlauf des Seminartages behandelt wurden. Wer möchte, kann sich noch einmal zu dem Seminar äußern. Dies wird von ca. der Hälfte der Teilnehmenden wahrgenommen und geschieht ausschließlich in positiver Form. Während der allgemeinen Aufbruchsstimmung werden die Zertifikate verteilt. Die Verabschiedung der Teilnehmenden untereinander ist kurz und von beiläufigem Charakter. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 130-158)
Der aufgeschlossene Umgang der Teilnehmenden miteinander, der sie zu Interaktionen in Gruppenarbeiten, zu Randgesprächen und Rollenspielen ermutigte, konnte aufgrund der Einmaligkeit der Seminarzusammensetzung nicht in einen weiteren Kontaktausbau überführt werden. Es wird evident, dass hier Personen an einem gemeinsamen Thema, nicht aber an einem gemeinsamen beruflichen Ziel gearbeitet haben. Die Heterogenität der Teilnehmenden hinsichtlich ihrer Ziele und ihrer Interpretation der Bedeutsamkeit des „TVaS“ führen dazu, dass diejenigen, für die diese Teilnahme den Charakter einer beginnenden Statuspassage hat, in der Verpflichtung stehen, sie selbstständig und ohne dauerhafte institutionalisierte Begleitung zu vollziehen20. Die Statuspassage wird nicht durch eine institutionell formale Rahmung erfahrbar, da weder Auftakt- noch Abschlussinszenierungen stattfinden und auch das potentielle Ziel der Partizipation an dieser Fortbildung – die Qualifizierung zur baldigen Übernahme eines Schulleitungspostens – in keinem Augenblick thematisiert wird. Mit den Teilnehmenden mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen wird keine Zielperspektive oder Vorgehensweise erarbeitet; sie müssen selbst Bewältigungsstrategien finden, um innerhalb der zeitlichen Offenheit und der wechselnden Bezugsgruppen die Suche nach den Anschlussmodulen des „TVaS“ und einen weiteren Kontaktausbau zu anderen Aspirant/innen zu gestalten. Die unter inhaltlicher Schwerpunktsetzung vollzogene Retrospektive auf den Seminartag und die unkommentierte Aushändigung der Zertifikate verweisen ebenfalls auf die Hegemonie der thematischen Ausrichtung. Die marginale Bedeutung, die der Zertifizierung zukommt, hat sich im drauffolgenden Jahr noch verschärft:
20 Ebendiese Heterogenität der Akteure könnte durchaus genutzt werden, indem Personen, die bereits in der (stellvertretenden) Schulleitungsposition tätig sind, ihr Wissen in Form eines institutionalisierten Netzwerkes anderen zur Verfügung stellen.
6. E INFÜHRUNG
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In die Aufbruchsphase hinein ruft sie (Anm.: die Seminarleiterin), dass neuerdings keine Zertifikate mehr verteilt würden, sondern sich jeder diese im Online-Buchungssystem ausdrucken müsse. Keiner der Teilnehmenden hatte vor der Verabschiedungsphase nach einem Zertifikat gefragt. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 439-442-III)
Der zweite Tag der ethnographischen Beobachtung wird hier nur noch partiell dokumentiert. Dies geschieht mit dem Ziel, der Interpretation vorzubeugen, die Beobachtungen des ersten Tages seien auf subjektspezifische Charakteristika zurückzuführen und kein Abbild der institutionellen Disposition. 17 Personen, zehn Frauen und sieben Männer nehmen an dem Modul „Kommunikation – Umgang mit Konflikten“ teil. Die Tische dieses Raumes sind in U-Form angeordnet, an der offenen Seite befinden sich Pinnwände und ein Flipchart. Der Modulleiter ist bereits im Raum, als die Eintreffenden sich auf die Plätze verteilen. Nach einer Begrüßung und der Bitte um gegenseitige Ansprache in der Du-Form verweist der Dozent, der sehr leger gekleidet ist und Turnschuhe, ein rotes Hemd und Jeans trägt, darauf, dass er am Abend eine Joggingrunde anführe und animiert zur Teilnahme. „Ich freue mich da schon den ganzen Tag wie verrückt drauf!“ Er preist auch das Freizeitangebot des Segelfliegens an, erwähnt die optimale Wetterlage und fragt, wer sich dafür angemeldet habe. Niemand meldet sich. Er thematisiert nun sein rotes Hemd, „ganz tolle Wahl“, welches für Konfliktgespräche gänzlich ungeeignet sei und äußert in humorvoller Art und Weise die Überlegung, sich eventuell im Laufe des Tages noch umzuziehen. Dies wird mit Lachen quittiert. Die Teilnehmenden sollen nun ihre Erwartung an das Modul auf einer Karte notieren und diese an der Pinnwand befestigen. Eine Vorstellungsrunde erfolgt nicht, da das „immer unglaublich viel Zeit verbrauche“. Jeder soll aber ein Namensschild beschriften. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 163-178)
Trotz barrierefördernder Raumgestaltung und fehlender Vorstellungsrunde gestaltet der Seminarleiter unter Rückgriff auf seine habituelle Prädisposition einen zwanglosen Einstieg, der Authentizität, Nähe zu den Teilnehmenden und Distanznahme vom institutionalisierten Ablauf demonstriert. So rekurriert er auf zwei der im Rahmen der Sommerakademie angebotenen Freizeitaktivitäten und stellt sich in ironischer Weise in den Fokus, dies alles in betont informeller Modulation. Der Hinweis auf die freudvolle Erwartung des abendlichen Joggens impliziert zudem die Vorwegnahme der Vorfreude auf das Ende des Seminars, welche ihn mit den Teilnehmenden gleichsetzt. Die Aufforderung zur gemeinsamen Freizeitgestaltung fußt auf der Zielsetzung, über kooperative Handlungen wie den Sport Netzwerkbildungen zu begünstigen; zudem soll „mittels der erfor-
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derlichen Investition von Zeit und Energie […] eine innere Verbundenheit mit der Institution geschaffen“ (Friebertshäuser, 1992, S. 263) werden. Im weiteren Verlauf des Moduls wird oben erläuterte solidarische Orientierung mit den Teilnehmenden noch einmal augenfällig, als der Dozent eine Verkürzung der Mittagspause zugunsten eines vorgezogenen Schlusses anregt und damit auf große Zustimmung stößt. Damit bringt er die flexible Handhabung der institutionellen Vorgaben sowie eine damit einhergehende Rollendistanz zum Ausdruck, die dokumentiert, dass er sich nicht ausschließlich der sozialen Identität des Dozenten verpflichtet fühlt. Ebenso wie der Modulleiterin am Tag zuvor gelingt es ihm, eine kooperative, ungezwungene Atmosphäre zu schaffen: Der Modulleiter erläutert nun an einem Flipchart die unterschiedlichen Formen des IchZustandes in der Transaktionsanalyse. Nun sollen die Teilnehmenden in Dreiergruppen die Ich-Zustände pantomimisch nachstellen. Dabei sollen immer zwei Personen die dritte in eine Position biegen. Es geht recht laut und lustig zu. Die Teilnehmenden fassen – recht behutsam und stets unter verbalen Erläuterungen – die Arme, Beine, Hände und Köpfe der anderen Personen an. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 179-182)
Das Mittel, welches er zur ersten unmittelbaren Kontaktaufnahme der Teilnehmenden untereinander wählt, erscheint recht drastisch, da körperlicher Kontakt „entweder durch die Beziehung der Betreffenden gerechtfertigt ist oder als eine Unverschämtheit gilt“ (Goffman, 1974, S. 40): Körperterritoriale Interaktionen, die gegenseitige Berührungen – vielmehr ein „Zurechtbiegen“ – erfordern, werden hier zu einem Zeitpunkt erwartet, an dem die meisten Akteure noch nicht einmal kommunikativ miteinander in Kontakt getreten sind. Die Teilnehmenden versuchen nun, mit verbalen Erklärungen die äußere Ordnung wiederherzustellen und den situativen Zwang zu demonstrieren, dem ihr Aktionismus entspringt, um nicht „als Urheber dieser Handlungen angesehen“ (Goffman, 1974, S. 90) zu werden. Der ansteigende Geräuschpegel und die fröhliche Mimik der Personen deuten auf eine gegenseitige Akzeptanz der Regelübertretungen und eine geglückte erste Kontaktaufnahme hin. Die folgende Szene dokumentiert einen von zwei beobachteten Momenten21, in denen die Akteure von einem Modulleiter in Beziehung zu ihrer potentiell angestrebten Führungsposition gesetzt werden:
21 Die zweite Beobachtung einer verbalen Aktion unter Rekurs auf Führungspositionen besteht in der folgenden abschließenden Äußerung des Dozenten:
6. E INFÜHRUNG
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Im Rahmen seiner nächsten Erläuterung äußert der Dozent: „Ich gehe davon aus, dass hier die künftigen Führungskräfte sitzen. Dass ihr euch schon beworben habt oder euch irgendwann bewerbt.“ Die Teilnehmenden zeigen keine deutliche Reaktion. In der anschließenden Kaffeepause greift eine Teilnehmerin diese Äußerung wieder auf und sagt: „Ich weiß nicht, was dieses Gerede von den Führungskräften soll. Ich bin keine und weiß auch noch nicht, ob ich mich je bewerbe. Ich finde, das hier ist für alle.“ Die beiden umstehenden Personen äußern nur dezente – nicht zu deutende – Rezeptionssignale („mmh, mmh“). (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 183-190)
Innerhalb des „TVaS“-Moduls führt die im Rahmen der Präsenzveranstaltung des Masterstudienganges kontinuierlich verwendete Zuschreibung der sozialen Identität einer „künftigen Führungskraft“ zu Irritationen. Eine Teilnehmerin fühlt sich provoziert und ausgegrenzt. Die Anspracheform entspricht nicht ihren Erwartungen an diesen Fortbildungsrahmen und kollidiert mit ihrem spezifischen Habitus. Sie inszeniert die Kritik jedoch nicht öffentlich, sondern auf der Hinterbühne weit ab von Seminarraum und -leiter. Die Reaktion der von ihr Adressierten fällt schwach aus, ist am ehesten mit „höflicher Gleichgültigkeit“ (Goffman, 1974, S. 50) zu interpretieren und erfüllt nicht die Erwartungen, die die Akteurin vermutlich an die Interaktionssequenz hatte. Wenngleich nicht interveniert wird, öffnet sich kein konjunktiver Erfahrungsraum, der Vertrautheit entstehen ließe. Nach weiteren Rollenspielen und der Mittagspause inszenieren zwei Teilnehmende, eine Lehrerin und ein Lehrer, ein Rollenspiel, welches sie zuvor unter Anleitung des Dozenten eingeübt haben. […] Im Anschluss wird dieses beklatscht und kommentiert. Die Teilnehmenden sprechen durcheinander und verzichten auf Handzeichen, um ihren Redebeitrag anzukündigen. Eine Teilnehmerin (Frau Thomforde) nascht als einzige die ganze Zeit Süßigkeiten aus einer vor ihr liegenden Tüte. […] Gelegentlich fallen die Teilnehmenden auch dem Dozenten ins Wort oder widersprechen ihm. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 220-237)
Auch diese Szene unterstreicht die temporären Grenzüberschreitungen, die sich in der Handlungspraxis der Teilnehmenden dokumentieren. Goffman bezeichnet Handlungen wie das Naschen als „flüchtige, losgelöste Nebenbeschäftigungen, (die) als ein Teil des Ichs, der sich außerhalb des Rahmens befindet“ (Goffman, 1977, S. 582) angesehen werden und Aufschluss darüber geben können, wie weit
Abschließend sagt der Modulleiter: „Ich hoffe, dass ihr in Schulleitung landet.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 304)
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sich die Person von ihrer augenblicklichen Rolle, die sie innerhalb des sozialen Rahmens zu spielen hat, vereinnahmen lässt. Konfliktsituationen, die von den Teilnehmenden eingebracht werden sollen, sollen in Dreiergruppen bearbeitet werden. Dazu verlassen viele Gruppen den Raum und verteilen sich auf umliegende Räume und die Flure. […] Der Modulleiter geht von Gruppe zu Gruppe und beobachtet jeweils kurz die Rollenspiele. Er schaltet sich auch ein und kommentiert das Gesehene. […] Die Schlussphase wird angekündigt. Eine Teilnehmerin fragt die Gruppe, ob alle damit einverstanden wären, wenn die Teilnehmerliste kopiert und an jeden ausgehändigt werden würde, damit man in Kontakt bleiben könne. Eine Teilnehmerin (Frau Thomforde) spricht in das allgemeine zustimmende Nicken hinein: „Ich finde das nicht so gut. Weißt du, was? Mach doch kurz eine Liste fertig und gib die rum, dann kann sich jeder eintragen, der das will. Jeder, der angemailt werden will.“ Die Teilnehmerin ist einverstanden und reißt ein Blatt aus ihrem Block raus. Die meisten tragen sich ein. Zunächst wird ein schriftliches Feedback schweigend ausgefüllt; nebenbei verteilt der Dozent die Zertifikate. Wer möchte, kann ein mündliches Feedback zum Seminartag geben. […] Abschließend sagt der Modulleiter: „Ich hoffe, dass ihr in Schulleitung landet. Ich wünsche euch, dass ihr schnell älter werdet, denn viele hält nur noch das Alter ab. Bei uns gibt es nun mal die Meinung: Schulleitung ist mindestens vierzig. Das ist schade, aber ihr könnt in der Zeit immerhin viel lernen.“ Nach einer raschen Verabschiedung zerstreut sich die Gruppe. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 255-308)
Ein letztes Mal zeigt sich in dieser Szene die hohe Handlungsorientierung der beiden beobachteten „TVaS“-Module. Die inhaltlichen Schwerpunkte beider Module werden durch zahlreiche praktische Phasen vermittelt, die durchaus die Bindung sozialer Kontakte zwischen den Teilnehmenden begünstigen, jedoch keinen ganzheitlichen Rahmen im Sinne einer zu erreichenden Zielperspektive vermitteln. Die Gruppe trennt sich ohne jede Verbindlichkeit wieder. Folglich kann der von einer Teilnehmerin angeregte Kontaktdatenaustausch als Suche nach einer Aufrechterhaltung persönlicher Bindungen gesehen werden. Das Gelingen dieser Netzwerkbildung wird im Rahmen des „TVaS“ ganz den Akteuren und ihren Bewältigungsstrategien überlassen. Dass diese unterschiedlicher Art sind, zeigt sich in der obigen Situation: Keinesfalls für alle Akteure ist der Austausch der Emailadresse mit einer größeren Gruppe – fast fremder – Personen eine geeignete und zweckdienliche Praxis. Zu gering sind vielleicht die Übereinstimmungen der verfolgten Zielsetzungen, als dass eine Kontaktfortführung gerechtfertigt erscheint. Hier zu opponieren, da das Anliegen von einer Einzelperson generiert und nicht – wie beim Masterstudiengang beobachtet – institutionell oktroyiert wurde, scheint unproblematisch.
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Die verabschiedende Bemerkung des Dozenten lässt die gänzlich anders geartete Doxa dieses Qualifizierungsangebotes im Kontrast zum Masterstudiengang gewahr werden. Er reproduziert – wenngleich mit subjektivem Bedauern – die ent-professionalisierende Hypothese, Leitungshandeln setze langjährige Lehrtätigkeit voraus, und stellt damit eine allmähliche Inkorporierung kulturellen Kapitals über den Erwerb dieser Kapitalform in institutionalisierter Gestalt. Dass diese Äußerung kein Veto provoziert, lässt eine Homologie zu den doxischen Vorannahmen der Teilnehmenden vermuten. Die Sequenzen der ethnographischen Beobachtung ermöglichten eine Herausarbeitung der Unterschiede der „akademischen Fachkultur“ (Friebertshäuser, 1992, S. 73). Diese Fachkulturen sind – mit Bourdieu gedacht – nur deshalb ein Abbild ihrer Selbst, weil sie durch die mit ihnen korrespondierenden Akteure „durch den Habitus […] ihre volle Erfüllung“ (Bourdieu, 1987, S. 107) finden. Die Institution verleibt sich die Akteure ein und wird durch sie und ihr Handeln leibhaftig. Es ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Teilnehmendenkohorten a priori signifikante Habitusdifferenzen aufweisen, die sich im Verlauf der Partizipation noch potenzieren: „Die Richtung des adaptiven Verhaltens und der geforderten Entwicklungsleistungen sind von der jeweiligen Umgebung abhängig, in die das Individuum gestellt ist“ (Friebertshäuser, 1992, S. 76). Der Erfolg der jeweiligen Bewältigungsstrategien der Statuspassage ist demzufolge auch abhängig von der Passung zur gewählten Qualifikationsmaßnahme. Die Explikation der strukturellen Aufmachung beider Qualifizierungsformen erfolgte mit dem Ziel, den Rahmen offenkundig zu machen, innerhalb dessen sich die Proband/innen dieser Studie zu dem Zeitpunkt bewegten, als sie in den Fokus der Forscherin rückten. Diesem Kontextwissen kommt die Bedeutung eines elementaren Fundaments für das Verständnis der sich nun anschließenden Darstellung der Typologie zu, da eine Einflussnahme der strukturellen Faktoren auf die Verläufe der Statuspassage nachgewiesen werden konnte. Die Offenlegung der Kontextvariablen des beobachteten Feldes durch die detaillierte Beschreibung in diesem Kapitel kann man mit Goffmans Aussage zusammenfassen: „Es geht hier also nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen“ (Goffman, 1971, S. 9). Hatten die Handlungen Einzelner im obigen Teil eine eher sekundäre Bedeutung, verschiebt sich in den folgenden Abschnitten der Fokus, wenn die Ergebnisse der empirischen Analyse zur Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt vorgestellt werden. Dem Erkenntnisinteresse folgend und unter Zuhilfenahme der bereits dargelegten Auswertungsstrategien (vgl. Kapitel 5.4) konnte eine Bewältigungstypologie herausgearbeitet werden, die zunächst entlang ihrer Sinngenese läuft und im zweiten Schritt einer Betrachtung unter dem soziogenetischen
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Blickwinkel unterzogen wird. In die Erstellung der Typologie fließen sowohl die Erkenntnisse aus den Leitfadeninterviews als auch Fragmente der ethnographisch erhobenen Daten ein.
7. Sinngenetische Typenbildung
Die im Folgenden vorgestellten und auf Grundlage beider empirischer Erhebungsmethoden rekonstruierten sinngenetischen Typen gründen sich auf dem unterschiedlichen Bewältigungserleben der Statuspassage ins Schulleitungsamt. Der Typenbildung lagen somit die Suche und das Verstehen1 des subjektiven Sinns der Handlungspraxis der befragten Personen zugrunde. Dieses Vorgehen fußt auf der Annahme, dass der Mensch von Motiven geleitet wird, die sein Handeln bedingen und die unter soziologischer Blickrichtung forschend rekonstruiert werden können, die dem Handelnden jedoch nicht zwangsläufig reflexiv zugänglich sind. Diese impliziten Regeln, die die Akteure zu ihrer eigenen Sicht der Situation und zu subjektiven Bewältigungskonzepten führen, basieren zunächst auf ihren habituellen Dispositionen. Rasch entwickelt sich – unter bourdieuschem und goffmanschem Blickwinkel – ein reziprokes Verhältnis zwischen Akteur und Feld, da die Verhaltensstrategien vom sozialen Feld wahrgenommen und anerkannt werden: „Hat jemand erst einmal eine Verhaltensstrategie präsen-
1
Dem strengen Verständnis und der Definition von Verstehen nach Rehbein wird die vorliegende Untersuchung sicher nicht gerecht. Rehbein würde wohl den Terminus „nachvollziehen“ für die Ergründung einer Handlungsausführung für angemessen halten, da dieser Begriff „zum einen den Vollzug, d.h. die Daseinsperspektive, zum anderen das Nachträgliche“ (Rehbein, 1997, S. 161) beinhaltet. Vgl. hierzu Rehbein (1997, S. 136ff.). Das Verstehen in der vorliegenden Arbeit impliziert das Verstehen eines Handlungstypus respektive unterschiedlicher Handlungstypen aufgrund der sprachlichen Darstellungsweise ihres Karriereweges und der daraus antizipierten habituellen Grundstruktur, nicht das Verstehen einer konkreten Person und deren persönlichbiographischen Hintergrund. Dadurch entstehen einerseits sicher gewisse Grenzen des Verstehens, andererseits eröffnen sich auch Möglichkeiten die Befunde über die Ebene der Subjektivität hinauszugehen.
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tiert, dann richten er und die anderen meistens ihre späteren Reaktionen danach […]. Sollte er seine Strategie radikal ändern […], dann entsteht Verwirrung“ (Goffman, 1971, S. 17). Da sich bei allen Befragten eine Bezugnahme auf das soziale Feld rekonstruieren ließ, wurde dieser Aspekt zu einem die Bewältigung der Statuspassage wesentlich beeinflussenden und Typus konstituierenden Kriterium. Die Akteure agieren nicht isoliert, sondern innerhalb eines Kräftefeldes, welches als „Spannungsfeld der Strukturen sozialer Beziehungen als komplexes Feld von Vektoren, d.h. Kräften der Anziehung und Abgrenzung zwischen sozialen Akteuren“ (Vester, 2001, S. 227, Herv. im Original), gesehen wird. Die Ausgangspositionierung ist dabei ebenso von Bedeutung wie diverse Feldvariable. Mit Hilfe der Vorgehensweise der dokumentarischen Auswertungsmethode wurden sukzessive Kernkategorien aus dem Interviewmaterial abgeleitet, indem Interviewsequenzen miteinander verglichen wurden (siehe Kapitel 5.4), da dem Beginn des Forschungsprozesses noch kein heuristisches Konzept zugrunde lag. Die induktive Gewinnung der im Folgenden dargestellten Realtypen konstituierte sich letztlich aus den Merkmalskombinationen des situativen Kontextes, der Interaktion und Intention der Befragten sowie der Konsequenzziehung, die für die Proband/innen aus den drei vorhergehenden Aspekten resultiert. Dabei wird unter der Fokussierung auf den situativen Kontext zum einen die Ausgangspositionierung der Proband/innen mit den damit korrespondierenden Selbst- und Fremdzuschreibungen und zum anderen die Wahl der Qualifizierungsmaßnahme in den Blick genommen. Interaktion und Intention beleuchten die Offenlegung des Vorhabens, den vorausgehenden oder darauffolgenden Ermutigungserhalt, die Netzwerkbildung, die Zielstrebigkeit bzw. Konkretheit des Aufstiegsvorhabens ebenso wie die dahinter liegende Handlungslogik der Aufstiegsaspiranten in Bezug auf ihre Neupositionierung im sozialen Feld. Die aus den angewandten Strategien resultierende Konsequenzziehung kann teilweise bereits aufgezeigt werden, da die Betrachtung der Statuspassage bei dem Teil des Samples, welches sich aus Schulleitungen zusammensetzt, aus einem retrospektiven Blickwinkel heraus erfolgt. Bei den Proband/innen, die sich zum Untersuchungszeitpunkt innerhalb der Statuspassage befanden, können Konsequenzziehungen lediglich aus den Formulierungen der befragten Personen, die die Zukunft avisieren, abgeleitet und ihre Realisierungswahrschein-
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lichkeit auf Grundlage habitueller Prädispositionen vorsichtig prognostiziert werden2. Vom Erkenntnisinteresse dieser Arbeit her und durch die Ermittlung der nun offengelegten relevanten Kernkategorien, denen von Typus zu Typus eine unterschiedliche Gewichtung zukommt, ist es gelungen, eine sinngenetische Typologie der Bewältigung der Statuspassage zu erstellen, die vier Typen umfasst: • • • •
den Typus „risikoloses Probehandeln“, den Typus „Abgrenzungsneigung“, den Typus „Bestätigungsbedürfnis“ sowie den Typus „handelnder Positionsanstieg“.
Bei eingehender Betrachtung der vier oben genannten aufstiegsstrukturierenden Eckpunkte – situativer Kontext, Interaktion, Intention und Konsequenzen – und ihrer jeweiligen Ausprägung lässt sich eine Verortung der herausgearbeiteten Typen im Feld erkennen, die sich im dreidimensionalen Raummodell – in Anlehnung an Bourdieu (vgl. Bourdieu, 1982, S. 195ff.) – in horizontaler und vertikaler Anordnung ausdrücken lässt. Die vier Typen können in der vertikalen Dimension zwischen den Polen Zielbewusstheit versus Vagheit und auf der horizontalen Achse zwischen Abgrenzung bzw. individueller Orientierung versus Nähe bzw. gemeinschaftlicher Orientierung verortet werden. Mit der dritten Dimension berücksichtigt Bourdieu die zeitliche Entwicklung von Positionen. Diese wird in folgender Abbildung noch vernachlässigt, in der Explikation einer zeitlichen Rahmenmodulation einiger Proband/innen jedoch wieder aufgegriffen (vgl. Kapitel 7.1.5 sowie 7.3.5).
2
Durch die Methodentriangulation des Forschungsdesigns kam es indes verschiedentlich zu einem wiederholten Kontakt zwischen mir und bereits befragten Personen, der es ermöglichte auch über den Zeitpunkt des Interviewtermins hinaus Einblick in die Fortentwicklung der Statuspassage zu erhalten.
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Im Folgenden schließt sich nun die Darstellung der Typologie an. Die Proband/innen, die die einzelnen Typen konstituieren, werden zu Beginn einer jeden Typencharakterisierung kurz hinsichtlich einiger persönlicher Eckdaten skizziert. Demgegenüber bedürfen diejenigen Personen, deren Äußerungen und Verhaltensweisen mit der Forschungsmethode der teilnehmenden Beobachtung erhoben wurden und die nun zur Verdichtung der Typologie herangezogen werden, aufgrund ihrer eher marginalisierten Stellung innerhalb des Datenpools und ihres ergänzenden Charakters keiner weiteren Einführung. Jede der vier Typendarstellungen endet mit einer abschließenden Visualisierung, die den situativen Kontext, die Interaktionen, Intentionen und Konsequenzziehungen des jeweiligen Typus zusammenfasst und den Bewältigungsphasen zuordnet. Die sinngenetische Typendarstellung erfolgt über weite Teile ohne expliziten Rekurs auf die Geschlechterdimension, da dieser Blickwinkel erst in der sozio-
7. S INNGENETISCHE TYPENBILDUNG
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genetischen Analyse in den Fokus rücken soll. Gelegentliche Vorgriffe und Querverweise sind dennoch unerlässlich. Im letzten Teil der empirischen Entfaltung, der soziogenetischen Analyse, stellt sich dann, wie später zu zeigen sein wird, eine Überlagerung der bewältigungstypischen Dimensionen durch geschlechterdifferenzierende Aspekte dar. Proband/innen, die im ersten Schritt einem gemeinsamen Typus zugeordnet werden konnten, weisen unter soziogenetischer Blickrichtung partiell kontrastierende Attitüden und Praktiken auf. Die soziogenetische Analyse geht folglich über die ermittelten Merkmalsdimensionen hinaus, versucht, diese Ausdifferenzierung aufzudecken und zu analysieren, in wieweit die Geschlechterzugehörigkeit in die Statuspassage hineinreicht und ihre Bewältigung prägt.
7.1 T YPUS „ RISIKOLOSES P ROBEHANDELN “ Drei Probandinnen des Untersuchungssamples weisen einen gemeinsamen Orientierungsgehalt auf, der im Rahmen dieser Arbeit als „risikoloses Probehandeln“ bezeichnet werden soll. Frau Krug ist Lehrerin für die Grund- und Mittelstufe und übt ihren Beruf seit acht Jahren aus. Sie ist 40 Jahre alt, lebt allein und hat keine Kinder. Das „TVaS“ hat sie bereits seit drei Jahren abgeschlossen, ohne darauf berufliche Veränderungen folgen zu lassen. Nun hat sie den Masterstudiengang „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ aufgenommen und befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews im ersten Semester. In ihrer Schule engagiert sie sich vor allem in Bereichen, die das kollegiale Miteinander stärken (Adventskalender für das Kollegium, Wettspiele zur Zeit der Fußball-WM). Die 39-jährige Frau Eggers ist Grund- und Hauptschullehrerin3 und arbeitet mit Unterbrechungen durch ihre Schwangerschaften seit 16 Jahren an einer Grundschule. Ihr Mann ist ebenfalls Lehrer und hat an seiner Schule die Position des Konrektors inne. Sie haben zwei Kinder im Alter von 10 und 13 Jahren. Frau Eggers betreut an ihrer Schule als Mentorin Lehramtsanwärter/innen, führt die LRS-Diagnostik durch und ist Gleichstellungsbeauftragte. Frau Eggers hat zum Zeitpunkt des Interviews das „TVaS“ bereits seit über einem Jahr abgeschlossen.
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Die unterschiedlichen Berufsbetitelungen der Probandinnen und Probanden resultieren aus den voneinander abweichenden Bezeichnungen für Lehramtsstudiengänge und abschlüsse in den einzelnen Bundesländern.
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Frau Andres ist ebenfalls 39 Jahre alt und Lehrerin für die Grund- und Hauptschule. Sie hat drei Kinder im Alter von sechs, acht und 13 Jahren. Ihr Ehemann arbeitet als Immobilienmakler. Seit 13 Jahren ist sie – mit Schwangerschaftsunterbrechungen – in ihrem Beruf tätig; derzeit betreut sie an ihrer Schule viele verschiedene Bereiche: Sie ist Fachleiterin für Deutsch und Englisch, begleitet Lehramtsanwärter/innen, arbeitet in der Stufenleitung mit, verwaltet die Bücherei und engagiert sich im SINUS-Projekt4. Das „TVaS“ hat sie seit drei Jahren abgeschlossen. 7.1.1 Situativer Kontext 5: „Ich glaub, ich bin so ein bisschen Mami so im Kollegium“ Die Personen, die den Typus „risikoloses Probehandeln“ repräsentieren, sind – wie oben bereits aufgeführt – neben ihrer Lehrtätigkeit mit zahlreichen Aufgaben innerhalb ihrer Schule betraut und empfinden sich ganz nachdrücklich als Teil ihres Kollegiums. Die Empfindung der Zusammengehörigkeit wird ganz besonders durch die von zwei Probandinnen gewählte Bezeichnung „Mama/Mami“ evident, in der sich Fürsorglichkeit, Verfügbarkeit und Selbstlosigkeit offenbaren: „Ich werde von der Schulleitung als Ansprechpartner gesucht, was so Kleinigkeiten angeht. Sagen Sie, bei dem und dem Fest, sollten wir das lieber vormittags oder nachmittags machen? Wie könnten wir den Frühstücksmüttern etwas Gutes tun? Also so, so, so, was so das Mütterliche angeht. Ich bin diejenige, die es, glaube ich, mit am meisten ärgert, dass unser Lehrerzimmer so unordentlich ist. Ich bringe es immer mal wieder fertig Schokolade mitzubringen oder aufzuräumen. Auch wenn ich nicht gerne aufräume, wie man hier unschwer erkennen kann. Ähm..., jahrelang echt gerne die Freud- und Leidkasse gemacht, bis ich gemerkt habe, das fünfte Geschenk für die Kollegen, das fällt mir echt schwer. Ich glaub, ich bin so ein bisschen Mami so im Kollegium. Zum einen kommen die jungen Kollegen und fragen: Sag mal, wie krieg ich Ruhe in die Klasse? Hast du mal ’nen Tipp für mich? Ich weiß nicht weiter. Wie machst du das mit den Buchstaben? Aber es geht
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Dabei handelt es sich um ein Modellprogramm zur Weiterentwicklung des Mathematik- und Sachkundeunterrichts an Grundschulen, welches vom IQSH und dem Kieler Leibniz-Institut unterstützt wird.
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Die vier Aspekte situativer Kontext, Interaktion, Intention und Konsequenzen, nach denen die Kapitel gegliedert sind, werden am Ende einer jeden Typendarstellung noch einmal mit ihren jeweiligen typenspezifischen Ausprägungen in einer Graphik veranschaulicht.
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meistens eher um die pädagogische Facharbeit, wie man das macht. Nicht wirklich um den Inhalt des Faches.“ (Frau Andres, Z. 259-271) „Ich bin eigentlich so die Mama für alles. Ich suggeriere nach außen hin, dass ich ganz viel mitbekomme und ganz viel weiß. Werde ganz viel gefragt, ob ich wüsste, wo das und das ist oder wie das ist. Und dann scheint meine Meinung wichtig zu sein. Dann werde ich gefragt als ältere Kollegin, wie das woanders gehandhabt wird oder wie ich das empfinde.“ (Frau Eggers, Z. 208-211)
Die narrativen Darlegungen der Probandinnen dokumentieren eine stabile, konfliktfreie und fast familiäre Einbindung in das Kollegium, die mit einem hohen Verantwortungsgrad einhergeht und ein Klima schafft, in welchem sich die Befragten geborgen fühlen und den Kolleginnen und Kollegen Geborgenheit spenden. Mit der Versorgung durch Süßigkeiten und Geschenke und der Bereitschaft zu kollegialer Unterstützung praktizieren sie „Zuvorkommenheitsrituale, durch die der Handelnde konkret seine Wertschätzung des Empfängers zum Ausdruck bringt“ (Goffman, 1971, S. 81). Ihre Verantwortung und ihr hoher Einsatz mündeten bislang nicht in eine höhere berufliche Position (z.B. die Stelle der Konrektorin), sondern beschränkten sich darauf, „kooperative Beziehungsarbeit zu leisten, die im Verborgenen bleibt und nirgendwo honoriert wird, ohne die Schule aber gar nicht funktionieren würde“ (Koch-Priewe, 1996a, S. 284): „Ich hab für mich festgestellt, dass ich auf so vielen Hochzeiten getanzt hab. Ich mach das auch gerne. […] Aber es sind auch neue Kollegen nachgerückt, denen ich das sehr wohl zutraue. Wenn jemand von denen krank wird, übernehme ich das ohnehin wieder.“ (Frau Andres, Z. 74-77) „Und da ich die Stufenleitung abgegeben habe, hab ich zu der Kollegin, die das übernommen hat, gesagt: Offiziell hat sie die Leitung, aber wir machen das jetzt trotzdem zusammen.“ (Frau Andres, Z. 115-117)
Ihre habituelle Prädisposition, welche hier als Versorgerhabitus6 bezeichnet werden soll, bedingt den Konnex der oben beschriebenen Verantwortungsbereiche
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Trotz der hier vorgenommenen Fokussierung auf eine besonders signifikante Habitusdimension, aus der die Namensgebung „Versorgerhabitus“ resultiert, soll die Komplexität der Habitus nicht außer Acht gelassen werden. So sind Aspekte des Versorgens ebenso in den Habitus anderer Personen angelegt, treten aber geringer hervor, da sie
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mit den freundschaftlichen und kontextübergreifenden Kollegenkontakten („Ich hab auch so vom Kontakt her-, ich geh mit den jungen Mädels auf’n Kiez, die ja wirklich zehn, fünfzehn Jahre jünger sind als ich. Bin aber auch mit den älteren Kolleginnen zum Kaffeetrinken verabredet. Ich glaub, ich bin so’n bisschen in alle Richtungen.“ Frau Andres, Z. 273-275) und definiert die feldspezifische Position dieses Typus. Der Habitus sucht eine krisensichere Umgebung, „also eine relativ konstante Welt von Situationen, die geeignet sind, seine Dispositionen dadurch zu verstärken, daß sie seinen Erzeugnissen den aufnahmebereitesten Markt bieten“ (Bourdieu, 1987, S. 114). So können die Probandinnen sicher sein, mit ihrem Verhalten positive Resonanzen hervorzurufen, und behalten folglich die bewährte Anerkennungsstrategie bei. Ihre eigene Beschreibung ihrer Stellung im Kollegium als „Mami“ gibt Aufschluss darüber, wie sie die sozialen Strukturen wahrnehmen. Hierbei handelt es sich um wechselseitige Positionszuschreibungen: Selbstzuschreibungen geben nach Bourdieu kein Abbild des Raumes der Positionen, sondern des Raumes der Perspektiven. Es handelt sich um die „Vorstellung, die sich die Handelnden von ihrer eigenen Stellung und von der Stellung der anderen im sozialen Raum machen (übrigens auch die Vorstellung hierüber, die sie bewußt oder unbewußt durch ihre Praktiken oder Eigenschaften vermitteln), aus einem System von Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata, das selbst wiederum einverleibtes Produkt einer Bedingung“ (Bourdieu, 1987, S. 255) ist. Der Habitus weist diesem Typus seine Position im Kollegium zu und wird fortan kontinuierlich von dieser geprägt. Frau Andres’ und Frau Eggers’ Selbstklassifizierung als „Mutter“ gibt demzufolge ihre Perspektive ihrer Stellung im sozialen Raum an, die sie im Wesentlichen aus den Fremdzuschreibungen und Verhaltensweisen der anderen Akteure ableiten. In dem Bestreben, im Einklang mit der einmal eingenommenen Position zu stehen, reproduzieren sie diese durch ihre Wahrnehmung und die adäquate soziale Praxis. „So wissen Menschen über ihre soziale(n) Position(en) nicht nur in abstrakter, vorbewusst verinnerlichter Art und Weise Bescheid, sondern sie erfahren und produzieren diese immer wieder im alltäglichen Leben“ (Peters, 2009, S. 78). Wenngleich die Positionierung dieses Typus letztlich – wie später deutlich wird – ein Spannungsfeld zwischen dem sozialen Feld und der Aufstiegsinten-
von anderen Dispositionen überlagert werden. Desgleichen setzt sich der Versorgerhabitus nicht alleinig aus dieser einen Eigenschaft zusammen, sondern weist weitere Dispositionen – in geringerer Gewichtung – auf (vgl. hierzu auch Bremer, 2007, S. 129). Diese Einschränkung gilt für die Herausarbeitung jeweils einer prägnanten Habitusdimension bei allen Typen.
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tion evoziert und das Karrierebestreben dieser Probandinnen nicht problemlos vertretbar ist, da es den Fremd- und Selbstzuschreibungen widerspricht, kann diese nicht ohne weiteres verändert werden. Nach Goffman hat das soziale Umfeld eine Erwartung an den Akteur – dies bezeichnet er als Rollen-Validierung – und die „Rollen-Bindung ist der komplementäre Vorgang, durch den eine Person sich bestimmte Verhaltensstile zu eigen macht […], [die] am besten die soziale Position widerspiegeln, die sie einzunehmen glaubt“ (Goffman, 1974, S. 441). Die gesicherte Position durch eine vom Aufstiegsinteresse motivierte Orientierung nach außen ins Wanken zu bringen, ohne in dieser frühen Phase der Statuspassage bereits ein neues Image aufbauen zu können, scheint riskant, „denn ist das ‚Image‘ bedroht […], dann kratzt dies nicht einfach an der Oberfläche einer Maske, sondern ein Wappenschild wird zerstört und der innerste Schutzraum seines Trägers verletzt“ (Raab, 2008, S. 75). Folglich distanziert sich dieser Typus im Interview fast reflexhaft vom Aufstiegswunsch und wählt eine Qualifizierungsmaßnahme, die dies auch zulässt: das „Training zur Vorbereitung auf Schulleitungsaufgaben (TVaS)“. „Bei mir ist das so entstanden, dass ich zwei, drei Sachen hatte, die mich interessiert haben und dann für mich entschieden hab: Wenn ich sowieso schon dort bin, dann kann ich die anderen zwei Tage auch noch mitnehmen. So bin ich da reingerutscht. Das war vor drei Jahren. Inzwischen melde ich mich gezielt für Seminare davon an, weil ich denke, dass das nicht nur für Schulleitung wichtig ist, sondern auch für uns ganz normale Kollegen.“ (Frau Andres, Z. 10-14) „Und hatte dann, hab ich ja eben erzählt, ich meine, das war... War das 2007 oder 2006? 7
Hab ich ja schon diese Woche in Tannenfelde gemacht. Das war ja auch für Führungskräfte. Nicht um Schulleiterin zu werden, sondern eher auch zu wissen, wie funktioniert gute Schule oder woran hapert das, dass an Schulen so viel schief läuft. […] Ich hatte dann versucht, irgendwie, also dann machst du was im Privatleben anders, machst einen Nähkurs. Oder irgendwie so was, was dich dann erfüllt.“ (Frau Krug, Z. 10-42)
Erst im weiteren Interviewverlauf kommt es zu einer Offenlegung, die fast einem Eingeständnis nahekommt: „Ich glaube, der Schulleiterposten wäre was, was mir schon irgendwann Spaß machen würde.“ (Frau Andres, Z. 88-89)
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Hierbei handelt es sich um den Veranstaltungsort des „TVaS“.
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„Nach wie vor hab ich eigentlich schon immer das Gefühl, dass ich-. Also, ich möchte ganz gerne irgendwann Schulleiterin werden. Von Anfang an ist das eigentlich so gewesen.“ (Frau Eggers, Z. 36-37)
Nach obigen Zitaten wird das Thema Aufstieg im Interview wieder zugunsten inhaltlicher Schwerpunkte ausgeblendet und fortan nur randständig bearbeitet. Durch die Strukturierungsform der Qualifizierungsmaßnahme „TVaS“, welche durch fortwährende Offenheit der Teilhabe gekennzeichnet (vgl. auch Kapitel 6.2) und durch die stark themenzentrierte Ausrichtung auch für aufstiegsuninteressierte Personen geeignet ist, bildet das „TVaS“ den passenden Rahmen für diesen Typus. Die Festlegung auf eine Weiterbildung mit der primären Absicht eines Positionsanstiegs kann vermieden und das Handeln – wie noch zu zeigen sein wird – durch die Prävalenz inhaltlicher Interessen legitimiert werden. Weiterhin wird – kontrastierend zum Masterstudiengang – durch die Partizipation am „TVaS“ keine Kontaktaufnahme mit ausdrücklich aufstiegsentschlossenen Personen forciert. Folgende Bemerkungen in den Protokollen der ethnographischen Beobachtung des „TVaS“ geben darüber Aufschluss, dass dort neben aufstiegsbestrebten Teilnehmenden auch solche aufeinandertreffen, die einem subjektiven Orientierungsgehalt folgen, welcher einem positionellen Aufstieg skeptisch bis ablehnend gegenübersteht: Tn (w): „Ich weiß nicht, was dieses Gerede von den Führungskräften soll. Ich bin keine und weiß auch noch nicht, ob ich mich je bewerbe. Ich finde, das hier ist für alle.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 186-188) Tn (w) ist stellvertretende Schulleiterin: „Ich weiß noch nicht, ob ich mal Schulleitung werde. Ich bin noch nicht so weit. Ich brauche immer ganz viel Fortbildung. Ich guck erst mal, aber nicht kurzfristig. Vielleicht mache ich den Rest des „TVaS“ auch erst im nächsten Sommer.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 102-105) Tn (w): „Ich finde, Schule mitgestalten macht immer Spaß. Schule ist ein spannender Prozess. Ich brauch nicht unbedingt Schulleitung werden.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 110-111) In einer kurzen Kaffeepause frage ich eine Teilnehmerin, die mit vier anderen Personen aus ihrer Schule am „TVaS“ teilnimmt (alle sind ca. Mitte 30): „Und du machst hier schon mal die ersten Kurse, weil du irgendwann Schulleiterin werden willst?“ „Nee, wir wollen alle keine Schulleiter werden.“ Sie bezieht sich damit, wie an ihrem Handzeichen erkennbar ist, auf ihre Kolleg/innen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 246-250)
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Da die Interviewanalyse ergeben hat, dass die Teilnehmenden auch das kollegiale Zusammensein im Rahmen des „TVaS“ schätzen („Der Austausch mit anderen Menschen und nicht nur, ich seh die drei Stunden und dann fährt jeder wieder in seine eigene Schule, sondern über mehrere Tage, indem man sich auch mal abends zusammen hinsetzt und klönt und Mittag isst oder Abendbrot oder so, der fehlt mir sonst manchmal.“ Frau Andres, Z. 51-54), kann vermutet werden, dass selbstverstärkende Entwicklungsprozesse hinsichtlich einer Karrierekonstruktion ausbleiben, wenn sich habituell gleichgesinnte Teilnehmende miteinander solidarisieren, die einander keine Motivation und Ermutigung spenden können, sondern die eigene Herangehensweise bekräftigen und dadurch die Bedenken verdichten: „Die Aktivität ist selbst als Ziel definiert […], die bei der Ausführung vollbrachten Leistungen liefern einen hinreichenden Grund für seine Beteiligung und sind deswegen ein unmittelbarer Ausdruck seines wahren Images“ (Goffman, 1971, S. 203). In dem Fall würden sich soziale Kontakte gerade nicht als „ein für den optimalen Ertrag des ökonomischen und kulturellen Kapitals unabdingbares soziales Kapital“ (Bourdieu, 1981, S. 190) erweisen, welches sozusagen eine Konsolidierung „von unten“ induziert. Trotz ihrer Teilzeittätigkeit zeigen die Lehrerinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ unter Einsatz ihres eigenen ökonomischen Kapitals eine bemerkenswerte Motivation zur aktiven Qualifizierung, deren Potential jedoch noch nicht entsprechend umgesetzt wird. Die „Amortisierungschancen“ (Krüger, 2001, S. 24) der Investition in den Erwerb inkorporierten kulturellen Kapitals erscheinen bei diesem Typus recht ungewiss.8 Da nach abgeschlossener Weiterqualifikation kein institutionalisiertes Kulturkapital im Sinne einer obligatorischen Zulassungsvoraussetzung und neuen Berufsbezeichnung vergeben wird, bewirkt die Logik dieses Berufsfeldes, dass sich aus der Verfügung inkorporierten Kapitals nicht zwangsläufig Karriereschritte ableiten lassen und die bisherige Position konstant bleiben kann. Bourdieu bezeichnet ein Zuviel an Fortbildungsbereitschaft, wie sie dezidiert aus Frau Andres Bemerkung „Würde aber für mich trotzdem weiterhin immer fröhlich Fortbildungen besuchen, bei denen ich so sage: Das stärkt mich.“ (Frau Andres, Z. 101-102) abzuleiten ist, als „Überinvesti-
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Diese Antizipation deckt sich mit den Erkenntnissen von Beucke-Galm, die in ihren Untersuchungen den Geschlechteraspekt ins Spiel bringt und resümiert, dass Frauen mit Weiterqualifizierungen nicht kausal den Anspruch auf Positionsveränderungen und ein höheres Gehalt verbinden, „obwohl diese Frauen für ihre Schulen eine im System wirksam werdende Arbeit leisteten, erwartete keine von ihnen eine entsprechende Führungsposition“ (Beucke-Galm, 1996, S. 243).
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tion“ (Bourdieu, 1981, S. 214), die nicht zu einer beruflich fortschreitenden Entwicklung, sondern zu Umwegen führt. Der trotz dieser richtungslosen Umwege erzielte subjektive Nutzen für das Wohlbefinden und die Wissbegierde bleibt unberücksichtigt in Bourdieus Argumentation: „Bildungsinvestition hat nur Sinn, wenn die Umkehrbarkeit der ursprünglichen Umwandlung von ökonomischem in kulturelles Kapital zumindest teilweise objektiv garantiert ist“ (Bourdieu, 1992a, S. 62). Die Probandinnen dieses Typus interpretieren ihr Handeln vielmehr im Sinne eines interessengeleiteten Fortbildens ohne jede Dringlichkeit und als erfüllenden Selbstzweck denn als unökonomischen Lernaufwand. Dieser Passion zu folgen „unberührt vom […] gewinnsüchtigen Gebrauch der Bildung“ (Bourdieu, 1982, S. 151) setzt nach Bourdieu eine gewisse „Distanz zur Welt voraus“ (Bourdieu, 1982, S. 101). Dennoch gilt es, das Augenmerk darauf zu richten, dass die gewählten Fortbildungsschwerpunkte dieses Typus nicht aus beliebigen Themenfeldern stammen, sondern stets die Nähe zur und die Relevanz des Leitungshandelns umspannen. Hinsichtlich der Aufgabe des Leitungshandelns verfügt dieser Typus über eine recht ausgeprägte Kompetenzsicherheit, die sich besonders deutlich bei Frau Andres zeigt9: „Wo ich nicht wirklich dran zweifele, auch wenn das vielleicht überheblich klingt, ich glaub schon, ich könnte das. Ich könnte nicht alles, aber ich könnte vieles. Und würde mich an einigen auch immer wieder reiben und mir Hilfe holen müssen. Aber ich glaub, so im Großen und Ganzen würde ich das können. Aber ich glaube, ich bin noch lange nicht so weit.“ (Frau Andres, Z. 233-237)
Mit der Überzeugung von der eigenen Befähigung korrespondiert auch die Beobachtung der Probandinnen, ein Übermaß an erworbenem Wissen sei für die Position der Schulleitung nicht geboten: „Also, es gab welche dabei, die haben festgestellt, dass sie nicht mehr als Lehrer arbeiten wollen; sie müssen was Anderes machen. Dann ist Schulleitung naheliegend, viel mehr andere Möglichkeiten haben wir ja nicht. IQSH oder Ministerium wäre vielleicht noch ’ne Idee. Aber da muss man fachlich auch viel nachweisen können. Das muss man als Schul-
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Ebenso schreibt Winterhager-Schmid über ihr Untersuchungssample (vgl. auch Kapitel 4.1): „Das Bewusstsein, sich für die Schulleitungsaufgabe bereits ausreichend qualifiziert zu haben, ist überraschend ausgeprägt“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 110).
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leiter, glaub ich, nicht wirklich immer. Da kann man auch durch Überzeugungsarbeit einfach ganz viel leisten. Indem man einfach toll da vorne steht.“ (Frau Andres, Z. 331-336) In einer kleinen Arbeitsgruppe berichtet eine Teilnehmerin (45 Jahre alt, stellvertretende Schulleiterin) über Probleme mit ihrem Schulleiter. Sie habe viele Projekte angeschoben aus eigenem Interesse. „Ich bin sehr fürsorglich. Ich bin auch immer der Puffer und schütze ihn vor anderen, weil ich weiß, dass er krank ist. Es ist eher ein Vater-TochterVerhältnis. Er ist ein lieber, älterer Herr, aber eben keine Führungskraft. Er ist nicht auf dem Laufenden und hat keine Ideen. Die bringe ich dann immer ein, sonst halte ich das nicht aus. Der Modulleiter fragt sie: „Warum machst du das alles? Was soll dir das bringen?“ „Ich will üben, Schulleiterin zu werden, irgendwann mal. Ich bin jetzt schon im dritten Jahr beim ‚TVaS‘.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 257-266)
Sie folgen demnach einer Intention – dem Erwerb kulturellen Kapitals –, welche sie ihrem eigentlichen Ziel nicht näher bringt und ihr Handeln, die lange Vorbereitungsphase, letztlich ad absurdum führt. Folglich – und insbesondere der obige Satz der Teilnehmerin beim „TVaS“ „Ich will üben, Schulleiterin zu werden, irgendwann mal“ weist darauf hin – ist der intensive Qualifikationszeitraum nicht primär als Wissenserweiterung zu interpretieren sondern als Absicherungsstrategie. Die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht diesem Typus ein risikoloses Probehandeln10 innerhalb eines Schutzraumes, der sie keinem realen Handlungsdruck und keiner gehobenen Verantwortung aussetzt und sie vor Misserfolgen bewahrt: „Auf der einen Seite schon diese Sicherheit, die ich hab, ich hab ja nichts zu verlieren. Ich hab ja meinen Job, das ist ja jetzt ein Hobby.“ (Frau Krug, Z. 78-79) „Ganz normal Zeit bringt da ganz viel mit sich. Durch Übung für mich. […] Ich probier einfach aus. Ne? […] So was mache ich dann, ich probier mich aus, ohne dass davon wirklich was für mich abhängt.“ (Frau Andres, Z. 242-247)
10 Auf die mutmaßlich recht hohe Quantität des hier als „risikoloses Probehandeln“ titulierten Typus deutet auch die Untersuchung von Winterhager-Schmid hin, in der sie die intensive Partizipation an vorbereitenden Qualifizierungsmaßnahmen von weiblichen Probandinnen herausarbeitet und schreibt, dass „mehr als zwei Drittel der Frauen […] (angaben), bereits vor dem Orientierungskurs an Fortbildungen teilgenommen zu haben, die sie als leitungsrelevant erachten“ (Winterhager-Schmid, 1997, S. 104).
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„Ich hatte für mich überlegt, dass ich eben auch in Schulleitungsebene vielleicht einfach mal reinriechen wollte, war aber noch nicht so ganz sicher, ob das überhaupt was für mich ist. Und hatte dann durch ’ne Kollegin, die Konrektorin war, die gesagt hatte: Mach doch einfach das. Da kann man mal gucken, ob das was für einen ist. Die trainieren mit einem ein bisschen und sagen einem auch nachher, ob das was ist oder ob man geeignet ist. Oder man selber empfindet auch nachher, möchte ich das überhaupt oder möchte ich das nicht.“ (Frau Eggers, Z. 9-14)
Der Aspekt des Übens, der diesem experimentellen Versuchsarrangement innewohnt, wird von Goffman unter dem Blickwinkel auf die „Organisation des Übens“ (Goffman, 1977, S. 76) analysiert. Er expliziert, dass die „Welt des Übens sowohl einfacher als auch komplizierter (ist) als die der ‚lebensechten‘ Verhältnisse“ (Goffman, 1977, S. 78), da sich die ersten Übungsphasen mit Bedingungen befassen, die im Verhältnis zur Wirklichkeit als leichter angesehen werden können, während fortschreitende Übungsphasen oft Konstellationen und Anforderungen enthalten, die in der Realität nur im unwahrscheinlichsten Fall auftreten. Diese Grenze des Übens, die die Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ mutmaßlich längst erreicht haben, deren Sackgassenwirkung sie sich aber nicht gewahr werden, wird von einem Probanden, der in dieser Arbeit dem Typus „Bestätigungsbedürfnis“ zugeordnet wurde, verlebendigt: „Also von daher gibt es immer wieder Momente, wo man denkt: Wartest du noch ’ne Weile und bildest dich noch weiter fort? Aber dagegen steht die Erkenntnis, dass man die Dinge, die man als Schulleitung machen muss, eben auch erst dann im Endeffekt lernen kann, wenn man drinsitzt. Bestimmte Dinge kann man eben nicht im Vorwege lernen, sondern das kommt dann. Ganz egal, wie gut die Vorbereitung ist, das kann man nur in der Praxis.“ (Herr Hagen, Z. 183-188)
7.1.2 Interaktion: „Schulmanagement, das klingt ja auch so, will die jetzt Schulleiterin werden, dreht die jetzt ganz ab?“ Ihre Ausgangspositionierung innerhalb des Kollegiums und die damit in einem reziproken Verhältnis stehenden Selbst- und Fremdzuschreibungen scheinen diesen Probandinnen die offene Kommunikation ihres Aufstiegsinteresses zu erschweren. Demzufolge versuchen sie zunächst, ihre Partizipation an der Qualifizierungsmaßnahme zu verheimlichen: „Ich hab das zuerst keinem erzählt, das ist ja auch … ‚Schulmanagement‘, das klingt ja auch so, ach, was will die jetzt, will die jetzt Schulleiterin werden, dreht die jetzt ganz ab,
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ne? Und dann hab ich das meinen Eltern erzählt und ich hatte gedacht, dass die auch eher so, was soll das denn jetzt so?“ (Frau Krug, Z.31-34) I: „Also Sie haben das der Schulleitung nicht erzählt?“ „Nein. Wir müssen immer dreißig Fortbildungsstunden machen und dann müssen wir das einreichen. Und die Schulleitung hat da nicht nachgefragt und da hab ich’s nicht eingereicht. Ich hab gedacht, das muss sie noch nicht wissen, so. Ich trau der ganzen Sache nicht, ob das jetzt so positiv gesehen wird oder ob das eher heißt, oh, die, die möchte weg. […]“ (Frau Krug, Z. 214-219)
Wenngleich die Rolle, die sie einnehmen, ihren Aktionsradius determiniert, weckt das „Lernen der eigenen Positionierung, (welches) auch schmerzhaft (oder bestätigend) erfahren werden“ (Peters, 2009, S. 90) kann, nicht den Wunsch, sich in seinen Selbstzuschreibungen von den Fremdzuschreibungen abzugrenzen. Stattdessen wenden die Probandinnen zur Herstellung einer Übereinstimmung zwischen ihrem individuellen Wunsch und ihrer kollektiven Orientierung eine Problemlösestrategie an, die ihrem Bestreben nach einer „Stabilität des Eindrucks“ (Goffman, 1974, S. 366) nachkommt. Sie bedienen sich einer Rahmenmodulation: Während der innerste Kern der Teilhabe am „TVaS“ darauf abzielt, mit diesem Tun eine Qualifizierung zur späteren Übernahme eines Schulleitungspostens zu erwerben, modulieren diese Probandinnen den originären Rahmen durch eine Handlung, die Goffman als „In-anderen-ZusammenhangStellen“ (Goffman, 1977, S. 87) betitelt. Sie distanzieren sich von einer karriereaffirmativen Nähe und fokussieren auf eine rein inhaltliche Interessenslage mit evidentem Trivialisierungsgrad: „Ach, Mensch, das hab ich ja jetzt gerad gelernt. Ich mach da so ’ne Fortbildung, hab ich gesagt. Ich mach ’ne Fortbildung (lacht) und da haben die das und das gesagt (lacht).“ (Frau Krug, Z. 205-207) I: „Erzählen Sie Ihrem Kollegium, dass Sie diese Fortbildungen besuchen?“ (4 Sek. Pause) „Die wissen schon, dass ich auf Fortbildungen bin, aber ich glaub, die interessieren sich gar nicht dafür, was ich getan hab. Die wissen, ich war in den Sommerferien ’ne Woche auf Fortbildung und begrüßen mich mit den Worten: Na, hat’s dich zu Hause gelangweilt? (lacht) Nee, also so. Aber was ich genau besuche, wissen die nicht.“ (Frau Andres, Z. 132-137)
In ihrem Interesse, „zu verhüten, daß eine wirkliche Alarmursache entdeckt wird“ (Goffman, 1974, S. 340), die ihre Ausgangsposition der fürsorglichen Mutterrolle gefährden und zu einer Marginalisierung ihrer selbst führen könnte, verhalten sie sich konstant ihrer „Person-Rolle-Formel“ gemäß: „Wie eine Rolle vielleicht
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einen Rollenspieler mit bestimmten ‚entsprechenden‘ sozialen Eigenschaften erfordern kann, so kann sich ein Rollenspieler veranlaßt sehen, nur bestimmte Rollen zu wählen, weil gegenüber jemandem mit seinen sozialen Eigenschaften bestimmte öffentliche Erwartungen bestehen“ (Goffman, 1977, S. 298). Wenn einerseits das soziale Umfeld eine gewisse „Basiskontinuität“ (Goffman, 1977, S. 330) erwartet, die darin besteht, dass „alle […] Handlungen den gleichen Stil zeigen, auf eine unverwechselbare Weise geprägt seien“ (Goffman, 1977, S. 323), bedeutet dies andererseits, dass die Akteurinnen „eine bewußte Vorstellung von dem haben müssen, was für ihr Gegenüber natürlich und normal ist, damit sie ihre Aktionen in Übereinstimmung damit inszenieren können“ (Goffman, 1974, S. 343). Eine Orientierung an den Möglichkeiten und Grenzen, die im Rahmen ihrer Positionierung gegeben sind, dokumentiert sich auch in den auf die vorläufige Verheimlichung folgenden Taktiken zur weiteren Öffnung des Bewusstheitskontextes11 der Kolleginnen und Kollegen. Frau Krug wählt eine sukzessive Öffnung des Bewusstheitskontextes und vertraut sich zunächst ihren Eltern und nach einer längeren Phase der Geheimhaltung einem ihr besonders vertrauten Kollegen an: „Ich habe es zuerst meinem Teampartner erzählt. An unserer Schule ist das so, dass wir zu zweit Klassenlehrer sind und ganz eng zusammenarbeiten. Halt die letzten drei Jahre so eng zusammengearbeitet haben und dann hab ich das halt erzählt (lacht).“ (Frau Krug, Z. 184-186)
Da sie bei beiden Interaktionspartnern eine negative Reaktion erwartet („Und dann hab ich das meinen Eltern erzählt und ich hatte gedacht, dass die auch eher so, was soll das denn jetzt so?“ (Frau Krug, Z. 33-34), „Ich hatte eher gedacht, er belächelt mich. Aber nee.“ (Frau Krug, Z. 191)), fühlt sie sich nach deren Aus-
11 Die Bezeichnung der unterschiedlichen Zustandsformen eines Bewusstheitskontextes orientiert sich an der Begrifflichkeit von Glaser/Strauss (vgl. Glaser/Strauss, 1974). Goffman bevorzugt für den Umstand, der aus einer absichtsvollen adressatengebundenen Differenzierung einer Mitteilung folgt, den Begriff „Kenntnisstand“: „Unter einem ‚Kenntnisstand‘ verstehe ich die Kenntnis eines Mensch über die Gründe der abgelaufenen Ereignisse, die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse, die Eigenschaften und Absichten der maßgebenden Personen und das wahrscheinliche Ergebnis“ (Goffman, 1977, S. 153).
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bleiben ermutigt, sich stufenweise auch anderen Personen im Kollegium zu öffnen: „Ja, das rutschte dann auch so irgendwann dann auch mal so raus.“ (Frau Krug, Z. 204)
Die Rahmenmodulation wird jedoch weiterhin aufrechterhalten, indem das Tun („Ach, Mensch, das hab ich ja jetzt gerad gelernt. […] Ich mach ’ne Fortbildung (lacht) und da haben die das und das gesagt (lacht).“ (Frau Krug, Z. 205-207)) unter Vermeidung einer ausformulierten Karrierezielperspektive fortdauernd im Zentrum bestehen bleibt. Gegenüber der Schulleitung kommt es – wie oben bereits dargelegt – nicht zu einer Öffnung des Bewusstheitskontextes. Bei den Probandinnen Frau Andres und Frau Eggers wird ebenso wie bei Frau Krug eine Rahmenmodulation mit verharmlosenden Elementen erkennbar, die es ermöglicht, die Diskrepanz zwischen ihrem Aufstiegsinteresse und ihrer Ausgangspositionierung kommunikativ zu verringern und Konflikte, die die habituelle Übereinstimmung mit ihrem Handeln gefährden könnten, zu umgehen. Hinsichtlich der Formulierung eines Karriereziels wird der Bewusstheitskontext nicht geöffnet. Die Notwendigkeit eines Beschweigens verliert jedoch in dem Maße an Gewicht, in dem es ihnen gelingt, die Partizipation an der Qualifizierungsmaßnahme in strukturelle Ferne von der Einnahme einer Führungsposition zu rücken: „Ich hab mich mit meiner Schulleitung darüber noch nie unterhalten. Die weiß ja, welche Seminare ich besuche […] Ähm, wir haben uns aber noch nie darüber unterhalten, ob ich mal einen Rektoren- oder Konrektorenposten übernehmen möchte.“ (Frau Andres, Z. 185188)
Bei Frau Andres wird schließlich auch wieder der an der Gabe von Unterstützungsleistungen orientierte Versorgerhabitus offenkundig, der altruistische Verhaltensweisen, in denen die eigenen Wünsche den Bedürfnissen anderer untergeordnet sind, begünstigt: „[…] die Schulleitung ist erst seit zwei Jahren da. Das hat sich bisher noch nicht so ergeben, da gab es andere Sachen, die waren viel vordergründiger. Wie läuft das hier überhaupt an der Schule? Wir sind ’ne sehr große Schule, wir haben fast 500 Kinder. Wie macht man dies, wie macht man jenes? Wer organisiert das oder so? Das Gespräch für das andere nicht wirklich da war.“ (Frau Andres, Z. 192-196)
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Mit ihrer Rahmenmodulation modifizieren die Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ ihr Tun zu Handlungen, die „mehr oder weniger ausdrücklich aus Gründen oder Motiven ausgeführt (werden), die als völlig verschieden von den gewöhnlichen empfunden werden“ (Goffman, 1977, S. 88). Ein Procedere, welches nach Goffman durchaus heikle Auswirkungen haben könne, da „ein Trennungsproblem entstehen kann, wenn auf eine Sache zwei verschiedene Perspektiven anwendbar sind, aber nur eine zum Zuge kommen soll, (so) daß es dabei oft zu gewissen Spannungen […] komme“ (Goffman, 1977, S. 91). Dies dokumentiert sich bei Frau Andres, die verständnislose Reaktionen auf ihre Antwort erhält, warum sie am „TVaS“ teilnehme, obwohl ihre Bewerbungsabsichten noch so vage seien: „Ich glaub, zwei Situationen hab ich erlebt, wo jemand sagte: Wie? Und dann kommst du hierher? Wie kannst du das denn machen? […] Wieso ich mir dann diese Zeit nehmen würde. Wieso verbringst du dann freiwillig deine Zeit hier? Das ist doch verschenkte Zeit und verschenktes Geld, wenn du sowieso weißt, dass du das vielleicht gar nicht nutzen wirst.“ I: „Und was haben Sie da gesagt?“ „Dass ich das anders sehe. Ich empfinde das nicht als verschenkt. Im Gegenteil. […] Und eine andere Situation war, dass dann jemand reagierte mit den Worten, ich sag’s jetzt mal aus dem Gedächtnis: Das sei ja typisch, diese Grundschultanten, die nie irgendwie zielorientiert sind.“ (Frau Andres, Z. 345-367)
„Wenn jede Handlung eine Strukturlogik hat, zu der ein feingesponnenes Netz von Voraussetzungen gehört, dann bringt […] jedes Engagement auf der Grundlage eines falschen Rahmens oder auch nur ein Irrtum bezüglich irgendeines Bestandteils des Rahmens einer Tätigkeit den Handelnden in ein diffus unstimmiges Verhältnis zu den Vorgängen“ (Goffman, 1977, S. 340). Dieses unstimmige Verhältnis deutet sich in zwei weiteren narrativen Sequenzen an: „Da hatte ich meinen Schulleiter noch und dem hab ich das gesagt. Der fand das auch ganz gut. Der hat nichts dazu gesagt, dass er das jetzt unmöglich findet und ich dafür nicht geeignet wäre. Eigentlich eher ermutigt und der ist auch davon ausgegangen, dass ich ziemlich schnell mich wegbewerbe.“ (Frau Eggers, Z. 78-81)
Nachdem Frau Eggers ihren Schulleiter über ihre Teilhabe an den Qualifizierungskursen des „TVaS“ in Kenntnis gesetzt hat, erwartet dieser den Anspruch einer Positionsverschiebung der Lehrerin, der üblicherweise durch eine Bewerbung um einen Schulleitungsposten realisiert wird. Er konturiert die Aktivität der
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Lehrerin durch eine Rahmung, die ihr Tun in seinen Augen sinnvoll erscheinen lässt, die jedoch einer „Fehlrahmung“ (Goffman, 1977, S. 346) gleichkommt. Da die Probandin die Begebenheit nicht näher ausführt, ist zu vermuten, dass der Schulleiter in nachfolgenden Interaktionen nicht weiter insistierte, sondern ihre Nichtentsprechung seiner Rollenerwartung sowohl mit „höflicher Gleichgültigkeit“ (Goffman, 1974, S. 50) als auch positioneller Stagnation innerhalb des Kollegiums quittierte. Dass Fehlrahmungen jedoch auch „etwas ‚Fortzeugendes‘“ (Goffman, 1977, S. 354) innewohnen kann, zeigt eine von Frau Andres geschilderte kollegiale Interaktion: „Mich hat einmal ganz direkt eine Kollegin angesprochen, als unser Konrektorenposten gerade frei wurde, weil sie dachte, ich würde diesen Posten übernehmen. Die hatte das gewurmt, weil sie den gerne wollte und sie hat das geärgert, weil für sie das so offensichtlich war. Wo ich dann gesagt hab: Ich bin gar nicht im Gespräch gewesen, also ich hab mich selber auch gar nicht ins Gespräch gebracht, weil das für mich zu dem Zeitpunkt indiskutabel war.“ (Frau Andres, Z. 155-160)
Unterstellt man, dass „die richtige Identifikation (in sozialer oder persönlicher Form) eine systematische Voraussetzung beim Ablauf der folgenden Interaktion ist“ (Goffman, 1977, S. 348), fußt die Handlungsorientierung von Frau Andres Kollegin auf einer fehlinterpretierten sozialen Identifikation eben dieser. Die Kollegin setzte bei der von ihr vorgenommenen Positionsbestimmung von Frau Andres eine der Handlungspraxis zugrunde liegende Handlungslogik voraus – Qualifizierung zum Zwecke einer Bewerbung –, die dem Originalrahmen entspräche. Frau Andres fühlte sich, sobald sie mit dieser Zuschreibung konfrontiert wurde, für diesen Rahmungsfehler verantwortlich und nahm eine „Rahmenberichtigung“ (Goffman, 1977, S. 372) vor („Wo ich dann gesagt hab: Ich bin gar nicht im Gespräch gewesen.“), durch die sie jeglichen Zusammenhang „mit der Begründung leugnen kann, es sehe zwar danach aus, als läge ein eindeutiger Zusammenhang vor, doch das sei nicht der Fall“ (Goffman, 1977, S. 361). Wenngleich sich hier erstmals eine Abweichung der Fremdzuschreibung von der „Mami-Position“ dokumentiert, deren inhärentes Veränderungspotential Frau Andres sich sukzessive zu Eigen machen könnte, kann sie dem Widerspruch zu ihrem Selbstbild und dem drohenden Konflikt nicht standhalten. Die Kollegin hat den Eindruck, „Alarmzeichen wahrzunehmen“ (Goffman, 1974, S. 333), und fungiert infolgedessen als „informelle soziale Kontrolle“ (Goffman, 1974, S. 448): „Jemand, der nur leicht von der Linie abgewichen ist, wird an die Richtung, die er einschlägt, und deren Konsequenzen erinnert, bevor irgendein ernsthafter Schaden angerichtet wurde“ (Goffman, 1971, S. 264). Sie kommuniziert Frau Andres
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gegenüber eine Konkurrenzsituation, die diese zu einer „korrektive(n) Rückkopplung“ (Goffman, 1974, S. 449) veranlasst: „Da war’s so, dass die Kollegin das angesprochen hat und wir beide schon entschieden haben, wir können uns ja zusammen bewerben, wenn wir das dann mal wollen (lacht).“ (Frau Andres, Z. 161-162)
Mit ihrer korrektiven Handlung, dem Vorschlag, sich gemeinsam zu bewerben, gleicht sie ihr Verhalten der ihr zugeschriebenen Rolle an und läuft nicht länger Gefahr, Konflikte zu provozieren, die das kollegiale Wir-Gefühl riskieren. Diese zentrale Orientierung dieses Typus lässt sich ebenso in der ethnographischen Beobachtung des „TVaS“ erkennen: Eine Tn (w) berichtet, dass sie sich für den Posten der stellvertretenden Schulleiterin interessiert hatte. Vom Kollegium wurde ihr abgeraten, weil „man dann so zwischen den Stühlen sitzen würde und nicht mehr gemocht werde“. Das hat sie sehr nachdenklich gemacht. Sie hat es dennoch gemacht und war erleichtert, als ein Mitbewerber den Posten bekam, weil sie „es eigentlich schon nicht mehr gewollt hatte.“ Dennoch besucht sie Module des „TVaS“. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 96-101)
Die starke Orientierung am Kollegium bewirkt eine große Bereitschaft, den Karrierewunsch zugunsten der Kollegialität in den Hintergrund zu rücken: „Übrigens hängt die Wirksamkeit der informellen und der formellen Kontrolle bis zu einem gewissen Grade von der persönlichen Kontrolle ab, denn die Kontrolle, die von außen gegen die Regelübertreter initiiert wird, ist wenig effektiv, wenn sie nicht ein gewisses Maß an innerer korrektiver Aktivität bewirkt“ (Goffman, 1974, S. 449). Wenn normalerweise die „Aufrechterhaltung des Images eine Bedingung für Interaktion, nicht (aber) ihr Ziel“ (Goffman, 1971, S. 17) ist, handelt es sich bei den hier dokumentierten Verhaltensweisen hingegen vornehmlich darum, das konziliante Image zu restabilisieren, um nicht die in der „MamiPosition“ elementare Geneigtheit der „Familie“ einzubüßen. Dass ebendiese Ausgangsposition jedoch auch das Spektrum der kollegialen Unterstützungsleistungen konterkariert, zeigt der geringe Ermutigungserhalt, den der Typus „risikoloses Probehandeln“ entgegengebracht bekommt. Geradezu widersprüchlich zu den impliziten pädagogischen Feldregeln, welche sowohl die Bekundung von Anerkennung für Lern- und Einsatzbereitschaft vorsehen als auch die Unterstützung bei Weiterentwicklungsprozessen, erscheint die Tatsache, dass diese Probandinnen lediglich über einen unbeträchtlichen Ermutigungserhalt berichten:
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I: „Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie von jemandem zu diesem Schritt ermutigt worden sind.“ „Nee, das nicht, aber ich hab ’ne Freundin mit der ich das zusammen gemacht hab.“ (Frau Andres, Z. 31-33) „Eher so dieses: Probier’s doch aus.“ (Frau Eggers, Z. 96)
Insbesondere im Kontrast zu den Typen „handelnder Positionsanstieg“ und „Bestätigungsbedürfnis“ (vgl. Kapitel 7.3.2 und 7.4.2) tritt hervor, wie wenig Resonanz diesem Typus betreffs seiner Aufstiegsaspiration zuteilwird, obgleich er in besonderem Maße auf Unterstützungsleistungen angewiesen scheint, um seine Absicherungsstrategie der zahlreichen führungsrelevanten Fortbildungen durchbrechen zu können. Die verhaltene Reaktion des sozialen Umfeldes scheint auf zwei Ursachen zurückzuführen zu sein: So kommt der Offenlegung des Aufstiegsinteresses die Funktion einer Schlüsselkategorie in der Bewältigung der Statuspassage zu, da sie die Verlaufsmuster merklich beeinflusst. Je klarer der Wunsch kommuniziert wird, desto mehr Ermutigung erhalten die Proband/innen, welche sodann als Initialzündung selbstverstärkende Prozesse auslöst. Diese Wirkung bleibt beim Typus „risikoloses Probehandeln“ aus, da dessen Herangehensweise von Verheimlichung, Vagheit und Trivialisierung geprägt ist und demnach den Rollenerwartungen, die das soziale Umfeld verinnerlicht hat, widerspricht. Die Qualifizierung erscheint als abgeschlossener Mikrokosmos und kommt einer ungezielten Suchbewegung gleich, der das Bestreben fehlt, die aktionistische Haltung in eine Zielkonkretion münden zu lassen. Gemäß der doxischen Vorannahme wird das Aufstiegsinteresse nun nicht mehr ernst genommen und Unterstützungsleistungen bleiben aus. Die Probandinnen erwecken den Anschein, nicht aktiv an einer Positionsverbesserung zu arbeiten, sondern werden von der Strukturgebung ihres Habitus dergestalt geleitet, dass sie in praxi ihre Identität bzw. Selbstzuschreibung auf Anpassung gründen: „Ausgangspunkt und Ziel von Interaktionen ist die Gewinnung und die Erhaltung des Selbst“ (Hettlage, 1991, S. 433). Die zweite Ursache für den Mangel an Ermutigung12 liegt in der bereits ausführlich diskutierten „Mami-Position“, die die Ausgangspositionierung für die Statuspassage dieses Typus bildet. Wenngleich die Probandinnen durch diese Position über ein hohes Maß an sozialem Kapital verfügen, können sie dieses nicht für eine Potenzierung des Ermutigungserhalts mobilisieren.
