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German Pages 430 [456] Year 1966
KIELMANSEGG / AUFZEICHNUNGEN
Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker Aufzeichnungen des k. k. Statthalters E R I C H GRAF
KIELMANSEGG
Mit einer Einleitung von Walter Goldinger
R. OLDENBOURG VERLAG • WIEN U N D M Ü N C H E N 1966
© 1966 by Verlag f ü r Geschichte und Politik, Wien Schutzumschlaggestaltung: Maria Wessely Druck: R. Spies & Co., 1050 Wien
INHALTSVERZEICHNIS
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen Einleitung Vorwort Kaiser Franz Joseph Kaiserin Elisabeth Katharina Schratt Erzherzog Karl Ludwig und seine Söhne Feldmarschall Erzherzog Albrecht und seine Brüder Fürst Carlos und Fürst Adolf Auersperg Dr. Karl Giskra Josef Lasser Freiherr von Zollheim Dr. Josef Unger Graf Eduard Taaffe Fürst Alfred Windisch-Grätz Olivier Marquis de Bacquehem Dr. Kasimir Graf Badeni Fürst Franz Thun-Hohenstein Dr. Ernest von Koerber Dr. Paul Gautsch Freiherr von Frankenthurn Graf Arthur Bylandt-Rheidt Dr. Heinrich Ritter von Wittek Dr. Wilhelm Ritter von Härtel Dr. Richard Graf Bienerth-Schmerling Dr. Karl Lueger Albert Gessmann Register
6 7 19 21 102 111 125 174 186 199 205 210 213 247 253 260 271 287 302 335 338 343 353 365 408 419
V E R Z E I C H N I S UND N A C H W E I S DER ABBILDUNGEN
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Erich Graf Kielmansegg Titelbild Kaiser Franz Joseph, Gemälde von Julius Schmid 32 Kaiserin Elisabeth, Gemälde von Gjula Benczur 33 Katharina Schratt 48 Erzherzog Karl Ludwig mit seiner Familie 49 Erzherzog Otto mit seiner Braut Maria Josepha von Sachsen . . . 144 Erzherzog Franz Ferdinand 145 Erzherzog Wilhelm 160 Erzherzog Albrecht 160 Erzherzog Friedrich mit seiner Braut Isabella von Croy . . . . 161 Fürst Adolf Auersperg 192 Fürst Carlos Auersperg 192 Graf Eduard Taaffe 193 Dr. Karl Giskra 193 Josef Lasser Freiherr von Zollheim 208 Dr. Josef Unger 208 Erich Graf Kielmansegg mit seiner Gemahlin 209 Anastasia Lebedewna von Lebedeff Fürst Alfred Windisch-Grätz 256 Dr. Kasimir Graf Badeni 256 Dr. Paul Gautsch Freiherr von Frankenthurn 257 Olivier Marquis de Bacquehem 257 Fürst Franz Thun-Hohenstein 272 Dr. Ernest von Koerber 272 Dr. Wilhelm Ritter von Härtel 273 Dr. Heinrich Ritter von Wittek 273 Graf Arthur Bylandt-Rheidt 336 Dr. Richard Graf Bienerth-Sdimerling 336 Dr. Karl Lueger 337 Albert Gessmann 337 Dr. Karl Lueger, mit den Puppen Kielmansegg und Koerber spielend 352 Erich Graf Kielmansegg bei festlichem Anlaß 352 Erich Graf Kielmansegg 353
Vorlagen für die Abbildungen: Abb. 19: Privatnachlaß Erich Graf Kielmanseggs. Alle übrigen Abbildungen: österreichische Nationalbibliothek, Wien.
EINLEITUNG
Die Erinnerungen, die der k. k. Statthalter von Niederösterreich Erich Graf Kielmansegg verfaßt hat, als er im Ruhestand Zeit und Muße dafür fand, weichen von der herkömmlichen Memoirenliteratur ab. Sie stellen keinen fortlaufenden Lebensbericht dar, sondern enthalten eine Anzahl Porträts bedeutender Zeitgenossen, die ihm begegnet sind; des Kaisers und der bemerkenswertesten Mitglieder des Kaiserhauses, der Ministerpräsidenten Adolf und Carlos Auersperg, Taaffe, Windisch-Grätz, Badeni, Gautsch, Thun, Koerber, der Minister Bacquehem, Bylandt-Rheidt, Gessmann, Härtel und Wittek, des Bürgermeisters Lueger und der „Gnädigen Frau" Katharina Schratt. Eigene Erlebnisse werden an passender Stelle eingeflochten, woraus sich verschiedentlich Wiederholungen ergeben. Sein eigenes Lebens- und Charakterbild zu zeichnen, liegt durchaus nicht in der Absicht des Verfassers. Aus der Not, daß ihm keine geeigneten Unterlagen wie Tagebücher und amtliche Aufzeichnungen zur Verfügung standen, sondern daß er nur fallweise auf spärliche Korrespondenzen, gelegentlich auch Zeitungsausschnitte, zurückgreifen konnte, macht er eine Tugend. Er stützt sich lediglich auf seine eigenen, in der Erinnerung etwas verblaßten und auch veränderten Beobachtungen. Seine Stärke liegt dabei in der Analyse. Aus all dem, was ihm nach langen Jahren noch gegenwärtig war, sucht er zum Kern und zum Wesen der betreffenden Personen vorzudringen, freilich aus dem Blickwinkel, wie er sie aus einer oft begrenzten Verwaltungsperspektive gesehen hat. Krasse Verzeichnungen, wie etwa im Fall des Unterrichtsministers Härtel, sind selten. In allen Lebensbildern findet sich mehr als ein Körnchen Wahrheit. Fast nie mangelt es an kritischen und sarkastischen Bemerkungen. Nicht immer halten sie der historischen Nachprüfung stand. Das, was dem Schreiber gegenwärtig war und woran zu zweifeln für ihn kein Anlaß bestand, im einzelnen nachzuprüfen, lag ihm fern. Ein Blick in den „Gotha" hätte gelegentlich schon genügt, maliziöse Bemerkungen, die vermutlich durch übelwollendes Gerede veranlaßt waren, als unbegründet zu erweisen. Gewiß hat Kielmansegg oft hinter
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die Kulissen gesehen, sein Urteil wird aber nicht selten von Gefühlen u n d persönlichen Erlebnissen bestimmt. Darin liegen Stärke und Schwäche, dodi auch der Reiz seines Erinnerungswerkes. D a ß er bei der Niederschrift, die ursprünglich wohl nicht zur Veröffentlichung bestimmt war und aus der er nur gelegentlich im Freundeskreis einen Abschnitt vorlas, die Wahrheit sagen wollte, ist nicht zu bestreiten. Ebensowenig läßt sich aber leugnen, daß er aus den angeführten Gründen nicht immer in der Lage war, die volle objektive Wahrheit zu vermitteln. Wer also heute, aus einer Distanz von 50 Jahren, diese Aufzeichnungen aus einer vergangenen Welt liest, muß sich den Standort vergegenwärtigen, von dem aus Kielmansegg seine Zeitgenossen und sich selbst gesehen hat. Die Anschauungen, die dabei zutage treten, sind in vielem auch heute noch bemerkenswert. In Altösterreich gab es auf dem Gebiete der Landesverwaltung eine Doppelgeleisigkeit. Der Behördenapparat des Landesfürsten stand den aus ehemals ständischen Einrichtungen erwachsenen autonomen Körperschaften und deren Ämtern gegenüber, wie sie sich seit 1861 mit dem werdenden Verfassungsstaat herausgebildet hatten. Die Willensbildung in den parlamentarisch aufgebauten konstitutionellen Landtagen fand ihre Grenze, nicht selten auch einen Widerpart, in der letztlich vom Monarchen abhängigen, von ihm eingesetzten, nur ihm und der Staatsregierung verantwortlichen staatlichen Verwaltung. An ihrer Spitze stand ein Landeschef, in den größeren Ländern Statthalter, in den kleineren Landespräsident genannt. Die erste Bezeichnung verdeutlicht so recht die Funktion dieses Beamten, der als Vertreter des Landesfürsten an der Spitze einer Behörde stand, die man in einer weiter zurückliegenden Zeit Gubernium genannt hatte. Mit ihr und in ihr sollte, wie schon der N a m e sagt, regiert werden. Mit anderen Worten, der Landeschef hatte nicht nur zu verwalten, sondern auch Politik zu machen, die mit dem Willen des Monarchen und den Tendenzen der kaiserlichen Minister in Einklang stehen sollte. Zentralismus und Föderalismus prallten dabei nicht selten aufeinander. Indes, Österreich blieb auch in der konstitutionellen Ä r a im Grunde ein Obrigkeitsstaat. Von daher sind der Wirkungskreis und die Aufgaben eines k. k. Statthalters zu begreifen. Wie nun ein solcher Landeschef seinen Platz auszufüllen vermochte, hing stark von der Persönlichkeit ab, die zu diesem A m t berufen wurde. Viel kam auch auf das Vertrauen des Kaisers an, der einen
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Statthalter als ein Alter ego betrachtete. Nicht umsonst hat er f ü r Tirol dieses Amt durch geraume Zeit seinem Bruder K a r l Ludwig übertragen. Nicht weniger wichtig war aber Niederösterreich, das Kernland der Monarchie, dem auch die H a u p t - und Residenzstadt Wien zugehörte. Es war kein Vizekönigtum, das der k. k. Statthalter in Wien bekleidete, doch nahm er eine Stellung ein, die sich grundsätzlich, wenn auch nicht immer faktisch, jener seiner vom Herrscher und der Wiener Zentrale weiter entfernten Kollegen in Prag und Lemberg näherte. In den Statthalterämtern beherrschten bis zum Ende der Monarchie Grafen u n d Fürsten das Feld. Freilich konnte nicht jedermann aus dem Hochadel von vornherein des Vertrauens der Krone sicher sein. Bei der Neigung des Kaisers zu überhasteten Entschlüssen, die sich namentlich in Krisenlagen geltend machten, war mit der Übernahme des Postens eines Statthalters keineswegs die Sicherheit verbunden, sich dieses Amtes lange Zeit erfreuen zu können. Es fällt darum auf, daß in Niederösterreich ein einziger M a n n durch mehr als zwei Jahrzehnte, von 1889 bis 1911, mit einer kurzen Unterbrechung, die ihn an die Spitze der Staatsregierung führte, Statthalter w a r und geblieben ist: Erich Graf Kielmansegg. Vom Vertrauen seines kaiserlichen H e r r n getragen, anerkannt von den wechselnden Regierungen, von deren Trägern er sich allerdings nicht selten innerlich distanzierte, ist er zum Typus „des Statthalters" im ausklingenden Altösterreich geworden. Freilich hat es ihm auch nicht an scharfen Gegnern gefehlt. Vor allem mit den aufstrebenden politischen Massenbewegungen, den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, hat er manch harten Strauß ausgefochten. Vor übler Nachrede blieb er nicht verschont. I n Rückerinnerung an das Jugend- u n d Heldenalter seiner Partei h a t der christlichsoziale Prälat Josef Scheicher, der als junger Kaplan die sturmbewegten Anfänge jener Bewegung mitgemacht hatte, die in dem späteren Wiener Bürgermeister K a r l Lueger ihre Spitze und ihr Idol fand, den Grafen den parteiischesten Statthalter von ganz Europa genannt. Es dürfte ihm nicht unbekannt geblieben sein, daß ihn dieser, weil er seine sozialpolitischen Ideen von den Tendenzen des Sozialismus nicht zu unterscheiden verstand, von seinem Polizeiapparat überwachen ließ. Scheicher hat Kielmansegg Vulgärliberalismus vorgeworfen, auch sein hochkonservativer Standesgenosse Graf Karl Hohenwart zählte ihn zu den Liberalen. Demgegenüber fehlte es aus jenem Lager nicht an Stimmen, die den Statthalter zu den Konservativen rechneten. Zu Unrecht vermutete die breite Masse der Anhänger der christlichsozialen Partei, daß Kielmansegg die Bestätigung Karl Luegers
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als Bürgermeister von Wien beim Kaiser hintertrieben habe. Selbst dem Nachruf, der am 7. Februar 1923 nach dem Tode des Grafen unter den gänzlich veränderten politischen Verhältnissen erschien, ist noch ein leises Grollen zu entnehmen. Nur zu gern habe der Statthalter den Verwaltungsapparat den liberalen Parteiwünschen zur Verfügung gestellt, als Vertrauensmann des Kaisers habe er diesen einseitig über die Christlichsozialen informiert. Er sei mitverantwortlich an der ungeheuren Erschwerung und verhängnisvollen Verlangsamung des siegreichen Durchbruchs der christlichsozialen Ideen. Ein Gutteil der Lebenskraft des Riesen Lueger sei verbraucht worden im Kampf gegen die mächtigen Widerstände von Männern wie Kielmansegg. Obgleich er später einen Modus vivendi mit den Christlichsozialen gefunden habe, sei ihm als Ausländer und Protestanten der österreichische Volksgeist fremd geblieben. In dieser Beurteilung durch das christlichsoziale Parteiorgan, die „Reichspost", schwingt der mangelnde zeitliche Abstand des Verfassers des Nekrologes mit. In den nahezu vier Jahrzehnte später erschienenen Erinnerungen von Robert Ehrhart „Im Dienst des alten Österreich" zeigt das Porträt des Statthalters bereits andere Konturen. Er spricht von einer Annäherung an das österreichische, die sich bei Kielmansegg bis zur Identifikation vollzogen habe, wobei allerdings Aussehen, Akzent und Art des protestantischen, liberalen, dabei einigermaßen autoritären Norddeutschen die eines vornehmen und kultivierten Junkers geblieben seien. Audi die „Arbeiterzeitung", das publizistische Organ jener anderen Massenbewegung, zu der Graf Kielmansegg während seiner aktiven Beamtenlaufbahn nicht selten in Widerstreit geraten war, widmete ihm nach seinem Tode einen Nachruf. Auch sie nennt ihn einen typischen liberalen Beamten, nicht zu sehr in alten Vorurteilen befangen, mit einer gewissen Empfänglichkeit für moderne Reformen, mit Urbanen Formen nach allen Seiten und schließt: Unter den Beamten des alten Österreich, die neben ihren Lastern zweifellos auch ihre Meriten besaßen, war Kielmansegg eine beachtliche Figur. Gemeinsam ist diesen Urteilen, daß sie den Grafen dem Beamtentum und der Verwaltung zuordnen. Daneben spielen aber für sein Persönlichkeitsbild Abstammung und Herkunft keine unbedeutende Rolle. Sein Lebenswerk ist in erster Linie als Leistung für die Verwaltung zu verstehen. Er hat sie von Grund auf kennengelernt, ihren Apparat beherrscht, Fehler und Mängel wahrgenommen und ihr bis heute nachwirkende Impulse gegeben. Mit Ausnahme des kurzen Zwi-
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schenspiels als Leiter einer provisorischen Regierung hat er die entscheidenden Jahre seines Schaffens den Problemen des Landes Niederösterreich und der Stadt Wien gewidmet. Er ist, bürokratisch gesehen, ein Mann der zweiten Verwaltungsinstanz geblieben, doch hatte er in den Anfängen seiner Beamtenlaufbahn auch die unterste Stufe des staatlichen Behördensystems hinreichend kennengelernt. Stets hat er sich viel darauf zugute getan, dem Leben des Volkes — oder gab es in den Augen dieses kaiserlichen Verwaltungsbeamten nur eine Bevölkerung? — nahe gewesen zu sein. Sicherlich war ihm dieses nur Objekt, doch hielt er den zentralistischen Verwaltungsaufbau in Österreich für verkehrt. In einer Denkschrift, die mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von seiner Feder herrührt, wird die zentralistische Einstellung der maßgebenden Faktoren scharf kritisiert. In den vom Leben meilenweit entfernten ministeriellen Büros existiere ein geheiligter Schimmel für jede Angelegenheit, die irgendeinmal in Form eines Aktes erscheinen könne. Man glaube, daß dadurch die schöne Gleichmäßigkeit der Verwaltung garantiert werde. Daß kein Individuum dem andern, keine Nation der andern, kein soziales und ökonomisches Milieu dem andern gleiche, werde man diesen moosbedeckten Karpfen nie begreiflich machen. D a sie im Studium der Geschichte seinerzeit bis zu Kaiser Josefs Regierung vorgedrungen und von demokratisch fühlenden Schulmeistern belehrt worden seien, daß jene Regierung die vortrefflichste in Österreich gewesen sei, glaubten sie, eine rein zentralistische Verwaltung müsse für Österreich die beste sein. Diese antizentralistische Einstellung ist beim Grafen Erich Kielmansegg mit einer nicht minder heftigen Abneigung gegen die autonomen Landesverwaltungen gepaart. Audi diese hält er von Grund aus für verfehlt. Sie sei das schiefwinkelige Zerrbild einer im Grunde vielleicht gutgemeinten Idee. Nicht dezentralistisch, sondern exzentrisch, wirke sie auf die Staatsautorität destruktiv, sei eine der faulsten Früchte jener liberalen Doktrinen, die auf die längst verstorbenen ständischen Einrichtungen aufgepfropft worden seien. Als Statthalter von Niederösterreich zeigte sich Graf Kielmansegg dem modernen Leben aufgeschlossen. Über Sport, Fremdenverkehr, Automobilismus hielt er seine schützende Hand und räumte ihrer Entfaltung manchen Stein aus dem Weg. Er verstand sich, was bei Männern seiner Generation und vollends in der Hochbürokratie eine Seltenheit war, auf die eigenhändige Bedienung der Schreibmaschine, mit seinen Ideen zur Reform des Kanzleibetriebes und der Aktenbehandlung, einem Stück kleiner Verwaltungsreform, ist er aber nur
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in seinem engeren Bereich durchgedrungen. Die Ministerien setzten diesen Bestrebungen einen zähen Widerstand entgegen, erst die 1923 eingeführte, noch heute geltende gemeinsame Kanzleiordnung f ü r die Bundesministerien f u ß t auf diesem Gedankengut. Auch in diesen Belangen war er durchaus dem Leben zugewandt. Verstand er es auch, sich geeigneter Hilfskräfte zu bedienen, so ist jene Kanzleireform, die noch heute seinen N a m e n trägt, im Grunde sein geistiges Eigentum. Im Verein mit dem Archivdirektor D r . Albert Starzer, den er an die Spitze des von ihm begründeten staatlichen Archivs f ü r Niederösterreich gestellt hatte, war er auch um die historische Vertiefung seiner Reformgedanken auf dem Gebiet der Aktenführung sehr bemüht. Seinen in Buchform erschienenen Vorträgen über Geschäftsvereinfachung und Kanzleireform, 1906, kommt noch heute hohe Bedeutung zu. Das Hauptverdienst des Statthalters Kielmansegg besteht jedoch darin, daß er es verstanden hat, den Gedanken einer Vereinigung der Vororte mit dem alten Wiener Stadtgebiet, wodurch Wien erst zu einer Großstadt vom T y p des 20. Jahrhunderts werden konnte, unentwegt u n d folgerichtig gegen zahlreiche und starke Widerstände zu verfolgen u n d zum Abschluß zu bringen. Diese Stadterweiterung hat in der Folge eine Reihe weiterer Probleme aufgeworfen, etwa die Frage einer Neuplanung der Verkehrsanlagen oder den Neubau zeitgemäßer Krankenanstalten. In all diesen Dingen, wie etwa auch in der Neuordnung des Stiftungswesens und der Reform der Wiener Pfandleihanstalten, hat der Statthalter seinen eigenen Weg beschritten. Er hat ihn nicht immer zum Erfolg geführt, die Hemmnisse und Widerstände, die er erfahren hat, bestimmten seine oft überaus kritische Einstellung zu manchen Personen des öffentlichen Lebens auch in Belangen, die mit den angeführten Dingen wenig oder nichts zu tun hatten. Die im Laufe der Jahre sich allerdings abschwächende Abneigung gegen den Wiener Bürgermeister D r . Karl Lueger entsprang nicht nur der Entfernung, die das politische Denken des Volkstribunen und des zum Österreicher gewordenen norddeutschen Junkers kennzeichnet, sie war gewiß auch nicht unbeeinflußt von dem persönlichen Ressentiment des Grafen, das sich daraus ergab, daß Lueger, obwohl anfangs ein Gegner der Vereinigung Wiens mit seinen Vororten, später doch in der Öffentlichkeit das Verdienst dafür für sich in Anspruch nahm. Als aber Kielmansegg gewahr wurde, daß Lueger die Probleme, vor die sich das Wiener Rathaus nach der Stadterweiterung gestellt sah, zu meistern verstand, hat er bei aller Zurückhaltung gegenüber dem Bürgermeister und der politischen Bewegung, die ihn
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emporgetragen hatte, nicht mit seinem öffentlich ausgesprochenen Dank gespart, der durchaus ehrlich gemeint war. Auf der anderen Seite fand er es freilich äußerst unangemessen, daß Lueger, sofern er mit dem Statthalter in Einklang stand, ihm für solche Förderung gönnerhaft in aller Öffentlichkeit seine Anerkennung aussprach. Den Grafen mußte das als Widerschein einer verkehrten Welt reizen, wollte er in dem Wiener Bürgermeister doch nichts anderes sehen als einen ihm in der Beamtenhierarchie untergeordneten Amtsträger. Daß dieser nicht nur ein Vertreter einer ersten Instanz gegenüber einer zweiten, die im Stufenbau der Verwaltung der Statthalter verkörperte, sein wollte und im Zeitalter der aufkommenden Massendemokratie auch nicht sein konnte, entzog sich der autoritären Vorstellungswelt des Grafen, der das Ideal in einem straff geführten, reibungslos funktionierenden Beamtenapparat erblickte. Auf diesen Punkt hat Kielmansegg auch während der kurzen Zeitspanne, in der er, an der Spitze eines Übergangskabinetts, das Ministerratspräsidium und das Ministerium des Innern leitete, sein besonderes Augenmerk gerichtet. Aus dieser Zeit stammte ein scharfer, auf persönlichen Wunsch des Kaisers verlautbarter Erlaß, der die politische Betätigung der Staatsbeamtenschaft eindämmen sollte. Wie die Dinge lagen, sollte er nicht nur der nationalen Agitation, sondern auch der aufstrebenden christlichsozialen Bewegung enge Schranken setzen. Offen blieb, wie weit das mit den Staatsgrundgesetzen in Einklang zu bringen war. Von parlamentarischer Seite wurde der Erlaß des Grafen Kielmansegg bekämpft, sein Nachfolger Badeni hat ihn nur mit halber Kraft verteidigt, seit der Regierung Koerber wurde er kaum mehr angewendet. Anderseits konnte man sich aber nicht zu einer Aufhebung entschließen, so daß noch weit später der nachmalige Vizekanzler in der Republik, Dr. Leopold Waber, sich in seinen Fängen verfing. Für den häufig gehörten Einwand, daß der Beamte dem Staate und nicht einer Regierung zu dienen habe, brachten weder Kielmansegg noch seine Nachfolger in der Regierung Verständnis auf. Als es endlich zu einer Zusammenfassung nicht nur der Pflichten, sondern auch der Rechte der Beamtenschaft im Gesetz über die Dienstpragmatik von 1914 kam, hat Kielmansegg dies tief beklagt. Ihm schien das Ende einer geordneten Verwaltungstätigkeit gekommen. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich allerdings schon im dauernden Ruhestand, hat aber als Mitglied der kaiserlichen Kommission für Verwaltungsreform weiter versucht, seinen aus klarer Einsicht und jahrzehntelanger Erfahrung kommenden Reformgedanken Geltung zu
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verschaffen. Audi sonst nahm er noch in manchen Belangen am öffentlichen Leben teil. In das Herrenhaus, die erste Kammer des Parlaments, wurde er allerdings erst 1917 berufen, ohne dort zu einer Betätigung zu kommen. Obwohl Kielmansegg mit der Welt der Hochfinanz nicht vertraut war, suchte ihn doch der Thronfolger Franz Ferdinand als Gouverneur an die Spitze der Bodencreditanstalt zu bringen, doch unterlag er gegenüber D r . Rudolf Sieghart, f ü r dessen Bestellung sich zuletzt auch der alte Kaiser gewinnen ließ. E r mußte sich mit der Stelle eines Präsidenten der kleinen Immobiliarbank begnügen. Kurz vorher hatte er auch seine Frau Anastasia, geborene Lebedewna von Lebedeff, verloren. Im Wiener Gesellschaftsleben hatte sie als Künstlerin eine gewisse Rolle gespielt und auch dem Salon in der niederösterreichischen Statthalterei eine ansprechende Note zu geben vermocht. Graf Erich selbst war in jungen Jahren bei Veranstaltungen der Fürstin Pauline Metternich als Schauspieler aufgetreten. Als Statthalter zeigte er sich den modernen Strömungen in Kunst und Literatur aufgeschlossen, nicht nur in der Lenkung der Zensuragenden, die sein A m t zu betreuen hatte, sondern auch in seinem Salon, der vielen offen stand. Es hat dort Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, Teile seines Schauspiels „Ghetto" vorgetragen. Wenn man dem Grafen im Kampf des politischen Alltags Judenfreundschaft vorgeworfen hat, so focht ihn das nicht an. Wußte er doch aus eigener Beobachtung, daß selbst D r . Lueger die antisemitische Strömung nur als Mittel benutzte, um auf ihr emporgetragen zu werden. Wenn Kielmansegg aber das Auftreten und Verhalten von Einzelpersonen jüdischer Abstammung mißfiel, so ließ er es an abschätzigen Bemerkungen nicht fehlen, wie gegenüber dem geschmeidigen Blumenstock-Halban, der hinter den Kulissen des Parlaments manche Fäden zog, dem staatlichen Pressereferenten Freiberg, nicht zuletzt gegenüber Rudolf Sieghart, durch dessen Wahl und Ernennung zum Gouverneur der Bodencreditanstalt Kielmanseggs Kandidatur f ü r diesen Posten durchkreuzt wurde. Im Ruhestand hat Kielmansegg nicht gerastet, er hat aus seiner langjährigen Verwaltungspraxis heraus das öffentliche Leben scharf beobachtet und da und dort in Zeitungsartikeln dazu Stellung genommen. Indes, es sollte Abend werden, nicht nur in seinem Leben, sondern auch f ü r das Reich, zu dessen Paladin er geworden war. Jetzt, da seine aktive Beamtenlaufbahn hinter ihm lag, er auf die politische Gestaltung der Gegenwart keinen Einfluß mehr nehmen konnte, losgelöst von den Beanspruchungen und Hemmungen, die seine Tätigkeit an der Spitze der Verwaltung des Kernlandes der Monarchie begleitet
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hatten, schärfte sich sein kritisches Auge noch mehr. Mit der zunehmenden Distanz zeichneten sich ihm die Konturen der Personen u n d Probleme, denen er in seiner überaus langen Amtszeit begegnet war, immer klarer ab. Dazu kam, daß der Staat, der f ü r ihn zum Vaterland geworden war, in die Krise des Weltkrieges getreten war. In diesen Tagen, im Sommer des Jahres 1914, hat Kielmansegg begonnen, seine Erinnerungen niederzuschreiben. Anfangs noch mit großer patriotischer Zuversicht, nach dem Kriegseintritt Italiens mit wachsendem Pessimismus, noch immer aber getragen vom Glauben an die Lebenskraft der Monarchie. Mit dem Tode des alten Kaisers, dessen jüngerer Weggefährte er gewesen war, ist f ü r ihn eine Welt versunken. Zugang zu den neuen Richtungen und Zielsetzungen im Herrscherhaus hat er nicht mehr gefunden. Lebensbejahend, dem Modernen aufgeschlossen, wie er seit je gewesen war, bezog er deswegen keine abseitige Stellung. Als Verwaltungsmann war er es gewohnt, den Boden der gegebenen T a t sachen anzuerkennen, ja sich ihnen anzupassen. So hat ihn anscheinend auch der Ubergang zur neuen Staatsform nach dem November 1918 nicht sehr tief berührt. Dazu kam, daß er sich in seinen letzten Lebensjahren mit religionswissenschaftlichen Studien beschäftigte und im Zusammenhang damit auf Artikel in der „Arbeiterzeitung", dem Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei, aufmerksam wurde. Ihre rationalistische Tendenz entsprach seinen Anschauungen. So kam es, daß der alte k. k. Statthalter Graf Erich Kielmansegg unter dem Pseudonym E. K a p p a in diesem Blatt einen kritischen Beitrag über Ignatius von Loyola veröffentlichte. In dieser Richtung fortzufahren, hinderte ihn nur seine Todeskrankheit, die ihn unerwartet überfiel und ihn binnen wenigen Tagen hinwegraffte. Am 23. Februar 1923 ist er in Wien gestorben. Mit ihm war ein Mann des öffentlichen Lebens dahingegangen, der nicht nur aus anderen Zeiten, sondern auch aus einem anderen Land gekommen war. Der Sproß eines hannoveranisch-holsteinischen Adelsgeschlechtes wurde 76 Jahre zuvor, am 13. Februar 1847, in H a n n o v e r geboren. Wohl gab es Zweige seiner Familie, die schon vor Jahrhunderten nach Österreich gekommen waren. Er selbst ist diesen Dingen in der von ihm herausgegebenen Familienchronik liebevoll nachgegangen. Für ihn bedeutete aber erst das Schicksal, das seinem Heimatstaat im Jahre 1866 widerfuhr, den Anlaß, wie so viele seiner Landsleute seinem blinden König nach Österreich zu folgen, in dessen Armee u n d Kriegsmarine seine beiden Brüder bereits dienten. Seine Universitätsstudien hatte Graf Erich in Heidelberg begonnen, er war dort auch
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einem Korps beigetreten. Jetzt setzte er sie an der Wiener juridischen Fakultät fort. Im Hörsaal begegnete ihm sein späterer Amtskollege Franz Thun, der Statthalter von Böhmen und zeitweilige Ministerpräsident. Im Jahre 1869 diente Kielmansegg im Ulanenregiment Nr. 7, am 16. Mai 1870 trat er bei der Statthalterei in Wien in den politischen Verwaltungsdienst. In dieser Verwendung, besonders aber in seiner Tätigkeit als Bezirkshauptmann von Baden bei Wien (1875—1881) und des damals noch nicht in die Stadt eingemeindeten Wiener Vorortebezirkes Sechshaus (1881/82), lernte er die erste Instanz der österreichischen Verwaltungspyramide von Grund auf kennen. Sein Wirkungskreis führte ihn an die Alltagsprobleme der breitesten Bevölkerungsschichten heran, denen zu dienen ihm bei aller feudalen Haltung höchste Aufgabe bedeutete. Darüber hinaus aber richtete er sein kritisches Auge auf das Getriebe des österreichischen Verwaltungsapparates, auf dessen Klaviatur er nicht nur, wie so viele Vertreter der Beamtenschaft, virtuos zu spielen lernte, sondern dessen konstruktive geistige Elemente er wie wenige seiner Amtskollegen zu erfassen und zu durchdringen vermochte. Daß ihm dabei auch die Mängel, Leerläufe und Reibungen nicht verborgen blieben, liegt auf der Hand. Seine politische Schulung holte sich aber Kielmansegg in den knappen zwei Jahren (1873—1875), da er als Sekretär des Ministerpräsidenten Adolf Auersperg fungierte, mit dessen liberalen Anschauungen er durchaus harmonierte. Sein eigentliches Wirkungsfeld, das ihn später zum Amt eines Landeschefs prädestinierte, fand er aber in der 2. Verwaltungsinstanz, bei den Landesregierungen in Czernowitz (1882 bis 1885) und Klagenfurt (1885). Wenig später wurde er als Sektionschef in das Ministerium des Innern berufen, wo er die Leitung der staatspolizeilichen Agenden zu übernehmen hatte und auch an der Ausarbeitung sozialpolitischer Gesetze beteiligt war. Wie man sieht, hat sich sein Aufstieg in der Beamtenhierarchie sehr rasch vollzogen, wobei aber nicht allein die Zugehörigkeit zum Hochadel, sondern in weit höherem Maße seine unbestreitbare Tüchtigkeit den Ausschlag gaben. Mit der Ernennung zum Statthalter von Niederösterreich, welches Amt er mit einer kurzen Unterbrechung durch volle 22 Jahre bekleidete, erreichte er die Krönung seiner Laufbahn. Alexander von Spitzmüller hat ihn einen der hervorragendsten Funktionäre der politischen Verwaltung genannt. Auf diesem Gebiet überragte er seine Amtsgenossen, wenn er auch nicht jedem an politischem Geschick gleichkam. Hier liegt auch seine Affinität zum alten Kaiser Franz Joseph, dessen treuer Paladin er war. Wie der Monarch, suchte er die an ihn
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herantretenden Probleme, wenn auch auf einem begrenzteren Feld, mit den Mitteln einer korrekten und soliden Verwaltung zu lösen. Noch in einem weiteren Punkt bestand Übereinstimmung. Beide huldigten einem ausgesprochen autoritären Denken, an dessen Durchsetzung sie nur die Zeitumstände hinderten. Beide aber verstanden, sich den Strömungen einer modernen Welt, die nicht die ihre war, anzupassen. Da Graf Kielmansegg, wie bereits erwähnt, bei der Niederschrift seiner Aufzeichnungen noch nicht an deren Veröffentlichung gedacht hatte®'"), war eine Überarbeitung des Textes, schon im Hinblick auf Wiederholungen und Weitschweifigkeiten, nicht zu vermeiden. Die Rechtschreibung wurde dem gegenwärtigen Stand angepaßt, stilistische Flüchtigkeiten wurden verbessert. Maßgebend blieb jedoch das Bestreben, den ursprünglichen Charakter der Niederschrift so weit wie möglich zu erhalten. Wien, September 1966 Walter
Goldinger
*) Einzelheiten darüber finden sich bei Walter Goldinger, „Die Erinnerungen des Grafen Erich Kielmansegg als historische Quelle", in: Festschrift für Heinrich Benedikt, Wien 1966.
2 Goldinger, Kaiserhaus
VORWORT
Nachdem ich vor nunmehr vier Jahren den aktiven Staatsdienst verlassen hatte, wurde von meinen besten Freunden und Bekannten vielfach und immer wieder an mich herangetreten, ich möge meine Memoiren schreiben. Meine Antwort war stets, mehrere Gründe sprächen dagegen: Ich besäße keine Aufzeichnungen, welche mir als Leitfaden dienen könnten; es erfordere ein umfangreiches Nachschlagen in Zeitungen und sonstigen Druckschriften, um Tatbestände und deren chronologische Folge erst wieder sicherzustellen, an welche sich meine eigenen Erinnerungen anzuschließen hätten; so manches besonders Interessante mitzuteilen, verbiete mir das einmal beschworene Amtsgeheimnis, und endlich könne es mir mit Recht verübelt werden, wenn ich, der in Österreich seine neue Heimat gefunden hat, Zustände und Begebenheiten, wie es oft die Wahrheit erfordern würde, bitter und scharf kritisiere. Alle diese Gründe bestehen für mich auch heute nach Ausbruch des Weltkrieges noch fort. Aber unsere Monarchie befindet sich eben jetzt nach dem Treubruche Italiens in einer derartigen Krisis und ist vor die Frage ihres Weiterbestandes gestellt, daß ein jeder treue Anhänger derselben aus dem Grübeln nicht herauskommt, was hätte geschehen müssen, damit diese entsetzliche Krisis, zu der doch von Wien aus der erste Anstoß gegeben wurde, nicht oder doch nicht in dieser vehementen Weise ausgebrochen wäre, und was rechtzeitig vorzukehren sei, damit Österreich-Ungarn, und sei es auch nur der Rest desselben, nach beendigtem Kriege neuorganisiert werde. Bei diesem fortgesetzten Nachdenken ziehen nun immer die für die bisherigen Geschicke unserer Monarchie maßgebenden Persönlichkeiten, soweit ich ihr Wirken aus der Nähe zu beobachten Gelegenheit hatte, an meinem geistigen Auge vorüber, und ich kann dem Drange nicht widerstehen, einiges über die einzelnen zu Papier zu bringen. Vielleicht bietet es einmal dem Geschichtsschreiber in ganz fernen Zeiten Material zu richtiger Beurteilung von Begebenheiten der Jetztzeit und der letzten Dezennien von Österreichs Staatsleben. 2*
KAISER
FRANZ
JOSEPH
Als 1868 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden war, hatte ich von März bis Ende 1869 mein Einjährigfreiwilligenjahr abzudienen und wurde f ü r das Ulanenregiment „Erzherzog Karl Ludwig" N r . 7 assentiert. Mit diesem bezog ich im Sommer das Brucker Lager. D o r t sah ich den Kaiser Franz Joseph zum ersten Male aus nächster Nähe. Bevor ich im folgenden meine Wahrnehmungen über diesen Monarchen schildere, mit dem ich in späteren Jahren so viele persönliche Berührungen hatte, glaube ich, einige meine Jugendanschauungen über ihn und Österreich im allgemeinen betreffende Bemerkungen vorausschicken zu dürfen. In meinem elterlichen Hause galt der jugendliche Kaiser, in dessen ersten Regierungsjahren innere und äußere Feinde besiegt worden waren, als das Oberhaupt Deutschlands und besonders verehrungswürdiges Wesen. Meine Eltern waren geradezu fanatische Großdeutsche, die Preußen verabscheuten und außer ihrer engeren niedersädisischen (hannoverschen) Heimat nur Österreich liebten. H a t t e doch mein Großonkel Graf Ludwig Wallmoden in diesem Staate eine bedeutende militärische Rolle gespielt, sein jüngerer Bruder Karl, ebenfalls k. k. General, durch seine Heirat mit Gräfin Zoe Grünne, der Schwester des allmächtigen Generaladjutanten des Kaisers, ausgezeichnete Familienbeziehungen gewonnen, mein Oheim Alexander Kielmansegg als Oberst u n d anerkannt tüchtiger Offizier zum endlichen Siege bei N o v a r a 1849 wesentlich beigetragen und das Maria-Theresien-Kreuz sich erworben. Als Kind sah ich nur Bilder des Kaisers oder anderer Persönlichkeiten in österreichischen Uniformen, spielte nur mit österreichischen Bleisoldaten und hörte zumeist von österreichischen Siegen und Begebenheiten. Das nahm noch zu, als mein ältester Bruder Alexander in die k. k. Marine und mein dritter Bruder Oswald in die Wiener Neustädter Militärakademie eintraten. Bald hienach, 1853, übersiedelte ich mit meinen Eltern nach F r a n k f u r t am Main, wohin mein Vater als hannoverscher Bundestagsgesandter ernannt worden war. Meine größte Freude dort war der Anblick der österreichischen
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Kaiser Franz Joseph
Truppen des Bundeskontingents. D i e schönen, weißen Uniformen der Infanterie, der flotte Schritt der grauen J ä g e r und nun gar erst die weißen R a d m ä n t e l der Dragoner gefielen mir weit besser, als die stramme H a l t u n g der dunkelblauen Preußen, als die Raupenhelme der Bayern und als das heimische Infanterieregiment. Meine jugendliche Begeisterung für alles österreichische wurde nicht geringer, als mein Vater, um mir Drill und H a l t u n g beizubringen, mich unter Anleitung eines österreichischen Unteroffiziers, namens K r a n t z , turnen und exerzieren ließ. D a s konnte aber auch deshalb nicht anders sein, als im Hause meiner Eltern intim fast nur Österreicher verkehrten, die oft ein gemütliches Wort für mich hatten. Ich nenne nur den Legationssekretär Baron Braun, nachmals langjähriger Kabinettsdirektor des Kaisers, oder den Attache Baron Reyer, den Militärbevollmächtigten und K o m m a n d a n t e n des k. k. Kontingents General von Schmerling, Bruder des Ministers in Wien, den Generalstabshauptmann Wlassitz, nachmals als General Sektionschef im Kriegsministerium. Nachdem mein Vater 1857 Minister geworden und wir nach H a n n o v e r übersiedelten, und nachdem mein Großonkel K a r l Wallmoden 1859 als General der K a vallerie in den Pensionsstand getreten w a r und nun regelmäßig den Sommer in Walshausen bei Hildesheim, seinem Stammgute, verbrachte, durfte ich sehr häufig Ferienwochen bei ihm und seiner urwienerischen Gattin verleben. Hier sog ich österreichisches Wesen in vollen Zügen ein. Der Diener Franz S w o b o d a lehrte mich den Wiener Dialekt, der Stallmeister Petter, ein Prager Deutschböhme, ließ mich reiten, unterwies mich in der Stellmacherei und brachte mir so manchen böhmischtschechischen Ausdruck bei; auch so manchen italienischen Ausdruck fing ich auf, denn der Kammerdiener Villa war ein Veroneser. 1864 sah ich, bei meinem Bruder Thedel in der N ä h e von H a m b u r g weilend, die österreichische Brigade des Generals G r a f Gondrecourt auf ihrem Marsche nach Schleswig-Holstein und begeisterte mich an ihrem prächtigen Aussehen. Es k a m das J a h r 1866; im April hatte ich die Universität Heidelberg bezogen und war dort nach einigem Zögern in das K o r p s SachsoBorussia eingetreten; demselben gehörten viele Preußen, manche K u r länder und Mecklenburger, aber auch einige U n g a r n und namentlich Siebenbürger an. Ich hatte Mühe, mich einigermaßen an das preußische Wesen zu gewöhnen, dann begann der Krieg gegen Österreich. Ich erhielt von meinem Vater die Nachricht v o m Aufbruch der hannoverschen Armee gegen Göttingen und daß er, damit ich ja nicht Preuße werde, um meine Entlassung aus dem hannoverschen Staatsverband
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angesucht habe. Alsbald schrieb mir mein Bruder Oswald, damals Rittmeister bei des Kaisers Leibgardereiter-Eskadron, der Generaladjutant Graf Crenneville sei bereit, mir ein Leutnantspatent für sein Infanterieregiment auszustellen, ich könne aber auch versuchen, mich zum Eintritt in den Dienst bei den österreichischen, die Garnisonen Frankfurt, Mainz usw. verlassenden Truppen zu melden, sein ehemaliger Regimentskamerad Graf Niki Esterhäzy, der berühmte Sportsmann, marschiere mit seinem 6. Dragonerregiment und werde mir behilflich sein. Ich machte mich also auf die Suche und kam nach Darmstadt, ganz kurz nachdem die 6. Dragoner dort durchmarschiert waren. Von der k. k. Brigade Rosenzweig sah ich nur noch einige kleine NachhutInfanterieabteilungen. Der Bahnverkehr war unterbrochen, und bevor ich zu einem rechten Entschluß kam, was zu beginnen, ereilte mich die Nachricht von der Kapitulation der Hannoveraner bei Langensalza und bald hierauf jene der verlorenen Schlacht von Königgrätz. Verzweifelte Briefe meiner Eltern veranlaßten mich nun, zunächst zu ihnen nach Blumenau bei Hannover zu fahren. Ich war ihnen eine Stütze in ihrem Kummer um den Verlust der Selbständigkeit Hannovers. Es kam der Friedensschluß, und im Familienrat wurde beschlossen, ich möge meine juridischen Studien, um in den österreichischen Zivilstaatsdienst einzutreten, an der Universität in Wien fortsetzen. Meine Schwägerin Luise Gräfin Kielmansegg war leidend, sollte den Herbst und Winter in Meran zubringen; im Oktober begleitete ich sie dorthin. Innsbruck war die erste österreichische Stadt, die ich betrat. Entzückend war die Landschaft dort, die Spitzen der Berge in den ersten Schnee gehüllt. Die Brennerbahn war noch im Bau begriffen, wir reisten mit der Post nach Meran, die Reichsstraße über den Brennerpaß war von Militärtransporten in beiden Richtungen überfüllt. Venetien war eben an Italien abgetreten worden, Truppenabteilungen von dort kehrten heim und gebürtige Venetianer von allerart Truppen und Graden kehrten, meist in heiterster Stimmung, Österreich den Rücken. Das war mein erstes peinliches Gefühl in Österreich. Nach ganz kurzem Aufenthalt in Meran machte ich mich auf den Weg nach Pola. Ich sollte dort meinem Bruder Alexander, der als Fregattenkapitän und Schiffskommandant sich bei Lissa die Eiserne Krone mit der Kriegsdekoration erworben hatte, die Grüße der Familie überbringen, mein Weg aber führte über Venedig. Ich war empört, dort an jeder Haus- und Wohnungstür ohne Ausnahme die Schablone des italienischen Staatswappens mit dem Worte „ S i ! " , das Zeichen der kurz vorher stattgehabten Volksabstimmung zu finden, österreichische
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Regie-Tabake wurden nodi verkauft u n d die neuen italienischen arg beschimpft, das waren aber auch die einzigen Reste einer Sympathie f ü r Österreich. Pola dagegen konnte in solchen Sympathien natürlich schwelgen, w a r dort doch fast das ganze Marineoffizierskorps, die Sieger von Lissa, versammelt, nur Tegetthoff mit seinem Stabe war in Wien, um sich beim Kaiser f ü r die ihm verliehene Auszeichnung zu bedanken. Ich war dabei, als in Pola die Nachricht verbreitet wurde und bei den Marineoffizieren etwa wie eine kalte Dusche wirkte, der Kaiser habe v o n Lissa nur sehr wenig gesprochen, Tegetthoff aber dessen Bruder, der sich als General und Brigadier in Böhmen gut gehalten habe, gerühmt. Es wurde das damit erklärt, der Kaiser habe seinen Admiral fühlen lassen wollen, daß er mit der Ausfahrt der Flotte zum Angriff gegen die Wiener Befehle, die auf Defensivstellung in Pola gelautet hatten, gehandelt habe. Damals mußte ich midi plötzlich eines früher mehrmals von meiner Mutter getanen Ausspruches erinnern, den sie gerade dann zu gebrauchen pflegte, wenn in unserem Hause die österreichische Sache gerühmt oder verteidigt wurde. U n d meine Mutter war eine entschieden geistreiche und durch ununterbrochenen Verkehr mit Staatsmännern und Diplomaten politisch sehr gebildete Frau. Dieser beinahe stereotype Ausspruch, dessen ich midi während meiner gesamten österreichischen L a u f b a h n dann immer wieder erinnern mußte, lautete: „Wie schade, d a ß dieser ritterliche Kaiser nicht zu regieren versteht!" Meine Mutter hatte es auch einstmals unternommen, mir, dem heranwachsenden Jüngling, diese ihre Anschauung zu begründen und mir zu erklären, weshalb der Kaiser 1859 nicht voreilig hätte Frieden schließen und die Lombardei abtreten, weshalb er das Ungarn gegenüber von Schmerling geprägte Wort „Wir können warten" hätte wahr machen, weshalb er beim Fürstentag von F r a n k f u r t am Main, anstatt des schwächlichen Rechbergs Einflüsterungen Gehör zu schenken, die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone hätte annehmen müssen. H i e r wäre einzuschalten, daß es meine Eltern auf Rechberg stets besonders scharf hatten. Er hatte, während mein Vater Bundestagsgesandter war, den Präsidialgesandten Baron Prokesch, „der Bismarck die Stange habe zu halten vermocht", abgelöst, und letzterem gegenüber habe Rechberg stets eine traurige Rolle gespielt, ja sogar seiner Schüchternheit wegen den ihm als Präsidialgesandten gebührenden Vorrang bei gesellschaftlichen Veranstaltungen oft nicht gehörig beansprucht, was bei den Gesandten der fremden Staaten beim Bundestag
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stets den übelsten Eindruck gemacht habe. Ich erinnere mich heute noch deutlich der Aufregung, die während und unmittelbar nach dem Fürstentag in meinem elterlichen Hause herrschte. Es wurde heftig getadelt, daß nicht Schmerling, der Kenner der deutschen und Frankfurter Verhältnisse, wie doch anfangs in Aussicht genommen worden sei, den Kaiser zum Fürstentag habe begleiten dürfen, und daß Rechberg zum soundsovielten Male sich von Bismarck habe imponieren lassen. Uber den letzteren und seinen König ging es so scharf von den Lippen meiner Eltern, daß ein vollständiges Zerwürfnis mit der Familie des Prinzen Ysenburg, des preußischen Gesandten in Hannover, unserer bisherigen engsten Hausfreunde, die Folge davon war. Ich sah den jungen Ysenburg, meinen liebsten Jugendgespielen, niemals wieder! In Pola durfte ich die großen Kriegsschiffe besichtigen, die noch Kugelmale von Lissa zeigten. Schnell verflogen die Tage dort, aber ich sollte doch in Wien studieren. In den ersten Tagen des November 1866 war ich bei meinem Bruder Oswald in der damaligen Leibgardereiterkaserne (Trautson-Palais, Ecke Lerchenfelder Straße) und ließ mich nun flugs als Rechtshörer inskribieren. Unger war der gefeiertste Professor, seinem Kolleg galt mein erster Besuch. Man müsse früh im Hörsaal erscheinen, hieß es, sonst finde man keinen Sitzplatz. Eine Viertelstunde vor Beginn der Vorlesung sitze ich schon in einer der mittleren Bankreihen, ein langer, hagerer junger Mann setzt sich neben mich. Ich bemerke, wie er mich beobachtet. Nach einer kurzen Weile stellt er sich mir als Franz Thun vor, und als ich ihm meinen N a m e n nenne, f r a g t er: „Nicht wahr, der Neffe Wallmodens, der intimsten Freunde meiner Eltern?" „Ja", erwidere ich, „und von Ihnen habe ich schon oft gehört." Als Duzfreunde verließen wir Ungers Vorlesung, und nun stellte mich mein nachmaliger Statthalterkollege — und leider später auch Ministerpräsident — sofort im Hause seiner Eltern und allen jungen Herren der Wiener Gesellschaft vor. Ich f a n d die allerbeste Aufnahme, so sehr, daß ich schon im darauffolgenden Fasching 1867 als Gehilfe des Vortänzers Graf Dominik Hardegg bei den Bällen der großen Gesellschaft fungierte, und — ich darf sagen — in dieser eine gewisse Rolle spielte. Die tonangebende Dame dieser Gesellschaft, die damals so viel genannte Fürstin Lori Schwarzenberg, sah mich oft in ihrem gastlichen Hause und hatte mir die Leitung der Eislauffeste auf dem von ihr der Gesellschaft zur Verfügung gestellten großen Teich ihres Parks nächst dem Belvedere anvertraut. U n d der König von Hannover, der weilte ja doch entthront auch in Wien, im „Stockei" des Schönbrunner Parks, welches ihm der Kaiser
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in nobler Weise zur Verfügung gestellt hatte. Ich hatte midi b a l d nach meinem Eintreffen in Wien bei der H o f h a l t u n g gemeldet, wurde aber von den Majestäten nicht in Audienz empfangen und auch nicht etwa zu einem D i n e r geladen. N a c h f r a g e ergab, daß Studenten nicht als hoffähig betrachtet werden könnten. D a r a u f h i n erhob mein
Vater
von H a n n o v e r aus Vorstellung, und nun wurde ich zur T a f e l befohlen. A u f die Frage Seiner Majestät, wie es mir gehe und was ich in Wien mache, konnte ich nur zur A n t w o r t geben, daß ich die Rechte studiere und mich auf den Eintritt in den österreichischen Staatsdienst v o r bereite. Ich konnte den Satz kaum vollenden und beifügen, daß ich zu demselben Zwecke die österreichische Staatsbürgerschaft eben erworben habe, so schnell kehrte sich Seine Majestät von mir ab. D e r arme, blinde H e r r w a r eben damals noch von der Hoffnung beseelt, den hannoverschen T h r o n binnen kurzem wieder einnehmen zu können und erinnerte sich an eine meinem Vater früher gegebene Zusage, mich nach absolvierten Studien in den hannoverschen diplomatischen Dienst zu nehmen. D e m K r o n p r i n z e n , dem nachmaligen Herzog von Cumberland, meinem langjährigen Jugendgespielen, hatte ich es zu danken, wenn ich trotz der scheinbaren Ungnade Seiner Majestät nun öfters im Stockei gesehen wurde, j a auch dort mit den königlichen Prinzessinnen Komödie spielen durfte. D e n Kronprinzen führte ich nun aber auch meinerseits in den Kreis der Jungherrenwelt Wiens ein und veranstaltete ihm zu E h r e n so manche Unterhaltung mit dieser. Dies vorausgeschickt, führe ich meinen Leser wieder in das Brucker Lager, um den Kaiser zu beobachten. Welche ritterliche Erscheinung, welch schneidiger Reiter und, welch lebhaftes, alles beobachtendes Auge! Alles stand dort stets unter dem B a n n e dieses imponierenden Auftretens und der dabei meist herzgewinnenden A r t sich zu geben. Freilich, er konnte auch recht „resch" sein. Ich w a r bei einem M a n ö v e r in Bruck, als ich meinem Brigadier G e n e r a l m a j o r Baron Appel, dem nachmaligen Landeschef Bosniens, als O r d o n n a n z k o r p o r a l zugeteilt war, O h r e n zeuge, wie der Kaiser einen Artilleriehauptmann, in dessen Batterie er irgendeinen geringfügigen Fehler entdeckt hatte, vor
versammelter
Generalität und Gefolge derart anfuhr und herunterputzte, daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn man bald vom Selbstmord dieses Offiziers gehört hätte. Auf Hoffesten mußten alle Offiziere streng v o r schriftsmäßig adjustiert erscheinen. Ich selbst habe es mehr als einmal erlebt, wie dem prüfend über die Menge gleitenden Auge des Herrschers ein zu hoher Kragen oder dergleichen auffiel, und alsbald der Befehl erging, der Betreffende habe das Fest sofort zu verlassen. So k a m es
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denn, daß Offiziere bei den H o f b ä l l e n stets nur in gewichstem Schuhzeug, die Kavalleristen in hohen Reiterstiefeln erscheinen durften, denn nur solche, u n d keine Lackstiefel, kannte die Adjustierungsvorschrift. D a man aber zu einer Festlichkeit seine neueste Beschuhung anzuziehen pflegt, so roch es bei jedem großen Hoffest stark nach Stiefelwichse oder auch Juchten, und es war des Klagens der Damen, namentlich der jungen Tänzerinnen, kein Ende, daß der untere R a n d ihrer Kleider bei H o f e stets geschwärzt werde. Manche D a m e n zogen daher zu derlei Festen nur „ältere Fetzen" an. Diese Klagen dauerten jahrelang, bis Lackstiefel endlich erlaubt wurden. Wer diese Errungenschaft an „allerhöchster Stelle" durchsetzte, weiß ich nicht. Ich fühlte das lebhafte Bedürfnis, den Traum meiner Jugendjahre, meinen so allgemein verehrten obersten Kriegsherrn, persönlich kennenzulernen und war enttäuscht, als man mir bei meiner Ernennung zum Reserveleutnant sagte, Danksagungen in Audienz f ü r diese niederste Offizierscharge seien nicht üblich. Ich ließ mich aber nicht abschrecken, meldete mich zur Audienz und wurde, ich weiß nicht wieso und weshalb, zugelassen. Ich war dahin informiert, daß man keine Ansprache Seiner Majestät abzuwarten, vielmehr seine Danksagung unmittelbar nach dem Eintritte in das Audienzzimmer vorzubringen habe; ich handelte danach und fügte gleich bei, daß ich glücklich sei, mich als neuer Staatsbürger meinem Landesherrn vorstellen und persönlich das Gelöbnis der Treue wiederholen zu dürfen. Das wurde unendlich gnädig, mit anerkennenden Worten über meinen Vater und Oheim, den Theresienritter, aufgenommen, und in begeisterter Stimmung verließ ich die Hofburg. Nicht gar lange Zeit hienach zum Kämmerer ernannt, hatte ich abermals in Audienz mich zu bedanken und empfing dieselben Eindrücke von einem überaus gnädigen Herrn. Unwillkürlich zog ich Vergleiche zu König Georg V., die, wenn der letztere auch viel majestätische H a l t u n g zu zeigen pflegte und dabei doch oft auch jovial war, dennoch zugunsten des Kaisers ausfielen. Nachdem ich Ende 1869 die Offiziersprüfung und bald danach, 1870, die zweite judizielle Staatsprüfung, beide mit Auszeichnung, abgelegt hatte, und der König dies erfuhr, renommierte er mit seinem tüchtigen Hannoveraner herum und nahm es diesem weiterhin auch nicht mehr übel, daß dieser bei der Wiener Statthalterei in den Staatsdienst eintrat. Ich diente 1871/72 bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha und seit Anfang 1873 wieder bei der Statthalterei, von wo aus
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mich im Sommer der Ministerpräsident Fürst Adolf Auersperg als Ministerialkonzipisten in sein Präsidialbüro berief. Dort hatte ich auch viel mit den Protokollen des Ministerrats zu tun und gewann so Einblick in die Art des Regierens unseres Kaisers. Dessen Fleiß und Genauigkeit waren staunenerregend. Häufig präsidierte der Kaiser dem Ministerrate selbst, dann wurde das Konzept des Protokolls ihm zunächst — ohne daß die Minister es noch gesehen hatten — vorgelegt, sonst aber gingen die Protokolle ihm erst in Reinschrift zu. Die genannten Konzepte gelangten niemals in das Ministerratspräsidialbüro zurück, ohne daß der Herrscher Korrekturen darin vorgenommen hätte, und wären es auch nur stilistische Änderungen gewesen; die Reinschriften aber, welche stets bei ihrem Rücklangen eine sogenannte Allerhöchste Entschließung trugen, die, vom Kaiser unterfertigt, in der Regel nur dahin lautete, daß er den Inhalt zur Kenntnis genommen habe, waren von ihm fast ausnahmslos mit Bleistifl-Marginalbemerkungen versehen, wie z. B. „Sehr richtig", „So ist es", „ O h o " , „Unglaublich" und dergleichen, und — man staune — alle dem Abschreiber etwa unterlaufene Schreib- oder Interpunktionsfehler waren allerhöchst-eigenhändig korrigiert. Dieselbe Wahrnehmung konnte man übrigens auch in den zahllosen von den einzelnen Ministerien dem Kaiser unterbreiteten Berichten, den sogenannten alleruntertänigsten Vorträgen, machen. Die wichtigeren las der Kaiser selbst und nahm in ihnen die Kleinkorrektur vor; über unwichtigere wurde ihm allerdings nur ein in der Kabinettskanzlei angefertigter Auszug vorgelegt. Alle diese Berichte gelangten mit der daraufgesetzten und dann vom Kaiser eigenhändig unterschriebenen „Entschließung" an die Ministerien zurück. Ausnahmsweise ist es wohl auch vorgekommen, daß er, um nähere Aufklärungen über einen Antrag zu erhalten, den betreifenden Minister zum mündlichen Vortrag zitierte. Er sowie auch der Kabinettsdirektor oder die obersten Hofchargen, die mit gewisser Regelmäßigkeit beim Kaiser zum Vortrage erschienen, hatten Frack und schwarze Krawatte anzulegen, also genau dasselbe Kostüm, welches man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu deren Ende der Kaiser zur Regierung kam, bei sogenannten Anstandsvisiten zu tragen pflegte. Oft kam es vor, daß der Ministerpräsident oder ein anderer Minister direkt aus dem Parlament zum Kaiser befohlen wurde; mochte die Sache noch so dringend sein — zunächst mußte er nach Hause fahren und sich umkleiden! Und niemand hat es je gewagt, den Kaiser auf diese „vergessene Schildwache", die er sicher hätte ablösen lassen, aufmerksam zu machen. Hat er doch vor einigen Jahren ausdrücklich gestattet, daß bei
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festlichen Anlässen, Einweihungen u n d Besichtigungen, an denen er teilnahm, „die H e r r e n v o m Zivile im Gehrock u n d die S t a a t s b e a m t e n in der (kleinen) D i e n s t u n i f o r m " erscheinen durften. J e d e r derlei, in der richtigen F o r m u n d z u r rechten Zeit vorgebrachten Vorstellung w a r der K a i s e r zugänglich u n d erteilte auch meist w o h l w o l l e n d die erbetene Bewilligung. A b e r die wenigsten Minister und anderen z u mündlichem V o r t r a g bei ihm berechtigten Personen getrauten sich, G e g e n s t ä n d e zu berühren, die nicht v o n aktuellster Bedeutung waren. A l l e Auszeichnungsanträge pflegte der K a i s e r , wenigstens in früheren J a h r e n , mit besonderer A u f m e r k s a m k e i t durchzustudieren. Schien ihm der A n t r a g nicht gehörig motiviert, der Auszeichnungsgrad der J u g e n d oder dem D i e n s t r a n g des z u Dekorierenden nicht g a n z angemessen, oder aber k a m ein Minister z u häufig — das hieß d a m a l s : mehr als einmal in der Woche — mit Auszeichnungsanträgen, so sandte der K a i s e r den V o r t r a g , mit der K l a u s e l versehen: „Ich finde auf diesen A n t r a g nicht einz u g e h e n " , zurück, u n d eine solche A b l e h n u n g erregte d a n n jedesmal in dem betreffenden Ministerium u n d bei den Ministerkollegen berechtigtes Aufsehen, g a l t sie doch manchmal auch als die beginnende E n t ziehung des kaiserlichen Vertrauens f ü r den betreffenden Minister oder das Ministerium ü b e r h a u p t . A l s m i l d e r e F o r m der A b l e h n u n g eines A n t r a g e s durch den K a i s e r galt denn auch, d a ß er den V o r t r a g nicht mit einer Allerhöchsten Resolution v e r s a h u n d nicht zurückstellte. D i e K a binettssekretäre nannten unter sich derlei Stücke, die in ihren V o r merken als unerledigt aufschienen, „ v e r g r a b e n e V o r t r ä g e " , weil es hieß, der K a i s e r lege diese in alle möglichen Schubladen der M ö b e l seiner verschiedenen A r b e i t s r ä u m e , v o n w o sie niemand „ a u s g r a b e n " dürfe. E s galt als strengste Regel in der U m g e b u n g Seiner M a j e s t ä t , d a ß niemand
einem solchen
„außer E v i d e n z "
gelangten
Geschäftsstück
nachforschen d ü r f e . A l s P r ä s i d i a l b e a m t e r des Fürsten A d o l f A u e r s p e r g hatte ich seine gesamte u n d recht umfangreiche, nicht offizielle, aber offiziöse politische K o r r e s p o n d e n z zu f ü h r e n u n d genoß, wie ich w o h l sagen d a r f , sein unbedingtes Vertrauen,
er teilte mir daher auch so manche
k o m m n i s s e aus den Ministerberatungen
und Äußerungen aus
Vordem
M u n d e des K a i s e r s mit, die belehrend f ü r mich w a r e n oder mir großen Eindruck machten. Dennoch k a n n ich jetzt nach vollen 4 0 J a h r e n mich nur auf weniges d a v o n genau erinnern und nur dieses zu P a p i e r bringen. In einem Ministerrate unter V o r s i t z des K a i s e r s w a r e n Verschiebungen auf höheren Beamtenposten erörtert und dabei gesagt worden,
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der N . N . sei auf seinem Posten unentbehrlich. Lebhaft w a r der Kaiser mit dem Ausruf eingefallen: „Das gibt es nicht, im Staate muß ein jeder Funktionär sofort ersetzbar sein!" Vielleicht erklärt dieser Satz, wie leicht und schnell der Kaiser sich stets von seinen Ministern oder sonstigen H o f - und Staatswürdenträgern trennte, selbst wenn deren Stellung auf Grund von Zeichen seines Vertrauens nach außen hin noch so gefestigt erschien. Ein heftiger Streit war zwischen dem Kriegsminister Baron K u h n u n d dem Finanzminister Baron Pretis (richtig: de Pretis) darüber entbrannt, ob der Grund und Boden der in Prag aufgelassenen Befestigungswerke dem Kriegsärar gehöre oder dem Finanzärar zuzufallen habe; er sollte in einem gemeinsamen Ministerrate unter Vorsitz des Kaisers entschieden werden. Der Finanzminister begründete bei diesem seine Ansprüche mit einer Reihe von Paragraphen älterer Gesetze und Vorschriften, der Kriegsminister, ein sehr temperamentvoller H e r r , erklärte hierauf wörtlich: „Er brauche die Grundstücke und die Paragraphen seien — ihm Wurst"; der Kaiser hörte das lachend an, aber der Finanzminister behielt recht. In späterer Zeit wurde die Staatseigentumsfrage auf Grund von Ansprüchen Ungarns prinzipiell sogar dahin geregelt und entschieden, daß es gar kein gemeinsames Staatseigentum gebe und daß alle Gebäude und Liegenschaften, ganz unabhängig von dem Zwecke, dem sie gewidmet seien, jenem Staate der Monarchie eigentümlich zugehören, auf dessen Territorium sie sich befinden. Von Kuhn erzählte man sich übrigens damals, er habe in einem Generalsrate unter Vorsitz des Kaisers, in dem eine neue Beförderungsvorschrift f ü r die Offiziere festgestellt werden sollte, gegenüber dem Anspruch des Hofes, daß dort angestellte Offiziere von der allgemeinen Vorschrift ausgenommen sein sollten und durch den Kaiser jederzeit befördert werden könnten, mit dem Ausspruch protestiert: Das wäre ja wie bei der Großherzogin von Gerolstein! Auch das habe der Kaiser ruhig hingenommen und den Anspruch auf sein besonderes Beförderungsrecht fallenlassen. Uberhaupt hat der Kaiser stets gezeigt, d a ß er persönliche Wünsche und Ansprüche dem Staatsinteresse, wo ein solches vorzuliegen schien, unterordne. War da zu Auerspergs Zeiten dem Kaiser eine Denkschrift überreicht worden, „der damals durch vom Finanzministerium abgeschlossene Abstockungsverträge in seiner Schönheit stark gefährdete Wienerwald sei eigentlich gar kein Staats-, vielmehr kaiserliches Familieneigentum", die dieser seinem Ministerpräsidenten zu Berichterstattung übergab. Ein Ministerkomitee sollte nun die Frage genau erörtern; ich wurde demselben als Referent beigegeben.
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Alle Archive wurden durchstöbert und Rechtsgutachten abgegeben. Es stellte sich heraus, daß, wenn auch in älterer Zeit, oft nicht genau zwischen Staats- und landesherrlichem Gute unterschieden wurde, doch alle Wahrscheinlichkeit d a f ü r spreche, daß der Wienerwald nicht dem Staate, vielmehr dem Kaiser gehöre, und daß ein darüber angestrengter Prozeß zu seinen Gunsten ausfallen werde. Der Kaiser lehnte jede weitere Verfolgung seiner Ansprüche ab: „Der Eindruck beim Volke werde kein günstiger sein." Als Sekretär 1875 zur niederösterreichischen Statthalterei zurückversetzt, hatte ich die Leitung der Bezirkshauptmannschaft Baden zu übernehmen. Auersperg besuchte midi dort mehrmals, so auch unmittelbar nach seiner Demission als Ministerpräsident und Ernennung zum Präsidenten des Obersten Rechnungshofes. Er erzählte mir von seiner Audienz beim Kaiser, dem er nach der Danksagung für seine neue Ernennung auch noch einige Bemerkungen allgemein politischer N a t u r habe machen wollen, zu denen er sich diesem gegenüber nach achtjähriger Leitung des Ministeriums f ü r berufen und berechtigt erachtet habe. K a u m habe er damit begonnen, als der Kaiser ihn mit einer unbedeutenden Frage, den Rechnungshof betreffend, unterbrochen und der Audienz schnell ein Ende bereitet habe, Auersperg deutlich zu erkennen gebend, daß von nun an bereits andere Männer zu politischen Ratschlägen ausschließlich berechtigt seien. Dieses vielleicht hyperkonstitutionelle Prinzip hat Kaiser Franz Joseph immer und in oft ganz übertriebener Weise nicht nur gegenüber Staatsfunktionären, sondern auch Privaten, aufrechterhalten. Er fragte nie und nimmer jemanden um etwas anderes, als was zu dessen Kompetenz- oder Berufskreise gehörte und wollte auch keine diese Grenzen irgendwie überschreitenden Bemerkungen des Betreffenden anhören. So manch einer, der dawider handelte, hat es sich gefallen lassen müssen, daß der Kaiser das Gespräch brüsk abbrach und sich auf dem Absatz umdrehend von ihm abwandte. Parlamentarier hatten es in dieser Beziehung noch am besten, denn in den Kreis der Politik gehört so ziemlich alles; allein etwas, das nicht den Wahlkreis oder das Kronland des Betreffenden anging, ward nicht gern gehört und brachte stets die Gefahr eines ungnädigen Blickes oder des Stehengelassenwerdens mit sich. Es ist bekannt, daß jedem Flügeladjutanten des Kaisers bei seinem Dienstantritte eingeschärft wurde, sich bei Fahrten mit dem Herrscher streng auf dienstliche Meldungen zu beschränken, sonst nur auf Fragen zu antworten und ja nicht irgend etwas erzählen zu wollen. In f r ü heren Jahren soll ein Flügeladjutant, der glaubte, Seiner Majestät eine
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neue gute Anekdote mitteilen zu müssen, unmittelbar nach begangener T a t , o h n e weiteres Verfahren, zur T r u p p e „einrückend gemacht" w o r d e n sein. Als warnendes Beispiel ist er dann jahrelang zitiert w o r d e n . Es hieß in Hofkreisen, nur ein einziger Flügeladjutant aus dem A n f a n g e der 1860er Jahre, Prinz Rudolf Liechtenstein, habe in dieser Beziehung eine A u s n a h m e gebildet u n d sei mit dem Kaiser auf einem v e r t r a u licheren Fuße gestanden — u n d das w a r nicht richtig. Ich e r f u h r es einstmals aus dem Munde seines N e f f e n , des Obersthofmeisters Fürst A l f r e d Montenuovo, d e m Liechtenstein, als er als Erster O b e r s t h o f meister den N e f f e n zum Zweiten Obersthofmeister einsetzte, ebenfalls einschärfte, dem Kaiser niemals von Dingen zu reden, die nicht den Wirkungskreis seines H o f a m t e s beträfen. Liechtenstein tat dieses mit dem charakteristischen Bemerken, er habe ein einziges Mal über dringende Bitte hochstehender Freunde Seine Majestät auf einen W ü r d e n träger aufmerksam gemacht, der sich schon manche Verdienste um öffentliche Interessen erworben habe u n d nun sehnlichst eine Allerhöchste Auszeichnung e r w a r t e . D e r Kaiser habe ihn ruhig angehört, ihm d a n n aber trocken gesagt: „Sagen Sie mir zunächst, wieso diese Angelegenheit Sie angeht." N i e wieder habe er gewagt, unberufen etwas vorzubringen. Beweisen alle diese Züge, d a ß alles, was m a n bisweilen von dem Bestände einer H o f k a m a r i l l a oder gar einer geheimen Tarockpartie beim Kaiser hörte, die unkontrollierbaren Einfluß in die Regierungsgeschäfte genommen, eitel Geflunker ist, so haben sie doch auch eine Kehrseite, u n d diese ist, daß die I n f o r m a t i o n e n F r a n z Josephs über viele V o r kommnisse u n d Stimmungen im Volke oder bestimmten Kreisen desselben oft nur ungenau u n d f ü r ihn als Herrscher ungenügend waren. Ich k ö n n t e leitende Minister nennen, die, dies genau wissend, den Kaiser jahrelang im unklaren über Dinge u n d Begebenheiten lassen konnten, die ihren eigenen Interessen hätten nachteilig sein können. Nichts ist so fein gesponnen, es k o m m t ans Licht der Sonne, oder vielmehr zur Allerhöchsten Kenntnis, u n d d a n n folgte unmittelbar d a r a u f , wie Gautsch sich mir gegenüber einst ausdrückte, der Sturz vom tarpejischen Felsen. Ich erinnere mich heute noch ganz genau, diese Eigenart des Kaisers mit Auersperg erörtert zu haben. Er scheute sich, im Staatsleben eine V e r a n t w o r t u n g zu übernehmen. Weil viele seiner A n o r d n u n g e n auf G r u n d eigener Initiative in den ersten J a h r e n seiner Regierung, der absoluten Monarchie, fehlgeschlagen waren, k a m ihm dann seine Stellung als konstitutioneller Monarch, da er das Selbstvertrauen verloren
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hatte, zustatten. Mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit hielt er sich von da an besonders streng an das Prinzip, nur die verantwortlichen Minister handeln zu lassen. Das ging ja später so weit, daß er in Konflikte seiner österreichischen und ungarischen Minister nie eingriff, vielmehr stets ruhig abwartete, bis ein dadurch ausgereifter Personenwechsel oder eine neue Konzession an Ungarn auf Kosten Österreichs den Konflikt zum Stillstand brachte. Auf alle Herrscherrechte, die dem Kaiser-König verfassungsgemäß verblieben waren, blieb er von allem Anfang eifersüchtig bedacht, vor allem auf jene als Oberster Kriegsherr sowie auf seine Ernennungs-, Auszeichnungs- und Gnadenrechte. Auerspergs Beurteilung des Charakters des Kaisers war eine genau zutreffende; davon mußte ich mich in späteren Jahren, in denen ich persönlich oft mit Seiner Majestät zu tun hatte, immer wieder und wieder überzeugen. Als Bezirkshauptmann in Baden in den Jahren 1875—1881 hatte ich oftmals Gelegenheit, Seine Majestät zu empfangen, besonders in Laxenburg, woselbst er damals noch jedes Jahr im Mai/Juni, bevor er sich nach Ischl begab, für einige Wochen Aufenthalt nahm. Er kam stets allein, denn die Kaiserin war bekanntlich im Sommer regelmäßig auf Reisen, zu jener Zeit meist in England. Der Kaiser wurde in Laxenburg immer genau nach dem Zeremoniell empfangen, wie Kaiserin Maria Theresia es eingeführt hatte. Gemeindevertretung, Schuljugend, Geistlichkeit rückten aus, und der Chef der politischen Bezirksbehörde hatte dabei zu sein und vorzustellen. Als solchem wurde mir, da man nicht genau wußte, wann der Kaiser von Wien aus eintreffen werde, ein Zimmer im Schloß angewiesen, wo ich warten konnte, bis das Telegramm von der Abfahrt des Kaisers aus der Burg in Wien einlangte, und ich mich dann in die vorgeschriebene Galauniform warf. Der Empfang vor dem Schlosse ging meist sehr schnell vonstatten; einige gnädige Worte an mich, den Bürgermeister und den Pfarrer, das war alles. Eingeladen wurde man nie während des Aufenthaltes des Allerhöchsten Herrn in Laxenburg, der dort, nur von dem kleinsten Gefolge umgeben, ein äußerst zurückgezogenes Leben führte. Bisweilen ging er nachmittags in die Meierei im Park, seine Zeitung lesen und eine Jause nehmen. Das anwesende Publikum konnte ihn dabei beobachten. Einstmals ließ ich mich im Schloß mit einem alten Zimmerwärter in ein Gespräch ein. Der war sehr redselig und bedauerte, daß der Kaiser jetzt so einsam in Laxenburg lebe, und daß er die Kaiserin nie mehr zu sehen bekomme. Er sei schon im Schloß angestellt gewesen, als das 3
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Kaiserpaar dort seine Flitterwochen gefeiert habe; er erinnere sich genau an seinen „verliebten Kaiser". Es sei nur schade gewesen, daß damals die Staatsgeschäfte diesen fast tagtäglich nadi Wien gerufen, von wo er meist erst spät nachmittags zurückgekehrt sei, und daß die junge Kaiserin so viele Stunden sich selbst überlassen gewesen sei. Der Alte meinte, das habe in der Folge Übles gezeitigt. Das setzte er mir dann auseinander. So habe die Kaiserin während der Stunden der Abwesenheit ihres jungen Gatten sich einen Kutschierwagen einspannen lassen und sei mit diesem ganz allein in der Gegend um Laxenburg, ja über Stock und Stein umhergefahren. Das habe in den Kreisen des Gefolges Anstoß erregt, so daß sich die Obersthofmeisterin der Kaiserin, Gräfin Esterhazy, geborene Prinzessin Liechtenstein, nach einiger Zeit veranlaßt gesehen habe, dem Kaiser darüber Meldung zu erstatten und ihn zu bitten, diese etikettewidrigen Exkursionen zu untersagen. Die aber sei sehr schlecht angekommen, der Herrscher habe unwirsch erklärt, seine geliebte Kaiserin sei in ihren Liebhabereien, die sie aus dem elterlichen Hause gewöhnt sei, nie und von niemandem zu stören, sie werde selbst wissen, was sich gehöre. Es dürfte bekannt sein, daß der Herzog in Bayern, Vater der Kaiserin, in Possenhofen einen Zirkus hielt und seine Töchter in allen equestrischen Künsten unterwies; daher die Pferde- und Reitpassion der Kaiserin, die sie zu so vielen ihrer Exzentrizitäten und namentlidi zu den langen Abwesenheiten von der Seite ihres Gatten veranlaßte. Das war dem Kaiser gewiß nicht recht, aber, schon der alte Zimmerwärter in Laxenburg hatte es erkannt, die Autorität über seine Gattin hatte der Kaiser schon während ihrer Flitterwochen verloren. Meine Tante Natalie Gräfin Kielmansegg war mehrere Jahre Erzieherin unserer Kaiserin in Possenhofen gewesen und erzählte mir nachmals wiederholt von dem ganz und gar eigentümlichen Leben, das an diesem kleinen Hofe geführt wurde, und wie die junge Prinzessin Elisabeth von ihrem Vater zur vollkommensten Zirkusreiterin ausgebildet worden sei; vor dem gesamten Hofe und Gefolge habe sie auf dem sogenannten Nudelbrett zu Pferde tanzen und durch Reifen springen müssen. Auch in Baden selbst hatte ich den Kaiser einmal zu empfangen. E r kam zur Taufe einer Erzherzogin, Tochter des Erzherzogpaares Karl Salvator und Maria Immaculata, die mehrere Sommer hindurch das sogenannte Kaiserhaus am Hauptplatze in Baden bewohnten. Ich bemerke, daß der Kaiser jeder Taufe eines neugeborenen Sprößlings seines Hauses beizuwohnen pflegte. Der Kaiser wollte vormittags am
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Bahnhof eintreffen; jeder Empfang w a r „allergnädigst abgelehnt worden"; das heißt in der Sprache des Hofes: nur der Chef der landesfürstlichen Sicherheitsbehörde, also ich, der Bezirkshauptmann, hätte am Bahnhof zu erscheinen gehabt. A m Abend zuvor erschien bei mir der Vorstand des Sicherheitsbüros der Wiener Polizeidirektion, kaiserlicher R a t Stehling, mit der Meldung, es sei bei dieser Direktion die Anzeige von einem auf den Kaiser in Baden geplanten Attentat eingelangt. O b dieser ernste Bedeutung zuzumessen sei, wisse man zwar nicht, doch rate man mir, immerhin größere Sicherheitsmaßregeln zu treffen, bei denen mich Stehling durch Umschau auf verdächtige Individuen in den Wirtshäusern und dergleichen unterstützen wolle. Ich ordnete zunächst „großen E m p f a n g " am Bahnhof an, berief eine starke Gendarmeriemannschaft nach Baden, hieß diese und die Feuerwehr und Veteranen auf dem Bahnhof und seiner Umgebung Spalier stehen, nicht ohne ihnen selbst die Weisung gegeben zu haben, jedermann, der den Arm erhebe oder während der Ankunft und den Fahrten des Kaisers durch die Stadt eine irgendwie verdächtige Bewegung mache, sofort festzunehmen. Seine Majestät f u h r in den Bahnhof ein, sah den Perron voller festlich gekleideter Honoratioren, den Vertretern der beiden Kurortegemeinden, und erkannte, das seinem Befehle auf abgelehnten E m p f a n g nicht entsprochen worden sei. Ich las sofort die Unzufriedenheit aus seinen Mienen, wurde ebenso wie die Bürgermeister, die ich vorstellen wollte, kaum eines Wortes gewürdigt und durfte doch von dem Attentatsverdacht keine Erwähnung tun. Ich wußte nämlich von Wien her, daß es Regel sei, unangenehme Eindrücke, wie befürchtete Attentate, vorgefallene Majestätsbeleidigungen und dergleichen, vom Kaiser absolut fernzuhalten. Bei der Abfahrt nachmittags ließ ich wieder, obwohl vormittags keinerlei beunruhigende Wahrnehmung gemacht worden war, alles ausrücken — man konnte ja nicht genug sichergehen. Wieder Zeichen Allerhöchsten Mißfallens, aber ich atmete erleichtert auf. Ich weiß bis heute nicht, ob der Kaiser es jemals erfahren, weshalb ich dem Befehl zuwidergehandelt habe. Als ich das nächste Mal Gelegenheit hatte, dem Kaiser gegenüberzutreten, war ich beinahe überrascht, wie gnädig er mit mir w a r ; aber freilich, es war niemals seine Art, jemandem etwas nachzutragen, davon habe ich midi später noch oft überzeugt. Von Baden aus wurde ich als Bezirkshauptmann nach Sechshaus versetzt, erhielt auf diesem Posten den Titel und Charakter eines Statthaltereirates, ging ein Jahr hienach, 1882, als Regierungsrat nach Czernowitz und von dort 1885 mit dem Titel und Charakter eines 3*
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H o f r a t e s nach Klagenfurt, kam 1886 als Ministerialrat in das Ministerium des Innern zu Taaffe, der mich nach kaum zwei Jahren mit dem Titel und Charakter eines Sektionschefs auszeichnen ließ. Alle diese Auszeichnungen hatten Danksagungsaudienzen bei Seiner Majestät f ü r mich zur Folge, die alle in der f ü r derlei Dinge kurzen Form verliefen, daß der Kaiser auf den ausgesprochenen alleruntertänigsten D a n k erwiderte: „Ich habe mich sehr gefreut, Sie haben auszeichnen zu können!", und dann einige kurze Fragen über die Arbeiten, mit denen man gerade beschäftigt sei, oder welches Referat man führe, stellte. Eine jede solche Audienz pflegte nicht länger als zwei bis drei Minuten zu dauern. Das aber ist auch ganz begreiflich, wenn man bedenkt, daß der Kaiser in den sogenannten allgemeinen Audienzen oft bis zu hundert Personen zu empfangen pflegte. Später wurde die Maximalzahl allerdings auf 60 reduziert. Während ich in Klagenfurt stationiert war, kam der Kaiser zur Eröffnung einer kärntnerischen Landesausstellung dorthin. Ich wohnte dem Empfang und dem Hofdiner bei und wurde bei beiden Gelegenheiten kurz angesprochen. Bei der H o f t a f e l fiel mir auf, d a ß hier eine weniger strenge Etikette als in Wien in der Burg herrsche, unter anderem nach Tisch geraucht wurde. Ich wurde damals dahin belehrt, d a ß sich der Kaiser, um alte strenge Hofsitten aufrechtzuerhalten, bei Diners in der Burg die geliebte Zigarre versage, während er nach der Tafel außerhalb der Burg, in Schönbrunn oder an sonstigen Hoflagern sich sofort seine Zigarre anzünde und seine Gäste rauchen lasse. Er selbst war stets ein leidenschaftlicher Raucher, früher von Virginia-Zigarren und später, als diese wegen ihres allzustarken N i kotingehaltes ärztlicherseits verboten wurden, von leichten „Operas". Von Klagenfurt habe ich noch zu erwähnen, daß der Landesregierung nahegelegt wurde, ja recht darüber zu wachen, daß nur korrekt geflaggt werde, denn andere als Reichs- oder Landesfarben vertrage der Allerhöchste H e r r nicht, namentlich die Nationalfarben der Deutschen, Schwarz-Rot-Gold, oder die Trikolore der Slawen seien ihm zuwider. Es wurden nun inkorrekte Fahnen zwangsweise entfernt, was jedesmal Auftritte oder wenigstens Weiterungen mit den Parteien oder Hauseigentümern ergab, die sich meist darauf beriefen, d a ß keinerlei Vorschrift bestehe, die sie daran hindern könne, zu flaggen, wie sie wollen. Es verlautete damals, daß es weniger der Kaiser selbst als vielmehr der Vorstand seiner Militärkanzlei und Generaladjutant Baron Beck sei, der die Fahnenfrage aufwerfe und den Herrscher aufhetze, und
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zwar nicht direkt bei seinen täglichen Vorträgen als vielmehr im Gefolge des Kaisers, woselbst er seine mißliebigen Bemerkungen seinem Nachbarn derart laut zum besten gebe, daß der Kaiser sie unbedingt hören müsse. Beck war später Chef des Generalstabes und hatte als solcher regelmäßig am Mittwoch Vortrag beim Kaiser. Dieser Mittwoch war Taaffe, der sich zum Prinzip gemacht hatte, dem Kaiser alle diesen etwa unangenehm berührenden Nachrichten nach Möglichkeit vorzuenthalten, stets ein gefürchteter Tag. Er erwähnte mir oftmals, man könne nie wissen, was der Beck, der alles im militärischen Interesse Gelegene, und dahin wisse er alles und jedes zu subsummieren, dem Kaiser wieder erzählt haben werde. Als Polizeireferent des Ministeriums des Innern mußte ich nach so manchem Mittwoch Erhebungen über so manches einleiten und dann Vorträge Taaffes an den Kaiser ausarbeiten. Eine Kamarilla hat es in der Umgebung unseres Kaisers nie gegeben, nur Beck ganz allein, solange er Vorstand der kaiserlichen Militärkanzlei und dann Chef des Generalstabs war, könnte als solche gelten, wenigstens war sein Einfluß auf die innere Politik oft unverkennbar. Ein interessantes Beispiel dafür: Die große Spannung zwischen uns und Rußland, 1887/88, führte bekanntlich zum Ausbau der Festung Przemysl, zur Aufstellung eines neuen Armeekorps daselbst und zur Anlage neuer Kommunikationen und Kasernen in Galizien. Graf Kasimir Badeni war, damals Statthalter in diesem Lande, dem Ministerium des Innern etwas unbotmäßig. Als Vertrauensmann der dort allmächtigen Schladita mußte er zwar mit Glacehandschuhen behandelt werden, aber wegen mangelhafter Durchführung und Handhabung von Gesetzen und Vorschriften, insbesondere auf dem Gebiete der öffentlichen Sanitätspflege, mußten oft Ausstellungen an seine Statthalterei gerichtet werden. Er aber hatte sich daheim eng mit der k. k. Generalität verbunden, die in seinem gastlichen Hause ein- und ausging, dem kommandierenden General Prinz Ludwig Windisch-Grätz an der Spitze. Mein Bruder Oswald, damals Generalmajor und Kavalleriebrigadier in Lemberg, war auch dabei. Alle diese Militärs wurden nicht müde, Badeni, der es verstanden habe, die militärischen Bauten und Vorkehrungen an der russischen Grenze mächtig zu fördern, und das war richtig und auch polnisch, über den grünen Klee zu loben und seine Energie, die von der Art Bismarcks sei, zu preisen. Als die Aufstellung des neuen Korps in Galizien durchgeführt war, wurde der Kaiser veranlaßt, dort alles Neugeschaffene zu besichtigen. Die Antworten des Kaisers auf offizielle Ansprachen an ihn pflegten im
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Ministerium des Innern entworfen zu werden. Solche Entwürfe wurden von ihm meist besonders genau durchgesehen, oftmals auch geändert und durch Beifügung eines Wortes oder Satzes wärmer gemacht. Wer aber beschreibt nun Taaffes und des ganzen Ministeriums Überraschung, als der Kaiser bei seinem Empfang durch den Statthalter, irre ich nicht, so war es am Bahnhof von Przemysl, an diesen eine Ansprache so voller Wärme und anerkennenden Lobes seiner gesamten Tätigkeit richtete, wie sie früher einem Staatsfunktionär vor der Öffentlichkeit nie zuteil geworden war. Alsbald verlautete denn auch, diese Ansprache sei von Beck oder in der Militärkanzlei verfaßt worden, und sie kündigte an, daß Badeni der kommende Mann sei. Taaffe war Jugendgespiele des Kaisers gewesen und vermochte daher in etwas ungezwungenerer Weise mit ihm zu verkehren, als andere Menschen, auch wußte er den Kaiser mit seinem H u m o r und seinen Trivialismen in guter Laune zu erhalten, selbst wenn es unangenehme Vorkommnisse im Staatsleben gab. Einmal aber war der Kaiser kaum zu beschwichtigen. Es war dies, als zu Ende der 1880er Jahre das serbische Königspaar, Milan und Natalie, in Wien weilte und serbische Studenten Demonstrationen gegen dieses planten, weil Milan kurz vorher seinen bekannten Staatsstreich, mit Änderung der Verfassung gegen die Radikalen, vollführt hatte. Der Kaiser hatte angeordnet, daß solche Demonstrationen mit allen Mitteln hintangehalten werden müßten, und demgemäß hatte die Polizei alle möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen. Dennoch war es den Studenten gelungen, erinnere ich mich recht, bei einer Ausfahrt der Königin einen argen Spektakel loszulassen. Der Kaiser war wütend, Taaffe wurde sofort zu ihm zitiert, bekam die unangenehmsten Worte zu hören, mit dem Verlangen, den Polizeipräsidenten sofort zu pensionieren. Als Polizeireferent des Ministeriums konnte ich feststellen, daß diesen Präsidenten keinerlei Schuld träfe, er vielmehr die umfassendsten Maßregeln getroffen hätte, und daß die serbischen Studenten einen Moment abgepaßt hatten, wo kein Polizeiorgan in der N ä h e der Königin weilen konnte, um ihre Demonstration in Szene zu setzen. Dies alles setzte ich Taaffe auseinander und überzeugte ihn, daß eine Maßregelung des Polizeipräsidenten, den nicht das geringste Verschulden treffe, eine Ungerechtigkeit sein würde. „Dann finden Sie einen anderen Schuldtragenden heraus, denn hochoben fordert die brandende See ein O p f e r " , war seine Antwort. Aber die See beruhigte sich mit der nicht gar strengen Maßregelung eines Polizeikommissärs, der den Dienst um das Königspaar gehabt hatte.
