Karl-Otto Apel: Auf der Suche nach dem letzten Grund 3643151268, 9783643151261


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Karl-Otto Apel: Auf der Suche nach dem letzten Grund
 3643151268, 9783643151261

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LIT

Karl-Otto Apel Auf der Suche nach dem letzten Grund

Zur Person Band 1

LIT

Karl-Otto Apel Auf der Suche nach dem letzten Grund Herausgegeben von Reinhard Hesse mit Beiträgen von K.-O. Apel, D. Apel, M. Brumlik, H. Brunkhorst, R. Fornet-Betancourt, J. Habermas, K. Hedwig, R. Hesse, V. Hösle, P. Naumann, F.-W. Steinmeier

LIT

Das Umschlagbild wurde von Judith Apel zur Verfügung gestellt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-643-15126-1 (br.) ISBN 978-3-643-35126-5 (PDF)

©

LIT VERLAG Dr. W. Hopf

Berlin 2022

Verlagskontakt: Fresnostr. 2 D-48159 Münster Tel. +49 (0) 2 51-62 03 20 E-Mail: [email protected] https://www.lit-verlag.de Auslieferung: Deutschland: LIT Verlag, Fresnostr. 2, D-48159 Münster Tel. +49 (0) 2 51-620 32 22, E-Mail: [email protected]

Gewidmet Frau Judith Apel aus Anlass des 100. Geburtstages ihres Mannes

I NHALT

Einige einleitende und weiterführende Gedanken aus Anlass der Veröffentlichung von Karl-Otto Apels Rückblicken auf seine (philosophische) Lebensgeschichte . . . . . . .

1

Reinhard H ESSE

Mein Bildungsgang . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Karl-Otto A PEL

Autobiographische Retrospektive . . . . . . .

27

Karl-Otto A PEL

Zur Retrospektive von Karl-Otto Apel . . . .

51

Jürgen H ABERMAS

Karl-Otto Apel und die Zerstörung des moralischen Selbstbewusstseins . . . . . . . .

59

Vittorio H ÖSLE

Sisyphos Karl-Otto Apel . . . . . . . . . . . . .

63

Peter N AUMANN

In Erinnerung an meinen Vater – Ergänzung eines autobiographischen Berichts . . . . . . . Dorothea A PEL –i–

65

Inhalt

My intellectual Biography in the Context of Contemporary Philosophy . . . . . . . . . . . .

91

Karl-Otto A PEL

Kommentar zum Kapitel „Taking Issue with Habermas and others . . . “ Ein Missverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . 131 Reinhard H ESSE

Rekonstruktion der Vernunft durch Transformation der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . 137 Karl-Otto A PEL im Gespräch mit Raúl F ORNETB ETANCOURT und Klaus H EDWIG

Gespräch mit Hauke Brunkhorst und Micha Brumlik über deutsche Identität als Teil der eigenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Apel und die Deutschen, das besondere Volk Eine Nachbemerkung zum Interview aus immer neu aktuellem Anlass . . . . . . . . . . 227 Reinhard H ESSE

Kondolenzschreiben von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier . . . . . . . . . . . . . 235

– ii –

Karl-Otto Appel, ca. 1990

E INIGE EINLEITENDE UND WEITERFÜHRENDE G EDANKEN AUS A NLASS DER V ERÖFFENTLICHUNG VON K ARL -O TTO A PELS R ÜCKBLICKEN AUF SEINE ( PHILOSOPHISCHE ) L EBENSGESCHICHTE Reinhard H ESSE

A. Ein freundlicher Zufall wollte es, dass Judith Apel, die Witwe des verstorbenen Philosophen Karl-Otto Apel (15.03.1922 – 15.05.2017), in einer der Schubladen seines Arbeitszimmers auf die im Folgenden abgedruckte „Autobiographische Retrospektive“ stieß. Als sie mir angetan von dem Fund und von ihrer Lektüre berichtete, fragte ich sie, ob ich das aufgefundene Manuskript ebenfalls lesen dürfe oder ob es zu privat sei. Nein, das sei es nicht. Es sei eine lebendige, teils auch humorvoll-selbstdistanzierte Beschreibung äußerer Lebensumstände (Kindheit, Hitlerjugend, Krieg in Russland, Nachkriegszeit, Studium in Bonn) und seiner sich innerhalb dieser Umstände vollziehenden geistigen Entwicklung. Begierig es zu lesen und mir davon auch neue Aufschlüsse über Apels philosophische Wege – vielleicht Irrwege, vielleicht Umwege und schließlich Hauptwege – erhoffend, fuhr ich nach Niedern–1–

Reinhard H ESSE

hausen zu Frau Apel, die mir die gefundenen Blätter zum Ablichten gab. Noch im Auto vor dem Kopierladen überflog ich dann die Seiten. Meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Zunächst: Menschlich spontan für den Verfasser eingenommen hat mich schon bei dieser ersten Lektüre seine ehrliche Schilderung der Nazizeit und seiner (wie er selbst sagt, damals wenig reflektierten) Einstellung dazu. Philosophisch erhellend für mich war und manche Unklarheit in meinem Kopf beseitigt hat dann die konzise Darstellung seiner „Konvertierung“ zur Philosophie und die, wie mir scheint, Folgerichtigkeit in der allmählichen Entwicklung seiner eigenen Philosophie – von Stufe zu Stufe fortschreitend, immer in Auseinandersetzung mit anderen Positionen, immer auch im Bewusstsein sowohl der geschichtlichen Vorarbeit wie auch der drängenden Fragen unserer Zeit. Mit Einverständnis von Frau Apel sandte ich den aufgefundenen Text an Karl-Otto Apels langjährigen Gesprächspartner Jürgen Habermas und fragte ihn, ob er bereit sei, für eine beabsichtigte Veröffentlichung einen Kommentar dazu zu schreiben. Dieser traf schon nach wenigen Tagen ein und ist hier im Anschluss an den Apel-Text, auf den er sich bezieht, wiedergegeben. Einige Wochen später fand sich unter den hinterlassenen Dokumenten und Schriftsätzen ein zweiter, faszinierender, bislang ebenfalls unveröffentlichter Text (in englischer Sprache), in dem es Apel ausschließlich um seine philosophische Entwicklung und um die Ver–2–

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

teidigung seiner Philosophie gegen andere Positionen geht: „My Intellectual Biography in the Context of Contemporary Philosophy“. Der Text ist hier in seiner Originalversion ohne Änderungen wiedergegeben. Sein Schlusskapitel ist überschrieben mit „Taking Issue with Habermas and others on Practical Philosophy“. „To take issue with someone“ bedeutet: jemanden kritisieren, jemandem widersprechen. Dieses Kapitel habe ich mit besonderem Interesse gelesen, da ich schon lange den etwas unbefriedigenden Eindruck hatte, dass der Dissens zwischen ihren philosophischen Ansätzen von Apel und Habermas natürlich zwar wahrgenommen und auch vielfach angesprochen, jedoch – wohl einfach um des lieben Friedens und der menschlichen Beziehung willen – nicht wirklich in seiner Konsequenz durchbuchstabiert wurde. Ein solches „in seiner Konsequenz Durchbuchstabieren“ findet sich natürlich auch in dem kurzen englischen Rückblick nicht. Vielleicht nur an wenigen anderen Stellen in Apels Schriften aber scheint dieser Dissens in solcher Klarheit durch, wird er von Apel so knapp und unmissverständlich formuliert, wie hier. Womöglich hat Apel die englische Sprache dabei geholfen. Die Gedanken, die mir bei der Lektüre des Kapitels durch den Kopf gegangen sind, habe ich als „Kommentar“ dem englischen Aufsatz angehängt. (Siehe dort.) Der konkrete Anlass, aus dem heraus dieser englische Text geschrieben wurde, ist ebenso unbekannt wie der, aus dem heraus der zunächst gefundene deutsche Text –3–

Reinhard H ESSE

geschrieben wurde. Den deutschen Text hat Apel im Alter von 68 Jahren geschrieben, also 1990/91. Wie man aus den in den Anmerkungen genannten Jahreszahlen schließen kann, wurde der zweite, englische, jedenfalls nach 2000 geschrieben. Diesen beiden größeren, hauptsächlich oder ganz auf die Entwicklung seiner Philosophie bezogenen, Retrospektiven ist der kurze Text „Erinnerungen an meinen Bildungsgang“ vorangestellt, den der siebzehnjährige Gymnasiast Karl-Otto Apel wohl nur für sich selbst, als eine Art Selbstbesinnung auf den bis dahin zurückgelegten Weg, geschrieben hat. Seine Klasse hatte sich bei Kriegsbeginn geschlossen freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Die „Erinnerungen an meinen Bildungsgang“ datieren aus dieser schicksalhaften Zeit. Im Nachhinein kann man wohl sagen, dass die Teilnahme am Krieg, beginnend mit der freiwilligen Meldung, dasjenige Ereignis gewesen ist, durch das sein weiteres Leben am entscheidendsten bestimmt wurde. Dass Philosophie, d.h. die Suche nach Vernunft, zu seinem Lebensinhalt wurde, ist m.E. nicht ohne diese Erfahrung des Irregeleitetseins zu verstehen. An ihr hat er sich aufrichtig abgearbeitet, dies wollte er anderen ersparen. Nicht anerzogene „Gesinnung“, nicht das gesellschaftlich Übliche, nicht der Zeitgeist, sondern kritische Urteilskraft! Auf unsere Zeit bezogen heißt das: Nicht „Anything goes“, sondern: „Dies halte ich aus den genannten Gründen für wahr. Wenn Du möchtest, dass ich meine Meinung ändere, sag’ mir warum!“ Apels –4–

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

Beharren auf der Notwendigkeit und auf der Unvermeidbarkeit einer Letztbegründung unseres Handelns hat m.E. hier, in der schrecklichen Erfahrung des Irregeleitetseins, seine menschliche Motivation. Ich denke, dass nur so die Kraft zu verstehen ist, die er benötigt hat, um den relativistischen Tendenzen des Zeitgeistes zu widerstehen und Ihnen etwas entgegenzusetzen. Die als Ergänzung mit in diese Autobiographie aufgenommenen kurzen Skizzen des Menschen und des Philosophen Apel aus den Federn von Peter Naumann und Vittorio Hösle und vor allem der aus der Perspektive der Tochter geschriebene Beitrag „Erinnerung an meinen Vater“ von Dorothea Apel illustrieren dies aus je verschiedenen Blickwinkeln. Insbesondere aber wird es in überzeugender und m.E. bewegender Weise in den zwei Gesprächen deutlich, die den Abschluss dieses Bandes bilden: In dem Gespräch mit Raúl Fornet-Betancourt und Klaus Hedwig, in dem er seine Philosophie, d.h vor allem seine Gedanken zur Begründung von Ethik und Erkenntnistheorie, in relativ einfacher Umgangsprache darlegt und auf Fragen dazu reagiert. Und in den ausführlichen Antworten eines Interviews, das er Hauke Brunkhorst und Micha Brumlik nach der Wiedervereinigung Deutschlands gegeben hat, und in denen er die über das Individuum Karl-Otto Apel und über den Philosophen Karl-Otto Apel hinausreichende, kontingente Identität des Karl-Otto Apel als Deutscher, als Angehöriger dieser konkreten, von anderen auf komplizierte Weise verschiedenen (Kultur-) Nation kritisch thema–5–

Reinhard H ESSE

tisiert und sich zu ihr als Teil seiner eigenen Identität bekennt. Da dieser Text unter den hier abgedruckten der zeitgeschichtlichste und politischste ist, habe ich ihn als Ausklang ans Ende gestellt. Der Leser wird auch hier sofort spüren, dass es Apel nicht um Selbstinszenierung geht, sondern um Erkenntnis und Selbsterkenntnis. Die Gesprächstexte sowie die Texte von Peter Naumann, Vittorio Hösle und Dorothea Apel sind mit freundlicher Genehmigung des Verlags dem Gedenkband „Karl-Otto Apel, Vita e Pensiero, Leben und Denken, hrsg. von Michele Borrelli, Francesca Caputo und Reinhard Hesse, entnommen. (Verlag Luigi Pellegrini, Cosenza 2020, 869 Seiten, ISBN 978-88-6822-916-0). Das Gespräch mit Raúl Fornet-Betancourt ist dort in italienischer Übersetzung, hier im deutschen Original wiedergegeben Zur anschaulichen Verlebendigung sind eine Reihe von Fotos eingefügt, die Frau Apel freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Soweit rekonstruierbar, sind sie mit Hinweisen zu Ort, Zeit und zu den abgebildeten Personen und Anlässen versehen.

B. Seitdem ich vor ca. 35 Jahren zunächst den Philosophen und später dann auch den Menschen Karl-Otto Apel näher kennengelernt hatte, war ich in beiden Hinsichten tief von ihm beeindruckt. Er wurde für mich –6–

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

im Laufe der Jahre dann etwas, was es im Leben wohl nur ganz selten gibt, nämlich ein Gesprächspartner – wenngleich natürlich auf ganz unterschiedlichem Niveau. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ich möchte im Folgenden in möglichst wenigen, einfachen Sätzen zu sagen versuchen, was mir an der von ihm systematisch entwickelten sog. Transzendentalpragmatik wichtig ist und welche großen Aufgaben m.E. für die nächste Zeit vor ihr stehen. Vorausschicken möchte ich einige, eher persönlich gehaltene Bemerkungen aus meinem Beileidsbrief an seine Frau, ohne die er seine große Lebensleistung vermutlich kaum hätte zustandebringen können und die ihn bis zu seinem Ende selbstlos umsorgt hat. „ . . . Zusammen mit meinen Eltern und mit meinem Studienkollegen und lebenslangen Freund Franz Koppe, Professor für Philosophie an der Universität der Künste Berlin, gehört Ihr Mann zu den für meine eigene geistige Entwicklung wichtigsten Menschen. Franz Koppe hat mich auf ihn aufmerksam und mit seiner Philosophie bekannt gemacht. Ich halte Ihren Mann für einen der (wenigen) großen Philosophen – jedenfalls wenn es um die für die Philosophie allerdings entscheidende Frage nach der Letztbegründung geht. Für mich steht er hier in einer Reihe mit Sokrates und Kant, ja er ist deren Vollender. Das sage ich nicht, um in dieser Stunde etwas Schönes zu sagen. Auch klingt es so wie wenn ein naiver Schüler seinen verehrten Lehrer in den Himmel heben möchte. Das ist gewiss nicht der Fall. Ich glaube, da–7–

Reinhard H ESSE

für nüchterne, unsentimentale, inhaltliche Gründe vorbringen zu können. Hier ist nicht der Platz, das zu tun; bei anderen Gelegenheiten, in Vorträgen und in Publikationen, habe ich es versucht. Es ist für mich jedoch schön zu sehen, dass seine Beantwortung der Letztbegründungsfrage eine man kann sagen weltweite Resonanz gefunden hat. Dass die Resonanz nicht noch größer ist, liegt vielleicht nicht zuletzt daran, dass er vom Sprach- und Argumentationsstil her als seine Adressaten zu sehr Bewohner des Sterns Akademia vor Augen hatte und nicht ausreichend auch „normale“ vernunftbegabte Menschen, die meist nicht auf jenem Stern leben. Und dass die revolutionäre Brisanz, die seiner Philosophie – wie m.E. jeder aufrichtigen Philosophie – sowohl in kultureller wie auch in politisch-ökonomischer Hinsicht eigen ist, nicht wirklich wahrgenommen wurde und sich folglich nicht entfaltet hat, liegt, denke ich, auch daran, dass er keine von seiner Position her zugespitzte Religionskritik geschrieben hat und vor allem daran, dass es keine Grundlegung der politischen Ökonomie aus seiner Feder gibt. Gerade das Letztere habe ich ihm mehrmals nahegelegt, aber daran wollte er sich (verständlicherweise) aus Altersgründen nicht mehr machen. So harren – in meinen Augen – die drei genannten Desiderate (einfache Sprache, Kritik der Religion, Entwurf einer politischen Ökonomie unter der regulativen Idee der Transzendentalpragmatik) zu ihrer vielleicht gemeinsamen Erfüllung eines begnadeten Kop–8–

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

fes – des Autors eines neuen philosophisch-politischen Manifests – und des günstigen historischen Moments. Die inhaltliche Beistimmung allein wäre mir schon Grund genug gewesen, den Kontakt mit ihm als für mich existenziell bedeutsam zu begreifen. Es kommt etwas vielleicht noch Wichtigeres hinzu: Die Ergebnisse seines Nachdenkens wurden für ihn nie Doktrin, sie standen für ihn immer zur (argumentativen) Disposition; er hat immer um sie gekämpft, um sie „gerungen“, wie Sie auf der Todeskarte geschrieben haben – jedoch nie ohne den Anspruch auf Geltung, auf Wahrheit, als Ziel aufzugeben! Das wäre ihm, m.E. zu recht, als unseriös erschienen. Sein Leben war Suche nach Wahrheit; oder anders: Er hat Philosophie gelebt. Er hat aufrichtig gesucht; er war sich bewusst, dass er irren konnte. Das hat mich mindestens genauso, wenn nicht noch mehr, für ihn eingenommen. Aber auch ohne diesen philosophischen Hintergrund habe ich ihn als bescheiden und unprätentiös wahrgenommen, immer interessiert an anderen Menschen. Er war mir von Herzen sympathisch. So einen wie ihn hätte ich gern als Freund gehabt. Gern erinnere ich mich daran, dass er mich in unseren Gesprächen manchmal aus Versehen geduzt hat. Schön wäre es, wenn es weiter solche Diskussionen gäbe! Aber die wird es leider nicht mehr geben. Vorbei . . . Trotzdem werde ich – menschlich und philosophisch – auch in Zukunft mit ihm im Gespräch bleiben . . . .“ –9–

Reinhard H ESSE

Nun zurück zu meiner Absicht, in möglichst wenigen, einfachen Sätzen zu sagen, was mir an der Transzendentalpragmatik wichtig ist und welche großen Aufgaben m.E. für die nächste Zeit vor ihr stehen. Welches sind, aus meiner Sicht, die wichtigsten Grundeinsichten der transzendentalpragmatischen Ethikbegründung und Erkenntnistheorie ? Diese Grundeinsichten sind eigentlich sehr einfach und, sollte man meinen, für jeden normalsinnigen Laien ohne weiteres nachvollziehbar: Erstens, dass es nötig ist, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Sapere aude! (Das ist zugleich auch schon das Schwerste!) Zweitens, dass es keine Instanz außerhalb des Menschen als Gattungswesen gibt, welche ihm sagt, was Wahrheit ist, was Sinn, was gut und böse. Drittens, dass wir Menschen folglich aufeinander angewiesen sind in unserer ansonsten hilflosen Suche nach Wahrheit und Moral. Viertens, dass „Philo-soph“ zu sein, heißt, „Freund der Weisheit“ zu sein, nicht ihr Besitzer. Freund aber bin ich nur solange ich mich bemühe. Fünftens, dass folglich – i.S. dieses Bemühens – Erkenntnis immer offen sein muss für begründete Revision. Dass philosophische Erkenntnis, sechstens, also den Anspruch auf Geltung (Wahrheit) ebensowenig aufgeben kann – auch nicht unter den modischen Vorzeichen „postmoderner“ Beliebigkeiten – wie sie sich in die vermeintliche Sicherheit religiöser oder sonst ideologischer Dogmen flüchten darf. (Der Anspruch auf – 10 –

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

Geltung soll ja durch eine eventuelle Revision gerade verstärkt werden.) Siebtens schließlich, dass das im obigen Verständnis zur conditio humana notwendig gehörende schlichte Stellen einer ernsthaften Frage zugleich (im sog. performativ-pragmatischen Sinn) ein Sich-Stellen auf den Boden einer virtuell universalistischen Minimalethik ist; dass also der Mensch nicht Mensch sein kann, ohne im Medium der Sprache den anderen implizit immer schon anerkannt und sich mit ihm auf ein Geflecht wechselseitiger, gleicher Rechte und Pflichten eingelassen zu haben. Wie können wir, von diesem Standpunkt aus zurückblickend, die wichtigsten Entwicklungsschritte in der Geschichte der Philosophie verstehen? Wie mir scheint, vor allem als ein allmähliches Sichhinarbeiten, vielleicht sollte man eher sagen: als ein Sichdurchwursteln, hin zu den eben skizzierten Einsichten. Man kann hierbei drei wesentliche Stufen unterscheiden: Erstens: Platon, der – m.E. richtig und hier Sokrates folgend – das dialogische, argumentierende Suchen in den Mittelpunkt stellt, der jedoch zugleich – m.E. falsch – den Dialog versteht als bloßes Mittel zur Wiederentdeckung von unabhängig vom Menschen, in einer fiktiven Ideenwelt, vermeintlich existierenden, ewigen Wahrheiten. Zweitens: Kant, der – m.E. richtig – den Schritt von der Heterenomie zur Autonomie vollzieht. Nicht mehr die Ideenwelt Platons, der transzendente Gott des Chris– 11 –

Reinhard H ESSE

tentums oder die naturbezogene Sinnlichkeit des Empirismus orientieren uns, wir müssen uns selbst orientieren. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Kant, der aber zugleich – m.E. falsch – die Verstandestätigkeit im großen und ganzen als einsamen, bewusstseinsinternen Vorgang versteht. Und schließlich drittens: die Sprachphilosophie, die, ausgehend von Peirce und Wittgenstein, das bewusstseinsphilosophische Defizit aufzuarbeiten sucht und, in ihrer Apelschen transzendentalpragmatischen Fortführung, aus der notwendigen Sprachbezogenheit menschlicher Orientierungssuche zugleich eine (aus performativ-pragmatischen Gründen) unvermeidliche ethische Grundpositionierung reflexiv herausarbeitet. Kurz gesagt: Denken ist auf Sprache (Kommunikation) angewiesen, und Kommunikation kommt nicht zustande ohne ethischen Minimalkonsens über, virtuell universalistische, gleiche Rechte und Pflichten. Die Berufung auf Kommunikationssituationen, in denen alle Beteiligten als Freie und Gleiche unverstellt miteinander verkehren können, ist aus mindestens zwei Gründen nicht als naiv abzutun. Erstens, weil Kommunikationssituationen dieser Art eine wesentliche Grundlage gelingenden realen Lebens faktisch sind – vom Gespräch über die Erledigung trivialer Alltagsnotwendigkeiten im Privatleben bis zu Diskursen in öffentlichen Körperschaften, z.B. in den Parlamenten der verschiedenen Ebenen, die, anders als man denken mag, häufig rational ablaufen und nach argumentativer Abwägung der relevanten Gesichtspunkte mit einstimmigen Beschlüssen enden. – 12 –

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

Zweitens, weil, auch wenn Freiheit und Gleichheit empirisch nur unzureichend gegeben sind, von ihnen immer schon als kontrafaktische Unterstellung Gebrauch gemacht werden muss. Auch der radikalste Bestreiter der Möglichkeit von Wahrheit ist auf das Stellen ernsthafter Fragen – und seien sie nur strategischer Natur – angewiesen, auch er braucht sichere Erkenntnis (Wahrheit). Neben mangelndem guten Willen, mangelnder Einsicht und natürlich auch mangelnden Kommunikationswegen (im technischen Sinn) ist es vor allem die Ausübung von Herrschaft (Macht), die die beschriebene Idealsituation als utopisch erscheinen lässt. Das ist sie aber nicht. Sie ist eine mit jeder ernsthaft gestellten Frage notwendigerweise immer schon gemachte Antizipation. Je geringer die Hindernisse sind, die ihr im Weg stehen, desto leichter wird es uns gelingen, um mit Kant zu sprechen, die Wahrheit zu erkennen, das Richtige zu tun und uns dabei nicht durch leere Hoffnungen narren zu lassen. Im Anschluss an Habermas ergibt sich im Zusammenhang der Letztbegründungsproblematik eine fatale Frage, die die Konsenstherorie in eine Sackgasse, besser gesagt in einen infiniten Regress, zu führen und somit ihre Unhaltbarkeit zu belegen scheint. Nämlich die, ob zu einem wahrheitssuchenden Dialog nicht eigentlich nur „kompetente“ Teilnehmer, nur „Sachkenner“, zugelassen werden dürften. Und wenn ja: Welches die Sachkenner seien, die diese Sachkennerschaft ihrerseits beurteilen usw . . . ad infinitum. – 13 –

Reinhard H ESSE

Die Antwort auf diese Frage lautet m.E.: Ausschlusskriterien irgendwelcher Art gibt es nicht. Jeder ist zum Dialog zugelassen, der Dialog ist gänzlich offen, gänzlich unbeschränkt – niemand darf ausgeschlossen werden; er ist universell. Er kann nur universell sein, wenn denn jedem Argument die Chance gegeben werden soll, gehört zu werden. Ist es dann aber nicht ungewiss, ob nicht am Ende Unsinn dabei herauskommt? Ja, das ist es allerdings! Die Menschheit entdeckt eben nur die Wahrheiten, anders gesagt: erarbeitet sich nur die Erkenntnisse, die sich zu erarbeiten sie in der Lage ist. Anschauliche Beispiele dafür gibt es gerade in der europäischen Geistesgeschichte wahrlich genug; man denke etwa an das heliozentrische Weltbild. Sind diese einmal erarbeiteten Erkenntnisse dann sakrosankt? Nein, selbstverständlich nicht. Sie sind, wie oben schon gesagt, offen für Kritik und Revision, sind Teil der ewig sich fortsetzenden Suche nach möglichst sicherer Orientierung. Nur durch Kritik und Revision kommt diese Arbeit voran.

Vor welchen Aufgaben steht die transzendentalpragmatische Philosophie? Meines Erachtens stellen sich, wie ich in dem oben zitierten Brief schon angedeutet habe, insbesondere folgende drei Aufgaben: – 14 –

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

Erstens: Die Überführung ihres bisher fast durchgehend hochakademischen Sprachstils in Normalsprache, d.h. in eine Sprache, die von jedem normalsinnigen Menschen verstanden werden kann. Apels klassische Texte sind philosophische Höhenkammliteratur. Sie wenden sich vor allem an ein akademisches Publikum und dort vor allem an den kleinen Kreis philosophisch Vorgebildeter. (Manchmal habe ich sogar den Eindruck, seine eigentlichen Adressaten seien lediglich Heidegger, bzw. Gadamer und Habermas.) Das ist in meinen Augen schade, denn das, worum es in der Transzendentalpragmatik geht, geht ja eben – auch nach Apels eigener Auffassung! – nicht nur einen engen Kreis von „Experten“ an, sondern letztlich jeden! Neben der Darstellung eigener systematischer Positionen war der Versuch der Übersetzung der Apelschen transzendentalpragmatischen Erkenntnistheorie und Ethikbegündung vom „Hochakademischen“ in die Normalsprache eines der Anliegen meines Buches „Worum geht es in der Philosophie? Grundfragen der Philosophie zwischen Wahrheit und Macht“ (L IT Verlag Münster 2008, ISBN 978-3-8258-1187-7). Ob mir das gelungen ist, mögen die Leser beurteilen. Zweitens: Die Kritik des heterenomistischen Selbstmissverständnisses des Menschen. Marx war zwar der Meinung, die Kritik der Religion sei „für Deutschland im wesentlichen abgeschlossen“. Leider hatte er damit aber allenfalls in einem theoretischen Sinn Recht, nicht in empirisch-politisch-lebenspraktischer Hinsicht. (Theo– 15 –

Reinhard H ESSE

retisch ist die Kritik der Religion übrigens eigentlich schon seit Sokrates’ Dialog mit Euthyphron „abgeschlossen“.) Und neben den Religionen gibt es eine ganze Reihe anderer Ideologien, die den Menschen ebenfalls nicht als autonomes, d.h. virtuell frei denkendes und handelndes Wesen begreifen, sondern als einer unterschiedlich vorgestellten Fremdsteuerung (Determinierung) unterworfen. Die Marx’sche materialistische Geschichtsphilosophie selbst kann man dazu rechnen, aber auch biologistische Positionen wie den heute modischen Zerebraldeterminismus oder dessen grobschlächtige Abart, den Rassismus. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe: die Verteidigung des in seinem wesentlichen Kern virtuell autonomen (freien und eigenverantwortlichen) Menschen gegen heteronomistische Missverständnisse. Das ist soz. „der innere Gegner“. Drittens: Die Auseinandersetzung mit dem „äußeren Gegner“, d.h. die Kritik der bestehenden ökonomischen Verhältnisse und vor allem: der Entwurf eines alternativen (demokratischen) Wirtschaftsmodells unter der regulativen Idee der Freiheit! Die durch Ausübung von Herrschaft bewirkten Verzerrungen der Kommunikationssituationen zu analysieren und Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen, ist Hauptaufgabe der politischen Philosophie. Da Herrschaft insbesondere aus den ökonomischen Verhältnissen resultiert, muss politische Philosophie zugleich immer auch normative politische Ökonomie sein.

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Einige einleitende und weiterführende Gedanken

Die Transzendentalpragmatik steht in der Tradition der griechischen und neuzeitlichen Aufklärung und ist damit dem großen und ewigen Ziel der Überwindung von Herrschaft verpflichtet. Dieses Ziel ist freilich utopisch. Denn: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden“(Kant). Aber es ist nicht moralschwärmerisch! Die Hoffnung auf eine allmähliche Annäherung an das Ziel und die aus dieser Hoffnung ihre Kraft gewinnenden praktischen Bemühungen darum sind in Wirklichkeit der harte Kern dessen, was (als „regulative Idee“) die Würde des Menschen als vernunftbegabtes und auf Vernunft angewiesenes Wesen ausmacht.

C. Was kann in der nächsten Zeit konkret für die Verbreitung der Grundeinsichten der Transzendentalpragmatik und für ihre Umsetzung getan werden? Ich möchte an dieser Stelle auf mehrere sehr erfreuliche Initiativen hinweisen, die schon seit längerer Zeit laufen resp. in Vorbereitung sind. – Dorando Michelini und Jutta Wester haben in Argentinien zusammen mit weiteren engagierten Freunden der transzendentalpragmatischen Philosophie aus vielen Ländern das weltweit agierende „Internationale Netzwerk Diskursethik“ (RED – Red Internacional de Ètica Discursiva) gegründet. Sie veranstalten regelmäßig Kongresse, zumeist in Argentinien, aber auch – 17 –

Reinhard H ESSE

in Chile und Brasilien, die zu seinen Lebzeiten unter der Schirmherrschaft des verstorbenen Karl-Otto Apel standen. Auch gibt das Netzwerk seit einiger Zeit eine eigene Internetzeitschrift heraus. Interessenten sind aufgerufen mitzumachen und sich mit eigenen Beiträgen, organisatorischer Hilfe und Spenden zu beteiligen! Bitte wenden Sie sich an die eAdresse: [email protected] – Der Anfang 2021 verstorbene italienische Philosoph Michele Borrelli hat nicht nur die wichtigsten Werke Karl-Otto Apels ins Italienische übersetzt (was ich für eine enorme Leistung halte) und für ihre Publikation gesorgt, er hat auch das im Rathaus seiner Heimatstadt Acquappesa untergebrachte, staatlich als gemeinnützig anerkannte „Centro Filosofico Internazionale KarlOtto Apel“ gegründet, von dem jedes Jahr der „Premio Internazionale per la Filosofia Karl-Otto Apel“ verliehen wird. Auch die im Verlag Pellegrini erscheinende mehrsprachige, philosophische Zeitschrift „topologik“ wurde von ihm geprägt. Interessenten können sich mit eigenen Beiträgen, organisatorischer Hilfe und Spenden beteiligen, um damit die weitere Arbeit des „Centro“ und der Zeitschrift zu unterstützen! Bitte wenden Sie sich an die Adresse: [email protected] – Am Deutschen Hochschulverband, DHV, ist 2021 auf meine Initiative hin die Stiftung „Freiheit der Wissenschaft“ errichtet worden, die, ausgehend von den oben in systematischer und historischer Hinsicht skizzier– 18 –

Einige einleitende und weiterführende Gedanken

ten, von Apel inspirierten philosophischen Grundgedanken, regelmäßig Preise an Personen und Organisationen verleiht, welche sich für die Verteidigung der Redefreiheit im akademischen Bereich einsetzten bzw. einsetzen. Sie ist als gemeinnützig anerkannt. Auch hier sind Engagement und Spenden sehr willkommen! Der Verfasser dieser Zeilen ist als Stifter Vorsitzender des Stiftungskuratoriums und steht gern für Auskünfte zur Verfügung. (hesse@ ph-freiburg.de)

P HILOSOPHISCHE Z USAMMENFASSUNG In meinen Augen ist die transzendentalpragmatischautoreflexive Lösung des Letztbegründungsproblems, die Karl-Otto Apel entwickelt hat, überzeugend. Ich halte diesen Teil seiner Philosophie in der Tat für eine Art Schlussstein in dem Gebäude, das hauptsächlich von Platon (Sokrates) und Kant gebaut worden ist., Die drei wichtigsten Desiderate, die Apel gleichwohl mehr oder weniger unbehandelt hinterlassen hat, sind m.E.: a) Die sprachliche Transformation seiner Philosophie vom akademischen Elitestil „herunter“ auf das Niveau der Allgemeinverständlichkeit und Zugänglichkeit für jeden Interessierten, b) eine klare Kritik religiöser und anderer heteronomistischer Missverständnisse der menschlichen Situation und c) vor allem die Ausarbeitung einer normativen politischen Ökonomie auf der Basis der Gleichheits- und Freiheitspostulate, die der transzendentalpragmati– 19 –

Reinhard H ESSE

schen Dialogethik inhärent sind und ihre Anwendung auf die Probleme der Gegenwart.

D ANKSAGUNG Frau Judith Apel danke ich für die Überlassung der beiden aufgefundenen Texte ihres verstorbenen Mannes; ebenso für die Fotos, die ihn uns als Mensch näherbringen. Frau Manuela Ghiguta, Universität Konstanz, danke ich für Ihre vielfältige, kompetente und zuverlässige Hilfe beim Zusammenstellen der Textteile und der Fotos für den Verlag.

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M EIN B ILDUNGSGANG (1939) Karl-Otto A PEL

Ich wurde am 15.3.22 in Düsseldorf-Oberkassel geboren. Dort wuchs ich unter der Obhut meiner Eltern heran zwischen Spielen und Zeichnen. So muss ich mich schon ausdrücken, denn schon in frühester Kindheit wollte ich alles, was mir meine Eltern auf Wanderungen und Ausflügen zeigten, mit dem Bleistift festhalten, und diese meine damals einzige Leidenschaft steigerte sich noch in den vier Jahren meiner Grundschulzeit. Ich kann nicht sagen, dass die Schule, in die ich von 1928 – 32 gehen musste, einen sonderlichen Eindruck auf mich gemacht hätte: Subjektiv gesehen jedenfalls nicht, denn ich hielt es noch nicht einmal für nötig, morgens pünktlich dort zu erscheinen, viel weniger noch, etwa aufzupassen auf das, was gelehrt wurde; so war ich während meiner ganzen Volksschulzeit ein sehr mäßiger Schüler in allen Fächern außer im Zeichnen. Ganze Berge von angefangenen, halbvollendeten und fertigen Zeichnungen waren zuhause wie in der Schule unter der Bank zu finden als ein Beweis für das, was ich tat, während die anderen mehr oder weniger aufmerksam dem Unterricht folgten. Später im vierten Schuljahr gesellten sich zum Zeichnen noch Musik und Heimatkunde als meine Lieblingsfächer, in denen ich es auch auf eine „Eins“ brach– 21 –

Karl-Otto A PEL

te, sehr im Gegensatz zu den sogenannten Hauptfächern, wie Rechnen und Deutsch. Mit zehn Jahren gedachten meine Eltern mich auf die Oberrealschule zu schicken, denn dies hielt mein Vater als praktisch denkender Kaufmann für die nützlichste und zweckdienlichste Ausbildung, zumal ich ja, wenn möglich, einmal das Geschäft meines Vaters übernehmen sollte. Zwar hegte meine Mutter schon damals Bedenken gegen eine solche Ausbildung und Berufsbestimmung, da ich alles andere als praktisch veranlagt bin und damals eher ein Träumer genannt werden konnte. Erst recht ich selbst wollte nichts wissen von „Oberrealschule“ und „Kaufmann“, sondern wollte durchaus auf ein Gymnasium. Auch hier war meine Liebe zum Zeichnen und zum „Künstlerischen“ überhaupt die Triebfeder meines Wunsches. Sie vor allem versetzte mich damals geradezu in Begeisterung für das „klassische Altertum“, wie ich es aus Sagenbüchern und Bildwerken zuerst kennengelernt hatte. Meine Eltern ließen mir auch schließlich den Willen und schickten mich Ostern 1932 auf das Comeniusgymnasium in Oberkassel. Ich muss schon sagen, dass das Gymnasium einen entscheidenden Wendepunkt in meinem Leben brachte. Latein und vor allem Geschichte und Erdkunde erregten in hohem Maße mein Interesse, und schon in der Sexta machte ich eine völlige innere Wandlung durch. Hatte ich vorher nur rein gefühlsmäßig das eine eifrig gelernt, das andere überhaupt nicht beachtet, so wurde jetzt mein Verstand und auch mein Ehrgeiz erst wach. Ich wurde pünktlich, aufmerksam, pflichteifrig, ja pedantisch. Alles, was mir nützlich schien, betrieb

– 22 –

Mein Bildungsgang

Oktober 1942

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Karl-Otto A PEL

ich jetzt mit Eifer, auch wenn es mir nicht lag, wie z.B. Rechnen und später Mathematik (außer Geometrie) und Physik. Aus diesem Bestreben heraus suchte ich jetzt auch auf sportlichem Gebiet das nachzuholen, was ich bisher infolge mäßiger körperlicher Veranlagung versäumt hatte. In diesen Jahren wurde ich von einem stilechten „Stief“ zu einem ganz ordentlichen Schwimmer und zu einem fanatischen, wenn auch nicht hervorragenden Leichtathleten. Auf körperlich-sportlichem Gebiet förderte mich aber – außer den Indianerbüchern aller Art, die ich nicht vergessen will – besonders das Jungvolk (seit März 1933) und später (seit 1936) die Hitlerjugend. Aber auch in geistiger und charakterlicher Hinsicht war der HJ-Dienst stets eine wichtige Ergänzung von Schule und Elternhaus. Zumal als Kameradschafts- und später Scharführer hatte ich Gelegenheit, meine geschichtlichen und sonstigen Schulkenntnisse beim Heimabend in praktischer Form anzuwenden und mich dabei in freier Rede, Auftreten und Umgang mit Jungen zu üben. Wenn mich meine Führertätigkeit in der HJ auch viel Zeit kostete, so betrachte ich sie doch als besonders wertvoll gerade für mich; denn Auftreten, Umgang mit Menschen, überhaupt die praktischen Seiten des Lebens waren nie meine Stärke. Außerdem kam ja der Dienst meinen Neigungen zu geschichtlicher und weltanschaulicher Betrachtung nur entgegen. Im übrigen blieben Geschichte, alte Sprachen und Zeichnen immer meine liebsten Schulfächer auch auf dem Hohenzollerngymnasium, das ich seit Ostern 1935 besuche. Zuhause beschäftigte ich mich vornehmlich – 24 –

Mein Bildungsgang

mit Völkerkunde, Kunstgeschichte (der italienischen Renaissance) und zuletzt mit politischer Geschichte (Englands, der Vereinigten Staaten und Italiens). Ich habe deshalb auch Geschichte als Wahlfach bei der Reifeprüfung angegeben.“

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A UTOBIOGRAPHISCHE R ETROSPEKTIVE Karl-Otto A PEL

Es trifft sich, dass die Aufforderung zu der folgenden Retrospektive an mich erging1 , als ich soeben – wegen Vollendung des 68zigsten Lebensjahres – von meinen Lehrverpflichtungen entbunden und in den Status eines professor emeritus überführt worden war. Dies mag für einen beamteten Philosophen der geeignete Zeitpunkt für eine autobiographische Besinnung – zumindest für eine Zwischenbilanz – sein. In dem Wort „Zwischenbilanz“ liegt, wie mir scheint, ein zweifacher Hinweis: Einmal ist angedeutet, dass alle drei „Ekstasen der existenzialen Zeitlichkeit“ im Sinne Heideggers in Anspruch genommen werden: Gegenwart, Gewesenheit und Zukunft als Dimension einer noch ausstehenden letzten Bilanz; zum anderen ist Bezug genommen nicht einfach auf ein Geschehen, das zum Teil schon abgelaufen ist, sondern auf so etwas wie ein zu leistendes Lebenswerk. Dieser letztere Hinweis sollte nun nicht zu wörtlich verstanden werden, d.h. nicht zu ökonomisch im Sinne einer Verplanung und Verrechnung des Lebens als einer zu vollbringenden Arbeitsleistung, und auch nicht zu professionell-asketisch – etwa im Sinne der Heideggerschen Bemerkung „Aristoteles lebte, arbeitete und – 27 –

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starb“. Eher sollte verständlich gemacht werden, wie einer durch eine Kette von Entscheidungen als Antworten auf Lagen, die er mehr und mehr durch seine eigenen Entscheidungen mitbedingte, in eine Lebensbahn hineingeriet, die immer ausschließlicher durch die Sachzwänge der begonnenen Denkarbeit und immer weniger durch den – scheinbar unendlich großen – Spielraum der offenen Lebens-Möglichkeiten bestimmt wurde. Versuchen wir’s in diesem Sinne. Am Anfang war natürlich das Kontingente meiner Geburt im Sinne der dadurch konstituierten notwendigen Kripke-Identität des Karl-Otto Apel in allen möglichen Welten damals noch offen stehender Lebensrealisierungen. Heute dagegen ist diese meine Kripke-Identität schon erheblich eingeschränkt durch die Frege/RussellIdentität möglicher „Kennzeichnungen“ des professor emeritus Apel, von dem man aufgrund seiner bloßen Kripke-Identität gar nichts wüsste. Spaß beiseite: Ich wurde am 15.3.1922 in Düsseldorf am Niederrhein geboren, genauer: im linksrheinischen Stadtteil Oberkassel, der im Unterschied zum rechtsrheinischen Düsseldorf (der alten Hauptstadt des evangelischen Herzogtums Berg) sehr viel stärker vom katholischen Bistum Neuß geprägt war und dementsprechend auch eine konfessionell gemischte Bevölkerung hatte. Dazu passte es, dass meine Mutter, eine geborene Elisabeth Gerritzen (sprich: Cherritzen), deren Ahnen an der niederländischen Grenze zu Hause waren, katholisch war, mein Vater dagegen, der Kaufmann Otto Apel, dessen Ahnen aus dem rechtsrheinischen „Bergischen Land“ und aus Hessen stammten, evange– 28 –

Autobiographische Retrospektive

lisch-lutherisch. Ich selbst wurde evangelisch getauft, was die „Exkommunizierung“ meiner Mutter zur Folge hatte, im übrigen aber nicht verhinderte, dass ich als Kind in einem stark katholisch bestimmten Milieu von Verwandten und Bekannten heranwuchs und durch die größere sinnliche Pracht des katholischen Kircheninterieurs und der Gottesdienste sehr beeindruckt wurde. Die populären Fackelzüge zu Ehren von Sankt Martin wurden ohnehin von der evangelischen Bevölkerung Oberkassels mitveranstaltet, und in den evangelischen Schulen mussten die Kinder ebenso wie in den katholischen bei dieser Gelegenheit ihre Fackeln unter Anleitung der Zeichenlehrer selbst anfertigen – eine Übung, die offenbar kunstpädagogisch hoch eingeschätzt wurde. Im übrigen erfolgte mein Besuch der Volksschule in einem Schulkomplex, in dem zwar der Schulhof interkonfessionell, die Unterrichtsgebäude und sogar die Toiletten jedoch streng getrennt waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass wir Kinder auf dem Schulhof ein Bewusstsein getrennter Heerhaufen entwickelten und mit zum Teil unflätigen Schimpfworten zum Ausdruck brachten. Später wurde mir übrigens klar, dass sich hinter der stereotypen Behauptung der katholischen Kinder, sie allein kämen in den Himmel, weil sie im Unterschied zu den Evangelischen arm seien, ein soziologisches Faktum verbarg: Die linksrheinisch-autochtonen Katholiken Oberkassels unterschieden sich in der Tat in ihrem niedrigeren Lebensstandard und in ihrer positiven religiösen Wertung der Armut etwa so von den meist zugereisten Evangelischen, wie man