12 Ein weiterer Erklärungsansatz ist eng mit dem Blick auf die Geschlechtszugehörigkeit verwoben und wird folglich erst in Kapitel 8.2.1 behandelt.
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Ihrem statusgleichen sozialen Kapital – dem Kollegium – ist nicht daran gelegen, die altruistische „Mami-Figur“ zu verlieren und hinter der ambitionierten Einsatzbereitschaft eine andere Intention als die der Fürsorge für das Kollegium zu demaskieren. Die hohe Quantität des sozialen Kapitals bleibt hinsichtlich der Impulsgebung auf die Statuspassagenbewältigung und trotz der üppigen Akkumulation kulturellen Kapitals effektlos. Auch die Möglichkeit, außerhalb des Kollegiums unter anderen Aufstiegsaspiranten im „TVaS“ soziales Kapital mit berufsbiographischem Unterstützungspotential zu rekrutieren, kann dieser Typus nicht wahrnehmen: I: „Hat sich da eine Gruppe gebildet, mit der Sie näher Kontakt hatten?“ „Nein. Nicht speziell. Alles unterschiedliche Typen. […] Also Kontakt hatten wir jetzt nicht großartig.“ (Frau Eggers, Z. 248-255)
Da keine Netzwerkbildung geglückt ist, haben diese Probandinnen nach Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme ihre aufstiegsorientierte soziale Bezugsgruppe wieder verloren. Aus dieser Vereinzelung in einem so frühen Stadium der Statuspassage, die die Struktur des „TVaS“ hervorruft, wenn es den Teilnehmenden nicht eigenständig gelungen ist, ein Netzwerk zu errichten, resultiert hinsichtlich des Typus „risikoloses Probehandeln“ ein Untertauchen im Kollegium bei gleichzeitigem Verblassen der Zielsetzung.13 In der Explikation der Teilnehmendengruppe des „TVaS“ zeigt sich bei Frau Andres zudem ihre positionsniedrige Selbstverortung: „Da sind immer sehr sympathische Leute dabei, bei denen ich das Gefühl hatte: Ja, die hätte ich auch gerne als Schulleitung. Aber es gab viele Leute dabei, bei denen ich gedacht hab: Hoffentlich wird das nie ’ne Schulleiterin oder ’nen Schulleiter von mir.“ (Frau Andres, Z. 310-312)
Spontan ordnet sie sich den anderen Teilnehmenden unter, deren avisierten Rollenwechsel sie im Gegensatz zu ihrem eigenen intuitiv antizipieren kann.
13 An dieser Stelle sei bereits auf die Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension dieses Typus verwiesen, die aus dem Wechsel der Qualifizierungsmaßnahme erwächst und sich am Beispiel von Frau Krug veranschaulichen lässt (vgl. Kapitel 7.1.5).
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7.1.3 Intention: „Ich glaube, man kann auch ganz viel im Kleinen bewegen“ Die primäre Intention dieses Typus besteht darin, das neu erworbene Wissen in der bisherigen Position einzusetzen und eine hypothetische Zukunftsperspektive zu antizipieren, statt die Teilnahme an der Qualifizierung unmittelbar für die Übernahme eines Leitungspostens zu verzwecken. Auch in dieser Hinsicht lenkt der Versorgerhabitus den modus operandi der Handlungslogik: „[…] dann hab ich ihm (Anm.: einem Koordinator ihrer Schule) das erzählt, weil wir durch den Studiengang halt die Möglichkeit haben, an so ein Programm zu kommen, wo man dann kostenlos halt diese Fragebögen und alles... Dem hatte ich das erzählt ... und ich hab dann das auch eingerichtet und in Kiel angefragt, ob wir das benutzen dürfen und das klappte dann.“ (Frau Krug, Z. 197-200) „Ich probier einfach aus. Ne? Neue Ideen ins Kollegium einzubringen. Ich hab mich gerade vorgestern hingesetzt. Ich möchte gerne, dass wir was machen. Das hab ich auch mit keinem besprochen. Ich werd versuchen, das auf der Konferenz so vorzutragen, dass alle sagen: Oh ja, das wollen wir machen (lacht).“ (Frau Andres, Z. 243-246) „Ich würde sagen, was ich aus den Fortbildungen mitgenommen habe, versuche ich auch hier im Kleinen umzusetzen. Weiß nicht, ich hab jetzt gerade was zu Teambildung besucht und gedacht: Stimmt, das sind wir hier überhaupt nicht in unserer Stufe. Da müssen wir was machen.“ (Frau Andres, Z. 112-115)
Bedingt durch das Krisenpotential, welches für diesen Typus aus der Diskrepanz zwischen Handeln und Selbstbild erwächst, weicht er auf eine Strategie zur Erlangung eines „Verallgemeinerungsprofit(s)“ (Bourdieu, 1998b, S. 154) aus und versucht, vertrauensbewahrenden Profit aus altruistischem und dem Wohle aller dienenden Verhalten zu generieren. Mit dem Aufrechterhaltungsritual, der Implementierung neuer Lerninhalte in das Kollegium, bekräftigen die Probandinnen das Wir, welches sich auch in den beiden obigen narrativen Sequenzen nachdrücklich abbildet, und zugleich ihre Position der „Mami“, die den anderen etwas Gutes mitbringt. Die bewährte Anerkennungsstrategie wird nicht riskiert. Stattdessen mündet der Kampf um das begehrte Gut soziales Kapital in eine Aufstiegsblockade. Obgleich sie jedoch mit dieser Taktik ihre prekäre Ausgangsposition perpetuieren und sich selbst an ihrer Selbstentfaltung hindern (vgl. Goffman, 1994, 110ff.), ist die Passung zu ihrer habituellen Prädisposition derart prononciert, dass ihnen ihr Handeln gänzlich folgerichtig erscheint und sie posi-
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tive Emotionen daraus ziehen. Eine modifizierte Verhaltensstruktur mit beispielsweise inhärenten Täuschungselementen, wie sie bei einer Probandin des Typus „Abgrenzungsneigung“ herausgearbeitet werden kann (vgl. Kapitel 7.2.2), und die eine stringente Zielverfolgung unter oberflächlicher Aufrechterhaltung der „Unterwerfung unter das Allgemeine“ (Bourdieu, 1998b, S. 124) ermöglicht, ist für sie weder denk- noch durchführbar. Mit Bourdieu gesprochen: „Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist“ (Bourdieu, 1992a, S. 33). Richtet man nun den Blick auf das private Umfeld dieser Probandinnen, zeigt sich eine weitere Form der Ausbalancierung von Wunsch und Rollenbild, welche letztlich ebenfalls zuungunsten ihrer eigenen Zielvorstellung ausfällt. Ihr Interesse an einer weiteren berufsbiographischen Ausgestaltung ist auch innerhalb der Familie nicht problemlos vertretbar. Wenngleich die Probandinnen dieses Typus – im Kontrast zu anderen Befragten des Samples – keinerlei Belastungsempfinden durch die zahlreichen Qualifizierungskurse äußern, diese auch in Einklang mit ihrer privaten Situation bringen können14 und – wie bereits dargelegt – auch hohes institutionelles Engagement aufbringen, fürchten sie strukturelle Probleme bei der Versorgung ihrer Kinder als Folge eines Positionswechsels hin zu der Übernahme des Schulleitungsamtes. „Habe dann aber eben in meinem familiären Umfeld dann noch mal überlegt: Ist es jetzt das? Mein Mann hat eben die Konrektorenfunktion eingenommen und wir haben eben entschieden, zwei Kinder zu bekommen. Wir haben auch gesagt, dass einer eben zurückstecken müsste. Das bin erst mal ich, so habe ich das entschieden, weil ich gerne am Nachmittag da sein möchte für die Kinder.“ (Frau Eggers, Z. 54-58)
Auch Frau Andres fürchtet, „das wäre vom zeitlichen Umfang her nicht zu schaffen“ (Frau Andres, Z. 219-220) und dokumentiert damit ebenfalls ihre familienzentrierte Orientierung und das Selbstverständnis ihrer Doppelverantwortung für Familie und Beruf, die eine Priorisierung der beruflichen Tätigkeit „indiskutabel“ (Frau Andres, Z. 219) werden lässt. Da „die Mutterschaft weiterhin der zentrale Bestandteil ihrer sozialen Identität ist“ (Dierks, 2005, S. 242) und sie dieses tradierte Rollenbild – wie bereits gezeigt wurde – auch auf ihre beruf-
14 Dies steht im Widerspruch zu den Ergebnissen des Aktionsrats Bildung, welche auf geschlechtsspezifische Unterschiede und ein deutlich sinkendes Weiterbildungsvolumen von Frauen nach der Geburt des ersten Kindes verweisen (vgl. Blossfeld, 2009, S. 155).
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liche Rollenidentität projiziert, wird eine Umverteilung häuslicher Arbeitspflichten und Verantwortungsbereiche auf den Ehepartner oder die Kinder nicht einmal angestrebt. Das Drei-Phasen-Modell15 (vgl. Myrdal/Klein, 1956, S. 170ff.), welches die Biographie dieser Probandinnen charakterisiert, hat den Nachteil, dass die häuslichen Pflege- und Versorgungsaufgaben – durch diese Phase geprägt – auch längerfristig primär in den Zuständigkeitsbereich der Mutter fallen und sie sich von diesem Hauptverantwortlichkeitsgefühl und der entstandenen Rhythmisierung nur schwer lösen kann (vgl. auch Goffman, 1994, S. 128). Der Wiedereinstieg in den Lehrberuf gelingt zwar, jedoch unter der Intention – beispielsweise durch eine Teilzeitbeschäftigung –, die „Diskrepanz zwischen dem verinnerlichten Leitbild der Ehefrau und Mutter und ihrer Lebenswirklichkeit“ (Dierks, 2005, S. 241) nicht zu eklatant werden zu lassen. Bereits den Gedanken an eine allmähliche Verringerung ihrer versorgenden Tätigkeit – zumal das jüngste Kind die Grundschule gerade verlassen hat – bricht Frau Eggers ab: „Es ist so, unsere Kinder haben eigentlich ein Alter erreicht-“ (Frau Eggers, Z. 111112). Bedingt durch die konfliktvermeidende Immobilität ihres Versorgerhabitus vermag sie ihr Rollenmuster nicht aufzugeben und hält an den bewährten und risikolosen – wenngleich für sie einengenden – Strukturen fest. Das Wirkungsfeld des familienorientierten Bereichs gewährleistet beständige Anerkennung, Würdigung und Zustimmung gegenüber einer zunächst ungewissen Entwicklung, die aus der Intensivierung der Aufstiegsbestrebungen resultieren würde. Der bereits geschilderte Aspekt, dass der Versorgerhabitus dieses Bewältigungstypus innerhalb des sozialen Feldes Kollegium durch die Aufstiegsaspiration einem Spannungsverhältnis ausgesetzt wird, kann nun um die Blickrichtung auf das soziale Feld Familie ergänzt werden: Auch innerhalb dieses Feldes ist das Karriereinteresse nicht problemlos vertretbar und konfligiert stark mit dem vollzogenen – und erwarteten! – mütterlichen Ideal. Wenn bei Frau Andres im Hinblick auf die Anmeldung zum „TVaS“ anklingt, sie habe „drei Monate gebraucht, bis ich meinem Mann gebeichtet habe, dass ich eine Woche weg bin“ (Frau Andres, Z. 24-25), lässt sich dies noch auf eine Betreuungszwangslage der Kinder bei Abwesenheit der Mutter zurückführen. Obwohl die familiäre Situation die Realisierung ihres Wunsches ihrer Interpretation nach letztlich „indiskutabel“ (Frau Andres, Z. 219) werden lässt, bleibt deren Bearbeitung im Interview durchge-
15 Dieses Modell der 1950er Jahre beschreibt folgende Trias: Bis zur Geburt des ersten Kindes gehen die Frauen der Erwerbstätigkeit nach, anschließend folgt eine Betreuungsphase nach der Geburt der Kinder bis diese älter sind. Schließlich nehmen die Mütter die Erwerbstätigkeit wieder auf.
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hend randständig und mündet – wie später aufgezeigt werden kann – statt in eine Lösungssuche in eine Umkehr: „Die mangelnde Verbalisierung von erlebten Schwierigkeiten bei der Bewältigung beruflicher und familiärer Anforderungen trägt zur Verschleierung alltäglich praktizierter Frauen- und Familienrealität bei und verhindert damit eine gesellschaftliche Diskussion und gesellschaftliche Lösung der Vereinbarkeitsproblematik“ (Dierks, 2005, S. 295). Bei Frau Eggers hingegen wird die Problematik der Verknüpfung einer arrivierten beruflichen Position mit der Mutterrolle sehr viel offensichtlicher: I: „Hatten Sie den Eindruck, dass Sie von Ihrem Mann eher ermutigt wurden oder dass da eher Vorbehalte waren, weil er ja in ähnlicher Karriererichtung unterwegs ist?“ „Eher Vorbehalte.“ (Frau Eggers, Z. 118-121)
Während sie sich im Anschluss an dieses Zitat zunächst auf verallgemeinernde und stark von Stereotypen geprägte Äußerungen über die differente Auffassung von Arbeit und Karriere bei Männern und Frauen zurückzieht, exemplifiziert sie später ihre individuelle Situation: „Wir sind eine sehr konservative-. Mein Mann ist sehr konservativ. Ich glaube, wir führen ein sehr konservatives Leben im Vergleich zu anderen. Mein Mann ist ein Mensch, der einfach ganz viel Wert darauf legt, dass er die Familie auch allein versorgen könnte. Es auch ganz toll findet, dass ich arbeite, natürlich. Das schätzt er schon sehr. Aber es ist ihm schon wichtig gewesen, dass er mehr verdient als ich.“ (Frau Eggers, Z. 149-153)
Diese Präzisierung lässt nun den Schluss zu, nicht zeitliche Engpässe und organisatorische Hürden seien die Kernfrage, die eine Realisierung konterkarieren, sondern das Urteil, dass die anvisierte Tätigkeitsform „mit dem innerfamiliär bestehenden Familienkonzept und dem geschlossenen Geschlechterkontrakt der Ehepartner nicht kompatibel ist“ (Dierks, 2005, S. 201). Der erwünschte marginale Stellenwert der Erwerbstätigkeit der Frau droht bei Intensivierung der beruflichen Tätigkeit verloren zu gehen und zugleich die Position des männlichen Ernährers zu bedrohen. Diese normativen Erwartungen entlang tradierter Geschlechterrollen16 werden nicht ausschließlich vom Ehepartner aufgeworfen,
16 Die soziogenetische Analyse in Kapitel 8.2.2 beleuchtet die beim Typus „risikoloses Probehandeln“ stark ausgeprägte differenzorientierte Betrachtung männlichen und weiblichen Aufstiegshandelns.
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sondern von weiblicher Seite perpetuiert und von einer Rechtfertigungshaltung flankiert: „Ich glaube eben, dass es dann doch so ist, dass die Frauen eben zu Hause bleiben. Dass die Kinder dann einfach größer sind. Nicht, weil unbedingt der Mann das erwartet, sondern ich glaube, dass-. Ich mach’s ja auch gerne. Also, ich hab ja die Kinder auch gewollt.“ (Frau Eggers, Z. 191-194)
Die geschlechtliche Fremdzuschreibung ruft eine uneingeschränkte Identifizierung mit dieser und eine explizite Positionierung im geschlechtlichen Feld hervor. Diese Strukturen sind derart verinnerlicht, dass sich – wie herausgearbeitet werden konnte – auch die Positionierung im beruflichen Feld „von selbst“ danach ausrichtet. Ihr Interesse an der Übernahme des Schulleitungspostens drängt diese Probandinnen nun in ein „Orientierungsdilemma“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 290), welchem sie nicht durch die Konzeption konkreter Bewältigungsstrategien begegnen, sondern durch das Aufwerfen eines signifikanten, negativen Gegenhorizonts zu ihrem Wunsch: „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich nicht emotional noch zu jung dafür bin. Schulleitung bedeutet ja, ganz wenig mit den Schülern zu tun zu haben. Ich glaube, ich würde mich noch langweilen, wenn ich nur diese Verwaltungsaufgaben hätte. Also wenn, würde ich mir eine Schule suchen, die klein ist, damit die Verwaltung nicht allzu arg viel ist und man trotzdem ’ne Chance hat, Kontakt zu den Kindern zu haben.“ (Frau Andres, Z. 90-94)
Neben dem abschreckenden „Verwaltungskrimskrams“ (Frau Andres, Z. 232) führt Frau Andres den „Einsamkeitsfaktor“ (Frau Andres, Z. 229) ins Feld, um ihre Bedenken gegenüber diesem Amt zu begründen. Wenngleich Frau Eggers sich ebenfalls mit dem Gedanken trägt, diese höhere Positionierung könne „auch zu viel Verwaltung“ (Frau Eggers, Z. 144) mit sich bringen, beschäftigt sie vornehmlich die Passung einer potentiell von ihr geleiteten Schule: „Wenn ich jetzt meine jetzige Schulleitung sehe, dann zweifle ich daran, dass ich mir so eine große Schule, wie ich es mir damals vorgestellt hatte, zumuten würde. Ich war eigentlich nicht so auf Dorfschulen oder kleinere Schulen bedacht, sondern eher schon, dass das etwas Größeres ist. Wenn ich aber jetzt so sehe, was meine Schulleiterin dort macht und wie sie damit umgeht, weiß ich nicht, ob ich für eine große Schule gemacht bin oder eher so für Mittelmaß.“ (Frau Eggers, Z. 166-170)
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Immer wieder verlieren sich die Probandinnen dieses Typus in der Realisierungsproblematik, ohne einen positiven Gegenhorizont zu entwerfen: „Ein Orientierungsdilemma kann auch auf dem Fehlen eines positiven Horizonts bei gleichzeitig starkem negativem Horizont beruhen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 290). Statt sich einer greifbaren Taktik zuzuwenden, konservieren sie die Vorstellung, sich auf dem Weg in eine Führungsposition zu befinden, ohne jedoch das notwendige „Enaktierungspotential“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 290), welches „die konkrete Umsetzung (bzw. Umsetzbarkeit) einer Orientierung im alltäglichen Leben“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 290) bezeichnet, mobilisieren zu können. Es scheint, als würde die Konkretisierung eines bearbeitbaren Hinderungsgrundes bewusst vermieden, um keine weiteren Schritte in Richtung einer habitus-inadäquaten Tendenz realisieren zu müssen: „Die Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata des Habitus, auf denen alle Vermeidungsstrategien beruhen, sind großenteils das Ergebnis eines unbewußten und nicht gewollten Meidungsverhaltens“ (Bourdieu, 1987, S. 114). So wird das Dilemma gelöst, indem der Wunsch zusehends neutralisiert wird, die Intention immer weiter von der ursprünglichen abrückt und das Fortbildungshandeln selbst allmählich zu einem primären Rahmen zu werden scheint. Die Hinnahme des Gegebenen als unveränderbares Faktum ruft keine Bewältigungsstrategien hervor, sondern reduziert die Tragweite des ursprünglichen Wunsches zum einen gegenwartsnah auf ein Minimum („im Kleinen was bewegen“) und zum anderen längerfristig auf eine abstrakte Zeitperspektive und Zukunftsentwürfe auf immer schemenhafterer Ebene: „Da muss ich mich schon selber... also ich werde immer weitergucken, hab ich aber die letzten Jahre auch immer. […] Was kann man denn noch werden?“ (Frau Krug, Z. 62-63) „Ich würde, ich persönlich würde jetzt noch zwei, drei, vier Jahre weiter an meiner Schule arbeiten oder auch fünf oder sechs.“ (Frau Andres, Z. 98-100) „Ich könnte mir auch vorstellen nach der Grundschulphase erst noch mal ’ne Hauptschulphase mitzumachen. […] Ich find, das ist so ’n Schritt, der müsste noch dazwischen folgen.“ (Frau Andres, Z. 221-224)
Insbesondere die Zukunftsüberlegungen von Frau Eggers sind gekennzeichnet von einer augenfälligen Ambivalenz, die sich als ein „Produkt retrospektiver Umdeutung“ (Böttger, 2001, S. 267) deuten lässt. Einerseits wollte sie sich im Anschluss an das „TVaS“ „dann eigentlich sofort dann schon auf eine Schulleiterstelle bewerbe(n)“ (Frau Eggers, Z. 52-53), andererseits führt sie eine weiter
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gefasste Zeitspanne ins Feld: „noch drei bis vier Jahre dauern“ (Frau Eggers, Z. 64). Letztlich stellt sie ihre Zielausrichtung gänzlich in Frage, wodurch der Ausgang ihrer Statuspassage völlig offen bleibt: „Ich schaue, obwohl ich mich jetzt entschieden habe, das nicht zu machen“ (Frau Eggers, Z. 110). Bei aller Entsagung versiegt ihre Engagementkurve dennoch nicht vollends, sie schaut „bei jeder Ausschreibung“ (Frau Eggers, Z. 111). 7.1.4 Konsequenzziehung: „nicht so vordergründig ist, dass das unbedingt nächstes Jahr passieren muss“ Die dargelegte Verlaufs- und Interaktionsbetrachtung gibt Anhaltspunkte für den weiteren Verlauf der Statuspassage des Typus „risikoloses Probehandeln“. Betrachtet man den Habitus als „generative Tiefenformel“ (Fröhlich/Rehbein, 2009, S. 83), die spezifische Bewältigungsmuster bei gleichzeitigem apodiktischem Ausschluss anderer Alternativen produziert, ist der analysierte ungewisse Ausgang der Statuspassage dieser Probandinnen im Rahmen ihres Habitus nicht als Niederlage zu verbuchen. Nach inhaltlichen Kriterien wählen sie weiterhin führungsrelevante Fortbildungen aus, die ihnen als beliebig fortführbares Gestaltungsmedium der eigenen Biographie dienen und in ein (vermeintlich) selbstgewähltes Moratorium münden. Dennoch beinhaltet ihr Handeln ein unverkennbares Element der Reversibilität, welches im zeitlichen Verlauf wächst und aus dessen Vorhandensein letztlich die ungünstige Prognose für den Ausgang der Statuspassage resultiert. Aus der Stagnation der Statuspassage kann jederzeit eine endgültige Abkehr vom ursprünglichen Wunsch und somit ein Abbruch dieser erwachsen. Auch für Glaser und Strauss stellt sich letztlich stets die offene Frage, „whether a reversal is merely a phase of some re-reversal pattern of a passage that actually is continuing in the right direction over time or whether the reversal is real“ (Glaser/Strauss, 1971, S. 31). Die Fokussierung der bisherigen Handlungsstrategie auf ein Akkumulieren kulturellen Kapitals erscheint als wenig zielführender Exkurs und lässt sich beinahe als Missinterpretation der feldimmanenten Illusio17 erklären: Das Feld definiert die Einsätze bzw. die Brauchbarkeit der Einsätze; es scheint aber keine Passung zwischen der Ökonomie der Fortbildungspraktik und dem Widerhall des
17 In Anlehnung an Kollers Auslegung des Bourdieuschen Begriffes Illusio als „Glauben an den Sinn und den Wert der Aktivitäten im Feld“ (Koller, 2009, S. 80) scheint mir hier die Verwendung der Bezeichnung Illusio geboten (vgl. zur begrifflichen Unschärfe auch Kapitel 4.2).
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Feldes zu bestehen. Während der Erwerb zahlreicher Zertifikate in anderen Feldern zweifelsohne profitabel ist, ist der Einfluss der im Grundschulfeld erworbenen Nachweise recht gering, weil positionelle Alternativen fehlen, die von besonders kulturell-kapitalstarken Akteuren besetzt werden könnten. Die bereits mehrfach angesprochene Illusio, Schulleitung setze eine lange Schuldienstzeit voraus, konvergiert zum einen nicht mit der Annahme, diese Zeit werde benötigt für zahllose Qualifizierungen, und ist zum anderen – wie auch bereits dargestellt wurde – tendenziell eher unzeitgemäß. Der Typus „risikoloses Probehandeln“ scheint sich dennoch, gemessen an der absolvierten langen Vorlaufphase, an dieser zu orientieren18. Der Dynamisierung der Statuspassage würde hingegen eine Verlagerung der Verantwortungsübernahme in sichtbarere Bereiche als bisher (ggf. die Übernahme der Position der stellvertretenden Schulleitung) dienen. Die Analyse der Statuspassagenbewältigung des Typus „risikoloses Probehandeln“ zeigt indes, dass die selbstbezogene Suche nach einer Erfolgsstrategie nicht im Horizont des Versorgerhabitus liegt. Gemäß ihres Dispositionssystems ist das opus operatum, ihr erwirktes Erzeugnis bzw. ihre aktuelle soziale Position, das folgerichtige Resultat ihres modus operandi. Dies wirft die Frage auf, ob eine berufsbiographische Entwicklung in Richtung der Übernahme einer Führungsposition trotz Versorgerhabitus möglich ist. Denkbar wäre, dass diese Probandinnen in Folge der steten Vakanz von Schulleitungsposten im Grundschulbereich gezielt auf eine freie Stelle angesprochen werden. Fraglich bleibt, ob sie auf ein konkretes Stellenangebot Inopportunitäten ins Feld führen würden oder ob ihr Wunsch der Realitätsprüfung standhalten könnte.
18 Die zweifelsfrei richtig identifizierte Illusio der hohen Wertschätzung von Wissensdrang und Lerneifer, mit anderen Worten die schulische Leistungsideologie, münzen sie durchweg auf sich, ohne zu realisieren, dass der Profit einer Schülerin bzw. eines Schülers mit ebensolcher Verhaltensstruktur ungleich größer ist als der Nutzen, den eine aufstiegsinteressierte Lehrkraft daraus ziehen kann. Sie verkennen, dass es sich bei der Schule um ein „zugleich als Lehrinstanz und als Markt fungierendes Feld“ (Bourdieu, 1982, S. 120) handelt und fokussieren ausschließlich auf die Lehrinstanz ohne zu berücksichtigen, dass, was zwar schulisch produziert, dennoch nicht adäquat prämiert – im Sinne von positionell bestätigt – wird (vgl. auch Bourdieu, 1982, S. 155).
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Merkmalskombinationen des Bewältigungserlebens der Statuspassage des Typus „risikoloses Probehandeln“ Situativer Kontext
Qualifizierungswahl: „TvaS“
hohe Qualifizierungsbereitschaft überreichlicher Erwerb kulturellen Kapitals bei hohem Einsatz ökonomischen Kapitals
Ausgangspositionierung: Mami-Position
Intention
Selbst- und Fremdzuschreibung: Versorgerhabitus
verschiedene Offenlegungstaktiken mit trivialisierendem Charakter
Implementierung neuen Wissens auf gleicher Position
Konstruktion eines negativen Gegenhorizonts bei gleichzeitiger Wunsch-Neutralisierung
Interaktion
Bewältigung der Statuspassage
geringer Ermutigungserhalt keine Netzwerkbildung wenig förderliches soziales Kapital
Konsequenzziehung
Bewahrung des WirGefühls
fiktive Zukunftsperspektive Stagnation der Statuspassage bei gleichzeitigem insistenten Reversibilitätsrisiko
7.1.5 Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension am Beispiel der Probandin Krug Anhand einer Probandin des Typus „risikoloses Probehandeln“ kann eine Rahmenveränderlichkeit aufgezeigt werden, aus der ein mögliches Verlassen der oben in der Graphik verankerten Handlungsfaktoren hervorgeht. Im Rahmen der ethnographischen Beobachtung kam es zwei Jahre nach dem Interview zu einem erneuten Kontakt mit der Probandin Frau Krug. Für Frau Krug stand nun der Abschluss des Masterstudiums unmittelbar bevor. Da der Orientierungsrahmen des risikolosen Probehandelns stark mit dem institutionellen Habitus des Studienganges „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ konfligiert, sich diese Probandin dennoch als einzige Vertreterin ihres Typus innerhalb des untersuchten Samples nach dem „TVaS“ für das Studium entschied, wurde eine erneute Befragung von Frau Krug über ihren beruflichen Entwicklungsverlauf als gewinnbringend angesehen. Da Frau Krug durch ihre disgruente Qualifizierungswahl von vornherein einen interessanten Grenzfall ihres Typus darstellte, kann dieses Vorgehen weiterführende Erkenntnisse lie-
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fern, obgleich wiederholte Befragungen über einen längeren Zeitraum hinweg zur Rekonstruktion beruflicher Laufbahnentwicklungen in vorliegender Untersuchung, bedingt durch die Wahl einer Querschnitt- statt einer Längsschnittstudie, nicht avisiert wurden. Frau Krug hat ihr Studium trotz anfänglicher identifikatorischer Schwierigkeiten („‚Schulmanagement‘, das klingt ja auch so“ (Frau Krug, Z. 31)) nicht abgebrochen. Stattdessen verweisen ihre narrativen Darstellungen auf eine gewisse Formbarkeit des Habitus, bedingt durch eine Dynamik infolge der Wechselwirkung zwischen Habitus und Institution. Die geringe Passung zwischen ihrer Qualifizierungswahl und ihrem habituell geprägten Orientierungsrahmen entwickelte sich nicht zu einer Belastungsprobe, die durch die Aufgabe des Studiums gelöst werden musste, sondern verursachte eine progressive transformatorische Wirkung: „Die antizipierende Anpassung des Habitus an sich verändernde Bedingungen ist als ein möglicher Fall anzusehen; das Verharren in der Unangepasstheit ist eine andere Möglichkeit“ (Suderland, 2009, S. 128, Herv. im Original). Bourdieu schreibt in seinem Habituskonzept der Zeit eine große Bedeutung zu. Der Grad der Verfestigung habituell begründeter Verhaltensweisen wird entscheidend von der zeitlichen Komponente bestimmt: Je früher sich eine Habitusprägung vollzogen hat, desto tiefgreifender und wirkungsvoller ist sie. Diese Tatsache verweist im Umkehrschluss darauf, dass habituelle Veränderungen durch spätere äußere Einflüsse nur schwerlich vollzogen werden können und wiederum einer umfänglichen Zeitspanne bedürfen. Können demzufolge die zwei Jahre des Studiums ausreichen, um habituelle Modifikationen zu evozieren? Frau Krugs narrative Auseinandersetzung mit dem Studium weist daraufhin, dass sich zumindest eine partielle Orientierungsrahmenmodulation in dieser Zeit vollziehen kann. Es dokumentiert sich eine Verschiebung ihres Orientierungsrahmens im bourdieuschen Raummodell in Richtung einer zugespitzteren Zielausrichtung. Die gemeinschaftliche Orientierung bleibt bestehen, richtet sich – wie noch zu zeigen sein wird – jedoch auf einen neuen Adressaten und verknüpft sich mit Aspekten des Bestätigungsbedarfs. Folglich verschiebt sich der Orientierungsrahmen von Frau Krug im Raummodell von Bourdieu in den linken oberen Quadranten in Richtung des Typus „Bestätigungsbedürfnis“. Um diese Veränderung zu plausibilisieren, wird im Folgenden auf die neuen Bewertungs- und Wahrnehmungsschemata der Probandin fokussiert. Die fast familiäre Einbindung in das Kollegium, welche zu Beginn der Statuspassage in ihrer Erzählung viel Raum einnahm, tritt nun kaum noch hervor. Dennoch bleiben sowohl die Evidenz des Versorgerhabitus als auch die Ausrichtung an einer engen sozialen Eingebundenheit bestehen. Die Veränderung mar-
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kiert indes die Hinwendung zum neuen sozialen Feld: Frau Krug kann sich mittlerweile durchaus vorstellen „vielleicht auch mal die Schule zu wechseln“ (Frau Krug, Z. 287). Maximal integriert ist sie nun in ihre Studiengruppe: „Die Präsenzseminare waren immer ein bisschen wie Klassenfahrt. Wir sind freitags immer noch irgendwohin gegangen, wo man was essen und trinken – und tanzen konnte man da auch noch. […] Im Hotel auf dem Zimmer-, also wir haben immer schon vorher telefonisch abgesprochen, wer was mitbringt. Am Donnerstag schon. Also so Absacker und so (lacht). Wir besuchen uns auch jetzt gegenseitig. Da sind richtige Freundschaften entstanden. Es sind ja auch Kinder geboren in der Zeit. Wir haben per Mail Kontakt oder übers Telefon. Einer hat sich jetzt verlobt, da sind wir alle zur Verlobungsfeier eingeladen. Da bin ich schon so ’n bisschen-, also, wenn das jetzt vorbei ist. Das steht mir schon bevor.“ (Frau Krug, Z. 259-267)
Ihre restriktive Ausgangspositionierung kann sie dennoch nicht verlassen: Bis zum Ende des Studiums hält sie dieses vor ihrer Schulleitung geheim und weitet auch die Öffnung des Bewusstheitskontextes dem Kollegium gegenüber nicht weiter aus. Mit fortschreitender Statuspassage entwickelt sie ein Empfinden für ihre Position im Kollegium, wenngleich die Reflexion vage bleibt und sie den Restriktionscharakter nicht ableiten kann: „Im Studium kennt einen erst mal keiner. Das ist toll. Da kann man sich mal anders zeigen. Keiner ist voreingenommen.“ (Frau Krug, Z. 363-364)
Obschon sie im Rahmen ihres Kollegiums auf handlungspraktischer Ebene ihrer Orientierung treu bleibt und keine Strategie entwickelt ihre Position im Feld zugunsten einer offensiven Aufstiegshaltung zu verbessern – beides Anzeichen für den Hysteresiseffekt des Habitus –, resümiert sie dennoch eine charakterliche Veränderung ihrer Person, bedingt durch die Partizipation am Masterstudiengang: I: „Was hat sich denn seit dem Studium genau verändert?“ „Ich hab mich verändert (lacht). Das hat auch mein Kollege gesagt. Das ist uns so aufgefallen im Herbst. Er sagte: Du hast dich verändert. Ich so: Ja, ist mir auch schon aufgefallen. Weil ich was für mich gemacht habe. Ich bin selbstbewusster, strukturierter. Auch durch die Rückmeldungen. Obwohl ich jetzt nicht nur gute hatte.“ (Frau Krug, Z. 358363)
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Mitentscheidend für diese Veränderung sind ihrer Ansicht nach die Rückmeldungen, hinsichtlich derer sie auch das „TVaS“ als negativen Gegenhorizont aufgreift: „Es ist eben beim „TVaS“ auch so, dass man nichts abgeben muss, keine Rückmeldungen kriegt und auch keine Noten.“ (Frau Krug, Z. 364-366)
Der aus ihrer Orientierung an sozialer Nähe resultierende Bedarf an Bestätigung wird nun, da sie diese erstmals erhält, offensichtlicher als noch zu Beginn der Statuspassage. Die fehlende offene Kommunikation im Kollegium verunmöglichte bislang jeglichen Ermutigungs- und Bestätigungserhalt und ließ den Typus „risikoloses Probehandeln“ als den ermutigungs- und bestätigungsärmsten hervorgehen. Die neue Erfahrung anderer Fremdzuschreibungen als derer, die mit der versorgenden Mami-Position korrelieren, erweitert zunächst Frau Krugs Gedanken- und schließlich ihren Handlungsspielraum. Lehnte sie zu Beginn des Studiums noch die Ansprache der Masterstudierenden als „künftige Führungskräfte“ (vgl. auch Kapitel 6.1) ab, kann sie diese Formulierung nun zusehends leichter mit ihrer Person in Einklang bringen: I: „Wie war das für Sie, immer so angesprochen zu werden?“ „Ganz ehrlich, eher schmeichelhaft. So zweimal im Halbjahr zu hören: Wir trauen Ihnen das zu. Das war schon toll. Diese Anerkennung zu kriegen. Das hat man ja in der Schule nicht so.“ (Frau Krug, Z. 279-282)
Die dem Studium inhärente Aufforderung, sich auf eine Leitungsposition zu bewerben, veranlasst Frau Krug zu zwei aufeinanderfolgenden Bewerbungen – jedoch nicht auf Schulleitungsstellen. Mit Bourdieu gedacht zeigt ihre plötzliche Bewerbungsbereitschaft – konträr zu der antizipierten wenig Erfolg verheißenden Konsequenzziehung des Bewältigungstypus, dem Frau Krug originär angehört –, dass das Feld oder der „Raum, […] sehr starke Zwänge ausübt“ (Bourdieu, 1992a, S. 36) und einen „Wandlungsprozess“ (Kohli, 1981, S. 103) begünstigen kann. Bedingt durch die im Studium vermittelte Transparenz des Tätigkeitsspektrums einer Schulleitung nimmt Frau Krug immer mehr Abstand von diesem Berufsbild: „Jetzt wo man weiß, welche Zwänge Schulleitung hat von Behördenseite. Das ist abschreckend. Man muss auch die Persönlichkeit dafür sein.“ (Frau Krug, Z. 284-285) I: „Was schreckt Sie so ab?“
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„Ich wusste nicht, dass Schulleitung so handlungsunfähig ist. Nur so einen kleinen Bereich zum Agieren hat. Und auch der ist immer wieder gefährdet. Ich würde das auch alles so mit nach Hause nehmen, das würde mich fertig machen.“ (Frau Krug, Z. 352-356)
Stattdessen bewirbt sie sich als Schulinspektorin und beim Bundesverwaltungsamt, „obwohl ich nicht die richtigen Qualifikationen hatte“ (Frau Krug, Z. 289). Beide Bewerbungen verlaufen erfolglos. Die Gründe dafür sieht sie zum einen in der im Studium fehlenden Vorbereitung auf Bewerbungen („Ich finde auch, das sollte vielleicht ein Zusatz vom Studium werden, so dieses ‚Wie läuft so eine Bewerbung?‘. Das Studium bereitet immer nur vor darauf, Personal einzustellen, wenn man selber Schulleiter ist. Es ist sehr ausgerichtet auf ‚Sie als werdende Schulleiter‘.“ (Frau Krug, Z. 274-277)) und zum anderen in ihrer qua Geschlecht unzulänglichen Herangehensweise: „Ich hab bei der ersten Bewerbung für die Schulentwicklung das Studium auch gar nicht erwähnt. Ich hab, so typisch Frau, alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Viel zu bescheiden. Also diese Bescheidenheit! Ich hab gerade einen Artikel gelesen, dass Frauen das nicht sagen. Ein Mann würde sofort sagen: Ich bin ja jetzt hier der Qualitätsmanager.“ (Frau Krug, Z. 291-294)
Im Verschweigen ihres Masterstudiums dokumentiert sich einmal mehr der Hysteresiseffekt ihres Habitus, der in ungewohnten und angespannten Situationen auf vertraute Handlungsmuster zurückgreift, ohne den daraus resultierenden Nachteil in dieser speziellen Situation spontan zu erfassen. Ihre Praxis ist folglich sowohl von stabilen Mustern und Einstellungen durchzogen als auch von evidenten Wandlungsprozessen, die eine allmähliche Distanzierung von originären Verhaltensmustern, beginnend durch eine höhere Selbstreflexivität, begünstigen. Kontrastierend zu der missglückten Netzwerkbildung ihrer bisherigen Praxis und derer der anderen Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ setzt Frau Krug nun verstärkt auf soziales Kapital zur weiteren Gestaltung ihres beruflichen Werdeganges. Damit zeigt sie eine habituelle Anpassung an den institutionellen Habitus des Masterstudienganges, der wie beschrieben dem Netzwerken einen dominanten Stellenwert zuteilwerden lässt. „Ich muss wohl mal den Kollegen fragen, wie man sich gut darstellt. Das ist dann gut, dass man solche Beziehungen hat.“ (Frau Krug, Z. 273-274)
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„Man sagt auch: Leg mal ’nen gutes Wort für mich ein, ich würde vielleicht gerne die Schule wechseln. Man kann sich bei Schwierigkeiten auch anrufen und dann sagen: Wie gehst du damit um?“ (Frau Krug, Z. 347-349)
Aus dieser veränderten Handlungspraxis lässt sich ableiten, dass aus einem individuellen Habitus, der zu Beginn der Partizipation mit dem institutionellen Habitus konfligiert, nicht zwangsläufig eine dauerhafte Unvereinbarkeit resultieren muss. „Der spezifische Habitus, der sich Neulingen als Zugangsvoraussetzung aufzwingt, ist nichts weiter als ein spezifischer Denkmodus“ (Bourdieu, 2001, S. 126). Vielmehr zeigt das Beispiel von Frau Krug, dass die Praxis innerhalb eingegrenzter Handlungsdispositionen durchaus veränderlich ist und keinesfalls gänzlich determiniert reproduziert wird. „Überhaupt ist es wenig hilfreich, den Habitus als pädagogischen ‚Gegner‘ zu sehen, dessen Gewohnheiten ‚stören‘ und ‚überwunden‘ werden müssen“ (Bremer, 2007, S. 258). Dem vielerorts rezipierten Einwand, Bourdieus Habituskonzept bedürfe einer theoretischen Erweiterung zur Analyse des transformatorischen Potentials des Habitus, soll nach dieser nachgezeichneten Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension beigepflichtet werden, da sich trotz erheblicher Robustheit der originären Ausrichtung dennoch beachtliche habituelle Modifikationen herausarbeiten ließen.19 Doch gänzlich verschließt sich Bourdieu nicht gegen metamorphosierende Habitus, nur verweist er diesen Gesichtspunkt auf eine Sekundärposition, wie die folgende bedeutsame – jedoch in Klammern gesetzte! – Formulierung bezeugt: „(Was Neulinge in Wirklichkeit mitbringen müssen, ist nicht der stillschweigend oder ausdrücklich geforderte Habitus, sondern ein praktisch kompatibler oder hinreichend nah verwandter und vor allem flexibler und in einen konformen Habitus konvertierbarer, kurz: kongruenter und biegsamer und somit einer möglichen Umformung zugänglicher Habitus. […])“ (Bourdieu, 2001, S. 126). Frau Krug avisiert nach beendetem Studium und zwei erfolglosen Bewerbungen folgende Perspektive: „Ich hab mich angemeldet im September zu einem Kurs „Karriereberatung“ in X.“ (Frau Krug, Z. 287-288) Das Potential dieses Beratungskurses, die sich anbahnende Handlungsveränderung hin zu einer Enaktierung des Karrierewunsches weiterzuführen, kann nicht eingeschätzt werden. Nicht auszuschließen ist indes, dass sich nach Abschluss des Studiums der ursprüngliche Orientierungsrahmen restabilisiert und der Kurs „Karriereberatung“ zu einem weiteren Element in einer langen Reihe von Fort- und Weiterbildungen zur Akkumulation kulturellen Kapitals abgleitet, ohne den Ausgang der Status-
19 Vgl. zu dieser Kritik beispielsweise Schäffer (1996, S. 51f.).
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passage zu forcieren. Erst die fernere Zukunft wird zeigen, in welcher Form die Spannung zwischen ihrem solide inkorporierten Orientierungsmuster und der sich entwickelnden „Habitus-Metamorphose“ (Vester, 2001, S. 328) gelöst wird.
7.2 T YPUS „A BGRENZUNGSNEIGUNG “ Der Typus „Abgrenzungsneigung“ konnte bei fünf Proband/innen der Untersuchungsgruppe herausgearbeitet werden: Frau Thomforde ist 41 Jahre alt, verheiratet – ihr Mann ist selbstständiger Unternehmer – und seit zwölf Jahren als Lehrerin tätig. Ihre Berufstätigkeit wurde nicht durch ihre Schwangerschaften unterbrochen, da sie ihre nunmehr zwölf, 13 und 14 Jahre alten Kinder vor der Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit bekam. Frau Thomforde ist bereits stellvertretende Schulleiterin und leitet den Arbeitsbereich „Diagnostik für Lernschwierigkeiten und -behinderungen“. Zum Zeitpunkt des Interviews besucht Frau Thomforde das letzte Semester des Masterstudienganges „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“. Bereits sechs Monate nach dem Interview übernahm sie das Amt der Schulleitung. Da sie in dieser neuen Position an Modulen des „TVaS“ teilnahm, entstand im Rahmen einer Beobachtungsphase ein erneuter Kontakt. Herr Wirth ist 38 Jahre alt und arbeitet seit zehn Jahren als Lehrer. Seine Frau betreut das gemeinsame Kind zu Hause und geht keiner Berufstätigkeit nach. Herr Wirth hat bereits das „TVaS“ absolviert und im Anschluss daran das Masterstudium aufgenommen. Er befindet sich im zweiten Studiensemester. An seiner Schule arbeitet Herr Wirth im Personalrat und betreut den Fachbereich Sport. Der 32jährige Herr Lohse ist mit einer Lehrerin verheiratet und übt seinen Beruf seit zwei Jahren aus. Er hat die Weiterbildung zum Ausbildungslehrer besucht und betreut an seiner Schule den Fachbereich Musik. Herr Lohse befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews am Ende des ersten Semesters des Masterstudienganges „Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ und hat seit einigen Wochen bereits die Position des stellvertretenden Schulleiters übernommen. Frau Linder ist 36 Jahre alt, kinderlos, lebt in einer festen Partnerschaft und ist seit zehn Jahren als Grundschullehrerin tätig. Sie betreut im Rahmen des SINUS-Projekts zahlreiche Grundschulen als Koordinatorin und übt an ihrer Schule das Amt der Fachleitung Mathematik aus. Frau Linder besucht seit einem Jahr Module des „TVaS“ und hat sich bereits einmal auf eine ausgeschriebene Stelle als stellvertretende Schulleiterin beworben. Da die Schulleiterin der betreffenden Schule jedoch eine interne Stellenbesetzung anstrebte und eine geeignete Be-
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werberin vorweisen konnte, die Stelle demnach nur pro forma ausgeschrieben war, riet die Schulrätin Frau Linder dazu, ihre Bewerbung zurückzuziehen. Obschon Frau Linder dies als sehr unbefriedigend empfand und im Interview kritisch darstellt, folgte sie letztlich diesem Rat.20 Die Grund- und Hauptschullehrerin Frau Sprengel ist 34 Jahre alt und seit neun Jahren berufstätig. An ihrer ehemaligen Schule hat sie den Aufbau der Ganztagesschule koordiniert und diese geleitet. Seit ihrem Studium ist Frau Sprengel politisch sehr aktiv in der kommunalen Volksvertretung. Seit einem Jahr ist sie stellvertretende Schulleiterin und besucht Module des „TVaS“. Frau Sprengel lebt nicht in einer Partnerschaft und hat keine Kinder. 7.2.1 Situativer Kontext: „das ist mein Arbeitsplatz und nicht mein Wohnzimmer“ Der konjunktive Erfahrungsraum, der bei diesem Typus zur Entfaltung gebracht wird, weist einen maximalen Kontrast auf zu der Verwobenheit ins soziale Feld, die der Typus „risikoloses Probehandeln“ offenbart. Dennoch befinden sich auch diese Proband/innen in einer Art zirkulärer Beziehung zu ihrem sozialen Feld und stehen diesem weder isoliert noch individuell gegenüber. Sie legen ihren Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata (vgl. Schwingel, 1995, S. 56f.) jedoch stets eine auf Distinktion ausgerichtete Bewertung zugrunde. Ihre kollegiale Einbindung birgt Konfliktpotential und ist geprägt von Distinktionspraktiken. Auf die Bitte hin, ihre Stellung innerhalb ihres Kollegiums zu beschreiben, rekurriert Frau Thomforde sogleich auf ihre institutionalisierte Position und lässt anschließend eine lange Pause folgen: „Ja, ich bin stellvertretende Schulleiterin. Das ist für die Kollegen auch ganz klar... (8 Sek. Pause). Ja...ich kann das gar nicht so ... sagen.“ (Frau Thomforde, Z. 267-268)
Die Abgrenzung, die sich sowohl auf die hierarchische Ebene als auch zwischen den Polen Privatleben und Beruf vollzieht, führt sie in ihrer weiteren Exemplifizierung näher aus:
20 Verwiesen sei hier kurz auf Millers Untersuchung, in der 6,9% der befragten Grundschullehrer/innen von Schulrätinnen und Schulräten aufgefordert wurden sich auf eine bestimmte Stelle nicht zu bewerben (Miller, 2001, S. 209).
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„Schon Ansprechpartner. Meine direkte Schulleiterin ist oft krank. Von daher werde ich auch oft gefragt und ich kann da auch viel entscheiden. Wenn ich das entscheide, wird das auch so gemacht. Ansonsten würde ich sagen, ich bin nicht befreundet mit Kollegen, das ist für mich ganz klar, das ist mein Arbeitsplatz und nicht mein Wohnzimmer. So. Ich mag die gerne und wir verstehen uns auch gut. Da ist jetzt keiner dabei, das geht so gar nicht (lacht). Aber das sind nicht meine Freunde. Das ist irgendwie so eine ganz klare Sache. Alles sehr, äh, sehr professionell. Also, wenn Austausch, dann häufig über dienstliche Belange, Kinder und Unterricht. Auf ’ner tollen und netten Ebene, aber mehr halt auch nicht.“ (Frau Thomforde, Z. 268-276)
Allzu tief gehende Bindungen werden vermieden und die einzelnen Personen des Kollegiums in der Darstellung nicht weiter ausdifferenziert; sie verschwinden hingegen in ihrer Individualität innerhalb der abstrakten Fassung einer kollegialen Gruppe. Bei Herrn Wirth, Herrn Lohse, Frau Sprengel und Frau Linder erfolgt die Darstellung ihrer Positionierung innerhalb des Kollegiums unter Einbeziehung einer Abwertung der Fähigkeiten der Kolleg/innen, welche mit einer Aufwertung der eigenen Fähigkeiten einhergeht: „[…] das hört sich jetzt so nach Eigenlob an, aber ich glaub schon, von mir behaupten zu können, dass ich zu den Kollegen gehöre, die etwas stärker vernetzt denken als andere.“ (Herr Wirth, Z. 118-120)
Herr Wirth betont mehrmals, dass er „ein bisschen mehr mache und dadurch eben auch viele Dinge sehe, die andere nicht im Blick haben“ (Herr Wirth, Z. 199-200), während Herr Lohse zunächst recht verallgemeinernd das Kollegium („diese Mikropolitik hier und dieses nicht vorhandene Miteinander“ (Herr Lohse, Z. 94), „was wir hier für Pfeifen rumlaufen haben“ (Herr Lohse, Z. 98)) abwertet und sein Desinteresse an diesem bekundet: „Die haben sich auch untereinander echt hier immer schon angekeift. Und dementsprechend macht das mit denen wenig Spaß. Da hat man wenig Lust.“ (Herr Lohse, Z. 374-376)
Frau Sprengel subsumiert eine große Gruppe ihres Kollegiums unter der Bezeichnung „Jammerfraktion“ (Frau Sprengel, Z. 56) und kritisiert vehement und wiederholt die Tatsache, dass ihr Kollegium nur aus Lehrerinnen besteht. Diesen Umstand macht sie für das schlechte Arbeitsklima verantwortlich:
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„Das ist auch gerade bei Frauen so tuscheltuschel. Immer hinterm Rücken, ein Gepicke und Gehacke. Dieses Hintenrum kann ich nicht ab. Ich bin immer für klärende Gespräche. Offene.“ (Frau Sprengel, Z. 101-103)
Aus den obigen Zitaten tritt signifikant hervor, dass sich eine Positionsbestimmung im Falle dieses Typus nicht aus Fremdzuschreibungen konstituiert, sondern das Urteil des sozialen Feldes unberücksichtigt bleibt und stattdessen eine Abgrenzung gegen ebendieses vollzogen wird, so dass das Resultat kein „Wir“, sondern eine Aufspaltung in ein „Ich und Ihr“ ist. Dabei erfährt das „Ich“ eine Selbsterhöhung durch die erfolgte Abgrenzung in negativer Rahmung: „Erfolgreiche Entwertungen bringen Kapitalgewinn für den Entwertenden“ (Budde, 2005, S. 243).21 Stärker als der „Zwang zur Konformität“ (Hettlage, 1991, S. 432)
21 Entwertungen anderer zugunsten der eigenen Person belegen auch verschiedentliche ethnographische Protokollsequenzen, die ebendiese habituelle Disposition der „Abgrenzungsneigung“ auch bei anderen Akteur/innen nachweisen. Beispielhaft aufgeführt werden die folgenden: Die Dozentin hält nun eine PowerPoint-Präsentation zu den unterschiedlichen Zeittypen. Nach deren Ende spricht ein Teilnehmer sie an und schildert ausführlich ein Problem mit einem Kollegen, welches auf unterschiedlichen Zeitvorstellungen beruht. Sie widmet ihm – ebenso wie alle anderen Teilnehmenden – ihre Aufmerksamkeit und berät ihn. Der Teilnehmer tituliert den Kollegen in seiner Darstellung als „Wurst“. Nachdem die Dozentin erläutert hat, das Problem entstehe, weil hier zwei unterschiedliche Zeittypen aufeinanderprallen, schließt der Teilnehmer das Gespräch mit den Worten: „Ja, ich glaube, er ist ein anderer Zeittyp, aber eine Wurst bleibt er trotzdem.“ Alle anderen Anwesenden lachen. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 68-77) Ohne eine detaillierte Analyse anzustreben, da eine nähere Kontextualisierung des Teilnehmers nicht möglich ist, ist sowohl seine Aufwertung im Zuge der Entwertung durch das Umfeld (Lachen als Anerkennungsbekundigung) als auch seine distinktive Grundhaltung (das Festhalten an der respektlosen Charakterisierung) evident. Ich frage eine Erstsemester-Studentin (im Beisein zweier anderer Studentinnen), ob sie nach diesem ersten Präsenztag jetzt erschöpft sei. Sie entgegnet: „Ist das dein Ernst? Weißt du, im Studium war ich auch noch so zimperlich, gleich zu Hause geblieben, wenn ich meine Tage hatte oder so. Das ändert sich dann ganz schnell, wenn man erst mal richtig arbeitet. Da kann man dann viel mehr ab.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 330-333)
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scheint hier der „zwanghaft empfundene Impuls, Individuum sein zu müssen“ (Hettlage, 1991, S. 432). Da dies mit einer sich selbst erhöhenden Grundhaltung einhergeht, soll im Weiteren von einem superioren Habitus – verstanden im Sinne eines sich ranghöher, übergeordnet oder höherstehend einstufenden Habitus – gesprochen werden.22 Individualität und Persönlichkeit generieren sich hier kontrastierend zum Typus „risikoloses Probehandeln“, der eine stabile Position inmitten des sozialen Feldes einnimmt, vielmehr aus einem Anderssein und einer Positionierung am Rande des sozialen Feldes. Die Proband/innen agieren aus einer Marginalexistenz heraus, die ihr Übergangsstadium, im Sinne eines Nicht-mehrnur-Lehrkraft-Seins und Noch-nicht-ganz-Schulleitung-Seins, dokumentiert. Liegt folglich in dieser Positionierung die Ursache des Aufstiegsbestrebens die-
Im Rahmen eines eher grundlegenden – und in Kapitel 6.1 bereits angesprochenen – Desinteresses an mir als forschender Person kommt es zu einer Gesprächssituation, in der – ebenso wie in obiger – Aufwertungspotential durch Geringschätzung generiert wird und Distinktion zum Ausdruck kommt. Der Kontext zur Distinktion verläuft nicht wie oben entlang einer persönlichkeitstypisierenden Grenze, sondern entlang der Abgrenzung von einer vermeintlich niedrigeren Karrierestufe (Studentin versus aufstiegsorientierte Lehrerin). 22 Auch wenn hier keine Vertiefung einer Habitusgenese vollzogen werden kann, lohnt dennoch die Hinzuziehung Hoernings: „Im Prozeß der Statuspassage taucht die Vergangenheit auf, die für die Gegenwart und die Zukunft uminterpretiert als Orientierung verwendet wird“ (Hoerning, 1978, S. 265). So nehmen alle Proband/innen dieses Typus auf außerschulische Leitungs- und Führungserfahrungen in ihrer Vergangenheit Bezug, beispielsweise: „Ich hab in meiner vorschulischen Zeit auch viel in solchen, na ja, Positionen ist ja falsch, aber dass ich irgendwo dann doch-, ich hab das Jugendrotkreuz geführt, ich bin im Vorstand im DRK in X gewesen“ (Herr Lohse, Z. 1416); „Ich hab immer irgendwas nebenbei gemacht. Im Referendariat schon war ich in der Kommunalpolitik, der Stadtvertretung, das heißt ja überall anders. Ich war in der Ratsversammlung fünf Jahre und hab da eben auch meinen Wahlkreis gewonnen“ (Frau Sprengel, Z. 68-71). Diese Vorerfahrungen resultieren zum einen aus dem Lebenswelt vorstrukturierenden Habitus, der zu Führungspositionen tendiert, zum anderen sind sie für die perpetuierende Wirkung auf ebendiesen von zentraler Bedeutung. In diesem Sinne beeinflusst die zurückliegende Praxis die Statuspassage: „Die Praxen sind das Ergebnis dieses Aufeinandertreffens eines prädisponierten und vorbereiteten Subjekts und einer vermuteten, d.h. einer nur erahnten, über Vorurteile konstruierten Welt, der einzigen, die das Subjekt jemals kennen wird“ (Bourdieu, 1981, S. 195, Herv. im Original).
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ses Typus? Evoziert diese Habitusform eine Absonderung aufgrund einer eventuellen zweifelhaften Passung zwischen Habitus und sozialem Feld? Oder ist hingegen gelingender Aufstieg nur aus ebendieser Randposition realisierbar? Ich komme später darauf zurück (vgl. Kapitel 7.5). Während die von Frau Thomforde und Frau Sprengel gezogene Grenzlinie zum einen zwischen ihrer gehobenen Position und der untergeordneten Stellung der Kolleg/innen („Eben diese Kollegin, die muss das schnallen. Ich bin ihre Vorgesetzte“ (Frau Sprengel, Z. 104-105)) und zum anderen zwischen den Schnittpunkten Freundschaft und Kollegialität („ich bin nicht befreundet mit Kollegen“ (Frau Thomforde, Z. 270)) verläuft, bringen Herr Lohse, Herr Wirth und Frau Linder mit ihrer Darstellung des Kollegiums primär ihre aufstiegsorientierte Haltung zum Ausdruck, die mit ihrer besonderen Befähigung („über das normale Maß“ (Herr Wirth, Z. 125)) und dem Wunsch der Einflussnahme auf zuvor abgewertete Kolleg/innen einhergeht: „[…] aber wenn man immer nur von unten schießt, ändert sich nichts. Also muss ich mich dahin begeben, wo man im Zweifelsfall so was auch bekämpfen kann“ (Herr Lohse, Z. 98100)
Die signifikante Abwertungshaltung mit Erhöhung der eigenen Person durch Kumulation positiver Selbstzuschreibungen resultiert bei Herrn Lohse, Herrn Wirth und Frau Linder aus ihrer aktuellen Position, die weit weniger gefestigt ist als die von Frau Thomforde und ein gewisses Unsicherheitspotential birgt. Während Frau Thomforde bereits seit vier Jahren und Frau Sprengel seit einem Jahr stellvertretende Schulleiterin ist, hat Herr Lohse dieses Amt erst seit wenigen Wochen inne; Herr Wirth und Frau Linder besetzen noch keine besondere Funktionsstelle. Ihre Aufstiegsbemühungen sind gekennzeichnet von einem ausgeprägten Kampf um Anerkennung. Insbesondere die Übernahme des Amtes des stellvertretenden Schulleiters ist im Fall von Herrn Lohse aufgrund der Kurzzeitigkeit noch von einem kreditären Charakter flankiert, da er sich noch nicht bewähren oder sein Können unter Beweis stellen konnte. Die Proband/innen erleben konfliktreiche Situationen, die einerseits von ihrem superioren Habitus begünstigt scheinen, andererseits diesen weiter verfestigen: „In einer konkreten Situation bin ich sehr nachdenklich geworden. Im Rahmen einer Lehrerkonferenz habe ich gesagt, dass ich im Rahmen meines Studiums eine Datenerhebung machen möchte und einen Fragebogen vorbereitet habe, und die Kollegen gebeten, diesen Fragebogen auszufüllen. Da ging’s nur ums Ankreuzen und dauerte ungefähr zwei Minuten. Das haben von 22 Kollegen nur neun gemacht. Da bin ich nachdenklich geworden
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und habe mich gefragt, warum sind Kollegen nicht bereit, mir diesen Minigefallen-, sie mussten keine extra Zeit dafür aufwenden, das war im Rahmen einer Konferenz, die Konferenz lief weiter. Zwei Minuten nicht für einen Kollegen zur Verfügung zu stellen.“ (Herr Wirth, Z. 255-262) „Wenn ich ins Lehrerzimmer reinkomme und die hören auf zu reden, weiß ich schon das, das-. Muss ja nicht unbedingt über mich, in dem Sinne von gegen mich, aber ich soll’s nicht hören halt.“ (Frau Sprengel, Z. 53-55) „Ich bin manchmal zu direkt. Ich-, dann knallt es auch mal. Man muss da taktischer-. Diese Kollegin hatte, also die war Teil der Schulleitungsrunde, weil Personalrätin-. Als Personalrätin. Sie hat da etwas ausgeplaudert. Das Vertrauensverhältnis war dann zerstört. Sie hat die Schulleitungsrunde verlassen, weil wir Diskrepanzen hatten. Letztlich hat sie auch die Schule verlassen. Aber sie hat dann so doll ihre Sicht der Dinge verbreitet. Und die war einfach falsch. Was ich eingangs schon sagte, Zickenterror und Jammerfraktion.“ (Frau Sprengel, Z. 110-116) „Das sehe ich ja hier schon, dass man hier behandelt wird wie der kleine Sohn, der mal ein bisschen am Stundenplan spielen darf. Ist nur immer ein bisschen dumm, weil der kleine Sohn sagt: Hier nee, ich darf das aber, ich kann das sogar anordnen.“ (Herr Lohse, Z. 326329)
Das Kollegium von Herrn Wirth verweigert eine Solidarisierung mit ihm und seinen Aufstiegsbestrebungen, indem es ihm Entgegenkommen und Engagement hinsichtlich einer Tätigkeit verwehrt, die ihn in seinem Studium unterstützen würde. Die Kolleg/innen erfüllen ihre „Pflichten als Interaktionsteilnehmer“ (Goffman, 1971, S.127) nicht und zeigen – vergleichbar seinem Verhaltensschema – Herrn Wirth gegenüber ein distinktives Handlungsmuster. Vor dem Hintergrund Goffmans kann dieses Verhalten als „Entfremdung“ (Goffman, 1971, S. 128) gedeutet werden: Die Akteure sind dem Initiator entfremdet und fühlen sich folglich nicht zum Engagement verpflichtet. Dieses Empfinden fußt entweder auf dem Eindruck, dass sie in den Denk- und Handlungsschemata des Aufstiegsaspiranten nur in Bezug auf seine eigenen Pläne vorkommen: „Im Procedere des Erfolgsstrebens kommt der andere für uns nur vor, sofern wir ihn in unsere Pläne, Berechnungen und Kombinationen einbeziehen können“ (Mannheim, 1930, S. 479). Der Transfereffekt, Studieninhalte in das Kollegium hineinzutragen, ist im Falle von Herrn Wirth ausschließlich für ihn, nicht aber wie bei Frau Andres vom Typus „risikoloses Probehandeln“ aufgezeigt werden konnte, für das Kollegium interessant und ertragreich. Eine andere Erklärung richtet sich
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aus der Perspektive Bourdieus auf die unterschiedlichen Habitus der Agierenden: Wenn diese keinen gemeinsamen Erfahrungsraum teilen und in großer Differenz zueinander habituell geprägt sind, können die daraus resultierenden Passungsschwierigkeiten sich in fehlender Solidarisierung niederschlagen. Herr Lohse und Frau Sprengel werden, wenngleich rechtlich in ihrer Position als stellvertretender Schulleiter bzw. stellvertretende Schulleiterin geduldet, sozial von ihren Kollegien nicht wertgeschätzt. Dies resultiert seiner Interpretation nach aus der negativen Relevanzsetzung seines jungen Alters („Also, ich glaube, für die älteren Kollegen ist das schwierig. Also, das zu akzeptieren, dass jetzt hier so’n junger Hüpfer einfach formal mit zu sagen hat.“ (Herr Lohse, Z. 343345)). Diese Vorannahme seitens des Kollegiums konterkariert seine Praxis, wenn sie dazu führt, dass geltende Spielregeln bewusst außer Kraft gesetzt werden, da ihm die Autorität verweigert wird: „Also, es gibt hier eine Kollegin, wenn die Vertretungsbereitschaft hat in der ersten Stunde, dann wurde die früher immer angerufen, wenn sie kommen musste. Vertretungsbereitschaft ist Vertretungsbereitschaft. Darüber diskutier ich nicht. Wenn sie dann hier ist und muss nicht unterrichten, dann kann sie ihren Unterricht mal vorbereiten. Ansonsten vertritt sie. Das ist jetzt hier zweimal vorgekommen, dass sie nicht da war. Und beim dritten Mal geht sie zur Chefin. So einfach ist das. Das sind so Sachen, wo die versuchen einen so hintenrum zu beeinflussen.“ (Herr Lohse, Z. 355-360)
Die erlebten kollegialen Konfliktsituationen der Proband/innen ziehen eine umfassende Reflexion nach sich. Wenngleich ihre habituelle Prädisposition wegweisend für eine individuelle Bearbeitungsstrategie der Statuspassage ist und sich kooperativen Handlungsweisen eher verschließt, bleibt eine intensive Auseinandersetzung mit dem sozialen Feld nicht aus. Trotz der Unabhängigkeit von Bestätigung und Sympathiebekundungen anderer – kurz dem Blick der Anderen – aufgrund einer Selbstsicherheit, „die sich nicht den Normen der Wahrnehmung unterwirft“ (Russo, 2009, S. 71), wird die intentionale Abgrenzungsstrategie in dem Moment unterlaufen, wenn subjektive negative Erfahrungen sie kreuzen. Eine solche Situation kann nur im Nachsinnen über den Anderen bewältigt werden und fordert die Suche nach einer Begründung mit einhergehender Perspektivübernahme heraus. Nachdem die Proband/innen ausgedrückt haben, dass diese „Verletzungen […] die Substanz des Selbst (tangieren)“ (Willems, 1997, S. 134) („Und bei den alten ist das schon ein Problem. Das ist schon ein Problem, klar.“ (Herr Lohse, Z. 387-388); „Das war eine Reaktion, da bin ich sehr nachdenklich geworden. Wie gehe ich damit um?“ (Herr Wirth, Z. 256-266) „Aber-, hab auch sicher Fehler-, also ganz klar, man muss sich auch erst selber erproben in solch
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einer Rolle.“ (Frau Sprengel, Z. 118-119)), zeigt sich, dass ihre distinktive Orientierung mit einer Bereitschaft zu Konflikten einhergeht. Herr Lohse trägt den Konflikt aus, indem er die Macht seiner Position ausschöpft („[…] ich kann das sogar anordnen.“ (Herr Lohse, Z. 329)). Sein bereits erlangtes symbolisches Kapital – im Sinne der institutionalisierten Kapitalzuschreibung durch die Position des stellvertretenden Schulleiters – verbessert seine Chancen in diesem Konflikt: „Der Umfang des Kapitals bestimmt grundlegend das Gewicht, das dem Akteur bei der Gestaltung des Feldes zukommt. […] Je größer sein Gewicht, desto mehr Einfluss hat er auf die Gestaltung des Feldes – auf die ‚Regeln‘, die Einsätze, die Verteilung der Gewinne“ (Rehbein, 2009, S. 136). Die aus dieser Macht gewonnene Sicherheit bewirkt auch, dass seine Bereitschaft zur Perspektivübernahme eher gering ausfällt: „Die versuchen schon alle, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Aber die müssen auch gerade-, gerade die alten Kollegen müssen auch verstehen, dass wir keinen deutschen Kaiser mehr haben.“ (Herr Lohse, Z. 361-363)
Herr Wirth kann aus seiner sozialen Position nicht auf eine derartige Ressource zurückgreifen. Die Kapitalverteilung fällt eher zu seinen Ungunsten aus und stärker als Herr Lohse und Frau Sprengel ist er auf eine gewisse Integration ins Kollegium angewiesen. Da seinem offensichtlichen Aufstiegsstreben außer der adäquaten Selbstzuschreibung keine evidente Leistungskonkretisierung gegenübersteht, die ihm im kollegialen Kreis Kreditwürdigkeit verleihen würde, verfolgt er eine andere Strategie als die der Machtdemonstration. Er spricht seine Kolleg/innen infolge der Verweigerung, seinen Fragebogen auszufüllen, auf deren Unkollegialität an: „Ich habe das natürlich publik gemacht und viele waren betroffen, ich sag mal, haben sich fremdgeschämt. Viele haben gesagt: Nimm’s nicht persönlich, das kann andere Gründe haben.“ (Herr Wirth, Z. 262-264)
Durch die öffentliche Thematisierung des Konflikts generiert Herr Wirth auf Identifikationsfähigkeit basierenden Beistand aus dem Kollegium für sich, welcher ihm bei dem Überwinden der Situation hilft. Gleichzeitig riskiert er jedoch mit der Öffentlichmachung eine Verschärfung der Verhältnisse, da diese auch die Möglichkeit für das Kollegium birgt, sich negativ über seine Person und seine Art zu äußern. Der Versuch einer Perspektivübernahme und eines Nachvollzugs der Motive führt bei Herrn Wirth zu folgender abschließender Bewertung:
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„Viele halten mich auch für hochnäsig und überheblich.“ (Herr Wirth, Z. 239) „[…] ich hab noch keine anderen Gründe gefunden, außer dass man grundsätzlich keine Fragebögen ausfüllt. Das war eine Reaktion, da bin ich sehr nachdenklich geworden. Wie gehe ich damit um? Ich suche nach Erklärungen, aber ich verbuche das als Erfahrung und versuche, mich nicht davon persönlich runterziehen zu lassen.“ I: „Haben Sie denn – abgesehen von Ihrem humoristischen Deutungsversuch – irgendeine Erklärung?“ „Ja, was ich schon sagte, dass eben doch nicht jeder so kann mit meiner Art.“ (Herr Wirth, Z. 264-273)
Die Fremdzuschreibung, die sich hier in den Attributen „hochnäsig“ und „überheblich“ verdichtet, lässt Rückschlüsse auf eine nicht feldkonforme Haltung zu. Die vollzogenen Schritte für einen gelingenden Aufstieg führten bei Herrn Wirth möglicherweise zu einem überzogenen Distinktionsverhalten, verbunden mit einem führungsbereiten Auftreten innerhalb des Akteurskreises der Qualifizierungsmaßnahme, welches bei Beibehaltung im originären Feld – dem Kollegium – Repressalien nach sich zieht: Die Anerkennung des sozialen Feldes steht und fällt damit, wie sehr man das soziale Feld anerkennt. Die gewählte Qualifizierungsmaßnahme begünstigt durch ihren Rahmen (vgl. hierzu die Darstellung in Kapitel 6.1) eine Identifizierung mit der nächsthöheren Position, der der (stellvertretenden) Schulleitung; dies geht bei Herrn Wirth mit einer Abgrenzung von den niedrigeren Positionen in seinem Feld einher (vgl. auch Bourdieu, 1987, S. 249). Wenngleich die Probandin Frau Thomforde keine Konfliktsituation schildert23, können in der teilnehmenden Beobachtung Anzeichen für ihre Konfliktbereitschaft gefunden werden. Es geht um Konfliktgespräche mit alkoholabhängigen Eltern. Diesen wird von dem Modulleiter ein Gespräch verweigert und sie werden umgehend nach Hause geschickt. Frau Thomforde schüttelt während des gesamten Monologs des Leiters den Kopf und stößt
23 Auch Frau Linder expliziert keine Konfliktsituation, deutet aber durch Nebensätze deren Vorkommen an: „Ich lege mich mit dem Schulleiter halt auch häufig an. Sag ich mal (lacht).“ (Frau Linder, Z. 43-44). „Wir haben so ’nen Clinch, seitdem wir die neue Konrektorin haben, weil mit der verstehe ich mich überhaupt nicht. Die ist halt auch meines Erachtens total unmöglich“ (Frau Linder, Z. 59-60).