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Als im Herbste 1889 die K r o n p r i n z e n k a t a s t r o p h e eintrat, zeigte sich so recht das intime Verhältnis, in welchem Taaffe z u m Kaiser stand. E r w a r der erste, der z u m Kaiser gerufen w u r d e und d a n n alle nun zu treffenden Maßregeln mit ihm vereinbarte: H o f k o m m i s s i o n in Mayerling, Ü b e r f ü h r u n g der Leiche des K r o n p r i n z e n von d o r t nach Wien u n d der der Baronesse Vecsera nach Heiligenkreuz, psychiatrisches Gutachten über den Geisteszustand des Thronfolgers, polizeiliche Nachforschungen über den Lebenswandel des letzteren w ä h r e n d der letzten J a h r e u n d vor allen Dingen die Zeitungskommuniques zur Beruhigung der öffentlichen Meinung. Bevor der Kaiser in diese ruhige und geschäftsmäßige Erörterung einging, w a r er T a a f f e allerdings von Leid tief getroffen erschienen. Er h a t t e diesen mit den W o r t e n e m p f a n gen, „sein einziger Trost sei in dieser schmerzlichen Lage, die Kaiserin an seiner Seite zu haben, die sich wie sein gütiger Engel benehme". A n f a n g O k t o b e r 1889, als der Statthalter in Niederösterreich Baron Possinger f r ü h e r als m a n e r w a r t e t hatte demissionierte, und z w a r unmittelbar vor Zusammentritt des Landtages, w u r d e ich zu seinem Nachfolger ernannt. D e r Kaiser weilte damals zu Jagden in Mürzsteg u n d b e a u f t r a g t e den Erzherzog K a r l L u d w i g mit meiner Beeidigung. Meine Danksagungs- u n d Antrittsaudienz beim Kaiser h a t t e ich erst nach seiner Rückkehr v o n den Herbstjagden, w ä h r e n d der T a g u n g des Landtages; gnädig empfangen, hatte ich n u r Fragen über diese zu beantworten, u n d doch h a t t e ich gefürchtet, einige Tage z u v o r den Allerhöchsten Unwillen dadurch erregt zu haben, d a ß ich zum E m p f a n g des Herrschers bei seiner Besichtigung des neuen, damals nur teilweise fertigen Epidemie-Spitals an der Triester Straße, bald hienach KaiserFranz-Joseph-Spital genannt, u m einige M i n u t e n zu spät erschienen war. D e r Kaiser w a r d o r t um beinahe eine Viertelstunde f r ü h e r eingetroffen, als der Besuch angesagt w a r . Das w a r m i r eine Lehre f ü r die Zukunft, erklärte mir doch damals der G e n e r a l a d j u t a n t Graf E d u a r d P a a r , d a ß ein solches früheres Eintreffen des Kaisers nicht zu den Seltenheiten gehöre, seine U n g e d u l d bringe das mit sich. D e r H o f wagen f a h r e natürlich stets einige Minuten vor der Zeit, f ü r die er bestellt, vor, dann aber steige der Kaiser auch sofort ein, ja es komme auch vor, d a ß er, zur A b f a h r t bereit, schon auf der Stiege stehe, bevor der H o f w a g e n noch vorgefahren. D a ß der Kaiser jemals bei irgend einer Gelegenheit später als zur bestimmten S t u n d e eingetroffen w ä r e , hat sich in der T a t niemals ereignet. Das W o r t , d a ß pünktlich zu sein die Höflichkeit der Prinzen bedeute, k ö n n t e auf den Kaiser geprägt
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sein. Aber eigentlich war er doch nur selten pünktlich, vielmehr oft verfrüht, weil gar so ungeduldig. Während der ersten Zeit meiner Statthalterschaft wurde ich auffallend oft zum Kaiser in Privataudienz befohlen, um über dieses oder jenes befragt zu werden, was sich Auffallenderes in Wien oder Niederösterreich gerade ereignet hatte. Mittelbaren schriftlichen Vortrag an den Kaiser hatten die Statthalter nicht, nur die Minister; aber mündlich konnte sich der Herrscher unmittelbar informieren, und darauf legte er doch stets einen gewissen Wert. Darauf beruhte auch die Vorschrift für die Ministerien, wenn sie sich in ihren Vorträgen an den Kaiser auf Berichte der Statthalter oder sonstiger Unterorgane beriefen, diese im Original mitvorzulegen; dies galt namentlich für Auszeichnungsanträge. Einer dieser befohlenen Audienzen aus der Osterzeit 1890 erinnere ich. mich besonders genau. Es hatten damals zufolge eines Streiks der Tramwaybediensteten arge Krawalle, besonders in den Wiener Vororten, stattgefunden, die von der Polizei nur mit Hilfe von Militärassistenz hatten unterdrückt werden können. Der Kaiser verlangte darüber Bericht von mir, und ich benütze diese mir passende Gelegenheit, um, ausgehend von der unzweckmäßigen Konfiguration des Wiener Polizeirayons, der außer Wien nur einzelne Vorortegemeinden umfaßte, den Kaiser für meine Idee der Vereinigung der sämtlichen Vororte mit Wien anläßlich der eben im Reichsrate verhandelten Frage der Erweiterung des Wiener Verzehrungssteuer-Rayons zu gewinnen. Der Kaiser zeigte lebhaftes Interesse für diese meine Idee, zu deren Verwirklichung die Initiative zu ergreifen die Regierung, Taaffe und Dunajewski, mir abgelehnt hatte. Dessen tat ich allerdings dem Kaiser gegenüber wohlweislich keine Erwähnung. Die vielen sachlichen Zwischenfragen, die er stellte, ließen mich deutlich erkennen, daß er meiner Idee, eine mächtige Reichshaupt- und Residenzstadt zu schaffen und ihr gleichzeitig eine gesicherte Polizeiorganisation zu geben, voll zustimme, wiewohl er dieses nicht ausdrücklich aussprach oder mir etwa gar den Auftrag gab, in diesem Sinne vorzugehen. Er blieb der konstitutionelle Monarch, dessen verantwortliche Minister allein vorzugehen haben. Immerhin aber wußte ich, daß, wenn ich es nun bei der Regierung doch durchsetzen würde, dem Landtag eine Vorlage wegen Vereinigung der Vororte mit Wien zu machen, dies dem Kaiser sehr recht sein werde, und daß man sich später darauf berufen könne, damit einem Wunsche des Kaisers entsprochen zu haben. Nach der Audienz selbst gab ich mich allerdings der Hoffnung hin, der Kaiser werde Taaffe über die Sache
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befragen und ihm allenfalls den A u f t r a g geben, sie durchzuführen. Ich mußte midi aber sehr bald überzeugen, daß dies nicht der Fall war. Dennoch ging ich von nun an in dieser Angelegenheit zielbewußt vor — die Schilderung wie, würde an dieser Stelle zu weit führen —, und die Vororte wurden — „auf Initiative des Kaisers" — sogar einstmals von ihm bei der Eröffnung des Türkenschanzparks gesprochene Worte mußten dazu herhalten — mit Wien durch Landesgesetz vereinigt. Es hatte dann irgendwo in Niederösterreich eine deutschnationale Volksversammlung stattgefunden. Ich wurde berufen, um über diese dem Kaiser mißliebige Stimmung zu berichten. Ich tat es eingehend, nicht ohne dem Kaiser auch zu schildern, wie leichtfertig seinerzeit unser Vereins- und Versammlungsgesetz, eine Schöpfung des doktrinären Liberalismus, auf Antrag von D r . Vanderstrass und Konsorten im Reichsrate verhandelt worden sei, und wie dieses vielleicht für das Großherzogtum Baden, nie und nimmer aber f ü r Österreich mit seinen vielen Nationalitäten und Parteien passen könne. In derlei Dingen müsse die Regierung bei uns doch größere Machtbefugnisse haben, als dieses Gesetz sie ihr einräume. Meine Darlegungen erregten das höchste Interesse des Kaisers. Ich war beinahe sprachlos, als er nun mit mir, dem Statthalter Niederösterreichs, anknüpfend an das Gehörte, böhmische Vereins- und Versammlungsverhältnisse zu erörtern begann, über die ich allerdings genau informiert war, da ich wenige Jahre zuvor die Verfügungen Thuns gegen die Jungczechen in Böhmen oftmals beim Reichsgericht zu verteidigen gehabt hatte. Es folgten mehrere ähnliche Privataudienzen bei Seiner Majestät, und nun mußte ich mit einem Male vernehmen, diese seien Taaffe aufgefallen, er befürchte, etwa in mir seinen Nachfolger erblicken zu müssen. O b ihm der Kaiser selbst von meinen Vorträgen Mitteilung gemacht habe, weiß ich nicht. Taaffe, der Jugendgespiele des Kaisers, war über die ihm von Steinbach, dem Nachfolger Dunajewskis im Finanzressort, eingebrachte Wahlreform gefallen. Der Kaiser sagte sich leicht von ihm los, er mochte wohl einsehen, d a ß Taaffe, der überdies damals schon stark kränkelte, nicht zu halten sei. Es folgte das Koalitionsministerium unter dem prächtigen Kavalier und doch administrativ und politisch etwas unbeholfenen Alfred WindischGrätz, dem in diesen Richtungen Olivier Marquis de Bacquehem, dieser unzuverlässige und politisch feige Charakter, als Minister des Innern eine Stütze hätte sein sollen. U n d Finanzminister wurde Ernst von Plener, von dem ich genau wußte, d a ß der Kaiser früher mehrmals abfällig über ihn und seine Präpotenz geurteilt hatte. Der konstitutio-
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nelle Monarch akzeptierte dieses Ministerium, das die maßgebenden Männer des Abgeordnetenhauses unter Leitung des ganz kurz vorher von Taaffe baronisierten Johann von Chlumecky, der „weisen Frau" für damalige Ministerwehen, gebildet hatten. Ich weiß es aus Äußerungen Seiner Majestät selbst, daß er in keinen der neuen Männer rechtes Vertrauen setzte und es vom ersten Augenblick ihrer Amtsführung an nicht erwarten konnte, sie wieder los zu werden. Aber als konstitutioneller Monarch hatte er diese Koalition akzeptiert; wiewohl er gar zu gern schon damals den von militärischer Seite empfohlenen Bismarck-Badeni berufen hätte. Als das Koalitionsministerium 1895 wegen der Cillier Gymnasialfrage, die eine Votierung des Budgets unwahrscheinlich erscheinen ließ, demissionierte, wurde Badeni nach Wien berufen, um entweder mit H i l f e des Polenklubs die Krise im Abgeordnetenhaus zu beseitigen oder ein neues Kabinett zu bilden. Das erstere mißlang ihm, und als der Kaiser ihn nun aufforderte, an die Spitze der Regierung zu treten, bat er, einstweilen davon Umgang zu nehmen, da „er vorerst noch eine Reihe von ihm in Galizien eingeleiteten wichtigen Verwaltungsmaßregeln zum gedeihlichen Ende zu führen habe. „Ich habe nie erfahren können, was das für Verwaltungsprobleme waren, erfuhr aber später von meinem Freund Goluchowski, dem damaligen Minister des Äußeren, daß Badeni in Wahrheit der parlamentarische Boden in Wien zu heiß erschien, und daß er sich „als der kommende Mann im Hintergrunde" halten wollte, bis sich die Situation im Abgeordnetenhaus geklärt haben werde. Der Kaiser befragte nun Goluchowski, wer einstweilen zur Leitung der Staatsgeschäfte herangezogen werden könnte, und dieser schlug mich vor. Hievon hatte das Koalitionsministerium keine Ahnung, es glaubte vielmehr, durch die Tatsache seiner gegebenen Demission werden die Parteien des Abgeordnetenhauses veranlaßt werden, eine Formel zu finden, um über die strittige Cillier Gymnasialfrage hinwegzukommen, und führte die Geschäfte ruhig weiter, bis ich eines schönen Nachmittags im Allerhöchsten Auftrage Windisch-Grätz aus dem Ministerrate, dem er gerade präsidierte, herausrufen lassen und ihm ankündigen mußte, der Kaiser habe seine und des gesamten Ministeriums Demission angenommen, was samt der neuen Ministerliste in der „Wiener Zeitung" des nächsten Tages werde publiziert werden. Im Folgenden gebe ich teils nach Aufzeichnungen, teils nach meinem Gedächtnis, auf welches ich mich hinsichtlich dieses für midi bedeutendsten Abschnittes meines Lebens gut verlassen kann, alle charakteristischen
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Äußerungen des Kaisers wieder, die er bei meiner Berufung, w ä h r e n d meines Ministeriums u n d auch später noch in bezug auf dieses mir gegenüber tat. Ich m u ß hier vorausschicken, d a ß ich im F r ü h j a h r 1895, k u r z v o r der Demission des Koalitionsministeriums Windisch-Grätz, v o m A d miral Sternedi zu den großen F l o t t e n m a n ö v e r n nach Pola, denen auch der Kaiser beiwohnte, eingeladen w o r d e n w a r . Bei einem Feste im Marinekasino hielt ich mich in der natürlichen Annahme, d a ß der Kaiser hier ausschließlich Angehörige der Marine sich werde vorstellen lassen oder abcerclen werde, bescheiden im H i n t e r g r u n d e . Aber auch hier, wie immer, ließ der Kaiser seine Augen, w ä h r e n d er mit jemandem sprach, über die zunächst Anzusprechenden u n d auch weiter über die Versammlung schweifen. W u ß t e er doch stets, wer bei einem H o f feste zugegen gewesen u n d wer dort etwa gefehlt habe, ganz genau. Plötzlich erblickten mich seine Augen, u n d er schritt sofort quer durch die Versammlung der Festgäste in den äußersten Winkel des Saales, w o ich stand, auf mich zu, um mir in gnädigster Weise zu sagen, d a ß er sich freue, mich hier zu sehen; mein Interesse f ü r die Marine sei begreiflich, habe sich doch mein Bruder als Schiffskommandant bei Lissa ausgezeichnet. Es folgten noch einige Fragen über Wien und die Statthalterei. Diese Ansprache und ihre verhältnismäßig lange D a u e r fielen allgemein auf, meine Freunde in Pola gratulierten mir sofort, d a ß ich so in G n a d e bei Seiner Majestät stehe, u n d mehrere f ü g t e n hinzu, das müsse etwas zu bedeuten haben. Vielleicht w a r m a n deshalb d a n n gar nicht so sehr überrascht, als ich v o m Kaiser mit der Leitung eines Ministeriums betraut wurde. Eines Abends, nachdem mehrere Tage vorher die Koalition demissioniert hatte, w u r d e ich f ü r den nächsten Morgen f r ü h zu Seiner Majestät befohlen. Ich k o n n t e mir nicht erklären, wieso u n d w a r u m , u n d w o r ü b e r ich etwa Auskunft zu geben haben würde. D a fiel mir ein, d a ß der Kaiser tags z u v o r das Eisenbahnregiment in K o r n e u b u r g inspiziert hatte, u n d d a ß , t r o t z d e m der Allerhöchste Befehl dahin gelautet hatte, jeder E m p f a n g dort „sei allergnädigst abgelehnt", doch der ganze Adel der Umgebung u n d alle H o n o r a t i o r e n des Ortes auf dem Bahnhof erschienen seien, w o Seine Majestät dann lange h a t t e Cercle halten müssen. Ich hatte eben erst vom Bezirkshauptmann Bericht verlangt, wieso dies gekommen, w e r den großen E m p f a n g veranlaßt habe und ob der Kaiser nicht ungehalten gewesen sei. Ich h ä t t e diesbezügliche Fragen des Kaisers nicht sofort b e a n t w o r t e n können, hatte aber schon in der Zeitung gelesen, er sei über den
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schönen improvisierten Empfang in Korneuburg sichtlich erfreut gewesen. Dann mußte also der Kaiser etwas anderes von mir wissen wollen. Vielleicht hatte Bacquehem über irgendeine Bemerkung des Kaisers, wie das so seine Art war, seine eigene Verantwortung ablehnend, den Statthalter angelehnt. Ich war einigermaßen beunruhigt und ging also zu Bacquehem, meldete ihm, ich sei für den nächsten Morgen zum Kaiser berufen worden und fragte, ob er mir nicht sagen könne, was etwa Wichtiges, Wien oder Niederösterreich Betreffendes, vorliege. Er wußte mir keine Antwort zu geben. Der schlaue Fuchs hatte aber sofort heraus, daß meine Berufung vielleicht mit der Demission des Ministeriums zusammenhänge und bat, ohne mir darüber auch nur eine Andeutung zu machen, noch an demselben Abend um eine Privataudienz bei Seiner Majestät vor meinem Empfang. Als ich zu diesem am nächsten Morgen in der Burg erschien, teilte mir der Flügeladjutant mit, ich möge etwas warten, Bacquehem sei in dringend erbetener Audienz beim Kaiser. Nach wenigen Sekunden erschien er, das kaiserliche Audienzzimmer verlassend, mit niedergeschlagener Miene und raunte mir, während der Adjutant mich anmeldete, nur die Worte zu: „Ihre Berufung steht mit unserer Demission in Zusammenhang." Beim Kaiser eingetreten, empfing mich dieser mit den Worten: „Ich habe Sie rufen lassen, damit Sie noch heute an die Spitze eines von mir zu berufenden Beamtenministeriums treten. Ich hatte die Absicht, den Grafen Badeni mit der Bildung eines Ministeriums zu betrauen, doch hat er mir dargelegt, daß er erst noch von ihm eingeleitete Verwaltungsmaßregeln in Galizien durchzuführen habe, so daß er erst späterhin an die Spitze der Regierung gestellt werden kann." Als der Kaiser sah, daß ich erstaunt tat und Einwendungen erheben wollte, richtete er sich hoch auf und sagte, mit allerdings sehr freundlichem Gesichtsausdruck: „Sie waren Offizier und wissen, was es heißt, wenn der Kaiser sagt, Ich befehle!" „Dann habe ich Eurer Majestät zu gehorchen", erwiderte ich, „dennoch glaube ich, auf die Schwierigkeit der mir von Eurer Majestät gestellten Aufgabe aufmerksam machen zu dürfen, und daß es mir sehr fraglich erscheint, ob ich dieselbe zur Allerhöchsten Zufriedenheit werde lösen können, denn mir fehlen alle und jede näheren Beziehungen zu den einzelnen Parteien des Parlaments." „Die sind nicht erforderlich", meinte der Kaiser, „denn Sie haben mein volles Vertrauen und ich erteile Ihnen alle Vollmachten, um das Abgeordnetenhaus arbeitswillig zu machen und ihm erforderlichenfalls mit der sofortigen Auflösung zu drohen. Welche Arbeit ich
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v o m P a r l a m e n t e verlange, w e r d e ich Ihnen gleich angeben." „ D a n n habe ich n u r noch zu bemerken", f u h r ich fort, „ d a ß Euer Majestät auch wohl bedacht haben, d a ß ich evangelisch bin u n d daß ein nichtkatholischer Minister manchen Kreisen nicht angenehm sein u n d Anfechtungen aus diesen zu erfahren haben d ü r f t e . " „Das weiß ich genau", warf der Kaiser ein, „aber das macht im vorliegenden Falle gar nidits." Diese W o r t e h a t t e der Kaiser beinahe lachend ausgesprochen, wie ich denn ü b e r h a u p t bemerkte, d a ß er aufgeräumtester Laune sei. Dies gab mir Mut, nochmals auf die Schwierigkeiten im P a r l a m e n t hinzuweisen, denen ein gerngesehener Minister des jetzigen Kabinetts, wie unter anderen der Landesverteidigungsminister General Graf Welsersheimb, leichter w e r d e begegnen können als ich. D e r Kaiser: „Eben haben Sie Bacquehem fortgehen gesehen, der mir nahelegen wollte, ihn mit der F o r t f ü h r u n g der Geschäfte bis zur Einsetzung eines Ministeriums Badeni zu betrauen, aber ich habe midi schön bedankt, ich habe genug v o m Koalitionsministerium, welches allzu lange nichts weiterbringt, schon morgen m u ß es einem andern Ministerium Platz gemacht haben. Ich ernenne Sie z u m Minister des I n n e r n u n d betraue Sie mit dem Vorsitze in dem neuen Ministerium, es soll ein provisorisches Beamtenministerium sein, doch d a r f , um seine A u t o r i t ä t nicht zu schwächen, dieser provisorische C h a r a k t e r desselben nach außen hin nie betont oder zugegeben w e r d e n . Ich w e r d e jetzt den Kabinettsdirektor Baron Braun rufen lassen, damit w i r die Liste der zu ernennenden Leiter der Ministerien — ich denke da a n die tüchtigsten Sektionschefs der einzelnen Ressorts — u n d einzelnen Minister festsetzen, u n d er meine Ernennungshandschreiben sofort ausfertigen lasse." Mein Erstaunen über diese allerhöchste Ungeduld läßt sich kaum beschreiben, vielleicht h a t t e es der Kaiser bemerkt, denn w ä h r e n d wir auf das Eintreten Brauns warteten, sagte er mir, er wolle z u m Speisen um halb 5 U h r gern wieder in Schönbrunn sein, habe seinen Wagen f ü r 4 U h r bestellt u n d müsse vorher noch die Ernennungen unterschreiben, damit die morgige „Wiener Z e i t u n g " diese publizieren könne. Sit venia verbo, das ging mir denn doch über die Hutschnur, u n d ich benutzte die wenigen M i n u t e n des Wartens auf Braun, um den Kaiser inständig zu bitten, mir zu gestatten, v o r Vollzug der E r nennungen Fühlung mit den P a r t e i f ü h r e r n des Abgeordnetenhauses nehmen u n d mich auch noch des N ä h e r e n wegen der mit der Leitung von Ministerien zu betrauenden Sektionschefs orientieren zu dürfen. „Das gestatte ich I h n e n " , sagte der Kaiser, „jedoch n u r unter der Be-
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d i n g u n g , d a ß Sie u m halb 4 U h r wegen der rechtzeitigen Ausfertigung der Ernennungsschreiben wieder bei mir s i n d . " B r a u n trat ein u n d überreichte Seiner M a j e s t ä t zwei große Bogen, auf welchen die gedruckten Titel der im A b g e o r d n e t e n h a u s in V e r h a n d l u n g stehenden G e s e t z e n t w ü r f e a u f g e k l e b t waren. D e r K a i s e r h ä n d i g t e d e n mit I. bezeichneten B o g e n mir mit den Worten ein: „ D a s sind die S t a a t s n o t w e n d i g k e i t e n , d a r u n t e r der S t a a t s v o r a n s c h l a g f ü r das laufende J a h r ; d a s P a r l a m e n t d a r f nicht früher auseinandergehen, b e v o r diese sämtlichen V o r l a g e n erledigt sind, ich verweise Sie übrigens auf die Ihnen v o n mir erteilten Vollmachten. U n d dieser mit I I . bezeichnete B o g e n enthält alle weiteren V o r l a g e n , a u f deren glatte E r l e d i g u n g ich großen Wert legen w ü r d e . " E s folgte nun die E r ö r t e r u n g der Pers o n e n f r a g e ; der L a n d e s Verteidigungsminister sollte nach altem Brauche in das neue Ministerium übernommen werden, ebenso der Minister f ü r G a l i z i e n , R i t t e r v o n J a w o r s k i , den ich z u m Bleiben bestimmen möge. Meinen A n t r a g , d a ß d a s wichtige Finanzressort mit einem Minister besetzt werde, genehmigte der K a i s e r s o f o r t . Ich b e g r ü n d e t e diesen A n t r a g d a m i t , d a ß der Sektionschef des Finanzministeriums, B ö h m v o n B a w e r k , einer unserer tüchtigsten N a t i o n a l ö k o n o m e n sei u n d ganz der M a n n f ü r die Vertretung dieses Ressorts bei den in nicht ferner Zeit bevorstehenden V e r h a n d l u n g e n mit U n g a r n w e g e n Erneuerung des Ausgleichs. Ich f ü g t e unter Z u s t i m m u n g des Kaisers b e i : „Auch ein k o m m e n d e s Ministerium B a d e n i könnte seiner k a u m e n t r a t e n . " Schließlich ist aus dieser A u d i e n z noch zu erwähnen, d a ß der K a i s e r m i r mit besonders
gnädigen
Worten sagte, meine B e r u f u n g
zum
Minister solle meine Z u k u n f t nicht g e f ä h r d e n , der S t a t t h a l t e r p o s t e n in Niederösterreich bleibe mir v o n ihm g e w a h r t ; ich m ö g e f ü r die Zeit meiner Ministerschaft ihm einen Leiter der niederösterreichischen Statthalterei vorschlagen. N a c h dieser Audienz in mein Büro zurückgekehrt, s a n d t e ich B e a m t e in F i a k e r n nach allen möglichen Richtungen aus, u m m i r P a r l a m e n tarier, wiederzuernennende Minister u n d die verschiedensten Sektionschefs herbeizuholen. D i e Parlamentarier, der A b g e o r d n e t e n h a u s p r ä s i dent B a r o n C h l u m e c k y , dessen K o a l i t i o n nun so elend z u g r u n d e ging, an der S p i t z e , erklärten mir so ziemlich übereinstimmend, d a ß ich mit meinem Beamtenministerium im A b g e o r d n e t e n h a u s nur wenig Entg e g e n k o m m e n finden werde, mein politisch farbloses P r o g r a m m werde keine Partei befriedigen. Meine Seiner M a j e s t ä t gegenüber eben geäußerten B e d e n k e n waren also gerechtfertigt. J e d e r dritte A b g e o r d n e t e in Österreich glaubte sich
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ja berufen, einmal Minister zu werden, und sei es auch nur für kurze Zeit, um dann lebenslang die gesetzlich festgelegte Ministerpension von 8000 Kronen zu beziehen. Diese vielen Ministerkandidaten spielten aber die größten Rollen in ihren Parteiverbänden, sie würden ein jedes Beamtenministerium stets bekämpfen, damit es einem parlamentarischen Platz mache und ihr Weizen wieder blühe. Alle von mir berufenen Herren waren nicht zur Stelle und meine Konferenzen mit den einzelnen dauerten den ganzen Tag über. Einer konnte gar erst um halb 4 Uhr erscheinen. Gleichzeitig kam die Botschaft aus der H o f b u r g , Seine Majestät erwarte midi bereits dringend. Ich eile also hinüber und melde dem Kaiser, was ich von den Parteiführern vernommen, und füge bei: „Unter diesen Umständen glaube ich, den Intentionen Eurer Majestät, das Parlament arbeitsfähig zu machen, kaum entsprechen zu können, dazu scheint mir immer noch General Graf Welsersheimb der geeignetste Mann zu sein; ich bitte Euer Majestät inständig, ihn zu berufen, u n d sei es auch nur, um seine Ansicht über die Sachlage zu hören." Der Kaiser: „Also gut, ich lasse ihn sofort rufen." Welsersheimb wurde aus dem eben tagenden Ministerrat geholt, war also bald zur Stelle und erklärte nun dem Kaiser auf Befragen, er sei zu wenig Politiker, um ein Ministerium bilden und es leiten zu können, er werde mich im Abgeordnetenhaus nach allen K r ä f t e n unterstützen und dabei seine persönlich guten Beziehungen zu so manchen Parteiführern verwerten. In der Tat hatte Welsersheimb im Parlament wegen seiner militärischen Objektivität, seines biedern Charakters und seiner guten Rednergabe keinen einzigen ausgesprochenen Gegner. Nach Welsersheimbs dem Kaiser gegenüber gegebener Erklärung war mein Schicksal besiegelt. Die Minister- und „Leiter"Liste wurde sofort festgesetzt und der Kaiser entließ mich mit den Worten: „Gehen Sie sofort zum Kabinettsdirektor, damit er die Ernennungsschreiben noch heute ausfertigen lasse, dann auch zum Ministerpräsidenten, damit er von Ihrer Berufung wisse und Ihnen morgen die Geschäfte übergebe. Die Beeidigung der neuen Minister werde ich übermorgen f r ü h vornehmen und dann einen Ministerrat unter meinem Vorsitze abhalten." Der Ministerrat f a n d statt, der Kaiser eröffnete ihn unter Wiederholung der Instruktionen, die er mir bereits gegeben hatte, und fuhr dann f o r t : Die Disziplinlosigkeit der Beamten habe bereits erschrekkende Formen angenommen, er lese in den Zeitungen von Versammlungen, in welchen sich Staatsbeamte direkt gegen ihre Vorgesetzten wenden, gewisse Artikel können nur von Beamten mit Verletzung des
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Amtsgeheimnisses verfaßt worden sein, es sei hoch an der Zeit, in allen diesen Richtungen Wandel zu schaffen und das werde eine der Hauptaufgaben des gegenwärtigen Beamtenkabinetts sein. Mehrere Mitglieder des letzteren ergriffen das Wort, bestätigten das Treffende der Allerhöchsten Wahrnehmungen und betonten auch ihrerseits die Notwendigkeit baldigster Abhilfe. Es wurde beschlossen, die Frage vom Standpunkt der einzelnen Ressorts eingehend zu prüfen und dann einen die Rechte und Pflichten der Staatsbeamten klarstellenden ernsten Erlaß an diese herauszugeben, dessen Entwurf vorher zur Allerhöchsten Kenntnis zu bringen sei. Ich muß, hier die chronologische Reihenfolge meines Aufsatzes etwas unterbrechend, berichten, daß der fragliche Erlaß in vielen Sitzungen unseres Ministeriums besonders eingehend beraten wurde (es mußte unter verschiedenen Beamtenkategorien unterschieden und beachtet werden, daß die Unabhängigkeit der richterlichen Beamten in gewissen Richtungen gesetzlich festgelegt ist), der Entwurf dann dem Kaiser unterbreitet und von ihm genehmigend zur Kenntnis genommen wurde. Dann erfolgte seine Publikation und bald auch auf Grund desselben die Disziplinarbehandlung einiger Beamter, die trotzig demselben zuwidergehandelt hatten. Das gab großes Aufsehen in der Öffentlichkeit, aber ein neuer Geist fing bereits an, in die Beamtenschaft einzuziehen, die sich von den Hetzern in ihrer Mitte lossagte. Aus den Zeitungen war zu entnehmen, daß dieser Erlaß, den ich übrigens in einer Budgetrede im Abgeordnetenhaus als bevorstehend angekündigt hatte, so manchem Abgeordneten nicht recht war. Sehr begreiflich, verloren sie doch nun ihre Zuträger von Amtsgeheimnissen aus den verschiedensten Ämtern, die lautesten Schreier bei ihren Wählerversammlungen, und was noch wichtiger für sie war, das billigste, weil stets mit Gehaltserhöhungen geköderte Kortege für ihre Wiederwahl. In einer der ersten Sitzungen des Abgeordnetenhauses unter Badeni ging es also gegen meinen Beamtenerlaß los, und er erwiderte sofort, offenbar in totaler Unkenntnis des Vorausgegangenen und der Intentionen des Kaisers, er bedauere diesen Erlaß, er würde ihn nicht herausgegeben haben. Eine Stunde hienach hatte er bereits mein motiviertes Demissionsgesuch in Händen. Mit diesem kam er dann weinendermaßen zu mir, er habe jetzt erst erfahren, was er angestellt habe, er käme Seiner Majestät gegenüber in die allergrößte Verlegenheit, wenn er mein Gesuch dem Kaiser vorlegen müßte, er werde in einer der nächsten Sitzungen des Abgeordnetenhauses Erklärungen abgeben,
K a t h a r i n a Schratt
Erzherzog Karl L u d w i g mit seiner Familie
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die alles wieder gutmachen. Er fiel mir schließlich sogar um den H a l s u n d ich ließ mich, ich darf heute w o h l sagen „leider", bestimmen, das Gesuch wieder an mich zu nehmen. Badeni gab dann im Abgeordnetenhaus die E r k l ä r u n g ab, er könne den E r l a ß nicht zurückziehen, er werde aber milde gehandhabt werden. Die weitere Folge dieser seiner E r k l ä r u n g w a r aber die, d a ß das Ministerium Badeni den Beamtenerlaß gar nicht mehr handhaben ließ, sein Finanzminister Bilinsky aber einen Finanzbeamten, D r . W a b e r , der meinem Finanzminister von Böhm mündlich in der frechsten Weise V o r w ü r f e wegen des E r lasses gemacht u n d d a n n von diesem in das Erzgebirge versetzt w o r d e n w a r , sofort nach Wien zurückberief, u n d d a ß die alte Disziplinlosigkeit in der Beamtenschaft bald wieder einriß. Sie aber f ü h r t e schließlich zur „ D i e n s t p r a g m a t i k " , diesem G r a b jeder A u t o r i t ä t des Staates gegenüber seiner Beamtenschaft u n d der E r t ö t u n g jedes vernünftigen Ehrgeizes in weiten Zweigen derselben. O b sich wohl der Kaiser des von ihm mit Recht verlangten Beamtenerlasses jemals wieder angenommen hat? Ich weiß es nicht, t r o t z d e m mir b e k a n n t ist, d a ß ihn die Schwierigkeiten, die Gautsch w ä h r e n d seines zweiten Ministeriums in der Beamtenfrage hatte, lebhaft beschäftigten. W ä h r e n d meines kurzen Ministeriums weilte der Kaiser nur im J u n i in Wien, bis er sich, wie er stets sagte, „auf U r l a u b " nach Ischl begab. Ich w u r d e mehrmals von ihm in die Burg berufen, u m über die Situation des von mir wieder arbeitslustig gemachten Parlaments zu berichten. Dabei w a r der Kaiser stets sehr leutselig u n d guter Dinge; er hieß einen meist sofort bei seinem Schreibtisch P l a t z zu nehmen u n d es entspann sich oft eine lebhafte Konversation, in der m a n hätte vergessen können, sich bei seinem Kaiser zu befinden; so natürlich wickelte sich der Geschäftsverkehr ab. Einmal gewährte mir der Kaiser eine besonders lange, beinahe zweistündige Privataudienz, damit ich „die Koalition liquidiere", das heißt ihm V o r t r a g über eine Menge v o n dem f r ü h e r e n Ministerium unerledigt gelassener Geschäftsstücke, d a r unter auch Personalfragen und Auszeichnungsangelegenheiten, erstatten möge. U n t e r den letzteren befanden sich nicht weniger als sieben Ansuchen um Freiherrenstandsverleihung. D e r Kaiser erklärte mir, er sei im P r i n z i p gegen diese Adelsverleihungen u n d Standeserhöhungen. Ich m u ß t e a u f m e r k s a m machen, d a ß die eine der Freiherrenstandsverleihungen einen hohen General betreffe, v o m Kriegsministerium angeregt und w a r m b e f ü r w o r t e t , auch w e r d e geltend gemacht, d a ß ein R a n g 4
Goldinger, Kaiserhaus
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genösse des jetzt Beantragten jüngst baronisiert worden sei. Der Kaiser aber sagte: „ D a haben's midi damals drankriegt, jetzt nimmermehr." Bei der beantragten Adelsverleihung an einen später noch vielgenannten Vorzimmeroffizier F., der früher einem Hofstaat zugeteilt gewesen, mußte ich berichten, daß sich mehrere Erzherzoginnen für ihn verwendeten. Der Kaiser: „Das ist schon gar kein Grund!" Eine zweite Adelsstandsverleihung war mir vom Schwiegersohn des Kaisers warm anempfohlen worden. Dem hatte ich erwidert, die Sache werde nicht so leicht zu machen sein; weshalb er sich nicht direkt an Seine Majestät den Herrn Schwiegervater wende? Erzherzog Franz Salvator aber lachte auf und sagte: „Wenn ich dem Kaiser mit so etwas kommen dürfte, hätte ich midi nicht an Sie gewendet." Der hier in Rede Stehende war ein reicher Bauunternehmer, dessen Tochter einen Regimentskameraden des Erzherzogs aus erlauchtem Hause geheiratet hatte. Die Mesalliance sollte maskiert werden; der Bauunternehmer hatte wohl bei Eisenbahnbauten viel verdient, Verdienste aber wenig. Damals aber handelte es sich gerade zufällig um eine wenig Rentabilität versprechende Lokalbahn, deren Bau eine gewisse politische Bedeutung angenommen hatte. Der Leiter des Handelsministeriums, Ritter von Wittek, brauchte die Zeichnung von Stammaktien dieser Bahn im Betrage von einer halben Million Kronen, um den Bau beginnen lassen zu können und wollte diese gern dem Adelslüsternen herausquetschen. Dies berichtete ich getreulich dem Kaiser, und er resolvierte: „Wittek soll nur quetschen." Die Quetschung gelang, ein Adelsdiplom war der Lohn; „von Bahnquetsch" wäre ein so hübsches „Prädikat" gewesen! Nur eine Freiherrenstandsverleihung genehmigte der Kaiser damals, sie betraf einen Reichsdeutschen aus altadeligem Hause, und zwar mit den Worten: „Wenn der den österreichischen Freiherrenstand wünscht, mag er ihn haben, mir an seiner Stelle wäre der alte Adelstand lieber gewesen." An dieser Stelle sind zwei Einschaltungen am Platze, die eine betrifft die „Allerhöchsten Auszeichnungen" im allgemeinen, die andere das Protektionswesen, beide mit Beziehung auf den Kaiser. Dieser war, wenigstens in früheren Jahren, in allen Auszeichnungssachen ganz besonders genau, um nicht zu sagen, mißtrauisch. Verleihungen von Standeserhöhungen oder Orden durften von keinem Minister beantragt werden, ohne daß der Ministerrat die einzelnen genehmigt hätte. Und auch dann noch prüfte der Kaiser den Vortragsakt persönlich ganz genau. Eine neue derlei Auszeichnung, ohne daß
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seit der letzten wenigstens fünf Jahre vergangen, jugendliches Alter des Auszuzeichnenden, eine Unterbrechung im Staatsdienst und besonders die Dürftigkeit der geltend gemachten Verdienste veranlaßten ihn stets zur Abweisung des Antrages. Das traf auch ein, wenn ein Minister zu oft mit Auszeichnungsanträgen kam, oder der Kaiser gar einem solchen ein gewisses Mißtrauen bekunden wollte. So geschah es Bacquehem während des Koalitionsministeriums, dem der Kaiser sogar bedeuten ließ, er wünsche von ihm höchstens einen Auszeichnungsantrag per Woche vorgelegt zu erhalten; und der Minister des Innern ist doch der einzig kompetente für alle Adelssachen und die Ordensverleihungen, die nicht gerade für Verdienste ausschließlich auf dem Gebiete eines anderen Ressorts beantragt werden. Ich höre, die Genauigkeit des Kaisers auf dem hier von mir erörterten Gebiete soll in den letzten Jahren bedeutend nachgelassen haben. Die Gründe dafür vermag ich nicht anzugeben, aber die Tatsache steht fest; sonst wäre es nicht zu erklären, wie etwa von Koerber angefangen so massenhaft Auszeichnungen entgegen den vom Kaiser früher stets festgehaltenen Grundsätzen hätte erfolgen können, und oft an Leute, deren einziges Verdienst in der Spickung des Dispositionsfonds bestand. Das aber hätte in einem Vortrage an den Kaiser doch wohl nie als Grund f ü r eine Auszeichnung ausdrücklich angeführt werden dürfen, so sehr der Kaiser auch überzeugt sein mochte, daß seine schwachen (oder auch unfähigen) Regierungen der zwei letzten Dezennien Majoritäten im Abgeordnetenhause zur Votierung der sogenannten Staatsnotwendigkeiten meist nur mit Hilfe des Dispositionsfondes zustande bringen konnten. Auch bedurften diese Regierungen, um vegetieren zu können, der meist teuer erkauften und daher sporadischen Belobung in der Presse. Diesen ganzen Dienstzweig — ich sehe ein, wie peinlich dieser Ausdruck berühren muß, finde aber keinen anderen — hatte der von Gautsdi 1897 in das Ministerratspräsidium berufene kleine Finanzbeamte D r . Rudolf Sieghart, manchen Lesern vielleicht besser unter seinem früheren jüdischen Namen Singer bekannt, unter dem er als Stenograph im Abgeordnetenhause seine erfolgreiche Laufbahn begann, meisterlich organisiert. Den eigentlichen Verkehr mit den Abgeordneten f ü h r t e er, der von jedem wußte, wie seine finanzielle Situation oder wo seine schwache Seite sei. D a n n wurden f ü r die Regierung wertvolle Informationen, das heißt vertrauliche Berichte über die Vorgänge im Innern der ihn betreffenden Partei von ihm verlangt — und honoriert, ohne daß er eine Quittung f ü r den empfangenen Schandlohn 4*
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hätte einlegen müssen. Die großen Mittel aber, die dieser „Dienstzweig" alljährlich erforderte, wurden durch Auszeichnungen hereingebracht. Als Referent des Ministerratspräsidiums fahndete Sieghart förmlich nach verdienstlosen Auszeichnungslüsternen, um dann über den G r a d und Preis mit ihnen zu verhandeln oder durch seine Agenten verhandeln lassen zu können. Er hatte sich eine genaue Preistabelle konstruiert, die vom Freiherrenstand mit K 500 000.— beginnend bis auf den kaiserlichen R a t mit nur K 50 000.— herabging. Wenn ich eben v o n Verdienstlosen sprach, die gesucht wurden, so muß ich diesen Ausdruck damit erklären, daß Sieghart mit Verdienstvollen oder solchen, die vermeinten, Verdienste um den Staat sich bereits erworben zu haben, üble Erfahrungen gemacht hatte; diese wollten meist die von ihm geforderten Preise nicht zahlen. So mancher kaiserliche Ratstitel hatte billiger hintangegeben werden müssen, um 20 000 bis 30 000 Kronen, u n d das war doch kein rechtes Geschäft. Dennoch florierte das letztere, und die Regierungen von Koerber bis Bienerth verdankten Sieghart allein ihre „sporadischen" Erfolge, der nach der Votierung so ziemlich jeder einzelnen Staatsnotwendigkeit im Abgeordnetenhaus, der Vorrückung in eine höhere Rangsklasse teilhaftig wurde und in etwa 15 Jahren vom Ministerialkonzipisten zum Sektionschef und Geheimrat vorrückte. Die letztere Würde hatte ihm sein ehemaliger Schulkollege Baron Beck als Ministerpräsident verschafft. Diese fortwährenden Beförderungen und Auszeichnungen Siegharts müssen die ihm vorgesetzten Ministerpräsidenten offenbar jedesmal vom Kaiser in mündlichen Vorträgen erbeten haben. Es war nämlich wohl stets Usus, daß ein Minister, der fürchtete, einen Beförderungs- oder Auszeichnungsantrag beim Kaiser nicht durchsetzen zu können, in einer Privataudienz bat, diesen stellen zu dürfen. Eine solche Bitte aber, ich muß es sagen, getraute sich der Kaiser nicht recht abzuschlagen, und dann war er, wie er es mir doch einmal gesagt hatte, „darangekriegt." Die Sieghartsche Auszeichnungswirtschaft begann ein öffentlicher Skandal zu werden. Das muß dem Kaiser zu Ohren gekommen sein. Erzherzog Franz Ferdinand schimpfte ganz öffentlich darüber, und ich weiß genau, daß er dem Kaiser über dieses Thema Mitteilungen oder Andeutungen gemacht hat. Sieghart sollte also aus dem Ministerratspräsidium entfernt werden, und das geschah denn auch 1910 in der Weise, daß der Verwaltungsrat der Bodenkreditanstalt förmlich gezwungen wurde, ihn dem Kaiser zur Ernennung zum Gouverneur dieses mächtigsten Bankinstitutes Österreichs vorzuschlagen. Das Trifolium Bilinski-Bienerth-Kabinettsdirektor Baron Schiessl, mit dem
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letzteren, Siegharts intimem Freund, an der Spitze, hatte es beim Kaiser durchzusetzen gewußt, daß den einzelnen Verwaltungsräten durch ihren Kollegen, H o f r a t von Gianellia, gesagte wurde, es sei des Kaisers Wunsch, d a ß Sieghart Gouverneur werde. Offenbar war der Kaiser wieder einmal darangekriegt worden, indem man ihm vorgemacht hatte, sein Wille, Sieghart aus dem Ministerratspräsidium zu entfernen, könne am leichtesten oder auch nur auf die angegebene Weise erfüllt werden. Es spielten damals viele Intrigen, Siegharts Sturz hintanzuhalten oder diesen zu einem der weichsten zu machen. Seine seinerzeitigen T a u f p a t e n Plener und Stürgkh, dann auch Chlumecky, der sich Siegharts H i l f e bei seinen Machenschaften in der Bildung neuer Ministerien mehrfach bedient hatte, spielten bei diesen mit. Der Kaiser war stets, ich weiß es von ihm selbst, ein ausgesprochener Feind jedes Protektionswesens, und doch ist dieses gerade unter seiner Regierung, wenigstens in der weiteren Folge derselben, so üppig in die Halme geschossen, d a ß ich ein ganzes Buch mit A n f ü h r u n g von Beispielen und Namen darüber schreiben könnte, wie dieses die Staatsinteressen geschädigt hat. Ohne Protektion sei in Österreich nichts und mit ihr alles zu erreichen, ist leider Glaubenssatz beim Volk geworden. Für jeden Wunsch, den jemand hat, sucht er sich zunächst einen Protektor, in je höherer Lebensstellung, desto besser. Als einflußreichste Protektoren gelten die Erzherzoge und gleich nach diesen die Abgeordneten. Es hat Zeiten gegeben, in denen bei öffentlichen Ämtern keine Stellenbesetzung, keine Verleihung eines Stipendiums oder sonstigen Benefiziums stattgefunden hat, ohne daß zahllose Empfehlungsschreiben von Kammervorstehern, Obersthofmeistern, H o f d a m e n und dergleichen im N a m e n der kaiserlichen Hoheit für diesen oder jenen Petenten vorgelegen wären. Hielt sich nun ein Amtsvorsteher f ü r verpflichtet, der „höchsten" Empfehlung zu entsprechen, so kam sicherlich eine Ungerechtigkeit heraus, tat er dies aber nicht, so glaubte er doch wenigstens das Hofschranzenschreiben beantworten und sich „entschuldigen" zu müssen. Diese argen Unzukömmlichkeiten waren dem Kaiser zu Ohren gekommen und es wurden nun Ende der 1890er Jahre mittels Erlasses alle Chefs der höheren Behörden verständigt, d a ß Seine Majestät den Mitgliedern des Kaiserhauses alle derartigen Empfehlungen untersagt habe. Dieser Erlaß wirkte wie eine Erlösung und wurde auch wirklich ein bis zwei Jahre lang von denen, die er anging, befolgt, dann ging die Schreiberei wieder los. H a t das der Kaiser jemals erfahren? Ich glaube kaum. Gewiß hat er sich aber nicht weiter darum
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gekümmert, ob sein Verbot von seinen Familienangehörigen audi befolgt werde. Viel gefährlicher ist allerdings die Parlamentarierprotektion. Würde der Kaiser auch nur eine Ahnung von deren geradezu entsetzlichen Folgen, insbesondere was die Einberufung von Beamten in die verschiedenen Ministerien anbelangt, haben, er hätte längst einen Erlaß an seine Minister publiziert, mit dieser Mißwirtschaft aufzuhören. Taaffe gab solchen Protektionen fast niemals nach und t a t sie den Abgeordneten gegenüber mit einem Witzwort ab, auch Badeni handelte noch ähnlich, er log sich aus der Affäre heraus, er habe den betreffenden Brief verloren oder dergleichen. Aber dann kam Koerber, der die Stimme jedes einzelnen Abgeordneten mit Gefälligkeiten, die er ihm erwiesen, erkaufen wollte! Das waren auch so ziemlich die Anschauungen von Beck auf diesem Gebiete. Bienerth hätte wohl oft Protektionen nicht direkt nachgeben wollen, seine Regierung gehörte aber auch zu den schwachen; daher genug an dieser Stelle über dieses traurige Kapitel. Solange der Kaiser während meiner Ministerschaft des Sommers 1895 noch in Wien weilte, ließ er sich mehrmals mündlich über die Vorgänge im Abgeordnetenhaus berichten und war sehr erfreut, daß es mit einemmal so fleißig arbeite. In dieser Beziehung will ich kein Verdienst f ü r mich in Anspruch nehmen, es wohl aber Seiner Majestät vindizieren, der sich einmal entschlossen hatte, ein reines Beamtenministerium einzusetzen und nun sah, daß dessen Nüchternheit und Objektivität in der Geschäftsführung ihm Freunde bei allen Parteien des Abgeordnetenhauses erwarb. Ich konnte Seiner Majestät damals lachend erzählen, daß mich viele Abgeordnete während der ersten Sitzungen des „hohen Hauses" gefragt hätten, wie es mir unter ihnen gefiele, und daß ich den Fragern immer geantwortet habe, das neue Leben mute mich fremdartig an, der ich an positive Tätigkeit gewöhnt sei, ein Verwaltungsbeamter könne doch etwas schaffen, im Parlament aber werde nur geredet. Mein Ausspruch hatte einen gewissen Eindruck gemacht. Den Führern gegenüber betonte ich immer wieder, sie möchten doch einen Waffenstillstand in den Parteikämpfen eintreten lassen und ihren Blick ausschließlich auf die wirtschaftliche Lage ihrer Wählerschaften richten, das sei um so notwendiger, als die Verhandlungen mit Ungarn wegen Erneuerung des Ausgleichs bevorstünden, und die wirtschaftlichen Interessen Österreichs erforderten es, daß wir Ungarn dabei in vollster Einigkeit gegenübertreten. Auch das blieb nicht ohne Eindruck, namentlich auch bei den Czechen. Bald konnte ich Seiner Majestät auch berichten, daß diese mit der H a n d h a b u n g des Vereins-
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und Versammlungsgesetzes durch den Statthalter Thun ihnen gegenüber unzufrieden seien. D e r Kaiser kannte meine Ansichten über dieses Gesetz bereits; ich durfte ihm jetzt aber auseinandersetzen, daß das Gesetz, so lange es nun einmal bestehe, so freiheitlich gehandhabt werden müsse, wie es gedacht sei. D a s aber tue Thun nicht, und dieses fehlerhafte Vorgehen errege die davon Betroffenen in einer ganz und gar unnützen Weise gegen die Regierung und ihre Organe; ich müsse korrigierend eingreifen. Bei diesem Anlasse erging sich der Kaiser in einer ziemlich herben Kritik der Amtsführung Thuns in Prag, die mich wegen seiner guten Kenntnis von Details früherer Vorkommnisse dort in Erstaunen setzte. Ich erinnere mich noch heute genau, den K a i s e r in seinem Unmute gegen Thun, den er als unfähig bezeichnete, nicht nur nicht bestärkt, vielmehr diesen Jugendfreund und Studiengenossen dahin verteidigt zu haben, er habe die besten Intentionen, daß es ihm aber bisweilen an der verwaltungstechnischen Routine fehle, sei ihm nicht als persönliche Schuld anzurechnen. U n d diesen selben Thun, dem der Kaiser damals alle staatsmännische Fähigkeit absprach, ließ er sich kaum zwei Jahre später auf G r u n d von Machenschaften Chlumeckys als Ministerpräsidenten aufoktroyieren. U n d das war das sterilste Ministerium, welches wir je genossen; und selten wurde noch ein Ministerpräsident so wenig gnädig entlassen wie Thun. Ich muß hier noch daran erinnern, daß Thun auf Gautsch, den übriggebliebenen Rest des Ministeriums Badeni, folgte. Es herrschte damals reaktionäre Stimmung, hatte man doch Gautsch, diesen Mustertheresianisten, in den Wiener Salons plötzlich als Freimaurer bezeichnet, schließlich aber von U n g a r n aus unterminiert. Der Kaiser wollte damals den ultraklerikalen Alfred Liechtenstein mit der Kabinettsbildung betrauen, dieser aber war K a v a l i e r genug, um dankend abzulehnen; er fühle sich der schwierigen Situation nicht gewachsen. Thun aber w a r gleich bereit gewesen. Als meine Parlamentssession im Juli geschlossen war, hatte ich einem früher geäußerten Wunsch des Kaisers zu folgen und mich zur Berichterstattung in Ischl zu melden. Dies tat ich mit einem Schreiben an den Kabinettsdirektor Baron Braun, der sich nicht weit von Ischl in Sommerfrische befand. Dieser antwortete mir alsbald, der Kaiser erwarte mich an einem der ersten Augusttage in Ischl, vorher aber möge ich einen T a g bei ihm, Braun, zubringen, damit wir eine von ihm mir bei meinem Amtsantritt als Minister angeregte Frage weiter besprechen und wenn tunlich, in das reine bringen. Dies aber w a r die Überlastung des Kaisers mit den zahllosen Akten, die ihm tagtäglich
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unterbreitet werden, von ihm gelesen, geprüft und unterschrieben werden müssen und ihn oft ungezählte Stunden lang an den Schreibtisch fesseln. Eine gewisse Abhilfe auf diesem Gebiet erschien dringend notwendig; der Kaiser war ja doch schon bei Jahren und mußte schon deshalb geschont werden. Auch war eine mit der Vermehrung der Staatsagenden gleichen Schritt haltende Steigerung der Arbeitslast stetig wahrzunehmen, ohne daß der Kaiser selbst je darüber geklagt haben würde. Seine Herrscherrechte auszuüben, nichts von dem seiner Genehmigung Vorbehaltenen abzugeben und die mit diesen Rechten verbundenen, wenn auch noch so lästigen Pflichten zu erfüllen, und das auch noch stets rechtzeitig, war sein alleiniger Grundsatz. Gewisse Minima der Anträge, so unter anderen die Bewilligung von Pensionserhöhungen oder von Gnadengaben an Staatsangestellte der Dienerkategorie, v o n Lebensrettungsmedaillen und dergleichen hatte der Kaiser seinen Brüdern in seinem Namen zu erledigen überlassen, aber das gab ziffernmäßig nur wenig aus. Ich hatte mich sofort darübergemacht, in den einzelnen Ministerien eine einige Jahre umfassende Statistik darüber verfassen zu lassen, wieviel vom Kaiser nur zu lesende Berichte u n d wieviel förmlich von ihm zu erledigende „alleruntertänigste Vorträge" regelmäßig erstattet werden, und auf Grund dieser, sowie von der Anschauung ausgehend, daß die Arbeitslast des Kaisers doch mindestens um ein Drittel ihres bisherigen, mir formidabel erscheinenden Umfanges erleichtert zu werden habe, ein Operat verfaßt, das ich Braun mitbrachte und genau mit ihm durchsprach. Es enthielt systematisch f ü r jedes einzelne Ressort gegliederte Vorschläge, welche Bewilligungen zu erteilen der Kaiser, ohne die Verfassung zu verletzen, seinen Ministern überlassen könne. Meine Vorschläge fanden Brauns vollen Beifall; er übernahm es zunächst, meinem Muster entsprechende Anträge von den gemeinsamen Ministerien und von der ungarischen Regierung einzuholen und dann die schwierigere Aufgabe zu erfüllen, den Kaiser dazu zu bestimmen, sich zu entlasten. Natürlich brauchte dies alles längere Zeit, den Erfolg erlebte ich während meines Ministeriums nicht, aber unter dem mir folgenden erteilte der Kaiser den einzelnen Mitgliedern desselben ad personam generelle Vollmacht, und zwar ziemlich genau im Sinne meiner Ausarbeitung und unter der Formel: „Auf Grund Allerhöchster Ermächtigung", in seinem N a m e n Entscheidungen zu treffen. Wenn damit seit nunmehr beinahe 20 Jahren dem so genau arbeitenden Kaiser ungezählte Stunden des Lesens u n d Sitzens am Schreibtisch erspart worden sind, so hat das vielleicht auch etwas dazu beigetragen,
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den Herrscher geistesfrisch z u erhalten, denn es w a r e n wahrlich die ödesten Geschäfte, die ihm a b g e n o m m e n w u r d e n . M i r bleibt es eine G e n u g t u u n g , das Wesentlichste d a z u beigetragen z u haben. A n dem meiner K o n f e r e n z mit B r a u n f o l g e n d e n T a g e w u r d e ich v o m K a i s e r v o r m i t t a g s in seiner Ischler V i l l a in beinahe zweistündiger P r i v a t a u d i e n z e m p f a n g e n . Ich überreichte ihm s o f o r t die zwei mir am T a g e meiner B e r u f u n g z u m leitenden Minister übergebenen B o g e n mit den Worten, d a ß ich glücklich sei, vermelden z u können, d a ß das P a r lament die d a r a u f verzeichneten V o r l a g e n ohne A u s n a h m e erledigt habe, darunter in zahlreichen A b e n d s i t z u n g e n die so schwierige Materie der Z i v i l p r o z e ß r e f o r m . U n d nun erlebte ich die vielleicht stolzeste S t u n d e meines Lebens, denn der K a i s e r sprach mir seinen D a n k und seine A n e r k e n n u n g in einer so schönen, ich darf beinahe sagen überschwenglichen Weise aus, d a ß mir heiße T r ä n e n in die A u g e n traten u n d ich seine H a n d , die er a n f a n g s zurückziehen wollte, ergriff, um einen K u ß d a r a u f z u d r ü c k e n . D e r K a i s e r k a m d a n n immer
wieder
d a r a u f zurück, d a ß er nie e r w a r t e t habe, d a ß seine Wünsche wegen dieser Gesetzesvorlagen so v o l l s t ä n d i g werden e r f ü l l t w e r d e n ; wie ich es denn nur a n g e f a n g e n habe, d a s A b g e o r d n e t e n h a u s trotz der P a r teiengegensätze
in demselben
mit
einem M a l e so arbeitslustig
zu
machen. Ich mußte ihm d a s genau erklären, er stellte zahlreiche Z w i schenfragen, wie ich mit den einzelnen Parteien verhandelt habe und mit ihnen ausgekommen sei, w i e sich meine Ministerkollegen benommen u n d b e w ä h r t hätten; den Leiter des Justizministeriums Sektionschef K r a h l möge ich ihm nur gleich zur Verleihung des G r o ß k r e u z e s des F r a n z - J o s e p h - O r d e n s vorschlagen. U n d z u m Schlüsse dieser langen Berichterstattung erklärte mir der K a i s e r plötzlich, d a s Ministerium müsse bleiben, u m auch die nächste Parlamentssession zu einer gleich gedeihlichen zu machen, wie die abgelaufene. H i e r a u f mußte ich nun seiner M a j e s t ä t a n t w o r t e n , daß, wenn ich auch überglücklich über das mir g n ä d i g s t ausgedrückte Allerhöchste Vertrauen sei, ich doch zweifle, diesen Intentionen Seiner M a j e s t ä t entsprechen z u können. Vielleicht gerade, weil mein Ministerium als ein provisorisches gelte, wenn es sich auch nicht so h a b e nennen d ü r f e n , und weil es als reines B e a m t e n - u n d Verwaltungsministerium habe vermeiden können, mit einem, in Österreich k a u m j e m a l s auch nur eine einzige P a r t e i
oder
Nationalität
befriedigenden
„politischen
Pro-
g r a m m " aufzutreten, h a b e es seine E r f o l g e erzielt. D a s w e r d e aber k a u m so fortgehen, z u m a l B a d e n i als der v o n Seiner M a j e s t ä t selbst designierte k o m m e n d e M a n n i m H i n t e r g r u n d stehe u n d dessen B r u d e r
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Kaiser Franz Joseph
Stanislaus im Verein mit Gautsch (der durchaus wieder Unterrichtsminister werden wollte) in Wien schon Minister f ü r das kommende Ministerium anwerben und zahlreiche Hoffnungen auf Ministerportefeuilles auch in Abgeordnetenkreisen erweckt hätte. Der Kaiser verlangte hierauf positive Vorschläge von mir, wie es zu bewerkstelligen sei, daß mein Ministerium länger verbleibe, zum mindesten noch die ganze kommende Session des Reichsrats leite und eventuell ein definitives werde. Ich erklärte nun offen und mit einiger Entschiedenheit, das sei mir unmöglich, solange sich Seine Majestät nicht mit Badeni darüber auseinandergesetzt habe, wann und ob überhaupt dieser die Zügel der Regierung zu ergreifen habe. Sollte letzteres der Fall sein, so müsse es vor Zusammentritt des Reichsrates im Herbst geschehen, denn vor diesem könnte mein Ministerium nur als definitives mit voller Autorität treten. Der Kaiser anerkannte schließlich die Richtigkeit meiner Stellungnahme u n d willigte ein, Badeni zu sich zu berufen. Auch gestattete er über meine Bitte, daß ich die Situation vorher mit diesem bespreche. Badeni, alsbald nach Ischl berufen, hielt sich einen Tag in Wien bei mir auf. Ich möge mein Provisorium noch über die nächste Reichsratssession fortsetzen, im kommenden Sommer wolle er mich dann ablösen, bis dahin habe er nämlich in Galizien noch vollauf zu tun. Aus den schon dem Kaiser auseinandergesetzten Gründen lehnte ich ein ferneres Verbleiben im Amte ab, er müsse mit seinem, wie ich wisse, bereits in der Bildung begriffenen Ministerium jetzt ehestens auf den Plan treten oder aber den Platz mir definitiv überlassen. Als er unschlüssig schien, wofür er sich entscheiden sollte, hatten wir abends noch eine Konferenz mit Goluchowski im Stockei zu Schönbrunn. Dieser suchte auf Badeni einzuwirken, die Mission, ein Ministerium zu bilden, ganz aufzugeben, er werde mit dem Reichsrat nicht so gut arbeiten wie ich und dürfe auch nicht vergessen, d a ß manche politische Kreise zwei Polen in leitender Stellung, den einen als Minister des Äußeren, den andern als österreichischen Ministerpräsidenten nicht gern sehen würden; dies dürfe er bei Erörterung der Frage mit Seiner Majestät in Ischl nicht aus dem Auge lassen und übrigens dem Kaiser die Entscheidung anheimstellen. (Näheres hierzu findet sich in meiner Monographie „Badeni".) Ich weiß, daß Badeni in Wien auch noch eine vor mir geheimgehaltene Zusammenkunft mit Gautsch und anderen Mitgliedern seines zukünftigen Kabinetts sowie auch mit seinem Faktor hatte — ohne einen solchen tut es ein Pole bekanntlich nicht. Dies aber war der
Kaiser Franz Joseph d a m a l i g e K a n z l e i d i r e k t o r des Abgeordnetenhauses, H o f r a t
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Halban,
wenige J a h r e z u v o r noch Blumenstock geheißen, in Wien unter dem S p i t z n a m e n „ B l u m e n s c h m o d i " allgemein b e k a n n t . E r w a r nämlich ursprünglich der Leibjournalist des Ministers ohne Portefeuille im K a binett A u e r s p e r g , U n g e r , gewesen u n d d a n n im Preßdepartement des M i n i s t e r r a t s p r ä s i d i u m s fix angestellt w o r d e n . B a d e n i kehrte nach einem T a g A u f e n t h a l t in Ischl mit d e m Allerhöchsten Befehl an mich zurück, es w a r d a s E n d e A u g u s t , ich m ö g e alles vorbereiten, u m ihm u n d seinem M i n i s t e r i u m A n f a n g O k t o b e r
die
G e s c h ä f t e zu übergeben u n d selbst auf meinen Statthalterposten zurückzukehren. E r erzählte m i r allerhand D e t a i l s über seine K o n f e r e n z mit d e m K a i s e r , der d a r a u f gedrungen habe, d a ß er ehestens die Zügel der R e g i e r u n g ergreife, t r o t z d e m er selbst sich a n f a n g s geweigert habe. D a s letztere habe ich nie geglaubt, besonders wahrheitsliebend w a r j a bekanntlich B a d e n i nicht. O f f e n b a r w a r e n Gautsch u n d Bilinski die treibenden Elemente und der K a i s e r , der dem ihm v o n militärischer Seite so w a r m empfohlenen Badeni schon im M a i die Ministerpräsidentschaft angeboten hatte, konnte nun nicht anders, als ihn einzusetzen, u n d z w a r gegen seine bessere Ü b e r z e u g u n g . D a s werde ich nachfolgend beweisen. H i e r habe ich zunächst noch eines höchst m e r k w ü r d i g e n V o r k o m m nisses zu gedenken, v o n dem ich nicht weiß, ob es je z u r Kenntnis des K a i s e r s g e k o m m e n ist, denn w ä r e dies der F a l l gewesen, er hätte sich d a g e g e n auflehnen müssen. Badeni b e n ü t z t e die T a g e seiner d a m a l i g e n Anwesenheit in Wien, u m sein Ministerium k o m p l e t t z u machen. Ich setzte v o r a u s , daß außer dem Landesverteidigungsminister auch der eminent tüchtige Finanzminister B ö h m - B a w e r k und der den Polenk l u b so g e w a n d t behandelnde L a n d s m a n n m i n i s t e r Ritter v o n J a w o r s k i ihre Portefeuilles behalten würden. J a w o r s k i hing sehr an seiner Stellung u n d hatte mir offen gestanden, d a ß diese unter einem L a n d s m a n n als Ministerpräsidenten f ü r ihn eine leichte u n d angenehme sein werde. U n d nun verlangte B a d e n i v o n mir, den A r m e n schonend d a r a u f v o r zubereiten, d a ß er einem andern w e r d e P l a t z machen müssen. A u f meine dringenden Vorstellungen, J a w o r s k i z u behalten, der m i r so gute Dienste geleistet habe, ein so guter V e r m i t t l e r zwischen den Parteien sei u n d so geschickt F o r m e l n für R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g e n verfasse, antwortete mir Badeni, d a ß er das sehr gut wisse, aber dennoch nicht anders k ö n n e ; Bilinski, d a m a l s Präsident der S t a a t s b a h n e n , v e r l a n g e unbed i n g t ein Portefeuille v o n ihm, und g e r a d e er als P o l e müsse diesen gefährlichen Intriganten fürchten, wenn er sich ihn z u m Feinde mache.