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dies nach Max Webers berühmter Untersuchung über „Die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus“ erwarten konnte. (Das rechtsrheinische Bergische Land mit seinen protestantischen Sekten war ja die Heimat der Gründerväter der Industrie des Ruhrgebiets.) Die Wirtschaftskrise der frühen 30-er Jahre brachte es indessen mit sich, dass auch in Oberkassel die sozialen Klassenunterschiede immer stärker das Bewusstsein der konfessionellen Unterschiede in den Hintergrund drängten. In dieser Zeit geschah es regelmäßig, dass die im Frühjahr, bei Gelegenheit der Karnevalsfesttage stattfindenden rituellen Straßenschlachten zwischen Indianern und Mexikanern (d.h. entsprechend verkleideten Jungen) zu ernsthaften Schlägereien zwischen proletarischen und bürgerlichen Stadtvierteln ausarteten. Diese gefährlichen Differenzen – dies muss ich feststellen, weil es mich sehr beeindruckt hat – wurden, ebenso wie die Arbeitslosigkeit, durch Hitlers Machtergreifung und die gemeinsame Mitgliedschaft von Angehörigen aller Klassen und Konfessionen in der „Hitlerjugend“ überwunden. Aufgrund meiner frühen Begeisterung für das klassische Altertum und unterstützt von meiner Mutter durfte ich, entgegen dem Wunsch meines Vaters, der gerne einen Kaufmann aus mir gemacht hätte, ab 1932 ein humanistisches Gymnasium besuchen und so „unnütze“ Dinge wie Latein und Griechisch lernen. (Hinzu kam Französisch und in den letzten beiden Schulklassen ein wenig Englisch). Die „alten Sprachen“ und darüber hinaus vor allem das Fach „Geschichte“ waren – 30 –

Autobiographische Retrospektive

Student 1950

es denn auch, die mich während der Gymnasialzeit am meisten interessierten und in mir den festen Entschluss reifen ließen, später einmal Historiker zu werden. Mit diesem Entschluss verließ ich zu Ostern 1940 – nach einer um ein Jahr vorgelegten Reifeprüfung – das Gymnasium als Kriegsfreiwilliger, und mit ihm begann ich auch nach dem Ende des Krieges (und der halbjährigen, amerikanischen Kriegsgefangenschaft) im Herbst des Jahres 1945 meine Universitätsstudien in Bonn. Bevor ich auf diese und meine langsame Konvertierung zum Philosophen näher eingehen kann, muss ich jedoch ein paar Worte zu meiner mehr als fünfjährigen Kriegserfahrung sagen; denn das war natürlich keine Kleinigkeit, über die ich mich ausschweigen dürfte. Auf dem Gymnasium und in der „Hitlerjugend“ hatte ich mir eine zeittypische, „patriotische“ und auch „national-sozialistische“ Weltanschauung zugelegt, in der sich die durch Geschichtsunterricht geweckte Begeisterung für das alte, römisch-deutsche Kaiserreich – 31 –

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mit den Ergebnissen einer zeitgemäßen Interpretation von Platons Politeia (im Griechischunterricht) mit der ebenfalls zeitgemäßen Aneignung Nietzsches und der Darwinschen Evolutionstheorie vermischten: Sie vermischten sich etwa so, dass ich zu Beginn des Polenund dann des Russlandfeldzuges, als ich mir immerhin zuweilen die Frage vorlegte, was uns Deutschen denn wohl das Recht verschaffen könnte, die Slawen unserer Herrschaft zu unterwerfen, mir selbst etwa die folgende Antwort suggerierte: Das Wesen der Weltgeschichte ist nun einmal der Kampf der Nationen um die Vormacht, und die Rechtfertigung des „Willens zur Macht“ liegt letztlich – wie Nietzsche angedeutet hat – in der höheren Kulturleistung derer, die sich durchsetzen. Dies alles waren natürlich sehr vage und sehr unausgegorene Gedanken, und sie zu überprüfen, hatte ich auch zunächst kaum Zeit. Denn in den Jahren der vormilitärischen Ausbildung beim „Reichsarbeitsdienst“ (bis zum Herbst 1940) und der Rekrutenausbildung bei der Wehrmacht (bis zum Beginn des Russlandfeldzugs im Sommer 1941) war ich zunächst einmal froh, überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen. Und später – beim Unternehmen „Barbarossa“ – kam ich erstmals zur Besinnung, als wir – nach der ersten schweren Niederlage in der Winterschlacht vor Moskau – im Quartier bei Rschew darüber nachdachten, wie Hitler nur so leichtsinnig hatte sein können, die Beschaffung von Winterkleidung (insbesondere von Filzstiefeln) für unnötig zu halten und so den Ausfall von über hunderttausend Infanteristen durch Fußer-

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Autobiographische Retrospektive

frierung zu verursachen. Doch im Sommer 1942 wurde ich durch die Offiziersausbildung in Leipzig noch einmal „auf Vordermann gebracht“ – auch im Sinne des „Glaubens an den Endsieg“. Im Februar 1943 kam ich dann als Nachrichtenoffizier zum ersten Mal zum Einsatz – in einem Panzerkorps, das den Auftrag erhielt, die bei Stalingrad eingeschlossene 6. Armee zu entsetzen. Wir kamen, wie bekannt, nicht durch und wurden schließlich auf die DonezLinie zurückgeworfen. Danach – genauer: nach der Niederlage in der Panzerschlacht von Belgorod bzw. Kursk im Sommer 1943, der letzten deutschen Offensive in Russland – nahm ich, zuletzt als einer der drei Nachrichtenoffiziere einer Armee, an dem desaströsen, unaufhaltsamen Rückzug der deutschen Truppen in der Ukraine bis nach Bessarabien teil. In meiner Dienststellung hatte ich Gelegenheit, mich durch das Mithören zahlreicher Gespräche der Armeeführung mit dem Führerhauptquartier davon zu überzeugen, dass die Rationalität der deutschen Heeresleitung oberhalb der Armeestäbe aufhörte. Wir pflegten zu sagen: „Dort ist zweimal zwei gleich fünf.“ Man hätte auch sagen können: „Dort wird jetzt der Krieg, der nicht mehr gewonnen werden kann, im Stile von Wagners ‚Götterdämmerung‘ zu Ende geführt – nach dem Motto: Wenn wir schon fallen, wollen wir alles in den Untergang mitreißen.“ Mir blieb damals noch unbekannt, dass Hitler in eben dem Maße, in dem er an einen militärischen Sieg nicht mehr glauben konnte, sein Engagement für das Projekt „Endlösung der Judenfrage“ verstärkte – selbst auf Kosten der Bedürfnisse des Ostheeres.

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Man darf nun nicht glauben, dass die angedeuteten negativen Einsichten meine innere Einstellung sehr rasch von Grund auf verändert hätten. Das war selbst zur Zeit des Attentats auf Hitler noch nicht der Fall. Später habe ich oft darüber nachgedacht, worauf es wohl letztlich beruhte, dass so viele von uns bis zum letzten Tag trotz aller rationalen Einsichten in die Sinnlosigkeit der weiteren Kriegführung „ihre Pflicht getan haben“ und jeden Gedanken an Befehlsverweigerung oder Desertierung als eine beinahe undenkbare Ungeheuerlichkeit von sich gewiesen haben. Lawrence Kohlbergs Stufen der moralischen Urteilskompetenz und seine Schätzung, dass auch in den PostAufklärungs-Gesellschaften des Westens mindestens 80% der erwachsenen Bevölkerung auf den konventionellen Stufen – insbesondere auf der an Staat und Nation orientierten Stufe 4 („Law and Order“) stehen, mag hier einiges erklären. Hinzu kamen für die deutsche Entwicklung zwei besondere Umstände: Der rigorose Pflichtbegriff der an sich universalistischen und insofern nach Kohlberg Stufe 6 repräsentierenden Prinzipienethik Kants war in der Berufsethik des preußischen Beamten und Offiziers immer schon, wie selbstverständlich, auf die Ebene der konventionellen „Law and Order“-Pflichten und die zugehörigen sekundären Tugenden reduziert worden. Und der Begriff der Nation und ihres Staats war in der deutschen Tradition kaum jemals auf den „Law makers“ – Standunkt des westlichen Kontraktualismus bezogen worden; vielmehr war er im „Nationalsozialismus“ eher mythisch mit der zur Stufe 3 gehörigen Solidarität und „ Nibelungentreue“

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Autobiographische Retrospektive

einer Blutsverbandsordnung verschmolzen worden – nach dem Motto: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“. Als dreiundzwanzigjähriger Kriegsheimkehrer stürzte ich mich nun im Wintersemester 1945/46 mit kaum bezähmbarem Bildungshunger auf das Studium von Geschichte, Philosophie und Germanistik in Bonn. (Schon zuvor im amerikanischen Gefangenenlager bei Cherbourg in Frankreich hatte ich sozusagen mit der Vergangenheit abgeschlossen und im Bewusstsein des Nachholbedarfs damit begonnen, alles zu studieren, was man in unserer Offiziers-Lager Universität überhaupt studieren konnte. Dafür hatte ich die bessere Verpflegung der im Steinbruch beschäftigten Kameraden ausgeschlagen und mich mit der „sleeping men“ – Verpflegung derer, die nicht arbeiten wollten, begnügt.) So war ich zunächst auch ganz damit zufrieden, dass unsere akademischen Lehrer – typische Vertreter der alten deutschen Ordinarien-Universität – den Lehr- und Forschungsbetrieb so aufnahmen, als habe überhaupt keine nationale Katastrophe stattgefunden. Ich schloss mich dieser stillschweigenden Grundvereinbarung bereitwillig an und genoss jetzt zunächst einmal die apolitische Erfahrung des „über den Dingen Stehens“, die mit dem Standpunkt der „Geistes – Wissenschaften“ verbunden zu sein schien. Vor allem Wilhelm Diltheys „Gesammelte Schriften“ lieferten mir die zugehörige, philosophische und geistesgeschichtliche Perspektive, die es mir gestattete, meine drei Studienfächer intern zu verknüpfen und zugleich meinen akademischen Lehrern mit hermeneutisch reflektiertem Verständnis zu folgen: so den – 35 –

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an der Ranke-Tradition orientierten Historikern Braubach („Prinz Eugen“, 6 Bde.), Holtzmann und Oertel (der freilich auch die Wirtschaftshistorie eines Michael Rostovzeff in der „Althistorie“ repräsentierte), so unter den Germanisten und Literaturhistorikern, dem Goethe-Forscher Günter Müller und dem Romantik- bzw. Idealismus-Forscher Johannes Hoffmeister, so dem neuhumboldtianischen Sprachwissenschaftler Leo Weisgerber und nicht zuletzt meinem philosophischen Lehrer und späteren Doktorvater Erich Rothacker, der selbst sowohl die Geistesgeschichte Diltheyscher Provenienz (Erforschung der „Historischen Schule“) als auch die lebensphilosophische Begründung der „Geisteswissenschaften“ repräsentierte, im übrigen aber auch die anthropologisch-psychologischen Disziplinen als Psychologie-Professor vertrat. (Daneben hörte ich den Existenzial-Phänomenologen und Mathematikhistoriker Oskar Becker und später den neohegelianischen Philosophen und Pädagogen Theodor Litt sowie – nicht zu vergessen, den großen Romanisten und Mediävisten Ernst-Robert Curtius.) Unter diesem Dach des Diltheyschen „Allesverstehens“ vollzog sich nun aber im Laufe des Studiums bei mir eine Verlagerung des Interesses von der politischen zur Geistesgeschichte und von der letzteren zur Philosophie. Hier war es – wie ich im Rückblick zu erkennen glaube – ein zentrales Problem, das von Anfang an und bis heute den nicht immer deutlich sichtbaren Leitfaden meines philosophischen Denkens gebildet hat. Die zentrale Fragestellung war und blieb bis heute die, wie man den transzendentalphilosopischen Ansatz Kants –

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Autobiographische Retrospektive

die Beantwortung der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Gültigkeit – transformieren müsse, um seine interne Aporie – die des unerkennbaren „Dinges an sich“ – zu überwinden und ihn dem heutigen – sprachkritischen – Reflexionsniveau einer kritischen Theorie der Natur- und Geistes- bzw. Sozialwissenschaften anzupassen. Die einzelnen Aspekte, Dimensionen und Denkmöglichkeiten des soeben angedeuteten Tiefen-Programms einer Transformation der Transzendentalphilosophie sind nun schon während meiner Studienzeit und ebenso in meinem weiteren Denkweg in einem Nacheinander und auch Nebeneinander sehr verschiedenartiger Forschungsprojekte hervorgetreten. Zuerst faszinierte mich Nicolai Hartmanns großangelegter Versuch einer Auflösung der Ding-an-sich-Aporie durch Rückwendung zu einem prä-transzendentalistischen Standpunkt der „intentio recta“, und das heißt: zu einer vorkantischen Ontologie als prima philosophia. Schon wollte ich bei Rothacker ein entsprechendes DissertationsProgramm anmelden. Doch dann lernte ich Heideggers Sein und Zeit kennen und damit – so schien es mir – die Alternative zur Hartmannschen KantTransformation. Hier wurde die transzendentale Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des Seinsverstehens nicht aufgegeben, sondern in Gestalt einer „Fundamental-“ – bzw. „Existenzialontologie“ allen möglichen Ontologien der intentio recta vorgeordnet. Hinzu kam ein zunächst irritierendes, dann aber mehr und mehr faszinierendes Novum: Bei Heidegger waren die transzendentalen bzw. fundamentalon-

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tologischen Bedingungen des Seinsverstehens ihrerseits nicht auf das Konstrukt eines transzendentalen „Bewusstseins überhaupt“, sondern auf die „ontische“ Bedingung der „Faktizität“ des „jemeinigen Daseins“ – seiner geschichtlichen „Geworfenheit“ und seines horizontbildenden „Entwurfs“ von Sinn zurückbezogen. Hier schien mir die Möglichkeit eröffnet, das lebensphilosophische Programm der Diltheyschen Kant-Transformation (das Programm einer „Kritik der historischen Vernunft“) und das bei Rothacker und H. Plessner erkennbare Programm einer Erkenntnisanthropologie (mit zentrischem Leib-Apriori, exzentrischem ReflexionsApriori, Apriori der Erkenntnisinteressen und der durch sie freigegebenen Welt-Bedeutsamkeit, schließlich auch mit dem Humboldt-Weisgerberschen Sprach-Apriori) in die Konzeption einer Transformation der Kantschen Transzendentalphilosophie zu integrieren. (Was ich damals und noch lange Zeit darauf nicht mit hinreichender Klarheit erkannte, war der folgende Umstand: Heideggers Transformation der Transzendentalphilosophie – in Sein und Zeit und in Kant und das Problem der Metaphysik – war in einseitiger Weise auf den – temporalen – Entwurf von Sinn, der bei Kant eine Funktion der „Einbildungskraft“ ist, bezogen; er musste daher von vornherein das auf den nichttemporalen „Logos“ (bei Kant: auf „Verstand“ und „Vernunft“ bezogene) Problem der Begründung von intersubjektiver Gültigkeit (Aussagen-Wahrheit und Normen-Richtigkeit) verfehlen. Dies wurde mir erst völlig klar, als durch den späten Heidegger, und auch durch Gadamer, das Problem der Wahrheit und auch das der normativen Richtig-

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Autobiographische Retrospektive

keit des Verstehens mit radikaler Einheitlichkeit auf ein Problem der seinsgeschichtlichen Ereignisse der SinnEröffnung bzw. des Sinn-Entzugs zurückgeführt wurde.

Urlaub in Kärnten 1959

Ich verfasste also eine Doktor-Dissertation über das Thema „Dasein und Erkennen: eine erkenntnistheoretische Interpretation der Philosophie Martin Heideggers“, mit der ich 1950 zum Dr. phil. promoviert wurde. Zu einer – damals leider nicht obligatorischen – Drucklegung der Arbeit kam es nicht, weil ich von Rothacker sofort als wissenschaftlicher Mitarbeiter engagiert wurde – in einem Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur, das der Begründung des Archivs für Begriffsgeschichte und damit der Vorbereitung des inzwischen teilweise erschienenen Histo– 39 –

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rischen Wörterbuchs der Philosophie diente. Durch dieses neue Projekt wurde ich zunächst auf Jahre hinaus auf die geistesgeschichtliche Forschung zurückverwiesen. Das systematische Projekt einer transzendentalen Erkenntnisanthropologie, für das meine Dissertation sozusagen den Grund gelegt hatte, musste auf Eis gelegt werden. Ich habe es erst viel später – vor allem als Professor in Kiel (1962 bis 1969) – wieder aufgenommen; und nur wenige Ausarbeitungen wurden bisher veröffentlicht. Nur eine Dimension des erkenntnisanthropologischen Programms der Kanttransformation konnte ich mit der begriffshistorischen Arbeit verknüpfen (und schließlich sogar zum Thema einer historischen Untersuchung machen): die des Sprach-Aprioris. Hier verband sich für mich schon in den 50-er Jahren eine sprachhermeneutische Vertiefung der Heideggerschen Philosophie und des neohumboldtianischen Ansatzes von Weisgerber mit einer ersten Kenntnisnahme der sprachanalytischen Philosophie in ihren beiden Phasen: der syntaktisch-semantischen Sprachlogik des frühen Wittgenstein und des Logischen Positivismus und der pragmatischen Wende beim späten Wittgenstein und bei Charles Morris. In dieser weitgespannten Thematisierung der Sprache nicht nur als eines möglichen Gegenstandes, sondern vor allem als einer Bedingung der Möglichkeit und intersubjektiven Gültigkeit der Philosophie, versuchte ich in diesen Jahren die mir immer stärker bewusst werdende Spannung zwischen der kontinentalen, hermeneutisch-phänomenologischen und der angelsächsischen, analytischen Methode des Philosophierens aufzu– 40 –

Autobiographische Retrospektive

fangen; und damit zugleich versuchte ich meiner begriffshistorischen Arbeit – ja der Konzeption eines historischen Wörterbuchs der Philosophie – eine quasisystematische Grundlage zu verschaffen. Schließlich konnte ich aber meine systematischen Interessen mit der aufgetragenen Arbeit für das Archiv für Begriffsgeschichte nur dadurch vereinbaren, dass ich den Begriff der Sprache selbst zum Thema einer Arbeit machte, die den Titel tragen sollte: Die Idee der Sprache im Denken der Neuzeit. An dieser Untersuchung, die als Habilitationsschrift vorgesehen war, arbeitete ich seit 1952/53 als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Und da ich die Arbeit in dem angedeuteten Sinne sowohl historisch-philologisch als auch mit dem Anspruch einer exemplarischen Grundlegung einer transzendentalen Hermeneutik des Sprach-Aprioris durchführen wollte, so nahmen die Vorarbeiten alsbald beängstigende Ausmaße an. Es stellte sich heraus, dass ich zumindest vier – schon im späten Mittelalter unterscheidbare Traditionen des europäischen Sprach-Denkens – d.h. nicht nur der expliziten Sprach-Philosophie, sondern auch der vorphilosophischen Sprachreflexion und Sprachprogrammatik im weitesten Sinn zu rekonstruieren hatte: 1. die rhetorisch- und literarisch orientierte Tradition des Sprach-Humanismus, die in Italien, seit Dante, mit der Sprachprogrammatik der „questione della lingua“ zusammenhing, die ihrerseits für die Formierung der europäischen Nationalsprachen maßgebend wurde; 2. die Tradition der religiös-spekulativen Logosmystik (von Meister Eckhart über Jakob Böhme bis Hamann), die – 41 –

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sich in ihrer Säkularisation mit dem Sprach-Humanismus im Sinne des transzendentalhermeneutischen Begriffs der Sprache vereinigte – so z.B. beim späten Vico, bei Hamann, Herder und Wilhelm von Humboldt; 3. die im britischen Empirismus schon vorausgesetzte Sprachkonzeption des Nominalismus, die aus der Sprachlogik des späten Mittelalters – insbesondere der 0ckhamschen Umbildung der Suppositionstheorie – sich entwickelt hatte; und 4. die vor allem bei Leibniz zum Durchbruch kommende artifizielle Sprachkonzeption der „mathesis universalis“ – der als universal und formalisierbar gedachten Kalkülsprache der Philosophie und Wissenschaft, die später – vor allem bei B. Russell und im Logischen Positivismus – mit dem Nominalismus zur technisch-szientifischen Sprachkonzeption zusammenfließen sollte. Ich war mitten in dieser Arbeit begriffen, als mich eine tückische Augenkrankheit (Iritis, die damals noch nicht durch Kortison-Medikamente therapiert werden konnte) in immer neuen Schüben heimsuchte. Ein solcher Schub fiel zusammen mit meiner Eheschließung im Dezember 1953 mit der damaligen Studentin der Germanistik und Kunstgeschichte Judith Jahn, die ich an der Bonner Universität kennengelernt hatte (zur gleichen Zeit übrigens wie den Philosophiestudenten Jürgen Habermas, der mit meiner Frau gleichaltrig und wie sie in Gummersbach im Bergischen Land zu Hause war). Da die Iritis nicht weichen wollte, konnte ich weder – wie geplant – auf eine Hochzeitsreise noch an meinen Arbeitstisch zurückkehren, sondern musste schließlich mit einer Herz-Neurose in eine Bonner Kli-

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Autobiographische Retrospektive

nik eingeliefert werden. Dort blieb ich für die nächsten Monate und war auch danach nicht arbeitsfähig. Ich verlor schließlich auch mein DFG-Stipendium; und meine Frau verdiente als Lehrerin den Unterhalt für uns beide. Erst nach einer Zwangspause von drei Jahren, in denen ich kaum lesen konnte, war ich imstande, die Arbeit wieder aufzunehmen, und schließlich konnte ich sie Ende 1960, mit Hilfe des Rothackerschülers Gerhard Funke, an der Universität Mainz als Habilitationsschrift einreichen. Diese enthielt jetzt freilich nur einen der vier geplanten Abschnitte in ausgearbeiteter Form. Das ursprüngliche Konzept der vier Traditionen bildete jedoch den Rahmen der vorgelegten Arbeit, die den Titel trug: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico (veröffentlicht 1963 im 8. Band des Archivs für Begriffsgeschichte, 3. Auflage 1980, italienische Übersetzung 1975 bei Il Mulino: Bologna, 1988 Premio Internazionale Galileo Galilei in Pisa). Nach der Habilitation (am 28.7.1961) ging es wieder aufwärts mit mir. Nach einer nur einjährigen Privatdozentenzeit in Mainz erhielt ich im September 1962 einen Ruf auf einen philosophischen Lehrstuhl in Kiel. Dort konnte ich nun in den folgenden sieben Jahren sowohl das Programm einer transzendentalen Sprach-Hermeneutik als auch das einer transzendentalen Erkenntnisanthropologie weiter ausarbeiten. Die Ergebnisse dieser Zeit und der anschließenden Jahre in Saarbrücken (1969-1972) sind zum Teil in das zweibändige Sammelwerk Transformation der Philosophie (Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972) eingegangen, das in viele Sprachen – 43 –

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(vollständig aber nur ins Spanische) übersetzt wurde. Die im 1. Band dieses Sammelwerks veröffentlichten Arbeiten stehen noch ganz im Banne der polaren Spannung zwischen der sprachhermeneutischen und der sprachanalytischen Philosophie, insbesondere des Vergleichs von Heidegger und Wittgenstein. Die Arbeiten des 2. Bandes verraten dagegen zwei neue Impulse der Kieler Zeit: Einmal war dies die Erfahrung der Studentenrebellion und des damit verknüpften, zeitweilig überwältigenden Einflusses der „Kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule, genauer: ihrer aktuellen Neuformulierung einerseits durch Herbert Marcuse und andererseits durch Jürgen Habermas, dessen Stern damals aufging. Da ich Habermas von Bonn her kannte – nur in der Zeit meiner Krankheit hatten wir uns aus dem Auge verloren – und seine mir vertrauten – z. B. erkenntnisanthropologischen – Denkmotive auch in der neomarxistischen Adaption sehr gut wiedererkennen konnte, so fand ich durch ihn einen Zugang zur sogenannten Frankfurter Schule, obwohl deren Gründerväter – Horkheimer und Adorno – mir völlig unbekannt waren. (Mit Erstaunen habe ich später den Unterschied zwischen der „Dialektik der Aufklärung“ bzw. der „Negativen Dialektik“ – einer letztlich ausweglosen Position der Vernunftverzweiflung – und Habermas’ Versuch einer normativen Begründung der „Kritischen Theorie“ in der kommunikativen Vernunft wahrgenommen.) Für mich hatte jedenfalls die Konfrontation mit der Studentenrebellion und die Wiederbegegnung mit Haber– 44 –

Autobiographische Retrospektive

mas (d.h. die Auseinandersetzung mit seinen vielfältigen Publikationen) die Folge, dass ich jetzt die apolitische Rückzugsposition des Kriegsheimkehrers (des Angehörigen der „lost generation“ im Sinne Hemingways) als auch philosophisch defizitär erkannte und die prinzipielle Notwendigkeit der philosophisch-politischen Stellungnahme erkannte. Freilich wollte ich um keinen Preis in einen unreflektierten Dogmatismus des Engagements zurückfallen. Daraus ergab sich meine kritische Reflexionsdistanz zum marxistischen Utopismus der Studentenbewegung und auch ein entsprechendes Veto gegenüber der umstandslosen Gleichsetzung von „emanzipatorischem Erkenntnisinteresse“ und kritisch-reflexiver Vernunft in Habermas’ Buch Erkenntnis und Interesse. (Seit meiner damaligen Kritik freilich sind wir uns über die Differenz zwischen dem Erfahrungsapriori der sinnkonstitutiven Erkenntnisinteressen und dem Apriori des geltungsreflexiven argumentativen Diskurses wohl im wesentlichen einig.) Langfristig gesehen ergab sich aus meiner „politischen Erweckung“ die Zuwendung zu den Problemen der Ethik bzw. der praktischen Vernunft im Sinne Kants. Dabei entsprang gerade meine – für viele Zeitgenossen komisch und unverständlich wirkende – Insistenz auf der Notwendigkeit und Möglichkeit einer „transzendental-reflexiven Letztbegründung“ des normativen Prinzips dem Bestreben, den m.E. unvermeidlichen Kryptodogmatismus eines bloß pragmatischen Engagements (z.B. für eine utopische Vision oder – später! – für die „Üblichkeiten“ der eigenen Tradition) zu vermeiden.

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Um freilich den, schon im letzten Essay der Transformation wirksam gewordenen Ansatz einer Kommunikations- oder Diskursethik verständlich zu machen, muss ich auf den zweiten Impuls meiner Kieler Zeit zurückkommen: Die große Neuentdeckung in dieser Zeit war für mich das Werk von Charles Sanders Peirce. Zunächst studierte ich ihn nur – im Rahmen einer Rekonstruktion des amerikanischen Pragmatismus – als Vorläufer von W. James und J. Dewey; dabei aber kam ich aus dem Staunen nicht heraus, und schließlich begann ich, ihn für den größten amerikanischen Philosophen überhaupt zu halten. Mit Hilfe eines Doktoranden – G. Wartenberg – unternahm ich eine zweibändige deutsche Ausgabe von Peirce-Schriften und verfasste dazu jeweils ausführliche Einleitungen, die später (1975) zu einem Peirce-Buch zusammengefasst wurden. Die Bedeutung der Peirce-Lektüre für mein eigenes Denken könnte ich wohl in zwei Punkten zusammenfassen: Einmal war er für mich neben dem späten Wittgenstein der zweite wichtige Orientierungspunkt einer sprachpragmatischen Kant-Transformation. Dabei lassen sich die bedeutungstheoretischen und sinnkritischen Ansätze beider Denker nicht nur als wechselseitige Ergänzungen – z.B. in der Auflösung der Dingan-sich-Aporie –, sondern auch als Alternativen betrachten; denn bei Peirce ist die normative Dimension der regulativen Ideen Kants nicht, wie anscheinend bei Wittgenstein, auf konventionelle „Gepflogenheiten“ des faktischen Sprachgebrauchs und der faktischen Lebensformen reduziert, sondern behält ihre

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Autobiographische Retrospektive

kontrafaktische Orientierungsfunktion für den möglichen Fortschritt von Rationalisierungsprozessen. Damit hängt nun der zweite Punkt des Peirce-Effektes auf mein Denken zusammen: Wie notwendigerweise in jeder sprachpragmatischen Transformation der transzendentalen Bewusstseins- bzw. Subjektphilosophie, tritt schon bei Peirce erstmals die Gemeinschaft der Zeichen-Interpreten an die Stelle des transzendentalen Solipsismus des Erkenntnissubjekts. Aber das neue Subjekt ist bei Peirce nicht – wie im post-wittgensteinschen „Communitarismus“ – eine jeweils faktische Gemeinschaft mit einer bloß „kontingenten Konsensbasis“ (Rorty), sondern eine ideale, unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft als kontrafaktisch postuliertes Subjekt eines letzten Konsenses. Hier – d.h. genauer: in dem reflexiven Nachweis, dass wir im ernsthaften Argumentieren diesen möglichen idealen Konsens tatsächlich unterstellen, ja kontrafaktisch antizipieren müssen – schien mir die nicht-kontingente Basis einer Begründung der Wahrheitstheorie und der normativen Ethik in Sicht gekommen zu sein. Man sieht, dass alle wesentlichen Elemente meiner bis heute wirksamen Denkmotive in der Kieler Zeit schon angelegt waren. (Das Neue dieser Phase im Vergleich zu dem von Heidegger geprägten Hermeneutizismus der Bonner Zeit bestand in der normativen Neuorientierung, die mich sozusagen gegen den post- Gadamerischen Kontextualismus-Historismus der Hermeneutik des Immer-nur-anders-Verstehens nach Maßgabe der faktischen „Geschichtszugehörigkeit“ – nicht zu reden

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vom Postmodernismus und der Rortyschen „Detranscendentalization“ – widerspenstig machte.) Die Kieler Zeit war aber nicht nur philosophisch fruchtbar. Es war überhaupt die schönste Zeit in meinem Leben – natürlich deshalb, weil ich noch jung war. Man lebte nahe am Ostseestrand und fuhr oft vom OsloKai mit norwegischen und schwedischen Schiffen nach drüben – z.B. nach Göteborg, wo gute Kontakte zum dortigen Institut für Wissenschaftstheorie bestanden. Außerdem wurden in dieser Zeit meine Kinder geboren bzw. adoptiert: zwei eigene Töchter (Dorothea, geboren 1964, und Katharina, geboren 1970) und eine Adoptivtochter (Barbara, geboren 1968). Die Saarbrückener und vor allem die Frankfurter Zeit (ab Wintersemester 1972/73) waren auf andere Weise fruchtbar. Die Weichen für die systematische Orientierung der Denkarbeit waren jetzt im wesentlichen gestellt. Doch wurde noch einiges Neue rezipiert: Chomskys generative Linguistik, die funktionalistische Systemtheorie (besonders die Version N. Luhmanns), der „new dualism“ der post-Wittgensteinschen Erneuerung der post-Diltheyschen Erklären-Verstehen-Kontroverse (besonders im Werk G.H. von Wrights), der genetische Strukturalismus Piagets, insbesondere seine Weiterentwicklung in Kohlbergs Stufentheorie der moralischen Urteilskompetenz, Austins und Searles Sprechakttheorie, die von P. Strawson ausgelöste Debatte um die „transcendental arguments“, und – nicht zu vergessen – die nicht abreißende Kette von Habermas’ Werken, die ihrerseits bei der Rezeption des Neuen behilflich waren – so zuletzt bei der, meinerseits – 48 –

Autobiographische Retrospektive

noch recht unvollständigen und konsternierten Rezeption des französischen Poststrukturalismus bzw. Postmodernismus. Ich habe jedoch alle diese Rezeptionen bereits im Sinne der Konzeption einer transzendentalen Sprachpragmatik bzw. Semiotik bzw. Diskursethik zu verarbeiten versucht. Mein analytisch härtestes Buch habe ich über die Erklären-Verstehen Kontroverse in transzendentalpragmatischer Sicht geschrieben (Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, engl. Übersetzung 1984). Die Stufen-Theorie Kohlbergs und ihre Rezeption durch Habermas habe ich in einer längeren Vorlesungsreihe auf die Rekonstruktion der Kulturrevolution – und in ihrem Rahmen insbesondere auf die Rekonstruktion der griechischen Aufklärung als Teilaspekt der „Achsenzeit "der antiken Hochkulturen – anzuwenden versucht. Veröffentlich ist davon nur ein skizzenhafter Vorentwurf im Rahmen der Dialoge und Studientexte des Funkkollegs Praktische Philosophie/Ethik, das unter Dietrich Böhlers und meiner Leitung im Jahre 1980 durchgeführt wurde. Meine Auseinandersetzung mit der Sprechakttheorie und mit Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns“ habe ich in einer Reihe von Aufsätzen niedergelegt, die ich mit anderen Arbeiten in einem Buch Auseinandersetzungen – Versuche, den transzendentalpragmatischen Standpunkt zu bestimmen, demnächst zu veröffentlichen hoffe. Meine Hauptanstrengung gilt jedoch seit längerem der Ausarbeitung der praktischen Philosophie im Sinne der Diskursethik und der Grundlegung der theoretischen Philosophie im Sinne einer transzendentalen Se– 49 –

Karl-Otto A PEL

miotik. Als Ergebnis des erstgenannten Arbeitsprojekts erschien 1988 bereits der Sammelband Diskurs und Verantwortung: Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral; ein weiterer Sammelband mit dem Titel Rationalität, Ethik und Utopie soll noch folgen. Das zweite Projekt ist letztlich dem Nachweis gewidmet, dass nach der ontologischen Metaphysik und der bewussteinsphilosophischen Form der Transzendentalphilosophie heute ein drittes – postmetaphysisches, aber gleichwohl transzendentales – Paradigma der prima philosophia an der Zeit ist. Ob diese Vorhaben des professor emeritus sich noch, wie geplant, realisieren lassen, muss die Zukunft lehren. Frankfurt am Mai, im Juni 1990 A NMERKUNGEN 1

Von welcher Stelle die Aufforderung zu dieser autobiographischen Retrospektive erging, konnte nach Auffinden des Manuskripts gut 30 Jahre später leider nicht mehr festgestellt werden. Die Hervorhebungen wurden aus dem Originalmanuskript übernommen.

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Z UR R ETROSPEKTIVE VON K ARL -O TTO A PEL Jürgen H ABERMAS

Diese Notizen bezeugen wieder einmal die Redlichkeit, mit der diese moralisch integre Person auch mit sich selber umgegangen ist. Mir rufen sie die enge Beziehung in Erinnerung, die mich mit Karl-Otto verbindet. Nach der anfänglichen Abhängigkeit des Lehrlings von dem prägenden Mentor war es während der folgenden sechseinhalb Jahrzehnte eine komplexe Beziehung, in der sich persönliche Freundschaft, kollegiale Zusammenarbeit und die fortgesetzte argumentative Auseinandersetzung über die Themen unsres gemeinsamen Interesses nicht mehr voneinander unterscheiden ließen. Bei dieser Verschlingung unserer philosophischen Lebensläufe bringt mir Karl-Ottos Biographie auch Bruchstücke der eigenen Entwicklung wieder zu Bewusstsein. Seine Erinnerungen machen auch den Einschnitt im Charakter unseres Verhältnisses deutlich; jene Zeit der Trennung, die zwischen unserer gemeinsamen Bonner Zeit bis zum Ende meines Studiums Mitte der 50er Jahre und der brieflichen Wiederaufnahme des Kontakts Ende der 50er Jahre liegen, bilden eine Zäsur. In dieses Intervall fallen für KarlOtto die schwierigen Jahre der durch sein Augenleiden – 51 –

Jürgen H ABERMAS

immer wieder unterbrochenen Arbeit an seiner Habilitationsschrift; für mich waren es hingegen die Jahre der Umorientierung und eines neuen Anfangs im aufregenden Milieu der zurückgekehrten Emigranten des Frankfurter Instituts. Zwar konnte ich an frühere MarxStudien anknüpfen; aber während jener Zeit zwischen meinem Studienabschluss und den ersten Schritten in die akademische Selbständigkeit war ich Adornos Assistent und bin täglich den von den Nazis vertriebenen intellektuellen Traditionen der 20er Jahre gewissermaßen in persona begegnet – das war für mich noch einmal die Periode eines tiefgreifenden Bildungsprozesses. Als sich dann 1959 der seit dem Wechsel nach Frankfurt unterbrochene Kontakt zu Apel eher zufällig wieder herstellte, erhielt diese Beziehung auch eine Brückenfunktion für meinen erneuten Fachwechsel von den Sozialwissenschaften zur Philosophie, d.h. für den Übergang von den Forschungen am Frankfurter Institut für Sozialforschung und den Diskussionen in Abendroths rechts- und politikwissenschaftlichen Seminaren in die Umgebung der von Gadamer und Löwith bestimmten Heidelberger Philosophie. Auf mein Extraordinariat hätte übrigens Löwith, wie ich später von Gadamer erfahren habe, lieber den bereits schon habilitierten Apel berufen. Damals also hatte ich mir den inzwischen bei Suhrkamp erschienenen Wittgenstein schon angeeignet. Aber die nun wieder aufgenommene Diskussion mit Apel gab der „Rückkehr“ in die Philosophie von vornherein die Richtung einer nachholenden Beschäftigung mit der analytischen Philosophie

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Zur Retrospektive von Karl-Otto Apel

Oktober 1960, Philosophiekongress in München, mit H.G. Gadamer und G. Lohmann

der Wiener Emigranten (vor allem mit deren Beiträgen zur Logik der Sozialwissenschaften) – und, das war damals Apels „Entdeckung“ – mit Peirce und dem Pragmatismus. Freilich sollte es dann, neben Peirce und der Sprechakttheorie, vor allem der sozialwissenschaftliche Flügel des Pragmatismus sein, der mich später mit George Herbert Mead aus der Begründungsaporie der Kritischen Theorie in die Richtung einer Theorie des kommunikativen Handelns geführt hat. Mir ist bei der Lektüre der autobiographischen Zeilen aus Apels Nachlass erst klar geworden, dass wir bei– 53 –

Jürgen H ABERMAS

de – ganz gegen mein Empfinden – mit unseren Familien während der nächsten zweieinhalb Jahrzehnte an weit entfernten Orten gelebt haben. Diese 60er und 70er Jahre waren intellektuell die Zeit unseres intensivsten Austauschs; sie waren für jeden von uns beiden nicht nur die produktivsten Jahrzehnte, sondern auch jene Periode, in der sich unsere Arbeiten – zunächst mit der Theorie der Erkenntnisinteressen und dann mit den Anfängen der Diskuskursethik – am engsten berührt haben. Aber es war ein Austausch über räumliche Entfernungen hinweg. Persönlich trafen wir uns hauptsächlich bei den üblichen professionellen Gelegenheiten. Ich hatte zwar Anfang der 70er Jahre noch Karl-Ottos Berufung nach Frankfurt erfolgreich betrieben und erinnere mich der Überfüllung des großen Hörsaals bei der Vorlesung, mit der er sich um Cramers Professur bewarb; aber bevor er diese antrat, waren wir schon nach Starnberg umgezogen. Und erst als er uns dort das erste Mal zu einem Vortrag besuchte, haben wir die Schwelle zum „Du“ bei einem Glas Wein förmlich überschritten. Am selben Ort gelehrt und gelebt haben wir nicht vor meiner Rückkehr an die Frankfurter Universität im Jahre 1983. Erst seitdem, also während Apels letztem aktiven Jahrzehnt als akademischer Lehrer, haben wir am selben Ort gelehrt und gelebt – und gemeinsame Seminare gehalten. Dabei ging es ziemlich lebhaft zu. Unsere kontroversen Auffassungen zu Wahrheitstheorie und Letztbegründung boten genügend Stoff für stürmische Diskussionen.

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Zur Retrospektive von Karl-Otto Apel

Der erste Teil des autobiographischen Rückblicks zeigt mir, wie wenig ich bis heute über Apels frühe Lebensgeschichte und von seiner Zeit als Leutnant an der Front wusste. In Bonn waren Karl-Otto und Hannes Tietgens die einzigen aus der Generation der Kriegsheimkehrer gewesen, die wir näher kennenlernten. Diese Generation beneidete uns, die „weißen Jahrgänge“, weil wir nicht wie sie die vielen „verlorenen“ Studienjahre nach- und aufholen mussten. Die meisten aus diesen Jahrgängen blieben uns fremd. Eine Barriere bildeten Kriegserinnerungen, die die Mentalität dieser Älteren geprägt haben. Aber Apel war anders. Bei ihm stand uns die andere Vergangenheit während der Kriegsjahre nicht im Wege. Damit schien Apel abgeschlossen zu haben. Umso erstaunter war ich deshalb, als er bei unserem letzten Besuch in Niedernhausen, ein oder zwei Jahre vor seinem Tod, wenn auch in unklaren Andeutungen und eher in sich gekehrt, auf eine lange zurückliegende Episode an der Front, „bei Charkov“, zu sprechen kam. Von ähnlichen Erfahrungen war in meiner Gegenwart bis dahin nie die Rede gewesen. Als ich 1950 nach Bonn kam, hatte Apel soeben seine Promotion abgeschlossen. Die, wie man munkelte, bedeutende Dissertation sollte von Kant handeln, und zwar dessen Kritik der reinen Vernunft aus der Perspektive Heideggers interpretieren. Das Thema war damals weniger überraschend. Denn wir alle hatten die Daseinsanalyse von „Sein und Zeit“ mit Kantischen Augen gelesen. Hatte Heidegger nicht mit den „Existentialien“ die Kantischen Kategorien aus dem er-

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Jürgen H ABERMAS

kenntnistheoretischen Jenseits des Intelligiblen auf die Erde der hermeneutisch erschlossenen anthropologischen Bestimmungen unserer geschichtlichen Existenz herabgeholt? Die inzwischen eingetretene Wende zur Seinsgeschichte nahmen wir eher zögerlich zur Kenntnis. Aber auch daran mussten wir uns im Lichte der unbezweifelten Autorität, die Heidegger damals genoss, abarbeiten. Und auf diesem Wege ging Apel mit der Emphase eines berufenen Zeitdiagnostikers voran. Jetzt erst erfahre ich von der Tatsache, dass sich Apel während der Anfänge seines Bonner Studiums zunächst in die Schichtenontologie Nicolai Hartmanns eingearbeitet hatte, bevor ihn Diltheys Hermeneutik von diesem handfesten Erkenntnisrealismus weg und zu Heideggers Hermeneutik der Lebenswelt hinführte. Ich hatte mein Studium in Göttingen begonnen und alle Bücher meines Lehrers Hartmann gekauft und gelesen, freilich ohne Feuer zu fangen. Schon vor dem Abitur hatten mich die geschichtsphilosophischen Entwürfe von Herder und Kant bis Marx und Engels sowie Sartres Existentialismus auf eine anthropologische Lesart von Heidegger, den ich erst in Göttingen las, vorbereitet. Aber Karl-Otto war inzwischen auf seinem Weg zum späten Heidegger. Davon habe ich vor allem das systematische Interesse an der – in Rothackers Seminaren ohnehin intensiv verhandelten – Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts zurückbehalten. Ich war bei weitem nicht der einzige, für den Apel damals zum Mentor geworden ist. Im Hauptgebäude der damals noch zerstörten Bonner Universität konnte man öfter eine Traube von Studenten beobachten, die sich

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Zur Retrospektive von Karl-Otto Apel

auf der Treppe zum ersten Stock, wo sich das philosophische Seminar A befand, um einen leidenschaftlich dozierenden und ebenso heftig gestikulierenden jungen Assistenten scharte, um von ihm zu lernen, dass es in der Philosophie nicht nur um „etwas“, sondern um „alles“ ging. Auch wenn wir mit Heidegger das „Zeitalter der Weltbilder“ hinter uns gelassen hatten, ging es doch darum, den geschichtlichen Auftrag, den nur wir würden bewältigen können, zu be-greifen und zu er-greifen. Auch in Rothackers Seminar, mittwochs von 10 bis 12, war es neben dem Zigaretten paffenden Seminarleiter sowie dem bedächtigen und pädagogisch beschwichtigenden Wilhelm Perpeet vor allem ein sprühender Apel, der für jedes Thema und jeden Gedanken eine neue und erregende Perspektive „aufreißen“ konnte. Aber während sich dieser fiebernde Geist hier noch in den Bahnen einer akademischen Institution bewegen musste, konnte er in der Öffentlichkeit der Hallen und Flure der Universität inmitten eines Grüppchens jüngerer Studenten – Studentinnen gab es noch nicht viele, und in der Philosophie erst recht nicht – ganz aus sich herausgehen und monologisierend zugleich ganz bei sich selber sein. Dieser Apel war die schiere Verkörperung der existenzphilosophischen Gedanken, denen man sonst nur in literarisch vermummter Gestalt auf der Bühne von Hoffmanns Kellertheater begegnete. Bei solchen Gelegenheiten konnte man manchmal auch die schlanke Gestalt einer Studentin entdecken, der es gelingen musste, Apel aus dem Kreis seiner andächtigen Anhänger endlich in die Mensa zu entführen.