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schließlich ohne eine Wortmeldung hervor: „Ich habe viel Erfahrung mit alkoholisierten Eltern und ich kann das so nicht teilen, was du sagst. Ich würde mich da völlig anders verhalten.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 239-244)
Obschon es in dieser Situation zu keiner Konfliktaustragung kommt, da das Gespräch durch einen weiteren Teilnehmendenbeitrag eine andere Richtung nimmt, dokumentiert sich hier, dass Frau Thomforde einen offenen Widerspruch vor einer fremden Gruppe nicht zugunsten eines unaufrichtigen Konsens oder einer Meinungsenthaltung scheut24. Dies zeigt sich in hoher Evidenz auch bei Frau Sprengel in den Modulen des „TVaS“. Zwei Protokollszenen – in deren Vorfeld sich Frau Sprengel bereits öfter kritisch geäußert hatte – sollen exemplarisch herausgegriffen werden: Frau Sprengel fragt, ob die Aufgabenstellung von dem Smartboard abgeschrieben werden müsse oder ob man sie schriftlich bekomme. Die Leiterin antwortet: „Abschreiben.“ Frau Sprengel sagt: „Echt jetzt?“ Viele Teilnehmende lachen. Die Leiterin erwidert: „Ich entwickele Sie hier gerade als mein Controlling-Gesicht. Ich gucke immer zu Ihnen. Wie guckt sie jetzt?“ Frau Sprengel antwortet: „Oh, das ist nicht so gut. Ich gucke oft böser als ich es bin. Ich hab schon mal-, also an der Wursttheke sagt der Verkäufer schon mal zu mir: Was gucken Sie mich denn so böse an?“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 288-295-III)
24 Zwei weitere Sequenzen aus den Beobachtungsprotokollen des „TVaS“ sollen noch am Rande angeführt werden, da sie ebenfalls auf eine superiore Grundhaltung hindeuten: Eine Teilnehmerin fragt die Gruppe, ob alle damit einverstanden wären, wenn die Teilnehmerliste kopiert und an jeden ausgehändigt werden würde, damit man in Kontakt bleiben könne. Frau Thomforde spricht in das allgemeine zustimmende Nicken hinein: „Ich finde das nicht gut. Weißt du, was? Mach doch kurz eine Liste fertig und gib die rum, dann kann sich jeder eintragen, der das will. Jeder, der angemailt werden will.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 295-300) Die folgende Szene dokumentiert aus Goffmans Perspektive, „daß die situativen Toleranzspielräume und Bedeutungen des Benehmens von Statusverhältnissen der Interakteure abhängen, daß etwa relativ ‚schlechtes Benehmen‘ eine Art Statusdemonstration Ranghöherer darstellen kann“ (Willems, 1997, S. 116): Frau Thomforde nascht während des Beitrags des Dozenten im „TVaS“-Modul als einzige die ganze Zeit. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 232)
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Ein Teilnehmer wird von der Leiterin vorher aufgefordert „rauszugehen“ (Anm.: Ein Methodenspiel soll durchgeführt werden). Frau Sprengel fragt: „Ganz raus oder nur aus dem Kreis, was meinen Sie denn?“ Die Leiterin lacht laut auf und sagt: „Sie haben einen Hang zum Radikalen, Frau Sprengel.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 303-305-III)
Bei der Wahl der Qualifizierungsmaßnahme wird der Typus „Abgrenzungsneigung“ ebenfalls von seinem distinktiven Habitus geleitet. Drei der fünf Personen bevorzugen den Masterstudiengang als Qualifizierungsmöglichkeit. Herr Wirth schließt an seine Partizipation am „TVaS“ das Masterstudium an, da er ersteres wie folgt bewertet: „das war auch alles ganz schön und ganz nett, aber das hat mir dann doch nicht ganz gereicht, weil das alle machen“ (Herr Wirth, Z. 13-14). Die drei Proband/innen heben das Masterstudium positiv von der Alternative, dem „TVaS“, ab und lassen ihm ein höheres Urteil hinsichtlich des inhaltlichen Anspruchs und der symbolischen Reichweite zuteilwerden: „Auf jeden Fall ein deutlich tieferes Verständnis für die Aufgaben von Schulleitung, ein wesentlich umfassenderes vernetztes Denken und ich glaube, auch eine fachlich fundiertere Ausbildung, die „TVaS“-Fortbildung war gut, die hat Spaß gemacht, blieb aber allein durch die Intensität in vielen Bereichen an der Oberfläche. Und da sind die Studienmodule wesentlich tiefschürfender, wenngleich auch nicht alle gleich gut brauchbar sind, nach meiner Einschätzung. Aber man setzt sich wesentlich intensiver mit der Materie auseinander und kann dadurch auch viel mehr Nutzen daraus ziehen.“ (Herr Wirth, Z. 155-161) „Insofern war das für mich ein höherer Anspruch, zu sagen, da ist die Uni, die dahinter steht.“ (Herr Lohse, Z. 135-136)
Im weiteren Verlauf der Explikationen zeigt sich jedoch, dass die inhaltliche Ausrichtung vor der Relevanzsetzung, die die Proband/innen der Funktion der Qualifizierungsmaßnahme zuschreiben, zurücktritt; mit anderen Worten: Der Wert des persönlichen Kompetenzgewinns ist nachrangig vor dem der äußeren Anerkennung: „Das ist noch ein bisschen mehr als nur die „TVaS“-Ausbildung und wenn sich dann irgendwann viele Leute auf eine Stelle bewerben und einer hat einen Masterabschluss für Schulmanagement, dann kann das sicherlich nicht verkehrt sein.“ (Herr Wirth, Z. 15-18)
Der Rekurs auf den „höherwertigen Abschluss“ (Herr Lohse, Z. 128-129) umschließt folglich die progressive Blickrichtung auf den Kapitalwert und das
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Transformationspotential und dokumentiert damit einhergehend den ausgeprägten „Anlage-Sinn“ (Bourdieu, 1982, S. 151) dieses Typus. Es deutet sich auch bereits an, dass sich die ökonomisch hohe Investition in das Masterstudium insbesondere wegen des ihm inhärenten Seltenheitswertes lohnt. Einer implizit empfundenen Entwertung des „TVaS“, die mutmaßlich mit dem niedrigschwelligen Zugang oder ebenso mit der bereits explizierten Tatsache einhergehen kann, dass die Teilnahme bei vielen Akteuren ohne berufliche Konsequenzen bleibt, entgehen diese Proband/innen durch einen „Terrainwechsel“ (Bourdieu, 1982, S. 160). Die beiden Probandinnen, die den „TVaS“-Modulen den Vorzug gegeben haben, leiten indes Distinktion aus ihrem Alter ab: „Selbst wenn es da mal diese Schulleiterin mit 28 gegeben haben soll, was man immer hört-, ich meine mit 33 die Konrektorenstelle, da war ich auch irgendwie weit und breit die Jüngste. Auch im Modul, da wurde schon geguckt und gefragt.“ (Frau Sprengel, Z. 119-122)
Symbolischer Gewinn mit distinktiver Macht kann nur aus Strategien gezogen werden, die mehrheitlich nicht praktiziert werden: „Der Wert der Eigenschaften, die als symbolisches Kapital fungieren können, liegt nämlich nicht, obwohl alles scheinbar aufs Gegenteil hinausläuft, in diesem oder jenem unveräußerlichen Merkmal der jeweiligen Praktiken oder Güter, sondern in ihrem Grenzwert, der sich nach ihrer Anzahl richtet und zwangsläufig sinkt, je häufiger sie werden und je verbreiteter sie werden“ (Bourdieu, 1987, S. 249, Herv. im Original): „[…] wenn ich mich dann irgendwann nach X zurückbewerbe und da gibt es Konkurrenten, dass man dann sagen kann: Zack, ich hab hier aber noch ein Pfund in die Waagschale zu werfen. Vielleicht sticht man dann andere aus, wenn man besser qualifiziert ist.“ (Herr Lohse, Z. 117-119)
Die Strategien bergen beide, so ertragreich sie scheinen, ein Risikopotential. Vor dem Hintergrund der bourdieuschen Theorie betrachtet, wird die Doxa eines Feldes maßgeblich von den dominierenden Gruppen beeinflusst. In Blickrichtung auf das schulische Feld bedeutet dies, dass der neuartige Masterstudiengang gegenwärtig über eine geringere Reichweite verfügt als das Aufstiegshandeln über die Qualifizierung durch das „TVaS“ und das durch Dienstalter erworbene Erfahrungswissen (vgl. Kapitel 7.2.4). Deutet man das soziale Feld in der Funktion eines Marktes, generiert der Studiengang allmählich eine neue Bewertungsinstanz. Die in diesem Sample – bei allen vier Typen – stetige Auseinandersetzung mit dem Spielraum an Praxismöglichkeiten zur Qualifizierung und der quer
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dazu liegenden Qualifizierung durch eine allmählich herangereifte Erfahrenheit könnte in einigen Jahren durch die selbstverständliche Doxa einer speziellen Berufsausbildung für das Amt der Schulleitung abgelöst werden25. Der brisante aktuelle Diskurs beider Aspekte wird einerseits dadurch offenkundig, dass das IQSH im Jahr 2012 erstmalig begleitend zu den „TVaS“-Modulen ein Seminar mit dem Titel „Karriere unter 40 – geht das?“ konzipiert hat. Andererseits schlägt sich die divergente Wertschätzung der beiden Qualifizierungsmaßnahmen in folgender Äußerung eines Dozenten des „TVaS“ nieder: „Das Studium Schulmanagement hat nicht den Riesenstellenwert, wenn ihr euch bewerbt. Ich hoffe, ich mache euch nicht traurig. Viele kennen das nämlich gar nicht. Viele sagen auch: Wieder so ein verkopfter Mensch, der im Schulalltag nicht angekommen ist.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 460-464-III)
25 Aktuell gibt es keine offensichtliche institutionalisierte Präferenzhaltung einer der beiden Qualifizierungsmöglichkeiten gegenüber. Interessant ist darüber hinaus, dass trotz fakultativem Charakter während der gesamten Feldforschungsphase keine Person aufgetan werden konnte, die das Vorab-Qualifizierungsprocedere gänzlich unterlaufen hätte. Diese Loyalität mit den impliziten Spielregeln des Feldes dokumentiert sich auch in Herrn Lohses Reaktion auf die durch die Interviewerin an ihn herangetragene Konfrontation mit der Außenperspektive: I: „Es können ja auch Leute Schulleiter werden, die weder das eine noch das andere gemacht haben.“ „Jo. Geht auch (lacht lange). Alles eine Frage der Bewerbung und der Führungsqualität. Ich glaube, wenn man die Führungsqualität hat, kann man das auch. Glaub’ aber nicht, dass das einer macht (lacht).“ (Herr Lohse, Z. 138-143) Eine Logik der Praxis, die sich an der feldinternen Doxa orientiert, lässt sich auch den Beobachtungsprotokollen entnehmen: Nun sollen sich die Personen mit einem Nachbarn darüber austauschen, welche Erwartungen sie an den Seminartag haben. Ein Teilnehmer sagt: „Erwartungen? Die Aushändigung des Zertifikats ist ganz wichtig.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 32-35) Für den Weg in die Schulleitung gibt der Seminarleiter keinen „Königsweg“ vor. Er sagt: „Es gibt so viele Wege. Man muss gar nichts. Ich kenne einen, der hat weder Studium noch „TVaS“ gemacht und ist trotzdem gerade auf der Bewerberliste für Schulleitung.“ Eine Teilnehmerin hält das für „krass“. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 464-467-III)
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Wie lukrativ die durch das Studium erwerbbare Kapitalressource letztlich ist, welcher „Allokationseffekt – samt der darin implizierten Statuszuweisung“ (Bourdieu, 1982, S. 53) ihr künftig zugestanden wird, ist noch spekulativ. So vermeiden die drei Proband/innen durch ihren Terrainwechsel zwar, dass „die Gewinne an Distinktion zu unsicher werden“ (Bourdieu, 1982, S. 160), agieren aber im Sinne einer „Selbstsicherheit und Überheblichkeit derer, die sich vollkommen sicher sind, daß ihre Anlage sich auszahlen wird, und deren Investitionen sich denn auch in einer Welt, in der alles eine Sache von Glauben und Überzeugung ist, mit größter Wahrscheinlichkeit als die legitimsten und folglich gewinnträchtigsten durchsetzen werden“ (Bourdieu, 1982, S. 160). 7.2.2 Interaktion: „Ich hab’ das nie irgendwie verheimlicht“ Die in der abschließenden Graphik unter dem Merkmal „Interaktion“ zusammengefassten Handlungen dieses Typus zeigen alle, dass dessen offensichtliche Aufstiegsorientierung. („könnte ich mir gut vorstellen, ’ne eigene Schulleitung zu übernehmen.“ (Frau Thomforde, Z. 68-69)) innerhalb „klare(r) Rahmen“ (Goffman, 1977, S. 369) kommuniziert wird: „Nennt man einen Rahmen klar, so heißt das nicht nur, jeder Beteiligte habe eine hinlänglich richtige Vorstellung von dem, was vor sich geht, sondern im allgemeinen auch, er habe eine hinlänglich richtige Vorstellung von den Vorstellungen der anderen, einschließlich deren Vorstellung von seiner eigenen Vorstellung“ (Goffman, 1977, S. 369). Herr Wirth öffnet den Bewusstheitskontext seines sozialen Feldes umgehend und mit Behagen: „Ich hab das nie irgendwie verheimlicht. […] Ich hab das wirklich allen erzählt, eigentlich. Also ich bin nicht durch die Gegend gelaufen und hab das rausposaunt, aber ich hab schon, wenn es sich ergab, das gerne erzählt.“ (Herr Wirth, Z. 165-170)
Seine Praxis der offenen Kommunikation ist einerseits strukturiert von dem Wunsch des positiven Abhebens von den anderen Akteuren26 – gemäß einer von
26 Auch an anderen Stellen des Interviews verweist Herr Wirth auf die hohe Wichtigkeit, die er der Transparenz hinsichtlich seines Könnens und seiner Einsatzbereitschaft gegenüber der Schulleitung – und vor allem im Kontrast zu anderen Akteuren – beimisst. Beispielsweise:
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ihm selbst nicht explizierbaren „vorlogische(n) Logik der Praxis“ (Bourdieu, 1987, S. 41) – und andererseits von dem bewusst verfolgten Ziel einer Rollendistanzierung von seiner Berufsrolle als Lehrer und damit einhergehender Entlastungsgenerierung. Hierzu informiert er noch vor Aufnahme des Studiums seine Schulleitung über sein Vorhaben: „Ich hab’, bevor ich angefangen hab’ zu studieren, meine Schulleitung informiert. Auch um ganz klar meine Position zu benennen und der Schulleitung klar zu machen, dass ich für einige Sachen zukünftig nicht zur Verfügung stehen werde, aufgrund der Arbeitsbelastung. […] hatte ich darum gebeten, dass ich von anderen Sachen, die den Schulalltag betreffen, freigestellt werde, um mein Studium möglichst gut durchzuführen.“ (Herr Wirth, Z. 174-181)
Die Öffnung des „Kenntnisstandes“ (Goffman, 1977, S. 153) hat hingegen für Herrn Lohse bei der narrativen Darstellung seiner Statuspassage einen sekundären Stellenwert, der wiederum auf die kollegiale Distanz schließen lässt („Sonst hab ich das keinem großartig erzählt, […] weil ich dachte, das interessiert auch keinen.“ (Herr Lohse, Z. 154-156)). Er hebt aus seinem großen Kollegium27 „so zwei, drei Kollegen, […] mit denen man ganz gut kann“ (Herr Lohse, Z. 159160) hervor, denen er von seinen Plänen erzählt. Die Evidenz des sozialen Prozesses der Abgrenzung und der gleichzeitigen Wertung des Kollegiums als einer für ihn nahezu bedeutungslosen Gruppe mit herabzuwürdigenden Attributen („Die sind einfach so mit sich und der Welt überfordert“ (Herr Lohse, Z. 394)) spiegelt sich auch in seiner Praxis der Offenlegung seines neuen Postens – dem der stellvertretenden Schulleitung – wider: Dies teilt er seinem Kollegium in schriftlicher statt in mündlicher Form mit: „Dann hab ich das auch halt reingeschrieben in dieses Mitteilungsbuch. Da hab ich geschrieben, dass ich das eben halt mache.“ (Herr Lohse, Z. 176-177)
Ebenso wie bei Herrn Wirth dokumentiert sich hier eine Feldbezogenheit ausschließlich unter Fokussierung auf die eigenen Vorhaben: „Die Tatsache, daß ein Individuum das Gefühl haben kann, daß vieles von dem in seiner Umwelt Prä-
„[…] die Schulleitung bekommt mit, dass ich nicht nur Dienst nach Vorschrift mache, sondern ein bisschen mehr mache und dadurch eben auch viele Dinge sehe, die andere nicht im Blick haben.“ (Herr Wirth, Z. 198-200) 27 33 Personen unterrichten insgesamt in Herrn Lohses Schulkomplex.
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senten keine aktive Beziehung – sei es fördernder oder hindernder Art – zu seiner aktuellen Absicht hat, erlaubt es ihm, diesen Teil seiner unmittelbaren Umgebung als etwas Selbstverständliches hinzunehmen, das es unbesorgt unbeachtet lassen kann“ (Goffman, 1974, S. 407). Da Herrn Lohses Grenzziehung und Nichtbeachtung nicht entlang hierarchisch höherer Positionen verläuft, erzählt er sowohl seiner Schulleiterin von seinem begonnenen Masterstudium als auch den Mitstudierenden von seiner kürzlich übernommenen Konrektorenposition. Im Gegensatz zu Herrn Wirth vollzieht sich dies ohne einen konkreten Vorsatz, jedoch unter der Prämisse, hier im Gegensatz zum Umgang mit seinem kollegialen Feld Individualisierung und Abgrenzung zugunsten eines Gemeinschaftssinns zu vermindern: „In irgendeinem Seminar ist es mir so ’n bisschen-, also ich wollte das nicht an die große Glocke hängen. Aber es ist mir rausgerutscht, weil Herr X irgendwas fragte und ich dann sagte: Ich bin ja als Stellvertreter auch mit diesem blödsinnigen Stundenplan und dann fiel mir das so aus dem Mund. Aber wirklich nicht so: Stellvertreter! Sondern einfach so: Da hab ich genau die gleichen Probleme. Er dann so: Wow! Stellvertreter! Und ich so: Huch, ’schuldigung. Also, ’nen paar haben das jetzt mitgekriegt. Ich hab das jetzt auch noch nicht ins Profil gestellt. Ich finde das nicht so wichtig, wenn man studiert, ist man irgendwie-, dann sind alle irgendwie gleich und dann ist keiner irgendwie besser, nur weil man jetzt ein eigenes Büro mit Namensschild hat.“ (Herr Lohse, Z. 300-308)
Die Exemplifizierung der Offenlegung seiner positionellen Veränderung dokumentiert einen Augenblick eines Identitätskonflikts, dem Herr Lohse durch die „Kombination von Statusrollen“ (Goffman, 1971, S. 119), von verschiedenen Formen des Selbst in unterschiedlichen Rahmen – nämlich dem Studenten und dem stellvertretenden Schulleiter –, preisgegeben ist. Mit Goffman gesprochen: „In jedem sozialen System gibt es Zeiten und Orte, wo die Publikumssegregation regelmäßig zusammenbricht und die Individuen sich gegenseitig mit einem Selbst konfrontieren, das ganz unvereinbar ist mit dem, das sie bei anderen Gelegenheiten zeigen. Dabei erweist sich klar, daß die Verlegenheit, besonders die gemilderte, nicht in dem Individuum selbst verankert ist, sondern in dem sozialen System, in dem man mit mehreren Ausprägungen seines Selbst vertreten ist“ (Goffman, 1971, S. 119). Nutzt Herr Lohse seine Position innerhalb des Kollegiums als Machtvorsprung, versucht er dieses Selbst im Rahmen einer anderen Bezugsgruppe – unter ebenfalls Studierenden – nicht als Erfahrungsvorsprung einzusetzen, sondern es von seiner Selbstdarstellung zu isolieren. Die Öffnung des Bewusstheitskontextes gegenüber seiner Schulleiterin erweist sich für Herrn Lohse als Katalysator für seine Statuspassage, da das Wis-
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sen um sein Aufstiegsinteresse ihre Fremdzuschreibung beeinflusst und sie ihm – wenngleich erst im ersten Studiensemester –den vakanten Posten des stellvertretenden Schulleiters anbietet: „Ich hab mich dann irgendwann mit meiner Chefin unterhalten, die hat das nämlich in X studiert. […] Meine Chefin wusste dann ja, dass ich das studiere. Dann kam sie auf mich zu. […] Dann hat sie das Schulamt angerufen. Dann hat das Schulamt gesagt: Wenn Sie sich vorstellen können, dass Herr Lohse das kann, dann setze ich ihn erst mal kommissarisch als Stellvertreter ein. Dann haben sie mich hier in das Amt reingehievt, zuerst kommissarisch, dann richtig.“ (Herr Lohse, Z. 190-195)
Die Schilderung der Offenlegung bleibt bei Frau Sprengel recht oberflächig und fundiert dadurch noch einmal ihren superioren Habitus. Obwohl sie sich aus ihrer Ausbildungsschule heraus, in der sie demnach erst sukzessive der Position der Anfängerin und Lernenden erwachsen war, auf eine Stelle als stellvertretende Schulleiterin bewirbt, bereitet ihr die Offenbarung des Bewerbungsversuchs kein Kopfzerbrechen: I: „Wie haben Sie das Ihrem alten Kollegium erzählt, dass Sie weggehen?“ „Ähm, so meinem Kreis, dann allen, einfach gesagt. Ich hatte diese Konrektorenausschreibung gesehen und mich drauf beworben, weil das auch alles so gut passte. Schöne und neue Schule, bei mir in der Nähe. Dann hab ich denen das erzählt.“ (Frau Sprengel, Z. 19-23)
Auch Frau Linder hat „da nicht länger drüber nachgedacht“ (Frau Linder, Z. 118), weil sich ihre Überlegungen auf die Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen konzentrierten: „Da war das irgendwie aufregender, das zu schreiben, das alles noch mal schön zu machen und zusammenzustellen.“ (Frau Linder, Z. 120-121)
Die Explikation der Offenlegung ihrer Teilhabe am Masterstudium erfolgt in der Darstellung von Frau Thomforde in einem hohen Detaillierungsgrad und verweist dadurch auf ihre intensive Auseinandersetzung mit dieser Phase der Statuspassage28. Vor ihrer Schulleitung verheimlicht sie ihr Studium zunächst („Zu-
28 Die retrospektive Wirkungsstärke dieses Elements der Statuspassage zeigt sich über die wortreichen Antworten hinaus auch darin, dass sie den Aspekt einer Offenlegung
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erst hab ich gedacht: Nee, lass mal.“ (Frau Thomforde, Z. 202)). Diese Strategie geht mit zweierlei Befürchtungen einher: „Weil die dann nachher doch irgendwie denken, dass man seine eigentlichen Aufgaben nicht mehr so erfüllen kann. Oder wenn man dann irgendwie gestresst ist, dass das dann so viel auf das Studium geschoben wird, ne.“ (Frau Thomforde, Z. 49-51)
Um dem Verdacht einer unterstellten Überforderung zu entgehen, versucht sie, die beruflichen Anforderungen besonders unfehlbar auszuführen, und orientiert sich damit handlungsleitend an der Erwartungshaltung anderer: „Das ist ja eher so, dass man die noch besser machen möchte, so nach dem Motto: Das sagt mir jetzt keiner nach, ich hätte das jetzt irgendwie... die hat da jetzt rumgeschlust.“ (Frau Thomforde, Z. 147-149)
Da sie sich ihrer Vorgesetzten gegenüber letztlich doch recht rasch öffnet, weil „man das auch nicht so verschweigen kann (lacht)“ (Frau Thomforde, Z. 206207)29, muss sie sich nun mit ihrer zweiten Sorge auseinandersetzen, die einem potentiellen Kompetenzkonflikt gilt: „Man hat dann eher so das Problem, dass man einen Vorgesetzten hat, der diesen tollen Studiengang nicht gemacht hat und man also ständig sieht, wo der was... also falsch jetzt nicht. Wo man was anders machen würde. Das fand ich zum Teil echt schwer, das auszuhalten, weil ich ’ne super Vorgesetzte hab. […]“ I: „Wie sind Sie damit umgegangen, wenn Sie so was bemerkt haben?“ „Das hab ich einfach totgeschwiegen. Also, das war dann so, hab ich gedacht: Gut, das ist jetzt so. Ich hab jetzt nicht meiner Vorgesetzten gesagt: Das macht man aber anders oder das wär aber besser, wenn du das jetzt so und so machst. Nö, das ist ihr Ding und das steht mir nicht zu. […]“ I: „Was hatten Sie für Befürchtungen, wenn Sie damit anders umgegangen wären?“
respektive Verheimlichung ihres Aufstiegswunsches während des Interviewverlaufs selbsttätig wieder aufgreift. 29 Ebenso wie bei Herrn Lohse, dem die Kundgabe über seine neue Position im Rahmen des Masterstudiums „rausrutscht“, lässt sich auch hier antizipieren, dass ein geschlossener Bewusstheitskontext bei höherer Selbstkontrolle länger hätte aufrecht erhalten werden können. Die Proband/innen scheinen sich eines eher achtlos ausgeführten modus operandi zum strategischen Schutz dieser Information zu bedienen.
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„Ja, also das geht nicht. Sie ist meine Vorgesetzte und es steht mir einfach nicht zu, sie da zu belehren. Man kann nur versuchen, da so ’n bisschen zu beraten und das selbst anders zu machen. Also Befürchtungen nicht, also, dass sie sauer ist vielleicht. Dass sie das doof findet, wenn ich da jetzt altklug daherkomme und ihr da meine Sachen unter die Nase reibe.“ (Frau Thomforde, Z. 153-171)
Gemäß ihres eigenen „Konzept(s) der persönlich inkorporierten Normen“ (Goffman, 1974, S. 448) unternimmt sie eine „persönliche Kontrolle“ (Goffman, 1974, S. 448), um ein Verhalten an den Tag zu legen, welches innerhalb ihres Bewertungssystems angemessen ist und ihrem subjektiven Empfinden nach Angemessenheit ihrer derzeitigen Position als stellvertretende Schulleiterin entspricht: „Also sie hat nicht das Gefühl gehabt, ich säg da an ihrem Stuhl. Sie hat auch nicht das Gefühl gehabt, ich versuch sie da auszustechen und vor den Kollegen mich irgendwie darzustellen und sie so abzuwerten. Nö.“ (Frau Thomforde, Z. 216-218)
Da die Partizipation an der Qualifizierungsmaßnahme für Frau Thomforde – ebenso wie für die anderen Proband/innen des Typus „Abgrenzungsneigung“ und im Kontrast zum Typus „risikoloses Probehandeln“ – einhergeht mit der unmittelbaren Zielsetzung eines positionellen Aufstiegs („stellt man sich dar, bietet sich an als jemand, der bestimmte Aufgaben übernehmen möchte“ (Frau Thomforde, Z. 85-86)), empfindet sie bereits eine sich reduzierende Positionsdistanz zwischen sich und der Schulleiterin. Wenngleich der veränderte Status für letztere möglicherweise gar nicht sichtbar ist, sondern nur im Bewertungsschema von Frau Thomforde existiert, wendet sie „Ratifizierungsrituale“ (Goffman, 1974, S. 103) an, um ihrer Schulleiterin zu zeigen, dass die „Beziehung zu dem anderen fortsetzen wird, daß […] (sie sie) weiterhin unterstützen wird, daß sich trotz der anerkannten Veränderung nichts zwischen ihnen geändert hat. Kurz, es handelt sich um ‚Beruhigungskundgaben’“ (Goffman, 1974, S. 103). Auch bei der Kommunikation gegenüber ihrem Kollegium orientiert sich Frau Thomforde an Spielregeln, die an ein hierarchisches Gedankengut angelehnt sind. Wenngleich sie weder ihr Handeln noch ihr Ziel bagatellisiert, gibt sie nur dosiert Auskunft: „Wenn jemand gefragt hat: Kannst du Schulleitung werden? Ja, das kann ich mir vorstellen. Also, für mich ist das nicht so das Ende, meine Stelle jetzt. Die ist toll, die macht Spaß, aber ich könnte mir auch was Anderes vorstellen. Das löst bei den Kollegen natürlich auch einen kleinen Schreck aus (lacht). Ich hab einfach versucht, das so zu sagen, wie
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es ist. Und wenn ich gemerkt habe, dass da Kollegen irgendwie ... ja... also... bisschen verschreckt drauf reagiert haben. Ja, mach dir mal nicht so ’n Kopf, ich mach das mal erst und dann sehen wir mal langsam weiter.“ (Frau Thomforde, Z. 239-245)
Ihre „feldschonende“ Öffnung des Bewusstheitskontextes dokumentiert eine starke Fähigkeit zur Perspektivübernahme, die eine Modulation des Ereignisses evoziert. Willems spricht in Anlehnung an Goffman vom „strategisch kriteriengeleiteten Perspektivenwechsel“ (Willems, 1997, S. 105). Konträr zu ihrem Ziel – eine Schulleitungsposition einzunehmen –, welches aus der Perspektive Goffmans den Kern des Rahmens darstellt, erschafft sie eine weitere Schicht des Rahmens, indem sie eine „Täuschung in guter Absicht“ (Goffman, 1977, S. 102) bzw. ein „strategisches Täuschungsmanöver“ (Goffman, 1977, S. 118) herbeiführt: Sie verharmlost die zeitliche Perspektive ihrer Realisierungspläne. Goffman zeigt auf, dass „auch hier wieder nichts sehr Kompliziertes nötig ist, nur eine sprachliche Formel“ (Goffman, 1977, S. 511): „Ja, mach dir mal nicht so’n Kopf, ich mach das mal erst und dann sehen wir mal langsam weiter.“ (Frau Thomforde, Z. 244-245)
„Inhalt dieses Spiels ist es, in den Augen der anderen als normal und gewöhnlich zu erscheinen, sie also von den unverfänglichen eigenen Absichten zu überzeugen, während man zugleich seine eigentlichen Ziele unter dem Deckmantel der Harmlosigkeit weiterverfolgen mag“ (Raab, 2008, S. 87). Dass diese „Engagementkontrolle“ (Willems, 1997, S. 76), mit der Frau Thomforde die Stringenz ihrer Karrierepläne abschwächen will, tatsächlich nur performativen Charakter hat und die Probandin sich letztlich „als genau das, was zu sein sie durch ihre korrektive Handlung widerlegen wollte“ (Goffman, 1974, S. 228) erweist, zeigt ein Ausblick auf ihre persönliche Weiterentwicklung: Bereits sechs Monate nach dem Interviewtermin hat Frau Thomforde an einer anderen Schule den Schulleitungsposten eingenommen. Ihr Handeln soll die Aufrechterhaltung der alltäglichen Interaktionsordnung absichern, welche sie insbesondere deshalb als gefährdet ansieht, da sie sich – wie bereits angedeutet – stark mit der Doxa des pädagogischen Feldes auseinandersetzt, die sich ihrer Auffassung nach wie folgt darstellt: „Man ist schon so ’n bisschen der Karriererist. Das kommt ja auch bei Lehrern nicht so gut an, wenn jemand sich so als Alphatierchen gebärdet.“ (Frau Thomforde, Z. 226-227)
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„Man darf sich einfach nicht so... nicht so alphawolfmäßig gebärden. In Schulen haut das nicht so hin, ne. Die setzen da auf wirklich flache Hierarchien und diese Teamstrukturen. Und das ist gut, dass man das bei seinem Verhalten immer im Hinterkopf hat.“ (Frau Thomforde, Z. 246-249)
Diese Doxa erfasst sie offenbar so klar, da diese in ihrer subjektiven habituellen Disposition nicht angelegt ist und demzufolge nicht als „blinder Fleck“ ihr Handeln instinktiv oder vorbewusst leitet, sondern das Ergebnis „teleologischer Selektivität“ (Willems, 1997, S. 87) ist.30 Die Situation ihrer eigenen Statuspassage, die sie hier kommunikativ-abstrahierend darstellt, bewältigt sie in Form einer strategischen Interaktion in Orientierung an der Spielregel, im pädagogischen Feld würden Positionskämpfe kaschiert und Hierarchien maskiert. Diese Logik des Feldes kann nur aufrechterhalten werden, wenn intentionales Karrierestreben unausgesprochen und die Doxa somit unzerstört bleibt. „Es entsteht also eine eigentümliche Verschränkung der Existenzen, in welcher jeder nur sich selbst will, während er doch auf den anderen Rücksicht zu nehmen gezwungen ist. Diese negative Rücksicht wird zur positiven Bindung, es entsteht eine Achtung vor den Spielregeln und Verbindlichkeiten, die oft stringenter zu werden vermag, als die strengste Moral“ (Mannheim, 1930, S. 479). Frau Thomforde markiert einen Faktor, der bedingt, dass diese „strenge Moral“, diese Normalitätserwartung, insbesondere für sie gilt: „Das ist, glaub ich, sowieso ein Problem, gerade jüngerer Führungskräfte und vielleicht auch noch besonders verschärft für Frauen, man darf es auch nicht zu gut machen.“ (Frau Thomforde, Z. 172-174)
Sie theoretisiert in der Interviewsituation kommunikativ ihren Erfahrungsraum (gegenüber einer feldfremden Person) und rekurriert nicht auf habituell geprägtes praktisches Wissen, welches sich „als atheoretisches und inkorporiertes Wissen […] weitgehend sprachlicher Explikation und reflexiver Durchdringung“ (Michel, 2001, S. 97) entzieht. Von sich aus wirft sie die Themen auf, da sie sich stark an dem Auseinanderklaffen der Doxa und ihrer eigenen Handlungsstruktur
30 Teleologische Selektivität ist nach Willems (in Anlehnung an Goffman) gegeben, wenn ein Akteur sich in das – nicht geteilte – Hintergrundwissen einer anderen Person einfühlt, um daraus Reaktionen zu antizipieren, die einen relevanten Zusammenhang zu seinem eigenen Tun aufweisen (vgl. Willems, 1997, S. 87).
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abarbeitet. In ihre Handlungspraxis findet die doxische Anpassung jedoch nur oberflächlich Einzug (vgl. auch Bohnsack/Nentwig-Gesemann, 2001, S. 231ff.). Die Öffnung eines Bewusstheitskontextes evoziert eine Reaktion. So trivial und unstreitig diese Tatsache einerseits ist, so beachtenswert ist andererseits die marginale Bedeutung, die der Typus „Abgrenzungsneigung“ dem Erhalt dieser Reaktion beimisst. Die Exemplifizierung der erhaltenen Resonanz – die kontrastierend dazu beim Typus „Bestätigungsbedürfnis“ in äußerst detailreichem Ausprägungsgrad zur Darstellung kommt – mutet hier wie ein Resümee ohne handlungsbeeinflussenden Charakter an: I: „Und wie haben die reagiert?“ „Äh, puuh. Ja, also, gar nichts irgendwie großartig. Also, ich glaube schon, dass so bei manchen so im Hinterkopf ist: Die will aber ganz schön viel. Was macht die denn da?“ I: „Erinnerst du dich an einzelne Reaktionen?“ „Nö-, also nö.“ (Frau Linder, Z. 108-114)
In den Statuspassagen der Proband/innen manifestiert sich eine hohe Selbstläufigkeit, die unbeeinflusst von der Reaktionen anderer erfolgt. Weder positive noch negative Reaktionen werden narrativ ausgebreitet. Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten bedarf keiner Zustimmung durch das soziale Umfeld und das Urteil stellt keine Voraussetzung für weitere Handlungsschritte dar. „Hiermit korrespondiert ein Selbstverständnis, das die soziale Hochschätzung der eigenen Person als etwas vollkommen Natürliches begreift“ (Bittlingmayer/Bauer, 2009, S. 124). Dass sich die Proband/innen dieses Typus mit dem Aspekt eines Ermutigungs- bzw. Bestätigungserhaltes31 nicht tiefer auseinandersetzen, zeigt die Tatsache, dass keine narrativen Sequenzen mit der Frage „Fühlten Sie sich von jemandem ermutigt?“ induziert werden konnten. Unterstützung zum einen auf der Ebene konkreter Ratschläge („Und der [Anm.: der Ehemann einer Kollegin] hat das in X studiert und mit dem hatte ich mich darüber unterhalten, als ich das konkret gelesen hatte und mich mit dem Gedanken getragen hatte. Und der hat mir von seinen Erfahrungen berichtet und von den Anforderungen an das Studium und das hat mich dann schon unterstützt, das dann doch zu machen.“ (Herr Wirth, Z. 33-37)) als auch Rückhalt betreffend greifbarer Entlastungen („wenn du was fertig hast, dann lesen wir das noch mal quer“ (Herr Lohse, Z. 68-69);
31 Eine Definition beider Begriffe erfolgt im Rahmen der Darstellung des Typus „Bestätigungsbedürfnis“ (Kapitel 7.3.1).
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„Und Haushalt teilen wir uns eh und vielleicht mach ich dann mal drei Hemden mehr und dann holen wir das wieder auf“ (Herr Lohse – zitiert seine Frau, Z. 7879)) hat für diesen Typus einen höheren Stellenwert. Die Wertschätzung sozialen Kapitals auf der Bemessungsgrundlage des antizipierten Unterstützungspotentials korrespondiert auch mit dem Duktus der Netzwerkbildung dieses Typus: Während eine starke Abgrenzungsneigung im Hinblick auf statusniedrigere Personen veranschaulicht werden konnte, scheint den Proband/innen auf statusgleicher bzw. -höherer Ebene konjunktive Gemeinsamkeit erstrebenswert: „[…] gehen die Aufgaben aus dem Studienbrief gemeinsam durch, die Einsendeaufgaben tauschen wir aus, lesen die Sachen des anderen jeweils und helfen uns gegenseitig bei Problemen, das ist sehr angenehm.“ (Herr Wirth, Z. 318-320)
Die Aussicht, die Statuspassage in einem kollektiven Rahmen bewältigen zu können, lässt die Proband/innen „regelmäßig, eigentlich wöchentlich“ (Herr Wirth, Z. 310) in die neuen Kontakte investieren, da diese „das Produkt individueller oder kollektiver Investitionsstrategien (sind), die bewußt oder unbewußt auf die Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen“ (Bourdieu, 1992a, S. 65). Das ihnen zugeschriebene kulturelle Kapital („[…] überwiegend auch Gymnasiallehrer, die neben ihrem eigentlichen Unterrichten noch weitere Lehraufträge haben oder Funktionen haben, noch nebenbei wissenschaftlich arbeiten und solche Datenauswertungen und Studien betreiben. Die genau wissen, wenn es darum geht, irgendwelche Korrelationen zu berechnen und welche Tests man da verwendet, wo ich immer denke: Aha. Also das beeindruckt mich wirklich […]“ (Herr Wirth, Z. 290-294)) und zugleich die Solidarisierung mit diesen Personen („[…] war das immer wie ein Klassentreffen. Man hat auch viel gearbeitet, aber abends auch viel gefeiert“ (Frau Thomforde, Z. 321-322)) gestattet auch eine Statusaufwertung der eigenen Person. Auch hinsichtlich der Statusaufwertung bedient sich dieser Typus einmal mehr einer abwertenden Grenzziehung, die diese noch intensiviert: „Aber gibt auch einige, die das nur studieren, weil sie sich wie ich damals über die Schulleitung geärgert haben. Denen aber, das klingt jetzt wahrscheinlich großkotzig, der Fernblick fehlt.“ (Herr Lohse, Z. 286-287) „[…] würde ich mich fragen, warum studieren die Schulmanagement? Also das sind Personen, wo ich – gut, dass das hier anonym ist, in diesem Fall (lacht) – wo ich mich wirk-
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lich frage, werden die jemals in der Lage sein, eine Gruppe von Menschen zu führen? Wirklich so ein paar ganz graue Mäuse dabei, sowohl weiblich als auch männlich. Wo ich mich wirklich frage... also das kann dann nur eine persönliche Bereicherung sein für diese Personen. So schätze ich das ein.“ (Herr Wirth, Z. 279-284)
Die Strukturgebung des „TVaS“ indes scheint eine Netzwerkbildung so signifikant zu erschweren, dass beide Probandinnen, die das „TVaS“ besuchen, trotz hoher Bereitschaft und Offenheit zum Kontakteknüpfen keine Bindung an Aufstiegsaspiranten verwirklichen. Stattdessen rekrutieren die Probandinnen ihre Netzwerkressourcen ohne institutionelle Beihilfe: „Ja, so, ich kenn Schulleiter, die ich eben auch mal anrufen könnte. Hab mir das eher so privat versucht aufzubauen. Ähm. Ich rückversichere mich da zum Beispiel auch mal so, wie ich an meiner Schule so bin. Bei Auseinandersetzungen, was es da für Möglichkeiten gibt oder so.“ (Frau Linder, Z. 185-188)
7.2.3 Intention und Konsequenzziehung: „Wenn sich irgendeine Schule ergibt […], bewerbe ich mich auch jetzt schon während des Studiums“ Auf Basis ihres akkumulierten sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitals konnten sich die Proband/innen eine „soziale Energie, die Bestand und Wirkung nur in dem Feld hat, in dem sie sich produziert und reproduziert“ (Bourdieu, 1982, S. 194), erarbeiten, die sie nun zweckrational im Sinne ihrer Zielerreichung einsetzen. Der modus operandi ihres Handelns wird dabei nicht von der Logik gelenkt, auf einem langwierigen Weg eigene Kompetenzen zu vervollkommnen, sondern basiert auf einem Pragmatismus, der mit dem Vertrauen in das ausreichende Befähigtsein korrespondiert: „Die Spieler richten ihre Strategie nach ihren Voraussetzungen. Je besser sie sich für den Kampf gerüstet fühlen, desto waghalsiger spielen sie. Ihr Handeln richtet sich auch nach der Inkorporierung der Gesetzmäßigkeiten des Spiels, nach ihrem Habitus, nach ihrem SpielSinn“ (Rehbein, 2009, S. 136). Vermeintlichen Kapitalmangel gleicht ihr superiorer Habitus, der ihnen zu einer gewissen Gelassenheit verhilft, wieder aus. Frau Thomforde bewirbt sich kurze Zeit nach dem Interviewtermin initiativ und erfolgreich auf einen Schulleitungsposten. Bei einem Modul des „TVaS“, welches sie sechs Monate nach Übernahme ihrer neuen Position besucht, kommt es zu einer erneuten Kontaktaufnahme. Frau Thomforde nimmt am Modul teil
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mit dem Ziel, ihr Wissen hinsichtlich schulrechtlicher Fragen zu verfestigen.32 Weder ihr Täuschungsakt noch Konsequenzen, die gegebenenfalls aus diesem hätten resultieren können, oder ein Ablöseprozess von ihrem alten Kollegium werden von ihr angesprochen. Dies verfestigt noch einmal die These, ihr Täuschungshandeln als Inszenierung zugunsten sozialer Gegebenheiten zu betrachten, hinter dem „ein reales Ich (steht), das seine auf Erwartungen und Einschätzungen bezogene Pluralität von Darstellungen […] kontrolliert“ (Willems, 1997, S. 159). Die Inszenierung verbleibt jedoch auf der Ebene des Symbolhaften und lässt den Kern des realen Ichs unberührt. Ihre Retrospektive – auch in informellen Gesprächskontexten – reicht nur bis zu den ersten Tagen ihrer Amtsübernahme zurück. Auch beim „TVaS“-Modul dokumentieren sich ihr Progressismus und ihre Zielstrebigkeit: Frau Thomforde erfährt in einem Gespräch auf dem Flur, dass am kommenden Tag in einem ca. 50km entfernten Ort eine Einführungsveranstaltung für neue Schulleitungen stattfindet. Sie fragt genau nach und äußert lachend: „Warum wurde ich denn dazu nicht eingeladen? Ist das schon Mobbing? Wie krieg ich denn da nun was raus?“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 253-256)
32 Im Gespräch räumt sie schulrechtlichen Aspekten einen eher marginalen Stellenwert ein und legt dennoch (vordergründig) Wert auf ergänzende Weiterbildung in diesem Bereich. Diese Situation dokumentiert sich auch bei einer anderen Teilnehmerin am „TVaS“: GS-Schulleitern (46), seit einem Jahr im Amt, erzählt: Sie will jetzt vor allem die Schulrechtfragen noch einmal wieder auffrischen. Sie sagt auch: „Eigentlich bin ich bei Schulrecht locker. Ich weiß, ich kann das nicht so, ich kann aber nachgucken. Es gibt Wichtigeres.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z87-90) Die angeführten Beobachtungen decken sich mit den von Rustemeyer 1996 und 1998 durchgeführten Untersuchungen, die belegen, dass Frauen weniger zuversichtlich hinsichtlich ihrer Begabungen in Arbeitsfeldern mit eher maskulinem Image sind (vgl. Rustemeyer, 1998). Bei der Probandin Frau Thomforde ist dennoch auch eine andere Lesart möglich: Mutmaßlich liegt ihrer Partizipation an einem Modul zu schulrechtlichen Fragen die Intention eines gewünschten Erfahrungsaustausches und einer Erweiterung ihres sozialen Netzwerkes zugrunde. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass sie das schulrechtliche Modul unvermittelt zugunsten einer solchen Veranstaltung abbricht.
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Frau Thomforde spricht den Organisator des „TVaS“ an. Sie will nun schnell Informationen zu dem Schulleitungseinführungstag, der am kommenden Tag stattfindet. Sie begleitet ihn zu seinem Auto, da er dort Informationen darüber hat. Sie verabschiedet sich von mir und sagt: „Ja, da muss ich nun spontan sein. Aber gut, dass ich das noch erfahren habe.“ Sie steht neben dem geöffneten Kofferraum seines Wagens, während er Unterlagen heraussucht. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 312-317)
Sie durchbricht die ursprüngliche Rahmung ihres Handelns – die Vervollkommnung ihres schulrechtlichen Wissens – zugunsten einer Fokussierung auf ein Angebot, welches eine breitere Informationsvermittlung und potentiell höhere Netzwerkmöglichkeiten verspricht. Ihr Engagement und ihre hohe Konzentration auf die Zielerreichung schlagen sich in der dramaturgischen Steigerung des Zum-Auto-Begleitens nieder. Sie zeigt sich bar jeden Anpassungszwanges, da sie ein gebuchtes Seminar verlässt, welches über Monate hinweg ausgebucht war und zu dem es eine Warteliste gab. Die Entscheidung fällt zugunsten einer eigennützigen Handlung aus, welche sie der ursprünglichen überordnet. Die Spontanität und große Sicherheit ihres Agierens verweisen darauf, dass sie in dieser Situation auf vorbewusste habituelle Strukturen zurückgreift. Bei Herrn Wirth zeichnet sich ebenfalls ein zielstrebiges Bewerbungsvorgehen ab („Und wenn sich irgendeine Schule ergibt, die für mich sinnvoll erscheint, bewerbe ich mich, auch jetzt schon während des Studiums.“ (Herr Wirth, Z. 55-57)) und ebenso wie Frau Thomforde rekurriert er auf keinerlei antizipierte Loslösungskonflikte aus seinem Kollegium. Frau Linder stößt mit ihrem Ziel, sich auf eine Position der stellvertretenden Schulleiterin zu bewerben, auf Schwierigkeiten. Einmal schon wurde sie eindringlich aufgefordert, ihre Bewerbung zurückzuziehen, da eine interne Besetzung avisiert war, zudem bemerkt sie nun, „dass es eben in der Grundschule total bescheuert ist – wenn man nicht ’nen totalen Glücksgriff hat – ’ne Stelle zu kriegen“ (Frau Linder, Z. 28-29). Ursächlich für diese Einschätzung ist die Tatsache, dass Konrektor/innenposten zumeist nur kreisintern ausgeschrieben und vorzugsweise aus dem bestehenden Kollegium besetzt werden. Daraus zieht Frau Linder für sich folgendes handlungspraktisches Fazit: „Deswegen bin ich mittlerweile so weit, dass ich denke, dass ich das eben überspringe, bevor ich jetzt jahrelang irgendwie auf ’ne Konrektorenstelle warte.“ (Frau Linder, Z. 8587)
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Merkmalskombinationen des Bewältigungserlebens der Statuspassage des Typus „Abgrenzungsneigung“ Situativer Kontext Qualifizierungswahl: Masterstudium bzw. beide Angebote Konfliktbereitschaft
Qualifizierungswahl mit Anlagesinn und Distinktionspotential
Ausgangspositionierung: Marginalexistenz
Intention
verschiedene Offenlegungstaktiken mit karriereaffirmativer Zielperspektive
zielstrebige Kapitaltransformation durch Bewerbung
fortschreitende Statuspassage unbeeinflusst von Loslösungskonflikten aus dem ehemaligen Kollegium
Interaktion
Selbst- und Fremdzuschreibung: superiorer Habitus
Bewältigung der Statuspassage
Ermutigungserhalt bedeutungslos aktive Netzwerkbildung weitreichende Transformationsmöglichkeiten des erworbenen Kapitals
Konsequenzziehung konkrete Zukunftsperspektive erfolgreiche zeitnahe Beendigung der Statuspassage
7.2.4 Konsequenzziehung Herr Lohse: „Ich glaube, dass das für viele Kollegen ein Problem sein wird mit der Akzeptanz von extrem jungen Schulleitern“ Bei Herrn Lohse vollzog sich – wie dargestellt – mit Beginn der Statuspassage eine Verkettung sozialer Ereignisse. Unmittelbar nach der Aufnahme des Masterstudiums und somit dem Beginn der Statuspassage realisierte sich für ihn durch die Übernahme des stellvertretenden Schulleiterpostens bereits ein Statusübergang im Sinne einer positionellen Erhöhung. Wenngleich damit frühzeitig ein „Etappenziel“ erreicht ist und sich die präferierte Abgrenzungsneigung in praxi manifestiert, verfolgt Herr Lohse weitere Aufstiegsabsichten. Diese werden jedoch zum Zeitpunkt des Interviewtermins maßgeblich von der ungewohnten neuen Position und den damit verbundenen Schwierigkeiten beeinflusst. Seine Konsequenzziehung weicht infolge der erlebten aktuellen Situation von den in obiger Graphik aufgeführten typengemäßen Merkmalen „konkrete Zukunftsperspektive“ sowie „erfolgreiche zeitnahe Beendigung der Statuspassage“
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ab. Folglich soll der Konsequenzziehung des Probanden Herrn Lohse hier eine gesonderte Betrachtung zuteilwerden. Der von Herrn Lohse erlebte Konflikt unter negativer Fokussierung auf sein junges Alter innerhalb des Kollegiums löst ein Orientierungsdilemma aus. Auf die direkte Nachfrage äußert Herr Lohse eine offenkundige Bewerbungsabsicht auf einen Schulleitungsposten nach abgeschlossenem Studium: „[…] dann bin ich irgendwie im Herbst 2012 fertig und dann geh ich hier weg. Dann bin ich, das klingt jetzt scheiße, überqualifiziert. Nur um hier als Lehrer zu sitzen und meine 28 Stunden zu machen. Dann sitzt man hier und hat ’ne Schulleitung, die viel macht und man hat ’ne Qualifikation erworben und kann nichts machen. So, ich muss hier weg.“ (Herr Lohse, Z. 224-228)
Sobald er sich jedoch narrativ in der Exemplifikation seiner aktuellen Situation verliert, blockieren die erlebte Alters- und Erfahrungsdifferenz zu seinem Kollegium und die daraus resultierenden Schwierigkeiten sein Enaktierungspotential: „Ich denk mal so, 10 Jahre müsste man das hier machen oder vielleicht auch noch woanders.“ (Herr Lohse, Z. 259-260)
Durch die negative Fremdzuschreibung und Stigmatisierung aufgrund seines Alters, im Sinne einer „Attributierung von […] Alter als sich selbst aufstellende ‚Rahmenfalle’“ (Willems, 1997, S. 148), konfligieren seine soziale und persönliche Identität. Seinem feststehenden, persönlichen Wunsch, die Position des Schulleiters zu übernehmen, steht der Umstand entgegen, dass er dafür nicht die vermeintlich passenden sozialen Merkmale aufweist. Er weicht von einer feldimmanenten Norm ab, über die im gesamten schulischen Feld keine – in seinem direkten kollegialen Feld jedoch so große – Einigkeit zu bestehen scheint, dass er sich über diesen Selektionsmechanismus nahezu selbst aussortiert. Seine Zwangslage resultiert aus der Tatsache, dass die konkurrierenden Akteure um Schulleitungspositionen nach unterschiedlichen Spielregeln spielen: Neben der originären Illusio – die Kompetenz für die Schulleitungstätigkeit erfordere keine spezifische Qualifizierung, da diese aus der Lehrer/innentätigkeit heraus emergiere, sofern diese über lange Zeit hinweg ausgeübt werde33 – befindet sich eine
33 Die vertraute Illusio eines erhöhten Dienstalters angehender Schulleitungen schwingt vereinzelt auch in Argumentationsweisen empirischer Untersuchungen mit, beispiels-
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neue Bewertungsstruktur in der Konsolidierungsphase: Mit der Einführung des Masterstudienganges wird eine neue Kapitalform in den bestehenden Markt eingepasst, die die Strukturen verändert. Dies hat eine Pluralität, ein breites Möglichkeitsfeld unterschiedlicher Karrierekonstruktionen, nicht aber eine Vereinheitlichung zur Folge; mit Bourdieus Worten: Noch ist es nicht gelungen „einen einheitlichen Markt für alle kulturellen Fähigkeiten […], der die Konvertierbarkeit des um den Preis eines bestimmten Aufwands an Zeit und Arbeit erworbenen kulturellen Kapitals in Geld gewährleistet“ (Bourdieu, 1987, S. 242, Herv. im Original) zu schaffen. Obwohl die Sinnhaftigkeit einer vereinheitlichenden Ausbildung kontrovers diskutiert werden kann, stürzt der gegenwärtig vage Wechselkurs den Probanden Herrn Lohse in ein Orientierungsdilemma. Im Bewertungsschema seiner Schulleiterin, die diesen Studiengang ebenfalls studiert hat, wird dem Masterstudium so hohe Wertschätzung zugestanden, dass sie dem Probanden kurz nach Beginn seines Studiums bereits den Stellvertretungsposten anbietet. Im kollegialen Feld hingegen kämpft er um Macht und Anerkennung, die ihm nicht qua Qualifizierung zugestanden wird, respektive auf die er sich – auch nach abgeschlossener Qualifizierung – nicht verlassen kann. Seine Erfahrungen lassen ihn an der Wirkung des institutionalisierten, kulturellen Kapitals „Masterstudium“ als symbolischem Kapital zweifeln, weil ihm bislang Wertschätzung von kollegialer Seite verwehrt wurde. Wenngleich ihm eine spezialisierte Ausbildung weiterhin als notwendige Voraussetzung erscheint, vermag er sich auf den Erwerb des kulturellen Kapitals alleine nicht mehr zu verlassen und favorisiert eine etwas grotesk anmutende Verknüpfung: „Mit dem Wissen, was ich im Studium kriege, kann man in 10, 15 Jahren sagen, jetzt muss was anderes kommen.“ (Herr Lohse, Z. 222-223)
Da jegliche Resonanz von Seiten des Kollegiums auf seine neue Position als stellvertretender Schulleiter negativ auf sein Alter rekurriert, dokumentiert sich hier der Versuch neuere – Professionalisierungstendenzen mit dem älteren Bewertungsmaßstab der Faktoren Alter und Erfahrung zu kumulieren. Demzufolge zieht er in Erwägung, eine weitere Kapitalakkumulation durch fortschreitendes Alter und zunehmende Erfahrung zu erreichen:
weise wenn Forberg kommentiert „Frau D […] wurde bereits mit 40 Jahren Schulleiterin“ (Forberg, 1997, S. 85).
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„Ich glaube, wenn man das-. Ich könnte mir vorstellen, wenn man jetzt hier so drei oder fünf Jahre die Stellvertretung macht. Dann bin ich, weiß ich nicht, mit 38 bewirbt man sich dann so auf ’ne Schulleiterstelle. Ich glaube, dass das für viele Kollegen ein Problem sein wird mit der Akzeptanz von extrem jungen Schulleitern. Das glaube ich zum einen. Das sehe ich ja hier schon […] Ich glaube, das ist das eine. Und man braucht auch ein bisschen Erfahrung. Ich denke, es ist sinnvoll noch ’ne dritte Schule-. Ich denke, es ist sinnvoll, das mitgenommen zu haben, um äh, um ’nen Plan davon zu haben, was so läuft. Ich würde auch nicht ausschließen, dass ich mich nicht eher bewerbe. Es macht natürlich Sinn, Führung hat nicht viel mit Lehrerfahrung zu tun. Ich glaube aber, man muss noch ein bisschen mehr wissen, wie Schule tickt.“ (Herr Lohse, Z. 325-336)
In seinen Äußerungen wird der Kampf um Bewertungsstrukturen sichtbar. Seine Zukunftsperspektive wird davon beeinflusst, dass er auf die vermeintlich „objektiven Strukturen […] solche Wahrnehmungs- und Wertungsstrukturen (anwendet), die selbst aus jenen objektiven Strukturen hervorgegangen sind“ (Bourdieu, 1992b, S. 149). Eine ideologische Entsprechung zeichnet sich nicht ab, vielmehr Stolz auf seine bisher erreichte Position („Ich bin jetzt 32 und sitz auf ’nem Stellvertreterposten, das ist ja tiptop.“ (Herr Lohse, Z. 253-254)). Auch bereut er seinen raschen Schritt zur Übernahme der stellvertretenden Schulleitungsposition nicht. All dies deutet darauf hin, dass der innere Kampf, den die aktuale Situation in ihm evoziert, nicht grundlegend seine Praxis determiniert und zugunsten einer Enaktierung seines Karrierestrebens ausfällt. So ist denkbar, dass sich der erfolgreiche Abschluss des Masterstudiums als Generator zur Transformation seines erworbenen Kapitals in eine Schulleitungsposition erweist. Mit Bourdieu formuliert: „Die offizielle Benennung oder Nominierung, das heißt der Akt, kraft dessen jemandem ein Titel, eine sozial anerkannte Qualifikation verliehen wird, ist eine der typischsten Manifestationen des Monopols auf legitime symbolische Gewalt“ (Bourdieu, 1992b, S. 150). Führt man sich erneut die Anspracheform innerhalb des Masterstudienganges vor Augen (vgl. Kapitel 6.1), liegt in der kontinuierlichen Bezugnahme auf die künftige Ausübung einer Führungsposition ein inhärentes Potential zur Beschleunigung eines Positionsanstiegs. Da sich die Form des superioren Habitus von Herrn Lohse diese Qualifizierungsmaßnahme gezielt gesucht hat, ist davon auszugehen, dass seine habituelle Prädisposition auf diese Anspracheform anspringt und die Einflussnahme der Qualifizierungsmaßnahme letztlich vor der des schulischen Feldes, dem er bereits entfremdet bzw. von dem er abgegrenzt ist, überwiegt.
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7.3 T YPUS „B ESTÄTIGUNGSBEDÜRFNIS “ Der Orientierungsgehalt des Bestätigungsbedürfnisses zeigt sich bei vier Proband/innen des Untersuchungssamples: Frau Benecke studierte zunächst Lehramt für Gymnasien und ergänzte dies anschließend – da sie keine Anstellung bekam – durch ein Studium für Grundschulpädagogik. Sie unterrichtete an einer Privatschule und gab Kurse in der Volkshochschule. Acht Jahre setzte sie zur Betreuung ihrer nun 18 und 14 Jahre alten Kinder beruflich aus. Seit zehn Jahren ist Frau Benecke als Grundschullehrerin und seit zwei Jahren als Schulleiterin tätig. Sie lebt seit ihrer Scheidung vor drei Jahren mit ihren Kindern allein. Frau Benecke ist zum Zeitpunkt des Interviews 50 Jahre alt. Sie hat die Qualifizierungsmaßnahme „TVaS“ absolviert. Der 41-jährige Herr Panitz ist Grund- und Hauptschullehrer und arbeitet seit 15 Jahren an einer Grund- und Hauptschule. Seine Frau ist nicht berufstätig und betreut die beiden sechs und zehn Jahre alten Kinder. Herr Panitz ist Fachleiter für den Bereich Sport und hat zum Zeitpunkt des Interviews das „TVaS“ seit zwei Jahren abgeschlossen. Er hat sich bereits einmal ohne Erfolg auf eine Schulleitungsstelle beworben. Herr Hagen ist ebenfalls Grund- und Hauptschullehrer und arbeitet seit fünf Jahren an einer Grundschule. Er ist 36 Jahre alt, verheiratet und Vater eines dreijährigen Kindes. Er hat die Weiterbildung zum Ausbildungslehrer absolviert und das „TVaS“ einige Wochen vor dem Interview abgeschlossen. Während der Partizipationsphase am „TVaS“ bewarb Herr Hagen sich bereits einmal ohne Erfolg auf eine Schulleitungsstelle. Drei Monate nach dem Interview bewarb er sich erneut und übernahm die Leitung einer Grundschule. Herr Basting ist 49 Jahre alt und Vater von drei Kindern im Alter von 18, neun und sechs Jahren. Seine Frau ist ebenfalls Lehrerin. Seit 15 Jahren arbeitet Herr Basting als Grundschullehrer; seit drei Jahren ist er Schulleiter. Zuvor war Herr Basting in einem anderen Bundesland als stellvertretender Schulleiter tätig. Dort absolvierte er eine Schulleitungsqualifizierung. Da diese in SchleswigHolstein nicht anerkannt wurde, wurde er aufgrund seiner besonderen Stellung als Bundeslandwechsler vor seiner Bewerbung aufgefordert, das „TVaS“ zu besuchen. 7.3.1 Situativer Kontext: „hab mir meinen Stand so erarbeitet, dass ich auch mal gefragt werde“ Die Proband/innen dieses Typus bringen durch ihren atheoretischen Erzählmodus einen gemeinsamen Orientierungsgehalt zum Ausdruck, an dem sich die
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Struktur ihres Handelns ausrichtet. In unterschiedlichen Situationen – und auch in unterschiedlicher Intensität – tritt die Orientierungsstruktur eines eklatanten Bedarfs an Bestätigung immer wieder zu Tage. Die Befragten befinden sich innerhalb ihres Kollegiums in einer konfliktfreien, sich jedoch nicht gänzlich in einem „Wir“ auflösenden Position: „Ich erfahre eine große Akzeptanz, die unterschiedlich stark ist. Mit mehreren Kollegen kann ich sehr, sehr herzlich umgehen. Man fragt mich halt in bestimmten Situationen: Du weißt das doch. Man legt also ganz viel Vertrauen in mich. […]. Das ist ein sehr schönes Gefühl.“ (Herr Panitz, Z. 285-289) „Man hat ja immer so seine Kolleginnen-Freundinnen und hatte da so ’nen Kreis und vor allem so speziell eine, mit der ich so-, wir gehörten so, haben wir immer gesagt, zu den Fortbildungsfuzzis (lacht). Mit der hab ich viel Fortbildungen besucht, auch Jahresfortbildungen, also zum Beispiel Videoanalyse, also Verhaltensänderungen durch Videoanalyse und so. Da wächst man ja auch zusammen und erweitert immer mehr seinen Dunstkreis. Und in der Schule war ich auch schnell so eingebunden mit diversen Extraaufgaben, auch so grundlegenden Sachen. Wir haben dann erst mal das ganze Lernmaterial auf Vordermann gebracht, rausgeschmissen, archiviert, Karteikartensystem eingeführt. Ach, all so was. Da haben wir in drei Wochen in den Sommerferien zugebracht und – .“ (Frau Benecke, Z. 36-44)
Ihre Ausgangspositionierung im sozialen Feld basiert nicht primär auf gegenseitiger Zuneigung und Sympathie, sondern fußt auf Anerkennung infolge der offerierten Fähigkeiten. Die Proband/innen zeichnen sich durch ihren Wissensvorsprung respektive ihre besondere Einsatzbereitschaft aus. So tendiert auch die Fremdzuschreibung, die Frau Benecke nach ihrer Übernahme des Schulleitungspostens von ihrem ehemaligen Kollegium zurückgemeldet wird, in Richtung ihrer besonderen Qualifikation und Einflussnahme: „Hab ich auch im Nachhinein so die Rückmeldung, dass man so fehlt. Kolleginnen, die so spritzig sind und innovativ und auch was bewegen. Ich war auch immer offen für Neues und interessiert. Und da hab ich auch die Rückmeldung bekommen, dass das jetzt irgendwie so fehlt. Da hat sich so die Dynamik verändert.“ (Frau Benecke, Z. 240-243)
Die Tatsache, dass die Proband/innen in Prozesse der Schulgestaltung involviert sind, dominiert in der Fremdwahrnehmung über persönliche Charaktereigen-
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schaften34. Kollegiale Kontakte über den schulischen Kontext hinaus werden von den Befragten nicht benannt. Korrespondierend mit der Fremdzuschreibung liegt auch der Fokus der Selbstzuschreibung auf dem eigenen Können: „Ich bin schon jemand, der intensiv versucht, Dinge in der Schule neu reinzubringen an Ideen […]. Ähm. Hab mir von Anfang an auch hier meinen Stand dann so erarbeitet, dass ich durchaus auch mal gefragt werde, wenn bestimmte Dinge, was Schule angeht in jeglichem Bereich-, auch interessant ist. Weil sie auch wissen, dass ich mich damit beschäftige.“ (Herr Hagen, Z. 365-370)
Der Habitus dieses Typus, im weiteren Verlauf als impulsgebender Habitus benannt, scheint die Verinnerlichung der feldimmanenten Doxa des Lernens und Leistens zu sein. Die Bewertung der eigenen Persönlichkeit durch andere nach Maßstäben der Befähigung statt einer Klassifizierung nach Sympathie und –wie beispielsweise beim Typus „risikoloses Probehandeln“ – kooperativer Hilfsbereitschaft scheint für diesen Typus sowohl am naheliegendsten als auch am wünschenswertesten. Mit anderen Worten: Es handelt sich hier primär um eine handlungs- und weniger um eine personenbezogene Wertschätzung. Die Position dieses Typus ist das Resultat eines über längere Zeit hinweg akkumulierten breiten Spektrums an Erfahrungen und Fähigkeiten: „Ich war dann so ’n bisschen erziehungshilfemäßig intern in anderen Klassen, in der ich selbst gar nicht unterrichtet habe, weil ich die Referendarin in der Klasse hatte. Saßen wir dann mit der Kollegin zusammen am runden Tisch und ich hab dann so ’n bisschen mit Moderatorenkarten gearbeitet und da war die Schulleiterin dabei und die sagte hinterher: Da hat sich wieder gezeigt, was für Fähigkeiten du hast. Ich glaub, über diese Schiene ist es auch immer wieder gekommen. Über meine Arbeit nicht nur in der Klasse im Unterricht, sondern alles, was ich darüber hinaus so angegriffen habe.“ (Frau Benecke, Z. 67-73)
Die akzentuierte Position einer Lehrkraft, die Innovationen vorantreibt, nehmen diese Proband/innen ein, ohne daraus distinktives Potential ableiten zu wollen.
34 Hier sei noch einmal auf Bourdieus Anmerkung verwiesen, es handle sich bei der Wahrnehmung der Fremdzuschreibung ebenfalls um „Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata, die selbst wiederum einverleibtes Produkt“ (Bourdieu, 1987, S. 255) seien. Folglich wirken Fremdzuschreibungen, die sich auf die eigene Befähigung beziehen, bei diesem Typus habitusgemäß lange nach, da sie hoch mit der eigenen Relevanzsetzung korrelieren.
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Innerhalb des Kollegiums tendieren sie nicht zur Einnahme einer marginalen Position, sondern fühlen sich „voll drin“ (Herr Hagen, Z. 373) und „schon beliebt, also“ (Frau Benecke, Z. 240) und befinden sich hinsichtlich dieses Handlungs- und Bewertungsschemas in großer Nähe zum Typus „handelnder Positionsanstieg“. Die Eingebundenheit ins Kollegium wird weder vermieden noch derart intensiviert, dass sie determinierende Auswirkungen nach sich ziehen könnte. Die weitere Betrachtung wird zeigen, dass ein moderates Aufrechterhalten von Nähe trotz Aufstiegsbestrebungen und damit einhergehender Loslösungstendenzen für diesen Typus eine elementare Strategie35 zur Bewältigung der Statuspassage darstellt, da der Erhalt von Bestätigung sein Aufstiegskonzept prägt. Die Partizipation dieses Typus an der Qualifizierungsmaßnahme – es handelt sich bei seiner Wahl um das „TVaS“ – erfolgt aufgrund von Ermutigung aus dem beruflichen, respektive privaten, Umfeld: „Ich weiß, dass mein alter Rektor damals auch schon gesagt hat, ich sollte mich in die Richtung mal umgucken.“ (Herr Hagen, Z. 37-38) „’Ne andere Person war auch noch da. Also mein Studienleiter, der mich mit ausgebildet hat im Referendariat schon. Der hat mir gleich, nachdem ich fertig war, empfohlen, mich auf ’ne Konrektorenstelle zu bewerben. Also, der sagte gleich nach dem Referendariat: So, jetzt wegbewerben, Konrektor. Von daher waren’s ’nen paar aus dem Bereich, die gesagt haben: Das würde doch gut passen. Das hilft natürlich auch.“ (Herr Hagen, Z. 65-69) „Ich hab mal mit Freunden, mit einem Ehepaar darüber gesprochen. Er ist ein Kollege, ich kenn ihn seit 20 Jahren. Wir sind auch gut befreundet. Er will auch Schulleiter werden, hat verschiedene Sachen unternommen. Wir unterhielten uns mal drüber und in irgendeinem Gespräch sagte er: Wieso, das kannst du doch auch machen?“ (Herr Panitz, Z. 51-54)
35 In Bezug auf die Verwendung des Begriffs Strategie sei folgendes angemerkt: „In den Begriff Strategie tragen sie die Vorstellungen von Intentionen und bewußter Zielgerichtetheit hinein“ (Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 47) und befinden sich damit im Irrtum, merkt Wacquant hinsichtlich der Praxis vieler Nutzer der bourdieuschen Nomenklatur an. Dieser Einwand wird berücksichtigt, da hier unter einer Strategie der Handlungsorientierung am Erhalt von Bestätigung keine rationale Zielverfolgung verstanden wird, sondern ein implizites Bedürfnis, welches der Praxis zugrunde liegt und diese mit einer spezifischen Akzentuierung versieht.