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J a w o r s k i aber war das Gegenteil von einem Intriganten und daher nicht zu fürchten. Er tröstete sich mit dem Gedanken, sich nun ausschließlich seiner geliebten Whistpartie im Jockeyklub widmen zu können, die ihm doch eigentlich über alles ging. Zwei Tage hienach k a m Badeni zu mir mit der Mitteilung, Bilinski begnüge sich nicht mit dem Landsmannposten und verlange mit größter Entschiedenheit das Finanzportefeuille! Es müsse daher Böhm weichen, d a dieser aber so gut auf die Ausgleichsverhandlungen mit U n g a r n vorbereitet sei, bitte er mich, B ö h m zu bestimmen, als Sektionschef im Finanzministerium zu verbleiben und auf seinen Ministerrang zu verzichten! Sic! Ein solches Ansinnen an den braven Böhm zu stellen, lehnte ich mit aller Entschiedenheit ab, belehrte Badeni auch, daß Seine Majestät bei der Ernennung Böhms zum Finanzminister von der bestimmten Erwartung ausgegangen seien, daß dieser im kommenden Ministerium Finanzminister bleiben werde; ich müsse es ihm, Badeni, daher anheimgeben, diese Angelegenheit mit dem Kaiser selbst ins reine zu bringen. Ob und wie das geschehen, weiß ich nicht; ich mußte mich darauf beschränken, Böhm sofort mitzuteilen, er müsse sich darauf gefaßt machen, ein Opfer Bilinskischer Intrige zu werden, wie es denn auch geschah. Zur Charakterisierung Bilinskis nur noch folgendes aus der Zeit meines Ministeriums: Im Abgeordnetenhaus stand das Budget in Verhandlung, und zu dem K a p i t e l Eisenbahnen hatte sich der Leiter des Handelsministeriums, zu dessen Ressort die Eisenbahnen damals noch gehörten, Ritter von Wittek, mit einer großen Rede vorbereitet. Er erklärte uns im Ministerrat, Bilinski, der als Regierungsvertreter und Präsident der Generaldirektion der Staatsbahnen zu diesem K a p i t e l d a s Wort zu ergreifen pflege und dabei den Intentionen des H a n d e l s ministeriums nicht gerecht werde, weile eben jetzt bei einer internationalen Eisenbahnerkonferenz in England, er habe ihn nicht zu vorzeitiger Rückkehr veranlaßt, denn es liege ihm daran, die Eisenbahnpolitik der Regierung allein zu vertreten. Genau zu Beginn der D e b a t t e über das Kapitel „Staatseisenbahnen" erscheint zur größten Überraschung Witteks und des gesamten Kabinetts Bilinski auf der B a n k der Regierungsvertreter. Er meldet sich auch sofort bei Wittek mit dem Beifügen, er habe sich für verpflichtet erachtet, den Kongreß in L o n d o n vorzeitig zu verlassen, um ihm zu Diensten zu stehen und die Staatsbahnsache zu vertreten! Wittek w a r geradezu außer sich, aber er mußte befürchten, daß Bilinski den Polenklub in einer für die Regierung recht unangenehmen Weise beeinflussen werde, wenn er ihm nicht gestatte,
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eine Rede zu halten. Und er hielt sie zu unser aller Ärger u n d Verdruß. Gehalte und Funktionszulagen sind im vorhinein fällig und immer f ü r den Ersten eines jeden Monats angewiesen. Das Ministerium Badeni wurde am 2. Oktober ernannt, irre ich nicht, am 3. beeidet und trat somit auch erst nach dem besagten Fälligkeitstermin den Dienst an. Nichtsdestoweniger wurde mir u n d meinen Ministerkollegen bedeutet, jenes beanspruche seine Aktivitätsbezüge vom Ersten an und wir dürften diese nicht mehr beheben; das war also Bilinskis erste finanzielle Tat, der allerdings sein schmähliches Fiasko bei den bald hienach beginnenden Ausgleichsverhandlungen in Budapest folgen sollte. U n d dieser M a n n hat bis vor kurzem eine große politische Rolle in Österreich gespielt und hat allem Anschein nach das Vertrauen des Kaisers auch noch eine gewisse Zeit nach der Katastrophe Franz Ferdinands in Sarajewo genossen. Allerdings hatte er sofort am Tage nach derselben in den Wiener Blättern eine kurze offiziöse Notiz erscheinen lassen, sein Ministerium f ü r Bosnien und die Herzegowina sei wegen der Reise des Erzherzogs, die militärischer N a t u r gewesen, nicht befragt worden und daher ganz unschuldig an den dortigen Ereignissen. Und Bilinskis Serbenpolitik etwa auch? Die hatte Potiorek zum Teil f ü r ihn machen müssen, das erklärt wohl auch, weshalb er diesen hielt, der sich dann auch militärisch als ganz unfähig erwies und Österreich während des Weltkrieges so unsagbar schwer schädigte. Noch eines wäre hier nachzutragen. Kaum war ich zum Minister ernannt worden, als mir vom Finanzministerium der Bescheid zukam, der Kaiser habe mir den f ü r neue Minister üblichen Einrichtungsbeitrag aus dem Staatsschatze von K 8000.— anzuweisen bewilligt. Ich aber, der ich doch nur provisorischer Minister geworden, meine Wohnung in der Statthalterei beibehalten und nicht in die des Ministeriums des Innern übersiedelt war, lehnte den Bezug mit der Begründung ab, er gebühre mir nicht, da ich keine Kosten einer neuen Einrichtung zu bestreiten habe. Der Kaiser hatte Böhm darauf gesagt: „Ein seltener Zug von Uneigennützigkeit, der mir gefällt." Was muß sich der Kaiser wohl von Badeni und Bilinski gedacht haben, wenn er es überhaupt erfahren, daß diese rechtlich noch ihren Amtsvorgängern gebührende Monatsgehaltsraten sich selbst anweisen ließen. Der Kaiser verlieh mir bei meiner Enthebung vom Ministerposten das Großkreuz des Leopoldordens. Ich hatte bis dahin nur das G r o ß kreuz des Franz-Joseph-Ordens, der nächste Grad für mich wäre also eigentlich das Großkreuz der Eisernen Krone gewesen. Dieser Deko-
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ration ging ich nun für alle Zeit verlustig, weil ich eben hodi in der Allerhöchsten Gnade stand, oder der Kaiser mich wenigstens in aufsehenerregender Weise auszeichnen wollte, wenn er mich schon nicht als Minister hatte behalten können und mich wieder zum Statthalter ernannte. Als solchen beeidete er midi nun neu. Bei der auf diese Beeidigung unmittelbar folgenden Audienz, in der ich auch meinen Dank für die Ordensauszeichnung vorzubringen hatte, bat ich den Kaiser, eine Bemerkung politischer Natur als abtretender Minister und neuernannter Statthalter vorbringen zu dürfen. Ich war nicht sicher, ob mir der Kaiser nicht sagen werde, ich sei nicht mehr Minister und Vorträge über Politik dürfe er nur von den dafür verantwortlichen Räten der Krone entgegennehmen. Aber er gestattete es, und das sich nun entwickelnde Gespräch war derart charakteristisch, daß ich es hier wörtlich wiedergebe. Ich: „Die eben durchgeführten Wiener Gemeinderatswahlen haben ein derartiges Resultat gehabt, daß an der Wahl Luegers zum Bürgermeister nicht gezweifelt werden darf; an Euer Majestät wird die Frage bald herantreten, ob dieser zum Bürgermeister zu bestätigen sei oder nicht. Ich möchte, so sehr die neue christlichsoziale Partei oppositionelle und radikale Allüren zeigt, doch darauf hinweisen, daß es Lueger und seinen Leuten gelungen ist, viele gute Österreicher durch Schlagworte und wegen Fehler der liberalen Partei zu sich hinüberzuziehen. Die allgemeine politische Richtung des Volkes bewegt sich jetzt in konservativer Richtung. Trotz ihres anscheinenden Radikalismus' wird auch die neue Partei dieser Richtung folgen und bald gemäßigt werden, wenn sie nur einigermaßen geschickt von der Regierung behandelt wird. Euer Majestät haben nicht so viel schwarzgelbes Kapital auszugeben, um diese Partei vor den Kopf zu stoßen, wie das durch die Nidhtbestätigung Luegers geschehen würde." Der Kaiser: „Ich verstehe Sie wohl, aber die Bestätigung Luegers würde in Ungarn den allerübelsten Eindruck machen." Zu dieser Bemerkung des Herrschers die Aufklärung, daß Lueger im Reichsrat und sonst in seinen Wählerversammlungen die ungarische Regierung, die ungarische Präponderanz in seiner demagogischen, aber doch die allgemeine Meinung der Österreicher so ziemlich richtig wiedergebenden Art angegriffen und damals eben das Wort von den „Judaeo-Magyaren" geprägt hatte. Der ungarische Ministerpräsident Baron Banffy hatte sich beim Kaiser über diese Verhöhnung Ungarns durch Lueger aufgehalten. Ich entgegnete: „Ungarn hat wahrlich im gegenwärtigen Augenblick keinerlei Recht, sich über uns zu beschweren, nachdem dort eben, und wie ich
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höre, ohne vorher Eurer Majestät Zustimmung zu erwirken, des Revolutionärs Kossuths Sohn repatriiert wurde; übrigens wird Lueger als Bürgermeister genug mit kommunalen, die Ungarn nichts angehenden Aufgaben zu tun haben und sich nicht mehr viel der Politik im Reichsrat widmen können." Dem Kaiser schien diese meine Ausführung großen Eindruck zu machen, denn er nickte bei derselben mehrmals mit dem Kopf und entließ mich, ohne selbstverständlich eine Entscheidung zu treffen, gnädigst. Ich glaube nun wieder, eine Direktive f ü r mein weiteres Vorgehen in dieser damals politisch so wichtigen Frage zu haben. Vielleicht schildere ich einmal an einer anderen Stelle die der Öffentlichkeit noch ganz unbekannten Begebenheiten, welche zur Nichtbestätigung Luegers nach seiner ersten Wahl führten. Hier will ich nur sagen, daß nach Badenis Mitteilung der Kaiser ihn, als er diesen Antrag stellte, gefragt haben soll: „Was wird Kielmansegg dazu sagen?" Badeni will ihm geantwortet haben, mit der Möglichkeit der Nichtbestätigung habe ich immer gerechnet. Und so war es auch. Unmittelbar nach dieser f ü r ganz Wien so aufsehenerregenden kaiserlichen Entschließung erhielt ich eine Einladung zur H o f t a f e l und ahnte sofort, daß der Kaiser die Luegerfrage mit mir besprechen wolle. Beim Cercle trat er mit den Worten auf mich zu: „ N u n also, ich habe Lueger nicht als Bürgermeister bestätigen können." Ich: „Das war das diskretionäre Recht Eurer Majestät, und ich bin froh, die diskretionäre N a t u r dieses Rechtes bei der Beratung des neuen Wiener Gemeindestatuts 1890 im Landtag so scharf betont zu haben. Euer Majestät erinnern sich vielleicht, daß damals in der Regierungsvorlage die Ernennung des Wiener Bürgermeisters durch den Kaiser vorgesehen war, als es aber Schwierigkeiten machte, diese Neuerung durchzusetzen, und man bei dem bisherigen Bestätigungsrecht der Krone verblieb, gab ich, was Euer Majestät heute besonders interessieren dürfte, in der Ausschußberatung des Landtags zu Protokoll, daß dieses Bestätigungsrecht in Hinkunft von der Regierung als ein absolut diskretionäres betrachtet werden müßte, welches der Kaiser ausüben können solle, wenn ihm der neugewählte Bürgermeister aus irgendwelchem Grunde nicht zu Gesichte stehe." Der Kaiser: „Es ist mir angenehm, das zu hören." Ich: „Ich bin gefaßt darauf, jetzt große Schwierigkeiten mit dem Wiener Gemeinderat und im Landtag zu haben, aber da Euer Majestät den Führer der christlichsozialen Partei auch in Zukunft niemals werden bestätigen wollen, wird sich eine neue Konstellation innerhalb der Partei ergeben, und bis dahin werde ich den Kampf mit derselben, das Recht Eurer Majestät verteidi-
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gend, nicht scheuen." D e r K a i s e r : „ G e w i ß , das brauchen Sie auch nicht, denn Sie können d a r a u f rechnen, d a ß L u e g e r , s o l a n g e ich regiere, als Bürgermeister meiner Reichshauptstadt niemals w i r d bestätigt w e r d e n . " Z w e i J a h r e nach diesem Ausspruch w a r L u e g e r in der B u r g v o n Seiner M a j e s t ä t e m p f a n g e n w o r d e n u n d w u r d e b a l d hienach Bürgermeister. D a m i t aber hatte es f o l g e n d e B e w a n d t n i s . In der auf die Nichtbestätigung folgenden L a n d t a g s s e s s i o n w u r d e ich, wie vorausgesehen, v o n Luegers P a r t e i besonders heftig und auch persönlich angegriffen, weil diese natürlich der M e i n u n g w a r , ich hätte die A b l e h n u n g Luegers durch den K a i s e r b e a n t r a g t . B a d e n i hatte seinen Sohn L o u i s in eine dieser Sitzungen geschickt, u m Z e u g e der Szenen zu sein. D a m a l s ging es gerade besonders scharf zu. D a s z u hören, w a r Badeni allerdings höchst peinlich. E r ließ mir sagen, er wisse einstweilen kein M i t t e l der Abhilfe, ich aber m ö g e ausharren u n d mir nichts d a r a u s machen. Louis B a d e n i geht a n einem der nächsten T a g e zu einer Z a h n o p e r a t i o n z u m bekannten Wiener Zahntechniker, d e m kaiserlichen R a t T h o m a s , recte Steuernagel geheißen, u n d erzählt diesem v o n
den
Szenen im L a n d t a g , denen er jüngst beigewohnt. T h o m a s sagt ihm, er wisse ein Mittel, Beruhigung zu schaffen; sein Schwager, der bek a n n t e I n s e k t e n p u l v e r f a b r i k a n t Zacherl, sei ein F r e u n d Luegers, u n d v o n diesem wisse er, d a ß Lueger den sehnlichen Wunsch hege, mit B a d e n i einmal vertraulich reden zu können. L o u i s B a d e n i meldet dies seinem V a t e r , der ihn s o f o r t wieder z u T h o m a s schickt, u n d nun w i r d a u f dem Wege Zacherl vereinbart, Lueger möge a n einem der nächsten T a g e s p ä t abends unerkannt in das Ministerium des Innern k o m m e n u n d B a d e n i besuchen. T h o m a s läßt mir diese V e r a b r e d u n g sofort v e r traulich sagen. Sie findet statt. Lueger erklärt B a d e n i , er wolle u n d müsse Bürgermeister werden, er sei ein guter P a t r i o t u n d werde, wenn auch B a d e n i sich eng mit den Liberalen, Deutschen u n d Czechen verbunden habe, doch mit seiner P a r t e i der R e g i e r u n g keine gefährliche O p p o s i t i o n machen, wenn diese nur seiner christlichsozialen Partei die Herrschaft im Wiener R a t h a u s übergeben wolle. M a n geht in die E r ö r t e r u n g der Modalitäten ein, wie dies zu bewerkstelligen sei, u n d B a d e n i e r k l ä r t , der K a i s e r w e r d e nicht leicht d a z u zu bewegen sein, Lueger z u bestätigen, es müsse ein Ü b e r g a n g s s t a d i u m geschaffen werden. Es w i r d verabredet, daß Luegers engster P a r t e i f r e u n d Strobach v o m G e m e i n d e r a t zum Bürgermeister gewählt w e r d e n möge, den m a n d e m K a i s e r z u r Bestätigung vorschlagen könne. L u e g e r als erstem V i z e -
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Bürgermeister unter Strobach werde Gelegenheit geboten, seine Mäßigung und Loyalität zu zeigen, so daß er, wenn Strobach verabredetermaßen nach einigen Monaten auf dem Bürgermeisterposten resigniere, selbst die kaiserliche Bestätigung als Bürgermeister werde erlangen können. Bei dieser damals ganz geheimen nächtlichen Konferenz verlangt Lueger aber auch, vom Kaiser in öffentlicher Audienz empfangen zu werden, um diesem seine loyalen Gesinnungen versichern und der Wiener Bevölkerung beweisen zu können, daß er in Gnaden stehe und seine Partei keinen Anlaß habe, gegen Seine Majestät zu demonstrieren, wie es geschehen war. Badeni stellt Lueger auch die Erwirkung dieser Audienz in Aussicht, nur müßten vorerst die ungerechtfertigten Angriffe gegen den Statthalter im Landtag, die den Kaiser höchst unangenehm berührten, eingestellt werden. Lueger will nicht glauben, daß ich für seine Bestätigung gestimmt habe, und seine Partei, der er, Lueger, immer das Gegenteil gesagt habe, werde dies schon gar nicht glauben wollen. Lueger verlangt von Badeni, nächster Tage mit zwei Gemeinderäten, seinen Parteifreunden, empfangen zu werden, denen dann als qualifizierten Zeugen volle Auskunft über meine Haltung in der Bestätigungsfrage gegeben zu werden habe. Das alles gesteht Badeni zu und führte es auch bald durch. Unmittelbar vor der Audienz Luegers beim Kaiser läßt er mich zu sich bitten, um mir alles Vorgefallene mit größter Genauigkeit zu erzählen. Ich fand ihn damals in einem Zustand größter Niedergeschlagenheit. Er meinte, er habe einen Fehler begangen, indem er sich von Lueger habe überreden lassen, und große Schwierigkeiten beim Kaiser gehabt, die Audienz für diesen bewilligt zu erhalten. Der politische Erfolg für ihn selbst aber sei, daß die Christlichsozialen ihm im Reichsrat nur mehr eine scheinbare Opposition bereiten werden und auch im Landtag Ruhe geben. Badenis stets schwankende Haltung — bei ihm hatte stets der Letzte recht — führte etwa ein Jahr später seinen jähen Sturz herbei. Daß er so jäh und ohne besondere Gnadenbezeugung des Kaisers erfolgte, war mir nicht überraschend. Der Kaiser mochte Badeni nicht, er hatte sich ihn aufoktroyieren lassen und dessen schwache Seiten längst erkannt. Wenige Tage nach Badenis Ernennung zum Ministerpräsidenten hatte dieser sich vom Kaiser Urlaub erwirkt, um sich wieder nach Lemberg zu begeben, und zwar mit der Begründung, er habe dort noch einige Geschäfte abzuwickeln und sich von Behörden und Korporationen zu verabschieden. In den Zeitungen war aber sofort zu lesen, daß Badeni in Lemberg als neuer Ministerpräsident großartig gefeiert werde und Deputationen von allen Behörden und Korpo5
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rationen Galiziens empfange, die ihm durch die Überreichung von Adressen und Diplomen huldigten. Gerade zu dieser Zeit war der Kaiser zu einem Besuch St. Pöltens anläßlich eines Landesschützenfestes und zur Besichtigung neuer K a sernen dortselbst eingeladen worden. Es sollte großer Empfang am Bahnhof stattfinden. Wie immer bei solchen Gelegenheiten, hatte ich als Statthalter den Entwurf des Reise- und Festprogramms für den Kaiser zu verfassen und dem Generaladjutanten zur Einholung der kaiserlichen Genehmigung vorzulegen. In diesem war vorgesehen, daß ich Seine Majestät am Bahnhof in St. Pölten empfange und die dort erschienenen Honoratioren vorstelle. Das Programm wurde mit der Modalität genehmigt, ich habe mit Seiner Majestät von Wien aus nach St. Pölten zu reisen. D a s hatte etwas zu bedeuten. Der Kaiser ladet mich ein, mit ihm in seinen Salonwagen zu steigen, und ich befinde mich allein ihm gegenüber, er heißt mich Platz nehmen und bietet mir aus seiner Zigarrentasche zu rauchen an, diese enthält nur drei Zigarren, und ich lehne dankend und lächelnd ab, ich wolle Seine Majestät nicht berauben; der Kaiser aber sagt lachend: „Nein, bitte, rauchen Sie, mein Büchsenspanner wird wohl noch einige Zigarren für mich mitgenommen haben." Kaum haben wir uns nun beide die Operas angezündet, fragt mich der Kaiser: „Was sagen Sie zum Grafen Badeni, der, kaum zum Ministerpräsidenten ernannt, nach Lemberg zurückfährt, um sich dort feiern zu lassen?" Nun war mir der Zweck meiner improvisierten Privataudienz klar. Ich konnte nur sagen, Badeni habe mir als Zweck seiner Reise angegeben, seinen Hausstand aufzulösen und sich von Behörden und Korporationen zu verabschieden, wozu er unmittelbar nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten nicht die Zeit gefunden habe. Der Kaiser aber meinte, Badeni habe doch seine Ernennung lange vorher gewußt, er hätte den ganzen Monat September gehabt, um seinen Hausstand aufzulösen, es sei durchaus unpassend, daß er, anstatt in Wien seine neuen Funktionen zu erfüllen, sich in Lemberg feiern lasse. Nun wußte ich aus des Kaisers Munde, daß der neue Mann sein rechtes Vertrauen kaum je genießen werde und daß dieser mit jenem „darangekriegt" worden sei. Für midi konnte es sich nur darum handeln, wie lange Badeni sich wohl werde halten können. Es dauerte bekanntlich kaum zwei Jahre. In Wien drohende Demonstrationen waren der unmittelbare Anlaß, daß Badeni seine Demission gab. Ich habe Grund anzunehmen, daß das Gefühl den Kaiser — nicht er selbst, sondern äußere zwingende Umstände haben Badeni zur Demission gezwungen —
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dazu veranlaßte, damals nicht das ganze Ministerium zu verabschieden, welches doch so wenig Erfolge im Reichsrat u n d überhaupt erzielt hatte, vielmehr eine Rekonstruktion desselben unter der Präsidentschaft Gautschs zu verfügen. Kaum war diese erfolgt, als ich wieder eine Einladung zur H o f t a f e l erhielt und bei meinem Erscheinen in der H o f b u r g hörte, ich habe neben Seiner Majestät zu sitzen. Der Kaiser hatte also eine Liste der Einzuladenden bestimmt, unter denen ich, der ich mit den ersten Geheimratsrang hatte, neben ihm zu sitzen kam und etwas zu hören bekommen sollte. Das war denn auch in ausgiebigstem Maße der Fall. Der Kaiser begann sofort das Thema Badeni zu erörtern. Er erinnerte mich an seine über diesen auf der Fahrt nach St. Pölten vor zwei Jahren getanen Aussprüche, kritisierte dann dessen gesamte Tätigkeit als Minister in ziemlich scharfer Weise. Es haftet mir besonders der Ausspruch im Gedächtnis: „Die schwankende H a l t u n g Badenis in der Luegerfrage und die damals von ihm begangenen Fehler waren die Vorboten seines Mißerfolges." Audi machte mir der Kaiser bei Tisch noch nicht mißzuverstehende Andeutungen, die ich schon oben wiedergab, weshalb er das Ministerium, rekonstruiert, am Ruder gelassen habe. Bei der ganz besonders gnädigen und mich in das Vertrauen ziehenden Art, mit der sich der Kaiser damals mit mir unterhielt, gewann ich unwillkürlich den Eindruck, der Kaiser habe mir erklären wollen, weshalb er nicht mich nach Badenis Mißerfolgen wieder zum Ministerpräsidenten berufen habe. Ich allerdings konnte nur f r o h darüber sein, daß dieses nicht der Fall gewesen, denn alles, was ich seinerzeit im Reichsrat wegen des Zusammenwirkens der Parteien angebahnt hatte, war von Badeni zerstört worden, sein so unsagbar ungeschickter Ausgleich mit Ungarn w a r unerledigt geblieben, meine unter der Beamtenschaft hergestellte O r d nung war neuer Disziplinlosigkeit gewichen usw. Ich hätte mit einem Wort damals nur schwer den Weg gefunden, wie und wo die Fäden wieder anzuknüpfen gewesen wären, die Badeni in totaler Unkenntnis aller österreichischen Verhältnisse außerhalb Galiziens so leichtfertig zerrissen hatte. D a ß unter diesen Verhältnissen Gautsch sich nicht lange werde halten können, war mir klar. Sein Ministerium dauerte denn auch damals nur drei Monate lang, und nun mußte ich wieder fürchten, berufen zu werden. Aber es geschah das ganz Unerwartete, was ich schon oben erwähnt habe, Thun kam mit Hilfe Chlumeckys ans Ruder. 5*
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Von dieser Zeit an hat mich der Kaiser nie wieder in Privataudienz zu sich berufen lassen, obwohl er mich bei den zahllosen Anlässen, bei denen ich als Statthalter noch Jahre hindurdi mit ihm in Berührung trat, stets mit außerordentlicher Gnade behandelt hat, mir die seltene Auszeichnung der Diamanten zum Großkreuze des Leopoldordens verlieh, und was noch mehr war, mich und meine Amtsführung als Statthalter vor Zeugen, ich nenne nur Minister Bylandt, Statthalter Clary, Bürgermeister Lueger, oftmals in geradezu ostentativer Weise belobte; er sprach dann „von neuen großen Verdiensten" oder in ähnlichen Ausdrücken. Ich kann mir nicht helfen, klingt es auch vielleicht recht unbescheiden, ich glaube, der Kaiser hat von dem Zeitpunkte der Berufung des erfolglosen Thun an, mir gegenüber das Gefühl der Verlegenheit gehabt, mir die Leitung der Staatsgeschäfte nicht wieder anvertraut zu haben, wie er es doch damals in Ischl so gern getan hätte. Es wäre ihm offenbar peinlich gewesen, dieses Thema mit mir zu erörtern, und dies namentlich nach der Berufung Thuns und nach dessen Abgang, als alles auf dem politischen Gebiet verworrener lag als je. Ich glaube auch, daß der Kaiser viel zu feinfühlig war, als daß er mir damals hätte zumuten wollen, die unter meinem Ministerium in verhältnismäßige Ordnung gebrachte parlamentarische Leistungsfähigkeit wieder in die Wege zu leiten, nachdem sie durch die drei mir nachfolgenden Ministerien, die sich der Kaiser selbst eben nicht gewünscht hatte, in einer, wie ich wußte, ihm durchaus nicht entsprechenden Weise, und zwar zumeist durch Fehler der von ihm berufenen Regierungen, gestört und unterbunden worden war. Wer eigentlich die ferneren auf Thun folgenden Ministerien Koerber, Gautsch, Beck, Bienerth und Stürgkh geschaffen hat und zu diesem oder jenem davon den Kaiser „darangekriegt" hat, weiß ich nicht. Jede dieser Berufungen erfolgte stets mit auffallender Schnelligkeit. Der Kaiser war immer ungeduldig auf den neuen Mann, der wohl stets nur die Direktive bekam, sei es wie Koerber durch Schaffung einer fallweisen Majorität im Abgeordnetenhaus, sei es wie Gautsch und nach ihm Beck, durch eine Wahlreform ein arbeitsfähiges und zur Votierung der „Staatsnotwendigkeiten" geneigtes Parlament zusammenzustellen. Daß stets Sieghart, den Gautsch schon während seines ersten Ministeriums auf Anempfehlung Pleners in das Preßdepartement des Ministerratspräsidiums berufen hatte, und der bald darauf als Schwiegersohn des Leitartiklers der „Neuen Freien Presse", Professor Grünhut, den maßgebenden Einfluß in diesem gesamten Amte gewann, die Hände dabei im Spiel hatte, ist bekannt. Er hatte es verstanden, mit dem Kabinetts-
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direktor Baron Schiessl, der berufsmäßig bei Ministerernennungen eine Rolle spielt, intim zu werden und später, als die Christlichsozialen immer größeren Einfluß im Abgeordnetenhaus und auf die Staatsgeschäfte überhaupt gewannen, mit diesen sich auf den besten Fuß zu stellen. Ich werde midi jetzt darauf beschränken, noch einige Reisen und sonstige Begegnungen mit dem Kaiser zu schildern, bei denen ich für seine Denkungsart charakteristische Äußerungen von ihm hörte, und ihn schließlich auch noch als Jäger und Jagdherrn schildern. Als das große neue Spital nächst der Triester Straße in Wien vollständig ausgebaut worden war und der Kaiser gestattet hatte, daß es als Kaiser-Franz-Josephs-Spital seinen Namen führe, besichtigte er es. Das Programm für den Rundgang war natürlich derart ausgearbeitet worden, daß die vom Hauptspital durch Vorgärten und Zaun vollkommen isolierte, damals aber von Diphtherie- und Scharlachkranken ziemlich voll belegte Infektionsabteilung nicht passiert werde. Am äußersten Ende des Spitalsgartens befindet sich in einem eigenen kleinen Gebäude die Desinfektionsanstalt für die Wäsche aus der genannten Abteilung. Als wir nun in die Nähe dieses kleinen Baues kamen, fragt der Kaiser, was er enthalte, und ich antworte, dort werde die Wäsche der Infektionskranken desinfiziert. „Das möchte ich sehen", sagt der Kaiser, und ich erwidere, die Besichtigung dieser Anlage stehe, weil doch immerhin nicht ganz ungefährlich, nicht auf dem Programm, und will den Weg zum Wasserreservoir mit dem Kaiser fortsetzen. Der aber sagt, sich zu mir umwendend, beinahe unwirsch: „Mir scheint, Sie fürchten sich, ich aber will die Desinfektion sehen" und geht, während ich nur sagen kann: „Das durchaus nicht, aber den Kaiser soll man nicht unnötigen Gefahren aussetzen", direkt in die Anstalt, wo eben schmutzige Wäsche sortiert wird, um sich dann die Desinfektionsapparate erklären zu lassen. Er zeigt dabei einen gewissen, allen Anwesenden auffallenden Stolz, daß er sich vor Gefahr nicht fürchte. Zur Zeit des Koalitionsministeriums fand eine Rundfahrt des Kaisers auf der neueröffneten Wiener Stadtbahn statt. Der Handelsminister Graf Wurmbrand hatte den Apostel der Sezession in der Wiener Architektur, Oberbaurat Otto Wagner, die Fassadenpläne für die Mehrzahl der Hochbauten an dieser Bahn entwerfen lassen. Als wir ein Stationsgebäude am Donaukanal passieren, in dessen Fassade die Fratze eines menschlichen Antlitzes prangt, zeigt der Kaiser mit dem Finger auf diese und fragt mich: „Gefällt Ihnen das?" Ida verneine und erzähle, daß ich in der Verkehrskommission manche Kämpfe mit
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Wagner wegen Milderung allzu stark prononzierter Sezessionsformen gehabt habe, und es mir auch gelungen sei, dort gegen das Projekt Wagners die Herstellung der Viaduktbögen in ihrer ruhigen Form mit Sandstein und geschlemmten Ziegeln durchzusetzen. Der Kaiser belobt midi darüber laut und vor allen Anwesenden und äußert in der schärfsten Weise sein Mißfallen über den modernen sezessionistischen Baustil. Das tat er dann auch noch öfters mir gegenüber bei verschiedenen Anlässen. In der wegen der vollkommen erhaltenen Befestigungsmauer und durch andere alte Bauwerke sehenswerten und hübsch gelegenen Stadt Eggenburg war ein Museum f ü r die reichen, durch den dortigen Bürger Krahuletz in jahrelangen Mühen gesammelten prähistorischen Ausgrabungsfunde gebaut worden. Meiner Anregung folgend, besuchte der Kaiser Eggenburg, um dort alles Interessante zu besichtigen. Ich hatte wie immer bei derlei Anlässen die R u n d f a h r t in seinem Wagen neben ihm sitzend mitzumachen. Es kommt die Rede auf die damals (1903—1906) besonders eifrig von mir betriebene Reform des Kanzleiwesens wegen Vereinfachung der Geschäfte. Der Kaiser, selbst ein gezwungener Bürokrat, äußerte mir das lebhafteste Interesse f ü r diese Frage, läßt sich meine Pläne genau erklären, eifert mich an, in meinen Bestrebungen fortzufahren, denn es sei wahrlich hoch an der Zeit, daß die unnötige Vielschreiberei aufhöre. Ich beklage midi darauf noch, daß ich bei den Zentralstellen im allgemeinen nur wenig Unterstützung f ü r meine so wohlgemeinten Pläne finde. Der Kaiser fragt um die auffallenden G r ü n d e dieser Erscheinung. Ich schildere das „Beharrungsvermögen" bei unserer österreichischen Spezialität, den „ H o f r ä t e n " , und die Furcht der Kanzleibeamten, daß manche von ihnen und namentlich höhere Stellen in dieser Branche bei meiner Geschäftsvereinfachung und Kanzleireform, welche eine namhafte Entlastung des Staatsschatzes bedeute, entbehrlich werden würden und gewinne schließlich die H o f f n u n g , daß der Kaiser sich meiner Sache durch ein Wort an den einen oder andern seiner Minister annehmen werde. Ich glaubte mich in dieser H o f f n u n g auch nicht getäuscht zu sehen, als Ministerpräsident Baron Beck bei der Eröffnung der neuen Reichsratssession eine Rede hält, in der der Passus vorkommt, das Verfahren der Verwaltungsbehörden müsse im Interesse der Bevölkerung modernisiert werden; es seien in dieser Beziehung auch in einem Verwaltungsgebiet bereits Erfolg versprechende Versuche gemacht worden. Ich glaubte, dies auf midi beziehen zu können und nun gewonnenes Spiel zu haben. Um den Ministerpräsidenten zu veranlassen, behufs einheit-
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Hellen Vorgehens aller Behörden bei der von ihm als n o t w e n d i g bezeichneten Modernisierung des Geschäftsganges die Initiative zu ergreifen, schreibe ich nach Berlin, um mir den d o r t im Druck erschienenen R u n d e r l a ß des Reichskanzlers als Präsidenten des preußischen Staatsministeriums betreffend Geschäfts Vereinfachung bei allen Behörden Preußens kommen zu lassen u n d lege diesen dem Ministerpräsidenten vor. In der A n n a h m e , er w e r d e das Berliner Beispiel befolgen, instruiere ich persönlich seinen Kanzleidirektor über das Wesen meiner R e f o r m e n u n d erkläre midi bereit, durch einen meiner Beamten den ganz und gar v e r z o p f t e n Kanzleidienst des Ministerratspräsidiums nach meinen neuen (in ihrer Wesenheit dem vereinfachten deutschen, aber auch französischen u n d rumänischen entsprechenden) System einrichten zu lassen, um es „hochoben im Z e n t r u m " zu erproben und d a n n allgemein einzuführen. Dieser Kanzleidirektor aber ist „konservativ" und zeigt keinerlei Verständnis f ü r die gute Sache. Ich benütze also die nächste Gelegenheit, um den Ministerpräsidenten selbst, a n k n ü p f e n d an seine jüngst im Abgeordnetenhaus gehaltene Rede, f ü r die R e f o r m aktion zu interessieren und erhalte von ihm die A n t w o r t : „Ich habe nicht die Absicht, in der Frage der Geschäftsvereinfachung der Behörden die Initiative zu ergreifen, denn ich huldige dem G r u n d s a t z , d a ß es nur darauf a n k o m m t , was in den A k t e n darinsteht, die F o r m aber N e b e n sache bleiben k a n n . " Als ob es sich mir im wesentlichen je um die F o r m gehandelt hätte? Wie w a r nur der e r w ä h n t e Passus in die Rede Becks gekommen? Auf eine Anregung des Kaisers sicherlich nicht, sonst h ä t t e doch Beck nach seiner Rede irgendetwas unternehmen müssen, um das behördliche V e r f a h r e n „modernisieren" zu lassen. E r t a t in der Sache nichts und ebensowenig sein Nachfolger Bienerth. „Wie glücklich könnte doch Österreich sein, w e n n es nur keine H o f r ä t e hätte", sagte mir Goluchowski einmal. Ein in die österreichischen UnWahrscheinlichkeiten u n d die I n k o n sequenzen der letzten Regierungen eingeweihter, z u k ü n f t i g e r Leser w i r d vielleicht einwenden wollen, Bienerth als Ministerpräsident habe ja doch die Kommission zur F ö r d e r u n g der V e r w a l t u n g s r e f o r m in das Leben gerufen, u n d deren Einsetzung sei auf G r u n d eines kaiserlichen Handschreibens erfolgt. Das ist allerdings richtig. D i e Idee dieser Aktion entstammte aber Abgeordnetenkreisen, u n d speziell einer Anregung des mährischen Abgeordneten D r . Josef Redlich, Professor der österreichischen Verwaltungskunde an der Wiener technischen Hochschule, der seine Anregung auch mit mir besprach u n d erkannt hatte, d a ß es mit unserer Spezialität, der zwischen der Staatsgewalt und den
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Autonomen in den Ländern und Gemeinden geteilten Verwaltung nicht so fort gehe, und daß es dringend notwendig sei, dem Beispiel anderer Staaten in der Geschäftsvereinfachung zu folgen, wie ich es in öffentlichen Vorträgen 1906 dargelegt hatte. Kaiserlicher Initiative entsprang diese Kommission also nicht, irgendwelcher zielbewußter Förderung seitens der Regierung hatte sie sich nie, insbesondere aber nicht seitens der auf Bienerth gefolgten Regierung des Grafen Stürgkh zu erfreuen. Ganz abgesehen davon, daß bei ihrer Einsetzung viel zu viele Professoren (Theoretiker) u n d autonomistisch gesinnte Elemente als Mitglieder in dieselbe berufen worden waren, so daß die praktisch im Verwaltungsdienst Erfahrenen in derselben von vornherein zur Minorität verdammt waren, gestattete das Ministerium den Staatsbeamten nicht die freie Meinungsäußerung über ihre Erfahrungen in Verwaltungsfragen gegenüber der Kommission. Kein Wunder, daß sie nach dreijähriger Tätigkeit ohne richtiges Ergebnis ihrer Beratungen, nach schwerem Siechtum sanft verschied. Des Kaisers Generaladjutant, Graf Eduard Paar, hatte mich wiederholt gebeten, ihn auf interessante Dinge aufmerksam zu machen, die der Kaiser besichtigen könne, denn das tue er gern, wenn er dazu eingeladen werde, und es tue ihm, der seit den letzten Jahren kaum je mehr reite und genügend Bewegung mache, gut, wenigstens f ü r einige Stunden aus seinen vier Wänden heraus — und unter Menschen zu kommen. Ich gab so manche Anregung zu derlei an den Kaiser zu richtenden Einladungen aus Wien und Umgebung. Keine Einweihung einer neuen katholischen Kirche pflegte der Kaiser zu versäumen, aber auch keine eines großen neuen Staatsgebäudes, auch große sogenannte Landesschützenfeste besuchte er stets gern. Ein solches f a n d einstmals in Baden statt. Erzherzog Rainer hatte dem Kaiser seine Equipage zur Verfügung gestellt, um ihn zur Schießstätte zu führen, und ich hatte in dieser neben dem Herrscher Platz zu nehmen gehabt. Auf dem ganzen weiten Weg dorthin bildete zumeist Schuljugend Spalier, u n d namentlich die Mädchen warfen mit lautem Jubelgeschrei unaufhörlich Blumensträuße in u n d gegen die kaiserliche Equipage, so daß die an derartiges nicht gewöhnten erzherzoglichen Pferde schließlich unruhig wurden u n d der Kutscher Mühe hatte, sie zu halten. Dabei wurde der Kaiser recht nervös, wollte den Wagen verlassen, beruhigte sich aber schließlich auf mein Zureden, d a ß nidits zu befürchten sei. Auf der Schießstatt selbst hielt der Kaiser Cercle, schritt dann die Stände ab, sprach die einzelnen Schützen an u n d sah ihrem Schießen zu. Vor einer Jagdscheibe stand Prinzessin
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Esperence Solms-Braunfels, geborene Baronin Erlanger, deren Gatte Oberschützenmeister war. Für sie, die nicht hoffähig war, war damit der langersehnte Augenblick gekommen, dem Kaiser vorgestellt zu werden, was meines Amtes war. Der Kaiser richtet einige gnädige Fragen an sie und fordert sie dann auf, nur mit dem Schießen fortzufahren. Dabei bleibt er hinter ihrem Schießstand stehen, während die Arme lauter Fehlschüsse abgibt, was den Kaiser, ohne daß er es direkt merken läßt, sehr zu unterhalten scheint. Kaum sitzen wir, den Festplatz verlassend, wieder im Wagen, sagt mir der Kaiser: „Die Solms hat sich aber gehörig blamiert." Ich antworte: „Die Aufregung ist wohl begreiflich, wenn man sich vor seinem Kaiser produzieren soll!" „Muß man das?" fragt der Kaiser lachend und f ä h r t dann fort, mir zu erzählen, wie, wo, wann und warum Solms seine Frau geheiratet habe, wer ihre Mutter gewesen, lauter genaue Daten, die mir übrigens bekannt waren. Als ich aber Seiner Majestät meine Bewunderung aussprach, ihn so genau informiert zu sehen, sagte der Kaiser: „Das ist in derlei Dingen immer bei mir der Fall." U n d so war es auch; ich habe mich öfters davon überzeugt. Einmal bei einer Reise kam die Rede auf die neueste Fürstin Lobkowitz, gewesene Gräfin Edelsheim-Gyulay und Schauspielerin Kronau des Carltheaters. Ich erwähnte, ich hätte sie in meiner Jugend oft spielen gesehen, und machte irgendeine Bemerkung, ich erinnere mich nicht mehr welche, über das damalige Carltheater. Diese ergänzte der Kaiser lebhaft durch genauere Daten. Ich sprach abermals meine Bewunderung aus, Seine Majestät so genau informiert zu finden. „Nun, Sie sind auch gut unterrichtet, ich aber doch noch genauer; ich bin aber auch ein älterer Wiener als Sie", sagte der Kaiser wohlgefällig lachend. Sein Gedächtnis war immer ein staunenerregend gutes. Diese Eigenschaft hat aber die Mehrzahl der Monarchen. Wäre der Kaiser nur immer ebensogut über aktuelle staatliche Fragen informiert gewesen, so manches wäre anders gekommen, denn trotz einer gewissen Kleinlichkeit in seiner „Amtierung" hat es dem Kaiser nie an Scharfblick und namentlich auch nicht an Menschenkenntnis gefehlt. Seine Urteile über einzelne Persönlichkeiten, mit denen er in eine nur etwas häufigere Berührung getreten war, trafen in der Regel den Nagel auf den Kopf und waren nicht selten auch ironisch oder sarkastisch. Letzteres entspricht einem allen Habsburgern gemeinsamen Charakterzug. Mißtrauisch war der Kaiser wohl nie besonders, schenkte er doch neuen Ministern meist volles, man kann beinahe sagen, harmloses Ver-
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trauen, das so mancher derselben in seinen alleruntertänigsten Vorträgen, auf die gewisse Uninformiertheit des Kaisers rechnend, mißbrauchte. Als typisches Beispiel in dieser Beziehung kann ich unter anderen den gewesenen Unterrichtsminister Härtel anführen. Damit es aber nie heißen könne, ich tue diesem die antiken Sprachen phänomenal beherrschenden Philologen unrecht, muß ich etwas weiter ausholen. Anläßlich des Regierungsjubiläums (Ära Koerber-Hartel) hatte die Gemeinde Wien (Lueger) eine Millionenspende an den Wiener Krankenanstalten-Fonds gemacht, damit dieser das sogenannte KaiserJubiläums-Kinderspital auf den Gründen des Wilhelminen-Spitals im Wiener Bezirk Ottakring erbaue. Als ich den Bau vollendet hatte, besichtigte ihn der Kaiser, Lueger und ich machten dabei die Führer auf dem Rundgang. Am Ende desselben sprach uns der Kaiser in den wärmsten Worten seine Anerkennung aus, mir sagend, ich hätte mir mit diesem so gelungenen Bau ein neues Verdienst erworben. Vielleicht hatte der Kaiser, als er diese Worte vor Lueger aussprach, das Gefühl, damit vor dem letzteren, der doch das Geld f ü r den Bau gewidmet hatte und der nicht immer als mein Freund gelten konnte, zuviel gesagt zu haben, denn er wandte sich sofort an Lueger mit den Worten: „Die Spende der Gemeinde war großartig, ich habe mich sehr über diese, aber auch über Ihr Zusammenwirken mit dem Statthalter bei diesem Humanitätswerk gefreut, Sie sollen sich nur immer so gut vertragen." Der Kaiser fragte dann Lueger noch, woher die Gemeinde das viele Geld zu dieser Widmung genommen habe, worauf dieser antwortete, es stamme aus dem Verkauf des städtischen Versorgungshauses an den Wiener Krankenanstalten-Fonds. Der Kaiser erinnerte sich nun an diese vor nicht langer Zeit von ihm genehmigte Transaktion und befragte mich über dieselbe. Ich konnte sagen, daß die Gemeinde bei dem Verkauf der Realität um nahezu vier Millionen Kronen ein sehr gutes Geschäft gemacht habe, und als der Kaiser weiter fragt, wieso der doch stets als notleidend geschilderte Fonds die Realität habe überzahlen können, lachte Lueger ziemlich laut auf. „Nun, was ist es damit?" fragte ihn der Kaiser, und jener antwortete — die Worte sind mir aus mehr als einem Grunde genau im Gedächtnis —: „Majestät, ich bin halt ein alter Low', u n d wenn der Blut rinnen sieht, so packt er zu; bei dem Geschäft habe ich den Härtel mitsamt seinem Professorenanhang gefressen." Der Kaiser wußte nicht recht, ob er bei diesem offenen Geständnis Luegers, das obendrein, wie seine Aussprüche oft, recht taktlos war, lachen sollte. Der Ausdruck seiner Züge zeigte ein deutliches Erstaunen. Vielleicht
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dachte er sich, wie habe ich nur eine solche Transaktion genehmigen können. Mit sehr gemischten Gefühlen kehrte ich aus dem Spital heim: Die Anerkennung, die mir der Kaiser ausgesprochen, freute mich, anderseits aber mußte ich annehmen, er könne jetzt recht ungehalten darüber sein, daß ich, als der unmittelbare Verwalter des Krankenanstalten-Fonds, diesen nicht vor der von Lueger eingestandenen Übervorteilung durch die Gemeinde Wien bewahrt habe. U n d das hatte ich doch in meinen Berichten an das Ministerium, die dem formellen Abschluß der ganzen Transaktion der Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses vorausgegangen waren, mit aller Gründlichkeit getan. Wie konnte der Kaiser also nur so erstaunt getan haben? Die Erklärung ward mir bald. Ich erhielt nämlich eines Tages, als Minister Härtel eine Ministerialkommission f ü r den Bau des neuen Allgemeinen Krankenhauses einsetzen wollte, in der auch die Statthalterei als Verwalterin des Krankenanstalten-Fonds vertreten sein sollte, den Vortrag zur Einsicht, den Härtel wegen der erwähnten kaiserlichen Genehmigung erstattet hatte. Nicht nur, daß diesem die Berichte, die ich dem Ministerium in der Frage erstattet hatte, und die alle betonten, daß man die vom Lande Niederösterreich zu erkaufende Irrenhausrealität u n d jene des Wiener Versorgungshauses, auf welche man das neue Krankenhaus als klinisches Spital verlegen wollte, um das Doppelte überzahle, nicht angeschlossen worden waren, er enthielt auch aktenwidrige Daten. Es galt eben damals, die Christlichsozialen in Stadt und Land für die Regierung Koerber zu gewinnen, und den klinischen Professoren den weiten Weg nach Ottakring und den dadurch bedingten Zeitentgang für ihre private Praxis zu ersparen. Deshalb sollte mein ursprüngliches Projekt, das allgemeine Krankenhaus auf den von mir anschließend an das Wilhelminen-Spital angekauften ausgedehnten Grundflächen zu erbauen, definitiv zu Fall gebracht werden, ein Projekt, gegen welches schon bei seinem ersten Bekanntwerden die medizinischen Professoren in der „Neuen Freien Presse" heftig Stellung genommen hatten, und gleichzeitig das im Abgeordnetenhaus zwischen Koerber mit H ä r t e l einerseits und Lueger mit Landesausschuß Steiner anderseits vereinbarte politische Geschäft der Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses nur auf die andere Seite der Straße, nämlich auf die Irrenhaus- und die Versorgungshaus-Realität, die genau gerechnet um 24 Millionen K r o nen teurer kam, unter Dach und Fach gebracht werden. D a der Kaiser, dem alle diese Umstände verschwiegen worden waren, den Vortrag bereits genehmigt hatte, blieb mir nur übrig, den-
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selben mit Einsichtsbemerkungen zu versehen, die k r ä f t i g genug ausfielen, aber keinen andern Zweck m e h r haben konnten, als den Akten in den Ministerien des Innern u n d f ü r Kultus u n d Unterricht beigelegt zu werden. Wieso der Wiener K r a n k e n a n s t a l t e n - F o n d s so bald hienach notleidend werden mußte, erklären meine Ausführungen über Minister H ä r t e l , Seite 345 ff. Ein zweiter großer Lügner gegenüber Seiner Majestät w a r Bilinski. Als Beispiel sei sein Bericht an den Kaiser, weshalb Sieghart G o u v e r n e u r der Bodencreditanstalt werden müsse, angeführt. E r z h e r z o g Franz F e r d i n a n d hatte ihn zu Gesicht b e k o m m e n u n d mir eine Abschrift mitgeteilt, die sich unter meinen P a p i e r e n befindet. Ich m u ß t e dem E r z h e r z o g eine Richtigstellung vorlegen, die dieser aber, soviel ich weiß, sich damals nicht getraut hat, dem Kaiser zu unterbreiten, der seinem N e f f e n grollte, d a ß dieser sich in die Regierungsgeschäfte einmische. Diesen Groll ausnutzend, w u r d e aber Sieghart Gouverneur. D e r I n h a l t des famosen alleruntertänigsten Vortrages, mit dem Bilinski damals den Kaiser „ d a r a n k r i e g t e " , w a r folgender: 1. ö f f e n t l i c h e Interessen erheischen die Besetzung der Gouverneurstelle. 2. M a n müsse unabhängig von der sogenannten Rothschild-Gruppe der Banken werden. D a h e r sollten Staatsanleihen in Z u k u n f t durch die Postsparkasse „mit Rückendeckung durch die Bodencreditanstalt, an deren Spitze ein Vertrauensmann der Regierung zu stellen sei", gemacht w e r d e n . Gegen diesen P l a n und den S t a a t s f u n k t i o n ä r , Vertrauensmann, richten sich Intrigen und Opposition aus dem Kreise der Teilhaber der sogenannten Rothschild-Gruppe. 3. D i e Bodencreditanstalt habe maßgebenden Einfluß auf die Donaudampfschiffahrts-Gesellschaft. D e r Kauf der Aktien dieser Gesellschaft durch U n g a r n müsse verhindert werden, denn er bezwecke, uns m i t ungarischem Mehl zu überschwemmen. 4. Durch den Einfluß der Bodencreditanstalt auf die KaschauO d e r b e r g e r Eisenbahn seien die österreichischen Verkehrsinteressen gegenüber den ungarischen w a h r z u n e h m e n . 5. Eine dilatorische Behandlung der Besetzung des Gouverneurpostens bei der Bodencreditanstalt sei in dem Fall Taussig erklärlich gewesen, d ü r f e es aber jetzt nicht sein, w o H e r z , der einer liberalen Clique angehöre und schon mit A n f a n g 1910 habe in Pension gehen wollen, das Institut provisorisch leite. Diese dilatorische Behandlung betätige der Verwaltungsrat aber, u m keinen S t a a t s f u n k t i o n ä r an seine Spitze gestellt zu sehen.
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6. Der vertrauenswürdige Funktionär, den die Regierung für die Wahl durch den Verwaltungsrat in Aussicht genommen habe, sei Sieghart. Diesen Vorschlag müsse sie unbedingt durchsetzen. Eine „Schlappe" in dieser Beziehung würde sonst überall als „Schwäche der Regierung gedeutet werden". 7. Die Regierung müsse darauf dringen, daß die Besetzung des Gouverneurpostens auf Grund eines statutengemäßen Vorschlages des Verwaltungsrates „unaufgehalten" erfolge; und zwar 8. durch Sieghart, der als Staatsfunktionär die Gewähr der W a h rung der österreichischen Staatsinteressen und jener des Allerhöchsten Kaiserhauses biete. Die Widerlegung der Bienerth-Bilinskischen Fälschungen, die ich auf Grund meiner genauen Kenntnis der Sachlage Erzherzog Franz Ferdinand übergab, lasse ich hier im Wortlaut folgen: Meines Wissens hat man nie gegen einen Staatsfunktionär als Gouverneur der Bodencreditanstalt opponiert, man wünscht im Gegenteil einen solchen. Die Verzögerung des Vorschlages eines solchen durch den Verwaltungsrat hat nur darin ihren Grund, d a ß er wünscht, daß vorher noch die Anstaltsstatuten, nach welchen dem Gouverneur gar zu umfassende Rechte eingeräumt sind, abgeändert werden, eine Absicht, der die Regierung im Prinzip bereits zugestimmt hat. Diese Abänderung kann aber auch erst später vorgenommen werden und der Vorschlag wegen Ernennung des Gouverneurs ohne Aufschub erstattet werden. Wie kann es denn der neue Gouverneur hindern, daß ungarischerseits Donaudampfschiffahrts-Aktien an der Börse aufgekauft werden? Die Regierung hat ganz andere Mittel in der H a n d , um dafür zu sorgen, daß der österreichische Einfluß auf die Donaudampfschiffahrt gewahrt werde. Jeder Österreicher an der Spitze der Bodencreditanstalt wird deren Einfluß auf die Kaschau-Oderberger Bahn in dem Sinne geltend machen, daß die österreichischen Interessen gewahrt werden. Es ist nicht richtig, daß der Verwaltungsrat ein längeres Provisorium bei der Bodencreditanstalt unter der Leitung des Direktors H e r z oder dessen Wahl zum Gouverneur wünscht. Im Gegenteil; gerade aus seinem Kreise stammt das Witzwort, „die Boden leide an H e r z schwäche". Der einzige Grund, weshalb der Verwaltungsrat bisher noch keinen Vorschlag gemacht hat, ist der, daß die Regierung durchaus Sieghart vorgeschlagen haben will, die große Mehrzahl der Verwaltungsräte — vielleicht nur einen ausgenommen — in die Person Sieg-
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harts kein Vertrauen setzt und doch der Regierung dessen direkte Ablehnung ersparen möchte. Soll an die Spitze der Bodencreditanstalt ein erprobter österreichischer Staatsfunktionär treten, so entspricht das auch den Wünschen dieses Verwaltungsrates, und er ist jederzeit bereit, einen solchen vorzuschlagen — nur gerade nicht die, wie er meint, aus nicht sachlichen, vielmehr individuellen Rücksichten bisher von der Regierung poussierte Persönlichkeit. Bevor sich der Erzherzog-Thronfolger im März 1910 zu einem Aufenthalt nach Brioni begab, meldete er sich beim Kaiser ab und brachte laut eines unter meinen Papieren vorhandenen Briefes seines Kammervorstehers Baron Rumerskirch die Rede auf diese Gouverneursfrage. Der Kaiser wußte, daß der Erzherzog sich bei den Verwaltungsräten durch seinen genannten Kammervorsteher gegen die Kandidatur Siegharts ausgesprochen hatte, und er sagte nun dem Erzherzog: „Er möge vorderhand nicht gegen Sieghart agitieren." Kaum hatte der Erzherzog Wien verlassen, als Bienerth-Bilinski den Kaiser mit seiner bekannten Eifersucht gegen eine gewisse Mitregierung des Thronfolgers „darankriegten". Schiessl, der intime Freund Siegharts, tat mit, und so wurde denn den Verwaltungsräten der kaiserliche Wunsch bekanntgegeben, Sieghart zum Gouverneur vorzuschlagen! Anläßlich der Vollendung des Marchfeldschutzdammes am linken Donauufer, abwärts Wien, hatte die Donauregulierungs-Kommission im Vereine mit ihrem Hauptbauunternehmer Oberbaurat Redlich in Markthof eine kleine Gedächtniskapelle errichtet. Als geschäftsführender Vorsitzender dieser Kommission lud ich den Kaiser ein, auf deren Dienstschiff die Fahrt von Wien bis an die Marchmündung zu unternehmen, den Bau des mächtigen Dammes zu besichtigen und der Einweihung der Kapelle beizuwohnen. Der damalige Minister Graf Bylandt war mit von der Fahrt, die sehr gelungen ausfiel. Auf der Rückfahrt mit der Eisenbahn von Marchegg bis Wien, während welcher wir mit Seiner Majestät gemeinsam ein gutes Gabelfrühstück im Salon seines Waggons, die Teller auf dem Schoß, einnahmen, w a r der Kaiser, wie meist bei derlei Gelegenheiten, sehr guter Laune und unterhielt sich lebhaft mit mir. Eine Fahrt auf das Flugfeld nach Wiener Neustadt mit Seiner Majestät bleibt mir immer in angenehmster Erinnerung. Sie f a n d statt kurz nachdem der österreichische Automobil-Klub dem Kaiser zwei Automobile zum Geschenk gemacht hatte, und zwar dies in der Hoffnung, den Herrscher zur häufigeren Benützung des neuen Vehikels zu ver-
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anlassen, welches er geradezu mied, nachdem er bei dem Besuch K ö n i g E d u a r d s von E n g l a n d in Ischl mit diesem im A u t o gefahren war. Die eine Version ging dahin, der Kaiser habe sich bei dieser Fahrt erkältet, die andere, sie sei ihm in unangenehmer Erinnerung wegen der dabei von E d u a r d gemachten Versuche, ihn zum Aufgeben des Bündnisses mit Deutschland zu veranlassen. Sei dem, wie es wolle, ich, der ich den Automobilismus seit jeher zu fördern bestrebt war, schlug, als ich den A u f t r a g erhielt, das Reiseprogramm zu entwerfen, vor, der Kaiser möge die Fahrt mit seinem neuen Auto unternehmen, und erhielt die Zustimmung. Vorher besuchte ich alle v o m Kaiser zu passierenden Ortschaften und lud deren Bewohner ein, den Kaiser bei der Durchfahrt, die dann wirklich einem Triumphzuge glich, angemessen zu begrüßen. Mit meinem Dienstauto holte ich den Kaiser in Schönbrunn ab und fuhr ihm dann vor. Dabei ergab sich folgende, beinahe komische Szene. Nachdem dem Kaiser gemeldet worden w a r , daß ich d a sei, trat er auch schon aus seinem Zimmer in das Vorzimmer, in welchem ich auf den Befehl der A b f a h r t wartete, auf mich zu, und zwar mit einem leichten Paletot angetan. Ich erinnerte mich seiner Verkühlung in Ischl und sagte, ich müsse gegen seine leichte Kleidung protestieren, sonst werde es heißen, ich habe ihn zur A u t o f a h r t veranlaßt und sei an seiner neuen Verkühlung schuld, und eine solche könne man sich leicht zuziehen, wenn man an das Autofahren noch nicht gewöhnt, das wisse ich aus Erfahrung. D e r Kaiser schien beinahe befremdet über meine lange Rede, die ich mit den Worten schloß: „Ich muß dringend bitten, daß Majestät einen Pelz anziehen." D e r K a i s e r : „Ich besitze aber keinen Pelzpaletot", und sich zu seinem Kammerdiener wendend: „Nicht wahr, wir besitzen keinen?" Der bestätigte, und der Kaiser fuhr fort.: „Mein Paletot wird schon genügen, ich bin ja abgehärtet." In diesem Augenblick trat der kaiserliche Leibarzt D r . K e r z l , der die Fahrt ebenfalls mitmachen sollte, in das Vorzimmer, und ich wandte mich nun an diesen, ihn bittend, Seiner Majestät die Fahrt in dem leichten Paletot nicht zu gestatten. Der gab mir recht und verlangte, daß der Kaiser seinen stärksten Winterpaletot nehme und sich überdies gehörig zudecke. Letzteres geschah aber stets mit einem zweiten alten Paletot, denn eine Wagendecke habe ich im Besitz des Herrschers nie gesehen. Ich w u r d e aber bei meinen zahllosen Wagenfahrten mit dem Kaiser stets eingeladen, die zweite H ä l f t e seines Mantels über meine Füße zu decken. Ich fuhr mit meinem Auto ab, während der zweite Paletot für den Kaiser herbeigeholt wurde, hatte also ziemlichen Vorsprung, wurde
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aber mehrmals vom kaiserlichen Wagen mit seinem viel stärkeren Motor etwas eingeholt und wäre sogar überholt worden, wenn der Kaiser nicht durch die Ortschaften, wo ihm die Bevölkerung überall zujubelte, langsamst gefahren wäre. In Neustadt angekommen, sagte mir der Kaiser: „Die Fahrt war herrlich, Ihre Reichsstraßen in vorzüglichem Zustand" — diese bildeten aber auch stets den Gegenstand meiner besonderen Obsorge — und er fügte lachend hinzu: „Einige Male habe ich Ihren Staub zu schlucken gehabt, das macht aber nichts." Der Kaiser war schließlich von dem ganzen Ausflug so befriedigt, daß er dies durch eine Gnadenbezeugung anerkennen wollte. Ich machte darauf hin den Generaladjutanten Grafen Paar auf meinen Präsidialsekretär, den Grafen Castell, aufmerksam, der die Fahrt an meiner Seite mitgemacht und an einigen Details des Reiseprogramms mitgewirkt hatte. Dieser erhielt dann eine goldene Zigarettendose mit den kaiserlichen Initialen. Von einem ähnlichen Geschenk aus ähnlichem Anlaß habe ich nie gehört. Und schließlich noch eine Merkwürdigkeit von dieser Exkursion. Auf dem Flugfeld erzählte ich dem Kaiser, der Chef des Generalstabes, General Conrad von Hötzendorf, sei hier jüngst einige Male geflogen, um das Fliegerwesen kennenzulernen. Der Kaiser: „Der soll lieber unten bleiben, da brauche ich ihn wichtiger, und sich nicht solchen Gefahren aussetzen." Diese Äußerung beweist das Vertrauen, welches der Kaiser 1910 in seinen Generalstabschef setzte. Schon einige Jahre früher begleitete ich den Kaiser auf den Schneeberg. Dort war eine Gedächtniskapelle für die verstorbene Kaiserin, das sogenannte Elisabeth-Kirchlein, errichtet worden. Diese und die Zahnradbahn von Puchberg aus, sollte der Kaiser kennenlernen. Im letzteren Ort fand großer Empfang durch die Honoratioren der Umgegend statt; er war herrlich beflaggt. Beim Besteigen der Zahnradbahn ladet der Kaiser mich in sein Coupe ein, in dem außer ihm nur noch die Generaladjutanten Graf Paar und Baron Bolfras sich befanden. Des Kaisers erste Worte an mich waren: „Der Empfang in Puchberg war sehr schön und der Ort so reich und so korrekt beflaggt, nicht eine einzige schwarzrotgoldene Fahne!" Bolfras war Chef der Militärkanzlei und nicht mehr Beck, der Ohrenbläser, aber bei den Worten des Kaisers, midi unwillkürlich an den letzteren erinnernd, erwiderte ich: „Dann haben Euer Majestät nicht genau geschaut, mehrere schwarzrotgoldene Fahnen sind ausgesteckt, aber neben schwarzgelben oder den blaugelben Landesfarben, deshalb habe ich sie auch nicht entfernen lassen, denn wenn jemand im übrigen patriotisch ist,
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so darf man ihn nie hindern, sein Deutschtum zu bekennen." Der Kaiser aber sah midi nachdenklich an und schwieg. Eine ähnliche Fahnenaffäre in Klagenfurt hatte wenige Jahre zuvor dem dortigen Landespräsidenten von Fraydenegg seinen Posten gekostet. Früher waren auch die schwarzweißroten (deutsche Reichsfarben) Fahnen in Wien verpönt. Auch diese machte ich hoffähig. Es war das, als Kaiser Wilhelm als neuer deutscher Kaiser 1890 seinen Antrittsbesuch in Wien machte. Der Kaiser hatte mich rufen lassen, um mich zu befragen, wie ich es mit der Beflaggung bei der bevorstehenden Ankunft des deutschen Kaisers halten wolle und wie ich meine, daß die H o f b u r g beflaggt werden sollte. Ich gab ihm mein Gutachten ab, die Beflaggung in der Stadt mit deutschen Fahnen sei unbedingt zu gestatten und auch die Anbringung der deutschen Reichsfarben an der H o f b u r g erschiene mir einem Gebot der Höflichkeit f ü r Kaiser Wilhelm zu entsprechen. Der Kaiser war sofort einverstanden und ordnete die Anbringung einer mächtigen deutschen Fahne auf dem äußeren Burgtor und einer Kaiserstandarte auf der Burg selbst an. So wurden die deutschen Farben h o f fähig und ihnen außerdem, wenn von Privaten an ihren Häusern angebracht, jeder demonstrative Charakter genommen. Zu meiner Erzählung von der Fahrt mit der Zahnradbahn auf den Schneeberg zurückkehrend, muß ich bemerken, d a ß mir die dort benachbarten Inhaber großer Jagdgebiete, Graf Ernst Hoyos und Graf Wilhelm Wurmbrand, angeboten hatten, den Sicherheitsdienst längs der Bahn durch ihr Jagdpersonal zu versehen, was auch eine Huldigung f ü r den obersten Jagdherrn bedeuten solle. Ich hatte dieses Anerbieten um so lieber angenommen, als ich damit die Zusammenziehung zahlreicher Gendarmeriemannschaft vermied und auch wußte, daß der Kaiser zu seinem persönlichen Schutz aufgebotene Gendarmen oder Sicherheitswachmänner nie gern sah. Man pflegte solche, wo es ging, mehr versteckt aufzustellen. Der Kaiser setzte einen Stolz darein, wegen seiner Beliebtheit beim Volke besondere Sicherheitsvorkehrungen f ü r seine Person nicht zu benötigen. Das Jagdpersonal war also längs der Bahn von Puchberg bis auf die H ö h e des Schneebergs aufgestellt, und noch in der erstgenannten Station machte ich den Kaiser auf diese ihm zugedachte Huldigung aufmerksam. E r schaute zum Fenster hinaus und rief: „Ja, da steht schon ein Jäger, der hat aber blaue Gatien zur Lederhose an, das k a n n ich nicht leiden, nur nackte Knie gehören sich f ü r einen Jäger." Er sagte dann noch mehrmals auf der Strecke kopfschüttelnd: „Schon wieder einer in Unterhosen". In der Station Baumgartnerhaus mußte der Zug 6
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Aufenthalt von zehn Minuten machen, damit die kleine Lokomotive Wasser einnehme. Ich bitte den Kaiser, auszusteigen und die Vorstellung der Forstmeister der Jagdherren zu gestatten. Er steigt aus, eine von einem Waldhorn-Quartett brillant geblasene Jagdfanfare empfängt ihn, er spricht Dank und Anerkennung dafür aus, nimmt die Vorstellung der Forstmeister entgegen und sagt auch ihnen einige freundliche Worte. Hinter diesen Forstmeistern standen aber auch noch einige Forstadjunkte oder Oberjäger, die vielleicht auch gehofft hatten, von Seiner Majestät angesprochen zu werden. Vor diesen aber kehrt der Kaiser sich auf dem Absatz um und eilt in sein Coupe zurück. Diese armen Enttäuschten hatten nämlich ebenfalls Barchentunterhosen über den Knien. A m Schneeberg erwartete den Kaiser das Damenkomitee, welches durch seine Sammlungen die Erbauung der Elisabeth-Kirche ermöglicht hatte: die Gräfinnen Marie Harrach und Eleonore Hoyos, Baronesse Josefine Schneider-Arno, Frau Käthe Dreher. Messe, dann gemeinsames Gabelfrühstück im Schneeberg-Hotel, bei dem der Kaiser, der eine Abwechslung, wie ein Mahl im Wirtshaus, die er so selten erleben konnte, stets besonders genoß, bester Laune war und mit den Damen scherzte. Wirt Panhans hatte neben dem Speisezimmer einen Rauchsalon mit grünen Gewächsen und einer gipsernen Kaiserbüste ältester Gattung dekorieren lassen, und als dieser zum schwarzen Kaffee betreten wurde und der Kaiser die Büste sah, rief er laut lachend aus: „Das bin nicht ich, das ist der Statthalter". Allgemeine Heiterkeit! Der Kaiser trug als Jäger, und als solchen möchte ich ihn jetzt schildern, das sogenannte steirische Gewand mit der kurzen Lederhose über den stets nackten Knien und hielt, wie in der Kleidung überhaupt, darauf, ein echter Weidmann zu sein, und zwar ein solcher alten Schlages. Dazu aber gehört: abgetragene Kleidung, ein nur einläufiger Stutzen ohne Repetiervorrichtung und ohne Fernrohr. Es wurde mir erzählt, sein alter Leibkammerdiener Kundrath habe ihm vor Jahren einmal die Jagdgarderobe vorgewiesen und eine teilweise Erneuerung derselben verlangt, was der Kaiser entschieden abgelehnt habe. Auf Kundraths Einwurf, wenigstens einige neue Krawatten seien notwendig, habe der Kaiser die vorhandenen gemustert und dann erklärt, er möge die stark verbrauchten zu wieder zu benutzenden zusammenstückeln lassen. Als ich den Kaiser einmal bei einem Schützenfest auf der Militärschießstatt in Wien empfing, es war im Herbst und der Herrscher eben von den Ischler Jagden heimgekehrt, erlaubte ich mir die Frage, ob
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Seine Majestät Weidmannsheil gehabt; worauf der Kaiser erwiderte: „Nein, leider kein besonderes, es geht mir mit den Augen nicht mehr recht zusammen." Ich darauf: „Majestät werden übersichtig, geradeso ist es mir ergangen. Ich habe mir dann ein Fernrohr auf den Stutzen montieren lassen, und nun treffe ich wieder ganz leidlich. Das sollten Majestät auch tun." „O nein, das ist ja unweidmännisch", war die Antwort, auf die ich mir einige Einwendungen zu machen erlaubte. Dann ging es in die Schützenhalle und zu den Vorstellungen der Schützenmeister und anderen. Gleich zu Beginn derselben bittet mich Denk, der Büchsenmacher der Schießstätte, ihn auch Seiner Majestät vorzustellen, und ich bedeute ihm, sich nur unten an die Vorzustellenden anzuschließen. Als die Reihe an ihn kommt, melde ich Seiner Majestät: „Büchsenmacher der Militärschießstätte, Denk, das ist der Mann, der die besten Gucker auf die Stutzen montiert", worauf der Kaiser zunächst mir lachend sagt: „Geben Sie sich nur keine weitere Mühe, Sie kriegen mich doch nicht daran", und dann Denk — aber nicht über Fernrohre — in das Gespräch zieht. Leider habe ich niemals Gelegenheit gehabt, mit dem Kaiser zu jagen. Als ich 1895 als Minister zur Berichterstattung mich nach Ischl begeben wollte, wurde mir schon in Wien von Hof aus bedeutet, ich möge nur meinen Stutzen mitnehmen, denn Seine Majestät werde mich dann sicher zur Jagd befehlen, und so geschah es auch. Aber plötzlich hatte sich der ungarische Ministerpräsident Baron Banffy zur Audienz gemeldet, so daß der Kaiser seine Teilnahme an der Jagd bei Ebensee im letzten Augenblick absagen mußte. Ihn als Jagdherrn vertrat dann sein Schwiegersohn Prinz Leopold von Bayern. Beim Souper nach der Jagd in der Kaiservilla hatte ich dann eine förmliche Prüfung zu bestehen, indem der Kaiser mich über Tisch ausfragte, wieviel Stück Hochwild mir gekommen, auf wie viele, mit wieviel Patronen ich geschossen und wo meine Kugeln das Wild getroffen. So soll er es mit allen seinen Jagdgästen gehalten haben. Seit vielen Jahren war der Kaiser nur noch Kugelschütze auf Hochwild im Gebirge, und zwar eigentlich auch nur von Ischl aus. In seinen jüngeren Jahren hatte er auch gern auf Niederwild gejagt. Eine ganz besonders schöne Jagd gaben damals die Waldstreifen in Göding ab, die Graf Wrbna, der langjährige Generaldirektor der kaiserlichen Familien-Fonds-Herrschaften, dort für ihn organisiert hatte. Als einstmals in den 1860er Jahren schlechtes Wetter eintrat und der Kaiser, schon auf dem Nordbahnhof zur Abfahrt nach Göding eingetroffen, die Jagd dort absagte, war es mit derselben für ihn aus. In allen kom6*
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menden Jahren ließ er sie durch Erzherzoge abhalten und Botschafter und andere Würdenträger dazu einladen. In ähnlicher Weise wurden auch die schönen Niederwildjagden in der Nähe von Wien abgehalten, deren Leitung das eigentliche Ressort des Oberstjägermeisters bildet. Der Kaiser nahm an diesen nie teil. Die einzige dienstliche Obliegenheit dieses hohen Hoffunktionärs dem Kaiser gegenüber bildete, daß er ihm den Beginn des Schnepfenstriciis im Frühjahr zu melden hatte. Der Kaiser fuhr dann wohl das eine oder andere Mal in dessen Reviere hinaus. Die Hochgebirgsreviere gingen den Oberstjägermeister nichts an, der Kaiser verwaltete sie persönlich und ganz privat durch seine Kammer, das ist seine Leibjägerumgebung. Ganz privat ließ er auch die Einladungen an einige wenige Auserwählte zu Jagden in diese seine eigenen Reviere ergehen; so z. B. zu den Auerhahnjagden bei Neuberg in Steiermark, an denen er selbst schon seit Jahren nicht mehr teilnahm. Pflicht des jeweiligen Vertreters des Jagdherrn, des kaiserlichen Schwiegersohnes, Prinz Leopold von Bayern, oder dieses oder jenes Erzherzogs war, von dort aus an jedem Morgen dem Kaiser das Jagdresultat, Fehlschüsse inbegriffen, telegraphisch genau zu melden. Solange der Kaiser noch im Herbst auf seinem ungarischen Besitz Gödöllö Aufenthalt zu nehmen pflegte, hielt er auch dort im wildreichen Schloßpark und seiner Umgebung Jagden ab, bei denen er sich als privater Gutsbesitzer fühlte. Zu diesen Jagden wurden nämlich außer den Herren des Gefolges des Kaisers nur die Ortshonoratioren Gödöllös, Apotheker, Postmeister usw. zugezogen, in deren Mitte er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte und sich wohlbefand. Die Jagd bildete stets das Hauptvergnügen des Kaisers, sie war ihm Bedürfnis zur Erholung von seinen Regierungs- und Familiensorgen, auch von dem Zwang höfischer Etikette, dem er sich sonst nicht zu entziehen vermochte. Erst das zunehmende Alter veranlaßte ihn, in den letzten Jahren immer mehr und mehr auf sein Jagdvergnügen zu verzichten. Ich erwähnte früher, der Kaiser habe mit mir „über Tisch" gesprochen. So wird in Ischl an der runden Tafel konversiert, während überall anderwärts Längstische üblich sind, und der Kaiser nur mit seinen unmittelbaren und daher ranghöchsten Nachbarn zu reden pflegte. So mußten es dann auch die anderen Gäste untereinander halten — und es herrschte Flüsterton. In Ischl aber und in seinen Jagdhäusern streifte der Kaiser die ihm selbst offenbar lästige Etikette möglichst ab und war der liebenswürdigste Hausherr.
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Als ich einmal in Ischl zur Tafel befohlen war, stand der Kaiser in der Haustür seiner Villa, um seine Gäste zu empfangen! In seinen Jagdhäusern soll er seine Gäste oftmals um ihre Lieblingsspeisen befragt und diese dann bestellt haben. Ebenso ganz ohne Etikette ging es auf Reisen zu. War man Gast des Herrschers in seinem Salonwagen, so bot er einem aus seiner eigenen Zigarrentasche zu rauchen an, und man f r ü h stückte mit ihm ganz ungezwungen, auch oft die Teller auf den Knien haltend. Einstmals auf einer Reise nach Mariazell von St. Pölten aus auf der niederösterreichischen Landesbahn, brachte der Leibjäger Seiner Majestät das ihm als Vormittagsstärkung verordnete Gläschen Kognak nebst einem Duodez-Salzstangel. Der Kaiser trank, sah mich an u n d fragte: „Mir scheint, Sie möchten auch einen?" Ich: „Natürlich, Majestät, der H o f k o g n a k ist so vorzüglich, daß ich bei jeder H o f t a f e l davon zu trinken pflege." Der Kaiser: „Ja, der ist gut, aber hier habe ich meinen eigenen Privatkognak, der ist noch viel besser. Sie sollen ihn kosten, hoffentlich haben wir ein zweites Stamperl mit." Der Leibjäger verneint, worauf ich: „Dann muß ich um einen Kognak bitten, damit es mir eine schöne Erinnerung bleibe, mit meinem Kaiser aus demselben Glase getrunken zu haben." U n d lachend reicht der Kaiser sein Stamperl her und läßt es mir füllen. Bei solchen Reisen unterhielt sich der Kaiser oft und gern mit mir über die Jagd, er wußte ja, daß ich ein passionierter Jäger sei, der ich auch bei der Huldigung der Weidmänner Österreichs beim Jubiläum des Kaisers zugegen und vom Herrscher besonders gnädig angesprochen worden war. Bei allen diesen Jagdgesprächen kam der Kaiser fast regelmäßig auf das Thema: Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Massenschießerei, die ihm ein D o r n im Auge war, und über die er sich in oft starken Worten ausließ. E r brachte mich dann in Verlegenheit mit Fragen, wie z . B . : „Kürzlich hat der Erzherzog im Lainzer Tiergarten einige hundert Stück abgeschossen, unbegreiflich, das sind doch Haustiere, finden Sie so etwas weidmännisch?" Von der Reise nach Mariazell, 1910, hätte ich noch nachzutragen, daß der Kaiser bei dieser und namentlich bei dem echten sogenannten Pfarrerdiner im Superioratshaus in Mariazell, bei welchem die zahlreichen, demselben beigezogenen St. Lamprechter Ordenspriester am untern Ende der Tafel es sich recht wohlschmecken ließen und fleißig Champagner tranken, trotzdem es sich deshalb über die programmmäßige Zeit hinzog, besonders guter Laune war. So manches dabei, als völlig neu, unterhielt ihn. Bei einigen ganz besonders primitiven
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Speisen meinte er: „So etwas habe ich noch nie gegessen, aber es schmeckt ganz gut." Ich erinnere mich nicht mehr, wie die Rede auf lange Dienstzeit k a m , dabei sagte ich Seiner Majestät, d a ß ich schon über 40 J a h r e diene u n d d a ß ein E r l a ß des Ministerpräsidenten T h u n bestehe, wonach m a n sich mit dieser Dienstzeit in den Ruhestand zurückzuziehen habe; ich w e r d e Seine Majestät demnächst um meine Pensionierung bitten. D e r Kaiser erwiderte lebhaft hierauf: „Aber, w o denken Sie hin, ein solcher E r l a ß , w e n n er besteht, gilt doch nicht f ü r M ä n n e r wie Sie", u n d w a n d t e sich sofort an seinen Nachbarn z u r Linken, den Statthalter in Steiermark, G r a f Clary, um diesem zu wiederholen, was er mir soeben gesagt. U m die spätere H a l t u n g Seiner Majestät mir gegenüber zu erklären, m u ß ich nun noch etwas weiter ausholen u n d Persönliches vorbringen. Ich hatte nämlich damals bereits der Regierung erklärt, ich sei mit erreichtem 40. D i e n s t j a h r bereit, meinen Statthalterposten zu räumen, sobald diese ihn zur Besetzung mit einer a n d e r n geeigneten Persönlichkeit freizumachen wünsche; dabei setze ich allerdings voraus, d a ß man mir, da ich mich noch rüstig fühle, eine mir zusagende V e r w e n d u n g zusichere. Als solche bezeichnete ich den Posten des Gouverneurs der Bosnischen Landesbank, der über Vorschlag der letzteren durch die gemeinsame Regierung beziehungsweise durch den Kaiser zu besetzen ist. Ich k o n n t e beifügen, d a ß der G o u v e r n e u r dieser Bank, Geheimrat v o n Jansekovich, als hochbetagt u n d kränklich, sich zurückzuziehen wünsche, und d a ß mir v o n Seiten derselben und des hinter ihr stehenden Wiener Bankvereins der Wunsch ausgesprochen sei, mich in Z u k u n f t an der Spitze der Bosnischen Bank zu sehen, diese werde mich vorschlagen, meine Sache aber sei es, mir die Genehmhaltung dieses V o r schlages durch die Regierung zu sichern. Zu diesem Zweck konnte ich darauf hinweisen, d a ß es üblich sei, einem langgedienten Staatsbeamten eine Stellung zu gewähren, in der er seine gesammelten E r f a h r u n g e n noch betätigen könne u n d auch einen wenigstens teilweisen Ersatz an Funktionsgebühren u n d Aktivitätszulagen finde, deren er bei der Pensionierung verlustig gehe. D e r damalige Ministerpräsident Baron Bienerth erklärte mir nun, er selbst aspiriere f ü r den Z e i t p u n k t seines Zurücktrittes von seiner leitenden Stellung auf meinen Statthalterposten, dieser sei ihm auch von Seiner Majestät bereits allergnädigst zugesichert worden, und was meinen Wunsch anbetreffe, so sei dieser nur bescheiden und begreiflich; die Zusicherungen, d a ß er im gegebenen M o m e n t erfüllt werde, wolle er sofort erwirken.
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Kurze Zeit hienach erklärte mir Ministerpräsident Baron Bienerth, die Sache sei in Ordnung, der Minister des Äußeren Graf Aehrenthal habe sie dem Kaiser vorgetragen, und dieser habe gern zugestimmt. Baron Bienerth begleitete dann den Kaiser auf dessen Reise nach Bosnien und erzählte mir, kaum von dort zurückgekehrt, der Kaiser habe in Sarajewo gefragt, ob ich als Bankgouverneur nicht zugegen sei, worauf Seiner Majestät erwidert worden sei, daß man die Berufung auf diesen Posten ihm erst im Zeitpunkt meines Rücktrittes als Statthalter von Niederösterreich vorzuschlagen beabsichtige. Der Kaiser war also der irrigen Meinung gewesen, er habe mich bereits ernannt, während er in Wirklichkeit nur genehmigt hatte, ihm diesen Ernennungsvorschlag zur gegebenen Zeit zu unterbreiten, was bei dem vielbeschäftigten H e r r n wohl ganz begreiflich erscheint. Ich sah meine Zukunft nun f ü r ganz gesichert an und wollte mein Pensionsgesuch gern sofort einbringen, aber Bienerth beschwor mich förmlich, zu bleiben, mein Statthalterposten könne doch nicht längere Zeit unbesetzt bleiben, um für ihn freigehalten zu werden, und dann liege der Regierung sehr daran, daß ich mit meinen Erfahrungen noch die in der ersten H ä l f t e des kommenden Jahres 1911 bevorstehenden neuen Reichsratswahlen in Niederösterreich durchführe. Bis dahin hatte ich diese meine Sache ausschließlich mit Bienerth unter vier Augen besprochen. Es war gewiß kein Mißtrauen gegen diesen, den ich f ü r ehrlich hielt, welches mich damals veranlaßte, mich als Kandidaten für den erwähnten Gouverneursposten dem kompetenten Minister für Bosnien und die Herzegowina, Baron Burian, vorzustellen. Als mir dieser nun versicherte, er sei in der Sache informiert, war ich vollends beruhigt. Nicht im entferntesten fiel es mir auf, daß Burian mir nicht ausdrücklich versprach, mich seinerzeit zur Ernennung vorschlagen zu wollen; auch daran dachte ich nicht, daß es doch gut sei, etwas Schriftliches über Regierungsversprechungen in H ä n d e n zu haben. Ich informierte lediglich die Bosnische Bank über den Stand der Dinge, diese informierte mich über den Stand ihrer Geschäfte, und es wurde mit Jansekovich vereinbart, daß er sich schonen, die Strapazen der Reisen nach Bosnien vermeiden, aber noch einige Zeit auf seinem Posten ausharren möge. Es war unmittelbar hierauf, daß der Ausspruch Seiner Majestät über mein Verbleiben im Staatsdienst zu Mariazell erfolgte. K a u m waren die Reichsratswahlen im Juni 1911 vollzogen, als sich Bienerth auf seinem Ministerpräsidentenposten nicht mehr sicher fühlte und mich nun bat, als ich einen Urlaub zu einer Reise nach Frankreich antreten wollte, ihm mein Pensionsgesuch behufs Vorlage desselben an
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den Kaiser „im gegebenen Moment" anvertrauen zu wollen. Er meinte, dieser werde im Herbst eintreten, und ich fragte nur, ob ich auch des Gouverneurpostens ganz sicher sei, was er bejahte. Am nächsten Tag hatte er mein Pensionsgesuch in H ä n d e n , und ich drei Tage darauf in Paris meine Pensionierung! Bald nach Wien heimgekehrt, um mein A m t zu übernehmen, treffe ich meinen Nachfolger Bienerth nicht mehr an, er war auf Urlaub gefahren, höre aber sofort v o m Vorstand des Statthalterei-Präsidialbüros, meine Berufung zum Gouverneur der Bosnischen Bank sei zwar in den Zeitungen bereits angekündigt worden, aber durchaus nicht sicher; Gautsch, der neue Ministerpräsident, versichert mir, Bienerth habe ihn ersucht, sich meiner Sache anzunehmen, doch Burian sei ihr abhold, so daß er, Gautsch, sich dieserhalb an den Kaiser gewendet habe, dasselbe habe aber auch Burian in einem mir nicht günstigen Sinne getan. N u n folgt meine Audienz beim Kaiser, dem ich sage: „Geruhen Euer Majestät meinen alleruntertänigsten D a n k f ü r das anläßlich meiner erbetenen Übernahme in den Ruhestand an mich gerichtete in so überaus gnädigen Worten abgefaßte Allerhöchste Handschreiben sowie auch f ü r die vielfachen, während meiner Dienstzeit mir immer wieder u n d wieder erwiesenen Allerhöchsten Gnadenbezeugungen huldvollst entgegenzunehmen." Der Kaiser wörtlich: „Nicht Sie haben heute zu danken, sondern ich f ü r die vielen und ausgezeichneten Dienste, die Sie in den verschiedensten Verwendungen mir und dem Staat geleistet haben." Es folgten dann noch einige gnädige Worte und Fragen, unter anderem auch über mein zukünftiges Domizil. Die letztere veranlaßte mich, dem Kaiser zu sagen, ich wisse vom Ministerpräsidenten, daß Seine Majestät geruhen wollten, sich auch noch f ü r meine zukünftige Verwendung zu interessieren, in welcher Beziehung ich mir erlaube, das Allerhöchste Wohlwollen zu erbitten. Diese meine Worte schienen mir ganz deutlich den Kaiser in Verlegenheit zu setzen; er antwortete nicht darauf, hatte zwar noch einige gnädige Redensarten, aber die Audienz war zu Ende und ich — abgetan. Dies war meine letzte Begegnung mit dem Kaiser. Die geschilderte Verlegenheit des Kaisers war mir recht sehr aufgefallen; ich beschloß, meiner Gouverneursache energisch nachzugehen. Eine Anfrage, wann Aehrenthal, der ja meine Ernennung mit dem Kaiser vereinbart haben sollte, f ü r midi zu sprechen sei, hatte negativen Erfolg; er war damals schon k r a n k ; es wurde sich darauf, und daß er vielbeschäftigt sei, berufen. N u n ging ich zu Burian, der sehr zuge-
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knöpft war. Er habe früher allerdings geglaubt, daß es möglich sein werde, aber die vorzeitige Veröffentlichung meiner Berufung auf den Gouverneurposten habe meiner Sache geschadet, in Bosnien verlange man jetzt einen Einheimischen f ü r den Posten, es sei zum mindesten abzuwarten, daß sich die öffentliche Meinung dort beruhige, und einstweilen habe Jansekovich nicht demissioniert. Dieses tat der letztere aber ganz kurz darauf, und Burian übernahm zwar sein Enthebungsgesuch, erklärte ihm aber, es bis auf weiteres nicht erledigen zu können; mir schrieb er gleichzeitig, ich möge mir auf die Erlangung des Gouverneurpostens keine H o f f n u n g mehr machen und mich lieber um anderes umschauen, denn die Pressestimmen in Bosnien seien durchaus gegen midi und verlangen einen Einheimischen, und er, der Minister, werde dieser öffentlichen Meinung Rechnung tragen müssen. Über diese Auskunft war niemand erstaunter als die Bosnische Bank, die mir auf Grund genauer Nachforschung in Sarajewo versichern konnte, daß sich in Bosnien niemals eine Stimme gegen mich erhoben habe, und daß über die Gouverneursfrage keine bosnische Zeitung je geschrieben habe. Burian hatte also direkt gelogen und ganz zweifellos in meiner Sache auch den Kaiser schon früher angelogen. Ich antwortete ihm schriftlich, daß ich einen Anspruch auf die Erfüllung einer mir mit direkter Berufung auf Seine Majestät gegebenen Regierungszusicherung nicht aufgeben könne. Meine gesamte Korrespondenz in dieser Angelegenheit befindet sich unter meinen geordneten Papieren. Im Februar 1912 starb meine arme Frau, nachdem sie sich noch sehr über die mir nicht eingehaltene Zusage erregt hatte. Generaladjutant Graf Paar telegraphierte mir warme Beileidsworte im Namen des Kaisers, ich bat ihn auf demselben Wege, meinen D a n k allerhöchsten Orts zu unterbreiten. Als er mir aber kurz darauf mündlich eröffnete, es sei in derlei Fällen üblich, bei Seiner Majestät in Audienz zur Danksagung zu erscheinen, der Kaiser werde midi auch sicherlich gern sehen, folgte ich seinem Rat, mich beim Kabinettsdirektor Baron Sdiiessl um die Erwirkung einer Audienz zu bewerben. Meinen Besuch bei Schiessl, der mir wahrscheinlich — ich kann nur vermuten wegen meiner guten Beziehungen zum Thronfolger — nicht gutgesinnt war, benutzte ich dazu, um ihn — es war das ein nicht gehörig überlegter Schritt von mir — über Burians lügnerisches Vorgehen mir gegenüber zu informieren. Über mein Audienzgesuch erhielt ich 14 Tage lang keine Antwort, dann aber lautete sie dahin, der Kaiser habe meine durch den Generaladjutanten an ihn gelangte Dankeskundgebung bereits zur Kenntnis genommen. Schiessl scheint also angenommen zu
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haben, d a ß ich die A u d i e n z beim K a i s e r d a z u benützen werde, mich über B u r i a n u n d die R e g i e r u n g z u beschweren, w a s v e r m i e d e n werden sollte. Vielleicht hatte auch der K a i s e r selbst die Verlegenheit
mir
gegenüber noch nicht überwunden, d a er entgegen einer m i r gemachten Z u s a g e v o n Burian für einen a n d e r n G o u v e r n e u r s k a n d i d a t e n „ d a r a n g e k r i e g t " worden war, u n d daher die A b l e h n u n g der A u d i e n z . Ich sollte b a l d über alles a u f g e k l ä r t werden. G e n e r a l
Potiorek,
j e t z t so unseligen Andenkens, w a r nämlich in der f ü r mich kritischen Zeit z u m Landeschef v o n B o s n i e n - H e r z e g o w i n a ernannt w o r d e n u n d h a t t e in seinem G r ö ß e n w a h n , u m die Z ü g e l der R e g i e r u n g des L a n d e s v o l l ergreifen zu können, die Beseitigung des Z i v i l a d l a t u s verlangt, dieser a b e r sollte mit d e m G o u v e r n e u r p o s t e n entschädigt w e r d e n . D e r T h r o n f o l g e r E r z h e r z o g F r a n z F e r d i n a n d hatte sich meiner gerechten Sache annehmen wollen, w a r ihr nachgegangen, hatte die Wahrheit d a r ü b e r erfahren und ließ mir diese s o f o r t durch seinen O b e r s t h o f meister B a r o n Rumerskirch mit dem B e i f ü g e n verkünden, d a ß P o t i o r e k nicht umzustimmen sei. E t w a zu derselben Zeit trat nun auch die Bosnische B a n k an mich m i t dem Ersuchen heran, sie ihres mir gegebenen Wortes, mich z u m G o u v e r n e u r vorzuschlagen, zu entbinden; bei ihr gelte der G r u n d s a t z : „ E i n M a n n , ein W o r t " , den die R e g i e r u n g nicht z u kennen scheine. Sie w e r d e zu diesem ihr peinlichen Schritt mir gegenüber durch Pressionen d e r bosnischen L a n d e s r e g i e r u n g gezwungen. N a t ü r l i c h gab ich dieser B a n k , deren Geschäftstätigkeit sonst stören zu lassen, doch nie meine Sache hätte sein d ü r f e n , ihr W o r t s o f o r t zurück. D e r Vollständigkeit meiner a k t e n m ä ß i g e n Schilderung der d a m a l i gen V o r k o m m n i s s e wegen f ü h r e ich noch den beinahe komischen U m s t a n d an, daß der von P o t i o r e k z u beseitigende Z i v i l a d l a t u s B a r o n B e n k ö den ihm angebotenen Posten geschmackvoll mit der B e g r ü n d u n g ausschlug, er wolle sich nach G ö r z u n d nicht nach Wien zurückziehen; u n d so mußte denn die B a n k den nächsten A n w ä r t e r auf diesen Zivila d l a t u s p o s t e n in S a r a j e w o , den P o t i o r e k nun auch beseitigt
haben
wollte, nämlich den dortigen Sektionschef B a r o n Pittner, z u m G o u verneur vorschlagen, der d a n n auch v o m K a i s e r ernannt w u r d e . Inzwischen w a r nun auch G r a f S t ü r g k h österreichischer Ministerp r ä s i d e n t geworden, und ich hatte nicht unterlassen, ihn schriftlich v o n der
mir
seinerzeit
gemachten
Zusage
zu
verständigen.