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Jürgen H ABERMAS

Karl-Otto hatte ich, als er und Judith Jahn Ende 1953 heirateten, doch schon etwas näher kennen gelernt. Als Doktorand genoss ich das Privileg, im hinteren Teil des Seminars neben Karl-Ottos Arbeitszimmer über einen eigenen Raum zu verfügen. Ich erinnere mich jenes Freitags im Sommer desselben Jahres, als Karl-Otto mir – ohne weitere Erläuterung, aber mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck – ein Buch in die Hand drückte, das er gerade ausgelesen hatte. Es war ein brandneues Exemplar von Heideggers „Einführung in die Metaphysik“, das er mir zur Lektüre empfahl. Erst Jahrzehnte später, irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, als wir im Frankfurter Seminar auf der Dantestraße zusammen saßen, haben wir uns an diesen Augenblick erinnert, der ja für den Beginn meiner philosophischen Entfremdung von Heidegger den Ausschlag gegeben hat. In der Erinnerung an jene Szene meinte Karl-Otto, er hätte seinerzeit jenen Artikel nicht schreiben können, zu dem mich damals die Lektüre noch am selben Wochenende angestachelt hatte. Aus seinem Munde klang das wie ein Geständnis. Aber verstanden habe ich die Bemerkung erst, als ich nun im Nachlass über die „zwei neuen Impulse der Kieler Zeit“ lese, die ihn – sowohl politisch wie auch im Nachdenken über die Grundlagen der praktischen Philosophie – auf der Bahn zu seiner großartigen „Transformation der Philosophie“ vorangetrieben haben.

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K ARL -O TTO A PEL UND DIE Z ERSTÖRUNG DES MORALISCHEN S ELBSTBEWUSSTSEINS Vittorio H ÖSLE

Während meiner Zeit in Essen sahen wir uns, glaube ich, zweimal am Kulturwissenschaftlichen Institut. Ich lud ihn in meine Wohnung zu einem spartanischen Mittagessen ein und hatte das seit unserer Begegnung in Zürich persönlichste Gespräche mit ihm. Er sprach lange über seine Jahre als Wehrmachtsoffizier. Er hatte sich „freiwillig“ gemeldet – freilich mit der ganzen Klasse, was die Freiwilligkeit stark einschränkte. Er erzählte mir, wie wichtig es ihm als Intellektuellen bei der Offiziersausbildung gewesen war, von den mehr tatkräftigen Kameraden und Vorgesetzten ernst genommen zu werden. Zweifel am Krieg an der Ostfront seien ihm allerdings bald gekommen, auch wenn er anfangs die Idee einer „mission civilisatrice“ Deutschlands Russland gegenüber mehr oder weniger akzeptiert habe. Aber die Verbrechen der Wehrmacht hätten ihn bald entsetzt. Er berichtete, beim Rückzug habe die Reichswehr eine Stadt wieder erobert (ich glaube, er sprach von Charkow), und man habe den sowjetischen Soldaten in Flugblättern versprochen, wenn sie sich ergäben, würden sie verschont. – 59 –

Vittorio H ÖSLE

Trotzdem seien die Kriegsgefangenen erschossen worden. Er habe bei seinem vorgesetzten Offizier massiv dagegen protestiert – das sei völkerrechtswidrig und widerspreche den eigenen Versprechen. Ja, er habe sogar das strategische Argument eingesetzt, ein derartiger Wortbruch würde ein Sich-Ergeben in der Zukunft verhindern. Es war ihm wichtig hervorzuheben, dass ihm das schon damals nicht das entscheidende moralische Argument gewesen sei – er habe es nur benutzt, weil er hoffte, es würde eher wirken. Aber alles war fruchtlos. Ihm wurde allerdings gesagt, er selber brauche sich an der Erschießung nicht zu beteiligen – und Apel bestätigte mir, dass sich genug fanden, die diesen Mord freiwillig, ja, gerne vollzogen. Die Sache sei ihm lange nachgegangen, er habe den Beteiligten schwere Vorhaltungen gemacht – und auch jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, spürte man, wie ihn das Ganze aufwühlte. Nie hatte ich ihn nie so erregt erlebt. Ich fragte ihn direkt, ob er selbst im Krieg einen Menschen getötet habe. Seine Antwort war, er glaube nicht, aber es sei ihm auch leichter gefallen als anderen Soldaten, weil er Fernmeldetechniker gewesen sei. Es war ihm offenbar wichtig, mir klarzumachen, dass es manchmal auch einfach ein Glück war, in einem Krieg nicht töten zu müssen. Ich war wiederum überwältigt von dieser Verbindung von Anstand, Zivilcourage und völligem Mangel an moralischer Eitelkeit. Auch wenn Apel die Bedeutung des Tugendbegriffs in der Ethik m.E. unterschätzt hat, besaß er persönlich alle entscheidenden Tugenden, und nach diesem Gespräch verstand ich noch besser, warum die Suche

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Zerstörung des moralischen Selbstbewusstseins

nach einer Letztbegründung der Moral jenseits der Berufung auf Traditionen gerade von einem Mann ausgehen musste, der „bei dieser Gelegenheit – d.h. beim Erwachen nach der Katastrophe der Hitlerzeit – an sich selber die ‚Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins‘ erlebt und vielleicht auch aus diesem Grund Philosoph geworden“ ist, wie Apel selber in seinem autobiographischsten Text geschrieben hat. Aber in einem muss man ihn korrigieren. Die nationalsozialistische Schreckensherrschaft hatte unweigerlich sein moralisches Selbstbewusstsein eingeschränkt – aber es erwies sich als unzerstörbar. Ob mich Karl-Otto Apel letztlich als legitimen oder als abtrünnigen Schüler angesehen hat, weiß ich nicht. Ich selber sehe ihn aber auf jeden Fall als einen meiner wichtigsten Lehrer an, und meine Dankbarkeit ihm gegenüber umfasst den guten Menschen mindestens ebensosehr wie den bedeutenden Denker.

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S ISYPHOS K ARL -O TTO A PEL Peter N AUMANN

Am Abend des 20.September 1993 traf ich in Brasilia ein, um am nächsten Nachmittag einen sehr komplexen Vortrag von Karl-Otto Apel über „Die Diskursethik vor der Herausforderung der Befreiungsphilosophie in Lateinamerika“ an der staatlichen Universität simultan zu dolmetschen. Am nächsten Morgen las ich im Frühstücksraum des Hotels einen wenig bekannten Roman von Iwan Turgenjew, „Das Adelsnest“. Plötzlich stand Karl-Otto Apel hinter mir. Noch vor der Begrüßung sagte er: „Sie haben es gut, Herr Naumann, Sie lesen immer so interessante Sachen.“ Ich antwortete, dass er als Emeritus doch sicherlich viel mehr freie Zeit für interessante Lektüre als ein ständig reisender Konferenzdolmetscher hätte. Apel rang die Hände und sagte: „Ach, Herr Naumann, Sie können sich meinen Alltag nicht vorstellen. Ich bin für Jahre ausprogrammiert, vielleicht bis ans Ende meines Lebens. Ich muss die Einwände gegen die Diskursethik lesen – und viele sind noch nicht geschrieben worden, aber sie werden geschrieben werden, das ist sicher – obwohl die Kontrahenten, läsen sie aufmerksamer, viele Dinge nicht schreiben könnten.“ – 63 –

Peter N AUMANN

Diese Verurteilung zur lebenslänglichen Teilnahme am Diskurs konnte ich mir wiederum nicht vorstellen: „Sie sind doch emeritiert, müssen nicht mehr lehren und prüfen, haben auch keine Mühe mehr mit der Selbstverwaltung der deutschen Universität, müssen sich ja auch nicht mehr behaupten, kurz: Sie sind ein freier Mann.“ Sisyphos Apel antwortete, sichtlich erregt: „Lieber Herr Naumann, Sie machen sich eine ganz falsche Vorstellung von meinem Leben. Wenn Sie wüssten, was ich da alles lesen muss . . . Da habe ich nun vor vielen Jahren mit der Diskursethik angefangen, und seitdem schreiben die Leute gegen mich. Diese uneinsichtigen Menschen schreiben und schreiben, es nimmt kein Ende! Nun wäre es ja gerade von mir nicht anständig, wenn ich ihnen nicht antworten würde, ich würde mich ja damit schon performativ widerlegen. Aber diese Repliken sind ein beschwerlich Ding, weil die Kontrahenten mich fast immer falsch verstehen. Zuerst muss ich sie rekonstruieren, da sie sich oft selbst nicht richtig verstehen. Dann muss ich auf sie eingehen. Viele haben ja auch interessante Ideen, aber sie vermischen sie auf ganz fürchterliche, unsaubere Weise mit Missverständnissen, die ich nicht auf sich beruhen lassen darf. Ich rekonstruiere sie also, widerlege sie anschließend – und sie schreiben und schreiben immer weiter, ohn’ Unterlass.“ Der sehr lebendige und begeisterungsfähige Apel wurde leidenschaftlich: „Stellen Sie sich das vor: meine Kontrahenten verfallen ständig in performative Selbstwidersprüche – hier überschlug sich seine Stimme – und merken es nicht!“

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I N E RINNERUNG AN MEINEN VATER – E RGÄNZUNG EINES AUTOBIOGRAPHISCHEN B ERICHTS Dorothea A PEL

Es zeichnete meinen Vater geradezu aus, nur sehr wenig über sich persönlich zum Ausdruck zu bringen und nicht nur in seiner Rolle als Wissenschaftler, sondern auch im privaten Leben vornehmlich die objektiv-kritische, argumentative Haltung einzunehmen. Zudem lehnte er – zum Teil auch aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Pathos des dritten Reiches – jegliche Art von Sentimentalität und Überschwang ab. Beides macht eine angemessene Würdigung seiner Person für mich als Tochter nicht einfach. So halte ich es – freilich nicht nur deshalb – für einen Glücksfall, dass in den hinterbliebenen Unterlagen meines Vaters ein autobiografischer Bericht aufgetaucht ist, den er in seiner Schulzeit, als Siebzehnjähriger zu unbekanntem Zwecke verfasst hat. Diesen authentischen, kleinen Einblick in seine jungen Jahre möchte ich hier wiedergeben. Denn wie könnte eine Darstellung seiner Person besser eingeleitet werden als mit seinen eigenen Worten? – 65 –

Dorothea A PEL

[Den von Dorothea Apel gemeinten Rückblick des Gymnasiasten Karl-Otto Apel auf seinen bis dahin durchlaufenen Bildungsgang habe ich seiner Anschaulichkeit halber und aus chronologischen Gründen Apels sehr viel späteren Rückblicken als „fertiger Philosoph“ vorangestellt. Ich lasse den Text daher zur Vermeidung einer Wiederholung hier weg und bitte den Leser freundlich, einige Seiten zurückzuschlagen. Der Herausgeber.] Lassen sich in dieser kleinen Selbstdarstellung nicht schon fast alle wesentlichen Charakterzüge des späteren Philosophen und Menschen zumindest angedeutet finden? Allen voran die sachlich-reflektierte, offen-ehrliche Art, in welcher der Text geschrieben ist, die sich später einerseits zu der umfassend tiefen Wahrhaftigkeit seiner Persönlichkeit entwickelt hat, die aber andererseits auch im Ansatz schon ein gewisses Desinteresse an taktisch geschickter und gesellschaftlich angemessener Selbstdarstellung verrät. So berichtet er ja nicht nur über seine damals schon eindeutigen Stärken ambitionierten geistigen Interesses und ehrgeiziger Pedanterie, die in der Sexta erwacht seien, sondern er macht auch keinen Hehl aus seinen schon in der Kindheit angelegten Schwächen, die er ebenso wie die Stärken zeitlebens beibehalten und weiter entwickeln sollte. Aus dem jungen eigensinnigen Träumer, der ungeachtet dessen, was Mitschüler taten und was man von ihm erwartete, nur zeichnen wollte, ist der eigenwillige Denker hervorgegangen, der ungeachtet dessen, was als mainstream-philosophy anerkannt wird, seine Phi-

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In Erinnerung an meinen Vater

In den 70er Jahren

losophie in äußerster Kohärenz, Konsistenz und Konsequenz entwickelt hat. Ich meine, Denken – im stillen Gespräch mit sich selbst, als auch im argumentativen Diskurs mit Anderen – war gewiss die ureigenste Seinsweise meines Vaters: In ihm fielen sein „Leibapriori“ (K.-O. Apel) und sein Geist in Eins. Jürgen Habermas brachte diese Seite meines Vaters im Mai letzten Jahres in seiner Trauerrede auf den Punkt: „Karl-Otto habe ich stets als den eigentlichen oder wahren Philosophen betrachtet – als den, der keine Gedanken hat, sondern den seine Gedanken in Beschlag nehmen.“

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Dorothea A PEL

In der Tat: Zum Denken musste er sich nicht begeben, sondern vielmehr war es umgekehrt so, dass er auch im Alltag aus diesem kaum herausgerissen werden konnte. Für uns Kinder war es jedenfalls natürlich, dass wenn wir, aus welchem Grund auch immer, das Wort an ihn richteten – und sei es nur, um ihn aus seinem Arbeitszimmer zum, von ihm immer hoch geschätzten, Essen zu holen – die Geduld aufbringen mussten, ihn mit mehreren Ansprachen aus der Tiefe seiner Konzentration in die Welt zurück zu holen. Manchmal erst nach der dritten Anrede hob er den Kopf und sah mit glasigem Blick durch uns hindurch, geistig noch in weiter Ferne, den Inhalt unserer Rede nur akustisch wahrnehmend. Meine Mutter trug uns darum immer auf, am Ende unserer Mission (ihn zum Essen zu holen), auch zu fragen, ob er dieses Anliegen wohl „apperzipiert“ habe. Aber auch die Antwort darauf gab er nur automatisch, ohne eben wirklich etwas apperzipiert zu haben und so bedurfte es immer mehrerer Gänge ins Arbeitszimmer, bis er sich dort endlich losriss. Als meine Mutter ihn einmal in großer Aufregung vom Flughafen abholte, weil sie gehört hatte, dass das Flugzeug bei der Landung im Heck brannte und alle Passagiere natürlich sichtlich aufgeregt aus dem Ausgang der Passkontrolle kamen, war mein Vater ganz überrascht – er hatte im Flugzeug gelesen und von alledem nichts mitbekommen. Ebenso wenig wie ein andermal, als meine Mutter ihn am Bahnhof abholen wollte und auf dem Bahnsteig nur einen Schaffner mit der Aktenmappe meines Vaters antraf. Diese hatte er in seinem Abteil stehen gelassen, während er selbst in den Speise-

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In Erinnerung an meinen Vater

wagen gegangen war – dass der Zug geteilt und in zwei verschiedene Richtungen weitergefahren war, wie dies mehrfach per Lautsprecher durchgegeben worden war, hatte er, in seine Lektüre vertieft, nicht mitbekommen. Der Vorteil dieses Vermögens, völlig in die Welt der Gedanken abtauchen zu können, lag allerdings darin, dass ihn der ganze Lärm der Familie mit drei Kindern, einem Hund und dem Üben auf drei verschiedenen Musikinstrumenten überhaupt nicht störte. Im Gegenteil: Als Geräuschkulisse im Hintergrund genoss er diese ganz offensichtlich als Ausdruck des lebendigen Lebens, gewiss auch als Kompensation der eigenen weltabgewandten Arbeit. Überhaupt ließ er in vollkommener Toleranz jeden von uns in der Familie frei gewähren: Nicht nur mussten wir in keiner Hinsicht Rücksicht nehmen auf ihn, sondern ebenso wenig stellte er den Anspruch an uns, seinem Beispiel harten Arbeitens folgen zu müssen. Kurz: Von seiner Seite aus gab es niemals irgendwelche Veroder Gebote. Streng war er einzig und allein in der Hinsicht, dass wir Kinder im ernsthaften Gespräch keinen Unsinn reden oder schlecht argumentieren durften. Aber auch dann nahm er in seiner Kritik nicht etwa die Rolle eines autoritären Lehrers ein, sondern er regte sich über Fehlleistungen dieser Art vielmehr in seiner Rolle als Diskurspartner auf, in welcher er auch uns Kinder schon mit sich auf gleiche Augenhöhe stellte. Dies hatte zur Folge, dass er unsere Ansichten und Argumente einerseits

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Dorothea A PEL

ebenso scharf kritisierte wie die eines Erwachsenen, sie aber andererseits auch ebenso erst nahm. Zum Beispiel regte er sich ernsthaft über einen eifrigen Vorschlag von mir als Zehnjähriger auf, die ökologischen Probleme sollten doch am besten dadurch bewältigt werden, dass die Menschen wieder in Höhlen leben. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie er sich über den derartig „blauäugigen“ und „naiven“ Vorschlag aufregte. Dagegen in einer anderen Situation später, in welcher meine Mutter ihn zu mir geschickt hatte, damit er mit mir ein ernstes Wort über meine mittelmäßige schulische Leistung spreche, stimmte er meiner hedonistischen Argumentation über den Sinn des Lebens am Ende zu mit den Worten: „Ja vielleicht hast du ja Recht, vielleicht habe ich das in meinem Leben falsch gemacht.“ Mit diesen typischen Gesichtspunkten seines Verhaltens als Vater sind zwei miteinander zusammenhängende Charakterzüge angesprochen, welche ihn neben seiner Gutmütigkeit und seiner Empathiefähigkeit vielleicht am wesentlichsten auszeichneten: Erstens war er auch als Privatperson in erster Linie immer Wissenschaftler und Philosoph, so, dass es geradezu bezeichnend für ihn ist, dass man beides – den privaten Menschen und den Philosophen – gar nicht wirklich trennen kann. Das wird noch dadurch verstärkt, dass er zweitens das, was er als Philosoph inhaltlich vertrat, auch selber gelebt hat.

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In Erinnerung an meinen Vater

Der erste Aspekt, dass er als Privatperson immer auch Wissenschaftler war, zeigte sich schon, wie wir oben in seinem eigenen Bericht lesen konnten, in seiner Kindheit. Hierfür ist ein Notizbuch bezeichnend, welches meine Mutter wiederentdeckt hat. Man kann dort sehen, mit welcher erstaunlichen Hingabe und Akribie er schon in jungen Jahren Listen und Karten beispielsweise von Indianerstämmen angelegt hatte. Es ist in der Familie auch bekannt, dass er damals schon solche Studien über Völkerkunde und Geschichte etc. schönen Familienausflügen vorzog und alleine zuhause blieb. Und man kann wohl ganz ohne Übertreibung feststellen, dass sich ihm in seinem ganzen Leben immer eine Möglichkeit geboten hat, den praktischen Seiten des Lebens – welche ihm von klein auf nicht lagen, wie wir oben lesen konnten – größtenteils zu entfliehen, bzw. diese durch Beschäftigung mit theoretischen Studien zu transzendieren. Sogar im Krieg, in welchem er glücklicherweise im Trupp des Nachrichtendienstes fast ausschließlich im Hintergrund des Geschehens agieren konnte, bot sich ihm in der Ukraine, bei der Stationierung in einer dortigen Familie, die Möglichkeit, sich auf das Erlernen der russischen Sprache zu konzentrieren und später, in amerikanischer Gefangenschaft, der englischen (für diese Möglichkeit verzichtete er sogar trotz kärglicher Verpflegung auf eine tägliche Extraration Essen). Während des Studiums dann sorgte seine Zimmervermieterin für Mahlzeiten und den Haushalt. Später übernahm meine Mutter die Erledigung sämtlicher Belange des täglichen Lebens.

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Wie in seinem eigenen Bericht oben schon erkenntlich wird, waren seine Interessen aber nicht nur geisteswissenschaftlicher Natur. Er war auch musisch und sprachlich begabt, so dass er nur aufgrund seiner Lateinkenntnisse Vorträge auch auf Französisch, Spanisch oder Italienisch halten konnte, und sein frühes Interesse an Musik und Kunst behielt er als empfindsamer und sinnlicher Mensch sein Leben lang. Hatte er in seiner Schulzeit mit Inbrunst im Schulchor gesungen – was merkwürdiger Weise in seinem Bericht nicht erwähnt wird – so genoss er als Student viele Opern, auch fünfstündige Wagneropern, von einem Stehplatz aus. Sein kunstgeschichtliches Interesse wurde später durch meine Mutter noch weiter angeregt, wobei er besonders angezogen blieb von der griechischen und römischen antiken Kunst, sowie der Renaissance. Aber es gab auch Interessen, die ihn mit den puren irdischen Aspekten des Daseins verbanden: Er liebte Reisen, schöne Landschaften und Aussichten, gutes Essen und besonders guten Rotwein. Und so, wie er in seinen jungen Jahren ambitioniert Sport betrieben hatte, so verfolgte er später mit großer Begeisterung im Fernsehen Fußballübertragungen und die Sportnachrichten; er war meiner Mutter ein guter Tanzpartner, beide liebten besonders den Ballroom-Tango; auch hatte er viel übrig für die Schönheit der Frau sowohl im Leben als auch in der Kunst und last not least war er als Kind seiner Zeit ein großer Liebhaber von FKK-Urlauben am Meer. Und doch war seine größte Leidenschaft gewiss der Diskurs: Zu dem Thema seiner Diskussionsleiden-

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St. Petersburg, Florida, ca. 1971

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schaft gibt es die amüsante Anekdote von einem Aufeinandertreffen von ihm mit Hans Albert, der wohl ein ähnliches Temperament besaß wie er selbst, auf einem Kongress im österreichischen Alpbach, ca. 1968: Dort diskutierten die beiden am Abend im Restaurantbereich ihres Hotels derart lange und angeregt miteinander, dass der Wirt sie irgendwann bat leiser zu sein, da die anderen Gäste in ihrer Nachtruhe gestört seien. Das hatte aber lediglich zur Folge, dass beide ein paar Minuten ihre Stimmen dämpften, um sie dann wieder mit demselben Überzeugungswillen wie zuvor zu erheben, woraufhin sie vom Wirt vor die Tür gesetzt wurden – wo sie dann freilich ihre Diskussion noch lange fortsetzten. Der Glaube an die „Kraft des besseren Argumentes“ ging bei meinem Vater sogar so weit, dass er in einer Überfall-Situation in Südamerika, in welcher er mit einer Waffe bedroht wurde, darauf verfiel, den Angreifer mit wütenden Argumenten zu konfrontieren, woraufhin sich dieser erstaunlicherweise schnellstens verzog. Für small talk war er dagegen absolut nicht zu haben. Es soll hier nun aber nicht der Eindruck entstehen, dass er etwa immer nur ernsthaft eingestellt gewesen wäre. Besonders uns Kindern und seinen Enkeln ist er vielmehr auch als fröhlicher Mensch in Erinnerung. Gerne pointierte er fast alle einschlägigen Alltags-Situationen mit einem Zitat oder einem seiner eigensinnigen, witzigen Sprüchlein, die bei uns in der Familie in eben diesen Situationen als geflügelte Worte, nun in memoriam, weiter gepflegt werden. Auch im Philosophieren blitz-

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In Erinnerung an meinen Vater

te, besonders in Gesprächen zuhause, aber auch in seinen Vorlesungen, immer wieder eine humorvolle, teils bissige, teils auch selbstironische Pointe auf, was seine Reden immer unterhaltsam machte. Der zweite Hauptcharakterzug nun, dass er das, was er philosophisch inhaltlich vertrat, auch gelebt hat, lässt sich am besten als eine Wahrhaftigkeit bezeichnen, die ihn sowohl als privaten Menschen, als auch als Philosophen, ausgezeichnet hat. Dies habe ich bereits in seiner Todesanzeige versucht mit folgenden Worten auszudrücken: „Ein Leben in zutiefst wahrhaftigem Ringen um Erkenntnis von Wahrheit, moralischer Richtigkeit und Sinngültigkeit ist zu Ende gegangen.“ Diese Wahrhaftigkeit hat, zumindest unterbewusst, den vielleicht stärksten Eindruck seiner Person auf mich gemacht, weswegen es sich möglicherweise nicht von ungefähr so ergeben hat, dass das Thema meiner Dissertation eine transzendentalpragmatische Neubestimmung der Wahrhaftigkeit in den Diskurstheorien von Habermas und Apel geworden ist. Und aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle auch ganz kurz und skizzenhaft auf diese Neubestimmung eingehen, um sie dann wiederum auf die charakteristische Haltung meines Vaters, im Leben und in seiner Vorgehensweise als Wissenschaftler, beziehen zu können. ***

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Einleitend hierzu sei mit folgender Behauptung wenigstens ein Aspekt meiner Kritik an dem von Habermas und Apel gebrauchten Begriff von Wahrhaftigkeit – als „Geltungsanspruch der Rede“ (Habermas) und der Argumentation – in aller Kürze zusammengefasst: Auf seine Wahrhaftigkeit erhebt ein Sprecher weder einen spezifischen Geltungsanspruch in Bezug auf expressive Aussagen, noch erhebt er überhaupt einen Anspruch darauf, seine Wahrhaftigkeit eingeholt zu haben, wie in der Diskursethik unterstellt. Vielmehr – so meine These – ist Wahrhaftigkeit ausschließlich eine Präsupposition sinngültigen Sprech-/Handelns1 im Allgemeinen und der Argumentation im Besonderen, die von jedem kompetenten Sprecher mit Gewissheit2 eingeholt werden kann. Mit ihr erfüllt der Sprech-/Handelnde die, in der Argumentation von ihm notwendigerweise immer schon anerkannten, diskursethischen Normen – zumindest auf einer der drei Ebenen3 seiner Wahrhaftigkeit. Nimmt man dagegen an, ein Sprecher müsste auf seine Wahrhaftigkeit einen Geltungs-Anspruch erheben, müsste dieser, um wirklich erhoben worden zu sein, wiederum wahrhaftig erhoben sein, worauf aber wiederum ein Wahrhaftigkeits-Anspruch erhoben werden müsste, welcher ja wiederum wahrhaftig erhoben werden müsste, etc. pp. Der Sprecher geriete also in einen infiniten Regress der Erhebung von Wahrhaftigkeitsansprüchen, ohne andere Geltungsansprüche überhaupt je wahrhaftig erheben, geschweige denn einlösen zu können. Er könnte also nie selber wissen, ob er etwas wirklich und wahrhaftig meint oder nicht, bzw. es wäre für ihn unmöglich, überhaupt etwas zu meinen. Deshalb ist die Explikation von Wahrhaftigkeit im Sinne eines „Geltungsanspruches“ genau genommen absurd4. Gehen wir also davon aus, dass auf den Begriff von Wahrhaftigkeit allein die Bedeutung des präsuppositionalen Sprechhandlungsmodus zutrifft, der besagt, dass der

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Sprecher „sagt, was er wirklich selber meint“ (Habermas). Und über die Einholung dieses Sprechhandlungsmodus hat der „kompetente Sprecher“ grundsätzliche Gewissheit5 . Diese Annahme führt nun, wie ich in meiner Dissertation vorschlage, zu einer Explikation von Wahrhaftigkeit auf drei transzendentalpragmatisch – sinnkritischen Reflexionsebenen, auf denen für die Wahrhaftigkeit von Sprech-/Handlungen aufgrund der ihnen inhärenten sprachpragmatischen Struktur, jeweils spezifische Sprech-/Handlungs-Verpflichtungen verbindlich sind: Auf der ersten Ebene – in Reflexion auf die performativ-propositionale Doppelstruktur (Habermas) einer Sprechhandlung- bzw. auf die, jede selbstbewusstrationale Handlung begleitende Sprechhandlung – wird zunächst erkennbar, dass im Falle seiner Wahrhaftigkeit der Sprecher trivialerweise gegenüber seinem konkreten Adressaten dasjenige propositional sagt, was er auch selber wirklich meint, bzw. der Aktor diejenige performative Sprechhandlung oder Handlung offen zeigt, die er auch wirklich selber so intendiert. Auf dieser Ebene seiner Wahrhaftigkeit ist der Sprech-/ Handelnde insofern verpflichtet, die Norm einzuhalten, welche sich für die Proposition mit dem Begriff der „Ehrlichkeit“ im Unterschied zur „Lüge“ bezeichnen lässt und für den performativen Teil der Sprechhandlung und überhaupt für Handlungen mit dem Begriff der „Transparenz“ der Handlungsintention im Unterschied zum „Vortäuschen“ und „Täuschen“. Auf der zweiten Ebene – in Reflexion auf die, der performativ-propositionalen Doppelstruktur inhärenten „sekundären intersubjektiven Objektivierung“ (Habermas) – erkennen wir die diskursive Kritisierbarkeit einer jeden Sprech-/Handlung überhaupt, im Sinne ihrer

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„doppelten performativ-propositionalen Doppelstruktur“ (Audun Øfsti). Wahrhaftigkeit auf dieser Ebene muss dementsprechend bedeuten, dass der Sprech-/Handelnde „einverständnisorientiert“ (Habermas) in Hinblick auf die intersubjektive Kritisierbarkeit seiner Sprech-/Handlung gegenüber allen konkreten Adressaten der realen und in Hinblick auf alle, auch in Zukunft möglichen Argumente, gegenüber Adressaten der „idealen Kommunikationsgemeinschaft“ (Apel) Geltungsansprüche erheben muss. Und zudem, dass er seine Geltungsansprüche auch tatsächlich, also nicht nur zum Schein oder pro forma erheben muss, wenn er seine Sprech-/ Handlung wahrhaftig meinen will. Das heißt: Sprechende/Handelnde müssen auch ernsthaft bereit sein, ihre Sprech-/Handlungen so gut wie es ihnen möglich ist („nach bestem Wissen und Gewissen“) zu begründen. Kompetente Sprecher wissen „intuitiv“ um die Notwendigkeit dieser sinnkritischen Anforderung für ihre Sprech-/Handlungen. Wenn sie dagegen vortäuschen, dieses „Wissen“ nicht zu haben, bzw. die Einholung dieser Anforderungen in ihren Sprech-/Handlungen unterschlagen, können sie diese nicht wirklich so meinen, wie sie diese ausführen. In diesem Sinne sind sie unwahrhaftig. Hinsichtlich des zu erhebenden Richtigkeitsanspruches möchte ich betonen, dass dieser sich auf der zweiten Reflexionsebene lediglich, wie Habermas sagt, auf die „normenkonforme Verwendung“ des performativen Teils einer Sprechhandlung im „kommunikativen Kontext der sozialen Welt“6 bezieht, und mit sonstigen Handlungen auf die Richtigkeit im Kontext aller „legitim geregelten interpersonalen Beziehungen“7 im Sinne ihrer konventionellen Richtigkeit und der konventionell „jeweils schon zugeteilten Verantwortung“ (Apel). Daher können offen strategische Sprech-/Handlun-

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In Erinnerung an meinen Vater

New York 1976/7, Theodor Heuss Professur an der New School of Social Research

gen – welche auf der performativ-propositionalen Ebene in jedem Fall wahrhaftig sind – auf dieser zweiten Ebene entweder unwahrhaftig, nämlich unbegründet sein, oder aber wahrhaftig, jedoch nur konventionell begründet, bzw. legitimiert sein. Die dritte Reflexions-Ebene nun zeigt sich erst in Reflexion auf die von Austin ursprünglich eingeführte lokutiv-illokutiv-perlokutive Dreifachstruktur einer Sprechhandlung. Mit der Intention des perlokutiven Aktes und der damit verbundenen weiteren Zweckverfolgung einer jeden rationalen Sprech-/Handlung entsteht immer auch ihr Wirkungsanspruch8 . Im Sinne der besagten sekundären Objektivierung und diskursiven Kritisierbarkeit einer jeden Sprech-/Handlung könnte man daher, an Øfsti anknüpfend, auch von einer „doppelten lokutiv-illokutiv-perlokutiven Dreifachstruk-

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tur“ sprechen, die jeder rationalen Sprech/-Handlung inhärent ist. Mit der Dreifachstruktur wird sichtbar, dass auch die auf zweiter Wahrhaftigkeitsebene eingelöste Bereitschaft zu diskursiver Begründung – hinsichtlich des erhobenen Richtigkeitsanspruchs jedoch über konventionell verfügbare Gründe nicht hinausgehende Begründung – nicht weit genug greift: Sinnkritisch betrachtet, müssen Sprechende/Handelnde bereit sein, den gleichzeitig mit ihren Handlungszwecken immer verbundenen Wirkungsanspruch, gegenüber jeder diskursiv möglichen Kritik rechtfertigen zu können, um etwas wirklich meinen zu können. Das heißt, sie müssen auch für die beabsichtigten Wirkungen, die Folgen und voraussehbaren Nebenwirkungen ihres Tuns Verantwortung übernehmen qua intersubjektiver Rechtfertigung zum einen gegenüber allen gleichberechtigten, direkt oder auch nur potentiell Betroffenen, zum anderen solidarisch mit allen gleichberechtigten Diskurspartnern. Auf dieser dritten Ebene des wahrhaftigen Meinens geht es somit um Wahrhaftigkeit als einerseits individuell zugeteilter „Selbstverantwortung“ (J.P. Brune)9 zur Einholung von solidarischer „Mitverantwortung“ (Apel).10 Mit anderen Worten: Der intendierte Sprech-/Handlungszweck, respektive der mit ihm einhergehende Wirkungsanspruch, gehört (mitsamt der Berücksichtigung von Folgen und Nebenfolgen) zu einer Sprech-/Handlung im starken Sinne wahrhaftigen Meinens insofern dazu, als sich der Sprech-/Handelnde zu diesem bewusst entschieden haben muss, um die Sprech-/Handlung in aller Konsequenz auch wirklich vertreten zu können. Nur dann kann man sagen, dass er sein Tun und Unterlassen auch wirklich selber so meint, wie er es verantworten kann.

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Auch um diese, seiner Sprech-/Handlung inhärenten Anforderungen, „weiß“ der kompetente Sprecher intuitiv. Und insofern ist er unwahrhaftig, wenn er dieses Wissen verleugnet, bzw. diese Verpflichtung unterschlägt11 . Auf Erscheinungsformen der Kommunikation angewendet, ergibt sich mit diesen drei Ebenen von Wahrhaftigkeit nun folgendes Bild: Für den argumentativen Diskurs ist die Einholung von Wahrhaftigkeit auf allen ihren drei Ebenen gleichermaßen konstitutiv. Für andere Sprech-/Handlungen aber ist auch der Fall möglich, dass eine Person auf der ersten Wahrhaftigkeitsebene zwar unwahrhaftig handelt (z.B. lügt, täuscht) und dass dementsprechend ihre Sprech-/Handlungen auf der zweiten Wahrhaftigkeitsebene nicht wohlbegründet sind, dass die Person aber sehr wohl auf der dritten Wahrhaftigkeitsebene ihr Tun im Hinblick auf Zweck, Wirkung und Folgen wahrhaftig rechtfertigen kann – sei es für sich selbst im Diskurs in foro interno oder im Diskurs mit anderen. Solche Sprech-/Handlungen sind paradigmatisch für den von K.-O. Apel so genannten „Teil B“ der Diskursethik: Die Einhaltung der nicht hintergehbaren diskursethischen Grundnormen wird in diesem Fall auf den ersten beiden Ebenen im hegelschen Sinne „aufgehoben“ auf die dritte Ebene der wahrhaftigen Mitverantwortung, auf der die diskursethischen Grundnormen nach wie vor unhintergehbar bleiben. Auch der umgekehrte Fall ist nun analytisch beschreibbar: Es kann sein, dass ein Sprech-/Handelnder auf der ersten Ebene zwar ehrlich und transparent handelt, aber – egal wie es um seine Wahrhaftigkeit auf der zweiten Ebene bestellt sein mag – wohl wissend, dass er sein Tun als folgenreiche Handlung auf der dritten Wahrhaftigkeitsebene nicht rechtfertigen kann – angenommen z.B., er setzt seine Ehrlichkeit ein, um Andere

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unrechterweise in Gefahr zu bringen oder sonstwie zu schädigen. Um noch eine weitere Kombinationsmöglichkeit zu skizzieren: Es kann sein, dass Personen auf der zweiten Wahrhaftigkeitsebene wohlbegründbare konventionelle, ihnen individuell zugeteilte Verantwortung nicht übernehmen, eben genau deshalb, weil sie wissen, dass sie dies auf der dritten Wahrhaftigkeitsebene nicht rechtfertigen können. Stichworte für diesen Fall sind etwa der „zivile Ungehorsam“ und das mutige Wahrsprechen im Sinn der Parrhesia-Analyse Foucaults. Auch auf „Whistleblowing“ lässt sich die Wahrhaftigkeitsanalyse anwenden: Mit seinem Alarm setzt sich ein Whistleblower wahrhaftig auf dritter Ebene gerade für die gesellschaftliche Einhaltung der Normen der ersten und zweiten Ebene ein, wobei der Alarmierende selber jedoch mit seiner Ehrlichkeit auf erster Ebene und/oder der Rechtfertigung seiner Sprech-/Handlung hinsichtlich ihrer konventionellen Richtigkeit auf zweiter Ebene wiederum „ungehorsam“ ist. Mit den verschiedenen Reflexionsebenen und den entsprechend möglichen Kombinationen von Wahrhaftigkeit auf diesen Ebenen zeigt sich also, dass die Frage danach, ob ein Sprechhandelnder als wahrhaftig oder unwahrhaftig beurteilt werden soll, komplexer ausfällt als gemeinhin angenommen. Weil ein Sprech-Handelnder aber auf der dritten Ebene die Selbstverantwortung zur Mitverantwortung – einerseits solidarisch zusammen mit und andererseits gegenüber der realen und der idealen Diskursgemeinschaft – für seine Sprech-/Handlungen übernehmen muss, mit welcher er in letzter Konsequenz zu seiner Sprech-/Handlung, so wie er sie meint, stehen muss, entscheidet allein die Wahrhaftigkeit auf dieser dritten Ebene darüber, ob seine Sprech-/Handlung als letzten Endes wahrhaftig – und darum auch als letzten En-

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des intersubjektiv einverständnisorientiert12 – bezeichnet werden kann oder nicht. Formelhaft ausgedrückt: Wahrhaftigkeit bedeutet in letzter Instanz immer Selbstverantwortung zur Mitverantwortung.