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Die Ermutigung für diesen ersten Schritt hinein in die Statuspassage ist erheblich und wirkt bei diesem Typus handlungsgenerierend. Hinsichtlich dieses hohen – und auch hochbewerteten – Ermutigungserhalts kontrastiert dieser Typus mit den beiden bisher betrachteten Typen, so dass hier eine Auseinandersetzung mit und eine Begriffsdefinition von Ermutigung und Bestätigung erforderlich wird36. Im Verlauf des Forschungsprozesses zeigte sich, dass die Begriffe Ermutigung und Bestätigung nicht dergestalt voneinander abgegrenzt werden können, wie es im Zuge der Erstellung des Interviewleitfadens zunächst vermutet worden war. Im Erleben der Proband/innen zeigt sich keine spezifische Differenz zwischen einer Phase, die als Ermutigung empfunden wird, und einer, in der der Wille schon so weit konstituiert ist, dass sie die von außen herangetragene Unterstützung als Bestätigung empfinden. Ermutigung und Bestätigung hängen semantisch zusammen, verschmelzen zu einer kohärenten Sinneswahrnehmung und die sprachlich vorformulierte Differenzierung wird realiter nicht erlebt. Trotz dieser empirischen Unschärfe potenziert der Typus „Bestätigungsbedürfnis“ die Erfordernis, eine begriffliche Unterscheidung zu entwickeln und diese den Narrationen der Proband/innen gegenüberzustellen. Definiert man Ermutigung als „Mut machen durch förderliches Zureden“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Mut, 01.08.2012), als „motivation enhancement“ (Wills, 1985, S. 74) durch „esteem support, which increases feelings of self-esteem” (Wills, 1985, S. 61, Herv. im Original), erhalten die Befragten diese, bevor ihre Statuspassage beginnt, womit ihr ein relevanter Katalysatoreffekt zukommt. Dabei zeigt sich, dass diese bei den männlichen Probanden sowohl besonders beträchtlich und konkret ausfällt als auch auffal-
36 Zur Erinnerung sei noch einmal auf die beiden vorigen Typendarstellungen zurückgeblickt: Der Typus „risikoloses Probehandeln“ kann infolge seiner uneigennützigen, mütterlichen Ausgangspositionierung und der auf Verharmlosung basierenden Öffnung des Bewusstheitskontextes vor Kollegium und Vorgesetzten nahezu keinen Ermutigungsstimulus mobilisieren. Die Konstellation von Position und Praxis des Typus „Abgrenzungsneigung“ steht obiger Beschreibung diametral gegenüber: Der Aufstiegswunsch ist offensichtlich und die Position bereits zu Beginn der Statuspassage die einer Marginalexistenz. Die eigene Klarheit der Zielsetzung und die bereits erfolgte Abgrenzung führen dazu, dass dieser Typus einem Bestätigungs- bzw. Ermutigungserhalt wenig Bedeutung beimisst und diesen demzufolge kaum retrospektiv erinnert. Vorgreifend sei erwähnt, dass beim Typus „handelnder Positionsanstieg“ die a priori erreichte Position den Aspekt der Bestätigung nahezu überflüssig werden lässt, der Ermutigung hingegen im Modus eines „Überredens“ eine hohe Gewichtigkeit zukommt.
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lend frühzeitig einsetzt; diesen Aspekt wird die Soziogenese noch einmal in den Blick nehmen (vgl. Kapitel 8.1.2): „Also mein Studienleiter, der mich mit ausgebildet hat im Referendariat schon. Der hat mir gleich, nachdem ich fertig war, empfohlen, mich auf ’ne Konrektorenstelle zu bewerben. Also, der sagte gleich nach dem Referendariat: So, jetzt wegbewerben, Konrektor.“ (Herr Hagen, Z. 66-68) „Dann hat mich ein Schulleiter an seine Schule geholt und der war auch so ein bisschen Vorbild für mich, so ’n alter, auch bisschen auch konservativerer Schulleiter, der mir aber immer zu verstehen gegeben hat, dass er gerne mit mir arbeitet und auch gerne möchte, dass ich mehr tue in Schule. Der diesen Weg auch immer für richtig hielt, also viel positive Unterstützung. […] da waren noch mal viele Hinweise von einem guten Schulleiter, der gesagt hat: Das müssen Sie unbedingt machen. Ja, so gesehen wurde ich unterstützt.“ (Herr Basting, Z. 53-60)
Infolge dieser Ermutigung münden die Proband/innen in die Statuspassage ein, indem sie das „TVaS“37 besuchen. Fortan suchen sie – wie noch zu zeigen sein
37 Der Proband Herr Basting besuchte nach der handlungsgenerierenden Ermutigung eine andere Schulleitungsqualifizierung, da er zu diesem Zeitpunkt noch in einem anderen Bundesland beschäftigt war. Der Umstand, dass er nach dem Wechsel des Bundeslandes nun verpflichtend – im Gegensatz zur fakultativen Handlungsfreiheit der aufstiegsinteressierten schleswig-holsteinischen Lehrkräfte – das „TVaS“ absolvieren musste, obwohl er zudem als stellvertretender Schulleiter tätig war, zeigt, wie eng hinsichtlich des Qualifizierungsprocedere die Feldgrenzen zu fassen sind. Bourdieu weigerte sich stets eine definitorische Bestimmung der Feldgrenzen und -existenz vorzunehmen, da seines Erachtens nur in detailgenauen, konkreten Untersuchungen herausgearbeitet werden könne, wo ein Feld aufhört, wer ausgeschlossen wird etc. Dies bewahrheitet sich auch in vorliegender Studie. Die hier aufgestellten speziellen Zugangskriterien, denen sich Herr Basting beugen muss, zeigen ganz konkret: „Die Grenzen des Feldes liegen dort, wo die Feldeffekte aufhören“ (Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 131). Der Proband Herr Basting nimmt es mit Humor, auch wenn „vieles Wiederholung“ (Herr Basting, Z. 120) war: „Also bei mir ist das so, dass ich die Schulleiterausbildung in X-Bundesland gemacht habe und die dann hier nicht anerkannt wurde. Dann hab ich das hier noch mal gemacht. Ich bin da nun gut gerüstet (lacht).“ (Herr Basting, Z. 85-87) Seine Reaktion spiegelt wider, dass „zur alltägli-
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wird – kontinuierlich Bestätigung und praktizieren eine interaktive Ausrichtung ihrer Karriere. Da sie beständig im weiteren Verlauf ihrer Statuspassage selbst aktiv Aufstiegsimpulse setzen, scheint mir die Begrifflichkeit Bestätigung, definiert als eine „mündliche oder schriftliche Erklärung, die einen Verdacht o.ä. bestätigt“ (http://de.thefreedictionary.com/Best%C3%A4tigung, 01.08.2012) ab dem Zeitpunkt, da sie die erste „Hürde“ der Aufnahme der Qualifizierungsmaßnahme genommen haben, geboten. Fortan perpetuiert sich ihr modus operandi des Suchens nach Bestätigung auch im Handlungsfeld der Partizipation am „TVaS“ und definiert ihre Erwartungshaltung an den Kurs kongruent zu ihrem „Bedürfnissystem“, welches „eigentlich nur (die) kohärente Entscheidung eines jeweiligen Habitus“ (Bourdieu, 1982, S. 589) ist. Mit dem Besuch der Qualifizierungsmaßnahme ist dementsprechend weniger das Ziel des Erwerbs einer fähigkeitsvervollständigenden Qualifizierung verbunden als vielmehr die Suche nach interpersoneller Bestätigung und institutioneller Attribuierung. Die Probandin Frau Benecke berichtet von einem Rollenspiel, welches sie in einem „TVaS“Modul darbietet: „Und hatte da ganz viel positive Rückmeldung, indem dann Kollegen sagten: Das war unglaublich. Das merkte man gar nicht, dass das so spontan war, dass du gar nicht vorbereitet warst […]. Und dann hab ich noch mal von der Frau X die Mail bekommen, so als Feedback. Sie hat sich noch mal dafür bedankt, dass ich mich bereiterklärt hab, und hat, also die hat, so ’ne tolle Mail hab ich noch nicht in meinem Leben bekommen. Die hab ich mir auch aufbewahrt. Und hat mir so positive Rückmeldung gegeben, die hat so Adjektive aufgezählt, das kann ich jetzt nicht so genau wiedergeben. Also, ich wär eloquent und zugewandt und was fällt mir jetzt noch ein. Ich wär geschaffen, also ich wär geschaffen für diese Aufgabe. Das hat mir den letzten Kick gegeben. Noch mal diese Rückmeldung von dieser Dozentin. Schwarz auf weiß (lacht).“ (Frau Benecke, Z. 111-120)
Dem aus ihrer Darstellung resultierenden Zuspruch erkennt sie eine hohe Bedeutung zu und wertet ihn letztlich sogar als handlungsleitend für eine Bewerbung: „Ich hab ja diese letzte positive Rückmeldung, also diese besonders positive Rückmeldung durch diese Fortbildung bekommen. Daraufhin hab ich mir den Mut gefasst: So, dann bewerb ich mich auch.“ (Frau Benecke, Z. 135-137)
chen Anerkennung der Doxa […] etwa ein unhinterfragtes Akzeptieren von sozial willkürlichen Setzungen“ (Bittlingmayer/Bauer, 2009, S. 119) gehört.
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Bei Herrn Panitz dokumentiert sich eindringlich die Priorität einer Bestätigung durch eine institutionelle Zertifizierung, vor deren Hintergrund es zweitrangig erscheint, ob ein Zuwachs an inkorporiertem kulturellem Kapital erwirkt werden kann: „Insofern passte das genau in die Lücke, weil ich jetzt was angeboten bekam, diese 136 Stunden und dann gibt’s so diese Bescheinigung, dass du das gemacht hast und du kannst das wirklich nachweisen. Und deshalb hab ich das genommen.“ (Herr Panitz, Z. 32-35)
Wenngleich er auf die direkte Nachfrage hin sein Bestätigungsbedürfnis reflexhaft bagatellisiert – diesem Aspekt wende ich mich in der soziogenetischen Analyse zu (vgl. Kapitel 8.1.4) –, ist er auch innerhalb des „TVaS“ für Bestätigung sehr empfänglich: „Und da sagte mir nachher mein Beobachter zwei, drei Tage später im Extragespräch, im Rekapitulationsgespräch: Keine Frage. Sie haben ein gutes Standing, machen Sie das.“ (Herr Panitz, Z. 59-61)
7.3.2 Interaktion: „Und da sagten alle: Das wär Klasse, wenn du Schulleiter wirst“ Aus ihrer Akzeptanzposition heraus entsteht keinerlei mit einer Öffnung des Bewusstheitskontextes konfligierendes Potential. Im Gegenteil: Eine Offenlegung des Karrierewunsches ist für diesen Typus zur Aufrechterhaltung der Bestätigung unerlässlich, da er zur Bewältigung seiner Statuspassage an andere soziale Akteure gebunden ist.38 Mit Bourdieu gesprochen: „Noch in die zufälligsten Interaktionen bringen die Interagierenden alle ihre Eigenschaften und Merkmale ein – und es ist die jeweilige Position innerhalb der sozialen Struktur (oder eines spezifischen Feldes), die die jeweilige Position im Rahmen der Interaktion determiniert“ (Bourdieu, 1982, S. 379, Herv. im Original). Entsprechend ihrer habituellen Prädisposition tragen sie bewusst diesen Gesprächsimpuls in ihr soziales Feld und es fällt ihnen leicht, diese „Informationsgrenze“ (Goffman, 1974,
38 Diese Interdependenz zwischen Akteur und sozialem Feld, aus der spezifische Verhaltensstrukturen resultieren, erinnert nachdrücklich an die Figurationssoziologie von Elias. Auch Willems verweist auf die Ähnlichkeit zwischen Goffmans und Elias soziologischer Theorie (vgl. Willems, 1997, S. 245ff.).
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S. 489) zu durchbrechen und innerhalb „klare(r) Rahmen“ (Goffman, 1977, S. 369) zu kommunizieren: „Und hab in den Monaten vorher auch im Kollegium gesagt: So, ich möchte das werden. Wenn, dann. Weil ich damit auch offen umgehe.“ (Herr Panitz, Z. 63-64) „Na, ich häng mir kein Schild um. Aber ich geh damit offen um. Das heißt, jeder, der mich fragt, dem sag ich das. Ich hab zum Beispiel zu meinem Chef ganz klar gesagt: Herr X, ich hab mich jetzt entschieden. Ich möchte Schulleiter werden. Das möchte ich Ihnen sagen, als Perspektive.“ (Herr Panitz, Z. 83-86)
Die Öffnung des Bewusstheitskontextes geht bei dem Probanden Herrn Hagen zwar mit der Überlegung einher, im Zuge der Offenlegung „eine Kommunikationsanordnung“ (Goffman, 1974, S. 492) zu erstellen, dieser liegt aber kein feldschonendes Kalkül zugrunde – wie beim Typus „risikoloses Probehandeln“ bzw. der Probandin Frau Thomforde vom Typus „Abgrenzungsneigung“ herausgearbeitet –, sondern der Impuls einer doxischen Unterwerfung unter die Spielregel, ostentatives Karrierestreben zu unterlassen oder zumindest zu kaschieren:39 „Ich bin aber, als „TVaS“ anfing, an diese Schule gewechselt. Hab dann auch lange überlegt: An der neuen Schule, was mach ich? Teil ich das jetzt gleich allen mit? Oder bin ich dann irgendwie-? Oder guckt man mich dann komisch an? Oder erwartet man von mir andere Dinge als von anderen Kollegen, wenn ich das einfach so sage?“ (Herr Hagen, Z. 332-336)
Infolge des Bruchs mit dieser Spielregel befürchtet Herr Hagen negative Konsequenzen für seine Person, was ihn zu der Erwägung veranlasst, den Bewusstheitskontext zumindest partiell geschlossen zu halten, um zu demonstrieren, „daß man die Regel auch im Regelverstoß noch anerkennt, […] daß man, wenn schon nicht die Regel […], so doch wenigstens das Grundgesetz einhält, das verlangt, daß man zu erkennen gibt, daß man die Regel kennt“ (Bourdieu, 1998b, S. 221). Diese Vorüberlegungen haben jedoch keinen handlungsleitenden Charakter, da er sich rasch dazu entschließt, „es doch einfach so zu sagen“, und seine Vorbereitung auf die Übernahme einer Schulleitungsposition „in irgendeiner Konferenz am Anfang gleich offen erzählt“ (Herr Hagen, Z. 351):
39 Vgl. zum Umgang mit dieser vermeintlichen feldimmanten Spielregel auch das Vorgehen der Probandin Frau Thomforde in Kapitel 7.2.2.
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„[…] hab ich von vornherein mit offenen Karten gespielt und gesagt: Ich hab das Ziel vor Augen.“ (Herr Hagen, Z. 339-340) Aus der offenen Kommunikation, die sich im Einklang mit dem impulsgebenden Habitus vollzieht, resultiert eine selbstverstärkende Bestätigung des sozialen Feldes, die den Standort der karriereinteressierten Akteure dieses Typus – ihre aufstiegsbegünstigende Akzeptanzposition – aktualisiert und verfestigt. Die „wechselseitige Impulsgebung“ (Bourdieu, 2001, S. 270, Herv. im Original) durch die Performativität der Sprache konstituiert die Statuspassage in entscheidendem Maße mit. Die Sprache besitzt die Fähigkeit, Realität zu erzeugen und das Wollen zu konkretisieren: „Derjenige, der sagt, was sein wird, trägt dazu bei, daß sein wird, was er sagt“ (Bourdieu, 1992a, S. 26): „Und da sagten alle: Das wär Klasse, wenn du Schulleiter wirst, aber bitte werd’s nicht. Bleib hier. Das war für mich eine ganz, ganz große Bestätigung. Da war eigentlich klar, dass ich das machen kann.“ (Herr Panitz, Z. 64-66) „Und ich hab ja auch diese Rückmeldung und Bestärkung von den Kollegen gehabt, dass ich so die Richtige dafür wär so.“ (Frau Benecke, Z. 209-210)
Wie oben schon erkennbar, wird dem Bestätigungserhalt und der Anerkennung durch andere große Bedeutsamkeit zugestanden; dies konkretisiert sich noch einmal in der folgenden Interviewsequenz, in der Frau Benecke eigenmächtig eine weitere Exemplifizierung der erhaltenen Bestätigung anführt: 40
I: „Glauben Sie, dass diese Ermutigungen , die Sie erfahren haben, ausschlaggebend waren für Ihre Entscheidung?“ „Ja, persönliche positive Rückmeldungen ganz bestimmt. Und die Kollegin, fällt mir gerade noch ein, da ging es allerdings erst nur um die Konrektorenstelle, die sprach mich auch darauf an, ob das nichts für mich wäre.“ (Frau Benecke, Z. 75-80)
Dieses Bedürfnis nach „Anerkennung, Ansehen, das heißt ganz einfach Daseinsberechtigung“ (Bourdieu, 2001, S. 309) impliziert zwar eine „Unterwerfung unter
40 Da die Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten „Ermutigung“ und „Bestätigung“ sich erst zirkulär im Feldkontakt im Zuge der Datenerhebung abzeichnete, wird in diesem Interview noch die Wortwahl Ermutigung an einer Stelle eingesetzt, an der retrospektiv die Verwendung des Wortes Bestätigung passender erscheint.
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die antizipierten Blicke der Anderen“ (Russo, 2009, S. 71) und disponiert den Statuspassagenverlauf über Fremdzuschreibungen, hat jedoch aufgrund der Ausgangspositionierung hinsichtlich einer Karriereorientierung keine determinierenden Auswirkungen (vgl. kontrastierend dazu den Typus „risikoloses Probehandeln“ in Kapitel 7.1). Die enge Feldeingebundenheit wird von diesem Typus eher funktionell genutzt. Dem kollegialen Feld, innerhalb dessen sie den Glauben an sich durch eine Steigerung des sozialen Kapitalvolumens stärken, kommt im goffmanschen Wortschatz die Funktion einer Hinterbühne zu, auf der sie, ohne eine Publikumssegregation zu betreiben, sowohl mit ihren Vorgesetzten als auch mit ihren Kolleg/innen interagieren. Im Zuge ihrer auf Akzeptanz fußenden Ausgangspositionierung können sie gelegentlich auch Distanz zu ihrem aussichtsreichen Aufstiegsstreben einnehmen, da „nur diejenigen, die sich in ihrer Bindung sicher fühlen, den Ausdruck der Distanz riskieren“ (Goffman, 1973b, S. 146) können, ohne dass ihre Position bedroht ist. Der Typus „Bestätigungsbedürfnis“ hat bereits seine Kompetenz unter Beweis gestellt und wurde „in der Rolle bestätigt“ (Goffman, 1973b, S. 146) – gemeint ist die einer aufstiegsbefähigten Person –, so dass er auch Misserfolge offenlegen oder sich Hilfe holen kann. Kurz: Er kann sein Rollenverhalten durch etwas modifizieren, „das wirklich ‚menschlich‘ oder ‚persönlich‘ ist“ (Goffman, 1973b, S. 153). Dies dokumentiert sich bei Frau Benecke darin, dass sie sich von ihrem Kollegium hinsichtlich der Vorbereitung auf die dienstliche Beurteilung beraten lässt – „Da hab ich auch offen drüber gesprochen und mir Ratschläge geholt.“ (Frau Benecke, Z. 203-204) – und auch Unsicherheiten offen zugeben kann: „Ich weiß auch noch, dass meine Schulleiterin sagte-, also sie wusste, dass diese Schule hier demnächst ausgeschrieben wird. Und sagte: Du, da ist doch noch die X-Schule. Das wär doch was. Und da hab ich noch zu ihr gesagt: Das ist doch so ’ne große Schule. Meinst du, ich pack das? Ja klar, packst du das. Gerade du.“ (Frau Benecke, Z. 145-148)
Herr Panitz baut durch die Offenbarung eines gescheiterten Bewerbungsversuches auf einen Schulleitungsposten41 seine innere Spannung ab und „‚informiert‘ den anderen, so daß die Beziehung auf den neuesten Stand gebracht werden
41 Der gescheiterte Bewerbungsversuch wird zunächst in Kapitel 7.3.3 noch einmal fokussiert und schließlich in Kapitel 8.1.3 unter soziogenetischem Blickwinkel auf die höhere Bewerbungsquantität männlicher Grundschullehrer analysiert.
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kann, und fordert damit gleichzeitig nebenbei zu Komplimenten oder Kondolenzen auf“ (Goffman, 1974, S. 105): I: „Wie war die Reaktion von Ihrem Chef? Können Sie sich daran noch erinnern?“ „Ja, die war sehr ermunternd. Er hat eine Beurteilung geschrieben, die war super gut. Und er hat nicht nur runter geschrieben: Ich kann Herrn X empfehlen, sondern: Ich kann Herrn X sehr empfehlen. Das fand ich sehr, sehr schön. Das war für mich so ein ganz persönliches Bonbon. Und als das nichts wurde, da war ich natürlich ziemlich fertig. Ich steck da so viel Herzblut rein. Das war-, oh ich hab mich gruselig gefühlt. Da hat er mir so ein Stück Pflaster hingelegt und Trost drauf geschrieben. Das fand ich unheimlich lieb. Das war für mich so eine nachträgliche Bestätigung: Schade, dass Sie’s nicht geworden sind, aber gut, dass Sie hier bleiben. Das Gespräch lief so toll und ich hatte so gute Vorstellungen in der Wartezeit. Da hab ich mir gesagt: Das war gut. Und ein Freund von mir, der im Ministerium arbeitete, der sagte: X, du hast dich super verkauft, bleib dran.“ I: „Und wie haben die im Kollegium reagiert?“ „Genauso. Die haben gesagt: Tut mir leid, X, aber schön, dass du bleibst. Die haben gesagt: Wer soll hier die Arbeit machen, wenn du gehst? Ist natürlich ’ne scherzhafte Äußerung, ist klar. Aber die waren so ermunternd. Einige sagten auch: Du kannst das, aber wär schön, wenn du hier bleibst. Das ist für mich ’ne ganz tolle Rückmeldung.“ (Herr Panitz, Z. 92-110)
Die Bestätigung seiner Person, mit der der Misserfolg quittiert wird und das „taktvolle Entgegenkommen“ (Goffman, 1973a, S. 212) dezimieren die kritische Diskrepanz zu seinem Selbstbild, die sich aufzubauen drohte. Gemäß seiner zentralen Orientierungsdimension, der Bestätigungsbedürftigkeit, ist dieser Typus für derlei soziales Entgegenkommen besonders empfänglich, obgleich „die meisten bestätigenden Handlungen ein Eindringen in die Reservate des Adressaten implizieren“ (Goffman 1974, S. 163). Unverschleierte Kommunikation statt einer „Ausdruckskontrolle“ (Goffman, 1973a, S. 48), respektive einem „Verteidigungsmanöver“ (Goffman, 1973a, S. 214), ist jedoch innerhalb seines Wahrnehmungs- und Wertungsmusters das einzig denkbare Vorgehen, um der Abhängigkeit von Bestätigung zu entsprechen. Mit anderen Worten: Das Bestätigungsbedürfnis überlagert die Demonstrationspflicht. Die Praxis der sozialen Nähe dokumentiert sich auch hinsichtlich der Netzwerkbildung dieses Typus. Rasch fungieren auch neuere soziale Vernetzungen als Hinterbühne, um ihnen „mögliche Stützfunktionen […], z.B. indem sie eine Zugehörigkeit oder spezielle Wissensbestände und Ressourcen vermitteln“ (Schittenhelm, 2005, S. 72), abzuringen. So hat die neu im Amt bestätigte Schulleiterin Frau Benecke innerhalb ihres „Arbeitskreises Schulleitung“ „gleich so
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einen persönlichen Draht auch“ (Frau Benecke, Z. 274) und auch gegenüber hierarchiehöheren Personen „keine Hemmschwelle und fühlte mich auch von den Schulrätinnen sehr offen aufgenommen und unterstützt“ (Frau Benecke, Z. 276277). Das Bedürfnis nach Akkumulation sozialen Kapitals zur Selbststabilisierung stattet diesen Typus mit dem „Habitus des Netzwerkers“ (Willems, 2010, S. 266) aus: „Es ist so, dass die Zusammenkunft mit anderen werdenden Schulleitern, dass das eine wichtige Geschichte ist, um Dinge zu besprechen, zu lernen. Man hat da ein Forum, wo man auch mal über Zweifel, seine Probleme reden kann. Das wird getan, man wird reflektiert. Es ist auch ’ne Basis, dass man Kontakte knüpft und hält.“ (Herr Basting, Z. 125-128)
7.3.3 Intention: „Also nee, wenn die sich gegen mich entscheiden, dann hab’ ich keine Lust mehr“ Die Aufstiegsorientierung dieses Typus ist trotz des hohen Bedarfs an Bestätigung aus dem sozialen Feld evident und wird beständig durch Aktivitätsimpulse der Proband/innen bekräftigt. Auf dem Weg durch ihre Statuspassage realisieren sie diese Aufstiegsintention primär durch die Nutzung ihres sozialen Kapitals statt durch die Anhäufung überreichlichen kulturellen Kapitals. Abgesichert durch dessen Erhalt und gelenkt von dem Bestreben, die Permanenz der Bestätigung aufrechtzuerhalten, korrespondiert der modus operandi dieses Typus kongruent zu ihrem impulsgebenden Habitus mit einem hohen Maß an „Action“ (Goffman, 1971, S. 213), welches sich in Bewerbungsversuchen niederschlägt. Die Probandin Frau Benecke bewarb sich an zwei Schulen gleichzeitig und hat zum Zeitpunkt des Interviews seit zwei Jahren eine Schulleitungsposition inne. Der Proband Herr Basting stieg vor seinem Bundeslandwechsel auf Anraten zunächst über die Position des stellvertretenden Schulleiters auf („Ich hab früher immer gesagt: Wieso? Ich will Schulleiter werden, ich will das jetzt machen. Dann haben einige gesagt, auch von der Schulbehörde: Es ist schon gut, wenn man mal Stellvertreter ist. Dann hab ich immer gedacht, was soll das, das ist vertane Zeit. Aber ich glaube, das ist richtig.“ (Herr Basting, Z. 68-71)) und ist nun seit drei Jahren Schulleiter. Die Probanden Herr Panitz und Herr Hagen haben beide einen gescheiterten Bewerbungsversuch hinter sich.42 Zum Zeitpunkt des Interviews hat Herr Hagen sich erneut beworben und übernimmt sechs Monate
42 Vgl. zur Analyse mehrmaliger Bewerbungsversuche auch Kapitel 8.1.3.
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später eine Schulleitungsstelle. Aus ihrem hohen Enaktierungspotential kann – trotz Bewerbungsniederlagen – ein Zuwachs an symbolischem Kapital gewonnen werden, weshalb dieses nicht als ausgelebte Lust am Wagnis betrachtet werden kann, sondern als Möglichkeit, durch Handlungspraxis einen „Gewinn an Charakter zustande kommen“ (Goffman, 1971, S. 258) zu lassen. Die Fremdzuschreibung eines aufstiegsbereiten Akteurs resultiert somit letztlich aus den a priori unternommenen Schritten; folglich verhelfen Bewerbungen – erfolgreich oder nicht – zu sozialer Sichtbarkeit. Zudem „winkt möglicherweise ein Gewinn aufgrund der Flexibilität, in unterschiedlichen Situationen kompetent und souverän reagieren zu können“ (Budde, 2005, S. 236). Nach Goffman sind Charakterzuschreibungen sehr stabil und fußen oft nur auf einer Situation, in der die spezifische Eigenschaft gezeigt wurde; einmal mit der Person in Verbindung gebracht, ist eine kontinuierliche Aktualisierung unnötig (vgl. Goffman, 1971, S. 254ff.). Bezogen auf das Habituskonzept Bourdieus, lässt sich ergänzend hinzufügen: „Der Habitus ist jene Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart, die die Präsenz des Kommenden in der Gegenwart möglich macht“ (Bourdieu, 2001, S. 270). Wie bereits bei dem Probanden Herrn Panitz in Kapitel 7.3.2 angesprochen, verhilft der mit der stabilen Positionierung innerhalb des sozialen Feldes einhergehende Bestätigungserhalt nicht nur dazu, „gewagte“ Schritte43 zu vollziehen, sondern ebenso bei der Verarbeitung einer Niederlage. Mehr noch: Das soziale Kapital, von dem dieser Typus zwar einerseits abhängig ist, kann er andererseits gezielt für seine Zwecke nutzen und eine prospektiv auf die Fortentwicklung der Statuspassage ausgerichtete Triebkraft daraus ableiten. Dies dokumentiert sich in der folgenden Interviewsequenz von Herrn Panitz: I: „Und wodurch haben Sie den Mut wieder gefunden für einen zweiten Anlauf?“ „Weil mir Leute denn gesagt haben, oder einer: Du hast dich gut verkauft. Weil ich dann erfahren ha, – das darf ich gar nicht wissen, das müssen wir jetzt flüstern (Anm.: er senkt die Stimme und legt einen Finger an die Lippen) –, dass eine Stimme fehlte. Das darf ich
43 Bourdieu schreibt hinsichtlich einer Wagnis begünstigenden stabilen Akzeptanzposition: „Die risikoreichen und damit oft prestigeträchtigen Bildungslaufbahnen und Berufskarrieren haben immer ein weniger ruhmvolles ‚Gegenstück‘, das denen überlassen bleibt, die nicht genügend (ökonomisches, kulturelles und soziales) Kapital haben, um das Risiko einzugehen, bei dem Versuch, alles zu gewinnen, alles zu verlieren – ein Risiko, das man nur dann eingeht, wenn man sicher ist, niemals alles zu verlieren“ (Bourdieu, 1981, S. 180).
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gar nicht wissen, also, ne. Bloß nicht. Und auch mein Freund sagte: Du hast dich super verkauft. Das hab ich auch von anderen Leuten erfahren da.“ (Herr Panitz, Z. 112-117)
A posteriori erhaltene Bestätigungen führen bei dem Probanden Herrn Hagen sogar dazu, dass er retrospektiv keine negativen Assoziationen mit der misslungenen Bewerbung verbindet– „Also es war kein Negativerlebnis für mich“ (Herr Hagen, Z. 136) –, sondern sie als „eher bestätigend zum Glück“ (Herr Hagen, Z. 136) und „ohne das Gefühl zu haben, dass ich verloren habe“ (Herr Hagen, Z. 161) beurteilt.44 Willems sieht die Umdeutung von Ereignissen negativer Struktur als eine „moralisch motivierte und retrospektiv wie prospektiv wirksame Tendenz, sich symbolisch (rituell) vor sich und mehr noch vor anderen (für sich) zu optimieren“ (Willems, 1997, S. 173). Bewerbungen, respektive Bewer-
44 Da Herr Hagen im Interview keinerlei enttäuschte Empfindungen infolge der erlebten Erfolglosigkeit erkennen lässt, sondern betont „nicht drauf angewiesen“ (Herr Hagen, Z. 154) gewesen zu sein und „das ganz sportlich sehen konnte“ (Herr Hagen, Z. 155), bietet sich hier neben der retrospektiven Situationsumdeutung infolge bestätigender Rückmeldungen noch eine zweite Lesart an, die auf das System hegemonialer Männlichkeit von Connell rekurriert: Diesem Konzept zufolge gibt es „kaum Möglichkeiten […], Schwäche legitimerweise ausdrücken zu können, (daher) muss auf eine Hilfskonstruktion zurückgegriffen werden“ (Budde, 2005, S. 172). Diese Hilfskonstruktion kann im vorliegenden Fall darin bestehen Kritik mit dem Impuls der Verbalisierung von erhaltener Bestätigung abzuwehren – dieses Bewältigungsmuster entspräche auch der bereits obig dargestellten Verarbeitungsweise von Herrn Panitz, obschon dieser auch Missempfindungen offenbart – und hegemoniale Männlichkeit durch den Einsatz sozialen Kapitals wiederherzustellen. „Der Abwehr negativer Emotionen kommt beim männlichen Habitus eine zentrale Rolle zu“ (Budde, 2005, S. 243). Auf eine zweite Form der Hilfskonstruktion deutet die verwendete Begrifflichkeit „sportlich“ hin: „Der Sport, so könnten wir behaupten, ist nicht nur eine unter vielen Ausdrucksformen unserer menschlichen (und besonders der männlichen) „Natur“, sondern vielmehr die einzige Ausdrucksform der männlichen „Natur“ – ein Arrangement, das speziell dazu geschaffen wurde, Männern die Demonstration von Eigenschaften zu ermöglichen, die als für sie charakteristisch gelten: Stärken verschiedener Art, Widerstandskraft, Ausdauer und dergleichen mehr“ (Goffman, 1994, S. 144). Die Tragweite des Erlebten wird abgeschwächt und die Niederlage zugunsten der vollzogenen Aktivität – „hegemoniale Männlichkeit bedeutet Aktivität“ (Budde, 2005, S. 204) – und getreu der sportlichen Devise „Dabeisein ist alles“ hintenangestellt.
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bungsversuchen, kommt als „Formen des Wahrgenommenwerdens“ (Bourdieu, 2001, S. 310) der Stellenwert von „Bezeugungen sozialer Anerkennung, die das symbolische Kapital ausmachen“ (Bourdieu, 2001, S. 310), zu. Sie untermauern, dass der jeweilige Akteur sich auf das Spiel um beruflichen Aufstieg eingelassen hat. In Bezug auf Pascal resümiert Bourdieu: Die „Jagd zählt […] ebenso viel wie die Beute, wenn nicht sogar mehr“ (Bourdieu, 2001, S. 309). Im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung des „TVaS“ kam es zu einem Kontakt zwischen mir und der stellvertretenden Schulleiterin der ehemaligen Schule von Herrn Hagen: Sie (stellv. Schulleiterin) sagt über Herrn Hagen: „Schade, dass er schon wieder weg ist, aber er hatte das ja von Anfang an deutlich gesagt und als das erste Mal nichts wurde, 45
gleich straight die nächste Ausschreibung in Angriff genommen .“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 106-108)
Die bereits erfolgte Exemplifizierung des Typus „Bestätigungsbedürfnis“ veranschaulichte, dass die Typus konstituierenden Proband/innen über diverse Praxismodi verfügen – Demonstration des eigenen Leistungspotentials, Bestätigungssuche im Rahmen des „TVaS“, Offenlegung des Aufstiegswunsches, Netzwerkbildung, Bewerbungsversuche –, die ihnen dazu verhelfen, Bestätigung aus ihrem sozialen Feld zu generieren. Im Folgenden sollen nun zwei Situationen fokussiert werden, in denen die Problematik der Abwesenheit sozialer Unterstützung noch einmal konkretisiert wird. Frau Benecke berichtet von ihrer Wahl zur Schulleiterin:
45 Die Redewendung „etwas in Angriff nehmen“ findet sich ebenfalls in der Darlegung des Aufstiegsvorhabens des Probanden Herrn Basting: „Dann hab ich gesagt, jetzt will ich das in Angriff nehmen und auf jeden Fall auch mal alles in der Hand haben.“ (Herr Basting, Z. 16-17). Diese Redewendung, die sich „ursprünglich auf eine militärische Auseinandersetzung“ (Marcks, 2012, unter: http://www.dw.de/popups/popup_pdf/ 0,,2412001,00.pdf, 01.04.2012) bezog, bezeichnet eine Handlungsintention, die „nicht zerstörerisch (ist), sondern mit einem Begehren oder Wunsch“ (Conrad, 2012, unter: http://www.etymologie.info/~e/d_/de-milita.html, 02.08.2012) einhergeht. Meines Erachtens verweist diese Formulierung mit Blick auf die Verhaltensorientierungen der Befragten auf deren hohes Impuls- und Aktivitätspotential und hinsichtlich der Geschlechterkomponente auf eine Interdependenz zwischen zielstrebiger Karriereplanung und männlich assoziierter Konnotation (vgl. auch Kapitel 8.1.1).
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„Wobei ich gedacht hab, als ich da bei diesem Schulleiterwahlausschuss auf die Entscheidung wartete-, das war irgendwie so ’ne unmögliche Umgebung. Ich war da alleine im ersten Stock in diesem riesigen Flur, guckte auf diesen toten Markt. Stockdunkel. Es war ja Februar, ich glaub, ich hatte den um sieben und es war dann ja schon acht. Also, es war stockdunkel und kein Mensch war da. Dann stand da ein einsamer Stuhl für mich. Und äh, dann hat das ziemlich lange gedauert. Ich glaub, das war fast ’ne halbe Stunde, hörte die da drinnen auch lachen und so. Da geistert einem schon so einiges durch den Kopf. Da hab ich gedacht: Nee, also wenn ich hier die Absage bekomme, dann machst du das nicht noch mal. […] Nachhinein ist man auch stolz. Aber vorher denkt man dann auch: Was tue ich mir hier an? Solche Gedanken hatte ich dann eben auch, während ich da auf die Entscheidung wartete. Also nee, wenn die sich gegen mich entscheiden, dann hab’ ich keine Lust mehr.“ (Frau Benecke, Z. 161-176)
Die retrospektiv erinnerte Situation des Wartens auf eine Zusage oder Ablehnung kann in der mit atmosphärischen Begriffen gespickten Darstellung von Frau Benecke als ein Moment identifiziert werden, dem die Gefahr eines Ausder-Rolle-Fallens der Akteurin inhärent ist: „So kann ein Darsteller […] das Gefühl haben, er werde von der Szene plötzlich nicht mehr getragen“ (Goffman, 1977, S. 379). Der potentiell bestätigungsgenerierende Informationsstrom ist blockiert. Die Probandin wird zur Zuschauerin degradiert, durchlebt eine Stressreaktion46, infolge derer sie an der Richtigkeit der von ihr ausgeübten Rolle zweifelt. „Warten ist eine hervorragende Weise, Macht und die Verbindung zwischen Zeit und Macht zu schmecken“ (Bourdieu, 2001, S. 293). Ihre Zweifel werden zusätzlich durch die antizipierte „Mehrdeutigkeit bezüglich primärer Rahmen“ (Goffman, 1977, S. 335) bzw. „Gefahr einer Fehlrahmung“ (Goffman, 1977, S. 482) genährt: Die Akteure „da drinnen auch lachen“ (Frau Benecke, Z. 172) zu hören, weckt die – realitätsverzerrende – Assoziation eines Handlungsrahmens, innerhalb dessen die eigene Person verspottet und keine seriöse Entscheidungsfindung vollzogen wird. Da die fehlende subsidiäre Fremdzuschreibung in dieser verunsichernden Krisensituation – trotz einer zuvor im Rahmen der dienstlichen Beurteilung erhaltenen Benotung mit einer Eins – nicht durch eine selbstsichere Selbstzuschreibung kompensiert werden kann, ist Frau Benecke bereit, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen.
46 Ausführlich befasst sich mit dem „Puffereffekt sozialer Unterstützung“ (Hollstein, 2001, S. 26) in Stresssituationen Hollstein (2001, S. 26ff.).
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Die Interviewsequenz des Probanden Herrn Basting dokumentiert eine Situation, in der die ursprüngliche Zielsetzung aufgrund ausbleibender Bestätigung aufgegeben wurde: „Wir hatten da so die Idee, dass wir zusammen als Team die Schulleitung machen. `Ne Form, die es so nicht gab und die hätten das für uns so eingerichtet. Wir waren auch schon so weit, dass wir das mit der Schulbehörde hätten durchziehen können. Aber das Kollegium war gespalten, 50% des Kollegiums haben gesagt: Also, so drei Männer als Schulleitung, da haben wir Angst, dass die im Schulleiterbüro nur Bier trinken und Videospiele spielen (lacht) – um das mal so zu überspitzen. Wir hatten also nur 50% des Kollegiums hinter uns und da haben wir dann gesagt: Das wollen wir nicht. Weil wir für so eine Aktion, die ja so komplett neu war, so als Dreierteam zu machen, hatten wir das Gefühl da47
mals, dass man die Unterstützung braucht. Heute sehe ich das etwas anders .“ (Herr Basting, Z. 155-163)
Trotz hierarchiehöherem Zuspruch ist die Verhaltensorientierung des Bestätigungsbedürfnisses des Probanden Herrn Basting derart dominant, dass sie eines lückenlosen Bestätigungserhalts von allen Seiten zur Enaktierung des Vorhabens bedarf. Diese Bestätigung wird ihm jedoch verweigert, da sein soziales Feld, das kollegiale Ensemble, das gemeinsame Schauspiel als gefährdet ansieht. „Um eine Gewähr […] zu haben, […] wird das Ensemble möglichst Mitglieder wählen, die loyal, diszipliniert und sorgfältig sind“ (Goffman, 1973a, S. 218), wohingegen es mit einer aus drei Männern bestehenden Teamstruktur negative männlich konnotierte Attribute der Verantwortungslosigkeit assoziiert. Die Bewältigung dieses Ereignisses verläuft ohne den sozialen Rückhalt resignativ. Infolge der sich abzeichnenden Instabilität der eigenen Akzeptanzposition perpetuiert sich erneut die Suche nach Bestätigung, die nicht nur mit der Aufgabe des Projekts einer Teamschulleitung, sondern darüber hinaus mit einem temporären Infragestellen des grundsätzlichen Zielvorhabens einhergeht: „Nachdem diese Geschichte mit dem Team so gestorben war, hab ich dann so überlegt: Ist das das Richtige für dich, machst du den Weg jetzt alleine? Da hatte ich dann mit dem Schulleiter ein Gespräch und der hat gesagt: Machen Sie das auf jeden Fall.“ (Herr Basting, Z. 192-194)
47 Seine veränderte Sichtweise und deren Ursachen werden unter der Fokussierung auf seine Rahmenmodulation in zeitlicher Perspektive noch einmal eingehender betrachtet (vgl. Kapitel 7.3.5).
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7.3.4 Konsequenzziehung: „Ich bin nicht bereit, alles dafür aufzugeben“ Die Orientierung an Nähe zum bestätigungsofferierenden Feld büßt bei der Probandin Frau Benecke auch nach der Übernahme des Schulleitungspostens nichts an Bedeutung ein. Folglich entfaltet sie ihr Wahrnehmungs- und Bewertungsschema vor dem negativen Gegenhorizont der Exemplifizierung einer Situation, in der sich eine ebenfalls neu ins Schulleitungsamt ernannte Kollegin befindet: „Ja, und ’ne andere Kollegin hat starken Widerstand gehabt durch Eltern in der einen Klasse. Das hat sie sehr mitgenommen. Die ist auch sehr innovativ gewesen und das Kollegium hat nicht so mitgezogen. Und ähm, ja, das war dann auch noch mal so, im zweiten Jahr hat sich das so rauskristallisiert, in der ersten Hälfte des zweiten Halbjahres, also in der Probezeit. Da hab ich mich richtig gut gefühlt, weil es mir hier gut geht. Wenn ich sag: Ich hab Glück mit dem Kollegium. Wobei ich schon weiß, das, was ich reingeb, das kommt ja auch zurück. Liegt ja auch ein Stück weit an mir. Wir haben mittlerweile hier auch eine gute Mischung. Das war vorher ein sehr zusammengewachsenes Kollegium, weil Kollegen hier 20, 30 Jahre an der Schule sind. Als ich hier anfing, gingen die ersten in Pension, im Jahr drauf auch. […] Das hat sich so richtig gesund durchmischt auch vom Alter her. Neuer frischer Wind ist reingekommen.“ (Frau Benecke, Z. 310-322)
In dieser Sequenz wird einerseits die auf der eigenen Orientierung basierende Empathiefähigkeit evident: Mangelnde Rückendeckung durch die Elternschaft und das Kollegium – nachlassendes soziales Kapital – würde Frau Benecke ebenfalls stark belasten, da das Umfeld auch zur Bedrohung für die „Bewährung und das Überleben ihrer ‚Images‘ im Konkurrenzkampf um Bedeutung und soziale Anerkennung“ (Raab, 2008, S. 86) werden kann. Obgleich sich potentiell alle Akteure im sozialen Feld mit dieser Problematik auseinandersetzen müssen, hat diese für den Typus „Bestätigungsbedürfnis“ aufgrund der zugespitzten Rollenkomplementarität zwischen Akteur und Feld einen weitreichenden Stellenwert und zeichnet verantwortlich für den Grad des Enaktierungspotentials zur „Konvertierbarkeit der verschiedenen Kapitalarten“ (Bourdieu, 1992a, S. 73). Andererseits zeigt sich in der obigen Interviewsequenz erneut die habituelle Prägung einer Impulsgebung, die sich in besagter narrativer Darstellung auf die Befürwortung der Einflussnahme auf die Zusammensetzung des eigenen Ensembles bezieht, mit anderen Worten: Frau Benecke favorisiert „frischen Wind“ gegenüber alteingesessenen Kolleginnen und Kollegen. Herrn Panitz’ berufliche Konsequenzziehung basiert ebenso auf Zielstrebigkeit wie auf Feldeingebundenheit: Nach der erfolglosen Bewerbung sucht er er-
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neut eine Stellenausschreibung, die jedoch nicht mit seinem akkumulierten privaten sozialen Kapital konfligieren darf: „Ich guck regelmäßig im Nachrichtenblatt. Jetzt weiß ich, dass der Schulleiter aus X ist gestorben. Das wird bald ausgeschrieben. Aber für mich ist völlig klar, dass ich nicht nach X gehe. Ich bin nicht bereit, alles dafür aufzugeben. Es gibt ja Menschen, die würden sagen: Ich mach alles, um Schulleiter zu werden. Ich komm aus dieser Gegend, bin zum Studieren weggegangen und wohn jetzt wieder seit 15 Jahren hier. Hab privat so viel aufgebaut. Alles geb ich nicht auf. Das ist so.“ (Herr Panitz, Z. 131-136)
Auch als sich seine weiteren prospektiven Überlegungen auf eine mögliche Isolation richten, die mit seiner neuen Position einhergehen könnte, ist die Übereinstimmung zu seiner bestätigungssuchenden habituellen Prädisposition unverkennbar: „Es (Anm.: das Kollegium) hat aber ganz, ganz großes Vertrauen zu mir und das muss sein und das genieße ich auch. Das ist zum Beispiel ein Punkt, da hab ich dann überlegt, als ich nun-, willst du Schulleiter werden-, der dann nicht mehr ist-. Das ist mir klar, dass ich dann wahrscheinlich ein Stück weit in irgendeinem Elfenbeinturm sitzen werde. Und man auch von mir erwartet, dass ich da sitze. Und dann bin ich mal gespannt, wie ich damit umgehen kann, wenn das mal so ist.“ (Herr Panitz, Z. 296-301)
Anhand der Tatsache, dass er diesen Aspekt eigenmächtig aufgreift, ihn mit einem Rekurs zum Bestätigungserhalt einführt und seine Formulierungen zunächst stark von Anakoluthen durchsetzt sind, lässt sich schlussfolgern, dass dieser antizipierte Verlust des sozialen Kapitals ihn affektiv bedrückt.
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Merkmalskombinationen des Bewältigungserlebens der Statuspassage des Typus „Bestätigungsbedürfnis“
Situativer Kontext Qualifizierungswahl: „TvaS“
Qualifizierung als Bestätigungssuche
Ausgangspositionierung: Akzeptanzposition
Intention
Bewerbung als Aktivitätsimpuls zur weiteren Akkumulation symbolischen Kapitals
Selbst- und Fremdzuschreibung: impulsgebender Habitus
Interaktion primäre Ermutigung wirkt handlungsgenerierend
Bewältigung der Statuspassage
hohe Offenlegungsbereitschaft mit Wunsch nach Bestätigung nachfolgend hoher Bestätigungserhalt
temporäre Infragestellung der Zielsetzung nach ausbleibender Bestätigung
offene Kommunikation zur Selbststabilisierung in Netzwerken
Konsequenzziehung Positionswechsel darf soziales Kapital nicht dezimieren erfolgreiche zeitnahe Beendigung der Statuspassage mögliche Orientierungsrahmentransformation
7.3.5 Rahmenveränderlichkeit in zeitlicher Dimension am Beispiel der Probanden Basting und Hagen Die Befragten Herr Basting und Herr Hagen – im vorangehenden Kapitel zur Konsequenzziehung ausgeklammert – erfahren hier eine abschließende gesonderte Betrachtung, da sie im Verlauf ihrer Statuspassage aus der graphisch veranschaulichten Merkmalskombination partiell heraustreten. Bei beiden Personen konnte – wie oben ausführlich dargestellt – der Orientierungsrahmen des Bestätigungsbedürfnisses herausgearbeitet werden. Je weiter ihre Statuspassage jedoch voranschreitet und je mehr sich die Narrationen der Probanden auf ihre aktuale Praxis beziehen, desto evidenter wird eine Orientierungsrahmenmodulation. Mit ansteigendem Kapitalvolumen – gemeint ist sowohl das entgegengebrachte soziale Kapital in Form von Bestätigungen und hierarchiehöheren Kontakten als auch erlerntes kulturelles Kapital in Gestalt eines „Karriereerfahrungswissens“ – verschiebt sich der Orientierungsrahmen beider
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Probanden sukzessive in Richtung des Wahrnehmungs- und Bewertungsschemas vom Typus „Abgrenzungsneigung“. Herr Hagen, der zum Zeitpunkt des Interviews bereits eine gescheiterte und eine offene Bewerbung realisiert hat, empfindet sich hinsichtlich der Teilhabe an Schulleitungsqualifizierungskursen mittlerweile beinahe als „alter Hase“ (Herr Hagen, Z. 259) und rekurriert in Erzählungen über die jüngste Vergangenheit nicht länger auf Interaktionen mit der Intention des Bestätigungserhalts, sondern befindet sich nun in einer Rolle, die es vorsieht, das soziale Umfeld über seine Zielsetzung zu informieren: „Also auch meine aktuelle Rektorin ist eine, die hat-. Ich bin seit einem Jahr erst hier, von daher weiß die, seit ich hier bin, dass ich das anstrebe.“ (Herr Hagen, Z. 93-94)
Die in der Anfangsphase der Statuspassage bedeutsame Orientierung an Bestätigung verliert nicht nur rasch an Relevanz, sondern wird im Zuge eines Prozesses der „Aktualisierung“ (Bourdieu, 2001, S. 206) durch eine ansteigende Abgrenzung gegenüber der ursprünglichen Bezugsgruppe substituiert. Dies dokumentiert sich in der bereits angeführten Aussage einer Teilnehmerin beim „TVaS“, die Mitglied in Herrn Hagens Kollegium ist und seine nur ein Jahr andauernde Tätigkeit an der Schule wie folgt kommentiert– „Schade, dass er schon wieder weg ist, er hatte das ja von Anfang an deutlich gesagt“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 107) sowie in Herrn Hagens hypothetischen Überlegungen zu einer Übernahme der Schulleitungsfunktion an der eigenen Schule: „An der eigenen Schule ist natürlich auch so ’ne Sache. Der Rollenwechsel ist sicher für alle Beteiligten nicht so einfach. Möcht gerne neue Leute.“ (Herr Hagen, Z. 174-175)
Konträr zu den Interviewpassagen, in denen er auf länger verarbeitete Erlebnisse zurückblickt, mehren sich in seinen prospektiven Äußerungen Wortlaute, die sich auf eine neue Positionierung beziehen („’ne Stufe hochzurücken“ (Herr Hagen, Z. 475); „[…] wenn das in der Position, die ich habe, nicht geht, muss ich’s halt in ’ner anderen Position machen. Das ist mir der Antrieb.“ (Herr Hagen, Z. 409-411)) und Fremdzuschreibungen und weitere Feldeinflüsse außer Acht lassen. Da Herr Hagen zum Zeitpunkt des Interviews noch keine Schulleitungsposition innehatte – sondern erst sechs Monate danach – befand er sich noch in einem Stadium der Statuspassage, in dem offenbleiben muss, ob sich seine
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Orientierung nach vollzogenem Positionswechsel in Richtung Abgrenzung verfestigt oder der originäre Orientierungsrahmen letztlich dominiert. Bei Herrn Basting zeigt sich ein Rahmenwechsel noch eindringlicher und aus der Perspektive der vollendeten Statuspassage heraus. Hier realisiert sich Bourdieus Überzeugung: „In Abhängigkeit von neuen Erfahrungen ändern die Habitus sich unaufhörlich“ (Bourdieu, 2001, S. 207) und die Dispositionen „zeichnen sich durch eine Verbindung von Beharren und Wechsel aus“ (Bourdieu, 2001, S. 207). Nach Übernahme der Schulleitungsfunktion bildet sich bei Herrn Basting nicht nur allmählich ein neuer Orientierungsrahmen heraus, sondern es kommt zudem zu einer Redefinition der ursprünglichen Orientierung und darüber hinaus zu einer nachträglichen Distanzierung von dieser. Führt man sich noch einmal die von Herrn Basting geschilderte Szene vor Augen, in der er in Folge mangelnder Bestätigung die Zurückziehung des von ihm avisierten Vorhabens einer Teamschulleitung beschreibt (vgl. Kapitel 7.3.3), wird die Neubewertung, resultierend aus einem mit der jüngst übernommenen Position einhergehenden veränderten Deutungsschema, offensichtlich: „Heute sehe ich das etwas anders. Ich glaube, man wird nie 100% Unterstützung für seine Ideen bekommen, von daher hätten wir das möglicherweise ruhig mal probieren sollen und mit dem Gegenwind leben müssen. Aber ...man muss auch sagen, wenn man Gegenwind kriegt, dafür braucht man auch ein bisschen Erfahrung. Man muss mit Gegenwind auch umgehen können und auch wissen, wie man das entweder abfängt oder auch kanalisiert und das hatten wir damals nicht.“ (Herr Basting, Z. 163-168)
Seine gewonnene Erfahrung und seine stabile Position als Schulleiter evozieren seine Positionierung als „Reflexionssubjekt“ (Willems, 1997, S. 172), aus der eine Korrektur der damaligen Situationsbeurteilung erwächst. Nach Schütze handelt es sich hierbei um einen Wandlungs- oder Entwicklungsprozess, innerhalb dessen sich „die reflektorische Situations- oder gar Selbstdefinition des Betroffenen“ (Schütze, 1981, S. 100) ändert: „Es ändert sich dabei die das Handlungsschema tragende Selbstidentität in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Eigenschaftsstruktur. Das deshalb, weil der Betroffene sich ändernden soziohistorischen Alltagseinflüssen ausgesetzt ist, endogenen Reifungs- und Abbauprozessen unterliegt sowie in den Verstrickungen des biographisch relevanten Handlungsschemas völlig neuartigen psychosozialen Impulsen ausgesetzt ist“ (Schütze, 1981, S. 74f.). Herrn Bastings Praxis veranschaulicht, dass sich diese Einflüsse erst nach seinem Bezugsgruppenwechsel in seinem modus operandi niederschlagen. Fühlte er sich in der Position des stellvertretenden Schulleiters noch „im Kollegium verankert“ (Herr Basting, Z. 236), hatte „guten Rückhalt“
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(Herr Basting, Z. 237) und konnte seinen Bestätigungsbedarf befriedigen, überwiegt nach vollzogener Publikumssegregation in seinem neuen Kollegium die Orientierung an Distinktion: „Ich hab vorhin ja auch schon gesagt, man muss sich klar positionieren. Für mich, das muss jeder für sich selbst finden. Ich hab sehr deutlich gemerkt, für mich ist es wichtig, eine gewisse Distanz zum Kollegium immer zu wahren, um auch in Situationen, wo man mal ’ne Ansage machen muss, die deutlicher ist, dann auch diesen Spielraum zu haben. Damit fahre ich sehr gut. Ich hab das Gefühl, dass das so auch akzeptiert ist.“ (Herr Basting, Z. 140-144)
Die neue handlungsleitende Orientierung kontrastiert mit dem originären Gestaltungsmuster aufgrund eines transformierten Leitmotivs. Die im Übergang in die Statuspassage benötigte Ermutigung sowie der in den anfänglichen Phasen eingeforderte Bestätigungserhalt werden nun am Ende bedeutungslos und „wenn die Motive des einen […] sich ändern sollten, dann kann sich auch das äußere Gehabe sehr rasch ändern“ (Goffman, 1977, S. 497). Das erlangte Kapital soll rasch in eine Neupositionierung transformiert werden, weshalb der „Habitus den Erwartungen des Postens“ (Bourdieu, 2001, S. 202) angepasst wird. Im Nachhinein resümiert Herr Basting unter Zuhilfenahme militärischen Sprachgebrauchs, er habe sich für die Ausübung des Schulleitungsamtes „so ein letztes Rüstzeug geholt“ (Herr Basting, Z. 14), um „das in Angriff (zu) nehmen“ (Herr Basting, Z. 16) und benennt einen Schulleiter als Vorbild, dessen Fähigkeit darin bestand „wenig Impulse zu geben, aber die Impulse, die er gegeben hat, denen ist sein Kollegium dann auch gefolgt, der hatte sein Kollegium im Griff, kann man sagen“ (Herr Basting, Z. 261-262). In seiner neuen Position orientiert sich seine Handlungspraxis, der die Intention immanent ist „auf jeden Fall auch mal alles in der Hand (zu) haben“ (Herr Basting, Z. 17), an hierarchischen und autoritären Strukturen, die auf seine a priori bekleidete Akzeptanzposition rekurrieren, nun jedoch statt Bestätigung Distanz avisieren: „Man muss für sich sorgen. Das passt auch zu dem, was ich vorhin sagte, Distanz zum Kollegium haben, um sich auch mal abzugrenzen, um auch nicht zu sehr immer an allem beteiligt zu sein.“ (Herr Basting, Z. 297-299)
Herr Basting strukturiert die soziale Beziehung nach seinen Vorgaben und setzt eine Grenze hinsichtlich der eigenen Bereitschaft, in diese zu investieren. Die Distinktion vollzieht sich jedoch nicht mit der Intention einer sozialen Isolation, sondern geht – kongruent zum modus operandi des Typus „Abgrenzungsnei-
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gung“ – einher mit intensiver Netzwerkbildung auf hierarchisch höhergestellter Ebene. Mit Goffman gesprochen: Das Individuum „befreit sich von einer Gruppe, nicht um frei zu sein, sondern weil es einen anderen Halt hat“ (Goffman, 1973b, S. 156): „Weil natürlich Schulleitung ... also man findet ja, wenn man da jetzt neu an eine Schule kommt, nicht Freundinnen und Freunde im Kollegium. Also zumindest ist das auch mein Ansatz, man muss ’ne gewisse Distanz haben, wenn man seinen Job in allen Situationen gut durchführen will. Von daher ist es wichtig, eine andere Ebene zu haben mit Schulleiterinnen und Schulleitern, wo man sich beruflich und privat austauschen kann. So hab ich 48
Kontakte bis nach X
und wir treffen uns auch regelmäßig aus diesem Seminar heraus
und ähm haben immer unsere Schulen besucht oder machen was zusammen.“ (Herr Basting, Z. 128-135)
Präsentiert sich Herr Basting in der Schule sicher und feststehend in seiner neuen Rolle, kann er in seinem auf gleicher beruflicher Position basierenden Netzwerk diese allmählich und in sozialem Austausch konsolidieren. „Woraus auch immer das menschliche Bedürfnis nach sozialem Kontakt und Geselligkeit entsteht, es scheint sich in zwei Formen auszuwirken: dem Bedürfnis, ein Publikum zu haben, vor dem man sein zur Schau getragenes Selbst ausprobieren kann, und dem Verlangen nach Ensemblegenossen, mit denen man sich verschwörerischer Vertraulichkeit und der Entspannung hinter der Bühne hingeben kann“ (Goffman, 1973a, S. 187). Das Netzwerk des ehemaligen Kollegiums, mit dem er einen vertrauten Umgang pflegte, wird nun strukturell ersetzt durch Kontakte zu anderen Schulleitungen, von denen er emotionale Unterstützungsleistungen aufgrund der Gemeinsamkeit der Erfahrungen erhalten kann.49 Durch die räumliche Distanz zum ursprünglichen Publikum – eben durch eine Publikumssegregation – bleibt der nun obsolet gewordene Orientierungsrahmen verborgen; der einstige Bewältigungsmodus der Statuspassage ist in dieser Gemeinschaft, die einander nur in der „neuen Rolle“ kennt, irrelevant. Eine Frage, die indes im Rahmen dieser Untersuchung unbeantwortet bleiben muss, ist die nach einer denkbaren Perpetuierung des originären Orientierungsrahmens beider Probanden, angewendet auf ein neues Feld. Die vorliegenden
48 Gemeint ist ein Ort ca. 150 km entfernt. 49 Die „These der funktionalen Spezifität“ (Hollstein, 2001, S. 57) fokussiert und analysiert die Tatsache, „daß Beziehungen in einem sozialen Netzwerk jeweils spezifische Funktionen erfüllen“ (Hollstein, 2001, S. 57) näher als es hier möglich ist.
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Querschnittsdaten geben keinen Aufschluss darüber, ob sich ein Transfer des Bestätigungsbedarfs in das soziale Feld der ebenfalls neu ins Amt ernannten Schulleitungen vollzogen hat (oder vollziehen wird) und die Transformation in eine distinktive Orientierung vor dem Hintergrund der – aus dem Blickfeld des Kollegiums betrachtet – auf die Hinterbühne verlagerten unverminderten Bestätigungsrekrutierung erfolgt. Eine weitere, mehr auf die Makroebene abzielende Frage bezieht sich angesichts der hier dargelegten Rahmenflexibilität der beiden Probanden auf die Ursache dieser Entwicklung und schließt die folgenden Überlegungen mit ein: War die Distinktionsneigung bereits im Vorhinein als „ruhende Rolle“ (Goffman, 1973b, S. 101) angelegt? Ist anzunehmen, dass sich dieselbe Modifikation nach vollzogener Positionsübernahme auch bei dem Probanden Herrn Panitz ereignen wird? Weshalb lassen die empirischen Daten der bereits seit zwei Jahren amtierenden Schulleiterin Frau Benecke keine Rückschlüsse auf ebendiese Rahmentransformation zu? Wenngleich das Forschungsdesign dieser Studie nicht die geeigneten Instrumente bereithält, die Exploration einer dynamischen Veränderung der Orientierungsrahmen über einen längeren Zeitraum – deutlich über die Durchquerung der Statuspassage hinaus – zu erbringen, wird die Genese dieser Rahmenveränderlichkeit in der soziogenetischen Analyse noch einmal betrachtet.
7.4 T YPUS „ HANDELNDER P OSITIONSANSTIEG “ Der Orientierungsrahmen „handelnder Positionsanstieg“ liegt bei drei Proband/innen des untersuchten Samples vor, die bereits die Schulleitungsposition innehaben. Frau Meisner ist zum Zeitpunkt des Interviews 55 Jahre alt. Sie ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 19 und 23 Jahren. Seit 29 Jahren übt sie den Beruf der Grundschullehrerin aus. In Phasen längerer Krankheit des stellvertretenden Schulleiters übernahm sie an der ersten Schule, an der sie tätig war, temporär sein Amt. Schließlich folgte ein Schulwechsel. Nach einiger Zeit ohne Funktionsstelle war Frau Meisner fast neun Jahre lang stellvertretende Schulleiterin an dieser Schule. Als der Schulleiter in den Ruhestand versetzt wurde, übernahm sie die Position der Schulleiterin in kommissarischer Funktion. Dieses Amt übte sie drei Jahre lang aus. Vier Monate vor dem Interviewtermin ist Frau Meisner nun an derselben Schule offiziell zur Schulleiterin ernannt worden. Sie besucht zum Zeitpunkt des Interviews Module des „TVaS“.
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Auch die 56-jährige Probandin Frau Kipke ist erst seit sechs Monaten Schulleiterin. In ihrer über zwanzigjährigen Amtszeit war sie bereits stellvertretende Schulleiterin, kommissarische Schulleiterin und anschließend wieder Stellvertreterin. Nach einem Schulwechsel wurde sie im Anschluss an eine kurze Phase ohne Funktionsstelle erneut stellvertretende Schulleiterin. Durch eine Langzeiterkrankung des Schulleiters leitete sie die Schule schließlich inoffiziell. Nach der Pensionierung des Schulleiters übernahm sie offiziell die Schulleitung und besuchte Module des „TVaS“. Frau Kipke ist geschieden und hat zwei Kinder im Alter von 26 und 28 Jahren. Herr Wilde war bereits sechs Jahre lang stellvertretender Schulleiter. Dieses Amt legte er freiwillig nieder, um nach über zehn Jahren Lehrtätigkeit an einer Grundschule die Erfahrung des Unterrichtens an einer Hauptschule zu machen. Nach sieben Jahren wechselte er zurück an eine (andere) Grundschule und unterrichtete dort ohne Funktionsstelle. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Herr Wilde seit einem Jahr Schulleiter an einer anderen Grundschule und hat gerade das „TVaS“ abgeschlossen. Der Proband Herr Wilde ist 53 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern im Alter von 13 und 15 Jahren. 7.4.1 Situativer Kontext: „es hat sich irgendwie gezeigt, dass ich irgendwie Interesse hab, so mitzumischen und mitzuentscheiden“ Aus der obigen Einführung wird – ebenso wie aus der Typenbezeichnung „handelnder Positionsanstieg“ – ersichtlich, dass alle Proband/innen dieses Typus bereits ihre Ausgangsposition der Lehrkraft verlassen und das Schulleitungsamt übernommen haben. Ihre Statuspassage ist gekennzeichnet von zahlreichen Positionswechseln, die jedoch keinen kontinuierlichen Aufstieg, sondern eine hohe sowohl auf- als auch absteigende vertikale Mobilität dokumentieren.50 Mit
50 Windzio merkt an, dass „die Dimension, innerhalb derer die Wertigkeit der Position gemessen wird, festgelegt sein“ (Windzio, 2001, S. 175) muss, damit von Auf- und Abstieg gesprochen werden kann. Legt man eine Bewertung „hinsichtlich ihrer Qualifikationsanforderungen, ihrer materiellen Vergütung oder aber ihrer sozialen Reputation“ (Windzio, 2001, S. 175) zugrunde, ist die kommissarische Schulleitungsposition der der stellvertretenden Position übergeordnet, wenngleich erstere zeitlich determiniert, sozusagen „auf Widerruf“ besetzt wird. Die offizielle Schulleitungsposition steht hierarchisch an oberster Stelle. Den in der einleitenden Typendarstellung erwähnten Positionen der temporären Stellvertreterin bzw. Schulleiterin aufgrund einer
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Leichtigkeit und großer Flexibilität gaben die Proband/innen bereits erreichte Positionen wieder auf: „Also, ich war schon einmal Schulleitung an einer anderen Schule, eben in X und fand das damals da auch ganz gut. Ich bin dann aber da weggegangen, weil ich eben auch mal ’nen Wechsel haben wollte und hab hier angefangen, ohne den Hintergedanken, irgendwas zu übernehmen. Ich hab gedacht: Ich bin jetzt nur Lehrerin und mache gar nichts, weder Schulleitung noch Personalrat noch sonst irgendwas. Ich bin einfach nur ’ne ganz normale Lehrerin ohne Job.“ (Frau Kipke, Z. 9-14)
Wo lässt sich nun der Beginn der Statuspassage verorten? Kontrastierend zu den anderen Typen der hier vorliegenden Bewältigungstypologie entwickelt sich diese beim Typus „handelnder Positionsanstieg“ nicht mit der Partizipation an einer der beiden Qualifizierungsmaßnahmen, sondern „unauffällig“ viel früher durch (zahlreiche) kurzzeitige Positionsübernahmen. Der Ausgangspunkt der Statuspassage kann aufgrund der nicht biographisch ausgerichteten Blickrichtung dieser Untersuchung nicht rekonstruiert werden.51 Offenkundig wird indes, dass sich dieser Typus aus Personen konstituiert, deren Statuspassage auffallend langwierig war und bei denen es sich aufgrund dessen um die ältesten Befragten dieses Samples handelt52. Fokussiert – und zu einem späteren Zeitpunkt beant-
längeren Erkrankung des eigentlichen Amtsinhabers kommt gleichsam ein Sonderstatus zu, da bei Übernahme lediglich Verwaltungsstunden, jedoch keine höhere Besoldung gewährt werden und aufgrund der Kurzfristigkeit mutmaßlich kein höheres soziales Ansehen, im Sinne einer stabilen Fremdzuschreibung, erzielt wird. Welche Auswirkungen diese zeitlich begrenzten Positionsübernahmen dennoch langfristig haben, wird die weitere Explikation dieses Typus zeigen. 51 Vgl. hierzu auch die Überlegungen zu der nachrangigen Bedeutung der Suche nach einem Ausgangspunkt von Statuspassagen in Kapitel 3.1. 52 Um Missverständnissen vorzubeugen soll hier noch einmal auf die in Kapitel 5.4 explizierte Vorgehensweise der Datenauswertung verwiesen werden, der zu entnehmen ist, dass der Typenbildung keine äußerlichen Kriterien zugrunde lagen, sondern die aus dem Datenmaterial herausgefilterten Orientierungsrahmen. Demzufolge wäre es ebenso denkbar gewesen, dass eine der ältesten Probandinnen bzw. einer der ältesten Probanden aufgrund ihres bzw. seines Orientierungsgehaltes beispielsweise im Typus „Abgrenzungsneigung“ zu verorten gewesen wäre. Umgekehrt schließt die logische Schlussfolgerung jedoch aus, dass eine Probandin bzw. ein Proband mit ausgespro-
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wortet (vgl. Kapitel 7.5) – sollte daher die Frage werden, ob dieser Typus als Weiterführung einer der drei anderen Typen zu betrachten ist. Mit anderen Worten: Ist hier eine Transformation von einem anderen Typus in den Typus „handelnder Positionsanstieg“ im weiteren Statuspassagenverlauf denkbar? Zunächst soll sich die Aufmerksamkeit auf die Explikation des Typus „handelnder Positionsanstieg“ richten. Der Schwerpunkt der Analyse liegt – ebenso wie bei den vorigen Typendarstellungen – auf der Phase des Beginns der Qualifizierungsmaßnahme und den Umständen der endgültigen Übernahme des Schulleitungspostens, dennoch werden auch weiter zurückliegende Ereignisse in die Interpretation miteinbezogen, sofern sie hinsichtlich eines umfassenden Verständnisses dienlich sind. Hierzu wird zu den theoretischen Konstrukten Bourdieus und Goffmans stellenweise das Konzept der Prozessstrukturen von Schütze hinzugezogen, da damit der hier vorliegenden langen Dauer, respektive der sukzessiven Prozesshaftigkeit, Rechnung getragen werden kann (vgl. auch Kapitel 3.1). Wie eingangs bemerkt, weisen die Proband/innen eine hohe positionelle Mobilität auf und legen bereits erreichte Positionen ohne Rückschrittsängste zugunsten der Akkumulation neuer Erfahrungen wieder ab: „Davor war ich schon sechs Jahre Konrektor gewesen. Das habe ich dann wieder zurückgegeben, weil ich war an ’ner Grundschule gewesen und dann bin ich auf die Hauptschule gewechselt, überwiegend auf die Hauptschule, um das einfach mal kennenzulernen.“ (Herr Wilde, Z. 10-13)
Sie verfolgen eine praxisorientierte Gestaltung ihres Karriereweges, die mit einer hohen Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme einhergeht. In zahlreichen narrativen Schilderungen rekurriert der Typus „handelnder Positionsanstieg“ auf sein großes Interesse an der Umsetzung neuer Ideen und Implementierung pädagogischer Innovationen in den schulischen Alltag. Stagnierende Schulentwicklung frustriert ihn und löst ein verstärktes institutionelles Engagement aus: „Es muss mal was passieren. Es war und ist es zum Teil noch ziemlich eingerostet und eingefahren. Immer der gleiche Stremel. Die Kollegen, ähm, ja. Es war nix Junges da. Es musste mal so ’nen bisschen Schwung reinkommen. Dann hab ich angefangen wieder aktiv zu werden.“ (Frau Kipke, Z. 15-18)
chen kurzer Dienstzeit mit dem Typus „handelnder Positionsanstieg“ harmoniert. Der Faktor Alter respektive Dienstzeit wirkt also nur in die eine Richtung determinierend.