Nach
der
e r w ä h n t e n Besetzung des G o u v e r n e u r p o s t e n s ließ er mich z u sich bitten u n d eröffnete mir, dem K a i s e r sei die m i r gemachte Z u s a g e bekannt, ich müsse in anderer Weise entschädigt w e r d e n , über das w i e habe er
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dem Kaiser zu berichten. Er sei bereit, sich Mühe zu geben, mir eine Verwaltungsratsstelle bei der Alpine-Montan-Gesellschaft zu erwirken. Dieses „freundliche" Anerbieten lehnte ich mit den Worten ab, „ich sei genügend über die Verhältnisse bei dieser Industriegesellschaft, die keinen Regierungsmann oder eine f ü r einen solchen geltende Persönlichkeit in ihrer Mitte zu haben wünsche, informiert, und sei loyal genug, nicht zugeben zu können, daß der Ministerpräsident sich meinethalben von dieser Gesellschaft eine ablehnende A n t w o r t hole; auch komme es mir gar nicht auf eine materielle Besserung meiner L a g e an, ich führe zumal seit dem T o d e meiner Frau kein großes H a u s mehr, und auch bei dem angestrebten Gouverneurposten sei es mir hauptsächlich auf den damit verbundenen, meinen Fähigkeiten zusagenden Wirkungskreis angekommen. D a ß dieser Posten mir nicht zuteil geworden, sei in Beamtenkreisen und sogar der Öffentlichkeit viel besprochen worden, von Uninformierten auch in einem mir nachteiligen Sinne. D a b e i sei auch vielfach kommentiert worden, daß ich, der doch leitender Minister gewesen, bei dem letzten Pairsschub und auch schon früher bei dem Rücktritt aus der Aktivität, nicht in das Herrenhaus berufen worden sei. Unter diesen Umständen könne mir nur eine Schadloshaltung in honorifico erwünscht sein, und das w ä r e meine sofortige Berufung in das Herrenhaus. Stürgkh ging auf diese Idee sofort ein, es seien seit dem jüngsten Pairsschub durch Todesfälle schon wieder einige Lücken im Herrenhaus eingetreten; er fragte auch, welcher Parteigruppe ich mich anzuschließen gedenke und erklärte sich von meiner betreifenden Auskunft befriedigt. J a er ging so weit, mir einen A k t betreffend des letzten Pairsschubes zur Einsicht vorzulegen, und zwar, wie er sagte, damit ich mich überzeuge, daß zwingende G r ü n d e für ihn vorhanden gewesen, und er mich daher in die Liste der zur Berufung Vorgeschlagenen nicht habe aufnehmen können. Diese Gründe aber waren so merkwürdiger N a t u r , daß ich sie in diesem der Charakteristik des Kaisers gewidmeten A u f s a t z nicht übergehen möchte. Stürgkh erklärte mir also an H a n d des Aktes, bei dem letzten Schub haben nach dem üblichen länderweisen Verteilungsschlüssel nur zwei Persönlichkeiten aus Niederösterreich berufen werden können, was ich als richtig anerkennen konnte. Er fuhr dann fort, die eine dieser Persönlichkeiten sei der pensionierte Gesandte B a r o n Heidler von Egeregg, der in Wien domiziliere und dessen Berufung einer der letzten Wünsche des sterbenden Aehrenthal gewesen, der zweite aber der Landmarschall Niederösterreichs, Prinz Aloys Liechtenstein, dessen
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Berufung die Christlichsozialen verlangt haben. Es hatte also Aehrenthal noch von seinem Totenbett aus dem Thronfolger, von dem er wußte, daß dieser schon längst — und heute kann man sagen, wegen dessen vieler politischer Fehler — wohl mit Recht auf seinen Sturz hinarbeitete, noch etwas recht Unangenehmes antun lassen wollen. Zur Erklärung füge ich bei, daß, als der Thronfolger tuberkelkrank nach Ägypten zum Winteraufenthalt geschickt wurde und niemand mehr an seine später so merkwürdige Wiedergenesung dachte, Heidler in Kairo als unser Gesandter fungierte. Er soll sich damals kaum um den kranken Erzherzog gekümmert haben, was dieser ihm derart verübelte, daß er, zurückgekehrt, seine Pensionierung verlangte, die der Kaiser dann auch vollziehen ließ. Wußte der Kaiser, als er Heidler nun in das Herrenhaus berief, nicht mehr, weshalb er einige Jahre zuvor die auffallende Pensionierung vollziehen hieß, oder war er nun damit einverstanden, d a ß dem Thronfolger etwas Unangenehmes angetan werde, denn dieser hatte Heidler nicht verziehen? Wegen Liechtensteins Berufung konnte ich mich nicht enthalten, Stürgkh eine Bemerkung zu machen, und diese lautete: „Ich bin genug in der Politik erfahren, um die Notwendigkeit der Berufung Liechtensteins zu begreifen, dennoch möchte ich darauf aufmerksam machen, d a ß ich 22 Jahre Statthalter von Niederösterreich w a r und mir schmeicheln darf, vielleicht doch einiges auf meinem Posten geleistet zu haben, Liechtenstein aber ist kaum zwei Jahre auf dem seinen." H a t mir Stürgkh meine Bemerkung über die letzten Berufungen ins Herrenhaus übelgenommen? Ich weiß dies ebensowenig wie das, was er dem Kaiser, der mich entschädigt wissen wollte, über midi und meine Wünsche berichtet hat. N u r die Tatsache steht fest, daß ich nicht in das Herrenhaus berufen wurde, obwohl mehr als drei Jahre seit meinem Besuch bei Stürgkh vergangen sind. Aber er schickt mir zu jedem N e u j a h r eine Glückwunschkarte, auf die ich jedesmal mit einer solchen antworte. Das sind meine Beziehungen zur Regierung des Kaisers. Man hört im Volke oft von der „Dankbarkeit des Hauses Habsburg" reden. Der Kaiser kargt nie mit seinem D a n k und gibt ihm gern mit warmen Worten Ausdruck. Ich habe das an mir selbst erfahren, so wie ich es oben anläßlich meiner Audienz in Ischl 1895 und meiner Abschiedsaudienz 1911 schilderte. Ähnliches hörte ich auch oft von anderen Kollegen, freilich von Wohlinformierten auch, daß, wenn der Kaiser einmal einem Minister oder anderen Staatswürdenträger gedankt habe, er sich als abgetan zu betrachten habe. Man darf eben nicht vergessen, daß, wenn der Kaiser dankt, er dies nicht als Privat-
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mann, sondern als Staatsoberhaupt tut, das den Staatsdiener durch einen anderen ersetzt, sobald es glaubt, daß dieser andere die Staatszwecke zu fördern geeigneter sei. Der abtretende Staatsdiener hat aber dann, wie der Dienstbote in einem Haushalt, den Anspruch auf ein gutes Zeugnis. Nach Ausstellung des letzteren hören aber seine weiteren Beziehungen mit dem Haushaltsvorstand auf. Diese waren eben nur dienstlicher, nicht aber privater N a t u r . Privatmann ist der Kaiser auch nicht als Oberhaupt seiner Familie, ich konnte das in seinem Verkehr mit den Erzherzogen oft beobachten und hörte auch so manches darüber. Zwar steht er natürlich mit den Mitgliedern seines Hauses ohne Ausnahme auf dem vertraulichen D u z fuß, diese hatten dem Du aber immer Majestät beizufügen, was Vertraulichkeit schon einigermaßen ausschloß. Nach meinen Wahrnehmungen stand nur der verstorbene Hoch- und Deutschmeister, Erzherzog Wilhelm, mit dem Kaiser auf einem intimeren Fuß. Der aber war sein Altersgenosse und Jugendgespiele, einer der liebenswürdigsten Charaktere, die man sich denken kann, fern jeder politischen Ambition, die den Kaiser hätte stören können. Dazu kam, daß er auch ein guter Gesellschafter war, der unter anderem die neuesten Anekdoten prächtig zu erzählen wußte. So oft ich ihn bei festlichen Anlässen in der Nähe des Kaisers sah, zog ihn der letztere in längere Gespräche und heiterte sich, wie ich beobachtete, stets dabei auf. Aber außer solchen besonderen Anlässen hatte auch Erzherzog Wilhelm keinen näheren Hausverkehr mit dem Kaiser. Feldmarschall Erzherzog Albrecht stand beim Kaiser stets in hohem Ansehen, militärische Dinge besprach er gern mit ihm und holte seinen Rat ein, aber das war auch alles. Der familiäre oder gesellschaftliche Verkehr des Kaisers mit den Mitgliedern seines Hauses beschränkte sich auf die an gewissen Festtagen des Jahres stattfindenden sogenannten Familiendiners, bei denen es herzlich steif zugegangen sein soll. Für die jüngeren Erzherzoge und Erzherzoginnen war der Kaiser doch stets nur das gestrenge Oberhaupt der Familie, welches nach dem Hausgesetz fast unumschränkte Gewalt über sie hatte und in ihre private Lebensführung durch Ordonnanzen des Ersten Obersthofmeisters eingriff, sobald ihm dies angezeigt erschien. Der Besuch von Klubs wurde den Erzherzogen verboten, jüngst auch noch zweien derselben, sich mit ihren Automobilen an der großen internationalen Alpenfahrt zu beteiligen. D a ß des Kaisers Schwiegersohn sich nicht getrauen darf, eine Anregung wegen einer Auszeichnung vorzubringen, habe ich schon oben erwähnt und kann noch beifügen, daß Generaladjutant Graf Paar, der
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den Kaiser bei seinen Besuchen in dem Schlosse seiner Tochter in Wallsee stets begleitete, mir mehrmals sagte, die Langeweile dort sei kaum auszuhalten, denn niemand getraue sich ein Wort zu sagen, und so stocke die Konversation bei Tisch und abends fast gänzlich. Das sich immer schwieriger gestaltende Verhältnis des Kaisers zu seinem Neffen, dem Thronfolger, verdient eine Beleuchtung meinerseits, der ich darüber stets ziemlich genaue Informationen hatte. Ich schicke voraus, d a ß es wohl allgemein menschlichen Gefühlen entspricht, daß ein Vater, der seinen einzigen Sohn und Erben plötzlich verliert, dem Neffen u n d „Geschäftsnachfolger" nicht die gleiche Zuneigung entgegenzubringen vermag, wie dem ersteren. Auch Kronprinz Rudolf war ein leidenschaftlicher Jäger und dabei auch etwas Vielschießer gewesen. Der Kaiser hatte ihm die hochwildreichen Reviere der kaiserlichen Familienfonds-Herrschaften O r t h und Eckartsau am linken Donauufer nächst Wien samt der dem Kaiserhaus grundbücherlich vorbehaltenen Jagd auf der von Kaiserin Maria Theresia dem Wiener Armenfonds geschenkten Herrschaft Kaiserebersdorf (der Lobau) zur Ausübung des Weidwerks überlassen, und der Kronprinz hatte das Wild, namentlich im Marchfeld bei Orth, derart überhegt, daß die gesamten Einnahmen der genannten Herrschaften auf Zahlung von Wildschadenvergütungen an die benachbarten Bauern draufgingen. Nach dem Tode des Kronprinzen hatte aber der Generaldirektor des kaiserlichen Familienfonds, Baron Chertek, dem Kaiser diese Verhältnisse geschildert und ihn, da er doch wohl nicht mehr die Absicht haben würde, in den Donauauen auf Hochwild zu jagen, gebeten, das gesamte Hochwild dort abschießen lassen zu dürfen. Der Kaiser hatte dieses sofort genehmigt und das Jagdpersonal den Befehl zum völligen Abschuß erhalten. Dies erfuhr Erzherzog Franz Ferdinand, ging zum Kaiser und bat um die Erlaubnis, sich am Abschuß beteiligen zu dürfen, die der Kaiser ihm nicht abschlagen konnte oder wollte. Sein nächster Weg w a r zu Chertek, dem er trocken eröffnete, er werde das Hochwild auf Grund der kaiserlichen Erlaubnis allein und ohne Beihilfe des Jagdpersonals abschießen. Das tat er in den ersten Jahren nur ganz pro forma, so daß sich der Wildstand rapid vermehrte, und im Verhältnis damit auch die Wildschadenkosten schnell anstiegen. Der Erzherzog hatte den Kaiser also gründlich „darangekriegt". Obwohl Chertek, von dem persönlich ich dies alles weiß, es sich mit dem Thronfolger nicht verderben wollte und diesen nicht direkt bei Seiner Majestät verklagte, mußte er doch berichten, daß es notwendig
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sein werde, die sämtlichen Auen der weit ausgedehnten Reviere mit einem festen Drahtgitter zu umzäunen, damit die Wildschadenkosten noch erschwinglich seien. Dieser Drahtzaun verschlang mehrere Jahresrevenuen der Herrschaften. D a ß der Kaiser über dieses Gehaben des Erzherzogs in O r t h und Umgebung ungehalten war, geht deutlich aus einer Chertek gegenüber gemachten Bemerkung hervor. Als dieser ihm nämlich einmal Meldung von einer den Herrschaften vom DonauRegulierungsfonds f ü r zu Donaubauzwecken eingelöste Grundstücke geleisteten größeren Geldentschädigung machte, sagte der Kaiser: „Das also ist die einzige Einnahme, die ich seit den letzten Jahren von diesem großen Besitz habe." Dem Erzherzog aber getraute er sich nie Bemerkungen über seinen Jagdbetrieb dort zu machen, so daß dieser sich immer mehr als H e r r der genannten Herrschaften fühlte und endlich sogar das etwas verwahrloste Jagdschlößchen Eckartsau auf das prächtigste renovieren ließ, dort Séjours abhielt und den deutschen Kaiser zu großartigen Hochwildjagden empfing. Mit dieser meiner Schilderung eilte ich eben früheren Zeitepochen voraus. Ich muß nachholen, daß, als in den 1890er Jahren sich beim Erzherzog eine sehr ernste Tuberkuloseerkrankung zeigte, so daß die Ärzte ihn als verloren betrachteten und seine schleunige Abreise nach Ägypten anordneten, der Kaiser alle Anordnungen traf, daß nun Erzherzog Otto die repräsentativen Funktionen als Quasi-Thronfolger erfülle. Zu diesem Zweck wurde er nach Wien berufen, hier mit dem Kommando einer Kavallerie-Truppen-Division betraut, ihm das Augartenpalais, umgebaut, zur Residenz angewiesen, ihm in der Person des Fürsten Montenuovo ein Obersthofmeister anstatt des bisherigen einfachen Kammervorstehers zugeteilt und der Betrieb seines Haushaltes fast zur Gänze von der kaiserlichen H o f h a l t u n g übernommen. N u r damit Erzherzog Franz Ferdinand sich nicht als gar zu sehr in den Hintergrund gerückt betrachte, wurde auch ihm in der Person des damals eben vom Statthalterposten in Prag zurückgetretenen Grafen (jetzt Fürsten) Franz Thun ein Obersthofmeister ernannt, und z w a r ohne daß er gefragt worden wäre, ob dieser ihm auch genehm. Das aber hat er Thun lange nicht verzeihen können, aber auch dem Kaiser grollte er dieserhalb. Es geschah beinahe ein Wunder, daß Franz Ferdinands Tuberkeln sich einkapselten, und nach kaum Jahresfrist erschien er gesünder als je auf dem Wiener Platz mit dem Justamentvorsatz, seine Rechte als Thronfolger ostentativ auszunützen. Das mußte der Kaiser merken, und es gefiel ihm nicht.
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N u n hieß es, er müsse heiraten, und so lud ihn denn Erzherzog Friedrich, der damals in Preßburg als kommandierender General wohnte, in der Absicht zu sich ein, daß er an einer seiner vielen Töchter Gefallen finden möge. Das war nicht der Fall, wohl aber gewann bei diesen Besuchen die H o f d a m e Gräfin Sophie Chotek sein H e r z . Näheres über den Beginn und den weiteren, etwas romanhaften Verlauf dieser Liebschaft schildere ich, wohlinformiert, noch an anderer Stelle. Hier habe ich nur zu sagen, d a ß der Kaiser auf das äußerste gegen den Erzherzog aufgebracht war, als dieser mit der Bitte vor ihn hintrat, die unebenbürtige Gräfin Chotek heiraten zu dürfen. Alles mögliche wurde unternommen, um den Erzherzog von seinem Vorhaben abzubringen, unter anderem sein früherer Religionslehrer, der Wiener Weihbischof Dr. Godfried Marschall, ins Feld geschickt, dem der Erzherzog die Stellungnahme gegen ihn nie wieder verzieh. Alles vergebens. Endlich fand Erzherzog Franz Ferdinand einen Fürsprecher seiner Herzenssache in der Person des ungarischen Ministerpräsidenten, u n d nun wurde der Kaiser darangekriegt. Beck, der nachmalige Ministerpräsident in Wien, der dem Erzherzog früher Vorträge über Verfassungsrecht und Verwaltungskunde gehalten hatte, arbeitete die Verzichtsleistungserklärungen des Heiratskandidaten f ü r seine Nachkommen hinsichtlich der Thronfolge aus, die dieser zu beschwören hatte und die die Parlamente „beider Staaten" zur Kenntnis nahmen, u n d die Heirat fand statt. Sophie Chotek mußte wohl eine Standeserhöhung zuteil werden, aber der Kaiser respektierte die Rechte der ehemaligen deutschen Reichsfürstenhäuser und ernannte sie daher nur zur österreichischen Fürstin Hohenberg, die den Rang hinter den Reichsfürstinnen, aber vor den österreichischen Fürstinnen haben sollte. Auch erließ er genaue Vorschriften, dahin abzielend, daß die gefürstete Gattin des Thronfolgers keinerlei Rechte oder Prärogative einer Erzherzogin genieße. Sie sollte nicht im Hofkortege bei Festlichkeiten aufmarschieren, keine H o f l o g e benützen, nicht im goldgeränderten H o f w a g e n an der Seite ihres Gatten sitzen dürfen und dergleichen den Erzherzog ärgernde Kleinigkeiten mehr. Dem jungen Ehepaar wurde das Prinz-Eugen-Schloß Belvedere eingeräumt, in dem, auf das prächtigste eingerichtet, es viele Gäste bei sich sah, u n d diese durch ausgesuchteste Liebenswürdigkeit zu bestricken verstand. Der Kaiser hatte dem Erzherzog gewisse Agenden der Verwaltung, so unter anderem den Stadterweiterungsfonds (Ausbau der H o f b u r g ) zur selbständigen Erledigung überlassen, dieser aber hätte
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gern auch Einfluß auf Staatsangelegenheiten politischer N a t u r genommen und war ewig gekränkt, daß der Kaiser ihn systematisch von diesen fernhielt. Die Folge davon war, d a ß der Erzherzog sich mehr und mehr von Wien fernhielt, aber wenn er da war, doch die Minister und andere Staatsmänner zu sich beschied, um von diesen informiert zu werden. Allmählich ging er weiter und erstrebte bei diesen Berücksichtigung seiner Wünsche und Anschauungen, die sich mit denen des Kaisers nur selten deckten. Aber die genannten Staatsmänner wollten es sich in so manchen Fällen mit dem Thronfolger f ü r die Zukunft nicht verderben, und so entstand allmählich so eine Art von Nebenregierung vom Belvedere aus. Der Kaiser wurde wohl meist im dunkeln darüber gehalten, was dort ausgekocht worden war, wenn er aber das eine oder andere Mal davon erfuhr, und Kabinettsdirektor Schiessl sorgte dafür, dann war er äußerst aufgebracht auf seinen Neffen und tat mit Ostentation das Gegenteil von dem, was dieser gewünscht hatte. Mehr Einfluß ließ er ihn auf militärische Dinge nehmen, seit er, körperlich nicht mehr so rüstig wie früher, die Truppen nur noch selten inspizieren und Manövern beiwohnen konnte, und daher den Erzherzog dem Allerhöchsten Oberbefehl beigeordnet und ihm eine eigene Militärkanzlei gestattet hatte. Diese korrespondierte dann aber auch im N a m e n des Thronfolgers mit allen möglichen Zivilbehörden, und das war natürlich dem Kaiser auch nicht recht, so oft er nämlich ausnahmsweise davon erfuhr. Ich betone, daß der Kaiser nur in militärischen Dingen eine gewisse Arbeitsentlastung von seinem Thronfolger erfuhr, der er aber wohl niemals recht froh wurde, weil dieser ihm auf der anderen Seite durch seine erwähnten Einmischungen, große Inanspruchnahme der Hofkasse und nicht in letzter Linie dadurch unbequem wurde, daß er mehrmals nacheinander neue Standeserhöhungen für seine Gattin verlangte, die der Kaiser anfangs nicht gewähren wollte, schließlich aber immer, den etwas impetuosen Charakter des Erzherzogs kennend, zugestand. So wurde sie schließlich wirkliche Herzogin mit dem Titel Hoheit, mit dem Rang unmittelbar nach den Erzherzoginnen und dem Recht, im Hofkortege zu schreiten und in Hofequipagen zu fahren. Als die Schreckenskunde von der Ermordung des Ehepaares aus Sarajewo kam, weilte der Kaiser in Ischl. Sein nächster Nachbar in Gmunden, der Herzog von Cumberland, wirft sich sofort in das Automobil und erscheint als erster Leidtragender beim Kaiser, um ihn zu trösten. Der Zufall will es, daß ich am nächsten Tage, einer Einladung des Herzogs folgend, nach Gmunden komme. Kaum im Schloß abge7
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stiegen, erscheint der Herzog in meinem Zimmer, um mir seine Ischler Eindrücke vertraulich mitzuteilen. Hier sind sie: Er habe den Kaiser sehr gefaßt gefunden, dieser habe zwar sein Entsetzen über die ruchlose Tat ausgesprochen, aber schließlich gesagt, er müsse sich damit trösten, daß der Thronfolger und seine Gattin eine Verlegenheit für das Kaiserhaus gewesen seien. Das erklärt dann auch Montenuovos pietätlose Haltung bei der Veranstaltung der Leichenfeier und die Ablehnung der Teilnahme des deutschen Kaisers und fremder Fürstlichkeiten an derselben. Von meinem alten Freund, dem Generaladjutanten Graf Paar, erhielt ich im Laufe der Jahre so manche Andeutungen über seinen kaiserlichen Herrn, die mir Einblick in dessen Lebensanschauungen und Eigentümlichkeiten gewährten. Sie alle hier wiederzugeben, reicht mein Erinnern nicht aus, auch würde das zu weit führen. Nur zwei seien wiedergegeben. Während der schweren ungarischen Verfassungs- und Ministerkrisis, die zur Berufung Fejervarys zum Ministerpräsidenten und zum sogenannten Exlex-Zustand führte, meinte Paar, der Kaiser sei an derlei Krisen hüben und drüben schon derart gewöhnt, daß sie ihn kaum noch erregen. Aber während des Weltkriegs teilte er mir mit, die Haltung Italiens vor seinem Treubruch und seiner schließlichen Kriegserklärung habe zu einer völligen Schlaflosigkeit des Kaisers geführt, seine Niedergeschlagenheit sei so groß, daß er kaum der Erfolge seiner Truppen in Galizien sich zu erfreuen vermöge. Das wird wohl seither und nach den verfehlten Angriffen der Italiener am Isonzo und in Tirol wieder anders geworden sein; w a r es doch stets erstaunlich, wie schnell der Kaiser nach den schwersten Schicksalsschlägen, die ihn nacheinander trafen, seinen Gleichmut wiedergewann oder einen solchen Schlag gar nicht so tief empfand. Den Schluß der vorstehenden, vielleicht etwas lang geratenen Abhandlung möge die mir selbst vorzulegende Frage bilden, ob meine geistreiche Mutter mit ihrer oft geäußerten Sentenz, es sei schade, daß der ritterliche Kaiser nicht zu regieren verstehe, recht hatte. Um diese Frage gewissenhaft zu beantworten, ist zwischen den verschiedenen Regierungstätigkeiten des Kaisers zu unterscheiden, ob er nämlich als oberster Kriegsherr, dann als Monarch einer Großmacht, das heißt in Beziehung auf deren äußere Politik, oder endlich als Landesherr von „den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern" und von den „Ländern der heiligen Stephanskrone" in die Erscheinung tritt. Als oberster Kriegsherr hat sich Franz Joseph stets am liebsten gefühlt. Er w a r immer so sehr Militär, daß er die Uniform, außer bei
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seiner geliebten Jagd, eigentlich niemals ablegte, und die von der Wiener Gemeindevertretung an ihn gerichtete Bitte, in demselben Zivilanzug, in welchem er mit der Kaiserin in Kap Martin geweilt hatte, und in welchem ihn von dort nach Wien gelangte Photographien sympathisch darstellten, nach Wien heimzukehren und sich von der Bevölkerung anjubeln zu lassen, ablehnte. Als oberster Kriegsherr hat er es nie und zu keiner Zeit unterlassen, sich eifrigst um die Ausbildung seiner Wehrmacht zu kümmern. Die Mißerfolge der letzteren in Italien 1859 und in Böhmen 1866 sind mehr anderen Faktoren als dem Kaiser selbst zuzuschreiben. Vielleicht hätte er damals in der Wahl der Armeeführer umsichtiger sein können. Aber gleich nach den schlechten Erfahrungen von 1866 berief er den in Italien bewährten Generalstabschef John an die Spitze des Kriegsministeriums, der nun die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und die Ausbildung des Offizierskorps nach preußischem Muster zu organisieren hatte. Auch Kuhn, der auf John folgende Kriegsminister, hatte sich als Generalstäbler im Felde bewährt, war eine energische Natur und bedeutete eine gute Wahl. Später gewann beim Kaiser in militärischen, und wie ich früher ausführte, in allen möglichen anderen Dingen, der Vorstand seiner Militärkanzlei und nachmalige Generalstabschef Beck (Baron Beck, Graf BeckRzikowsky) einen beinahe verhängnisvollen Einfluß. Aber auch im Verein mit Beck blieb das Ziel die bestmögliche Ausbildung der Wehrmacht der Monarchie und die Sicherstellung der dazu erforderlichen Mittel durch die Legislativen „beider Staaten der Monarchie". Diesem Ziel waren die großen alljährlichen Herbstmanöver gewidmet, an denen der Kaiser, solange es seine Gesundheit und zunehmendes Alter nur gestatteten, stets teilnahm, außerdem auch die großen Kriegsräte unter dem Vorsitz des Kaisers, von deren Stattfinden man in den Zeitungen oft lesen konnte. Später vertrat bei den Manövern Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand bekanntlich den obersten Kriegsherrn. Ob der in militärischen Dingen immer das ganz Richtige traf, kann nicht meine Sache sein, zu beurteilen; aber mit seiner energischen Natur strebte er sicher das Beste für die Wehrmacht an. Und ein Verdienst muß ihm gewahrt bleiben, er war es, der den Kaiser auf den richtigen Chef des Generalstabes aufmerksam gemacht hatte, der dann auch berufen wurde. Ein Glück für die Monarchie war es, daß dieser Conrad von Hötzendorf vor dem Ausbruch des Weltkrieges das dauernde Vertrauen des Kaisers sich zu erwerben verstand, welches ihm ermöglichte, von seinem Vorgänger Beck begangene Fehler noch rechtzeitig wieder auszubessern, neue Kriegspläne auszuarbeiten und diese nun auch so 7*
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durchzuführen, daß damit unsere Armee einen Sieg nach dem anderen zu erringen vermag. Als oberster Kriegsherr versteht also der Kaiser zu regieren. Und wenn auch Beust und die Ungarn ihn seinerzeit „darangekriegt" haben, die Errichtung einer eigenen ungarischen „Honved"-Armee zuzugestehen, so bleibt es doch ein Regentenerfolg des Kaisers, die Absicht der Ungarn, das uns verbliebene Gemeinsame durch ungarisches Kommando und ungarische Embleme in ihrer Einheitlichkeit zu stören, stets wieder vereitelt zu haben. Deswegen berief er einmal einen alten General, den Baron Fejervary, das andere Mal den rücksichtslos energischen Grafen Tisza an die Spitze des ungarischen Ministeriums. Der schwerste Schlag für die Armee unter der Regierung des Kaisers war der voreilige Friedensschluß und die Abtretung der Lombardei 1859, sie sind ihm ganz persönlich und seiner hervorragendsten Eigenschaft, der Ungeduld, zuzuschreiben, später aber hatte die Wehrmacht unter dieser seiner Eigenschaft nicht mehr zu leiden. Die Leitung der äußeren Politik der Monarchie lag viel mehr in der Hand des Kaisers als man gemeinhin anzunehmen scheint. Seine Minister des Äußern waren nie mehr als seine Berater. Die äußere Politik der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die aus so vielen heterogenen Elementen zusammengesetzt war, in einer Zeit zu leiten, in der das Nationalitätsprinzip dominiert und die dementsprediende Staatenabgrenzung verlangt, ist wahrlich eine schwere Aufgabe; der Kaiser hat sich ihr als Erbe einer ihm überkommenden Hausmacht pflichtgetreu unterzogen und dabei ein immerhin anerkennenswertes Herrschertalent bekundet. Sein größter Fehler auch in der äußern Politik war der erwähnte voreilige Friedensschluß mit Napoleon I I I . 1859. Diesen und den Verlust Venetiens 1866 verschuldet zu haben, warf sich der Kaiser dann selbst vor, und von nun an war es sein eifrigstes Bestreben, den Verlust zweier schöner Länder seines Reiches wieder hereinzubringen. Bismarck machte sich diese Anschauung unseres Kaisers zu eigen, als er ihn bald nach 1866, und zwar 1878, zum Eingehen eines Bündnisvertrages mit Deutschland veranlaßte und ihn später bewog, zur Okkupation Bosniens und der Herzegowina zu schreiten. Dem verhaßten Preußen wieder die Hand zu bieten, bedeutete einen schweren Entschluß des Kaisers; er faßte ihn, um nicht isoliert dazustehen und nicht gezwungen zu sein, an dem noch verhaßteren Hause Savoyen oder dem republikanischen Frankreich — Rußland kam nicht in Betracht — Anlehnung suchen zu müssen, und er okkupierte Bosnien und die Herzegowina in der Absicht, damit den Verlust des lombardisch-
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venetianischen Königreiches wettzumachen. Diese Okkupation damals durchzusetzen, kostete dem Kaiser auch einen schweren Entschluß. Die deutsche, wenn auch liberale Reichsratsmajorität widerstrebte diesem Abenteuer mit allen Kräften. Der Kaiser hieß sie stürzen, berief Taaffe und gab das Heft der inneren Politik einer zunächst slawischen Reichsratsmajorität, dem sogenannten eisernen Ring, in die Hand. Die Folgen davon für unsere Entwicklung im Innern waren verhängnisvoll, aber in den nun einmal eingeschlagenen Wegen der äußeren Politik verblieb der Kaiser konsequent bis zum heutigen Tag. Erst das Ende des Weltkrieges kann uns zeigen, ob sie trotz der Schwierigkeiten, die uns auf dem Balkan erwuchsen, trotz der Feindschaft Rußlands, die sie uns eintrug, und die eben den Weltkrieg veranlaßten, richtig war. Betreffs der inneren Politik aber hat meine Mutter bis heute, obwohl sie nun bereits mehr als 25 Jahre tot ist, leider gewiß recht behalten, das gilt sowohl bezüglich des namenlos gewordenen Österreich als auch Ungarns.
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Von der Kaiserin weiß ich direkt nicht eben viel. In der vorhergehenden Monographie erwähnte ich schon ihre Erziehung und Flitterwochen. Ich hörte so manches von den sie Umgebenden und Wissenden. Diese nannten untereinander den Kaiser stets den Herrscher und die Kaiserin „Siesie". In ihrer ersten Wiener Zeit soll die hohe Aristokratie ihr sehr zu fühlen gegeben haben, d a ß sie nur eine bayrische Prinzessin von nicht tadellosem Stammbaume sei, während die leichter enthusiasmierbaren Ungarn, von ihrer Schönheit bezaubert, ihr lebhaft huldigten. Dies soll der Grund gewesen sein, weshalb sie sich sofort auf das Studium der so schwer erlernbaren ungarischen Sprache warf und diese bald vollkommen beherrschte, was ein neues Band zwischen ihr u n d den Ungarn schuf. Dieses aber entfremdete sie noch mehr den Wienern und Österreichern und führte schließlich neben ihrer Reitpassion dazu, daß sie den größten Teil des Jahres in Ungarn oder im Ausland verbrachte. Ich wurde der Kaiserin 1870 auf einem H o f b a l l vorgestellt. Sie w a r sehr schön mit ihrer hochgetürmten Frisur u n d dem Diadem darauf und sprach sehr leise mit etwas heruntergezogener Oberlippe. D e r Grund war Eitelkeit, weil ihre obere Zahnreihe nicht tadellos war. Sie sprach mit mir sofort von Natalie Kielmansegg, der sie Anhänglichkeit bewahrt hatte. Mein Bruder Oswald, der in den Jahren 1865—1868 als Rittmeister der Leibgardereiter-Eskadron viel in der Umgebung des Kaiserpaares, namentlich alljährlich einige Monate in Schönbrunn, Hofdienst gemacht hatte, wußte mir viel von der Kaiserin zu erzählen, so unter anderem v o n ihrer Haarpflege. Ihr üppiges H a a r , welches bis zu den Füßen herabreichte, habe sie täglich übermäßig lange beschäftigt; sie habe es stundenlang kämmen lassen. Der Wiener großen Gesellschaft blieb sie immer fremd, sie hatte keinerlei regeren Verkehr mit deren Damen und sah diese kaum anders als auf dem H o f b a l l und den wenigen Kammerbällen, später Bälle bei H o f genannt — solange sie diese Feste überhaupt noch besuchte, das
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ist bis Mitte der 1880er Jahre. Das Erscheinen in der Öffentlichkeit war ihr zuwider. Sogar die Fronleichnamsprozession mitzumachen hatte sie schon Ende der 1860er Jahre abgelehnt, zum großen Ärger der Palastdamen, die früher mit ihren Manteaux und ihrem herrlichen Familienschmuck im Gefolge der Kaiserin vor ganz Wien hatten paradieren können und nun dieses großen Vergnügens dauernd beraubt waren. Das Reiten, namentlich par force, war ihre einzige Passion; für Politik und was sonst den Kaiser anging, hatte sie niemals Sinn. Nun wollte sie ihrer edlen Springpferde wegen leichten Gewichts sein und hatte sich zu diesem Zweck das Regime der englischen Jockeis zu eigen gemacht: erstes Frühstück ein beinahe rohes Beefsteak, keine Mehlspeisen, wenig Brot und Getränk usw. Um ganz nach diesem leben zu können, erschien sie kaum mehr bei der Hoftafel, die der Kaiser nur mit seinen Herren vom Dienst abhalten mußte — wenn er sie nicht auch mied und sich dann meist darauf beschränkte, die eine oder andere Speise des Tagesmenus an seinem Schreibtisch zu verzehren. Erschien die Kaiserin aber ausnahmsweise an der Tafel, wie z. B. in Schönbrunn oder Ischl, so speiste sie nicht mit, denn sie hatte ihre eigene Köchin und ihre eigenen „Jockei"-Speisestunden. Als nach dem unglücklichen Feldzug 1866 im Staate Ersparungen !: ") eingeführt worden waren, hatte der Kaiser angeordnet, daß die Hofhaltung mit gutem Beispiel vorangehe. Das aber war zahlreichen Hofbediensteten, für die früher so manches „abgefallen" war, durchaus nicht angenehm. An die Spitze der Unzufriedenen hatte sich die Köchin der Kaiserin gestellt, und von dem Tag der angeordneten Sparsamkeit an ihrer Herrin nur noch ganz mindere Kost zubereitet. Von dieser zur Rede gestellt, hatte sie geantwortet, die strengen Anordnungen gestatteten ihr nicht mehr, bessere Konsumartikel einzukaufen und gut zu kochen. Die Kaiserin beschwerte sich nun bei ihrem Gemahl, und dieser gab den Hofchargen kund, es sei nicht seinen
*) Diese Ersparungen im Staate waren derart kleinlicher Natur, daß sie viel bespöttelt wurden. Die Behörden durften Bescheide nur noch auf einem Blatt statt auf einem Bogen Papier hinausgeben und mußten Kuvertblätter wenden, um sie ein zweites Mal zu benützen. Beim Heere z. B. hatte man der Infanterie statt des zweireihigen den einreihigen Waffenrock gegeben, um Knöpfe zu ersparen. Bei den Ulanen hatte man die Uniform vereinfacht und ihnen unter anderem den „Wasserfall", die kleine Franse am Schoß der Ulanka, ihren Stolz a 1 Kreuzer, und die sdiwarzgelben Pikenfähnchen genommen.
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Intentionen entsprechend, daß man mit der Sparsamkeit bei der Kaiserin anfange; ihr Haushalt sei davon auszunehmen. Keine Regel ohne Ausnahme; bald gab es weitere, und diese Ausnahmen wurden dann Regel. Die großen Mißstände und kleinen Unterschlagungen in der Hofhaltung schaffte dann erst viele Jahre später der an ihre Spitze gestellte Erste Hofrat Wetschl ab, der bis dahin unter Taaffe im Ministerium des Inneren gedient h a t t e " ) . Parforcejagden in der Heimat machte die Kaiserin eigentlich nur von Budapest aus mit. Der berühmte Sportsmann Graf Niki Esterhazy von Totis war der Master. Bald genügten diese aber der Kaiserin nicht mehr, und so pflegte sie sich — es war das in den 1870er Jahren — alljährlich im Herbst ein Kastell in England zu mieten, um dort dem landesüblichen Huntingsport huldigen zu können. Ein Zusammenleben mit dem Kaiser hörte mehr und mehr auf, nur äußerst selten war sie noch bei ihm, im Sommer in Ischl oder im Winter für kurze Zeit in der Hofburg in Wien. Als das Reiten ihr bei zunehmendem Alter nicht mehr gut anschlug, nahm ihre Reise- und Tourenpassion immer mehr überhand. Sie machte nun weite Seereisen, erbaute sich das Achilleion auf K o r f u oder weilte an den Schweizer Seen, von wo aus sie die weitesten Fußtouren nur in Begleitung einer einzigen zu solchen Anstrengungen fähigen Hofdame, der Gräfin Festetits, oder ihres Lehrers der neugriechischen Sprache, des Herrn Christomanos, unternahm. Hatte sie früher so perfekt ungarisch gelernt, so wollte sie nun wegen ihres Besitzes auf Kerkyra das Griechische vollkommen beherrschen. Um seine Gattin — wohl aus dynastischen Rücksichten — mehr an Wien zu fesseln, hatte der Kaiser ihr das prächtige Schloß in dem rings mit einer mächtigen Mauer umgebenen Tiergarten von Lainz erbauen lassen; dort wäre sie ja der Öffentlichkeit genügend entzogen gewesen und hätte nach des Kaisers Wunsch doch bisweilen Repräsentationspflichten in Wien erfüllen können. Das Kaiserpaar bewohnte dieses neue Schloß aber nur sehr selten und kurz; es trieb sie, die Unstete, fort auf Reisen. Dazu kam, was den Kaiser ebenfalls ärgerte, daß ihre Reisen Unsummen kosteten, zumal sie die Kaufwut hatte, und teils zur Einrichtung ihres Achilleions, teils ohne bestimmten Zweck massenhaft Kunstwerke und Raritäten im Ausland erwarb. Der Kaiser hatte * * ) A n die S p i t z e der U n z u f r i e d e n e n wußte sich d a m a l s der heutige große Politiker Bielohlawek zu stellen, dem die L i e f e r u n g v o n Preßhefe f ü r den H o f genommen w o r d e n war. Mit H i l f e der Stimmen dieser Unzufriedenen gelang es ihm, sich z u m Abgeordneten wählen zu lassen.
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Chertek oft hierüber geklagt, erreichte doch ihr Jahresaufwand mehrmals Millionen. An dieser Stelle kann ich übrigens nicht umhin, auf Grund einer mir von Baron Albert Rothschild seinerzeit gemachten vertraulichen Mitteilung anzuführen, daß sowohl der Kaiser als auch die an der kaiserlichen Vermögensverwaltung Beteiligten sehr erstaunt waren, als sich nach dem Tode der Kaiserin ein ihr gehöriges mehrere Millionen betragendes Depot beim Hause Rothschild vorfand, von dem man bisher keine Ahnung gehabt hatte. Jetzt erst stellte es sich heraus, daß die hohe Frau ganz weise auf ihre spätere Versorgung bedacht gewesen war und alljährlich den größten Teil ihrer Apanage und Nadelgelder fruchtbringend angelegt hatte, während der Kaiser ihre Extravaganzen bestreiten mußte. Früher hatte man nie gehört, daß die Kaiserin sich f ü r deutsche Literatur interessiere, mit einem Male wurde sie zu einer begeisterten Anhängerin Heines und ließ diesem unter anderem in ihrem P a r k auf K o r f u eine Statue errichten. Nach der Kronprinzenkatastrophe, die die arme Frau, wie wohl begreiflich, niemals verwinden konnte, nahmen ihre Eigentümlichkeiten noch mehr zu. Solange sie damals noch ab und zu in Wien weilte, sah man sie nur in einem unscheinbaren H o f w a g e n — vor das Gesicht einen dichten Fächer haltend, um ja nicht gesehen zu werden — an die Peripherie der Stadt fahren, von wo aus sie dann ihre stundenlangen Wanderungen in der weiteren Umgebung der Stadt, meist im gebirgigen Wienerwald, antrat, bei denen sie zumeist unerkannt blieb. Einmal aber hatte zu jener Zeit, und zwar etwa ein Jahr nach dem Tode des Kronprinzen, der Kaiser entschieden verlangt, daß die Kaiserin sich der Hofgesellschaft zeige und das diplomatische Korps, die H o f - und Staatswürdenträger sowie die jüngeren Damen der Gesellschaft kennenlerne. Es fand zu diesem Zweck ein H o f e m p f a n g in der Burg statt, bei dem die Kaiserin in tiefer Trauer erschien. Man sah ziemlich deutlich, welche Überwindung es sie kostete, sich alle diese vielen, ihr vollkommen gleichgültigen Menschen •— ich war auch darunter und weiß es daher aus eigener Erfahrung — vorstellen zu lassen und f ü r jeden ein verbindliches Wort zu finden. Unmittelbar nach diesem von ihr gebrachten O p f e r reiste sie wieder ab. Wenige Jahre danach, als sie wieder einmal f ü r mehrere Monate abfahren wollte, muß wohl der Kaiser oder sonst jemand aus ihrer Umgebung ihr nahegelegt haben, es mache in der Öffentlichkeit einen ungünstigen Eindruck, daß Ihre Majestät sich so gar nicht um Wohl-
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tätigkeitsanstalten und Wohlfahrtseinrichtungen kümmere. Damals erschien ihr Obersthofmeister Baron Nopcsa bei mir und ersuchte midi um einen Vorschlag, welche beim Publikum besonders beliebten Institute die Kaiserin besuchen könnte. Ich traf eine größere Auswahl und entwarf ein mehrere Besuchstage umfassendes Programm. Als ich es Nopcsa übergab, erklärte er mir, er werde Mühe haben, die Kaiserin auch nur zum Besuch von drei Anstalten zu bewegen und die müßten an einem Vormittag abgemacht werden können. Ich traf also eine engere Wahl von nicht zu weit voneinander entfernt liegenden Objekten, in denen ich dann auch Ihre Majestät empfing und ihr die Funktionäre und Komiteedamen vorstellte. Mit allen diesen war sie äußerst freundlich, dann aber doch bestrebt, den Rundgang möglichst rasch zu beendigen. D a die Kaiserin in späteren Jahren nie mehr bei Hoffestlichkeiten erschien und auch in Wien keine Besichtigungen mehr vornahm bevor sie abreiste, habe ich sie in den letzten Jahren vor ihrem tragischen Tod nicht mehr gesehen. Mein Schlußurteil über sie, nach den unmittelbar gewonnenen Eindrücken, aber ist, daß sie nicht ganz normal war. Dabei kann ich allerdings nicht beurteilen, ob die Ursache hievon hereditär (Geschlecht der Wittelsbacher) oder anderer N a t u r w a r . Man hat von einer nicht glücklichen Ehe gesprochen. Ich weiß nur von Augenzeugen, daß Ihre Majestät vor langen Jahren, zur Zeit ihrer Reise nach Madeira, sich in den bildschönen Flügeladjutanten des Kaisers, Graf H u n y a d y , verschaut hatte. Ganz harmlos, er verließ auch gar bald den H o f . Man hat von Eheirrungen anderer Art im Volk viel gesprochen, von Untreue und Verhältnissen des Kaisers, man nannte immer die Kunstreiterin Käthchen Renz. Ich habe von Hofleuten nie Bestimmtes darüber erfahren können und glaube nicht daran. Von den Beziehungen des Kaisers zu der anderen Kathi, der Schratt, werde ich in dem ihr gewidmeten Kapitel sprechen. Im Wunsche, auf Grund meiner vielen authentischen Informationen streng objektiv zu bleiben, muß ich die Kaiserin als eine sehr unglückliche Frau bezeichnen. Man vergesse nicht, daß der Herrscherberuf des Kaisers es mit sich brachte, daß sie schon als junge Frau von 17 Jahren viel sich selbst überlassen blieb. Bald gab sie sich dann mehr und mehr ihren Exzentrizitäten hin und entfremdete sich so nach und nach ihrem Gatten, bis sie der Dolch eines Wahnsinnigen in der Fremde traf. Es wurden ihr nur sehr wenige Tränen nachgeweint.
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Anknüpfend an dieses Kapitel drängt es mich, einiges über das Entstehen der Kaiser-Jubiläumskirche auf dem Erzherzog-Karl-Platz nächst der Donau und des Kaiserin-Elisabeth-Monuments im Volksgarten in Wien zu sagen, worüber ich vielleicht genauer als irgendjemand informiert bin. Es ist nicht uninteressant und entbehrt sogar nicht des Pikanten. Schon als ich im Jahre 1895 Minister war, beschäftigte man sich in manchen Kreisen, wie das f ü r 1898 bevorstehende Regierungsjubiläum des Kaisers gefeiert werden könnte. Damals teilte mir der Wiener apostolische Nuntius, Agliardi, mit, daß er eben von Rom heimgekehrt sei, wo er mit dem Heiligen Vater die Frage besprochen habe, wie und in welcher Weise sich der letztere an der Feier beteiligen könne. Dabei seien sie übereingekommen, daß es wohl das Passendste sei, wenn der Papst die Initiative zum Bau einer monumentalen Kirche ergreife, dessen Kosten der österreichisch-ungarische Episkopat und die katholische Geistlichkeit mit ihren reichen Stiften aufbringen sollten, während er als erster diesem Zweck eine größere Summe widme. Um dem Papst berichten zu können, wünschte der Nuntius meine Ansicht über diese Idee zu hören, namentlich aber zu wissen, ob diese dem Kaiser genehm sein und ihre Durchführung ihm sogar Freude bereiten werde. Ich konnte dem Nuntius sofort erwidern, daß jüngst das Kriegsministerium offiziell die Erbauung einer neuen Garnisonskirche in Wien oder die Widmung einer der hier bestehenden Kirchen zum Militärgottesdienst verlangt habe, daß auch sonst bei der rapiden Vermehrung der Bevölkerung in Wien die Errichtung neuer Kirchen verlangt werde, und daß ich daher nicht zweifle, daß die mir mitgeteilte Idee dem Kaiser äußerst sympathisch sein werde. Ich erbot midi auch, die Willensmeinung des Kaisers darüber einzuholen, was dem Nuntius sehr recht war. Nach einigen Tagen konnte ich ihm melden, daß Seine Majestät über die Absichten des Papstes geradezu gerührt gewesen sei und es freudigst begrüße, wenn sein Jubiläum Anlaß biete, den Gläubigen in Wien, sei es nun dem Militär oder anderen eine neue geheiligte Stätte für ihren Gottesdienst zu eröffnen. Dem mußte ich zur Orientierung Agliardis nur noch meine persönliche Auffassung beifügen, daß es mir fraglich erschiene, ob der ungarische Episkopat und die dortige Geistlichkeit sich an Sammlungen f ü r eine in Wien, also im „österreichischen Ausland", zu erbauende Kirche werde beteiligen wollen. Der Nuntius meinte, das werde seine Sorge sein, er reise ohnedies bald nach Ungarn, im übrigen aber werde er die Sache mit dem Kardinal Gruscha besprechen.
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Der Nuntius reiste nach Ungarn. Diese Reise gab aus ganz anderen Ursachen politischer N a t u r Anlaß zu einem Konflikt zwischen ihm und dem Minister des Äußeren Graf Kalnoky, und er wurde etwa zu gleicher Zeit von seinem Posten abberufen, als ich aufhörte, Minister zu sein. Ich sah Agliardi nicht wieder und weiß bis heute nicht, was er dem Papst berichtet hat, auch hörte ich nie davon, daß der letztere sich an die Spitze einer derartigen Sammlung gestellt habe. Die Sache war aber einmal ins Rollen gekommen, der Kaiser hatte wohlgefällig zugestimmt, und der Kardinal jedenfalls bereits dem Nuntius zugesagt, mittun zu wollen. So kam es denn, daß der letztere, als ich schon geraume Zeit wieder Statthalter war, sich deshalb an mich wandte. Ich glaubte anfangs, er wolle sich mit oder ohne Papst an die Spitze der Sammlung stellen. Er erklärte mir aber von vornherein, die Mittel zum Kirchenbau müßten die Gläubigen aufbringen, und zu diesem Zweck wolle er ein Komitee einsetzen. Als ich meinte, doch jedenfalls unter seinem Vorsitz, erklärte er, seine Würde als Kardinal verbiete ihm das, er dürfe nur als Protektor der ganzen Angelegenheit fungieren, er wolle von mir nur wissen, welche hohe Persönlichkeit in Wien würdig und geeignet sei, von ihm an die Spitze des Komitees gestellt zu werden. Ich bezeichnete ihm den Fürsten Carlos ClaryAldringen, den er dann auch berief und mit ihm die Sache in Fluß brachte. Ich hatte mit derselben alsbald nur noch insofern zu tun, als man an midi, den geschäftsführenden Vorsitzenden der Donau-RegulierungsKommission, mit dem Begehren herantrat, bei dieser durchzusetzen, daß sie aus ihren Grundstücken in der Donaustadt einen f ü r den Kirchenbau geeigneten Platz unentgeltlich zur Verfügung stelle. Dies geschah, aber die Mittel für den groß geplanten Bau flössen nur recht spärlich ein. Als nun die Kaiserin ermordet worden war, hatten einige Damen der Aristokratie die Frage aufgeworfen, wie das Gedächtnis an die arme Dulderin zu ehren sei, ob etwa durch Errichtung eines Monuments oder eines Altars in einer Kirche. Erzherzog Ludwig Victor hatte aus diesem Grund den Kaiser befragt und dieser erwiderte, der Kaiserin könne nur in einer Kirche ein Monument gesetzt werden. Die Damen sammelten und führten die Gelder an den Protektor dieser Aktion, Ludwig Victor, ab; sie flössen ziemlich reichlich. Ich hörte davon und ließ dem Erzherzog sagen, man möge doch die neue Aktion mit der der Jubiläumskirche so kombinieren, daß in der letzteren ein Monument oder Altar zum Andenken an die Kaiserin erbaut werde. Er wollte anfangs nicht auf meine Idee eingehen und meinte, sein Monument müsse ganz selbständig dastehen, stimmte aber schließlich zu,
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als ich ihm melden lassen konnte, C l a r y und sein Komitee seien bereit, ihren Kirchenbau mit der Errichtung einer eigenen architektonisch selbständigen Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskapelle zu beginnen, an welche sich dann das später zu erbauende Hauptschiff der großen Kirche anzugliedern hätte. N u n konnte zur feierlichen Grundsteinlegung des Kirchenbaues geschritten werden. D e r Kaiser, der gesamte H o f und das ganze offizielle Wien nahmen daran teil, so daß nun wohl die H o f f n u n g bestand, die Sammlungen für den eigentlichen Kirchenbau würden dadurch neue Anregung und ein besseres Ergebnis erfahren. Diese Rechnung w a r aber ohne den Wirt, das heißt die Herren Ordensjäger, gemacht. Zwei derselben, nämlich der Juwelier und Ordensfabrikant Mayer, der nicht fortwährend Orden erzeugen, sondern auch solche tragen wollte, und sein Nachbar vom Stephansplatz, der bekannte Inhaber des dortigen Nachtcafes de FEurope, Riedl, erschienen zu jener Zeit bei mir mit der Meldung, sie hätten ein K o mitee zur Errichtung eines Monumentes der Kaiserin auf einem öffentlichen Platze Wiens gegründet und bäten um meine Förderung ihres „patriotischen" Unternehmens. Ich erklärte ihnen sofort, auf die letztere könnten sie nicht rechnen, nachdem es der Willensmeinung des Kaisers entspräche, eine Gedächtniskapelle f ü r die Kaiserin errichtet zu sehen, deren Bau eben beginne, sie möchten ihre loyalen Gesinnungen in Förderung der Sammlungen für diese Kapelle und die J u b i läumskirche manifestieren und von ihrem Vorhaben, eine Statue der Kaiserin auf einem öffentlichen Platz zu errichten, um so mehr absehen, als j a doch die Verewigte im Leben die Öffentlichkeit stets gemieden habe. Ihre Erwiderung war, in Salzburg sei gegenüber dem Bahnhof eine große Statue der Kaiserin eben enthüllt worden, und d a dürfe doch Wien nicht nachstehen. Sie setzten nicht hinzu, das Monument in Salzburg habe dessen Errichtern Auszeichnungen eingetragen. Ich ersuchte diese Herren, noch mit dem K a r d i n a l Gruscha Rücksprache zu pflegen, bevor sie mit ihrem Sammlungsaufruf sich an das Publikum wendeten; auch das lehnten sie ab; ihre Aktion sei eine festbeschlossene Sache und die Erzherzogin Maria J o s e f a habe bereits das Protektorat über dieselbe übernommen. N a also! N u n waren die Klerikalen wirklich in Verlegenheit, wohin sie ihre bescheidenen Spenden zu richten hatten, ob in den Augarten oder in das Palais L u d w i g Victor. D i e Ordensjäger waren rühriger und erfolgreicher, denn nach wenigen Jahren konnte das recht schöne Kaiserin-Monument auf dem v o m Kaiser gewidmeten P l a t z in seinem Volksgarten errichtet werden.
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Mayer erhielt den ersehnten Franz-Joseph-Orden und Riedl das goldene Verdienstkreuz mit der Krone. Diese Dekorationen mußten den Genannten auf besonderen Wunsch Seiner Majestät noch am Tage vor der Monumententhüllung zugestellt werden, damit sie dieselben bereits bei der Feierlichkeit tragen und sich bedanken könnten. Herr Riedl hatte die Unverfrorenheit, sein Verdienstkreuz nicht anzulegen sowie, als er vom Kaiser bei dem Monument angesprochen wurde, auch die von diesem erwartete Danksagung für seine Dekorierung zu unterlassen. Am Festplatz selbst beschwerte er sich außerdem noch laut, daß er nur ein Kreuzel anstatt eines Ordens erhalten habe! Mit dem Bau der Jubiläumskirche ging es unterdessen nur recht langsam vorwärts, trotzdem sie Clary, dem Guten, viel Geld kostete, weniger dem Kardinal und seinen Leuten. Schließlich übergab man den Torso den Prager Beuronern, das sind Benediktiner strenger Observanz. Die verstehen sich auf derlei Bauten und auch darauf, Geld dafür herbeizuschaffen.
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Nachdem ich nun den Kaiser und die Kaiserin Elisabeth besprochen habe, erfordert es die logische Folge, mit der ich diese Aufsätze, aneinanderreihen möchte, daß ich Katharina Schratts, der „im Bunde die Dritte", Lebensgang schildere, von dem mir viel bekannt wurde, was andere nicht wissen. Sie ist schon lange eine Art offizielle Persönlichkeit, und wenn sie trotzdem in den offiziellen Zeitungsbulletins kaum je genannt wurde, so deshalb, weil man zuwenig wußte. Ich aber bin in der Lage, wenigstens bruchstückweise Material zu liefern. Laube machte zu Anfang der 1870er Jahre in dem neuen Wiener Stadttheater volle Häuser und schloß seinen Musentempel regelmäßig erst mit Beginn der Sommerferialzeit. Ende Mai, vor nunmehr 41 Jahren (1874), speiste ich zur damals üblichen Zeit um 5 U h r in der berühmten „Stadt F r a n k f u r t " (bei dem „Wirte wundermild" Stipperger) und traf an unserem Stammtisch der „jungen Herren" einen Bekannten, den Oberleutnant der Leibgardereiter-Eskadron Baron Redwitz. Wir beschlossen, den schwarzen Kaffee im Stadtpark einzunehmen. Als es am Weg dorthin, genau vor dem Stadttheater, zu regnen anfing, traten wir in dieses Haus, fragten an der Kasse, ob etwa noch Sperrsitze zu haben seien, und lösten uns auf die bejahende Antwort zwei Karten. Es wurde als erstes Stück „Die Geschwister" gegeben. In diesem trat eine junge Debütantin auf, die Interesse beim Publikum erregte, weil sie hübsch und sehr jung war und natürlich spielte. Ich erinnere mich noch heute, daß sie etwas große Füße hatte, oder diese vielleicht so schienen, weil sie weiße Strümpfe in offenen Schuhen trug, deren Ausschnitt vorn zu eng war, so d a ß der gepreßte O b e r f u ß daraus hervorzuquellen schien. Man sah dies vom Parkett aus deutlich, und das störte den Gesamteindruck der sonst so sympathischen Erscheinung; der Theaterzettel nannte diese: K a t h a rina Schratt. Dieses Debüt hatte mich interessiert, so daß ich 1874 noch einige Male in das Stadttheater ging, wenn gerade Fräulein Schratt spielte. Sie muß damals 18 oder 19 Jahre alt gewesen sein. Ich hörte damals
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auch noch von ihr, daß sie ausgelassen lustig sei und sogar zu Exzessen neige; sie setze sich unter anderem nach heiteren Soupers auf den Kutschbock eines Fiakers und fahre selbst ihre Gesellschaft in den Straßen umher, dabei oder bei anderen ähnlichen Gelegenheiten allerhand Ulk treibend. Ihr Ruf war auch dem Grafen Heinrich Chorinsky, Sohn des gewesenen Statthalters von Niederösterreich, gleichen Namens und Bruder des zu so trauriger Berühmtheit gelangten Ebergeny-Chorinsky, zu Ohren gekommen, der selbst noch einige Jahre zuvor in solchen Exzessen eine gewisse Virtuosität und Berühmtheit in Wien erlangt hatte, inzwischen aber schon etwas solider oder praktischer geworden war, indem er das Hasardspiel im Jockey-Club eifrig kultivierte. Er suchte also Kathi Schratts Bekanntschaft, war entzückt von ihr und ihrer etwas burschikosen Natürlichkeit und gar bald sterblich in sie verliebt. N u n verkehrte er nur noch in ihrem Theaterkreise, folgte Laube und seinem Ensemble nach Berlin, wo dieser es auftreten ließ, und wollte Kathi heiraten. Diese aber, die sich Chorinskys derbe Spaße wohl hatte gefallen lassen, erklärte ihm nun, daß sie durchaus nicht gewillt sei, einem vermögenslosen Kavalier die H a n d zum Ehebund zu reichen; das könne zu nichts Gutem führen. Heinrich w a r nun eine Zeitlang seltener in Kathis Gesellschaft zu sehen und fehlte namentlich bei den Soupers des lustigen Theatervolks. Er spielte wütend Baccarat im Jockey-Club. Man konnte ihn damals jeden Tag zur Dämmerstunde in der Franziskanerkirche inbrünstig beten sehen, um von Gott Glück bei der bevorstehenden Spielpartie zu erflehen; und das wurde ihm reichlich zuteil. Schon nach einigen Wochen erschien er freudestrahlend bei seiner geliebten Kathi mit dem R u f : „So, jetzt haben wir Geld und können heiraten!" Dabei warf er ein Paket Banknoten, mehr als 100 000 Gulden enthaltend, auf ihren Tisch. Als Fräulein Schratt, beinahe erschreckt, fragte: „Woher das viele Geld?" antwortete er, Gott habe sein Gebet erhört u n d ihn im Jockey-Club gewinnen lassen; das Spiel sei auch der Grund gewesen, weshalb er sich in der letzten Zeit abends so selten habe sehen lassen. Wie ein Blitz traf es den armen Heinrich, als Kathi nun mit ernster, an ihr beinahe ungewohnter Miene erklärte, einem Spieler werde sie niemals ihr Lebensglück anvertrauen, er möge jede H o f f n u n g aufgeben, daß sie ihn heirate. Chorinsky zog sich von ihr zurück, wurde noch mehr zum oft exzedierenden Original als er bisher schon gewesen, spielte noch einige Jahre mit wechselndem Glüdk im Jockey-Club, verlor schließlich alles bis auf eine mäßige Jahresrente, die ihm einst ein
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Spielgenosse anstatt der Zahlung einer größeren Spielschuld hatte verschreiben müssen, zog sich damit in ein Asylhaus in Salzburg zurück, wo er jahrelang ein einsames Leben führte und dann so ziemlich vergessen starb. Im Mai 1875 hatte ich die Leitung der Bezirkshauptmannschaft Baden übernommen. Sehr bald erschien dort bei mir der Badener Bäckermeister und Besitzer eines großen Hauses, Schratt, ein etwas korpulenter, älterer, bereits ergrauter Mann, in Begleitung seiner Frau, die klein und auch etwas korpulent war. Sie hatte krauses H a a r , beinahe wie eine Negerin, das eben grau zu werden begann. Beide taten ganz verzweifelt und klagten mir in jammervollen Tönen ihr Leid; sie seien ruiniert, es sei eine Steuerstrafe von 25 000 Gulden über sie verhängt worden, und diese solle jetzt exequiert werden; so viel sei ihr großes H a u s kaum wert, in dem sie seit Jahren an Sommerparteien Wohnungen vermietet hätten. Wegen zu gering fatierter Zinse sei diese hohe Strafe über sie verhängt worden; ich möge ihnen doch um Gottes willen helfen und die unmittelbar bevorstehende Exekution sistieren lassen, damit sie weitere Schritte um Nachsicht dieser Strafe beim Finanzminister unternehmen könnten; ihre Tochter, die bekannte Schauspielerin, wolle ihnen dabei behilflich sein, sie habe einflußreiche Bekannte. So erfuhr ich, daß meine interessante Debütantin eine Badnerin sei; ich ließ midi also erweichen und die Exekution vertagen. Meine schöne Unbekannte unterstützte in Wien das Gnadengesuch ihrer Eltern erfolgreich, so daß diesen die Strafe auf 5000 Gulden herabgesetzt wurde, die sie dann auch sofort bar erlegten. In der Nähe von Baden war der neue Gutsbesitzer von Kottingbrunn, Graf Fritz Rumerskirch, insofern ein Original, als er in allem etwas Besonderes haben wollte. Schon seine Frau war eine russische Fürstin Galitzyn, seine Tochter „Miette" mit fünf Jahren auf salonfähige Konversation abgerichtet, seine Einrichtung aus persischen Stoffen, seine Holzmöbel aus Italien, seine Gemälde von holländischen Meistern, seine Weine und Zigarren von Gott weiß woher. U n d mit all diesen Raritäten protzte er gegenüber den zahlreichen Besuchern seines Schlosses stets herum; sonst war er ein liebenswürdiger u n d gastfreier Hausherr. Einstmals überraschte er uns mit der Mitteilung, er habe den jugendlichen Bruder der so interessanten Schauspielerin Schratt als Gutsverwalter angestellt. Das w a r freilich eine billige Sensation, aber sie half seiner Landwirtschaft nicht auf; er wirtschaftete gar bald ab und mußte sein schönes Kottingbrunn, nachdem er es nur 8
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wenige J a h r e besessen hatte, verkaufen. Heute gehört es bekanntlich dem Jockey-Club, der dort seine Sommerrennen abhält. Über K a t h i Schratts Jugend war natürlich, seit sie anfing, in Wien als Schauspielerin immer beliebter zu werden, in Baden viel die Rede. Dort war es üblich, daß die jungen Söhne und Töchter der Bürgerschaft in der Zeit zwischen der Sommer- und Wintersaison, während welcher der Theaterdirektor keine Vorstellungen gab, im Stadttheater meist zu Wohltätigkeitszwecken Dilettantenvorstellungen veranstalteten. D a durch kam die Theaterpassion in diese jungen Leute, die dann massenhaft die Schauspielerlaufbahn einschlugen. Unter diesen war auch Kathi Schratt, die schon in ihrer Heimatstadt durch Natürlichkeit im Spiel gefallen hatte. Es sind aber außer ihr noch viele Wiener Theaterdamen zu nennen, die aus den gleichen Badener Anfängen stammen, so unter anderen die Zwerenz, Betty Seidl, die Schwestern Gribl; auch die in Berlin zu Ansehen gelangte Trenner, deren Vater auf seinem Geschäftsschild die so oft belachte Aufschrift führte: Weichselrohr-Fabrikant und Sohn des ersten Erzeugers. Über die näheren Umstände, wie Kathi Schratt zum Theater kam, wurde mir damals in Baden berichtet, sie habe sich in den Schwarzmischer, das ist der erste Bäckergehilfe ihres Vaters, der Mehl f ü r das Schwarzbrot zu mischen hat, verliebt, der Vater aber, der mit seiner hübschen Tochter weiter hinaus wollte, habe seinen ersten Gehilfen entlassen. Darüber habe sich Kathi sehr gekränkt und bald hienach den Eltern erklärt, es leide sie auch nicht mehr in deren Haus, sie wolle nach Wien und zum Theater gehen, worauf die Familie sie habe ziehen lassen. In das elterliche Haus kehrte Kathi erst zur Zeit ihrer Sommerurlaube 1876/77 zurück, und nun wollten die Badener ihr Heimatskind gern spielen sehen. Der Theaterdirektor Alfred Schreiber ließ sie also in der Arena gastieren und erzielte damit um so vollere Häuser, als, so oft sie a u f t r a t , das dicke Bäckermeisterpaar Schratt und, zwischen diesem, Alexander Girardi, in einer der ersten Sperrsitzreihen Platz nahmen. Es hieß in Baden allgemein, Kathi sei mit Girardi verlobt, und in der Tat kokettierte sie mit ihm von der Bühne herab. Was Wunder, wenn allein wegen dieses Schauspieles und viel weniger wegen des auf der Bühne gespielten, das Publikum die Arena massenhaft besuchte und dabei seine Blicke von Girardi, dem schon damals beliebtesten Wiener Komiker, kaum abwendete, um sich an seinem fröhlichen, von der Sonne Kathis beleuchteten Antlitz zu ergötzen. Diese Doppelvorstellungen bleiben mir unvergeßlich.
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Wie Kathi ihre Beziehungen zu Alexander Girardi abbrach, weiß ich nicht, wohl aber, daß sie gar bald Frau von Kiss wurde und sich vom Theater zurückzog. Kiss hatte sich in Wien eine große Wohnung von — wie man sagte — 14 Zimmern prächtig eingerichtet, und hier gebar Kathi ihren einzigen Sohn (heute Diplomat). Waren es nun die Folgen des großen Krachs von 1873, an denen noch in den Folgejahren so viele reiche Leute zugrunde gingen, oder etwas mißglückte Spekulationen des Herrn von Kiss — mit einem Male war er vermögenslos, verließ Wien, und die arme Kathi mußte, bevor sie nur ihren großen Hausstand auflösen konnte, um dessen Kosten zu bestreiten und den hohen Wohnungszins zahlen zu können, Schulden kontrahieren. Sie beschloß, nun wieder zum Theater zurückzukehren und sich zunächst auf einer Gastspieltournee Geld zu verdienen. Hier habe ich nun einzufügen, daß ich 1882 als Regierungsrat nach Czernowitz berufen worden war, wo ich die traurigsten Theaterverhältnisse antraf. Die letzten Theaterdirektoren mindester Güte hatten in der Regel inmitten der Wintersaison, nur eine solche gab es, die Vorstellungen wegen Mangels an Kleingeld einstellen müssen und ihr Personal der öffentlichen Mildtätigkeit preisgegeben. Ich gründete also einen Theaterverein, zunächst zu dem Zweck, um sämtliche Logen und die ersten Reihen der Sperrsitze durch die Honoratioren von Czernowitz für mindestens zwei Drittel der Vorstellungen der Saison fix abonnieren zu lassen, und dann aus diesem gesammelten und in der Sparkasse angelegten Fonds dem neuen Theaterdirektor fortlaufend Beträge anzuweisen, namentlich aber auch sein Personal vor plötzlicher Brotlosigkeit sicherzustellen. Meine Aktion hatte vollen Erfolg, die Stadt übergab meinem Verein ihr Theater und hieß uns den Direktor aufnehmen; wir fanden einen tüchtigen, denn er durfte auf gesicherte Einnahmen rechnen. Die vielen Theaterabonnenten riefen in allen Kreisen der Stadt das Interesse am Theater überhaupt wieder wach, und so konnte unser Direktor es auch wagen, hervorragende Kunstkräfte zu engagieren und als Gäste in Außerabonnements-Vorstellungen auftreten zu lassen. Unter diesen befand sich dann auch 1884 Frau Katharina Schratt, die ich erst als Obmann des Czernowitzer Theatervereins persönlich kennenlernte. Sie wußte von Baden aus, wer ich sei, und weihte midi daher sofort in ihre Verhältnisse ein. Sie erzählte mir das, was ich soeben über den Vermögensverlust des Herrn von Kiss berichtete, und erklärte mir, sie mache eine große Gastspieltournee durch alle größeren Städte Österreichs und vielleicht auch noch Deutschlands, um in den 8*
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verschiedensten Blättern gute Kritiken über ihre Kunstleistungen zu erzielen. Diese, gesammelt, wolle sie dann bei der Direktion des Burgtheaters in Wien einreichen, denn das Ziel ihrer Wünsche sei, k. k. Hofschauspielerin zu werden. Sie bat midi dringend, auf gute Kritiken bei den Czernowitzer Blättern Einfluß zu nehmen. Das tat ich gern und auch mit einigem Erfolg, war doch Kathi so eine Art engere Landsmännin des ehemaligen Badener Bezirkshauptmannes. Ich darf midi also dessen rühmen, mein Scherflein zu der späteren Karriere der Schratt beigetragen zu haben. Als ich 1886, in das Ministerium des Inneren berufen, in Wien Aufenthalt nahm, hörte ich, die Schratt sei bereits im Burgtheater engagiert. Eduard Palmer hatte dies zustande gebracht. Nun einiges über diesen, der im Vorjahr als Vizepräsident der Länderbank starb. 1886 war er noch Direktor der Alpine MontanGesellschaft. Ich war mit ihm 1885 als H o f r a t der Kärntner Landesregierung, als ich in deren Namen das nicht mehr benützte Direktionsgebäude in Klagenfurt von der Alpine Montan-Gesellschaft käuflich erwarb, damit es zum Palais für die Landesregierung umgestaltet werde, in geschäftliche Beziehungen getreten. Palmer war Hagestolz und insofern ein großes Original, als er in seinem schön eingerichteten Salon am Kolowratring gern Besuche von Theaterdamen, oder auch nur diesen Titel mißbrauchende Dämchen empfing, sich von ihnen erzählen ließ und sie, ohne irgendeine „Gegenleistung" zu verlangen, mit Geld unterstützte oder beschenkte. Man kann sich denken, daß sein Salon viel besucht war; sogar wildfremde Damen kamen hin. Audi Kathi Schratt hatte sich an ihn, ich weiß nicht von wem empfohlen, gewandt, er möge ihr wegen Tilgung ihrer Schulden behilflich sein, denn bei der Direktion des Burgtheaters, wo sie mit der Bitte vorgesprochen habe, auf Grund der guten Kritiken über ihre Kunstleistungen engagiert zu werden, sei ihr bedeutet worden, man sei dazu bereit, wisse aber auch, daß sie Schulden habe, und es widerspreche den Traditionen des Hauses, verschuldete Künstlerinnen zu engagieren. Palmer — er erzählte mir dies nachmals selbst — konnte und wollte die ziemlich bedeutenden Schulden der Frau von Kiss, ich glaube er nannte mir die Summe von rund 30 000 Gulden, nicht selbst zur Tilgung übernehmen, da er ja doch eine starke Klientel hilfsbedürftiger Damen hatte. Er ließ also bei seinen Freunden einen Zeichnungsbogen zirkulieren, auf welchem er als erster eine größere Summe subskribiert hatte. Er füllte sich bald mit weiteren Unterschriften, aber schließlich
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fehlten noch etwa 7000 Gulden. N u n wandte sich Palmer an seinen guten Bekannten, Baron Mayr, den Generaldirektor der kaiserlichen Familienfondsgüter, mit der Bitte, der Kaiser möge den Restbetrag übernehmen, damit eine interessante Schauspielerin für das Burgtheater gewonnen werde; und so geschah es. N u n wurde Frau von Kiss bedeutet, sie habe sich f ü r diesen außerordentlichen Gnadenakt in einer Audienz bei Seiner Majestät zu bedanken. Sie wurde belehrt, daß sie nach dem Eintritt in das Audienzzimmer selbst das Wort an den Kaiser zu richten und ihren Dank geziemend zum Ausdruck zu bringen habe. Wenn sie nun vielleicht auch als Schauspielerin den von ihr vorzubringenden Satz vorher gehörig memoriert hatte, so war sie doch sicher auch bei dem Hintritt vor den Kaiser als echte Theaterdame vom Lampenfieber befallen, und es fehlte der Souffleur. Sie steht also vor dem Kaiser und weiß in ihrer Aufregung kein Wort hervorzubringen. Als dieser ihr näher tritt, um ihr zu helfen, soll sie „Jessas, es war so schön, was ich hab' sagen wollen, und jetzt hat's mir die Red' verschlagen", oder nach anderer Version „Exlenz, jetzt weis ich nimmer, was ich hab' sagen sollen", hervorgestammelt haben. Der Kaiser aber hatte über ihre naive Verlegenheit lachen müssen, auch an ihrem Dialekt und vielleicht auch schon an ihren so schönen und heiter blickenden Augen Gefallen gefunden und sie in ein Gespräch gezogen. Jedenfalls war im kaiserlichen Vorzimmer aufgefallen, daß diese Audienz von etwas längerer Dauer gewesen als sie sonst bei derlei Danksagungen, die meist in ein oder zwei Minuten abgetan sind, üblich war. Kaum zwei Jahre nach dieser Szene erhielt das Mitglied des Burgtheaters, Frau Katharina Schratt, das Dekret als k. k. Hofschauspielerin, und nun war eine neue Danksagungsaudienz Gebot. Bei dieser soll in Erinnerung an die erste beiderseits viel gelacht worden sein, auch war sie von auffallend langer Dauer. Die Folge war, daß der Kaiser Frau Katharina sagen ließ, er habe sich so gut mit ihr unterhalten, daß er sie öfters zu sehen wünsche. Ich glaube, es war schon damals ausgemacht worden, daß sie ihm bei seinen einsamen Mahlzeiten Gesellschaft leiste und daß er sein Morgenfrühstück bei ihr einnehme. Frühmorgens hatte der Kaiser wohl stets die meiste freie Zeit, da er um 4 Uhr f r ü h aufzustehen pflegte, dann seine kalten Abreibungen machte und hierauf ein oder zwei Stunden an seinem Schreibtisch arbeitete. Erst um 9 oder 10 Uhr pflegten Empfänge und Audienzen zu beginnen. Von 7 bis 8 U h r verbrachte er die Zeit gern bei seiner neuen Freundin, die zu dieser Zeit schon frisiert und
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toilettiert sein mußte. Das aber war nicht der einzige erschwerende Umstand ihres Hofdienstes, sie mußte ihr Haus, würdig für Kaiserbesuche, herausstaffieren und eine größere Anzahl von Dienerschaft halten. Das alles kostete auch viel Geld. Baron Mayr und Palmer vereinbarten nun eine vom Kaiser ihr auszuwerfende Jahresapanage von — wenn ich nicht irre — zirka 30 000 Gulden. Welcher Art war nun der Verkehr des Kaisers mit seiner Freundin? Audi darüber hörte ich alsbald ganz Authentisches durch Frau Dr. Benischko. Diese, vor kaum drei Jahren gestorben, war die Witwe des berühmten Wiener Theaterdirektors Karl Treumann, der sich nach Baden in den freiwilligen Ruhestand zurückgezogen hatte. Dort verkehrte ich in seinem Haus, bis er etwa 1879 starb. Seine Witwe, eine ehemalige Schauspielerin, übrigens eine sehr gescheite und im geselligen Verkehr angenehme Frau, heiratete zwei Jahre später den reichen emeritierten Wiener Advokaten Dr. Benischko. Dieses Ehepaar besaß eine schöne Villa auf dem Kahlenberg. Frau Benischko sah dort, wie auch früher in Baden und dann in ihrer Wiener Stadtwohnung in der HohenstaufFengasse, so manche Theatergrößen, unter anderen die Wolter und die Geistinger, die ich bei ihr kennenlernte. Auch Frau Schratt zählte zu ihren Besucherinnen. Dieser nun hatte die Schratt alle Details ihrer ersten Begegnung mit dem Kaiser und die Art ihres Verkehrs mit diesem erzählt, und Frau Benischko vertraute mir das alles an. Sie empfange den Kaiser bei sich mit allem der Majestät gebührenden Respekt, und wenn ihr im Laufe des Gesprächs einmal „Gelt Franzi" oder eine andere ähnliche Anrede entschlüpfe, so entschuldige sie sich auch sofort mit den Worten: „Jessas, Majestät, was hab' i angstellt" oder dergleichen, und das stimme den Kaiser heiter. Aus der ersten Zeit dieser Beziehungen kann ich noch berichten, daß der Kaiser eines Tages Taaffe gegenüber Frau Schratt erwähnte. Erinnere ich mich recht, so hatte diese unflätige anonyme Briefe empfangen und der Kaiser wünschte daher, daß die Polizei sie davor schütze und die Schreiber ausfindig mache. Taaffe erzählte mir damals, der Kaiser sei bei dieser Erwähnung etwas verlegen gewesen, und errötend habe er beigefügt, er wisse, daß man im Publikum von seinem Verhältnis mit Frau Schratt rede, dieses aber sei ganz harmloser Natur. Ganz nahe am Schönbrunner Garten hatte die kaiserliche Freundin eine ihr, wie ich glaube, vom Kaiser geschenkte Villa bezogen. Ihr gegenüber war eine kleine Tür in der Schönbrunner Gartenmauer, die der Kaiser zu seinen Besuchen benutzte. Meist erschien er dort in aller
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Früh zum Frühstück. Der kaiserliche Wagen stellte sich in der Seitengasse auf, um des Befehls Seiner Majestät zu harren und diesen in die Burg zu führen. Neugierige stellten sich nun dort oder direkt vor der Villa auf, um den Kaiser heraustreten zu sehen. Baron Gorup, der nachmalige Polizeipräsident, hatte damals Dienst als Polizeikommissär bei Hof. Er forderte die Neugierigen einige Tage nacheinander jedesmal auf, ihres Weges zu gehen und den Platz zu räumen, war aber nicht wenig erstaunt, daß der Kaiser ihm, als er dieses bemerkt hatte, bedeutete, er möge die Wiener, die ihren Kaiser gern aus der Nähe sehen wollten, nur ruhig gewähren lassen, seine Besudle in einem Privathaus seien nicht geheimzuhalten. Und Herr von Kiss und die Kaiserin? Der erstere erschien bald wieder auf dem Wiener Platz, soll sich sehr gefreut haben, daß seine Gattin selbst für ihre Existenz sorge und so hohen Anwert gefunden habe. Er erhielt, um nicht von seiner Gattin erhalten werden zu müssen, eine Anstellung als Generalkonsul in Barcelona, von wo er nur zu gewissen Urlaubszeiten zu Besuch erschien. Er starb vor einigen Jahren. Ihrer beider Sohn wurde im Theresianum erzogen, war bei seinen Kameraden sehr beliebt und ergriff die diplomatische Karriere. Er durfte, wenn er in Wien weilte, den Kaiser abends besuchen und sich dazu einfach durch den Kammerdiener anmelden lassen. Auch vor der Kaiserin hat Seine Majestät die Beziehungen zu Frau von Kiss nicht geheimgehalten, und alsbald hieß es, daß ein reger freundschaftlicher Verkehr zwischen beiden Frauen entstanden sei und daß häufig Diners zu dreien in dem neuen Lainzer Schloß stattfänden. Der Kaiserin war es sehr darum zu tun, daß der Kaiser, wenn sie selbst auf Reisen war, sich nicht verlassen fühle und Zerstreuung oder vielleicht auch Pflege finde, falls er solcher bedürfe. Die Kaiserin blieb nun immer länger von Wien aus; ebenso von Ischl. Auch dort hatte Katharina Schratt bald eine von der Kaiservilla aus auf einem wenig begangenen Fußsteig zu erreichende Villa. Ebenso übersiedelte sie, die früher noch in einem Zinshaus in der Nibelungengasse in Wien gewohnt hatte, vor einigen Jahren in ihr eigenes Ringstraßenhaus. Das waren gewiß alles kaiserliche Geschenke, ebenso wie die prächtigen Einrichtungen dieser Behausungen, die „ K a t h i " sich mit Verständnis und, wie man sagt, auch mit einigem Geschmack bei Antiquaren und auf Auktionen meist persönlich anzuschaffen wußte. Ihre Jahresapanage wurde mehrmals erhöht, wie mir Palmer erzählte. Er war stets sehr stolz darauf, über derlei Fragen vom Kaiser zu Rate gezogen worden zu sein, der sich überhaupt gern mit ihm über allge-
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meine wirtschaftliche und finanzielle Fragen unterhalten habe. Einmal wurde bei einer Bank ein großes Kapital für Frau Kathi deponiert, damit sie selbst die Zinsen beheben könne und die ratenweisen Anweisungen ihrer Apanage aufhörten. Ich selbst begegnete ihr, nachdem sie des Kaisers Gunst gewonnen, mehrfach. Ich war noch nicht lange Statthalter, als der Kaiser mir einmal sagte, Frau Schratt werde von einem jungen Mann mit Briefen molestiert und er werde sie zu mir schicken, damit sie mir das Nähere mitteile, und wir erörtern könnten, wie ihr Ruhe zu verschaffen sei. Sie kam in mein Büro, worauf ich auf Grund ihrer Angaben Nachforschungen anstellen ließ, die das Ergebnis hatten, daß ein Irrsinniger sie mit Liebesbriefen für sich gewinnen wollte; er war bald zur Ruhe gebracht. Dann trieb eine Hochstaplerin in der Burg ihr Unwesen. Abermals sandte mir der Kaiser die Schratt, und die Schwindlerin wurde entlarvt. Diese Besuche, wenn auch in meinem Büro, hätten doch vielleicht aus Höflichkeit Gegenbesuche von mir erfordert; ich unterließ sie in der Erwägung, daß ich nicht in den geselligen Kreis ihres Hauses gezogen werden wollte. Andere Herren und Damen der Wiener Gesellschaft hatten es zuwege gebracht, in ihrem Hause zu verkehren und von ihr zu Diners und Gesellschaften eingeladen zu werden. Das hatte aber auch stets zu Gerede Anlaß gegeben, etwa daß sie es aus Strebertum täten oder daß sie Dinge beim Kaiser auf Umwegen erreichen wollten. Dem wollte ich mich niemals aussetzen. Hier muß nun gesagt werden, daß Katharina Schratt, Gott sei es gedankt, stets das gerade Gegenteil von einer Intrigantin war, vielmehr von bürgerlich-harmlosem Gemüt. Gerade mit dieser Natürlichkeit und Naivität wußte sie aber den Kaiser nun schon mehr als ein Dritteljahrhundert an sich zu fesseln, ihn, der nach den politischen Mühen und Sorgen des Tages ein einfacher Mensch und unterhalten sein wollte. Vor der Freundschaft mit der Schratt sah man den Kaiser nur selten in einem Theater, und wenn, so nur für einen oder zwei Akte bei Balletts in der Hofoper, dann aber erschien er, wenn sie auftrat, fast regelmäßig in seiner „Inkognito-Loge" im Burgtheater. Allerdings verließ er das Theater gegen 9 Uhr, denn er begab sich bekanntlich stets frühzeitig zur Ruhe, da er doch regelmäßig um 4 bis 5 Uhr morgens aufstand. D a ß der Beginn der Vorstellungen in den Hoftheatern noch immer auf 7 Uhr festgesetzt ist, hat seinen Grund darin, daß dem Herrn derselben, dem Kaiser, wenn er auch seine Häuser seit Jahren eigentlich nie besucht, die Möglichkeit gegeben sein soll, den Vorstellun-
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gen beizuwohnen oder sie wenigstens bis nahe z u ihrem Schluß z u v e r f o l g e n . U n d d a die H o f t h e a t e r tonangebend sind, haben auch die anderen Theater Wiens stets noch A b s t a n d genommen, ihre Vorstellungen wesentlich später beginnen z u lassen, wie d a s in anderen G r o ß städten längst der F a l l ist. D i e Schratt wußte den K a i s e r in den ersten J a h r e n der B e k a n n t schaft zumeist mit Theatertratsch u n d mit Tagesneuigkeiten aus der S t a d t zu unterhalten; die natürliche u n d heitere A r t , in der sie diese im Baden-Wiener D i a l e k t v o r z u b r i n g e n wußte, fesselte ihn. Seit sie sich selbst v o n der B ü h n e zurückgezogen hatte, sammelte sie eifrig solche Kleinigkeiten; seit jeher hatte sie einen K r e i s v o n Bekannten um sich, die ihr solche D i n g e zutrugen. Ich erwähnte schon oben, d a ß manche Persönlichkeiten sidi in diesen interessanten K r e i s E i n g a n g z u verschaffen wußten, vielleicht in der E r w a r t u n g , dort f ü r sich oder ihre Angehörigen etwas herausschlagen z u können. Sie erlebten wohl meist Enttäuschungen. U n t e r den Streberbesuchern des H a u s e s Schratt ist als typisches Beispiel der jüngst pensionierte U n i v e r s i t ä t s p r o f e s s o r des Wechselrechts, D r . G r ü n h u t , der „ b e r ü h m t e " Gelehrte, z u nennen; seine Berühmtheit v e r d a n k t e er gewiß seiner N e b e n b e s c h ä f t i g u n g als Leitartikler
der
„ N e u e n Freien P r e s s e " . In den höchsten jüdischen Kreisen der R e s i d e n z w i r d der übrigens geistreiche M a n n mit S t o l z „ U n s e r
Oberjesuit"
genannt. E r wußte im S a l o n Schratt so manches W o r t z u lancieren, d a m i t es womöglich zu Ohren des K a i s e r s k o m m e u n d benützte diesen O r t auch dazu, u m S t i m m u n g f ü r seinen Schwiegersohn Sieghart z u machen, der den Posten des G o u v e r n e u r s der B o d e n c r e d i t a n s t a l t anstrebte (vgl. Seite 158 ff., 315 f.). K l e i n e r e Streberziele v e r f o l g t e d a s alte E h e p a a r G r a f P h i l i p p BoosWaldeck, welches erst in den letzten J a h r e n Gastfreundschaft bei F r a u v o n K i s s in deren V i l l a in Ischl genoß, u n d dem es sogar gelang, d o r t mit dem K a i s e r z u s a m m e n z u t r e f f e n u n d Wünsche v o r z u b r i n g e n . Solche „ z u f ä l l i g e " Begegnungen mit dem Monarchen scheint mir die Schratt wohl nicht g a n z selten veranstaltet zu haben, denn ich hörte mehrmals v o n solchen, wohl auch in der Absicht, d e m K a i s e r eine U n t e r h a l t u n g zu verschaffen. D a z u gehört die mit G i r a r d i . Dieser hatte nach der zurückgegangenen V e r l o b u n g mit seiner K a t h i natürlich den V e r k e h r mit ihr abgebrochen und einige J a h r e später die f a m o s e Schauspielerin Helene O d i l o n , recte P e t e r m a n n ,
geheiratet.
Diese, in Theaterkreisen als „eines der größten L u d e r "
bezeichnet,
hatte wegen ihres s k a n d a l ö s e n L e b e n s w a n d e l s Berlin verlassen und sich
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Katharina Schratt
a m Wiener Volkstheater engagieren lassen, von w o aus sie sich unbegreiflicherweise den etwas naiven Girardi einfing und ihren neuen Gatten von allem Anfang an auf das unverschämteste betrog. Es sind nun genau 20 J a h r e her, daß dieser, von rasender Eifersucht geplagt, förmlich trübsinnig wurde und beinahe geistesgestört erschien. Seine Helene hatte ihn daher durch Psychiater beobachten lassen und stand im Begriff, ihn in eine Heilanstalt zu bringen. Als ihm deren Absicht kund wurde, eilte der Arme in seiner N o t zu seiner Jugendliebe K a t h i mit der Bitte, sein rettender Engel zu sein, denn schon sei die Anzeige von bei ihm ausgebrochenem Irrsinn bei der Polizei erstattet worden und er müsse jeden Augenblick gewärtigen, in das Irrenhaus gesperrt zu werden. K a t h i half ihm. Eine neue ärztliche Beobachtung ergab Erregungszustände. Ehescheidung und Kaltwasserkur wurden verordnet. N u n sollte der Kaiser Girardi kennenlernen. Die Zusammenkunft f a n d in der Schrattschen Villa in Ischl statt. Girardi w a r sehr verlegen und brachte kaum ein Wort heraus. Als ihm der Kaiser dann sagte, er habe gehofft von ihm unterhalten zu werden, soll der K o m i k e r ihm g a n z im Ernste geantwortet haben: „Sie haben leicht reden, haben Sie schon einmal mit einem Kaiser gejausnet?" Der Kaiser aber brach daraufhin in lautes Lachen aus und dann ging die Konversation gut vonstatten. Girardi, nunmehr wieder verheiratet, besitzt seit mehreren Jahren, ebenso wie die Schratt, eine Villa in Ischl und steht in freundschaftlichem Verkehr mit seiner einstmaligen Braut. Die Pflege, die die Schratt ihrem Kaiser hat angedeihen lassen, währte nun bereits 30 Jahre, eine lange Zeit gegenseitiger Treue und Zuneigung. N u r ein einziges Mal war dieses Verhältnis getrübt, doch ist das schon lange her. K a t h i war, wie man mir sagte, wegen des häufigen und frühen Aufstehens sehr nervös geworden und gegen den ausdrücklichen Wunsch des Herrschers zur Erholung an die Riviera gefahren und lange dort geblieben. Endlich aber muß eine Botschaft, wie „Kehre zurück, alles verziehen" an sie ergangen sein. Der Polizeipräsident meldete mir eines Tages, Seine Majestät sei am Abend des Vortages spät inkognito in einem Fiaker und mit einem mächtigen Blumenstrauß in die Nibelungengasse gefahren, und z w a r zur Zeit der Rückkunft der Frau Schratt nach Wien. Seither hat sie den Kaiser während seiner mehrmaligen heftigen Bronchitis-Erkrankungen stets getreulich gepflegt, ihn, wenn er wohl war, auf seinen Spaziergängen — auch im großen Schönbrunner P a r k ,
Katharina Schratt
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w o Publikum das P a a r beobachten k o n n t e — begleitet, ihm zu so mancher Stunde des Tages die Sorgen verscheucht u n d ihn erheitert. Eine anderweitige Pflege u n d gewisse Zerstreuung ist d e m Kaiser wohl n u r durch seine Tochter, Erzherzogin Valerie, zuteil geworden, die bisweilen mit ihren vielen K i n d e r n im Schönbrunner Schloß A u f enthalt n a h m . Zu diesen Zeiten soll sich die Schratt auffallend zurückziehen. Diese zwei Frauen sollen angeblich nicht in Verkehr miteinander stehen. Der G r u n d ist mir u n b e k a n n t geblieben. Alle andere Welt aber k a n n der K a t h a r i n a Schratt nur d a n k b a r sein, d a ß sie es verstanden hat, Österreichs Kaiser bei guter Laune zu erhalten, ihm den Lebensabend zu verschönen und — nie Intrigen gesponnen zu haben. Geschrieben im August 1915 zu Bergheim.