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Crécy-la-Salle 1979, Tagung in Frankreich, links: Friedrich Kambartel, Universität Konstanz

Auf die Erinnerungen an meinen Vater zurückkommend, möchte ich diese sehr komprimierte Skizze der Explikation von Wahrhaftigkeit auf ihren drei Ebenen nun nutzen, um beispielhaft an einer Situation in seinem Leben seinen wahrhaftigen Charakter hervorheben zu können: Als Soldat (etwa im Alter von zwanzig Jahren) geriet er im zweiten Weltkrieg in Russland in die Lage, dass ihm – 83 –

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der Befehl gegeben wurde, das Kommando für die Erschießung einer Gruppe russischer Kriegsgefangener zu übernehmen. Der Grund dafür war angeblich ihre Überzahl im Verhältnis zu der sie bewachenden Gruppe deutscher Soldaten. Mein Vater verweigerte daraufhin diesen Befehl unter Anführung von Argumenten, u.a. dem Hinweis auf geltendes Kriegsvölkerrecht. Dieser Hinweis war wahrhaftig auf der zweiten Ebene, im Sinne seiner konventionellen Begründungsnotwendigkeit. Mit dem Verhalten der Befehlsverweigerung gegenüber dem Vorgesetzten aber zeigte sich zudem seine Wahrhaftigkeit auf dritter Ebene der Mitverantwortung, als höhere Wahrhaftigkeit als der eines Gehorsams gegenüber militärischen Vorgesetzten im Sinne wahrhaftiger konventioneller Handlungsbegründung. Er soll zudem auch noch das strategische Argument angeführt haben, an welches er selbst jedoch nicht glaubte13 , dass im Falle einer Erschießung in zukünftigen Fällen die russischen Soldaten sich nicht mehr so leicht ergeben würden. Mit dieser strategischen Lüge war er insofern zwar auf erster und zweiter Ebene unwahrhaftig, jedoch gerade zugunsten seiner Wahrhaftigkeit der Mitverantwortung auf dritter Ebene. Dieses Verhalten ist paradigmatisch für das von ihm als Philosoph später propagierte moralische Verhalten in dem von ihm eingeführten so genannten „Teil B“ der Diskursethik. Er weigerte sich auch dann den Befehl auszuführen, als ihm der Vorgesetzte mit entsprechenden Strafmaßnahmen drohte. Dies ist die höchste Form der Wahrhaftigkeit, wenn Sprechende/Handelnde für ihr Tun soweit einstehen

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hinsichtlich der zu tragenden Mitverantwortung, dass sie dafür ihr eigenes Wohl oder sogar Leben riskieren (Parrhesia). Der Fall ging dann so aus, dass meinem Vater zwar glücklicherweise nichts geschah und er wenigstens aus der Pflicht der Befehlsausübung entlassen wurde, das Leben der Gefangenen aber war dadurch tragischerweise nicht zu retten. Dies war gewiss eines der erschütternsten Erlebnisse seines Lebens. Auch im Alltag des familiären Zusammenlebens habe ich meinen Vater immer nur als wahrhaftig erlebt und ich möchte überdies behaupten, dass er als Wissenschaftler auf der „dritten Ebene“ seiner Wahrhaftigkeit für seine Argumente, Thesen, Behauptungen und Forderungen die volle Selbstverantwortung zur Mitverantwortung übernommen hat. Damit meine ich auch, dass man folgende, zuweilen gegen seine philosophische Position – insbesondere seine „Letztbegründung“ – vorgebrachte Kritik, strikt zurückweisen kann: Weder ist diese ein Ergebnis von metaphysischem Überschwang, noch von dogmatischer Machtausübung, noch ein Versuch, anderen auf spitzfindige Weise ihre Argumentation abschneiden zu wollen. Vielmehr ist seine für die „Letztbegründung“ entscheidende Denkfigur der Unhintergehbarkeit des Diskurses und seiner diskursethischen Grundnormen das Ergebnis eines vollkommen wahrhaftigen, mitverantwortlichen Denkens, welches sich – in intellektueller Disziplin und Strenge gegen sich selbst – konsequent der philosophisch notwendigen Zumutung des „Sinn-

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gültigkeitsanspruchs“ (K.-O. Apel) unterwirft. Und das heißt: Sich zu der philosophischen Bescheidenheit zu zwingen, Erkenntnis auf dasjenige zu begrenzen, was – im Sinne der Fortsetzung14 des kartesischen reflektierten Zweifels, nun als sich selbst einholende Reflexion – bei allem Zweifel nicht bezweifelt werden kann, weil es dem Zweifel selbst (und jeder anderen Erkenntnis) immer schon vorausgesetzt ist. Untrennbar mit der Selbstdisziplin, die K.-O. Apel im Sinne eines solchen „wahrhaftigen Ringens um Erkenntnis“ aufbrachte, hängt auch das dialektische Moment seiner Denkweise zusammen: der Versuch, eigene Gedanken auch aus der Perspektive einer ihm entgegen gesetzten Position zu überprüfen. In der Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Positionen führte Apels Dialektik oft zu dem Resultat eines „penser avec . . . et contre . . . “15 , wie der Titel einer französischen Dissertation über seine Philosophie lautet16 , in welcher er sich sehr gut wiedergegeben fand und die ihm entsprechend gefiel. Seine kritisch-dialektische Haltung ging sogar so weit, dass es passieren konnte, dass er gegenüber seinen eigenen philosophischen Thesen die Gegenposition einzunehmen versuchte, wenn man ihm diese nur in eigener voller Überzeugung vortrug. Die kontroversiale Denkweise führte im Detail dazu, dass – wie sich an vielen Stellen seiner Arbeit meines Erachtens belegen lässt – einzelne Denkfiguren und Thesen seiner Philosophie in charakteristischer Weise die Komplementarität scheinbar entgegengesetzter Po-

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le aufweisen – besonders exemplarisch die Pole des Transzendentalen und des Pragmatischen in seiner Transzendentalpragmatik. Im Alltag führte das allerdings auch dazu, dass, egal welche Position man auch immer zu einem ernsthaften Thema vertrat, man nicht umhin kam, von ihm mit Kritik der Gegenposition konfrontiert zu werden, wozu man nicht immer unbedingt aufgelegt war. Er selbst las täglich die eher konservativ eingestellte Frankfurter Allgemeine Zeitung, um sich über die Gegenargumente seiner eigenen politischen Haltung und ihre relative Berechtigung zu informieren. Abschließend kann man über seinen Lebensweg vielleicht sagen, dass dieser von zwei Aspekten maßgeblich geprägt wurde: Zum einen von seinen Erfahrungen aus dem dritten Reich, zum anderen von seinem untrüglichen Sinn für das Wesentliche. Beides drückt sich in den einleitenden Worten seines Aufsatzes: „Zurück zur Normalität? – Oder können wir aus der nationalen Katastrophe etwas Besonderes gelernt haben?“ in bezeichnender Weise aus: „Als Angehöriger der Generation, welche die nationale Katastrophe der Hitlerzeit noch erlebt hat, gehöre ich auch zu denjenigen, die bei dieser Gelegenheit – d.h. beim Erwachen nach der Katastrophe – an sich selber die „Zerstörung des moralischen Selbstbewusstseins“ erlebt haben und vielleicht auch aus diesem Grund Philosoph geworden sind.“17

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In seinen letzten Lebenswochen, als das KrankenhausPersonal ihn schon nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte wähnte, brachte er seine erbärmliche Situation unter dem Aspekt der menschlichen Würde dennoch gezielt auf den Punkt: „Ich möchte doch wieder ein Subjekt sein.“ A NMERKUNGEN 1

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Mit „Sprech-/Handeln“ ist hier Sprechen als Handeln im sprechakttheoretischen Sinne gemeint, sowie auch Handeln, welches als selbstbewusstes, rationales Handeln, im Unterschied zu „affektuellem“ (M. Weber) Handeln, aus transzendentalpragmatischer Sicht, immer schon von einer Sprechhandlung begleitet wird. Zu dieser Gewissheit siehe Fußnote 5. Auf die drei verschiedene Ebenen von Wahrhaftigkeit werde ich sogleich zu sprechen kommen. Zwar geht auch die Einlösung des „Sinngültigkeitsanspruches“ (Apel) der Einlösung anderer Geltungsansprüche voraus, nicht jedoch deren Erhebung! Die Einlösung des „Verständlichkeitsanspruches“ (Habermas) geht zwar auch deren Erhebung voraus, aber ohne dass dieser der eigenen Erhebung nochmals vorausginge, wie dies im Falle eines Wahrhaftigkeitsanspruches der Fall wäre. Vielmehr geht der Erhebung des Verständlichkeitsanspruches, wie der Erhebung schlechthin aller Geltungsansprüche, die Einholung der Wahrhaftigkeit des Sprechers voraus, indem der Sprecher wissen muss, was er selber wirklich meint, um überhaupt Geltungsansprüche erheben und einholen zu können. Diese sinnkritisch unhintergehbare, prinzipielle Gewissheit über die eigene Wahrhaftigkeit, kann praktisch freilich verdeckt werden. Dies darf aber nicht mit dem prinzipiellen Fallibilitätsvorbehalt verwechselt werden, welcher für die Erhebung von Geltungs-Ansprüchen auf die drei Weltbezüge des Sprechers in seiner Sprechhandlung gilt, so, dass wir etwa doch von einem Wahrhaftigkeits-Anspruch sprechen könnten. Vielmehr ge-

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hört die Einholung des Sprechhandlungsmodus der Wahrhaftigkeit zum Wissen-wie des Sprechhandlungswissens jedes kompetenten Sprechers mit welcher er seine Sprechhandlung überhaupt nur durchführen kann. Habermas 1981: S. 149 Ebd. Habermas hatte den perlokutiven Akt bewusst abgespalten. Ihm war es darum gegangen, die Einverständnisorientierung von Sprechern im Sinne des kommunikativen Handelns von der Erfolgsorientierung zweckrationalen Handelns abzuheben. Dafür hatte er den perlokutiven Zweck als einen jenseits der sprachimmanenten Zweckverfolgung liegenden Zweck bestimmt, welcher im kommunikativen Handeln angeblich nicht verfolgt würde. Ich möchte hiergegen einwenden, dass aber auch kommunikatives Sprech-/handeln immer sprachexternen Zwecken dient, sofern es um eine rationale Sprech/-Handlung geht. Dies kann hier im Einzelnen nicht weiter dargelegt werden. Für diese sprachexternen Zwecke und ihre Folgen und Nebenfolgen müssen Sprech/-Handelnde deshalb auch dann Verantwortung übernehmen, wenn sie mit einverständnisorientierten Sprechhandlungen nicht „auf andere einwirken“ (Habermas), sondern sich „mit ihnen über etwas verständigen“. Denn in diesem Fall wirken sie mit Anderen gemeinsam auf etwas ein. Siehe hierzu: Brune J.P. 2003 Ich meine, Apel kann bei seiner Einführung des Begriffes der „Mitverantwortung aller Menschen für die Folgen kollektiver Handlungen bzw. Aktivitäten“ (z.B. in: Apel 1998, S. 808) nicht klarmachen, wieso sich die argumentative Gleichberechtigung aller Diskurspartner auf Wirkung und Folgen von (kollektiven) Handlungen beziehen muss – so dass es zur gemeinsamen Mitverantwortung für diese Folgen kommt – solange er nur von einer performativ-propositionalen Doppelstruktur der Rede ausgeht, bzw. diese nicht um ihre perlokutive Zweckhaftigkeit und Wirkungsmächtigkeit erweitert. Trotz prinzipieller Gewissheit seiner Wahrhaftigkeit kann es in der Praxis dem Sprecher freilich vor allem auf der zweiten und dritten Stufe seiner Wahrhaftigkeit entgehen, dass er unwahrhaftig ist. Dies liegt, wie ich hier nur andeuten kann, insbesondere an einer möglichen Verwechslung bzw. Konfundierung

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von Geltungsansprüchen. Insbesondere dem Angemessenheitsanspruch – m.E. recht eigentlich dem dritten gesuchten Geltungsanspruch des subjektiven Weltbezuges – mit dem Richtigkeitsanspruch und manchmal gar mit dem Wahrheitsanspruch. Gegen Habermas möchte ich insofern anführen, dass nicht die sprachexterne Zweckverfolgung einer Sprech-/Handlung ihrer Einverständnisorientierung entgegensteht, sondern vielmehr die Unwahrhaftigkeit der Zweckverfolgung einer Sprech-/Handlung, auf ihrer dritten Wahrhaftigkeitsebene der Mitverantwortung. Siehe hierzu Vittorio Hösle. Freilich ist hier eine Fortsetzung innerhalb des sprachpragmatischen „dritten Paradigmas der ersten Philosophie“ (K.-O. Apel) gemeint, welche den Descartischen Solipsismus überwindet. Dazu: K.-O.Apel, Cambiamento di paradigma. La ricostruzione trascendentalermeneutica della filosofia moderna, a cura, traduzione e presentazione di Michele Borrelli, Pellegrini, Cosenza 2005. So auch insbesondere in seinem Buch: K.-O. Apel 1998: Auseinandersetzungen in Erprobung des tranzendentalpragmatischen Ansatzes, Suhrkamp, Frankfurt a.M. Martine Le Corre – Chantecaille 2012: Penser avec . . . et contre . . . , La pragmatique transcendantale de Karl-Otto Apel: une théorie et une pratique de l’intersubjectivité, éditions de la maison des sciences de l’homme, Paris Karl-Otto Apel 1988: „ Zurück zur Normalität? – Oder können wir aus der nationalen Katastrophe etwas Besonderes gelernt haben?“ , in: Diskurs und Verantwortung, Suhrkamp, Frankfurt a.M., S. 371

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M Y INTELLECTUAL B IOGRAPHY IN THE C ONTEXT OF C ONTEMPORARY P HILOSOPHY Karl-Otto A PEL

I. M Y S TUDY AT THE U NIVERSITY OF B ONN AFTER 1945: F IRST L ASTING P HILOSOPHICAL S TIMULATION . I think, my autobiographical retrospection today should start out from the year 1945, because at that time I began my study of Philosophy at the University of Bonn after having been a soldier for five years during the second world war. For, I have to emphasize from the beginning that my study of Philosophy after the national catastrophy was for me the initiation of a spiritual rebirth. Strictly speaking, in 1945, I was not going primarily to study philosophy but rather history, accompanied by German literature and general linguistics. But it belonged to my spiritual re-birth as well that my interest gradually shifted to philosophy as focus and vantage point for my whole study. Now, what was the scene of history and philosophy in Bonn after 1945? From the perspective of my memory, one remarkable feature was that our professors took – 91 –

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up their academical business where they had left it, as if the war and the national catastrophy had not taken place at all. This fact first fitted in very well with my own tendency to satisfy my bottled up thirst for knowledge and keep as far away from political concerns as possible. Only later, I won the insight that philosophy, in particular ethics, cannot and must not afford an unpolitical attitude. There were two main subjects of the philosophy taught in Bonn that were especially attractive for me, also in view of the fact that, at that time, I still wanted to become an historian. On the one hand, i.e. within the context of philosophy itself, there was the problem – much discussed by the current Neo-Kantian discourse – whether Kant’s classical doctrine had to be transformed, in order to cope with its own aporias, especially concerning the unknowable “thing in itself”, and, furthermore, with the problems of the particular sciences that had developed after Kant, e.g. non-classical physics, psychology, and especially the hermeneutic “Geisteswissenschaften”, as philology, history and so called “understanding sociology” (in the sense of Max Weber). This latter problem of Kant-transformation for me was immediately connected with the so called Dilthey-problem. I mean the question, raised by Wilhelm Dilthey, in the context of his attempted foundation of the “Geisteswissenschaften”, whether there was a deep-rooted epistemological and methodological distinction to be made between standard natural science, based on causal nomological explanation, and “Geisteswissenschaften”, based primarily on hermeneutic

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My intellectual Biography

understanding of reasons, intentions, conventions, institutions etc. of human beings and their cultural formations.

Neapel 1979

I have to point out, already at this place, that I, from the beginning, became convinced that Dilthey was essentially right, in his central concern, against the positivist and neo-positivist defenders of the “unified science” movement; although I later came to realize that his primarily psychological orientation had to be superseded by a novel approach from the point of view of philosophy of language and of a quasi-transcendental anthropology of knowledge. Later (1979) I tried myself to bring to bear this novel approach in a monographic re-construction of the “explanation – under– 93 –

Karl-Otto A PEL

standing controversy”.1 But let me return to the time of my study in Bonn.

II. M Y C RITICAL A RGUMENT WITH H EIDEGGER AND G ADAMER : THE D IFFERENCE BETWEEN H ISTORY- DEPENDENT M EANING -C ONSTITUTION AND T RUTH AS U NIVERSAL I NTERSUBJECTIVE VALIDITY. The next important stimulation in my study of philosophy came from Heidegger’s book “Being and Time” (“Sein und Zeit”). At that time, Heidegger’s main work was primarily understood as a document of “Existentialism”, together with the philosophy of Karl Jaspers and, later, that of Jean Paul Sartre. But my own interest in Heidegger’s work was rather led by the question of Kant- transformation I mentioned already. Thus I understood Heidegger’s conception of a “fundamental” or “existential ontology” of “Dasein”, which, according to him, had also to uncover the conditions of a “disclosure of the meaning of  being” as a transformation of Kant’s “Critique of Pure Reason”: a transformation that did not like Nicolai Hartmann’s renewal of ontology turn back to a pre-Kantian type of metaphysics but conceived of the very transcendental question as a question regarding the conditions of understanding being. This twist of the transcendental question, which was indeed confirmed by Heidegger himself in his book “Kant and the Problem of Metaphysics” of 1928, fascinated me, and I wrote my doctor dissertation, de– 94 –

My intellectual Biography

livered in 1949, on the topic “Dasein and cognition: An epistemological interpretation of the philosophy of Martin Heidegger”.2 A better sub-title of the dissertation would have been: “An interpretation in light of a transcendental anthropology of cognition”, for my approach was strongly inspired also by the philosophical anthropology of my teacher and doctor-father, Erich Rothacker.3 Also the study of Heidegger’s philosophy has accompanied me throughout my life, during which I wrote at least four essays on his work, two times comparing it with that of Wittgenstein.4 But, in the course of time, my stance toward Heidegger became more and more critical. Finally, it seems to me, I found the key for a critical understanding of the whole development of Heidegger’s philosophy and of its position within contemporary philosophy in the following consideration: Heidegger’s temporary self understanding on the line of a continuation of Kant’s transcendental philosophy was deeply misleading, as he – in a sense – realized himself in his later philosophy, after the “turn” (“Kehre”) of his thought toward the conception of a “history of being”. But the reason for this error was not, as Heidegger himself suggested, that Kant’s thought had been overthrown from the beginning by Heidegger’s approach, as only would have become clearer through the “Kehre”. At best, this was only half of the truth. The key to an adequate assessment of the relationship between Kant and Heidegger is more complicated, in my opinion.

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I suggest, there is an ambiguity in the transcendental question, from the beginning, which came to the fore in Heidegger’s critical reaction to Husserl’s version of “transcendental phenomenology”. The ambiguity I mean was the following: In Kant’s “Critique of Pure Reason” the question as to the conditions of the “constitution” of the “objectivity of experience” was intimately connected with the question as to the conditions of the possibility of the inter-subjective validity of scientific knowledge. Kant could intimately connect, nay even identify these two questions, because he supposed that the answer to the first question by recourse to the “constitutive” functions of intuition and understanding in the “transcendental subject” or “consciousness” should simultaneously provide the answer to the second question. For, as Kant supposed in his so called “Copernican turn”, our constitutive capacities (of “intuition” and “understanding”) could “prescribe” to the world of experience the form of objectivity, and of objective lawlikeness, and this form, according to Kant, makes intersubjectively valid knowledge of science possible. Kant was not interested in the – quasi-transcendental?constitution of all kinds of non-objective, say prescientific or extra-scientific, experience. This is also the reason, I presume, why he thought he could abstract from the function of language in his transcendental analysis; for he supposed that those capacities and functions of the consciousness that are constitutive for the form of objective experience and thereby for the “principles” or “synthetical judgements a priori” of

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My intellectual Biography

scientific knowledge, could be considered as independent from the semantical structure of the different languages. Now, Husserl, in his “transcendental phenomenology”, extended the program of transcendental constitution far beyond the form of objective experience in Kant’s sense. He asked for the “transcendental constitution” of all the “noemata” that can be coordinated with possible “intentions” of the consciousness, and these “noemata” comprise not only the structures of “synthetic judgements a priori” but also the correlatives of all meanings of the words of the different languages; furthermore they comprise all aspects of human experience of the “life-world”, and that means, pre-scientific and extra-scientific experience as well. Still Husserl, the last classic of modern times’ transcendental philosophy of the consciousness, did not in this context consider a transcendental function of language (or the languages) but he suggested that the whole differentiated meaning-constitution of the “life-world” could be traced back, in principle, to the “transcendental achievements of intentionality” of the “transcendental consciousness”. And he even emphasized, in his Paris lectures, called “Cartesian Meditations”, that the “transcendental consciousness” of the “ego cogito cogitatum” has to be primarily conceived as that of “transcendental solipsism”5 , following the directives of Descartes. It is well known that Heidegger, in his hermeneutic transformation of Husserl’s phenomenology, overturned the whole architectonics of Husserl’s philoso– 97 –

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phy of the subject, especially the “transcendental solipsism” of the “achievements of intentionality”. In this context, already in “Time and Being”, he also took into consideration the impregnation of the “preunderstanding” of the “life-world” by a historically given language. And later, after the “Kehre”, he went so far as to say that language, being the “house of being”, is really the determinative force in our thought, because it articulates the “clearing” of the meaning of being according to the historical “fate of being”.6 Now, with regard to the problem of the constitution of meaning, one may, I think, find a good deal of truth in Heidegger’s shifting the accent in answering the question as to the conditions of the possibility of knowledge from Kant’s and Husserl’s recourse to the transcendental achievements of the subject or consciousness to a novel orientation toward a pre-determination by language and history. The constitution of an articulated world of meanings which determines always already our pre-understanding of the life-world seems indeed to blow up the capacity of a “transcendental subject” and may rather be credited to the “fate of being”, it seems. But what about the other part or dimension of Kant’s transcendental question: the question as to the condition of the possibility of intersubjective validity, e.g. of scientific truth, or of the validity of moral norms? Should the answer to these latter questions also be surrendered to history? It took me a long time to realize that Heidegger indeed missed this dimension of Kant’s transcendental

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My intellectual Biography

Neapel 1983, Vortrag im “Istituto per gli Studi Filosofici” 2.v.l.: Vittorio Hösle

question already in “Time and Being”.7 The reason for this deficit lied in the fact that Heidegger introduced a novel concept of truth which he for a long time considered to be his most important discovery. In “Time and Being” he understood “original truth” as being the disclosure of “Dasein”, which, being always simultaneously a “closure”, makes the discovery of certain aspects of the life-world possible. Later, after the “Kehre”, Heidegger said the same with regard to the “clearing of being” which is simultaneously a “conceiling of being”. Now, this conception of truth obviously assimilates its structure to that of meaning-constitution, and it was a consequence of this assimilation that Heidegger also conceived of truth as being relative to the “facticity” of our situation of Dasein or later, relative to an epoch of the “history of being”. Precisely the same conception – 99 –

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of truth and its relativity to the “history of being” was taken by H.-G. Gadamer as basis for his “philosophical hermeneutics” in “Wahrheit und Methode” (1959).8 Still in my habilitation work on the “Idea of language in the tradition of humanism from Dante through Vico” of 19639 , I had not yet become aware of the onesidedness of Heidegger’s inheriting of Kant’s transcendental question and of the fatal consequences of the historicism-relativism of his conception of truth. I first was fascinated by Heidegger’s language-hermeneutic turn of philosophy and applied it myself to a largescale project of a history of the idea of language, of which my habilitation work covered only a small part. In this work my position was similar to that of Gadamer’s “Truth and Method” (“Wahrheit und Methode”), though I did not know this book at that time. But later, when I became acquainted with Gadamer’s work, this became for me a first inducement for a correction of my position in favour of a return back to Kant’s question as to the conditions of truth as intersubjective validity.10 For I realized that the complete missing of the dimension of the counterfactual validity of truth for all reasonable beings by Heidegger and by Gadamer made it impossible for them to stick to a conception of critique and progress with regard to the history of philosophy and of hermeneutical understanding. For Heidegger, as is well known, there is no refutation possible in the history of essential thinking; and for Gadamer there is no better or deeper understanding possible but only “understanding differ– 100 –

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ently”, in dependance on the historical “facticity” of our “pre-understanding” of the meaning of being.11 For me, these final positions of historicism-relativism in our century became more and more intolerable, if only for the reason that they cannot be formulated as philosophical position sentences without leading into a performative self-contradiction. (I shall come back to this point later). But even in my critique of Heidegger and Gadamer in the early seventies, I was still far away from reaching a clear view with regard to the relationship between the two different dimensions of possible questions and answers that have developed in our century out of Kant’s transcendental question: namely, on the one hand, the dimension of the constitution of meaning, which indeed is dependent on the facticity of the historical situation of our pre-understanding of the life-world, and, on the other hand, the dimension of the intersubjective validity of truth, which is counterfactually related to being capable of a consensus of all reasonable beings. It is remarkable in this context, that Heidegger himself in 1964, under the impression of a critique by E. Tugendhat12, admitted that he was wrong, before the “Kehre” and after the “Kehre”, in identifying the disclosure or clearing of being with the original essence of truth. For, as Heidegger now declared, the clearing or uncovering of the meaning of being is “not yet truth” but a condition of the possibility of true and of false propositions.13 Now, I think that this self-correction of Heidegger, which was not even noticed by many of Heidegger’s adherents, is remarkable and comes close – 101 –

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to the truth. But it is still insufficient, as it seems to me today. For Heidegger, after all, sticked to the claim that there is a one-sided dependence of possible truth and falsehood on the prior dimension of the clearing of the meaning of being. Thereby he could maintain the thoroughgoing thesis of his later philosophy that there is such a thing as a pre-rational “fate of being” which determines all clearing of meaning in the languages and hence also pre-determines the selective and perspectivistic character of truth, even of scientific truth. This position, to be sure, appears to be very plausible in our time; and it is, by and large, in good accordance with that Kuhn in his famous book “The Structure of Scientific Revolutions” showed up: namely that true and false results of “normal science” be dependent on commonly acknowledged “paradigms” of good science, and that the paradigms of good science underlie historical “paradigm shifts” that are not rationally justifiable as being results of empirical progress but rather are incommensurable in relation to each other and win through by “conversions” rather than through convincing arguments.14 However, even Kuhn admitted that an accumulation of “anomalies” in the context of “normal science” can exercise so much pressure on the ruling “paradigm” that a change becomes necessary. This observation was supplemented in the last decades by the findings of so called “realistic semantics” say by S. Kripke and and H. Putnam15 – regarding the possible correction, as consequence of scientific research, of “intensional meanings” through the “extension” or, respectively, “reference” of – 102 –

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Tucumán, Argentinien, Cerro San Javier, 27.08.1984, mit Ricardo Maliandi, Buenos Aires

words. Now, this latter discovery shows that Heidegger’ s hypostatization of language – namely, of the intensions of language – as “house of being” is misleading: there is no one-sided dependence of the possibility of true and false propositions on the pre-given meanings of a language, but these latter can also be changed with regard to their reference and extension from the side of scientific experience, i.e. through confirmations and falsifications of hypotheses, which indeed became possible first on the pre-condition of a clearing of the meaning of being. Thus it turns out that the Heideggerian clearings and conceilings of the meaning of being – 103 –

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must not be the result of a pre-rational fate of being but may, at least also, be the result of the learning processes of humankind which, according to Karl Popper, are regulated by “trial and error”. By this modification of Heidegger ‘s thesis concerning the priority of the “clearing of being” over the truth and falseness of empirical propositions I don’t want to deny that the world-disclosure that is pre-given to us through the semantical structures of a whole language or through that of a cluster of kindred languages may have strongly, or even crucially, pre-determined our way of thinking, e.g. already the kind of questions that were leading for the inauguration of logics or ontology in India and Greece or, later, for the inauguration of mathematical and experiential physics in Europe. By my report about my critical study of Heidegger I have already anticipated much of the philosophical position which I later, at the beginning of the seventies, worked out under the label “Transcendental pragmatics of language” or “transcendental semiotics”, especially in my collection of essays in two volumes under the title “Transformation der Philosophie”, 197316 (selected Engl. translation: “Towards a Transformation of Philosophy”,198017 ). But there were also other, novel studies and discussions that had their impact on this book, in particular the beginnings of my long march through language-analytical philosophy and my first encounter with American pragmatism.

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III. M Y E NCOUNTER WITH L ANGUAGE -A NALYTICAL P HILOSOPHY, ESPECIALLY L.W ITTGENSTEIN . C RITICAL C OMPARISON OF HIS AND H EIDEGGER ’ S S HORTCOMINGS When I began my study of language and the history of the “idea of language”, I was myself inspired by Heidegger’s work and by the German tradition of Hamann, Herder, and Wilhelm von Humboldt, which was familiar to me by my neo-Humboldtian teacher in general linguistics, Leo Weisgerber18. I called this whole conception of the German philosophy of language transcendental-hermeneutic. And when I then first encountered the language-analytical philosophy, more exactly, the early phase of it, which was represented for me by the works of M. Schlick, R. Carnap, B. Russell and especially the “Tractatus logicophilosophicus” of the early Wittgenstein, I considered this whole conception of language as being polaropposite to that of the “transcendental-hermeneutic” conception.19 I called it the scientific-technological conception of language and tried to trace it back historically to the tradition of Nominalism (especially W. of Ockham) and to that of the ideal calculus-language of mathesis universalis, especially Leibniz, whose program was continued by G. Frege, G. Boole and others. This was not false, I think even today, but later I realized that one could interprete Wittgenstein’s “Tractatus” also from the point of view of a transformation of Kantianism under the label “Critique of – 105 –

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Pure Language”, to speak along with the Finnish philosopher Eric Stenius, who carried through this kind of interpretation.20 When I then studied Wittgenstein’s later philosophy in the “Philosophical Investigations”, I tried to understand it as a pragmatic self-transformation of the earlier program of a transformation of Kant’s “Critique of Pure Reason” through a critique of language or sense-critique. And I now tried to compare, from this point of view, Wittgenstein’s pragmatic philosophy of the “language games” and “life-forms” with Heidegger’s languagehermeneutic transformation of Husserl’s transcendental phenomenology.21 I found much to learn from this comparison as a way of ascertaining mutual confirmations in both thinkers of a certain fundamental critique of pseudo-problems of modern philosophy (from Descartes through Husserl). Thus in Heidegger as in Wittgenstein, one finds converging arguments against Descartes’ and Husserl’s “methodological” or “transcendental solipsism”, and against the meaninglessness or non-sensicality of the Cartesian “dream argument” or the argument of the primary certainty of intra-mental data in general and the need for a proof of the existence of an outer world (It may very well be that this or that of my alleged external experiences is only dreamt, or that this or that of my intra-mental data – as e.g. my doubting some alleged fact – is more certain than most of my external experiences, but concluding from this that, in principle, there might be only intra-mental data, whereas the outer world and the existence of other minds might be

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illusory – this typical suspicion of modern times “critical epistemology” is just non-sensical; for a languagegame containing the phrase “everything might be only my dream” must break down, since the contrast between “my doubt” and “real” dissolves and hence also the meaning of the phrase “merely my dream”.) Thusfar I found that Wittgenstein as well as Heidegger have initiated a novel paradigm of critical philosophy, but it is interesting that, also from a critical point of view, I found parallels between both thinkers: Thus Wittgenstein, after having declared his own philosophical meta-language in the “Tractatus” to be “non-sensical”, since it tries to “say” what can only be “shown”, he also in the “Investigations” seems to consider all philosophical language games to be manifestations of a “sickness” of ordinary language; at least, he never asks or answers the question which kind of – sound! – language-game makes it possible for him to carry through his critique of language and sometimes even to make some principled statements about the relationship between “meaning “ and “use”, or between “language games”, “activities”, “world interpretations” and “life-forms”. Now, this obvious aporia of Wittgenstein’s philosophy has its equivalent in the fact that also Heidegger never asks or answers the question, how it is possible for him to state – obviously with a claim to universal philosophical validity – that all truth is dependent of the “facticity” of a “clearing of being” and that “reason” is only the result of an “event of the history of being” that happened with the Greeks and opened in a fatal way – 107 –

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that path of (accidental) thought that grounded simultaneously philosophy, science and technology, in short: what Heidegger called the “Gestell”. It seems clear to me that both Wittgenstein’s and Heidegger’s attitude toward philosophy – and this means: toward their own universal truth-claims – amount to committing a performative selfcontradiction. And this criterion – i.e. the principle of avoiding a performative self-contradiction – for me became the most basic principle of transcendental-pragmatic sense-critique, which, so to speak, stands at the threshold of meaningful philosophy.22 A philosopher simply has to catch up with his universal validity claims. I later found out that most modern philosophers – not to speak of the postmodern philosophers, who like to follow Nietzsche, have entangled themselves into performative self contradictions of some sort. Thus one cannot meaningfully assert that arguing is “nothing but practicing violence” (Foucault), or argue for the thesis that by arguing one should rather strive for “dissent” than for “consent”, because striving for consent be suppressing freedom and innovation (Lyotard), or trying to communicate to the reader in a philosophical book that to represent a sharable meaning is impossible, in principle, because a “meaning” (in French: “signifié”) can never become “present” because of its continuous “shifts” and “dissemination” by the process of “différence” (Derrida).23

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Lektüre während der Überfahrt nach Oslo auf dem Weg zu einer Tagung in Melbu, Nordnorwegen, o.J.

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IV. M Y M ETA -C RITIQUE OF H ANS A LBERT ’ S V ERSION OF C RITICAL R ATIONALISM : T HE M ETHOD OF R EFLECTIVE (T RANSCENDENTAL P RAGMATIC ) U LTIMATE F OUNDATION . In an argument with Hans Albert, who radicalized Popper’s “Critical Rationalism” into the position of “self-applicable fallibilism”24 , I tried to apply the principle of avoiding a performative self-contradiction not only as a means of sense-critique but also as a means of uncovering those presuppositions of philosophical argumentation that are non-disputable and hence can be considered as results of a transcendental-pragmatic ultimate foundation of principles of philosophy.25 First I argued – along with the later Wittgenstein – that every language-game presupposes paradigmatical evidences or certainties that cannot be doubted because they are presupposed for a meaningful doubt.26 To this argument Albert could still reply that, on the level of Critical Rationalism as a position of metascience, one may claim that, in principle, every language-game, together with its paradigmatical evidences or certainties, can be subjected to doubt, i.e. considered to be fallible. Hence the last word in philosophy seems to befit fallibilism and not foundation. But there is still a third round of the argument that so far has not yet been taken into account: Also the metascientific language game of Critical Rationalism, in which the principle of fallibilism is formulated, must presuppose paradigmatic certainties, in order to be understandable. Thus the talk about “failibility”, as that about possible “falsi– 110 –

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fication”, must presuppose that there is such a thing as argumentative discourse, by which truth-claims can be advanced and examined. Otherwise the position of fallibilism could not make sense. Hence a position of selfapplicable fallibilism would cancel itself, i.e. its own meaning. Now, this sense-critical refutation of Albert’s version of “Critical Rationalism” may also be applied as a method of transcendental-pragmatic ultimate foundation of philosophy in a new key (way? Hg.). First we can grant, from the outset, that ultimate foundation in the sense of classical (metaphysical) rationalism, as Albert has shown, leads to a “trilemma”: If (ultimate) foundation is conceived of as deriving something from something else through deduction, or induction, or abduction (in the Peircean sense), then it is clear that the procedure of ultimate foundation must lead to either (1) an infinite regress, or (2) to a logical circle or petitio principii, or (3) to a dogmatic immunizing of some apparent evidence against every criticism. However, not all presuppositions of arguments have to be grounded by deriving them from something else. There are also necessary presuppositions of argumentation as such – i.e. of the language game of argumentation –, which cannot be denied without committing a performative self-contradiction. If one would try to ground these presuppositions of argumentation in the classical sense, say by deduction, then this would indeed lead to a logical circle or petitio principii; but the reason in this case is that necessary presuppositions of argumentation as such must not be grounded by de– 111 –

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duction but by transcendental reflection on the conditions of the validity of argumentation. This method of grounding by transcendental reflection uses the criterion of the performative self-contradiction in an explorative sense. That is: it tries to show – through selfreflection of argumentation within the discourse – that the disputing of certain presuppositions of argumentation leads to a performative self-contradiction and thereby to the self-cancellation of the argument. Now, I can at this place only affirm that by this method – which needs no dogmatical recourse to metaphysical axioms – the transcendental presuppositions of theoretical and practical philosophy can be uncovered, so to speak. Since the early seventies, I tried to work out in this sense the foundations of transcendental semiotics, of philosophy of science, especially of the humanities (Geisteswissenschaften), and of discourse ethics. I did this in a continuous discussion with representatives of analytical philosophy27 , of Popperianism28 , and later with all stripes of Historism-Relativism, as e.g. R.Rorty29, Anglo-American Communitarianism30 and recently J.Rawls31 . He, as well as the “Communitarians”, seem to me to indirectly attest the fact that without the use of a method of transcendental-pragmatic reflection in the sense I pointed to there is no possibility of avoiding either dogmatical metaphysics or historism-relativism or even both, since all “comprehensive doctrines” of metaphysics must be culture-dependent. But I have still to come back to an earlier period of my intellectual biography.

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V. M Y S TUDY OF A MERICAN P RAGMATISM , ESPECIALLY C.P EIRCE , AND OF S PEECH - ACT T HEORY. During my professorship at the university of Kiel, from 1962 to 1969, I entered not only into a closer study of the works of Wittgenstein but also into my study of American Pragmatism, especially of the works of Charles S. Peirce. Together with a doctorand-student, G. Wartenberg, I undertook a German translation and edition of the works of Peirce in two volumes (1967 and 1970).32 For these volumes I wrote extensive introductions, which I later integrated into a book on the development of Peirce’s thought. (“From Pragmatism to Pragmaticism”)33 In many respects, Peirce’s thought, which I interpreted from the perspective of a “transcendental semiotic”34 , became for me not only a supplementation but even an alternative to Wittgenstein’s later philosophy of language, an alternative to which I eventually gave preference.35 The similarity as well as the difference between Wittgenstein’s pragmatics of language-games as parts of life-forms and Peirce’s semiotical pragmaticism may be elucidated by reference to the famous discussion about Wittgenstein’s “private language-argument”36 . I came to agree with Wittgenstein that one cannot “follow a rule privately”, that is, by taking recourse only to one’s intramental recollection of ideas without reference to public criteria, to which also others can refer. In this sense especially a language, presupposing correct rule-

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following, must be public and thus presuppose a community. But now the problem arises what the public criteria of correct rule-following would be in cases where novel rules are invented by ingenious persons who are ahead of the Zeitgeist, or in cases where certain rules – say, so called universal norms of ethics like Kant’s “categorical imperative” – are followed in different ways by different communities. It has been argued that, according to Wittgenstein, always the factual usage within the context of a factual “life-form” is the ultimate criterion of the correct way of following a rule.37 I indeed cannot find any other answer in Wittgenstein’s writings. But in this case, Wittgenstein’s position, in my opinion, is deeply unsatisfactory; for it opens no way out of relativism and contextualism and hence no dimension of a possible normative progress. Now, with Peirce, I found a similar position to that of Wittgenstein with regard to the refutation of methodical solipsism and mentalism. For the interpretation of the meaning of signs, and hence also for scientific cognition, always a “community” and its “habits of action” are presupposed. And Peirce’s “pragmatical maxime” prescribes that conceptual meanings can only be clarified by reference to possible habits of action. But Peirce makes a distinction between different kinds of possible “interpretants” of given signs within a normative semiotics. Only the “immediate interpretants”, which reflect our usual linguistic understanding of signs, are related to the factual use of the signs within a particular community. But the scientists are interested in the nor– 114 –

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Tagung in Melbu, Norwegen 1986, zur linken Hand v. K.-O. Apel: Audun Oefsti, Universität Bergen; zur rechten: Jon Hellesnes, Universität Tromsö (Apel: “Der nördlichste Philosoph der Welt”), obere Reihe, Mitte, mit offenem Hemdkragen, der norwegische Organisator der Tagung.

matively correct meanings of signs, and therefore they have to look for the “logical interpretants” of signs. Also these “interpretants” are related to possible habits of action, but in order to find out something relevant about them, one has to make future-directed experiments of thought called “mellonizations” by Peirce. A good example for such “mellonizations” was provided by Einstein’s “Special theory of relativity”, which arrives at completely novel results concerning the meaning of the concept “simultaneity (of events)” through a series of thought-experiments concerning pertinent measurements of time. At this occasion it also turned out that time and space must not be conceived as separate entities as is suggested by the ordinary use – 115 –

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of these words –, since they cannot be measured separately. Another example for meaning-clarification by way of “mellonization” in Peirce’s sense, I suggest, is J.Rawls’ attempt at clarifying the meaning of “justice” through the hypothetical construction of a situation (the so called “original position”), in which all virtual citizens of a just society to be established would choose the same principles of justice for that society. Thus Peirce opens the heuristic horizon for a normatively correct interpretation of the pragmatic meaning of signs; and he moreover provides a regulative idea for the conception of a community for which the correct interpretation of the meaning of signs would hold as being publicly valid. This, according to Peirce, is not any particular language community but an “indefinite community”, which is also the subject of the search for the truth, i.e. for the “ultimate”, never factually reached, consensus of our opinions about “the real”. In Peirce’s “pragmaticist” conception of “the real”, I found also a non-metaphysical solution of the Kantian aporia of the “unknowable things in themselves”, which nevertheless (i.e. illegitimately) are presupposed by Kant as affecting causes of our empirical (material) knowledge. Peirce conceives of “the real” as that which is independent from any factual knowledge of any particular, individual or collective, subject of knowledge but is not independent from, but necessarily related to, possible knowledge in general, namely signinterpretation in the long run.

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Hence “the real” is not the “unknowable” but the “knowable” which can never be factually “known”.38 I called this position “sense critical realism”, which, I understand, is as far away from naive metaphysical realism as it is from any kind of subjective, mentalistic idealism. (I presume today that it is very close to what H.Putnam has called “internal realism”39 ). The last important input of language-analytical philosophy into my thought was Austin’s and Searle’s theory of speech acts.40 My reception (and adoption) of this theory was already strongly influenced by J.Habermas’ adoption and processing of it in his conception of a “universal pragmatics” (later “formal pragmatics”41 ), although I tried to integrate it into my conception of “transcendental pragmatics”42 . Most important, in this context, was Habermas’ conception of the performative-propositional “double structure” of speech-acts and his introduction of the concept of “validity-claims” that are necessarily connected with speech-acts (I would precisize: at least with those nonstrategical speech-acts that can be used in the context of argumentative discourse). Habermas as well as myself were strongly irritated by Searle’s later attempt at understanding speech by defending the priority of a precommunicative function of “representation”43 and, even more, by his subsequent return to the prelinguistic-turn position of defending the one-sided priority of a “philosophy of the mind” and its “intentional states” with regard to speech-acts.44

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VI. TAKING I SSUE WITH J. H ABERMAS AND OTHERS ON P RACTICAL P HILOSOPHY In conclusion of my retrospection, I should say some words about my longstanding cooperation with J.Habermas in working out my conception of practical philosophy. Habermas is younger by seven years, and I met him first when I just had passed my doctor promotion in Bonn and he came there as a student. At that time already we shared many ideas of an anthropology of knowledge, e.g. the conception of “quasitranscendental cognitive interests” which we worked out later.45 In the sixties, Habermas had become a member of the Frankfurt School of “Critical Theory”, and it was through him that I learned to know that school of neo-marxist thought, which, at that time, was very influential in Germany, in particular as a background inspiration for the “students movement”. It was at that time, too, that I learned that as a philosopher one should not try to stay unpolitical since there is an internal relationship between politics and ethics of responsibility. In the next decades then I tried to work out my version of discourse ethics in a continuous discussion with Habermas’ version of this project. We shared indeed the common background of a pragmatics of language and communication, but there was also a tendential difference between our approaches. Habermas was somehow marked by the deep neo-marxist conviction of the Frankfurt school that philosophy and critical social science should make up a continuum, and hence he al– 118 –

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ways worked simultaneously as a philosopher and as a sociologist – a combination that provided the broad basis for his immense influence on the intellectual scene in Germany and other countries. From this point of view, (folgende Hervorhebungen vom Herausgeber) Habermas was never prepared to fully accept and adopt my programme of a “transcendental pragmatics”, which included also a strict methodological distinction between empirical-reconstructive social sciences and aprioristic philosophy. I maintained indeed that the central tenets of philosophy are not based on empirical evidences, but, as I suggested in the preceding, are based on the reflective test that the necessary presuppositions of argumentation cannot be denied without committing a performative self-contradiction. Habermas also made use of this test in refuting e.g. the contentions of the postmodernists, and he appealed sometimes to a “weak form” of “transcendental-pragmatic” arguments; but at the same time he suggested that the necessary presuppositions of argumentation, e.g. the “validity claims” he himself uncovered, had to be checked (confirmed) by empirical tests, in the same way as e.g. Chomsky’s linguistic hypotheses concerning the deep-structure of language have to be checked through widely strewed experiments with competent speakers. I could not accept these suggestions as meaningful, since they would imply that indisputable presuppositions of argumentation, as e.g. the truth-claim, possibly could at the same time be presupposed and falsified. Habermas’ arguments concerning a universal-pragmatic foundation of ethics are widely considered as – 119 –

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being “more cautious” than my own transcendentalpragmatic ones. But I cannot share this assessment. Let me illustrate this dissension by two examples. In 1983 Habermas discussed my programme of ultimate foundation and came to the conclusion that the transcendental-pragmatic refutation of the skeptic be impossible since the skeptic could refuse to participate in a discourse. As a response to this apparent aporia, Habermas declared that an ultimate foundation of ethics be unnecessary, since in the “life world”, considered independently from the disputes of the philosophers, all of us – even the skeptic, if he wants to live – must presuppose the binding validity of a substantial morality (in German “Sittlichkeit”).46 Now, my assessment of the problem situation is quite different regarding the two parts of Habermas’ argument47 : Regarding the first part, I would say: The skeptic, who refuses to participate in the discourse, cannot argue; thusfar he is irrelevant for the discourse about the possibility of an ultimate foundation of ethics. Only the person who proposes the argument concerning the skeptic’s refusal, is in fact a relevant opponent in the ongoing discourse. But this actual opponent cannot apply his argument concerning the skeptic to himself. Hence the opponent, in principle, cannot refute the transcendental-pragmatic argument that every serious participant in a discourse must recognize the fundamental procedural norms of discourse ethics, as e.g. equal rights and equal co-responsibility of all discourse partners.