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Der modus operandi ihres Handelns wird geleitet von einem Habitus, der im Folgenden als Fertigkeitshabitus53 bezeichnet werden soll und ihre Präferenz für Handlungs- und Gestaltungsspielräume zur Umsetzung ihrer Ideen bedingt: „Was ich aber sagen muss, es hat sich irgendwie gezeigt, dass ich irgendwie Interesse hab so mitzumischen und mitzuentscheiden oder so. Je mehr man Verantwortung übernimmt in verschiedenen Funktionen-. Hab ich vorher auch schon Lehrerkonferenz geleitet, Personalrat, also einfach so, wo man seine eigenen Vorstellungen mit verwirklichen kann.“ (Herr Wilde, Z. 28-31)
Dieser Fertigkeitshabitus korrespondiert mit einem maßgeblichen Interesse an Einflussnahme und Handlungsautonomie sowie einem Rollenverständnis, welches sich von dem der Lehrkraft bereits losgesagt hat: „Und eben nicht immer so dazusitzen und gesagt zu bekommen: Das musst du machen und das musst du machen. Und nicht zu wissen, warum. Deswegen hab ich einfach angefangen, mal den Mund aufzumachen und was zu sagen. Und dann will man eben auch mitarbeiten, finde ich.“ (Frau Kipke, Z. 67-70)
War oben von der „praxisorientierten Gestaltung ihres Karriereweges“ die Rede, wird nun deutlicher, wie irreführend diese Formulierung ist, da dieser Typus weder den Drang zum Aufstieg in bestimmte Positionen verspürt noch mit seinem Handeln zielgerichtet einen Entwicklungsverlauf, im Sinne einer Karrieregestaltung, lancieren will. Vielmehr aufgaben- als positionsorientiert agieren die Proband/innen jedoch stets so sichtbar und mit einer Selbstverständlichkeit zur Verantwortlichkeit für prestigeträchtige Bereiche, dass sie sich zu dem Zeitpunkt, als die Übernahme des Schulleitungspostens gegenwärtig wird, innerhalb ihres sozialen Feldes – des Kollegiums und, wie zu zeigen sein, wird auch darüber hinaus – bereits in einer hervorgehobenen autoritativen54 Position befinden. Diese
53 Die Bezeichnung Fertigkeit wird hier dem Begriff Fähigkeit vorgezogen, da die bei letzterem evozierte Nähe zur Begabung und Begabungsbewertung vermieden werden soll. Hier ist nicht der Ort die Fähigkeiten der Proband/innen hinsichtlich des Schulleitungshandelns zu beurteilen, Gegenstand der Analyse ist jedoch das Sichtbare: ihre Fertigkeit, ihre Handlungspraxis. 54 Den Begriff „autoritativ“ leite ich der Definition von Außerer und Garber ab, die sich sowohl mit individualisiertem Lernen bei Kindern als auch mit Coaching und Supervision von Führungskräften befassen und unter einem autoritativen Führungsstil fol-
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resultiert aus dem Konnex der für das soziale Feld sichtbaren Handlungspraxis und der von diesem antizipierten Befähigung aufgrund der Vorerfahrungen. Beides dokumentiert sich im folgenden Zitat von Frau Kipke, in welchem sie ihren Prozess der Übernahme des stellvertretenden Schulleitungspostens beschreibt: „Hab also schon mal ’ne Referendarin hier irgendwie hergekriegt. Das war dann schon mal so meine erste Aktion. Dann auch noch mal so ’nen paar andere Sachen, irgendwelche Feste oder irgendwie was auch immer. Dann kam es ziemlich schnell, dass eine stellvertretende Schulleitung gesucht wurde, und da die mich dann alle inzwischen kannten und auch wussten, dass ich das schon mal gemacht hatte, zeigten dann alle mit dem Finger auf mich.“ (Frau Kipke, Z. 18-23)
Statt auf der aktuell realisierten institutionellen Position – in oben geschilderter Situation hat die Probandin keine Funktionsstelle inne – fußt die Fremdzuschreibung auf einer inkorporierten Position, die Anerkennung generiert und Kreditwürdigkeit verleiht. Sukzessive und über Jahre hinweg akkumulierten die Befragten kulturelles Kapital, welches sich tief in ihre Handlungsstrukturen eingeschrieben und eine Eigendynamik entwickelt hat. Sie verfügen über die „Kompetenz des Kenners“ (Bourdieu, 1982, S. 121), die ihnen vom sozialen Feld zugeschrieben wird. Diese Kompetenz wird durch den „prima facie-Beweis“ (Goffman, 1972, S. 361, Herv. im Original) verifiziert, da – bei entsprechendem Kenntnisstand – umgehend der Konnex von Person und Rolle – „wussten, dass ich das schon mal gemacht hatte“ (Frau Kipke, Z. 22) – gezogen werden kann. Bei dieser Fremdzuschreibung handelt es sich um eine Kapitalform – mit Bourdieus Benennung wäre sowohl vom kulturellen als auch vom sozialen Kapital zu sprechen –, die ihre Handlungsmöglichkeiten maßgeblich erweitert: „Selbst damals noch der Schulverband hat immer gesagt: Machen Sie das doch. Das ist doch schön und Sie kennen das doch schon. Die Eltern haben gesagt: Ja, machen Sie das. Sie machen das so toll. Und die Lehrer wollten mich. Und privat haben alle gesagt: Du kannst das. Mach das.“ (Frau Kipke, Z. 75-78)
gende praktische Handlungsindikatoren bündeln: „eventuelle Veränderungen im Sinne des Neuen werden vom Vorgesetzten vorgegeben, einfühlsame Zuwendung, relativ stabil und klar, gute Nähe- und Distanz-Regulierung“ (www.peropus.org/files/ Verantw_Risiko.pps, 01.08.2012).
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„Aber mit der (Anm.: eine Schulleiterin) bin ich befreundet und die meinte auch: Wann machst du das denn jetzt mal richtig?“ (Herr Wilde, Z. 47-48) „Die Schiene Familie sagte: Warum nicht? Du machst das jetzt schon so lange und du machst das gut. Warum machst du’s nicht? Aber natürlich auf einer sprachlich anderen Ebene, als wenn ich hier mit befreundeten Kolleginnen mich darüber unterhalte. Und zum Schluss hat eben das ganze Kollegium gesagt: Komm, mach das. Wir wollen das gar nicht mehr anders. Das ist so friedlich und so harmonisch geworden. Wir wollen das eigentlich so wie das ist, so wollen wir das lassen.“ (Frau Meisner, Z. 42-47)
Obige Passagen aller drei Befragten weisen auf den beständigen Rekurs des sozialen Feldes hin, seien es Familie, Kollegium, Schulelternschaft oder schulische Institutionen, der auf die „praktische Beherrschung“ (Bourdieu, 1982, S. 121) „im Laufe der Zeit, mit Zeit, gegen die Zeit erworben“ (Bourdieu, 1982, S. 129, Herv. im Original) verweist. Der Typus „handelnder Positionsanstieg“ hat keinerlei formelle Kompetenz erworben, indem er sich durch eine institutionelle Maßnahme qualifizieren ließ, sondern hat durch jahrelanges Handeln auf der Ebene adäquater Positionen ein anerkanntes Gut erlangt: die individuelle Kompetenz im Modus eines impliziten Wissens (vgl. Polanyi, 1985, S. 13ff.). Die Besonderheit dieses Wissens besteht in seiner Verkörperung. Ohne Schulleitungshandeln je erlernt zu haben, weisen sie eine „funktionale Beziehung“ (Polanyi, 1985, S. 18) zu diesem Amt auf und scheinen erfolgreich in der Demonstration, „daß […] (sie) von Dingen, und zwar wichtigen Dingen wissen, ohne daß […] (sie) dieses Wissen in Worte fassen könnten“ (Polanyi, 1985, S. 29). Bremer schreibt in Anlehnung an Polanyi: „Beispielsweise kann ‚gewusstes‘ theoretisches Wissen über Autofahren nicht die praktische Beherrschung des Autofahrens ersetzen“ (Bremer, 2007, S. 243). Die körperliche Dimension der praktischen Kompetenz dieses Typus manifestiert sich auch in seinen biologistischen Fokussierungsmetaphern des „Reinwachsens“: „[…] das ist irgendwie so-, wenn man da so reinwächst und dann auch mal Bescheid weiß, warum manche Dinge so und so laufen müssen und nicht anders.“ (Frau Kipke, Z. 65-66) „Ich würd’ sagen, man wächst mit seinen Aufgaben.“ (Frau Meisner, Z. 136)
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Dieser Schatz an Erfahrungen durch die jahrelange Betätigung in leitenden Positionen55 führte nicht nur zu kulturellem und im Sinne unterstützender sozialer Beziehungen zu sozialem Kapital56, sondern prägt in entscheidendem Ausmaß auch ihre Selbstzuschreibung. Die Proband/innen schreiben sich selbst eine Kompetenzsicherheit zu, die „losen Perlen, die er (Anm.: der Akteur) bei seinem vereinzelten Lernen ohne Kenntnis der institutionell genormten Etappen und Hindernisse, ohne deren Vorschriften und Fortschreiten angehäuft hat“ (Bourdieu, 1982, S. 514), entspricht. Im Sinne wechselseitiger Positionszuschreibungen korrespondiert diese Selbst- mit der ihnen entgegengebrachten Fremdzuschreibung, komprimiert sich im Fertigkeitshabitus und potenziert diesen weiter. Wenn Bourdieu in diesem Zusammenhang vom „Erwerbsmodus“ (Bourdieu, 1982, S. 515) spricht, wird evident, dass dieser mit dem hier als Fertigkeitshabitus bezeichneten und auf aktives Aneignen ausgerichteten Habitus dieses Typus harmoniert: „Und dass ich denke, ja, dass ich das auch kann.“ (Frau Kipke, Z. 86-87) „Also zugetraut im weitesten Sinne hab ich mir das, weil ich viele dieser Aufgaben schon mal gemacht habe. Nicht alle zusammen, aber das fand ich irgendwie eher spannend.“ (Herr Wilde, Z. 113-115)
55 Blickt man noch einmal zurück auf den Typus „Abgrenzungsneigung“ (vgl. Kapitel 7.2.1) fällt auf, dass dessen Proband/innen ebenfalls in geringem Maße auf die Erfahrung des Handelns in leitenden Positionen zurückblicken können. Ihre Erfahrung jedoch erwarben sie in einem Feld, welches keinerlei Verbindung zum schulischen hat (Vorstand im DRK, Vorsitz der Gemeindevertretung, Kommunalpolitikerin). Folglich wirkt das ehemalige Tun zwar für die Akteure orientierungsleitend, hat jedoch kontrastierend zum Typus „handelnder Positionsanstieg“ keinen Einfluss auf die Fremdzuschreibung. 56 Beide Kapitalformen gerinnen bei diesem Typus zu einem Gesamtbild, einer Idealisierung in der äußeren Wahrnehmung, so dass ihnen mit Bourdieus Kategorisierung bereits die Tragweite eines symbolischen Kapitals zukommt (vgl. Kapitel 4.2), zu dem er schreibt: „Es ist, genauer gesagt, die Form, die jede Kapitalsorte annimmt, wenn sie über Wahrnehmungskategorien wahrgenommen wird, die das Produkt der Inkorporierung der in die Struktur der Distribution dieser Kapitalsorte eingegangenen Gliederungen oder Gegensatzpaare sind“ (Bourdieu, 1998b, S.108).
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Die aufgrund der langwierigen Statuspassage erreichte inkorporierte Position im sozialen Feld stabilisiert ihren Fertigkeitshabitus dergestalt, dass sich die Proband/innen neben der eigenen Kompetenz ebenso partielle Inkompetenz eingestehen können, ohne Anerkennungsverluste zu befürchten: „Es ist gar nicht so. Man muss nicht alles selber können, um delegieren zu können. Wenn jemand etwas besser macht, ja, warum soll er das nicht ausarbeiten? ’Ne Gruppe sich hinsetzen.“ (Frau Meisner, Z. 218-220) „Also, ich denk immer: Wenn ich das nicht weiß, macht das nichts. Stört mich nicht. Frag ich halt nach. Bin ich relativ dreist, wenn ich was nicht weiß.“ (Herr Wilde, Z. 320-321)
Diese Gelassenheit, die sich hier im Umgang mit eigenen Unzulänglichkeiten abbildet– „Hab ich falsch gemacht und peng“ (Herr Wilde, Z. 325) –und oben bereits hinsichtlich der Bedeutungslosigkeit der Inbesitznahme hierarchischer Positionen entschlüsselt wurde, verweist auf ihre internalisierte autoritative Position. Diese ist stabil in ihrer eigenen Körperlichkeit verankert und von situativer Praxis annähernd unbeeinflusst. Auch im Handlungsfeld der Qualifizierungswahl perpetuiert sich dieser modus operandi. Pragmatisch und erst zum Zeitpunkt der Bewerbung auf die endgültige Übernahme des Schulleitungspostens absolviert der Typus „handelnder Positionsanstieg“ das „TVaS“. Diesem misst er einen marginalen Stellenwert hinsichtlich der Bedeutung für die Bewerbung bei und verbindet die Teilnahme daran nicht mit dem Bedürfnis einer Konsolidierung des eigenen Wissens. Dennoch wird nicht der Versuch unternommen, die Qualifizierungsmaßnahme zu umgehen, sondern dieser in Orientierung an der feldimmanten Doxa Legitimität und Sinnhaftigkeit zugebilligt, um „den Erfordernissen der offiziellen Regel dem Scheine nach zu genügen und so seine eigenen Interessen zu befriedigen und zugleich das Ansehen oder die Achtung einzuheimsen, die fast überall Handlungen entgegengebracht werden, mit denen scheinbar kein anderer Zweck verfolgt wird als die Einhaltung der Regel“ (Bourdieu, 1987, S. 200): „Ich hab das vor der Bewerbung letztendlich angeleiert.“ (Frau Kipke, Z. 153) „Ganz ehrlich, ich bin so Autodidakt gewesen, weil als ich also die kommissarische Leitung übernahm, hatte ich ja gar keine Fortbildung. […] Aber so diese vorgeschriebenen, diese „TVaS“-Veranstaltungen, die hatte ich überhaupt nicht gemacht. Als es dann darum ging, zweite Bewerbung, jetzt kann ich mich darauf bewerben, da habe ich natürlich versucht, in diese Module noch-, einige mitzunehmen.“ (Frau Meisner, Z. 98-106)
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Während die Befragten über den gesamten Zeitraum ihrer unterschiedlichen temporären Positionsübernahmen auf ihren Fertigkeitshabitus vertrauen und keinen Qualifizierungsbedarf hegen, ist ihnen nun daran gelegen „Nee, ich find das schon wichtig.“ (Frau Kipke, Z. 174) – flankierend zur amtlichen Bewerbung adäquates symbolisches Kapital zu erlangen und der neuen Rolle „ein gewisses Maß standardisierter Vor- und Nach-Aktivität“ (Goffman, 1977, S. 289) zukommen zu lassen. Bourdieus Anmerkung in Bezug auf akademische Titel lässt sich auch auf die hier avisierte Zertifizierung übertragen: „In der stillschweigenden Definition des formal eine besondere Kompetenz verbürgenden schulischen Titels […] ist folglich die reale Zusicherung impliziert, mit ihm über eine mit dem Ansehen des Titels in ihrem Umfang wachsende ‚Allgemeinbildung‘ zu verfügen; umgekehrt impliziert der Titel aber auch, daß ihm keine reale Garantie dessen abzuverlangen ist, was er real oder formal verbürgt, oder, wenn man so will, daß er für das Ausmaß des von ihm Garantierten bürgt“ (Bourdieu, 1982, S. 51, Herv. im Original). Dem Titel bzw. der institutionellen Qualifizierung wird die Ermächtigung zugestanden, den sozialen Wert des Akteurs zu veredeln und somit die Legitimation für den Übertritt in die neue Position zu schaffen. Die Qualifizierung in dieser späten Phase der Statuspassage hat primär einen symbolischen Charakter, der nicht nur die Erwartungen der bzw. des Teilnehmenden, sondern gleichermaßen die des sozialen Feldes erfüllen soll (vgl. auch Bourdieu, 1987, S. 420). „Die Unternehmungen der Fortbildung oder des internen Aufstiegs (interne Prüfungen usw.) würden nicht so positiv bewertet, wenn sie nicht […] die Übereinstimmung mit der Institution und der Sozialordnung, zu der sie gehören, garantieren würden“ (Bourdieu, 1981, S. 219). Der Zuwachs inkorporierten kulturellen Kapitals hingegen ist für diese Proband/innen zweitrangig, da sie aus der Perspektive ihrer Position im schulischen Feld erfahren haben, „dass sie ihr über lange Jahre erworbenes und oft spezialisiertes Erfahrungswissen besser verwerten können als mögliche, durch Teilnahme an Kursen erworbene Zertifikate“ (Bremer, 2007, S. 115, Herv. im Original). 7.4.2 Interaktion: „Ich hab das Kollegium ganz offen und ehrlich gefragt: Könntet ihr euch das vorstellen?“ Dass die Strategien der Öffnung der Bewusstheitskontexte eng verknüpft sind mit der jeweiligen sozialen Position und dem zur Verfügung stehenden Kapital, konnte bereits bei den anderen Typenbetrachtungen gezeigt werden und dokumentiert sich auch bei den Proband/innen des Typus „handelnder Positionsanstieg“. Der Moment der Bewerbung für die endgültige Positionsübernahme geht für diesen Typus trotz der vorhergehenden Positionsmobilität mit einem besonderen Erregungs-
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zustand einher (vgl. Kapitel 7.4.3), der sich jedoch nicht auf eine antizipierte Hemmnis bezüglich der Offenlegung ausrichtet. Da diese Proband/innen durch ihre jahrelange Handlungspraxis eine Art vorgezogenen Rollenwechsel vollführen konnten, verhält sich das Aufstiegsansinnen kongruent zu ihrer Selbst- und Fremdzuschreibung, perpetuiert die „Stabilität des Eindrucks“ (Goffman, 1974, S. 366) und verursacht im Feld keinerlei Irritation. Vielmehr geht die Positionierung bereits mit einer gewissen Erwartungshaltung des sozialen Feldes einher – „[…] kam denn der Schulrat auf mich zu und sagte: Frau X, warum bewerben Sie sich denn nicht?“ (Frau Meisner, Z. 33-34) – und ruft insbesondere im Kontrast zum Typus „risikoloses Probehandeln“ „grenzenlose“ Handlungsmöglichkeiten hervor: „Das heißt, wir wussten alle, er (Anm.: der vorige Schulleiter) geht und irgendeiner muss das machen. Von daher war das im Grunde drin.“ (Frau Kipke, Z. 208-209)
Der Aspekt der Offenlegung tritt bei diesem Typus vor dem der Ermutigung respektive einer ausdrücklichen Felderwartung zurück. Dies bildet auch folgende Sequenz des Beobachtungsprotokolls beim „TVaS“ ab: Tn (w, stellvertretende Schulleiterin) erzählt einer weiteren Teilnehmerin: „Unsere Schulleiterin verlässt zum Halbjahr die Schule. Das ist jetzt schon die zweite. Jetzt ist klar, dass ich das wieder übernehme. Das ist allen so klar, die erzählen das schon auf ihren Elternabenden (lacht). Dabei kommt die Ausschreibung erst nächsten Monat. Vielleicht bewirbt sich ja rasch jemand. Aber weil beim letzten Mal keiner kam, ist allen klar, dass das nun wieder ich mache. Is ja okay.“ Die andere Teilnehmerin erwidert: „Was wär dir denn lieber?“ „Ach, völlig egal. Schlimm wär nur, wenn der Neue so völlig anstrengend wär.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 217-225-III)
Von ihrem Habitus in eine Position geführt, aus welcher Ermutigung leicht zu generieren, jedoch gegebenenfalls gar nicht mehr erforderlich ist, erweist sich die Aufforderung des sozialen Feldes dennoch als entscheidender Katalysatoreffekt zur endgültigen aktiven Bewerbung: „Und dann hatte ’ne Kollegin von mir gesagt: […] Das ist für dich doch gut erreichbar. Ich wohne ja in X. Bewirb dich mal. Dann hab ich das gemacht. So einfach ist das.“ (Herr 57
Wilde, Z. 19-20)
57 Dass Herr Wilde als einzige Person dieses Typus den hohen Aufforderungscharakter dieser Kollegin, auf deren Äußerung er dreimal rekurriert und dem hier hohe hand-
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Insbesondere für die beiden Probandinnen, die sich an ihren eigenen Schulen bewerben, hat die Ermutigung einen hohen Stellenwert und trägt ferner affirmative Züge. Nach einer Ermutigung von Seiten der Schulverwaltung, die Frau Kipke und Frau Meisner zuteilwurde und auf die sie eine Bedenkzeit folgen ließen – „Puuh, hab ich lange gegrübelt“ (Frau Meisner, Z. 34-35) –, holen sie sich eine Handlungsvollmacht aus ihrem Kollegium, welches ihrem künftigen „Personal“ entspricht: „Also, ich hab das Kollegium ganz offen und ehrlich gefragt: Wie ist das? Ich spiele mit dem Gedanken. Könntet ihr euch das vorstellen?“ (Frau Meisner, Z. 53-54) „Wenn irgendjemand, also, wenn mehrere im Kollegium gesagt hätten: Nee, weißt du, lass uns mal entweder etwas Jüngeres oder ein Mann oder lass lieber jemanden von draußen. Das ist uns lieber, können wir damit besser umgehen. Ich hätte es gelassen. Ich bin ja auch nicht drauf fixiert gewesen: Ich will auf Deubel komm raus Schulleiter werden. Also, das nun nicht.“ (Frau Meisner, Z. 62-66) I: „Wenn die Kommentare anders gewesen wären oder ausgeblieben wären in dieser positiven Art und Weise, hätten Sie sich dann trotzdem beworben?“ „Nee. Also, wenn die Kollegen jetzt gesagt hätten oder nichts gesagt hätten-. Die hätten ja bestimmt nicht gesagt: Mach das nicht. Die hätten wahrscheinlich nichts gesagt und hätten sich so ein bisschen zurückgezogen, wenn ich das angesprochen hätte. Dann hätte ich das nicht gemacht.“ (Frau Kipke, Z. 89-95)
Die besondere Situation der beiden Probandinnen bringt zum einen mit sich, dass sie ihre neue Rolle – aus der goffmanschen Perspektive – vor demselben Bühnenbild und denselben Zuschauer/innen ausüben müssen wie bisher, und zum anderen, dass sie bis zum Zeitpunkt der Amtsübernahme bereits ein beträchtliches Maß an förderlichem sozialen Kapital erzielen konnten. Ihr handelnder Positionsanstieg verhalf ihnen bereits im Vorwege zu sozialer Anerkennung, Wertschätzung und Sympathie. Diese Reverenzen sind nach Hennig eine „wesentliche Gabe von sozialen Netzwerken58“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 39).
lungsgenerierende Bedeutung zugestanden werden kann, auf direkte Nachfrage hin bagatellisiert, wird in der soziogenetischen Betrachtung noch einmal aufgegriffen (vgl. Kapitel 8.1.4). 58 Da der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht auf Netzwerkpraktiken ausgerichtet ist und keine Daten über tatsächliche formale Netzwerkstrukturen der Proband/innen erhoben
7. S INNGENETISCHE TYPENBILDUNG
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Das Resultat der Ausgangspositionierung aller drei Proband/innen dieses Typus sind heterogene und initiative „Netzwerkressourcen“ (Hennig, 2010, S. 184): „Selbst damals noch der Schulverband hat immer gesagt: Machen Sie das doch.“ (Frau Kipke, Z. 75-76) „[…] sagte damals denn unsere Schulrätin: Wollen Sie sich nicht an der und der Schule bewerben? Da brauchen wir doch auch jemanden.“ (Frau Meisner, Z. 314-315)
Insbesondere in der Bemerkung von Frau Meisner, der sogar konkrete Schulen mit vakanter Leitungsposition angeboten werden, dokumentiert sich eindrücklich die durch die bestehende Kapitalstruktur gesteuerte Interaktion. Alle Proband/innen des Typus „handelnder Positionsanstieg“ interagierten durch ihre vorigen Positionen bereits mit statushöheren Gremien und konnten im Kreis amtierender Schulleitungen soziale Kontakte, die mit Bourdieu „ein für den optimalen Ertrag des ökonomischen und kulturellen Kapitals unabdingbares soziales Kapital“ (Bourdieu, 1981, S. 190) darstellen, mobilisieren: „Und hab mich eben auch mit Schulleitern, die ich jetzt durch meine lange Zeit als Stellvertreterin oder kommissarische-, da hat man sich mal ausgetauscht.“ (Frau Meisner, Z. 108-109)
wurden, ist der Begriff Netzwerk vornehmlich als Metapher zu verstehen. Netzwerke definiere ich im Rahmen dieser Untersuchung als Beziehungen zwischen Akteuren, die intendiert oder absichtslos aufgebaut werden und Unterstützungsleistungen beim Durchlaufen der Statuspassage gewähren. Die Schwierigkeit einer konvergenten Begriffsdefinition trotz großer Aktualität der Netzwerkanalyse konstatiert auch Willems: „Der Netzwerkbegriff zeichnet sich […] eher durch Uneinheitlichkeit und auf der Ebene eines ‚kleinsten gemeinsamen Nenners‘ eher durch Unbestimmtheit als durch Differenzierungen aus“ (Willems, 2010, S. 259). Aus dem begrenzten Stellenwert, den die Netzwerkbetrachtung in vorliegender Untersuchung und der vorangegangenen Schulforschung einnimmt, resultiert jedoch ein ertragreiches Forschungsdesiderat. Längsschnittorientierte Anschlussforschung könnte die Netzwerke aufstiegsorientierter Lehrkräfte zu Beginn und deren Veränderungen während der Statuspassage untersuchen. Vgl. Hollstein (2010, S. 459ff.) zu den Möglichkeiten qualitativer Methoden und Mixed-Methods-Designs hinsichtlich Netzwerkforschung.
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Eine weitere Opportunität ihrer Ausgangslage besteht in der Partizipation an der zweimal jährlich stattfindenden Schulleitungsdienstversammlung, an der amtliche Schulleitungen ebenso wie kommissarische Schulleitungen teilnehmen und die diesen Proband/innen die Möglichkeit bietet, „in bestimmten Netzwerken investieren zu dürfen und so Gelegenheitsstrukturen zu schaffen und aufrechtzuerhalten; auch wenn die Ertragslage unklar ist“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 61). Schließlich ist „es gleichsam banal wie wichtig festzuhalten, dass man nicht investieren kann, wenn man nirgends dazugehört“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 61): „Ansonsten auf diesen Schulleiterdienstversammlungen, da war ich ja schon auf vielen, auch als Kommissarische war ich da ständig.“ (Frau Kipke, Z. 257-258)
Diese Vorteilsbeschaffung bleibt insbesondere dem bereits dargestellten Typus „risikoloses Probehandeln“ aus seiner Ausgangspositionierung heraus verwehrt59. So merkt auch Willems die hohe Bedeutung an, die „bestimmte ‚Beziehungen’, nämlich die ‚richtigen‘ (haben), die, wie heute jedermann weiß, überall, auf allen Feldern der Gesellschaft Vorteile“ (Willems, 2010, S. 265) verschaffen. Jedoch zeigt die bereits vollzogene Explikation des Typus „risikoloses Probehandeln“ in den Kapiteln 7.1 – 7.1.4, dass Willems nicht uneingeschränkt zuzustimmen ist, wenn er folgert, dass „inkorporiertes kulturelles Kapital […] zum einen für die Konstitution (Initiierung) von Netzwerken sowie für den Zugang zu ihnen von Belang“ (Willems, 2010, S. 265) ist. Dieser unbestreitbar zutreffende Blickwinkel scheint bezogen auf den obig angesprochenen Typus zu eindimensional, da dieser trotz redundant akkumulierten kulturellen Kapitals keinen Zugang zu relevantem sozialem Kapital mit potentiellem Multiplikatoreffekt erwirken kann (vgl. Kapitel 7.1.3). Die Diskrepanz dieser beiden Typen zeigt nun, dass Netzwerkbildung bestimmte Habitusformen erfordert und sich nicht allein durch die inkorporierte Kapitalstruktur bewerkstelligen lässt. Das soziale Kapital
59 Hennig und Kohl verweisen entsprechend in ihrer Untersuchung darauf, dass die Gelegenheit zur Netzwerkbildung innerhalb eines Feldes durch die „Wahrnehmungskategorien und die Praxis innerhalb des Feldes selbst hervorgebracht wird“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 151). Weiter schreiben sie: „Diese Kategorien dienen dabei der Inklusion und Exklusion von Akteuren und bestimmen mit, wer zu wem eine Beziehung hat und wer isoliert ist. Sie symbolisieren und konsolidieren Muster der Inklusion und Exklusion, so dass die daraus resultierenden Schemata die Beziehungsmuster verstärken, die wiederum verstärkend rückwirken“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 151).
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des Typus „handelnder Positionsanstieg“ ist demnach zugleich eine Folge des jahrelangen habituell generierten Prozesses sowie auch eine Konsolidierung für Zukünftiges. Es ist evident, dass der Fertigkeitshabitus dieses Typus mit seinem modus operandi die Bildung eines Netzwerkes mit hoher Verwertbarkeit und großer Reichweite protegiert, im Sinne eines „Produkt(s) individueller oder kollektiver Investitionsstrategien, die bewußt oder unbewußt auf die Schaffung […] von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen“ (Bourdieu, 1992a, S. 65). Bezieht man Bourdieus obige Bemerkung zur bewussten oder unbewussten Erzeugung von Netzwerken auf vorliegenden Typus, wird offenkundig, dass soziales Kapital „manchmal eher als Nebenprodukt, manchmal aber auch als angestrebtes Ziel“ (Hennig, 2010, S. 187) erworben werden kann. Obgleich die vom Habitus zugewiesene Position und das damit einhergehende Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten diesem Typus hinsichtlich der daraus resultierenden handlungsentscheidenden Rückenstärkung sehr deutlich bewusst ist, verknüpfen sie mit dieser Konstellation keine strategischen Handlungen zur Karrieregestaltung. Trotz ähnlich intentionslosen Handelns, wie beim Typus „risikoloses Probehandeln“ herausgearbeitet, können diese Proband/innen völlig anders geartete Unterstützungsleistungen rekrutieren. Ihrer Netzwerkbildung – in dieser Phase noch gänzlich ungezielt und lediglich ein Nebenprodukt ihres Handelns – liegt erst nach der endgültigen Positionsübernahme eine gewisse Ertragsorientierung und der bewusste Versuch, aus dem bestehenden sozialen Kapital eine Positionsfestigung zu erwirken, zugrunde. Ich komme später darauf zurück (vgl. Kapitel 7.4.4). Die vorausgegangenen Handlungsschemata dieses Typus bewirkten ex ante Übereinstimmungen der Proband/innen mit der künftigen Position, die ihre „Selbstidentität in einen Zustand der Bereitschaft versetzen“ (Schütze, 1981, S. 78). Mit dieser sukzessiven Aneinanderreihung – „es hat schon irgendwie ’ne Folge in meinen letzten Jahren“ (Herr Wilde, Z. 25-26) – war jedoch stets eine utilitäre anstelle einer progressiven und zielorientierten Intention verknüpft. Konträr zum Typus „Abgrenzungsneigung“ ist mit der Praxis des Typus „handelnder Positionsanstieg“ keine längerfristige Planung und die Orientierung an einer zu erreichenden Position intendiert; ihrem Werdegang liegt stets eine funktionale Deutung zugrunde. Dieser Prozess eines Konvergierens, bei dem „es sich eher um ein Finden ohne bewußtes Suchen handelt“ (Schäffer, 1996, S. 103), wird von Schäffer als „Einfindungsprozess“ (Schäffer, 1996, S. 103) bezeichnet: „Beim ‚Ein-Finden‘ steht das intendierte Moment nicht im Vordergrund“ (Schäffer, 1996, S. 230). So leiten die Akteure aus der oben dokumentierten Wertschätzung und ihrem – ebenfalls bereits dargelegten – Wissen um ihre Befähigung auch im entscheidenden Moment einer Stellenvakanz in unmittelbarer Nä-
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he keinen Positionsanspruch ab und positionieren sich nicht aufstiegsinteressiert. Diese abwartende Haltung behält die Probandin Frau Meisner in ihrer Position der kommissarischen Leitung zweieinhalb Jahre bei: „Es wurde ausgeschrieben. Erste Ausschreibung hat sich keiner beworben, zweite Ausschreibung haben sich zwar zwei beworben, aber die Eltern haben die beiden Kandidaten abgelehnt. Daraufhin sagte unser Schulträger, nun solle Kiel einsetzen. Ja, Kiel hat ein Jahr gesucht und keinen für diese Stelle Adäquaten gefunden und danach wurde sie dann wieder ausgeschrieben. Das beginnt dann wieder bei Ausschreibung eins, das heißt, als interne Bewerbung können sie sich gar nicht bewerben.“ (Frau Meisner, Z. 11-16)
Auch der Proband Herr Wilde „hatte das immer ein bisschen aus ’m Auge verloren, weil es mir so als Lehrer ganz gut ging“ (Herr Wilde, Z. 15-16) und „hätte es nicht machen müssen jetzt unbedingt“ (Herr Wilde, Z. 26); folglich bewirbt er sich erst auf die dritte (und letzte) Ausschreibung der von ihm avisierten Schule: „Die Schule ist zwei Jahre ohne Schulleitung gewesen, über zwei Jahre.“ (Herr Wilde, Z. 207). Ähnlich gleichgültig verhält sich die Probandin Frau Kipke, die sich an ihrer eigenen Schule aus der Position der kommissarischen Leitung heraus bewirbt und demzufolge zwei Ausschreibungen abwarten muss, ehe sie sich bewerben darf: „Hab auch-, hätte ich nicht schlimm gefunden. Also, wenn jetzt hier auf die erste Ausschreibung sofort drei Bewerbungen gewesen wären und da wäre jemand Gutes dabei gewesen, wär ich wieder zurückgegangen. Aber es kam ja immer keiner.“ (Frau Kipke, Z. 41-44)
Bourdieu schreibt, das Erlangen des nächsthöheren Wertes (in diesem Fall der höheren Position) sei „bereits […] zweitrangig geworden, da ja bereits seit längerem […] zu Selbstverständlichkeiten geronnen“ (Bourdieu, 1982, S. 383). Da die hier inaktiv und teilnahmslos abgewartete Situation trotz der autoritativen Ausgangspositionierung nicht im Sinne Kohlis Konzepts „des ‚wahrscheinlichsten Pfades‘“60 (Kohli, 1981, S. 167) ohne eine Enaktierung durch die Proband/innen
60 Kohli subsumiert unter dem Konzept des wahrscheinlichsten Pfades Konstellationen, in denen eine Veränderung für einen Akteur quasi automatisch eintritt, „wenn er eine handlungsschematische Bearbeitung seiner Situation […] unterläßt“ (Kohli, 1981, S. 167). Eine „Realisierung unabhängig vom Handeln des Betroffenen“ (Kohli, 1981,
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in die endgültige Schulleitungsposition gemündet hätte, dokumentiert sich in dieser unkalkulierbaren Strategie noch einmal, dass es sich bei dem Desinteresse an der Rollenkonkretion nicht um eine sozial erwünschte Identitätsdarstellung seitens der Interviewten handelt. Es manifestiert sich eklatant der konjunktive Erfahrungsraum der Befragten, nicht ein kommunikativ vermitteltes Selbstbild, welches sich von karriereaffirmativen Bestrebungen distanziert: Der modus operandi dieses Typus riskiert durch sein Zögern die Positionsübernahme durch eine andere Bewerberin bzw. einen anderen Bewerber – trotz fehlender Alternativstrategie: „Mir war auch völlig klar, wenn ich nicht gewählt worden wäre, hätte mich auch nirgends anders beworben.“ I: „Ah ja. An einer fremden Schule hätten Sie sich nicht-“ „Nein. Ich wollte einfach-, das ist jetzt hier meine Schule und ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste. Also von daher jetzt noch mal neu irgendwo anzufangen als Schulleitung, da sehe ich den Sinn nicht drin. Also, hier sehe ich den Sinn, das ist jetzt meine Schule und ich hab das mit der OG (Anm.: Offene Ganztagesschule) aufgebaut und möchte sehen, dass das funktioniert und ich möchte das schaffen.“ (Frau Kipke, Z. 96-104)
Die konsistente Rahmung eines gelassenen Umgangs mit Positionierungen erfährt in der akuten Phase der Bewerbung respektive in der darauffolgenden Neupositionierung einen abrupten Wandel, der unter dem Blickwinkel auf die veränderte Intention nun eingehend betrachtet wird. 7.4.3 Intention: „Ich bin ja jetzt jemand anders“ Die mannigfaltigen Positionsübernahmen dieses Typus im Verlauf der Statuspassage lassen sich mit Schütze als „Handlungsschemata markierter biographischer Irrelevanz“ (Schütze, 1981, S. 81) klassifizieren, da sie von den Akteuren „mit dem Bewußtsein enaktiert (wurden), sie seien weder in den Ereignisverkettungen der Alltagsexistenz der Handelnden noch gar unter langfristigen biographischen Gesichtspunkten folgenreich“ (Schütze, 1981, S. 81). Handlungsschemata dieser Gattung bescheinigt er „experimentellen […] Charakter“ (Schütze, 1981, S. 81). Dieser provisorische Grundzug dokumentierte sich in der explizierten positionellen Mobilität und der fehlenden Zielausrichtung ebenso wie in der
S. 165) kann sich demnach im beruflichen Kontext beispielsweise vollziehen, wenn Angestellte gemäß eines betrieblichen Laufbahnkonzeptes nach einer bestimmten Anzahl abgeleisteter Jahre in eine höhere Laufbahngruppe eingestuft werden.
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als entbehrlich angesehenen Qualifizierung. Die amtliche Bewerbung um den endgültigen Positionsanstieg evoziert bei diesem Typus nun eine Uminterpretation, eine Neurahmung. Der utilitäre Primärrahmen wird modifiziert: Nun, da es sich um eine verbindliche und aufgrund des fortgeschrittenen Dienstalters voraussichtlich um die letzte Position handelt, gilt es, die Rolle in Gänze auszufüllen und eine Transformation von der experimentellen – „Aber ich hab das nicht so verbissen gesehen.“ (Frau Meisner, Z. 337) – zur biographisch relevanten – „Ich bin ja jetzt jemand anders.“ (Frau Kipke, Z. 219) – Beschaffenheit zu vollziehen61. Aufgrund dieser Neurahmung kommt der Bewerbung im „Verlaufskurvenpotential“ (Schütze, 1981, S. 98) der Stellenwert eines „herausgehobenen Ereignisses“ (Schütze, 1981, S. 98) zu, welches eine besondere Anspannung evoziert: „Das fand ich-, da hab ich gedacht-, da hatte ich schon zwischendurch ein mulmiges Gefühl und hab gedacht: So, jetzt hast du’s abgeschickt und jetzt ist es weg. Es ist außerhalb meines Einflusses. Es läuft wie so ’ne Maschinerie, die jetzt losgeht. Weil dann auch gleich die nächsten Termine kamen von wegen Besichtigung, Beurteilung und was auch immer alles. Da musste ich dann durch.“ (Frau Kipke, Z. 126-130) „Also, das wird ausgeschrieben. Das war in den Herbstferien lief das. Am Ende der Herbstferien musste ich meine Bewerbung abschicken. Da hatte ich also zwei Wochen Herbstferienzeit, in der ich schlecht geschlafen habe, seit langer Zeit mal wieder.“ (Herr Wilde, Z. 91-94)
Die emotionale Inanspruchnahme62 – „Es gibt schönere Situationen im Leben“ (Herr Wilde, Z. 126) –, die zum einen auf dem nun erstmals erforderlichen Durch-
61 Der hier analysierte Prozess von der experimentellen zur biographisch relevanten Rahmengebung kontrastiert maximal mit dem Handlungsmodus des Typus „risikoloses Probehandeln“: Dieser beginnt seine Statuspassage mit der Intention einer (wenngleich verschwiegenen) „biographischen Relevanz“ (Schütze, 1981, S. 83) – dem Wunsch die Schulleitungsposition zu erreichen – und nimmt im weiteren Verlauf eine „Transformation des Realitätsakzents […] (in) biographische Alternativkonstruktionen“ (Schütze, 1981, S. 83) vor, indem er im experimentellen Handlungsmodus stagniert und diesen idealisiert. 62 Emotionalität wird in diesen Passagen evident; dennoch kann ihr mit Bourdieus theoretischem Denkwerkzeug nicht näher nachgegangen werden; dazu merkt auch Saalmann an: „Wenn man bedenkt, dass Bourdieu ausdrücklich den Rationalismus über-
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laufen eines amtlichen Bewerbungsprocedere fußt, resultiert zum anderen aus dem Identitätswandel, den die Proband/innen mit dieser Neupositionierung assoziieren: „Indem diese Akte […] dem Betreffenden feierlich Namen und Titel verleihen, erlauben und befehlen sie ihm zugleich, der zu werden, der er ist, das heißt zu sein hat“ (Bourdieu, 2001, S. 312). „Den Akteuren ist nach Bourdieu ein Gefühl für diese Position sowie die Differenzen in einem Handlungsraum zu eigen“ (Tosana, 2008, S. 32). Ihr Fertigkeitshabitus, erstarkt durch das praktische Tun in den vorigen Positionen, leitet die Handlungslogik des Typus „handelnder Positionsanstieg“ nun auch in diesem neuen Handlungsfeld. Die Proband/innen fertigen einen ihrer neuen Position entsprechenden Rollenentwurf an, an den sie ihre nun aktivierte „Selbstgenese“ (Willems, 1997, S. 324) theoretisch assimilieren. Vor dem Hintergrund des Wissens darüber, welches Verhalten von ihnen erwartet wird, konstituiert sich der Impuls, die Rolle durch „Ausdruckskontrolle“ (Goffman, 1973a, S. 48) oder „dramaturgische Sorgfalt“ (Goffman, 1973a, S. 198) angemessen auszufüllen. Aus Goffmans Perspektive betrachtet, sehen sich die Proband/innen viel eklatanter als zuvor vor dem Hintergrund eines Bühnenbildes agieren, in dessen Entsprechung sie nun ihre Rollenübernahme mit dem Ziel eines stimmigen Gesamteindrucks etablieren wollen. Goffman schreibt über den Darsteller: „Ob er die Rolle nun in erster Linie übernommen hat, weil er die gestellte Aufgabe erfüllen wollte, oder etwa, weil ihn die entsprechende Fassade reizte, immer wird er feststellen, daß er beiden entsprechen muß“ (Goffman, 1973a, S. 28). Dieses Gesamtbild formieren sie einerseits durch die symbolische Entsprechung in Form der Qualifizierung, andererseits durch Insistieren auf den Rollenwechsel: „Gut, denn zum Schluss fünf Jahre oder nee, wie viel Jahre, vier Jahre, Konrektorin, stellvertretende Schulleiterin. Aber das ist wieder ein ganz anderer Sprung. […] Ich muss in eine andere Rolle hineinschlüpfen.“ (Frau Meisner, Z. 56-58) „Dieser Rollenwechsel ist, glaube ich, nicht ganz einfach. Dass man vorher Kollege war, auf einmal ist man dann-. […] Da muss man ziemlich klar ’ne Trennung ziehen können.“ (Herr Wilde, Z. 260-263)
winden will, verwundert es, dass er fast gar nichts über Emotionen sagt. Auch wenn der simple Dualismus vermieden werden soll, stellen Gefühlsregungen doch einen so großen Teil menschlichen Lebens dar, dass auch eine Theorie der Praxis sie irgendwie erfassen müsste“ (Saalmann, 2009, S. 278).
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„Ich bin ja jetzt jemand anders und da brauchten die ’ne Zeit zu und ich auch. Ich bin einfach jemand anders.“ (Frau Kipke, Z. 219-223)
Dem Bedürfnis entsprechend, die neue Rolle in ihrer „Darstellung akzeptabel dramatisieren“ (Goffman, 1973a, S. 95) zu wollen, orientieren sie sich an imaginären Normen, ohne zu erfassen, dass ihre inkorporierte Disposition schon lange der nun äußerlich erworbenen Position entspricht. So geht Frau Meisner in der Reflektion über ihre neue Rolle zunächst von der Ich- zur Man-Perspektive über und bricht dann den Gedanken ab – mutmaßlich aus der Erkenntnis heraus, dass sich hinsichtlich ihrer Entscheidungsbefugnis nach drei Jahren kommissarischer Leitung durch die neue Position nichts geändert hat: „Ich muss in eine andere Rolle hineinschlüpfen, ähm, das heißt nicht für mich, dass ich auf einmal das ‚Sie‘ anfange, sondern, dass man natürlich auch jetzt in seinen Entscheidungen-“ (Frau Meisner, Z. 59-61)
Schulleitungsadäquates und erfolgreiches Handeln hat dieser Typus längst einverleibt, jedoch schlägt es sich – wie hier erkennbar wird – vorrangig im „praktischen Bewußtsein“ (Lenz, 1991, S. 49), nicht aber im „diskursiven Bewußtsein“ (Lenz, 1991, S. 49) nieder. Distinktive Abgrenzung muss aus ihrer autoritativen Ausgangspositionierung nicht forciert werden, da dieser eine selbsttätige Distinktion inhärent ist63. Rehbein formuliert dazu im Rekurs auf Bourdieus klas-
63 So verweist auch ein Ausschnitt aus dem Beobachtungsprotokoll, der sich auf eine bereits in Kapitel 7.4.2 erwähnte „TVaS“-Teilnehmerin bezieht, die bereits einmal kommissarische Schulleitung war und mutmaßlich vor der zweiten Übernahmephase steht, auf das weitgehende Fehlen eines Distinktionsbedürfnisses dieses Typus bei gleichzeitiger unaufgeforderter Erhöhung durch das soziale Feld: Die Teilnehmerin befindet sich mit zwei weiteren Lehrerinnen in einer Rollenspielgruppe. Die Gruppe hat den Auftrag eine Szene zu spielen, in der eine Schulleitung ein Mitarbeitergespräch mit einer Lehrkraft führen soll, die aufgrund ihres umstrittenen pädagogischen Handelns in die Kritik geraten ist. Die Teilnehmerinnen sollen die Rollen wählen. Eine Teilnehmerin äußert: „Mitarbeitergespräche kannst du ja bestimmt schon.“ Die stellvertretende Schulleiterin entgegnet, ohne auf die Bemerkung einzugehen: „Fangt ihr gerne an.“ Während die beiden Teilnehmerinnen das Rollenspiel durchführen, sitzt sie dabei. Im Anschluss kommentiert sie dieses positiv: „Die Lehrerin hat ja durch deine geschickte Gesprächsführung superschnell Besserung gelobt.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 331-340-III)
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sengesellschaftliche Perspektive: „Die herrschende Klasse muss gar nicht nach Distinktion streben, weil alle Eigenschaften der unteren Klassen nicht selten und für sie uninteressant, ihre eigenen Eigenschaften hingegen für die unteren Klassen nicht erreichbar sind“ (Rehbein, 2009, S. 77). So agierte der Typus „handelnder Positionsanstieg“ bereits Jahre vor der endgültigen Amtsübernahme in einer übergeordneten und im jeweiligen kollegialen Feld unikalen Position. Die reflexiv nicht zugängliche, jedoch inkorporierte Positionssicherheit – mutmaßlich neben der habituellen Veranlagung auch von der konstanten Abwesenheit jeglicher Konkurrenzsituation geprägt64 – evozierte auch in den vorigen Positionen die stetige Präferenz von solidarischer Verbundenheit gegenüber Abgrenzungsneigungen: „Ich glaub, bei zweien von denen war ich noch nie zu Hause. Bei allen anderen war ich schon zu Hause oder sie bei mir.“ (Frau Kipke, Z. 239-241) „Also, ich fühlte mich da gut aufgehoben und auch gemocht. Das ist ja irgendwie auch wichtig. Das war eigentlich zu fast allen. Zu einigen vielleicht ein bisschen weniger. Aber zu allen hatte ich eigentlich ein supergutes Verhältnis.“ (Herr Wilde, Z. 172-174)
Diese Praxisform der absichtsvollen Nähe ruft, sobald sie ins reflexive Bewusstsein gerät, eine – faktisch nicht verifizierbare – positionsniedrige Selbstverortung hervor, die zum einen den bereits explizierten hohen Ermutigungsbedarf und zum anderen die Erwägungen der Proband/innen über den aktuellen Rollenwechsel erklärt. Mit anderen Worten: Das Fehlen jeglicher Abgrenzungsneigung und Distinktionspraxis bewirkt, dass das Wissen um ihren Fertigkeitshabitus größer ist als das um ihre autoritative Ausgangspositionierung, so dass der Rollenwechsel tiefgreifender wahrgenommen wird, als er ist. Die Proband/innen fühlen sich demzufolge zu einer Distanzierung ex post gezwungen. Die vorsätzliche Elaboration eines Rollenwechsels in Auseinandersetzung mit doxischen Maßstäben eines „sich abgrenzenden“ Schulleitungshandelns hat in ihrer performativen Praxis jedoch keine Ausprägung. Der Rollenwechsel bleibt ein an ihr Bewertungsschema des schulischen Feldes gekoppelter theoretischer Konstruk-
Im Protokoll finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass diese Teilnehmerin in ihrer Kommentierung auf ihre Erfahrungen und ihre Position rekurriert oder sich den anderen durch Belehrung respektive ostentatives Desinteresse an der Übungseinheit überordnet. 64 Vgl. zum Umgang dieses Typus mit Konkurrenz Kapitel 7.4.4.
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tionsakt, der sich in actu nicht niederschlägt. Statt eines hierarchieorientierten Anpassungsmodus versucht dieser Typus, eine „Basiskontinuität“ (Goffman, 1977, S. 330) zu bewahren, respektive sich im Falle des Probanden Herrn Wilde im neuen sozialen Feld hierarchievermeidend zu positionieren. Dies Ansinnen kontrastieren die Befragten vor einem aufgeworfenen negativen Gegenhorizont von Distanz und Isolation: „Also, es ist nicht so, wie ich das bei anderen erlebt habe, dass sich, wenn der Schulleiter reinkommt, das Gespräch sich auf einmal verändert (lacht). So ist es nicht. […] Das empfinde ich als sehr angenehm.“ (Frau Meisner, Z. 162-167) „Ich sitz jede Pause im Lehrerzimmer. […] Und ich hab das Gefühl, dass sich zu fast allen ein sehr herzliches Verhältnis jetzt schon entwickelt hat. Da bin ich ganz froh drüber. Das ist irgendwie so-. Ich brauch’ diese Nähe auch im Alltag. Ich kann diese Distanz nicht so haben, Tür zu und klopf, klopf. Sondern, ich muss-, ich brauch’ ’nen ziemlich nahen Umgang miteinander. Das kann ich sonst nicht so gut haben. Dieses Distanzierte liegt mir nicht so.“ (Herr Wilde, Z. 269-276)
Obiges Handeln geschieht leichtgängig „mit dem geringsten Kraftaufwand und sowohl innerlich empfundener als auch äußerlich wahrnehmbarer Zwangläufigkeit“ (Bourdieu, 2001, S. 184), weil der eigenen Disposition entsprechend. Dabei hat insbesondere die Praxis der körperlichen Präsenz im Lehrer/innenzimmer das Potential, die „Logik des Sozialisationsprozesses, worin der Leib als eine Art Gedächtnisstütze fungiert“ (Bourdieu, 1982, S. 739), zu veranschaulichen: Das Handeln in der Vergangenheit stets darauf ausgerichtet, primär eine Aufgabe zu erfüllen, und erst sekundär, eine Position zu bekleiden – „form follows function“ (Bömelburg, 2012, S. 92) –, gerät letztere ihrem habituellen Wahrnehmungsraster zufolge – und in maximalem Kontrast zu ihrer kommunikativ vermittelten Perspektive einer Distinktionsverpflichtung – durch die endgültige Amtsübernahme nun zu stark in den Fokus und bedarf einer Reduktion. Sie bedienen sich folglich der körperlichen Anwesenheit im Lehrer/innenzimmer, „um die Verbindung zwischen Person und Rolle wieder zu lockern“ (Goffman, 1977, S. 302). Ihr Habitus, welcher Hierarchien als eher nebensächlich einstuft, drückt sich in der körperlichen Hexis aus, der körperlichen Dimension des Verhaltensspektrums, und verortet die Agierenden im adäquaten Raum: „Die körperliche Hexis, eine Grunddimension des sozialen Orientierungssinns, stellt eine praktische Weise der Erfahrung und Äußerung des eigenen gesellschaftlichen Stellenwerts dar: Das eigene Verhältnis zur sozialen Welt und der Stellenwert, den man sich in ihr zuschreibt, kommt niemals klarer zur Darstellung als darüber, in welchem
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Ausmaß man sich berechtigt fühlt, Raum und Zeit des anderen zu okkupieren – genauer den Raum, den man durch den eigenen Körper in Beschlag nimmt“ (Bourdieu, 1982, S. 739, Herv. im Original). Mit ihrer Praxis perpetuieren sie nicht nur ihre Sicht auf die neu eingenommene Position65, sondern oktroyieren diese auch den anderen Personen. Ihrer Interpretation nach bedarf es einer Versicherung der Intaktheit der Beziehung, „bevor […] (sie) wieder zu einem gewissen Maß an ritueller Entlastung in der Lage ist“ (Goffman, 1974, S. 106). Ihre innere Haltung, nur das nötigste Mindestmaß an Kollegialität zugunsten der Hierarchisierung aufzugeben, macht es erforderlich, das soziale „Netz (zu) überprüfen und zwar häufig durch die Aufnahme von Kontakten, denen ein weniger prekärer, vorgeschobener Zweck zugeschrieben werden kann“ (Goffman, 1974, S. 106). Immerzu besteht die Gefahr, dass „das Zusammenspiel der verschiedenen Positionen zusammenbricht“ (Goffman, 1973a, S. 153): „Also, so langsam wird es wieder besser. Aber kann sein, wenn von Kiel was kommt und ich was durchdrücken muss gegen die Kollegen, dann bin ich wieder draußen, also aus dem Klüngel. Das ist nicht gut. Das fällt mir auch schwer. Das ist nicht so schön.“ (Frau Kipke, Z. 231-233)
7.4.4 Konsequenzziehung: „Aber jetzt wollte ich das durchziehen“ Fehlte dem dargestellten Typus bislang „eine gewisse strategische Grundausrichtung seiner Handlungs- und Lebensführung“ (Willems, 2010, S. 266), so setzt in der Phase der endgültigen Übernahme erstmals eine eklatante Zielgerichtetheit ein. Der Habitus der Proband/innen, der einerseits „ursächlich für eine gewisse aktive Hinnahmebereitschaft ihrer Lebenslage und ihr Einverständnis mit den sozialen Gegebenheiten“ (Suderland, 2009, S. 74) ist, bewirkt andererseits eine
65 Dies geschieht vorbewusst, da sie in Momenten bewusster Reflexion abgrenzende Verhaltensweisen favorisieren. Ihr Körper zeigt ihnen hier jedoch ihre habituell geprägten Grenzen auf: „Was der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern das ist man“ (Bourdieu, 1987, S. 135). Hier zeigt sich abermals die eklatante Differenz zwischen den Typen: Während der Typus „risikoloses Probehandeln“ keinen Rollenwechsel antizipieren kann und der Typus „Abgrenzungsneigung“ diesen bereits zu einer frühen Phase der Statuspassage realisiert, fühlen sich die Proband/innen des Typus „handelnder Positionsanstieg“ zu einem ostentativen Rollenwechsel veranlasst, verwirklichen diesen jedoch nicht.
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Aktivierung aller Ressourcen mit dem Ziel, die neue Rolle eben nicht nur hinzunehmen, sondern bestmöglich auszufüllen. Es gilt, die bewährte Anerkennungsstrategie des erfolgreichen Agierens zu erhalten und im Sinne einer „Aufrechterhaltung expressiver Identifizierbarkeit“ (Goffman, 1977, S. 318) dem eigenen Stil treu zu bleiben, um „ein Image von sich zu wahren, das vor den anderen zu bestehen vermag“ (Goffman, 1974, S. 252). An anderer Stelle war diese Positionsübernahme bereits mit Schütze als biographisch relevantes Handlungsschema bezeichnet worden. Schütze hebt weiter hervor, dass „das Intentionale an biographisch relevanten Handlungsschemata […] nicht in einer (zumeist gar nicht visierbaren) rationalen Schritt-für-Schritt-Planung (liegt), sondern in der ‚Hereinnahme‘ späterer Handlungsstrategien“ (Schütze, 1981, S. 87). Die Aussage von Frau Kipke dokumentiert eindringlich die neu hinzugezogene Handlungsstrategie des Typus „handelnder Positionsanstieg“: „Dann hab ich gedacht: Nee, ich hab hier die Vorarbeit geleistet. Ich will das auch haben.“ (Frau Kipke, Z. 108-109)
Mit Bourdieu ist das Hinzuziehen einer weiteren Handlungsstrategie jedoch weniger intentional als vielmehr habituell motiviert: „Die vom Habitus suggerierten Orientierungen können mit strategischen Kosten-Nutzen-Rechnungen einhergehen, die die Operationen, die der Habitus nach seiner eigenen Logik vollzieht, tendenziell bewusst werden lassen“ (Bourdieu, 1996, S. 165, Herv. W. B.-N.). Folglich ist die kommunikativ vermittelbare Zielsetzung, aus der vorab getätigten Investition nun auch den Ertrag ziehen zu wollen, zwar nachvollziehbar, konfligiert jedoch mit der geringen Positionsorientierung dieses Typus. Es scheint geboten, die kommunikative Sinnebene erneut zu verlassen, um die dahinterliegende Handlungslogik näher erfassen zu können. Der Typus „handelnder Positionsanstieg“ verfügt über eine inhärente personale Identität, die oben bereits als Fertigkeitshabitus bezeichnet wurde und die ihm bereits lange Zeit vor der Bewerbung zu einer autoritativen Position verhalf. Stegbauer subsumiert unter dem Begriff personale Identität, „dass Personen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich aus den im Laufe des Lebens durchschrittenen unterschiedlichen Positionierungen […] ergeben haben“ (Stegbauer, 2010, S. 139). Die vergangenen – habituell erzeugten – Ausgangsbedingungen beeinflussen und formen nun die gegenwärtige Praxis, da „die, durch situative Handlungen entstehenden, gegenseitigen Erwartungen zum Ausdruck“ (Stegbauer, 2010, S. 139) gebracht worden sind. Diese Erwartungen implizieren auch einen gewissen Handlungsdruck, der auf den Personen lastet:
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„Die Eltern, die hier gerade sind, die wollten mich, die haben gesagt: Machen Sie das. Wir wollen hier keinen anderen.“ (Frau Kipke, Z. 196-198) „Und zum Schluss hat eben das ganze Kollegium gesagt: Komm, mach das. Wir wollen das gar nicht mehr anders. […] Wir wollen das eigentlich so wie das ist, so wollen wir das lassen.“ (Frau Meisner, Z. 45-47)
Der Erwartungshaltung des sozialen Feldes – „das (Anm.: die Reaktion der anderen) hat mir auch gezeigt, dass das, was ich bisher gemacht hab, gut war“ (Frau Kipke, Z. 85-86) –, die darin besteht, es mit einer Person zu tun zu haben, die sowohl für die Schulleitungsposition befähigt als auch einsatzbereit ist, wird entsprochen durch die „Art, sich darzustellen, den richtigen Ausdruck zu verleihen, aus ihrer Darstellung Ausdrucksweisen auszuschließen, durch die der hervorgerufene Eindruck entwertet werden könnte“ (Goffman, 1973a, S. 62). Eine Orientierung an den „zahlreichen Maßstäbe(n), nach denen man sie […] beurteilt“ (Goffman, 1973a, S. 229), ist insbesondere bei den Probandinnen Frau Kipke und Frau Meisner offenkundig, da für diese durch die Bewerbung an der eigenen Schule keine „‚Segregation‘ des Publikums“ (Goffman, 1973a, S. 46) ausführbar ist. Sie werden von den Personen gewählt, mit denen sie bislang ein Ensemble bildeten, da sich der Schulleitungswahlausschuss aus Lehrkräften, Eltern und Vertreter/innen des Schulträgers zusammensetzt. Eine emotionale Bindung kann nicht aufgehoben werden, da die „[…] Technik, die Gefahr von Gefühlsbindungen zwischen Darstellern und Zuschauern zu bannen, (darin) besteht […], periodisch das Publikum zu wechseln“ (Goffman, 1973a, S. 195). So ist es dann auch nicht nur die Bewerberin selbst, die das Procedere bis zur endgültigen Ernennung durchläuft, sondern der Prozess umschließt in der Rahmung eines Wir-Gefühls das gesamte berufliche Umfeld: „Ich hab mich dann dadurch ermutigt, hab ich mich dann beworben. Aber meine Bewerbung kam zu spät für die zweite Wahl. Naja, dann mussten wir das ganze abwarten.“ (Frau Meisner, Z. 37-38)
Mit dieser Bindung geht das Bedürfnis einher, die bisherige Rollenstabilität aufrecht zu erhalten. Goffman spricht hinsichtlich einer Kontinuität des Eindrucks vor sich selbst und dem sozialen Feld auch von Rollenverpflichtung66, die das Individuum empfindet, wenn es eine Rolle regelmäßig ausübt. Komplementär
66 Gelegentlich verwendet er auch den Begriff „Rollen-Bindung“ (Goffman, 1974, S. 441).
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dazu verhält sich die oben bereits angesprochene Erwartungshaltung, die mit der einmal eingenommenen Positionierung einhergeht: „Und auch meine Rolle damals schon war immer, so auszugleichen […]. Es klappt alles problemlos im Moment. Das sind natürlich für die Lehrer so Argumente zu sagen: So wie es ist, ist es gut und so wollen wir es behalten.“ (Frau Meisner, Z. 71-75)
Die abermals funktionelle Komponente, die der Positionsübernahme dieses Typus zugrunde liegt und die in dieser Phase der Statuspassage in der Ausrichtung an den relevanten Bezugspersonen im sozialen Feld besteht, spiegelt sich auch in Frau Kipkes Erwägungen über die Quantität der ihr zugesprochenen Ratifikation wieder: „Ich weiß, ich bin nicht von allen gewählt worden, vor allem nicht vom Schulträger. Die Lehrer und Eltern haben mich wohl einstimmig gewählt. Also, ich weiß es natürlich nicht genau. Aber ich weiß natürlich, wie viele Stimmen ich bekommen habe. Und ich bin mir ziemlich sicher, auch so einigermaßen zu wissen, wer aus dem Schulverband mich nicht gewählt hat. Die hätten sicher lieber jemanden Neues gehabt oder ein junger Mann war mein Kontrahent. Das hätten die besser gefunden. Aber jetzt wollte ich das durchziehen.“ (Frau Kipke, Z. 45-51)
Obgleich die Kosten für das Individuum bei einem innerschulischen Positionswechsel besonders hoch sind, fühlt sich auch Herr Wilde trotz seiner Bewerbung an einer anderen Schule unter „sozialer Kontrolle“ (Goffman, 1974, S. 448), die nicht enttäuscht werden soll: „Ich hatte ein sehr offenes Kollegium mit sehr vielen ganz, ganz engen Beziehungen zu den Kollegen und die haben das immer mitbekommen.“ (Herr Wilde, Z. 137-138)
Insbesondere innerhalb desselben sozialen Feldes hätte eine erfolglose Bewerbung gravierende „Konsequenzen auf drei abstrahierbaren Ebenen: Persönlichkeit, Interaktion und soziale Struktur“ (Goffman, 1973a, S. 222). Ein Missverhältnis zwischen Fremd- bzw. Selbstzuschreibung und faktischem Bewerbungserfolg würde im künftigen alltäglichen Umgang sicher weiterwirken und nicht absehbare Konsequenzen nach sich ziehen. Diesen Verlust von symbolischem Kapital im Sinne von Ruf und Reputation gilt es zu verhindern. Während die Transformation der bisherigen Anerkennung in das entsprechende Votum für die Übernahme der Schulleitungsposition im Falle Frau Meisners nicht gefährdet ist, da sie bis zum Schluss die einzige Bewerberin bleibt, tauchen in der Endphase
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der Bewerbung unerwartet bei Herrn Wilde und Frau Kipke konkurrierende Bewerber/innen auf. Insbesondere bei der Probandin Frau Kipke handelt es sich dabei um „die Begegnung zweier Geschichten“ (Bourdieu, 2001, S. 193). Bei ihrem Konkurrenten handelt es sich um den Probanden Herrn Hagen vom Typus „Bestätigungsbedürfnis“: „Also, vielleicht ist das ein Vorurteil, ich weiß es nicht. Aber Grundschullehrer gibt es ja nun sehr wenig. Und wenn man dann Grundschullehrer ist, dann denkt man wahrscheinlich auch, dann muss ich auch Schulleiter werden. Genauso wie der, der sich mit mir beworben hat. Der war gerade mal ein Jahr im Schuldienst und hat ein Jahr unterrichtet und hat sich jetzt schon als Schulleiter beworben. Das sind so Dinge, die finde ich nicht gut. Ich denke, man soll dann wirklich erst mal so ’n bisschen Berufserfahrung sammeln mit den Kindern und mit Lehrerdasein und mit alledem, was dazu gehört, damit man auch ’ne Schule leiten kann. Und wenn man nur ein Jahr gearbeitet hat, geht das irgendwie nicht.“ (Frau Kipke, Z. 283-291)
Obiges Zitat verdeutlicht, dass Frau Kipke hinsichtlich der Kapitalressourcen, über die angehende Schulleitungen verfügen sollten, eine Bewertung anlegt, die von ihrem Standpunkt im sozialen Feld bestimmt ist und ihre eigene Kapitalstruktur als besonders qualitätsvoll beurteilt. Hier kann gezeigt werden, „wie in einer Ökonomie der Praktiken um symbolische Güter gekämpft wird und welche sozialen Akteure in diesem Kampf privilegierte oder weniger privilegierte Positionen im sozialen Raum einnehmen“ (Hillebrandt, 2009, S. 189). Es handelt sich um einen positionellen Machtkampf zwischen „den Arrivierten und den Herausforderern, den Alteingesessenen und den Neulingen“ (Bourdieu, 1982, S. 366), der sich hier – genauso wie beim Probanden Herrn Lohse vom Typus „Abgrenzungsneigung“ – entlang der Differenzgrenze Alter vollzieht (vgl. auch Kapitel 7.2.4). Frau Kipke vertritt eine Bewertungsstruktur, die sich auch bei den älteren Kolleginnen und Kollegen des Probanden Herrn Lohse dokumentierte und der nach Bourdieu die „Hysteresis der Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien“ (Bourdieu, 1982, S. 239) zugrunde liegt. Die Wertschätzung einer Aufstiegspraxis, der eine langjährige Lehrtätigkeit vorausgeht, der zufolge die aufstiegsinteressierte Person zum Zeitpunkt der Bewerbung nicht nur berufliche Erfahrung, sondern ebenso ein fortgeschrittenes Alter vorzuweisen hat, besteht nach wie vor. Dies zeigt sich sowohl an den positiven und Karriere befürwortenden Fremdzuschreibungen, die dem Typus „handelnder Positionsanstieg“ entgegengebracht werden, als auch an der offenen Ablehnung, mit der sich der junge Proband Herr Lohse vom Typus „Abgrenzungsneigung“ auseinandersetzen muss. Dennoch beugen sich dieser Doxa keinesfalls alle Aufstiegsaspiran-
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ten und „die Unbestimmtheit der […] modernisierten Berufe bringt es allgemein mit sich, daß die Heterogenität der Laufbahnen besonders stark ausgeprägt ist und sich hier fast stets zwei Gruppen unterscheiden lassen, die […] bei der Bestimmung des Postens und der für seine Ausübung notwendigen Kompetenzen und Qualitäten mehr oder weniger offen in Gegensatz zueinander treten“ (Bourdieu, 1982, S. 564). Zudem zeigt die Titulierung „mein Kontrahent“ (Frau Kipke, Z. 50), die Frau Kipke für den konkurrierenden Bewerber wählt, dass sie sich der Überlegenheit der ihr inhärenten Kapitalstruktur in der Wahrnehmung des Feldes nicht gänzlich sicher ist und sich in diesem „Einschätzungswettkampf“ (Willems, 1997, S. 56) durchaus mit einer ernstzunehmenden Gegnerschaft konfrontiert sieht. Herr Hagen, der Konkurrent von Frau Kipke, bewirbt sich nach fünfjähriger Berufstätigkeit „sich dabei lösend von den verinnerlichten Hemmungen, (denen zufolge man sich z.B. mit 50 noch ‚zu jung‘ fühlt, um ‚vernünftigerweise‘ seinen ‚Anspruch‘ auf eine Stellung, auf Amt und Würden ‚geltend zu machen‘), ‚sich einen Weg zu bahnen‘, ‚Etappen zu überspringen‘ und auf diese Weise ihre Vorgänger vorzeitig als ‚alte Eisen‘ abzustempeln“ (Bourdieu, 1982, S. 746). Sein Versuch einer Perspektivübernahme sei hier aufgegriffen: „Interessant ist auch die Altersstruktur. Es gibt Kollegen, die erst sehr spät auf den Trichter gekommen sind. Das ist bei vielen Frauen der Fall. Es sind eher ältere Frauen, die sich darum bemühen. Wie auch die, die sich mit mir da beworben hatte. Die vielleicht das Gefühl haben: Jetzt bin ich in ’ner Position, wo ich so viel kann und weiß, jetzt will ich auch nicht, dass wieder ein jüngerer Depp kommt und das macht und mir sagt, was ich machen soll. Diese Motive sind auch da. Dass sie wissen: Ich kann das und will das auch machen […]. Das ist eher bei Frauen. Männer, das sind in der Regel doch eher die jüngeren. Vielleicht traun die sich das eher noch eher zu.“ (Herr Hagen, Z. 493-501)
Herr Hagen thematisiert in obiger Sequenz die Praxis von Frau Kipke „die Erfahrung gegen das (angelernte) Wissen ausspielen“ (Bourdieu, 1982, S. 134) zu wollen und spricht dieser auch eine Erfolgsaussicht zu, wenngleich er sie für seinen eigenen Karriereweg nicht in Erwägung zieht: „Und dann war eigentlich, das wusste ich vorher dann auch, lange bevor die Wahl anstand, und von daher war schon klar, dass die Chancen nicht besonders hoch sind für den, der von außen kommt, gegen die, die das sowieso schon länger macht, sich durchzusetzen.“ (Herr Hagen, Z. 139-142)
Nachdem der primäre Aspekt der Konsequenzziehung des Typus „handelnder Positionsanstieg“ – eine erfolgreiche Bewerbung zur Wahrung der feldimmanen-
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ten Erwartung und Perpetuierung der eigenen Rollenverpflichtung – deutlich geworden ist, soll abschließend mit der Betrachtung der Netzwerkbildung noch ein zweiter Grundgedanke der hier vorliegenden Konsequenzziehung aufgegriffen werden. In Kapitel 7.4.2 war zum einen bereits geschildert worden, über welch vielfältige Kontakte dieser Typus aufgrund seiner sich sukzessiv vollziehenden Statuspassage verfügt. Zum anderen klang an dieser Stelle bereits an, dass die Proband/innen dieses Netzwerk hinsichtlich der allumfassenden positiven Fremdzuschreibung wertschätzen, jedoch mit Hilfe dessen keinerlei strategische Profiterzielung anstreben oder eine Dynamisierung ihrer Karriere herbeiführen wollen. Fröhlich weist darauf hin, dass „das Sozialkapital […] von Bourdieu-Zitierenden sehr oft falsch definiert (wird), nämlich als Summe der Beziehungen; es ist jedoch bei Bourdieu die Gesamtheit der Ressourcen aufgrund der Zugehörigkeit zu Gruppen, Beziehungsnetzen – und die Profitraten unterscheiden sich je nach Position des Agenten bzw. Akteurs“ (Fröhlich, 2009, S. 333, Herv. im Original)67. Diesen Einwand berücksichtigend, soll hier nun noch einmal das soziale Kapital dieses Typus unter dem Blickwinkel auf dessen Handhabe nach der endgültigen Amtsübernahme betrachtet werden. Bisher nicht intendiert, steht nun für die neuen Schulleitungen dieses Typus durchaus der Ausbau ihres sozialen Kapitals zu „Kontaktressourcen“ (Hennig, 2010, S. 184) im Fokus, um künftig „wertvolle Ressourcen in Form von Kontakten oder Hilfeleistungen in spezifischen Interaktionen“ (Hennig, 2010, S. 184) rekrutieren zu können68: „Jetzt in den Sommerferien hab ich dieses dreitägige Seminar gemacht für neue Schulleiter. Und hab mich eben auch mit Schulleitern, die ich jetzt durch meine lange Zeit als
67 Im Original: Soziales Kapital ist „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen […], die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen des gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind; oder anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (Bourdieu, 1992a, S. 63). 68 Trotz nun gesteigerter und zunehmend intentionaler Netzwerktätigkeit dieses Typus und einer „Veralltäglichung des Netzwerkbegriffs“ (Willems, 2010, S. 259) fällt die Bezeichnung Netzwerk in keinem der geführten Interviews. Möglicherweise lässt sich dies als Hinweis auf ein Spezifikum dieses Feldes und seiner sozio-kulturellen Ausrichtung werten, der zufolge strategische Aufstiegsplanung mit entsprechenden Formen „des (Selbst-)Werbens, der Image-Arbeit und des (Selbst-)Ver-marktens“ (Willems, 2010, S. 266) im diskursiven Bewusstsein weniger präsent ist als beispielsweise im politischen oder wirtschaftlichen Feld.