NACHTRAG ( v e r f a ß t a m 27. N o v e m b e r 1916) A m 21. N o v e m b e r 1916, etwas nach 10 U h r abends, starb der Kaiser. Gleich in den nächsten Tagen beschäftigte m a n sich in allen Kreisen Wiens mit Frau Schratt. D i e unglaublichsten Gerüchte w u r d e n verbreitet. Die wesentlichsten derselben sind folgende: 1. K a t h i habe den Kaiser w ä h r e n d seiner letzten K r a n k h e i t pflegen wollen, doch sei ihr plötzlich der Z u t r i t t in die kaiserlichen Gemächer auf Befehl des Ersten Obersthofmeisters, Fürst M o n t e n u o v o , v e r w e h r t worden, worüber sie sich beschwert habe, da ihr doch dieser Z u t r i t t zu jeder Zeit durch volle 30 J a h r e freigestanden habe. M o n t e nuovo habe ihr eine Stunde nach dem Ableben des Kaisers von dem traurigen Ereignis telephonisch Mitteilung gemacht u n d ihre t r ä n e n erstickte Stimme am A p p a r a t deutlich hören können. 2. D e r junge Kaiser K a r l habe nach erfolgtem Ableben des Kaisers Franz Joseph die u m das Sterbebett versammelten Familienangehörigen a u f g e f o r d e r t , den R a u m zu verlassen, habe d a n n selbst Frau Schratt in diesen g e f ü h r t , ihr wärmstens f ü r alle Treue u n d Pflege, die sie dem entschlafenen Kaiser durch so viele J a h r e habe angedeihen lassen, ged a n k t u n d sie dann allein im Sterbegemach gelassen, damit sie die noch w a r m e H a n d des Toten noch einmal küssen u n d am Sterbebett ihre
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Katharina Schratt
Andacht verrichten könne. Nach Ablauf von etwa fünf Minuten sei Kaiser Karl wieder in das Sterbezimmer getreten, um Frau Schratt aus demselben zu geleiten u n d den Zutritt der Familienangehörigen und der dienstlichen Umgebung des entschlafenen Kaisers wieder aufnehmen zu lassen. Diese Geschichte wird mit dem recht hübschen und naheliegenden Zusatz verbreitet, sie zeige einen menschlich schönen Charakterzug des jungen Kaisers. 3. Frau Katharina habe vor dem im Sterbezimmer des Kaisers angebrachten Hausaltar einen feierlichen Schwur geleistet, nie in intimeren Beziehungen zum Verstorbenen gestanden zu sein. Die letztere, doch recht indiskrete Geschichte wird auch noch mit dem unzarten Zusatz verbreitet, die Tochter des Kaisers, Erzherzogin Valerie, habe diesen Eid persönlich von Frau Schratt verlangt, oder doch diese veranlaßt, ihn zu leisten. Alle diese Geschichten kamen mir von allem Anfang an unglaubwürdig vor. Dennoch beschloß ich, ihnen nachzugehen, und ich wandte mich an einen höheren Hofbediensteten, der seit Beginn des Unwohlseins des Kaisers in seiner nächsten N ä h e eine Art Permanenzdienst geleistet und dann auch nach eingetretenem Tod bei der Leiche und deren Präparierung zu assistieren hatte. Es ist dies der Direktor der kaiserlichen Hofapotheke, Regierungsrat Koller. Dieser Gewährsmann teilte mir auf Grund seiner eigenen Beobachtungen und der Aussagen der Leibkammerdiener des verstorbenen Kaisers folgendes mit: Alle erwähnten Geschichten sind von A bis Z erfunden. Wahr ist, daß Frau Schratt etwa in den letzten zehn Tagen vor dem Ableben des Kaisers nicht mehr bei ihm erscheinen konnte, weil sie selbst krank und sogar bettlägerig w a r . Einer eigentlichen Krankenpflege bedurfte der Kaiser auch gar nicht, er hatte, wie allgemein bekannt, nur an den zwei letzten Tagen vor dem Eintritt der Schwäche u n d des Todes wohl eine etwas erhöhte Temperatur, änderte dabei aber Tageseinteilung und Tagesarbeit in nichts und nahm die gewohnten E m p f ä n g e vor. Am Tage vor seinem Tode, also am Montag, dem 20. November, hatte der Kaiser seinem Leibkammerdiener gesagt, Frau Schratt feiere am Samstag, dem 25. November, ihren Namenstag (Katharina) und, da er sie jetzt nicht sehen könne, wolle er ihr seinen Glückwunsch mit einem Blumenstrauß bekunden; ein solcher möge bestellt werden. Auch recht hübsch und rührend als einfacher Abschluß eines, ob nun rein platonischen oder anderen, Verhältnisses von dreißigjähriger Dauer.
ERZHERZOG
KARL LUDWIG
UND
SEINE
SÖHNE
Meine selige Mutter, eine ebenso aufgeklärte wie geistreiche Frau, die Fürstlichkeiten der verschiedensten Länder genau kennengelernt hatte, meinte oft scherzweise, man solle die Menschen nach ihrer Art in Schwarze, Weiße und Fürsten einteilen. Alle besonderen charakteristischen Eigenschaften eines Prinzen, und z w a r eines gut katholischen, hatte Erzherzog Karl Ludwig. Ich möchte midi um keinen Preis an dem Andenken dieses kaiserlichen Bruders versündigen, der mir gegenüber, besonders nachdem ich Statthalter geworden war, so leutselig war, wenn ich jetzt unternehme, ihn und seine Art sich zu geben, die ich genau kennenzulernen Gelegenheit hatte, wahrheitsgetreu zu schildern. Seine Bildung und sein Verstand waren mittelmäßig, seine Erziehung eine streng klerikale und echt prinzliche gewesen. E r war 15 Jahre alt, als sein Bruder als Kaiser Franz Joseph I. den Thron bestieg, und bald gewohnt, den Abglanz der Krone auf sich wirken zu lassen. Seine erste Ehe mit einer Prinzessin von Sachsen war kinderlos geblieben, seine zweite Gemahlin, eine Prinzessin beider Sizilien, brachte die Tuberkulose in sein Haus, an der sie auch, noch jung, 1871 verschied, nachdem sie ihm drei Söhne und eine Tochter geschenkt hatte. Kaum Witwer geworden, heiratete er ehestens wieder, in dritter Ehe Maria Theresia von Braganza, die schöne Frau, die sich jetzt während des Weltkrieges als Krankenschwester auszeichnet. 1869 fand beim Erzherzog ein großer Ball statt. Seine zwei ältesten Söhne, Franz und Otto, waren, mit kurzen schwarzen Jacken und breiten weißen Umlegekragen angetan, dabei, beide sehr nett anzuschauen und sehr verlegen, als wir junge Herren uns vorstellen ließen. Den Kotillon f ü r diesen Ball hatte der regelmäßige Vortänzer der Wiener Gesellschaft, zu jener Zeit Graf Dominik Hardegg, vorbereitet, den ich seit 1867 in dieser seiner Funktion unterstützte oder sogar vertrat. Ein unglücklicher Zufall wollte es, daß Hardegg am Balltag erkrankte. Er ließ dies in das erzherzogliche Palais melden, mit der Beifügung, er habe mich wegen des Kotillons und anderem informiert, damit
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Erzherzog Karl Ludwig u n d seine Söhne
ich ihn als Vortänzer vertrete. Am Abend kommt mir des Erzherzogs Dienstkämmerer Graf Albert Nostitz mit den Worten entgegen, sein hoher H e r r bedauere, mich nicht vortanzen lassen zu können, weil das doch f ü r midi, einen Protestanten, in seinem Hause nicht gut angehe. Es ist nicht unmöglich, d a ß Nostitz der Anreger dieser Unglaublichkeit gewesen ist. Im weiteren Verlauf des Jahres 1869 diente ich als Einjährig-Freiwilliger im 7. Ulanenregiment, dessen Inhaber Erzherzog Karl Ludwig w a r . Ich sah ihn nun einige Male beim Regiment und hatte mich bei ihm 1870 als Reserveleutnant desselben vorzustellen. Ich war ein bekannter Schlittschuhläufer Wiens, und war, als 1870 der Eislaufverein gegründet worden war, viel auf dessen Eislaufplatz zu sehen. Ich befand mich dort oft in Gesellschaft der oben genannten jungen Erzherzoge, als diese das Schlittschuhlaufen erlernten. 1871 war Karl Ludwigs zweite Frau gestorben, und ein Jahr danach brachte er aus Heubach in Bayern seine dritte, die, jung und lebenslustig, gern und viel tanzte. Hardegg, der noch immer als Vortänzer fungierte, hatte sich alsbald in diese auffallend schöne Frau versdiaut u n d trachtete, ihr nun zu begegnen, wo er nur konnte. Ich glaube, er bildete sich nur ein, daß auch sie sich f ü r ihn interessiere. Dem Erzherzog aber war das häufige Auftauchen Hardeggs denn doch schließlich verdächtig geworden, so daß er meinem Freund durch einen Mittelsmann bedeuten ließ, er möge sich gefälligst zurückhalten. Er scheint also eifersüchtig gewesen zu sein. Es hieß von ihm, der damals scherzweise wohl auch „der Blaubart" genannt wurde, er vertrage sich mit seiner jugendlichen Frau nicht ganz gut und plage sie vielfach mit Eifersuchts- und anderen häuslichen Szenen. Sie hatte wundervoll langes, braunes H a a r , auf dessen Pflege sie naturgemäß viel Zeit verwendete. Als sie plötzlich mit kurzen H a a r e n in der Welt erschien, hieß es allgemein, sie habe sich nach einer solchen Szene ihre langen Zöpfe abgeschnitten und diese dem H e r r n Gemahl vor die Füße geworfen. Als Erzherzog Franz anfangs der 1880er Jahre herangewachsen war und nun als Leutnant zu einem Dragonerregiment einrücken sollte, ließ der Erzherzog-Vater die Stabsoffiziere dieses Regiments zu sich kommen, empfing sie leutselig zu einem Frühstück, stellte ihnen seinen Ältesten vor und hielt eine schöne Rede. Er wünsche, daß sein Sohn eine gründliche militärische Ausbildung erhalte, nichts sei ihm im strengen Dienst zu schenken, er solle nichts vor seinen Offizierskameraden voraus haben und dergleichen. „Aber, meine Herren", so schloß die Rede, „ich bitte Sie,
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niemals z u vergessen, d a ß Sie einen E r z h e r z o g in Ihrer Mitte haben, dem alle einem kaiserlichen Prinzen schuldigen Ehren u n d Rücksichten g e b ü h r e n . " D e r junge H e r r soll beim R e g i m e n t so manche Exzesse begangen haben, v o n denen d a n n viel die R e d e w a r . D a g e g e n einzuschreiten, h a t sich keiner der S t a b s o f f i z i e r e des Regimentes getraut. E r z h e r z o g K a r l L u d w i g , dem der kaiserliche Bruder gewisse kleinere Vortragsstücke betreffend G n a d e n g a b e n , Pensionserhöhungen
unter-
geordneter Staatsbediensteter und derlei keine staatliche Wichtigkeit habende D i n g e zur E r l e d i g u n g in seinem N a m e n übertragen hatte, w a r auf diese Befugnisse nicht wenig stolz, e r w ä h n t e sie gern gegenüber Ministern und anderen S t a a t s w ü r d e n t r ä g e r n . Ebenso glücklich w a r er darüber, d a ß der K a i s e r ihm besonders überlassen hatte, sich der K u n s t u n d des Gewerbes durch Ü b e r n a h m e des P r o t e k t o r a t s
einschlägiger
Vereine, durch Besuche v o n Ausstellungen u n d dergleichen anzunehmen. In ähnlicher Weise w a r E r z h e r z o g Feldmarschall Albrecht berufener F ö r d e r e r des Heeres, E r z h e r z o g R a i n e r der k. k. L a n d w e h r u n d der Wissenschaft. E r z h e r z o g K a r l L u d w i g f u n g i e r t e fleißig als P r o t e k t o r der Genossenschaft der bildenden K ü n s t l e r . K e i n W o r t , das er als solcher sprach, entging dem O h r des M a l e r s Mehoffer, der den hohen H e r r n in Wort und G e b ä r d e n d a n n so gut nachzuahmen verstand, d a ß es stets lautestes Gelächter hervorrief. D e r E r z h e r z o g hatte die Eigentümlichkeit, bei seinen Cercles a u f f a l l e n d viel z u s t i m m e n d mit dem K o p f zu nicken u n d , um seiner Z u s t i m m u n g noch leutseliger Ausdruck zu geben, die letzten Worte dessen, der ihm geantwortet hatte, zu wiederholen. Auch im niederösterreichischen Gewerbeverein erschien er oft als dessen P r o t e k t o r , u m den G l a n z der V e r s a m m l u n g e n zu erhöhen und kaiserliche Auszeichnungen oder Preise des Vereines selbst an dessen Mitglieder oder Bedienstete zu verteilen, w a s ihm, d a er d a n n auch stets mit Ansprachen gefeiert w u r d e , große F r e u d e zu bereiten schien. G a b es in einem größeren gewerblichen Etablissement etwas Besonderes zu sehen, so lud m a n ihn z u r Besichtigung ein, und der I n h a b e r nützte den hohen Besuch d a n n z u R e k l a m e z w e c k e n aus. S o manche O r d e n jäger unter den F a b r i k a n t e n v e r d a n k t e n ihre D e k o r a t i o n e n u n d S t a n deserhöhungen A n r e g u n g e n oder B e f ü r w o r t u n g e n des E r z h e r z o g s . Ein sprechendes Beispiel hiefür w a r der K a s s e n f a b r i k a n t Wertheim, der es schließlich bis zum B a r o n brachte. A l s 1880 die Pariser Weltausstellung stattfinden sollte, hatte unter anderen auch die V ö s l a u e r K a m m g a r n f a b r i k eine schöne K o l l e k t i o n ihrer Erzeugnisse zusammengestellt, die sie dorthin senden
wollte.
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Der Generaldirektor Falk dieser Gesellschaft lud nun den Erzherzog ein, die große Vöslauer Fabrik und in ihr die Ausstellungsgegenstände zu besichtigen und bei ihm das Frühstück zu nehmen. Meine Sache als Bezirkshauptmann von Baden war es, den Erzherzog bei seiner Ankunft in Vöslau mit zu empfangen, ihm die Gemeinde- und Fabriksfunktionäre vorzustellen, und dann den Besuch in der Fabrik mitzumachen. Nach aufgehobener Frühstückstafel befragte midi der Erzherzog, ob ich mit meinem Wagen nach Baden heimzufahren gedenke, und als ich dies bejahte, meinte er, es werde ihn besonders freuen, wenn ich ihn in seinem Salonwagen auf der Eisenbahn bis Baden begleiten wollte. Sehr erstaunt über diese Gnadenbezeugung, zumal der Zug von Vöslau bis Baden nur neun Minuten Zeit braucht, wurde mir ihr eigentümlicher Zweck bald klar. Wir steigen in den Salonwagen ein, der Erzherzog zeigt ihn mir eilends in allen seinen Abteilen und sagt mir dann: „Nicht wahr, sehr schön und praktisch in allen seinen Bestandteilen? U n d nun stellen Sie sich vor, was mir geschehen ist. Vor nicht langer Zeit meldet mir der Generaldirektor der Südbahn, Bontoux, er habe diesen neuen Wagen ausschließlich zur Benützung für Seine Majestät und dessen Brüder bauen lassen und hoffe, daß er mir gefallen werde. Vor 14 Tagen aber sagt mir der Vetter Albert (so nannte er den Erzherzog Albrecht!), er habe eben zu einer Inspektionsreise den neuen Südbahn-Salonwagen benützt und gut und praktisch befunden. Was sagen Sie zu diesem Bontoux, der einen Wagen f ü r den Kaiser und dessen Brüder bauen läßt, und dann den Erzherzog Albert als ersten einladet, ihn zu benützen?" Ich w a r der Verlegenheit enthoben, auf diese Frage zu antworten, denn wir fuhren in die Station Baden ein, wo ich mich zu verabschieden und auszusteigen hatte. Die Mitglieder unseres Kaiserhauses, welche durch den Zwang der strengen spanischen und stets noch vom Ersten Obersthofmeister gehandhabten Etikette von so vielen den Geist erhebenden oder Zerstreuung bietenden Dingen förmlich ausgeschlossen sind, haben ein recht eigentümliches, sie von der Außenwelt in vielen Richtungen abschließendes Leben zu führen, welches bei den jüngeren männlichen Mitgliedern zu Beziehungen mit ihrer nicht würdigen Weibern zu führen pflegt, bei allen aber, fast ohne Ausnahme, eine gegenseitige Beobachtung ihres Tuns und Lassens hervorruft, die dann in Mißgunst und Eifersucht ausartet.
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Mir w a r Ähnliches wiederholt bei dem jüngsten Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig Victor, aufgefallen, der mir gegenüber manchmal abfällige Bemerkungen über den einen oder anderen seiner hohen Herren Vettern machte. Ganz ungeniert ließ er seiner spitzen Zunge gegen Erzherzog Albrecht freien Lauf, als dieser es beim Kaiser durchgesetzt hatte, daß der letztere seine Einwilligung zur ehelichen Verbindung des Erzherzogs Friedrich mit der Prinzessin Isabella Croy gab. Diese war nämlich bis dahin von der belgischen Gesandtin, Comtesse de Jonghe d'Ardoye, in Wien in die „große Welt" eingeführt worden und hatte in dieser eine nur recht bescheidene Rolle gespielt. Die kaiserlichen Brüder waren ganz entschieden gegen diese Mißheirat aufgetreten und nun vollends außer Rand und Band, als der den ihren überwiegende Einfluß des „Vetters Albrecht" beim Kaiser es sogar erreicht hatte, daß die kleine C r o y als ebenbürtig anerkannt wurde. Eines anderen Beispiels von Eifersucht unter den Mitgliedern des Kaiserhauses, deren ich übrigens zahlreiche anführen könnte, erinnere ich mich aus meiner Badener Zeit. Der Kaiser hatte das dortige sogenannte Kaiserhaus am H a u p t p l a t z , das Kaiser F r a n z I. und dann auch noch Kaiser Ferdinand als bescheidene Sommerresidenz gedient hatte, seit jener Zeit aber unbewohnt geblieben war, seinem gichtleidenden Vetter, dem mit Glücksgütern wenig gesegneten Erzherzog Karl Salvator samt Familie zur Verfügung gestellt, damit er bequem die Badener Schwefelbäder gebrauchen könne. Zwei oder drei Sommer nacheinander brachte diese erzherzogliche Familie nun in Baden zu. Höchst bescheiden und einfach in ihrem Auftreten und die Badener Bürger gern leutselig ansprechend, genossen der Erzherzog und seine Gattin Maria Immaculata dort bald große Popularität. Vollends stolz auf ihr neues erzherzogliches H a u s waren aber meine lieben Badener, als die Erzherzogin dort im September 1878 eine Tochter gebar u n d der Kaiser nun zu deren Taufe auf die N a m e n Maria Immaculata Raineria nach Baden kam. Kaum hatte sich die Erzherzogin-Mutter von ihrem Wochenbett erhoben, als die Badener ihr einen Fackelzug brachten und der Gemeinderat mit dem Bürgermeister Graf Christallnigg an der Spitze zur Gratulation bei ihr erschien und ihr einen prächtigen Blumenstrauß überreichte. Diese Taufe und der Kaiserbesuch fanden in den letzten Septembertagen statt, als die eigentliche Kursaison schon vorüber war, der Fackelzug hatte also keinerlei besonderes Aufsehen erregt. Einige Tage nach demselben wurde ich zur Erzherzogin Marie, Gattin des Erzherzogs Rainer, zum Tee eingeladen und gleich nach den ersten Begrüßungsworten von ihr befragt, was 9
Goldinger, Kaiserhaus
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denn nur die Badener Gemeinde zu dieser O v a t i o n f ü r die Erzherzogin M a r i a I m m a c u l a t a habe veranlassen können. Sie u n d E r z h e r z o g Rainer b e w o h n t e n doch in Baden seit J a h r e n ihre Villa, ohne d a ß ihnen je gehuldigt worden sei. Ich erinnere mich heute nicht mehr genau, ob und w i e es mir gelungen ist, das H a u s Rainer in seiner Eifersucht gegen das H a u s K a r l Salvator zu beruhigen. Erzherzog Rainer w a r ein äußerst ruhiger und einsichtsvoller M a n n , der mit Recht d a v o n überzeugt w a r , d a ß auch er die Sympathien der Badener genieße. E r trug das Seinige dazu bei, seine Gattin, die ja auch gutmütig u n d liebenswürdigen C h a r a k t e r s war, zu beruhigen. Von Baden nach Sechshaus und d a n n als Regierungsrat nach Czern o w i t z versetzt, hatte ich keine näheren Beziehungen mehr z u m Hause K a r l Ludwig. Diese sollten in recht eigentümlicher Weise erst wieder beginnen, nachdem ich 1885 als H o f r a t zur Landesregierung in Klagenf u r t bestimmt worden w a r . Noch im L a u f e desselben Jahres rückte E r z h e r z o g K a r l Ludwigs zweiter Sohn O t t o als ganz jugendlicher L e u t n a n t z u m dort stationierten Ulanenregiment ein. Als K a m m e r v o r steher bei ihm fungierte ein alter guter Bekannter v o n mir, Baron Türckheim. Alles, was ich folgend über die J u g e n d j a h r e Erzherzog O t t o s berichte und was ich nicht selbst als Augenzeuge miterlebte, s t a m m t aus den Mitteilungen dieses sehr gewissenhaften H o f f u n k t i o närs, d e r in Klagenfurt stets in engstem persönlichen V e r k e h r mit mir stand. Ich weiß nicht, ob Erzherzog K a r l Ludwig, als er den Erzherzog O t t o z u m 8. Ulanenregiment einteilen ließ, den Stabsoffizieren desselben eine ähnliche Ansprache, wie die bei der Einrückung seines Ältesten erwähnte, gehalten h a t ; ich möchte es annehmen. Diese Stabsoffiziere w a r e n der Oberst Heinrich Graf Lamberg u n d der Oberstl e u t n a n t Graf Christallnigg, beide etwas schwerhörig. Erzherzog O t t o stieg in der sogenannten H o f b u r g in K l a g e n f u r t ab, u n d alsbald erscheinen die genannten Stabsoffiziere mit dem gesamten Offizierskorps bei ihm, um ihn zu begrüßen. N a c h erfolgter Vorstellung der einzelnen H e r r e n will der Erzherzog, der recht schücht e r n w a r u n d es auch in der Folge blieb, eine U n t e r h a l t u n g mit dem O b e r s t beginnen und stellt, leise redend, eine Frage an ihn. Der versteht sie nicht und a n t w o r t e t verkehrt, das wiederholt sich noch einmal. O t t o wendet sich nun an den Oberstleutnant, erwischt unglücklicherweise dessen schlechtes O h r , u n d so k o m m t auch da keine rechte Wechselrede zustande, so d a ß der E m p f a n g vorzeitig unter allgemeiner Verlegenheit endigt.
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Oberst Graf Heinrich Lamberg, der eine Prinzessin Schwarzenberg zur Frau hatte, wohnte mit ihr im „Sandhof", einem kleinen Schloß ziemlich weit außerhalb der Stadt, führte ein recht zurückgezogenes Leben und war unter seinen Offizieren nur selten zu sehen. Dies galt auch von Christallnigg, trotzdem er unverheiratet war. Beide kümmerten sich um den neuen Leutnant-Erzherzog blutwenig, um so mehr nahm sich dessen der Regimentsadjutant, Oberleutnant Freiherr von Abele, an, der ein den Wein und die Weiber abwechslungsweise liebender schneidiger Kavallerieoffizier war. Nun wurden fleißig Ausflüge der jungen Offiziere zu den auswärts von Klagenfurt einquartierten Eskadronen unternommen und fröhliche Weingelage veranstaltet, an denen der junge Herr recht bald sehr lebhaftes Gefallen zu finden begann. Dies flotte und amüsante Leben fand aber schon nach wenigen Wochen eine Unterbrechung, da nämlich Erzherzog Karl Ludwig seinen zu diesem Zeitpunkt kaum 20 Jahre alten Sohn zu sich berief, um ihn zu verheiraten. Damit hatte es folgende Bewandtnis. Karl Ludwig war mit seinem ehemaligen Schwager, dem Prinzen, nachmals König, Georg von Sachsen, eng befreundet und hatte mit diesem verabredet, daß sein Sohn Franz Ferdinand dessen Tochter Maria Josepha heiraten solle. Der letztere aber war von der Brautschau aus Dresden mit der Erklärung heimgekehrt, daß die für ihn Auserkorene ihm nicht gefallen habe, war sie doch ein großes, blondes deutsches Mädchen mit nur wenig Reizen und von beinahe ungeschlachten Bewegungen. Der Erzherzog-Vater kannte den selbständigen, um nicht zu sagen eigensinnigen Charakter seines Ältesten zu genau, um auch nur versuchen zu wollen, ihn durch Überredung seinen Plänen gefügiger zu machen. Kurz entschlossen bestimmte er, Otto müsse Maria Josepha heiraten; auch auf diese Weise werde das Georg von Sachsen gegebene Versprechen so ziemlich eingehalten; der schüchterne Otto wagte keinen Widerspruch gegen den ausgesprochenen Willen des gestrengen Herrn Vaters. Er fuhr nach Dresden, ließ sich trauen und kehrte nach Verlauf weniger Monate als junger Ehemann zu seinem Regiment nach Klagenfurt zurück. Dort war inzwischen ein Haus für das junge Ehepaar gemietet und eingerichtet worden, das einzige, welches zu haben war, da in Klagenfurt damals keinerlei Bautätigkeit, vielmehr Wohnungsmangel herrschte. Leider lag es außerhalb der Stadt, in der Nähe des Friedhofs, alle Leichenzüge sah man stets aus seinen Fenstern. Es war also durchaus nicht geeignet, bei einem jungen Paar heitere Stimmung aufrechtzuerhalten. Was die letztere aber noch weniger aufkommen ließ, war die 9*
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überaus bigotte Erziehung, welche die junge Frau im elterlichen Hause genossen hatte. Zur Erklärung dieser Erziehung sei folgendes gesagt: Nachdem sich meine Mutter etwa ein Jahr vor der Eheschließung des Erzherzogs in Dresden etabliert hatte, besuchte ich sie dort. Unser Gesandter in Dresden w a r damals Baron Herbert Ratkeal, einer meiner guten alten Bekannten, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Ich suchte ihn auf, um ihn zu dem schönen Gesandtschaftsposten, den er erreicht habe, zu beglückwünschen. Ich war nicht wenig erstaunt, von ihm zu hören, d a ß er sehr glücklich gewesen sei, als er auf diesen Posten befördert wurde, nun aber habe er schon um seine Abberufung ansuchen müssen. Es sei hier einfach nicht auszuhalten, u n d zwar wegen des Prinzen Georg, der als übereifriger Katholik ein förmliches Spionagesystem um ihn, den Vertreter des befreundeten österreichischen Hofes, eingerichtet habe. Es sei unter anderem notwendig, in einem evangelischen Lande, das Fastengebote nicht kenne, Bälle und andere festliche Veranstaltungen auch außerhalb des Faschings zu besuchen. Darüber mache ihm Prinz Georg direkt Vorwürfe, habe auch bereits Anzeigen gegen ihn nach Wien erstattet, er sei kein strenger Katholik. Ich hörte auch noch andere erstaunliche Dinge über das bigotte Wesen, welches am H o f des Prinzen Georg herrsche, und welches seine vor nicht langer Zeit verstorbene Gattin stets zur Schau getragen habe. Baron H e r b e r t wurde bald nach diesem meinem ersten Besuche Dresdens abberufen. Als ich das J a h r darauf wieder hinkam, war Graf Bohuslaw Chotek, der Vater der nachmaligen Fürstin Hohenberg, bereits als Gesandter dort, gewiß ein guter Katholik, aber derart unbeholfen, daß, als meine gute Mutter gestorben war und ich nun wegen der Verlassenschaft einige Bestätigungen seitens unserer Gesandtschaft brauchte, er deren Ausstellung nicht vornehmen konnte, so daß ich ihn erst durch das Ministerium des Äußern aus Wien belehren lassen mußte, was er zu tun habe. Die Erziehung, welche die Söhne des Erzherzogs Karl Ludwig genossen hatten, war namentlich in religiöser Beziehung eine ganz andere gewesen; merkwürdig genug bei einem doch eigentlich auch recht bigotten Vater. Dieser hatte sich nämlich den damaligen H o f k a p l a n , späteren Wiener Weihbischof Dr. Godfried Marschall, zum Religionslehrer f ü r seine Söhne auserkoren. Dieser aber, der anfangs Jus studiert hatte, war ein aufgeklärter Mann im eigentlichsten Sinne des Wortes, dabei aber ein durchaus würdiger Priester. Ich lernte ihn schon zu jener Zeit kennen, als er eben mit dem Unterricht im erzherzoglichen Hause
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begonnen hatte, und weiß es aus seinem eigenen Mund, wie ernst er die ihm gewordene Aufgabe erfaßte; er meinte, er müsse die Prinzen zu guten Katholiken, aber doch zu duldsamen u n d nicht zelotischen erziehen. U n d so geschah es auch. Wenn später Erzherzog Franz Ferdinand ausgesprochenen Klerikalismus zur Schau trug, so war dieser seinem ursprünglichen Wesen fremd und nur auf den Einfluß seiner Gattin zurückzuführen. Davon werde ich später noch sprechen. H i e r gilt es nur zu betonen, daß Erzherzog O t t o als ein aufgeklärter Katholik in die Ehe trat und f ü r die übertriebenen religiösen Übungen, die seine junge Frau anstellte, und deren Mitmachen sie von ihm verlangte, kein Verständnis hatte. Schon in den ersten Monaten in Klagenfurt ließ er sie ihre religiösen Übungen allein machen und benutzte diese Zeit zum Zusammensein mit seinen Regimentskameraden. Man nahm die Ausflüge wieder auf. Der junge zwanzigjährige Reiteroffizier wollte heiter sein und Heiterkeit um sich haben, die er daheim nicht fand. U m die Gattin nicht zu oft allein zu lassen, lud er nun auch bisweilen seine jungen Kameraden, Baron Abele an der Spitze, zu Soupers zu sich ein. Die Erzherzogin erschien zwar regelmäßig zu denselben, zog sich aber meist mit Ende der Mahlzeit zurück, sei es, daß der Ton, den die jungen Herren anschlugen, ihr nicht gefiel, oder sei es auch nur aus Bescheidenheit, um diese nicht zu hindern, noch länger der Flasche zuzusprechen und ausgelassene Gespräche zu führen. Zu noch ärgerem Tratsch gaben aber bald einige Ausflüge Anlaß. Der eine hatte in die Gegend von Villach stattgefunden und es hieß, der Erzherzog und seine trunkenen Offizierskameraden hätten einen Ofen umgestürzt, so daß ein Brand nur mit Mühe habe gelöscht werden können. Ein zweiter Ausflug, der bald folgte, ging nach St.Veit an der Glan. Hier hatten die jungen Herren allerdings stark gezecht und allerhand Ulk getrieben. Tatsache blieb, daß aus dem Hotelsaal ein größerer Gegenstand aus dem Fenster und auf die Gasse geflogen war. Das hatte eine kleine Menschenansammlung und eine Meldung an den Bürgermeister — entsinne ich midi recht, so hieß der Mann Brettner — veranlaßt, die besagte, der Erzherzog und andere Offiziere übten im Gasthaus Gewalttätigkeiten aus. Dieser nun, ein ausgesprochener Deutschradikaler Schönererscher Richtung, vielleicht auch Republikaner von Gesinnung, ließ, um das Vorkommnis recht aufzubauschen, das Gasthaus sofort durch Feuerwehrmänner — städtische Sicherheitswachleute hatte er nicht genug — absperren. Die Offiziere entfernten sich nun sofort, aber es entstand ein riesiges Aufsehen in St.Veit, dann
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auch in Klagenfurt und schließlich im ganzen Lande Kärnten; sogar einige Zeitungen brachten einen Bericht, allerdings ohne den Erzherzog direkt zu nennen. Die Sache war aber damit noch nicht zu Ende. Kammervorsteher Baron Türckheim erhielt nach einiger Zeit eine Einladung des St.Veiter Gastwirts mit dem Ersuchen, eine hohe Rechnung für Gläser, Geschirr und andere Gegenstände zu begleichen, die anläßlich des Besuches des Erzherzogs und seiner Begleitung zerschlagen worden seien. Türckheim weigerte sich, diese nach Aussagen des Erzherzogs ungerechtfertigte und sogar unverschämte Forderung zu erfüllen. Der Gastwirt wurde drohend, und so blieb Türckheim, wollte er ärgeren Skandal als er ohnehin schon herrschte, vermeiden, nichts übrig, als zu zahlen. Die gewissen aus Wien gestellten Anfragen schriftlich zu beantworten, war heikel. Der Landespräsident beauftragte mich daher, dies dort mündlich zu tun. Ich suchte den mir gut bekannten Kriegsminister von Krieghammer und den Generaladjutanten Graf Paar auf. Beiden schilderte ich die vorgefallenen Dinge, wie sie von uns erhoben worden waren, und die Tatsache, daß kleinstädtischer Tratsch sich mehr als nötig mit dem Erzherzog befaßt habe; ich konnte dabei aber meine persönliche Ansicht nicht verschweigen, daß die Herren Stabsoffiziere sich um den jungen Herrn mehr hätten kümmern sollen, anstatt ihn ganz dem etwas exzessiven Regimentsadjutanten Baron Abele zu überlassen. Ich gab auch meiner Meinung Ausdruck, daß es angezeigt sein werde, Erzherzog Otto, nachdem er in Klagenfurt zu arg ins Gerede gekommen sei, in eine andere Garnison zu versetzen und einem anderen Regiment zuzuteilen. Das geschah denn auch bald hienach. Etwa zu derselben Zeit, nämlich gegen Ende 1886, wurde auch ich von Klagenfurt versetzt und als Ministerialrat zu Taaffe in das Ministerium des Innern berufen; ich verlor nun Erzherzog Otto für längere Zeit aus dem Gesicht. Im Winter 1887 hatte ich als Kämmerer meine Audienz bei Erzherzog Karl Ludwig und wurde von diesem ganz auffallend gnädig empfangen. Er hatte nämlich davon gehört, wie ich doch recht günstig über seinen Sohn aus Klagenfurt berichtet hatte. Im Oktober 1889 wurde ich zum Statthalter in Niederösterreich ernannt. Das ging sehr schnell, weil ich den eben zusammentretenden Landtag eröffnen sollte. Der Kaiser weilte gerade zu Hochwildjagden mit hohen Gästen in Mürzsteg und beauftragte daher seinen Bruder Karl Ludwig, mir den Eid abzunehmen, was diesem eine besondere Freude zu bereiten schien. Zu derlei Funktionen benützte ihn der
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Kaiser n u r äußerst selten. Von der Zeit a n betrachtete K a r l Ludwig mich sozusagen als seinen Statthalter; er k a m immer wieder darauf zurück, er habe mich beeidet. Allerdings glaubte er nun auch, d a ß ich ihm als Amtsperson besonders zu Diensten stehen müsse. U n d das gab dann einige Enttäuschungen. Zu dem G e d a n k e n , daß auch f ü r kaiserliche Prinzen die allgemeinen Staatsgesetze Geltung haben, k o n n t e er sich niemals so recht aufschwingen. Namentlich wegen seines Besitztums in Reichenau, bezüglich dessen er oft mit seinen N a c h b a r n in Fehde lag, glaubte er, seinen R a n g besonders berücksichtigende behördliche Entscheidungen beanspruchen zu können. Ich hatte schon anläßlich des Baues seiner Villa W a r t h o l z u n d der Anlage des P a r k s in der zur Gemeinde Reichenau gehörigen Ortschaft Hirschwang im J a h r e 1872 als ganz junger Beamter bei der Statthalterei, als es sich damals um einen Wasserrechtsstreit handelte, dahin gehende Wahrnehmungen gemacht. U n d nun, anfangs der 1890er J a h r e , hatte der Erzherzog es sich in den Kopf gesetzt, d a ß der Betrieb der der Firma Schoeller gehörigen Fabrik in Hirschwang, durch deren Rauchentwicklung er bei bestimmten Windrichtungen in seiner Villa u n d in seinem P a r k belästigt w u r d e , behördlich eingestellt w e r d e n müsse. Das ging natürlich nicht, denn die Fabrik hatte ältere wohlerworbene Rechte, u n d das Äußerste, was von ihr damals erreicht werden konnte, waren gewisse Änderungen im Betrieb, die Anbringung von Rauchfängern an den Schornsteinen u n d dergleichen. D e r Ärger, nicht alles erreicht zu haben was er angestrebt hatte, aber auch ein zweiter, d a ß sich nämlich Baron N a t h a n i e l Rothschild oberhalb seiner Villa eine viel prächtigere mit einem viel schöneren P a r k erbaut hatte, verleideten ihm den A u f e n t h a l t in Reichenau derart, d a ß er W a r t h o l z ganz dem E h e p a a r O t t o überließ u n d selbst gar nicht mehr h i n k a m . H i e r scheint es mir am Platze, auch noch einiges über Erzherzogin M a r i a Theresia B r a g a n z a einzuschalten. Diese schöne u n d liebensw ü r d i g Frau h a t t e einen eigentümlichen D r a n g , sich Leute anzunehmen, von denen sie glaubte oder von denen ihr eingeredet worden w a r , d a ß ihnen in irgendeiner Beziehung Unrecht geschehen sei. Sie w a r dabei meist auf ganz falscher Fährte, ließ aber Statthalter oder Minister rufen oder v o m Erzherzog-Gemahl zitieren, damit man sich ihrer vermeintlich verfolgten Schützlinge annehme. Z u den letzteren gehörte geraume Zeit die sogenannte „wilde G r ä f i n " , Gräfin Mathilde Pongracz, verwitwete Gräfin Arco, geborene Gräfin Wolf-Metternich,
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und Besitzerin des schönen Gutes und Schlosses Ebreichsdorf in Niederösterreich. Sie, die schließlich als unheilbar verrückt in eine Irrenanstalt eingeliefert werden mußte, hatte jahrelang alle Verwaltungsund Gerichtsbehörden des Landes mit den unsinnigsten Begehren belästigt und diese dann, wenn sie abgewiesen worden war, schwer beleidigt. An ihren Bediensteten übte sie Gewalttätigkeiten, wußte aber schließlich die Erzherzogin f ü r sich zu interessieren. Als ich, zu einer Audienz wegen „der Verfolgungen der wilden Gräfin" zum Erzherzog befohlen, diesem nur erklären konnte, die Dame zeige alle Anzeichen beginnenden Wahnsinns, wurde dies nicht gut aufgenommen, aber bald gab mir die Folge Recht. Ein anderes Mal — ich greife nur einige Beispiele aus vielen heraus — ließ mich die Erzherzogin wegen eines abgestraften Fiakers kommen. Es stellte sich heraus, daß dieser unzählige Male wegen Taxüberschreitungen und ärgster Exzesse verurteilt worden war. Als die hohe Frau sich einmal f ü r einen notorischen Wucherer Wiens zu interessieren geruhte, kam ich darauf, daß ihr Herr Bruder Don Miguel von Braganza, ein recht lieber Kerl, der aber ebenso wie seine zwei Herren Söhne ewig veschuldet war, die hohe Schwester und Tante geradezu kompromittierte. Ihnen im Schuldenmachen verwandt war das Ehepaar Toni und Mouche Apponyi, sie eine geborene Prinzessin Montenuovo. N u n veranstaltete die Erzherzogin zur Schuldentilgung eine Lotterie, in der ein dem genannten Ehepaar gehöriges, gar nicht besonders schönes, aber angeblich von Marie Louise (Napoleon) herstammendes Speiseservice den Treffer bildete. Die Erzherzogin wollte die Apponyis gründlich „rangieren", ließ sich daher die reichsten, von ihr bis dahin gar nicht gekannten Bankiers und Industriellen kommen und hing diesen die Lose zu den fabelhaftesten Preisen an. Ich hörte furchtbar darüber schimpfen. Selbst Anton Dreher, der glückliche Gewinner des Services, schien mir von diesem — und der außerdem gewonnenen persönlichen Bekanntschaft mit der Frau Erzherzogin, die ihm so teuer zu stehen gekommen war — nicht besonders entzückt. Jetzt nimmt sie sich der wahrhaft Hilfsbedürftigen, der armen Schwerverwundeten, eifrig und aufopferungsvoll an. Das steht ihr weit besser und wird ihr auch besser gedankt werden. Als Erzherzog Otto nun seine Familie in der Villa Wartholz etabliert hatte und ich anfangs der 1890er Jahre meinen Sommerurlaub in einer Villa in Payerbach verbrachte, trafen wir auf der Südbahn zusammen. E r war nun schon Stabsoffizier bei den Husaren; wir hatten uns seit Klagenfurt nicht mehr gesehen; er wußte offenbar auch, wie
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ich über ihn berichtet hatte; kurz und gut, er kam mir besonders liebenswürdig entgegen und fragte mich schließlich, ob ich nicht öfters Jagdgast in seiner Scheibwald-Jagdhütte im Reichenauer RegalRevier, das ihm der Kaiser überlassen hatte und zu dem er zugepachtet hatte, sein wolle. Ich nahm dankbarst an, und nun war ich viele Jahre lang dort und dann auch später in Göding sein ständiger Jagdgast. Ich brachte oft mehrere Tage ganz allein in der einsamen Jagdhütte mit ihm zu; bisweilen war noch sein Dienstkämmerer Baron Berg oder der eine oder andere Jagdgast dabei. Ich lernte den hohen Herrn sehr gründlich kennen; er bewies mir mehr und mehr seine Zuneigung und sein Vertrauen. Ich besitze aus jener Zeit noch eine Menge Briefe von ihm, die aber nur Einladungen und jagdliche Dinge enthalten und daher kaum zu seiner Charakteristik, wohl aber zum Beweis meines regen Verkehrs mit ihm herangezogen werden können. Und wenn ich nun im folgenden den kaiserlichen Prinzen möglichst eingehend schildere, so geschieht dieses, weil er doch der Vater unseres Thronfolgers und zukünftigen Kaisers ist und weil er zu Lebzeiten vielfach verkannt wurde. Schüchternheit und eine gewisse Menschenscheu, namentlich gegenüber offiziellen Persönlichkeiten, dann Abneigung gegen jeden Etikettezwang waren die Grundzüge seines Wesens. Am Dresdner Hof, wo er als junger Ehemann einige Male weilte, hatte er den Eindruck eines hochmütigen und stolzen Herrn hinterlassen. Das hatte seinen Grund nur darin, daß er in seiner Verlegenheit es möglichst mied, ihm fremde Herren oder Damen anzusprechen, am allerwenigsten Diplomaten, denn Englisch hatten weder er noch seine Brüder gelernt und ihre Kenntnis des Französischen, der eigentlichen Sprache der Diplomaten, war recht mangelhaft. Bei Hoffesten in Wien zog sich Erzherzog Otto regelmäßig in einen Winkel zurück, um nur ja nicht mit ihm fernstehenden Würdenträgern konversieren zu müssen; erblickte er einen ihm gut bekannten Offizier oder sonst jemanden, mit dem er nähere Beziehungen hatte, so leuchtete Freude aus seinen Augen, aber seinen Winkel verließ er nicht; er winkte einen dann wohl zu sich heran, um Ansprache zu finden. Eine solche Konversation pflegte er in die Länge zu ziehen, war er dann doch sicher, nicht Würdenträger, die in seine Nähe gerieten, abcerclen zu müssen. In seinem Jagdhaus fühlte er sich am wohlsten, dort war er ganz Privatmann und der liebenswürdigste Hausherr. Stand ich ihm nicht früh genug zur Pirsch auf, so kam er in mein Schlafzimmer, setzte sich
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manchmal auch noch auf mein Bett, um einen Plausch zu halten. E r w a r d a s Gegenteil v o n schußneidig u n d hatte die größte F r e u d e , wenn m a n einen guten H i r s c h erlegt hatte. E r brauchte a u f f a l l e n d wenig Schlaf. N a c h der J a g d machte er sich in H a u s , H o f und U m g e b u n g z u tun u n d spannte einen zur Mitarbeit ein. E i n m a l hieß es, das G e b ä l k einer ehemaligen J a g d h ü t t e vollends zu demolieren und v o n der Stelle z u schaff e n ; er arbeitete wie ein T a g w e r k e r d a r a n , u n d m a n mußte i h m schleppen helfen. D a n n wieder w u r d e die neue H ü t t e im Innern d e k o riert; er hatte Geschmack, mit den einfachsten H i l f s m i t t e l n wußte er hübsche W i r k u n g e n zu erzielen. Brachte m a n ihm einen originellen u n d noch so einfachen Gegenstand z u r Ausschmückung seines J a g d h e i m s mit, hatte er die hellste Freude d a r a n . Als seine Scheibwaldhütte, zu der m a n v o n N a ß w a l d aus einen bequemen A u f s t i e g hatte, f e r t i g w a r , l u d er seine Stiefmutter, E r z h e r z o g i n M a r i a Theresia, die er sehr v e r ehrte, z u r Besichtigung ein. N u r ich w a r d a m a l s mit ihm. E r w a r unendlich stolz, d a ß sie ihm ihr G e f a l l e n an seiner netten H ü t t e ausdrückte. Ich sagte schon, daß er so w e n i g Schlaf brauchte; deshalb hieß es auch abends sehr lange a u f b l e i b e n ; j a , es k a m vor, d a ß er den gemütlichen A b e n d , w e n n nämlich die J ä g e r bei der Zither gute Vierzeilige z u m besten g a b e n — das w a r seine größte Wonne — bis z u m M o r g e n grauen verlängerte und m a n direkt v o n der Weinflasche z u r Frühpirsch ging. E r war kein Trinker, hatte aber ein gutes G l a s R o t w e i n gern. Ich habe ihn nie auch nur angeheitert gesehen; er wußte genau M a ß z u halten. H e i t e r e Gemütlichkeit liebte er u m sich, er selbst w a r dabei nie ausgelassen. B e i solchen Abenden hatte er v o r sich ein Zeichenbuch liegen u n d entwarf in demselben die reizendsten S k i z z e n , zumeist W i l d darstellend. S e i n Malertalent w a r j a bedeutend; auf einer großen A m a t e u r a u s s t e l l u n g konnte m a n W e r k e v o n ihm b e w u n d e r n . Als wir e i n m a l von S c h w a r z a u im Gebirge aus jagten u n d i m dortigen einfachen G a s t h a u s abstiegen, konnte die J ä g e r e i uns abends nicht vorsingen. E r z h e r z o g O t t o lud daher den Oberlehrer z u m N a c h t m a h l , u n d dieser spielte d a n n viele Stunden K l a v i e r , w ä h r e n d er selbst zeichnete. E r w a r kein Vielschießer, sondern ein echter W e i d m a n n ; das ging so weit, d a ß er die Pirschsteige in seinem R e v i e r selbst aussteckte. D a b e i w a r er ein großer N a t u r f r e u n d . D a s bewies er namentlich, nachdem er Schloß und P a r k Schönau bei L e o b e r s d o r f a n g e k a u f t hatte und nun d o r t herrliche G a r t e n a n l a g e n mit Rosenkulturen schuf. D a s alte Schloß oder richtiger L a n d h a u s , einen unansehnlichen B a u , ließ er nur z u m
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Teil stehen, um dort Sattelkammer und anderes unterzubringen. Für sich erbaute er nach eigenen Plänen ein ganz neues, schöner im Park gelegenes Wohnhaus. Als es fertig war, mußte ich einen Tag bei ihm zubringen. Er holte midi selbst von der Bahn in Leobersdorf ab und zeigte mir alles voll Stolz. Er war ganz allein dort, kein Dienstkämmerer, Adjutant oder Sekretär war um ihn. Das war so seine Art. Ich glaube, seine Gattin hat Schönau nie gesehen, wenigstens hat sie nie dort gewohnt, auch glaube ich, daß er sein neues Wohnhaus derart angelegt hatte, daß dort für Gattin und Familiengefolge kein Platz sei. Es bestand nämlich aus zwei durch einen Verbindungsgang verbundenen Teilen. In dem einen waren neben einem sehr geräumigen Maleratelier und einem größeren Salon nur seine Schlaf- und Toiletteräume untergebracht, der zweite Trakt aber enthielt nur eine Reihe von Gastzimmern, kleinen Salons mit Schlafraum und Toilette daneben, ähnlich wie in modernen Hotels, alles aber äußerst geschmackvoll von ihm selbst eingerichtet. Er hatte in seinen ausgedehnten Park Fasane aus Göding aussetzen lassen und lud zu deren Abschuß einige wenige Gäste. Meist arbeitete er in Schönau in seinem Atelier. In den vielen Stunden, die ich in jenen Jahren mit dem Erzherzog teils auf Fahrten zu den Jagden, teils bei diesen zubrachte, war er der anspruchsloseste „gute Kamerad", den man sich denken kann, mitteilsam und immer bestrebt, sein Wissen zu erweitern. Als Regimentskommandanten fand ich ihn einstmals mit der Verfassung der Qualifikationslisten seiner Offiziere beschäftigt. Ich konnte mich davon überzeugen, wie genau und gewissenhaft er diese Sache nahm. Er brachte oft das Gespräch auf die Protektorate der Kunst- und gewerblichen Vereinigungen, die er von seinem Vater übernommen hatte, war voll Interesse dafür und erkundigte sich bei mir über Dinge und Personen, die damit zusammenhingen. Auch über alle möglichen Dinge der Staatsverwaltung ließ er sich von mir informieren, ja förmlich Vortrag erstatten. Er hatte ein gesundes eigenes Urteil darüber. Ich bin heute geneigt anzunehmen, daß es nicht seine Absicht, mir Jagdfreuden zu bereiten, allein war, wenn er mich so viel und oft zu sich heranzog, der ich doch viel älter als er war. Wissens- und Informationsdrang war dabei im Spiel. Er mußte ja doch, als sein Bruder Franz Ferdinand noch unvermählt und jahrelang leidend war, damit rechnen, auf den Thron berufen zu werden — und er wäre ein sehr überlegter und gewissenhafter Monarch mit viel Menschenkenntnis geworden. Man hat seinerzeit unendlich viel von den galanten Abenteuern, Liebesverhältnissen und Exzessen in venere gesprochen, an denen der
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A r m e j a schließlich sogar z u g r u n d e ging. T r o t z unserer, ich d a r f sagen, großen Intimität, h a t der E r z h e r z o g nie u n d bei keinem A n l a ß je ein W o r t über derlei D i n g e mit mir gewechselt; auch h a b e ich nie ein weibliches Wesen bei unseren zahllosen J a g d a u s f l ü g e n in seiner N ä h e gesehen. Nichtsdestoweniger bin ich sehr genau, und z w a r aus den verschiedensten und besten Q u e l l e n , nicht zuletzt jener seines letzten Obersthofmeisters, meines J u g e n d f r e u n d e s G e n e r a l Freiherr v o n D l a u h o w e s k y L a n g e n d o r f , d a r ü b e r informiert, u n d w i l l jetzt indiskret sein, in der Absicht, daß das Urteil der N a c h w e l t über diesen so liebenswürdigen, recht gescheiten u n d etwas künstlerisch-genial v e r a n l a g t e n P r i n z e n nicht a l l z u h a r t ausfalle. Soll ich d a m i t beginnen, d a ß er ein a u f f a l l e n d schöner M a n n und noch obendrein ein schneidiger Reiteroffizier u n d kaiserlicher P r i n z w a r , u m zu erklären, d a ß ihm die Weiber, w o er nur erschien, schöne A u g e n machten. J a , d a n n m u ß ich aber auch gleich hinzusetzen, d a ß dieses f ü r ihn viel ungefährlicher geblieben sein w ü r d e , wenn er die W a h l seiner G a t t i n selbst und nach seiner H e r z e n s n e i g u n g hätte treffen können. Einige J a h r e hindurch fiel er b a l d dieser b a l d jener Schönen in die A r m e , ernstlicher verliebte er sich erst in die wirklich unendlich graziöse T ä n z e r i n der H o f o p e r , Fräulein Schleinzer. E r w a r d a m a l s M a j o r in einer a u s w ä r t i g e n G a r n i s o n , k a m aber häufiger nach Wien. Fräulein Schleinzer w a r die Geliebte des H o f o p e r n s ä n g e r s Felix, recte G r o s s , u n d Tochter eines Wiener Sicherheitswachmannes. G a r so leicht w a r es d e m E r z h e r z o g nicht g e w o r d e n , Felix z u beseitigen, es hatte höherer polizeilicher Interventionen bedurft, um den Wachmann z u bestimmen, der Tochter behilflich z u sein, das verlockende Verhältnis mit dem kaiserlichen
P r i n z e n einzugehen. Dieses
dauerte viele
Jahre,
drei
K i n d e r sollen demselben entsprossen sein. G r o ß e gegenseitige Liebe; er glücklich, ein ihm zusagendes H e i m g e f u n d e n zu haben, in dem einerseits der P r i n z , dem der Besuch v o n K l u b s oder Privat-Herrschaftshäusern durch die E t i k e t t e verboten w a r , u n d anderseits der E h e m a n n , der den hyperklerikalen heimischen H e r d nie z u schätzen wußte, freie S t u n d e n und A b e n d e angenehm verbringen k o n n t e ; u n d sie glücklich, die, wie sie im K r e i s e ihrer Ballettkolleginnen voller S t o l z verkündete, patriotische A u f g a b e erfüllen z u dürfen, den mutmaßlichen z u k ü n f t i g e n Herrscher v o n mindern F r a u e n z i m m e r n fernzuhalten u n d ihm bei seinen Arbeiten angenehme Gesellschaft zu leisten. U n d in der T a t soll sie es prächtig v e r s t a n d e n haben, seinen Geist anzuregen, seine Ausbildung
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in der Malerei zu fördern, die er in ihrem H e i m fleißig betrieb. Im Sommer bewohnte sie in der Steiermark ein einfaches Landhaus in der Veitsch, wo er häufig bei ihr weilte. Es w a r auf den Namen seines Büchsenspanners gemietet. D o r t erfolgten auch ihre Niederkünften. Derselbe treue Büchsenspanner soll sich auch, um seinen H e r r n zu decken, zur Vaterschaft dieser Kinder bekannt haben. Ob der Erzherzogin dieses Verhältnis ihres Gatten bekannt war? Es hieß schließlich, ja. Bedauert hat sie wohl kaum jemand, dazu w a r der Kreis ihrer Anhänger ein zu enger. Aber Witze wurden in der Gesellschaft oft über das Thema gemacht. D a sie ihre Kinder nicht ganz richtig erzog, hieß es, der Erzherzog habe ihr einmal gesagt: „Meine Kinder werden viel besser erzogen als die deinen." Wieso und w a r u m das Verhältnis mit der Schleinzer endigte, weiß ich nicht. Sie heiratete einen Badearzt und bekam eine Abfertigung. Es dauerte nicht gar lange, bis der Erzherzog ein neues Verhältnis mit der Operettensängerin des Theaters an der Wien und Tochter eines Wiener Gesanglehrers, Fräulein Robinson, einging; dieses dauerte bis zu seinem Tode. Er zeugte mit ihr zwei Kinder. Sie soll ihn in seiner letzten Krankheit, und zwar abwechselnd mit seiner Stiefmutter, Erzherzogin Maria Theresia, aufopfernd gepflegt haben. Der Kaiser hatte davon gehört und nach des Erzherzogs Tod den Direktor der kaiserlichen Familienfonds, Exzellenz Baron Chertek, beauftragt, mit der Robinson wegen Sicherstellung der Zukunft ihrer Kinder zu verhandeln. Sie erhielt eine schöne Abfertigung, ihre zwei Söhne aber je K 100 000.—. Noch im Laufe des ersten Jahres nach dem Tode ihres Geliebten heiratete sie einen Offizier und zeigte sich viel an öffentlichen Orten. Diese Ehe ging bald auseinander, und jetzt scheint sie ein ziemlich abenteuerliches Leben zu führen. Trotz ihrer erwähnten guten Pflege scheint sie also keine „ganz würdige Nachfolgerin" der Schleinzer gewesen zu sein. So wie diese den Erzherzog an sich zu fesseln, hat sie jedenfalls nicht verstanden. Er ging auf Reisen, nahm einen Aufenthalt an der Riviera, geriet in Monte Carlo in die Netze einer französischen Kokotte und kehrte, schwer venerisch erkrankt, nach Wien zurück. Unser berühmtester damaliger, seither verstorbener Syphilidiatrid, Professor Mrazek, nahm ihn sofort in die Kur, mußte mir aber zu meinem größten Schmerz erklären, „er habe noch nie in seiner gesamten Praxis eine derartige Virulenz des venerischen Giftes wie im Falle des armen Erzherzogs erlebt, alle seine Mittel versagten, und dieser sei unrettbar verloren". Zwar versuchte es der Erzherzog auf R a t seiner Umgebung im letzten Jahre seines Siechtums noch mit einem Militär-
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a r z t , aber auch der konnte nicht helfen, so daß M r a z e k wieder gerufen w e r d e n mußte. Es war ein J a m m e r , den Erzherzog in den letzten M o n a t e n vor seinem entsetzlichen E n d e im Gesicht ganz entstellt zu sehen. Friede seiner Asche, er w a r ein lieber und gar guter Mensch! Ich habe die Erzherzogin nicht oft in Gesellschaft ihres G a t t e n gesehen; einen Tag brachte ich bei dem hohen P a a r im J a h r e 1900 in der Villa W a r t h o l z zu, schon am nächsten f u h r ich mit dem Erzherzog in dessen Jagdhütte. Er beschäftigte sich damals weit mehr mit seinen K i n d e r n als mit ihr, u n d diese schienen ihm sehr zugetan. Unser jetziger Thronfolger hatte eben ein J a g d k o s t ü m mit kurzer lederner H o s e z u m Geschenk erhalten und w a r nicht wenig stolz d a r a u f , noch glücklicher aber w a r er, als ihn der V a t e r am nächsten T a g mit uns n a h m , damit er einem Trieb beiwohne. Das w a r der erste Tag, an welchem der aufgeweckte Bub eine Gebirgsjagd sah. Sein Bruder, der vierjährige blondgelockte Erzherzog M a x , erhielt einige J a h r e nachher einen Erzieher in der Person meines Namensvetters, des Rittmeisters Freiherrn M a x von Kielmansegg, der die Güte und Liebenswürdigkeit des Erzherzogs O t t o stets rühmte. Sehr eigentümliche Auffassungen der Erzherzogin über Kindererziehung brachten ihn bald in Streit mit ihr, so d a ß er nach verhältnismäßig kurzer Zeit bitten mußte, von seiner F u n k t i o n , zu der mir dieser ruhige u n d gescheite M a n n besonders geeignet erschien, abberufen zu werden. Zu jener Zeit w a r Erzherzog O t t o bereits General und als Kavalleriedivisionär nach Wien versetzt w o r den. Über die Gründe seiner Berufung nach Wien w e r d e ich später noch sprechen, wenn nämlich von Erzherzog F r a n z F e r d i n a n d die Rede sein w i r d . H i e r sei nur gesagt, d a ß dem P a a r das Augartenpalais als Residenz zugewiesen wurde, wo es fleißig repräsentieren und die offizielle Welt bei sich sehen sollte. D e m Erzherzog w a r letzteres ein Greuel, er klagte mir öfters darüber, so besonders bei dem ersten diplomatischen Diner, das er mit der Erzherzogin d o r t gab, u n d zu dem ich geladen w a r , weil er mich noch um einiges befragte, etwa wie mit den D i p l o m a t e n zu verkehren, u n d mit welchen französischen Brocken er am besten durch den Cercle komme. Der Erzherzogin, die nun nach dem Tode der Kaiserin den ersten H o f r a n g hatte, w a r e n dagegen diese Repräsentationspflichten offenbar sehr recht. Sie fing nun an, sich unendlich aufrecht zu halten, den Kopf häufig zurückzuwerfen, um einen möglichst majestätischen Anblick zu gewähren. Sehr gern übernahm sie auch Vereinsprotektorate. Mit ihr segelte ihre H o f d a m e , M a r k g r ä f i n Crescenze Pallavicini, ganz im klerikalen Fahrwasser. Klerikale Vereine wurden natürlich bevorzugt und fast ausschließlich begönnert.
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Es dürfte nicht ohne Interesse für eine zukünftige Lokalgeschichte Wiens sein, hier festzustellen, daß der jetzige Bürgermeister Wiens, Dr. Richard Weiskirchner, der von Schule und Universität her enge Beziehungen zu einigen Aristokraten der streng klerikalen Observanz hatte, z. B. zu Franz Xaver Freiherrn, jetzt Graf, Walterskirchen und Max Freiherrn von Vittinghof-Schell, und der damals als Magistratssekretär, dann als Rat das Armenreferat bei der Gemeinde Wien führte, auf diesem Wege in enge Beziehungen zur Erzherzogin kam. Erste Veranlassung hiezu war ein Kongreß der katholisch-karitativen Vereine Österreichs, der damals in Wien zusammentrat. Von nun an ging Weiskirchner bei der Erzherzogin ein und aus, und ich habe Anhaltspunkte, um anzunehmen, daß dies mit ein Grund für Lueger war, den jungen Magistratsrat über die Köpfe so vieler älterer Kollegen und der Obermagistratsräte zum Magistratsdirektor und somit zum ersten Beamten der Kommune zu ernennen, was damals ein großes Aufsehen erregte und die Grundlage zu Weiskirchners weiterem Aufstieg bildete. Von nun an aber war die Erzherzogin auch bei allen möglichen Veranstaltungen der christlichsozialen Partei dabei, wurde förmlich als Aushängeschild der letzteren benützt und jedesmal in Ansprachen gehörig „angestrudelt", was ihr immer unendlich wohl zu bekommen schien. Den Erzherzog habe ich, solange er lebte, bei keiner dieser Veranstaltungen gesehen, doch ließ er seine Frau gewähren. Nach seinem T o d trat sie vielleicht noch häufiger in der parteipolitischen Öffentlichkeit auf.
Ida komme nun auf Erzherzog Franz Ferdinand zurück, mit dem ich erst durch Erzherzog Otto, und zwar bei zwei Jagdausflügen, an denen er teilnahm, in persönliche Beziehungen kam. Der Erzherzog wollte das alte Jagdschloß Eckartsau renovieren lassen, um es zu seinen Hochwildjagden bewohnen zu können. Es war aber feucht und seine nächste Umgebung ganz versumpft. Das hing mit aufsteigenden Grundwässern der Donau zusammen. Nun wandte sich der Erzherzog an mich als den geschäftsführenden Vorsitzenden der Donau-Regulierungs-Kommission wegen der Trockenlegung. Ich war einige Male, auch in Begleitung von Wasserbauingenieuren, bei ihm, um seine ziemlich weitgehenden Forderungen zu erörtern. Schließlich wurde vereinbart, daß die Kommission einen neuen Abzugsgraben vom Schloß aus gegen die Donau ausführen lassen werde, dessen Erhaltung aber der Erzherzog oder die kaiserliche Herrschaft zu übernehmen habe. Es blieb
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hiebei, obwohl diese Bedingung dem hohen H e r r n nicht ganz recht war. N u n hieß es mit einem Male, der Erzherzog sei an Tuberkulose schwer erkrankt, das Übel sei schon weit vorgeschritten; er müsse, wenn überhaupt noch H o f f n u n g auf seine Erhaltung gegeben werden solle, mehrere Winter in Ägypten zubringen und auf das äußerste geschont werden. Er reiste sofort nach Kairo ab, ohne daß ich ihn noch gesehen hätte. In den höfischen Kreisen, ja in ganz Wien, wurde nun mit Berufung auf den Ausspruch ärztlicher Autoritäten ganz laut und bestimmt davon gesprochen, der Erzherzog sei verloren und sein Bruder Otto von nun an als Thronfolger anzusehen. U n d in der Tat berief der Kaiser diesen damals sofort nach Wien und wies ihm, wie oben erwähnt, das Augartenpalais, das dann auch prächtig umgebaut und vergrößert wurde, als Residenz zu. Bis dahin hatte er nur einen Kammervorsteher gehabt. Z u r Erhöhung des Glanzes seines Hofstaates hatte der Kaiser den Fürsten Alfred Montenuovo, unseren heutigen Ersten Obersthofmeister, auserkoren. Ich hatte davon gehört, er war mein Nachbar, ich besuchte ihn, um ihn zu befragen, ob die mir zugekommene Nachricht richtig sei und ihn, wenn ja, zu beglückwünschen, d a ß er zu einem so liebenswürdigen H e r r n komme. Der Zufall wollte es, daß, kaum hatte er meine Frage bejaht, Franz Thun, damals eben verabschiedeter Statthalter von Böhmen, heute Fürst u n d zum zweiten Male von diesem Posten verabschiedet, in das Zimmer trat. Ich erfuhr nun, daß er soeben im Auftrage des Kaisers befragt worden sei, ob er den Posten eines Obersthofmeisters bei Erzherzog Franz Ferdinand annehmen wolle. Es sei ihm erklärt worden, der Kaiser wolle, damit dieser Erzherzog sich nicht wegen der Ausgestaltung des Hofstaates seines Bruders Otto kränke, auch f ü r ihn einen Obersthofmeister ernennen; er werde mit Rücksicht auf die schwere Krankheit desselben dienstlich nur wenig und selten in Anspruch genommen werden und brauche ihm nicht nach Ägypten zu folgen. Er habe sofort angenommen, so daß seine und Montenuovos Ernennung in einer der nächsten Wiener Zeitungen zu lesen sein würden. Seine sofortige Annahme des Postens setzte mich einigermaßen in Erstaunen, zumal ich erfuhr, daß diese ganz ohne Zutun des Erzherzogs selbst erfolgte, und da ich außerdem genau wußte, daß der letztere Thun eine gewisse Aufdringlichkeit verübelt hatte. In der Tat hatte es Montenuovo mit seiner, allerdings dem Erzherzog Otto oktroyierten Obersthofmeisterschaft besser getroffen. Er konnte sich
E r z h e r z o g O t t o mit seiner Braut M a r i a Josepha
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diesem sofort nützlich erweisen, indem er verlangte, daß, wenn dieser höfische Repräsentationspflichten erfüllen solle, das Hofärar ihn und sein Haus freizuhalten habe. Das setzte er sehr zum Vorteile seines neuen Herrn durch, da geplant gewesen war, ihm lediglich eine erhöhte Apanage auszusetzen, mit der er schwerlich das Auslangen gefunden haben würde. Vielleicht hatte Montenuovo mit dieser finanziellen Transaktion seine zukünftige Hofkarriere begründet. Diese hatte aber ihre Ursache noch mehr im Nepotismus, den der Oheim seiner Frau, eine geborene Kinsky, Nichte des Ersten Obersthofmeisters und gleichzeitig Oberststallmeisters Prinz Rudolfs Liechtenstein, betrieb. Er war in seinen jungen Jahren Flügeladjutant des Kaisers gewesen und stand bei diesem in hoher Gnade; ja man darf sagen, daß er mit dem Herrscher auf einem vertrauteren Fuß, wenn es einen solchen überhaupt je gab, als alle anderen hohen Herren in dessen Umgebung stand. So konnte er den Posten eines Zweiten Obersthofmeisters schaffen und seinen Neffen Montenuovo vom Hofe Ottos weg auf diesen versetzen lassen, seinen zweiten Neffen, Graf Ferdinand Kinsky, aber brachte er auf die für ersteren geschaffene Stelle eines Ersten Stallmeisters. Nach Liechtensteins Tod erbte Montenuovo den Posten des Ersten Obersthofmeister und Kinsky jene des Oberststallmeisters nach ihm. Gleich die ersten Akte des Nepotismus, die ich eben erwähnte, hatten in der Wiener Gesellschaft großes Aufsehen gemacht und wurden erregt besprochen. Der boshafte Graf Adalbert (Montsdii) Sternberg, nachmals als Reichsratsabgeordneter durch seine gegen den Hof gekehrten Reden berühmt oder berüchtigt geworden, hatte ein Couplet mit dem Refrain: „Fragt nur Freiung (Palais Fürst Kinsky) viere an, Wie man so avancieren kann." oder so ähnlich geschrieben, dieses dann im Salon Paul Metternich durch Volkssänger zum allgemeinen Gaudium vortragen lassen, und es dann sogar den Sängern zum Vortrag in der großen Öffentlichkeit überlassen. Es bedurfte polizeilicher Intervention, um diesen den Text wieder abzunehmen. Zur Zeit des Aufenthaltes des Erzherzogs Franz Ferdinand in Kairo weilte dort unter anderen auch die verwitwete Gräfin Anna zu Stolberg, geborene Gräfin St. Genois aus Baden bei Wien, die dort ofl mit ihm zusammentraf und mir dann manches über den hohen Herrn erzählte, so z. B. auch, daß er sich zusehends erholt und gekräftigt habe. 10 Goldinger, Kaiserhaus
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Als er nach Wien zurückgekehrt w a r u n d nun die Ä r z t e beinahe ein W u n d e r an ihm feststellen k o n n t e n — nämlich die Tatsache, d a ß seine T u b e r k e l n sich eingekapselt hatten — , h a t t e Gräfin Stolberg ihm gratuliert u n d in ihrem Brief der H o f f n u n g Ausdrude gegeben, d a ß er n u n b a l d heiraten möge. Seinen A n t w o r t b r i e f ließ sie mich lesen. Er blieb m i r deshalb im Gedächtnis, weil d a r i n v o r k a m , es sei f ü r ihn unendlich schwer, eine Lebensgefährtin zu finden, und von einer standesgemäßen H e i r a t ohne Liebe wolle er nichts wissen; ewig auf eine H o h e i t Rücksicht nehmen zu müssen, sei nicht seine Sache. Also genesen, begab er sich zunächst auf sein Schloß Konopischt in B ö h m e n ; nun meldete sich alsbald T h u n z u m Dienstantritt bei ihm, w u r d e aber äußerst schlecht behandelt. Ich hörte damals aus guter Quelle, T h u n sei im Schloß nur ein äußerst bescheidenes Zimmer eing e r ä u m t u n d ihm außerdem bedeutet w o r d e n , der Erzherzog habe ihm keine Geschäfte zu übergeben, er k ö n n e b a l d wieder abreisen. Das tat er denn auch, k a m aber noch das eine oder andere Mal hin u n d gab dann, als in dem Benehmen des Erzherzogs ihm gegenüber keine Ä n d e r u n g eintrat, seine Demission, die auch sofort angenommen wurde. A n seine Stelle ließ nun der Erzherzog über seinen eigenen Vorschlag Albert N o s t i t z ernennen, dessen ich oben E r w ä h n u n g tat. M a n wünschte nun auch in höfischen Kreisen, d a ß der wiedergenesene Erzherzog-Thronfolger sich einen H a u s s t a n d gründe und Nachkommenschaft f ü r die habsburgische Erbfolge zeuge. Das h ä t t e namentlich der Erzherzogin Isabella C r o y gepaßt. Diese residierte mit ihrem G a t t e n Erzherzog Friedrich damals in Preßburg, w o der letztere K o r p s k o m m a n d a n t war. Sie luden also F r a n z Ferdinand öfters dahin ein, mit der ausgesprochenen Absicht, d a ß er unter ihren zahlreichen Töchtern Auswahl treffe. Letzteres d ü r f t e ihm nach dem f r ü h e r von mir E r w ä h n t e n fern gelegen sein, auch w a r keine dieser Töchter hübsch z u nennen; eine solche Eigenschaft, u n d z w a r in ziemlich hohem Grade, besaß i m Palais Friedrich nur die H o f d a m e Gräfin Sophie Chotek, Tochter unseres früher von mir genannten, seither aber verstorbenen Gesandten in Dresden. Mit recht bescheidenem Wesen v e r b a n d sie eine gewisse Koketterie. Ich hatte diese bei ihrem Erscheinen bei H o f f e s t e n in Wien wiederholt zu beobachten Gelegenheit. H a t t e sie v o n dieser gegenüber dem Erzherzog Gebrauch gemacht oder er sich u n a u f g e f o r dert in sie verliebt? Ich weiß es nicht. Tatsache w a r , d a ß er häufig zu Friedrich nach Preßburg f u h r , u n d Isabella C r o y bei jedem seiner Besuche in ihrer H o f f n u n g bestärkt wurde, einmal die Schwiegermutter des Kaisers von Österreich zu sein. Die Sache n a h m aber bekanntlich
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zu ihrem ärgsten V e r d r u ß eine ganz andere Wendung, deren Einzelheiten gerade mir v o n A n f a n g an genauestens b e k a n n t w u r d e n . Eine der jungen Erzherzoginnen e r k r a n k t e in P r e ß b u r g a n Typhus, z u r Beschleunigung ihrer Rekonvaleszenz verordneten die Ä r z t e einen mehrwöchigen A u f e n t h a l t in Abbazia, w o die eigentliche Kursaison bereits z u Ende w a r . D a die Erzherzogin Isabella ihre anderen Kinder nicht verlassen wollte, w u r d e der Rekonvaleszentin die H o f d a m e C h o t e k als Begleiterin mitgegeben. Baron Schmidt-Zabierow, der Sohn meines Landespräsidenten in K l a g e n f u r t , w a r damals in Abbazia-Volosca Bezirkskommissär u n d besuchte mich regelmäßig, so oft er nach Wien k a m . M a n kann sich mein Erstaunen denken, als er mir bei seinem Besuch zu jener Zeit unter dem Siegel strengster Dienstverschwiegenheit anvertraute, im ersten Stock eines der großen H o t e l s in A b b a z i a sei in Begleitung der H o f dame G r ä f i n C h o t e k eine junge Erzherzogin abgestiegen, u n d bald nach deren A n k u n f t habe sich in den Z i m m e r n unmittelbar daneben E r z herzog F r a n z F e r d i n a n d einquartiert, der das strengste Inkognito w a h r e u n d dieses nicht preiszugeben der Bezirkshauptmannschaft zur besonderen Pflicht gemacht habe. Erzherzog F r a n z F e r d i n a n d h a t t e diese Reise nach A b b a z i a damit motiviert, d a ß er seinen d o r t k r a n k darniederliegenden Obersthofmeister O t t o Graf Abensperg-Traun, der d a n n auch in A b b a z i a verschied, besuchen wollte. N u n w a r ich in Wien einer der wenigen, die gar nicht erstaunten, als es hier nach kurzer Zeit hieß, Erzherzogin Isabella habe ihre H o f dame K n a l l u n d Fall entlassen. Über die G r ü n d e drang n u r ganz allmählich einiges durch. Die arme entlassene H o f d a m e suchte sich n u n zunächst ein Asyl bei ihrem Bruder, dem H o f r a t der Landesregierung in T r o p p a u , G r a f C h o t e k , der eine Bürgerliche zur Frau hatte. Sie w u r d e immer als eine gescheite und resolute F r a u geschildert. Als nun Erzherzog Franz Ferd i n a n d in T r o p p a u erschien u n d im Chotekschen H a u s das Begehren stellte, d o r t seine Angebetete öfters (oder regelmäßig) besuchen zu können, hat die resolute Frau ihm dies mit, wie m a n sagt, scharfen W o r t e n abgeschlagen, so daß der T r o p p a u e r A u f e n t h a l t dem liebenden P a a r zwecklos erscheinen mußte. Sopherl, so hieß die gewesene H o f dame in der Familie, f u h r also um ein H a u s weiter, u n d z w a r in das ihrer verheirateten Schwester, Frau von W u t h e n a u , die mit ihrem Gatten, einem gewesenen sächsischen Offizier, ein L a n d g u t bei Dresden bewohnte. N u n sagte sich Erzherzog F r a n z Ferdinand d o r t alsbald zu Besuch an, weilte auch einige Tage im Wuthenauschen H a u s , kam aber 10*
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ziemlich plötzlich nach Wien zurück, um beim Kaiser bittlich zu werden, Sophie Chotek heiraten zu dürfen. Ich •will hier nur noch erwähnen, daß man mir damals aus sehr informierten Kreisen berichtete, Wuthenau, ein bekannt schneidiger Herr, habe den Erzherzog an einem der ersten Tage seines Besuches bei ihm erklärt, dieser habe seine Schwägerin bereits derart kompromittiert, daß ihm nichts anderes übrig bleibe, als sich mit ihm, dem Schwager und Vertreter der Familie, unter schwersten Bedingungen zu duellieren oder Sophie zu heiraten. Wie es der Erzherzog zuwege brachte, den Kaiser und alle maßgebenden Faktoren des Hofes und beider Staaten der Monarchie dazu zu bewegen, seine Heirat zu ermöglichen, brauche ich nicht zu schildern, darüber liegt Aktenmaterial genug vor. Manche Leute waren beauftragt worden, den Erzherzog von seinem Plan, eine Unebenbürtige zu heiraten, abzubringen, so unter anderen auch sein ehemaliger Religionslehrer, nun Weihbischof Dr. Marschall, dem der hohe Herr diese Intervention nie wieder verzieh, so fest hielt er an seinem Plan. Max Wladimir Freiherr von Bede, der nachmalige Ministerpräsident, war damals Sektionschef im Ackerbauministerium und hatte dem Thronfolger, um ihn für seinen Herrscherberuf vorzubereiten, Vorträge über Staatsrecht und Verwaltungskunde zu halten. Diesen hatte der Erzherzog nun unschwer, denn er war ein strebsamer Mann, für seine Heiratspläne gewonnen, und er war es, der alle Staatsschriften für ihn entwarf, die notwendig waren, um die morganatische Ehe zustande zu bringen. Nach geschlossener Ehe bezog das junge Paar das prächtig renovierte Belvedere-Palais, und Franz Ferdinand kehrte nun den Thronfolger ganz besonders hervor. Zu jener Zeit fand der zweite der Jagdausflüge mit Erzherzog Otto statt, den ersten, eine Hochwildjagd, beschrieb ich bereits. Er sollte dazu dienen, mich in nähere Beziehungen zum Erzherzog Franz Ferdinand zu bringen, diesen in seiner Art zu denken und sich zu geben besonders kennenzulernen. Ich erhielt eines Tages eine Einladung von Erzherzog Otto, ihn auf einen Waldstreif und anschließend auf eine Jagd in der Fasanerie nach Göding zu begleiten. Solche kleine Jagden dort abzuhalten, war ihm seit einigen Jahren vom Kaiser bewilligt worden, und zwar unbeschadet der großen zwei oder drei Waldstreifjagden, die der Kaiser dort alljährlich für Erzherzoge, Botschafter und heimische Würdenträger abhalten ließ. Am Nordbahnhof empfing midi Erzherzog Otto mit der
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Nachricht, sein Bruder Franz werde mit uns fahren, um sich seinen kleinen Jagdbetrieb einmal anzusehen. Er erschien auch alsbald, und wir drei Jäger bestiegen nun das Coupé. Auf der ganzen zweistündigen Fahrt bis Göding führte er ebenso fast allein das Wort wie bei unserem Mittagsmahl in Göding und der Rüdefahrt abends nach Wien. Erzherzog Otto schien mir zwar recht intim mit seinem Bruder zu stehen, legte aber ihm, dem viel lebhafteren gegenüber, die ihm angeborene Schüchternheit kaum ab. Er mischte sich nur selten in das Gespräch, und wenn es geschah, nur, um seinem Bruder zuzustimmen. Goluchowski, der Minister des Äußern, hatte am Tage zuvor vom Kaiser das Goldene Vlies verliehen bekommen. Auf diesen aber hatte es der Thronfolger besonders scharf, weil er es gewesen war, der bei seiner Erkrankung die Neuordnung der Dinge, z. B. die Berufung Thuns zum Obersthofmeister, veranlaßt hatte, und der seiner Meinung nach auch daran schuld war, daß „der Thronfolger" bei seinem Aufenthalt in Kairo nicht genügend von unserem dortigen diplomatischen Vertreter, Baron Haidler-Egeregg, beachtet oder, richtiger, gefeiert worden war. Nun ließ er seinem Zorn gegen Goluchowski die Zügel schießen, indem er meinte, daß dieser eine so hohe Auszeichnung gar nicht verdient habe; wenn das so fort gehe, werde er sich nächstens „den Titel und Charakter eines Erzherzogs verleihen lassen". Dann kamen Thun und Montenuovo an die Reihe, „die mit Goluchowski ein Bändel bilden"; ferner folgte eine sehr eingehende Kritik der äußern Politik, die Goluchowski treibe, und endlich das Lieblingsthema des Erzherzogs, die der Monarchie abträgliche Haltung der Ungarn und ihrer Regierung. Ich habe mir leider unmittelbar nach jenem Ausflug keine Aufzeichnungen über die verschiedenen Aussprüche des Erzherzogs gemacht, dieselben waren aber derart scharf, daß ich mir sofort vornahm, sie strengstens bei mir zu behalten. Diese Diskretion habe ich denn auch bis heute bewahrt, wo ich dieses zu Papier bringe. Mein genau festgehaltener Eindruck war, daß der Thronfolger von großer Energie sei, ein starker Hasser aller derjenigen, die es sich mit ihm verdorben hatten, daß er sich allzusehr von vorgefaßten Meinungen leiten lasse, aber über eine scharfe Beobachtungsgabe verfüge, die, wenn in die richtigen Bahnen geleitet, ihn zu einem großen Monarchen machen könnte. In diesem meinem damaligen Urteil über ihn glaube ich mich nicht getäuscht zu haben. D a f ü r sprechen noch meine weiteren Erlebnisse mit ihm. Ich hörte in der Folge von verschiedenen Seiten, der Erzherzog spreche sich äußerst ungehalten über die Donauregulierung aus und
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schone auch mich, ihren C h e f , nicht. Von mir eingezogene Erkundigungen ergaben, d a ß die Jägerei des O r t h e r Reviers dahinter stecke, der die D a m m b a u t e n in eben diesen Jagdterrains u n d die dort einquartierten Arbeiter ein D o r n im Auge seien; sie hätten daher getrachtet, den E r z h e r z o g sowohl gegen die Zweckmäßigkeit der ganzen Regulierung ü b e r h a u p t als außerdem auch gegen die A r t ihrer D u r c h f ü h r u n g aufzuhetzen. N u n m u ß t e ich trachten, den Erzherzog a u f z u k l ä r e n . E r verlangte zwar, d a ß m a n sich zur Audienz alljährlich bei ihm melde, aber selbst erteilte er keine Audienzen; er ließ sich vielmehr nur jene Persönlichkeiten k o m m e n , mit denen er sprechen wollte. Ich m u ß t e also eine Gelegenheit a b w a r t e n , u m ihm die Donauregulierungssache gehörig vortragen zu k ö n n e n . Eine solche ergab sich erst nach längerer Zeit, als wir bei einer der großen Gödinger Waldstreifjagden, zu denen midi der Kaiser stets einladen ließ, zusammentrafen. Mittags beim Gabelfrühstück saßen dem Erzherzog zur Seite zwei Botschafter, ich ihm gegenüber. Plötzlich fing er an, mir über den Tisch hämische Bemerkungen über die Donauregulierung zu machen u n d mich selbst als den Vorsitzenden der Kommission zu bespötteln. Ich b e f a n d mich in ärgster Verlegenheit, konnte ich doch unmöglich an dieser T a f e l r u n d e dem Erzherzog gehörig erwidern. So beschränkte ich mich denn auf einige abwehrende Bewegungen. Nach aufgehobener T a f e l aber eilte ich, der ich sehr aufgebracht war, dem Erzherzog nach, erreichte ihn, als er eben seinen Wagen besteigen wollte, u n d sprach ihn, u n b e k ü m m e r t um die etwaigen Folgen, mit den Worten a n : „Es w a r nicht schön, d a ß mich Euer kaiserliche H o h e i t soeben bei Tische angegriffen haben, w o ich doch mich u n d die Donau-Regulierungs-Kommission nicht gehörig verteidigen k o n n t e ; ich m u ß dringend bitten, mir d a z u Gelegenheit zu geben." Ich erinnere mich noch genau, wie er über meinen Wagemut, ihn so anzusprechen, zunächst unwirsch schien u n d Miene machte, sich einfach von m i r abzuwenden, dann aber doch sagte, er sei dazu bereit u n d werde mich gelegentlich zu sich berufen. Ich a b e r : „Ich m u ß nach dem von Euer kaiserlichen H o h e i t Gehörten die dringende Bitte stellen, d a ß Hochdieselben sich einmal gründlich von der Sachlage überzeugen u n d die Donauregulierung auf deren Dienstschiffe persönlich inspizieren." D a s gefiel ihm, er sagte zu u n d meinte, ich möge mich wegen des Zeitpunktes mit seinem Kammervorsteher Baron Rumerskirch ins Einvernehmen setzen. Ich k o n n t e noch die Bemerkung anbringen, die Regulierungsbauten u n d ihren Zweck könne m a n nur bei besonders niedrigen Wasserständen im strengen W i n t e r genau ken-
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nenlernen, ich w e r d e daher meine Einladung zur F a h r t etwa im k o m menden M o n a t Februar machen. So geschah es denn auch. Ich legte ihm das Reiseprogramm — Eisenb a h n f a h r t nach Krems, Besteigen des Kommissionsschiffes dort, Besichtigung der Bauten bis Wien, E i n f a h r t in den W i n t e r h a f e n hier u n d Gabelfrühstück an Bord, dann W e i t e r f a h r t mit E r k l ä r u n g der Bauten bis P r e ß b u r g u n d endlich abends H e i m k e h r mit der Eisenbahn nach Wien — vor, u n d es ging dann unsere Reise nach diesem vonstatten. Die zwei Baudirektoren u n d einige Ingenieure waren dabei und hatten ein großes M a t e r i a l an K a r t e n u n d Plänen mitgebracht. Auf der F a h r t nach Krems h a t t e ich dem Erzherzog schon einen kleinen V o r t r a g über die Entstehung u n d die allgemeinen Ziele der niederösterreichischen Donauregulierung gehalten und w a r auf das angenehmste über seine gute Laune a n diesem Tag, aber auch über sein freundliches Eingehen auf die Sache berührt. Ich bat ihn dann, auf der F a h r t den Technikern, die stolz seien, den Thronfolger informieren zu d ü r f e n , gnädigst Gehör bei ihren vielleicht oft weitwendigen Erklärungen schenken zu wollen. Das tat er denn auch den ganzen T a g über mit einer Geduld u n d mit einem so verständnisvollen Wesen, d a ß wir alle, ich darf sagen, geradezu begeistert w a r e n . Bei der E i n f a h r t in den Wiener Winterhafen ließ ich das Gabelfrühstück a u f t r a g e n , mit dem sich mein Privatkoch auszeichnete. W i r h a t t e n angelegt. Z u m schwarzen Kaffee bat ich den Erzherzog, auf das Verdeck zu steigen, u n d nun bot sich ihm bei dem herrlich schönen T a g ein überraschender Anblick dar. Die mehr als 200 im H a f e n überwinternden D a m p f e r hatten, v o n dem K o m m e n des hohen H e r r n unterrichtet, Flaggengala angelegt, u n d die Mannschaften begrüßten ihn, als er auf dem Verdeck erschien, auf ein gegebenes Zeichen mit lauten H o c h r u f e n . Das alles erfreute den Erzherzog sehr u n d er gestand mir, wie falsch m a n ihn informiert habe; d a ß nämlich der Winterhafen eine verfehlte Anlage sei und die Schiffe ihn meiden. Auf der nun folgenden F a h r t bis P r e ß b u r g unterbrach der Erzherzog die Besichtigung und E r k l ä r u n g der Bauten n u r einmal gegenüber von O r t h , um uns seine verschiedenen Hochstände in den Auen u n d namentlich den einen zu zeigen, von dem aus er jüngst „seinen tausendsten Hirsch geschossen habe". Vor der A n k u n f t in P r e ß b u r g d a n k t e uns der E r z h e r z o g in einer mir unvergeßlichen u n d geradezu herzerhebenden Weise f ü r die v e r a n staltete F a h r t , die ihn v o n der Zweckmäßigkeit der Regulierung, über die man i h m in unverantwortlicher Weise ganz falsche Vorstellungen
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beigebracht, überzeugt habe. Es war ihm damit vollkommen Ernst. In Preßburg war bis zur Abfahrt des Wiener Zuges noch eine Stunde Zeit. Der Erzherzog sagte mir, diese zum Besuch eines Antiquars benützen zu wollen, worauf wir uns in aller Form von ihm verabschiedeten und auch dann auf dem Bahnhof nicht weiter in seine Nähe gingen. Er aber kam auf uns zu und lud midi und die Baudirektoren ein, zu ihm in sein Coupé zu steigen. Hier nun erörterte er nochmals die Regulierung und wiederholte seine Anerkennung. Er machte gar kein Hehl daraus, mir mit seinen Vorwürfen Unrecht getan zu haben. Dieser Charakterzug des Thronfolgers, den ich damals so deutlich wahrnahm, machte ihm alle Ehre und berechtigte wirklich zu den schönsten Hoffnungen auf seine Regententätigkeit. In diesen Hoffnungen wurde idi aber vollends bestärkt, als ich von nun an stets und bis zum tragischen Ende des Erzherzogs deutliche Beweise von ihm erhielt, daß er sich gern und willig bekehren und belehren lasse. Er beehrte midi von nun an mit seinem Vertrauen, und dies ganz besonders nach einem kleinen Dienste, den ich ihm hatte erweisen können. War es auf der Rückfahrt von Preßburg oder bei etwas späterer Gelegenheit, daß er wieder einmal Klagen über Ungarn erhob? Ich erwähnte darauf, meines Wissens gebe es nach dem alten ungarischen Staatsrecht sogenannte Antekoronationsartikel — ein Übereinkommen zwischen der Nation und dem König vor dessen Krönung und Eidesleistung auf die Verfassung, in dem die gegenseitigen Rechte und Pflichten klargelegt werden, und welches sodann gesetzlich inartikuliert zu werden hat. Der Erzherzog war ganz Ohr und bat mich, der Sache auf den Grund zu gehen. Damit betraute ich den Statthalterei-Archivsdirektor Dr. Albert Starzer, einen gewiegten Geschichtsforscher, und nach Verlauf weniger Monate war ich in der angenehmen Lage, dem Thronfolger dessen Operat überreichen zu können. Es bestätigte das, was ich darüber vernommen hatte, daß nämlich in der alten ungarischen Zeit der Krönung des Königs Verhandlungen mit den Ständen vorauszugehen pflegten. Dieses Operat, ausschließlich aus Wiener Archivsakten geschöpft, enthielt nur zwei unwesentliche Lücken über den Wortlaut von ebenfalls zwei Antekoronationsartikeln, die aus in Budapest befindlichen Archivalien hätten ergänzt werden können. Es hätte aber vielleicht Aufsehen in Kreisen der ungarischen Regierung erregt, wenn ich meine Nachforschungen bis dorthin erstreckt hätte. Diese vornehmen zu lassen, mußte der Thronfolger selbst entscheiden; er hatte die Absicht, es sofort zu veranlassen, und wird es auch wohl getan haben.