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Juni 1989; am 60. Geburtstag von Jürgen Habermas, mit Albrecht Wellmer

Regarding the second part of Habermas’ argument my assessment is the following: It is indeed true that in the “life-world” some kind of substantial morality (“substantielle Sittlichkeit” in Hegel’s sense) always was and is working, to which even the skeptic, if he wants to live, has to obey – at least apparently. However, in the first place, it has to be pointed out that there always were and are different versions of substantial morality, all of which were and are very different from what Habermas himself, like other postKantian philosophers, can understand as a universally valid type of morality. In fact, the different types of substantial morality, considered independently from the disputes of the philosophers, are different versions of historically conditioned compromises between the uni– 121 –

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versal claims of an ethics of consensual communication, as is postulated by Habermas and myself, and the strategical imperatives of a behaviour that would be in accordance with the functional constraints of the different social self-maintenance systems. Precisely this situation, I suggest, was the point of departure for the philosophical questioning of “substantial morality” in the “axis-time” of ancient high cultures, e.g. in Greece, and again in modern enlightenment and, finally, by “Critical Theory”. (Folgende Hervorhebung vom Herausgeber) How can a representative of “Critical Theory” – I would ask – suggest a recourse to that type of conventional morality of the life-world which “Critical Theory” was in charge of reconstructing critically? When I joined Habermas’ project of normatively grounding “Critical Theory”, I proposed a transcendental-pragmatic foundation of discourse ethics because I supposed that “Critical Theory” needed an independent yardstick for its critical business. In the last years I worked in particular on the problems of a history-related application of discourse ethics, and that means, especially, on the problem of the implementation of discourse ethics under the conditions (e.g. functional constraints) of institutions, or, respectively, functional social systems, as e.g. politics, law, and economy.48 In this context, I had again arguments (in German: “Auseinandersetzungen”) primarily with J. Habermas (especially on the relationship between discourse ethics, law, and democracy49 ), furthermore with O. Höffe (on “Political Justice”50 ), with the so called Communitarians51 , with R. Rorty52 and most re– 122 –

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cently with J. Rawls53 . With regard to economy, I tried to take issue with representatives of what in German is called “Wirtschaftsethik” (“ethics of economy”), as e.g. P. Ulrich and K. Homann.54 These studies were accompanied by a longstanding background discussion with representatives of the Latin-American “philosophy of liberation”, like E. Dussel and F.J. Hinkelammert on problems of social justice on a global scale.55 In the next future I hope to collect these studies into a second volume of my book “Diskurs und Verantwortung” (“Discourse and Responsibility”). A NMERKUNGEN 1

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Cf. K.-O. Apel: Die ‚Erklären-Verstehen‘-Kontroverse in transzendentalpragmatischer Sicht; Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1979; engl. trans.: Understanding and Explanation: A Transcendental-Pragmatic Perspective, Cambridge/Mass: MIT Press, 1984. K.-O.Apel: Dasein und Erkennen. Eine erkenntnistheoretische Interpretation der Philosophie Martin Heideggers, unpublished dissertation, 1950. Cf. e.g. E. Rothacker: Zur Genealogie des menschlichen Bewußtseins, Bonn: Bouvier, 1966, and the same: Philosophische Anthropologie, Bonn: Bouvier, 1964 Cf. K.-O. Apel: Wittgenstein und Heidegger: Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle Metaphysik, and: Heideggers philosophische Radikalisierung der Hermeneutik und die Frage nach dem Sinnkriterium der Sprache, in the same: Transformation der Philosophie, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1973, vol.I, 223-334, and the same: Wittgenstein und Heidegger. Kritische Wiederholung und Ergänzung eines Vergleichs, in the same: Auseinandersetzungen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1998, 459-504 (Engl.transl.: Wittgenstein und Heidegger: language games and life forms, in C. Macann (ed.): Critical Heidegger, London: Routledge, 1996, 241274), and: Sinnkonstitution und Geltungsrechtfertigung. Hei-

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degger und das Problem derTranszendentalphilosophie, in: Auseinandersetzungen, loc.cit., 505-568. Cf. E. Husserl: Cartesianische Meditationen, § 13 and V.Meditation, in: Husserliana, vol. I,. ed. by S. Strasser/Haag: M. Nyhoff, 2 1963. See especially Cristin Lafont-Hurtado: Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994. See my definitive account of this problem in: Sinnkonstitution und Geltungsrechtfertigung, loc. cit. (see note 4). Cf. H. -G. Gadamer: Wahrheit und Methode. K.-O. Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn: Bouvier, 1963, 1980. See my argument with Gadamer in the „Einleitung“ to „Transformation der Philosophie“, Frankfurt a.M.: 1973, vol.I, and in: Szientismus oder Transzendentale Hermeneutik?, ibid. vol.II, 178-219, and – definitively – in: Regulative Ideas or Truth Happening? An Attempt to Answer the Questions of the Conditions of the Possibility of Valid Understanding“, in L.E. Hahn (ed.): The Philosophy of Hans-Georg Gadamer, in: The Library of Living Philosophers, vol. XXIV, Chicago and La Salle, Ill.: Open Court, 67-94 (German version: Regulative Ideen oder Wahrheitsgeschehen? Zu Gadamers Versuch, die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit gültigen Verstehens zu beantworten’, in: Auseinandersetzungen, loc.cit. 569-608.) See H.-G.Gadamer: Wahrheit und Methode, Tübingen: Mohr & Siebeck, 21965, 280. Cf. E.Tugendhat: Heideggers Idee von Wahrheit, lecture given in Heidelberg in April 1964, published in Pöggeler (ed.): Heidegger, Berlin, 1969. Cf. also E.Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin, 1967. See M.Heidegger: Zur Sache des Denkens, Tübingen, 1988, 76ff. See Thomas S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions, Chicago, 1962. Cf. S. Kripke: Naming and Necessity, Oxford: Basil Blackwell, 1980; H. Putnam: Mind, Language and Reality, 3 vols., Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1975, vol. 2. Cf. also K.-O. Apel: The Pragmatic Turn and Transcendental Semiotics, in the sa-

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me: Selected Essays, vol. 1: Towards a Transcendental Semiotics, New Jersey: Humanities Press, 1994, 132-174. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1973. London: Routledge & Kegan Paul, 1980. Cf. e.g. L.Weisgerber: Das Menschheitsgesetz der Sprache als Grundlage der Sprachwissenschaft, Heidelberg, (2)1964. Cf. also H. Gipper (ed.): Sprache – Schlüssel zur Welt, Festschrift für Leo Weisgerber, Düsseldorf: Schwann, 1959, and K.-O. Apel: Der philosophische Wahrheitsbegriff, in the same: Transformation der Philosophie, loc.cit., 106-137. See K.-O. Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus, loc.cit. in: Einleitung. E.Stenius: Wittgenstein’s Tractatus, Oxford: Blackwell, 1964. Cf. my essays in: Transformation der Philosophie, loc.cit., vol.I, 225-377, and vol.II, 28-95. Cf. all my essays in: Auseinandersetzungen. In Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1998. Cf. K.-O. Apel: Die Herausforderung der totalen Vernunftkritik und das Programm einer philosophischen Theorie der Rationalitätstypen, in: Concordia 11 (1987), 2-23. Engl. transl.: The Challenge of a Totalizing Critique of Reason and the Program of a Philosophical Theory of Rationality Types, in: D. Freundlieb/W. Hudson (eds.): Reason and its Other, Providence/Oxford: Berg, 1993, 23-48. See H. Albert: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen, 1968: see also G.Radnitzky: In Defence of Self-Applicable Critical Rationalism, in: International Cultural Foundation (ed.): Absolute Value and the Creation of the New World, New York: Intern. Cultural Foundation Press, 1983, vol. II, 1025-1069. See K.-O. Apel: Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte einer transzendentalen Sprachpragmatik, in the same: Auseinandersetzungen, loc.cit., 33-80; Engl. trans.: The Problem of Philosophical Foundation in Light of a Transcendental Pragmatics of Language, in K. Beynes/J. Bohman/Th. McCarthy (eds.): After Philosophy. End or Transformation? Cambridge/Mass, MIT Press, 1987, 250-290, and the same: Fallibilismus, Konsenstheorie der Wahrheit und Letztbegründung“, in: Auseinandersetzungen, loc.cit., 81-194.

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Cf. L.Wittgenstein: Über Gewißheit, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1970, Engl. transl.: On Certainty, Oxford: B. Blackwell, 1969. See K.-O. Apel: The Impact of Analytic Philosophy on my Intellectual Biography, in the same: From a Transcendental semiotic Point of View, Manchester, Manchester Univ. Press, 1998, 9-42. Cf. notes 24 and 25. Cf. K.- 0. Apel: Diskurs und Verantwortung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988, 397ff., and the same: What is Philosophy? The Transcendental Point of View after the End of Dogmatical Metaphysics, in: S. Heidt/S. Ragland {eds.): What is Philosophy . . . , New Haven, Yale Univ. Press, 1999. Cf. K.-O. Apel: Das Anliegen des anglo-amerikanischen ‚Kommunitarismus‘ in der Sicht der Diskursethik, in M. Brumlik/H. Brunkhorst (eds.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt a.M., Fischer, 1993, 149-172. Cf. K.-O. Apel: Das Problem der Gerechtigkeit in einer multikulturellen Gesellschaft, in R. Fornet-Betancourt (ed.): Armut im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und dem Recht auf eigene Kultur, Aachen, Augustinus-Buchhandlung, 1997, 106130; Engl. transl.:The Problem of Justice in a Multicultural Society, in R. Kearney/M. Dooley (eds.): Ethics in Question, London: Routledge, 1988, 145-163; and the same: May a Political Conception of ‚Overlapping Consensus‘ be an Adequate Basis for Global Justice? (An Argument with the later Rawl’s Conception of Political Liberalism), in: Proceedings of 20th World Congress of Philosophy, Boston 1998 Charles S. Peirce: Schriften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, vol.I, 1967, vol.II, 1970. K.-O. Apel: Der Denkweg von Charles Peirce, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1975. Engl. transl.: From Pragmatism to Pragmaticism, Amhurst/Mass., Univ. of Massachusetts Press, 1981 (repr. in New Jersey, Humanities Press, 1995. Cf. K.-O. Apel: Selected Essays, vol.I: Towards a Transcendental Semiotics, loc.cit., especially 132-254, and the same: From a transcendental-semiotic point of view, loc.cit., especially 43-80. See K.-O. Apel: The Impact of Analytic Philosophy . . . , loc.cit., last section. See L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Cf. K. O. Apel: Wittgenstein und Heidegger: Kritische Wiederholung ei-

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nes Vergleichs, in: Auseinandersetzungen, loc.cit. Engl. transl.: Wittgenstein and Heidegger: language games and life forms, loc.cit. (see note 4). Cf. D. Böhler/T. Nordenstern/G. Skirbekk (eds.): Die pragmatische Wende, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1986, especially, section V. See C.S. Peirce: Coll. Papers, Cambridge, Mass., Harvard Univ.Press, 1931-1958, V, 257, 310, 311, 407, cf.VII, 339. Cf. also K.-O. Apel: Charles S. Peirce: From Pragmatism to Pragmaticism, loc.cit, 25ff. Cf. H. Putnam: Reason, Truth, and History, Cambridge, 1981; and the same: The many faces of realisms, La Salle/Ill.: 1987; and: Realism with a Human Face, Cambridge/Mass. 1990. J.L. Austin: How to do things with words, Oxford Univ.Press 1955; J.R. Searle: Speech Acts, Cambridge Univ. Press 1969. Cf. J.Habermas: Was heißt Universalpragmatik?, in K.-O. Apel (ed.): Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt a.M: Suhrkamp, 1976. See K.-O. Apel: Sprechakttheorie und transzendentale Sprachpragmatik. Zur Frage ethischer Normen, ibidem, 10-173; and the same: Is Intentionality more basic than Linguistic Meaning?,in: E. Lepoe/R. van Gulick (eds.): John Searle and his Critics, Cambridge/Mass., Blackwell 1991, 31-55. Cf. J.R. Searle: Expression and Meaning, Cambridge Univ. Press, 1979. J.R. Searle: Intentionality, Cambridge Univ. Press, 1983. See J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1968; and K.-O. Apel: Tranformation der Philosophie, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1973, vol. I, „Einleitung“ and vol. II, 28ff., cf. also K.-O. Apel: Types of Social Science in Light of Human Cognitive Interests, in the same: Selected Essays, vol. II: Ethics and the Theory of Rationality, New Jersey, Humanities Press 1996, 103-173. See J. Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, especially 108ff. See K.-O. Apel: Normative Begründung der ‚Kritischen Theorie‘ durch Rekurs auf lebensweltliche Sittlichkeit? Ein transzendentalpragmatisch orientierter Versuch, mit Habermas gegen Habermas zu denken, in the same: Auseinandersetzungen,

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loc.cit., 649-700. (Engl. transl.: Normative Grounding ‚Critical Theory‘ through Recourse to the Life World?, in A. Honneth et alii (eds.): Philosophical Interventions in the Unfinished Project of Enlightenment, Cambridge/Mass., MIT Press, 1992, 125-170. See K.-O. Apel: Diskurs und Verantwortung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1988, and: Diskurs und Verantwortung, Bd.II. See J. Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokraktischen Rechtsstaats, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1992, and K.-O. Apel: Auflösung der Diskursethik? Zur Architektonik der Diskursdifferenzierung in Habermas’ Faktizität und Geltung. Dritter, transzendentalpragmatisch orientierter Versuch, mit Habermas gegen Habermas zu denken, in the same: Auseinandersetzungen, loc.cit., 727838. See O. Höffe: Politische Gerechtigkeit, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1987; cf. K.-O.Apel: Diskursethik vor der Problematik von Recht und Politik, in K.-O. Apel/M. Kettner (eds.): Zur Anwendung der Diskursethik in Politik, Recht und Wissenschaft, Frankfurt a.M: Suhrkamp 1992, 29-61. See note 30. See K.-O.Apel: Diskurs und Verantwortung, loc.cit., 397ff.; and the same: What is Philosophy? The Transcendental Point of View after the End of Dogmatical Metaphysics, in S.Reidt/S.Ragland (eds.): What is Philosophy? . . . , New Haven: Yale Univ. Press. See my papers under note 53. See K.-O. Apel: Diskursethik als Verantwortungsethik und das Problem der ökonomischen Rationalität, in the same: Diskurs und Verantwortung, loc.cit., 270-305, and the same: Institutionsethik oder Diskursethik als Verantwortungsethik?, in: J. P. Harpes/W. Kuhlmann (eds.): Zur Relevanz der Diskursethik; Anwendungsprobleme der Diskursethik in Wirtschaft und Politik, Munster: L IT Verlag, 1993, 167-209. Cf. E. Dussel: Die Vernunft des Anderen. Die ‚Interpellation‘ als Sprechakt“, in R. Fornet-Betancourt (ed.): Diskursethik oder Befreiungsethik, Aachen, Augustinus-Buchhandlung 1972; and the same: Ethik der Befreiung. Zum ‚Ausgangspunkt‘ als Vollzug der ‚ursprünglichen ethischen Vernunft‘, in R. FornetBetancourt (ed.): Konvergenz oder Divergenz: Eine Bilanz des

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My intellectual Biography

Gesprächs zwischen Diskursethik und Befreiungsethik, loc.cit. 1994, 83-110; and the same: Zur Architektonik der Befreiungsethik. Über materielle Not und formale Moral, in R. FornetBetancourt (ed.): Armut, Ethik, Befreiung; loc.cit. 1996, 61-94. Cf. K.-O.Apel: Die Diskursethik vor der Herausforderung der Dritten Welt, ibidem, 1992, 16-54; and the same: Die Diskursethik vor der Herausforderung der lateinamerikanischen Philosophie der Befreiung, ibidem 1994, 17-38, and the same: Kann das Anliegen der ‚Befreiungsethik‘ als ein Anliegen des Teils B der Diskursethik‘ aufgefasst werden? (Zur akzeptierbaren und zur nichtakzeptierbaren ‚Implementation‘ der moralischen Normen unter den Bedingungen sozialer Institutionen bzw. Systeme“), ibidem 1996, 13-44.

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K OMMENTAR ZUM K APITEL „TAKING I SSUE WITH H ABERMAS AND OTHERS . . . “ E IN M ISSVERSTÄNDNIS Reinhard H ESSE

Ich habe es als Zeichen von Aufrichtigkeit und Souveränität interpretiert und es hat meine eigene Meinung bestätigt, wenn Habermas gelegentlich öffentlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er Karl-Otto Apel für den eigentlichen Philosophen von ihnen beiden hielte und sich selbst für – anfangs – dessen Schüler und später für den philosophierenden Soziologen. Das hat er wiederholt getan – zwar nicht bei großen Auftritten, aber doch im kleineren, öffentlichen Kreis. Ich denke, damit hat er der Wahrheit auf seine Kosten die Ehre gegeben. Nicht jede Berühmtheit würde das tun. Allerdings bliebe zu wünschen, dass er es dauerhaft und auch bei großen Auftritten täte. Ich habe mehrere Zeilen in Abschnitt VI des obigen Apel’schen Texts hervorgehoben, weil aus Ihnen m.E. der Grund für diese Einschätzung deutlich hervorgeht. So klar und unmissverständlich hat sich Apel, wie ich in der Einleitung schon gesagt habe, wohl sonst kaum – 131 –

Reinhard H ESSE

über sein Verhältnis zu Habermas’ philosophischem Standpunkt und damit zur „Kritischen Theorie“ geäußert. Im Folgenden möchte ich versuchen, den Hintergrund, den philosophischen Zusammenhang, vor dem diese Einschätzung ihre Bedeutung gewinnt und verständlich wird, aus meiner Sicht in wenigen Worten zu skizzieren. Dazu ist es nötig, etwas auszuholen: Der Mensch ist aus elementaren Überlebensgründen auf gesicherte Orientierung angewiesen; und zur Gewinnung gesicherter Orientierung auf den – idealiter – freien Austausch von Argumenten. Die Bedingungen der Möglichkeit des Zustandekommens einer idealiter freien, argumentativen Orientierungssuche etwa im chinesischen Kaiserreich des 5. vorchristlichen Jahrhunderts sind identisch mit denen im Ältestenrat eines Stammes in Neuguinea des 19. Jahrhunderts, diese mit denen in einem heutigen schweizer Kantonalrat, und die im Obersten Sowjet der Stalinjahre sind identisch mit denen in der nationalsozialistischen Reichsregierung. Denn sie sind kulturinvariant. Sie haben gar nichts mit Inhalten oder spezifischen, empirisch vorfindlichen Situationen zu tun. Die Gleichheits- und Freiheitsnormen, die den Kern dieser Bedingungen bilden, haben nichts mit partikularen historischen Gegebenheiten zu tun; sie sind insbe-

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„Taking Issue with Habermas and others . . . “

Melbu, Norwegen, am Haus von Schwager Wolfgang Jahn. v.l.n.r.: Wolfgang Jahn (Professor für Violine), K.-O. Apel, Petra Jahn, Frau Jonas, Hans Jonas, New School of Social Research, New York, o.J.

sondere nicht aus diesen ableitbar. Sie gelten notwendig apriori (nämlich als Bedingungen der Möglichkeit). Um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Das Postulat „Höre die Argumente deines Gegenübers an, denn nur dann wirst du in der Lage sein, sie zu beurteilen!“ galt und gilt in China, Neuguinea, der Schweiz, Nazideutschland und in der Sowjetunion ebenso wie es überall und immer gilt. Auf dieser – man könnte sagen trivilalen, auf der Hand liegenden, selbstreflexiv leicht gewinnbaren – Einsicht hat Apel bestanden. Auch wenn ihm das unsinnigerweise als Dogmatismus ausgelegt wurde. – 133 –

Reinhard H ESSE

Hier liegt der selbstreflexive „Anfang der Philosophie“, wie ich sagen würde, d.h. der Anfang ineins von Erkenntnistheorie und Ethik; oder, wie Apel gesagt hat: Im selbstreflexiven Rekurs auf diese Bedingungen und auf die sich mit ihnen ergebenden Postulate liegt die „Letztbegründung“ von Ethik und Erkenntnistheorie. Dass das Insistieren auf dieser einfachen Einsicht nicht zu unserem, sich als „tolerant“ verstehenden, relativistischen Zeitgeist passt, liegt ebenfalls auf der Hand. Und eben diese Einsicht hat Habermas, wenn man Apel in den oben hervorgehobenen Zeilen folgt – von vorübergehenden verbalen Zugeständnissen abgesehen („appealed sometimes“) – offensichtlich nicht geteilt. Mir scheint, es hat etwas Enttäuschtes oder sogar Befremdetes, wenn Apel rhetorisch fragt: „How can a representative of „Critical Theory“ – I would ask – suggest a recourse to that type of conventional morality of the life-world which „Critical Theory“ was in charge of reconstructing critically?“ und weiter schreibt.: „When I joined Habermas’ project of normatively grounding „Critical Theory“, I proposed a transcendentalpragmatic foundation of discourse ethics because I supposed that „Critical Theory“ needed an independent yardstick for its critical business.“ Apel hat sich, angetrieben von der schrecklichen Erfahrung des Irregeleitetseins in seiner Jugend, darum bemüht, die normativen Grundlagen einer – erst dann im philosophischen Sinne ernstnehmbaren – „kritischen“ Theorie auszuarbeiten. – 134 –

„Taking Issue with Habermas and others . . . “

Und ich denke, er h a t sie ausgearbeitet! Aber er ist damit, hart gesagt, ins Leere gelaufen; oder anders gesagt: Er ist in die Leere des Abgrunds unter dem „Grand Hotel Kritische Theorie“ (G. Lukács) gefallen. Seine Frankfurter Hoffnung beruhte insofern auf einem Missverständnis. Dieses Missverständnis entwertet allerdings nicht die philosophiegeschichtliche Bedeutung seines Lebenswerks. Und es entwertet, das ist mir wichtig zu betonen, auch nicht die Bedeutung, die die Beziehung und das Gespräch mit J. Habermas für K.-O. Apel gehabt hat. Das Gleiche gilt, daran kann kein Zweifel sein, auch umgekehrt für die Bedeutung von K.-O. Apel für J. Habermas. Die universellen Gleichheits- und Freiheitspostulate der Philosophie, die sich bereits an ihrem Anfang notwendig ergeben, stehen in einem ebenso unauflöslichen wie unvermeidbaren Spannungs- und Widerspruchsverhältnis zur lebensweltlichen, politischen und ökonomischen Wirklichkeit in Vergangenheit und Gegenwart. Sie sind ein dauernder Anruf, sich nicht damit abzufinden. Nie aber wird dieser Anruf aufhören nötig zu sein. Der Anrufende ist, so gesehen, immer auf der „Verliererseite“. Anders sieht es aus, wenn man die Anfangsnormen nicht aus kulturinvariant apriorischen Reflexionen gewinnt, sondern sie irgendwie einer so oder so gearteten – 135 –

Reinhard H ESSE

empirischen Realität entnehmen zu können meint. Bei ausreichendem Verstand und Geschick ist man dann tendenziell auf der „Siegerseite“. Freilich nur solange die Realität andauert, der die Normen entnommen sind, und immer nur unter dem Anpassungsdruck der „Normativität des Faktischen“ – unter dem es dann der „Kritischen Theorie“ alsbald so ergeht wie vor ihr schon etwa dem Christentum, dem Marxismus, der Sozialdemokratie usw.: Die Macht assimiliert den Geist und am Ende ist dieser sogar – natürlich ohne es zuzugeben – stolz, hoffähig und ein Teil von ihr geworden zu sein. Dergleichen hatte der aufrichtige Wahrheitssucher Apel, glaube ich, nicht im Sinn. Ihm ging es letztlich nicht um Erfolg und Sieg; ihm ging es einfach um die Sache.

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R EKONSTRUKTION DER V ERNUNFT DURCH T RANSFORMATION DER T RANSZENDENTALPHILOSOPHIE 1 Karl-Otto A PEL im Gespräch mit Raúl F ORNET-B ETANCOURT und Klaus H EDWIG

Frage: Ein Hauptwerk von Ihnen trägt den Titel: Transformation der Philosophie. Könnten Sie zunächst bestimmen, wie Sie diese Transformation der Philosophie verstehen? Genauer gefragt: Ist sie als Programmatik zu einer Neubestimmung der Philosophie in einer Zeit, die durch Technik und Wissenschaft geprägt ist, zu verstehen? Apel: Als ich den Titel wählte für die Aufsatzsammlung, da war der Titel eigentlich bewusst zweideutig, ambivalent gemeint. Nämlich einmal meinte ich damit ganz einfach eine Rekonstruktion der Transformation, die ich selber erlebt hatte in 15 Jahren in unserer Zeit; zum zweiten aber ergab sich daraus für mich auch ein Programm, wie Sie schon gesagt haben. Und ich würde sagen, am Schluss des Werkes stand diese Bedeutung im Vordergrund. Und sie steht seitdem auch für mich im Vordergrund, die programmatische Bedeutung. Frage: Wenn Sie Transformation sagen, ist damit nicht auch notwendig eine Destruktion der Philosophie ver– 137 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

bunden, eine Destruktion der Tradition, der traditionellen Leitthemen der Philosophie? Apel: Also, ich würde das Wort „Destruktion“, im heideggerianischen oder derridaschen Sinne, lieber nicht verwenden. Ich sage bewusst Transformation und denke dabei auch an die Tradition. Ich würde es heute präziser formulieren. Ich meine mit „Transformation der Philosophie“ Transformation der traditionellen Transzendentalphilosophie im Sinne einer transzendentalen Sprachpragmatik oder Semiotik. Das ist mein Programm jetzt. Und aufgrund dieses Programms würde ich meinen, dass die ganze Transzendentalphilosophie nicht mehr als solche des Bewusstseinssubjektes, wie bei Kant und Husserl, sondern als solche der Argumentationsgemeinschaft rekonstruiert werden kann. An die Stelle des solitären Bewusstseinssubjektes würde entweder der Argumentierende als Mitglied dieser Argumentationsgemeinschaft oder die Argumentationsgemeinschaft selber treten. Das ist je nach Aspekt verschieden. Aber beide treten sozusagen an die Stelle des transzendentalen Bewusstseinssubjektes. Frage: Leitet sich die Motivation für den Entwurf dieser Transformation der Philosophie aus den Herausforderungen unserer Zeit her? Apel: Ja, gewiss, und zwar teilweise aufgrund philosophie-externer Herausforderungen z.B. seitens der Wissenschaft und Technik; und zum anderen auch aufgrund interner, philosophie-interner Herausforderungen, z.B. aufgrund des von mir ja erlebten linguistic turn in der Philosophie: der sprachanalytischen Wen-

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Rekonstruktion der Vernunft

70. Geburtstag, mit Jürgen Habermas, 15. März 1992

de, die für mich methodologisch weitgehend maßgebend geworden ist – maßgebend freilich nicht in dem Sinne, wie die sprachanalytische Philosophie sich in – 139 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

den angelsächsischen Ländern entwickelt hat, sondern in dem Sinne, dass man auf der Ebene der Sprachanalyse die Problematik der transzendentalen Fragestellung wiederfindet. Frage: Nimmt diese Transformation noch alle Gebiete und Verfahrensweisen der älteren Philosophie auf oder lässt sie einige – bewusst – fallen? Apel: Das ist natürlich auch eine Frage der Kompetenz und der Person. Aber vom Ansatz her, würde ich meinen, bezieht sie alles ein. Ich habe ja z.B. mehrfach versucht, den Ansatz einer transzendentalen Sprachpragmatik oder Semiotik zu entwickeln in Gestalt der Frage nach den „Paradigmen der Ersten Philosophie“. Es gibt da bei mir mehrere Anläufe. Da habe ich also immer versucht zu unterscheiden zwischen dem ersten Paradigma, dem vorkantischen, ontologischen Paradigma, wo man in der intentio recta philosophierte und nach dem Seienden oder nach dem Sein des Seienden fragte, und den folgenden, transzendental-reflexiven Paradigmen: Das zweite Paradigma ist dann für mich die transzendentale Reflexion auf das Bewusstsein als transzendentales Subjekt im Sinne Kants, die ja schon ein bisschen präfiguriert war bei Descartes. Und das dritte Paradigma ist das Paradigma, in dem man an die erste Stelle nicht die Frage nach den Bedingungen der Erkenntnis, sondern die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit sinnvollen Redens oder sinnvollen Argumentierens stellt. Das ist für mich nun die radikalste Frage, methodologisch. Aber, unter diesen methodologischen Voraussetzungen soll natürlich die ältere Problematik, auch die der Ontologie, nicht verlorengehen. – 140 –

Rekonstruktion der Vernunft

Frage: Aber können Themen wie etwa die Faktizität, die Geschichtlichkeit oder Betroffenheit in dieser Transformation noch mit transportiert werden? Apel: Ja, Faktizität, das ist ein Thema, das auch für mich besonders wichtig ist. Ja, dazu müsste ich viel sagen, um mich zu diesem spezifischen heideggerschen Ausdruck „Faktizität“ zu äußern. Mir ist erst im Laufe der Jahrzehnte klar geworden, was eigentlich der Neuansatz Heideggers in Sein und Zeit mit der Transzendentalphilosophie zu tun hat. Zuerst haben ja viele Leute, und ich auch, dieses „immer schon“ oder „je schon“ bei Heidegger in Sein und Zeit als sehr verwandt mit der Dimension des Transzendentalen Aprioris empfunden. Daran ist ja auch etwas. Aber mit der Zeit hat man dann doch klar gesehen, was den Unterschied der Dimension des „je schon“ bzw. „immer schon“ bei Heidegger zur Transzendentalphilosophie ausmacht. Ich würde heute da einen wichtigen Dimensionsunterschied erkennen. Heidegger hat von vornherein das, ja nur das betont, was man mit dem Stichwort Faktizität ansprechen kann, nämlich das in dem „je schon“ und „immer schon“, was auf die kontingenten Voraussetzungen hindeutet, was man auch heute oft mit der Lebenswelt meint: dasjenige, was dann für Heidegger später ein Ergebnis der Seinsgeschichte wurde. Die Faktizität des immer schon In-der-Welt Seins, die Weltoffenheit, wie man sich auch ausdrücken könnte, die erwies sich dann als so kontingent, dass sie für Heidegger schließlich vollständig als ein Ergebnis der Seinsgeschichte aufgefasst werden konnte. Und damit zeigte sich dann, dass die eigentliche transzendentale Fra-

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Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

ge verloren ging. Je mehr mir das klar wurde im Laufe der Jahre, umso mehr bin ich von Heidegger weggekommen und habe von Logosvergessenheit gesprochen. Heute würde ich diesen Gesichtspunkt der Logosvergessenheit gegen Heidegger, gegen Derrida, gegen den Postmodernismus gegen alle diejenigen ausspielen, die nur noch die kontingenten Voraussetzungen unseres Denkens betonen. Ich würde heute meinen, dass der ganze Ansatz von Sein und Zeit wiederholt werden müsste. Heidegger hat da etwas übersprungen. Es ist dasjenige übersprungen, was uns in die Lage versetzt, das je schon Vorausgesagte zu analysieren. Heidegger hat nicht nach dem Apriori gefragt, das ihn in die Lage versetzte, mit Gültigkeitsanspruch über all das zu sprechen in Sein und Zeit. Das ist das, was ich jetzt das Apriori der Geltungsansprüche, in engerem Sinn das Logos-apriori, nennen würde. Ich würde das andere nicht leugnen. Das andere ist – das ist heute geschenkt, das ist jedem klar – unsere Abhängigkeit von der Geschichte, das Apriori der Faktizität. Das wird bis zum Überdruss heute traktiert, von allen. Alle verweisen nur darauf. Aber keiner sieht mehr das Apriori, das uns in die Lage versetzt, mit Wahrheitsansprüchen über all das zu reden. Das geht so sehr verloren, dass es überhaupt nicht mehr gesehen wird. Und das führt dann, wenn ich richtig sehe, in den Postmodernismus hinein. Frage: In diesem Zusammenhang ist nochmals die Frage der Bestimmung des Begriffes Transformation der Philosophie zu stellen, und zu fragen: Ist diese Trans-

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Rekonstruktion der Vernunft

formation der Philosophie auch eine Transformation der philosophischen Vernunft in unserem Zeitalter? Apel: Ja, in dem Sinne, wie ich es schon angedeutet habe, nämlich, dass die Vernunft sich als sprachliche Vernunft konkretisiert. Insofern würde ich das bejahen. Frage: Und diese sprachliche Konkretisierung der Vernunft nimmt ihre Bestimmung von wesentlich internen Herausforderungen der Philosophie, die Sie vorher nannten, oder von den externen Herausforderungen der Zeit?

Oxford, 2. Reihe 1.v.l.: Karl-Otto Apel, 3.v.l.: Friedrich Kambartel Oktober 1992

Apel: Ja, diese sprachliche Transformation nimmt ihre Stimulation vor allem von den internen Herausforderungen, ja, von dem, was man linguistic turn genannt hat. Die externen Herausforderungen, die vor allem in – 143 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

der Entwicklung von Wissenschaft und Technik liegen, die haben mich vor allem provoziert im Zusammenhang mit dem Problem einer Ethik im Zeitalter der Wissenschaft – obwohl in diesem Problem bei der Begründung einer Ethik für mich die externen und die internen Herausforderungen sozusagen zusammenkommen. Frage: Aber könnte man doch nicht einen Konflikt sehen zwischen den internen Herausforderungen der Philosophie und den externen Herausforderungen? Apel: Ja, ich habe das häufiger so zu konstruieren versucht, in dem Sinne nämlich, dass ich eine Paradoxie zu konstruieren versucht habe. Auf der einen Seite ist heute die Reichweite der Folgen der Entwicklung der Wissenschaft in der Technik, die Reichweite der menschlichen Aktivitäten aufgrund dieser technischen Macht, die wir haben, so riesengroß, dass daraus das Problem einer Verantwortungsethik erwachsen ist, wie es sich noch nie vorher ergeben hat. Das hat ja sehr anschaulich Hans Jonas in seinem Buch „Prinzip Verantwortung“ dargelegt. So ist also tatsächlich das, was homo faber anrichten kann, noch niemals so sehr zu einer Herausforderung für die Ethik geworden wie heute in unserer Zeit. Man könnte da sozusagen eine Entwicklungslinie von den Anfängen der Evolution bis in das Atomzeitalter und das Zeitalter der ökologischen Krise ziehen, wie ich das auch versucht habe in „Funkkolleg Ethik“. Auf der anderen Seite ist aber die Entwicklung des Begriffs Rationalität auch im Zeichen der Wissenschaft erfolgt derart, dass etwa seit Max Weber die meisten überzeugt sind, dass unsere Rationa– 144 –

Rekonstruktion der Vernunft

lität absolut wertneutral ist und im Problem der Ethik nichts ausrichten kann. Das findet sich übrigens, wie ich jetzt sehe, auch in der Dialektik der Aufklärung bei Horkheimer und Adorno. Sie setzen ja in dieser Dialektik der Aufklärung absolut kein Vertrauen mehr in die Möglichkeit, dass aus der Vernunft heraus irgendwie eine Ethik begründet werden könnte. So ergibt sich die Paradoxie, dass dieselbe wissenschaftliche Rationalität, die die Notwendigkeit einer Verantwortungsethik in so krasser Form heraufbeschworen hat, auf der anderen Seite, als innere Herausforderung an die Philosophie, zu dem Ergebnis zu führen scheint, dass so etwas wie eine rationale Begründung der Ethik unmöglich ist. Frage: Aber könnte dieser Konflikt zwischen internen und externen Herausforderungen der Philosophie nicht dazu führen, die philosophische Tradition selbst in Frage zu stellen, d.h. was ist uns heute unsere eigene philosophische Tradition wert? Apel: Dieser Konflikt, den wir soeben skizziert haben, führt meines Erachtens in der Tat zu einer Infragestellung der philosophischen Tradition; ich habe das immer aufgefasst als eine Infragestellung dessen, was ich Szientismus genannt habe: der Reduzierung der Vernunft auf technisch-szientifische Rationalität, oder andererseits auf Zweckrationalität im Sinne Max Webers oder schließlich auf strategische Rationalität. Diese Rationalitätstypen stehen heute bei den meisten Leuten für Rationalität schlechthin. Darüber hinaus sieht man keine Kapazität der Vernunft mehr. Und das hat nun allerdings, fürchterlicherweise, in den letzten Jahren dazu geführt, dass man nicht mehr versucht, wie ich es – 145 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

immer versucht habe, die Vernunft so zu rekonstruieren, dass man sozusagen die verschütteten Dimensionen wiederholt, sondern dass man die Vernunft insgesamt wegwirft. Man nimmt seine Zuflucht zum Irrationalismus und kritisiert die Vernunft total. Das ist das Phänomen, das ich jetzt in der postmodernistischen Bewegung sehe. Und das hat mich z.B. jetzt dazu gebracht, die Abfassung meiner Ethik, die längst geplant war, zu verzögern, weil ich jetzt sehe, dass ich anders anfangen muss. Ich kann nicht mehr einfach anfangen mit der Paradoxie und dem Problem des Szientismus, das ich schon im Griff zu haben glaubte; das neue Problem ist jetzt vielmehr die totale Vernunftkritik. Die Leute haben sozusagen auf die Krise des Szientismus anders reagiert, als ich mir das versprochen hatte. Mein Programm war etwa das folgende: Wir müssen die Vernunft rekonstruieren; wir müssen zeigen, dass die Vernunft nicht nur das ist, was Max Weber oder auch der späte Horkheimer und Adorno darunter verstanden haben. Die Vernunft ist weiter, sie hat eine Kapazität auch z.B. zur Begründung der Ethik. Der Szientismus kann überwunden werden. Das war mein Programm. Jetzt aber sehe ich mich konfrontiert mit einer Vernunftkritik, die im Gegenteil sagt: Nein, die Vernunft ist von vornherein sozusagen verfehlt gewesen, und unsere ganze Kultur, die an dieser Vernunft und an der Fortschrittsidee haftet, die ganze Moderne mindestens, oder, mit Heidegger zu reden, die ganze Tradition, die durch die Metaphysik bestimmt ist, muss überwunden oder „verwunden“ werden, dies alles im Zeichen von etwas „post-“, von dem man nicht sagen kann, was es sein wird. – 146 –

Rekonstruktion der Vernunft

Dubrovnik 1992

Frage: Aber zu einer Vernunftposition, die etwa Hegel vertreten hat, möchten Sie ja auch nicht zurückkehren. Apel: Nein, das geht auch wiederum nicht. Hier müsste man natürlich jetzt ein paar Worte dazu sagen, warum ich die Transformation der Philosophie doch primär an der Idee einer Rekonstruktion der Transzedentalphilosophie orientierte. Obwohl hier nicht alles so sein würde wie bei Kant! Jedenfalls eher an dieser Idee als z.B. an der Vernunftidee Hegels. Die Vernunftidee Hegels ist mir zu umfassend. Aber das ist noch missverständlich ausgedrückt. Ich meine, in sehr vieler Hinsicht muss man Hegels KantKritik beherzigen und ernst nehmen und ihr Rechnung tragen, z.B. auch in der Ethik. Natürlich hat Hegel die „substanzielle Sittlichkeit“ überhaupt erst entdeckt. Er hat überhaupt erst entdeckt, dass es nicht nur eine empirisch zu erkennende Natur einerseits und ethische – 147 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

Postulate andererseits gibt, sondern dass es eine Wirklichkeit gibt – eine Wirklichkeit der Sittlichkeit-, in der der Geist objektiv und erkennbar ist. Das hat er zuerst entdeckt, und ohne das gäbe es überhaupt keine Geisteswissenschaften – ohne diese Entdeckung des objektiven Geistes, die es bei Kant ja noch nicht gab. Aber trotzdem meine ich: Hegel ist in seinem Anspruch zu weit gegangen, indem er das alles begreifen wollte, sozusagen aus einer absoluten Position heraus, aus der man alles ex-post begreifen kann, aus der heraus es nicht mehr die Dimension der unbekannten Zukunft mit ihrem ganzen Gewicht gibt. Hier stellt sich auch das Problem einer formalen deontischen Ethik wieder und kann nicht aufgefangen werden in dem Gedanken, dass man alles als vernünftige Wirklichkeit begreifen könnte, wie Hegel das will, und zwar von einem göttlichen Standpunkt aus. Sondern der endliche Mensch steht in einer Situation, in der nach vorne gelebt werden muss, um mit Kierkegaard zu reden. Und in dieser Dimension, in der nach vorne gelebt werden muss, stellt sich auch das Problem einer Sollensethik. Hier kann das Sollen nicht eingeebnet werden in das vernünftige Wirkliche, das man nur noch zu erkennen, zu begreifen hätte, wie das bei Hegel suggeriert wird. Als Menschen, für die sich das Problem der praktischen Vernunft stellt, haben wir diesen Standpunkt nicht, den Hegel da anlegt. Hegel wäre unwiderleglich, wenn man den Standpunkt seiner Philosophie wirklich einnehmen könnte: diesen quasi-göttlichen Standpunkt, der ja eigentlich am Ende aller Zeiten seinen Ort hat. Aber wir können diesen Standpunkt nicht einnehmen, wir stehen in der Situation. Und das ist ja – 148 –

Rekonstruktion der Vernunft

auch der Punkt, wo Heideggers Analyse so faszinierend ist. Er hat diese Situationsanalyse durchgeführt, von wo aus sich dann die verschiedenen Dimensionen, „Extasen“, der Zeitlichkeit ergaben. Es ist eben ein fundamentaler Unterschied zwischen der Gewesenheit und der Zukünftigkeit unseres In-der-Welt-Seins. Aus diesen Zeitdimensionsunterschieden ergeben sich verschiedene Aufgaben auch für die Philosophie, unter anderem auch die Aufgabe der Sollensethik. Frage: Aber wo würden Sie in dieser transformierten Vernunft die Grenzen Ihres Programms setzen, sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht? Eine „All-Situation“ oder einen absoluten Standpunkt, wie ihn Hegel beansprucht, beziehen Sie ja offensichtlich nicht. Wo liegen die Grenzen? Apel: Ja, das ist ein schweres Problem, weil ich dieses Problem auch nicht mehr so lösen möchte, wie Kant es gelöst hat. Z.B. habe ich die Lösung Kants im Sinne der Unterscheidung zwischen bloßen Erscheinungen und ‚Ding an sich‘ immer als sinnkritisch unhaltbar empfunden. Es kann nicht etwas unterstellt werden als schlechthin unerkennbar, von dem man doch dauernd reden muss und dessen Funktion man doch dauernd in Anspruch nehmen muss. Ich würde an dieser Stelle eine andere Lösung ins Auge fassen: eine Lösung, die einerseits berücksichtigt, dass nicht alles a priori sein kann, dass wir das Gewicht externer, empirischer Erfahrungen und empirischer Wissenschaften voll in Rechnung stellen können müssen, was Hegel nicht zeigen kann; und auf der anderen Seite doch aber mit Hegel unterstellen muss, dass es eine interne Bezie– 149 –

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hung sozusagen der Vernunft zu allem, was zu erkennen ist, immer schon von vornherein geben kann. Ich habe die Lösung immer bei Peirce gesehen, die richtige Lösung: Das Reale oder das Ding-an-sich ist nicht das Unerkennbare, sondern das unendlich Erkennbare, im Unterschied zu dem, was je erkannt sein kann. Es kann also nie erkannt sein. Der Unterschied liegt zwischen dem Erkennbaren und dem, was erkannt sein kann. Das andere, was nicht faktisch erkannt sein kann, das Wirkliche im emphatischen Sinne, das ist aber nicht unerkennbar, sondern es ist eben das unendlich Erkennbare. Es ist also dasjenige, von dem aus die neuen Affizierungen ausgehen, somit die neuen Ergebnisse der Erfahrung und auch der empirischen Wissenschaft; das insofern also für uns nicht a priori antizipierbar sein kann, wie Hegel es suggeriert, das aber andererseits doch a priori in der Reichweite unserer endlichen Vernunft liegt, nicht in dem Sinne außen und unerkennbar ist, wie Kant es unterstellt hat, so dass man dann nicht mehr verstehen kann, wie der Philosoph, der das sagt, davon reden kann, und sogar die Affizierungsfunktion dieses Unerkennbaren unterstellen kann. Das waren die Schwierigkeiten, die bei Kant auftraten. Und die Kritik Hegels an Kant, auch in der Erkenntnistheorie, halte ich zum Teil für berechtigt. Aber, wie gesagt, nicht mit dem Ergebnis, mit dem Hegel sich da herauszieht. Frage: Das heißt, Sie würden für Ihre Position dann nicht so sehr qualitative Grenzen annehmen, sondern extensional zu verschiebende Limitierungen.