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Stellvertreterin oder kommissarische –, da hat man sich mal ausgetauscht.“ (Frau Meisner, Z. 107-109)
Auch die Probandin Frau Kipke, die im Verlauf ihrer Karriere schon zahlreiche Schulleitungsdienstversammlungen besucht hat und sich in den Phasen ihrer „Interims“-Amtszeiten mit dem Gefühl der Isolation aufgrund ihrer undefinierten Position arrangiert hatte, strebt nun Kontaktverdichtung an: „Da fühlte ich mich manchmal schon ziemlich irgendwo allein, weil mich dann auch keiner ansprach, weil keiner so genau wusste, wer ich war. Jetzt wissen es vielleicht schon viele, aber man muss da seine Stellung auch erst mal finden. Schulleiterdienstversammlungen, die in X sind, sind einfach zu groß. Ich kenne zwar viele vom Sehen, aber die haben auch alle so ihren Klüngel. Da muss man jetzt erst mal reinkommen.“ (Frau Kipke, Z. 259-263)
Während die Vorgehensweise des „Reinkommens“ bei der Probandin Frau Kipke ebenso wie die avisierte Zweckdienlichkeit der Zugehörigkeit zum „Klüngel“ – „Deswegen hoffe ich, dass in diesem neuen Kreis da ’ne Menge ist.“ (Frau Kipke, Z. 270-271) – noch recht vage erscheinen, dokumentiert sich bei Herrn Wilde prägnanter die Netzwerkbereitschaft zum Ziel der optimalen „Verwertung des eigenen ökonomischen und kulturellen Kapitals“ (Bourdieu, 1982, S. 529): „Und hier im Arbeitskreis ist das einfach nett. Das sind ganz unterschiedliche Leute. Das ist einfach-. Die meisten empfinde ich als sehr offen. Das finde ich ganz toll. Die meisten kann ich jederzeit anrufen, wenn ich Probleme hab. Mach ich auch. Frau X und Frau X ja sowieso. Das finde ich ganz spannend.“ (Herr Wilde, Z. 289-292)
Alle reichlich ausgestattet mit kulturellem und symbolischem Kapital können sie dieses durch ihren sozialen Zusammenhalt noch steigern, den sie demzufolge mit Kontinuität verfolgen. Bourdieu merkt an, „daß jede Gruppe von Handelnden durch ständige Pflegearbeit ein bevorzugtes Netz praktischer Beziehungen zu unterhalten trachtet“ (Bourdieu, 1987, S. 299), welches nicht primär auf der Grundlage von Sympathie konstituiert ist: „Wir haben da auch so ’nen Arbeitskreis und da trifft man sich regelmäßig und da kann man alles loswerden.“ (Frau Meisner, Z. 255-256)
Noch scheint die Ressource der sich neu herausbildenden Netzwerktätigkeit recht einseitig insbesondere darin zu bestehen, Unterstützung hinsichtlich der
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eigenen Anliegen zu erhalten. Die Handlungspraxis dieses Typus wird erst in der Zukunft zeigen, inwieweit sie die Wesensart des Netzwerkens, der zufolge „Beziehungen als Transaktionen konzipiert“ (Hennig/Kohl, 2011, S. 39) sind und einen wechselseitigen Tauschwert implizieren, beherzigen können. Merkmalskombinationen des Bewältigungserlebens der Statuspassage des Typus „handelnder Positionsanstieg“ Situativer Kontext marginalisierter Stellenwert der Qualifizierung
Qualifizierungswahl: „TvaS“
hohe positionelle Mobilität
Ausgangspositionierung: hervorgehobene autoritative Position
Intention
Selbst- und Fremdzuschreibung: Fertigkeitshabitus
hoher Ermutigungserhalt
Legitimation der neuen Position durch Erwerb symbolischen Kapitals
endgültige Positionsübernahme erhält hohe Gewichtigkeit und erfordert Auseinandersetzung mit Rollenwechsel
Interaktion
hohe Relevanz des Ermutigungserhalts
Bewältigung der Statuspassage
Offenlegungstaktiken in Folge der Ausgangspositionierung und Felderwartung sekundär viel förderliches soziales Kapital
Konsequenzziehung Bewerbung evoziert Erfolgsbestreben zur Wahrung der feldimmanenten Erwartung und aufgrund der eigenen Rollenverpflichtung verstärkte Netzwerktätigkeit
7.5 Z USAMMENFASSUNG In der vorangegangenen sinngenetischen Typendarstellung wurden vier Typen präsentiert, die die in dieser Untersuchung ermittelten Bewältigungsformen der Statuspassage ins Schulleitungsamt abbilden. Es wurde verdeutlicht, welche Handlungsmuster aus den jeweiligen Orientierungsrahmen resultieren. Anhand der Aspekte des situativen Kontextes, der Interaktionen und Intentionen sowie der sich daraus entwickelnden Konsequenzziehungen ließen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Typen zeigen, die nicht nur dem einzelnen Akteur zu eigen sind, sondern bei denen es sich um „überindividuelle Dispositionen“ (Bourdieu, 2001, S. 201) handelt.
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Die wichtigsten Konsequenzen dieser sinngenetischen Typologie werden in diesem Kapitel noch einmal zusammenfassend aufgeführt. Nachdem die Darstellung der Typologie abgeschlossen ist, kann nun auch Bourdieus modifiziertes Raummodell um die dritte Dimension erweitert werden:
Die Pfeile bilden die zeitliche Dimension ab, die sich bei zwei Probanden des Typus „Bestätigungsbedürfnis“ und einer Probandin des Typus „risikoloses Probehandeln“ abzeichnet. Diese angedeutete Entwicklung zeigt, dass die Orientierungsrahmen nicht starr, sondern über eine längere Zeitspanne hinweg potentiell durchaus veränderbar sind. Bei der Probandin Frau Krug vollzieht sich eine Neuorientierung von der Merkmalskombination „risikoloses Probehandeln“ zum Bewältigungskonzept „Bestätigungsbedürfnis“; zwei Probanden des Typus „Bestätigungsbedürfnis“ hingegen entwickeln sich im zeitlichen Verlauf sukzessive von diesem weg und orientieren ihre Verhaltensstrategien nunmehr an denen des
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Typus „Abgrenzungsneigung“. Die Analyse der Orientierungsrahmenmodifikation gab Aufschluss darüber, worauf diese Veränderungen zurückzuführen sind (vgl. Kapitel 7.1.5 und 7.3.5). Die Soziogenese greift diesen Aspekt noch einmal unter dem Blickwinkel auf Geschlechterkonstruktionen auf. Die Statuspassage ins Schulleitungsamt wird von den Agierenden unter heterogenen Vorstellungskonstruktionen darüber vollzogen, welche Spielzüge die richtigen sind. „Individuen verfolgen typische Verhaltensstrategien (‚lines‘), d.h. ein Muster sprachlicher und nichtsprachlicher Handlungen, durch die Handelnde ihrer Einschätzung der Situation, der anderen Beteiligten und vor allem ihrer eigenen Person Ausdruck verleihen. Durch die Verfolgung einer bestimmten Verhaltensstrategie in der sozialen Situation produziert das Individuum ein bestimmtes Bild von sich“ (Knoblauch, 1994, S. 24). Ebendieser modus operandi wurde im Verlauf des Forschungsprozesses – im Sinne eines induktiven Vorgehens, demzufolge die Forscherin „nicht von vornherein davon aus(ging), dass sie mehr (weiß) als die Erforschten, sondern zunächst davon, dass die Erforschten selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen“ (Bohnsack, 2007, S. 198)69 – rekonstruiert. Es zeigte sich, dass die Proband/innen ihre Handlungen ihrem Orientierungsrahmen gemäß ausrichten, der hoch mit ihrer Ausgangspositionierung korreliert. Die aufstiegsinteressierten Lehrkräfte begannen ihre Statuspassage aus einer Position heraus, aus der sich Zwänge und/oder Möglichkeiten ableiten. „Die gesellschaftlichen Akteure […] sind an einem bestimmten Ort des sozialen Raumes situiert, einem unterschiedenen und unterscheidenden Ort, der durch die relative Position gekennzeichnet ist, die er in Beziehung auf andere Orte (darüber, darunter, dazwischen usw.) einnimmt“ (Bourdieu, 2001, S. 172). Bei den Personen, aus denen sich die jeweiligen Typen formieren, handelt es sich um Akteure, die sich im schulischen Feld bewegen und innerhalb dieses Interesse am Aufstieg in eine Führungsposition vorweisen. Sie haben sich auf diesen Weg, im bourdieuschen Sprachgebrauch: auf dieses Spiel, eingelassen, „was besagt, daß es kein Spiel gäbe ohne innere (tief, nämlich körperlich, empfundene) Teilnahme am Spiel, ohne jenes Interesse am Spiel selbst, das den unter-
69 Bourdieu beschreibt dies wie folgt: „Der in die Praxis eingebundene Akteur erkennt die Welt […]. Er erfaßt sie in gewisser Hinsicht nur zu gut, nämlich ohne objektivierende Distanz, als etwas, das sich von selbst versteht, eben deswegen, weil er sich von ihr umfangen findet, weil er mit ihr eins ist, weil er sie bewohnt wie ein gewohntes Kleidungsstück oder wie eine vertraute Wohnstätte. Er fühlt sich in der Welt zu Hause, weil die Welt in Form des Habitus auch in ihm zu Hause ist“ (Bourdieu, 2001, S. 183).
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schiedlichen, ja entgegengesetzten Interessen der verschiedenen Spieler zugrunde liegt, den Wünschen und Bestrebungen, die sich erfüllen und die, durch das Spiel hervorgebracht, von der Position abhängen, die sie darin innehaben“ (Bourdieu, 2001, S. 196f.). All diese signifikanten Gesichtspunkte, die Bourdieu in obigem Zitat komprimiert, wurden in den Typendarstellungen eingehend veranschaulicht und sollen nun noch einmal zusammengefasst und in Abgrenzung zu den jeweils anderen Typen betrachtet werden. Führt man sich erneut Bourdieus dreidimensionales Raummodell vor Augen, so lässt sich nun nach Kenntnis der vier Bewältigungstypen eine besonders determinierende Konstellation resümieren, die sich im Typus „risikoloses Probehandeln“ manifestiert. Es handelt sich um die Interdependenz einer ausgesprochen hohen Orientierung an Nähe und Gemeinschaft und einer nur vagen Zielausrichtung. Dieser Typus ist am äußersten Rand des linken unteren Quadranten verortet. Aus diesem Orientierungsrahmen resultiert ein eklatantes Auseinanderklaffen von Fortbildungsaktionismus und Enaktierung des erworbenen kulturellen Kapitals. Zudem ist das aus dieser Position akkumulierte soziale Kapital hinsichtlich seines Einflusses auf einen erfolgreichen Karriereverlauf wertlos, da es nur marginal Ermutigung und Bestätigung hervorbringt. Im Gegenteil: Der bindende Charakter dieser Ausprägung sozialen Kapitals trifft kongruent zur habituellen Prädisposition dieses Typus auf „fruchtbaren Boden“ und erschwert die Weiterführung der Aufstiegsaspiration zusätzlich. Die Orientierungsrahmenmodifikation einer Probandin dieses Typus weist jedoch darauf hin, dass „die Dispositionen […] nicht einfach in bestimmter Weise zu einem bestimmten Handeln (führen): Nur unter geeigneten Umständen und in der Beziehung auf eine bestimmte Situation enthüllen und äußern sie sich“ (Bourdieu, 2001, S. 191). So bewirkte ein Wechsel der Qualifizierungsmaßnahme vom „TVaS“ zum Studiengang „Master für Schulmanagement und Qualitätsentwicklung“ eine Dynamisierung des Statuspassagenverlaufs durch einen neuen Zugang zu sozialem Kapital anderer Ausprägung. Dieses löste eine sich selbst verstärkende Progression aus. Entscheidend ist dabei – den bourdieuschen Gedanken des Hysteresiseffekts bedenkend – die lange Zeitspanne von zwei Jahren, in der zugleich das Kapital akkumuliert als auch der Habitus moderat modifiziert werden konnte. So kann letztlich eine Entwicklungstendenz hin zu höherer Zielbewusstheit in Bourdieus Raummodell abgebildet werden. In räumlicher Nähe zum Typus „risikoloses Probehandeln“ wurde aufgrund der ebenfalls signifikanten Vagheit der Zielausrichtung und gemeinschaftlichen Orientierung der Typus „handelnder Positionsanstieg“ verortet. Beide Faktoren haben bei letzterem Typus jedoch eine weniger ausgeprägte Intensität und demzufolge eine geringere Restriktionskraft als bei den Probandinnen des Typus „ri-
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sikoloses Probehandeln“. Jegliches Handeln der Proband/innen vom Typ „handelnder Positionsanstieg“ vollzieht sich aufgrund der sich über Jahre hinweg allmählich entwickelnden – und keinesfalls nur aufwärtsgerichteten – Statuspassage aus einer den Karriereverlauf begünstigenden Position heraus. Durch die große Wertschätzung, die das Durchlaufen unterschiedlicher Positionen im schulischen Feld erfährt, kann ein beträchtliches Maß an symbolischem Kapital akkumuliert werden, welches auch bei zwischenzeitlichen Positionsniederlegungen weiterwirkt. Die habituelle Vorprägung ist derart auf einflussnehmendes, verantwortliches und führendes Handeln ausgerichtet – jedoch unter Bewahrung kollegialer Verbundenheit –, dass es zu dessen Verifizierung keiner Amtsübernahme bedarf und sich die Positionierung auch nach einem Schulwechsel sogleich „zwangsläufig“ erneut danach ausrichtet. Da die Übernahme einer rechtskräftigen Position für diesen Typus sekundärer Natur ist, wirkt hier letztlich die „informelle soziale Kontrolle“ (Goffman, 1974, S. 448) handlungsgenerierend. Während ebenjener Kontrollfunktion des sozialen Feldes beim Typus „risikoloses Probehandeln“ ein hemmender Effekt zukommt, evoziert sie in diesem Fall einen karriereaffirmativen Selbstanspruch angesichts des entgegengebrachten und entsprechend gedeuteten Fremdanspruchs. Entscheidend ist hierbei vorwiegend der hohe Aufforderungscharakter des sozialen Kapitals in Kombination mit der gehobenen Erwartungshaltung, weniger die Tatsache, dass dieser Typus – konträr zum „risikolosen Probehandeln“ – nicht nur über statusgleiches bzw. -niedrigeres, sondern auch über statushöheres soziales Kapital verfügt. Der marginale Stellenwert des Erwerbs kulturellen Kapitals aus der Qualifizierungsmaßnahme resultiert bei diesem Typus aus der sich im Verlauf vieler Jahre aufgeschichteten und in Führungspositionen erworbenen Erfahrung, aufgrund derer er über ein implizites Wissen verfügt. Infolge seines modus operandi – der phasenweisen Inbesitznahme unterschiedlicher Führungspositionen – und der damit einhergehenden hohen sozialen Sichtbarkeit kann dieser Typus – trotz einer ähnlichen Orientierung hinsichtlich vager Zielausrichtung und Präferenz sozialer Nähe – nicht als eine Weiterführung des Typus „risikoloses Probehandeln“ angesehen werden. Der Typus „handelnder Positionsanstieg“ schöpft die im Feld verfügbaren Möglichkeiten deutlich wirkungsvoller, obschon nicht intendiert, aus und kann seine langwierige Positionsmobilität als „Sprungbrett“ für eine gemächliche Karriere nutzen70. Trotz der recht positiven Prognose dieses Vorgehens und
70 Millers Studie brachte hervor, dass 60% der von ihr befragten Schulleitungen im Vorfeld ihrer Ernennung bereits das Amt der stellvertretenden Schulleitung ausgeübt hatten. Ihre Untersuchung zeigt jedoch weiterhin, dass dies nur eine der möglichen Auf-
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der letztlich erfolgreichen Statuspassage der befragten drei Personen impliziert diese Strategie einen prekären Sachverhalt: Gelingender Aufstieg geschieht hier nur in Korrelation mit hoher Stellenvakanz. Aufgrund der geringen eigenen Bereitschaft zur aktiven Bewerbung bleibt fraglich, ob es bei diesen Proband/innen ohne die hohe Disponibilität zu besetzender Schulleitungsposten je zu einer Amtsübernahme gekommen wäre. Ein rascher und konsequenter Weg ins Schulleitungsamt wurde in der Darstellung des Typus „Abgrenzungsneigung“ aufgezeigt, der im Raummodell maximal mit dem Typus „risikoloses Probehandeln“ sowohl hinsichtlich der Orientierung an Nähe bzw. Abgrenzung als auch in Bezug auf die Zielbewusstheit kontrastiert. Dieser Typus sieht sich aufgrund seiner Distinktionspraktiken und seines augenfälligen Aufstiegsbestrebens ebenfalls mit sozialer Kontrolle konfrontiert. Diese induziert bei ihm jedoch keine korrektive Aktivität, so dass sie wirkungslos bleibt (vgl. auch Goffman, 1974, S. 449f.). Er agiert aus einer recht abgegrenzten Ausgangspositionierung heraus, die ihm den Ablöseprozess erleichtert, jedoch auch wenig Ermutigung hervorbringt. In der Typendarstellung konnte indes eine Unabhängigkeit vom Ermutigungserhalt von Seiten des originären sozialen Feldes bei gleichzeitigem Forcieren einer Solidarisierung mit ebenfalls aufstiegsinteressierten Lehrkräften gezeigt werden. Der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Statuspassage ins Schulleitungsamt liegt demnach nicht im Ausmaß der erhaltenen Ermutigung und Bestätigung allein, sondern primär in der Ausgangspositionierung und den damit verbundenen Möglichkeiten des bereits verfügbaren und künftig zugänglichen Kapitals. Ob eine von Berufsbeginn an geringe Integration ins Kollegium letztlich Überlegungen hinsichtlich eines positionellen Aufstiegs begünstigt, kann auf Basis der Datenerhebung dieser Studie nicht beantwortet werden. Wahrscheinlicher erscheint jedoch eine andere Blickrichtung: Selbst wenn die Lehrkräfte des Typus „Abgrenzungsneigung“ in ihr Kollegium integriert sind und eine recht hohe Berufszufriedenheit aufweisen, neigen sie infolge ihres superioren Habitus stets zu einer hohen Aufnahmebereitschaft übergeordneter und sich abgrenzender Positionen. Da sie die Übernahme einer solchen Position auch gegenüber Widerständen behaupten und eine gewisse Autonomie gegenüber einer kollegialen Wir-Orientierung vorweisen, scheint es sich bei ihrer Randposition um eine für sie adäquate Ausgangspositionierung für gelingenden Aufstieg zu handeln. Verallgemeinerbar ist dies meines Erachtens jedoch nicht, da auch gezeigt werden
stiegspraktiken ist: 22,8% ihres Samples hatten „gar keine Funktionsstelle und auch kein sonstiges Amt“ vorab inne (vgl. Miller, 2001, S. 192f.).
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konnte, dass die Statuspassage ins Schulleitungsamt gleichwohl aus einer Ausgangspositionierung heraus erfolgreich verlaufen kann, die hinsichtlich der Orientierung an kollegialer Nähe bzw. Abgrenzung maximal zum Typus „Abgrenzungsneigung“ kontrastiert. Dies dokumentiert die Explikation des Typus „Bestätigungsbedürfnis“. Dieser Typus lässt sich im bourdieuschen Raummodell in Bezug auf die manifeste Zielbewusstheit auf gleicher Höhe verorten wie der Typus „Abgrenzungsneigung“, ist, die Eingebundenheit ins soziale Feld betreffend, aber gänzlich anders orientiert. Das hohe Bestätigungsbedürfnis erfordert eine nahe Anbindung an das soziale Feld, jedoch unter einem – konträr zur altruistischen Gesinnung des Typus „risikoloses Probehandeln“ – funktionellen Fokus. Aktive Karriereimpulse werden von den Proband/innen gegeben; die Absicherung durch die dem sozialen Feld entlockte Bestätigung erfolgt dann prompt. Ist die Statuspassage bereits weit fortgeschritten oder sogar beendet, vollzieht sich bei zwei Probanden dieses Typus eine Umorientierung hin zu sich steigernder Abgrenzung. Die aktuale Praxis zum Erhebungszeitpunkt korrespondiert dadurch letztlich mit verschiedenen Merkmalen der Interaktion, Intention und Konsequenzziehung des Typus „Abgrenzungsneigung“. Die Analyse der vier Bewältigungstypen anhand relevanter Gelingensbedingungen und Barrieren zeigte zum einen, dass der Verlauf der Statuspassage einen prozesshaften Charakter mit inhärentem Veränderungspotential – abgebildet an der zeitlichen Dimension – hat. Dies konkretisiert die Annahme der Existenz von Handlungsspielräumen innerhalb der Grenzen, die der Habitus zieht. Zum anderen wurde deutlich, dass zwischen den einzelnen Typen kategorische Grenzen ebenso wie fließende Übergänge bestehen. Nach der zusammenfassenden und vergleichenden Beschäftigung mit den vier herausgearbeiteten Bewältigungstypen wird zudem offenkundig, dass ein Viertel des bourdieuschen Raummodells unbesetzt bleibt. Die Interdependenz einer individuellen, sich abgrenzenden Orientierung und einer nur vagen Zielausrichtung wurde bei keiner bzw. keinem der Befragten ermittelt. Eine Erklärung für diesen Umstand findet sich in der bereits immer wiederkehrend diskutierten Feldbezogenheit der Aufstiegsaspiranten: In der Typologie dokumentierte sich, dass der auf der „Abgrenzungsseite“ befindliche Typus „Abgrenzungsneigung“ trotz seiner distinktiven Orientierung in den Aufbau einer neuen Bezugsgruppe investiert, die ihn durch die Statuspassage begleitet. Hinsichtlich der Erklärungssuche nach Gründen für den leerstehenden Quadranten bedeutet dies, dass Abgrenzung vom originären Feld stets mit Zielkonkretion einherzugehen scheint, da so im Zuge des Abgrenzungspro-
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zesses zugleich eine neue – auf gemeinsamer Interessenslage basierende – Bezugsgruppe generiert werden kann.71 Der Weg zur erfolgreichen Übernahme der Schulleitungsposition ist von zahlreichen Faktoren abhängig, die weit über die bloße Teilnahme an einer der beiden Qualifizierungsmaßnahmen hinausgehen. Die Symbolkraft der Qualifizierungsmaßnahmen scheint hingegen sogar recht gering. Dies überrascht, wenn man Bourdieu folgend davon ausgeht, dass die Kapitalform, die zum Erreichen eines Ziels besessen werden muss, von den Strukturen des jeweiligen Feldes abhängig ist. Kongruent zum schulischen, an der Vermittlung von Bildung und Wissen orientierten Feld scheint eine Vormachtstellung des kulturellen Kapitals auf der Hand zu liegen. Stattdessen dominiert offenbar die Wirkungskraft des sozialen Kapitals. Wie lässt sich dies erklären? Das fakultativ gestaltete Qualifizierungsprocedere führt zu einem Nebeneinander verschiedener Wahlmöglichkeiten mit unterschiedlicher Feldakzeptanz. Je nach habitusspezifischer Auslegung und Bewertung der objektiven institutionellen Angebote wählen die Aufstiegsaspiranten eine Strategie, die gegebenenfalls nicht bestmöglich an das avisierte Ziel, jedoch optimal an die agierende Person angepasst ist. Aus der Perspektive dieser habituellen Strukturgebung heraus bewerten sie die Qualifizierungsangebote und reproduzieren die eigenen Herrschaftsverhältnisse. So ließ sich zeigen, dass von Seiten des Typus „handelnder Positionsanstieg“ den Absolventinnen bzw. Absolventen des „TVaS“ mangelnde Befähigung für Schulleitungshandeln unterstellt wurde, sofern diese noch keine Handlungspraxis (durch langjährige Lehrtätigkeit) erworben hatten. Personen des Typus „Bestätigungsbedürfnis“ wiederum, die im Rahmen des handlungs- und inhaltsorientierten „TVaS“ ihre Bestätigung erhielten, kritisierten den Masterstudiengang als ein „verkopftes Teil“ (Herr Panitz, Z.180). Auf der Mikroebene sprechen die Akteure den anderen Handelnden demnach durch ihre Bewertungsstrukturen Verlierer- oder Gewinnerpositionen zu und werden dadurch selbst zu Faktoren für die Fortentwicklung des Feldes. Sie konkurrieren innerhalb des Feldes um die zur Verfügung stehenden Positionen und erkennen sich gegenseitig die Befähigung an bzw. ab. Aus den vier sinngenetischen Typen wurde erkennbar, dass die Bewertung und Präferenz der Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Erwartungshaltung an diese keinerlei Geschlechterdifferenzen unterliegt.
71 Vorstellbar ist selbstverständlich, dass dieses gemeinsame Interesse sich nicht auf eine Karrierebestrebung bezieht, sondern Distinktion vom kollegialen Feld beispielsweise einhergeht mit einem besonders intensiv ausgeübten außerberuflichen (vielleicht sozialen oder politischen) Engagement mit dazugehörigem Personenkreis, welches die Orientierung am beruflichen Feld sekundär werden lässt.
7. S INNGENETISCHE TYPENBILDUNG
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Die jüngste Qualifizierungsmöglichkeit – der Masterstudiengang –, welcher als Reaktion auf die Professionalisierungsbestrebungen des Schulleitungsberufes zu deuten ist (vgl. Kapitel 3.3), verfolgt eine Strategie, die nach dem Sprachgebrauch der dokumentarischen Methode vorwiegend auf der Ebene des kommunikativen, vermittelbaren Wissens angesiedelt ist. Die klare Zielausrichtung besteht in der Hineinbildung bisheriger Lehrkräfte in einen professionellen Führungskontext. Das „TVaS“ lässt sich hingegen eher auf der Ebene des konjunktiven Handlungsraumes verorten, vermittelt es doch eine Teilhabe an implizitem Wissen, eine starke Praxisausrichtung sowie die Bevorzugung eines schrittweisen Positionsanstiegs. Innerhalb des hier herangezogenen Samples kommt es zu konkurrierenden Realitätskonstruktionen, da die Proband/innen im Rahmen ihres Interesses der eigenen Höherpositionierung versuchen, die fakultativen Qualifizierungsvarianten so zu deuten, dass sie ihren individuellen Prädispositionen am stärksten entsprechen. Die sich hier herauskristallisierende, dem Feld inhärente dynamische Spannung aufgrund der aktuellen strukturellen Inkongruenz kann auf der Makroebene langfristig einen Wandel bewirken und eine Neustrukturierung des Feldes mit veränderten Legitimitäten evozieren. Ob das Potential der Bewahrung oder das der Neugestaltung letztlich größer ist, bleibt gegenwärtig offen und ist, mit Bourdieu gedacht, eine Frage der Verteilung und des Einflusses der herrschenden Positionen. Noch erscheint vielen Proband/innen das Gewohnte als das Adäquate und das Bestreben, zur Ausübung der Schulleitungstätigkeit ein Studium vorauszusetzen, als willkürlicher Eingriff, der zunächst Ablehnung hervorruft. Anhand aller vier herausgearbeiteten Typen wurde deutlich, dass eine Interdependenz zwischen der Wahl des Qualifizierungsangebotes und dem Habitus der Agierenden bzw. ihrer aus dem Habitus hervorgehenden Ausgangspositionierung besteht und die Wahl der Qualifizierungsart wiederum den Statuspassagenverlauf und die Gelegenheit zur „Konvertierbarkeit der verschiedenen Kapitalarten“ (Bourdieu, 1992a, S. 73) beeinflussen kann. Da oben bereits die Gewichtigkeit des sozialen Kapitals betont wurde, kann nun die Synergie der Kapitalsorten resümiert werden, die umso wirkungsvoller ist, je „passender“ die Zusammensetzung der Gesamtstruktur ist. Um das Erscheinungsbild einer passenden Kapitalstruktur zu entschlüsseln und gleichzeitig Zugangswege zu dieser zu definieren, muss noch tiefer in die „spezifische Logik des Feldes“ (Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 139) eingetaucht und bedacht werden, dass die bisher herausgearbeiteten Bewältigungsformen und Orientierungsrahmen nicht nur eines persönlichen, sondern auch eines gesellschaftlich geprägten Einflusses unterliegen: „Der Habitus ist die sozialisierte Subjektivität“ (Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 159).
8. Soziogenetische Analyse
Wurde die Zusammenfassung der sinngenetischen Typenbildung im vorangehenden Kapitel mit Bourdieus Metapher des Spiels eingeleitet, soll nun daran anknüpfend der Frage nach den Teilnahmevoraussetzungen an diesem Spiel um Positionserhöhung nachgegangen werden. Während Bourdieu sogar so weit geht, sich zu fragen: „Gibt es Leute, die daran Interesse haben, den Tisch umzuwerfen und damit dem Spiel ein Ende zu machen?“ (Bourdieu, 1992a, S. 38), soll hier zunächst folgenden Gedankengängen nachgegangen werden: Gibt es Akteure, die bereits mit einem besseren Blatt in das Spiel einsteigen? Resultieren aus einem vorteilhafteren Blatt auch tauglichere Spielzüge? Gibt es gar taktische Winkelzüge, die den anfänglichen Spielkartenwert einflusslos werden lassen? Und letztlich: Wissen die Akteure um ihren eigenen und den Kartenwert ihrer Mitspieler/innen? Diesen Fragen widmet sich die soziogenetische Analyse, die der dokumentarischen Methode folgend nun nach den sozialen Zusammenhängen der zuvor entwickelten Bewältigungsformen einer angestrebten Karriere ins Schulleitungsamt fragt (vgl. Kapitel 5.4). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung impliziert dies die Blickrichtung auf Geschlecht. Um nicht übereilt den Faktor Geschlecht für die Bewältigung der Statuspassage ins Schulleitungsamt relevant zu setzen, wurde zunächst die Praxis der Agierenden und deren habituell geprägte Herangehensweise an den Aufstiegswunsch untersucht. Dabei verlief die Ausdifferenzierung in verschiedene Typen nach der Schwerpunktsetzung der Agierenden hinsichtlich ihrer Orientierung an Nähe und Abgrenzung, Zielbewusstheit und Vagheit. Zwischen den unter einen gemeinsamen Typus subsumierten Proband/innen ließen sich – neben all den bereits dargestellten Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Ausgangssituationen, Interaktionen, Intentionen und Konsequenzziehungen – Unterschiede identifizieren, die wiederum mit Proband/innen gleichen Geschlechts,
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aber anderer Typen identisch waren und auf den Einfluss der Kategorie Geschlecht zurückzuführen sind. Demnach richtet sich der Blick nun auf die Frage, ob und in welchen Kontexten die Agierenden Geschlecht „herstellen“, sowie darauf, ob das soziale Feld in seiner Bezugnahme auf die Aufstiegsbestrebungen der Geschlechterkategorie Bedeutung beimisst. Folglich steht nicht mehr die Bewältigungsform der Statuspassage alleine im Vordergrund, sondern der Einfluss des Geschlechts auf ebendiese. Dabei wird sowohl die Interdependenz zwischen den zuvor analysierten Orientierungsrahmen, die die Proband/innen an das Feld herantragen, und dem Faktor Geschlecht untersucht – der im ersten Schritt bewusst weitestgehend ausgeblendet worden war – als auch die Reaktion und Einflussnahme des Feldes auf das Aufstiegsinteresse der Agierenden. In der soziogenetischen werden ebenso wie in der sinngenetischen Analyse Interviewsequenzen und Fragmente aus den Protokollen der teilnehmenden Beobachtung für den empirischen Nachvollzug dargelegt. Wurden in einem ersten Schritt die Orientierungsrahmen aufstiegsinteressierter Grundschullehrkräfte ausführlich analysiert und diese in der Folge zu Typen zusammengefasst, wird nun der Blick auf das „Prinzip des Kontrasts in der Gemeinsamkeit“ (Bohnsack, 2007, S. 236) und auf Homologien, die ausschließlich innerhalb einer Geschlechtergruppe bestehen, gerichtet. Dadurch lässt sich zeigen, dass die Bewältigungstypik partiell durch die Geschlechtertypik modifiziert wird. Wenngleich keinesfalls alle in der sinngenetischen Typologie herangezogenen Dimensionen unter dem Geschlechteraspekt Relevanz zeigen, konnten Merkmale herausgearbeitet werden, die hinsichtlich ihrer Wechselbeziehung zur Geschlechterkategorie und ihres Einflusses auf den Karriereverlauf diskussionswürdig erscheinen. Diese Merkmale sind auf die Erfahrungsdimension Geschlecht zurückzuführen, da die ihnen zugrunde liegenden Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata auf der Internalisierung sozialer Strukturen basieren, die als legitim angesehen und akzeptiert werden: „Die Sozioanalyse kann uns, indem sie das in die Institutionen wie in uns selber eingegangene gesellschaftliche Unbewußte zutage fördert, ein Mittel an die Hand geben, uns von diesem Unbewußten zu befreien, das unsere Praktiken steuert oder beherrscht“ (Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 80, Herv. im Original).
8.1 S TATUSPASSAGE UND K ONSTRUKTION VON M ÄNNLICHKEIT Die im Folgenden diskutierten Merkmale liegen quer zu den in der sinngenetischen Analyse eruierten Typen, verlaufen geradlinig über alle Typen hinweg und
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ziehen mit ihrem Auftreten eine Geschlechtergrenze. Mit anderen Worten: Sie können auf Grundlage des herangezogenen Samples nur bei männlichen aufstiegsinteressierten Lehrkräften identifiziert werden bzw. werden nur diesen vom sozialen Feld entgegengebracht. Dennoch ist diese Geschlechtergruppe in sich nicht homogen. Hinsichtlich des Eigenanteils der Geschlechterkonstruktion variiert die Intensität der Merkmalsausprägung zwischen den jeweiligen Probanden. Bei den Kriterien, die Geschlecht relevant werden lassen und die auf die Statuspassage einwirken, handelt es sich um geschlechtliche Konstruktionen, die interaktiv vorgenommen werden, vom Feld entgegengebrachte Zuschreibungen und Reaktionen, die eine geschlechtliche Klassifizierung vornehmen sowie um Sichtweisen und Praktiken, die von den Agierenden selbst eingesetzt werden. Die folgenden Kapitel analysieren soziale Konstruktionen von Männlichkeit unter Darstellung der vier folgenden Merkmale: • • • •
die Vergeschlechtlichung der Arbeitsfelder „Grundschullehrer“ und „Schulleiter“, ein eminenter, geschlechtshomogener Ermutigungserhalt männlicher Lehrkräfte, eine hohe Bewerbungsquantität sowie die Heruntermodulation des Stellenwerts von Ermutigung und Bestätigung bzw. eine soziale Distanzierung a posteriori.
8.1.1 Vergeschlechtlichung der Arbeitsfelder „Grundschullehrer“ und „Schulleiter“ Bereits die sinngenetische Typenbildung erbrachte erste Hinweise darauf, dass die Arbeitsfelder „Grundschullehrer“ und „Schulleiter“ mit einem signifikanten Gendering versehen sind. In Interaktionen sowie im Rahmen der Interviews dokumentieren sich Geschlechterzuschreibungen und -erwartungen, die im Blick auf männliche Grundschullehrer und deren Position im Feld nun betrachtet und analysiert werden sollen. Die befragten und beobachteten Lehrkräfte perpetuieren Geschlechterstereotype durch die von ihnen mit sprachlichen Mitteln hergestellte Differenz und Konstruktion einer Normalität, gemessen an der Übereinstimmung von Praxis und Geschlechtszugehörigkeit auf der Basis von Geschlecht als sozialer Kategorie. Die aufstiegsinteressierten Lehrkräfte identifizieren sich gegenseitig „auf der Basis eines weitgehend verinnerlichten (Stereo-)Typenschatzes […], der jedermann zur Kategorisierung ‚auf den ersten Blick‘ befähigt und zwingt“ (Willems, 1997, S. 144). Die Wahrnehmung verbleibt jedoch nicht nur auf der Ebene eines Sortiervorganges, demzufolge eine Person einem Geschlechterstereotyp entspre-
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chen oder widersprechen kann, sondern wird in eine Bewertung und Erwartung überführt. Diese Bewertungsmaßstäbe und Erwartungshaltungen gehen wiederum einher mit einer Hierarchisierung. Folgende Beobachtung beim „TVaS“ soll dies exemplifizieren: Lehrkräfte unterschiedlicher Schulformen sitzen beim Mittagessen. Ein Tn (m, Gymnasiallehrer, ca. Mitte 30) sagt zu einem Tn (m, Grundschullehrer, ca. Anfang 30): „Du bist Grundschullehrer? Als Mann?“ Er antwortet: „Ja, wir sind drei. Ohne die würde ich auch echt durchdrehen. Wir quatschen im Schwimmbus erst mal über Männersachen.“ „Fußball, ne?“ „Bei uns ist das eher Handball.“ Er berichtet, dass er erst seit vier Jahren Grundschullehrer ist und dass er kurzzeitig Konrektor war, als die Konrektorin kommissarisch aufstieg. „Konrektor auf Dauer will ich nicht. Das ist was für Workaholics. Mal sehen, ob ich mich mal richtig bewerbe. Ich merke schon, dass ich einen Führungsanspruch habe. Das merke ich im Kollegium immer wieder.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 211-218)
Die zu Beginn des Gesprächs getätigte sprachliche Betonung der Geschlechtszugehörigkeit in Verbindung mit einer als davon abweichend klassifizierten beruflichen Tätigkeit veranlasst den Grundschullehrer zunächst zu dem mühsamen Versuch einer Normalisierung („wir sind drei“) und segregierenden Nischenbildung, dem „Quatschen über Männersachen“. Obschon der Gymnasiallehrer die Ausdifferenzierung der „Männersachen“ gegenüber einer thematischen Vertiefung des Aspekts „Mann in der Grundschule“ präferiert, verfestigt sich die entgegengebrachte Wahrnehmung im Bewusstsein des Grundschullehrers und löst einen Konstruktionsakt aus, innerhalb dessen er auf seine proportional zur kurzen Amtszeit bereits erfolgte Karriere verweist. Eine maximale Kontrastierung zum „bloßen Grundschullehrerdasein“ erreicht er, indem er die zwischenzeitig bereits erreichte Position des Konrektors dauerhaft für sich ablehnt und infolge seines „Führungsanspruches“ die im unmittelbaren schulischen Kontext höchste Position, das Schulleitungsamt, avisiert. Durch seinen abschließenden Rekurs in Form der Exemplifizierung des In-Erscheinung-Tretens seines Führungsanspruches – nämlich innerhalb seines vornehmlich weiblichen Kollegiums – komplettiert er eine maximale Differenzziehung zu diesem. Zugleich rehabilitiert er durch die eigene Hierarchisierung sowohl sein geschlechtsentsprechendes Selbstbild als auch – deutlich stärker als in dieser Situation vom Interaktionspartner forciert – das Fremdbild. Obige Szene verdeutlicht evident, wie stark männliche Grundschullehrkräfte von ihrem sozialen Feld auf Geschlechterstereotype zurückverwiesen werden und sich mit der Kohärenz von Berufsbild und Geschlecht auseinandersetzen
8. SOZIOGENETISCHE ANALYSE
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müssen. „Die von den sozialen Akteuren im praktischen Erkennen der sozialen Welt eingesetzten kognitiven Strukturen sind inkorporierte soziale Strukturen“ (Bourdieu, 1982, S. 730), die Positionsbezeichnungen festlegen und dem Inhaber „die Basis für sein Selbstbild sowie für das Bild, das seine Rollenpartner von ihm haben werden“ (Goffman, 1973b, S. 98), liefern. Das berufliche Selbstkonzept, welches sich der „Theory of Circumscription and Compromise“ von Gottfredson nach aus den Faktoren Geschlecht, Status und Interessen zusammensetzt und der Berufswahl zugrunde liegt, wird in Interaktionen wie der geschilderten auf eine harte Probe gestellt. Die ausgeübte berufliche Tätigkeit gerät mit zwei entscheidenden Grundelementen des Selbstkonzeptes in Konflikt und die soziale Identität muss diskursiv verteidigt werden (vgl. Brown/Brooks, 1994, S. 403ff.). Die demonstrative Absicherung der eigenen Männlichkeit dokumentiert sich auch in folgender Beobachtungssequenz, in der ein anderer Grundschullehrer ebenfalls auf einen Angriff reagieren muss: Es setzen sich sechs Personen mit Kaffee und Kuchen auf die Gartenterrasse um einen runden Tisch herum. Es handelt sich um eine Berufsschullehrerin, einen Berufsschullehrer, zwei Grundschullehrerinnen, eine Gymnasiallehrerin und einen Grundschullehrer. Als ich auf die Gruppe treffe, sagt der Grundschullehrer gerade: „Ich bin Grundschullehrer.“ Der Berufsschullehrer lacht so spontan los, dass Kuchenkrümel aus seinem Mund sprühen und er diesen mit einer Serviette abwischt. Der Grundschullehrer ergänzt: „Ich bin eigentlich Wirtschaftsingenieur. Also erst Lehramtsstudium, dann noch das Wirtschaftsstudium, weil ich eine Firma übernehmen sollte oder wollte. Das hat sich dann zerschlagen. Dann hab ich das Referendariat gemacht und war an einer Grund- und Hauptschule. Seit die Hauptschule aufgelöst wurde, bin ich an der Grundschule geblieben und da Konrektor.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 343-354-III)
Die Aufzählung beruflicher Stationen in männlich konnotierten Feldern sowie die Akzentuierung der bereits erreichten Position dienen hier als segregierende Nischenbildung und ermöglichen eine Differenzierung zu Personen, deren erste und einzige Wahl der Grundschullehrberuf war und die der Konrektorenposition untergeordnet sind. Entscheidend ist, dass nicht nur wie in der ersten Beobachtungssequenz die jeweiligen Positionen klassifiziert werden, nach denen der Grundschul- dem Gymnasiallehrer hierarchisch untergeordnet ist, sondern das das Feld, wie die folgenden Beispiele zeigen sollen, an jede (Geschlechter-)Gruppe entsprechende Verhaltenserwartungen richtet:
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„Also, da der ’nen bisschen jünger ist als ich und dann auch noch ein Mann und an der Grundschule, gehe ich mal davon aus, das unterstelle ich jetzt mal allen Grundschullehrern, dass die das wahrscheinlich schon so von vornherein planen. Also, vielleicht ist das ein Vorurteil, ich weiß es nicht. Aber Grundschullehrer gibt es ja nun sehr wenig. Und wenn man dann Grundschullehrer ist, dann denkt man wahrscheinlich auch, dann muss ich auch Schulleiter werden.“ (Frau Kipke, Z. 281-186) „Ich glaube, männliche Kollegen sind da eher so zielorientierter. Die haben so, wirklich so, ich mach das jetzt um. Und die Frauen beziehen das mehr so auf sich, so, ich will meine eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln. Gefühlt ist das so. Gefühlte Aussage. Ich kann das nicht wirklich sagen. Die Männer, das zeigt sich jetzt auch so, die machen jetzt – zack – ihr Studium und am Ende steht auch schon eine Schulleiterstelle (lacht).“ (Frau Thomforde, Z. 334-338)
Die Probandinnen konstruieren ein Männlichkeitsbild, fußend auf Dichotomisierung und Naturalisierung, welchem die Grundschullehrer zu entsprechen scheinen und entsprechen sollen. Es vollzieht sich demnach nicht nur eine Positionsbestimmung, die darüber Auskunft gibt, wer sich wo (fälschlicherweise) aufhält, sondern im grundschulischen Kontext ebenso eine Erwartungshaltung, die sich auf Basis einer Vergeschlechtlichung der Berufsbilder „Grundschullehrkraft“ und „Schulleitung“ in unterschiedlicher Weise an männliche und weibliche Lehrkräfte richtet.1 Die Konstruktion von Männlichkeit fokussiert – wie obige Zitate zeigen – das Wollen, nicht aber das Können des Leitungshandelns. Es handelt sich hier folglich bei den „Kreditübertragungen […], mit denen die Subjekte dem Objekt Kräfte zuschreiben, denen sie sich dann unterwerfen“ (Bourdieu, 1987, S. 257) nicht um eine vermeintliche Kompatibilität hinsichtlich der Anforderungen des Schulleitungsberufes respektive spezieller Führungsqualitäten, die als männlich geschlechtskonform akzentuiert werden, sondern um ein signifikantes Aufstiegsstreben seitens männlicher Grundschullehrer.
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Auch in Baars Untersuchung lassen sich Interviewsequenzen männlicher Lehrkräfte wie die folgenden finden, die auf ebendiese Geschlechterkonstruktion rekurrieren: „[…] ich hab schon oft die Frage gestellt bekommen ja und? Schulleiter? so auf die Art; was, du willst nicht Schulleiter werden? und bist trotzdem Grundschullehrer geworden?“ (Baar, 2010, S. 161) sowie „Als Mann hast du halt also zumindest hast du Rektor zu sein […]“ (Baar, 2010, S. 303).
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Die Verortung der sozial konstruierten Weiblichkeit im hierarchischen Raum hingegen ist diffus, weder grenzziehend noch erwartungsbeladen. Demzufolge ist das Geschlecht – zumindest im Hinblick auf Grundschullehrerinnen und ihre möglichen Berufspositionen – kein determinierender „Platzanweiser“ mehr (Nickel, 2009, S. 254). Der Radius der geschlechtlichen Neutralität der Grundschullehrerinnen scheint größer als der der Lehrer. Eine Dramatisierung des Geschlechts geschieht lediglich in einem – jedoch durchaus bedeutsamen – Aspekt: Bemerkenswert ist die Titulierung, die allzu nachdrücklichem weiblichem Karrierestreben sowohl in den Äußerungen von Lehrerinnen als auch von Lehrern anheimfällt und in dem Adjektiv „verbissen“ besteht: „dann waren sie viel verbissener als die Männer“ (Frau Andres, Z. 389) „Es gibt bestimmt, würde ich dann sagen, eher Frauen, die auch etwas verbissener sind. Wo man schon das Gefühl hat, da ist mehr Verbissenheit dabei.“ (Herr Hagen, Z. 480-483) „Es gibt sehr akribisch arbeitende Frauengruppen, die auch so ’nen bisschen verbissen wirken auf mich.“ (Herr Basting, Z. 278-279)
Die normative Erwartung richtet sich demnach mehr am Wie als am Was aus, wodurch offensichtlich wird, dass zwar alle Berufsrollen übernommen werden können, jedoch „die Rolle nicht unabhängig ist von den scheinbar bedeutungslosen Eigenschaften derer, die sie spielen“ (Goffman, 1977, S. 303). Die soziale Konstruktion von Geschlecht verlangt eine Orientierung an der „SozialrolleSpielrolle-Formel“ (Goffman, 1977, S. 303) von Lehrerinnen beim Aufstiegshandeln hinsichtlich „des Rechtes auf eine bestimmte Art der Beteiligung“ (Goffman, 1977, S. 305). Mit anderen Worten: Der Karrierestil soll den ansozialisierten Verhaltensmustern entsprechen, da „die Übereinstimmung der Inszenierung mit der angenommenen biologischen Geschlechtszugehörigkeit […] bewertet“ (Budde, 2005, S. 206) und verbal sanktioniert wird. Der negativ konnotierten weiblichen Attribuierung „verbissen“ scheint die adjektivische Titulierung „zielorientiert“ (Frau Thomforde, Z. 334) für karriereorientierte Grundschullehrer gegenüberzustehen.2 Dieses selbstverständliche Urteilen über das andere Ge-
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Ob diese Dichotomie tatsächlich so gewichtig ist, dass sie auch unter konkreten Bedingungen relevant wird und sich ggf. nachteilig auf die Positionsvergabe an Lehrerinnen auswirken könnte, muss offenbleiben. Denkbar ist immerhin, dass die negative – in der Befragung von Lehrerinnen und Lehrern getätigte – Wertung zielsicher und
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schlecht betont „das gesellschaftliche Oben und Unten […], die Dimension von Macht und Herrschaft, die sich über die ‚harmlosen‘, scheinbar natürlichen, spontanen alltäglichen Klassifizierungen und Abgrenzungen auf die Mikroebene der sozialen Praxis übersetzt“ (Bremer, 2007, S. 262). Eine Stereotypisierung männlicher Grundschullehrer als Statusverbesserer qua Führungsposition erscheint mit Blick auf die Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ aufgrund ihrer inkorporierten Bereitschaft eine Kategorisierung nach Geschlecht vorzunehmen und sich selbst durch eine ausgeprägt gegenderte Praxis in Schranken zu verweisen, nicht unerwartet. Im Rahmen dieser Untersuchung konnte jedoch herausgearbeitet werden, dass zwischen der Bewertung, die auf männliche Kollegen angelegt wird, und der eigenen Positionierung im Feld und im vergeschlechtlichten Raum keine Interdependenz besteht. Die Probandin Frau Sprengel, die mit 34 Jahren bereits stellvertretende Schulleiterin ist, fällt diskursiv auf diese stereotypisierende Zuschreibung zurück, wie dieser Auszug des Beobachtungsprotokolls zeigt: Ein anderer Lehrer sagt: „Aber es ist ja an Grundschulen auch so, wenn da ein Mann ist, ist er der Schulleiter, der Hausmeister oder schwul. Als normaler (er deutet mit den Fingern Anführungszeichen an) Mann macht das keiner.“ Frau Sprengel erwidert, dass das ja auch mit der Besoldung zusammenhinge und dementsprechend – trotz werbender Versuche – nicht zu verändern sei. Dann sagt sie: „Aber in fünf Jahren kriegen wir bestimmt einen. Da geht unsere Schulleiterin in Pension. Da bewirbt sich dann einer auf die Schulleiterstelle.“ Sie lacht. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 126133-III)
Nachdem der männliche Interaktionsteilnehmer die These der Unvereinbarkeit „normaler“ Männlichkeit mit dem Grundschullehrberuf aufgeworfen und als einen möglichen Ausweg bereits die Führungsposition des Schulleiters unter-
rasch aufsteigender Lehrerinnen, diesen auch in der Beurteilung durch einen Schulleitungswahlausschuss zuteil werden und ihre Chancen auf eine erfolgreiche Wahl schmälern könnte. Die für eine erfolgreiche Karriere potentiell negative Auswirkung der Bezeichnung „verbissen“ deutet sich zumindest an, wenn der Seminarleiter des Seminars „Karriere unter 40 – geht das?“ seiner – geschlechtergemischten – Gruppe folgendes rät: Sein Karrieretipp lautet: „Ihr dürft nicht verbissen sein!“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 467-468-III)
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breitet hat, greift Frau Sprengel die Bezugnahme auf das Schulleitungsamt als von Männern favorisierter Tätigkeit auf. Diese Präferenz begründet sie mit den geringen Verdienstmöglichkeiten, die das grundschulische Feld für Männer derart uninteressant erscheinen ließen, dass auch Kampagnen zur verstärkten Rekrutierung männlicher Grundschullehrer wirkungslos blieben. Das von ihr gewählte Beispiel, die Vermutung, ein Mann würde sich auf den Schulleitungsposten ihrer eigenen Schule bewerben, steht in eklatantem Widerspruch zu ihrer Aussage im Interview. In diesem äußert sie bereits in der Eingangssequenz: „Und vielleicht werd ich ja auch mal Schulleiterin. Naja, meine Schulleiterin geht in fünf Jahren in Pension.“ (Frau Sprengel, Z. 13-14)
Aus ihrer Gesprächsaussage, die mit dem im Interview deutlich werdenden Wunsch kollidiert, diese Schulleitungsstelle selbst zu besetzen, lässt sich spekulieren, sie habe Angst vor einem männlichen Mitbewerber und vor dessen möglicher Bevorzugung. Dafür spräche zum einen die Formulierung, ihre Schule würde dann „bestimmt“ einen männlichen Akteur bekommen. Zum anderen verifiziert sich die Wahrscheinlichkeit dieser Wahrnehmung an anderer Stelle des Interviews. Hier schildert Frau Sprengel die Bewerbungsphase für das Amt der stellvertretenden Schulleiterin und kommentiert die konkurrierende Bewerbung eines männlichen Grundschullehrers wie folgt: I: „Hatten Sie damit gerechnet, dass Sie Konkurrenz haben würden?“ „Also, ich wusste dann von dem. Das war ein Mann. Ich hatte Angst gegen den Mann-, also was heißt Angst, also Sorge (lacht). Weil Männer sind in Grundschulen ja immer erwünscht. Aber das Gespräch lief gut und als ich den Mann gesehen habe, wusste ich, dass das gut wird. Ja, komisch, eigentlich-. Ja, irgendwie hab ich das gewusst.“ (Frau Sprengel, Z. 88-93)
Auch die Probandin Frau Thomforde, die bereits stellvertretende Schulleiterin ist und kurze Zeit nach dem Interview die Schulleitungsfunktion übernimmt, greift auf eine pauschalisierende duale Geschlechterdifferenzierung zurück und perpetuiert Geschlechterstereotype und -hierarchien. Obschon sie selbst ihrer eigenen Formulierung entspricht „die machen jetzt – zack – ihr Studium und am Ende steht auch schon eine Schulleiterstelle“ (Frau Thomforde, Z. 337-338), bezieht sie diese ausschließlich auf männliche Grundschullehrer. Diese Beispiele erfolgreich aufsteigender Grundschullehrerinnen verdeutlichen die erhebliche Wirkmächtigkeit und Hartnäckigkeit der sozialen Konstruktion von Geschlecht.
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Die mangelnde Erfahrungssättigung und phrasenhafte Pauschalisierung, die Geschlechterkonstruktionen zugrunde liegt, wenn „neben dem Geschlecht keine weiteren Informationen über die Zielpersonen vorliegen“ (Dickenberger/Rutz, 2002, S. 31), dokumentiert sich bei der Probandin Frau Benecke, die zunächst davon überzeugt war, „dass die Männer damit anders umgehen“ (Frau Benecke, Z. 327)3. Durch den regelmäßigen Austausch mit einem Schulleiter revidiert sie diese Annahme: „Aber ich hab jetzt so speziell sehr engen Kontakt zu dem Schulleiter an der anderen Grundschule hier. Der hat ’nen Jahr später angefangen als ich. Da stimmt die Chemie auch sehr und da gehen wir sehr offen mit Themen um. Und dann merk ich sogar, im Gegenteil, er sogar weniger Distanz hat als ich zu manchen Themen. Also diese Aufregung vor der Einschulung, dass man die Ansprache halten muss. Da sagt er zu mir-, zum Beispiel gesagt: Ich hab gedacht, ich sterbe. Ich konnte das jetzt irgendwie gar nicht aushalten. Und ähm, ja, jetzt setzt schon so ’n bisschen Routine ein. Aber so schlecht hab ich mich nie-, so belastet hat mich das nie. Schon ’ne Aufregung ist da, so Adrenalin steigt.“ (Frau Benecke, Z. 327-335)
Aus der bestehenbleibenden Differenzziehung zwischen ihrem und seinem Erleben und der dennoch darauffolgenden Konjunktion „aber“ lässt sich schlussfolgern, dass ihre einleitenden Worte („dass die Männer damit anders umgehen“ (Frau Benecke, Z. 327)) sich nicht auf die Differenz zu weiblichem Verhalten, sondern auf die Erscheinungsform der Verhaltensweise im Kontext des erwarteten Männlichkeitsbildes beziehen. Die Aufgeregtheit des Schulleiters über eine öffentliche Ansprache verhält sich nonkonform zu ihrer Erwartung maskuliner Eigenschaften. Die Beispiele dieses Kapitels zeigen, dass die Professionen Grundschullehrer und Schulleiter stark gegendert sind. Deutlich wurde zudem, dass an der Darstellung des Schulleitungsamtes als von Männern gewollter Position vorwiegend Grundschullehrerinnen beteiligt sind. Die aufstiegsinteressierten Grundschullehrer dieser Untersuchung setzen in den Interviews ihr Geschlecht nicht in Beziehung zu ihrem Aufstiegswunsch. Die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung können hier jedoch Aufschluss-
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Die Explizierung des Wortes „damit“ bleibt unklar, gemeint ist aber – wie sich aus dem Folgenden schließen lässt – der Umgang mit zu bewältigenden Anforderungen im Schulleitungsamt.
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reiches auf einer anderen Ebene zutage fördern: Werden Grundschullehrer von Lehrern anderer Schulformen mit der ihnen Männlichkeit absprechenden Konnotation des Grundschullehrers konfrontiert, dient ihnen der Rückzug auf avisierte oder bereits ausgeübte Führungsfunktionen als Bewältigungsmöglichkeit. Die in diesem Kapitel dargelegten Geschlechterkonstruktionen von Lehrkräften im grundschulischen Feld werden nicht nur kommunikativ vermittelt, sondern münden, wie das folgende Kapitel zeigen wird, in eine ermutigende Grundhaltung, die männlichen Lehrkräften stärker – und früher – als weiblichen persönlich entgegengebracht wird. Damit kommt ihnen eine Konstruktionsmacht zu – „tatsächlich üben Worte eine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln“ (Bourdieu, 1992a, S. 83) –, die die hierarchisierende Zweigeschlechtlichkeit im beruflichen Kontext bestätigt, statt sie zu dekonstruieren oder wenigstens zu hinterfragen. Insbesondere vor der Interdependenz mit der einer Selbstunterwerfung gleichkommenden und die Machtverhältnisse beharrlich reproduzierenden Geschlechterkonstruktion, die sich bei den Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ offenbarte, wird hier eine gemeinsame Weltanschauung, eine „sensus communis“ (Bourdieu, 1982, S. 730), konstruiert. Und doch zeigt sich, dass eine vorbehaltlose Kausalitätsannahme zwischen dem Feldeinfluss und der sozialen Praxis, im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung (vgl. auch Alfermann, 1996, S. 83) einer Realitätsverkennung gleichkäme. Die entscheidende Schaltstelle zwischen dem Feldeffekt und der sozialen Praxis der tatsächlichen „Übernahme der Erwartungen in das eigene Selbstbild und Rollenrepertoire“ (Alfermann, 1996, S. 33) ist der Habitus. Dieser definiert den Einflussradius der hier dargelegten Geschlechterkonstruktionen. Die geringere Ermutigung von Grundschullehrerinnen wird so für einige Probandinnen infolge ihrer habituell angelegten Unabhängigkeit von Ermutigung unwichtig und verliert die Restriktionsmacht (vgl. auch Kapitel 7.2.2 und 8.2.1). Dieser Aspekt des protegierenden äußeren Feldeinflusses männlicher Grundschullehrer soll nun hinsichtlich des Ermutigungserhalts veranschaulicht werden. 8.1.2 Eminenter geschlechtshomogener Ermutigungserhalt männlicher Lehrkräfte Auf Grundlage der geführten Interviews kann ein eminenter geschlechtshomogener Ermutigungserhalt von männlichen Lehrkräften konstatiert werden, der
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sich in seiner Intensität, Eindringlichkeit und insbesondere im Zeitpunkt von dem weiblicher Akteurinnen deutlich abhebt. Vollzieht sich Ermutigung grundsätzlich auch zwischen den Geschlechtern – im Kollegium, von Seiten der Elternschaft und des Schulverbandes, im privaten Umfeld–, fällt dennoch auf, dass männliche Schulleiter ausschließlich von männlichen Aufstiegsaspiranten, nicht aber von aufstiegsbereiten Grundschullehrerinnen als Ermutiger genannt werden. Dies stimmt insbesondere in Blickrichtung auf den Typus „handelnder Positionsanstieg“ nachdenklich, zu dem zwei Lehrerinnen – Frau Meisner und Frau Kipke – zählen, die nach langer Statuspassage und Vertretungsphasen letztlich schulintern das Amt ihres erkrankten Vorgängers übernehmen. Trotz hohen Ermutigungsbedarfs und auch -erhalts von vielerlei Seiten bleiben die Schulleiter beider Probandinnen hinsichtlich einer etwaigen Ermutigung unerwähnt (vgl. auch Kapitel 7.4.2). Obgleich die Gründe hierfür offenbleiben, könnte der Mutmaßung einer „Tendenz herrschender Gruppen zu ihrer eigenen Perpetuierung“ (Bourdieu, 2001, S. 201) insbesondere vor den nun folgenden Ausführungen Gestalt verliehen werden. Die Analyse der Interviews zeigt, dass sich die erteilte Ermutigung von bereits amtierenden Schulleitungen gegenüber Lehrkräften geschlechtshomogen bzw. zwischen weiblichen Schulleitungen und männlichen Lehrkräften ereignet4. Aufgrund der hohen Anzahl weiblicher Schulleitungen im Grundschulfeld scheint sich vordergründig aus der Tatsache, dass männliche Schulleitungen das weibliche Karrierebestreben offenbar nicht ermutigen, kein gravierender Nachteil für die Statuspassagenrealisierung von Frauen zu ergeben. Wendet man den Blick jedoch vom rein quantitativ erteilten Ermutigungsaufkommen hin zum qualitativen und zeitlichen Aspekt, so können männliche Aufstiegsaspiranten zwei deutliche Vorteile verzeichnen: Ihre Ermutigung vollzieht sich auffallend frühzeitig und sehr explizit. Dies dokumentiert sich auf der Interaktionsebene, auf die durch Narration zugegriffen werden kann, da in Situationen, in denen die Befragten bewusst Stellung beziehen, sozial erwünschte Antworten dominieren (beispielsweise: „Die Tendenz ist wahrscheinlich schon da, zu sagen: Wir wollen Männer an der Grundschule. Obwohl für Führungspositionen finde ich es eigent-
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Die quantitative Erhebung von Miller ergab, dass sich 47,2% der neuen Schulleiter von ihrem Schulleiter stark oder sehr stark ermutigt fühlten. Frauen wurden zu 40,2% von ihrem Schulleiter ermutigt. Schulleiterinnen nehmen in ihrer Untersuchung insgesamt eine marginale Stellung hinsichtlich der dargebotenen Ermutigung ein: So ermutigten sie zu 7,4% männliche und zu 11,8% weibliche Lehrkräfte (vgl. Miller, 2001, S. 210ff.).
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lich daneben. Weil die Lehrerinnen ja hauptsächlich Frauen sind und da sollte man Frauen mehr unterstützen, das zu werden, also Schulleiterinnen.“ (Herr Wilde, Z. 233-236)) Drei Interviewpassagen verdeutlichen folglich, wie sich Ermutigung in praxi vollzieht: „Und insofern hat er (Anm.: der Schulleiter) ganz deutlich gesagt, ich sollte das doch mal machen. Selbstständig machen. ’Ne andere Person war auch noch da. Also mein Studienleiter, der mich mit ausgebildet hat im Referendariat schon. Der hat mir gleich, nachdem ich fertig war, empfohlen, mich auf ’ne Konrektorenstelle zu bewerben. Also, der sagte gleich nach dem Referendariat: So, jetzt wegbewerben, Konrektor.“ (Herr Hagen, Z. 64-68) „Dann hat mich ein Schulleiter an seine Schule geholt und der war auch so ein bisschen Vorbild für mich, so ’n alter, auch bisschen auch konservativerer Schulleiter, der mir aber immer zu verstehen gegeben hat, dass er gerne mit mir arbeitet und auch gerne möchte, dass ich mehr tue in Schule. Der diesen Weg auch immer für richtig hielt, also viel positive Unterstützung.“ (Herr Basting, Z. 53-56) Herr Lohse berichtet über einen Freund, der ebenfalls den Masterstudiengang studiert: „Der X auf jeden Fall, der will-, also da geht sein Chef in drei Jahren in Pension und den möchte er beerben und der Chef will das auch. Das ist sein Ziel.“ (Herr Lohse, Z. 283-284)
Ebendies dokumentiert sich auch in zwei Sequenzen der teilnehmenden Beobachtung: Tn (m, ca. Anfang 30): „Mein Chef hat gesagt, ich soll das hier mal starten. Er ist ja auch nicht mehr ewig Schulleiter.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 108-109) Beim Abendessen erzählt ein Grundschullehrer, dass er nach drei Jahren Berufsausübung als Lehrer an seiner eigenen Schule kommissarischer Konrektor wurde. In diese Stelle sei er von seinem damaligen Schulleiter „hineingelobt“ worden. Er habe sich dann rasch wegbeworben auf eine ausgeschriebene Konrektorenstelle, da er dadurch besser besoldet wurde. Es habe immer „Leute gegeben, die einem das raten“. Auch sein damaliger Schulleiter „hat immer gesagt, dass ich Schulleiter werden soll“. Nun besucht er „TVaS“Module, um sich demnächst zu bewerben. Auf meine Nachfrage erzählt er, dass er 38 Jahre alt ist. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 443-450-III)
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Da sich die Lehrer zeitnah an den Abschluss der Ausbildungsphase noch nicht in einer besonderen Befähigung beweisen konnten, hat die Ermutigung kreditären Charakter. Die männlichen Grundschullehrkräfte scheinen des Zwanges enthoben zu sein, über einen längeren Zeitverlauf entsprechende Dispositionen ausbilden zu müssen. Die geschlechtliche Klassifizierung dominiert über die Klassifizierung nach Leistung. Kontrastiert man die obigen Ermutigungen mit der ermutigenden, auf ihre Eignung rekurrierenden Äußerung, die die Probandin Frau Benecke von ihrer Schulleiterin erhält, wird dies besonders augenfällig: „Saßen wir dann mit der Kollegin zusammen am runden Tisch und ich hab dann so ’n bisschen mit Moderatorenkarten gearbeitet und da war die Schulleiterin dabei und die sagte hinterher: Da hat sich wieder gezeigt, was für Fähigkeiten du hast. Ich glaub, über diese Schiene ist es auch immer wieder gekommen. Über meine Arbeit nicht nur in der Klasse im Unterricht, sondern alles, was ich darüber hinaus so angegriffen habe.“ (Frau Benecke, Z. 69-73)
Handelt es sich folglich bei der Ermutigung junger Grundschullehrer vielmehr um eine Erwartungshaltung infolge von Geschlechterkonstruktionen, die bei Lehrern eine Führungsveranlagung assoziieren und diese bei Lehrerinnen eher dissoziieren? Das im vorangegangenen Kapitel dargestellte Gendering der Berufsfelder Grundschullehrer und Schulleiter spricht dafür. Während die Maßeinheit für eine Karriere im Grundschulbereich bei männlichen Lehrkräften bereits in der Geschlechtszugehörigkeit zu bestehen scheint5, muss bei der oben zitierten weiblichen Probandin Frau Benecke erst eine Bewährung über immanente Kompetenzen erfolgen: Aus „‚Haben‘ ist ‚Sein‘ geworden“ (Bourdieu, 1992a, S. 56). Das offen gehaltene Qualifizierungsprocedere erschwert jedoch genau dies: Durch die fakultative Ausgestaltung erfolgt eine Bewerbung primär mit der sozialen Persönlichkeit und erst sekundär mit dem in einer der absolvierten – und sehr unterschiedlich wertgeschätzten – Qualifizierungsmaßnahmen erworbenen kulturellen Kapital. Das Beispiel des Typus „risikoloses Probehandeln“ zeigte, dass „der Besitz eines beträchtlichen kulturellen Kapitals […] für sich genommen keine hinreichende Bedingung für eine wirkli-
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Die Praxis einer derart frühen konkreten Ermutigung liegt gewissermaßen quer zu der ursprünglichen Illusio einer verlangten langen Lehrtätigkeit im Vorfeld der Positionsübernahme. Die Geschlechtszugehörigkeit scheint diese Bewertungsstruktur zu überlagern.
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che ökonomische und kulturelle Autonomie gegenüber den Männern“ (Bourdieu, 2005, S. 185) ist. Ebenso konnte dargelegt werden – am Beispiel des Typus „handelnder Positionsanstieg“–, dass die spätere Ermutigung von Frauen stärker ausfällt, wenn neben der Akkumulation kulturellen Kapitals durch Weiterbildung auch der eigene symbolische Wert beispielsweise durch vorherige Positionsübernahmen sublimiert werden konnte. Die frühzeitige geschlechtshomogene Ermutigung der Männer kommt dem Versuch einer Reproduktion von Macht- und Herrschaftsstrukturen – trotz zunehmend weiblicher Dominanz in allen Positionen des Grundschulbereichs – gleich. „Jeder Position entsprechen Prämissen, eine Doxa, und die Homologie zwischen den Positionen der Produzenten und ihrer Abnehmer ist Voraussetzung jener Komplizenschaft, die – […] – umso dringender geboten ist, als es bei den Investitionen, die auf dem Spiel stehen, um Wesentliches und Entscheidendes geht“ (Bourdieu, 1982, S. 373). Die Statuszuschreibung der ermutigenden Schulleiter den jungen, männlichen Lehrkräften gegenüber lässt sich mutmaßlich einerseits auf das von Alfermann vorgebrachte Motiv zurückführen: „Auch erhält im allgemeinen die eigene Gruppe positivere Eigenschaften als andere Gruppen“ (Alfermann, 1996, S.11)6. Dabei bezieht sich der Aspekt der „eigenen Gruppe“ scheinbar, blickt man auf das zum Teil junge Lebensalter der ermutigten Männer, nicht nur auf dieselbe Geschlechtergruppe, sondern ebenso auf die Perpetuierung des eigenen Relevanzsystems. So berichtet der Proband Herr Hagen über den Werdegang des ihn ermutigenden Schulleiters: „Ist selber mit 27, glaube ich, Rektor geworden, also sehr früh. Und ähm hat von vornherein gesagt, zu jung bin ich nicht. Ich war auch nicht so alt, so nach dem Motto.“ (Herr Hagen, Z. 330-331)
Die Vermutung, dass Schulleiterinnen möglicherweise bei Amtsübernahme ein höheres Alter haben als Schulleiter und demzufolge bei der Ermutigung junger Lehrerinnen nicht initiativ werden, lässt sich mit Blick auf die bestehende Forschung jedoch nicht verifizieren: In der quantitativen Untersuchung von Miller dokumentiert sich zwar ein geringfügig jüngeres Ernennungsalter von männlichen Schulleitern, gleichwohl unterscheidet „sich die Verteilung des Ernennungsalters nicht gravierend voneinander“ (Miller, 2001, S. 169).
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Forberg spricht in diesem Zusammenhang vom „sozialpsychologische(n) Phänomen der ‚Ähnlichkeitsselektion‘“ (Forberg, 1997, S. 216).
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Ein zweiter Erklärungsversuch für die rasche Ermutigung, die jungen Grundschullehrern durch ihre Schulleiter zuteilwird, könnte andererseits im Tokenstatus männlicher Grundschullehrer bestehen. Ihre erhöhte Sichtbarkeit in einem weiblich dominierten Berufsfeld begünstigt demnach auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen. Obige Ausführungen zeigen, dass amtierende männliche Schulleitungen „Gatekeeper-Praktiken“ (Faulstich-Wieland, 2003, S. 116) mit geschlechtsstereotyper Ausrichtung ausüben, mutmaßlich um dadurch „Regulierungsprozesse zwischen Geschlecht und Aktivitätsräumen“ (Faulstich-Wieland, 2003, S. 116) auszulösen. Ob dieser Praxis möglicherweise vielmehr eine reagierende Komponente inhärent ist, mit der sie sich einer von jungen Grundschullehrern im beruflichen Alltag – infolge der hohen sozialen Sichtbarkeit und medial diskutierten „Ausnahmeerscheinung männlicher Grundschullehrer“ – demonstrierten Aufstiegsbereitschaft7 anschließen, bleibt eine offene Frage. Sollten künftige Forschungen dies bestätigen, spräche das für eine nicht intendierte, mehr noch, den Interessen zuwider laufende Folge der öffentlichen Geschlechterdramatisierung von Grundschullehrkräften. Die Adressaten dieser Ermutigung innerhalb des vorliegenden Samples indes modulieren ihre Existenz im grundschulischen Feld nicht zu etwas Besonderem hinauf8 und variieren in der Relevanzsetzung des Ermutigungserhalts – wie bereits in der sinngenetischen Typenbildung exemplifiziert wurde – stark. Dennoch bildet allein die Tatsache der frühen karrierefokussierenden Themenansprache eine protegierende Basis für die Entwicklung der eigenen beruflichen Orientierung, ohne dass Karrierestrategien durchdacht oder das „Gespür für die richtige Investition“ (Bourdieu, 1988, S. 164) unter Beweis gestellt werden mussten.