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Damals bei der Überreichung war er voll des Dankes für meinen Fingerzeig, dem er im gegebenen Moment folgen werde. Das Operat befand sich, wie ich weiß, bei seinen Geheimakten. Ob es sich wohl heute im Besitz des jetzigen Thronfolgers befindet? Hätte ich Gelegenheit, ihn zu sprechen, ich würde ihn darüber befragen. Erzherzog Franz Ferdinand ließ mich seit jener Zeit unzählige Male zu sich kommen, um dies und jenes von mir zu hören oder zu verlangen, auch in Dingen, die gar nicht zu meinem Kompetenzkreis als Statthalter gehörten. Einige seiner Wünsche waren charakteristisch für sein Wesen, so daß ich sie schildern muß. Der Kaiser hatte ihm einen geringen Teil der Staatsgeschäfte, etwa in dem Umfang, wie seinerzeit seinem Bruder, dem Erzherzog K a r l Ludwig, zur selbständigen Erledigung überlassen, darunter namentlich die Agenden des Wiener Stadterweiterungsfonds, dessen noch vorhandene Reste dem Ausbau der Hofburg gewidmet waren. Dieser Ausbau, von Hasenauer geplant und begonnen, hatte viele Fehler. Architekt Ohmann hatte sie zum Teil korrigiert, aber der Bau ging unter seiner Leitung nicht recht vonstatten, auch war der Erzherzog der Meinung, dieser Architekt verstünde sich nicht genügend auf den Stil der Renaissance. So wandte er sich denn an mich, ich möge ihm einen neuen Bauleiter und an dessen Seite einen zweiten Architekten als Kontrollor für den richtigen Renaissancestil verschaffen, durch Verträge mit diesen den flotten Fortschritt desBaues sicherstellen und die dazu notwendigen Verhandlungen mit dem dem Ministerium des Innern unterstehenden Stadterweiterungsfonds in seinem Namen und Auftrag durchführen. Das geschah alles seinem Wunsch gemäß, so daß bald seine Sammlungen und die kaiserliche Fideikommiß-Bibliothek im neuen Burgtrakt untergebracht werden konnten. Großen Wert legte der Erzherzog stets auf die Erhaltung der Kunstdenkmäler und alten Bauten. Ich hatte ihm einen jungen Staatstechniker namens Pichler empfehlen können, der, ein vorzüglicher Zeichner, Sinn und richtiges Verständnis für das Erhaltenswerte hatte. Dieser hatte, als ich die hinter dem Statthaltereigebäude liegende Minoritenkirche (Maria-Schnee) freilegen und restaurieren ließ, Aquarellaufnahmen von der Kirche in ihrem alten Zustand und auch von einigen Stadien ihrer Freilegung von den an sie angebauten Häusern gemacht. Der Erzherzog interessierte sich für die Sache und hatte mir sagen lassen, alle alten Leichensteine und Skulpturen, die aus dem alten Gemäuer herstammten oder bei den Grabungen nächst der Kirche, wo in alten Zeiten ein Friedhof bestanden hatte, gefunden würden, mögen für ihn
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reserviert werden. Ich ließ ihm zurückantworten, daß ich nichts d a v o n hergeben könne, alles müsse an O r t u n d Stelle bleiben. Jedes einzelne g e f u n d e n e Stück aber w e r d e pietätvoll erhalten bleiben u n d in dem neuen Arkadengang an der restaurierten Kirche eingemauert werden. D e r Erzherzog werde, wie ich ihn kenne, mit mir zufrieden sein. Das n a h m er ruhig hin und erklärte mir sogar, als er auf meine Einladung gekommen war, um die fertige Restaurierung zu besichtigen, ich hätte g a n z recht gehabt. D e n genannten Ingenieur Pichler entsandte er dann, u m A u f n a h m e n im L a n d e zu machen, so unter anderem in die Kremser Gegend, als einige charakteristische Bauwerke dem Bau der neuen Eisenbahn von Krems nach Grein zum O p f e r fallen sollten. Seine Kenntnis der klassischen Stile w a r allmählich ganz bedeutend geworden, auch in der antiken bildenden Kunst k a n n t e er sich aus, nachdem er anfangs auf seinen Reisen, namentlich in Italien, unendlich viele alte Bilder gekauft u n d sich bei näherer P r ü f u n g derselben nach ihrer A n k u n f t in Wien mit H i l f e der Kustoden u n d Restauratoren der H o f m u s e e n hatte überzeugen können, wie wenig Gutes u n d wieviel Schund ihm angehängt w o r d e n war. Auf dem laufenden hierüber hielt mich der Gemälderestaurator Ritsehl, der der Ratgeber des T h r o n folgers bei seinen späteren Bilderankäufen wurde. Eines Tages berief mich der Erzherzog, um mir zu sagen, es sei sein dringender Wunsch, daß die Kirche am H o f neben dem jetzt kürzlich demolierten ehemaligen Kriegsministerialgebäude wieder in den Besitz des Jesuitenordens gelange; ob u n d wie das zu machen sei? Er äußerte dabei, d a ß es sein Bestreben sei, diesen O r d e n , der so sehr geeignet sei, destruktiven Tendenzen im Staate entgegenzuwirken, zu f ö r d e r n . Für letztere Anschauung f a n d er bei mir wohl gar kein Verständnis, aber die Kirche am H o f , die Pfarrkirche geworden w a r , nachdem Maria Theresia den Jesuitenorden aufgehoben hatte, w a r längst ein wahres Schmerzenskind der Statthalterei oder richtiger des niederösterreichischen Religionsfonds. K a u m mehr 5000 P f a r r l i n g e umfassend, kostete sie diesen Fonds alljährlich n a m h a f t e Zuschüsse. Ich w u ß t e also die sich mir darbietende Gelegenheit, diese Kirche loszubringen, gern zu ergreifen u n d erklärte mich sofort bereit, mit d e m O r d e n wegen ihrer Übern a h m e zu verhandeln. Diese meine Verhandlungen hier eingehender zu schildern, w ä r e z w a r verlockend, aber w ü r d e doch zu weit f ü h r e n . Sie f ü h r t e n schließlich zur Zufriedenheit des hohen H e r r n z u m Ziele, w a r e n mir aber dadurch sehr erschwert, als der Erzherzog dem O r d e n seine Absicht, ihn mit der E r w e r b u n g dieser Kirche zu f ö r d e r n , offenbar
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bekanntgegeben hatte, so daß der letztere anfangs so tat, als ob er, wenn er die Kirche übernehme, nur einem Wunsch des Erzherzogs entspreche u n d an diese Übernahme in sein Eigentum noch allerhand harte Bedingungen f ü r den Religionsfonds knüpfen könne. Dies bringt mich dazu, von dem seit der Verheiratung des Erzherzogs immer deutlicher in Erscheinung tretenden Klerikalismus desselben zu sprechen, der wohl, da man doch früher bei ihm von einer solchen Gesinnung nie etwas vernommen hatte, auf den Einfluß der Gattin zurückzuführen ist. Sie hatte sich von allem Anfang an einen Geistlichen zum Sekretär genommen, und Geistliche gingen im Belvedere ein und aus. Besonderen Einfluß gewann dort ein Graf Galen, Mönch der Beuroner Benediktiner in Prag, der aber ewig in Wien steckte u n d sich mit mehr oder weniger deutlicher Betonung seiner engen Beziehungen zum Belvedere bei den Behörden in alle möglichen Dinge einmischte. Als er einmal bei mir erschien, um in einer ihn doch gar nichts angehenden Konzessionsangelegenheit Protektion zu erbitten, komplimentierte ich ihn artig zur Tür hinaus. Auch eine Prinzessin Alexandrine Windisch-Grätz, ein notorischeinfältiges Frauenzimmer, welches als sitzengebliebene alte Jungfer nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wußte als in klerikalem Sinne zu intrigieren, hatte sich bei Sophie Hohenberg einzuschleichen verstanden. Um nur ein Beispiel ihrer unverständigen Intrigen anzuführen, hatte sie den schon früher von mir genannten und bei den Klerikalen strenger Richtung nicht eben beliebten Weihbischof Dr. M a r schall bei der Kurie in Rom dahin verschwärzt, er sei ein geheimer Freimaurer. Ich weiß es von ihm selbst, daß er sich daraufhin in R o m hatte rechtfertigen müssen. Wie das erzherzogliche H a u s von Klerikalen dann oft mißbraucht wurde, möge folgendes Beispiel erhärten. Nathaniel Rothschild hatte in seinem Testament eine große Millionenstiftung f ü r ein Nervenkrankenspital an der Peripherie von Wien gemacht, welches dann am Rosenhügel bei Mauer errichtet wurde. Das Kuratorium erachtete es aber mit Recht für notwendig, daß eine Untersuchungsstation f ü r die A u f n a h m e der Kranken und ein Ambulatorium in Wien selbst errichtet werde, u n d zu diesem Zweck eine Realität mit Garten in Döbling angekauft. N u n hieß es im 19. Bezirk plötzlich, es solle dort ein Irrenhaus errichtet werden, welches durch den Lärm der Irren usw. seine gesamte Nachbarschaft arg schädigen und belästigen werde. Hinter diesen falschen Nachrichten steckten Schulschwestern, die mit ihrem, eine Mädchenschule betreibenden Kloster an die angekaufte Realität
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angrenzten, und sich selbst von mir, der ich sie zu ihrer Aufklärung zu mir kommen ließ, nicht belehren lassen wollten, daß sie von der geplanten neuen Anstalt keinerlei Belästigung zu befürchten haben würden. Nun schickte mit einem Male Erzherzog Franz Ferdinand zu mir, ich möge doch um jeden Preis die Errichtung der in Rede stehenden Anstalt verhindern, denn das kleine Haus, welches auf der von der Rothschild-Stiftung angekauften Realität stehe, sei ein von Maria Theresia bewohnt gewesenes Schlößchen, welches schon aus Pietät für die große Kaiserin, dann auch als interessantes altes Bauwerk erhalten bleiben müsse und nicht dem Neubau eines Spitals zum Opfer fallen dürfe. Die Fabel von dem Maria-Theresia-Schlößchen hatten die braven Schulschwestern erfunden, um sich die Intervention des Erzherzogs in ihrer Angelegenheit bei mir zu sichern. Gepflogene Erhebungen ergaben, daß das kleine Haus vielleicht einmal im Besitz eines Generals der theresianischen Zeit gestanden sei und „daß es nicht ganz ausgeschlossen sei, daß die Kaiserin das Haus einmal besucht habe". Dies konnte ich dem Erzherzog vermelden mit der Beifügung, daß eine Demolierung dieses Häuschens gar nicht geplant sei, es solle vielmehr zu Kanzleizwecken der neuen Anstalt, die im dazugehörigen Garten erbaut werde, dienen. Nun überließ der Erzherzog die Schulschwestern ihrem Schicksal und mischte sich in ihre Rekurs- und Beschwerdeschriften nicht weiter ein, so daß die Anstalt endlich plangemäß errichtet werden konnte. Ich habe hier noch nachzutragen, daß der erste, so großes Aufsehen erregende Schritt des Erzherzogs auf der Bahn des Klerikalismus seine Übernahme des Protektorates des nicht gar lange vor seiner Heirat gegründeten „Katholischen Schulvereins", einer Kampforganisation gegen die gesetzlich bestehende interkonfessionelle Volksschule, war, wobei er sich angeblich angeboten haben soll. Sicher ist, daß er die vorherige kaiserliche Genehmigung zu dieser Übernahme nicht erwirkt hatte, worauf allen Erzherzogen eingeschärft wurde, solche Funktionen nicht zu übernehmen, bevor sich nicht die maßgebenden Behörden über die Angemessenheit geäußert und der Kaiser die Genehmigung erteilt hätte. Einer der letzten, und zwar privaten Dienste, den ich dem Erzherzog leisten konnte, war Konopischt betreffend. Er berief mich, um mir zu klagen, sein dortiger, groß angelegter Steinbruchbetrieb sei notleidend geworden; er habe den Direktor desselben „davonjagen" müssen; ich möge ihm einen Sachverständigen verschaffen, der den Betrieb revidiere und reorganisiere. Ich setzte mich mit dem größten Stein-
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bruchbesitzer Österreichs, dem Wiener Steinmetzmeister Eduard Hauser, ins Einvernehmen, und auf meinen R a t hin betraute der Erzherzog dann dessen Sohn mit der Nachschau, die arge Dinge zutage förderte, aber dazu führte, daß der Betrieb wieder in Ordnung gebracht wurde. Der Erzherzog nahm alle diese Dienste, die ich ihm leisten konnte, durchaus nicht als etwas Selbstverständliches hin, sondern erwies sich mir dafür auf alle mögliche Art und Weise dankbar. Auch diesen edlen Zug seines Charakters will ich feststellen. Er hatte sich die besten Hasenstreife in den Jagden des Obersthofmeisteramtes um Wien reservieren lassen und lud zu diesen nur ihm näherstehende Persönlichkeiten, mich fast regelmäßig, ein. Als er mich das erstemal zu einer dieser Reservatjagden, es war in Hennersdorf bei Laxenburg, berief, sprach ich ihm meinen Dank dafür mit den Worten aus, ich wisse die hohe Ehre dieser Einladung voll zu würdigen. Und er erwiderte wörtlich: „Ich habe mir berichten lassen, daß Hennersdorf ihr Lieblingsrevier ist, und so sollten Sie denn bei mir nicht fehlen." Hennersdorf war mir nämlich seit einigen Jahren vom Oberstjägermeister als Hühnerabschußrevier zugewiesen. Der Erzherzog jagte nicht gern mit den sonst oft zu den kaiserlichen Jagden auf Niederwild nächst Wien zugezogenen Diplomaten oder neugebackenen heimischen Würdenträgern, die unsere Art zu jagen nicht kannten und eine Streifjagd leicht durch Vorlaufen oder Zurückbleiben in Unordnung brachten. Einmal, es war in Guntramsdorf, war er sehr ungehalten und setzte den Jagdgästen laut auseinander, nur Offiziere, die Skelettexerzieren verstehen, könnten bei einer Streifjagd im Felde ordentlich gehen und die Richtung und ihre Stände einhalten. Allerdings erlitt dieses sein Prinzip insofern eine Ausnahme, als er bei jeder derartigen J a g d das meiste schießen wollte; dieses aber bedingte, daß jener Schütze, welcher an dem, seinem Eckplatz gegenüberliegenden Flügel marschierte, dieses ganze Flügeleck gehörig vordrücken mußte, damit die laufenden Hasen, dem Druck weichend, möglichst in das vom Erzherzog beschossene Eck hinübergedrängt wurden. D a ich nun meinem Rang als älterer Geheimrat nach fast regelmäßig das zweite Eck zugewiesen erhielt und seine Schwäche kannte, so drängte ich dieses stets gehörig vor und er hatte dann zu seiner größten Freude die meisten Hasen erlegt. Einmal in Groß-Enzersdorf kam er nach Beendigung des Streifs mit der Frage auf mich zu: „Nun, ist es Ihnen gut gegangen, wieviel Stück haben Sie geschossen?" Ich bejahte die Frage und vermeldete
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240 H a s e n , worauf er 220 ansagte u n d ich erwiderte, ich habe doch den linken Flügel gehörig vorgenommen und sei nun unglücklich, das in mich gesetzte Vertrauen, ihn das meiste schießen zu lassen, nicht erfüllt zu haben. „ N e i n " , ruft er lachend, „Sie haben nach wie vor Ihren Flügel glänzend geführt, denn ich schoß 320!" Worauf ich: „Das ist auch gut, sonst h ä t t e ich midi nie mehr getraut, einer Jagdeinladung E u r e r kaiserlichen H o h e i t zu folgen." H a t t e n er und seine G a t t i n interessante Gäste zu kleinen Soiréen oder Gabelfrühstück bei sich, stets w a r e n meine Frau u n d ich dabei. Ein A b e n d mit Kaiser Wilhelm, bei dem Pepi Glöckner ein VarietéP r o g r a m m persiflierte u n d mehrere berühmte K o m i k e r Wiener Couplets z u m besten gaben, ist mir besonders in Erinnerung geblieben, denn Kaiser Wilhelm schüttelte sich vor Lachen und w a r d a n n bester Laune. Bei einem Gabelfrühstück machte ich die Bekanntschaft des K r o n p r i n z e n , jetzt König von Rumänien, bei einem andern w u r d e der französische Botschafter Marquis de Reverseaux, der eben geheiratet hatte, gefeiert, und war so sehr von der Liebenswürdigkeit der „Frau S o p h e r l " entzückt, daß er mir beim Fortgehen sagte: «Je vous felicite de la t o u t e charmante Impératrice que vous aurez un jour. J'en suis persuadé qu'elle le deviendra, t a n t eile est charmante.» U n d nun kommt eine Sache, in der mir der Erzherzog sein unbedingtes Vertrauen auf eine ganz besondere A r t beweisen wollte. Ich schildere sie nicht so sehr meiner Person wegen ganz ausführlich, als vielmehr deshalb, weil sie so charakteristisch f ü r sein Verhältnis z u m Kaiser w a r , über welches ich in meiner den letzteren betreffenden M o n o g r a p h i e schon gesprochen habe. Taussig, der Gouverneur der Bodencreditanstalt, w a r gestorben. Diese B a n k verwaltet die Vermögenschaften des kaiserlichen Familienfonds, weshalb auch dessen D i r e k t o r , der von mir f r ü h e r bereits e r w ä h n t e Baron Chertek, V e r w a l t u n g s r a t bei derselben w a r . D e r E r z herzog interessierte sich nun lebhaft d a f ü r , wer von dem Verwaltungsr a t als neuer Gouverneur dieses großen Finanzinstituts vorgeschlagen werden w ü r d e und ließ im Einvernehmen mit Chertek, ohne selbst damals noch hervorzutreten, mich als eine d a f ü r geeignete Persönlichkeit den Mitgliedern des Verwaltungsrats n a m h a f t machen. V o n einigen dieser H e r r e n wurde ich darauf angesprochen und gefragt, ob ich geneigt sei, eine auf mich fallende Wahl anzunehmen. Ich k o n n t e auf solche Fragen nur erwidern, der G o u v e r n e u r werde v o m Kaiser e r n a n n t , meine K a n d i d a t u r könne ich nicht selbst vorschlagen, aber wenn e t w a der Verwaltungsrat mich zur kaiserlichen E r n e n n u n g v o r -
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schlagen w ü r d e , w e r d e mir dies eine E h r e sein. Ich w u r d e d a r a u f h i n schon in manchen K r e i s e n als der z u k ü n f t i g e G o u v e r n e u r genannt. Z u dieser Zeit w a r , wie ich in meiner M o n o g r a p h i e „ D r . K a r l L u e g e r " berichten werde, Beck als Ministerpräsident eben gestürzt und B a r o n Bienerth mit Z u t u n Gessmanns z u dessen N a c h f o l g e r ernannt w o r d e n . Beck aber hatte der E r z h e r z o g unter a n d e r e m nicht verziehen, d a ß dieser den g e t a u f t e n J u d e n Singer-Sieghart, der als Sektionschef des M i n i s t e r r a t s p r ä s i d i u m s mehr und mehr Einfluß a u f alle S t a a t s geschäfte u n d d a s P a r l a m e n t gewonnen hatte, aber doch noch verh ä l t n i s m ä ß i g jung an J a h r e n und im R a n g s v e r h ä l t n i s w a r , z u m G e heimrat hatte ernennen lassen. D a s ging vielen, nicht allein
dem
E r z h e r z o g , über die Hutschnur. Letzterer v e r l a n g t e nun v o n Bienerth gleich bei dessen D i e n s t a n t r i t t die E n t f e r n u n g Siegharts v o n seinem Posten, w a s dieser auch s o f o r t zusicherte u n d sich seiner U m g e b u n g gegenüber dahingehend aussprach, Sieghart b i l d e so eine A r t N e b e n ministerpräsident, den er nicht brauchen könne, denn er w o l l e selbst die G e s c h ä f t e leiten. A l s ob er jemals d a z u geeignet gewesen w ä r e ? ! Auch h a t t e er die Rechnung ohne den sehr viel schlaueren Sieghart gemacht, denn als er an ihn herantrat, u m ihn z u m Verzicht auf seinen Posten z u veranlassen, weigerte sich dieser, irgendeine andere Staatsanstellung anzunehmen, u n d verlangte den Posten des G o u v e r n e u r s der B o d e n c r e d i t a n s t a l t . E s hieß in den informiertesten Kreisen, Sieghart habe s o g a r gedroht, der R e g i e r u n g mit seiner K e n n t n i s aller Geheimnisse d e r letzten P e r i o d e n Verlegenheiten zu bereiten, falls seinem Begehren nicht entsprochen werde. Als der E r z h e r z o g v o n den A s p i r a tionen Siegharts e r f u h r , w a r er nun vollends aufgebracht u n d erklärte Bienerth, dieselben d ü r f t e n unter keinen U m s t ä n d e n erfüllt werden. N u n a b e r nahm sich G e s s m a n n Siegharts Sache an, denn dieser hatte ihm d e n E r h a l t der K o n z e s s i o n zur G r ü n d u n g seiner B a u k r e d i t b a n k z u v e r d a n k e n . D e r L a n d m a r s c h a l l Liechtenstein mußte, wie stets, auch in dieser schmutzigen Sache, von der er vielleicht in seiner N a i v i t ä t nicht e i n m a l wußte, Gefolgschaft leisten, j a die B e r u f u n g Siegharts w u r d e Bienerth beinahe als F o r d e r u n g der christlichsozialen
Partei
gestellt, so sehr hatte er sich viele Mitglieder dieser mächtigen Partei durch G e f ä l l i g k e i t e n , auch materieller N a t u r , aus dem v o n ihm verw a l t e t e n D i s p o s i t i o n s f o n d s , in den letzten J a h r e n zu engen Freunden z u machen verstanden. A l s der E r z h e r z o g h i e v o n erfuhr, e r k l ä r t e er, S i e g h a r t u m keinen Preis a u f dem G o u v e r n e u r p o s t e n wissen z u wollen, Bienerth m ö g e ihn in anderer Weise aus d e m Ministerratspräsidium fortschaffen. N u n
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steckte sich Bienerth hinter den Finanzminister Bilinski, der dem Erzherzog ein Promemoria vorlegte, nach dessen Inhalt es der Plan der Regierung sei, sich bei allen Staatskreditoperationen in Zukunft der Postsparkasse zu bedienen, während solche bisher immer unter der Leitung der sogenannten Rothschildgruppe der Wiener Banken (Haus Rothschild, Kreditanstalt usw.) zustande gekommen seien. Um diese Präponderanz der genannten Gruppe zu sprengen, bedürfe man der Mitwirkung der größten Bank, der Bodencreditanstalt; es müsse daher eine hiezu geeignete Persönlichkeit an deren Spitze gestellt werden, und als diese könne nur Sieghart bezeichnet werden. Dieses Promemoria, welches sich in Abschrift bei meinen Akten befindet, sandte mir der Erzherzog sofort zu, damit ich ihm sage, ob der Inhalt richtig sei und was er darauf erwidern könne. Bei diesem Anlaß erfuhr ich eigentlich erst in unzweideutiger Weise durch des Erzherzogs Obersthofmeister Baron Rumerskirch, daß ich der Kandidat des Erzherzogs für den Gouverneurposten sei und daß dieser die Absicht habe, daran festzuhalten. Die Unrichtigkeit des Promemorias konnte ich unschwer darlegen, hatte doch schon bei den letzten Staatskreditoperationen die Rothschildgruppe mit der Postsparkasse einvernehmlich zusammengewirkt. Als nun der Erzherzog Bienerth mitteilen ließ, auch Bilinskis Promemoria habe ihn in dieser Personalfrage nicht umzustimmen vermocht, begann ein von Sieghart inszenierter Intrigenkrieg, wie ihn Österreich bis dahin nicht erlebt hatte. Er mobilisierte nun vor allem seinen Schwiegervater Grünhut, Universitätsprofessor des Wechselrechts und ständiger Leitartikelschreiber der „Neuen Freien Presse", der viele Beziehungen auch mit der Finanzwelt hatte, damit er in den Kreisen der Verwaltungsräte der Bodencreditanstalt für eine Wahl zu seinen Gunsten Stimmung mache. Rothschild aber war, wie er mir sofort mitteilte, vom Erzherzog direkt angegangen worden, seinen Einfluß in eben denselben Kreisen geltend zu machen, damit ich und nicht Sieghart vom Verwaltungsrat zur Ernennung als Gouverneur vorgeschlagen werde. Diese gegenseitige Stimmungsmacherei, der ich, ohne als Kandidat hervortreten zu dürfen — stand ich doch damals im aktiven Staatsdienst — ruhig zusehen mußte, dauerte mehrere Wochen lang. Ich wurde nur bisweilen von guten Freunden über meine Chancen, die angeblich gut stehen sollten, informiert. Nun hatte Grünhut, der auch im Hause der Frau Kathi Schratt verkehrte, diese veranlaßt, ein Diner zu geben und zu diesem eine Reihe von Personen und Damen einzuladen, die er zugunsten seines
E r z h e r z o g F r i e d r i c h m i t seiner B r a u t I s a b e l l a
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Schwiegersohnes stimmen wollte. Unter diesen befand sich namentlich auch Gräfin Misa Wydenbruck, die Freundin Albert Rothschilds, die zu jener Zeit auf diesen und seine Geschäfte einen ausschlaggebenden Einfluß nahm. Grünhut hatte sich nun dieser gleich nach Tisch genähert, um ihr zu versichern, Sieghart werde nach seiner Wahl und Ernennung zum Gouverneur nicht nur nichts gegen die Rothschildgruppe unternehmen, vielmehr sich mit der Bodencreditanstalt eng an diese anschließen. Über diese Perfidie Bilinskis und Siegharts war Rothschild derart empört, daß er, ein sonst ruhiger Mann, den ersteren von nun an nur noch als „das Schwein" bezeichnete und des zweiten wegen bei Seiner Majestät, dem Kaiser, Audienz nahm, um dem Allerhöchsten Herrn zu versichern, daß er und seine Bankengruppe bestrebt seien, die Postsparkasse, wenn sie als Staatsbankier auftrete, zu fördern; in dieser Beziehung seien alle Wiener Großbanken eines Sinnes. Der Kaiser hatte nichts hierauf erwidert, wie mir Rothschild mitteilte; es muß also dahingestellt bleiben, ob der Kaiser bereits von BienerthBilinski falsch informiert worden war oder noch nicht. In diesem Stadium erachtete es nun der Thronfolger, wollte er sich nicht Bienerth gegenüber als „aufgesessen" betrachten, an der Zeit, einen Schritt zu unternehmen, der in das Gegenteil dessen umschlagen sollte, was er damit beabsichtigt hatte. Er entsandte seinen Obersthofmeister zu den Verwaltungsräten der Bodencreditanstalt, um diesen sagen zu lassen, es sei sein Wunsch, daß ich zum Gouverneur dieser Bank vorgeschlagen werde, und sie erklärten, demselben gern entsprechen zu wollen. Einige dieser Verwaltungsräte, so unter anderen Paul von Schoeller, teilten mir dies sofort mit. Natürlich erfuhren aber auch Bienerth, Bilinski und Sieghart von diesem aufsehenerregenden Schritt des Thronfolgers und ergriffen ihre Gegenmaßnahmen, und zwar mit Hilfe des mit dem Hause Siegharts eng befreundeten K a binettsdirektors des Kaisers, Freiherr von Schiessl. Dieser mußte dem Kaiser berichten, der Erzherzog mische sich direkt in Staatsgeschäfte ein und greife Ernennungs- und Bestätigungsrechten der Krone vor. Nun war der Kaiser wütend, und das früher genannte Trifolium hatte ihn dort, wo es ihn haben wollte. Er beauftragte nun Schiessl, den Verwaltungsräten sagen zu lassen, sein Wunsch sei, daß ihm Sieghart als Gouverneur vorgeschlagen werde. Diesen Allerhöchsten Wunsch mußte das Mitglied des Verwaltungsrats, Hofrat Ritter von Giannellia, der Sekretär des Erzherzogs Rainer, im Kreise seiner Kollegen verbreiten. Diese wollten anfangs nicht recht glauben, daß es sich um einen direkten Wunsch des Kaisers handle, denn es ging ihnen ganz wider den Strich, 11
Goldinger, Kaiserhaus
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Sieghart, der sich in ihren Kreisen gar keiner Sympathien erfreute, wählen zu sollen. Chertek ging daher zu Seiner Majestät, um sich über die Richtigkeit des auch ihm mitgeteilten Wunsches zu vergewissern u n d eventuell auch noch gegen denselben Vorstellung zu erheben; letzteres beabsichtigte auch der Erzherzog. Beide kehrten unverrichteter D i n g e aus ihren Audienzen heim u n d teilten es mir sofort nach denselben mit. Chertek hatte der Kaiser gesagt, er habe der Regierung bereits zugesagt, Siegharts Wahl, auf welche sie großen politischen W e r t lege, durch dessen Ernennung z u m Gouverneur zu bestätigen, den Erzherzog aber hatte er über diese Angelegenheit gar nicht zu W o r t kommen lassen, als dieser sich anschickte, sie vorzutragen. D e r Erzherzog hatte die große A u f m e r k s a m k e i t gehabt, mir durch Rumerskirch sagen zu lassen, er wolle bei Seiner Majestät einen letzten Versuch zu meinen Gunsten unternehmen u n d ließ mich zum Gabelfrühstück am T a g der Audienz u n d unmittelbar nach derselben einladen. Bei dem letzteren fiel mir sofort eine gewisse Verlegenheit mir gegenüber auf, er zog mich nicht allein in das Gespräch und erst, als er seine Gäste verabschiedete, sagte er m i r : „Ich habe heute versucht, in der bewußten Sache noch etwas zu erreichen, leider w a r es mir unmöglich." Rumerskirch w u ß t e bis dahin noch nichts von dem negativen Resultat der A u d i e n z ; der Erzherzog vertraute es ihm erst später an. Dieser erzählte es mir mit dem Beisatz, d a ß das Verhältnis des Kaisers z u m Thronfolger derartig sei, daß der letztere sich meistens gar nicht mehr getraue, eigene Wünsche vorzubringen; so werde es auch wohl, wie er aus Andeutungen schließe, in meinem Fall gewesen sein. N u n w u r d e die entscheidende Sitzung des Verwaltungsrates ausgeschrieben, vor welcher mehrere seiner Mitglieder, so Baron M a y r , G r a f Enzenberg, P a u l v o n Schoeller mir sagten oder sagen ließen, wie gern sie mich gewählt haben w ü r d e n , wie sie aber gezwungen seien, einem kaiserlichen Befehl zu folgen. Damals erschien eines Morgens auch Sieghart bei mir im Büro, u m mir zu sagen, seine Wahl und E r n e n n u n g zum Gouverneur sei zufolge kaiserlicher A n o r d n u n g nunm e h r gesichert; er wisse, d a ß ich der K a n d i d a t des Thronfolgers gewesen sei, ich möge ihm persönlich nicht verübeln, d a ß er u n d nicht ich der Vertrauensmann der Regierung f ü r die wichtigen Aufgaben sei, die seiner auf dem neuen Posten h a r r t e n ! Ich k o n n t e ihm nur antw o r t e n , ich sei durch den T h r o n f o l g e r v o n allem Vorgefallenen informiert, sei stolz d a r a u f , dessen K a n d i d a t gewesen zu sein, w e n n ich auch persönlich als solcher nie hervorgetreten sei. Ihm habe ich gar nichts
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zu verübeln, wenn er seinen Weg mache, und könne ihn zu diesem nur beglückwünschen. Als Sieghart nun gewählt u n d ernannt worden war, wollte er sich vor allen Dingen dem Thronfolger nähern und suchte also um eine Audienz bei diesem an, die aber abgelehnt wurde. Er kannte aber, wie alle Welt, den großen Einfluß, den der Leibkammerdiener Janaczek bei seinem H e r r n , dem Erzherzog, hatte, war er es doch, der allerhand Vertrauensmissionen von ihm erhielt, ihm anzukaufende Antiquitäten nachwies, Erkundigungen anderer Art f ü r ihn einzog und auch alle jene zahlreichen Persönlichkeiten zu seinem H e r r n berief, die er inoffiziell sprechen wollte. Diesen Janaczek suchte nun der schlaue Sieghart auf und versprach ihm 1000 Kronen, wenn er ihm eine Berufung zum Erzherzog verschaffe. Der aber, dem nicht entgangen war, wie sein H e r r über Sieghart denke, w a r noch schlauer als der letztere und glaubte, sich das Vertrauen seines Erzherzogs in noch höherem Maße erwerben zu können, als er es schon bisher besaß, wenn er diesem berichte, wie er den Verlockungen Siegharts widerstanden habe. N u n war Sieghart f ü r alle Zeit beim Erzherzog abgetan, der bis zu seinem Lebensende nicht aufgehört hat, dahin zu streben, daß er von dem Gouverneurposten wieder entfernt werde. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen, wie der Erzherzog in Beziehungen zu Alexander Spitzmüller, dem ehemaligen Finanzlandesdirektor in Wien, damaligem Direktor der Kreditanstalt und jetzigem Handelsminister, kam. Mit diesem, als Bankdirektor ein entschiedener Gegner Siegharts, hatte er sich über Sieghart ausgelassen u n d in dem Gespräch von 1913, also ein Jahr vor seinem Tod, auch die mich ehrende Äußerung getan, d a ß ich einer der wenigen Männer meiner Kategorie sei, die sich sein unbedingtes Vertrauen erworben hätten. Spitzmüller hatte die Aufmerksamkeit, mir diese Äußerung des Thronfolgers unmittelbar nach seiner Audienz bei diesem zu hinterbringen. Ich habe schon früher des Verhältnisses des Erzherzogs zum Kaiser gedacht. Beide Menschen von meist entgegengesetzten Lebensanschauungen, die sich nie recht verstanden. Der Kaiser voller Scheu, persönlich in die Politik einzugreifen, der Thronfolger voller Schaffensdrang; der Kaiser ein Waidmann ältesten Schlags, der Thronfolger ein Vielschießer; der Kaiser an Althergebrachtem hängend, die Dinge an sich herankommen lassend, der Erzherzog die Ebenbürtigkeit hintansetzend und den Anstoß zu Neuerungen auf allen möglichen Gebieten gebend. Der Wirkungskreis, den der Kaiser dem Erzherzog auf dem Gebiet der inneren Verwaltung gegeben hatte, erschien dem letzteren viel zu 11*
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unbedeutend und gering, er wäre gern vom Kaiser über alle wichtigen politischen Fragen zu Rate gezogen w o r d e n ; das widerstrebte aber dem bedächtigen Herrscher, der Thronfolger kam daher fast nie ungerufen zu seinem Oheim und hielt sich in den letzten Jahren seines Lebens mehr und mehr von Wien fern. W a r er aber hier, so konnte er seinem Drang, von der Politik zu wissen, nicht widerstehen, berief die Minister zu sich, befragte sie und gab ihnen seine Ansichten kund, die bisweilen eben mit denen des Kaisers nicht übereinstimmten. E r f u h r der Kaiser dann von diesen Besprechungen, so ärgerte er sich über den Herrn Neffen oder war gar eifersüchtig auf diesen. So manche Minister wieder, die es sich mit dem zukünftigen Herrscher nicht verderben wollten, drängten sich geradezu an ihn heran, holten seine Willensmeinung ein, bevor sie in dieser oder jener Frage Stellung nahmen, und so war der Mißverständnisse zwischen Neffen und Oheim kein Ende. U m dem Schaffens- und Betätigungsdrang des Thronfolgers ein Tätigkeitsfeld zu geben, hatte der Kaiser ihm einige Zeit nach seiner Heirat bereits seinem „Allerhöchsten Armeeoberbefehle zugeteilt" und ihm eine Militärkanzlei beigegeben. Der Erzherzog hatte nun den Kaiser bei den großen Herbstmanövern zu begleiten, diese auch in den letzten Jahren bei zunehmendem Alter und Kränklichkeit des Herrschers selbst abzuhalten, und stets den Beratungen der hohen Generalität unter Vorsitz des Kaisers beizuwohnen. Über die Manöver, an denen ich natürlich nicht teilnahm, kann ich nur berichten, was mir hohe Offiziere mitteilten. Hielt nämlich der Kaiser selbst diese ab, hielt sich der Thronfolger ganz im Hintergrund, sprach fast mit niemandem und erschien moros. Aber wenn er allein sie leitete, w a r er die Lebhaftigkeit selbst und bezauberte durch seine Liebenswürdigkeit alle Herren seines Hauptquartiers. N u r ein militärisches Fest machte ich mit dem Erzherzog mit. Es w a r dies das Jubiläum des hundertjährigen Bestandes des 7. Ulanenregiments, dessen Inhaber er war, und bei dem ich zu der Zeit, als noch sein Vater dessen Inhaber gewesen, als Einjährig-Freiwilliger und Reserveleutnant gedient hatte. Die Feier f a n d 1909 in Stockerau statt, w o das Regiment damals stationiert war, und ich war in der doppelten Eigenschaft als Statthalter und ehemaliger Angehöriger des Regiments zu dieser geladen. Oberst von Dondorf, Oberstleutnant Baron Bamberg u n d meine Wenigkeit empfingen den hohen H e r r n am Bahnhof, hatten dann mit ihm ein Gabelfrühstück in kleinerem Kreise, dem ein allgemeines Regimentsfest mit Preisreiten und Rennen und endlich ein
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großes Offiziersbankett folgten. Der Erzherzog war bester Laune und von ausgesuchter Liebenswürdigkeit, ja man kann sagen Gemütlichkeit. Unvergeßlich bleibt mir das Ulanenbanderium mit Fackeln, welches dem Erzherzog und den von auswärts gekommenen Festgästen abends das Geleit auf den Bahnhof gab. Für diese gelungene Aufmerksamkeit konnte der Erzherzog dem Obersten nicht genug danken. Sehr merkwürdig war sein Vorgehen bei dem letzten, 1913, von ihm abgehaltenen großen Manöver. Es hätte eine längere Dauer von, irre ich nicht, einer Woche haben sollen, wurde aber bereits am dritten Tag von ihm eingestellt und mit einer A r t Parade beendet, bei welcher seine Gattin und Kinder die Zuschauer bildeten. Dieses so merkwürdige Vorkommnis bildete den Gegenstand lebhaftester Erörterungen, selbst die militärischen Kreise konnten sich dessen Gründe nicht erklären. Man schwankte zwischen den Annahmen, er habe keine Zeit zu Jagden verlieren wollen oder sie habe einmal ein großes militärisches Schauspiel aus nächster N ä h e sehen wollen. Die letztere Annahme dürfte die richtige gewesen sein, denn die Herzogin, auf die ich später noch besonders zu reden kommen will, übte stets den größten Einfluß auf den Gatten aus. Ich erwähnte schon früher seinen auf sie zurückzuführenden Klerikalismus, der in der letzten Zeit auch in militärischen Dingen bei ihm höchst auffallend in Erscheinung trat, indem er sich bei Beratungen über Dienstbestimmungen oder Beförderungen hoher Generäle unter Umständen gegen diesen oder jenen, der kein guter Katholik und nicht genügend Religiosität zeige, aussprach. In früheren Jahren hatte ich ähnliches nie von ihm gehört, wohl aber aus den Kreisen seiner nächsten Umgebung, daß er ganz genaue Listen über Personen führe, welchen er, sobald er zur Regierung gelange, die wichtigsten H o f - und Staatsfunktionen anvertrauen werde. D a ß dem so war, weiß ich übrigens teilweise von ihm selbst, der mir einmal bei dem Jagdausflug nach Göding erwähnte, sein „Reichskanzler würde Franz Liechtenstein, der gewesene Botschafter in St. Petersburg, sein". Danach hat es denn auch gewiß seine Richtigkeit damit gehabt, daß er immer eine fertige Ministerliste in seiner Schreibtischlade verwahrt hielt. Montenuovo, den Ersten Obersthofmeister, konnte er nie leiden, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn nach seinem Tode gestaltete dieser das Leichenbegängnis und die Trauerfeierlichkeiten, allerdings wohl auch mit kaiserlicher Zustimmung, so einfach aus wie nur möglich, hielt fremde Fürstlichkeiten von demselben fern usw., so daß man in der Wiener Gesellschaft über diesen Mangel an Pietät geradezu entrüstet war.
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Die Herzogin war eine „Charmeuse" im eigentlichsten Sinne des Wortes und auch ehrgeizig. Sie verstand es meisterlich, fast alle Leute für sich zu gewinnen, die mit ihr in Berührung traten. Von angenehmem, liebenswürdigem Gesichtsausdruck und, trotz ihrer ansteigend hohen Stellung, eine gewisse Bescheidenheit markierend, wußte sie jedem und besonders auch den Damen, ein freundliches Wort zu sagen. Meine Frau z. B. lud sie einmal zum Tee ein, um ihr ihre Kinder zu zeigen, und diese kehrte dann ganz entzückt von ihr heim. Die Kinder, ich sah sie nicht, sollen ja in der Tat reizend gewesen sein, sie waren der Stolz der Mutter, aber wohl auch der Hauptgrund für ihre eigene augenfällige Streberei. Ich sprach doch von seinem Brief, laut dessen er keine ebenbürtige Gattin an seiner Seite haben wollte; diese Rolle der Nichtebenbürtigen spielte sie aber nur kurze Zeit, bald wollte sie mit Hofkortege bei den Festen erscheinen, mit im goldgeränderten Hofwagen fahren, nicht länger in einer Nebenloge in den Hoftheatern sitzen usw. Die verschiedenen Standeserhöhungen bis zur Herzogin mit dem die Ebenbürtigkeit anzeigenden Titel Hoheit mußte der Gatte nun mit unsäglichen Schwierigkeiten beim Kaiser durchsetzen. Und für ihre Kinder war ihr Hauptstreben darauf gerichtet, ein ansehnliches Vermögen anzusammeln. Das aber führte in ihrem Haushalt zu den kleinlichsten Sparsamkeitsmaßregeln, ungenügender Zahlung der Dienerschaft und dergleichen. Aber auch seine auf Gelderwerb gerichtete Haltung, die oft ein recht merkwürdiges Licht auf ihn warf, war auf das erwähnte Streben seiner Frau zurückzuführen. Seine Passionen, J a g d und Antiquitäten, waren teuer, so war man denn bestrebt, möglichst viele seiner Hofhaltungskosten auf das Hofärar abzuwälzen oder auch eigene Geschäfte zu machen, wo es ging. Ich erwähnte bereits seine Konopischter Steinbrüche, die er so gern rentabel machen wollte. Die Hypothekarlast, die auf dieser Herrschaft ruhte, war hoch und teuer, und so trachtete er danach, den Betrieb zu vereinheitlichen und zu verbilligen. Dieses führte dazu, daß Graf Franz Hardegg, der der Zentralbodencreditbank angehört, in nähere Beziehungen zu ihm trat. Er scheint dem Erzherzog auch tatsächlich gut geraten und geholfen zu haben, verdankte er es doch dessen Vermittlung, daß er bald darauf das Ziel seiner Wünsche erreicht und Geheimrat wurde. Des Erzherzogs Streben nach Geld brachte auch einen anderen meiner guten Bekannten, den ehemals sehr reichen Papierfabrikanten, Herrn Fritz Hamburger, in sehr enge Beziehungen zum erzherzoglichen Haus. Der Anknüpfungspunkt war des Erzherzogs großes Hochwild-
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Jagdrevier in der Lölling in K ä r n t e n gewesen. Von diesem m u ß ich Ausführlicheres erzählen. Zu seinem weitaus größten Teil gehört es z u r gräflich HenckelDonnersmarkschen Fideikommißherrschaft Wolfsberg. I n älterer Zeit hatte es ein Baron Dickmann, ein berühmter W e i d m a n n , der d o r t über 500 Hirsche schoß, in Pacht. Teilhaber w a r d a n n dessen Schwiegersohn, G r a f Gundadker W u r m b r a n d , der nachmalige k. k. H a n d e l s minister. Als diese nun in den 1890er J a h r e n diese Jagd, vielleicht das wildreichste Hochwildrevier der Monarchie, aufgaben, erpachtete es Graf D o m i n i k Hardegg, der Bruder des oben genannten Franz, in der ausgesprochenen Absicht, den Vielschießer E r z h e r z o g Franz F e r d i n a n d damit f ü r sich zu gewinnen. Er lud den Erzherzog ein, sein C o m p a g n o n zu werden, worauf dieser einging. M a n brachte die Brunftzeit in den zahlreichen J a g d h ü t t e n des Reviers zu und h a t t e reiche Jagdbeute an Hirschen, allerdings nicht eben v o n starker Geweihbildung. Nach Verlauf weniger J a h r e sagte die Kameradschaft mit D o m i n i k H a r d e g g dem Erzherzog nicht mehr zu, auch waren ihm wohl die Hirsche zu wenig kapital; k u r z , er übernahm die Löllinger J a g d auf eigene Rechnung allein, adaptierte sich im O r t Lölling ein H a u s z u m Jagdschloß, brachte dort auch wohl einige Herbstwochen mit seiner Familie zu, k ü r z t e aber den A u f e n t h a l t in den J a g d h ü t t e n w ä h r e n d der Brunftzeit immer mehr ab, da er in den D o n a u a u e n u n d G o t t weiß wo, bessere Hirsche zu schießen hatte. Zuletzt k a m er nur noch auf ganz wenige Tage hin, ließ die Hirsche durch Treiber zusammendrücken, so d a ß sie einen v o n ihm eingenommenen Stand auf Zwangswechseln passieren m u ß t e n , und schoß ihrer H u n d e r t e an einem Tag ab. Schließlich zerkriegte er sich mit dem G r a f e n Henckel, weil dieser seinem Begehren, gewisse H o l z f ä l l u n g e n zu unterlassen, nicht ohne weiteres entsprechen wollte. N u n wollte er den Pachtvertrag nicht erneuern, und, weil er auf Henckel zornig war, das H o c h w i l d zur Gänze abschießen lassen. Diesen Abschuß, wohlverstanden auch der Tiere, bot er nun im letzten Pachtjahr nach der Brunftzeit, zu welcher er selbst möglichst viele Hirsche abgeschossen hatte, Jagdliebhabern zu einem ihm zu zahlenden a u ß e r ordentlich hohen Preis v o n 16 000 K r o n e n an. D a v o n e r f u h r H a m burger, der gern in persönliche Beziehungen mit dem hohen H e r r n treten wollte, und erlegte ihm sofort den verlangten Preis. Von n u n an w a r er bis z u m Tode des Erzherzogs dessen Vertrauensmann, der alle Augenblicke zu ihm u n d auch der Frau H e r z o g i n von H o h e n b e r g beschieden w u r d e , um namentlich in finanziellen Dingen R a t zu erteilen. Letztere weihte ihn genau in ihre Pläne, ein Vermögen f ü r ihre
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Kinder anzusammeln, ein. Der arme Hamburger, ein gescheiter und liebenswürdiger Mann, hätte, wäre das hohe Paar am Leben geblieben, vielleicht noch eine große Rolle gespielt, aber er hatte seit einigen Jahren weit über seine Verhältnisse g e l e b t — 1 6 0 0 0 Kronen für Hirschabschuß sind eine Probe davon — , so daß er ein Jahr nach der Sarajewoer Katastrophe verkrachte und seinen schönen Besitz samt Fabrik Neubruck verkaufen mußte. Der Herzogin von Hohenbergs gesellschaftliche Beziehungen fußten bei ihrer ältesten Schwester, der Gattin des Grafen Jaroslaw Thun, Bruder des Fürsten und Statthalters, sowie deren Verwandtschaft im böhmischen Feudaladel. Aus diesen Kreisen setzten sich die Gäste zu den Jagdsäjours im Schloß Konopischt zusammen; das Ehepaar SylvaTarouca, sie eine geborene Nostitz, beide hochklerikal, erfreute sich besonderer Intimität; er wollte stets gern eine politische Rolle spielen, ohne recht das Zeug dazu zu haben. O b er wohl auf der gewissen Ministerliste des Thronfolgers gestanden hat? Jaroslaw Thun ist jetzt der Vorstand der armen nachgelassenen Kinder, deren zukünftige Stellung in der Welt als einfache Fürsten Hohenberg wohl eine natürlichere sein wird, als wenn sie als Kinder des Kaisers von Österreich hätten auftreten sollen. Das ist aber auch wohl der einzige Trost für sie, an denen beide Eltern mit größter Liebe hingen. Und soll ich nach allem vorher Gesagten den Thronfolger charakterisieren, so fällt mir eine große Ähnlichkeit desselben mit Kaiser Wilhelm, den man doch den Plötzlichen nannte, auf. Sie waren ja auch in den letzten Jahren sehr intim, besuchten einander häufig und müssen sich wohl gut verstanden haben. Den gewissen Zug in das Religiöse nimmt man bei Kaiser Wilhelm mehr und mehr wahr, redet er ja doch jetzt immer davon, wie Gott mit seinen starken Heeren marschiert. Das Plötzliche hatten beide gemein, ebenso die gewinnende Liebenswürdigkeit oder Leutseligkeit, wenn sie eben gewinnen wollen. Kaiser Wilhelm scheint mir aber weniger von vorgefaßten Meinungen beherrscht zu sein und über mehr Menschenkenntnis zu verfügen als der selige Franz Ferdinand, der so manchem schnell sein Vertrauen schenkte, um es ihm dann noch schneller zu entziehen. Ein klassisches Beispiel hievon ist Max Wladimir Freiherr von Beck, unser gewesener Ministerpräsident, dessen Sturz durch den Thronfolger ich in meiner Monographie Dr. Karl Luegers noch schildern werde. Beck, ein Sohn des Direktors der Staatsdruckerei, der auf diesem Posten geadelt und schließlich baronisiert worden war, verdiente sich
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seine Sporen im Ackerbauministerium, woselbst er mit den Agenden der sogenannten agrarischen Operationen von ihren ersten Anfängen an beschäftigt war. In diesem Ministerium allmählich z u m Ministerialrat und dann Sektionschef vorgerückt, wurde er d a z u ausersehen, dem Thronfolger V o r t r ä g e über Verwaltungskunde und Staatswissenschaft zu halten. Dieser beehrte ihn b a l d mit seinem Vertrauen und zog ihn zu Rate, wie er es ermöglichen könne, eine Unebenbürtige zu heiraten. Zur Zeit des Wahlreform-Ministeriums Gautsch bereitete die Regierung sich wieder einmal auf bevorstehende Ausgleichsverhandlungen mit U n g a r n vor. Als Sektionschef des Ackerbauministeriums hatte nun Beck ein Operat über beim neuen Ausgleich wahrzunehmende agrarische Interessen Österreichs ausgearbeitet, welches klar und übersichtlich gewesen sein soll, und von dem Aehrenthal Kenntnis erlangt hatte. Als nun Gautsch wegen der Schwierigkeiten, die die Polen seinem Wahlreformprojekt machten, demissionierte, schlug Aerenthal dem K a i s e r Beck als den geeigneten Mann vor, der die Wahlreform fertigmachen, aber auch die Ausgleichsverhandlungen mit U n g a r n gut führen werde. Der Kaiser ernannte Beck ohne Zögern zum Ministerpräsidenten, und z w a r zu einem Zeitpunkt, in welchem sich der Thronfolger gerade bei den Hochzeitsfeierlichkeiten des Königs Alfons in M a d r i d befand, so daß er zu dieser Berufung keinerlei Stellung hatte nehmen können. E r trug es von nun an Beck, seinem bisherigen Vertrauensmann, nach, daß dieser, ohne sein Vorwissen und ohne seine Zustimmung eingeholt zu haben, den Posten des Ministerpräsidenten angenommen oder sogar angestrebt habe, und gab seiner Mißstimmung gegen diesen nun laut und energisch Ausdruck, sobald er aus Spanien heimgekehrt war. Es f a n d damals eine Veteranenfeier vor dem Radetzkymonument, das zu jener Zeit noch vor dem alten Kriegsministerium am H o f stand, statt, zu der der Thronfolger erschien. Generalität und Staatswürdenträger mit dem Ministerpräsidenten an der Spitze empfingen ihn. Beim Aufmarsch und der Aufstellung der Veteranenvereine klappte nicht alles; wer eigentlich schuld hieran war, weiß ich nicht, vermutlich das Festkomitee, Beck wohl kaum. Aber plötzlich ließ der Erzherzog ihn laut zu sich heranrufen und machte ihm vor den versammelten Festgästen die heftigsten Vorwürfe. Diese Szene machte auf uns alle den peinlichsten Eindruck und nach ihr war es in Wien Tagesgespräch, daß Beck beim Thronfolger nicht mehr in Gnaden stehe. Der Erzherzog war überhaupt in seinen Urteilen über Dinge und Persönlichkeiten oft vorschnell und von allzu großer Schärfe. Er sprach diese in größeren Kreisen aus oder vor Leuten, die keine Diskretion
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zu bewahren wußten. Diese Äußerungen wurden dann verbreitet und trugen dem hohen Herrn viele Gegnerschaften ein. D a ß er in Ungarn so unpopulär, ja direkt verhaßt war, ist darauf zurückzuführen, daß er die ungarische Politik und die ungarischen Politiker, gewiß oft nicht mit Unrecht, kritisierte, dies aber in einer die Politiker auf das äußerste verletzenden Art und Weise tat. Er hatte einen starken Willen und große Energie in der Verfolgung seiner Ziele. Wer kann es sagen, ob diese Eigenschaften die richtigen gewesen wären, wenn er an die Regierung gekommen wäre, ebenso, wer außer seiner Frau und deren klerikaler Umgebung noch größeren Einfluß auf ihn gewonnen hätte, um die Ziele seiner Regierungspolitik f ü r die Gesamtmonarchie heilsam zu gestalten? Als sein Bruder Otto gestorben war, übernahm er die Vormundschaft über unseren heutigen Thronfolger Erzherzog Karl Franz Josef. E r sagte damals jedem, der es hören wollte, er betrachte es als eine seiner Hauptaufgaben, f ü r die weitere Erziehung seines Neffen und Thronerben zu sorgen. In welcher Weise dies geschah, habe ich nie gesehen und kann mich des Eindrucks nicht entziehen, daß er sich doch eigentlich nur wenig um denselben gekümmert, ihn vielmehr fast ausschließlich dem Einfluß der Mutter überlassen hat. Ich will hieraus gewiß keinen Rückschluß dahingehend ziehen, ob er nicht doch im stillen und den Wünschen seiner Frau nachgebend gehofft habe, einmal seinem Ältesten anstatt dem Neffen den Thron der Habsburger sichern zu können, doch erklärt sich vielleicht dadurch, weshalb ich mehrmals zu hören bekam, der junge Erzherzog Karl werde der richtige „Sachse". Diese Auskunft erhielt ich, so oft ich nach ihm fragte, aus seiner Umgebung beinahe stereotyp und sogar mit dem Zusatz: „leider". Das aber hieß mit anderen Worten, er stehe ganz unter dem erziehlichen Einfluß der sächsischen Frau Mutter, und wie dieser beschaffen sein konnte, brauche ich nach der Schilderung, die ich oben von ihr gegeben habe, nur anzudeuten. Erzherzog Otto hatte seinen, zu so hohen Aufgaben bestimmten Sohn, solange er lebte, ganz systematisch darauf vorbereiten lassen. Ich traf den Prinzen, als er etwa 13 Jahre alt war, einmal in Begleitung seines Erziehers, Major Graf Wallis, auf einer Reise im Salzkammergut; wir legten ein Stück Weges gemeinsam zurück. Ich hatte meine helle Freude an dem aufgeweckten Wesen des Knaben, der auf alle meine Fragen gescheite und präzise Auskunft gab. Wallis erklärte mir damals, als wir eine Zeitlang allein waren, wie er nach Weisung Erz-
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herzog O t t o s mit dem jungen Prinzen im S o m m e r regelmäßig Reisen unternehme, damit dieser L a n d u n d Leute kennenlerne. Sie reisten g a n z wie gewöhnliche Touristen, stiegen in den einfachsten G a s t h ö f e n ab, w o er den Meldezettel m i t M a j o r Wallis u n d „ S o h n K a r l " ausfülle, d a m i t der Prinz u n e r k a n n t bleibe und an einfacher L e b e n s f ü h r u n g G e f a l l e n finde. D i e Urteile, die ich über den jetzigen T h r o n f o l g e r zu hören b e k a m , als er z u Beginn des Weltkrieges mehr öffentlich in Erscheinung trat, lauteten leider nicht besonders günstig; es hieß, d a ß er z w a r recht freundlich, aber doch oberflächlich sei, f ü r F r a g e n der innerpolitischen L a g e w e d e r Verständnis noch Interesse zeige. Eigene W a h r n e h m u n g e n d a r ü b e r fehlen mir z u r G ä n z e , doch scheint sein M a n g e l an V e r s t ä n d n i s f ü r die innere Politik auch maßgebenden Kreisen a u f g e f a l l e n zu sein, denn im V o r j a h r w u r d e bestimmt, er habe zu den Zeiten, w o er sich nach seinen Reisen an die verschiedenen F r o n t e n in Wien a u f h a l t e , V o r t r ä g e v o n Beamten der einzelnen Ministerien über deren W i r k u n g s kreis u n d A u f g a b e n zu hören. O b nun der Ministerpräsident G r a f S t ü r g k h oder wer sonst diese B e a m t e n ausgesucht hat, ihre A u s w a h l w a r jedenfalls ein Verbrechen a m S t a a t s w o h l e , es sind f a s t ausschließlich die Präsidialisten d e r verschiedenen Minister, also lauter V o r z i m m e r b ü r o k r a t e n , S t r e b e r ärgster S o r t e u n d Protektionskinder, v o n denen kein einziger die eigentliche V e r w a l t u n g kennt u n d im exekutiven D i e n s t E r f a h r u n g e n über die Wünsche und B e d ü r f n i s s e der Bev ö l k e r u n g gesammelt hat. V o n keinem w i r d der T h r o n f o l g e r irgend e t w a s Nützliches f ü r seinen k o m m e n d e n Herrscherberuf in sich a u f nehmen, sie alle w e r d e n sicherlich nur trachten, sich bei ihm „einzut e g e l n " u n d sich ihre ohnehin meist g a n z ungerechtfertigt schnelle K a r r i e r e noch weiterhin z u verbessern. Mich in allen meinen Schilderungen strengster O b j e k t i v i t ä t befleißigend, will ich auch nicht unerwähnt lassen, w a s ich Günstiges über den T h r o n f o l g e r v e r n a h m . D e r K a i s e r hat b a l d nach d e m T o d des E r z h e r z o g s F r a n z F e r d i n a n d d e m H e r z o g v o n C u m b e r l a n d gegenüber geäußert, der neue T h r o n f o l g e r sei doch g a n z anders geartet, wie der verstorbene, bei dem er so w e n i g U n t e r s t ü t z u n g g e f u n d e n h a b e ; der junge habe sich ihm s o f o r t g a n z u n d gar zur V e r f ü g u n g gestellt u n d er gedenke, sich nun häufig v o n ihm vertreten z u lassen. D a s t a t der K a i s e r denn auch, und die häufigen Reisen des T h r o n f o l g e r s im K r i e g an die F r o n t e n geschahen im A u f t r a g und in V e r t r e t u n g des K a i s e r s , d e m er stets über diese persönlich Bericht zu erstatten hatte. G e n e r a l a d j u t a n t G r a f P a a r teilte mir
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wiederholt mit, der Kaiser sei über die Berichterstattungen zufrieden, der junge Herr zeige Lebhaftigkeit und Auffassungsgabe dabei; allerdings sei der Altersunterschied zwischen dem Kaiser und seinem Großneffen ein zu bedeutender, als „daß sich ein verständnisvoller Verkehr zwischen den zweien entwickeln könne". Daß man dem Thronfolger in jüngster Zeit an Stelle seines Kammervorstehers, des herzlichst unbedeutenden Prinzen Zdenko Lobkowicz, einen Obersthofmeister in der Person des Botschafters und Ministers Graf Berchthold an die Seite gegeben hat, war gewiß eine vernünftige Maßregel. Berchthold wird ihn doch über so manches aufklären können; schade nur, daß er, der so lange im Ausland weilte, sich in den Fragen der inneren Politik, wo uns der Schuh drückt, so wenig auskennt. Übrigens hat dieser Personal Wechsel im böhmischen Hochadel, dem Verwandtenkreis der Lobkowicz, böses Blut gemacht. Dort wird dem Erzherzog ernstlich vorgeworfen, daß er, der die Abberufung Lobkowicz' monatelang vorher gewußt habe, diesen mit keiner Silbe darauf vorzubereiten sich die Mühe gegeben und, als man ihn dann gefragt habe, weshalb nicht, Vergessen vorgeschützt habe. Daß man dem Erzherzog-Thronfolger jetzt eben in der Offensive gegen Italien das Kommando einer Armeegruppe gab, ist eine ausgezeichnete Maßnahme, denn damit sichert man ihm Ansehen bei der Bevölkerung und eine Autorität, wenigstens in militärischen Dingen, wenn er einmal auf den Thron kommt. Das ihm anvertraute Unternehmen scheint nach allen mir zugekommenen Mitteilungen ein durchaus gesichertes zu sein. Nur Elitetruppen, wie Kaiserjäger, sind ihm unterstellt, und an seiner Seite wirkt ein hervorragender Generalstabschef, Freiherr von Waldstätten. Wenn letzterer nur auch die gewissen Präsidialisten auf das Korn nehmen könnte! Es erübrigt sich, noch von Erzherzog Karl Ludwigs jüngstem Sohn Ferdinand K a r l zu sprechen. Dieser war der unbedeutendste der drei Brüder, schüchtern und verlegen. Er diente — irre ich nicht — zunächst bei den Pionieren in Krems, absolvierte dann die Kriegsschule und wurde bald Stabsoffizier bei den Jägern. Als Brigadier kam er nach Prag; man hörte und sah immer nur wenig von ihm. Als er eines Winters in Wien den Hof auf öffenlichen Bällen zu repräsentieren hatte, tat es ihm eine junge Dame an. Sie war die hübsche Tochter des Hofrats und Professors an der technischen Hochschule Czuber; sie teilte dem Erzherzog mit, daß sie den Sommer bei einer Tante in der Nähe von Prag verbringe. Dorthin in die Garnison
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zurückgekehrt, w a r der Erzherzog b a l d der tägliche Gast bei besagter T a n t e u n d das Verhältnis mit Fräulein Czuber w a r fertig. Er litt wie sein Bruder F r a n z Ferdinand ebenfalls an Tuberkulose, n a h m U r l a u b zu Reisen in den Süden, brachte mehrere Winter in Kuranstalten, unter anderen auch in Baden, zu, und überall hin folgte ihm seine Geliebte. Ich erinnere mich aus jener Zeit, ihm einmal in Genua, w o ich eben den D a m p f e r „Meteor" der H a p a g zu einer Reise u m Italien besteigen wollte, begegnet zu sein. Er e r k a n n t e midi von weitem, w a n d t e aber das Gesicht von mir ab, um u n e r k a n n t zu bleiben. Erzherzog F r a n z Ferdinand w a n d t e alle möglichen Mittel an, um den Bruder z u m Aufgeben seines Verhältnisses zu veranlassen, aber die Czuber hatte ihn fest in der H a n d . Der T h r o n f o l g e r hatte nämlich Erhebungen über die Vergangenheit dieser Schönen anstellen lassen, bei denen herausgekommen w a r , d a ß sie vor ihrem jetzigen schon ein früheres geheimes Verhältnis mit einem jungen Diplomaten überseeischer Provenienz gehabt habe, u n d Erzherzog Ferdinand nur den ersten Geliebten nach dessen A b b e r u f u n g aus Wien ersetzt habe. Auch fürchtete er stets, und wie sich später herausstellte, mit Recht, die Czuber w e r d e seinen schwachen Bruder veranlassen wollen, sie, die ihn so gut zu pflegen verstand, zu ehelichen. Ferdinand, um den Einwirkungen des Bruders zu entgehen, schlug weitere Reiserouten ein u n d w a r monatelang unauffindbar, so d a ß F r a n z Ferdinand ihn durch Polizei und Konsulate ausforschen ließ. Diese brüderlichen Nachstellungen dauerten einige Jahre hindurch, bis F e r d i n a n d sich entschloß, den Kaiser zu bitten, seine erzherzoglichen Titel ablegen, außer Landes gehen u n d seine Czuber heiraten zu dürfen. Er erhielt die Bewilligung u n d den bürgerlichen N a m e n Burg, heiratete u n d zog nach München, w o ihn seine Frau etwa zwei J a h r e lang pflegte, bis er ziemlich u n e r w a r t e t seinem Lungenleiden erlag. Abgeschlossen
am 31. Mai 1916.
FELDMARSCHALL ERZHERZOG ALBRECHT UND SEINE BRÜDER
Schon mein Vater stand in Beziehungen zu Erzherzog Albrecht. Er w a r ihm 1849 in Mailand vorgestellt worden, als er dort zur Pflege seines bei N o v a r a schwerverwundeten Bruders Alexander, des Obersten u n d Theresienritters, weilte, der beim Erzherzog ebenso wie beim Marschall Radetzky in hohem Ansehen stand. Als der Erzherzog Jahre später ein großes Gemälde, die Schlacht bei N o v a r a darstellend, hatte anfertigen lassen, verehrte er meinem Vater eine Reproduktion desselben. Eine noch entferntere Beziehung zum Haus des Erzherzogs Albrecht bestand f ü r unsere Familie darin, daß Graf Grünne, der Vater meiner Großtante Zoe Wallmoden, die mit uns so besonders intim war, und in deren Haus ich in jungen Jahren ziemlich regelmäßig meine Sommerferien zubrachte, Obersthofmeister des Erzherzogs Karl gewesen war. Zoe Wallmoden aber hatte ihre Jugendjahre am Hof des Erzherzogs Karl verbracht, war die Gespielin der Erzherzogin MarieRainer gewesen, mit der sie, solange sie lebte, in Korrespondenz stand. Als ich nun 1866 nach Wien kam, wurde ich von meiner obgenannten Großtante den erzherzoglichen Herrschaften des Palais Albrecht (heute Erzherzog-Friedrich-Palais) empfohlen. Diese waren außer dem Hausherrn Albrecht, dessen Bruder, der 1874 gestorbene Erzherzog Karl Ferdinand und seine Gattin Elisabeth, Eltern unseres jetzigen Marschalls Friedrich und des Generalobersten Eugen, dann der Königin Christine von Spanien, und sein zweiter Bruder Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Wilhelm. Mit dem Palais Albrecht und dem im Exil das sogenannte Stockei in Hietzing-Schönbrunn bewohnende hannoverschen Königshof hatte sich ab 1866 ein sehr freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Die Königin von Hannover hatte in Erzherzogin Elisabeth eine verwandte Seele gefunden. Erzherzog Wilhelm lag der Prinzessin M a r y zu Füßen und würde, hätte er nicht Ordensgelübde geleistet und außerdem Religionsverschiedenheit bestanden, diese geheiratet haben. Mit dem Kronprinzen, dem jetzigen Herzog von Cumberland, schloß er engste
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Freundschaft, und eine solche entwickelte sich auch zwischen den beiden hannoverschen Prinzessinnen Friederike und Mary und der Erzherzogin „Christa", obwohl die letztere etwas jünger war als die erstere. Der hannoversche Hof legte sidi im Exil und nach seinem Thronverlust natürlich in geselliger Beziehung große Reserve auf; es fanden bei ihm nur ganz kleine Soireen oder „Tänzerin" zur Unterhaltung der Prinzessinnen statt; wir spielten auch einige Male Komödie; die Theaterzettel befinden sich in meinen Albums. Die Casa Albrecht war immer dabei. 1867 übersiedelten die hannoverschen Herrschaften in eine ihnen vom Herzog von Braunschweig zur Verfügung gestellte Villa in Hietzing, um die Gastfreundschaft des Kaisers im Stockei nicht länger zu mißbrauchen. Auch wurde damals für den Sommeraufenthalt die Villa Thun in Gmunden gemietet, welche die Königin bis zu ihrem T o d bewohnte, und die in den Besitz des Herzogs von Cumberland überging, als dieser sich später größere Grundstücke daneben käuflich erwarb, auf diesen sein Schloß erbauen ließ und einen Park anlegte. Auch im Palais Albrecht fanden von 1867 an häufigere Tanzunterhaltungen zu Ehren der hannoverschen Prinzessinnen statt, zu denen man von dem Erzherzogspaar Karl Ferdinand-Elisabeth geladen wurde. Er war ein kleiner, recht freundlicher und unbedeutender Herr, sie aber war unendlich vornehmer Haltung, geistiger Regsamkeit und liebenswürdigem Wesen, die Seele aller Geselligkeit im Palais Albrecht, dem ja die eigene H a u s f r a u seit Jahren fehlte. Ich füge hier bei, daß Erzherzog Albrecht eine Tochter bereits mit dem Herzog von Württemberg vermählt hatte, die andere aber 1866 einem Brandunglück zum O p f e r gefallen war. Alles Vorstehende soll nur die Erklärung dafür bilden, wie ich mit dem H a u s Albrecht von den ersten Anfängen meiner österreichischen Existenz an ganz ausnahmsweise in nähere Beziehungen trat, als so manche einheimische Wiener. Erzherzog Albrecht, dieser Grandseigneur vom Scheitel bis zur Sohle, war als der siegreiche Feldherr stets von einem besonderen Nimbus umgeben, von ihm angesprochen oder gar in ein längeres Gespräch gezogen zu werden, galt als eine besondere Auszeichnung, um die ich geradezu beneidet wurde. Erzherzog Wilhelm war der jovialste und leutseligste Prinz des Erzhauses, der wohl je gelebt hat. Sein offenes, natürliches und heiteres Wesen gewann ihm alle Herzen. Er hat sicher keinen Feind gehabt. Die heitersten Anekdoten über ihn oder das eine oder andere kleine
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Liebesabenteuer, welches er gehabt haben sollte, kursierten stets in Wien. Dabei war er in einer so noblen Art und Weise f ü r Arme und Unterstützungsbedürftige freigebig, wie sie so bald nicht wieder vorkommen dürfte. Sein Kammervorsteher Feldmarschalleutnant von Koblitz, der mit ihm in jungen Jahren schon beim Bombardierkorps gedient hatte, w a r sein Großalmosenier und waltete dieses seines Amtes im Auftrage seines H e r r n mit größtem Eifer und aller Gewissenhaftigkeit. Dabei führte er des Erzherzogs Haus, seit dieser das neue, von ihm erbaute Deutschmeisterpalais am Ring bezogen hatte, in mustergültiger Weise; außerdem w a r es auch sein Bestreben oder seine Aufgabe, seinem H e r r n jede in Wien auftauchende neue Anekdote, auch die zweideutigen, b r ü h w a r m zu überbringen. An einem der ersten Diners in dem erwähnten neuen Palais nahm ich teil und w a r dann wiederholt beim Erzherzog zu Gast, bis ich 1875 als Statthaltereisekretär und Leiter der Bezirkshauptmannschaft nach Baden versetzt wurde. An einem schönen Nachmittag des Monats Mai f u h r ein großer Möbelwagen, vollbepackt mit meinem gesamten H a b und Gut, der Einrichtung von zwei Zimmern, aus Wien vor der Badener Bezirkshauptmannschaft in der Neugasse vor. Kaum waren die ersten Möbelstücke abgeladen und in das H a u s getragen, kommt zufälligerweise Erzherzog Wilhelm aus der Weilburg dahergeritten, sieht mich, u n d unterhält sich nun damit, zuzuschauen, bis mein letztes Stück aus dem Wagen geschafft worden war. Schon nach zwei Tagen beehrte er mich mit seinem Besuch in Wohnung und Büro — er müsse doch nachschauen, wie ich untergebracht sei. Nach abermals einigen Tagen kam der Herzog von Cumberland, damals noch Kronprinz von H a n n o v e r genannt, zu Besuch in die Weilburg, und alsbald brachte ihn der Erzherzog zu mir, um, wie er lachend sagte, diesem genau zu zeigen, wie sein Jugendgespiele in Baden eingerichtet sei. Es wurde viel darüber gescherzt, wie dürftig es noch in meiner aus fünf Zimmern bestehenden Wohnung aussehe. Ich erwartete damals noch Sendungen von Bildern und anderen Einrichtungsstücken von Seiten meiner Eltern und richtete mich durch Ankäufe von Mobiliar überhaupt erst vollständig ein, nachdem ich anfangs 1876 zum Bezirkshauptmann ernannt worden war und mein Provisorium damit beendet hatte. Ich blieb dann weitere sechseinhalb Jahre auf diesem Badener Posten. In jedem Sommer war die Weilburg von Erzherzog Albrecht, seiner Schwägerin Elisabeth samt ihrer Familie und seinem Bruder bewohnt. Ich wurde unendlich oft dort gesehen, auch stets zur Tafel geladen, wenn fremde Fürstlichkeiten dort zu Besuch weilten.
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Noch häufiger aber sah ich die beiden erzherzoglichen Brüder gemeinsam bei ihren häufigen Eisenbahnfahrten nach Wien und zurück, da ja auch ich oft vormittags in der Stadt zu tun hatte. Ergab es der Zufall, daß ich mit den hohen H e r r e n im Bahnhof zusammentraf, so wurde ich meist eingeladen, mit ihnen im Coupe zu fahren oder gar an ihrem Gabelfrühstück im Wiener Südbahnhof teilzunehmen. D a gab es dann stets die anregendste Unterhaltung; mit etwas Zurückhaltung, wenn Erzherzog Albrecht dabei, ganz ungezwungen aber, wenn ich mit Erzherzog Wilhelm allein war, der dann oft sogar eigenen Familientratsch zum besten gab oder von der Badener Chronique Scandaleuse unterhalten sein wollte. Nach dem T o d meines Vaters, 1879, zog meine Mutter zu mir und ich führte von da ab eigene Menage. Sie wurde auch oft in der Weilburg, namentlich von Erzherzogin Elisabeth, die sie schon von Gmunden her kannte, gesehen. Da meine Mutter eine besonders lebhafte Frau war, unterhielt sie sich auch prächtig mit den jungen Erzherzogen Eugen und Karl Stefan — Friedrich stand schon im militärischen Dienst. Einstmals hatte sie sogar einen ziemlich heftigen Disput mit Karl Stefan über die Türkei. Ich erinnere mich nicht mehr auf das Nähere, aber beide behaupteten recht zu haben, und meine Mutter meinte dann, der noch so junge H e r r überhebe sich in seiner Rechthaberei. Ich füge hier ein, daß meine Mutter auch einen durch Zoe Wallmoden beeinflußten besonders engen Verkehr mit Erzherzogin MariaRainer, die den ganzen Sommer in ihrer Badener Villa verbrachte, hatte. Diese war eine ebenso lebhafte Sprecherin wie meine gute Mutter. Erzherzog Rainer und ich mußten oftmals lachen, wenn die zwei einander nicht zu Wort kommen ließen. Schon in meiner Monographie „Erzherzog K a r l Ludwig und seine Söhne", Seite 129, habe ich der Heirat Erzherzog Friedrichs Erwähnung getan. Als dieser nun kurz nach seinen Flitterwochen mit der jungen Gattin, geborene Croy, 1878 zu Besuch in die Weilburg kam, lud mich Erzherzog Albrecht, wissend, daß ich ein Tänzer aus ihrer „Comtessenzeit" sei, zur Tafel ein und ließ mir den Platz neben ihr anweisen. Die neue kaiserliche Hoheit war aber mir gegenüber äußerst verlegen und wollte, wenn ich das Gespräch auf unsere früheren Ballbeziehungen lenkte, auf dieses Thema nicht eingehen. Sie hätte ja nicht zu fürchten gehabt, daß ich sie gerade daran erinnert hätte, wie oft ich als Mitvortänzer ihr in den ersten zwei Jahren ihrer bescheidenen Stellung in der Wiener großen Welt Tänzer verschaffen mußte, damit sie nicht 12 Goldinger, Kaiserhaus
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sitzen bleibe. Das w a r mir nicht immer leicht geworden, denn sie w a r den meisten Tänzern zu klein von Gestalt u n d hatte als Fremde unsere Wiener A r t , den Walzer zu tanzen, nie recht erlernen können. Aber gerade ihrer kleinen Gestalt hatte sie es dann zu d a n k e n , d a ß Erzherzog Friedrich, von gleicher Gestalt u n d auch kein flotter Tänzer, der mit großen „Comtessen" gar nicht recht v o m Fleck k a m , sich Isabelle C r o y oft u n d dann immer ö f t e r zur Tänzerin auserkoren hatte. Mehrere Kotillons nacheinander — u n d sie hatte es ihm angetan; und bald darauf auch Erzherzog Albrecht, demgegenüber Friedrich die Konversation seiner Partnerin gerühmt h a t t e und der d a r a u f h i n anfing, die Neigung seines N e f f e n zu fördern. Wie doch ganz anders w a r mir gegenüber die Erinnerung einer echten Erzherzogin an ihre Ballvergangenheit. Ich m u ß das hier einflechten. Als ich mit meiner Frau nach San Sebastian k a m , w o der seit zwei J a h r e n selbst regierende König Alfons von Spanien mit seiner M u t t e r , der Königin-Witwe Christine, in ihrem Sommerschloß Miramare weilte, hörte die letztere, daß ich da sei und ließ mir durch unseren Botschafter Graf Rudolf Welsersheimb sagen, sie w ü r d e meine Frau u n d mich gern in Audienz empfangen. Ich hatte nicht um eine ansuchen wollen, weil wir als Touristen keine H o f t o i l e t t e n auf die Reise mitgenommen hatten. W i r erscheinen also in einfachen Kleidern zur Audienz, werden von der Obersthofmeisterin der Königin in einem großen Salon mit der Bemerkung empfangen, Ihre Majestät w e r d e sofort erscheinen. Mir w a r aufgefallen, d a ß v o r der Tür, durch die die Königin kommen m u ß t e , eine große spanische W a n d aufgestellt war. Nach nur wenigen Minuten des Wartens erschallt hinter diesem P a r a v e n t eine lachende Stimme mit den W o r t e n : „ N a , es w a r aber die höchste Zeit, daß mein alter T ä n z e r sich einmal um mich umschaut!" N u n erst eilt die Königin auf uns zu, begrüßt meine Frau, die sie noch nie gesehen, wie eine alte Bekannte u n d unterhält sich dann in der gemütlichsten Weise eine Stunde lang mit uns. Beim Fortgehen ladet sie uns f ü r einen der nächsten Tage z u m Gabelfrühstück ein, d a m i t „wir ihren Sohn, der momentan mit seinem Ministerpräsidenten M a u r a in Bilbao weile, kennenlernen". Unvergeßlich bleibt m i r auch dieses Dejeuner mit dem jugendlichen König, der ebenso heiter und natürlich w a r wie seine hohe Frau M u t t e r , die nicht aufhörte, mit mir die vergangenen Wiener und Weilburg-Zeiten zu erörtern. Wir sahen beide d a n n später noch mehrmals.