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Rekonstruktion der Vernunft

Apel: Ja, also, echte Erfahrungen des Neuen möchte ich einräumen, z.B. in der Wissenschaftstheorie, in der Erkenntnistheorie. Was das bedeutet, zeigt sich, wenn man das Kapitel Über „sinnliche Gewissheit“ bei Hegel diskutiert, in der Phänomenologie des Geistes. Hier hat Hegel ja faktisch die Möglichkeit, in Experimenten mit Hilfe der indexikalischen Wörter auf etwas hinzudeuten, was nicht a priori durch Begriffe schon erfasst ist, abgeschnitten . . . Er hat die Funktion der indexikalischen Ausdrücke nicht verstanden. Er hat nur die ‚Hierheit‘ oder die ‚Diesheit‘ begriffen. Aber die Funktion der indexikalischen Ausdrücke ist nicht eine begriffliche Funktion. Hier ist auch wieder Peirce entscheidend wichtig, indem er zwei weitere Funktionen der Zeichen hinzunimmt: nicht nur die begriffliche Funktion, sondern darüber hinaus die indexikalische und die ikonische Funktion. Damit hat Peirce die semiotischen Mittel geschaffen, um zu zeigen, wie die Sprache in der Wahrnehmungsebene das Neue der Erfahrungen verarbeitet, sich auf die Realität beziehen kann in einer Weise, dass nicht der Begriff im vorhinein alles Wesentliche über die mögliche Erfahrung vorwegnimmt, sondern so, dass man sieht, dass die Sprache selber offen ist zur Erfahrung hin. Sie ist eben offen dank dieser zwei nicht-begrifflichen Zeichenfunktionen: der indexikalischen und der ikonischen Funktion. Das ist bei Peirce so raffiniert gedacht, dass man nicht seine Zuflucht nehmen muss zum schlechthin Außersprachlichen, wie bei Feuerbachs Kritik an Hegel, wo einfach auf die Anschauung verwiesen wird. Feuerbach verwies auf diese Frau, die ich liebe, und dieses Brot, das meinen Hunger stillt. Der Hinweis ist – 151 –

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herrlich und deutet auf das Problem hin. Aber, wie man das nun auch noch semiotisch begreifen kann, dass die Sprache selbst die Vermittlung leistet zu dem unmittelbaren Sinn der Wahrnehmung, das hat Peirce gezeigt durch die Erweiterung der Semiotik, der zufolge es eben nicht nur begriffliche Zeichen gibt. Hegel hat die Sprache auf die Begriffszeichen reduziert. Das ist eine von jenen Stellen, wo die Weichen anders gestellt werden können, meines Erachtens. Frage: Wir sprachen über die Grenzen, die Sie selbst setzen in Ihrem Programm, sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht. Ist ein axiomatischer Vernunftanspruch in praktischer Hinsicht nicht problematisch? Apel: Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit dem Problem befasst, wie eine universalistische formale Sollensethik ins Verhältnis zu setzen wäre zu solchen Ethiken, die sich um die konkrete Lebensgestaltung eines Individuums kümmern, oder andererseits um die gelebte Sittlichkeit, das gelebte Ethos einer Gemeinschaft. Ich bin der Meinung, dass man nicht eine der beiden Seiten auf Kosten der anderen vernachlässigen darf. Ich kann das vielleicht mal drastisch klar machen. Michel Foucault hat ja diese drei oder vier Bände der Geschichte der Sexualität geschrieben und hat dort im Rahmen dieses Zusammenhangs eine Ethik des „souci de soi“ entwickelt, also eine Ethik der Selbstsorge. Er meint: das ist die vorkantische, die antike, die vorstoische, vorchristliche Art, Ethik zu sehen, nämlich, dass man das Problem in der jeweils individuellen Realisierung des guten Lebens oder in der Verwirklichung des – 152 –

Rekonstruktion der Vernunft

authentischen Lebens im Sinne eines schönen Lebensstils sieht. Nun ist das gewiss ein Problem, das m.E. auch heute besteht und das nicht verloren gehen darf, ganz im Sinne dessen, was Foucault da sagt. Aber auf der anderen Seite würde ich meinen, es wäre eine Katastrophe – um jetzt ein Zitat von Foucault auf den Kopf zu stellen – es wäre eine Katastrophe, wenn man dieses Problem der individuellen Realisierung des guten Lebens bei einzelnen und bei Völkern heute realisieren wollte ohne Rücksicht auf die universalen Prinzipien der Moralität, die zuerst durch Kant entwickelt worden sind. Foucault sagt genau das Gegenteil. Foucault sagt, es wäre eine Katastrophe, wenn man heute, wenn man für diese Welt, in der wir leben, universale Moralprinzipien geltend machen wollte. Ich kann das gar nicht verstehen. Frage: Aber gerade im Zusammenhang mit dieser Kritik an Foucault stellt sich doch ein grundlegendes Problem: Wie universell kann wirklich Philosophie denken? Hier wäre auf die Kulturrelativität philosophischen Denkens hinzuweisen. Apel: Ich sehe das Problem ein bisschen anders. Ich würde sagen, auf der einen Seite kann die Philosophie gar nicht universell genug denken. Also das Prinzip der Moralität, das Prinzip, das man auch Universalisierungselement nennt heute, das zuerst im kategorischen Imperativ von Kant angezielt war, das Prinzip der Verallgemeinerung der Gegenseitigkeit würde ich sagen, das Prinzip, das den Menschenrechten zugrunde liegt, dem universalen Anspruch dieser Menschenrechte, das muss in seiner formalen Abstraktheit schlecht– 153 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

hin ohne Rücksicht auf alle partikularen, historischen, kulturellen Gegebenheiten gedacht werden. Aber auf der anderen Seite muss man genau so radikal als Ergänzung dazu auch die besonderen Lebensformen mit ihrem besonderen Ethos und die besondern Lebensläufe auch der Individuen mit ihrer besonderen Problematik der Realisierung des gelungenen Lebens zu denken versuchen. Diese beiden Seiten sind nicht einander ausschließend. Sie sind auch nicht einander irgendwie vermischend. Sie sind komplementär. Ich würde sagen: die Aufgabe, im alten griechischen, aristotelischen Sinne, ein gelungenes Leben zu realisieren, besteht für den einzelnen und besteht für Völker heute genauso wie immer, aber sie darf nur noch realisiert werden unter den einschränkenden Bedingungen universaler Prinzipien. Wenn das nicht geschehen würde, würden wir heute in eine Katastrophe hinein kommen. Diese Einsicht hat sich übrigens bei Foucault sehr schön gezeigt, als er zuletzt mit der Problematik der Menschenrechte konfrontiert wurde. Da hat er natürlich automatisch, als guter progressiver Europäer, sich für die Menschenrechte engagiert, obwohl er vorher immer nur polemisiert hatte gegen universale moral policy. Aber es ist ja klar, dass die Menschenrechte – sozusagen abstrakt einschneidend in die konkreten Lebensformen, die jeweils geschichtlich geworden sind – ein abstrakt universales formales Prinzip zur Geltung bringen. Eine Kommunikationsethik, wie ich sie mit Habermas vertrete, würde darüber hinaus versuchen, die Verständigung zwischen den verschiedenen konkreten Lebensformen so zu regeln, dass man sich vorstellen kann, wie es möglich sein kann, dass die verschiedenen kon– 154 –

Rekonstruktion der Vernunft

Moskau 1993, 1.v.l.: Raoul Fornet-Betancourt, 3.v.l: Enrique D. Dussel, Universidad autónoma de la Ciudad de México

kreten Lebensstile und Lebensformen als Versuche, das gelungene Leben jeweils zu realisieren, so miteinander ins Verhältnis gesetzt werden können, dass zugleich die universalen Prinzipien berücksichtigt werden können. Wir sind ja faktisch heute in zahllosen Gesprächen jeden Tag vor diese Aufgabe gestellt. Es ist ja gar nicht so, wie die Neoaristoteliker das sehen, dass es nur die kulturspezifischen Üblichkeiten des Alltags gäbe, sondern es gibt ja die Hunderte von Gesprächen, die jeden Tag durch die Medien übertragen werden, in denen die Kulturen einfach darauf angewiesen sind, für zahllose, die Menschheit angehende Fragen Lösungen zu finden, die eine Verständigung zwischen den verschiedenen Lebensformen beinhalten und somit voraussetzen. Man müsste das analysieren, was da vor sich geht in – 155 –

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diesen vielen Gesprächen, in denen zumindest der Anspruch erhoben wird, es ginge um die Bedürfnisse aller Betroffenen. Wir wissen natürlich alle, dass das in Wirklichkeit immer nur eine Prätention ist, die beeinträchtigt wird durch die strategischen Interessen, die im Spiele sind, und durch die Selbstbehauptungsinteressen verschiedener Systeme. Jetzt müsste man die funktionalistische Systemtheorie einschalten. Das sind wieder andere Perspektiven, die ja auch zur Geltung gebracht werden müssen. Es gibt nicht nur das gelebte Ethos in dieser weichen Art, wie es die Neoaristoteliker sehen, die Lebensform. Es gibt daneben harte Selbstbehauptungssysteme, es gibt die heute weltweit reichenden strategischen Überlegungen und die Rationalität dieser strategischen Interaktion. Und es gibt die Prinzipien einer universalistischen Ethik. Diese verschiedenen Dinge müssen sozusagen in der richtigen Weise in Beziehung zueinander gesetzt werden, wobei die letzten regulativen Prinzipien allerdings m.E. solche der universalistischen Diskursethik sein müssen. Frage: Hier ist allerdings zu unterstreichen, dass diese Verständigung auf keinen Fall auf Kosten der Differenz kultureller Identitäten erreicht werden soll. Apel: Ich möchte hier noch einmal auf ein Paradoxon zurückkommen – ich würde es das Foucault’sche Paradoxon nennen. Es ist nicht nur das Foucault’sche Paradoxon, es ist m.E. auch das Paradoxon der Neoaristoteliker, wie Marquard zum Beispiel. Das geht soweit, dass man, unter diesem Gesichtspunkt, den Sie eben geäußert haben, geradezu Angst hat vor der universalistischen Ethik und möglicherweise zu dem Er– 156 –

Rekonstruktion der Vernunft

gebnis kommen möchte: wenn wir viele Blumen haben wollen und alle Blumen blühen sollen, wenn wir also möglichst viel gelebte Mannigfaltigkeit haben wollen – so hat es ja Marquard ausgedrückt –, dann müsste sozusagen die Ethik selber auch pluralistisch sein. Genauso sieht es Foucault. Er sieht in der universalistischen Ethik die Gefahr der Repression, der Uniformierung und der Vergewaltigung der Vielfalt der Lebensformen. Ich halte das nun aber für einen Denkfehler, diese ganze Figur ist ein Denkfehler. Es ist gerade umgekehrt. Jeder gelernte Jurist, jeder, der die Geschichte der Menschenrechte wirklich studiert hat, und die Geschichte der Grundrechte in den einzelnen Demokratien, der weiß: Wenn man möglichst viel Vielfalt und Freiheit der persönlichen individuellen Glücksrealisierung möglich machen will, dann muss man auf der anderen Seite formale universale Prinzipien geltend machen können, die für alle gleichmäßig gelten. Man muss dann sozusagen das allgemeine gleiche Recht aller Individuen und auch aller kollektiven Lebensformen auf Realisierung ihres gelungenen Lebens geltend machen können. In Wirklichkeit besteht hier auch gar kein Gegensatz. Wenn ich z.B. die anderen in ihrer Individualität anerkennen will, dann muss ich sie gleichzeitig eben deshalb gerade in ihrer Gleichheit mit mir anerkennen. Man sieht nicht, dass die Entwicklung im Sinne der Individualisierung und die Entwicklung zur Universalisierung hin zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, dass beides in demselben Punkt entspringt. In dem Maße, wie die universellen Gleichheiten der Menschen anerkannt worden sind, in dem Maße hat man auch die Möglichkeit geschaffen – min– 157 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

destens auf der Ebene des Rechts ist das nachweisbar –, die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten immer mehr anzuerkennen, immer mehr zu ermöglichen. Man kann auch die Gegenprobe machen. Man kann zeigen, dass in archaischen Lebensformen, in denen es so etwas wie die Anerkennung menschlicher Grundrechte noch nicht gibt, in denen es Hierarchien, Privilegien gibt, Unterschiede zwischen Herren und Sklaven oder Unterschiede zwischen Griechen und Barbaren, natürlich auch zwischen Männern und Frauen, usw., dass in solchen Lebensformen eben auch die Individualität der Personen nicht entfernt so zur Geltung gebracht werden kann wie in solchen Formen, die z.B. gleiche Grundrechte aller Menschen verankert haben. Und sie müssen sie natürlich in universellen Normen verankert haben. Ich kann nur noch einmal zusammenfassen: Es ist ein Denkfehler, das gegeneinander auszuspielen. Frage: Aber das, was sie einen Denkfehler nennen, könnte das nicht auch doch die Figur einer Denkart sein, die sich aus der Konfrontation mit der Geschichte der imperialistischen Expansion der europäischen Kultur heraus artikuliert? Apel: Ja, ich habe das selbst in dieser Dimension oft erlebt. Als ich zum ersten Mal Gedanken meiner Universalistischen Diskursethik (Kommunikatonsgemeinschaft u.s.w.) vor Vertretern der Dritten Welt vortrug, da stieß ich plötzlich auf einen erbitterten Widerstand. Ich war erstaunt über ein Phänomen, das ich erst langsam verarbeiten musste: dass die meisten, die den kolonialen Imperialismus Europas erlebt haben, zu dem – 158 –

Rekonstruktion der Vernunft

Schluss gelangten, es müsse nun das Heil in der Vertretung eines radikalen Relativismus gesucht werden. Man müsse sozusagen als Wiedergutmachung oder als Gegenthese zu dem Eurozentrismus, zu dem Kulturimperialismus der Kolonialepoche, jetzt den radikalen Pluralismus und Relativismus aller Werte predigen. Das halte ich wieder für einen Denkfehler, der ähnlich strukturiert ist wie der andere Denkfehler, den ich den Foucault’schen nennen würde. Ich könnte ihn auch den Marquard’ schen nennen. Es ist natürlich klar, dass wir die Wiedergutmachung für den Eurozentrismus, für den Kulturimperialismus der Kolonialzeit, darin sehen müssen, dass wir gerade die Abweichungen der Europäer von der universellen Moralität brandmarken müssen. Wir müssen zeigen, wie diese Europäer sozusagen nur im Namen universaler Moral ihre eurozentrischen Sonderperspektiven und Vorrechte zur Geltung gebracht haben. Das ist übrigens ganz genauso in der Frage des Frauenrechts. Da hat man denselben Denkfehler. Ich habe es jetzt vor kurzem erlebt, dass die Feministinnen versuchen, auf der einen Seite die Vergangenheit anzuklagen in dem Sinne, dass die Männer die Gleichberechtigung der Frauen missachtet haben. Auf der anderen Seite aber stehen sie unter der ständigen Versuchung jetzt, ein feministisches Sonderdenken zu predigen, in dem es nicht mehr die eine Vernunft aller Menschen und die eine Wahrheit gibt, sondern eine besondere Wahrheit für Frauen und eine besondere Vernunft für Frauen. Ich halte das auch wieder für genauso falsch wie den Versuch, die Gleichberechtigung der Dritten Welt dadurch durchzusetzen, dass man sich auf die schrankenlose Verschiedenheit aller Ethiken und – 159 –

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aller Wahrheiten beruft. Das geht ja natürlich solange ganz gut, wie man – inkonsequenterweise – daran festhält, dass eben alle gleichberechtigt sind und dass diese Gleichberechtigung nur durchzusetzen ist. Aber wenn man das Zusammenleben der verschiedenen Lebensformen wirklich möglich machen will, dann muss man ja doch gerade diejenigen universalen Rechte und Normen zur Geltung bringen, die eben die Gleichberechtigung der verschiedenen Lebensformen in ihrer Eigenart möglich machen. Frage: Nun ist Normenfindung ja nur ein Aspekt, nicht die Vollgestalt weder der Kultur noch der Ethik noch der Praxis generell. Sie selbst nehmen ein zweistufiges Verfahren an: eine Normbegründung und dann eine Strategie, die die situationsbezogene Norm formuliert. In der Tradition nannte man das Applikation. Erfahren diese allgemeinen Normen in der konkreten Applikation eine Variante, eine Änderung, eine situationsbedingte Modifikation oder nicht? Apel: Es sind hier m.E. drei verschiedene Phänomene zu berücksichtigen, die nicht identisch sind. Man kann einmal sagen, dass bei allen Normen einer deontischen Ethik sich das Problem der Normenanwendung stellt. Und für die Anwendung hat man nicht wieder Regeln, wieder Normen. Es muss irgendwo da die Urteilskraft oder die Phronesis, um mit Aristoteles zu reden, in die Lücke springen. An dieser Stelle, wo nun die Urteilskraft bzw. die Phronesis die Normanwendung auf die Situation zu leisten hat, an dieser Stelle ist natürlich auch die Vermittlung zu leisten zwischen einer deontischen Normenethik und andererseits einer – 160 –

Rekonstruktion der Vernunft

Im Arbeitszimmer in Niedernhausen, November 1998

Ethik z.B. der Realisierung einer authentischen Lebensform im Sinne eines gelungenen Lebens. Aber es ist nicht dasselbe. Ich würde eher sagen: Einerseits ergibt sich aus der Sicht der deontischen Logik das Problem der Regelanwendung und insofern das Problem der Urteilskraft oder der Phronesis. Auf der anderen Seite – 161 –

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muss man aber sagen, dass die gesamte Normenethik komplementär ist zu einer Weltethik, die aus der Perspektive der Teleologie der Lebensrealisierung gedacht ist. Wenn es um die Letztbegründung von normativen Prinzipien geht, dann arbeite ich nicht mit dem Begriff Wert. Ich würde sagen, die Werte gehören in den Zusammenhang der besonderen Lebensform. Die Werte sind auch immer relativ auf besondere Lebensformen. Ich würde es niemals für möglich halten, eine universal gültige Wertethik zu begründen in dem Sinne, wie Max Scheler und Nikolai Hartmann das versucht haben. Ich halte nur eine Komplementarität für möglich zwischen universal gültigen normativen Prinzipien sehr formaler Art einerseits und andererseits den notwendigen Versuchen, individuelle Lebensformen zu gestalten. Zu der Gestaltung individueller Lebensformen gehört eine Fülle von Wertungen, die wir jeden Tag vornehmen. Wir werten unsere Lebenswelt, um unser individuelles Leben zu realisieren. Das ist ein Bereich, in dem es immer die Sonderperspektiven geben wird und geben muss: Sonderperspektiven der Individuen und auch Sonderperspektiven der kollektiven Lebensformen. Das Problem ist nun aber – das Komplementaritätsproblem, wie ich es auch hier mal nennen will –, dass die Realisierung der verschiedenen Werte und die Realisierung somit der verschiedenen Lebensformen in Einklang gebracht werden soll zu der universal verbindlichen Anerkennung von formalen Prinzipien der Moralität, wie z.B. in den Menschenrechten. Frage: Aber die Phronesis kann diese Vermittlung nicht leisten?

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Rekonstruktion der Vernunft

Apel: Diese Antwort würde ich als schief ansehen. Je in der Situation, sozusagen vor Ort, muss immer Phronesis funktionieren oder Urteilskraft, um mit Kant zu reden. Aber es handelt sich heute um ein grundsätzlicheres und größeres Problem als das der Phronesis der einzelnen Individuen. Das Problem heutzutage ist das der Koexistenz der verschiedenen Lebensformen in der einen planetaren Lebenswelt. Die verschiedenen kulturellen Lebenswelten sind heutzutage zu einer Welt zusammengewachsen. Das kann man nicht mehr rückgängig machen. Das ist heute Realität. Wir müssen heute z.B. für unsere wissenschaftlich-technischen, kollektiven Aktivitäten eine solidarische Verantwortung übernehmen, sogar im planetaren Maßstab. Um das aber möglich zu machen, um das zu organisieren, muss es gelingen, die Seite der individuellen Lebensgestaltung und die Seite der universalen Normen in das richtige Verhältnis zu bringen. Und diese Aufgabe – jetzt komme ich zur Antwort – ist nicht zu lösen: nur von jedem einzelnen vor Ort durch seine Phronesis. Das würde eine Unterschätzung des Problems bedeuten. Das Problem ist das einer Diskursethik. Das ist das Problem einer in 100 oder in 1000 Gesprächen zu realisierenden Verständigung – jeden Tag neu auf allen möglichen Ebenen. Das ist mehr als nur: „Üblichkeiten plus Phronesis“. Das würde ich die neoaristotelische Suggestion nennen, die man m.E. als komischen Anachronismus ansehen muss, wenn man das Buch von Jonas gelesen hat und wirklich bedenkt, was es heißt, dass wir zum ersten Mal als Menschen nicht nur in unseren Lebensformen das gute Leben zu realisieren haben, sondern die Aufgabe haben, schon um des Überlebens – 163 –

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willen im planetaren Maßstab die solidarische Verantwortung für die weitreichenden Auswirkungen unserer technisch wissenschaftlichen Aktivitäten zu übernehmen. Das sind Aufgaben, die sich in einer ganz anderen Ebene stellen als die Aufgabe einer traditionellen Individualethik, in der ich nur das Gelingen meines Lebens bedenke. Frage: Aber vielleicht liegen hier auch Missverständnisse vor. Man kann daran erinnern, dass Aristoteles die Kompetenz der verschiedenen Ethiktypen durchaus gesehen und eingegrenzt hat, wenn er von der Ethik des Individuums spricht, von der Ethik der Ökonomie und von der Ethik der Polis, in der Gerechtigkeit eine Rolle spielt. Wenn man nur auf die Phronesis rekurriert, ist das ethische Instrumentarium unterschätzt. Aber undifferenziert waren die alten Ethiker offensichtlich nicht. Apel: Ich will das gerne im ganzen aufnehmen. Ich habe in der letzten Zeit am Seminar viel Aristoteles diskutiert: Nikomachische Ethik, Politik, Rhetorik usw. Aristoteles war natürlich kein Neoaristoteliker, er hat vielmehr den damals überschaubaren Bereich der Individualethik und einer Polisethik, einer politischen Ethik, durchaus abgeschritten und hat wie Sie schon angedeutet haben, in all diesen Dimensionen das gesagt – nun ja –, was er aufgrund seiner Zeit sagen konnte. Aber wenn man das ins Auge fasst, dann eben ist es so unglaublich, in der heutigen Zeit, die völlig anders ist (und das wäre jetzt zu zeigen, in welcher Hinsicht sich heute einiges geändert hat), ganz einfach auf Aristoteles zu rekurrieren und an ihm ein hinreichendes – 164 –

Rekonstruktion der Vernunft

Orientierungsmodell finden zu wollen. Ich möchte dabei übrigens betonen, dass die neoaristotelische Vereinfachung der Problematik, nämlich diese – ich karrikiere bewusst noch mal – Reduzierung auf Üblichkeiten – das ist nicht mein Wort- plus Phronesis schon Aristoteles nicht gerecht wird. Die Tendenz bei Aristoteles war z.T. ganz anders als bei den Neoaristotelikern. Die Tendenz ging durchaus in Richtung Gerechtigkeit. Aber man muss wiederum auch sehen, dass es bei Aristoteles noch nicht zu einem Universalisierungsprinzip der normativen Ethik kam. Frage: Das ist richtig. Apel: Und das ist nicht nur theoretisch, sondern es ist auch praktisch von Wichtigkeit. Die Stoiker waren die ersten, die wirklich kosmopolitisch gedacht haben. Das hält ja Herr Foucault für eine Katastrophe, so wie schon Nietzsche. Aber vor einem kantischen Gesichtspunkt wird man das natürlich für einen Fortschritt halten müssen. Aristoteles hat die ethisch relevante Differenz zwischen Griechen und Barbaren und auch die zwischen Herren und Sklaven und Frauen und Männern in vollem Umfang aufrechterhalten, wie sein Lehrer Plato, und dies, obwohl es durchaus zu seiner Zeit und schon vorher Diskussionen über diesen Punkt gab, schon zur Zeit des Euripides, und andere anderer Meinung waren. Die Ethik des Aristoteles war eben in vieler Hinsicht noch keine wirkliche Überschreitung der konventionellen Ethik, um mit Kohlberg zu reden. Sie war es freilich in sehr entscheidenden Schritten sehr wohl. Es gibt bei Aristoteles sehr wohl Ansätze zu einer Ethik der distributiven Gerechtigkeit, die in die – 165 –

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Richtung auf Rawls weist, was übrigens gerade verschwiegen wird von den Neoaristotelikern. Die Tendenz ging nämlich ins Universale. Es war nur noch der Schritt von der konventionellen Binnenethik einer Polis zu einer universal gültigen kosmopolitischen Ethik, der noch nicht wirklich durchgeführt worden ist. Er ist in mancher Hinsicht erst von der Stoa geleistet worden, die aber wieder andere Defizite hatte. Wir jedenfalls können nicht zurück zu einer polis-bezogenen Binnenethik. Wir brauchen eine planetare, universalistische Ethik, die das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in dieser Zeit möglich macht. Um das richtig klar zu machen, müsste man jetzt eigentlich eine Rekonstruktion der Kultur-Evolution und der Entwicklung auch des moralischen und des Rechtsbewusstseins durchführen. Dann würde man auch z.B. zeigen können, wie die Üblichkeiten und die Konventionen sich geändert haben in den letzten 2000 Jahren, und vor allem in den letzten paar hundert Jahren, unter der Einwirkung z.B. naturrechtlicher und anderer universaler Prinzipien. Wir finden heute in allen Verfassungen Grundrechte eingebaut und dergleichen. Das sind Dinge, die zeigen, dass die Üblichkeiten nicht so sind, wie unsere Neoaristoteliker sie hinstellen ohne Rücksicht auf die geschichtliche Entwicklung. Die Üblichkeiten haben sich seit langem unter der Einwirkung universaler Prinzipien geändert. Unsere Institutionen sind nicht mehr so, wie die Institutionen einmal waren, sondern sie haben Reflexion und Diskurs in sich aufgenommen. Die Institutionen haben sich selber gewandelt unter der Anforderung der Reflexion der Aufklärung und ihrer Forderung nach universalen Diskursen. – 166 –

Rekonstruktion der Vernunft

Und heute haben wir schon eine ganze Menge Institutionen auf dieser Erde, die eigens nur im Zeichen dieser universellen Verständigung geschaffen worden sind. Wenn die manchmal strategisch verzerrt sind, durch Selbstbehauptungsinteressen von Machtgruppen verzerrt sind, dann liegt das wieder auf einer anderen Problemebene. Jedenfalls brauchen wir solche Institutionen, und wir sind angewiesen auch auf die Veränderungen der Üblichkeiten, die unter den universalistischen Ansprüchen in den letzten Jahrhunderten stattgefunden haben. Das sind aber alles Gesichtspunkte, die man nur durch geschichtliches Denken zur Geltung bringen kann. Und dieses geschichtliche Denken gibt es bei Aristoteles noch nicht. Das ist auch ein wichtiger Punkt; den habe ich noch gar nicht erwähnt. Das ethische Denken des Aristoteles ist nicht nur polisbezogen,es ist auch im wesentlichen ungeschichtlich. Da gibt es überhaupt noch keine Dimension der Entwicklung von Recht und Moral. Frage: Aber die Neoaristoteliker sind nicht Aristoteles. Apel: Der Neoaristotelismus von heute, das ist Aristoteles ohne Metaphysik. Das ist ein pragmatisch-hermeneutisch reduzierter Aristoteles, ein neokonservativer Aristoteles für die Zufriedenen. Ich könnte es noch anders karrikieren. Er hat eine ganz andere Tendenz. Frage: Aber kommen wir zu Ihrem Ansatz der Kommunikationsethik zurück. Die erste Frage betrifft die Rahmenbedingungen der Realisierung dieser Kommunikationsethik. Eine erste Voraussetzung für die konkrete Verwirklichung der Kommunikationsethik dürf-

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te die Reorganisation der politischen Welt sein, der Gesellschaft auf einer wirklich demokratischen Basis. Ohne Demokratie kann eine diskursive Ethik nicht realisierbar sein. Daher wäre meine konkrete Frage: Wie kommt die Kommunikationsethik, die Sie vertreten, mit dem Problem der Macht zurecht? Apel: Ich darf vielleicht zuerst noch etwas anderes vorausschicken. Ich erlebe es immer wieder, dass, wenn man so das Problem der Begründung der Ethik und, in dem Zusammenhang, der Begründung einer Diskursethik entfaltet, die Fragen nach der Realisierung zu früh kommen. Zunächst einmal ist ja das philosophische Begründungsproblem der Ethik eine esoterische Frage: Kann man überhaupt so etwas wie die Verbindlichkeit eines Sittengesetzes oder Prinzips der Moralität, das für alle gültig ist, rational begründen? Ich persönlich bin einer der weißen Raben, die das für möglich halten, im Sinne einer Letztbegründung. Nun, das mag die eine Seite sein. Man hat damit genug zu tun. Solange nicht gezeigt ist, dass die Realisierung einer solchen Ethik prinzipiell unmöglich ist, ist die Realisierungsfrage eine zweite Frage. Ich behandle sie in Teil B der Ethik. Ich pflege immer zwischen Teil A und Teil B der Ethik zu unterscheiden, weil in Teil B in der Tat fürchterliche neue Probleme hinzukommen. Ich würde nun sagen: wenn man nicht zeigen kann, dass die Realisierung prinzipiell unmöglich ist, dann ist die Realisierungsfrage überhaupt eine zweite Frage, die nicht unmittelbar vermischt werden darf mit der Frage nach der Gültigkeit des begründeten Prinzips. Ein Einwand gegen das Prinzip selber wäre nur der Nachweis, dass

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Rekonstruktion der Vernunft

Boston, August 1998, mit A. Andrejewski

die Realisierung prinzipiell unmöglich ist; das wäre ein Argument gegen die Begründung selber. Die Lage ist m.E. ganz genauso bei dem Problem des Fortschritts. Kant hat ja gesagt: der Fortschritt ist eine ethische Pflicht; und wenn jemand den Fortschritt für unmöglich hält, dann ist es an ihm, diesen Nachweis zu führen. Die Beweislast liegt bei dem anderen. Genauso würde ich hier die Lage auch sehen. Ob es gelingen kann, ein gültiges Prinzip der Moral zu realisieren: das ist eine zweite Frage. Man kann da sehr pessimistisch sein. Ich bin nicht optimistisch hinsichtlich dieser Realisierungsaussichten. Außerdem bin ich so viel Kantianer, dass ich glaube, dass die Realisierung niemals eine vollständige sein kann, dass es sich immer nur um regulative Prinzipien handelt, denen nichts Empirisches völlig entsprechen kann. Nach dieser Präambel sozusagen darf ich jetzt end– 169 –

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lich versuchen, Ihre Frage zu beantworten, wie ich es denn nun mit der Anwendung und der Realisierung halte oder vielmehr, was ich dazu denke. Sie haben natürlich völlig recht: In dem Moment, wo das Begründungsproblem gelöst wäre – wir können ja mal unterstellen, dass es gelöst wäre –, dann würde sich sofort das Problem stellen, das Prinzip der Moralität in Beziehung zu setzen – wie wir das schon festgestellt haben – zu dem Problem der konkreten Lebensformen und, in diesem Zusammenhang, zu dem Problem der Machtsysteme: der Selbstbehauptungssysteme, aufgefasst im Sinne der modernen funktionalistischen Systemtheorie, auf den Gebieten der Wirtschaft und der Politik; und die ethische Vernunft wäre dabei auch in Beziehung zu setzen zur strategischen Rationalität der menschlichen Interaktion. Das sind Dimensionen, die ich in letzter Zeit sehr oft zum Thema von Untersuchungen gemacht habe, indem ich versucht habe, die ethische Rationalität als die konsensualkommunikative Rationalität der Verständigung in Beziehung zu setzen zu der strategischen Rationalität wie sie die Spieltheorie erforscht, und auf der anderen Seite zu der Systemrationalität funktionaler Selbstbehauptungssysteme. Damit muss man selbstverständlich rechnen in der Dimension der Anwendung und der Realisierung. Diesen ganzen Problemkomplex pflege ich Teil B der Ethik zu nennen, und ich habe mir angewöhnt, zur Einleitung in diesen Komplex zuerst einmal ein Paradoxon zu konstruieren, wie ich es auch zu Beginn des Teils A konstruiere, zu Beginn des Begründungsteils. Bei dem Anwendungsteil haben wir folgendes Paradoxon: Eigentlich müsste man einfältigerweise postu– 170 –

Rekonstruktion der Vernunft

lieren können: das Prinzip der Ethik ist nun gefunden und für alle, die das einsehen können, müsste es möglich sein, so zusagen ab morgen 9.00 Uhr einen vernünftigen Neuanfang im Verkehr mit den anderen Menschen zu machen. Aber das Problem des vernünftigen Neuanfangs ist selbst das neue Paradoxon. Man kann dieses Problem sehr anschaulich studieren, wenn man z.B. Schriften der Friedensbewegungen liest. Aber auch die Schriften von Wissenschaftlern gehören hierhin, die uns z.B. klar machen, dass wir in einer Situation leben, wo die Uhr fünf Minuten vor Zwölf zeigt, wo es also darauf ankommt, jetzt endlich den homo sapiens zur Geltung zu bringen und ab morgen einen neuen Anfang zu machen, z.B. mit den ökologischen Problemen und mit den nuklear-strategischen Problemen, nämlich endlich Konfliktregelungen im Atomzeitalter nicht mehr durch Gewaltandrohung, also durch strategische Verhandlungen, sondern durch vernünftige Diskurse zu regeln. Das wäre natürlich ganz im Sinne der Anwendung einer Diskursethik. In ihrem Sinne wäre es z.B., alle Konflikte nur noch durch diskursive Konsensbildung zu lösen, und zwar nach dem Prinzip der Konsensfähigkeit der Lösungen für alle Betroffenen. Doch hier ergibt sich nun dieses Paradoxon des vernünftigen Neuanfangs. Warum können wir denn nicht morgen ab 9.00 Uhr alle diese Probleme nach den anerkannten Prinzipien einer Diskursethik in Angriff nehmen? Die Antwort muss natürlich mit Max Weber für jeden, der den Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik begriffen hat (und ich halte viel von diesem Unterschied im Unterschied zu vielen meiner Kolle– 171 –

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gen, die das runterspielen), lauten: Es ist nicht möglich. Wir müssen geschichtlich denken, wir können den vernünftigen Neuanfang nicht machen. Kein verantwortlicher Politiker im weitesten Sinne kann von der Voraussetzung ausgehen, dass es so etwas geben könnte wie den vernünftigen Neuanfang ab morgen, sondern er muss anschließen an die konkrete Situation. Und die konkrete Situation ist paradoxerweise so, dass selbst wenn alle Verantwortlichen besten Willens wären, den vernünftigen Neuanfang zu machen, sie es dennoch voneinander nicht mit Sicherheit wissen könnten. Daraus ergeben sich eine Reihe von Paradoxien, die auch in der strategischen Spieltheorie untersucht worden sind. Da nun aber jeder von diesen Verantwortlichen für ein Selbstbehauptungssystem oder sogar für viele einsteht – jede Person ist schon eins, dann gibt es Gruppen, Familien, Verbände, für die man steht, man steht als Politiker für Nationen, man steht in der Wirtschaft für Firmen, für Interessenverbände usw. – so ist es nie erlaubt, tatsächlich blauäugig davon auszugehen, dass alle ab morgen 9.00 Uhr den vernünftigen Neuanfang machen und alle Konflikte nur noch im Sinne der konsensualen Diskurse lösen, sondern es ist davon auszugehen, dass hier Selbstbehauptungssysteme mit verschiedenen Interessen miteinander in Konflikt sind und dass sie strategische Methoden befolgen werden. Unter strategischen Methoden verstehe ich jetzt keineswegs etwa nur gewaltsame Auseinandersetzungen – das ist noch das wenigste –, sondern ich verstehe darunter alle Arten von Verhandlungen, in denen man Angebote macht und auch Drohungen verwendet. Das kann natürlich auch verdeckt sein: verdeckte – 172 –

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Drohungen und verdeckte Angebote – so, wie wirkliche Verhandlungen vor sich gehen. Das ist ja eine andere Kategorie als der argumentative Diskurs. Der argumentative Diskurs würde dadurch gekennzeichnet sein, dass man weder verdeckt noch offen zu Angeboten und Drohungen seine Zuflucht nimmt, sondern nur zu Argumenten, in denen die Interessen der Betroffenen ermittelt und vermittelt werden. In Wirklichkeit haben wir es natürlich immer mit Mischformen zu tun bei den sogenannten Gesprächen, die jeden Tag stattfinden. Nun stellt sich das Problem: was folgt aus dieser Paradoxie, die ich soeben skizziert habe: dass wir nicht damit rechnen können, ab morgen den vernünftigen Neuanfang machen zu können, dass es auch unverantwortlich wäre von all denen, die Verantwortung für ein Selbstbehauptungssystem tragen, so blauäugig zu sein, das zu unterstellen. Es geht dabei jetzt nicht nur um Politiker. Ich habe einmal das Beispiel einer Familienmutter im Libanon oder in Nordirland ins Auge gefasst. Hier stellt sich das Problem der Zumutbarkeit der Moral. Unter Bedingungen eines Rechtsstaates ist dieses Problem ja völlig anders zu beantworten als unter Bedingungen des permanenten Bürgerkriegs. Unter den Voraussetzungen der angedeuteten Paradoxie also ergibt sich für mich das Problem der Realisierung der Diskursethik in Teil B der Ethik: das Problem der Realisierung des schon erwähnten Prinzips der Diskursethik, die Vermittlung zu leisten zu den komplementären Bereichen der konkreten Realisierung einer Lebensform. Ich erinnere noch einmal daran: der komplementäre Bereich im harmlosesten Sinne, das ist die – 173 –

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individuelle Realisierung des guten Lebens im Sinne Foucault’s: das Problem der Realisierung authentischer Lebensgestaltung. Dann kommen aber die viel ernsteren Probleme, die mich viel mehr plagen: die Komplementärprobleme der Machtsysteme und der strategischen Auseinandersetzungen. Sie stellen sich genau da, wo wir heute die kollektive Verantwortung als kollektive Kooperation organisieren müssen, im planetaren Maßstab. Wir können ja nicht mehr zurück zu irgendeiner Polisethik. Da stellt sich jetzt das Problem der Vermittlung zwischen strategischer Rationalität, Systemrationalität und konsensualkommunikativer Rationalität der Diskurse. Dafür brauchen wir jetzt regulative Prinzipien. Um jetzt die Flinte nicht ins Korn zu werfen, um das Ganze nicht etwa dem Weltgeist zu überlassen, wie Hegel es tut, sondern um das Vermittlungsproblem auch noch als Aufgabe einer Verantwortungsethik sehen zu können, müsste man jetzt regulative Prinzipien entwickeln für die Vermittlung der Diskursethik mit der strategischen Rationalität und der Systemrationalität der Selbstbehauptungssysteme. In diesen Termini fasse ich dieses Problem auf. Ich denke, dass man auch regulative Prinzipien dafür entwickeln kann. Nämlich z.B. von der Art – es ist natürlich immer enttäuschend, wenn man sie in ihrer formalen Abstraktheit sieht, diese Prinzipien – z.B. von der Art, dass jeder Politiker verpflichtet ist, nicht nur Krisenmanagement zu betreiben und nicht nur moralfreie Realpolitik, sondern permanent beharrlich daran mitzuarbeiten, dass die Verhältnisse sich dahin ändern, dass man z.B. Konfliktregelung durch strategische Verhandlungen approximativ ersetzen könnte durch echte Diskur– 174 –

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se, in denen die Interessen aller Betroffenen ermittelt und vermittelt würden. Es ist leider nur möglich, in solchen formalen Prinzipien an die Sache heranzugehen. Man kann z.B. versuchen, ein Prinzip aufzustellen wie das folgende: So viel Vorleistungen in Richtung auf ehrliche Diskurse wie möglich, so viel Vorsicht aus Risikoverantwortung wie nötig. Die Risikoverantwortung ist es ja, die den politisch Verantwortlichen dazu zwingt, sich auch strategischer Mittel zu bedienen und nicht etwa nur auf den offenherzigen Diskurs zu setzen. De facto ist es ja so, dass man z. B. hier das Prinzip, nicht zu lügen, de facto nicht anwenden kann. In jedem Diskurs, in dem strategisch interagiert wird, wird man natürlich täuschen und lügen, unausgesetzt. Dabei geht das ja nicht nur in dieser groben Form vor, wie der kleine Moritz sich das vorstellt, sondern in der Form, in der man die Dinge ein bisschen anders darstellt, die Darstellung einfärbt usw. Ich meine, wenn man es realistisch sieht: alle unsere Gespräche, die irgendwie auf wirtschaftlicher oder politischer Ebene oder auch sogar schon im Alltagsverkehr tangiert sind durch strategische Klugheit, sind ja auch mehr oder weniger von Täuschung bestimmt. Frage: Aber gerade hier stellt sich die Frage, inwieweit die Kommunikationsethik eine geschichtliche Lebensgrundlage voraussetzt, auf der erst die Durchsichtigkeit der Kommunikationsverhältnisse möglich wird. Also ohne Transparenz wäre vielleicht die Kommunikationsethik gar nicht möglich. Ist es denn überhaupt möglich, im Rahmen von Machtstrukturen eine Transparenz im Diskurs zu erreichen?