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Ergänzend soll ein Beispiel einer Vorstellungsrunde der teilnehmenden Beobachtung angeführt werden, welches die obige Argumentationsrichtung stützen könnte: Tn (m, ca. 30 Jahre): „Also, ich bin X. Ich hab jetzt gerade das Referendariat hinter mir und weiß jetzt schon, dass ich nicht 30 Jahre vor einer Klasse stehen will. Warum soll ich dann noch warten?“ Tn (w): „Nee, natürlich nicht. Ist klar.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 132-135)
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Hinsichtlich dieses Aspekts besteht Übereinstimmung mit Möllers Untersuchung: Möllers Befragung ergab ebenfalls keinerlei Hinweise darauf, dass männliche Grundschullehrkräfte sich problematisierend mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit und ihrem Berufsfeld auseinandersetzen, so dass sie resümierte, die Interviewten „sehen in ihrer Geschlechtszugehörigkeit keine Erschwernis bei der Etablierung im Lehrberuf und fühlen sich im Grundschulkollegium wohl“ (Möller, 2009, S. 174).
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Während einige Probanden lange Zeit keinen handlungsleitenden Gehalt aus der Ermutigung ziehen, schiebt beispielsweise der Proband Herr Hagen die Karriererealisierung – seiner Empfindung zufolge – noch deutlich hinaus, wird aber dennoch im Alter von 36 Jahren nach fünfjähriger Berufstätigkeit Schulleiter: I: „Warum haben Sie das nicht gleich gemacht nach dem Referendariat?“ „Mir persönlich war’s zu früh. Also, ich finde ähm, man muss auch ein bisschen Unterrichtserfahrung haben, um auch Menschen, die da arbeiten, anzuleiten in irgendeiner Form und eine Führungsposition zu belegen. Ich find’s ein bisschen seltsam, als neuer Frischling irgendwo hinzukommen und gleich eine übergeordnete Rolle zu haben. Das ist nichts, was mir so gefällt. […] Das ist aber mein eigener Anspruch. Also, ich möchte dann gerne auch in allen Bereichen einigermaßen fit sein, wenn ich so ’n Amt übernehme.“ (Herr Hagen, Z. 72-82)
Hier offenbart sich, dass nach der erhaltenen Ermutigung zwar individuelle Modulationen hinsichtlich der Karrierekonstitution vollzogen werden, die grundlegende Zielausrichtung jedoch nicht mehr infrage gestellt wird9. Dieser Aspekt einer Entsprechung respektive einer Nichtentsprechung der sozialen Konstruktionen der Geschlechter und vergeschlechtlichten Berufsfelder infolge habitueller Dispositionen soll im Folgenden betrachtet werden. Fokussiert wird der Aspekt der hohen Bewerbungsquantität, der innerhalb dieser Untersuchung eine Geschlechterdifferenz zieht und den Verlauf der Statuspassage potentiell positiv beeinflusst.10
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Dieser Mutmaßung näher nachzugehen, ist im Rahmen dieser Untersuchung jedoch nicht sinnvoll, da aufgrund der vorliegenden Samplestruktur alle Befragten Karriereschritte unternommen haben und nicht eruiert werden kann, ob nach frühzeitig erhaltener Ermutigung auch eine klassische Grundschullehrerlaufbahn ohne Aufstiegsintention von Männern realisiert wird.
10 Sicherlich ist eine höhere Bewerbungsquantität nicht nutzbringender als eine einmalige erfolgreiche Bewerbung, wie sie sich bei Frau Kipke, Frau Meisner, Frau Benecke und Frau Thomforde (und hinsichtlich der Konrektorinnenposition auch bei Frau Sprengel) zeigt. Dennoch steigert eine erhöhte Bewerbungsbereitschaft letztlich die Aussicht auf eine Amtsübernahme.
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8.1.3 Hohe Bewerbungsquantität Während männliche Probanden von gescheiterten Bewerbungen berichteten, liegen bei den Grundschullehrerinnen dieses Samples keine mehrmaligen Bewerbungsversuche vor. Der Umgang mit diesen wurde bereits in der entsprechenden Typendarstellung untersucht (vgl. Kapitel 7.3.3). Nun richtet sich der Fokus auf die Frage, ob es einen soziogenetischen Ansatzpunkt zur Erklärung dieser geschlechterdifferenzziehenden Praxis gibt. Die Bereitschaft zu Bewerbungsversuchen steht vermutlich in einem engen Verhältnis zu dem im Vorfeld bereits eingehend untersuchten Ermutigungserhalt, der wiederum hoch mit den Geschlechterkonstruktionen von Seiten des Feldes korreliert. Folglich ist anzunehmen, dass die höhere Bewerbungsaktivität männlicher Grundschullehrer nicht aus einer größeren Wettbewerbsmotivation oder ähnlichen, stereotyp maskulin konnotierten Eigenschaften resultiert, sondern aus der Befriedigung einer Erwartungshaltung. Diese zugeschriebene männliche Rolle umfasst jedoch durchaus die Bereitschaft zum Wettstreit (vgl. Alfermann, 1996, S. 146). Die Unterstellung, alle gebotenen Karrierechancen infolge einer hohen Zielstrebigkeit unmittelbar aufzugreifen, hat sich in „das inkorporierte Geschlechtswissen der männlichen Akteure“ (Meuser, 2006, S. 169) eingeschrieben. Die Verwendung der Termini Wettstreit und Zielstrebigkeit legt sogleich eine sportliche Assoziation nahe. Diese wurde auch in Kapitel 7.3.3 bereits kurz aufgegriffen, da der Proband Herr Hagen sie ebenfalls für seine Interpretationen seines gescheiterten Bewerbungsversuches nutzbar macht („ganz sportlich sehen“ (Herr Hagen, Z. 155)). So argumentiert Alfermann, „daß Sport und Bewegung durch Stereotype und Rollenerwartungen an die Geschlechter geprägt war und ist“ (Alfermann, 1996, S. 121). Das Scheitern ist selbstverständlicher Bestandteil eines Spiels, in dem es um Wettstreit geht. So konstituiert der Proband Herr Lohse bereits zum Zeitpunkt der Bewerbung eine Alternative für den Fall des Scheiterns und kandidiert demzufolge gelassen: „Das war für mich ’ne totale Win-Win-Situation. […] Ich hab gesagt: Entweder kannst du hier als stellvertretender Schulleiter arbeiten. Dementsprechend wenn ich den Posten kriege, ziehe ich das hier durch. Wenn sie mich nicht genommen hätten, dann studier ich fertig, dann bin ich irgendwie im Herbst 2012 fertig und dann geh ich hier weg. Ich konnt einfach nicht verlieren. Das war das gute.“ (Herr Lohse, Z. 218-229)
Zieht man die bestehende Forschung hinzu, wird noch ein weiterer Aspekt offenbar: Laut Wetterer werden Erfolge von Männern auf stabile Ursachen wie die eigene Leistungsfähigkeit zurückgeführt und Misserfolge auf „variable Ursa-
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chen, z.B. auf Pech“ (Wetterer, 1995, S. 93). So bleibt das positiv konnotierte Attribut der Aktivität auch nach einer misslungenen Bewerbung bestehen, während durch die Zuschreibung von „stabilen Ursachen wie mangelnden Fähigkeiten“ (Wetterer, 1995, S. 93) die Bewerbungsentschlossenheit von Frauen nach einem Misserfolg retrospektiv als zu hochfliegend verrissen wird. Diese Herabsetzung kostet soziales Kapital – andererseits verschaffen die für Erfolg ins Feld geführten Determinanten Glück und Zufall keines. Die Feldposition, aus der die Lehrerinnen Bewerbungsversuche ausführen, ist demnach hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Macht deutlich instabiler. Das Verhalten des Feldes verstärkt folglich die Bewerbungsbereitschaft der Lehrer, da diese qua Geschlecht über eine mächtigere Position verfügen, aus der sie mehr riskieren und weniger verlieren können: „Wer (Kapital) hat, der bekommt (Kapital)“ (Bourdieu, 1988, S. 151). Doch bestätigt die Empirie diese eindimensionale Kausalität? Wie oben bereits erwähnt, ist die dazwischengeschaltete, im Habitus verankerte Disposition ausschlaggebend, da die „Macht der Worte […] nur auf diejenigen (wirkt), die disponiert sind, sie zu verstehen und auf sie zu hören, kurz ihnen Glauben zu schenken“ (Bourdieu, 1992a, S. 83). Am Beispiel des Probanden Herrn Wilde lässt sich ausführen, dass die männlichen Grundschullehrer keinesfalls eine homogen (aufstiegs-)interessengeleitete Gruppe bilden. Obschon ihm ebenfalls ein hohes Maß an relevantem sozialem Kapital gewährt wird, mündet dieses nicht in eine von ihm beabsichtigte rasche Kapitalverwertung: „Ich hatte das immer ein bisschen aus ’m Auge verloren, weil es mir so als Lehrer ganz gut ging.“ (Herr Wilde, Z. 15-16)
Sein Aufstieg erfolgt sukzessive über eine sechsjährige Tätigkeit als Konrektor, der sich – seiner habituellen geringen Positionsorientierung gemäß – eine selbstgewählte Rückwärtsentwicklung zur Lehrerposition anschließt. Mit 53 Jahren wird Herr Wilde Schulleiter. Dieser Prozess ist begleitet von einer an ihn herangetragenen Entscheidungserwartung, die darauf ausgerichtet ist, die „richtige“ endgültige Positionsübernahme zu forcieren: „Wann machst du das denn jetzt? Das gab’s schon mal.“ (Herr Wilde, Z. 40-41) „Aber mit der bin ich befreundet und die meinte auch: Wann machst du das denn jetzt mal richtig?“ (Herr Wilde, Z. 47-48)
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Die fehlende Unmittelbarkeit des Aufstiegswunsches widerspricht dem konstruierten Männlichkeitsbild und evoziert Nachfragen. Sein Wunsch, diesen Verhaltensanforderungen zu entsprechen, ist dennoch geringer ausgeprägt als bei den anderen männlichen Probanden. Eine mögliche Erklärung hierfür liegt meines Erachtens mutmaßlich in seiner Ausgangspositionierung, die in Kapitel 7.4.1 als hervorgehobene autoritative Position bezeichnet wurde und ihn bereits ein Stück aus der originären Grundschullehrerposition heraushebt. Die Inbesitznahme einer hierarchisch höheren Position ist auf Basis seiner habituellen Prädisposition nebensächlich. So argumentiert auch Bourdieu: Das symbolische Kapital, welches einer gehobenen Positionierung entspringt, „agiert […] in der Beziehung zu einem Habitus, der darauf eingestellt ist, es als Zeichen, und zwar als Zeichen von Wichtigkeit, wahrzunehmen“ (Bourdieu, 2001, S. 311). Dies scheint bei Herrn Wilde nicht gegeben. Eine andere Begründung, die jedoch ebenfalls den Habituseinfluss stützt, könnte darin liegen, dass er Berufsfelder grundsätzlich weder horizontal noch vertikal segregierend nach Maßgabe einer gesellschaftlich tolerierten Geschlechtsangemessenheit bewertet. Dafür spricht seine Ausbildung zum Erzieher: „Ich war ja vorher Erzieher in meiner ersten Ausbildung. Mit kleinen Kindern, das ist eine absolut dankeswerte tolle Aufgabe.“ (Herr Wilde, Z. 338-339)
Trotz dieser vom Habitus ermöglichten Offenheit der Orientierung und der zwischen den männlichen Grundschullehrern aufgezeigten graduellen Unterschiede in der Bereitschaft, mit dem sozial konstruierten Männlichkeitsbild zu harmonieren, zeigt sich letztlich auch am Beispiel des Probanden Herrn Wilde die – jedoch zeitverzögerte – Passung zu ebendiesem. Dies ist besonders erwähnenswert, da der Tätigkeitswechsel mit der von ihm als „absolut dankeswerte(n) tolle(n) Aufgabe“ (Herr Wilde, Z. 340) beurteilten Arbeit mit kleinen Kindern infolge der verringerten Unterrichtsverpflichtung einer Schulleitung eher konfligiert. 8.1.4 Heruntermodulation des Stellenwerts von Ermutigung und Bestätigung bzw. soziale Distanzierung a posteriori Der folgende Analyseschwerpunkt stellt eine Möglichkeit dar, die Konstruktion von Geschlecht anhand eines Aspekts zu untersuchen, der Geschlecht nicht explizit in den Fokus rückt. Dies eröffnet die Gelegenheit, eine verdeckte Dimension der Geschlechterkonstruktion aufzuzeigen, die darauf schließen lässt, dass auch die aufstiegsambitionierten Grundschullehrer (und nicht nur ihr soziales
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Feld) an diesem Konstruktionsprozess beteiligt sind. Es handelt sich um die nachträgliche Heruntermodulation des Stellenwerts von Ermutigung und Bestätigung sowie eine Distanzierung vom unterstützenden Feld am Ende oder nach Abschluss der Statuspassage. Aus der sinngenetischen Typenbildung ging hervor, dass der Bedarf der Proband/innen an Ermutigung respektive Bestätigung in Abhängigkeit vom jeweiligen typenkonstituierenden Orientierungsrahmen, jedoch unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit, variiert. Dieser Aspekt soll nun um eine weitere Perspektive ergänzt werden. Während sich in den Narrationen der Proband/innen der sinngenetischen Typen entweder Unabhängigkeit von Bestätigung oder Gebundenheit an ebendiese dokumentiert, wird unter soziogenetischem Blickwinkel ein Phänomen evident, welches quer zu den Typen liegt: Diejenigen männlichen Grundschullehrer, für die nicht ohnehin durch ihre habituelle Prädisposition – hier benannt als und subsumiert unter „Abgrenzungsneigung“ – Ermutigung und Bestätigung unerheblich sind, nehmen eine nachträgliche Distanzierung von dieser vor. Mit anderen Worten: Männliche Grundschullehrer finden sich sowohl in bestätigungssuchenden als auch in bestätigungsunabhängigen Typen. Dies führt zum einen zu der Erkenntnis, dass der Bedarf an sozialem Zuspruch beim Einstieg in die bzw. beim Durchlaufen der Statuspassage ins Schulleitungsamt keine Geschlechtergrenze zieht. Zum anderen bildet sich Folgendes ab: Die männlichen Probanden, in deren selbstläufigen narrativen Interviewsequenzen der Ermutigungs- und/oder Bestätigungsbedarf deutlich zu Tage tritt, modulieren diesen auf direkte Nachfrage ostentativ herunter bzw. reorganisieren ihre Feldeingebundenheit nachträglich unter der Fokussierung auf Abgrenzung. Die empirische Fundierung wird dies verdeutlichen (vgl. auch ausführlich Kapitel 7.3.5 zur nachträglichen Rahmenveränderlichkeit): Rekurriert der Proband Herr Wilde in seiner Eingangssequenz noch spontan und unaufgefordert auf die ermutigenden Worte einer befreundeten Schulleiterin und konstituiert sprachlich eine Kausalität zwischen dem Ermutigungserhalt und seiner Bewerbungsinitiative, setzt er auf Nachfrage den Bedeutungsgehalt herab: „Und dann hatte ’ne Kollegin von mir gesagt: X ist für dich doch auch noch erreichbar. Ich wohn ja in X. Bewirb dich mal. Dann hab ich das gemacht. So einfach ist das.“ (Herr Wilde, Z. 18-20) I: „Würden Sie denn sagen, dass diese Ermutigung noch mal ausschlaggebend war für Ihre Entscheidung?“
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„Nee, das war zu wenig dafür, weil ich sie zu selten sehe. Das war nicht so richtig.“ (Herr Wilde, Z. 50-52)
Diese nachträgliche Distanzierung von Ermutigung fundiert er zusätzlich durch eine Betonung seiner Eigeninitiative: „[…] weil ich hab schon geguckt dann so nach den Schulen, die so ausgeschrieben werden“ (Herr Wilde, Z. 54-55)
Eindringlicher noch bildet sich die Bedeutungsverschiebung, die ex post vollzogen wird, bei dem Probanden Herrn Panitz ab. Aufgrund seiner konstanten Bezugnahme auf die hohe Bedeutung der erhaltenen Ermutigung und Bestätigung gehört er dem sinngenetischen Typus „Bestätigungsbedürfnis“ an (vgl. Kapitel 7.3.1). Sein inkorporierter und durchaus mit Selbstbewusstsein gepaarter Aufstiegswille bedarf einer beständigen Rückversicherung seiner Befähigung und eines fortwährenden Prozesses der Anerkennung durch das Feld. Zu diesem Zweck rekrutiert er umfängliches soziales Kapital – von Bourdieu für diesen Zusammenhang meines Erachtens sehr passend auch als „soziale Energie“ (Bourdieu, 1976, S. 357) bezeichnet. Die Reaktionen des sozialen Feldes setzt er in einen Kausalzusammenhang zu seinem Initiativwerden: „Das war für mich eine ganz, ganz große Bestätigung. Da war eigentlich klar, dass ich das machen kann.“ (Herr Panitz, Z. 65-66)
Tritt aus der obigen Antwort noch die hohe Bedeutungsbeimessung der Bestätigung hervor, besteht seine Reaktion auf die Interviewnachfrage in einer nachdrücklichen Heruntermodulation der ursprünglichen Bewertung: I: „War diese ganze Ermutigung, die Sie von verschiedenen Seiten bekommen haben, ausschlaggebend?“ „Nein. Die Entscheidung war eigentlich davor schon. Als ich die ganze Ermutigung von meinem Kollegium bekam, war die Entscheidung eigentlich schon fest. Wenn die alle gesagt hätten: Boah, du und Schulleiter, so ’n Blödsinn! Ich hätt’s trotzdem gemacht, weil ich in dem Moment schon für mich entschieden hatte, ich kann das.“ (Herr Panitz, Z. 72-78)
Die prononcierte Betonung seiner eigenen irreversiblen Entscheidung – „weil ich in dem Moment schon für mich entschieden hatte“ – konfligiert stark mit der Suche nach Zustimmung und der hohen Relevanz, die er bestätigenden, in Phasen freien Erzählens vorwiegend wörtlich zitierten Äußerungen beimisst.
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Das Bejahen des eigenen Ermutigungs- bzw. Bestätigungsbedürfnisses scheint die Präsentation und das Selbstbild eines selbstbestimmten, autonomen Akteurs zu bedrohen. Sowohl die normative Beurteilung einer handlungsgenerierenden Ermutigung, als auch die der prozessual wiederkehrenden Bestätigung im Verlauf der Statuspassage ist in den Augen dieser Probanden unvorteilhaft. Beiden Begriffen scheint eine soziale Bedeutungsaufladung inhärent, die darin besteht, die eigene aktive Leistung zu schmälern und die Assoziation eines Angewiesenseins auf Unterstützung zu wecken. Davon gilt es, sich zu distanzieren, um die soziale Wertschätzung des eigenen Aufstiegs nicht zu gefährden, die vermeintlich damit steht und fällt, ob man für Karriereschritte selbst verantwortlich war oder diese dem Einfluss anderer Personen zu verdanken hatte. An diesem Grundsatz richtet sich mutmaßlich die Zurückweisung des Bestätigungsbedarfs von Herrn Panitz aus, sobald er sich bezüglich dieses Aspekts bewusst positioniert. Antizipierte ausbleibende Bestätigung löst bei Herrn Panitz eine gänzlich atypische Distinktion in jargonhafter Ausdrucksweise aus, die Goffman folgend auf die besondere emotionale Involvierung verweist: „Jeder Sprecher hat also so etwas wie einen gleitenden Modul zur Verfügung. Wird diese Kontrolle gelockert (wie es durch Zorn, Erschöpfung, Rausch oder Überraschung geschieht), so kann es zu kurzzeitiger Heruntermodulation mit sogenannten (sic!) ‚direkterem‘ Ausdruck kommen“ (Goffman, 1977, S. 394): „Wär mir aber auch – Entschuldigung – scheißegal gewesen. Ich weiß, was ich will, und wenn ihr so reagiert, dann ist das euer Problem, nicht meins.“ (Herr Panitz, Z. 294-296)
Das Verhältnis zum sozialen Feld ist in besonderer Weise affektiv aufgeladen, da die habituelle Prädisposition des Probanden eine gewisse Abhängigkeit von dessen Zuspruch evoziert. Dieser Habituseinfluss, der seinen vorbewussten Beurteilungsmaßstab leitet, wird in Momenten der vorsätzlichen Positionierung jedoch von der im Habitus inkorporierten Sozialstruktur konterkariert, der eine vergeschlechtlichte Dimension innewohnt. Die geschlechtliche Seite des Habitus versieht die Termini Ermutigung und Bestätigung mit einem Wertmuster, welches die Wahrnehmung der beiden Begriffe verzerrt und deren Bezogenheit auf die eigene Person unvereinbar mit dem eigenen Image werden lässt. Mit Bourdieus Worten: Beide Begriffe stehen der „illusio, die für die Männlichkeit konstitutiv ist“ (Bourdieu, 1997, S. 195), konträr gegenüber. Der Geschlechtshabi-
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tus11 generiert somit das regulative Veto und verhindert die Entstehung einer Diskrepanz zur gesellschaftlichen Normalitätserwartung von unabhängiger und eigenständiger Aufstiegszielstrebigkeit.12 Miller resümiert in ihrer quantitativen Untersuchung, dass „der Anteil derjenigen, die sich sehr stark ermutigt fühlten, unter den Schulleiterinnen mit 27,7% sehr viel höher ist als bei den Schulleitern mit 15,8%“ (Miller, 2001, S. 213). Weiterhin folgert sie, dass „für die Schulleiterinnen die Ermutigung im Vergleich zu den Schulleitern einen deutlich höheren Stellenwert hatte“ (Miller, 2001, S. 218). Diese Ergebnisse verweisen meines Erachtens auf die Grenzen einer quantitativen Erhebung hinsichtlich eines Befragungsgegenstandes, der einen Konnotationsspielraum lässt. Wenn 32% der befragten Schulleiter, aber nur 19% der Schulleiterinnen auf die Frage hin, welchen Einfluss die Ermutigung auf die Entscheidung zur Bewerbung hatte, die Kategorie „kaum ausschlaggebend“ ankreuzen (vgl. Miller, 2001, S. 218), könnte hier eine nachträgliche Heruntermodulation der Bedeutungsbewertung vorliegen.
11 Bourdieu spricht nicht explizit vom Geschlechtshabitus. Stattdessen verwendet er die Bezeichnung des „vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus“ (Bourdieu, 1997, S. 167). Im Interview auf seine Haltung zur Bezeichnung Geschlechtshabitus angesprochen, argumentiert Bourdieu mit der Verschränkung des Einflusses zweier sozialisatorischer Faktoren auf die Entstehung von sozialer Ungleichheit: Klasse und Geschlecht. Keinem der beiden könne und solle das Hauptgewicht zufallen (vgl. Dölling/Steinrücke, 1997, S. 224f.). In der Sekundärliteratur ist der Begriff jedoch gebräuchlich. 12 Eine Randnotiz zeigt, wie routiniert sich vergeschlechtlichte Wahrnehmungs- und Denkmuster auch in die Überlegungen soziologisch Forschender einschleichen: Im Rahmen eines Colloquiums wurde eine Interviewsequenz diskutiert, in der Herr Panitz wiederholt auf seinen Bestätigungsbedarf rekurriert. Den Teilnehmenden lagen keine Angaben über Geschlecht oder Alter der interviewten Person vor. Dies veranlasste eine Teilnehmerin zu einer geschlechtsdefinitorischen Mutmaßung, durch die sich ihr Bedürfnis nach einer Geschlechterklassifikation offenbarte. Ihrer geschlechtlichen Identifizierung nach handelte es sich um eine weibliche Person. Nachdem ihre Annahme verneint wurde, äußerte sie Erstaunen und Befremden darüber „danebengelegen zu haben“. Zwar lässt sich nicht mehr rekonstruieren, worauf sich die Irritation bezog und es verbleibt im Bereich der Spekulation, ob eine Assoziation von Bestätigungsbedarf und Weiblichkeit ursächlich war. Hervor tritt jedoch das Bestehen einer Relevanzsetzung von Geschlecht im Hinblick auf besondere Erwartungen an Praxis und Orientierungen.
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Die in Kapitel 7.3.5 dargestellte Veränderlichkeit des Orientierungsrahmens in zeitlicher Dimension, die in der Distanzierung zweier Probanden von ihrem ursprünglichen Bestätigungsbedarf und einer Orientierungsrahmenmodulation hin zu gesteigerter Abgrenzung besteht, verweist in dieselbe Richtung. „Die Konstruktion von Geschlecht braucht immer ein Medium“ (Degele, 2004, S. 65), konstatiert Degele. Dieses scheint in vorliegendem Fall in einer Eigenständigkeitsdemonstration zu bestehen, die den originären Orientierungsrahmen überlagert und einen an Geschlechterattributen orientierten Eindruck hervorrufen soll. Zu Beginn und im Verlauf der Statuspassage sind beide Probanden signifikant ermutigungs- und bestätigungsempfänglich. Zum Ende der Statuspassage hin bzw. nach Übernahme des Schulleitungsamtes wird diese Disposition umgehend unter Schwerpunktsetzung auf Abgrenzung moduliert. So bevorzugt der Proband Herr Hagen nun „neue Leute“ (Z. 175) in seinem beruflichen Umfeld und der Proband Herr Basting redefiniert sogar seine ehemalige Prioritätensetzung, die in der Voraussetzung von Zustimmung für seine innovative Idee (die Schulleitungsübernahme im Team) lag: „Heute sehe ich das etwas anders. Ich glaube, man wird nie 100% Unterstützung für seine Ideen bekommen, von daher hätten wir das möglicherweise ruhig mal probieren sollen und mit dem Gegenwind leben müssen.“ (Herr Basting, Z. 163-165)
Während die Heruntermodulation des Ermutigungs- bzw. Bestätigungsbedarfs den „Sozialisationsdruck in Richtung geschlechtstypischen Verhaltens“ (Trautner, 2006, S. 111) verdeutlicht, der von der Gesellschaft an die Akteure herangetragen und gleichzeitig von diesen als Teil der Gesellschaft gegenwärtig gehalten und fortgeschrieben wird, zeigt die a posteriori vollzogene Orientierungsrahmenmodulation besonders evident die Vorbewusstheit der Geschlechterkonstruktion. Nach erfolgreicher Bewältigung der aufreibenden Qualifizierungs- und Bewerbungsphase mit ungewissem Ausgang, in der sie des sozialen Rückhalts und unterstützenden Beistands bedurften, dominieren sprachliche Konstrukte der Abgrenzung („’ne gewisse Distanz“ (Herr Basting, Z. 142), „sich auch mal abzugrenzen“ (Herr Basting, Z. 298)). Es stellt sich vorbewusst eine Anpassung an normative Männlichkeitsattribute ein, wobei offen bleiben muss, ob diese realiter in der interaktionellen Handlungsorientierung umgesetzt wird oder auf der Ebene der sprachlichen Konstruktion verbleibt.
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8.1.5 Zwischenfazit Die Analyse der sozialen Konstruktion von Geschlecht mit Schwerpunktsetzung auf männliche Grundschullehrer und ihre Statuspassage ins Schulleitungsamt hat ergeben, dass sich auf zwei Ebenen Gendering-Prozesse erkennen lassen: hinsichtlich des Feldeinflusses und hinsichtlich der Akteurspraxis selbst. Zunächst soll noch einmal der Einfluss des sozialen Feldes resümiert werden, welches einen Bezug zwischen der Statuspassage und der Kategorie Geschlecht – hinsichtlich männlicher Aufstiegsaspiranten – herstellt. Dieser Feldeinfluss kann in zwei Gruppierungen ausdifferenziert werden: die Bezugnahme amtierender Schulleiter auf männliche Grundschullehrer und die Bezugnahme weiblicher Grundschullehrerinnen auf männliche Grundschullehrer. Von beiden Seiten vollzieht sich eine Übertragung des männlichen Geschlechtsrollenstereotyps auf das Berufsrollenstereotyp des Schulleiters. Diese Übertragung basiert auf biologistischen Argumenten. Amtierende männliche Schulleiter ermutigen junge Grundschullehrer bereits in einer Phase, in der diese noch keine besonderen Kompetenzen beweisen konnten, zur Übernahme des Schulleitungsamtes. Der Lehrberuf im grundschulischen Feld scheint von den Ermutigern im Gegensatz zum Leitungsberuf vornehmlich als „Durchgangsstation“ für männliche Akteure angesehen zu werden. Demzufolge ist weniger die individuelle Befähigung als vielmehr die Zugehörigkeit zur „richtigen“ Geschlechtergruppe ausschlaggebend für die frühe Ermutigung. Dass die vermeintlich „richtige“ Geschlechtergruppe im grundschulischen Feld so selten ist, trägt zudem noch zu ihrer hohen Sichtbarkeit bei und verursacht letztlich „positive Folgen von Tokenism“ (Dickenberger/Rutz, 2002, S. 30). Es kommt zu einem frühen und ausgeprägten protegierenden Ermutigungserhalt. Ein zweites biologistisches Argument wird von den Grundschullehrerinnen ins Feld geführt: Ihre Wahrnehmungsakzentuierung fokussiert auf das nachdrücklichere Wollen der männlichen Grundschullehrer. Diese Verallgemeinerung schreibt dieser Geschlechtergruppe eine prononcierte Aufstiegsintention qua Geschlecht zu. Die Argumentation lässt offen, ob dieses Wollen sich auf ein Führen-Wollen oder ein Schule-Gestalten-Wollen bezieht und nimmt auch keine tradiert stereotypen Kompetenzzuschreibungen, wie beispielsweise ein hohes Durchsetzungsvermögen von Männern, vor. Maßgebend ist vielmehr die gegenderte Erwartungshaltung an ein ausgeprägtes Aufstiegsstreben von Männern im Allgemeinen, welches die Grundschullehrerinnen im Speziellen den Grundschul-
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lehrern zuschreiben, da diese infolge ihres geschlechtsabweichenden Berufes in besonderem Maße einer Statusverbesserung bedürfen. Der Einfluss der Grundschullehrerinnen bezieht sich folglich auf gegenderte Zuschreibungen, während der Einfluss der amtierenden (insbesondere männlichen) Schulleitungen gegenderte Ermutigungen infolge von Geschlechterzuschreibungen umfasst. Das Ziehen dieser geschlechterdramatisierenden und hierarchisierenden Trennlinie wird von den Agierenden selbst – weder von den Grundschullehrerinnen noch von den amtierenden Schulleitungen – nicht kritisch hinterfragt oder reflektiert. Bedeutsam ist jedoch, dass sich die begünstigenden und den Weg ebnenden Attribuierungsprozesse von Grundschullehrerinnen auf der interaktionellen Ebene unter statusgleichen Personen während der Teilhabe an den Qualifizierungsmaßnahmen in geringerem Maße niederschlägt als in den geführten Interviews. In Phasen der direkten Interaktion aufstiegsinteressierter Lehrerinnen und Lehrer tritt eine Verbalisierung dieser Wahrnehmungs- und Denkmuster gegenüber der Dominanz des doing student in den Hintergrund. Mutmaßlich trägt hierzu auch die größere Durchmischung beider Geschlechtergruppen durch Anwesenheit Lehrender aller Schulformen bei, die Grundschullehrer von ihrem „Sonderstatus“ entbindet und ihnen größere geschlechtliche Neutralität ermöglicht. In den ethnographischen Beobachtungen wurden stereotypisierende Zuschreibungen, die sich unmittelbar auf das männliche Gegenüber bezogen, nicht beobachtet. Von Seiten männlicher Lehrkräfte anderer Schulformen wurden jedoch interaktiv geschlechtliche Konstruktionen mit einhergehender Aburteilung vollzogen („Du bist Grundschullehrer? Als Mann?“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 212-213)). Diese demonstrieren, dass sich Grundschullehrer auch in geschlechtergemischten Gruppen einer geschlechtlichen Neutralität nicht sicher sein können und jederzeit mit der Relevantsetzung von Geschlecht durch Interaktionspartner rechnen müssen (vgl. Szenen in Kapitel 8.1.1). Eine zweite Ebene der Gendering-Prozesse wurde anhand der Praxis der Grundschullehrer selbst dargestellt. Hier zeigte sich, dass die männlichen Grundschullehrer ihr Handeln durchaus an der gegenderten Erwartungshaltung des Feldes ausrichten und die Geschlechterstereotype nicht weit verlassen. Dementsprechend dokumentieren sich in ihren Statuspassagen andere Inszenierungsakzente als in denen der Grundschullehrerinnen: Es kommt zu einer höheren Bewerbungsquantität und dem a posteriori Abweisen weiblich bewerteter Verhaltensweisen wie der Wertschätzung und Bedeutungsbeimessung sozialen Beistandes und sozialer Nähe.
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Dennoch ist der Konstruktionsprozess und Rekurs auf genderadäquates (Aufstiegs-)Handeln respektive auf die Inadäquatheit der (Grundschullehr-)Tätigkeit von Seiten des sozialen Feldes sehr viel profunder als von Seiten der Grundschullehrer. Ihre Männlichkeit wird nicht „von der Umwelt in Zweifel gestellt und marginalisiert“ (Baar, 2010, S. 371), sondern positivierend dramatisiert. Die Konstruktionsleistung des Feldes erweist sich dieser Untersuchung nach als hartnäckiger als die Praxis der Akteure selbst. Letztere führen die eigene Geschlechtszugehörigkeit nicht als konstituierendes Element für die Statuspassage an und verfügen – wie die sinngenetische Typenbildung zeigte – auch nicht über spezielle „Tricks und Kniffe“, die in der Ausgestaltung ihrer Aufstiegspraxis zum Tragen kommen. So haben sie als geschlossene Gruppe weder identische Modi der Qualifizierungswahl oder Netzwerkbildung inne noch ist ihnen dieselbe Kapitalstruktur zu eigen. Sie verfügen über differente habituell basierte Orientierungsrahmen, die sie keinesfalls zu der sozialen Gruppierung vereinigen, als die sie vom sozialen Feld ob ihres Geschlechts gesehen werden. Lediglich im Nachhinein stellen sie – sofern sie einem Typus mit Ausrichtung an sozialer Nähe und dem Bedürfnis nach Bestätigung angehören – Geschlecht auf zwei verschiedene Arten der Abgrenzung vom ursprünglichen (bestätigenden und ermutigenden) Eingebundenheitsbedarf wieder her, dekonstruieren dadurch die Gemeinsamkeit, die sie mit den Probandinnen ihrer jeweiligen Typen verband, und ordnen sich so tradierten Zuschreibungen unter. Trotz evidenter Heterogenität in der Ausgestaltung der Statuspassage nutzen die Grundschullehrer letztlich die bestärkenden und zukunftsweisenden Zuschreibungen, die aus dem begünstigenden Geschlechtereffekt resultieren und bewerben sich tendenziell früher, öfter und mit signifikant geringerer Problematisierung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit.
8.2 S TATUSPASSAGE UND K ONSTRUKTION VON W EIBLICHKEIT In der Darstellung der Einflussnahme der Strukturkategorie Geschlecht auf die Statuspassage ins Schulleitungsamt konnte, bezogen auf die Konstruktion von Männlichkeit, bereits gezeigt werden, dass es nicht ausreichend ist, ausschließlich die Eigenkonstruktionsleistung der Akteure zu betrachten. Vielmehr war es notwendig, den erheblichen Einfluss des sozialen Feldes hinsichtlich der Ziehung einer Geschlechtergrenze zu berücksichtigen. Dieser verbreiterte Blick in
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beide Richtungen, auf Agieren und Erleben im geschlechtlichen Kontext, bringt die Herausforderung mit sich, „die Omnipräsenz von Geschlecht ernst zu nehmen, ohne daraus eine Omnirelevanz zu stilisieren“ (Degele, 2004, S. 213). Um das zu gewährleisten, bedarf es nun auch in Bezug auf die Wirkung der Geschlechtszugehörigkeit auf die Statuspassage der Grundschullehrerinnen einer sensiblen Balance zwischen der Darstellung von Konstruktionsleistungen, die dem vergeschlechtlichten Habitus entspringen einerseits, dem Feldeinfluss andererseits und nicht zuletzt der Wahrnehmung der großen Variationsbreite innerhalb der Geschlechtergruppe. Ebenso wie in der Darstellung der Einflussnahme der männlichen Geschlechtszugehörigkeit auf die Statuspassage werden auch hier geschlechtliche Konstruktionen, die interaktiv vorgenommen werden, analysiert sowie vom Feld entgegengebrachte Zuschreibungen und Reaktionen, die eine geschlechtliche Klassifizierung vornehmen, und Sichtweisen und Praktiken, die von den Agierenden selbst eingesetzt werden. Konkret spielt die Geschlechtszugehörigkeit der Grundschullehrerinnen hinsichtlich der folgenden vier Merkmale eine Rolle: • • • •
ausbleibende Ermutigung junger Grundschullehrerinnen, Einnahme einer restriktiven Ausgangspositionierung, Gefahr einer Qualifizierungssackgasse sowie Variantenvielfalt von Offenlegungstaktiken.
8.2.1 Ausbleibende Ermutigung junger Grundschullehrerinnen Der Aspekt der ausbleibenden Ermutigung junger Grundschullehrerinnen13 ist auf der Seite der passiven Erfahrung weiblicher Lehrkräfte mit Aufstiegsinteresse zu verorten. Kontrastierend dazu basieren die drei weiteren Merkmale, hinsichtlich derer die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht bei beruflichem Anstieg im Grundschulfeld relevant wird und denen sich die folgenden Kapitel zuwenden, auf der aktiven Praxis der Probandinnen. Die Tatsache, dass junge Grundschullehrerinnen von ihrem beruflichen Umfeld nicht ermutigt werden, sich auf den Weg ins Schulleitungsamt zu begeben, erschließt sich aus dem erhobenen Datenmaterial primär durch die Nicht-
13 Auf Grundlage des hier untersuchten Samples fasse ich in der Gruppe der „jungen Grundschullehrerinnen“ alle Probandinnen unter 40 Jahre.
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Thematisierung. Anders ausgedrückt: Die ausbleibende Ermutigung wird von den befragten Lehrerinnen nicht beanstandet, sondern mehrheitlich nicht als bemerkenswert wahrgenommen. Fragen nach erhaltener Ermutigung evozieren keine Exemplifizierungen in narrativem Modus, sondern eine neutral formulierte Negation: I: „Haben Sie sich zu diesem Schritt in die Konrektorinnenfunktion von jemandem ermutigt gefühlt?“ „Nee, also, ich hab immer gute Rückmeldungen gehabt. Ich hab immer irgendwas nebenbei gemacht.“ (Frau Sprengel, Z. 65-69) I: „Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie von jemandem zu diesem Schritt ermutigt worden sind.“ „Nee, das nicht, aber ich hab ’ne Freundin, mit der ich das zusammen gemacht hab.“ (Frau Andres, Z. 31-33)
Die Grundschullehrerinnen bewerten ihre Position im Feld nicht als eine, aus der heraus ihnen Ermutigung für das Ergreifen der Schulleitungsfunktion zugesprochen werden müsste. Sofern sie nicht habituell disponiert Ermutigung ohnehin einen geringen Stellenwert zusprechen, beklagen sie deren Ausbleiben nicht, sondern bewerten dieses Defizit scheinbar als Norm. In ihrer Identitätskonstruktion einer aufstiegsbereiten Lehrerin bildet sich keine Auseinandersetzung mit fehlender Ermutigung ab. Das Thema wird nicht verhandelt und ausbleibende Ermutigung nicht als ein Manko respektive Karrierehemmnis angesehen. Ermutigung erhalten sie – falls benötigt – von privater Seite (die Probandin Frau Krug beispielsweise durch ihre Eltern, Frau Andres durch die Begleitung einer Freundin) oder wie im Falle von Frau Sprengel durch „irgendwas nebenbei“, sprich durch außerschulische Tätigkeiten, in denen sie Leitungserfahrungen sammeln und zur Übernahme von Führungsaufgaben ermutigt werden. Sie passen sich folglich unhinterfragt an eine bestehende gesellschaftliche Ordnung an, die mit ihrer Doxa im Einklang ist. In Abwandlung von Bourdieus Zitat, die subjektive Gewinnerwartung passe sich der objektiven Gewinnwahrscheinlichkeit an14,
14 Das Zitat lautet im Ganzen wie folgt: „Diese gesetzmäßige Tendenz menschlichen Verhaltens, die bewirkt, daß die subjektive Gewinnerwartung sich tendenziell der objektiven Gewinnwahrscheinlichkeit angleicht, bestimmt die Neigung zur Investition (an Geld, Arbeit, Zeit, Affektivität usw.) in den verschiedenen Feldern“ (Bourdieu, 2001, S. 278).
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lässt sich formulieren: Die subjektive Ermutigungserwartung junger Grundschullehrerinnen richtet sich an der objektiven Ermutigungswahrscheinlichkeit aus.15 Für die Kritiklosigkeit gegenüber dieser Gegebenheit ist folgende Erklärung annehmbar: Möglicherweise monieren junge Grundschullehrerinnen das Desinteresse des Feldes an ihren Aufstiegsbestrebungen deshalb nicht, weil sie es ihrer antizipierten Erwartungshaltung von negativer Einflussnahme und blockierenden Vorbehalten beinahe positiv gegenüberstellen. Obschon desgleichen in den Interviews nicht dokumentiert ist, verweisen diese immerhin auf die von jungen Grundschullehrerinnen befürchtete Skepsis des Feldes ihren Karriereplänen gegenüber („Ich hatte eher gedacht, er belächelt mich.“ (Frau Krug, Z. 191)) und stützen dadurch diese Argumentationsrichtung. Eine Ausnahme hinsichtlich der unhinterfragten Normsetzung ausbleibender Ermutigung stellt die Probandin Frau Linder dar, die sich mit 35 Jahren auf eine Konrektorinnenstelle bewarb, jedoch gebeten wurde, ihre Bewerbung aufgrund einer favorisierten internen Besetzung zurückzuziehen. Frau Linder bewertet die fehlende Ermutigung als eine wesentliche Ressource, die ihr vorenthalten wird. Sie kritisiert im Interview ihren Schulleiter, der ihr Aufstiegsinteresse nicht bemerken würde: „Er ist einfach bequem und hat so was überhaupt nicht im Blick.“ (Frau Linder, Z. 65-66)
Nachdem durch ihre Bewerbung ihre Motivation an einer Karriere im schulischen Feld auch für ihn offensichtlich geworden war, sind seine Unterstützungsund Förderangebote ihrer Ansicht nach dennoch unbeträchtlich: „Der ist so ein Pseudo-Unterstützer.“ (Frau Linder, Z. 43)
15 Dem Schluss von Bourdieus obigem Zitat widerspricht die Praxis der Lehrerinnen erfreulicherweise: Die Bereitschaft der Lehrerinnen zur Enaktierung ihres Karrierewunsches ist dennoch hoch. Allerdings muss angemerkt werden, dass über diese Kausalität im Rahmen vorliegender Untersuchung keine aussagekräftigen Befunde erhoben wurden: Ins Befragungssample wurden schließlich nur Lehrerinnen aufgenommen, die die Statuspassage ins Schulleitungsamt zumindest begonnen haben. Unterstützt von Millers Ergebnis, demzufolge nur 2,3% der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter angaben, die erhaltene Ermutigung sei in keiner Weise ausschlaggebend für ihre Bewerbung gewesen (vgl. Miller, 2001, S. 218), kann von einer hohen Bedeutung erhaltener Ermutigung ausgegangen werden. Mit anderen Worten: Ausbleibende Ermutigung hat vermutlich durchaus das Potential einer Aufstiegs-Hinderung.
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„Er denkt halt, er ist voll mein Förderer, weil er erlaubt, dass ich mal während der Schulzeit zu ’ner Fortbildung fahren darf.“ (Frau Linder, Z. 64-65)
Frau Linder beanstandet das Verhalten ihres Schulleiters auch im Rahmen des „TVaS“ offensiv: Frau Linder äußert, dass sie sich mehr Unterstützung von ihrem Schulleiter wünscht. Sie fragt, was sie tun könne. Der Seminarleiter rät, sie solle bei ihm das Modul „Konfliktbewältigung“ besuchen und anschließend den Schulleiter direkt zur Rede stellen. Das löst ein Lachen bei vielen Teilnehmenden aus. Auch Frau Linder guckt skeptisch, sagt aber nichts. Einige Minuten später flüstert sie ihrer Sitznachbarin zu: „Wenn ich ’nen anderen Schulleiter hätte, wär ich schon 10.000 Schritte weiter.“ (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 468-474-III)
Der Ratschlag des Seminarleiters, beruhend auf seiner Feldposition eines ca. 60jährigen Mannes, der selbst die Schulleitungsfunktion innehat, vermag weder Frau Linder noch die anderen Teilnehmenden – aufgrund des Kurses „Karriere unter 40 – geht das?“ alle unter 40 Jahre alt – zu überzeugen. Auch für die einige Zeit später geäußerte Empfehlung hinsichtlich eines erfolgreichen beruflichen Aufstiegs wählt er eine Symbolik, die seine Erlebnis-, Erfahrungs- und Denkstrukturen abbildet: Zum Ende des Seminars hin verweist der Seminarleiter in Bezug auf die Fähigkeit, Karriere zu machen, und die für Führungskräfte notwendigen Fertigkeiten auf den Fußballtrainer Jürgen Klopp. Er nennt keine Einzelheiten, sondern pauschalisiert „Der hat was, der Junge“ und verweist auf den unlängst im Magazin „Stern“ erschienen Artikel, den er nun hochhält. Dieser Artikel solle von den Teilnehmenden gelesen werden, da man vom Beispiel Jürgen Klopp Verhaltens- und Aufstiegstipps ableiten könne. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim „TVaS“, Z. 475-479-III)
Die Entscheidung für dieses Leitbild sowie die Entscheidung, dieses vorab gewählte Beispiel trotz der Gruppenstruktur von zehn Lehrerinnen und drei Lehrern zu präsentieren, festigt und verstärkt nicht nur die strukturierende Struktur, nach der Führungsfähigkeit mit natürlicherweise männlich konnotierter Kompetenz verknüpft ist. Es zeigt sich auch die habituell verankerte strukturierte Struktur der hegemonial männlichen Ideologie, die die Grundlage für diese Beispielwahl war. Wenn, mit Bourdieu gedacht, „Worte dazu beitragen, die soziale Welt zu erzeugen“ (Bourdieu, 1992a, S. 84), konsolidiert die Formulierung „Der hat was, der Junge“ (Z. 477-III) die Annahme eines inkorporierten Kapitals, über
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welches Männer verfügen und welches Führungsgeschick begünstigt. Wie stark diese „sanfte Form von Herrschaft“ (Bourdieu, 1992a, S. 130), die in dieser Symbolik mitschwingt, wirkt und wie sehr sie von der „Komplizenschaft derer ausgeübt wird, die ihr unterworfen sind“ (Bourdieu, 1992a, S. 130), soll noch verdeutlicht werden: Es ist bemerkenswert, dass Ermutigung für junge Grundschullehrerinnen nicht nur von Seiten der Vorgesetzten ausbleibt, sondern auch Kolleginnen und Kollegen – betrachtet man deren Nichterwähnung in den Interviews – nicht aktiv zu werden scheinen. Das sozial konstruierte Bild einer Grundschullehrerin in den Dreißigern impliziert das Anstreben der Schulleitungsposition offenkundig nicht. Ob ihnen stattdessen die motivationale Ausgerichtetheit auf eine Konsolidierung im Lehrberuf oder die Gründung einer eigenen Familie zugeschrieben wird, kann hier nur spekuliert werden. Führt man sich jedoch erneut die frühe und zugespitzte Ermutigung junger Grundschullehrer vor Augen, scheint Bourdieus Anmerkung passend: „Weniges ist so ungleich und wohl nichts grausamer verteilt als das symbolische Kapital, das heißt die soziale Bedeutung“ (Bourdieu, 2001, S. 309). Millers Resümee „von Kolleginnen fühlen sich die Schulleiterinnen mit einer Differenz von 9,0% häufiger ermutigt als Schulleiter“ (Miller, 2001, S. 214), welches keine Angaben zum Alter der befragten Aufstiegsaspiranten enthält, trifft vorliegender Erhebung zufolge zumindest auf Grundschullehrerinnen unter 40 Jahren nicht zu. Da die Nichterwähnung ermutigender Kolleginnen und Kollegen sich über die sinngenetischen Typen hinweg abbildet, kann auch nicht auf eine Wechselwirkung mit einer habituellen Disposition geschlossen werden: Unabhängig davon, ob die Probandinnen maximal in ihr Kollegium eingebunden sind (Versorgerhabitus) oder diesem distinktiv begegnen (superiorer Habitus), bleibt das Kollegium in den Narrationen unberücksichtigt. Durch eine Art „Komplizenschaft verbunden, die bewirkt, daß bestimmte Aspekte dieser Welt stets jenseits oder diesseits kritischer Infragestellung stehen“ (Bourdieu, 1992a, S. 82), wird der Verkennung dieser Personengruppe durch ein unhinterfragtes Wahrnehmungs- und Denkschema von unterschiedlichen Seiten assistiert. Symbolische Gewalt wird hier implizit und unerkannt von denselben Personengruppen ausgeübt, die durch Naturalisierung die Ermutigungsgabe jungen Männern gegenüber leisten. In der Ermutigungssituation älterer Grundschullehrerinnen zeichnet sich hingegen eine signifikante Diskrepanz ab: Sie erfahren einen deutlich höheren Ermutigungserhalt als ihre jungen Kolleginnen, der sich aus ihrem besonderen beruflichen Engagement speist. Durch Tätigkeiten in einem sichtbaren Bereich
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und/oder die phasische Übernahme von Funktionsstellen konstituierte sich bei diesen Lehrerinnen ein berufliches Profil, infolge dessen ihnen nun Ermutigung von unterschiedlichen Seiten zuteilwird. Die Bezugnahme auf das von ihnen bereits erworbene Kapital, beispielsweise durch handelnden Positionsanstieg, ist evident und maximal mit der Ermutigung verschränkt (vgl. Kapitel 7.4.1 sowie 8.1.2). Erst das Besitztum von symbolischem Kapital verhilft ihnen zu einem Zustand des Wahrgenommenwerdens. Wenngleich eine gewisse Vorab-Positionserhöhung durch Alter und/oder Erfahrung Ermutigung für Frauen eklatant zu begünstigen scheint, bleibt die Vergabe gemischtgeschlechtlicher Ermutigung – von Männern an Frauen adressiert – dennoch prekär: Die älteren Lehrerinnen des Typus „handelnder Positionsanstieg“ werden von ihren beiden aus dem Amt scheidenden Schulleitern nicht ermutigt. Dennoch greifen hinsichtlich des Ermutigungsaspekts zwei Faktoren maßgeblich ineinander: Dem Alter kommt neben der Geschlechtszugehörigkeit als Differenzkategorie eine weichenstellende Funktion zu. Die „Verbindung zwischen Person und Rolle“ (Goffman, 1977, S. 302) ist, wie die Überkreuzung sowohl mit der Geschlechter- als auch der Alterskategorie zeigt, erheblich und dominiert über eine Klassifizierung nach Qualifikation und Eignung. Geschlechterhierarchie wird hier durch die Wechselwirkung zweier Ungleichheitskategorien, Geschlecht und Alter, reproduziert.16 In der symbolischen Bewertung können Lehrerinnen durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Altersstufen verlieren oder gewinnen, Lehrer hingegen können aus allen Altersstufen heraus symbolisches Kapital erzielen. Ihre privilegierte Position, die sie in jungem Alter gegenüber jungen Grundschullehrerinnen im Feld einnehmen, wird von den Lehrerinnen einerseits mitgestaltet, indem sie durch ihre Zuschreibungen einen Teil des Zirkels besetzen und eine Geschlechterdifferenzgrenze ziehen, die das Ensemble der Grundschullehrkräfte in Darsteller und Publikum zerfallen lässt. Sie nehmen eine Publikumsposition ein, die darin besteht, die Grundschullehrer und deren Aufsteigen-Wollen zu kommentieren und zu beobachten, und behalten diese Position sogar dann noch bei, wenn sie selbst durch die Übernahme eines Schulleitungspostens zu Darstellerinnen avanciert sind.
16 Der Intersektionalitätsansatz, der sich mit Wechselwirkungen verschiedener Ungleichheitskategorien befasst und meist auf Klasse, Rasse und Geschlecht fokussiert, soll hier nicht näher Beachtung finden (vgl. Degele/Winker, 2009).
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Andererseits übersehen sie die unterschiedliche Verteilung von Ermutigung und die feldimmanente Trennung zwischen den Geschlechtern zugunsten der Grundschullehrer nicht in ihrer ganzen Tragweite. Dies basiert auf der Tatsache, dass sich die vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich geschlechtshomogene Ermutigung auf der Hinterbühne zwischen Schulleitern und Grundschullehrern abspielt. Obendrein veranschaulichen die empirischen Ergebnisse die vollzogene Rahmenmodulation männlicher Grundschullehrer, mit Hilfe derer sie die erhaltene Ermutigung a posteriori bagatellisieren. Folglich wird der Ermutigungserhalt nicht kommunikativ übermittelt. 8.2.2 Restriktive Ausgangspositionierung Hat nun die Statuspassage ins Schulleitungsamt trotz der fehlenden Ermutigung für Grundschullehrerinnen begonnen, bestehen in deren Verlauf drei Gefahrenstellen, an denen sie abbrechen, respektive allmählich scheitern kann. In diesem Kapitel rückt zunächst die Gefährdung durch eine restriktive Ausgangspositionierung in den Mittelpunkt, der zwar einige Probandinnen dieses Samples – zusammengefasst im Typus „risikoloses Probehandeln“ –ausgesetzt sind, die jedoch bei keinem der befragten männlichen Lehrer ermittelt werden konnte. Die Ausgangspositionierung, die sich als auffallend restriktiv herausgestellt hat, geht mit einer als „Versorgerhabitus“ bezeichneten Disposition einher (vgl. Kapitel 7.1.1). Die Probandinnen nehmen eine versorgende Position in ihrem Kollegium ein und haben eine „praktische, körperliche Kenntnis […] (ihrer) Position im sozialen Raum“ (Bourdieu, 2001, S. 236). Diese Kenntnis evoziert bei den entsprechenden Probandinnen eine irreversible primäre Verhaltensanpassung17 an die Erwartung. Sie übernehmen in ihrem Kollegium Aufgaben und Funktionen, die unmittelbar mit ihrer Konstruktion von Weiblichkeit verschränkt sind (aufräumen, Geschenke kaufen, Schokolade mitbringen), Altruismus verkündigen und eigennützigen Karrierebestrebungen diametral gegenüberstehen. Jegliche karriereintentional geprägten Handlungen – beispielsweise der Besuch des „TVaS“ – werden durch anschließendes „korrektives Handeln“ (Goffman, 1974, S. 156) verharmlost, wodurch dem „Prozeß der sozialen Kontrolle, durch den die
17 Ich spreche hier von einer primären Verhaltensanpassung in Abgrenzung zu der sekundären bei der Probandin Frau Thomforde herausgearbeiteten, die in Kapitel 8.2.4 noch einmal fokussiert wird.
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Individuen von Regelverletzungen abgehalten werden sollen“ (Goffman, 1974, S. 155), entsprochen wird (vgl. auch Kapitel 7.1.2). Das Bindungsbedürfnis, welches vom Versorgerhabitus gespeist wird, scheint nur aus der bestehenden Position heraus befriedigt werden zu können. Diese Rollenübernahme erwächst aus ihrer eigenen Geschlechterkonstruktion und ihrer Akzeptanz, tradierte Geschlechterrollen zu reproduzieren, und ist deshalb so stabil, weil sie im beruflichen Kontext das den Probandinnen geläufige Muster der Unterordnung unter vermeintliche Geschlechtsspezifika fortschreibt. Ein Beispiel der ethnographischen Beobachtung beim Präsenzseminar des Masterstudienganges soll die Selbstläufigkeit der sozialen Geschlechterkonstruktion verdeutlichen. Die Gruppenarbeitsphase einer aus zwei männlichen und zwei weiblichen Studierenden bestehenden Gruppe misslingt, da die Teilnehmenden sich in Randgesprächen verlieren und nicht zu einer konstruktiven Arbeitsteilung finden. Zum besseren Nachvollzug wird die Schlussszene wiedergegeben: 4. Tn (w): „Schreibt mal was auf jetzt.“ 2. Tn (m): „Na ja, wenn wir nur schreiben: Hospitationen erzeugen Widerstand, ist das zu wenig.“ 4. Tn (w): „Das sage ich ja seit 20 Minuten.“ 3. Tn (w): „Ich schreib das jetzt als Überschrift und ihr denkt weiter.“ Sie schreibt nichts. 2. Tn (m) erzählt von weiteren Ereignissen aus seiner Schule. 4. Tn (w) zu ihm gewandt: „Psst, die Zeit läuft. Und wir haben eigentlich nix.“ […] 3. Tn (w): „Wir sollten jetzt endlich was schreiben.“ 1. Tn (m): „Unser nächstes Modul heißt übrigens Zeitmanagement.“ Alle lachen. 2. Tn (m) beginnt etwas auf dem Plakat zu notieren. 4. Tn (w): „Du machst das super!“ Auf dem Plakat steht nun: ‚Unterrichtshospitationen und Rundgänge sind nur zielführend, wenn Transparenz und Akzeptanz im Kollegium‘ 2. Tn (m) hört auf zu schreiben und fragt: „Fehlt da nicht noch ein Verb?“ 4. Tn (w): „Besteht.“ 2. Tn (m) ergänzt das Wort und sagt: „Wir lassen das jetzt so.“ Der Dozent weist darauf hin, dass die Zeit um ist. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 212-243)
Das wenig zufriedenstellende Ergebnis wird letztlich nach Aufforderung durch die Studentinnen von den beiden männlichen Gruppenmitgliedern unernst präsentiert (vgl. auch Kapitel 6.1). Die beiden Teilnehmerinnen bedanken sich wie folgt:
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Die Studenten setzen sich wieder und erhalten den stärksten Applaus, Gelächter und einzelne „Juhu-Rufe“. […] Eine weibliche Teilnehmerin aus dieser Gruppe flüstert: „Ihr wart super. Das nächste Bier geht auf mich.“ Die andere Teilnehmerin ergänzt: „Ja, ihr habt einen gut. Was esst ihr denn gerne? Ich kann eine gute Quiche.“ Von den beiden Teilnehmern kommt keine Reaktion. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung beim Masterstudiengang, Z. 370-375)
Betrachtet man die obige Interaktion, so lässt sich eine geschlechtsbezogene Inszenierung erkennen, innerhalb derer die männlichen Gruppenteilnehmer die „prototypische Rolle des Problemlösers“ (Kotthoff, 1994, S. 186) einnehmen und die Studentinnen eine geschlechtergeprägte Arbeitsstruktur reproduzieren, indem sie eine Gegenleistung bieten, die dem weiblich konnotierten Versorgen entspricht. Durch die performative Handlungspraxis der Studentinnen werden die Gruppenmitglieder zu Männern und Frauen differenziert, wobei die von den Männern ausgeübte Tätigkeit symbolischen Kapitalgewinn hervorruft – Anerkennung durch lauten Applaus –, während sich die Frauen als Unterstützerinnen und Motivatorinnen im Hintergrund halten. Entscheidend ist, dass diese Positionierung ebenso wie die der Probandinnen des Typus „risikoloses Probehandeln“ nicht von außen appliziert wird, sondern durch Selbstklassifizierung erfolgt und das Rollenverständnis der Teilnehmerinnen verdeutlicht. In obigem Beispiel wird der Gendering-Prozess von den männlichen Gruppenmitgliedern nicht weiter potenziert: Sie übergehen im Sinne einer „Spielverweigerung“ (Hirschauer, 2001, S. 221) den Rahmenwechsel von der fachlichen zur persönlichen Ebene. Diese kurze Szene deckt sich mit der Stellungnahme Hirschauers, der konträr zu der auf Garfinkel zurückgehenden „Omnirelevanz-Annahme“ (Hirschauer, 1994, S. 677) der Geschlechterrelevanz in sozialen Interaktionen nur einen episodenhaften Stellenwert zuschreibt. Dennoch trägt auch eine nur flüchtige Aktualisierung von Geschlecht gegenüber einem langen Ruhenlassen nicht zur Geschlechtsneutralität als „Naturzustand der Moderne“ (Hirschauer, 1994, S. 679) bei. Nicht nur innerhalb des beruflichen Feldes, sondern ungleich stärker auch im partnerschaftlichen Kontext kommt dem Selbstbild der mütterlichen Frau einiger Probandinnen eine hohe Priorität zu, die auch hier Abgrenzungsschwierigkeiten evoziert: „Habe dann aber eben in meinem familiären Umfeld dann noch mal überlegt: Ist es jetzt das? Mein Mann hat eben die Konrektorenfunktion eingenommen und wir haben eben entschieden, zwei Kinder zu bekommen. Wir haben auch gesagt, dass einer eben zurück-
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stecken müsste. Das bin erst mal ich, so habe ich das entschieden, weil ich gerne am Nachmittag da sein möchte für die Kinder.“ (Frau Eggers, Z. 54-58)
Die restriktive Ausgangspositionierung, die einige Probandinnen dieses Samples sowohl im kollegialen als auch im privaten Umfeld besetzen, wird maßgeblich von ihrer Setzung konstituiert, andere Personen hätten ihnen gegenüber ein Karrierevorrecht. Dieser Denkmechanismus führt dazu, dass sie ihren Ehepartnern und auch ihren männlichen Kollegen unhinterfragt den Vorzug lassen. Zudem ziehen sie durch diese Bereitschaft zur Anschlussfähigkeit an gängige Geschlechterbilder beständig eine Grenze zwischen zwei antagonistischen Welten: der Welt der Karriere und der der Familie. Dieser Standpunkt verunmöglicht es ihnen, über Unterstützungsleistungen oder alternative Familien- und Partnerschaftsarrangements zu verhandeln. Folglich finden sich in ihren Interviews – kontrastierend zu denen anderer Probandinnen mit Kindern, die keine derartige Demarkationslinie ziehen – keinerlei Hinweise auf partnerschaftliche Diskurse zur Realisierung eines Nebeneinanders von Familie und beruflichen Aufstiegsambitionen. Der Versorgerhabitus verwehrt ihnen eine Blickrichtung, die Reproduktionsarbeit als delegierbar betrachtet, und propagiert mütterliche Ideale in fragloser Zustimmung, obgleich die vollzogene Geschlechterdifferenzierung zuungunsten der Frauen ausfällt. Die häusliche traditionelle Rollenausgestaltung wird im schulischen Feld perpetuiert und führt zur Verfestigung der differenzierenden Blickrichtung, zu einem restriktiven Interpretationsschema der externen Bedingungen und zu einem gegenseitigen Ergänzen von Fremdzuschreibung und Selbstdarstellung: „Ich glaube eben, dass es dann doch so ist, dass die Frauen eben zu Hause bleiben. […] Nicht, weil unbedingt der Mann das erwartet, sondern ich glaube, dass-. Ich mach’s ja auch gerne. Also, ich hab ja die Kinder auch gewollt.“ (Frau Eggers, Z. 191-194)
Aus obiger Äußerung spricht die subjektive Gewissheit, mit dem partnerschaftlichen zuungunsten der weiblichen Berufsbiographie vollzogenen Aushandlungsprozess dem Idealbild von Weiblichkeit zu entsprechen. Die benachteiligende Situation scheint akzeptabler, sofern sie mit einer Form der Idealisierung und dem Empfinden, „passend platziert zu sein“, einhergeht, weshalb „Frauen aktiv Situationen und Beziehungen mitgestalten, die ihren Interessen entsprechen, wenngleich sie trotzdem darunter leiden“ (Kotthoff, 1994, S. 170). So subsumiert die Probandin Frau Eggers sich selbst unter einem vermeintlich von allen Frauen erstrebten Leitbild, welches darin besteht, „dass es dann doch so ist, dass die Frauen eben zu Hause bleiben […]. Nicht, weil unbedingt der Mann das er-
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wartet“ (Frau Eggers, Z. 191-193). Bezogen auf etwaige Karrierewünsche von Frauen wird eine andere Erklärung bemüht als im Hinblick auf männliches Aufstiegsstreben, so dass das Bild erhalten bleiben kann, Aufstiegsinteressen korrespondieren mit Männlichkeit. So interpretiert sie die Aufstiegsmotivation von Frauen als zweitrangig und vorübergehend, eben „bei Frauen nicht ganz so wertig“ (Frau Eggers, Z. 139-140), im Lebensentwurf: „Ich glaube, dass die Möglichkeit immer noch ist, wenn man selber Schulleiterin ist, dass Frauen zu denen gehören, die sagen: Ich verzichte darauf. Es geht nicht ums Gehalt, sondern darum, auch zu gucken und irgendwann auch zu sagen: Ich möchte das nicht mehr. Ich habe genug in dieser Position gearbeitet. […] Dass eben auch Frauen in gewissen Positionen, wenn sie irgendwelche Koordinatoren oder Leiter sind von irgendwas, auch eher mal sagen: Jetzt habe ich das fünf, sechs Jahre gemacht, jetzt kann auch mal jemand anders.“ (Frau Eggers, Z. 131-137)
Bestätigung für ihr stereotypisierendes Wahrnehmungsschema findet sie am Beispiel einer Kollegin, die ihren Karrierewunsch aufgegeben hat: „Sie hat im Grunde genommen für sich dann den Lebenspartner entdeckt und jetzt dann die Familie. Sie hat nicht die Ambitionen, jetzt weiterhin in Schulleitungsebene was zu machen.“ (Frau Eggers, Z. 185-187)
Hiermit bestätigt sich für die Probandin noch einmal der Stellenwert der Beliebigkeit, den beruflicher Aufstieg bei Frauen einnimmt. Zugleich wird die Entwicklungsrichtung ihrer persönlichen Lebensausgestaltung validiert und der Glauben daran gefestigt, das soziale Geschlecht in der eigenen Praxis bestmöglich auszuüben. Die Exemplifikation ihrer Erkenntnis, dass Geschlecht maßgeblich die Karriereambition und -konzeption bestimmt, setzt sie vor dem Gegenhorizont tradierter männlicher Vorstellungen fort, die darin bestünden, „dass Männer anders arbeiten als Frauen“ (Frau Eggers, Z. 121), „in der Arbeit einfach 100%ig voll aufgehen“ (Frau Eggers, Z. 122) und erst der Umstand, die Familie finanziell zu versorgen, ihnen ermögliche, zu sagen: „Ich bin jemand“ (Frau Eggers, Z. 139). Aus dieser universal männlichen Perspektive hinsichtlich einer Karriererealisierung folgt dementsprechend selbstverständlich auch im privaten Kontext die Priorisierung der Karriere des Lebenspartners18. Der reibungslose
18 Dafür dass die Gründe für ein Karrierevorrecht des Mannes letztlich in der sich entsprechend habituell abgelagerten Geschlechtersozialisation der jeweiligen Personen
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männliche Aufstieg im Berufsleben wird als gänzlich natürlich im Sinne einer Kausalitätsannahme angesehen: I: „Hatten Sie den Eindruck, dass die anderen in ihren Karriereplänen so ähnlich waren wie Sie?“ „Einige waren fester davor. Es waren ja auch Männer dabei.“ (Frau Eggers, Z. 252-254)
Die handlungsleitenden Motive von Frauen, die diese zu einer Karriererealisierung bewegen, werden kontrastierend zu obiger Affirmation despektierlich bewertet, da sie der geschlechtsspezifischen Zuordnung passenden Verhaltens widersprechen: „Weibliche waren häufiger die, die unglücklich wirkten. Aber dann sehr verbissen irgendwie ein Ziel vor Augen hatten.“ (Frau Andres, Z. 377-378)
Der Ursprung der weiblichen Karriereintention wird von diesen Probandinnen negativ besetzt („viele Frauen, die unglücklich sind“ (Frau Andres, Z. 300)) und das entsprechende Verhaltensmuster („sich so selbst verwirklichen wollen“ (Frau Andres, Z. 300)) ausdrücklich vom männlichen Aufstiegsprocedere („dann waren sie viel verbissener als die Männer“ (Frau Andres, Z. 389)) differenziert. Beispielhaft unterlegt wird diese These durch eine von Frau Andres beobachtete Teilnehmerin am „TVaS“, aus deren Verhalten sie schlussfolgert, dass persönliches Fortkommen über inhaltliches Interesse dominiere. Nahtlos kongruent zum eigenen vom Versorgerhabitus intendierten Vorgehen wird dies moralisch abgewertet: „Im letzten Seminar hatte ich die Situation, dass sich ’ne Frau beschwerte, weil das Seminar, in dem Unterricht beurteilt, bewertet, begutachtet werden sollte, auch Gesprächsübungen dazu machte. […] Und eine der Frauen hat sich maßlos beschwert: Gesprächsführung hätte sie schon vier Doppelstunden besucht, das könne sie jetzt. Das ist bei manchen so ’ne Grundhaltung gewesen. Wo ich so gedacht habe: Die wollen nicht besser wer-
liegen, sprechen auch die Ergebnisse von Cornelißen, die besagen, dass gänzlich variable „‚passende‘ Argumente gefunden (werden), die die Unmöglichkeit des beruflichen Zurücksteckens des männlichen Partners als plausibel erscheinen lassen“ (Cornelißen, 2011, S. 116). Diese ex post Rechtfertigungen bezeichnet sie auch als „nachträgliche Rationalisierungen der Paare“ (Cornelißen, 2011, S. 116).