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Zur Entschuldigung der Verlegenheit und des vergleichsweisen Hochmuts der kleinen Croy habe ich allerdings anzuführen, daß der letztere, sobald sie des Erzherzogs Braut wurde, ihr geradezu anbefohlen worden war. Von diesem Zeitpunkt an war ihr jeder Verkehr mit ihren Freundinnen und das in Wien übliche D u mit denselben verboten worden. An diese aber und ihre Angehörigen war ein Rundschreiben des kaiserlichen Obersthofmeisters ergangen, daß der zukünftigen Erzherzogin alle ihr gebührenden Ehren zu erweisen seien, sie keine einfachen Besuche und direkten Briefe mehr empfangen dürfe. Man habe sich an ihren H o f s t a a t zu wenden und um Audienz anzusuchen usw. Aus meiner Badener Zeit kann ich noch weiter von Erzherzog Albrecht berichten, wie er sich dort der größten Beliebtheit erfreute, an allen Veranstaltungen zur Hebung des Kurortes (Pferderennen, Parkfesten usw.) teilnahm und Gemeindevertreter oder Kurgäste gern in das Gespräch zog. Noch populärer als er war aber vielleicht Erzherzog Wilhelm mit seiner heiteren und jovialen Art, sich zu geben. Er kam besonders häufig zur Musik im K u r p a r k und unterhielt sich mit allen Bekannten, die er dort antraf. Eine Zeitlang freilich machte er mehr Spaziergänge in den schönen Umgebungen der Weilburg und war dann von seinen prächtigen Terriern und einer Dame begleitet. Die letztere war die noch immer recht hübsche und stattliche Frau des Architekten und Steinmetzmeisters Wasserburger, der in Baden über den Sommer eine schöne Villa bewohnte. Es hieß dann, der Erzherzog habe ein Liebesverhältnis mit ihr; das wird auch wohl so gewesen sein. Mir scheint nur, es war nicht von gar langer Dauer, denn bald begab sich Frau Wasserburger, deren Tochter zum Theater gegangen war, auf Reisen, um letztere zu bemuttern. Als Baron Doblhoff-Dier, der Besitzer des Schlosses Weikersdorf, gegenüber von Rauhenstein eine Waldlehne hatte abholzen lassen, wurde dem Erzherzog-Deutschmeister nahegelegt, auf diesem Waldgrund sich einen P a r k und eine Villa anzulegen. Er tat es, nachdem er von einem Grafen H o y o s eine unmittelbar angrenzende Realität dazugekauft hatte. Die neue Villa mit ihren Nebenanlagen war ganz reizend. Der Erzherzog hat sie meines Wissens nie ständig bewohnt, er blieb seinem Bruder und der Weilburg getreu, aber er lud sich oft Gäste zu Mahlzeiten oder Kegelpartien in sein neues Besitztum. Zur Einweihung desselben f a n d ein Diner statt, zu dem ich, der ich damals, 1881, schon von Baden nach Sechshaus versetzt war, zugezogen wurde. 12*
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Diese hübsche Villa gehört jetzt dem Generalobersten Erzherzog Eugen; schade, daß sie so selten bewohnt und benützt wird. Es folgte von 1882 bis 1885 meine Czernowitzer Zeit, während welcher ich nur wenig von den erzherzoglichen Brüdern hörte und sah. N u r einer köstlichen Geschichte, von der ich unmittelbar nach meiner Ankunft in Czernowitz, das Hotel „Schwarzer Adler" bewohnend, erfuhr, will ich Erwähnung tun. Drei Jahre vorher war Erzherzog Albrecht auf einer seiner militärischen Inspektionsreisen in diesem Hotel abgestiegen und hatte hier seine militärischen Diners gegeben. Der Hotelpächter Weiss hatte außerordentlich hohe Forderungen dafür gestellt, die der Obersthofmeister des Erzherzogs, General Baron Piret, anfangs nicht so ohneweiters hatte zahlen wollen. Nachdem es aber dann doch geschehen, hatte Erzherzog Albrecht, ein sonst äußerst freigebiger Herr, Piret denn doch gesagt, diesen unverschämten Wirt in besondere Vormerkung zu nehmen, damit man bei dem nächsten Aufenthalt in der schönen Hauptstadt der Bukowina in einem anderen Gasthof absteige. Gesagt, getan. Piret meldet dem Erzherzog, als dieser zwei Jahre später (1881) wieder in die Bukowina reist, am Czernowitzer Ringplatz sei ein neues schönes Hotel entstanden, und in diesem habe er Quartier und Diners bestellt. Als der Erzherzog nun dort vorfährt, empfängt ihn Weiss in Frack und weißer Krawatte mit dem Ausdruck seines besonderen Dankes, daß der Erzherzog ihm treu geblieben und nicht mehr im „Schwarzen Adler" absteige, wo ein neuer Wirt tätig sei. Weiss hatte nämlich als Pächter des „Adlers" seine Gäste so gewaltig gerissen und ein so großes Vermögen gemacht, daß er sich ein eigenes großes Hotel gerade in der Zwischenzeit, zu welcher der Erzherzog nicht in Czernowitz war, hatte erbauen können. Nachdem ich 1889 Statthalter geworden war, kam ich recht häufig und bei den verschiedensten Anlässen mit Erzherzog Albrecht in Berührung. Er hatte oft dieses und jenes zu besprechen und lud mich zu großen oder auch ganz kleinen intimen Diners. Eines der letzteren ist mir besonders in Erinnerung geblieben; ich saß dem Erzherzog zur Rechten, Prinz Rudolf Liechtenstein aber ihm zur Linken, da er noch nicht Geheimrat war. Das wurde er wenige Tage später und gleichzeitig Oberststallmeister Seiner Majestät. Der Erzherzog wußte von dieser bevorstehenden Ernennung und nahm daher rechtzeitig Fühlung mit der neuesten Obersten Hofcharge. Bei einem größeren Diner erschien der Professor der Wiener technischen Hochschule, Baron Burg; es hieß, er werde nach Tisch einen
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kleinen Vortrag über das eben damals in der Armee zur Einführung gelangende rauchschwache Schießpulver halten. Das tat er denn auch im Billardzimmer, wo der Kaffee eingenommen wurde. Er hatte eine Probe des Pulvers mitgebracht u n d breitete diese auf einem auf das Billard gelegten Blatt Papier aus. Sein Vortrag schloß mit der Bemerkung, das neue Pulver verbrenne, entzündet, rapid in heller Flamme fast ohne jede Rauchentwicklung und ohne irgendeinen Aschenrest zurückzulassen. Das traf auch genau zu, als er den kleinen Pulverhaufen zur Entzündung brachte; dieser aber hatte ein großes Loch in das ganz grüne Billardtuch gebrannt. Große Verlegenheit Baron Burgs, Ärger des Obersthofmeisters Baron Piret, der das Übel hatte kommen sehen, und beruhigende Worte des Erzherzogs: „Das Experiment habe ihn dennoch sehr interessiert." Als 1891 große Manöver im Waldviertel bei Zwettl, Allentsteig u n d Schwarzenau stattfinden sollten, hatte der Kaiser angeordnet, daß ich diesen beizuwohnen habe, denn es wurden der deutsche Kaiser und König Albert von Sachsen mit seinem Bruder zu denselben erwartet. Man war nämlich besorgt, daß der in dieser Gegend hausende alldeutsche Agitator Georg Schönerer die Anwesenheit der deutschen Monarchen zu taktlosen Demonstrationen benutzen könnte. Ich w a r dem in G ö p f r i t z stationierten Hauptquartier des Erzherzogs Albrecht, der Manöveroberleitung, zugeteilt worden und sah nun diesen zum erstenmal inmitten seiner Offiziere und im Manöverfeld A n o r d nungen treffen. Seine ständigen Ordonnanzoffiziere bei Manövern, wie diesem, waren Ferdinand Lobkowicz, der nachmalige Oberstlandmarschall von Böhmen, Franz Thun, damals Statthalter in Böhmen (zum erstenmal) und Graf Ferdinand Hompesch, der nun schon lange tot ist. Sie alle verstanden von militärischen Dingen blutwenig, waren Manöverbummler im eigentlichen Sinne des Wortes, aber avancierten, trotzdem sie doch nur Reserveoffiziere waren. Thun und Hompesch brachten es bis zur Majorscharge und Lobkowicz jetzt im Weltkrieg gar zum Obersten. Und die Manöverführung des FeldmarschallErzherzogs? Mögen berufenere Federn als ich diese schildern, ich n a h m doch nur Äußerlichkeiten w a h r ; diese aber sind: Im Hauptquartier täglich große Tafeln, bei denen der Erzherzog der leutseligste Hausherr war, voll Interesse an allem, was er hörte. Im Manöverterrain war er als einziger mit dem Generalshut bekleidet, alle anderen in Mütze; ein nervöses Kopfleiden gestattete ihm nämlich nicht, eine enganliegende Kopfbedeckung zu tragen, vielmehr nur einen H u t , federleichtester Drahtkonstruktion und mit dünnem Wachstaffet überzogen, den
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dann ein leichtes Sturmband am Kopf festhielt. Er war fast blind, trotz der scharfen Brille, die er nie absetzte. Es mußte ihm stets ein Offizier seines Stabes unmittelbar vorreiten, damit er und sein Pferd demselben folgen konnten. Seine Pferde waren für ihn besonders zugeritten und abgerichtet, und zwar nach einem von seinem H o f stallmeister Baron Bothmer, einem Hannoveraner, sinnreich ausgedachten System. Sie gingen Trab oder G a l o p p nur, wenn der Reiter die Zügel anzog, blieben aber sofort stehen, wenn er diese fallen ließ, um ein Schriftstück oder eine Landkarte ganz nahe an seine Augen zu f ü h r e n ; sie scheuten vor nichts, sei es nun Gewehr- oder Geschützfeuer aus nächster Nähe, Musik, Fahnenschwenken oder sonstiger Lärm. Ich hatte Bothmers Abrichtungen in meinen jungen Jahren oftmals beigewohnt; 1891 war er schon tot, aber sein System blieb. Nach diesem sah ich nun den Erzherzog, seinem Vorreiter folgend, querfeldein reiten, ohne daß er irgendetwas von den manövrierenden Truppen hätte sehen können. Alle Augenblicke kam ein Ordonnanzoffizier mit einer Meldung zu ihm herangesprengt; d a n n ließ er sofort die Zügel seines Pferdes fallen, um die Meldung entgegenzunehmen und sich nach dieser auf der Karte zu orientieren, wobei ihm in der Regel einer seiner Generalstabsoffiziere behilflich war. Ich glaube kaum, daß es ihm bei diesen auffallenden Gebrechen möglich gewesen wäre, im Ernstfall eine Feldschlacht erfolgreich zu leiten. Aber freilich, Armeeführer arbeiten ja heute kaum mehr im Gelände, sondern fast ausschließlich in ihren Kanzleien hinter der Front. U n d militärisches Verständnis wurde Erzherzog Albredit von Seiten unserer hohen Offiziere nie abgesprochen. D a ß aber sein Interesse fast ausschließlich auf militärischem Gebiet lag, davon habe ich mich oft überzeugen können. In jüngeren Jahren war er auf den italienischen Schlachtfeidern als Truppenführer siegreich gewesen; das war sein Stolz, darauf beruhte sein Ansehen in der kaiserlichen Familie, in der Armee und in der gesamten Öffentlichkeit. Das Offizierskorps wußte, was es an ihm hatte, und liebte ihn verehrungsvoll. Unzählig waren aber auch die Wohltaten, die er diesem erwies. Es brauchte nur irgendwo ein Offizier unverschuldet in eine finanzielle oder andere Notlage geraten sein und der Erzherzog hievon erfahren haben, sofort sprang er ihm hilfreich bei. Bei den Beratungen wegen Besetzung höherer Kommandostellen soll er sich, wie ich es oftmals hörte, von größter Objektivität und Gerechtigkeit haben leiten lassen, wenn es auch hieß, „er schüttele den Zwetschkenbaum nicht ungern, damit reife Früchte abfallen".
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Das war den jüngeren Offizieren wieder sehr recht, denn diese rechnen doch auch in Friedenszeiten auf ein flottes Avancement. Im vorletzten Jahr vor Erzherzog Albrechts Tod wurde unter seinen Auspizien das Radetzkymonument errichtet. Das Aktionskomitee, welches die Geldmittel d a f ü r gesammelt hatte, beanspruchte nun, wie das bei derlei Anlässen leider bei uns üblich ist, eine Fülle von hohen Auszeichnungen für seine Mitglieder. Der Erzherzog sollte diese beim Kaiser durchsetzen. N u n berief er mich mehrmals, um diese übertriebenen Ansprüche auf das rechte M a ß zu bringen. Der Komiteeobmann, H e r r Nikolaus Dumba, wollte durchaus Geheimrat werden und hatte mit diesem seinem offen ausgesprochenen Begehren den Erzherzog gegen sich aufgebracht. Damals erreichte er die Geheimratswürde nicht, wohl aber wenige Jahre später, da er geltend machte, er habe zehn Jahre lang in den Delegationen als Berichterstatter f ü r das Budget des Ministeriums des Äußern fungiert und dessen Politik stets herausgestrichen; das erfordere eine besondere Belohnung. Von Erzherzog Albrecht schließlich noch Folgendes: Es war ihm stets ein höherer Generalstabsoffizier zugeteilt. Während meines Badener Aufenthaltes war dies Schönaich, der nachmalige Landesverteidigungs- und dann Kriegsminister. Als ich mich einstmals erkundigte, weldie dienstlichen Obliegenheiten diesen Generalstäbler beschäftigten, erfuhr ich, der Erzherzog wolle oftmals über diese oder jene militärische Frage gründlich aufgeklärt sein und gebe diese dann seinem „Zugeteilten" als Thema auf. Erzherzog Wilhelm wurde 1894 in Baden, als er spazieren ritt, vom Schlage gerührt und blieb sofort tot liegen. Ich erhielt diese Nachricht — die mich wahrhaft erschütterte, verlor ich doch in ihm einen meiner gnädigsten Gönner — in Zwentendorf, wo ich bei meinem Freunde, dem Grafen Robert Althann, zur Jagd weilte. Ich eilte nach Wien zurück, um dem Leichenbegängnisse beizuwohnen. Dieser Tod war Erzherzog Albrecht, der an seinem jüngeren Bruder, dem heiteren Element der Familie, mit unendlicher Liebe hing, sehr nahegegangen. Ein J a h r danach starb er selbst. Von seiner Leichenfeier, die unter der allerstärksten Beteiligung vor sich ging, sei folgende Episode festgehalten: Kaiser Wilhelm war dazu nach Wien gekommen. N u n ergab sich f ü r den Herzog von Cumberland, der Kaiser Wilhelm bisher nicht kannte und stets eine Art von Fiktion aufrecht erhalten hatte, sich mit ihm, dem König von Preußen, im Kriegszustand zu befinden, die Frage, wie er sich diesem gegenüber benehmen
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solle. Dem Leichenbegängnis des Erzherzogs Albrecht, in dessen H a u s er so viel und so gern verkehrt hatte, fernzubleiben, ging doch nicht an. Unser Kaiser wurde befragt und entschied, der Herzog möge kommen, er werde ihn dem deutschen Kaiser unmittelbar vor dem Leichenbegängnis vorstellen. U n d so geschah es. Kaiser Wilhelm hatte dabei dem Herzog gesagt, er freue sich, seine persönliche Bekanntschaft zu machen, u n d dann einige freundliche Fragen über das Befinden seiner Familienangehörigen an ihn gerichtet. Bei diesem Gespräch, das, d a die Leichenfeier beginnen sollte, nur ganz kurz sein konnte, wurde das vertrauliche Du, welches sonst unter hohen und verwandten Fürstlichkeiten üblich ist, nicht angewendet. Aber der Herzog, der vor dem Zusammentreffen eine gewisse Scheu und Befangenheit empfunden hatte, war über die natürliche Art, mit der der Kaiser mit ihm gesprochen, recht befriedigt. Mein Bruder Oswald, der damals als k. k. Feldmarschalleutnant a. D. bei dem Herzog von Cumberland die Funktionen des Obersthofmeisters versah, benützte nun die gute Stimmung des letzteren, um ihm nahezulegen, beim Kaiser seine Visitenkarte abzugeben, doch hatte dieser davon nichts wissen wollen. Das war nicht richtig. Erzherzog Friedrich, unseren heutigen Feldmarschall und Armeeoberkommandanten, hatte ich in meiner Badener Zeit noch einige Male in der Weilburg gesehen, dann auch später am Cumberlandschen H o f , endlich erinnere ich mich, einen Jagds^jour in seiner Gesellschaft in Sz. Abraham bei Diozegh beim Grafen Karl Esterhäzy mit ihm verbracht zu haben, als ich bereits Statthalter war. Er war zu jener Zeit Korpskommandant in Preßburg u n d sprach viel von dieser seiner Funktion, die ihm große Freude zu bereiten schien. Ich entsinne mich deutlich, wie er mehr die administrative als die rein militärische Seite derselben hervorkehrte. Alles, was er damals sagte, schien mir trocken u n d vernünftig. Denselben Eindruck, daß er nämlich von hausbackenem Verstände sei, empfing ich von ihm, so oft ich als Statthalter in Wien mit ihm in Berührung trat, was übrigens nicht gerade häufig der Fall war. Über seine als Armeeoberkommandant jetzt während des Krieges entwickelten Eigenschaften hört man nur wenig. Erst nach dem Krieg wird darüber geurteilt werden. Erzherzog Eugen war der Erbe seines Oheims Wilhelm als Hochu n d Deutschmeister. Er, den ich in seinen jungen Jahren auch mehrmals in der Weilburg gesehen hatte, erschien mir stets etwas aufgeweckter, als sein älterer Bruder Friedrich. Mit seinen großen Einkünften, die durch eine Erbschaft nach seinem Oheim Albrecht noch wesentlich
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erhöht wurden, soll er anfangs recht knickerisch gewesen sein, was gegen die offene Hand Wilhelms gegenüber den Bediensteten und den Armen und Notdürftigen sehr auffiel. Aber er war so plötzlich reich geworden und kannte, wie so viele hohe Fürstlichkeiten, den Wert des Geldes gar nicht. Als einstmals meine Frau in Wildbad Gastein die Kur gebrauchte, war auch Erzherzog Eugen dort und von ausgesuchtester Höflichkeit für sie. Ich kam für einige Tage hin und verkehrte nun auch mit dem Erzherzog. Die Vorurteilslosigkeit seiner Urteile über Menschen und Verhältnisse fiel mir damals angenehm auf. Noch weniger Beziehungen als mit ihm hatte ich mit seinem Bruder Karl Stefan. E r wird recht verschiedenartig beurteilt. Mir fehlen die Erfahrungen, um midi in den Streit der Meinungen, dem übrigens auch wohl jegliche Bedeutung fehlt, einzulassen. Abgeschlossen Ende Juni
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FÜRST CARLOS
UND
FÜRST ADOLF
AUERSPERG
Die Auerspergs sind die ältesten der ehemals reichsunmittelbaren Fürsten in Österreich u n d haben daher den ersten R a n g unter den Fürstenhäusern, auf den sie auch halten, ganz besonders Fürst Carlos. D a er aber auch politischer Führer des liberalen Großgrundbesitzes in Österreich w a r , so war er stolz auf den ihm aus der Mitte der liberalen Partei gegebenen N a m e n : „Der erste K a v a l i e r des Reiches". Sein Benehmen w a r immer das eines großen Herrn, der den Kopf hoch trug, ohne dabei hochfahrend zu sein. Er hatte Urbane Umgangsformen, wenn auch weniger als sein Bruder Adolf, der ein gemütlicher H e r r war. Ein weiterer Freund und Altersgenosse, mit dem ich in meiner ersten Wiener Zeit viel verkehrte, w a r Graf Franz Colloredo-Mansfeld, der heute in voller körperlicher und geistiger Frische auf seinem Gut Sierndorf bei Stockerau lebt. Sein Vater, Fürst Colloredo, w a r zu jener Zeit Landmarschall in Niederösterreich. In seinem Haus w u r d e ich junger Studiosus so manchen politischen Persönlichkeiten vorgestellt. Von besonderer Liebenswürdigkeit w a r f ü r mich dabei nun Ministerpräsident Fürst Carlos Auersperg, vielleicht deshalb, weil seine Mutter, eine geborene von Lenthe, eine Hannoveranerin und eine entfernte V e r w a n d t e meiner Mutter, geborene von Zesterfleth, w a r . Einige Male ließ er sich mit mir jungem Burschen in Gespräche ein. Des einen erinnere ich mich genau. Es berührte die Politik und es k a m mir vor, als ob er mir erklären wolle, wieso er, der Fürst und böhmische Feudalherr, liberal sei. Seine Worte lauteten: „Junger Mann, merken Sie sich eins, gegen den Strom k a n n man nicht schwimmen, denn es verlassen einen die K r ä f t e zu bald. Den Strom muß man als Schwimmer zu beherrschen trachten, indem man die Arme weit ausbreitet, dann trägt er einen wohin man will." Ida sah ihn später öfters im Hause seines Bruders Adolf, korrespondierte ja auch bisweilen in dessen Namen mit ihm, der in seinem Palais in Prag und im Sommer meist in Wlaschim domizilierte. Nach Wien k a m er n u r selten, eigentlich nur zu Herrenhaussitzungen.
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1874 folgte ich einer Einladung zu einem seiner großen Bälle nach Prag und hatte nun Gelegenheit, ihn als Hausherrn kennenzulernen. Alles im größten Stil, seine Frau und er voller Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit für ihre Gäste. Geschmacklosigkeiten in der Einrichtung, wohin man sah, unter anderem im Wintergarten viele Blumen aus Blech, aus denen kleine Gasflammen hervorzüngelten. Das sollte dem berüchtigten Tanzlokal „Mabille" in Paris nachgebildet worden sein! Carlos unterstützte die Politik seines Bruders als Ministerpräsident stets auf das eifrigste und auch wohl oft auf das wirksamste, hatte er doch großen Einfluß auf die böhmischen Politiker. Auch gab er seinem Bruder so manchen guten Rat. In späteren Jahren sah ich Fürst Carlos nur höchst selten, kann also aus eigener Wahrnehmung nur dieses wenige über ihn berichten. Von Fürst Adolf Auersperg — damals hießen die jüngeren Söhne der Fürstenhäuser noch nicht Prinzen — hatte ich in meiner Jugend gehört. Nachdem er den Militärdienst als Rittmeister verlassen hatte, war er böhmischer Landtagsabgeordneter und Landesausschußbeisitzer in Prag geworden. Mein seit 1860 dort lebender Großoheim Karl Graf Wallmoden und dessen Frau Zoe, geborene Gräfin Grünne, verkehrten mit ihm und seiner Frau, geborene Gräfin Festetics. D a n n wußte auch meine Mutter so manches von ihm, weil seine Mutter, eine geborene von Lenthe, eine Hannoveranerin war. Es war mir erzählt worden, d a ß er ein gar so sparsamer und praktisch wirtschaftender M a n n sei, was er schon als Rittmeister bewiesen habe. Kein Schwadronskommandant habe seine Magazine so gut instand gehabt wie er. Nun hatte er geheiratet, mit einer Apanage von nur 6000 Gulden aus Wlaschim, der Majoratsherrschaft seines ältesten Bruders Carlos; seine Frau hatte auch nur 2000 Gulden jährlich, und dennoch kamen sie sehr gut aus und führten ein sehr anständiges Haus. Nachdem Adolf Auersperg kurze Zeit Mitglied des Landesausschusses gewesen war, war er zum Oberstlandmarschall in Böhmen ernannt worden, vielleicht nur auf eine kurze Wahlperiode. Sein praktischer, auf Sicherung seiner Zukunft gerichteter Sinn gab ihm ein, eine Staatsanstellung anzustreben, zu der er sich befähigt erachtete, da er mehrere Jahre der Landesverwaltung des Königreiches Böhmen angehört hatte. Dies Ziel zu erreichen, fiel ihm nicht schwer, und 1870 wurde er zum Landespräsidenten in Salzburg ernannt. Auf diesem Posten blieb er kaum zwei Jahre, denn schon im N o vember 1871 wurde er dazu berufen, das föderalistisch angehauchte
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Ministerium Hohenwarth-Schäffle abzulösen und ein liberales Kabinett zu bilden. Bald nachher lernte ich ihn persönlich kennen, und zwar im Hause des Fürsten Colloredo, in welchem ich viel verkehrte. Franz Colloredo, der zweite Sohn des Hauses, heute Herrenhausmitglied und Besitzer der Herrschaft Sierndorf in Niederösterreich, war eng mit mir befreundet. Der älteste Sohn, Graf Hieronymus Mannsfeld, war Auerspergs Schwager und wurde nachmals in seinem Kabinett Ackerbauminister. Ich war gerade zu jener Zeit, als Auersperg Ministerpräsident geworden war, nachdem ich zwei Jahre bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha gedient hatte, wieder zur Dienstleistung in die Statthalterei nach Wien zurückberufen worden. Dort gab es sehr viele und interessante, mit den Vorbereitungen zur Weltausstellung des Jahres 1873 zusammenhängende Arbeiten. Statthaltereirat von Strangfeld, eine damals in Wien stadtbekannte Figur und populäre Persönlichkeit, führte das Referat für die Wiener und Verkehrsangelegenheiten. Er hatte mich bei kommissioneilen Verhandlungen in Wiener Vororten, deren ein Teil zur Bezirkshauptmannschaft gehörte, näher kennengelernt und vom Statthalter Baron Conrad Eybesfeld meine Einberufung zur Statthalterei verlangt, damit ich ihm in den Weltausstellungsangelegenheiten zur Seite stehe und ihm namentlich auch einen Teil der zahlreichen Lokalkommissionsverhandlungen abnehme. Uber die letzteren wurde aber fast immer, da sie neue Tramwaylinien zur Ausstellung im Prater oder andere mit ihr in Zusammenhang stehende Dinge betrafen, in den Zeitungen berichtet. Kein Name eines jungen Beamten wird jemals so oft in der Öffentlichkeit genannt worden sein als der meinige damals. So oft ich nun mit Auersperg zusammentraf, der als Ministerpräsident dazu berufen war, sich bezüglich der Weltausstellung auf dem laufenden zu halten, befragte und unterhielt er sich mit mir über dieses Thema. Im Frühjahr 1873 sollte eine Neusystemisierung der Subalternbeamtenstellen der politischen Verwaltung erfolgen. An Stelle der Konzeptsadjunkten sollten Statthaltereikonzipisten in verringerter Anzahl treten. Meine Kameraden forderten mich auf, einige Wünsche wegen der Anzahl dieser neuen Stellen zur Kenntnis des Ministeriums zu bringen. Ich erbat mir von Auersperg, empfangen zu werden, und er hörte mich aufmerksamst an. Ich hatte einen doppelten Erfolg: seine Anerkennung für meine klaren Darlegungen und die meiner Kollegen, weil ich unsere Wünsche durchgesetzt hatte.
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G a n z kurz nach diesem Vorkommnis Ende Mai 1873 traf midi Auersperg wieder einmal, und zwar auf dem Ball in der nordamerikanischen Gesandtschaft. Er zog mich sofort in eine Fensternische, um mir mitzuteilen, daß Ritter von Stransky, einer der Ministerialräte des Ministerratspräsidiums, seine Ernennung zum H o f r a t bei dem neu zu errichtenden Verwaltungsgerichtshof anstrebe. Wenn dessen Stelle nun frei werde, wolle er sie nicht wieder besetzen, vielmehr eingehen lassen, und statt ihrer eine Ministerial-Vizesekretärstelle schaffen, denn er brauche einen Sekretär. Ob ich zu ihm kommen wolle? D a ich nur Statthaltereikonzipist sei, könne ich zunächst nur als Ministerialkonzipist in den Status des Ministerratspräsidiums übernommen werden; es hänge dann von meiner Verwendung ab, w a n n ich zum Vizesekretär vorrücken könne. O b ich nicht mit größter Freude diesen herrlichen Antrag annahm, der mir eine glänzende Karriere eröffnen sollte? Nach kaum 14 Tagen saß ich als Konzipist in Auerspergs nächster N ä h e und empfing meine Weisungen teils von ihm selbst, teils von meinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Vorstand des Präsidialbüros, Ministerialrat Artus, einem der korrektesten, liebenswürdigsten Menschen und feinsten politischen Kopf, der je an ähnlicher Stelle in Österreich gewirkt hat. Kein Wunder, daß ich mich in meiner neuen Anstellung äußerst wohl befand. Ich hatte so ziemlich den gesamten Einlauf des Präsidialbüros zu erledigen; er war nicht groß, meist sogenannte Durchlaufstücke von den Ministerien oder den Häusern des Parlaments an diese. Weit interessanter und wichtiger war meine auf unmittelbaren Aufträgen des Ministerpräsidenten beruhende Tätigkeit. Dahin gehörte vor allem die Verfassung seiner vielen Briefe an politische Führer, insbesondere an seinen Bruder Carlos in Wlaschim. Sehr häufig entsandte er mich zu Meldungen oder Besprechungen zu Andrässy oder seinen Ministerkollegen. Bei wichtigen Sitzungen des Abgeordnetenhauses hatte ich in diesem anwesend zu sein, um dringenden Aufträgen des Ministerpräsidenten sofort zu entsprechen. Uber endliche Fertigstellung der Weltausstellung, ihren Besuch, ihre Beurteilung in der Presse, namentlich der ausländischen, hatte ich mich ständig auf dem laufenden zu halten und Auersperg darüber zu berichten — leider ein trauriges Kapitel. Was ich von mir sagte, soll nur die Einleitung zu dem Folgenden bilden. Man hatte bald nach Auerspergs Berufung zur Bildung des Ministeriums in politischen Kreisen Wiens das Wort geprägt: „Das Ministerium Lasser, genannt Auersperg". Dieser Titel blieb dem Mini-
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sterium, solange es bestand, w a r aber auch ebensolang unrichtig, denn die Seele des Kabinetts w a r stets und in Wirklichkeit Auersperg selbst mit seiner ausgesprochenen Leitungsgabe, seinem etwas „hausbackenen" Verstand und seinem „politischen Instinkt". Hierauf werde ich noch zurückkommen, wenn ich Lasser schildere, den kennenzulernen ich damals reichlich Gelegenheit hatte. Die Kollegialität und Meinungsübereinstimmung in seinem Ministerium zu pflegen, war Auerspergs oberster Grundsatz. Dabei ging er so vor, wie etwa ein Oberst inmitten seines Offizierskorps. A n jedem Dienstag speiste er mit seinen Ministerkollegen an einem Tisch im allgemeinen Speisesaal des Hotels S t a d t F r a n k f u r t , welches d a f ü r berühmt war, die beste Wiener Küche zu führen. Bei dieser Tafelrunde herrschte der gemütlichste T o n , die anderen Hotelgäste konnten sich davon überzeugen, und so manches Wort flog vom Ministertisch zu einem der anderen hinüber. Einige meiner Freunde und ich speisten regelmäßig in diesem damals wienerischesten Hotel und hatten die hellste Freude an der Gemütlichkeit unserer Minister. Überhaupt herrschte ein reger, unmittelbarer und vertrauensvoller Verkehr zwischen den Ministern und ihrem Chef. Mißhelligkeiten habe ich nie wahrgenommen oder auch nur von solchen gehört. Die Minister gingen bei Auersperg ein und aus, und gab es politische oder auch nur administrative Fragen von Wichtigkeit, die mehrere Ressorts betrafen, so vereinigte Auersperg die betreffenden Minister bei sich zu Besprechungen oder förmlichen Komiteesitzungen. Bei den letzteren hatte ich mehrfach das Protokoll zu führen und konnte die sichere Leitungsgabe Auerspergs aus unmittelbarer N ä h e kennenlernen. Er wußte fast in jedem einzelnen Fall genau, wo er hinaus wollte. Für die eigentlichen Ministerratssitzungen war ein eigener Protokollführer, wie übrigens auch jetzt noch immer, ein Ministerialrat, damals B a r o n Weber-Ebenhof, bestellt. Bei umfangreichen Protokollausfertigungen, zu denen größere Aktenauszüge zu verfassen waren, durfte ich ihm helfen, b e k a m auch die an den Kaiser gehenden Protokolle regelmäßig zu Gesicht und kann daher bezeugen, daß Auersperg ein vorzüglicher Verhandlungsleiter war, ja noch mehr, daß er bei Meinungsverschiedenheiten seiner Ministerkollegen und selbst in juristischen Fragen eingriff und mit seinem praktischen Verstand den Ausschlag gab. D a s aber will um so mehr heißen, als seinem Ministerium drei „ f e i n e " Juristen, Glaser, Lasser und Unger, angehörten. Seiner politischen Überzeugung nach war Auersperg bekanntermaßen liberal, aber von einer eigenen gemäßigten und im besten Sinne
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des Wortes deutsch-böhmischen Färbung. Gemäßigt, weil er den in seinem Bruder Carlos verkörperten Anschauungen des liberalen Großgrundbesitzes folgte, diesen auch oft um R a t fragte, wenn ihm irgendein Zweifel aufstieg, wie weit er Forderungen der Doktrinärliberalen — diese unter Führung des dem Liberalismus in Österreich zum Verhängnis gewordenen Abgeordneten Professor Herbst hatten damals noch das Heft in der H a n d — nachgeben solle. So manchen Sachverhalt und Anfragebrief an Carlos hatte ich zu verfassen. Von deutschböhmischer Färbung, weil Auersperg ein gebürtiger Böhme war und die Czechen, deren Sprache er beherrschte, beileibe nicht an die Wand drücken wollte, im Gegenteil ihnen gern alles zugestand, was sie zur Entwicklung ihrer Nationalität und wirtschaftlichen Wohlfahrt brauchten. N u r die politische Führung im Gesamtstaat wollte er dem deutschen Element, welches diesen Staat geschaffen und ausgebildet hatte, vorbehalten wissen. Die deutsche, als die allgemeine Verständigungssprache, sollte seinem Glaubensbekenntnis nach in allen Ämtern ohne Ausnahme vorherrschend bleiben. Allerdings ließ er sich später von diesem seinem Grundsatz ein Zugeständnis abringen, das man gemeinhin mit der Autonomisierung Galiziens bezeichnet. Das war der größte Fehler, den er beging. Ich will nicht schildern, wie verhängnisvoll er f ü r uns wurde. Die Geschichtsschreiber des Weltkriegs werden sich damit noch zu befassen haben. Solange ich in Auerspergs Nähe weilte, war es sein Bestreben, in Galizien und der Bukowina viele Ruthenen wählen zu lassen und diese im Gegensatz zu den Polen zu sich und seiner Regierungsmajorität heranzuziehen. Der Ruthenenführer der Bukowina, Professor Dr. Tomasczuk, war ihm dabei ein verläßlicher Helfer. Die Reichsratswahlen des Jahres 1874 brachten viele Ruthenen in das Abgeordnetenhaus, mit denen Auersperg dann enge Fühlung nahm. Es waren recht intelligente Leute darunter, besonders Gerichtsbeamte, dann einige Geistliche; eines sympathischen Pfarrers Naumowicz erinnere ich mich besonders. Irre ich nicht, so entpuppte sich dieser nachmals als arger Russophile. Die ebenerwähnten Reichsratswahlen verfolgten alle Minister damals mit begreiflicher Aufmerksamkeit. Ich hatte in meinem Büro gleich vom Beginn derselben an eine große, die Wahlbezirke darstellende Tabelle angelegt, in die ich nach den täglich einlangenden behördlichen und Zeitungsberichten die N a m e n und die Parteiangehörigkeit der verschiedenen Kandidaten eintrug und ihre Wahlaussichten vermerkte. N u n hatte ich die Ehre zahlreicher Ministerbesuche in meinem Büro.
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D i e genoß ich übrigens auch sonst nicht selten, denn durch mein Z i m m e r führte der W e g z u Artus, der der politische V e r t r a u e n s m a n n
aller
Minister u n d d a z u seinem Chef u n d dessen S y s t e m mit L e i b und Seele ergeben w a r . Alle späteren Leiter des P r ä s i d i a l b ü r o s des Ministerratspräsidiums, ich vermeide, N a m e n zu nennen, gefielen sich in der eigenen politischen Mache u n d Intrige, verhandelten mit A b g e o r d n e t e n u n d P a r t e i f ü h r e r n u n d manipulierten mit d e m D i s p o s i t i o n s f o n d s — d a s w a r nicht gut! Z u A u e r s p e r g s Zeiten d u r f t e derartiges nicht v o r k o m m e n . Ich erinnere mich nicht, in unseren Beamtenbüros je einen A b g e o r d n e t e n gesehen zu haben. K a m ein solcher in das Ministerpalais der H e r r e n g a s s e , so empfing ihn der Ministerpräsident selbst, w ü r d e v o l l u n d kurz. Es w a r e n d a m a l s ü b e r h a u p t noch g a n z a n d e r e
parlamentarische
Zeiten als später. Sollte eine Interpellation an die R e g i e r u n g gestellt werden, so w u r d e im A b g e o r d n e t e n h a u s wochenlang über d a s
„ob"
verhandelt u n d m a n hielt unter den Parteien Vorbesprechungen ab. N u r die f ü r den S t a a t g a n z besonders wichtig erscheinenden F r a g e n wurden f ü r w ü r d i g gehalten, den G e g e n s t a n d einer Interpellation zu bilden. E s w a r ein Ereignis, das den Ministerpräsidenten u n d seine U m g e b u n g in A t e m hielt. K a m es dann wirklich z u r Interpellation, so gehörte es zu meinen A u f g a b e n , die A n t w o r t zu entwerfen, vorher aber alle möglichen Erkundigungen einzuziehen u n d in diesem u n d jenem Ministerium dieserhalb vorzusprechen. E i n m a l w u r d e ich s o g a r zu A n d r a s s y geschickt, u m seine Meinung über den T e n o r der A n t w o r t einzuholen. D i e letztere w u r d e d a n n regelmäßig im Ministerrat festgestellt, definitiv, um a u f diesem Weg noch v o r ihrer Verlesung im P a r l a m e n t d e m K a i s e r z u r Kenntnis gebracht z u werden. Man
vergleiche damit den später eingerissenen Mißbrauch
Interpellationsrechts und die E n t a r t u n g
unseres
des
Parlamentarismus'
überhaupt. Dieser Mißbrauch w a r schon a r g , als ich f ü r k u r z e Zeit als Minister fungierte, wurde aber d a n n immer noch ärger, bis endlich T a u s e n d e v o n Interpellationen eingebracht, meist g a r nicht mehr beachtet u n d nur höchst selten die eine oder andere beantwortet w u r d e ; und auch d a s nur, weil dieser oder jener Minister die sich ihm durch die Interpellation darbietende Gelegenheit benützen wollte, der Öffentlichkeit e t w a s mitzuteilen oder v o r ihr etwas richtigzustellen. D e r g r ö ß t e Mißbrauch des Interpellationsrechtes durch die A b g e o r d neten l a g d a r i n , d a ß diese sich anmaßten, j e d e irgendeinen ihrer einflußreicheren W ä h l e r betreffende, der behördlichen Entscheidung harrende Angelegenheit z u m G e g e n s t a n d einer Interpellation zu machen, und
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z w a r in der meist klar zutage liegenden Absicht, auf die betreffende Behörde einen doch ganz unzulässigen Druck auszuüben. Als ich Minister war, ließ ich mir etwa zwei D u t z e n d solcher typischer Interpellationen aussuchen und beantwortete sie nacheinander mit der gleichlautenden Formel: „Ich könne über diese Angelegenheit keinerlei Auskunft geben, denn sie befinde sich im behördlichen Instanzenzug der Entscheidungen." Diese Methode meines Vorgehens erregte im Abgeordnetenhaus wohl nicht wenig Aufsehen, aber nach kürzester Zeit riß dennoch der Mißbrauch in verstärktem Maße wieder ein. Nach dieser Abschweifung zurück zu Auersperg, dessen klares und korrektes Regierungssystem zu der Zeit, von der ich rede (1873/74), bereits anfing, unter einer erst später deutlicher hervortretenden Fronde aus der deutschliberalen Partei, der es dienen wollte, z u leiden. Der H a u p t f r o n d e u r war Professor Herbst, Strafrechtslehrer aus Prag, der P r o t o t y p des doktrinären Liberalen, des alles verneinenden Geistes, des an allem nörgelnden und selber nichts schaffenden Kritikasters. Nichteinmal den Paragraphen des Strafrechtes klügelte er heraus, mit dem m a n ihm selbst das H a n d w e r k hätte legen sollen. Bismarck erkannte diesen Mann aus der Ferne, indem er ihm den bezeichnenden Spitznamen „die Herbstzeitlose" beilegte. Ich sehe ihn noch im Parlament — in der H a n d , die sich wie im Takte auf und ab bewegte, einen langen Bleistift —, wie er eine Regierungsvorlage in ihren einzelnen Sätzen zerfaserte oder an jedem Titel und Kapitel des Staatsvoranschlages die nichtigsten Dinge auszusetzen hatte. Er war der Totengräber des Liberalismus in Österreich, das steht wohl heute allgemein fest. Auersperg und sein Kabinett stürzten, nach einer achtjährigen zielbewußten Tätigkeit, weil die liberale Parlamentsmajorität, mit der es bisher gearbeitet hatte, die Mittel f ü r die Okkupation Bosniens und der Herzegowina, die der Kaiser verlangte, zu bewilligen Abstand nahm. In den höchsten und allerhöchsten, von klerikaler Seite beeinflußten Kreisen w a r übrigens die Mißstimmung gegen diese Partei etwas älteren Datums, u n d dann seit der Schaffung der sogenannten interkonfessionellen Gesetze immer reger geworden. Auersperg selbst hatte sich nicht leicht zur Einbringung dieser Gesetzesvorlagen entschlossen. Gerade ich mußte i h m vorher eine größere Ausarbeitung liefern, in der durch Gegenüberstellung des Textes der deutschen Kulturkampfgesetze mit jenem des geplanten österreichischen Gesetzes der Beweis erbracht 13
G o l d i n g e r , Kaiserhaus
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wurde, daß bei uns kein Angriff gegen die katholische Kirche geplant sei. Als meine Arbeit fertig war und Auersperg, wie ich Grund habe anzunehmen, sie auch dem Kaiser zu lesen gegeben hatte, erhielt ich von ihm den Auftrag, an Hand derselben in den aristokratischen Kreisen Wiens belehrend und beruhigend zu wirken. Die große Mehrzahl unserer Aristokraten gehörte damals noch, ganz im Gegensatz zu heute, der liberalen Richtung an. Auf den Bänken des liberalen Großgrundbesitzes im Abgeordnetenhaus saßen Fürsten und Grafen in großer Anzahl: Khevenhüller, TrauttmansdoriT, Croy, Dubsky und viele andere. Im Herrenhaus war die liberale Parteigruppe unter Carlos Auerspergs Führung die mächtigste; ihr gehörten unter anderen die Fürsten Clary und Kinsky an. Nun war von klerikaler Seite das Schlagwort ausgegeben worden, man wolle Österreich in einen Kulturkampf nach deutschem Muster stürzen und dabei dürfe der historische Adel nicht mitwirken. Die Damen namentlich wirkten jetzt auf ihre Männer ein, dem Ministerium auf diesem Weg keine Gefolgschaft zu leisten. Ich hatte eine Gegenagitation zu organisieren. Fürst Kinsky war von Auersperg ersucht worden, midi dabei zu unterstützen. Zu diesem Zweck gab er unter anderem in seinem prächtigen Palais auf der Freyung ein großes Diner, zu dem alle Zweifelnden seiner aristokratischen Parteifreunde und auch meine Wenigkeit geladen waren. Nach Tisch hatte ich dann einen förmlichen Vortrag zu halten, um ihre Zweifel zu zerstreuen — und guten Erfolg damit. Auersperg war mit mir höchlich zufrieden und bekundete mir dies in einer ganz außerordentlich liebenswürdigen Art, die ich ihm nie vergessen werde. Eines Tages im Frühling 1874 zu ihm zum Speisen eingeladen, treffe ich dort eine Anzahl von Ehepaaren der Wiener Gesellschaft, mit denen ich in besonders freundschaftlichem Verkehr stand. Bei Tisch erhebt sich der Ministerpräsident zu einer Tischrede, in der er sagt, er habe eine Anzahl meiner besten Freunde in seinem Haus vereinigt, um ihnen Kunde von meiner Beförderung zum Ministerialvizesekretär zu geben, die ich mir durch treue und fleißige Arbeit verdient habe. Dabei zieht er ein großes Kuvert aus der Tasche und überreicht mir zu meiner freudigsten Überraschung mein Ernennungsdekret. Toast und Gegentoast mit warmer Dankeskundgebung meinerseits; es war ein freudiger Tag, an dem das gute Herz Auerspergs herrlich in Erscheinung trat. Sein Charakter war durch Geradheit und Biederkeit in jeder Richtung ausgezeichnet; das gab ihm aber auch seine Stärke an der Spitze
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seiner Ministerkollegen und sein Ansehen im Parlament, trotzdem er ein sehr schwacher Redner war, woraus er übrigens selbst nie ein Hehl machte. Hatte er doch in sein Kabinett einen „Sprechminister" ohne Portefeuille in der Person des Professors des österreichischen bürgerlichen Rechtes an der Wiener Universität, Dr. Josef Unger, aufgenommen. Zur Charakteristik Auerspergs habe ich auch noch sein Äußeres zu beschreiben. Er litt an einem beständigen nervösen Zucken im Gesicht — besonders am Mundwinkel an der unteren Kinnlade —, was, namentlich wenn ihn etwas erregte oder besonders interessierte, sehr auffallend war. Sehr korpulent, war er doch von großer Beweglichkeit. Diese konnte ich auf Jagden mit ihm anstaunen, wenn er so behende und gut auf Flugwild schoß. Jeder anstrengendere Marsch auf einer J a g d verursachte ihm eine Venenentzündung in den Beinen, so schwer hatten diese an seinem Körper zu tragen. Er gab denn auch das Jagen mehr und mehr auf. Sein privater Haushalt war von ihm selbst auf das anständigste und doch sparsamste eingerichtet worden. Er legte Wert darauf, als Ministerpräsident zu repräsentieren, und war vielleicht der letzte, der es in nobler Weise tat. Alle H o f - und Staatswürdenträger sowie die Chefs der auswärtigen Missionen lud er in jeder Wintersaison einmal zum Diner bei sich und seiner Frau ein. Er hatte eine ganz gute Köchin, die aber nur eine gewisse Anzahl feinerer Gerichte klaglos herzurichten verstand, die Speisenfolgen waren daher beinahe stereotyp. Ich sah stets die „Menüs", die in der Präsidialkanzlei lithographiert wurden, und erinnere mich des ewigen „en belle vue", womit französische Köche den klaren Aspik zu bezeichnen pflegen, in den Stücke von Gänseleberpastete, Fischen und dergleichen eingelegt sind. Mir war es gelungen, Auersperg einen vorzüglichen Kammerdiener zu verschaffen, und diesem war es gelungen, die sieben „Türsteher" (Amtsdiener) des Ministerratspräsidiums im Servieren abzurichten, von dem sie früher als gewesene Unteroffiziere keine Ahnung gehabt hatten. Mit größter und beinahe militärischer Ordnung wickelten sich nun die Auerspergschen Diners, bei denen die Hausfrau als vollendete Weltdame die Gäste empfing, ab. Dabei aber verstand auch sie die Hauswirtschaft vorzüglich und führte diese für gewöhnlich in der einfachsten bürgerlichen Art; sie wollte nicht, daß ihre Kinder, drei Töchter und zwei Söhne, die damals heranwuchsen, verwöhnt werden. Wie weit diese Einfachheit und Sparsamkeit ging, wurde mir erst klar, als einmal ein Kanzlist einen Brief zeigte, den der Ministerpräsident ihn 13°
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zu schreiben gebeten hatte. Dieser war an den (Dorf-)Schneider in Wlaschim gerichtet und hatte den Inhalt: „Ich schicke Ihnen in einem Postpaket eine meiner alten Hosen, damit Sie eine neue f ü r meinen Sohn Karl daraus machen." Auerspergs gesamte Jahreseinkünfte betrugen damals gewiß nicht volle 40 000 Gulden. N u r seine peinliche Sparsamkeit und Ordnung im Haushalt ließ es mir erklärlich erscheinen, daß er allmonatlich einen kleinen Teil seiner Diensteinkünfte in die Sparkasse einlegen ließ. Den Freudentag in der Familie erlebte ich mit, als diese Einlagen es gestattet hatten, daß er sich ein kleines Landhaus bei Salzburg erkaufte. Er freute sich darüber wie ein Kind, denn nun wisse er, wohin er sich zurückziehen könne, wenn er seinen Dienstposten einmal aufgebe. Er hat dieses Haus meines Wissens nie bezogen, denn nach seiner Demission als Ministerpräsident wurde er zum Präsidenten des Obersten Rechnungshofes ernannt u n d bekleidete letzteren Posten bis zu seinem Lebensende. Audi hatte er schließlich das (gräfliche) Auerspergsche Sekundogenitur-Fideikommiß Goldegg bei St. Pölten ererbt. I n dem schönen Schloß dort verbrachte er mit seiner Familie während seiner letzten Lebensjahre die Sommermonate. In früheren Jahren mußte man sich viel mehr bescheiden, und zwar in einem Teil des Pirkoschen Schlosses Pottenbrunn, ebenfalls bei St. Pölten. Ich weilte dort bei ihnen einstmals einen Tag zu Besuch, als ich Auersperg zur Landtagssession nach Salzburg zu begleiten hatte. Er war damals noch dortiger Landtagsabgeordneter. Als mich Auersperg 1873 in das Ministerratspräsidium berief, hatte er mir auch gesagt, meine Verwendung dort werde nicht von so langer Dauer sein, um mich dem politischen Verwaltungsdienst zu entfremden, nach einigen Jahren werde er midi in diesen zurückversetzen lassen. Ich befand mich aber in meiner Stellung bei Auersperg so wohl und glücklich, d a ß ich selbst nie einen Schritt unternommen haben würde, diese aufzugeben. Im März 1875 lag mein Vater schwer krank in Hannover, und ich hatte mir kurzen Urlaub zu einem Besuch bei ihm erbeten. Ich war noch nicht 14 Tage dort, als mich ein Telegramm Auerspergs erreichte, ich möge ihn an einem der nächsten Tage in Prag, wo er sich auf der Reise zur K u r in Karlsbad kurz aufzuhalten gedenke, aufsuchen, denn er habe mir wichtiges mitzuteilen. Als ich in Prag eintraf, war er eben nach Karlsbad abgereist und hatte die Weisung f ü r mich hinterlassen, ich möge nach Wien zurückkehren, wo ich alles erfahren werde. Sehr gespannt, was denn los sein könne, kehre ich in mein Büro zurück, wo
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mir Artus folgendes mitteilt. Auersperg habe von Lasser, dem Minister des Innern, die sofortige Versetzung des Bezirkshauptmanns von Baden, Ritter von Müllenau, verlangt, der sich dort zufolge einer peinlichen Wirtshausszene unmöglich gemacht habe. Lasser habe sich anfangs mit der Begründung dagegen gesträubt, d a ß er nicht leicht einen passenden Mann f ü r Baden finden könne. Das habe Auersperg nicht gelten lassen wollen und auf midi hingewiesen, der den Erzherzogen, die Baden im Sommer bewohnen, und auch dem Kaiser, der regelmäßig einige Wochen in dem zum Bezirk gehörigen Schloß Laxenburg verbringe, nicht unbekannt sei. Es sei dann zwischen Auersperg und Lasser vereinbart worden, ich sei mit der Leitung dieser Bezirkshauptmannschaft zu betrauen, denn als ganz junger Vizesekretär könne ich noch nicht zum Bezirkshauptmann ernannt werden. Ich war ganz unglücklich über diese mir zugedachte neue Bestimmung, machte auch vergeblich einige Versuche, daß von ihr Abstand genommen werde. Auersperg kehrte aus Karlsbad zurück und versicherte mir, er wolle nur mein Bestes, wenn er midi in den Exekutivdienst hinausschicke, der allein mir eine Karriere sichern könne; von höherer Staatspolitik habe ich in den zwei Jahren bei ihm genug gesehen und gehört. Ich erhielt dann sofort durch ihn mein Ernennungsdekret zum Sekretär bei der niederösterreichischen Statthalterei mit der Bestimmung zur Leitung der Bezirkshauptmannschaft Baden, die ich am 1. Mai 1875 übernahm. 28 meiner ehemaligen Vordermänner im Beamtenstatus der Statthalterei hatte ich damit übersprungen, ohne dies auch nur im entferntesten angestrebt zu haben. Bis letzteres gehörig bekannt wurde, blieb meine Situation gegenüber meinen Dienstkameraden eine peinliche, obwohl diese es mich nicht fühlen ließen. Auersperg verfolgte meine Tätigkeit in Baden mit Aufmerksamkeit, besuchte mich dort öfters. Besonders erinnere ich mich seines freundlichen Besuches im Februar 1879, unmittelbar nachdem er seine Demission als Ministerpräsident gegeben und zum Präsidenten des Obersten Rechnungshofes ernannt worden war. Er vertraute mir damals an, wie es dabei zugegangen war, und sprach auch von seiner Abschiedsaudienz beim Kaiser, von der in meiner diesen betreffenden Monographie, Seite 31, die Rede war. Sein Verhältnis zum Kaiser war ein gutes, nie aber ein intimes. Der Kaiser hörte niemals gern unangenehme Dinge, über solche hatte ein österreichischer Ministerpräsident, wenn er sie nicht geradezu verschweigen wollte, oft genug der Krone zu berichten. U n d gerade
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Auerspergs Prinzip war, dem Kaiser nichts vorzuenthalten. Er war kein Schönredner und mag wohl oft als „gerader Michel" Wahrheiten gesagt haben, die nicht gern angehört wurden. Bis zu seinem Tod blieb mir Auersperg gewogen; ich besudite ihn oft, einmal auch in seiner schönen Häuslichkeit in Goldegg. Mit Taaffes Politik war er niemals einverstanden, hielt aber mit seiner Meinung in der Öffentlichkeit zurück. Von seinem ältesten Sohn Karl, dem heutigen Chef des Hauses Auersperg, der wohl gern eine politische Rolle gespielt haben würde, ohne das rechte Zeug dazu zu besitzen, möchte ich noch anführen, daß ich mich seiner, des heranwachsenden Jünglings, in des Vaters Auftrag einige Male annehmen mußte, so unter anderem, um zu erwirken, daß er in die kaiserliche „spanische Reitschule" aufgenommen und beim Schneider Rothberger dazu gehörig ausstaffiert werde, um das Reiten gut zu erlernen. Wiederholt gedachte ich mit ihm der vergangenen Zeiten und seines verehrten Vaters, dessen Geradheit und biederen Charakter er übrigens voll ererbt hat.
Dr. K A R L
GISKRA
Den Bürgermeister von Brünn und Bürgerminister Dr. Giskra habe ich wohl einige Male gesehen, persönlich aber nicht gekannt. Es ist ein Widersinn, jemanden vom Hörensagen porträtieren zu wollen; also sei es nur eine Skizze! Er war groß und stämmig, blond und hatte energische Gesichtszüge. Er war ein Schlesier von Geburt und hatte schon in seiner Jugend im Nachbarland Preußisch-Schlesien gewisse Vorzüge der preußischen Kreis Verfassung gegenüber unserer politischen Verwaltung kennengelernt. Noch jung war er zum Abgeordneten des Wahlkreises seiner Vaterstadt in das Frankfurter Parlament gewählt worden und hatte nun die größere Strammheit der deutschen Verwaltung, aber auch die einfacheren Mittel und den geringeren Kräfteaufwand, mit welchen diese ihre Ziele erreichte, durch längere Beobachtung kennengelernt. Mehr als ein Dezennium später konnte er sich als Bürgermeister von Brünn in österreichischen Verwaltungsgeschäften praktisch betätigen. Nicht lange Zeit bevor er Minister des Innern wurde, hatte schon Belcredi, ein sehr tüchtiger Verwaltungsbeamter, als neuer österreichischer Staatsminister im sogenannten Sistierungsministerium Einfluß darauf genommen, daß unser Verwaltungsapparat schneller und einfacher funktioniere. Sein Erlaß vom 30.September 1865, Z.4567/St.M., hatte in dieser Hinsicht einschneidende Geschäftsvereinfachungen vorgeschrieben. Unter anderem hieß es in demselben, „daß Berichte, welche von den Unterbehörden über jeden Rekurs an die Landesbehörde zu erstatten sind, in der Regel ganz entfallen könnten, da es doch Sache des Referenten bei der höheren Instanz sei, die Akten zu lesen. Etwa nötige Bemerkungen könnten in einem solchen Rekursfalle zur Aufklärung für die höhere Behörde gleich in mundo (d. h. urschriftlich und ohne Aufsetzung und Zurückbehaltung eines Konzeptes) auf die Rekursschriften selbst gesetzt werden". Als Giskra 1867 Minister des Innern wurde, stand dieser Erlaß noch als sogenannte Normale in Gültigkeit. Er kannte ihn und hat auch vielleicht geglaubt, daß er befolgt worden sei. Möglicherweise hatte er
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sogar das Gegenteil erkannt, jedenfalls wollte er, seiner energischen N a t u r entsprechend, viel radikaleren Wandel schaffen und die österreichischen Verwaltungsbehörden von Grund auf neu organisieren; und z w a r nach dem ihm bekannt gewordenen preußischen und deutschen Muster. Insbesondere schwebten ihm dabei die preußischen Kreise, Landratsämter mit dem L a n d r a t an der Spitze, als Muster f ü r die österreichischen Verwaltungsbehörden erster Instanz vor. D i e von ihm selbst ausgearbeitete Organisation wurde vom Reichsrat angenommen und im Mai durch die Publikation im Reichsgesetzblatt ( N r . 44) Gesetz. Giskra führte dasselbe nun auch alsbald durch. Bis dahin fungierte in jedem der noch heute bestehenden Gerichtsbezirke ein gemischtes Bezirksamt sowohl f ü r richterliche als auch Verwaltungsagenden in erster Instanz. Die Bezirksämter wurden nun reine Bezirksgerichte; f ü r die Verwaltungssachen wurden durch Zusammenfassung von drei bis sechs Sprengein der Bezirksämter Bezirkshauptmannschaften eingerichtet. Der U m f a n g dieser Bezirkshauptmannschaften entsprach an Gebiet und Bevölkerung so ziemlich jenem eines preußischen Kreises. Der U m f a n g unserer heute noch in den Kreisgerichtssprengeln fortbestehenden Kreise, welche Kaiserin M a r i a Theresia geschaffen und in ihnen Kreishauptmannschaften für die Verwaltungsagenden eingesetzt hatte, ist meist größer als jener der preußischen Kreise. Es dürfte auch wohl bei uns ziemlich allgemein bekannt sein, daß jeder preußische Kreis seine Kreisvertretung und seinen Kreisausschuß hat, an deren Spitze der L a n d r a t steht. Sein L a n d r a t s a m t hat nur wenig Personal. D a s ist deshalb möglich, weil ein preußischer L a n d r a t verpflichtet ist, sich Wagen und P f e r d e zu halten (vielleicht darf es in neuerer Zeit auch ein K r a f t w a g e n sein), seinen Kreis fortwährend zu bereisen, Sitzungen der Gemeindevertretungen, in denen für diese wichtige Dinge beraten und beschlossen werden sollen, persönlich beizuwohnen. Er ist befugt, auf diese Beschlüsse Einfluß zu nehmen und, falls sie seiner ausdrücklichen Genehmigung nach dem Gesetz bedürfen, diese sofort und nur mündlich zu erteilen. Wenn auch in der „Amtsinstruktion f ü r die Gemischten Bezirksämter", dieser einzigen im Reichsgesetzblatt ( N r . 52 v o m J a h r e 1852) publizierten Vorschrift f ü r die Amtsgebarung der politischen Behörden Österreichs, angeordnet ist, möglichst viel im mündlichen Weg abzutun und anderes ohne Vielschreiberei (§§ 7 7 — 7 9 ) , so ist die F o r m der mündlichen Erledigung doch bei uns, ganz im Gegensatz zu Preußen, und z w a r aus den mannigfachsten Gründen, nie in Fleisch und Blut der Behörden und der Bevölkerung überhaupt übergegangen. Der zweite
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G r u n d aber, weshalb ein preußischer Landrat in seinem A m t so wenig Beamtenpersonal braucht, ist der, d a ß ihm der Kreisausschuß untersteht, dessen einzelne Mitglieder in allen jenen Agenden der Selbstverwaltung (wir würden sagen: des selbständigen Wirkungskreises), die der Entscheidung desselben vorbehalten sind, Referate führen und die dahin gehörigen Erledigungen entwerfen. Für mich entstand schon damals, als ich 1871 einer der von Giskra geschaffenen neuen Bezirkshauptmannschaften, die erst zwei Jahre bestand, als zweite Konzeptskraft zugewiesen wurde, die Frage, ob sich Giskra wohl bei seiner Systemisierung des Personals f ü r diese neuen Ämter, das er noch knapper bemaß, als es einem preußischen Landrat stets zur Verfügung stand, die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse vor Augen gehalten habe. An der Spitze stand der Bezirkshauptmann, wie der Landrat in Preußen. Der letztere war damals zumeist ein Gutsbesitzer des betreffenden Kreises, der nicht Jurist zu sein brauchte, was, soviel ich weiß, jetzt dort vorgeschrieben ist, daher nun auch so manche Berufsbeamte Landratsstellen bekleiden. Obwohl wir den Stand der „Junker", der Preußen die Mehrzahl seiner Landräte liefert, eigentlich bei uns nicht kennen, hatte Giskra doch auch darin das fremde Beispiel möglichst nachahmen wollen. Z w a r mußte er viele der früheren Bezirksvorsteher als Bezirkshauptleute unterbringen, aber wo es ging, stellte er als solche Gutsbesitzer an. Es w a r geradezu komisch, was dabei herauskam. N u r einige Beispiele: Der Bojar Eugen von Styrcea, nachmals Landesregierungsrat in Czernowitz und Freiherr, der, wiewohl er juridische Studien hinter sich hatte, doch von einer geregelten Amtierung nie einen blauen Dunst hatte und sich stets nur als einen Agenten oder Exponenten der rumänischen Partei in der Bukowina betrachtete, war zum Bezirkshauptmann in Suczawa ernannt worden. Mehr oder weniger jede Entscheidung, die er zu treffen hatte, machte er davon abhängig, daß der, zu dessen Gunsten sie fallen sollte, sich verpflichtete, bei der nächsten Wahl für die rumänische Partei zu stimmen oder ihm vorher so und so viele unausgefüllte Wahlvollmachten einzuhändigen. In Kärnten hatte Giskra einen H e r r n von Rainer-Harbach, den Angehörigen einer bekannten dortigen Gutsbesitzersfamilie, zum Bezirkshauptmann von St. Veit an der Glan ernannt. Dieser aber war Hof-Opernsänger in Pension eines deutschen Hofes, ein sehr gemütlicher und angenehmer Gesellschafter, dessen Hauptbeschäftigung als alter Theatermann blieb, Dilettantenvorstellungen in Klagenfurt zu
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veranstalten. Nur bisweilen sah er flüchtig nach, was es in St. Veit Neues gäbe. Der Bezirkshauptmann von Baden bei Wien, den ich 1875 abzulösen berufen war, Herr von Müller-Müllenau, hatte wohl in jungen Jahren ganz kurze Zeit als Konzeptspraktikant, irre ich nicht, in Linz gedient, war aber seines Zeichens Ulanenrittmeister und konnte den fesdien Kavallerieoffizier und die Lust an Exzessen zeitlebens nicht ablegen. Ein preußischer Landrat hatte in der Regel einen Assessor zugeteilt, bisweilen und seltener auch noch einen Referendar. Giskra gab also dem Bezirkshauptmann einen Bezirkskommissär und einen Praktikanten oder Konzeptsadjunkten, wie sie damals hießen, bei. Die geprüften Kanzleibeamten in Preußen heißen Sekretäre und sind für den Konzeptdienst befähigt. Giskra schuf für das sogenannte kleine Konzept und für die Leitung der Kanzlei der neuen Bezirkshauptmannschaften die Beamtenkategorie der Bezirkssekretäre in der zehnten Rangklasse. Das war der gesamte Personalstatus dieser neuen Ämter! Buchstäblich! Denn daß für zwei oder drei dieser Ämter gemeinsam noch ein Bezirksarzt und ein Bezirkstierarzt fungierten, und daß später, nachdem die Unterrichtsverwaltung die neue Schulorganisation geschaffen und die Bezirksschulräte als Schulbehörden eingesetzt hatte, der Bezirkshauptmann auch noch einen Lehrer als Bezirksinspektor zugewiesen bekam, dem er einige pädagogische oder Lehrerpersonalfragen betreffende Arbeiten übertragen konnte, kommt hier nicht in Betracht. Zur Besorgung der Kanzleigeschäfte in ihren verschiedenen Zweigen, des Zustellungsdienstes im Orte, der Beförderung der Dienststücke von und auf die Post, der Heizung und Reinigung der Amtslokalitäten war dem Bezirkshauptmann keinerlei Personal zugewiesen worden. Aus einem ihm in sehr mäßigem Betrage zugebilligten Amtspauschale hatte er sich die notwendigsten Kanzlei- oder Schreibkräfte und einen Diener gegen Taglohn aufzunehmen. Bei dieser Organisation muß Giskra vorgeschwebt haben, daß die neuen Ämter mit den allereinfachsten Mitteln werden arbeiten können, daß die schriftliche Form ihrer Erledigungen und Entscheidungen zu den Seltenheiten gehören, sie vielmehr bei ihrem auf das äußerste eingeschränkten Personalstand darauf angewiesen sein werden, ihre Amtsgeschäfte zum überwiegenden Teil mündlich abzuwickeln. Hiebei aber hatte Giskra zweierlei übersehen, nämlich erstens, daß in den Landesstellen, denen die Bezirkshauptmannschaften unmittelbar und in den Ministerien, denen sie im weiteren Instanzenzug untergeordnet waren,
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Referenten saßen, die seit jeher gewohnt waren, daß ihnen alles in umständlichster Form ausgearbeitet zukomme, und die dem altbürokratischen Satz huldigten: „Quod non est in actis, non est in mundo"; zweitens, daß der preußische Landrat, der in seinen Mitgliedern des Kreisausschusses Hilfsarbeiter hatte, sich vom Kreistag stets die Mittel bewilligen lassen konnte, um so viele Sekretäre oder einfache Schreiber und Diener anzustellen, als er zur klaglosen Führung seines Amtes benötigte. Giskras neue Bezirkshauptmannschaften standen noch kaum ein Jahr in Funktion, als er am 20. März 1870 seine Demission als Minister des Innern zu geben bemüßigt war. Mir ist es bekannt, daß er vorher einige dieser Ämter persönlich inspizierte und Anordnungen traf, d a ß seinen Intentionen gemäß amtiert werde. Zum Bezirkshauptmann in Baden war der bisherige Bezirksvorsteher in Hietzing, Freiherr von H a e r d t l , ernannt worden, der der Neuordnung der Dinge derart abhold war, daß er seine Wohnung in Hietzing beibehalten hatte und das A m t in Baden nur unregelmäßig besuchte. Als Giskra eines schönen Morgens zur Inspektion in dieses kam, war Haerdtl noch nicht dort, und als er dann im Laufe der Inspektion erschien, hatte diese bereits ein derartig ungünstiges Ergebnis gehabt, daß der H e r r Bezirkshauptmann bereits wenige Tage später sein Pensionsdekret erhielt. Kaum war Giskra aus dem A m t geschieden, als die Vielschreiberei wieder von oben herab förmlich zum System erhoben wurde. Die an diese gewöhnten alten Bürokraten fanden dabei eine mächtige Stütze an dem neuerrichteten Verwaltungsgerichtshof, der in vielen seiner Erkenntnisse Entscheidungen der Verwaltungsbehörden wegen mangelhaften Verfahrens aufhob, wenn in den seiner Beurteilung unterzogenen Verhandlungsakten nicht alles und jedes schriftlich niedergelegt war. Ich möchte auch annehmen, d a ß Giskra eine organische Verbindung der staatlichen mit der sogenannten autonomen Verwaltung, welche Schmerling und Lasser zu einer ganz selbständigen und unkontrollierten gemacht hatten, geplant hatte, sonst wäre die Art der Organisation der politischen Verwaltung, wie er sie durchführte, kaum erklärbar. Wenn aber meine Annahme richtig ist, dann war es doppelt bedauerlich, daß dieser energische Mann nicht länger als Minister des Innern fungieren durfte, denn keiner seiner Nachfolger in diesem Amt bis auf den heutigen Tag hatte die K r a f t und den Mut, die die Staatsautorität so sehr schädigende Doppelverwaltung zu beseitigen.
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Z u Giskras Zeiten war das H a n d b u c h f ü r die politische V e r w a l t u n g v o n Mayerhofer, dem gewesenen K r e i s h a u p t m a n n von K o r n e u b u r g u n d d a n n Statthaltereirat, das beliebteste Nachschlagebuch eines jeden österreichischen Verwaltungsbeamten. Mit seiner H i l f e bereiteten sich die P r a k t i k a n t e n auf die praktische politische P r ü f u n g vor. In seinen ersten Auflagen enthielt es den b e r ü h m t e n Erlaß des Staatsministers v o m September 1865 über die Geschäftsvereinfachungen. I n den nach Giskras Abgang erschienenen neuen Auflagen dieses Buches u n d namentlich auch in der großen U m a r b e i t u n g , der es später durch Graf Pace u n d Genossen unterzogen w u r d e , ist aber dieser so wichtige Erlaß, o b w o h l er niemals von oben außer K r a f t gesetzt wurde, bezeichnenderweise weggelassen worden. Die altgeschulten Bürokraten u n d die Vielschreiberei hatten u n d haben bis heute Überwasser! D a s spüren wir so recht in unserem armen Kleinstaat Österreich, der wegen der Zweiteilung der Verwaltung u n d aus anderen Gründen des „Beharrungsvermögens" eine seine finanziellen K r ä f t e weit überschreitende A n z a h l v o n Verwaltungsbeamten, trotz aller A n t r ä g e der famosen Ersparungskommission und des nicht beschlossenen Beamtenabbaugesetzes, zu erhalten hat. Was habe ich nicht als Statthalter alles über die N o t wendigkeit von Geschäftsvereinfachungen bei unseren Verwaltungsbehörden geschrieben und in öffentlichen Vorträgen behandelt. Damals gab es noch keine Beamtengewerkschaften, die aus Selbsterhaltungsm o t i v e n Geschäftsvereinfachungen u n d Beamtenabbau abhold sind, aber der Widerstand gegen meine Anregungen w a r namentlich in den obersten Beamtenregionen der gleiche wie heute. U n d wohin kämen wir, wenn wir beispielsweise die H i l f s ä m t e r d i r e k t o r e n u n d O b e r direktoren in den Zentralstellen u n d größeren Ä m t e r n abschaffen wollten. Das sind z w a r ganz überflüssige aber altehrwürdige Posten, die erhalten bleiben müssen. Auch ein Giskra hätte, auch wenn er länger am R u d e r geblieben w ä r e , schwerlich die Kraft gehabt, den A u f w a n d f ü r staatliche Verwaltungsaufgaben auf jenen viel geringeren Stand herabzudrücken, wie ihn uns Deutschland und gar England ausweisen. Ich sagte im Vorstehenden von diesem Minister nicht mehr, als was ich aus unmittelbarer E r f a h r u n g von ihm weiß, und unterlasse jede Schilderung dessen, wie er zufolge des Ofenheim-Prozesses in U n g n a d e fiel u n d eigentlich von da an a u f h ö r t e , noch eine politische Rolle in Österreich zu spielen.
J O S E F LASSER F R E I H E R R
VON
ZOLLHEIM
Man wollte die Öffentlichkeit durchaus glauben machen, Lasser sei die Seele des Kabinetts Auersperg. Naturgemäß überwog das bürgerliche Element in der liberalen Partei, die dieses Kabinett stützte, und Lasser war es nicht recht, sich sagen lassen zu müssen, daß der Liberalismus des Kabinetts ein sehr gemäßigter sei, weil es in Wirklichkeit stets vom liberalen Großgrundbesitz, seinen Vertretern im Parlament und vielmals auch von dem obersten Führer dieser Gruppe, Carlos Auersperg, abhing, wie weit liberale Prinzipien in der Gesetzgebung und in der Verwaltung Geltung erhalten sollten. Zu A n f a n g seiner Ministerschaft im Kabinett Auersperg trat Lasser allerdings mehr hervor als später, war er doch schon 1848 Abgeordneter u n d damals einer der Hauptredner der liberalen Partei gewesen. Als Minister des Innern traf er nun im Hause so manche alte Abgeordnetenkollegen wieder an und konnte Einfluß auf sie und ihre Abstimmungen nehmen. H a t t e ihn auch sein stets sehr praktischer und auf sein eigenes Wohl und Fortkommen gerichteter Sinn veranlaßt, in der absolutistischen Zeit dem Staat auf höheren Beamtenposten zu dienen — er war schon 1849 als Ministerialrat eingetreten und zehn Jahre später Sektionschef geworden —, so hatte er doch, als 1861 die Verfassung wieder hergestellt wurde und er nun unter Schmerling Minister der politischen Verwaltung geworden war, der liberalen Partei wesentliche Dienste leisten können. Diese seine erste Ministerschaft dauerte bis 1865. Es ist hier nicht der Platz, sie zu kritisieren, so verlockend es auch wäre, gerade jetzt während des Weltkriegs zu zeigen, welche Schädigungen die gesamtstaatlichen Interessen zu jener Zeit erfuhren, in welcher Schmerling und mit ihm Lasser, vermutlich das Staatslexikon von Rotteck und Welcker in der H a n d , den doktrinären Liberalismus wahre Orgien feiern ließen, indem sie eine Gemeindeautonomie zum Gesetz erhoben, die nirgends in der Welt ihresgleichen hat, oder den Ländern Agenden förmlich zuschanzten, die zu den gewichtigsten des Gesamtstaates gehörten, und auf diese Weise die mit Recht so berüchtigt gewordene öster-
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reichische Doppelverwaltung schufen. Weder Lasser noch auch Schmerling waren sich der Tragweite ihres damaligen Tuns bewußt. Ich kann im Folgenden nur beinahe Anekdotisches über Lasser bringen, aber es dürfte genügen, ein Bild von ihm zu geben. Ich hatte nämlich zu meiner Auerspergischen Zeit oft mit ihm zu tun, sandte mich der Ministerpräsident doch unzählige M a l e zu ihm, eine Meldung zu überbringen oder eine Auskunft zu holen. S o oft aber der Ministerpräsident auf längeren U r l a u b oder für kurze Zeit von Wien abwesend war, oblag Lasser seine Vertretung, und dann hatte ich täglich mit den Einlaufstücken des Ministerratspräsidiums zur Einholung seiner Weisungen und mit den Ausfertigungen seiner Approbation bei ihm zu erscheinen. Ich lernte ihn also allmählich genau kennen. Seine äußere Erscheinung: wohlgenährte, gedrungene Gestalt mit einem ziemlich großen, runden K o p f , dunkle große Augen, die er gern forschend auf einem ruhen ließ, dunkles, leicht ergrautes K o p f - und B a r t h a a r , kurzgehaltener Schnurr- und Backenbart. D i e Konversation mit ihm w a r höchst anregend, er hörte einem gern zu, und z w a r aufmerksamst, immer den forschenden Blick auf den Sprecher gerichtet, k a m selten aus seiner Ruhe heraus und war eher wortkarg, bis er das eben erörterte T h e m a mit einer treffenden und oft sarkastischen Sentenz abschloß. Ich durfte ihm oftmals, je nachdem das vorliegende Aktenmaterial die Gelegenheit dazu bot, längere auch über dieses hinausreichende V o r t r ä g e halten. Des einen erinnere ich mich lebhaftest. E r knüpfte an eine Resolution des Abgeordnetenhauses, betreffend die politische Verwaltung, an. Ich hatte in dieser doch auch durch meinen dreijährigen exekutiven Dienst in der ersten und zweiten Instanz einige Erfahrung gesammelt und hatte über dieses Thema eben einige Artikel f ü r die „Zeitschrift für politische V e r w a l t u n g " geschrieben, um welche mich deren Herausgeber, der k. k. Ministerialsekretär Jäger, gebeten hatte. Dieser, in späterer Zeit Landespräsident in Schlesien, war der Presseleitung im Ministerratspräsidium zugeteilt, mithin also mein Amtskollege, mit dem ich regen Büroverkehr und Gedankenaustausch unterhielt. Eines Tages konnte ich nun mit Lasser über die immer greller zutage tretenden Schäden der zu weit gehenden Gemeindeautonomie und der Doppelverwaltung sprechen, diese mit drastischen Beispielen erhärten und ihn schließlich bitten, der Frage der R e f o r m unserer politischen V e r w a l t u n g näher zu treten. Ich f a n d volles Verständnis bei ihm; Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen bewiesen es mir. Er schien
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sich voll bewußt zu sein, was er angerichtet und seinerzeit nicht vorausgesehen habe. Er schloß unsere lange Erörterung mit folgenden Worten ab: „Diese Schäden sind auch mir längst aufgefallen. Eine Reform der politischen Verwaltung muß erfolgen, aber die breite Masse des Volks muß diese Schäden an sich selbst erst noch deutlicher erkannt haben, damit wir die Reform recht gründlich, wie sie nottut, gestalten können." Er, der Mitschöpfer der Doppelverwaltung, fürchtete sich offenbar, seine Irrtümer öffentlich einzugestehen, und dann war er auch, ich muß das auf Grund meiner Beobachtungen sagen, eine viel zu träge, auch damals wohl schon etwas kränkliche Natur, um sich an ein so schwieriges Werk, wie diese Reform, heranzuwagen. Selbst sarkastisch, vertrug er auch derlei Bemerkungen anderer ganz gut, fand sogar Gefallen daran. Als Weiprecht von seiner Nordpolexpedition zurückgekehrt war und mein Bruder Alexander seinen Kameraden mit seiner Mannschaft in Hamburg mit empfangen hatte, um dann die ganze Gesellschaft, den Grafen Hans Wilczek mit inbegriffen, einen Tag in seinem Schloß Gülzow zu bewirten, bevor diese zu den ihrer harrenden Ovationen nach Wien aufbrach, konnte ich Lasser einiges darüber erzählen. Ich tat es mit der schließlich hingeworfenen Scherzfrage, „wie er sich denn die politische Organisation des neuentdeckten Franz-Joseph-Landes denke?" Er sann einen Augenblick nach, um meinem Scherz einen noch bessern entgegensetzen zu können und sagte dann: „Bevölkerung gibt es in dem Polarland noch nicht, aber wenn ich trotzdem dort Bezirkshauptmannschaften errichte, so hat eine jede sicherlich am Ende des ersten Monats ihrer Tätigkeit schon über 300 protokollierte Einlaufstücke betreffend ihre eigene innere Organisation." Lasser kannte also den Bürokratismus mit seiner Aktenwirtschaft, den Protokollen, Elenchen und all den schönen uns aus der „Notarenschule von Ravenna" überkommenen Dingen ganz genau, aber nie hat er den Finger gerührt, um hier modernisierend einzugreifen. Er w a r leider träge, er, der alterfahrene Verwaltungsbeamte, der ganz das Zeug und den Einfluß im Parlament dazu gehabt hätte, als Minister des Innern langer Dauer reformierend einzugreifen. Nicht ich bin es, der ihn hier der Trägheit zeiht, das taten andere vor mir, die von ihm, als er Minister des Innern geworden war, erzählten, er habe das Wort geprägt: „Die Akten sind doch keine Hasen, die davonlaufen. Man kann Akten ruhig liegen lassen, manche erledigen sich dann von selbst."
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Auersperg litt unter der Untätigkeit Lassers in seinem wichtigen Ressort; er tat mir öfters Erwähnung davon. Als Lasser sich krankheitshalber im Juni 1878 pensionieren ließ, übernahm Auersperg selbst die Leitung des Ministeriums des Innern, in der ausgesprochenen Absicht, die Reform der politischen Verwaltung in die Wege zu leiten. Er u n d sein Ministerium mußten aber schon im Februar des darauffolgenden Jahres die Demission geben, so daß es bei der guten Absicht blieb. Es drängt mich, noch eines ganz persönlichen Erlebnisses mit Lasser zu gedenken. Es ist das meine Ernennung zum Bezirkshauptmann durch ihn. Wie ich unter „Carlos und Adolf Auersperg" erzählt habe, hatte mich Lasser im Mai 1875 mit der Leitung der Bezirkshauptmannschaft Baden betraut. Ich hatte diese Mission nicht gern übernommen, auch in Baden viel Unordnung angetroffen und angestrengt arbeiten müssen, um zahllose Rückstände aufzuarbeiten und einen flotteren Dienstgang einzuführen. Das war mir wohl einigermaßen gelungen und von meinem vorgesetzten Statthalter, Freiherr von ConradEybesfeld, auch anerkannt worden. Nichtsdestoweniger konnte ich bei Gemeinden u n d Schulbehörden nicht voll und ganz durchgreifen, weil man meine Leitung der Bezirkshauptmannschaft als ein Provisorium betrachtete. Als nun anfangs 1876 durch den Tod des Bezirkshauptmanns von Kodolitsch in Wiener Neustadt eine Bezirkshauptmannstelle im niederösterreichischen Status erledigt worden war, konnte ich hoffen, auf diese befördert zu werden. Bald aber vernahm ich, ein älterer Sekretär der Statthalterei, namens Habicher, werde zum Bezirkshauptmann ernannt werden. Ich ging also zu Lasser mit der Bitte, mein Provisorium aufhören zu lassen und, wenn er mich nicht zum Bezirkshauptmann ernennen könne oder wolle, mich wieder als Vizesekretär im Ministerium in Verwendung zu nehmen. Er sah mich sehr groß an und sagte, er könne mich weder zum Bezirkshauptmann befördern, dazu sei ich im Rang zu jung, noch auch von Baden wieder abberufen, wo ich mich bewährt habe und f ü r welchen heißen Boden es, wie ich wisse, schwer sei, den richtigen Mann zu finden. N u n schilderte ich ihm, was noch geschehen müsse, um im Bezirk Baden normale Verhältnisse zu schaffen, und d a ß nur ein wirklicher Bezirkshauptmann die nötige Autorität besitzen könne, um zum Ziel zu gelangen. Er ging nun auf alle Einzelheiten ein, die ich planen müsse, und fällte dann wie ein Richter das Schlußurteil: „Sie bleiben in Baden, ihre Jugend ist ein Fehler, der mit jedem Tage besser wird, ich
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Erich G r a f K i e l m a n s e g g mit s e i n e r G e m a h l i n A n a s t a s i a
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warte die Erledigung noch einer niederösterreichischen Bezirkshauptmannsstelle ab und befördere Sie dann gleichzeitig mit einem der älteren Statthaltereisekretäre." U n d so geschah es auch bald; mein Provisorium in Baden dauerte kaum ein volles Jahr. Lasser zog sich nach seiner Pensionierung nach Salzburg in eine sehr schöne Villa zurück, die er sich angrenzend an den Mirabellgarten dort hatte erbauen lassen, und auf die er stolz war. Ich besuchte ihn dort einmal. Er zeigte sie mir in allen Details. Es hieß nachmals, es seien allerhand Protektionen unterlaufen, damit er den Baugrund vom Mirabellbesitz habe erwerben können. Schließlich noch eine nette Anekdote über ihn, eine wahre Begebenheit. Anläßlich der Feier der Eröffnung der ersten Wiener Gemeindewasserleitung gab der Bürgermeister ein Bankett im Kursalon, zu dem das ganze Ministerium erschien. Namens desselben hatte Lasser die Tischrede zu halten. Er begann diese mit dem Scherzreim, „wenn der Minister Lasser redet über herrlich schönes Wasser, so könne man das nicht als ungereimt bezeichnen". Damen auf der Galerie hatten das wegen des Lärms im Saal nicht ordentlich verstanden und zu hören geglaubt, Lasser hätte gesagt, daß auch er gern Wasser lasse, und hatten nun ihrer Entrüstung über so unanständige Worte bei einem Fest und vor der Öffentlichkeit in lauten Pfui-Rufen Ausdrude gegeben. Lasser hat nur einen Sohn, Oskar mit N a m e n , zurückgelassen. Er war mein Nachfolger als Bezirkshauptmann in Baden u n d lebt jetzt dort in Pension.