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Apel: Ja, ich sehe solche Probleme als Probleme von möglichen Entwicklungsdimensionen und von regulativen Ideen. Das ist der kantische Denkstil – auch wenn man nicht im einzelnen Kantianer ist –, dass man mit regulativen Ideen arbeitet. Ohne regulative Ideen müsste ich die Flinte sofort ins Korn werfen. Es ist natürlich klar: so etwas wie vollständige Transparenz, das gibt es natürlich nicht. Das gibt es nicht in der Verständigung, und auch in unserem Selbstverständnis gibt es das nicht. Natürlich werden wir endliche Menschen niemals mit vollständiger Transparenz auf irgendeinem dieser Gebiete rechnen können. Aber es hat dennoch m.E. einen sehr guten Sinn, in Richtung auf Transparentmachung sich an regulativen Ideen zu orientieren. In all diesen Problemen würde ich keineswegs von sehr optimistischen Voraussetzungen ausgehen, im Gegenteil. Kant war ja auch kein Optimist. Frage: Aber am Ende Ihrer Transformation der Philosophie schlagen Sie auch eine Strategie zur Emanzipation vor. In diesem Sinne könnte man sagen, Apels Transformation der Philosophie ist doch auch ein Beitrag zur Transformation der Welt. Apel: Eigentlich sollte es auch so sein. Ich würde es eine Schande nennen, wenn es das nicht wäre. Frage: Man könnte also doch sagen: da ist der Apel etwas konkreter geworden, als nur regulative Ideen vorzuschlagen . . . Apel: Ja, meinen Sie jetzt folgendes: Jedes philosophische Werk hat ja zwei Seiten. Einmal ist es sozusagen so esoterisch, dass es so tut, als ob es auf einem Refle– 176 –

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Korea 1998, Apel-Kongress

xionsstandpunkt außerhalb der Welt stünde. Und das ist ja das Eigenartige an unseren theoretischen Diskursen. Auf der anderen Seite ist es aber doch so, dass ein Diskurs oder ein Werk natürlich auch selber in die reale Entwicklung eingeht. Also hat es nicht nur regulative Ideen aufgestellt und über die Welt Urteile zu bilden versucht, sondern es ist auch selber ein Bestandteil dieser Welt geworden und hat insofern auch eine gewisse Wirkung. Heute sollte sogar der Philosoph diese seine Realwirkung auch noch mitzureflektieren versuchen. Und in diesem Sinne würde ich meinen, dass ich das, was ich damals, in etwas emphatischen Worten, der Zeit gemäß, gesagt habe – es ist schon lange her, 1972/73 –, dass ich das noch immer verantworten kann. Ich würde das heute ein bisschen anders ausdrücken, weil ich seit langem z.B. versuche, jede Art von Utopismus, von schlechtem Utopismus, aus dem Ansatz zu entfernen. Ich würde heute sehr betonen, dass ich z.B. nie intendiert habe, mit der idealen Kommunikationsgemeinschaft die Umformung der Gesell– 177 –

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schaft im Sinne einer einheitlichen Lebensform vorzuzeichnen. Die ganze platonische Utopie-Tradition, von Platos „Politeia“ bis zu Mao und Lenin hin, ist ja die Tradition der Rekonstruktion sozusagen der substantiellen Sittlichkeit in einem Idealstaat und einer idealen Gesellschaft. Diese ganze Tradition würde ich heute distanzieren. Sie ist wirklich gefährlich. Da versucht der Philosoph das Größte: substantielle Sittlichkeit im Ganzen total zu rekonstruieren, sozusagen als Einheit und Harmonie von Tugend, Gerechtigkeit und Glück, und zwar zugleich als Glück der Gemeinschaft und als Glück jedes einzelnen. Das ist eine gefährliche Problemstellung. Ich habe sie nie gemeint mit der Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft, sondern ich habe bloß die idealen Bedingungen der Kommunikation über die jeweils individuelle Lebensgestaltung gemeint. Das würde ich aber jetzt viel stärker unterstreichen. Ich würde sagen: das eine ist die Realisierung des gelungenen Lebens. Das geschieht jeweils in verschiedenen Formen, bei verschiedenen Gemeinschaften, und das ist freizugeben. Das ist nicht universal zu begründen; das kann man nicht universal vorschreiben. Was man aber universal vorschreiben kann, das sind abstrakt-formale Prinzipien, die alle berücksichtigen müssen als einschränkende Bedingungen der Realisierung des guten Lebens in konkreten Totalitäten. Es sind zwei komplementäre Probleme, die man nicht durcheinander bringen sollte. Ich habe mit dem Ideal der Kommunikation, mit der idealen Kommunikationsgemeinschaft, immer nur die formalen Bedingungen gemeint; sie gelten in der Tat für alle. Das sieht man ja bei jedem Gespräch, bei jeder Diskussion, dass – 178 –

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wir sie sofort als einen formalen Rahmen in Anspruch nehmen und anerkennen müssen, obwohl wir aus ganz verschiedenen Welten kommen, ganz verschiedene Lebensformen hinter uns haben und auch das Recht haben, in ganz verschiedener Weise unser individuelles Leben zu realisieren. Das ändert aber nichts daran, dass wir diesen formalen Rahmen allesamt als gemeinsame normative Basis bejahen können. In dem Sinne habe ich also diese ideale Kommunikationsgemeinschaft als das regulative Prinzip einer Emanzipationsstrategie damals gemeint. Frage: Allerdings hatte diese Emanzipationsstrategie ein geschichtliches, substantielles Ziel vor Augen. Ich darf vielleicht zitieren. Sie schrieben damals: „Denn es ist klar, dass die Aufgabe der Realisierung der idealen Kommunikationsgemeinschaft auch die Aufhebung der Klassengesellschaft, kommunikationstheoretisch formuliert: die Beseitigung aller sozial bedingten Asymmetrien des interpersonalen Dialogs, impliziert. Apel: Ja, das klingt sehr substantiell. Das klingt noch sehr utopisch. Frage: Aber würden Sie das heute noch schreiben? Apel: Ja, das ist vielleicht die substantiellste Äußerung, die ich damals gemacht habe. Ich glaube aber nicht, dass sie so inhaltlich ist, dass ich etwas zurücknehmen muss. Ich denke: das kann man immer noch sagen. Da ist ja von der Kommunikation die Rede: davon, dass auf der Ebene der Kommunikation alle Verzerrungen

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und alle Vorrechte zu beseitigen sind. Das ist ja nur der Punkt. Frage: Diese Forderung bzw. regulative Idee ist jedoch ohne eine reale Kritik der Machtsysteme nicht realisierbar. Apel: Ja, ich sollte hier jetzt endlich auf Ihre Frage nach der Demokratie zurückkommen. Das, was Sie vorgelesen haben – das führt ja auf folgende Frage: Was bedeutet denn nun eigentlich das formale Grundprinzip der Diskursethik, dass nämlich alle problematischen Geltungsansprüche unter Menschen – besonders Konflikte natürlich – nur durch gewaltfreie Diskurse im Sinne konsensfähiger Lösungen eingelöst werden sollen, also im Sinne von Lösungen, die für alle Betroffenen konsensfähig wären? Ist dieses Prinzip etwa so formal, dass es überhaupt keinen kritischen Gesichtspunkt abgibt in Bezug auf die Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse, z.B. in Bezug auf die Beurteilung von Staatsformen? Dann würde ich sagen: nein, so formal ist es wiederum nicht. Denn z.B. kann man jeden Staat oder jede Gesellschaft danach beurteilen, inwieweit es in ihr überhaupt möglich ist, dass die Betroffenen ihre Interessen und Bedürfnisse in Diskursen zur Geltung bringen können. Das ist natürlich in einem wortwörtlichen Sinne überhaupt nirgendwo möglich. Die Kinder können nicht mitdiskutieren. Es können auch nicht alle in persona kommen, das wäre die Idee der Basisdemokratie, die bisher noch nirgendwo realisierbar war. Weder können die nächsten Generationen – heute ein außerordentlich wichtiges Thema einer ökologischen Ethik – nicht in persona vertreten sein. Sie können nur advoka– 180 –

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torisch vertreten sein. Aber das Prinzip der advokatorischen lnteressenvertretung: das ist nun in der Tat das Prinzip, das die Demokratie von vornherein beherrschen sollte. Dabei kann man im übrigen mit meinem Kollegen Werner Becker durchaus einräumen, dass die wirkliche Demokratie, die wir heute haben, natürlich keineswegs gleichgesetzt werden darf mit der Realisierung des idealen argumentativen Diskurses. Die parlamentarischen Debatten sind natürlich keine idealen argumentativen Diskurse. Sie stehen unter Zeitdruck, sie sind auch immer gleichzeitig strategischer Interessenausgleich. Das können wir alles ohne weiteres einräumen. Wir wissen auch, dass das Vertretungsprinzip als solches bereits eine pragmatische Einschränkung des Prinzips der idealen Konsensbildung des Diskurses darstellt. Ideal wäre natürlich, dass die Betroffenen tatsächlich ihre Interessen in unmittelbarer Verständigung ermitteln und vermitteln könnten. Wir müssen natürlich eine Menge von pragmatischen Einschränkungen der Idee der Kommunikationsethik immer in Kauf nehmen. Wir müssen sie auch in Bezug auf die demokratischen Staatsformen von vornherein in Rechnung stellen. Aber dennoch würde ich sagen, dass unter allem, was ich bis heute kenne, die Demokratie diejenige Staatsform ist, die der Idee der Diskursethik am meisten entgegenkommt. Und das, was wir heute an Realisierungen der Idee der universellen Gleichberechtigung aller Menschen und der universell gleichberechtigten Vertretung ihrer Bedürfnisse wahrnehmen können, das hat sich fast nur auf demokratischem Boden entwickeln können, wie z.B. die Berücksichtigung von Grund- und Menschenrechten und dergleichen. Natür– 181 –

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lich würde es hier sehr konkreter Untersuchungen bedürfen, wenn man etwa die heute existierenden Gesellschaften und Staatsformen daraufhin genauer vergleichen wollte, inwieweit sie, so wie sie sind, verträglich sind mit dem Grundprinzip einer Diskursethik. Frage: Übrigens kann man bei dieser Implikation der Machtkritik in Ihrem Ansatz eine gewisse Nähe zu Foucault sehen . . . Apel: Ich habe ja nichts gegen die Machtkritik Foucault’s. Ich habe nur etwas dagegen, dass Foucault sich selber so falsch versteht. Z.B. während seiner ganzen Machtkritik hat er geglaubt, er müsse mit Nietzsche anerkennen, dass es nichts anderes als Macht gebe, wodurch sofort die Paradoxie entsteht: was macht denn Foucault? Ist das auch nur eine Praktik der Macht? Wenn man Foucault’s Selbstverständnis, sein nietzscheanisches Selbstverständnis – Wille zur Wahrheit ist Wille zur Macht-, wenn man das ernst nimmt, dann hätte er selber ja auch nur eine Machtpraktik gegen die anderen Machtpraktiken gestellt. Das ist eine der fundamentalsten Antinomien bei Foucault. Ich habe ja nichts gegen die konkrete Arbeit von Foucault, wo er die Minderheiten in Schutz nimmt, ganz im Gegenteil. Er hätte nur zu einem Selbstverständnis kommen sollen, das seiner Tätigkeit angemessen gewesen wäre. Mit Nietzsche war das kaum möglich. Frage: Aber kommen wir zum Problem der Möglichkeiten einer Kontextualisierung der Diskursethik zurück. Denn es ist nicht dasselbe, ob ich die Diskursethik

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Rekonstruktion der Vernunft

Lesepause im Hotel, 1998

unter den Bedingungen eines Rechtsstaates oder einer Diktatur zu verwirklichen suche. Apel: Sicher, klar. Aber da ist das berühmte Stichwort „Kontextualisierung“. Hier erscheint nun wieder der Grundkonflikt, der droht hier wieder. Denn es gibt heute Richtungen in der Philosophie, die so weit gehen zu sagen: es gibt überhaupt nur Prinzipien, die im Kontext ihre Geltung haben können; es gibt nichts Kontextübergreifendes. Herr Rorty hat gesagt, die Philosophie – 183 –

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brauche keine Kriterien, die Kontexte transzendieren. Ich würde sagen, wenn es so ist, dass wir keinerlei universale, kontexttranszendierende Kriterien haben oder brauchen, – wenn es so ist, dann brauchen wir gar keine Philosophie. Das heißt dann nämlich, dass im Kontext jeder schon sieht, wie er zurecht kommt. Das würde heißen, universale formale Regeln, Normen, Prinzipien haben überhaupt keinen Sinn und keinen Zweck, werden auch nicht benötigt. Dann brauchen wir keine Philosophen. Dann machen es die Leute vor Ort schon. Das sind solche Übertreibungen, die jetzt gängig sind; die möchte ich nicht in Kauf nehmen, wenn ich zugebe, dass selbstverständlich bei der Anwendung der universalen Prinzipien berücksichtigt werden muss, dass die Kontexte jeweils verschieden sind, sozio-kulturell, geschichtlich bedingt im Sinne verschiedener Lebensformen. Selbstverständlich würde sich das schon auf der zweiten Ebene, die in der Diskursethik vorgesehen ist, zeigen: auf der Ebene der konkreten Diskurse, in denen die situationsbezogenen materialen Normen, z.B. des Rechts, begründet werden. Schon da würden natürlich die konkreten Verhältnisse einer jeweiligen Lebensform zu berücksichtigen sein. Frage: Hier sollte man vielleicht bedenken, dass es sich dabei nicht bloß um Kontextualisierung, sondern ebenso um Inkulturation handelt. Und diese Unterscheidung ist deswegen wichtig, weil die Probleme eigentlich mehr auf der Ebene der Kultur bzw. der Inkulturation der Philosophie als im Bereich des Kontextes liegen, der doch planetarisch durch die abendländische Technik bestimmt zu sein scheint.

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Apel: Wir haben heute in der Tat schon so etwas wie einen konkreten globalen Kontext, der also über die einzelnen konkreten Lebensformen, die kulturellen Lebensformen, hinausgeht. Das ist wichtig. Es geht also jetzt nicht um den Gegensatz zwischen formalen, universalen Prinzipien und konkreten Lebensformen, sondern um den Umstand, dass es bereits auf der Ebene des Konkreten den Unterschied der singulären Lebensformen und des globalen, planetaren, menschheitlichen Kontextes gibt. Das ist natürlich eine Unterstützung für die Position der Universalisten, denn alle können sich heute sogar auf einen konkreten Kontext beziehen, der zumindest die Menschheit umfasst. Er ist ja nicht strikt universal, denn Peirce hat schon mit Recht darauf hingewiesen, dass die unbegrenzte Gemeinschaft aller Kommunizierenden theoretisch größer sein könnte als die Gemeinschaft der Menschen. Es könnte eines Tages nötig sein, sehr fremdartige Wesen darin aufzunehmen. Frage: Aber gerade hier liegt das Problem: Denn der Universalität des Kontextes der Welt im heutigen technologischen Zeitalter steht die Pluralität der Kulturen gegenüber, und zwar als Quelle der Verschiedenheit der Denkformen. D.h. also: philosophische Kommunikation wäre nur interkulturell zu denken. Daher kommt der Widerstand gegen die Universalisierung oder den Universalanspruch der Kommunikationsethik weniger aus dem Kontext heraus, sondern aus dem spezifischen Erbe der Kulturen selbst. Apel: Ja, natürlich.

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Frage: Hier wäre dann das dialektische Verhältnis zwischen Kontext und Kultur zu berücksichtigen. Apel: Ja, auch dies. Das ist noch eine andere Dialektik als die Dialektik der verschiedenen Kulturen und des universalen Prinzips. Es ergibt sich sozusagen ein Dreieck. Und bei diesem Dreieck ist es sozusagen der heute schon totale Kontext, der planetare Kontext z.B. des Überlebens der Menschheit und auch des Zusammenlebens als Menschheit, der seinerseits auf die Notwendigkeit einer universalen Prinzipienethik verweist. Aber, wie gesagt, ich würde auch die Vielfalt der kulturell verschiedenen Lebensformen nicht nur als einen Gegenpol zu dem universalen Prinzip sehen, sondern man muss dies sehen, dass ja die Möglichkeit dieser Vielfalt auch wieder an den universalen Prinzipien der Gleichberechtigung hängt, daran, dass die anerkannt werden, z.B. in der Form der Menschenrechte. Frage: Aber wenn man den Aspekt der Verschiedenheit der Kulturen hervorhebt, dann ist zu fragen, ob die formale Gleichberechtigung zugleich auch eine reale Gleichwertigkeit mit sich führt. Apel: Das Problem ist schwierig, und man kann es nur sehr schwer angemessen behandeln. Einerseits besteht in der Tat ein Gegensatz zwischen der Eigenart der gewachsenen Lebensform mit ihrem Lebensstil, der auch ein ethischer Lebensstil ist, und dem universellen Anspruch der Moral. Einerseits ist da ein Gegensatz. Das leuchtet den Leuten sofort ein. Das andere leuchtet ihnen aber nicht ein, dass es z.B. heute angesichts der Notwendigkeit, dass die verschiedenen Lebensformen

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zusammenleben, so ist, dass gerade auch die Anerkennung von universellen Prinzipien es möglich macht, dass alle die verschiedenen gewachsenen Lebensformen ihre Eigenart zur Geltung bringen. In dem Moment, wo z.B. die Inder oder die Afrikaner ihre Lebensformen optimal zur Geltung bringen wollen, sind sie darauf angewiesen, dass formale Prinzipien anerkannt werden, weltweit, die es gerade gestatten, sie zu schützen gegen gewisse Vergewaltigungen. Z.B. könnte das auch schon aktuell werden auf der Ebene der Kommunikationstechnik. Es gibt ja sehr verdeckte Formen der Vergewaltigung von Lebensformen, z.B. allein schon dadurch, dass das Monopol der Kommunikationstechnik heute sehr eindeutig konzentriert ist in dieser Welt. Daran knüpfen sich ja alle möglichen Gefahren. Wenn man den Satz bejaht: „the medium is the message“, dann sieht man, wie das bis ins Inhaltliche geht. Aber auch auf diesem Gebiet ist es ja die Aufgabe von menschheitlichen Organisationen – wir wissen um die UNESCO und ihre Konflikte –, an dieser Stelle z.B. auch die Gleichberechtigung der nichteuropäischen Kulturen der Dritten Welt eben zur Geltung zu bringen. Und das geht immer nur auf dem Wege über Prinzipien, die anerkannt werden. Und die sind dann immer für alle gültig. Sie schützen aber gerade die Eigenart der geschichtlich gewachsenen Kulturen. Man kann das Individuelle und Einzigartige eben nicht schützen, ohne zugleich an universale Prinzipien zu appellieren. Das ist der wichtigste Punkt von allem. Frage: Sie schreiben in einem Ihrer Texte, dass die Normbegründung an die „Grenze“ der argumentati-

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ven Vernunft gerät, nämlich an die „praktische Willensfreiheit zum Guten oder Bösen“ oder – wie die Alten gesagt hätten – dieses oder jenes zu tun und, schärfer noch, zu handeln oder nicht zu handeln. Es wäre nun wichtig zu klären, ob es in der Normbegründung, die ja sehr formal angelegt ist bei Ihnen, eine Instanz gibt, die die Freiheit sozusagen intern affiziert, das Gute zu tun oder das Schlechte zu lassen. Oder gibt es da keine Verbindung? Und zwar ist hier nicht nur an Aristoteles zu denken, der das agathon als telos des Handelns annimmt, sondern weit mehr noch an Kant, für den die Konnexion von Freiheit und Normierung ganz offensichtlich ist. Apel: Bei Kant ist ja in gewisser Weise die Freiheit die Grundlage für das Gute, für das Sittengesetz. Das Sittengesetz ist ja nichts anderes als das, was die Freiheit will. Frage: Und das ist die Vernunft selbst. Apel: Ja, und zwar die Freiheit verstanden als die Autonomie, als die Selbstbestimmung der Vernunft. Aber nun entsteht eine Schwierigkeit. Es ist ja interessant, heute zu sehen, wie die Angelsachsen aus ihrer Tradition heraus große Schwierigkeiten haben mit dieser kantischen Lösung des Problems der Begründung, denn für sie ist ja Freiheit etwas viel Nüchterneres. In der nominalistischen Tradition und bei Hobbes ist die Freiheit ganz einfach die Willkürfreiheit, das liberum arbitrium. Und wenn man das zugrunde legt, dann ist absolut nicht einzusehen, wie die Freiheit gleichzeitig die Unterwerfung unter ein Sittengesetz bedeuten soll. Z.B.

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Rio de Janeiro, mit Flávio Siebeneichler, staatliche Universität Niteroi, Brasilien, ca. 1998

Elisabeth Anscombe und MacIntyre haben gesagt, das könne man nur verstehen, wenn in Wirklichkeit der göttliche Wille unterstellt wird. In dem Moment, wo der göttliche Wille wegfällt, da wäre es absolut nicht mehr einsehbar, dass die Freiheit sich als Freiheit, als menschliche Freiheit, von sich aus einem Sittengesetz unterwirft. Und das ist andererseits auch dann wieder die Position Nietzsches. Hier ist nun bei Kant das Problem nicht gelöst, wie man das letztbegründen könnte, dass dasjenige, was hier das Sittengesetz als allgemein für alle verbindlich anerkennt, dass das wirklich die Freiheit ist von uns allen, dass da nicht der göttliche Wille sozusagen als Autorität insgeheim unterstellt wird. Von De Sade, Nietzsche und anderen wird behauptet, dass der gute Kant hier als Christ und Pietist uns den göttlichen Willen untergejubelt habe in Gestalt – 189 –

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des Gesetzes, das angeblich unsere Freiheit setzt. Wie soll man das nachweisen können, dass unsere Freiheit das Sittengesetz will? Dass die Freiheit will, dass alle gleichberechtigt sind und dass nur das akzeptiert werden kann als Grundprinzip der Ethik, was ein Gesetz für alle werden könnte. Wieso kann man nachweisen, dass es meine Freiheit ist und nicht irgendein autoritäres Gebot, das da unter dem Deckmantel meiner Freiheit mir auferlegt werden soll. Nun, ich meine persönlich, man kann das nachweisen, es gibt sozusagen eine „original position“, um mit Rawls zu reden, aber eine andere, als Rawls sie in seiner Philosophie unterstellt; es gibt eine Situation, in der wir tatsächlich nachweisen können, dass wir aus Freiheit das Universalisierungsprinzip immer schon anerkannt haben. Das ist die Situation, in der wir sind, wenn wir über diese Sachen diskutieren. Wir können nicht argumentieren, wir können nicht mal die Frage ernsthaft stellen, wie verhält es sich nun mit der Ethik, ohne gleichzeitig den Boden der Argumentationsgemeinschaft zu betreten und d.h. in einem Atemzug jetzt tatsächlich aus unserer vollen Freiheit alle als gleichberechtigt anzuerkennen; genau das schon anzuerkennen, was unsere Willkürfreiheit einschränkt im Sinne eines allgemeinen Sittengesetzes. Also das ist meine zentrale Behauptung. Das ist die Letztbegründung, dass man, wenn man als ersten Schritt die Reflexion einleitet auf das, was man voraussetzt, wenn man argumentiert, ernsthaft denkt mit Gültigkeitsanspruch; dass man dann die Antwort eigentlich hat; dass man dann genau die Situation hat, in der nachweislich (gegen MacIntyre) gezeigt werden kann, dass jeder Argumentierende aus seiner Freiheit heraus die Gleichbe– 190 –

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rechtigung aller Argumentierenden bejaht und ein Sittengesetz bejaht, demzufolge nur solche Problemlösungen akzeptierbar sind, die für alle Argumentierenden konsensfähig sind; das haben wir bejaht in dem Moment, wo wir uns darauf besinnen, was wir anerkannt haben, wenn wir über die Sachen reden. Das ist der erste Zug. Das ist dieser esoterische und scheinbar unbegreifliche Zug der Letztbegründung. Jetzt aber würde ich sagen: Diese Art von Freiheit, die wir da also voraussetzen, wenn wir ernsthaft argumentieren, die Freiheit, in der wir also tatsächlich aus Freiheit immer schon so ein Sittengesetz anerkannt haben, ist nicht zu verwechseln mit der Freiheit, die wir dann noch brauchen, um die Anerkennung des Sittengesetzes in die Tat umzusetzen. Ich habe an der Stelle – und jetzt komme ich auf Ihren Punkt – die sogenannte willentliche Bekräftigung eingeführt. Ich habe gesagt: selbst wenn man das Grundprinzip der Diskursethik anerkannt hat – und man kann sich davon überzeugen, dass man das immer schon anerkannt hat –, dann ist man nicht davon entbunden, für die Umsetzung in die Praxis – in jedem einzelnen Fall übrigens – nochmal den guten Willen aufzubieten im Sinne einer willentlichen Bekräftigung dessen, was man eingesehen hat. Es ist ja nicht so, als ob wir durch Argumente, durch eine Ethik, den Menschen den guten Willen andemonstrieren könnten, so dass sie dann garantiert das, was sie eingesehen hätten, auch realisieren würden. Dazu bedürfen sie jedesmal nochmal einer willentlichen Bekräftigung. Mein Freund Habermas hat das als Restdezisionismus angesehen. Aber das halte ich für falsch. Das ist falsch verstanden. Das ist kein Restdezisionis– 191 –

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mus; denn es hat mit dem Begründungsproblem gar nichts mehr zu tun. Das Begründungsproblem ist erledigt. Das hat nicht nur er, sondern das haben viele falsch verstanden, wenn sie meinen, dass die Begründung auch noch die Aufgabe hätte, aufzukommen für den guten Willen der Leute, die die Ethik realisieren sollen. Aber das kann keine Ethik leisten. Und wenn das zu leisten wäre, übrigens, dann, ja dann bräuchten wir wiederum keine Ethik, denn dann wäre das ja sozusagen so, als ob man automatisch das Verhalten der Leute regeln könnte. Natürlich muss jeder, der die Sache eingesehen hat, bei der Umsetzung in die Praxis noch einmal eine willentliche Bekräftigung leisten. Und an der Stelle kommt nun in der Tat noch einmal die Freiheit oder das Problem des guten oder bösen Willens ins Spiel. Das war aber bei Kant auch so. Kant hat sich mit diesem Problem sehr auseinandergesetzt in seinem Spätwerk. Das war für ihn schwierig, besonders in der Religionsschrift, weil er nämlich folgendes einsehen musste: Wenn nun einer das Böse tut, wenn nun einer das Sittengesetz nicht realisiert, wenn er versagt in der Situation, wo er jemandem helfen soll oder wo es darum geht, dass er seinen Vorteil nicht wahrnimmt – dann kann Kant jetzt nicht etwa sagen: nun, das war eben dann die Übermacht der Neigung, er war eben determiniert und nicht frei. Insofern er frei wäre im Sinne der Autonomie, müsste er ja nach Kant im Sinne des Sittengesetzes gehandelt haben. Wenn er also nicht im Sinne des Sittengesetzes gehandelt hat, war er nicht frei. Das sollte man meinen. Aber, wenn das so ist, dann gibt es keine Verantwortung. Dann müsste man immer sagen, wenn einer versagt hat – das ist – 192 –

Rekonstruktion der Vernunft

Mexico, März 2002; links: Raoul Fornet-Betancourt

das berühmte Problem vor Gericht –: nun, dann war der eben determiniert. Und bei Kant gibt es ja eigentlich nur die folgende Alternative: entweder ist man autonom im Sinne des Sittengesetzes oder man ist, als empirischer Mensch, kausal determiniert. Als „Bürger zweier Welten“ ist der empirische Mensch sogar immer determiniert. Das sind die typischen Schwierigkeiten der kantischen dualistischen Metaphysik, der ZweiReiche-Lehre, der gemäß der Mensch Bürger zweier Welten ist. Kant hat sich geholfen in der Religionsschrift, indem er sagt: es gibt eben das radikal Böse. Mit anderen Worten, er kam zu dem Schluss, der auch ganz konsequent ist: es gibt nicht nur den guten Willen, es gibt auch den bösen Willen. Und man muss unterstellen, dass derjenige, der moralisch versagt hat, nicht nur determiniert war, sonst könnten wir ihn gar nicht verantwortlich machen, sondern dass er böse war. Das war – 193 –

Karl-Otto A PEL, Raúl F ORNET-B ETANCOURT

Kants Lösung in der Religionsschrift. Goethe war entsetzt von dieser Lösung, dass es das radikal Böse gäbe. Ich habe keine Lösung dieses Problems anzubieten. Frage: Thomas von Aquin, der sich auf Augustinus beruft, spricht von Silentium et tenebrae . . . Apel: Ich kann soweit mitgehen, dass ich – mit Kant – sage: das ist tatsächlich ein Mysterium. Es ist aber nicht die Aufgabe der Ethikbegründung zu garantieren, dass die einsehbare Begründung vom Menschen auch realisiert wird, sondern man muss zugestehen: hier besteht noch einmal eine Kluft. Hier besteht das, was man das Mysterium der Freiheit nennen könnte. A NMERKUNGEN 1

Das Gespräch wurde am 10. Juli 1986 für die Zeitschrift Concordia geführt.

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G ESPRÄCH MIT H AUKE B RUNKHORST UND M ICHA B RUMLIK ÜBER DEUTSCHE I DENTITÄT ALS T EIL DER EIGENEN Brunkhorst: Da unsere geschichtliche Identität nicht in dem Sinne etwas Zufälliges ist wie unsere Geburt, ergeben sich aus dieser Identität auch Verantwortlichkeiten, die in die Vergangenheit zurückreichen. Aber reichen sie auch vor die eigene Geburt zurück? In welchem Sinne kann von einer Haftung der jetzigen Generation für Auschwitz die Rede sein? Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Ich denke, dass sich diese besondere Verantwortlichkeit vielleicht auch gerade heute zeigt. Blickt man nun auf den deutschen Kontext, so ist die Freude über den Fall der Mauer, über die Befreiung von der stalinistischen Diktatur in OstBerlin und über das sich abzeichnende Ende dieser entsetzlichen Pathologie des Ost-West-Konflikts sicherlich ziemlich ungeteilt. Aber auf der Linken gibt es spätestens an dem Punkt skeptische Fragen, an dem die Befreiungsbewegung zu einer nationalen Bewegung wird und die deutsche Frage in einen Vorrang vor der Frage nach der Demokratie, der Freiheit, der Gerechtigkeit hineinzurutschen beginnt. Meine Frage ist nun, sollte es, und wenn ja, warum sollte es eine besondere Sensibilität und vielleicht sogar Berührungsangst vor der nationalen Frage gerade in Deutschland geben? – 195 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Anders formuliert: Ist nicht vielmehr das Besondere, was wir aus der deutschen Katastrophe gelernt haben könnten, dass es keine Rückkehr zur nationalen Normalität mehr geben kann, hinter die postkonventionellen Ideen von 1789? Apel: Ich würde zunächst einmal sagen, dass die jetzige Situation eine Probe darstellt für das, was ich eigentlich gemeint habe mit: „Was könnten wir Besonderes gelernt haben?“ Im positiven Sinne bedeutet das jetzt, unserer Identität gerecht zu werden. Nämlich einerseits der postkonventionellen Identität – früher hätte man mit Kant gesagt, eines Vernunftwesens – ich würde ja lieber im Sinne der Diskursethik sagen, eines Mitglieds der postkonventionell gedachten idealen Kommunikationsgemeinschaft aller Menschen. Andererseits kommt es aber auch darauf an, den anderen Modi der Identität gerecht zu werden, die nach wie vor für uns gültig sind: Wir haben auch eine kontingente Identität. Wir sind geboren als diese bestimmten Individuen, damit ist auch eine kontingente Identität gegeben; das steht im Pass, wie Herr Lübbe immer sagt, dass ich als ein Deutscher geboren bin (als Sohn z.B. des Kaufmanns Otto Apel und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Gerritzen), ist schon der Einstieg in die kontingente Identität. Das besagt eben auch, dass ich ein Sohn dieses Volkes bin und dass ich in die Tradition dieser soziokulturellen, geschichtlichen Tradition dieses Volkes hineingeboren bin. Ich habe aber auch durch mein weiteres Leben diese Tradition als Kulturerbe angenommen und verdanke ihr meine kulturelle Sozialisation. Darauf beruht es, dass ich eine Haftung trage.

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Todtnau, Schwarzwald Juli 2002; bei Heideggers Hütte

Auch dann, wenn von einer individuellen Schuld keine Rede sein kann, kann ich nicht verleugnen, dass ich mit haften muss für das, was da angerichtet worden ist von diesem Volk. Gemäß meiner angenommenen kontin– 197 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

genten Identität als Sohn dieses Volkes bin ich in diese Haftung mit hineingeboren und hineingewachsen. (In meinem Fall gilt zum Beispiel, dass ich auch noch lange hineingewachsen bin, z.B. dass ich fünf Jahre lang Soldat gewesen bin; das kann ich nicht mehr rückgängig machen. Die zweite Geburt als Philosoph habe ich sozusagen erst danach erfahren.) Damit sind schon zwei Modi der Identität genannt, denen man meines Erachtens Genüge tun muss: der posttraditionalen Identität des Vernunftwesens als des Weltbürgers und der soziokulturellen Identität im Sinne einer nationalen Tradition. Man könnte zweifellos die Differenzierung auch noch weitertreiben: Ich bin z.B. auch ein Europäer, und es freut mich sogar, dass ich Europäer bin; aber da gibt es – wie bei der nationalen Identität – auch Gefahren einer Verabsolutierung dieser kontingenten Identität, die in einigen Jahren sehr aktuell werden könnten, wenn sich hier die große neue Wohlstandssphäre EG gegründet hat und wir dann in die Versuchung kommen könnten, das zu tun, was die Amerikaner jetzt machen. Die bauen ja, wie man hört, eine Art Mauer am Rio Grande gegen Mexiko, gegen die armen Vettern. Brumlik: Lässt sich denn philosophisch plausibilisieren, warum wir Haftung übernehmen müssen für die kontingenten Kollektive, in die wir kontingentermaßen hineingeboren sind? Man kann ja sagen, wenn das wirklich kontingent ist, dann ist das eben kein vernünftiger Grund. Apel: Das ist gar keine leichte Frage. Man muss sehr genau überlegen, wie das zu begründen ist. Nehmen – 198 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

wir einmal an, ich wäre zufällig als Deutscher geboren worden, dann sofort mit meinen Eltern emigriert und in einem anderen Land aufgewachsen, wäre nie deutscher Soldat geworden, hätte mit diesem Schicksal gar nichts zu tun. Dann, würde ich glauben, würde die kontingente Tatsache, dass ich hier als Deutscher geboren bin, kaum eine Rolle spielen, dann könnte man auch nicht von Haftung reden. Aber so ist die Sachlage ja nicht. Ich bin ja wirklich in dieser Tradition groß geworden, bin auch Nutznießer dieser deutschen Kultur gewesen. Ich bin darin erzogen worden, habe kraft dieser Tradition einen gewissen Standard der kulturellen Überlieferungen übernehmen können. Da waren ja auch viele positive Werte, die ich da benutzt, ausgebeutet, exploitiert habe, an denen ich Anteil gehabt habe. Und weiterhin habe ich mich damit bewusst identifiziert. Ich, mit meiner ganzen Klasse, bin z.B. freiwillig Soldat geworden – das ist nunmal so – und damit habe ich mich natürlich schon gewaltig engagiert. Das heißt zwar alles noch nicht, dass ich individuelle Schuld auf mich genommen hätte, obwohl das in dem Zusammenhang leicht hätte sein können. Aber ich denke doch, dass ich so mit diesem Volksschicksal verwachsen bin und daran im Guten wie im Bösen so teilhabe, dass ich nicht leugnen kann, dass ich diese Haftung habe. Ich glaube, wenn ich z.B. in meinem späteren Leben um meines Fortkommens willen, wie ja manch einer nach ’45, ausgewandert wäre, selbst dann, würde ich meinen, bleibt etwas davon übrig. Aber ich bin ja hiergeblieben nach ’45, hab’ ja hier auch studiert und bin ja schließlich hier Hochschullehrer geworden. Ich will damit nur andeuten, dass mit dem Hineinwachsen in – 199 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

meine kontingente Identität auch die Haftung gewachsen ist. Also, würde ich sagen, stehe ich heute – um das wieder zusammenzufassen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren – wie viele Deutsche vor der Aufgabe, jetzt gewissermaßen die postkonventionelle Identität des Mitglieds der idealen Kommunikationsgemeinschaft der Menschheit – auch der realen Kommunikationsgemeinschaft der Menschen insgesamt, das ist davon nochmal zu unterscheiden – in das richtige Verhältnis zu setzen zu der Kontingenz der natürlichen und vor allem der geschichtlich-traditionellen Identität, deren ich teilhaftig bin als ein Deutscher. Nun käme sozusagen das Problem, wie man dieser Aufgabe angesichts der jüngsten Ereignisse der Geschichte besonders in der DDR – in Osteuropa insgesamt, aber vor allem in der DDR –, wie man dieser Aufgabe gerecht zu werden hätte. Ich gehe Probleme gerne so an, dass ich mir erstmal die extremen, polarextremen Lösungsmöglichkeiten rein fiktiv vor Augen führe. Ich würde meinen, dass da zwei Extreme sofort sichtbar werden. Auf der einen Seite wäre da ein luftiger Idealismus, der völlig in den Wind schlagen würde, dass man eben Deutscher ist und diese Haftung nicht nur im Sinne eines Verantwortlichseins für Negatives trägt, sondern auch, dass man dieser nationalen Tradition etwas verdankt und dem gegenüber eine Identifikationsverpflichtung trägt. Also das eine Extrem wäre, sich jetzt nur auf die postkonventionelle Vernunftidentität oder die Identität des Mitglieds einer idealen Kommunikationsgemeinschaft berufen zu wollen. Das würde einfach ins Komische, ins Lächerliche geraten und würde die ganze Idee – 200 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

der Transzendentalpragmatik und der Diskursethik in Misskredit bringen. Auf der anderen Seite aber gibt es die Gefahr, die Sie schon angedeutet haben, nämlich dass jetzt die Gefühle mit einem durchgehen: die patriotischen und nationalen Gefühle, die bei mir z.B. durchaus da sind. (Ich muss da ganz ehrlich sein: Damit habe ich als Älterer noch mehr zu tun, das ist nun mal so, man ist ja schließlich Soldat gewesen, und man hat sich ja enorm dafür engagiert, und man hat das alles in einer Weise erlebt, wie das andere vielleicht nicht erlebt haben, und das ist nicht rückgängig zu machen.) Da droht natürlich jetzt auch die Gefahr der Rückkehr zu einer Normalität, die für uns eigentlich nicht mehr in Frage kommen sollte, nämlich mit einer gewissen Naivität wieder zu einem Patriotismus und Nationalismus zu gelangen, wie er im 19. Jahrhundert für alle Völker Europas selbstverständlich war. Man hat ja damals diesen Chauvinismus von 1914 die „Ideen von 1914“ genannt. Fast bei allen europäischen Nationen war das in erstaunlicher Weise so, bis in die erlauchtesten Kreise der Intellektuellen. Dazu sollte es nicht mehr kommen . . . Brunkhorst: Kaum ein deutscher Professor hat die Kriegszielpolitik des Kaiserreichs nicht unterschrieben . . . Apel: Ja. Ja. . und auch chauvinistische Wörter in den Mund genommen, grotesk, im Mund eines Intellektuellen . . . Brunkhorst: Die „Ideen von 1914“ standen gegen die Ideen von 1789.

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Apel: Obwohl – das hat Lyotard recht schön herausgearbeitet in einem Aufsatz in der Zeitschrift Critique – die Ideen von 1789 sehr bald mit der „levée en masse“ in nationalistische ldeen umgeschlagen sind. Aber es ist gewiss übertrieben, wie Lyotard darin gleich schon das völlige Scheitern dieser Ideen sieht. Jedenfalls habe ich die zwei Extreme der Gefährdung jetzt aufgezeigt. Nur dazwischen kann m.E. der Weg für uns liegen, die Reaktion, die jetzt von uns erwartet wird – von denen von uns mindestens, die das alles bewusst geistig verarbeitet haben und die damit auch entsprechende Verantwortung tragen. Ich will hier nicht sagen, dass ich nun etwa dem Gedanken der nationalen Wiedervereinigung in schroffer Weise entgegentreten wollte. Das halte ich auch nicht für ein Erfordernis. Unsere Haltung muss auch natürlich sein, in dem Sinne, wie es für andere Völker Europas auch verständlich ist, dass die Deutschen jetzt ihre Selbstbestimmung ausüben wollen. Dazu haben sie auch ein Recht. Aber natürlich sollten sie jetzt auch zeigen, dass sie etwas gelernt haben und dass sie sich voll der Verantwortung bewusst sind, die man hier mitten in Europa als Mitglied eines fast 80 Mill. Volkes trägt, vor dem die Welt eine historisch begründete Angst hegt hinsichtlich der Möglichkeit neuer Machtbestrebungen. Brumlik: Ich will nochmal nachfragen. Sie haben ja die eine Möglichkeit gleichsam für lächerlich erklärt, wenn man sich nun im Sinne einer postkonventionellen, universalistischen Ethik nur noch auf die Identität als Vernunftwesen zurückziehen würde. Aber bestünde nicht die Möglichkeit, sich in einer, sagen wir, inter-

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, 03.11.2002

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nationalistischen oder kosmopolitischen Art und Weise als Mitglied einer im Entstehen begriffenen Weltgesellschaft zu begreifen, in der dann natürlich Verantwortungen noch einmal ganz anders sortiert werden? Und ist es nicht doch so, dass die Idee der Nation an ein bürgerliches Zeitalter geknüpft ist, das nun eben doch allmählich seinem Ende entgegengeht? Könnte es nicht sein, dass eine derartige Debatte über die Nation noch einmal Schlachten schlägt, die, sagen wir, objektiv bereits vorüber sind? Apel: Ja, das ist meines Erachtens eine Frage, die man differenzierter behandeln müsste. Sehen Sie, ich bin ja zuerst mal gelernter Historiker gewesen, bevor ich Philosoph geworden bin; und solche Situationen bringen mich immer dazu, konkreter werden zu wollen. Zunächst einmal, um an dem einen Pol anzufangen: Ich bin der Letzte, der heute keine Menschheitsaufgaben sieht. Ich sehe z.B. auf dem Gebiet der ökologischen Verantwortung für die Auswirkungen unserer industriell-technischen und auch ökonomischen Aktivitäten heutzutage Probleme und Aufgaben, die einen planetaren Charakter haben, und ich habe in diesem Sinne gerade in der letzten Zeit viele Aufsätze über planetare Makroethik geschrieben. Aber es ist im schlechten Sinne abstrakt, diese universalistische Perspektive nun völlig abtrennen zu wollen von den Gegebenheiten konkreterer Art, von dem Umstand etwa, dass man eben Europäer ist und nicht Türke oder Chinese, und dann des Weiteren, dass man Deutscher ist und damit Angehöriger eines Volkes, das eine gewisse technische, wirtschaftliche Potenz – auch z.B. zum Hel-

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

fen – hat und deswegen eine spezifische Verantwortung trägt. Ich bin der Meinung, dass den Deutschen gewisse Dinge heutzutage sehr gut anstehen, es steht ihnen z.B. gut an, sich an der weltweiten Verantwortung für Ökologisches im Maße der Ressourcen oder Kompetenzen, über die man hier verfügt, zu beteiligen. Das ist eine Verantwortungsaufgabe, die uns zufällt. So ist es meines Erachtens unanständig, um das zu erwähnen, wenn man sich heute bei uns auf eine Polis-Ethik zurückzieht, die bei Aristoteles maßgebend war – obschon sie auch damals schon halbwegs anachronistisch war, im beginnenden Hellenismus. Ich denke hier an gewisse skeptisch-pragmatische Abwiegelungsparolen gegen jede universalistische Ethik. Man argumentiert, als ob man sagen wollte: „Was geht uns das alles an?“, „die Üblichkeiten hier sind doch genug“, „redet nicht so geschwollen von einer postkonventionellen Moral“, „folgt den Straßenschildern“ . . . Das ist nämlich die großartigste neo-aristotelische Metapher, die überhaupt kreiert worden ist – mit einem Akzent gegen Kant, der den Kategorischen Imperativ mit einem Kompass für die Menschheit verglichen hat. Man braucht angeblich keinen Kompass in der Ethik, da man ja – in einer guten Polis – den Straßenschildern folgen kann. Ich bin der Meinung, dass man die neuen Menschheitsaufgaben ernsthaft ins Auge fassen muss, denn es gibt heute – erstmals übrigens in einem nicht utopistischen, sondern sehr ernsten und ganz nüchternen Sinn – täglich Menschheitsaufgaben. Wir sind täglich gezwungen, zu Konferenzen, zu Gesprächen zusammenzukommen, wo es um internationale Regelungen geht: Z.B. Süd-Nord-Konflikt, Entschuldungs– 205 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

fragen und natürlich die ganzen ökologischen Fragen, was die Wälder, die Atmosphäre, die Stratosphäre, das Wasser usw. anlangt. Doch gerade in Bezug auf diese Menschheitsfragen kommt man nicht darum herum, sich klar zu machen, dass man ein Deutscher ist, diesem Volk angehört und auch wieder als Deutscher für die Lösung der Menschheitsfragen mitverantwortlich ist. Ich würde sagen, dass man einen Ehrenpunkt darin suchen sollte, dass die Deutschen jetzt ihre Kompetenzen und ihre Ressourcen zur Geltung bringen – im Sinne des Mithelfens, der Mitverantwortung in dieser Weltgesellschaft. Man ist ja schließlich derjenige, der man ist, und kann ganz bestimmte Dinge leisten, die vielleicht nicht jeder leisten kann. Ja, das hat immer zwei Seiten. Es ist natürlich gefährlich, wenn die Seite des Stolzes gegen die der Verantwortung hervorgekehrt wird. Dennoch meine ich, um endlich die Antwort auf Ihre Frage zu geben: Die von Ihnen zu Recht apostrophierten Menschheitsanliegen lassen sich nicht abstrakt trennen von den nationalen Stellungnahmen, zu denen man gezwungen ist; z.B. auch hinsichtlich solcher Fragen wie der, wie das europäische Haus zu bauen ist und wie die Deutschen einen Platz finden sollen in dem europäischen Haus. Brumlik: Herr Apel, läßt sich heute philosophisch überhaupt noch etwas Belangvolles zum Begriff der Nation sagen? Sie haben vorhin immer auf den Begriff der kontingenten Schicksalsgemeinschaft abgehoben, und zudem haben Sie in einem Aufsatz über die Situation des Menschen als ethisches Problem geschrieben: „Jeder von uns muss als Lebewesen auch moralisch

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

für Selbstbehauptungssysteme einstehen. So für sich selbst, für seine Familie, für seine sozialen Interessengruppen. Schließlich insbesondere als Politiker für ein staatliches Selbstbehauptungssystem. Meine Frage ist nun: Sind eigentlich Sprachgemeinschaften und Völker in diesem Sinne Selbstbehauptungssysteme? Apel: Nein, natürlich nicht. Wir Deutsche haben als Volk oder Nation ja verschiedene Grenzen, die wir ins Auge fassen können. Natürlich gibt es da ganz andere Zusammengehörigkeiten als die des Staates. Ich betrachte z.B. einen Österreicher immer noch als Mitglied der deutschen Kulturnation. Ich habe aber in dem Kontext, den Sie eben zitiert haben, ganz bewusst vom Staat gesprochen, denn der ist ja – bis jetzt, bis heute – sozusagen das umfassendste Selbstbehauptungssystem, das immer noch den großen Akzent als Selbstbehauptungssystem trägt, und ein Politiker muss für einen solchen Staat einstehen. Das kann man nicht als obsolet ansehen, denn bislang ist ja der Staat auch der Rechtsstaat. Es wäre allenfalls zu fragen: Ist der Staat – ja, da klebt Hegelsches Pathos dran – die höchste Verkörperung des Rechtes? Auch wenn man, auf Kantischen Denkbahnen, über den Staat hinausblickt? Es gibt da ja einiges im Sinne einer weltbürgerlichen Rechtsordnung, es gibt einige völkerrechtliche Bestimmungen, die rechtskräftig sind, aber noch mit schwachen, sehr schwachen Sanktionen ausgerüstet sind, so dass ihre Durchsetzung schwierig ist. Auf diesem Weg sollte man natürlich weitergehen. Ich denke, dass man sehr wohl der regulativen Idee der weltbürgerlichen Rechtsgesellschaft im Sinne Kants verpflichtet ist, dass

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das unser Ziel sein muss. Es braucht das aber kein Weltstaat zu sein. Ein solcher wäre wohl für die Freiheit zu gefährlich, wie Kant sagte. Es müsste eine Art Föderation sein, die es aber mehr und mehr unmöglich machen sollte, dass Konflikte durch Krieg und nicht durch Verständigung oder allenfalls Verhandlungen gelöst werden. Im Sinne des Rechtsstaats also ist der Staat nach wie vor ein hohes Gut, für das man unter Umständen sich einsetzen muss – als Politiker ganz selbstverständlich, aber auch als Bürger. Freilich, das Problem, das gestellt war, ist ja eher dies: muss unbedingt die Zusammengehörigkeit im Sinne einer Nation oder einer Kulturnation zusammenfallen mit der Zusammengehörigkeit im Sinne eines staatlichen Selbstbehauptungssystems, also des Rechtsstaates? Kann das nicht anders geregelt werden? Ganz gewiss kann das anders geregelt werden. Wir werden ja demnächst z.B. in Europa eine überstaatliche Organisation mit weitgehenden rechtlichen Vollmachten wahrscheinlich haben. Brumlik: Noch eine Rückfrage. Ich will noch einmal den Advocatus Diaboli spielen. Die neuen Nationalisten, die würden etwa, wie Bernard Willms, unter Bezug auf Fichtes Reden an die deutsche Nation, behaupten, dass gerade das Volk das Selbstbehauptungssystem ist, das sich im Staat verfasst und sich damit selbst wählt. Eine Frage ist jetzt nur, mit welchen Argumenten man solchen Leuten entgegentreten und sagen würde, ihr habt hier einen Kategorienfehler begangen, das Volk ist natürlich in diesem Sinne kein Selbstbehauptungssystem.