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den, die wollen nicht an sich arbeiten, die wollen irgendwelche Scheine sammeln, um dann zu sagen: Hier, das kann ich alles.“ (Frau Andres, Z. 313-321)
Entsprechend einer älteren Studie von Flaake zeigen diese Probandinnen meines Samples auch heute noch nahezu keine Toleranz für konkurrierendes Verhalten, „individuelle Profilierung und (die) entsprechenden Durchsetzungsstrategien“ (Flaake, 1989, S. 230) von Frauen. So rekurrieren die von Frau Andres unterstellten Begründungsversuche von Misserfolgen aufstiegsbereiter Frauen auf eine Widersprüchlichkeit zwischen deren Eindringen in männliche Hoheitsbereiche – Konkurrenz und Aufstieg – und ihrem aus Erfolglosigkeit resultierenden Rückzug in einen weiblichen Schutzraum: „Das liegt aber nie an den Frauen selber. Das liegt daran, weil ich ja zu hübsch bin, deshalb will die mich nicht dort haben und dann wär ich ja Konkurrenz zu den Kolleginnen oder ich bin ’ne Gefahr für den Schulrat, deshalb darf ich bei ihm im Kreis nicht in der Schulleitung sein. Es wurde immer auf andere abgewälzt. […] Also Frauen haben eher die Schuld von sich gewiesen und es waren andere Gründe und meistens so weibliche Gründe schuld. Haben auch gesagt: Also der, der den Posten bekommen hat, ist schlechter als ich. Aber haben nie gesagt: Die haben sich für jemanden anderen entschieden, weil sie den für besser befunden haben.“ (Frau Andres, Z. 380-387)
Ihrer inkorporierten Auffassung von Geschlechterpositionierungen gemäß handelt es sich bei einem allzu stark angestrebten Karrierewunsch von Frauen um eine Grenzverletzung infolge mangelnder Geschlechteridentifikation. Ein Rückgriff auf ebendiese zum Zwecke einer selbstwertstabilisierenden Schutzbehauptung ist demnach moralisch angreifbar. Eine konsequente Praxis würde – kehrt man den letzten Satz aus Frau Andres Zitat um – darin bestehen, die Auswirkung der (geschlechter-)grenzüberschreitenden Handlung zu tragen und sich einzugestehen: Ich bin (qua meines Geschlechts) nicht befähigt, in dem Spiel um Aufstieg mitzuspielen. Die restriktive Ausgangspositionierung ist deshalb so schwer zu überwinden, weil sie inkorporierten Wahrnehmungs- und Denkmustern entspringt. Zudem stoßen diese Probandinnen auf positive Resonanzen bei Ehepartnern und Kollegium, die für sie aufgrund ihres harmoniegeneigten Versorgerhabitus existentiell sind. Eine rollenerwartungserweiternde oder -überschreitende Praxis würde demzufolge nicht nur eine Diskrepanz zu der Erwartungshaltung des Kollegiums und des Partners auslösen, sondern die eigene Bezugnahme auf geschlechtsspezifi-
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sche Normen konterkarieren. Voraussetzungsvoll für einen solchen Bruch mit einer alte Muster bestätigenden Lebensausgestaltung und einer steten Orientierung an einer „passenden“ Geschlechterkonstruktion ist jedoch die – bisher ausgebliebene – Reflexion über die „Anerkennung derjenigen Herrschafts- und Machtstrukturen, die die Grundlage für die eigene Abwertung bilden“ (Bittlingmayer/Bauer, 2009, S. 119). Am Beispiel dieser grundsätzlich aufstiegsinteressierten Probandinnen zeigt sich deutlich, dass „Interessen und Ziele […] nur ein Teil der Handlungsorientierungen (sind). Im Anschluß an Parsons umfassen Handlungsorientierungen auch die an Werten und Normen orientierte Zielsetzung bzw. die Wahl der Mittel in einer gegebenen Situation. Diese ‚Wahl‘ kann aber eben auch so aussehen, daß man etwas einfach geschehen läßt“ (Hollstein, 2001, S. 179, Herv. im Original). Ebendieses Geschehenlassen bewirkt, dass das „Thema Verknüpfung von Beruf und Familie […] nicht ‚offensiv‘ oder gar kämpferisch behandelt (wird), indem z.B. Forderungen zur Erleichterung der Situation gestellt werden“ (Dierks, 2005, S. 329f.), sondern ein weiteres restriktives Merkmal, die Qualifizierungssackgasse, zu Tage tritt. 8.2.3 Qualifizierungssackgasse Zwischen der restriktiven Ausgangspositionierung, die bereits die Enaktierung der Statuspassage hemmend beeinflusst, und der Gefahr eines hohen Weiterbildungsaufkommens mit Sackgassenwirkung, die die Statuspassage potentiell sehr allmählich zum Versiegen bringen kann, besteht eine enge Interdependenz. Demzufolge sind im Rahmen dieser Untersuchung dieselben Grundschullehrerinnen vom Merkmal der Qualifizierungssackgasse betroffen, die bereits aus einer restriktiven Ausgangspositionierung heraus agieren. Die Datenlage zeigt eindringlich, dass sich bei diesen Grundschullehrerinnen eine Umorientierung vollzieht, da sich aus ihrem bestehenden Karrierewunsch aufgrund ihres Festhaltens an insistenten Rollenmustern kein inneres Bild von dessen Realisierung, keine reale Karriereperspektive entwickeln kann. Zieht man die aktuellere Forschung hinzu, deckt sich diese Erkenntnis mit Hoffs Schlussfolgerung: Die geringere Bereitschaft der weiblichen Probandinnen ihres Samples, eine Schulleiterinnenkarrriere anzustreben, sieht sie nicht in der faktischen Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, „sondern vielmehr auf der Begründungsebene“ (Hoff, 2005, S. 341). So habe sich der äußere Kampf um Karrieremöglichkeiten auf einen inneren um Legitimationen verlagert, mit denen die Probandinnen ihre Ambitionen vor sich selbst rechtfertigen können.
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Im Ansinnen, den eigenen Aufstiegswunsch zu kompensieren, substituieren einige Probandinnen meines Samples eine Positionserhöhung durch ein besonderes Engagement auf der originären Position in Verbindung mit fortwährenden leitungsrelevanten Fortbildungen. Diese „Qualifizierungssackgasse“ weist die höchstmögliche Passung zwischen ihrer Interessenslage und der Aufrechterhaltung ihrer ursprünglichen Rolle im beruflichen Feld auf: „Den Unterdrückten bleibt nur die Alternative zwischen der Treue zu sich selbst und ihrer Gruppe (wobei die Gefahr bestehen bleibt, daß man sich immer wieder über sich selbst schämt) und der individuellen Anstrengung, sich das dominierende Ideal zu eigen zu machen, die allerdings das Gegenteil des Unternehmens darstellt, sich die eigene gesellschaftliche Identität kollektiv neu wieder anzueignen“ (Bourdieu, 1982, S. 601). Das Äquivalent der systematischen Weiterbildung, welches – wie bereits herausgestellt wurde – als Instrument der Karriereplanung recht bedeutungslos ist19, wird nicht aufgrund eines geringen Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten gewählt, blickt man auf die Selbstzuschreibungen der Probandinnen hinsichtlich ihrer Kompetenz. Unter dem Blickwinkel auf das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung von Bandura (vgl. Bandura, 1979) schätzen diese Probandinnen ihre Kompetenzen für erfolgreiches Schulleitungshandeln durchaus positiv ein („Ich glaub schon, ich könnte das.“ (Frau Andres, Z. 234))20. Ihre Erwartung der Selbstwirksamkeit unterscheidet sich nicht von der der anderen weiblichen oder männlichen Proband/innen21.
19 So belegt auch Millers quantitative Untersuchung keinen höheren Bewerbungserfolg durch ein zuvor angeeignetes Konglomerat an Zusatzqualifikationen: „Das durch die Fragen nach den Zusatzqualifikationen und den übernommenen zusätzlichen Tätigkeiten unvollständig ermittelte Qualifikationsprofil hat, soweit hier erfasst, ebenfalls keinen Einfluß auf die Anzahl der Bewerbungen“ (Miller, 2001, S. 223). 20 Vgl. ausführlicher Kapitel 7.1.1. 21 Benannte Unsicherheiten mit Blick auf das avisierte Amt beziehen sich bei allen befragten Personen fast ausnahmslos auf externe Faktoren („Eher ähm, das Ungewisse, dass man ja mit Menschen zu tun hat und dass man nicht einschätzen kann, was da so für Kollegen da sind, mit welchen Eltern man das zu tun hat, mit was für Institution, die noch um die Schule rum was zu sagen haben.“ (Herr Hagen, Z. 195-198); „viel Gemecker von den Eltern“ (Frau Kipke, Z. 188-189)) und nicht auf die Einschätzung der eigenen Handlungsbefähigung. Auch in den Protokollen der ethnographischen Beobachtungen finden sich keine Rückschlüsse auf eine geringere Selbstwirksamkeit einer (beispielsweise nach Alter oder Geschlecht differenten) Personengruppe. Sollte dieser Befund durch weitere Forschungen validiert werden können, spräche dies für
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So optimistisch die Beurteilung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung innerhalb des vorliegenden Samples auch ausfällt, die Intentionalität der Handlungen dieser Probandinnen vermag sie nicht zu intensivieren. Sie scheinen sich vielmehr bewusst zu sein, dass der Erwerb des von ihnen akkumulierten kulturellen Kapitals entbehrlich und seine Effizienz recht fragwürdig ist. Dennoch können sie sich weder das ungleich einsatzfähigere soziale Kapital in den Fortbildungen aneignen22 noch die Partizipation an diesen – als einziges die Karriereintention konservierendes Element – aufgeben23. Infolgedessen kommt es zu einer „Resignation, (die) die verbreitetste Wirkung jener Form des learning by doing (ist), die eine von der Ordnung der Dinge selbst erteilte Fortbildung darstellt“ (Bourdieu, 2001, S. 299, Herv. im Original). Um die nicht von Lethargie, sondern fortwährend von Aktivität begleitete Resignation über die lange Verweildauer in
eine positive Entwicklungstendenz, da noch in Millers Untersuchung Zweifel hinsichtlich der eigenen Geeignetheit und Befähigung „überwiegend von Schulleiterinnen genannt worden sind“ (Miller, 2001, S. 205), obwohl „wie die Auswertung bezüglich der Zusatzqualifikationen, des Engagements in verschiedenen Tätigkeitsbereichen und der Wahrnehmung unterschiedlicher Ämter gezeigt hat, (sie) im Vorfeld ihrer Bewerbung in ihrem Engagement in quantitativer und qualitativer Hinsicht (männlichen Bewerbern) in nichts nachstehen“ (Miller, 2001, S. 205). Nur am Rande sei hier erwähnt, dass die Sinndeutung Millers hinsichtlich der Selbstwirksamkeit wenig Gehalt hat, da diese von tatsächlichen Befähigungen so gut wie unbeeinflusst ist (vgl. auch Jerusalem/Schwarzer, 2002, S. 37ff.). 22 In Kapitel 7.1.1 wurde bereits gezeigt, dass der Effekt der Qualifizierungsmaßnahme „TVaS“ auf die Geschlechterpositionierung in einer Selbstisolierung und kollektiven Abgrenzung dieser Probandinnen von allzu offensichtlichen Aufstiegsbestrebungen besteht. 23 Cornelißen konstatiert in ihrer Studie über berufliche Karrieren von Frauen – in deren Sample indes keine Lehrerinnen vorkommen –, dass ein faktischer Karriereabbruch der Frau zugunsten der beruflichen Entfaltung des Mannes häufig zu folgender Erscheinung führt: „Auf diskursiver Ebene halten die Frauen dieses Subtyps jedoch an ihrer Karriereorientierung fest und wollen die Realisierung der Berufskarriere auf einen biographisch späteren Zeitpunkt verschieben. Auf praktischer Ebene weist ihr Handeln bzw. das des Paares jedoch in eine Richtung, die die tatsächliche Einlösung dieses Wunsches als zunehmend unrealistisch erscheinen lässt bzw. sich bereits als unrealistisch erwiesen hat“ (Cornelißen, 2011, S. 109; Herv. im Original). Diese Erkenntnis korreliert hoch mit der Konsequenzziehung, die in Kapitel 7.1.4 aus dem modus operandi des Typus „risikoloses Probehandeln“ gezogen wurde.
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der Statuspassage und den entsprechend ungewissen Ausgang zu reduzieren, wird neben der Sublimation der Innovationsimplementierung innerhalb des Kollegiums auf positionell unveränderter Ebene eine Eigenstereotypisierung vollzogen. Diese Probandinnen schieben ihren Aufstieg zeitlich hinaus und beurteilen die dazwischenliegende Zeitspanne als „Übung für mich“ (Frau Andres, Z. 242), so dass sie weiterhin in Übereinstimmung mit dem eigenen habituellen Wahrnehmungs- und Bewertungsschema agieren können. Der eigene Aufstiegswunsch kann aufrecht erhalten bleiben, solange Qualifizierungsmaßnahmen besucht werden, ohne dass jedoch das eigene Idealbild von Weiblichkeit dekonstruiert werden muss. Bourdieu bemerkt dazu: „Man kann sich vorstellen, welches Gewicht der Gegensatz zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit für den Aufbau des Selbstbildes und des Weltbildes hat, wenn dieser Gegensatz zur Grundlage der tiefen Teilung der Sozial- und der Symbolwelt wird“ (Bourdieu, 1987, S. 145). Die Beispiele anderer weiblicher Probandinnen dieses Samples zeigen hingegen, dass der Einfluss äußerer Bedingungen wie Partner- und Mutterschaft auf Einschränkungen der Karriererealisation nicht doktrinär, sondern von den Agierenden bestimmt ist. Die kognitiven Dispositionen, die zur Konstruktion von Weiblichkeit und einem darauf ausgerichteten Statuspassagenmodell anleiten, sind demnach sehr viel tiefgreifender von den habituellen Anlagen beeinflusst und geprägt als von den realiter vorgefundenen sozialen Strukturen. Weinbach spricht diesbezüglich von Gender als zweiter Form des inkorporierten Kapitals: „Wie Bildung, so ist Gender, wenn auch nicht beliebig, steigerbar: Ein Habitus kann mit besonders viel Männlichkeit oder Weiblichkeit ausgestattet sein“ (Weinbach, 2004, S. 78). Zieht man die Lehrer/innenstudie von Flaake heran, die auf über drei Jahrzehnte alten Erhebungen fußt und in der entwickelt wurde, dass der Lehrberuf „dem herrschenden Bild von Weiblichkeit in stärkerem Maße als die meisten anderen akademischen Berufe“ (Flaake, 1989, S. 356) entspricht, scheint auch heute noch die Wahrscheinlichkeit erhöht in diesem Feld auf eine gesteigerte „gender role“ zu treffen. Deutlich hervorgehoben werden muss indes, dass Lehrerinnen mit intendierter traditioneller Rollenausübung nur eine Ausprägung in einem gerade auf Seiten der weiblichen Aufstiegsaspirantinnen dieses Samples sehr disparaten Orientierungspotpourri verkörpern. Veranschaulicht werden kann hier lediglich, dass die Ausprägungsintensität geschlechtsstereotypisierender Annahmen und Einflussnahme von Geschlecht auf die eigene Handlungs- und Bewertungspraxis je nach habitusspezifischer Disposition variiert, nicht aber woraus dieser Umstand hervorgeht. Während die „sozial-kognitive Lerntheorie“ (vgl. Bandura, 1979) die Ursachen für eine solche Verinnerlichung von Geschlechtsrollenstereotypen innerhalb des familiären Rahmens sieht und
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auf das Modelllernen in Verbindung mit stets positiv bestärkenden Reaktionen auf „geschlechtsangemessenes“ Verhalten rekurriert (vgl. Bandura, 1979, S. 25ff.)24, hat sich in der Geschlechterforschung eine grundsätzliche kritische Haltung gegenüber Sozialisationstheorien etabliert: Diese richtet sich auf die Ablehnung der Auffassung, dass aus dem Sozialisationsprozess die männliche und die weibliche unveränderliche Identität hervorgehen kann (vgl. auch Bilden/ Dausien, 2006, S. 17ff.): „Sozialisation ist keine ‚Einbahnstraße‘“ (Kelle, 2006, S. 133). Statt einer Fokussierung auf das Subjekt in seinem Entstehungsprozess wendet sich daher der Blick vornehmlich in Richtung interaktiver Prozesse, die im Sinne des doing gender Geschlechterkonstruktionen regelmäßig in situ hervorbringen25. 8.2.4 Variantenvielfalt von Offenlegungstaktiken Die einzelnen sinngenetischen Typendarstellungen befassten sich bereits eingehend mit der Art und Weise, wie die befragten Personen ihren Aufstiegswunsch innerhalb ihres sozialen Feldes kommunizieren. Dabei wurden höchst differente Offenlegungstaktiken identifiziert. Hebt man diesen Schwerpunkt der Öffnung des Bewusstheitskontextes des Feldes noch einmal separat hervor und betrachtet ihn unter dem Blickwinkel der sozialen Konstruktion von Geschlecht, wird folgendes offenkundig: Während sich eine nahezu homogene Kommunikation der Offenlegung bei den befragten Lehrern abbildet, existiert kein Kollektiv, welches „die Lehrerinnen“ umfasst. Die befragten Lehrer vollziehen eine offene Kommunikation ihres Aufstiegswunsches sowohl ihrer eigenen Schulleitung als auch dem Kollegium gegenüber. Rahmenmodulationen oder Separationen einzelner Personengruppen26 konnten ebenso wenig ermittelt werden wie Erwägungen über eine vermeintliche Passung respektive Abweichung von Geschlecht und Aufstieg.
24 Vgl. für einen umfassenden Überblick über lerntheoretische, strukturfunktionalistische und interaktionistische Sozialisationstheorien u.a. auch mit dem Blick auf den Erwerb einer „Geschlechtsidentität“ Faulstich-Wieland (2000). 25 Zentraler noch als die Frage nach der Genese der inkorporierten Orientierung dieser Probandinnen erscheinen mir strategische Überlegungen, ob und wie zur Durchdringung des beharrlichen Musters Reflexionsfähigkeit, Fortentwicklung und Erweiterung des Handlungsraums angeregt werden könnten. 26 Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Proband Herr Lohse. Er bevorzugt das Verfassen einer schriftlichen Nachricht zur Information über seine neue Position und
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Neben der jeweiligen sozialen Position sowie dem vorhandenen Kapitalvolumen und dessen Struktur, die die individuelle Durchführung der Offenlegungskommunikation beeinflussen, zeigt sich bei allen befragten Personen ein weiterer entscheidender Parameter, welcher auf ebendiese Praxis in anderer Tragweite einwirkt: der Einfluss einer historisch geformten gesellschaftlichen Geschlechterkategorisierung, der Lehrerinnen zu strategischer Offenlegung veranlasst, Lehrer jedoch nicht. Auf die Gefahr hin, den Anschein zu erwecken, die übereinstimmende Offenlegungsart der männlichen Probanden als Offenlegungsnorm zu stilisieren und die große Praxisvariationsbreite der weiblichen Probandinnen als Abweichungen davon, erscheint dennoch die folgende Darstellung unverzichtbar. Schließlich dokumentiert sich in genau dieser plötzlich evident werdenden Vielfalt einerseits und Einheitlichkeit andererseits, dass im männlichen Geschlechterhabitus die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Publikmachen der eigenen Aufstiegsintention nicht angelegt zu sein scheint. Folglich sollen die anschließenden Anmerkungen nicht unter dem Blickwinkel auf eine vermeintliche Normalisierung der männlichen Aufstiegsoffenlegung verstanden werden, sondern sensibilisieren für eine diskrete Form symbolischer Gewalt, die trotz überproportionaler weiblicher Präsenz und gleichberechtigender struktureller Ausgangsbedingungen in diesem Berufsfeld die selbstverständliche Identifikation der Lehrerinnen mit ihrem Aufstiegswunsch blockiert. Unter dem „Sozialisationsdruck in Richtung geschlechtstypischen Verhaltens“ (Trautner, 2006, S. 111) kommt es bei den Lehrerinnen zu strategischen Rahmenschichtungen der Offenlegung in erheblicher Variationsbreite. Aus einer vorbewussten Auseinandersetzung mit der Zusammenfügung von Geschlecht und Aufstieg resultiert der Glaube, eine Strategie entwickeln zu müssen. Diese Strategie kann sich auf zwei unterschiedliche choreographische Elemente beziehen: zum einen auf die Reduktion von Tragweite und Bedeutsamkeit der Karriereintention, zum anderen auf die nur partielle Kundgabe des Aufstiegswunsches. Ebenso bemerkenswert wie schlüssig erscheint die Tatsache, dass diejenigen Probandinnen, die bereits aus einer restriktiven Ausgangspositionierung heraus in die Statuspassage starten und in einer Qualifizierungssackgasse landen, die blockierendste Offenlegungsvariante einsetzen: eine Kombination aus beiden
grenzt sich maximal von seinem Kollegium ab, innerhalb dessen er eine prekäre Stellung einnimmt (vgl. Kapitel 7.2.2).
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choreographischen Bestandteilen, der Negation von Bedeutsamkeit und der partiellen Bekanntgabe. Zum Zweck der Vermeidung der Überschreitung einer imaginären Grenze brechen diese Probandinnen die eigene Qualifizierungstätigkeit für einen Schulleitungsposten auf ein bloßes Fortbildungsinteresse herunter27 („Die wissen schon, dass ich auf Fortbildungen bin. […]. Aber was ich genau besuche, wissen die nicht.“ (Frau Andres, Z. 132-137)). Goffman spricht auch von der Praxis des „In-anderen-Zusammenhang-Stellen(s)“ (Goffman, 1977, S. 87) oder einer korrektiven Tätigkeit: „Die Funktion der korrektiven Tätigkeit besteht darin, die Bedeutung zu ändern, die andernfalls einer Handlung zugesprochen werden könnte, mit dem Ziel, das, was als offensiv angesehen werden könnte, in etwas zu verwandeln, das als akzeptierbar angesehen werden kann“ (Goffman, 1974, S. 156). Damit ist die Gelegenheit, eine offene Kommunikation als Medium zur Rekrutierung bestärkenden sozialen Kapitals zu verwerten, verwirkt. Die ohnehin – hinsichtlich eines Aufstiegsstrebens – benachteiligende soziale Ausgangspositionierung dieser Probandinnen wird weiter verstärkt. Dass aus diesem Umstand dennoch keine Unzufriedenheit hervorgeht, basiert wiederum auf der Gewichtigkeit der „Schaltstelle Habitus“. Die gewählte Strategie, welche aus dem Zusammenwirken von „Selbsterkenntnis, Selbstkontrolle und Fremdkontrolle“ (Willems, 1997, S. 107) resultiert, befindet sich im Einklang mit der habituellen Disposition, eine hierarchische Verortung im sozialen Raum anzuerkennen und den vergeschlechtlichten Zuschreibungen zu entsprechen. Folglich wird kein innerer Konflikt ausgelöst, sondern in relativer Zufriedenheit allmählich das originäre Ziel heruntermoduliert und der kommunizierten Weiterbildungspriorität angepasst. Die „absolute Anerkennung begründet die absolute Macht […] über ihn (Anm.: den Akteur)“ (Bourdieu, 2001, S. 306). Dass die Art und Weise, wie und ob der Bewusstheitskontext des Feldes geöffnet wird, nicht primär ein Ausdruck des Grads sozialer Nähe respektive sozialer Orientierung ist, zeigt sich hier ebenfalls. Die entsprechenden Probandinnen sind maximal sozial eingebunden (vgl. ausführlich Kapitel 7.1.1). Maßgebend scheint vielmehr die habituelle Prägung hinsichtlich der Vorstellungen darüber, welche Verhaltensweisen passend und einen Normbruch vermeidend sind. Die zweite Variationsform der Offenlegung ist die Zuschauerseparierung. Die Lehrerinnen verfolgen entweder eine hierarchisierende Separation, die die Ebene der Vorgesetzten, selbst unter der oben dargestellten reduzierten Tragweite von Qualifizierung zu Fortbildung, von der Offenlegung ausschließt („das
27 Vgl. zur ausführlichen Darstellung des Vorgehens dieser Probandinnen Kapitel 7.1.2.
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muss sie nicht wissen“ (Frau Krug, Z. 218)) oder verwirklichen eine Grenzziehung entlang der Vertraulichkeit („zuerst meinem Teampartner erzählt“ (Frau Krug, Z. 184)). Die Selbstdarstellung ist demzufolge stark gesteuert und stellt eine Variationsform dar, die der Rückbindung an ein weiblich definiertes Muster geschuldet ist. Da die Verknüpfung von Weiblichkeit und Aufstiegsstreben eine Angriffsfläche zu bieten scheint – zumindest nach dem Bewertungsmaßstab dieser Probandinnen–, kommt es zu Inszenierungsüberlegungen, aus denen abzuleiten ist, dass die agierenden Lehrerinnen „ein richtiges Verhältnis – eine anerkennende Einstellung – zu der fraglichen Regel“ (Goffman, 1974, S. 168) haben. Handelt es sich bei dem Karrierewunsch schon um eine unerwünschte Eigenschaft, so soll durch ein erweitertes Darstellungsrepertoire zumindest eine Konstruktionsleistung erbracht werden, die im Einklang mit einer gendergemäßen Praxis steht. Während diese Geschlechterkonstruktion mit Blick auf die oben berücksichtigten Lehrerinnen als primäre Anpassung zu sehen ist, die gänzlich vorreflexiv im eigenen Verständnis geschlechtlicher Identität und dementsprechender Raumzuweisung aufgeht, lässt sich noch eine Ausprägung der Offenlegungstaktiken mit sekundärer Anpassung abbilden: Die Probandin Frau Thomforde – dem Typus „Abgrenzungsneigung“ zugeordnet – nimmt ebenfalls eine hierarchisierende Zuschauersegregation vor: „Ich hab das auch die erste Zeit gar nicht meiner Chefin erzählt.“ (Frau Thomforde, Z. 48)
Die erste Impulsgebung für diese Separierungspraxis ist affektiv aufgeladen („Zuerst hab ich gedacht: Nee, lass mal.“ (Frau Thomforde, Z. 202)), eine vorbewusste Selbstläufigkeit, die als Verweis darauf angesehen werden kann, dass das Handeln in großer Übereinstimmung mit dem (vergeschlechtlichten) Habitus einhergeht. Hinsichtlich der Offenlegung ihres Karrierewunsches entfernt sie sich bereits ein Stück weit von der Entsprechung geschlechtlicher Stereotype, da sie ihr Ziel klar benennt („Wenn jemand gefragt hat: Kannst du Schulleitung werden? Ja, das kann ich mir vorstellen.“ (Frau Thomforde, Z. 239)). In der Folge dieser Zielkonkretisierung kommt es jedoch zu einer „Täuschung in guter Absicht“ (Goffman, 1977, S. 102), die darin besteht, dass sie die zeitliche Dimension der Realisierung hinausschiebt („mach dir mal nicht so’n Kopf, ich mach das erst mal und dann sehen wir mal langsam weiter“ (Frau Thomforde, Z. 244245)). Diese Praxis – die Kapitel 7.2.2 ausführlich erörtert – stellt eine Möglichkeit dar, die Diskrepanz zwischen den genderadäquaten Erwartungen einerseits und der eigenen Intention andererseits oberflächig zu lösen. Ihre feldschonende Of-
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fenlegung ist eine performative Anpassungsleistung und kann daher als sekundäre Anpassung bezeichnet werden. Karriereplanung scheint für sie eng verknüpft mit Geschlechtszugehörigkeit, entsprechend nimmt sie ihre Statuspassage nicht nur individuell wahr, sondern ebenso als Vertreterin ihrer sozialen Geschlechterkategorie. Sie weist sich jedoch – kontrastierend zu den oben beschriebenen Lehrerinnen – nicht selbst Grenzen zu und handelt nach einem gänzlich anderen Weiblichkeitsentwurf. Sie referiert über gesellschaftliche Normen, die darin bestehen, dass man es als Frau „auch nicht zu gut machen darf“ (Frau Thomforde, Z. 174) und „es einfach nicht gut ankommt, wenn man mit seinem im Studium erworbenen Wissen so auftrumpft“ (Frau Thomforde, Z. 176-177). Zwar stellt sie kommunikativ diese Normen weder in Frage noch widerlegt sie die Annahme, dass Geschlecht strukturierend auf die Statuspassage wirkt, sondern bedient diese sozialen Erwartungen im Umgang mit ihrer Schulleiterin und in ihren Offenlegungstaktiken. In ihrer Handlungspraxis finden sich jedoch entsprechende Hinweise auf das Durchkreuzen eines genderangemessenen Verhaltens. Aktualisiert sie verbal eine dichotome Geschlechterdifferenz, die zum einen in den benannten Erwartungen des Feldes und zum anderen in differenter Karriereplanung von Männern und Frauen besteht („männliche Kollegen sind da eher so zielorientierter“ (Frau Thomforde, Z. 334), „bei Frauen ist das so, mal gucken, was jetzt kommt“ (Frau Thomforde, Z. 345-346), verliert im Handeln die Geschlechtszugehörigkeit letztlich die Bedeutsamkeit. Mit anderen Worten: Durch die zielstrebige Bewerbung unmittelbar nach Beendigung des Masterstudienganges und die sich anschließende Übernahme der Schulleitungsposition dekonstruiert sie nonverbal diese Normalitätserwartung. Zudem verhält sie sich nonkonform zu ihrer eigenen Unterstellung einer weiblichen Karrierekonstruktion. Die unterschiedlichen Abstufungen der sozialen Praxis der Offenlegung verweisen darauf, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit, vielmehr der daraus resultierenden vergeschlechtlichen Erwartungshaltung des sozialen Feldes, begleitend zum Leitungswunsch der Probandinnen ansteigt, während er bei den männlichen Probanden mit zunehmendem Führungsinteresse eher abnimmt. Letztere müssen ihre Geschlechtszugehörigkeit im Alltag als Grundschullehrer verschiedentlich verteidigen (vgl. Kapitel 8.1.1) oder zumindest auf eine Dramatisierung gefasst sein; ihnen widerfährt mit ansteigender Bereitschaft zur Leitungsübernahme jedoch ein potentielles Ruhenlassen. Diese Reduktion der Geschlechterthematisierung bezeugt sich im Rahmen des ethnographischen Einblicks sowie in den Interviews in der Nichtthematisierung. Während in den Interviews mit weiblichen Probandinnen die eigene Geschlechtszugehörigkeit häufig mitgedacht und auch die aufstiegsbereiter männli-
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cher Lehrkräfte vielfach aufgegriffen wurde („Und wenn man dann Grundschullehrer ist, dann denkt man wahrscheinlich auch, dann muss ich auch Schulleiter werden.“ (Frau Kipke, Z. 285-286)), begegnete ich während der gesamten Erhebungsphase ausschließlich am Schulleitungsamt interessierten Männern, die die Perspektive der Geschlechtszugehörigkeit nicht mit beruflichem Aufstieg in Verbindung brachten. 8.2.5 Zwischenfazit Resümiert man die soziale Konstruktion von Geschlecht hinsichtlich weiblicher Grundschullehrerinnen und ihrer Statuspassage ins Schulleitungsamt, so wird evident, dass die Gendering-Prozesse sich primär auf Seiten der Akteurinnen selbst vollziehen. Der Einfluss des sozialen Feldes, welcher weit weniger beträchtlich ist als mit Blick auf die Grundschullehrer, besteht vorwiegend im Unbeteiligtsein. Zweifellos bleibt jedoch auch dieses geringe Engagement des sozialen Feldes letztlich nicht ohne Auswirkungen. Der Gendering-Einfluss des Feldes besteht dieser Untersuchung zufolge im Wesentlichen darin, dass die Grundschullehrerinnen sich im Verhältnis zu den Grundschullehrern hinsichtlich der vom Feld entgegengebrachten Reaktion „am entgegengesetzten Pol des Positionenraums“ (Bourdieu, 1988, S. 180) befinden. Werden letztere signifikant früh ermutigt, wird das Aufstiegsinteresse ersterer von Seiten männlicher Schulleiter gar nicht und durch Kollegien und weibliche Schulleitungen erst dann unterstützt, wenn ein bemerkenswertes Leistungspotential registriert wurde. Dieses wurde entweder durch die Implementierung besonderer Kompetenzen in den schulischen Arbeitsalltag bemerkt oder durch die Praxis der jahrelangen leitungsnahen Aktivität und die damit verbundene allmähliche Kompetenzakkumulation. Das Zusammenwirken der recht ausgeprägten Eigendetermination zahlreicher prinzipiell aufstiegsinteressierter Grundschullehrerinnen einerseits und der frühen Ermutigung junger Grundschullehrer durch das Feld andererseits – eben keine feldinterne Ermutigung für sie – verfestigt letztlich das geschlechtssegregierende Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster dieser Lehrerinnen und erschwert ihnen die Statuspassage ins Schulleitungsamt noch zusätzlich. Den positivierenden Zuschreibungen auf der einen Seite ist schließlich ein Aberkennen auf der anderen Seite inhärent. Der Blick soll nun noch einmal auf die Eigenkonstruktionsleistungen der Lehrerinnen gerichtet werden.
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Die restriktiven Elemente – eine aufstiegserschwerende Ausgangspositionierung, eine langfristige Qualifizierungszeitspanne ohne Amortisation und eine das eigene Vorhaben als Bagatelle behandelnde Offenlegung – bilden sich infolge inkorporierter sozialer Geschlechterauffassungen der Lehrerinnen heraus. Grundlegend ist eine Strukturierung nach Maßgabe der Zweigeschlechtlichkeit, die den Männern eine gewisse Selbstverständlichkeit hinsichtlich des Wollens und Absolvierens der Statuspassage ins Schulleitungsamt zuschreibt, während sie einen Erklärungsbedarf auf aufstiegsinteressierte Frauen projiziert. Unter Heranziehung biologistischer Argumentationen werden berufliche Ambitionen von Frauen qua Geschlecht als weniger beständig, zielbewusst und belangvoll angesehen. Gemäß dieser Auslegung gestalten sich die eigene Positionierung sowie die eigene Praxis der Lehrerinnen und es schließt sich der Kreis einer erschwerten und nicht bis zum Ende vollzogenen Statuspassage. Forberg konstatierte in ihrer Untersuchung, dass „mit diesem als männlich geltenden beruflichen Aufstiegsinteresse für weibliche Lehrkräfte im Schuldienst immer noch ein starker Rechtfertigungsdruck verbunden ist“ (Forberg, 1997, S. 95). In Anlehnung an die bereits an anderer Stelle zitierte Studie von Hoff, die den Ausgangspunkt der Rechtfertigung vielmehr bei den Lehrerinnen selbst sieht (vgl. Hoff, 2005, S. 341), lässt sich auch auf Grundlage der vorliegenden Erhebung kein Rechtfertigungsdruck, ausgeübt vom sozialen beruflichen Feld, folgern. Zudem stellten sich weder die institutionellen Rahmenbedingungen noch Reformen, die die zeitliche und organisatorische Struktur von Grundschule veränderten oder die Vereinbarkeit einer Schulleitungsposition mit einer familiären Verantwortlichkeit als Verhinderungsgrund einer erfolgreichen Statuspassage heraus. Auch wenn die familiäre Einbindung einigen Probandinnen als Argumentation fungiert, zeigt sich am Beispiel von Schulleiterinnen mit mehreren Kindern, dass nicht in der Rahmenbedingung, sondern im Konflikt aus der Unvereinbarkeit der angedachten beruflichen Rolle mit der eigenen Geschlechterkonstruktion das restriktive Element zu suchen ist. An dieser Stelle wird es elementar, die erhebliche innergeschlechtliche Variationsbreite zwischen den Grundschullehrerinnen, die sich in der sinngenetischen Typenbildung abbildet, noch einmal zu fokussieren. Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Konstruktion von Geschlecht sehr different und in ihrer Ausprägung von geringfügig bis eminent verlaufen kann. Je ausgeprägter sie ist, desto stärker wirkt sie als strukturierendes Moment für den Verlauf der Statuspassage ins Schulleitungsamt. Überdeutlich tritt dieser Aspekt hervor, wenn „Weiblichkeit“ so nachdrücklich konstruiert wird, dass alle drei restriktiven Inszenierungsakzente von der erschwerenden Ausgangspositionierung über die Stagna-
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tion im Rahmen redundanter Qualifizierung bis hin zu verheimlichender Offenlegung zutage treten. Diese Konstellation geht vollends im Typus „risikoloses Probehandeln“ auf und dokumentiert die Auswirkungen, die aus einer umfassenden Inkorporation tradierter Erwartungen und Zuschreibungen resultieren: Der Habitus und die vergeschlechtlichte Seite des Habitus verschmelzen miteinander und verunmöglichen letztlich eine erfolgreiche Entwicklung der Statuspassage. Da dies unter Absenz jeglicher Reflexion geschieht, ist es lohnend, Baars Differenzierung zwischen „reflexivem und nicht-reflexivem Habitus“ (Baar, 2010, S. 369) hinzuzuziehen. Seiner Einteilung entsprechend verfügen diese Probandinnen über einen nichtreflexiven Habitus, da sie nicht auf Distanz zu ihrer eigenen Weiblichkeitskonstruktion gehen können, sondern schlussendlich ihre originäre Zielausrichtung dieser unterordnen und sie herunterbrechen, um nicht in Konflikt mit genderangemessenem Verhalten zu geraten. Eine weniger signifikante Ausprägung des Herstellungsprozesses von Weiblichkeit in der Handlungspraxis zeigt sich bei der Probandin Frau Thomforde. Das Bezugsverhältnis von Geschlecht und Karriere ist in ihrer Wahrnehmung auch gegenwärtig. Die Annahme, dass Karriere sich in Interdependenz zur Geschlechtszugehörigkeit der agierenden Person „irgendwie anders“ ereigne, wird von ihr vertreten und auch toleriert. Der Einflussbereich des Faktors Geschlecht erstreckt sich jedoch anders als bei den zuvor beschriebenen Probandinnen lediglich auf die Ausgestaltung der Karriere und nicht gemeinhin auf das Karriererecht. Das Wollen, Können und Dürfen eines beruflichen Aufstiegs indes ist geschlechtsungebunden. Diese Auslegung schlägt sich demzufolge in ihren Konstruktionsleistungen nieder. Wenngleich sich im Bereich der kommunikativen Offenlegung noch Entsprechungen zu einem genderadäquaten Konstruktionsmodus abbilden, bleibt die weitere Praxis dieser Probandin unberührt von vergeschlechtlichten Konstruktionsprozessen. Dennoch ist der Statuspassagenverlauf dieser Lehrerin nicht als konsistenter Gegenentwurf zu dem Anpassungsmuster anderer Lehrerinnen an vermeintliche Geschlechtsspezifika zu deuten. Auch sie leitet duale Geschlechterdifferenzen aus einer Naturhaftigkeit ab und führt Erwartungen des Feldes infolge der Geschlechtszugehörigkeit an. Da sie all dies nicht reflektiert und für sich ablehnt oder dekonstruiert, lässt sich auch kein reflexiver Habitus konstatieren. Ihr Anspruch, diesen Erwartungen Genüge zu tun, ist lediglich begrenzter: Ihre Geschlechtszugehörigkeit verpflichtet sie nicht zum Verzicht auf eine Führungsposition oder zu der Entscheidung für eine der beiden Rollen, Schulleiterin oder Mutter ihrer drei Kinder. Genderentsprechende Verhaltensmuster liegen für sie hingegen im Nicht-zu-gut-machen-Dürfen und Auftrumpfen mit Wissen sowie der etwas ungezielten Karrieregestaltung. Durch ihre
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Praxis der Offenlegung und des Verschweigens neuen Wissens (vgl. Kapitel 7.2.2) hat sie die Forderungen an einen „weiblichen Aufstieg“ ihrer Interpretation zufolge erfüllt. Den Umstand einer unbedachten Karriereausrichtung von Frauen muss sie nicht weiter konstruieren, da diese scheinbar natürlich aus dem Frausein resultiert. Trotz konkreter Zielausrichtung und zielstrebiger Bewerbung unmittelbar nach dem Interview subsumiert sie ihr eigenes Handeln unter dem von ihr für Frauen als typisch identifizierten Muster („wie bei mir, mal gucken, was jetzt kommt“ (Frau Thomforde, Z. 346)) und verbleibt durch diese Umdeutung innerhalb des Rahmens ihrer Weiblichkeitskonstruktion. Mit einer dergestalt konstruierten Eigenwahrnehmung gelingt es ihr, den beiden Seiten ihres Habitus zu entsprechen: dem vergeschlechtlichten Habitus sowie durch ihre letztlich vollends vom Feld unabhängigen Karriereschritte ihrem superioren mit einer Abgrenzungsneigung korrespondierenden Habitus. Lässt sich daraus nun folgern, dass der berufliche Aufstieg von Lehrerinnen ins Schulleitungsamt einer Grundschule immer unter Rekurs auf das eigene Geschlecht erfolgt? Die Praxis der Probandinnen des Typus „handelnder Positionsanstieg“ sowie die der Probandin vom Typus „Bestätigungsbedürfnis“ verweisen darauf, dass eine Handlungsorientierung ohne vergeschlechtlichte Muster möglich ist. Diese Lehrerinnen bringen keine Konstruktionsleistungen hervor, mit denen sie sich von den männlichen Lehrern dieser beiden sinngenetischen Typen unterscheiden. Die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht stellt für sie weder gedanklich noch handlungspraktisch ein zentrales Moment dar, welches im Zusammenhang mit beruflichem Aufstieg berücksichtigt werden muss und greift weder determinierend noch begünstigend in strukturierender Weise in ihre Praxis ein. Sie kommen nicht aus einer restriktiven Ausgangspositionierung noch laufen sie Gefahr, sich in einer Qualifizierungssackgasse festzufahren. Auch vollziehen sie keine separierenden Taktiken der Offenlegung ihres Aufstiegswunsches. Einzelnen Orientierungsmerkmalen, nach denen sie ihre Statuspassage ausrichten, wie die ausgeprägte Gebundenheit an Ermutigung oder Bestätigung oder die Langwierigkeit der Statuspassage, kann zwar ein statuspassagenbeeinträchtigender Charakter beigemessen werden. Es handelt sich jedoch keinesfalls um eine Erscheinungsform, die sich geschlechtsgebunden bei Lehrerinnen herausbildet. Dennoch perpetuieren sie Ungleichheiten weiter, indem sie in polaren Geschlechterkategorien denken und ihren männlichen Kollegen prononciert die hier bereits vielfach angeführte Aufstiegsabsicht qua Geschlecht zuschreiben.
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Mit keiner der drei hier noch einmal zusammengefassten heterogenen Bezugnahmen auf Geschlecht – von einer zu vernachlässigenden bis hin zu einer benachteiligenden Ausprägung – geht ein „reflexiver Habitus“ (Baar, 2010, S. 371) einher, definiert man diesen als „auf sich selbst zurückverweisend zu handeln, dies durchaus geschlechterbewusst, doch weit davon entfernt, geschlechtsspezifische Zuschreibungen zu reproduzieren“ (Baar, 2010, S. 372f.). Weder die Konstruktionen, die unter Bezugnahme auf ihr eigenes Geschlecht ihren Weg durch die Statuspassage hindurch flankieren, noch die, mit denen sie eine antagonistische und in sich geschlossene männliche Geschlechtergruppe konstituieren, werden von den Lehrerinnen wahrgenommen und hinterfragt. Eine bewusste Distanznahme von geschlechterstereotypisierenden Zuschreibungen, eine Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsgehalt von diametraler Klassifizierung und eine Sensibilität für Falltüren genderpassenden Verhaltens können demzufolge noch nicht verwirklicht werden. Dies zeigt meines Erachtens, wie stark die Thematik des beruflichen Aufstiegs für viele Lehrerinnen noch mit dem Faktor Geschlecht unter tendenziöser Akzentsetzung verknüpft ist.
9. Resümee
Anliegen dieses Resümees ist nicht, noch einmal die Einzelergebnisse zusammenzufassen, sondern wesentliche Befunde unter neuen Blickwinkeln zu beleuchten und dabei auf Offengebliebenes zu verweisen. Die Intention der vorliegenden Untersuchung bestand darin, die Statuspassage von Grundschullehrkräften ins Schulleitungsamt detailliert zu untersuchen und diesen Schritt als beruflichen Aufstieg in seiner ganzen Tragweite zu erfassen. In einem Feld, in dem der Begriff „Karriere“ gerne verharmlosend in Anführungszeichen gesetzt wird und der Übernahme des Schulleitungspostens weder eine präzise Qualifizierungsvorgabe vorausgeht noch eine beträchtliche Besoldungssteigerung folgt, ist die Entscheidung für eine berufliche Laufbahn als Schulleitung für jede Einzelne und jeden Einzelnen dennoch von großer Relevanz und von vielen Abwägungen begleitet. Die Hinwendung zum Wie dieses Aufstiegshandelns bedient das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Konstituierung des Karriereweges ins Grundschulleitungsamt herauszuarbeiten. Es konnte gezeigt werden, dass sich der Übergangsweg in die Schulleitungsposition nicht in einer einzelnen Entscheidung erschöpft, sondern von einer Vielzahl struktureller, sozialer und individueller Faktoren beeinflusst ist. Zunächst richtete sich der Blick auf Handlungs- und Interaktionsstrategien, die habitusgelenkt vollzogen wurden und sich durch Kontrastierung und analytische Abstraktion in vier Bewältigungstypen der Statuspassage fassen ließen. Ein wesentlicher Aspekt, der hier noch einmal aufgegriffen werden soll, da er die Statuspassage maßgeblich konturiert und durch die Dispositionen und Abneigungen des Habitus geleitet wird, ist die Wahl der Qualifizierungsmaßnahme. Das Nebeneinander zweier formalisierter Angebote lässt einen Handlungsspielraum, infolgedessen die Akteure eigene Regeln in der Wahl der Weiterbildung und in der Zügigkeit ihres Vorgehens aufstellen und befolgen. Die sinngenetische Typenbildung zeigte neben einer umfassenden Darstellung der Umset-
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zung der jeweiligen inneren Orientierung der Agierenden, dass diese Präferenz geschlechterunabhängig besteht. Evident wurde im Rahmen der sinngenetischen Typendarstellung, dass der prekärste Statuspassagenverlauf mit der Wahl des Qualifizierungskurses „TVaS“ einhergeht. Lassen sich dadurch Rückschlüsse auf die Qualität beider möglicher Maßnahmen ziehen? Die Frage, wie eine Qualifizierungsmöglichkeit konzipiert sein muss, um eine erfolgreiche Statuspassage in Aussicht zu stellen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Die Analyse der Interviews zeigt deutlich, dass mit beiden Maßnahmen der Weg ins Schulleitungsamt rasch und erfolgreich beschritten werden kann. Nennenswert unter der Perspektive auf das schleswig-holsteinische Qualifizierungsprocedere sind drei Aspekte: x In vorliegender Untersuchung bildet sich der Charakter der Neuschöpfung des Masterstudienganges ab. Durch diese Innovation vollziehen sich Verschiebungen der Kräfteverhältnisse und Bewegungen im Feld. Obgleich der Studiengang nicht bei allen Proband/innen bereits Anklang findet, bildet sich doch eine rege Auseinandersetzung mit dieser neuen Weiterbildungsmöglichkeit ab. Auch hinsichtlich des Ermutigens und Bestätigens aufstiegsbereiter Lehrkräfte hat die Gründung des Masterstudienganges bereits einen ersten Einfluss: Der einzige Proband dieser Untersuchung, dessen amtierende Schulleiterin bereits das seit 2007 bestehende Masterstudium absolviert hatte, profitierte von deren Glauben an und positivem Urteil über diese Qualifizierungsform, da er noch während seines Studiums von ihr zum stellvertretenden Schulleiter vorgeschlagen wurde. Schulleitungen, die selbst keine Erfahrungen mit dem Masterstudiengang hatten, zeigten sich dieser Untersuchung entsprechend aufgeschlossen, aber noch unkundig. Für eine Interdependenz zwischen diesem neuen Qualifizierungsangebot und einer gesteigerten, respektive verminderten Ermutigung von Seiten „studiengangunerfahrener“ Schulleitungen hält diese Untersuchung keine Datenbasis bereit. Es handelt sich dabei meines Erachtens durchaus um eine vielversprechende Forschungsperspektive, unter der verschiedene Grundstrukturen verdeutlicht werden könnten, die Aufschluss darüber geben, inwieweit Akzeptanz und Eingliederungsprozess des neuen Studienganges in das schulische Feld voranschreiten. x Mit Blick auf die Implementierung des neuen Qualifizierungsprocedere durch ein berufsbegleitendes Studium lässt sich am Schluss dieser Arbeit ein zweiter Aspekt resümieren, der auch bereits den zweiten essentiellen Forschungsschwerpunkt vorliegender Untersuchung, die Perspektive auf Geschlecht, noch einmal aufgreift: die Auswirkung einer angedachten Studiumsverpflichtung.
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Sollte das Weiterbildungsstudium – wie gelegentlich erwogen – zu einer obligatorischen Voraussetzung für die Bewerbung auf einen Schulleitungsposten erhoben werden, würde dies dem Typus „handelnder Positionsanstieg“ sein auf Lehr- und Leitungserfahrung basierendes Fundament entziehen, auf dem sich die Karriere dieser Personen sukzessive aufbaut. Dieser berufliche Aufstieg würde verunmöglicht, da die entsprechenden Proband/innen keine Bereitschaft zeigen, im Alter von Mitte bis Ende 50 das Masterstudium aufzunehmen. Statt einer institutionalisierten Professionalisierung hält dieser Typus ein passendes – fortgeschrittenes – Zugangsalter infolge der aus ihrer Perspektive erforderlichen Zeit zur Akkumulation der benötigten Kapitalien für nötig. Unter veränderten Rahmenbedingungen käme Kompetenzerwerb über Erfahrung in der Lehrtätigkeit strukturell nicht mehr vor. Da die dem Studiengang inhärente Professionalisierung des Berufsbildes Schulleitung eine Aneignung professioneller Identität – generiert über die Dauer des „Lehrkraftseins“ – ohnehin kritisch infrage stellt, entspräche oben benannter Typus auch nicht der „Zielgruppe“ künftiger Schulleitungen. Das straff organisierte Studium würde allmählich eine Karriereverdichtung hinein ins Schulleitungsamt begünstigen. Mutmaßlich und auf der Datenbasis der vorliegenden Erhebung antizipiert, würde eine solche Formalisierung auf den ersten Blick betrachtet die Geschlechterdifferenzen tendenziell nivellieren. Der subjektive Interpretationsspielraum einer jeden Person darüber, ob sie bereits ein ausreichendes Maß an Befähigung zur Einstellung erworben hat, würde durch diese Vereinheitlichung begrenzt. Der Qualifizierungssackgasse des Typus „risikoloses Probehandeln“ könnte entgegengewirkt werden, indem auf die Absolvierung einer festgeschriebenen Ausbildung folgerichtig die Ausübung des neuen Berufes und auch der Anspruch auf diese neue Position folgt. Da jedoch gezeigt werden konnte, dass nicht die Befürchtung mangelnden fachlichen „Gerüstetseins“ diesem Lehrerinnentypus die Statuspassage erschwert, scheinen diese Lehrerinnen kognitiver Unterstützungsaspekte statt institutioneller Veränderungen zu bedürfen. Dies gilt insbesondere, da dieser Typus das Absolvieren einer solch bindenden Ausbildung nicht ohne weiteres mit seinem Habitus vereinbaren könnte. Doch es gilt noch eine weitere Auswirkung einer angedachten Studiumsverpflichtung auf die strukturierende Kategorie Geschlecht zu antizipieren. Durch die offengehaltene Vorab-Qualifizierungssituation werden meiner Vermutung nach potentielle Schulleitungen noch stark personalisiert gedacht – mit verschärftem inhärentem Risiko von Genderstereotypen. Mit anderen Worten: Personen, die sich um einen Schulleitungsposten bewerben, werden nicht als geschlechts- und altersneutrale Personen mit entsprechender Kompetenz durch die erforderte und von ihnen erbrachte Qualifikation wahrgenommen, sondern
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als Frauen, Männer, „gestandene Lehrkräfte“ oder „junge Karrieristen“ mit bunten Portfolios mannigfacher Befähigungen. Diese Wahrnehmungsausrichtung könnte für weibliche Bewerberinnen die Gefahr einer Abweisung erhöhen und männlichen Bewerbern einen Vorsprung aufgrund einer inkorporierten höheren sozialen Position verschaffen. Je unsicherer das Wissen darüber, welche Kompetenzen zur Ausübung der Schulleitungstätigkeit überhaupt gebraucht und wie diese am sichersten erworben werden können, desto größer das Risiko, Kompetenzzuschreibung an den Faktor Geschlecht zu binden. Die vorliegende Untersuchung bietet dieser Mutmaßung eine Datenbasis: In den Äußerungen der Lehrerinnen dokumentiert sich eine auffällige Verschränkung der Begrifflichkeiten Männlichkeit und Karriere. Die männlichen Grundschullehrer werden von ihnen als zielorientierte Aufsteiger etikettiert. Folglich liegt es nahe, dass in einem Schulleitungswahlausschuss, bestehend aus Vertreter/innen des Schulträgers, Lehrkräften und Eltern, der über Ablehnung oder Annahme der Bewerberin oder des Bewerbers entscheidet, die Geschlechtszugehörigkeit ebenfalls als „sozialer Stimulus“ (Trautner, 2006, S. 109) wirkt. Da die an männliche Grundschullehrer gerichtete Zuschreibung eines selbstverständlich angestrebten beruflichen Aufstiegs und die natürliche Platzierung an der Leitungsspitze einer Schule maßgeblich durch die Lehrerinnen erfolgt, so zeigen es die Daten dieser Studie, ist auch der gemäß des Schulgesetzes festgelegte Mindestanteil von 40% Frauen im Schulleitungswahlausschuss kein probates Mittel, um Mechanismen symbolischer Herrschaft zu durchkreuzen. Die unterschwellige Zustimmung zum Aufstieg gewinnt noch zusätzlich an Gewicht, zieht man kontrastierend die Titulierung aufstiegsbereiter Grundschullehrerinnen durch beide Geschlechtergruppen als „verbissen“ hinzu. Dieser Etikettierung haftet die soziale Erwartung an, die deplatzierte Hartnäckigkeit zugunsten angemessener vergeschlechtlichter Habitusausprägungen aufzugeben und das Spiel um Aufstieg dem „zielorientierten Geschlecht“ zu überlassen. Eine nahezu identische Qualifizierungsausgangslage aller Bewerberinnen und Bewerber durch eine festgeschriebene Berufsausbildung würde indes Positionsübernahmen durch symbolische Macht nicht abwenden, jedoch könnte sich die Wahrnehmung von der Person hin zur Rolle verschieben, da sich der Blick nicht länger primär auf das „Gesamtpaket“ richtet, welches die Bewerberin oder der Bewerber mitbringt, sondern dieselbe qualifikatorische Basis vorausgesetzt werden kann. x Der letzte Aspekt hinsichtlich des Qualifizierungsprocedere, der hier aufgegriffen werden soll, richtet sich auf die derzeitige Praxis der schulartenübergreifenden Qualifizierung. Die hier durchgeführte ethnographische Untersuchung
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lässt Rückschlüsse darauf zu, dass der Kontext vorgibt, inwieweit sich interaktive Geschlechterkonstruktionsprozesse entfalten. Wenngleich verschiedentliche soziale Konstruktionen von Geschlecht in der Handlungspraxis der Agierenden in den Qualifizierungskursen beobachtet werden konnten, ist dennoch ein signifikant geringeres Vorkommen dichotomer Zuschreibungen zu verzeichnen als in den geführten Interviews. Dieser Umstand basiert meines Erachtens auf zwei Voraussetzungen: Zum einen wurde bereits die Dominanz des doing student angesprochen, die aufgrund der konjunktiven Initiationsphase Ausprägungen des doing gender marginalisiert. Zum anderen egalisiert die schulartenübergreifende Gruppenzusammensetzung das grundschultypische Geschlechterungleichgewicht und reduziert somit den Tokenstatus männlicher Grundschullehrer, der zu den in den Interviews evidenten stereotypen Zuschreibungen führt. „In Gruppen mit extremer Minder- und Mehrheit werden die Unterschiede zwischen den Subgruppen überschätzt und die Gemeinsamkeiten unterschätzt“ (Dickenberger/Rutz, 2002, S. 26). Geschlecht wird in den Qualifizierungskursen, die zahlenmäßig alle annähernd gleich von Lehrerinnen und Lehrern besucht werden, interaktiv seltener relevant gesetzt, als es die Äußerungen der Grundschullehrerinnen in den Interviews vermuten ließen. Aus der Genderperspektive betrachtet ist die vielfach geforderte Ausweitung schulformspezifischer Qualifizierungsangebote für angehende Schulleitungen (vgl. Werle, 2001) meiner Ansicht nach nicht zu unterstützen. Abschließend soll noch einmal auf das zentrale Forschungsanliegen der Arbeit zurückgeblickt werden. Unter der Perspektive auf Qualifizierung und beruflichen Aufstieg konnten profunde Einblicke in das grundschulische Feld gegeben werden. Maßgebend trug dazu die Methodentriangulation bei, die durch die Kombination aus Interviews und teilnehmender Beobachtung zugleich der Ausrichtung auf das Individuum als auch seinem sozialen Bezugsrahmen gerecht wurde. Die theoretische Fundierung durch das Habituskonzept Bourdieus und die Rahmenanalyse Goffmans ermöglichten eine differenzierte Analyse dieser auf breiter Basis gewonnenen empirischen Daten. Als wegweisend für den Verlauf der Statuspassage ins Amt der Grundschulleitung stellten sich die Ausgangspositionierung im Feld, die Kapitalienzusammensetzung, die Offenlegungsstrategien in Anlehnung an die eigene Rahmenkonstruktion des Aufstiegshandelns und die habituelle Prädisposition heraus. All diese Faktoren sind nicht isoliert, sondern in ihrer Interdependenz zueinander zu betrachten. Die Abbildung dieses in einer Typologie zusammengefassten Bedingungskonglomerats im Raummodell von Bourdieu gibt nicht nur den Ist-Stand der einzelnen Feldposition wieder, sondern verweist auch bereits auf die einer Statuspassage inhärente Bewegung: „Ent-
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scheidend sind die zeitlichen Bewegungen der Akteure, die biographische Arbeit, die sie praktisch ‚investieren‘, um sich ‚Kapital‘ anzueignen (also etwa Bildung erwerben oder soziale Netze aufbauen); die soziale Position und das Kapital sind ‚nur‘ Indikatoren, die dieses Kräfte- und Beziehungsfeld für einen Moment einfrieren und sichtbar machen“ (Bremer, 2007, S. 132). Obwohl die in der Typologie dokumentierten Ausgangsbedingungen und Orientierungen auf den ersten Blick mannigfache Differenzen zwischen den vier Typen, nicht aber zwischen den Geschlechtern erkennen ließen, kristallisierte sich im weiteren Verlauf der Arbeit auf den zweiten Blick eine realiter strukturierende Wirkung von Geschlecht heraus. Auch nachdem diese Tragweite deutlich geworden ist, kann die Frage „Gibt es eine weibliche oder männliche Aufstiegstaktik ins Grundschulleitungsamt?“, die mir bei Erwähnung meines Forschungsthemas in privatem Rahmen häufig gestellt wurde, mit Nein beantwortet werden. Den geschlechtsspezifischen Orientierungsrahmen gibt es nicht. Neben einer breiten Basis an Gemeinsamkeiten zeigten sich vielmehr erhebliche innergeschlechtliche Variationen, insbesondere eine große Pluralität der weiblichen Zugangsweisen. Festzuhalten ist aber: Karriere, verstanden als beruflicher Aufstieg aus der Position der Lehrkraft zur Übernahme eines Schulleitungsamtes, ist ein offenkundig vergeschlechtlichtes Segment – auch oder gerade in einer Schulform, der ein derart unausgewogenes Geschlechterverhältnis inhärent ist wie an Grundschulen. Dabei wirkt sich diese Vergeschlechtlichung beruflichen Emporkommens nicht gleichermaßen auf Lehrerinnen und Lehrer aus: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit nimmt bei Grundschullehrerinnen mit erwachendem Aufstiegsinteresse zu, während sie bei Grundschullehrern abnimmt. Grundschullehrerinnen setzen sich beim Aufstiegshandeln zu ihrem Geschlecht ins Verhältnis und signalisieren dadurch, dass berufliche Fortentwicklung für sie noch nicht selbstverständlich, zumindest jedoch das „Frausein“ erwähnenswert ist. Bourdieu spricht vom „Unbehagen dessen, der sich nicht an seinem Platz fühlt“ (Bourdieu, 2001, S. 237). Bei einigen Grundschullehrerinnen konnte eine aufkeimende Spannung dokumentiert werden, die durch den Karrierewunsch ausgelöst wird und mit tradierten sozialen Geschlechterkonstruktionen zum Teil so stark kollidiert, dass eine Enaktierung der Leitungspositionsübernahme nicht vollzogen werden kann. Diese Erschwernis durch Eigenstereotypisierung wird von anderen Grundschullehrerinnen jedoch deutlich durchbrochen. Allen Grundschullehrerinnen dieses Samples ist gemein, dass sie – wenn überhaupt – nach längerem Lehrerinnensein und erst nach handfester Leistungsdemonstration ermutigt werden. Dennoch nehmen sie mehrheitlich diesen Umstand nicht als be-
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klagenswert wahr. „Anstatt geschlechtliche Ungleichheit über explizit geschlechtsdifferente Regelungen herzustellen, wird sie heute entweder interaktiv oder über versteckte und vordergründig geschlechtsneutrale Arrangements erzeugt (oder eben auch nicht)“ (Heintz, 2001, S. 15f.). Durch diese differenzziehende Feldreaktion entfaltet die Geschlechtszugehörigkeit sodann ihre gliedernde Wirkung, ohne bewusst wahrgenommen zu werden. Die Position der Grundschullehrer hingegen ist eine antagonistische: „Die Makrostruktur des Feldes, in dem sich der männliche Grundschullehrer bewegt, nötigt diesen, sich als Mann zu positionieren, um die geschlechtliche Identität zu wahren“ (Baar, 2010, S. 392). Da bei den männlichen Grundschullehrern dieses Samples eine unbeträchtlichere Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit eruiert wurde, als Baar in obigem Zitat basierend auf seiner Forschung konstatiert, lässt sich schlussfolgern, dass allein das Aufstiegshandeln, welches in vorliegender Untersuchung schließlich Voraussetzung zur Befragung war, als wirkmächtiges doing-gender-Instrument fungiert. Die Entscheidung für eine Karriere ins Schulleitungsamt verringert die Notwendigkeit einer kommunikativen oder in praxi demonstrierten Stellungnahme zum Diskurs um die Passung von Geschlecht und Berufsfeld. Sozial konstruierte geschlechtliche Selbstvergewisserung erfolgt bei den Männern dieses Samples – wenn überhaupt – am Ende der Statuspassage in Form rückwirkender Entwertung der erhaltenen Ermutigung und kommunikativ vermittelter sozialer Distanzierung. Der Einsatz um Aufstieg lohnt sich für männliche Grundschullehrer doppelt, besteht die letztlich erhaltene Belohnung doch in der gehobenen Position und in der Anpassung an die entgegengebrachte Erwartung. Das hohe Ausmaß der geschlechtsgebundenen Erwartungshaltung trat in dieser Studie eklatant hervor. Es konnte einerseits herausgestellt werden, dass Lehrerinnen den Lehrern mit stereotypem Vorverständnis begegnen und eine gegenderte Illusio ins Feld hineintragen, der gemäß Geschlecht maßgebend für den weiteren Berufsweg ist. Dabei dient in ihrer Bewertungsstruktur Geschlecht und nicht Kompetenz als hierarchisierendes Kriterium. Andererseits erheben die männlichen Ermutiger Geschlecht zum Maßstab, indem sie, in dem Versuch die eigene Gruppe zu reproduzieren, männliche Grundschullehrer früh und unmissverständlich ermutigen und sie in Leitungspositionen „hineinloben“. Hinsichtlich beiderlei Aspekte spielen subjektive Merkmale scheinbar keine Rolle, die Klassifikation erfolgt primär nach Geschlecht. Mit Bourdieu gedacht stehen soziale Kapitalien unabhängig vom Grundstock kulturellen Kapitals reichhaltig zur Verfügung.
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Ob männliche Grundschullehrer bereits von Berufs- respektive Studienbeginn an besonders aufstiegsmotiviert sind oder dies erst im Verlauf des Fußfassens im Feld durch Interdependenz mit entsprechenden Einflüssen ausgelöst wird, bleibt offen und scheint erforschenswert. Mit Blick auf den allmählich, aber kontinuierlich in Leitung „hineingebetenen“ Probanden Herrn Wilde scheint letzteres zutreffend. Führt man sich hingegen noch einmal den in der Einleitung dokumentierten Diskussionsbeitrag von Phil auf www.studis-online.de vor Augen, der bereits vor Studienbeginn die Schulleitungsposition avisiert und sich zugleich mit Befürchtungen trägt, als Grundschullehrer „nicht so hoch angesehen“ zu sein, spricht vieles für eine „mitgebrachte“ Motivation. In beiden Fällen besteht die entscheidende Determinante nicht im Faktor Geschlecht, sondern im Faktor Geschlecht vor dem Kontext Grundschule. Doch kann sich berufliche Erfüllung vor diesem Kontext realisieren, wenn man(n) sich nicht nach der propagierten Norm ausrichtet? Die Anlageart dieser Untersuchung hält kein Instrumentarium zur Beantwortung dieser Frage bereit. Da es meines Wissens im deutschen Sprachraum derzeit noch keine empirischen Erkenntnisse über die Verarbeitung einer Aufstiegserwartungshaltung von Grundschullehrern gibt, die kein Leitungsamt anstreben, tut sich hier ein interessantes Forschungsdesiderat auf. Fokussiert man Zuschreibungen männlich konnotierter Arbeitsfelder nicht nur auf die Übernahme einer Führungsposition, sondern fasst diese Dimension weiter, so kann auch gefragt werden: Welchen Spielraum haben männliche Grundschullehrer vor dem Hintergrund der erheblichen Konstruktionsleistungen ihrer Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten, die Übernahme männlich vergeschlechtlichter Tätigkeitsbereiche im Allgemeinen zurückzuweisen? Im englischsprachigen Raum sind dazu zwei Studien erschienen, aufgrund derer die Mutmaßung angebracht scheint, der Spielraum für die Toleranz habitueller Differenzen sei begrenzt und der Zwang, die Nische des – wie auch immer definierten – männlichen Rollenmodells besetzen zu müssen, erheblich. Das eine Fallbeispiel bezieht sich auf einen Grundschullehrer, der trotz hoher Zufriedenheit im gegenwärtigen Tätigkeitsbereich und offenkundigem Erfolg in ebendiesem in männlich konnotierte Aufgabengebiete abgedrängt werden soll und die Aufgabe des Berufes erwägt: „It is also ironic that the very attempts to ‚masculinize‘ some men within the system are what can drive them away“ (Lingard, 2009, S. 129). Das zweite Fallbeispiel widmet sich einem Grundschullehrer, der den Schuldienst nach einem Jahr verlässt, in dem ihm sowohl die Leitung eines Fußballteams als auch die Zuständigkeit für sozial auffällige Schüler/innen – in der Annahme, er sei durch sein Mannsein dafür prädestiniert – oktroyiert wurde. Zudem
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führte die von ihm empfundene besonders hohe Erwartungshaltung, gepaart mit einer ausbleibenden Bereitstellung von Unterstützung – beides Aspekte, die er bei weiblichen Kolleginnen in der Form nicht ausmachen konnte –, dazu, dass er resignierte (vgl. Mills, 2008, S. 75ff.). Folglich lässt sich resümieren, dass die Erhöhung des Anteils männlicher Grundschullehrer aus bildungspolitischer Sicht zwar höchst umstritten, aus der Perspektive auf eine zu reduzierende Vergeschlechtlichung eines Berufsfeldes jedoch durchaus befürwortenswert scheint. Ein ansteigender Anteil männlicher Grundschullehrer könnte die Geschlechtszugehörigkeit zunehmend marginalisieren. Dahinter steht der Gedanke, dass eine asymmetrische Verteilungsstruktur dichotome Felderwartungen und die „Anerkennung und Besonderung, die der männliche Grundschullehrer seitens der Kolleginnen erfährt“ (Baar, 2010, S. 394), begünstigt (vgl. auch Faulstich-Wieland, 2011, S. 393ff.). Kontraproduktiv in diesem Sinne wäre jedoch eine Haltung, die nur den Männern den Weg in die Grundschulen ebnet, „who reflect dominant constructions of masculinity […], who are often valourized in terms of being ideal male primary teachers“ (Lingard, 2009, S. 135) und diese schließlich in den Leitungsoder Disziplinierungssektor oder spezielle Fachbereiche (Naturwissenschaften, Sport) beordert (vgl. auch Faulstich-Wieland, 2012). Eine Verbesserung der Genderkompetenz von Grundschullehrerinnen und lehrern, die beide Seiten mit einer höheren Reflexivität für die Einflussnahme durch stereotype Verhaltenserwartungen ausstattet, scheint die Voraussetzung dafür zu sein, Gewinn aus modifizierter Quantität ziehen zu können. Genderkompetenzorientierte Prozesse anzustoßen, ist meines Erachtens sowohl mit Blick auf die Sensibilisierung für aktives vergeschlechtlichtes Handeln unerlässlich als auch für den Umgang mit passivem Erleben von Einflussnahmen, Erwartungen und Vorbehalten, die auf einer geschlechterdifferenzierend gezogenen Grenze basieren. Mit Bourdieu gesprochen müssen den Agierenden „die Mittel zu einer potentiell befreienden Bewußtseinsbildung an die Hand“ (Bourdieu/ Wacquant, 1996, S. 249) gegeben werden. Er sieht den Ertrag des Aufdeckens des habituellen (vergeschlechtlichten) Fundaments sozialer Praxis in dem Erkennen der eigenen Vorab-Prägung, in dessen Folge spontane „Habitusmanöver“ realisiert und möglicherweise allmählich überwunden werden können. Neben Gender-Reflexivität und quantitativen Veränderungsansätzen geht es auch um eine Entkoppelung der Verschränkung von geschlechtlichen und beruflichen Faktoren: Folgt man Maihofer, sind Zuschreibungen keinesfalls statisch, sondern implizieren „auf der Ebene ihrer variablen Inhalte eine ständig neue ‚Auslegung‘, ‚Um- und Neuformulierung‘“ (Maihofer, 1995, S. 67).
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Die Reproduktion der zirkulär miteinander verzahnten doing-genderProzesse auf beiden Seiten könnte bedingt durch größere Vielfalt rückläufig werden. So wie jetzt bereits unter den Grundschullehrerinnen eine große Variationsbreite der Habitus und der beruflichen Verwirklichungsvorhaben erkennbar ist und die verschiedenartigen Zuschreibungen daraufhin deuten, dass diese auch gesehen und ihnen zugestanden werden, könnte eine quantitative Zunahme männlicher Grundschullehrer möglicherweise die Evidenz für deren Unterschiedlichkeit erhöhen. Eine sukzessive Entkoppelung von beruflichem Handeln und Geschlecht würde anderen beruflichen Schwerpunktsetzungen als der der Statuspassage ins Schulleitungsamt breiteren Raum geben. Der geschlechtsunabhängige Bestätigungserhalt für die Praxis in den vielfältigen Tätigkeitsbereichen des Lehrberufes sowie die ebenfalls geschlechtsunabhängige Darbringung von Ermutigung aufstiegsinteressierter und -befähigter Grundschullehrkräfte ist noch unzulänglich, aber für die Chancen- und Möglichkeitengleichheit beider Geschlechter essentiell.
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Peter Faulstich Menschliches Lernen Eine kritisch-pragmatistische Lerntheorie Mai 2013, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2425-0
Peter Faulstich Aufklärung, Wissenschaft und lebensentfaltende Bildung Geschichte und Gegenwart einer großen Hoffnung der Moderne 2011, 196 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1816-7
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Theorie Bilden Hans-Christoph Koller, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Vom Scheitern Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane III September 2013, 298 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2576-9
Ingrid Lohmann, Sinah Mielich, Florian Muhl, Karl-Josef Pazzini, Laura Rieger, Eva Wilhelm (Hg.) Schöne neue Bildung? Zur Kritik der Universität der Gegenwart 2011, 242 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1751-1
Joachim Schwohl, Tanja Sturm (Hg.) Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung Widersprüche und Perspektiven eines erziehungswissenschaftlichen Diskurses 2010, 364 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1490-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Theorie Bilden Sönke Ahrens Experiment und Exploration Bildung als experimentelle Form der Welterschließung
Torsten Meyer, Andrea Sabisch (Hg.) Kunst Pädagogik Forschung Aktuelle Zugänge und Perspektiven
2010, 330 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1654-5
2009, 276 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1058-1
Jan Erhorn Dem »Bewegungsmangel« auf der Spur Zu den schulischen und außerschulischen Bewegungspraxen von Grundschulkindern. Eine pädagogische Ethnographie
Karl-Josef Pazzini, Marianne Schuller, Michael Wimmer (Hg.) Lehren bildet? Vom Rätsel unserer Lehranstalten
2012, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1973-7
Peter Faulstich Vermittler wissenschaftlichen Wissens Biographien von Pionieren öffentlicher Wissenschaft 2008, 196 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-89942-878-0
Kathrin Hahn Alter, Migration und Soziale Arbeit Zur Bedeutung von Ethnizität in Beratungsgesprächen der Altenhilfe 2011, 352 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1680-4
Hans-Christoph Koller, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Figurationen von Adoleszenz Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane II 2009, 216 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1025-3
Stephanie Maxim Wissen und Geschlecht Zur Problematik der Reifizierung der Zweigeschlechtlichkeit in der feministischen Schulkritik
2010, 338 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1176-2
Nadine Rose Migration als Bildungsherausforderung Subjektivierung und Diskriminierung im Spiegel von Migrationsbiographien 2012, 476 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2135-8
Florian von Rosenberg Bildung und Habitustransformation Empirische Rekonstruktionen und bildungstheoretische Reflexionen 2011, 352 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1619-4
Hanne Walberg Film-Bildung im Zeichen des Fremden Ein bildungstheoretischer Beitrag zur Filmpädagogik 2011, 286 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1820-4
Manuel Zahn Ästhetische Film-Bildung Studien zur Materialität und Medialität filmischer Bildungsprozesse 2012, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2121-1
2009, 306 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1030-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de