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Moskau, 27. Mai 2003; mit Frau Judith und Anatoli Yermolenko

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Apel: Es ist eine charakteristische, für viele unbedingt plausible Idee des frühen 19. Jahrhunderts, dass Volk und Staat auf einen Nenner gebracht werden müssten. Im Namen dieser Idee ist ja z.B. die Donau-Monarchie zerschlagen worden, ist das zerschlagen worden, was der Fürst Metternich als eine Friedensordnung gegenüber der Idee, dass jedes Volk auch seinen Staat haben muss, vertreten hat. Ich denke, es ist nicht leicht, prinzipiell zu sagen, wie es sein muss. Es war und ist bei vielen Völkern so, dass sie ihren Staat begründet haben. Aber es muss nicht so sein; es wäre z.B. eine Beraubung meiner Idee der Kulturnation, wenn es bei uns so sein müsste. Ich meine, eben als Kulturnation, von der Sprache her, gehören wir auch noch zusammen mit den Österreichern und den Deutsch-Schweizern. Man müsste die ja ganz abhängen, wenn man darauf bestehen wollte, dass wir als Volk nun unbedingt mit den Menschen der DDR einen Einheitsstaat haben müssten. Diese besondere Einheit ist ja erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Bismarck zustande gekommen. Vorher gab es viele deutsche Territorialstaaten, vor allem Preußen und Österreich als politische Machtzentren. Ehrlich gesagt (das ist jetzt ganz in Parenthese gesagt): Ich persönlich habe niemals bei dem Streit zwischen Friedrich dem Großen und Maria Theresia, im Siebenjährigen Krieg und davor in den zwei Schlesischen Kriegen, das Gefühl gehabt, dass ich unbedingt in die Identität der Preußischen Geschichte einzutreten hätte, wie uns das so lange eingeredet wurde, insbesondere durch Historiker wie Treitschke, aber auch vorher schon durch Ranke. Maria Theresia hat sehr viel mehr Wert auf deutsche Sprache und deutsche Kultur – 210 –

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gelegt als Friedrich der Große. Und an Wien hängt auch der Ruhm unserer Musik, und darauf möchte ich als Angehöriger der deutschen Kulturnation nicht gerne verzichten, wenn ich das auch mal sagen darf. Freilich können auch Völker in die Lage kommen, sich als Sprachgemeinschaften behaupten zu müssen, und das wiederum kann den Willen zum Nationalstaat wecken – wie heute z.B. in Armenien und Georgien. Brunkhorst: Es gibt ja auch eine Sache, die wir vielleicht gelernt haben könnten aus dieser katastrophalen Geschichte des Deutschen Reiches. Seit Bismarck und eigentlich schon davor, dass eben für die Frage, wie sich jetzt in diesem Bereich, im deutschen Sprachraum, die Staaten zusammensetzen, nicht unbedingt eine solche nationalstaatliche Lösung die beste ist, wie sie etwa in Frankreich oder in Spanien bestanden hat, sondern dass gerade in diesem speziellen historischen Raum ja immer viele Staaten zusammengelebt haben in einer Sprachgemeinschaft, die ja diese ganze Kultur erst hat entstehen lassen, und sehr viel später, durch Kriege von außen, ist dann unter dem Druck eines sehr chauvinistischen Nationalismus dies entstanden, und das ist natürlich auch eine dieser Besonderheiten, die man heute berücksichtigen muss. Brumlik: Kommen wir vielleicht jetzt zu einem weiteren Punkt. Einige amerikanische Politikberater, besonders etwa Francis Fukuyama, ein Rechtshegelianer, meinen, dass eine gleichsam alternativenlose Posthistoire eingeleitet worden sei: Der Faschismus ist auf den Schlachtfeldern besiegt worden. Der Marxismus, Sozialismus ist im wirtschaftlichen Wettbewerb besiegt – 211 –

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worden. Die Welt wird gleichsam eintönig und linear. Vor allem aber hat das Modell einer liberalen Politik den Kalten Krieg gewonnen, und Fukuyama fragt jetzt, haben wir tatsächlich das Ende der Geschichte erreicht? „Have we reached the end of history? Are there, in other words, any fundamental ‚contradictions‘ in human life, that cannot be resolved in the context of modern liberalism, that would be resolvable by an alternative political-economic structure?“ Werden wir eine solche Einschätzung teilen, dass die Weltgeschichte, mindestens was die Frage einer effizienten ökonomischen und politischen Organisation angeht, alternativenlos geworden ist? Und dass gleichsam nur noch Restanten übrig bleiben, die geschichtlich zu bearbeiten sind? Apel: Also das Letztere wäre mir zu stark. Das, was durch das Wort Alternativenlosigkeit ausgedrückt ist. Davon kann keine Rede sein, es wird wieder Alternativen geben. Aber ich bin schon der Meinung, dass tatsächlich der bürokratische Sozialismus ausgespielt hat. Es hat sich da etwas gezeigt, was anthropologisch von tiefster Bedeutung ist: Ein Sozialismus, der auf bürokratische Verwaltung und Planwirtschaft gestützt ist, vermag die Kräfte der Menschen nicht zu mobilisieren, und das ist nun mal eine unabdingbare ökonomische Notwendigkeit. Er vermag also, ganz brutal und populär gesagt, keinen Kuchen zustande zu bringen, der dann verteilt werden kann, der hinreichend groß ist. Er vermag die Kräfte der Menschen nicht zu mobilisieren und muss das dann ausgleichen, kompensieren, durch mehr oder weniger Gewaltausübung von oben. Das

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ist die Tragödie des marxistischen Sozialismus, dass er durch Gewaltausüben von oben, was schon von allein mit der bürokratischen Planung einhergeht, das ausgleichen muss, was dieses System an motivierenden, mobilisierenden Stimulanzien entbehrt. Die Menschen brauchen einen gewissen Wettbewerb, das sieht man schon am Sport. Die Leute wollen sogar, dass da einer ist, der besser Fußball spielt als die anderen, und akzeptieren, dass der dann eine Million verdient. Es ist sehr interessant, dass die armen, erwerbslosen Neapolitaner bereit sind, Maradona ein solches Gehalt neidlos zuzugestehen. Das ist anthropologisch interessant. Es ist eine falsche Einschätzung, den Menschen zu unterstellen, dass sie unbedingt in jeder Hinsicht Gleichheit wollen. Nein, sie wollen auch eine gewisse Farbigkeit, eine gewisse Chancenmöglichkeit. Die Story aus der Zeit Nixons ist ja bekannt: Als Nixon mit Mehrheit zum Präsidenten der USA gewählt wurde, hat man hinterher einen kleinen Mann gefragt, warum er denn seine Stimme dem Nixon gegeben hätte und nicht dem McGovern, obwohl der doch die Steuern erhöhen wollte zugunsten der Sozialgesetzgebung usw. Das wären doch seine Interessen gewesen. Da soll der Mann empört ausgerufen haben: „Was, dem McGovern? Der wollte uns doch noch die letzte Chance nehmen, dass einer aus unserer Familie mal ganz groß nach oben kommt.“ Hier geht es also um den typischen amerikanischen Traum vom Tellerwäscher, der zum Millionär aufsteigt; diesen „American Dream“ wollte ihm der McGovern stehlen. Das ist natürlich überspitzt, übertrieben, aber es zeigt doch etwas, dasselbe, was die neapolitanische Story mit dem Maradona zeigt: Die Men– 213 –

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schen wollen eine gewisse Mobilität im Sinne auch der Aufstiegschancen, des sich Auszeichnens, des Wettbewerbs und des SiegerSeins. Ein gewisses Quantum dieser Mobilität, dieser Chancen des Wettbewerbs muss realisiert werden, sonst kann man keine Effizienz erzeugen. Schon aus diesem Grunde bin ich wirklich der Meinung, dass das Marktsystem eine evolutionäre Errungenschaft ist, die bislang im Kern nicht ersetzt werden konnte und deshalb tatsächlich gesiegt hat, sich im Weltmaßstab durchgesetzt hat gegenüber der Idee des bürokratischen Sozialismus. Hinzu kommen viele andere Gründe, vor allem die bislang nicht ersetzbare Steuerungsfunktion des Geldes der naturwüchsigen Preisbildung – bei der Vermittlung von Angebot und Nachfrage. Aber das alles bedeutet meines Erachtens nicht, dass jetzt nur noch ein alternativenloses Konzept im Sinne des westlichen Liberalismus übriggeblieben wäre. Es bedeutet z.B. nicht, dass von Hajek nun in jeder Hinsicht recht hätte, etwa mit seiner These, dass alles, was soziale Gerechtigkeit betrifft, schon Ideologie sei. Das folgt keineswegs. Es folgt also nicht, dass es nicht „sozialdemokratische“ Wege der Politik geben kann. Es folgt nicht, dass es kein soziales Netz geben darf. Das soziale Netz kann sehr groß und engmaschig sein. Es können auf diesem Gebiet Experimente gemacht werden, wie die Schweden sie gemacht haben. Ich habe einen Bekannten, der schon seit zehn oder zwanzig Jahren prophezeit, dass Schweden ökonomisch zusammenbrechen wird; es ist aber bisher noch nicht zusammengebrochen. Es sind auch noch nicht alle Chefärz– 214 –

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Im Arbeitszimmer in Niederhausen, ca. 2006, umgeben von den Enkeltöchtern, Konstanze, Sofia, Theresa, Zarita (v.l.n.r.)

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te aus Schweden ausgewandert, wie er vorausgesagt hat. Ich sehe da durchaus ein Spektrum von Möglichkeiten, und man kann auch versuchen, sich vorzustellen, was dann alles möglich sein würde. Das wird natürlich nach jeweiligen Gegebenheiten in verschiedenen Regionen der Welt verschieden sein müssen. Ich sehe vor allem, dass wir in der Süd-Nord-Dimension der Weltpolitik zweifellos noch vor großen Aufgaben im Sinne der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit stehen. Es ist natürlich kein Zufall, dass in Mittel- und Südamerika nach wie vor ein sehr starkes sozialistisches Engagement bei anständigen Menschen sozusagen selbstverständlich ist, und dass man da auch nach wie vor vom Marxismus viel hält, was ich zum Teil freilich nicht mehr für berechtigt ansehe. Brunkhorst: Aber das ist vielleicht genau das Problem, das der Fukuyama in seiner Neuauflage dieser Posthistoire-Thesen herunterspielen muss . . . Apel: . . . was Sie mir eben sagten, von diesem Fukuyama, erinnert mich in mancher Hinsicht an das Buch „Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg“ von Hanno Kesting, der ein Schüler von Koselleck war und inzwischen gestorben ist. Er bezog sich in seinem Buch auf das Zeitalter, das in seiner geistigen Signatur durch Geschichtsphilosophie bestimmt ist, also ungefähr auf das Zeitalter von der Französischen Revolution oder von Hegel bis zu dem, was jetzt gerade allem Anschein nach zu Ende gegangen ist. Er würde gesagt haben, der Weltbürgerkrieg sei jetzt zusammen mit der spekulativen Geschichtsphilosophie zu Ende gegangen. Um mit den Franzosen zu reden, mit Glucksmann – 216 –

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und Lyotard, sind ja die großen meta-narrations oder méta-récits der Philosophie heute tot, d.h. die großen sogenannten utopischen Geschichtsphilosophien – vor allem Hegel und Marx. Ich wäre allerdings im Gegensatz zu Lyotard nicht der Meinung, dass etwa die Fortschrittsidee von Kant ausgespielt hätte, wohl aber die Idee eines Wissens vom notwendigen Gang der Geschichte. Die ist wirklich tot, und die damit verbundene Utopie ist tot. Brunkhorst: Das ist selbst nur eine Variante von Geschichtsphilosophie, zu sagen, das Ende von Geschichte ist da . . . Apel: . . . Ich muss ja ehrlich sagen, dass ich diese These vom Ende der Geschichte nie richtig verstanden habe, so wenig wie diese Parolen vom Ende des Menschen oder vom Ende des Subjekts. Es schienen mir immer typisch paradoxe französische Übertreibungen zu sein. Brunkhorst: Die Idee vom Ende der Ideologie . . . Apel: . . . ja, das hört sich schon besser an. Obwohl auch das ziemlich phantastisch ist. Brunkhorst: . . . meint eigentlich das Ende der Ideen im Hegelschen Sinne, weil die Idee verwirklicht ist im westlichen Liberalismus. Deswegen gibt es keine alternativen Ideen mehr zu dieser westlichen Mischung, amerikanischen, europäischen Mischung aus . . . Brumlik: . . . Marktwirtschaft, parlamentarischer Demokratie und Öffentlichkeit. Apel: Das halte ich für eine modische Übertreibung. Wir könnten ja in ganz anderen Dimensionen wieder zu – 217 –

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neuen Alternativen kommen. Da wird manches vereinfacht, wenn man glaubt, dass ein ganz bestimmter Wirtschaftsliberalismus endgültig sich durchgesetzt hätte. Es besteht ja auch bereits zwischen – sagen wir mal – dem Hajekianischen Wirtschaftsliberalismus und der Idee und Konzeption der sozialen Marktwirtschaft bereits ein Unterschied, und dieser Unterschied kann auch weiterentwickelt werden. Und es gibt manche Möglichkeiten genossenschaftlicher Organisation, die nach wie vor nicht tot sind. Aber ich bin da kein Fachmann, und andere könnten gewiss besser darüber reden. Brumlik: Vielleicht könnten wir ja in der letzten Runde nochmal zum Anfang zurückkehren. Nämlich zu diesem Problem der Verantwortung für die kontingenten, kollektiven Gemeinschaften, in die man geboren ist. Da haben Sie sehr deutlich gemacht, dass sich für Sie, der Sie auch noch als erwachsener Mann an dieser Schicksalsgemeinschaft teilhatten, dass sich daraus für Sie besondere Verpflichtungen ableiten. Nun gibt es natürlich auch eine große Diskussion über die historische Verantwortung der künftigen deutschen Generationen. Gelten da ähnliche Argumente? Kann man also sagen, dass künftige deutsche Generationen, sei es auch im versicherungsrechtlichen Sinne, noch eine Haftung haben für dasjenige, was das Deutsche Reich in Europa und auf der Welt angerichtet hat? Apel: Nun, man kann hier nicht etwas vorwegnehmen wollen für die Zukunft. Aber von uns aus gesehen kann man wohl sagen: Wir sind schon verpflichtet, die Erfahrungen und Lernergebnisse, die wir glauben ge– 218 –

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Insel Reichenau, 6. Juni 2007

macht zu haben oder gewonnen zu haben, auch unseren Nachkommen weiterzugeben, sie also zu tradieren; und in dem Sinne werden wir auch diese Verantwortung, die wir Deutsche haben, an unsere Nachkommen weitergeben. Wie das sich dann ändern wird in Bezug auf die jeweiligen Lagen und Verhältnisse, das können wir natürlich gar nicht voraussehen. Es könnte ja eine Katastrophe eintreten, die zur Katastrophe für die Menschheit, für Europa oder für die Deutschen wird. Wenn die aber nicht eintritt, wird man unterstellen müssen, dass sich die Entwicklung – ceteris paribus – kontinuierlich fortsetzt, und dass dann diese Haftung und diese Verantwortung nicht abbricht. Brumlik: Was sagt man denn den jungen Leuten, wenn die sagen: „Na Gott, ich bin jetzt gerade vor 18 Jah– 219 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

ren geboren worden, warum in drei Teufels Namen soll ich die Bringschulden übernehmen, die ihr angerichtet habt?“ Apel: Nun, ich würde dasselbe sagen, was ich für mich persönlich schon vorher geltend gemacht habe. Ich muss den jungen Leuten natürlich zunächst klarmachen, dass einer nicht 18 Jahre alt werden kann in einem bestimmten Volk, und d.h. bestimmte Schulen besuchen, bestimmte Bildungstraditionen übernehmen kann, ohne damit nicht auch gewisse Verpflichtungen dieser Gemeinschaft gegenüber zu übernehmen, und zwar mit der Zeit immer mehr und mehr. Je länger er an dem allem teilnimmt, der Güter teilhaftig wird, die ein bestimmter Sozialisierungsprozeß in einer bestimmten Nation für ihn bereitstellt, in dem Maße wächst er auch in die ganz bestimmten Verantwortlichkeiten und Haftungen dieser Gemeinschaft hinein. Das muss einer schon akzeptieren. Und er hat es auch implizit akzeptiert, wenn er im Lande bleibt. Es gibt natürlich überhaupt den Typ, der, wenn’s brenzlig wird, lieber abhaut. In dem Sinne ist ja noch nicht mal gesagt, dass alles Auswandern aus der DDR immer sehr ehrenhaft war. Es ist von Fall zu Fall sehr verschieden, und man kann sich verschiedenste Gedanken darüber machen. Ich hielte es jedenfalls nicht für richtig, dass jemand z.B. irgendwo eine Eliteerziehung bekommt oder überhaupt irgendeiner Bildung teilhaftig wird, Bildung und Ausbildung, und dann glaubt, hinterher, er schulde dieser Gemeinschaft nichts. In dem Sinne würde ich die Antwort etwa anlegen. Ich würde allerdings gerne noch in einem ganz ande-

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

ren Sinne von einer Fortsetzung in Bezug auf die Weitergabe an die nächste Generation reden, da Sie diese Frage gestellt haben. Wenn ich die Frage aufgeworfen habe: „Könnten wir etwas Besonderes gelernt haben?“ –, dann war damit auch eine gewisse Vermutung verknüpft, die nicht nur in dem Sinne zu verstehen ist, dass ich von einer besonderen Haftung oder Verantwortlichkeit der Deutschen rede, sondern es war damit auch ein etwas vermessener Gedanke verbunden – vielleicht hat mancher ihn durchgeschmeckt. Ich bin auch insgeheim der Meinung, wir könnten etwas gelernt haben, das noch lange nicht jeder gelernt hat. Darüber könnte man viel sagen. Wenn ich noch einmal auf das zurückkommen darf, was wir erlebt haben mit der totalen Niederlage von 1945. Diese Niederlage war wirklich total, ganz anders als 1918, als die Leute eigentlich nicht viel gelernt hatten, sondern nach Hause gingen, „im Felde unbesiegt“. Aber 1945 war es ganz anders: Wir haben damals eine Niederlage unseres nationalen Lebenskonzeptes erlebt, die – ich muss mir das immer wieder sagen – weltgeschichtlich einmalig war. Für den, der das zu Ende denken konnte, ist meines Erachtens auch eine Möglichkeit gegeben, den Schritt ins Postkonventionelle in einer Radikalität zu tun, auch als Philosoph zu tun, wie es vielleicht nicht sonstwo auf der Welt jemand tun kann. Es ist gefährlich, solchen Gedanken nachzuhängen, ich weiß. Es schleicht sich da natürlich auch jener tiefe Stolz ein, der sagen möchte: wir sind doch etwas Besonderes, wir sind philosophisch tiefer als alle anderen. Das war bei Fichte so, und das ist heute wieder so.

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Brumlik: „Jeder Untergang ist ein Aufgang“? Apel: Ja. Ja. Dieser Gedanke ist auch damit verbunden. Ich würde das aber mindestens soweit ernstnehmen wollen, dass ich, was ich glaube, philosophisch gelernt zu haben, auch gerne weitergeben möchte, als Lehrer an die Studenten und als Vater an die Kinder und an die nächste Generation. Je tiefer diese Niederlage sich ausgewirkt hat, umso größer ist doch auch irgendwo die Chance, etwas philosophisch Wesentliches gelernt zu haben. Brunkhorst: Sicher, es ist auch eine gewisse Chance. Ich habe das aus Ihren Aufsätzen und dem, was Sie gesagt haben, herausgespürt und sympathisiere damit auch. Nur, kann man das nicht doch etwas schwächer formulieren, indem man, und das ist immerhin auch schon viel, sagt, dass es in diesem Land ja tatsächlich eine bestimmte Form von Entwicklungsprozessen nicht gegeben hat, bestimmte Formen von Revolution, von Demokratisierung usw. nie kulturell verankert waren, und dass erst diese totale Niederlage es tatsächlich möglich gemacht hat, dass demokratische Institutionen entstanden sind? Apel: Ich wollte das ja gerne etwas esoterischer ausdrücken, im Sinne des weltgeschichtlichen Geschehens des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Das ist ja der Untertitel meines letzten Buches. Das ist für mich noch ein bisschen was anderes, als einfach der Weg zur Demokratie. Demokratie ist ja auch nur ein kontingentes geschichtliches Ergebnis, wozu wir bisher keine Alternative kennen – nämlich zur parlamentarischen De-

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Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

85. Geburtstag, Niedernhausen 2007, v.l.n.r.: Marcel Niquet, Matthias Kettner, Wolfgang Kuhlmann

mokratie, zur Parteiendemokratie. Aber das besagt ja nun nicht, dass das schon identifiziert werden muss mit dem höchsten Ziel der Ethik, sondern es ist eine politische Realisierungsform, die wir bisher für die beste ansehen. Brunkhorst: Ich darf noch einmal auf den einen Punkt zurückkommen. Ganz am Anfang waren wir bei der Frage der kontingenten Identität. Ich glaube ja, dass es etwas unglücklich ist, von kontingenter Identität zu reden, und dass das nicht zufällig bestimmte funktionalistische Implikationen hat, die sich bei Lübbe dann auch durchsetzen. Wenn die Identität wirklich kontingent wäre, dann könnte man ja gewissermaßen genau das machen, was man nicht machen kann: Man könnte gewissermaßen ein Atom aus dem Verband der Mo– 223 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

leküle trennen, es in einen anderen verpflanzen, und dass es in dem früheren Verband war, spielt in der neuen Position des Atoms überhaupt keine Rolle mehr. Aber genau das kann man mit der Identität nicht machen, deswegen ist sie in diesem Sinne nicht kontingent. Man kann eben nicht 18 Jahre leben, ohne gewisse Verpflichtungen oder wenigstens schwache Verantwortlichkeit zu übernehmen, gegenüber Sachen, die man selber nicht angerichtet hat. Apel: Ich sehe nicht, warum man das nicht kontingent nennen kann oder sogar muss. Ich persönlich bin ja nun freilich, das muss ich vorausschicken, einer der weißen Raben, die glauben, dass es überhaupt nichtkontingente Voraussetzungen gibt. Nämlich z.B. nichtkontingente Präsuppositionen des Denkens oder des Argumentierens. Es gibt ja viele Leute, wohl die meisten heutzutage, die würden überhaupt nur kontingente Voraussetzungen anerkennen. Ich bin aber der Meinung, dass wir Vernunftwesen sind und dass die Prädispositionen, die dazu im engen Sinne gehören, nicht kontingent sind. Als Transzendentalpragmatiker meine ich, dass es kontingente und nichtkontingente Voraussetzungen gibt, und dass ich ein Deutscher bin, das würde ich nicht zu den in dem Sinne transzendentalen Voraussetzungen rechnen. Brunkhorst: Aber doch etwas mehr als kontingent, man kann seine Identität verändern, das ist richtig, man kann sie auch total verändern im Extremfall, aber wenn man als Amerikaner mit 18 Jahren, nehmen wir mal an, nach China auswandert, dann wird man doch mit – 224 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

Acquappesa, Italien, 2007, Verleihung des „Karl-Otto-Apel Preises“ an Gianni Vattimo; v.l.n.r.: Reinhard Hesse, Gianni Vattimo, K.-O. Apel, Michele Borrelli, Universität Cosenza, Organisator der „Karl-Otto Apel Preis“-Verleihungen.

höchster Wahrscheinlichkeit immer in gewisser Hinsicht ein Amerikaner bleiben. Ich würde einmal sagen, soweit wir unsere kontingente Identität nicht wählen können, ist sie vollkommen zufällig. Aber insoweit wir auch eine Haftung für diese Identität übernehmen müssen und uns, wie Sie sagen, für sie engagieren müssen, kommt bereits ein nichtkontingentes Moment zur Geltung, und zwar in genau dem (mehr oder minder starken) Maße, in dem wir für unsere geschichtliche Identität auch selbst verantwortlich werden. Apel: Ja, das meine ich gerade. Ich meine mit kontingenter Identität, was ich mal bei Heidegger gelernt ha– 225 –

Gespräch mit Hauke B RUNKHORST und Micha B RUMLIK

be, dass die Faktizität des menschlichen Daseins selber ein existentiales Apriori ist. Für den Einzelnen, der sein faktisches Dasein als dieser Mensch übernehmen muss, ist es dann ein existentielles Problem, ob bzw. in welchem Maße er sich der Forderung der Selbstübernahme stellt, d.h. „eigentlich“ existiert. Natürlich verschärft sich dieses Problem in dem Maße, in dem ein Mensch sein bloß faktisches Dasein schon als sein existentielles Apriori übernommen hat. Das Moment der bloßen Zufälligkeit seines Daseins als dieser Mensch wird sozusagen immer geringer, und der existentielle Widerspruch der „Uneigentlichkeit“, der in der Verleugnung seiner kontingenten Identität liegt, wird immer größer. Aber es bleibt doch – auf der Ebene des Denkens – immer eine Vermittlung zwischen Vernunftidentität und kontingenter Identität. Denn man behält ja als Vernunftwesen auch die Fähigkeit zur exzentrischen Selbstdistanzierung. In der hier zu leistenden Vermittlung dürfte heute ein schweres existentielles Problem für viele Vertreter der bisherigen Führungsschicht der DDR liegen.

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A PEL UND DIE D EUTSCHEN , DAS BESONDERE V OLK E INE N ACHBEMERKUNG ZUM I NTERVIEW AUS IMMER NEU AKTUELLEM A NLASS Reinhard H ESSE

Ich lasse die Frage beiseite, welche andere Nationen außer der deutschen von sich meinen, sie hätten eine besondere „Sendung“ gegenüber dem Rest der Menschheit. Dass ein Sendungsbewusstsein jedenfalls mit zu dem gehört, was man deutsche politische Kultur nennen könnte, wird allerdings wohl kaum jemand bezweifeln. Ich denke, man könnte es im deutschen Fall sogar mit guten Gründen als konstitutiv bezeichnen. Die Gründe liegen, wie könnte es anders sein, in der Geschichte. Ich kann das hier nur stichwortartig skizzieren. Der erste Kontakt, den die rohen germanischen Völker mit einer höheren Kultur hatten, war der mit dem römischen Weltreich, dessen Recht der Staatsidee nach für die ganze Welt, virtuell also für alle Menschen, galt. Dieser römische Herrschafts- und Rechtsuniversalismus wurde im katholischen Christentum (katholos = allumfassend) moralisch legitimiert und religiös über– 227 –

Reinhard H ESSE

höht: Aus dem römischen Reich wurde das von Gott mit der universellen Ausbreitung des Christentums beauftragte „heilige“ römische Reich. Die politische Ausführung dieses Auftrags übernahm die deutsche Nation, die sich inzwischen gebildet hatte und das römische Reich trug, wodurch dieses zum „heiligen römischen Reich deutscher Nation“ wurde. In der deutschen Nation fanden dann auch die heftigsten theologischen und militärischen Auseinandersetzungen über den richtigen Weg dieser Ausführung statt (Protestantismus, 30jähriger Krieg). Und in ihr fand schließlich die radikalste Abkehr von deren religiösen und sozialen Rahmenbedingungen statt (Kant, Marx). Katholizismus, Protestantismus, Aufklärung und Marxismus haben jedoch, das übersieht man leicht, e i n e s gemeinsam: den universalistischen Geltungsanspruch. So wundert es dann nicht, dass etwa Fichte der deutschen Nation eine Vorbild- und Führungsrolle zuspricht oder dass Friedrich Engels im Vorwort zu seinem „Der deutsche Bauernkrieg“ das deutsche Volk als „das theoretischste Volk Europas“ bezeichnet; noch wundert es, dass man etwas später, zu Kaiser Wilhelms Zeiten, ziemlich selbstverständlich der Meinung war, am deutschen Wesen könne und solle die Welt genesen. Letztlich geschahen auch die nationalsozialistischen „Säuberungsmaßnahmen“ nicht einfach um ihrer selbst willen, sondern um die Menschheit vom Bösen (von den Juden, den Kommunisten usw.) zu befreien. Die SS hatte diese schwere Arbeit auf sich genommen und ist dabei sogar „anständig geblieben“ – 228 –

Apel und die Deutschen

v.l.n.r.: Tochter Katharina mit ihrer Tochter Sofia, Adoptivtochter Barbara mit Dorotheas Tochter Zarita, Karl-Otto Apel, Tochter Dorothea, deren Ehemann István Fritsche, Barbaras Ehemann Sly Aagaou mit Sohn Tim., ca. 2010

(H.Himmler, Posener Rede vom 03.10.1943). Und nach dem Kriege waren die Deutschen bereit, im Kontext des Kalten Krieges mit seiner „mutually assured destruction“ ihre physische Existenz für die Verteidigung der universalistischen Ideale Freiheit und Demokratie (im Westen) bzw. für die Verteidigung der unversalistischen Ideale des Sozialismus (im Osten) einzusetzen. Auch das Weltrettungspathos unserer Tage, bei dem sich insbesondere die Deutschen ideologisch und – nach dem erklärten Motto „Wer wenn nicht wir?“ – durch die Bereitschaft zu gravierenden praktischen Maßnahmen mit ungewissem Ausgang hervortun, passt in diese Traditionslinie.

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Reinhard H ESSE

Es kann nun allerdings kein Zweifel sein – Apel hat das immer wieder zentral herausgearbeitet und betont, dass die Grundnormen von Erkenntnistheorie und Ethik universalistischen Ansprüchen genügen müssen. Und vielleicht hat tatsächlich die Geschichte (wie oben angedeutet) keine andere Einzelkultur der Welt so tief mit universalistischen Ansprüchen durchdrungen wie die deutsche. Noch die russischen Revolutionäre konnten sich ja die erwartete Weltrevolution, das erwartete Heil der Welt – hierin Kaiser Wilhelm ähnlich – nicht anders vorstellen als von Deutschland ausgehend. Und auch in dem obigen Apel-Interview finden sich gegen Ende Überlegungen, die in diesen Erwartungsrahmen passen. Etwa: „Ich bin insgeheim der Meinung, wir könnten etwas gelernt haben, das noch lange nicht jeder gelernt hat.“ Und: „Für den, der das zuende denken konnte, ist m.E. auch eine Möglichkeit gegeben, den Schritt ins Postkonventionelle in einer Radikalität zu tun, auch als Philosoph zu tun, wie es vielleicht nicht sonstwo auf der Welt jemand tun kann.“ Oder weiter oben: „Ich würde sagen, dass man einen Ehrenpunkt darin suchen sollte, dass die Deutschen jetzt ihre Kompetenzen und ihre Ressourcen zur Geltung bringen – im Sinne des Mithelfens, der Mitverantwortung in dieser Weltgesellschaft. Man ist ja schließlich derjenige, der man ist, und kann ganz bestimmte Dinge leisten, die vielleicht nicht jeder leisten kann.“ Aber: Apel lässt das nicht unhinterfragt stehen! Er fügt sofort hinzu: „Ja, das hat immer zwei Seiten. Es ist natürlich gefährlich, wenn die Seite des Stolzes gegen die der Verantwortung hervorgekehrt wird.“ „Es ist ge– 230 –

Apel und die Deutschen

fährlich, solchen Gedanken nachzuhängen, ich weiß. Es schleicht sich da natürlich auch jener tiefe Stolz ein, der sagen möchte: Wir sind etwas Besonderes, wir sind philosophisch tiefer als die anderen. Das war bei Fichte so und das ist heute wieder so.“ An diese warnenden Sätze habe ich mich Jahre später erinnert, als ich nach Öffnung der deutschen Grenzen und dem begeistert-überschwänglichen Willkommenheißen einer gewollt „nach oben offenen“ Zahl von pauschal „Flüchtlingen“ genannten, oft ausweislosen Einwanderern in das Sozialsystem Deutschlands die Regierungschefin auf der eine Weile danach stattfindenden Jahresversammlung ihrer Partei hierzu pathetisch ausrufen hörte, es habe „schon immer zu unserer Identität gehört, Größtes zu leisten!“ – einen Satz, der mit minutenlangem, stehenden Beifall beantwortet wurde. „Du sublime au ridicule, il n’y a qu’n pas.“ – Zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen steht manchmal nur nur ein kleiner nüchterner Gedanke. In diesem Fall steht zwischen der erhabenen humanitären Absicht, allen vermeintlich Bedrängten der Welt helfen zu wollen und der lächerlichen Idee, sie zu diesem Zweck nach Deutschland einzuladen, der kleine, nüchterne Gedanke, dass dergleichen schon aus trivialen praktischen Gründen nicht realisierbar ist. (Ob es wünschbar sei, ist eine weitere Frage.) Und ich habe mich, muss ich gestehen, auch an die ätzende Bemerkung Schopenhauers erinnert, was ihm die Deutschen als politisches Subjekt verächtlich ma-

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Reinhard H ESSE

che und weshalb er sich schäme, Angehöriger dieser Nation zu sein, sei ihre „überschwängliche Dummheit.“ Um aber am Ende zurück auf die Philosophie zu kommen: Das was die Deutschen aus der Geschichte lernen können, sollte also wohl besser nicht jene pseudouniversalistische Gesinnungsüberheblichkeit sein, die m.E. nach wie vor gang und gäbe ist – wie Apel richtig gesehen hat: von Fichte bis zu den Zeiten des Interviews, aber nicht minder auch in der heutigen Zeit, in der Deutschland sich als „Moralweltmeister“ sieht. Nicht moralistische Gesinnungsüberheblichkeit ist die Lehre der Geschichte, sondern die nüchterne Besinnung auf den – freilich oft mühevollen – Gebrauch dessen was Kant Urteilskraft genannt hat und auf die aus ihr sich ergebende Notwendigkeit differenzierter Argumentation. Nur so können wir Menschen hoffen herauszufinden, was der Fall ist und was zu tun richtig wäre. Die argumentierende Auseinandersetzung über Wahrheit und Richtigkeit aber kann nicht geführt werden ohne Anerkenntnis der ihr notwendig zugrundeliegenden universalistischen Rechte und Pflichten. Dass die deutsche Kultur „theoretischer“, „tiefer“, „universalismus-affiner“ ist als andere, das mag aus den oben angedeuteten historischen Gründen ja so sein, hat aber leider die Kehrseite, dass sie allzu leicht umschlägt in eine Affinität zu „überschwänglicher Dummheit“, wenn sie gesinnungsethisch verstanden wird.

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Apel und die Deutschen

90. Geburtstag; mit Jürgen Habermas; im Spiegel: v.l.n.r.: Dietrich Böhler (ehem. Assistent von K.-O. Apel), Apels Tochter Katharina, Reinhard Hesse. Photo zur Verfügung gestellt von Matthias Kettner.

Kants Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ etwa, die ein wesentliches theoretisches Fundament der Vereinten Nationen wurde, zeigt beispielhaft auf, wie das Gegenmodell dazu aussieht.

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K ONDOLENZSCHREIBEN VON B UNDESPRÄSIDENT F RANK -WALTER S TEINMEIER Mit Karl-Otto Apel verliert unser Land einen seiner herausragenden und profiliertesten Denker. Er hat die historische Erfahrung des nationalsozialistischen Terrors stets als notwendigen Hintergrund seiner philosophischen Arbeit begriffen. Mit der Diskursethik gelang ihm eine der wirkungsstärksten und überzeugendsten Begründungen einer auf Gleichheit, Freiheit und Respekt angelegten Demokratie. Sein Denken spürte den Voraussetzungen nach, die wir in Anspruch nehmen, wenn wir argumentieren, diskutieren und zu überzeugen versuchen. Vernunft und Respekt in der öffentlichen Auseinandersetzung müssen wir heute wieder einfordern und bestärken. Nur so kann in einer Gesellschaft der vielen unterschiedlichen Identitäten eine freie und friedliche Auseinandersetzung möglich sein. Das Werk von Karl-Otto Apel ist daher von herausragender Aktualität. Die von ihm formulierten Regeln und Grundlagen für eine Argumentations- und Kommunikationsgemeinschaft unter Gleichberechtigten haben mitgeholfen, nach dem Zweiten Weltkrieg eine humane und zivile Gesellschaft aufzubauen. Weit über Deutschland hinaus genoss Karl-Otto Apel zu Recht hohe Anerkennung und verdientermaßen philosophischen Ruhm. – 235 –

Konstanz 2007. Foto: Siglinde Schlemper.

Einführungen: Philosophie

Reinhard Hesse Worum geht es in der Philosophie? Grundfragen der Philosophie zwischen Wahrheit und Macht Der Mensch ist existenziell auf Wahrheit angewiesen. Wahrheitsfindung setzt gelingende Argumentation und damit die Anerkennung gleicher Rechte und Pflichten aller denkbaren Gesprächspartner, also Sprachethik, voraus. Macht beruht und zielt hingegen auf Ungleichheit. Wahrheitssuche und Macht stehen in einem Spannungs- und Subversionsverhältnis zueinander. Es wird gezeigt, warum nichtargumentative, etwa religiöse, Wahrheitssuche auf Macht angewiesen ist und weshalb die freiheitlichegalitären Postulate der Sprachethik in die Forderung nach einer mit ihnen vereinbaren politischen Ökonomie münden. Der 2. Teil gibt einen gerafften Überblick über die geschichtliche Entfaltung dieser Perspektive. Bd. 13, 112 S., 14,90 , br., ISBN-DE 978-3-8258-1187-7, ISBN-CH 978-3-03735-243-4

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Vorankündigung Michele Borrelli (Ý); Francesca Caputo; Reinhard Hesse (Hrsg.) Karl-Otto Apel: Leben und Denken In dem in Vorbereitung befindlichen Band sind Beiträge internationaler Autoren – teils Schüler, teils Kritiker, teils beides – versammelt, die sich mit mit dem verstorbenen Karl-Otto Apel und seiner Philosophie auseinandersetzen. Karl-Otto Apel ist neben Jürgen Habermas einer der bekanntesten deutschen Philosophen – nach dem Niedergang der „großen Erzählungen“ vielleicht sogar einer der letzten, die noch weltweites Renommee genießen. Was ihn besonders faszinierend macht: Er hat Philosophie nicht nur als Beruf und aus Berufung getrieben, er hat Philosophie gelebt. Der Mensch Apel ist ohne den Philosophen Apel nicht zu verstehen und umgekehrt. Weshalb lohnt es sich, sich mit ihm zu beschäftigen? Was sind seine wesentlichen Erkenntnisse? Das ist das Thema dieses demnächst erscheinenden Gedenkbandes. Die Autoren der einzelnen Beiträge haben unterschiedliche Sichtweisen darauf. Alle aber eint der Respekt vor der Aufrichtigkeit und der Konsequenz des Wahrheitssuchers Apel, dessen Einsichten quer standen zum Geist der Zeit. Beiträge von: D. Apel, M. Borrelli (Ý), E. Arens, D. Böhler, A. Dorschel, R. Fornet-Betancourt, R. Forst, H. Gronke, V. Hösle, J. Kreft, C. Tillack-Tutuhatunewa, P. Naumann, M. Brumlik / H. Brunkhorst, E. Demenchonok, J. Habermas, J. Hellesnes, R. Hesse, M. Kettner, L. Lovelli, A. Nascimento. M. Niquet, K. Ott, A. Pinzani, W. Reese-Schäfer, P. Strydom, R. von Schomberg und A. Yermolenko. 2022, ca. 900 S., ca. 68,80 , br., ISBN 978-3-643-15140-7

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