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Dr. J O S E F
UNGER
Als ich 1866 die Wiener Universität bezog und mich erkundigte, wer von den Professoren der juridischen Fakultät den anziehendsten Vortrag und den größten Hörerkreis habe, hieß es: Dr. Unger. Ich überzeugte mich sofort von der Richtigkeit der mir gewordenen Auskunft und lernte in Ungers Kolleg meinen nachmaligen Freund und Statthalterkollegen Franz Thun kennen. In etwas nähere Beziehungen zu Unger trat ich erst, als ich Beamter des Ministerratspräsidiums, Herrengasse 7, geworden war, in welchem Palais auch er als „Sprechminister" des Kabinetts Auersperg seine Büros hatte. Auersperg hatte ihn und seinen Professorkollegen Glaser, letzteren als Justizminister, wegen ihrer angesehenen Stellung in den liberalen Gelehrtenkreisen Wiens, als deren Organ die „Neue Freie Presse" galt, aufgenommen. Dem Ministerratspräsidium gehörte als eigene Abteilung die Preßleitung an, an deren Spitze der Ministerialrat Ritter von Erb, nachmals Freiherr und Sektionschef im Ministerium des Innern, stand. Aber ganz unabhängig von dieser Preßleitung und neben dieser hatte Unger die Aufgabe, die Politik des Ministeriums durch Artikel in der in- und ausländischen Presse zu unterstützen. Zur Hilfe bei seiner schriftstellerischen Tätigkeit waren zwei Journalisten gegen fixes Jahresgehalt vertragsmäßig aufgenommen und ihm zur Dienstleistung in seinem Büro zugeteilt worden. Es waren dies die Herren Freiberg und Dr. Heinrich Blumenstock. Bald nun hatte es geheißen, das Ansehen des Ministers erfordere, daß die ihm Zugeteilten einen Beamtenrang einnähmen, und so war ihnen denn der Titel Ministerialsekretär verliehen worden. Das genügte den strebsamen Herren aber nicht, sie wollten durchaus wirkliche Staatsbeamte werden und in den Status der Beamten des Ministerratspräsidiums eingereiht sein. Dem leistete aber Auersperg anfangs energischen Widerstand; er erklärte stets, diese Herren seien einfache Journalisten und könnten und sollten aus dieser Sphäre nicht heraustreten. Aber endlich hatte ihn Unger doch dazu gebracht, seine Mi-
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nisterialsekretäre zu wirklichen Beamten des Ministeriums zu machen. Beide machten dann unter Taaffe große Karriere und führten für viele Jahre im Ministerratspräsidium ein gewisses Strebertum unter den höheren Beamten ein, welches sich in mehr oder weniger eigenmächtigen Machenschaften dieser mit Parlamentariern geltend machte. In Sieghart erreichte es seinen Höhepunkt. Freiberg fing nach Auerspergs Demission an, unter Taaffe eine große Rolle im Ministerratspräsidium zu spielen; er wurde nach Erbs Abgang Preßleiter und, irre ich nicht, sogar Vorstand des Präsidialbüros. Unter Windisch-Grätz und dessen Koalitionsministerium beurlaubt, das heißt kaltgestellt, gab es unter Thun einen großen Krach mit ihm; es hieß, wegen des Dispositionsfonds; er wurde gegangen und die Sache vertuscht. Nach ihm war dann ein gewisser Karminski, früher Karmelin mit Namen, der Macher neben Thun. Auf Blumenstock, der unter Taaffe H o f r a t und Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses wurde und den Ritterstand mit dem Namen Halban erhielt, komme ich bei meinem Porträt Taaffes, zu dem er als Staffage gehört, noch zurück. Hier nur soviel, daß er zu Ungers Zeiten in allen ministeriellen Kreisen stets nur der „Blumenstock" geheißen wurde. Der Sprechminister Unger hat nicht gerade oft im Parlament gesprochen, wenn er aber dazu kam, mit guter Wirkung. Die journalistische Seite seiner Tätigkeit war die bedeutendere. Als 1881 das merkwürdige Reichsgericht ins Leben trat, welches sich nur viermal im Jahr versammelt, um behördliche Kompetenzkonflikte durch Urteil zu entscheiden oder um, von Staatsbürgern angerufen, auszusprechen, ob durch eine behördliche Verfügung verfassungsmäßig gewährleistete Rechte derselben verletzt seien (was übrigens auch im Bejahungsfall dann gar keine weitere Konsequenz hat), wurde Unger zu dessen Präsidenten ernannt. Er war nun einer der ranghöchsten Chefs einer Zentralstelle und hatte eigentlich eine Sinekure inne, die er durch viele Jahre bis zu seinem Tode genoß. Als Präsident heiratete er auch noch, und zwar eine Baronin Schey von Koromla, Tochter des aus Güns in Ungarn stammenden, zu großem Vermögen gelangten Bankiers Friedrich Schey. Als Präsidentin war diese nun hoffähig und konnte bei Hoffesten, wo sie regelmäßig erschien, auf ihrem schöngewachsenen Körper den reichsten Juwelenschmuck zur Schau stellen. Sie war übrigens eine recht liebenswürdige Frau und stand an angenehmer Konversation ihrem direkt geistreichen Gatten kaum nach. 14*
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Dieser war durch Witzworte berühmt, die oft in der politischen Welt die Runde machten. So sagte er unter anderem einst, als Taaffes Finanzminister Dunajewski mit seiner sehr mageren und stark dekolletierten Gattin auf einem H o f b a l l erschien, sie stelle das unbedeckte Defizit dar, und später von Plener, dem Führer der liberalen Partei, als dieser eben als Finanzminister des Koalitionsministeriums gestürzt war, „nun habe er die schöne Zukunft hinter sich". Als ich 1886—1888 Ministerialrat im Ministerium des Innern war, w o die Vereinsangelegenheiten zu meinem Referat gehörten, hatte ich wiederholt behördliche Verfügungen, namentlich der Prager Statthalterei gegen die Jungczechen, vor dem Reichsgericht zu vertreten. Diese meine Plädoyers machten mir ebensoviel Freude wie dem regelmäßig das Präsidium des versammelten Richterkollegs führenden Unger. Er begrüßte in mir den alten Bekannten und nickte zu meiner Aufmunterung während meiner Rede gern und auffällig mit dem Kopf. Als ich Statthalter w a r , konnte ich nicht mehr gut vor dem Reichsgericht plädieren, aber meine Räte, die dies taten, behaupteten, wir behielten fast immer Recht, sooft Unger selbst präsidiere, so groß sei sein Einfluß auf die übrigen Richter; sehr fraglich sei dies aber unter dem Vorsitz seines Stellvertreters D r . von Grabmayr.
GRAF E D U A R D
TAAFFE
Im Salon der Fürstin Lori Schwarzenberg lernte ich Taaffe und seine lebenslustige Gattin Irma, geborene Gräfin Csaky, in den 1870er Jahren kennen. Er war damals Statthalter in Tirol, kam aber bisweilen nach Wien, um das Terrain zu sondieren. Es hieß, so oft Herbst dem Ministerium Auersperg das Leben sauer mache, sei Taaffe in Wien zu sehen, denn er bereite sich darauf vor, im gegebenen Moment das Erbe dieses Ministeriums anzutreten. Dieses Vorbereitungsstadium dauerte allerdings einige Jahre. Erst anfangs 1879 kam der ersehnte Moment, daß der Kaiser seinen Jugendgespielen Edi mit der Aufgabe betraute, ein neues Kabinett und eine neue Majorität im Abgeordnetenhaus zu schaffen, die die geplante Okkupation Bosniens und der Herzegowina gutheißen und die materiellen Anforderungen dafür bewilligen sollte. Es war für Taaffe keine ganz leichte Aufgabe, an Stelle der vom Kaiser abgedankten Deutschliberalen eine ganz neue Regierung und Parteibildung zu schaffen. Wie das endlich geschah, ist bekannt und soll hier nicht von mir geschildert werden, der ich, damals Bezirkshauptmann in Baden, nur so viel Intimes davon erfuhr, als mir Auersperg bei seinen Besuchen mitteilte. Er war natürlich nicht gut auf Taaffe zu sprechen, den er für einen leichtfertigen Politiker hielt, der es obendrein mit der Wahrheit nicht genau nehme. Dennoch riet er mir, ehestens mit Taaffe, der gewiß als Vertrauensmann des Kaisers sehr lange am Ruder bleiben werde, im Interesse meiner Staatskarriere Fühlung zu suchen. Auersperg setzte mir damals auseinander, wie genau Taaffe den Charakter des Kaisers kenne und daß er als ehemaliger Jugendgespiele viel freier mit diesem sprechen und verkehren könne als irgendein anderer. Er werde verstehen, dem Herrsdier die unangenehmsten Dinge zu verschweigen und die nur unangenehmen in einer solchen Form beizubringen, daß für ihn und seine Regierung keine unangenehmen Folgen daraus erwachsen. Ich habe mich später, als ich von Taaffe in das Ministerium des Innern berufen worden war, fast täglich an Auerspergs so richtige Vorhersagungen erinnern müssen, und ich betone hier neuerdings, daß
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seine staatsmännischen Eigenschaften stets unterschätzt worden sind. Das wäre nicht der Fall gewesen, hätte er über eine größere Rednergabe und leichtere Zungenfertigkeit verfügt, hätte er einen fleißigeren Minister des Innern an seiner Seite gehabt und hätte endlich die liberale Partei nicht die Dummheit begangen, sidi in Widerstand gegen die bosnische Politik des Kaisers und Andrassys zu setzen. Ich meine noch heute, daß die deutschliberale Partei, in Adolf Auerspergs Sinne geführt, Österreich lange hätte erhalten werden können, und daß dann die zentrifugalen Tendenzen ausgeblieben wären, die uns schließlich ganz nahe an den Zerfall brachten, uns, die der Weltkrieg erst wieder etwas zusammenkittete. Also, Taaffe schmiedete den sogenannten eisernen Ring um den Preis, daß die Czechen nur mit einer Rechtsverwahrung in den Reichsrat eintraten und daß die Polen in Galizien machen konnten, was sie wollten. Ich überlasse es berufeneren Federn zu schildern, wie unsere innere Politik allmählich immer zerfahrener wurde, sich ausschließlich nur um den deutsch-czechischen Sprachenstreit bewegte und so alle Fragen der Staatsverwaltung mehr und mehr in den Hintergrund traten. Ich will nur ein Bildnis Taaffes geben, und dieses kann nur ähnlich werden, wenn ich meine persönlichen Beziehungen zu ihm, bei denen ich ihn zu beobachten reichlich Gelegenheit fand, getreulich zu schildern versuche. Ich befolgte Auerspergs Rat nicht, eine Annäherung an Taaffe zu suchen, dafür war ich dem ersteren viel zu ergeben. Ein Zufall wollte es, und zwar erst 1882, als ich, als mit Titel und Charakter eines Statthaltereirates bekleideter Bezirkshauptmann, den politischen Bezirk Sechshaus leitete, daß ich mit Taaffe zusammentraf und von ihm in ein längeres Gespräch gezogen wurde. Er pflegte als Ministerpräsident öfters sein Gabelfrühstück in dem Frühstücksstüberl „Zu den drei Läufern" einzunehmen, welches dem Ministerratspalais der Herrengasse gegenüber lag. Als ich einstmals nach einer Konferenz in der Statthalterei dort eintrat, fand ich Taaffe ganz allein sitzen; er lud mich ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Wir sprachen längere Zeit, erinnere ich mich recht, ausschließlich über politische Verwaltung im allgemeinen. Kaum 14 Tage später wurde ich schon zu Taaffe beschieden, wo er mich fragte, ob ich nicht als „Stellvertreter des Landespräsidenten" nach Czernowitz gehen wolle; er brauche dort wegen gewisser nationaler Zwistigkeiten einen objektiven deutschen Beamten; es werde
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meiner Berufslaufbahn nur förderlich sein, wenn ich seinem R u f Folge leiste. E r hätte midi sofort, auch ohne meine vorherige Befragung, dorthin ernannt, hätte er nicht gehört, daß meine hochbetagte Mutter bei mir lebe, und es daher nicht sicher sei, ob diese mir in so große Ferne werde folgen wollen. Meine Antwort war die, daß ich einem so ehrenvollen Ruf mit Freuden folgen werde. Was meine Mutter anbelange, so sei ich mit dieser doch nicht „verheiratet", sie werde in Wien bleiben oder sich anderwärts niederlassen, wenn sie mir nicht nach Czernowitz folgen wolle. Nach weiteren 14 Tagen, ich weilte damals zu Besuch bei meinem Oheim Karl Wallmoden in Ischl, lese ich in der Zeitung, ich sei zum Regierungsrat extra statum bei der Landesregierung der Bukowina ernannt worden. Ich fiel beinahe in Ohnmacht. Ich war doch zum Stellvertreter des Landespräsidenten „engagiert" worden und dieser hatte damals regelmäßig den Titel und Charakter eines Hofrates. Und nun einfacher Regierungsrat, und noch dazu extra statum, ich, der ich in Wien Statthaltereirat war, der nächste zu einem Referenten bei der niederösterreichischen Statthalterei. Mit dem nächsten Zug fuhr ich heim und eilte in das Ministerium. Taaffe war gerade nicht anwesend und so erfuhr ich denn von Sektionschef Breisky, dem Vorstand des Präsidialbüros, ich sei keineswegs zum Stellvertreter des Landespräsidenten, vielmehr immer nur zum einfachen Referenten bei der Czernowitzer Landesregierung in Aussicht genommen gewesen und habe diese Berufung ausdrücklich angenommen. »Ah, das ist denn doch zu stark, das muß rückgängig gemacht werden!" war mein Ausruf. Ich erinnerte mich auch sofort an das, was mir Auersperg über die Wahrheitsliebe Taaffes gesagt hatte. Breisky suchte mich nun zu beruhigen: das Mißverständnis werde Taaffe äußerst unangenehm sein, er habe gewiß in gutem Glauben gehandelt, wenn er mir die Stellvertretung versprochen habe, leider kenne er sich in den Statusverhältnissen bei den Behörden nicht aus; ich möge Taaffe, der meine Ernennung beim Kaiser beantragt habe, nur ja keine Verlegenheiten bereiten und ruhig meinen Posten antreten, mein Schaden werde es nicht sein, wenn Taaffe ein an mir begangenes Unrecht einmal wieder gutzumachen habe. Eine ähnliche, etwas abgeschwächte Redensart führte Taaffe selbst, als ich mich bei ihm abmeldete, um die Reise ins Exil, wie ich es nannte, anzutreten. So lernte ich Taaffe als leichtfertigen Beamten kennen, und daß er ein leichtfertiger Politiker sei, hat er doch im offenen Parlament von sich selbst erklärt, als er aussprach: „er wurstle fort".
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Daß ich vier Jahre nach meiner Versetzung nach Czernowitz als Ministerialrat und Referent zu Taaffe in das Ministerium des Innern kam, hatte ich auch nur einem Zufall zu verdanken. In der Bukowina gab es Grenzstreitigkeiten zwischen Österreich, Rumänien und Ungarn. Zu deren Schlichtung trat eine internationale Kommission zusammen; ich war in dieser der Vertreter Österreichs und es war mir der Generalstabsoberst von Fabini aus Prag zugeteilt. Wir reisten wochenlang an den Grenzen herum, tagten dann in Czernowitz und einigten uns über kleine Differenzen, aber größere blieben strittig und sollten im Korrespondenzwege von Regierung zu Regierung gelöst werden. Der Landespräsident in Czernowitz, Baron Alesani, ein gebürtiger Dalmatiner, war ganz in den Händen der rumänischen Bojaren der Bukowina, das gab Differenzen mit mir, und ich suchte nach Beendigung der Arbeit der Grenzkommission 1885 um meine Abberufung aus Czernowitz an. Mein Gesuch war noch nicht erledigt, als die Stelle des Stellvertreters des Landespräsidenten in Klagenfurt frei wurde. Taaffe ließ mich nach Wien kommen und bot mir diese in liebenswürdigster Weise an, sei ich doch vor drei Jahren aufgesessen. N u n erhielt ich den Titel und Charakter eines Hofrates und übersiedelte sofort in das schöne Land Kärnten. Kaum dort unter meinem neuen sehr verehrten Landeschef Baron Schmidt-Zabierow warm geworden, erhielt ich noch vor Ende desselben Jahres die Weisung, nach Wien zu kommen, midi dem Ministerium des Äußern zur Verfügung zu stellen und in diesem als Mitglied einer großen internationalen Kommission zur endlichen Regelung der österreichisch-ungarischen und rumänischen Grenzfragen zu fungieren. Anfangs hatte es geheißen, die Arbeiten dieser Kommission würden in längstens drei Wochen beendigt sein, aber sie wurden häufig unterbrochen. Die rumänischen Vertreter reisten alle Augenblicke nach Bukarest, um sich von dort neue Instruktionen zu holen, und auch wir waren mit den Ungarn nicht über alle Punkte einig. So zogen sich denn unsere Kommissionsverhandlungen monatelang hin. Mein Landespräsident wurde ungeduldig, sandte Berichte an Taaffe, er möge mich nach Klagenfurt heimsenden oder der Landesregierung einen Aushilfsreferenten zur Verfügung stellen. Dies sollte eben geschehen, als eine Ministerialratsstelle im Ministerium des Innern zur Erledigung kam. D a ein Ende der Grenzverhandlungen noch immer nicht abzusehen war, befragte mich Taaffe, ob ich nicht als Mitglied der genannten Kommission fungieren, gleichzeitig aber auch ein Referat in seinem Ministerium übernehmen könne. Das mußte ich an-
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nehmen, obwohl ich unter den mir zusagenden Verhältnissen in Klagenf u r t gern bei der dortigen Landesregierung geblieben wäre. So brachte es der Zufall mit sich, daß ich als Ministerialrat Taaffes Referent für Polizeisachen wurde, die politischen Vereine und alle geheimen staatspolizeilichen Sachen inbegriffen. Der mit den Altczechen vereinbarte böhmische Ausgleich war eben an dem Widerstand der Jungczechen gescheitert, die Partei der letzteren im Aufstieg und daran, sich höchst geschickt über das ganze czechische Sprachgebiet zu organisieren. Was wunder, wenn ich Taaffe fast täglich zu berichten und Weisungen von ihm entgegenzunehmen hatte. Zunächst eine Schilderung der Äußerlichkeiten. W a r der Reichsrat nicht versammelt, berief mich Taaffe in sein Büro oder sein Empfangszimmer vor diesem; daran war nichts Besonderes. W a r aber der Reichsrat versammelt, und das war zu jener Zeit im größten Teil des Jahres der Fall, so brachte Taaffe fast den ganzen Tag im Parlamentsgebäude zu. Dann wünschte er vor dem Verlassen seiner Wohnung über alles Eingelangte und politisch Wichtige informiert zu sein. Man mußte, ohne eine Berufung seinerseits abzuwarten, zwischen 9 und 10 Uhr in seinem Schlaf- und Ankleidezimmer erscheinen. In seinem Bett hatte er, von halb 8 U h r an, bereits gefrühstückt und die (angestrichenen) Zeitungen gelesen und stand nun, stets mit einer weiten, gestreiften Flanellhose und einem roten Garibaldihemd angetan, das ganze Gesicht voll weißer Fettschminke, vor seinem Toilettespiegel, meist damit beschäftigt, sich K o p f - und Barthaare schön schwarz zu färben oder, falls dies bereits gelungen war, die Fettschminke fester ein- und dann abzureiben, damit seine sonst gerötete Nase eine natürlichere Färbung annehme. Die Rötung seiner Nase und seines Gesichts war ein Naturfehler, u n d dennoch hieß es damals in ganz Wien, Taaffe sei ein Trinker, man sehe es seinem Gesichte an. Man erzählte sogar allen Ernstes, bei den Ministerratssitzungen unter seinem Vorsitz stünden Weinflaschen auf dem Tisch und es werde fest getrunken. Nichts ist weniger wahr als dieses. Taaffe war stets ein sehr schwacher Trinker, ein oder zwei Gläser bei der einzelnen Mahlzeit, das war alles. Er fürchtete sich, d a ß er sonst der Röte seiner Nase gar nicht mehr H e r r werden könnte. Seine Mäßigkeit als Trinker hatte aber auch noch, wie ich erst später aus seiner Umgebung erfuhr, einen sehr ernsten Hintergrund. Er w a r seit vielen Jahren mit einem Darmleiden behaftet. Ängstlich hütete er das Geheimnis dieses Leidens, solange er konnte. Durch den Gebrauch
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der starken Mittel war sein Organismus derart geschwächt, daß er buchstäblich keinen Alkohol vertrug u n d schon nach dem Genuß von wenigen Gläsern Wein den Eindruck machen konnte, als ob er angeheitert sei. Bei diesen Taaffeschen „Levers" erschien gewöhnlich als erster sein Wiener Wirtschaftsrat, so er nämlich wegen der Herrschaft Ellischau etwas zu berichten oder zu fragen hatte; dann kamen der eine oder andere Beamte des Präsidialbüros des Ministerrats und des Ministeriums des Innern und meine Wenigkeit mit jungczechischen oder anderen staatspolizeilichen Angelegenheiten an die Reihe. Wenn die Sache politisch wichtig war und ihn daher interessierte, gab Taaffe einem meist sehr schnell klare und bestimmte Weisungen, ohne sich dabei in seinen Toilettekünsten irgendwie stören zu lassen. War dies aber nicht der Fall, so überließ er einem regelmäßig die Erledigung nach eigenem Gutdünken. Im Parlament wurde er natürlich von den Abgeordneten um allerhand Begünstigungen f ü r diesen und jenen angegangen. Diese Zudringlichen pflegte er mit einem Scherzwort abzutun, und um solche war er, der eher heiteren Temperaments war, nie verlegen. Gab ihm aber ein Volksvertreter einen Wunschzettel oder ein Promemoria, so ließ er es meist in seinem Papierkorb verschwinden. Es kam nur äußerst selten vor, d a ß derlei Schriftstücke bis zu dem Referenten gelangten, und dann sicher mit der Weisung, nur nach Recht und Gerechtigkeit zu entscheiden, den Ministerpräsidenten aber von der getroffenen Entscheidung zu verständigen. Ich m u ß Taaffe vor der Nachwelt das ehrende Zeugnis ausstellen, d a ß er, ganz im Gegensatz zu manchen seiner Ministernachfolger, aller parlamentarischen Korruptions- u n d Protektionswirtschaft durchaus abhold war. Auch in Personalangelegenheiten der Ministerien und der ihm unterstehenden Verwaltungsbehörden war er äußerst gewissenhaft und gerecht und ließ sich in diese von Unberufenen nicht dreinreden. Er beriet Personalangelegenheiten in der Regel in langen Konferenzen mit seinen Sektionschefs; als solcher war ich 1889 dabei. Bei Einberufungen in das Ministerium wurde besonders genau vorgegangen. Junge Beamte, die noch nicht die 9. Rangklasse erreicht hatten, waren nach seinem richtigen System auch in den anderen Ministerien ausgeschlossen. O f t genügte Taaffe nicht einmal die Empfehlung des Landeschefs f ü r einen einzuberufenden Beamten, wir mußten noch besondere Erkundigungen einziehen, ob an dem Betreffenden wirklich eine tüchtige Arbeitskraft für das Ministerium gewonnen werde.
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Über Taafíes Verkehr mit dem Kaiser habe ich schon in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" einiges berichtet. Sein Verkehr mit den Ministerkollegen war ungezwungen und eher gemütlich. Daß er ihr Herr war, wußten alle gut, hatte er doch stets Zutritt beim Kaiser und dessen Gehör und Vertrauen — bis zu Steinbachs Wahlreformprojekt, auf welches ich später zu sprechen kommen werde. So spielten sich denn auch seine Ministerratssitzungen in der gemütlichsten Art und Weise mit zahlreichen von Taaffe eingestreuten Scherzworten ab. Die durchaus ernsten Protokolle für den Kaiser wurden vom Protokollführer regelmäßig erst redigiert. Ich wurde mehrmals von Taaffe in diese Sitzungen mitgenommen, um dort zu referieren. Zwei dieser Referate verdienen Erwähnung. Das eine betraf die fortschreitende jungczediische Organisation und den Reichsratswahlerfolg dieser neuen Partei. Ich schilderte das alles genau an Hand der Akten. Als Taaffe mich noch aufgefordert hatte, einen Bericht des Statthalters Feldmarschalleutnant Baron Kraus, in dem dieser ausgeführt hatte, er zweifle nicht an dem Wahlsieg der Altczechen auf der ganzen Linie, zu verlesen, konnte ich mich empfehlen und die Ministersitzung verlassen. Am nächsten Tage teilte mir Taaffe dann mit, er habe mein Referat als Substrat gebraucht, um nach diesem vom Ministerrat die Abberufung des Statthalters von seinem Posten beschließen zu lassen. Sein Nachfolger wurde bekanntlich Graf Franz Thun. Ein anderes meiner Referate in der Ministerkonferenz zerfiel in mehrere Teile und mutete mich selbst beinahe komisch an. Die Wiener Polizeidirektion hatte beantragt, den Polizeibeamten, die bei Volksaufläufen doch bisweilen vom Leder ziehen müßten, anstatt des Degens einen Säbel tragen zu lassen. Taaffe meinte nun mit Recht, man könne diesen Anlaß benützen, die Uniformvorschrift für die Zivilstaatsbeamten, welche veraltet war und unter anderem die so leicht schmutzende weiße Tuchhose vorschrieb, einer Revision zu unterziehen. Ich möge im Ministerrat über diese Frage referieren. D a s tat ich, es traten allerhand Meinungen und besondere Wünsche hervor. Taaffe ließ nun sofort ein Ministerkomitee wählen, welches die Prinzipien feststellen sollte, nach denen bei der neuen Uniformierungsvorschrift vorzugehen sei. Taaffe bestimmte in dieses Komitee seine, wie er sagte, „elegantesten" Minister Gautsch und Bacquehem, der czechische Landsmannminister Prazak möge in demselben den Vorsitz, ich aber das Referat führen und dann den Entwurf der Verordnung zur Genehmigung durch den gesamten Ministerrat ausarbeiten.
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Als ich Taaffe kurz hienach befragte, wieso er denn Prazak, der doch für Uniformfragen nur wenig Interesse und Verständnis haben könne, zum Vorsitzenden dieses Komitees bestimmt habe, meinte er treuherzig, „damit er endlich einmal etwas zu tun bekommt". Dieser Ausspruch ist dahin zu interpretieren, daß Taaffe es immer geflissentlich vermieden hatte, diesem Minister für die Czechen, obwohl er ein Büro und einen ihm zugeteilten Konzeptsbeamten hatte, irgendeinen bestimmten Wirkungskreis einzuräumen. Er selbst hatte es sich vorbehalten, demselben einzelne, Böhmen betreffende Aktenerledigungen vor ihrer Expedition zur Einsicht zukommen zu lassen. Das tat er immer eigenhändig, indem er auf den Akt schrieb: „Dem Herrn Minister D r . Prazak zur gef. Einsicht ante expeditionem." Ich überzeugte mich dann davon, daß der, übrigens sehr harmlose, Herr eigentlich nie Wichtiges zu sehen bekam. Das war so echt Taaffesche Art, die Czechen sollten wohl im Reichsrat für die Regierung und die Staatsnotwendigkeiten stimmen, aber ja keine Anhaltspunkte bekommen, die ihnen Anlaß, Schwierigkeiten zu machen, geben könnten. Doch zurück zur Uniformierung: Eine Reihe von Sitzungen des besagten Komitees, Anfertigung des vorzuschlagenden neuen Dienstrockes und der grauen Hose, dann des Musters eines Säbels samt Portepee und der Achselstücke sowie ein neues Referat meinerseits im Ministerrat über den Verordnungsentwurf folgten. In letzterem kam, wie ich gleich bemerken muß, vor, daß Konzeptsbeamte gelbe Knöpfe und goldene Schnüre usw., Kanzleibeamte aber weiße Knöpfe und silberne Borten zu tragen hätten. Über diese Bestimmung fiel der Finanzminister Dunajewski sofort her, er wisse in seinem Ressort nicht, wo der Konzeptsbeamte aufhöre und der Kanzleibeamte anfange. Ich wollte das eben klarstellen und ausführen, daß zum Konzept alle Beamten mit akademischer Vorbildung gehörten, und der Rest zu den Kanzleibeamten zu zählen sei und nur silberne Distinktionen zu tragen habe, als Taaffe mir in das Wort fiel und sagte: „Lassen wir das, mögen sie nur alle Gold tragen." Kein Widerspruch, auch nicht aus der Mitte der Komiteeminister! Und doch wußten diese genau, daß es ein sehnlicher und aus Standesrücksichten leicht begreiflicher und berechtigter Wunsch der Konzeptsbeamten aller Dienstzweige sei, äußerlich von den zumeist aus dem Unteroffiziersstand oder aus den ungebildeten Diurnisten hervorgegangenen Kanzleibeamten unterschieden zu sein. Dann kamen Rock und Hose an die Reihe. Das Muster der letzteren war aus dunkelgrauem Tuch hergestellt, welches im Vorsdirifts-
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entwurf als „russischgrau" bezeichnet war. Darüber fiel nun der Ackerbauminister Graf Falckenhayn her, der einstmals Rittmeister gewesen war. Russischgrau sei zur Zeit seines Dienstes bei der Kavallerie ein Grau hellen Tones genannt worden. Hellgraue Hosen seien auch von gefälligerem Ansehen. Ich wollte eben klarstellen, in der Tuchhandlung bezeichne man jetzt mit russischgrau die dunkle Farbenmischung, diese sei praktischer und zeige nicht so leicht Flecken, als Taaffe mir in das Wort fiel und sagte: „Lassen wir das, schreiben wir ein helleres Grau vor, wie Falckenhayn als Rittmeister es zu tragen gewohnt war." Wieder nur allgemeines Kopfnicken. D a n n sollte über das Portepee beraten werden. Es lag nur ein ganz unvollkommenes Muster vor, eine Quaste aus gelbseidenen und Goldfäden gemischt, und eben wollte ich ausführen, wie dieses Portepee, ordentlich hergestellt, gefällig aussehen würde, als Taaffe mir in das Wort fiel und sagte: „Lassen wir das, wozu brauchen denn Beamte überhaupt eine solche Quaste oder Portepee." U n d wiederum kein Widerspruch aus der Mitte der Komiteeminister. Damit war denn meine, so ganz nach den von mir ergründeten Wünschen der großen Mehrzahl der Staatsbeamten ausgearbeitete Verordnung gründlichst verhunzt. Ich war arg verstimmt, weil ich mir sagen mußte, daß die neue Uniformierungsvorschrift bei ihrem Erscheinen von der Beamtenschaft keineswegs freudig werde begrüßt werden. Als ich mich dann bei Gautsch und Bacquehem erkundigte, wie es dazu gekommen sei, daß die Sache im Ministerrat diesen so wenig erfreulichen Verlauf genommen habe, mußte ich zu meinem größten Erstaunen erfahren, daß es Taaffes Prinzip sei, es im Ministerrat niemals zu eigentlichen Debatten und noch weniger zu förmlichen Abstimmungen kommen zu lassen. Aus den doch an den Kaiser gelangenden Ministerratsprotokollen sollte stets die größte Einigkeit des Ministeriums hervorleuchten. Das erreichte Taaffe damit, daß er nach kurzer Erörterung des Gegenstandes und, nachdem er den dabei geäußerten Wünschen einzelner Minister in untergeordneten Dingen sofort beipflichtete, etwas enunziere, was dann, ohne es eigentlich zu sein, als einhelliger Beschluß angesehen werden müsse. Bei dem großen Rückhalt, den er bei der Krone habe, komme es auch kaum je einem Minister in den Sinn, gegen diese Enunziationen des Ministerpräsidenten Einwendungen zu erheben. Das also war das Geheimnis Taaffescher Regierungskunst: etwaigen Schwierigkeiten möglichst aus dem Wege zu gehen oder leicht über sie hinwegzubalancieren.
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Seine Leitung des Ministeriums des Innern erfolgte nach ähnlichen Grundsätzen. Um die eigentlichen Verwaltungsaufgaben dieses Ministeriums, zu denen die Personal-, Auszeichnungs-, Wahl- und sonstigen rein politischen Angelegenheiten nicht gezählt werden dürfen, kümmerte er sich nur wenig. Es lag aber auch im Herkommen dieses Ministeriums selbst und des in ihm fortlebenden Lasserschen Geistes, möglichst wenig zu verwalten, sich vielmehr auf die Entscheidungstätigkeit der Dritten Instanz in Rekursfällen zu beschränken. Dieses Prinzip des Ministeriums war in dessen erstem Sektionschef Breisky verkörpert, der unter Taaffe als Vorstand des Präsidialbüros auf diese hohe Rangstufe vorgerückt war, nachdem er schon Lassers Kollege im Präsidialbüro Schmerlings und dann dessen Präsidialist bei seinen zwei Ministerschaften gewesen war. Dieser verknöcherte Bürokrat saß buchstäblich seit beinahe dreißig Jahren in einem und demselben kleinen Bürozimmer, dessen Fenster in den H o f des Ministeriums sahen. Er hatte jeden Begriff davon verloren, wie es auf der Straße zugehe, geschweige denn im Leben des Volkes und in der Welt. „ Q u o d non est in actis, non est in mundo" war sein erster, und „quieta non movere" sein anderer Grundsatz, und Taaffe, der Schwierigkeiten doch gern aus dem Weg ging, in diese einzuspinnen, hatte er als erster Sektionschef leicht vermocht. Einen ungeheuren Aufwand an Arbeit und Zeit erforderte die judizierende Tätigkeit. Wöchentlich ein oder zwei ganze Tage dauerten die Sitzungen aller Ministerialräte juristischer Vorbildung, um Rekursentscheidungen zu fällen. Des langen und breiten hatten die einzelnen Referenten den Sachverhalt vorzutragen und dann ihr Votum zu begründen, letzteres stets unter Darlegung der „Präjudikate", das heißt der Entscheidungen des Ministeriums in früheren ähnlichen Fällen. Auf diese Präjudikate wurde damals im Ministerium der allergrößte Wert gelegt. Die Registraturbeamten waren eigentlich nur darauf gedrillt und geschult, die Präjudikate in schöne Sammlungen geordnet in Evidenz zu haben, damit jedem Konzeptsbeamten sofort mit einem solchen „Simile" oder „Schimmel" gedient werden könne. Daß die allgemeine Übersichtlichkeit der Aktenbestände ganzer Verhandlungskomplexe damit völlig aufgehört hatte, galt als minderer Übelstand. Diese ganze, schöne judizierende Tätigkeit des Ministeriums war aber, um mich eines trivialen Ausdruckes zu bedienen, längst für die Katz', seit nämlich der Verwaltungsgerichtshof in Funktion getreten war und sich bei seinen Entscheidungen einen Pfifferling um solche des Ministeriums sowie dessen Präjudikate kümmerte.
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In diesen ministeriellen Gremialsitzungen führte Sektionschef Ritter, dann Freiherr, von Erb den Vorsitz. Er war der einzige im Ministerium, der in den ihm unterstehenden Abteilungen, insbesondere f ü r Sanitäts- und Veterinärwesen, eine anerkennenswerte verwaltende Tätigkeit entfaltete. I h m war nicht entgangen, daß im Judizieren des Guten zuviel geschehe, und zwar auf Kosten anderer, viel wichtigerer Aufgaben des Ministeriums. Wir sprachen öfters davon, aber gegen Breisky war nicht so leicht aufzukommen, und dann war diese Art der Amtierung doch auch dem Minister die bequemste. Die Entscheidungen gingen nie in seinem N a m e n hinaus. Das sogenannte Ich-Normale des Ministers Giskra, in dem angeordnet worden war, daß jeder Amtschef persönlich f ü r seine Anordnungen und Entscheidungen verantwortlich sei und diese mit der Fertigung „Der Minister" hinauszugeben habe, war längst in Vergessenheit geraten oder stillschweigend aufgegeben worden. Es hieß nun und heißt auch jetzt noch immer: „Das Ministerium entscheidet usw.", und das ist viel angenehmer und bequemer f ü r den betreifenden Amtschef. Kann er sich doch stets darauf berufen, nicht er, sondern sein Gremium oder auch sein Referent habe so und so entschieden. Das „Quieta non movere" oder auch Beharrungsvermögen hat f ü r unsere Ministerien aber auch noch manches Gute — und wird deshalb im Geiste Schmerling-Lasser-Taaffe-Breisky, also beinahe schon als historisch überkommen, gepflegt und sorgfältig erhalten —, weil man doch bei einer verwaltenden Tätigkeit nie weiß, was herauskommt. Unangenehme Erörterungen in der Öffentlichkeit oder gar im Parlament, Kritiken in der Presse sind gar leicht die Folge ministerieller Anordnungen auf dem Verwaltungsgebiete. Vermeidet man aber solche systematisch und beschränkt man sie auf unumgänglich notwendige Fälle, wie sie leider der Weltkrieg f ü r unsere bedauernswerten Ministerien, die doch auf so etwas nicht eingerichtet sind, mit sich brachte, so bietet man weit weniger Angriffsflächen. Ein bischen allgemeine Schimpferei über ministerielle Untätigkeit ist viel leichter zu ertragen als die Kritik einzelner Maßnahmen, besonders wenn sie verfehlt oder verspätet ergriffen wurden. Einen anderen Hemmschuh für eine ordentliche verwaltende Tätigkeit des Ministeriums des Innern bildeten die von Taaffe über Verlangen seiner politischen Freunde, der Polen und Czechen, eingeführten sogenannten Landesdepartements. N u r f ü r einige wenige Agenden, wie Bauwesen, Sanitäts- und Veterinärpflege, dann Versicherungs- und Vereinswesen, blieben Fachdepartements bestehen. Alles andere wurde
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in Landesdepartements zersplittert; nicht jedes L a n d erhielt sein eigenes Departement, vielmehr wurden die Agenden von Ländergruppen mit Konnationalen in diesen Abteilungen vereinigt. Jede verwaltende Tätigkeit für den Gesamtstaat w a r nun förmlich unmöglich gemacht, wohl aber den Provinzialen im Parlament willkommene Gelegenheit geboten, zu verlangen, daß ihre Leute zur Arbeit in diesem oder jenem Landesdepartement in das Ministerium einberufen werden mögen. Derlei Protektionen leistete T a a f f e insofern noch Widerstand, als er wirklich nur tüchtige Beamte aus den Länderstellen einberufen ließ. Aber unter seinen schwächeren Nachfolgern, die ich noch porträtieren werde, hing es beinahe nur noch von Abgeordneten ab, zu bestimmen, wer einberufen werden sollte. H a t t e das Ministerium Auersperg noch im Geiste des unter Beust geschaffenen Dualismus regiert, welcher doch vorsah, daß in U n g a r n die Magyaren und in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern, jetzt endlich, G o t t sei D a n k , wieder Österreich, die Deutschen, die Hegemonie führen sollten, so war letzteres unter T a a f f e schon so ziemlich unmöglich geworden, denn in seinem eisernen Ring führten die Czechen, damals allerdings noch die gemäßigten Altczechen, und die Polen das große Wort. A u f sie und ihre Landessonderwünsche mußte stets besonders Rücksicht genommen werden. Alle Geschäftsstücke, in denen solche zutage traten, mußte jeder Referent mit Blaustift mit einem großen M bezeichnen, damit sie dem Ministerpräsidenten selbst zur Erteilung von Weisungen oder zur A p p r o b a t i o n des Erledigungsentwurfes vorgelegt werden konnten. Auch mit Auszeichnungen zur Warmhaltung der Parteien und ihrer Führer w u r d e fleißig gearbeitet, aber nie wie später zur Spickung des Dispositionsfonds. Im Gegenteil, T a a f f e ließ es nie so weit kommen, d a ß dieser oder jener mit einem Auszeichnungswunsch an ihn herantrat. E r hatte in derlei Dingen ein äußerst feines Wahrnehmungsvermögen. Sobald er an dem Benehmen eines hervorragenden Politikers merkte, daß dieser Auszeichnungsschmerzen habe, ergriff er die Initiative und verpflichtete sich den Mann dann doppelt. Eines Tages hatte er wahrgenommen oder vernommen, daß J o h a n n Ritter von Chlumecky gar gern in den Freiherrenstand erhoben werden wollte; sofort mußte in größter Eile der betreffende A n t r a g an den Kaiser ausgearbeitet und unterbreitet werden. T a a f f e sagte mir d a m a l s : „ D e m muß ich eine freudige Überraschung bereiten, dann wird er in seiner Opposition gegen mich sofort viel gemäßigter werden." U n d so w a r es dann auch.
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Zur verwaltenden Tätigkeit des Ministeriums ist nun noch zu sagen, daß sozialpolitische Forderungen eigentlich zuerst unter Taaffe an die Regierung herantraten. Es wurden unter anderem das Gesetz, betreffend die Einführung von Gewerbeinspektoren im Handelsressort, und dann im Ministerium des Innern die Gesetze, betreffend die Kranken- und Unfallversicherung der Arbeiter, geschaffen. Die letzteren aber hatte, da im Ministerium des Innern kein einziger hiezu geeigneter sozialpolitisch veranlagter Referent vorhanden war, der Ministerialrat, seit 1886 Sektionschef, Dr. Steinbach des Justizministeriums, nachmals als Nachfolger Dunajewskis Finanzminister unter Taaffe, ausgearbeitet. Wegen der zur Durchführung dieser Gesetze notwendigen versicherungstechnischen Berechnungen w a r ein Fachmann aus dem Eisenbahndienst, Dr. Kaan, als Ministerialrat im Ministerium des Innern angestellt worden. N u n aber handelte es sich auch darum, diese Durchführung durch Schaffung der Zweckverbände, wie Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten, Bezirkskrankenkassen, Abgrenzung der letzteren in ihrem territorialen U m f a n g und in ihrer Kompetenz von den bereits bestehenden Arbeiterkrankenkassen sowie durch Anweisung der politischen Unterbehörden in das Werk zu setzen. Das konnte wohl nur Aufgabe eines erfahrenen Verwaltungsbeamten sein, nicht aber die eines Justizbeamten wie Steinbach oder eines Versicherungstechnikers wie Kaan. Mit der eben gekennzeichneten, ich darf sagen, recht mühevollen Aufgabe betraute mich nun Taaffe. Damit ich sie erfüllen könne, mußten die Abteilungen f ü r Versicherungstechnik, aber auch f ü r das Vereinswesen im allgemeinen und die Versicherungsvereine im besonderen mir unterstellt werden. Ich erhielt nun den Titel und Charakter eines Sektionschefs und mußte die unmittelbare Leitung meines bisherigen Polizeidepartements beibehalten. Ich hatte im Sommer 1889 keinen Tag Urlaub, so angestrengt w a r mein Dienst. Taaffe anerkannte das und hatte oft freundliche Worte f ü r mich. Eines Tages beim „Lever" sagte er mir plötzlich, er wisse zwar, d a ß ich viel beschäftigt sei, doch möge ich mir Einblick in die Geschäfte des Departements f ü r Niederösterreich verschaffen. Dieses aber unterstand mir nicht. Ich fragte, weshalb und wie ich das anstellen sollte, worauf Taaffe erwiderte, er vernehme, daß der Statthalter in Niederösterreich, Baron Possinger, sich mit Pensionsabsichten trage, und es könne seine Nachfolgerschaft f ü r mich in Frage kommen. Deshalb sei der Einblick in die niederösterreichischen Agenden f ü r mich notwendig, diesen möge ich mir verschaffen wie ich wolle. Ich hatte 15
Goldinger, Kaiserhaus
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mir bis dahin nicht träumen lassen, daß ich für diesen Posten ausersehen sein könnte, zumal mich Taaffe wirklich brauchte, mir alle möglichen Arbeiten anhängte und in Personalfragen nichts mehr, ohne mich befragt zu haben, tat. Die zur Tat gewordene Arbeiter-Kranken- und Unfallsversicherungspflicht gab zu zahllosen Entscheidungen der politischen Behörden und Rekursen an das Ministerium Anlaß. Auch hier blieb es bei dem System, über die letzteren in Gremialsitzungen zu beraten und zu entscheiden, wobei den Vorsitz zu führen mir übertragen war. So verging ein Teil des Sommers, bis mir Taaffe mitteilte, Possinger gehe sicher gegen Ende des Jahres in Pension, und der Kaiser sei damit einverstanden, daß ich sein Nachfolger werde, alles dieses müsse aber natürlich noch strenges Geheimnis bleiben. Possinger hatte aber kein Hehl daraus gemacht, daß er sich mit erreichten 40 Dienstjahren in den Ruhestand zurückziehen wolle, und nun erschienen einige Kandidaten für diesen Posten bei mir (!) mit der Bitte, sie Taaffe für denselben anzuempfehlen. Eher als man es vermutete, überreichte Possinger sein Pensionsgesuch, indem er sich gleichzeitig krank meldete und die Leitung der Statthalterei niederlegte. Nun mußte ich, von heute auf morgen ernannt, beeidigt und im Ministerium des Innern ersetzt werden. Mein Abschied von Taaffe gestaltete sich beinahe rührend, bei dem ich erst recht erkannte, daß er im Grunde des Herzens ein guter und aufrichtiger Mensch sei. Zunächst trug er mir mit einer gewissen Feierlichkeit das „Du" an, er lege Wert darauf, mit den Landeschefs auf dem vertrauten Dufuße zu stehen und von ihnen als ihr aufrichtiger Freund betrachtet zu werden. Einige seiner damals an mich gerichteten Worte gebe ich genau wieder: „Du mußt anerkennen, daß ich kein Egoist bin, sonst hätte ich dich als Sektionschef bei mir im Ministerium behalten. Eine Sache, in der nur du genau bewandert bist, mußt du mir von deinem neuen Posten aus noch fertigstellen, sobald du die Zeit dazu findest, das ist die Durchführungsvorschrift für unsere neue Uniformierungsverordnung." Das letztere konnte ich Taaffe mit den Worten leicht versprechen, daß Ministerialsekretär Baron Pretis, der an der Sache mitgearbeitet habe, über meine und des Ministeriums Intentionen genau informiert sei; man möge mir seine weiteren Ausarbeitungen nur zur Durchsicht senden. So trat ich denn mein neues Amt an und war hier wochenlang, da gerade auch der Landtag versammelt war, buchstäblich täglich bis in die späten Nachtstunden beschäftigt. Wer aber beschreibt nun mein
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Erstaunen, als mir die das Uniformtragen der politischen Beamten regelnde ministerielle Vorschrift als bereits erlassen zukommt, in der in sehr vielen Punkten gerade das Gegenteil von dem angeordnet war, was meine Wenigkeit, das Ministerkomitee und der Ministerrat im Auge gehabt hatten. Diese wollten das Tragen der Uniform im Dienst bei den Beamten aller Instanzen zur Regel gemacht wissen, um Standesbewußtsein und Staatsautorität damit zu heben. Das Uniformtragen auch außer Dienst, wenigstens bei allen festlichen Anlässen, sollte aus denselben Gründen, aber auch aus ökonomischen begünstigt werden, damit der doch zumeist auf seine Gehaltsbezüge angewiesene Beamte dessen enthoben sei, Zivil-Festkleider (Frack, Gehrock, Zylinderhut und dergleichen) zu besitzen und in gutem Stande zu erhalten. Taaffes ohne mich fertiggestellter Durchführungserlaß enthielt von allen diesen Gesichtspunkten kein Wort und beschränkte sogar das Uniformtragen im Dienst ausdrücklich auf die Beamten der unteren Instanzen und deren eigentlichen exekutiven Dienst. H a t t e die Uniformierungsvorschrift selbst wegen ihrer früher bereits erwähnten Mängel, insbesondere dem Fehlen des Portepees, diesem österreichischen Wahrzeichen der Standesehre, keinen großen Anklang bei der Beamtenschaft gefunden, so w a r die ganze Maßnahme nun als direkt verfehlt zu bezeichnen, nachdem die Ministerialbeamten, die doch in erster Linie mit gutem Beispiel hätten vorangehen sollen, von der Verpflichtung des Tragens der Uniform geradezu enthoben worden waren. Die Erklärung f ü r dieses mir anfangs völlig unbegreiflich erscheinende Vorgehen des Ministeriums und Taaffes selbst sollte mir bald werden. Die ganze Uniformaktion war dem berühmten Sektionschef Breisky, dem geschworenen Feind jeder Neuerung, von allem Anfang an ein D o r n im Auge gewesen, und dies u m so mehr, als er doch bald sein 40. Dienstjahr erreichte u n d nicht wissen konnte, wie lange er dann noch aktiv werde dienen können. Für diese möglicherweise kurze Spanne Zeit wollte er sich aber absolut keine neue U n i f o r m mehr machen lassen und seinen schäbigen schwarzen Gehrock, den er seit vielen, vielen Jahren stets anzog, sobald er in sein Büro gekommen war, nicht durch einen sogenannten Flottenrock ersetzen. Für seine Auffassung der Dinge hatte er noch zwei altgediente Ministerialräte als Sicherheitskoeffizienten, falls Taaffe sie unerwarteterweise etwa darüber befragen sollte, gewonnen. Unmittelbar nach meinem Abgang aus dem Ministerium hatte Breisky nun Pretis rufen lassen und ihm bedeutet, die Uniform15*
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angelegenheit nehme er jetzt in die H a n d , jede weitere Verhandlung mit mir darüber sei verboten. Als ich dann Taaffe gegenüber meine Verwunderung aussprach, daß er im Gegensatz zu seiner ausdrücklichen Absicht, mich die Uniformierungsangelegenheit zu Ende führen zu lassen, diese Breisky übertragen habe, war er recht verlegen; er habe geglaubt, der fragliche Erlaß sei im Einvernehmen mit mir verfaßt worden. Ich merkte sofort, daß Breisky ihn denselben „ab invisis" hatte unterschreiben lassen. Das w a r ihm ja stets ein leichtes, brauchte er doch, wenn das Geschäftsstück Taaffe überhaupt aufgefallen war, nur zu sagen, es enthalte nichts politisch Wichtiges. Über diese leichtfertige Art Taaffes, die wichtigsten Dinge abzutun, sollte ich bald noch eine merkwürdige Erfahrung machen. Ich erhielt einen von ihm unterschriebenen Ministerialerlaß, in welchem eine von mir in Angelegenheiten des Wiener Krankenanstaltenfonds mit dem Bürgermeister Prix getroffene Vereinbarung stark kritisiert wurde. Ich nahm diesen Erlaß an mich, ohne ihn in das Eingangsbuch der Statthalterei eintragen zu lassen, und ging sofort zu Taaffe. D e r empfing midi herzlich wie immer und war sehr erstaunt, daß ich gekränkt tat. Er wisse von keinem Erlaß, der mir irgendwie nicht recht sein könne. N u n zeigte ich ihn ihm. „ J a freilich, das ist stark", meinte er. „Ich habe dieser Tage nach den Dauersitzungen im Abgeordnetenhaus so manches ungelesen unterschrieben, darunter wird sich auch dieser Erlaß befunden haben, mit dem ich durchaus nicht einverstanden sein kann. Lasse ihn mir nur hier. D u wirst dann dieser Tage einen anderen bekommen, der dich vollauf befriedigen wird." Das geschah dann auch. Als ich mein Statthalteramt antrat, hatte mir Taaffe nur die Instruktion gegeben, mit der liberalen Landtagsmajorität gut auszukommen; denn da er im Reichsrat ohne die Liberalen regieren müsse, heiße es doch, sie bei jeder Gelegenheit zu überzeugen, daß die Regierung ihnen gern entgegenkomme, so oft dies möglich sei, und d a ß es ihr, wenn auch Czechen und Polen mit ihr gingen, doch fern liege, den Deutschen in österreidi auch nur ein H a a r krümmen zu lassen. Dieser Instruktion großzügig nachzukommen, bot sich mir nun sofort in einem Plan Gelegenheit, anläßlich der Erweiterung des Wiener Verzehrungssteuer-Rayons die Einverleibung der Wiener Vororte in die Stadt Wien ins Werk zu setzen. Ich habe in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" schon geschildert, wie es mir gelungen war, Seine Majestät f ü r meine Idee zu gewinnen. N u n hieß es auch, Taaffe dieselbe mundgerecht zu machen. Das wollte mir nicht recht gelingen,
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denn eine Forderung der Wiener Liberalen war diese Einverleibung der Vororte damals durchaus noch nicht. Ich konnte sie erst viel später d a f ü r gewinnen. Taaffe lehnte meine Idee sogar rundweg ab; ihre Durchführung werde mir kaum gelingen, und dann werde es heißen, er und die Regierung hätten eine Schlappe erlitten. Bekanntlich sollte ich damals, damit Dunajewskis Gesetz, betreffend die Erweiterung des Wiener Verzehrungssteuergebietes, ins Leben treten und er erhöhte Steuereingänge erhalten könne, ein Ubereinkommen zwischen Wien und seinen Vorortegemeinden wegen der A u f teilung des Verzehrungssteuerzuschlags, der für das ganze erweiterte Gebiet gemeinsam eingehoben werden sollte und mußte, erzielen. Als ich nun verlangte, bei diesen Verhandlungen die Frage der Einverleibung der Vororte sofort als Eventualität in Erörterung ziehen zu dürfen, schlug mir Taaffe auch dieses ab. Nach langen Bitten und Erörterungen konnte ich nur soviel von ihm erreichen, daß er mir gestattete, die Frage dann zur Diskussion zu stellen, wenn es sich als ganz und gar unmöglich erweisen sollte, einen Schlüssel und eine Einigung bezüglich der Aufteilung der Zuschläge und aller anderen mit der Erweiterung des Verzehrungssteuergebietes in Zusammenhang stehenden Fragen (Krankenanstaltenfonds, Polizeirayon, Beiträge der Gemeinden zu den Kosten der Lokalpolizei usw.) zu finden. Und auch dieses geringe, meinen Plänen aber genügende Zugeständnis erhielt ich erst dann von ihm, nachdem ich erklärt hatte, ich würde die Einverleibung der Vororte nur als meine eigene Idee hinstellen und persönlich die Konsequenzen auf mich nehmen, falls ich mit derselben nicht durchdringen sollte. N u n hieß es f ü r mich, die herrschende Partei des Wiener Gemeinderates und des niederösterreichischen Landtages f ü r meine Pläne zu gewinnen und alles daranzusetzen, damit ja keine Einigung zwischen den Vertretern Wiens und der Vorortegemeinden bei den unter meinem Vorsitz stattfindenden Verhandlungen über die Zuschläge und was damit zusammenhing zustande komme. Beides erforderte wohl so manche vertrauliche Vorbesprechung meinerseits und etwas Überredungskunst, aber nach manchen Mühen und Sorgen kam ich doch leichter und schneller zum Ziel, als ich es anfangs erwartet hatte. Näheres über alle diese Dinge habe ich in meiner Monographie „Dr. Karl Lueger" niedergelegt. Der am 26. April 1914 verstorbene bekannte Parlamentarier Eduard Suess sagt in seinen soeben, 1916, bei S. Hirzel in Leipzig erschienenen Erinnerungen (Seite 398 ff.):
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„Für den 23. Mai 1890 hatte der Statthalter von Niederösterreich als Stellvertreter des Ministers des Innern im Vorstande der DonauRegulierungs-Kommission eine Stromfahrt zur Besichtigung der Arbeiten zwischen Wien und der ungarischen Grenze ausgeschrieben. Der schmucke kleine D a m p f e r stand vor mir; die Beamten der Kommission trafen nacheinander ein, wenn ich nicht irre, auch meine beiden Kollegen in der Kommission, die Bauräte Stiassny und Kaiser. D a n n kam der Statthalter Graf Kielmansegg. Es wurde gefrühstückt, aber wir reisten nicht ab; oifenbar erwartete der Statthalter noch einen Gast. Endlich kam ein H e r r in niedrigem H u t , mit einem schwarzen Schnurrbart und bis an die Knie heraufreichenden Stiefeln an das Ufer heran. Es war wahrhaftig der Graf Taaffe. Er wollte, sagte er, nicht nur dem Namen nach der Präsident der Donau-Regulierungs-Kommission sein, sondern auch einmal etwas davon sehen. H i n t e r mir sagte später jemand, es handle sich darum, irgendeinem Besuche in Wien auszuweichen. Wie dem auch sein mag, nachdem ich die Politik Taaffes stets, und in den einzelnen Fällen recht heftig bekämpft hatte, sollte ich jetzt denn ganzen Tag auf dem kleinen Schiff an seiner Seite zubringen. Der Ministerpräsident war aber nicht nur ein artiger, sondern auch ein sehr jovialer H e r r , und so ließ sich der Verkehr in den lebendigsten Formen an. Bald ergab sich die Gelegenheit zu einem Zwiegespräch zwischen dem Grafen Kielmansegg und mir. Es betraf die Einverleibung der Wiener Vororte. Der Gegenstand w a r zu wiederholten Malen in öffentlichen Körperschaften besprochen worden. Bei der Eröffnung des Parkes in Heiligenstadt, am 30. Oktober 1888, hatte sich der Kaiser über die Ausführung günstig geäußert; dann ruhte sie wieder." So weit zunächst Suess. Es ist recht auffällig, wie er und vor ihm seit Jahren alle Zeitungen, wenn sie von der seinerzeit erfolgten Einverleibung der Vororte reden, diese stets mit der Eröffnung des Türkenschanzparkes in enge Verbindung bringen oder gar als eine Folge der damals gesprochenen Kaiserworte darzustellen belieben. Das ist aber durchaus unrichtig, denn diese Worte bezogen sich ausschließlich und allein auf den sowohl von Wien als auch von den Vertretern der Vororte in zwei verschiedenen Bittschriften deputativ vorgetragenen Wunsch auf Auflassung der alten Befestigungswerke, der „Linienwälle", welche in der Folge als Zollschranke der Stadt Wien bei Einhebung der besonderen, f ü r sie geltenden Verzehrungssteuer dienten; in ihrem Fortbestand bildeten sie aber ein eminentes und beiderseits immer mehr empfundenes Hindernis für den Verkehr und
Graf Eduard Taaffe die Entwicklung sowohl Wiens als auch der Vororte. Bei
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Wunsch w a r an eine Einverleibung der Vororte nie gedacht worden — wenigstens nicht aller Vororte oder mehrerer derselben. N u r der V o r o r t Währing war über Anregung seines Vizebürgermeisters, des Wiener Advokaten D r . Florian Meissner, dem Gedanken seiner Einverleibung in Wien nähergetreten. Auch hatte sich der Gemeinderat von Wien mit dieser Frage befaßt, ohne dieselbe aber zur Lösung zu bringen. Die erwähnten Petitionen Wiens und der Vororte waren mir 1882, als ich Bezirkshauptmann (der Vororte) in Sechshaus (Fünfhaus) war, zur Berichterstattung zugewiesen worden; ich hatte nach vielen Mühen und Schwierigkeiten alle für die Frage der Auflassung der Linienwälle und der damit zusammenhängenden Erweiterung des Verzehrungssteuergebiets maßgebenden Daten erhoben und dann ein E l a b o r a t mit zahlreichen Tabellen und eingehend motivierten Anträgen der S t a t t halterei vorgelegt. Bei dieser meiner Arbeit hatte mich der sehr erfahrene Linienamtsverwalter Benda in der Richtung unterstützt, daß er den Vorschlag ausarbeitete, welche Grenze bei Auflassung der Linienwälle dem neuen Verzehrungssteuergebiet, in welches dann die Vororte einzubeziehen
wären, gegeben werden
sollte. Dieses mein
großes
Elaborat hatte die Statthalterei nun der Gemeinde Wien behufs Stellungnahme zu demselben zugewiesen. D a r i n w a r allerdings auch von der Möglichkeit der Einverleibung der V o r o r t e die Rede, und dies bildete den Grund, daß sich die Wiener gemeinderätliche Vorortekommission mit der Sache befaßte und die Einverleibung von Währing oder von noch einem oder anderem der Wiener Vororte diskutierte, ohne jahrelang zu einem Entschluß und Antrag zu gelangen. Vielfache Urgenzen der Statthalterei an den Wiener Magistrat hatten nichts gefruchtet; auch in Währing war man ungeduldig geworden und wollte Näheres über den endlichen Fall der Linienwälle sowie auch darüber, ob Wien gewillt sei, Währing als neuen städtischen Bezirk sich angliedern zu lassen, erfahren. D o r t benützte man nun die Eröffnung des Türkenschanzparkes durch den Kaiser, um vor diesem den Wunsch nach der Auflassung der Linienwälle zu wiederholen, und in der A n t w o r t bezeichnete der Monarch diese als seinen Wunsch. D e r bekannte Techniker und Politiker, Sektionschef Dr. Wilhelm
Exner,
hatte dem Komitee für die Errichtung des genannten Parkes angehört und bei der Redigierung der Ansprache an den Kaiser mitgewirkt, vielleicht war es ihm auch bei seinen vielen Beziehungen möglich gewesen, darauf Einfluß zu nehmen, wie die Allerhöchste A n t w o r t zu lauten habe.
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Graf Eduard Taaffe
Aber auch diese Eröffnung des Türkenschanzparkes brachte die Sache um keinen Schritt weiter, denn der Wiener Gemeinderat hatte noch immer keinen Antrag seiner Vorortekommission erhalten, der ihm als Beratungssubstrat hätte dienen können. So ging denn endlich das Finanzministerium unter Dunajewski, der höhere Verzehrungssteuereinnahmen aus den Vororten erzielen wollte, selbständig vor u n d brachte 1889 im Reichsrat eine Gesetzesvorlage ein, welche die Erweiterung des Wiener Verzehrungssteuerrayons auf die von Benda im Einvernehmen mit mir sieben Jahre früher vorgeschlagene Grenze und nach deren Errichtung die Abtragung der Linienwälle vorsah. Diese Vorlage wurde im Frühjahr 1890 Gesetz und hatte zum Inhalt, daß die neue Verzehrungssteuer f ü r Wien u n d die Vororte eingehoben werden sollte, sobald sich diese über die Aufteilung der gemeinsam f ü r sie einzuhebenden Gemeindezuschläge geeinigt hätten. Von einer Vereinigung der Vororte mit Wien oder auch nur der Möglichkeit einer solchen enthielt das Gesetz auch nicht ein Wort. Ich ganz allein war es, der, mit den Vororteverhältnissen von 1881/82 her vertraut, erkannt hatte, daß, wenn man nicht diese sich darbietende Gelegenheit benütze, alle Vororte ohne Ausnahme mit einem Schlag mit Wien zu vereinigen, dieses in Zukunft überhaupt nie mehr möglich sein werde, oder daß dann nach den Absichten der Wiener Kommunalpolitiker nur einzelne der Vorortegemeinden nacheinander mit Wien würden vereinigt werden können, wobei aber jede einzelne dieser Transaktionen bedeutende Schwierigkeiten bieten werde. Suess sagt weiter in seinen Erinnerungen, Seite 400: „Ein Jahr darauf, im Oktober 1889, wurde Graf Kielmansegg zum Statthalter ernannt. Jetzt erinnerte er mich daran, d a ß wir uns im Laufe des Winters bei einem Frühstück im Plenerschen Hause getroffen und er sich damals sehr f ü r den Gegenstand erwärmt hatte (also während noch Dunajewskis Vorlage im Abgeordnetenhaus in Verhandlung stand!). Das war eine schwierige, von der Tagespolitik einigermaßen, wenn auch nicht ganz, abseits stehende Aufgabe, wie geschaffen f ü r seine arbeitsfreudige Persönlichkeit. Die Frage, ob Gemeinden gegen ihren Willen anderen Gemeinden einverleibt werden könnten, war im Gesetz keineswegs klar ausgesprochen . . . N u r eine einzige umfassende gesetzliche Verfügung war möglich. In diesem Sinne arbeitete Kielmansegg zuerst (das w a r 1881/82 gewesen!) ein neues Verzehrungssteuergesetz aus, in dem die Zahl der zu versteuernden Artikel wesentlich vermindert w a r (mit diesen Einzelheiten hatte ich mich in Wahrheit nicht
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befaßt!) und eine das ganze in Aussicht genommene Gebiet umfassende Grenze für den Oktroi entworfen wurde. Diese Grenze hielt sich an gegebene Linien, wie die Donau, die Wasserscheide des Kahlengebirges und lange Eisenbahndämme. Für dieses Gesetz war kürzlich, am 10. Mai 1890, die kaiserliche Sanktion erlangt worden und es sollte erst ein Jahr nach jenem Zeitpunkt wirksam werden, mit welchem die Regelung der Gemeindezuschläge zur Verzehrungssteuer festgestellt wäre. Nicht weniger als 30 Ortschaften sollten nämlich ganz in den neuen Oktroi einbezogen werden, weitere 18 Katastralgemeinden wurden von der neuen Grenze durchschnitten. Die Stadt Wien hob 1,7 Millionen Gulden zum staatlichen Oktroi ein. Mit der Erweiterung der Grenze hätten alle umschlossenen Gemeinden und Gemeindeteile dasselbe Recht auf einen Zuschlag erlangt, und jeder Schlüssel zur Aufteilung fehlte. Schon aus diesem Grund war völlige und einheitliche Inkorporierung nicht zu vermeiden." Hier nun hätte Suess, und ich glaube ihn zu der Zeit, von welcher er spricht, entsprechend informiert zu haben, erwähnen müssen, daß Dunajewski, der sich gerade damals in einer seiner Parlamentsreden bezeichnenderweise gegen das Anwachsen der großen Städte ausgesprochen hatte, ein entschiedener Gegner der Vereinigung der Vororte mit Wien war; dies auch noch aus dem besonderen mir mitgeteilten Grunde, als seiner Ansicht nach diese Frage, wenn sie auch tatsächlich aufgeworfen würde, doch zu keinem Resultat führen und nur eine unnütze Verzögerung der Einhebung der Verzehrungssteuern bedeuten werde. Ich gebe Suess wieder das Wort: „Dabei kam jedoch in Betracht, daß jede der 30 selbständigen Ortschaften bisher ihr Vermögen selbständig verwaltet hatte, daß die eine wohlhabend, die andere verschuldet, die eine gut gepflegt, die andere vernachlässigt war usw. Ein Teil hatte einen längerlaufenden Vertrag mit der englischen Gasgesellschaft geschlossen. Quellwasser wollten sie alle haben. Der Bau einer Stadtbahn war unter den gegebenen Verhältnissen eine Unmöglichkeit. Tausende von Armen, die sich außerhalb der bisherigen Verzehrungssteuerlinie geflüchtet hatten, sollte Wien übernehmen usw. Über alle diese Schwierigkeiten mußte aber hinausgegangen werden im Interesse des Aufblühens der Stadt und der Schaffung eines bedeutenden Schwerpunktes für dieses vielgestaltige und vielgespaltene Reich." Hier gibt Suess meine eigensten Worte getreulich wieder; er fährt fort:
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„Wir beschlossen, die Anwesenheit des Grafen Taaffe zu benutzen, um die Sache mit ihm durchzusprechen. Taaffe fürchtete die Schwierigkeiten (das hatte ihm, wie ich oben sagte, Dunajewski eingegeben!). Er habe bei Sektionschef Erb den Akt auf einem Sessel liegen gesehen, und der sei wohl drei Schuh hoch (meine Tabellen und Kartenpläne vom Jahre 1881/82 mit enthaltend!). Das habe ihn erschreckt. Er bewundere Kielmansegg. Er sprach von der großen Seelenzahl und der geringen Steuerkraft der Vororte. Große Forderungen an die alten Bezirke würden kommen. Ich (Suess!) meinte, der Gegensatz von Seelenzahl und Vermögen werde mit den Jahren steigen und die Verbindung noch mehr erschweren. Das Gespräch setzte sich mit vielen Unterbrechungen bis in den Abend fort. Immer wieder kam er auf mich zu, bald diesen und bald jenen Punkt der städtischen Verwaltung berührend, und nachdem ich durch so lange Zeit ein Mitglied des Gemeinderates gewesen war, konnte ich Bescheid geben. Vor dem Abschied gab er dem Statthalter die Zustimmung zur weiteren Verfolgung der Sache, und ich erhielt wohl das größte Lob, dessen Graf Taaffe mir gegenüber fähig war; er sagte nämlich: ,Mir scheint, Sie sind gar kein Professor.' Das war am 23. Mai. Am 4. Juni übersandte ich der ,Neuen Freien Presse' einen sachlichen Artikel über die Vereinigung der Vororte; er erschien am darauffolgenden T a g . " Schon einige Monate früher hatte ich Chlumecky einen die Notwendigkeit der Vereinigung der Vororte beleuchtenden Artikel übergeben und ihn gebeten, diesen in dem genannten Blatt erscheinen zu lassen. Der Herausgeber hatte aber wissen wollen, „woher der Wind wehe", und als ihm Chlumecky meinen Namen nicht nennen durfte, die Aufnahme des Artikels abgelehnt. Ich ließ nun einen anders stilisierten verfassen und diesen im „Neuen Wiener Tagblatt" erscheinen, das sich damit an die Spitze der Bewegung für die Vereinigung stellte. Die „Neue Freie Presse" ignorierte diese, bis sie den von Suess unterzeichneten Aufsatz brachte, aus dem allerdings zu ersehen war, woher der Wind wehe, nämlich aus der Statthalterei. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Suess'schen Artikels kam ein Redakteur der „Neuen Freien Presse" mit der Nachricht zu mir, das Weltblatt sei bereit, meine Aktion zu fördern und zu unterstützen, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie alle für die Sache wichtigen Informationen als erste bringen könne und diese direkt von mir erhalte. Ich konnte das Anerbieten nur mit dem Hinweis darauf ablehnen, daß ich die Benachrichtigung der Öffentlichkeit über den Fortgang der Vereinigungsaktion bereits dem „Neuen Wiener Tagblatt" übertragen
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habe, welches als erstes Blatt die Notwendigkeit der Erweiterung Wiens in das richtige Licht gestellt habe. Die „Neue Freie Presse" komme jetzt leider mit ihrem Anerbieten zu spät. Der Redakteur verließ mich wütend. Das Weltblatt hat mir die damalige Ablehnung nie verziehen. Fast während meiner ganzen Statthalterschaft blieb es Gegner oder Verschweiger meiner im öffentlichen Interesse getroffenen Einleitungen. Doch dies nur nebenbei; hören wir Suess weiter: „Graf Kielmansegg nahm die Sache in die Hand; Bürgermeister Prix und die Wiener unterstützten ihn; aus den Vororten leisteten der Bürgermeister von Fünfhaus, Dr. Friedrich, und der Vizebürgermeister, Dr. Reisch, die besten Dienste als Vermittler, und schon am 1. Juli 1890, nach nicht viel mehr als einem Monat, lag der einstimmige Beschluß für die administrative Vereinigung von Seiten der Delegierten aller Beteiligten vor. Am 23. Juli war auch bereits eine allgemeine Einigung über die künftige Organisation erzielt. Nun ging die Vorlage an den Wiener Gemeinderat . . . Nach einem überaus heftigen aber erfolglosen Widerstand Dr. Luegers und seiner Freunde kam die Vorlage an den Landesausschuß (unrichtig!) und endlich an den Landtag (nämlich nicht als direkte Regierungsvorlage). Nicht die Vereinigung, sagte Lueger, wolle er bekämpfen, aber die Ergebnisse der Enquete in den Vororten. Nicht der Wille des Kaisers dürfe maßgebend sein, sondern der Wille des Volkes. Die Gemeinde Wien solle sterben zugunsten der Engländer (Besitzer der Gaswerke). Der Gemeinderat solle der Bediente des Stadtrates sein." Diese Darstellung Suess* ist nicht ganz zutreffend, es liegen die stenographischen Protokolle der Landtags Verhandlungen vor; auch verweise ich auf meine genauere Darstellung des Sachverhaltes in meiner Monographie „Dr. Karl Lueger". Suess fährt dann fort: „Kielmansegg vertrat kräftig seine Vorlage und beschwerte sich über die Kampfesweise, namentlich über die Verbreiter falscher Gerüchte. Die Steuern der Vororte, hieß es, sollten erhöht werden, die Beamten sollten das passive Wahlrecht verlieren. Das ganze Unternehmen wurde bald als zugunsten einer großen Grundspekulation unternommen dargestellt und bald zum Zwecke einer Befestigung Wiens. Prix, Richter und Borschke unterstützten den Statthalter. Die Debatte zog sich durch den ganzen November hin, und erst im Dezember fand sie ihren Abschluß durch die Annahme der Vorlage. Am 20. Dezember 1890 erhielt das neue Gemeindestatut die kaiserliche Sanktion. Von diesem Tag an überstieg die Bevölkerungszahl Wiens
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eine Million. Ein großes Fest wurde aus diesem Anlaß im Musikvereinssaal f ü r den 6. J a n u a r 1891 vorbereitet. Die Regierung sollte eingeladen werden, aber viele Stimmen erhoben sich gegen die Einladung des Finanzministers Dunajewski, der eine den Deutschen äußerst feindselige Stellung einnahm. Viele Abgeordnete lehnten f ü r den Fall seiner Gegenwart ihr Erscheinen ab. Dunajewski w u r d e nicht geladen. Die Folge davon war die Absage des Grafen Taaffe; auch der um die Sache so verdiente Graf Kielmansegg fehlte. So vollzog sich das glänzende und bedeutungsvolle Fest ohne die Gegenwart der Regierung." Diese Darstellung Suess' bedarf folgender kleiner Ergänzung: Unter den Regierungsvorlagen anläßlich der Einverleibung der Vororte befand sich auch eine betreffend die Erweiterung des Wiener Polizeirayons, der nun mit den Grenzen Wiens zusammenfallen sollte, während ihm bis dahin nur ein Teil der einzuverleibenden Vororte angehört hatte. Wien leistete bisher einen mit der Bevölkerungsziffer automatisch steigenden Beitrag zu den Kosten des gesamten staatlichen Polizeiaufwandes (k.k. Polizeidirektion und k . k . Sicherheitswache), die Vororte aber einen solchen nur zu den Kosten der Wache, und zwar nach ganz verschiedenen Schlüsseln. N u n mußte ein einheitlicher Beitrag Wiens geschaffen werden. Prix wollte sich nur zu einem sehr mäßigen Beitrag verstehen, der fix bliebe, während die Regierung einen höheren und automatisch steigenden verlangte. Diese Differenz bereitete mir die allerschwersten Sorgen während der ganzen Vereinigungsaktion, denn Prix w a r ebenso wie Dunajewski in dieser Finanzfrage halsstarrig. Einen Moment schien es, als ob die ganze Vereinigung der Vororte mit Wien daran scheitern sollte. Endlich gelang es Taaffe, Dunajewski zu einigem Nachgeben zu bewegen. Nichtsdestoweniger wurde der letztere in der Landtagsdebatte heftig angegriffen, so daß ich eine Lanze f ü r ihn brechen mußte, was mir dann seinen warmen schriftlichen D a n k eintrug. Dunajewski, der sich als Gegner der großen Städte erklärt hatte, war aber in Wien und besonders bei den Liberalen schon deshalb höchst unbeliebt, weil er den „eisernen Ring", das heißt die Taaffesche Parlamentsmajorität, bestehend aus den Polen, den Czechen und klerikalen Deutschen, gebildet hatte und als ihr Führer galt. Deshalb wollten Bürgermeister und Gemeinderäte ihn nicht bei dem von Suess erwähnten, von ihnen veranstalteten Fest wissen. Mir war von der Regierung z w a r keinerlei Weisung erteilt worden, abzusagen, weil das Ministerium bei diesem nicht mittun wollte, aber ein wohl ganz begreifliches Taktgefühl gebot mir, dem Beispiel Taaffes
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zu folgen. Freilich kam ich dadurch um eine schöne Lebenserinnerung, denn einen Erfolg wie jenen mit der Einverleibung der Vororte trotz so vieler Schwierigkeiten habe ich nie wieder erzielt. Suess berichtet von dem Fest nur, der greise Schmerling habe dem erneuerten Wien damals unter grenzenlosem Jubel seinen Willkommensgruß gebracht. Prix teilte mir kurze Zeit hienach mit, es sei beabsichtigt, mir als D a n k der Gemeinde Wien für ihre Vergrößerung das Ehrenbürgerrecht zu verleihen und meine Ehrenbürgerschaft von Fünfhaus auf die ganze neue Großgemeinde zu erstrecken. Es blieb aber bei der guten Absicht, denn Lueger und seine Mannen hatten erklärt, den hierauf abzielenden Antrag obstruieren zu wollen, und Prix zog es dann mit meinem wohl ganz begreiflichen Einverständnis vor, von seiner Einbringung überhaupt abzusehen. Wäre idi damals Ehrenbürger geworden, TaafTes Eifersucht würde noch größer geworden sein. Hier sei nur von Taaffe gesagt, daß er, als er mein Werk nach kaum einem J a h r vollendet sah, gewisse Gefühle des Neides nicht unterdrücken konnte. Er wurde mir gegenüber etwas zurückhaltender, wollte nicht so recht auf einige Auszeichnungsanträge eingehen, die ich f ü r einige Persönlichkeiten, die mein Werk wesentlich gefördert hatten, zu stellen mich verpflichtet erachtete. Dabei war auch ein hervorragender Journalist Wiens, der viel dafür getan und geschrieben hatte, damit die Gemeinderäte und Landtagsabgeordneten ihre engherzige Meinung aufgäben, daß Wien sich nur einige wenige reiche und gutsituierte Vororte einverleiben solle, denn die wirtschaftlich weniger entwickelten würden der Reichshauptstadt doch zu viele Investitionskosten verursachen. Die Auszeichnung f ü r diesen auch sonst verdienten Publizisten habe ich bei Taaffe nie durchsetzen können, so oft ich auch später noch darauf zurückkam. Eine Erklärung für TaafTes damalige Haltung mir gegenüber wurde mir dann allerdings im Hause Larisch, in dem er intim verkehrte, gegeben. Nach meinen Erfolgen in der Wiener Frage und im Landtag war ich in einigen politischen Kreisen Wiens als möglicher Nachfolger Taaffes genannt worden. Das war ihm nicht recht, da er sehr an seiner Stelle und der mit ihr verbundenen Macht hing. Vielleicht hatte er sogar geglaubt, d a ß ich selbst gegen ihn intrigiere, um sein Nachfolger zu werden. Bald hatte er sich aber davon überzeugt, d a ß dies unrichtig sei, und wir wurden wieder gut. Sehr gerührt war er dann über eine bald hienach von mir u n d meinen Statthalterkollegen T h u n aus Prag und Baron Kübeck aus Graz veranstaltete Feier seines Dienstjubiläums, zu dem wir vom
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Maler Bernt, dem gediegensten Wiener Aquarellisten, Aufnahmen aller seiner verschiedenen Dienstorte hatten machen lassen. Diese wurden ihm am Jubiläumstag in einem Prachtalbum von sämtlichen in Wien erschienenen Landeschefs überreicht. Die Feier fand ihren Höhepunkt in einem Festdiner, welches ich im großen Freskensaale der Statthalterei gab, und zu dem ich alle meine Kollegen sowie Taaffes Ministerkollegen um ihn vereinigt hatte. Meines Toastes bei diesem muß ich Erwähnung tun. Taaffe war bei der niederösterreichischen Statthalterei in den Staatsdienst eingetreten. Ich ließ aus der Registratur die Akten über seine Aufnahme und die ersten Jahre seiner Dienstleistung hervorholen. Er war darin nicht übermäßig gut beschrieben, aber ihm war doch auch nicht abgesprochen worden, daß er es noch zu etwas werde bringen können. Mit dem letzteren Satze leitete ich nun meine Tischrede ein und beglückwünschte den Jubilar dazu, daß er es doch schließlich zu etwas gebracht habe. Das versetzte Taaffe in die fröhlichste Stimmung. Gemütlichen Ton hatte er stets gern; er half ihm über so manche schwierige Lage hinweg und hatte ihm eine gewisse Popularität gesichert. Seine Parlamentsreden, die er am liebsten ganz vermieden hätte und auf die er sich niemals vorbereitete, waren meist jedes staatsmännischen Gedankens bar, etwas „salopp" oder mit Scherzworten untermischt, und in der Regel nur kurze Erwiderungen auf gerade vorgekommene Kritiken an der Regierungspolitik. Bei Debatten über das Budget des Ministeriums des Innern sprach Taaffe nur äußerst selten. Er war sich offenbar bewußt, daß es ihm an Kenntnis der Einzelheiten seines Ressorts mangle, und er ließ deshalb Ministerialräte oder Sektionschefs als Regierungsvertreter reden. Audi ich wurde von ihm in das Abgeordnetenhaus mitgenommen und zum Reden beordert. Die politische Situation im Parlament war ihm aber immer klar, und meistens beherrschte er sie sogar durch seinen regen Verkehr mit den Abgeordneten und Herrenhausmitgliedern in den Couloirs der beiden Häuser. Niemand verstand diesen Verkehr gemütlicher zu gestalten als er, und mit einem spöttelnden Scherzwort über diesen oder jenen seiner politischen Gegner hatte er die Lacher auf seiner Seite. Ich wüßte nicht, daß er einen persönlichen Feind gehabt hätte, wenn auch viele Politiker die gar zu leichtfertige Art, mit der er die ernstesten Staatsprobleme glaubte abtun zu können, stets tadelten. Vom bekannten Abgeordneten Dr. Josef Kopp, einem der Führer der liberalen Partei in Niederösterreich, einem großen Schmutzfinken,
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hatte er einmal gesagt, daß er sich vergeblich bemüht habe zu erfahren, wer dessen reine Hemden trage; und von einem Großgrundbesitzermitglied dieser Partei, dem Baron Beess-Chrostin aus Schlesien, behauptete er, dieser erhebe sich nur dann und nur teilweise von seinem Abgeordnetensitz, wenn innere Winde ihn dazu nötigten. Als Prinz Alois Liechtenstein, der heutige Landmarschall von Niederösterreich, als Abgeordneter eines steirischen ländlichen Wahlbezirkes gern politische Bedeutung erlangen wollte, griff er die Idee seines Abgeordnetenkollegen, des Geistlichen Carlon, auf, in die Hasnerschen liberalen Schulgesetze eine Bresche zu legen und einen Antrag auf Klerikalisierung der Volksschulen einzubringen. Es war das zu Beginn des Jahres 1888. Er tat ungemein wichtig mit dem von ihm beabsichtigten Antrag und hatte Taaffe wiederholt davon erzählt. Am Tage vor der Einbringung desselben im Abgeordnetenhaus zu Beginn des Monats Januar erscheint er nun im Büro Taaffes in der Herrengasse, um diesem die wichtige Begebenheit mit den Worten anzukündigen: „Also morgen platzt die Bombe." Und Taaffe erwiderte ihm darauf, wie er mir sofort erzählte, ganz trocken: „Schau nur, daß sie dich nicht trifft." Die Wogen über diesen Antrag gingen dann zwei Jahre hindurch in den beiden Häusern des Reichsrates sehr hoch, er gab auch zu stürmischen Auseinandersetzungen der Parteien in der Öffentlichkeit Anlaß, aber Taaffe hatte sich für den Antrag nie erwärmt, trachtete ihn dilatorisch zu behandeln und ließ ihn schließlich durch Gautsch in den Ausschüssen begraben. Von Taaffes Jubiläum habe ich noch nachzutragen, daß ich, damit der Kaiser nicht durch die Nachricht der gleichzeitigen Ankunft aller Landeschefs in Wien überrascht werde, diese und den Zweck derselben bei Hof hatte melden lassen. Dem Ersten Obersthofmeister Fürsten Hohenlohe aber ließ ich nahelegen, ob es nicht angezeigt und dem Kaiser genehm sein könnte, die seltene Gelegenheit der Anwesenheit aller dieser in Wien zu benützen, um sie mit dem jubilierenden Ministerpräsidenten bei Seiner Majestät, allenfalls bei einem Hofdiner, zu vereinigen. Nach einigen Tagen erhielt ich die Antwort, „man habe in den Vorakten nachgeforscht, aber keine ältere Dinerliste ähnlicher Zusammenstellung finden können und daher unterlassen müssen, eine solche Neuerung an Allerhöchster Stelle zu beantragen". In Etikettefragen des Hofes, an dem er schon von erster Jugendzeit an so viel verkehrt hatte, kannte Taaffe sich besonders gut aus und unterwies seine Minister und anderen Untergebenen darin, nicht zuletzt deshalb, weil diese Hofetikette doch auch ihre Berücksichtigung im
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öffentlichen Leben und in der großen Gesellschaft verlangte. Taaffe verbreitete unter anderem ganz bestimmte Regeln darüber, bei welchen Gelegenheiten man in Gala und bei welchen anderen man in sogenannter kleiner Uniform erscheinen müsse, w a n n oder eigentlich f ü r wen die Bänder der Ordensgroßkreuze anzulegen seien und dergleichen. Nach seiner Lehre waren diese Bänder beim Erscheinen bei Seiner Majestät zu tragen: 1. wenn in der Hofeinladung oder Hof ansage ausdrücklich anbefohlen; 2. bei Audienzen bei Seiner Majestät, um etwas zu erbitten oder f ü r etwas zu danken, nicht aber bei einfachen Aufwartungsaudienzen, bei denen kleine Uniform gestattet w a r ; 3. bei Audienzen bei den Brüdern Seiner Majestät, nicht aber bei den übrigen Erzherzogen; 4. bei Diners, Bällen und anderen Festen, zu denen man offiziell eingeladen war, und zwar bei: a) Seiner Majestät oder anderen hohen Persönlichkeiten fürstlichen Geblütes, b) dem Kardinal-Fürsterzbischof von Wien oder einem anderen Kardinal, c) dem Ersten Obersthofmeister und den Obersten Hofchargen, d) dem Gemeinsamen Minister des Äußern und dem k. k. und k. ung. Ministerpräsidenten, e) dem päpstlichen Nuntius und den Botschaftern der fremden Großmächte, nicht aber bei Gesandten. Auf die Einhaltung dieser Regeln hielt er genau, und das war um so merkwürdiger, als er doch sonst ein gewisses nonchalantes Wesen sein eigen nannte und bei der Uniformierungsfrage es auch bewiesen hatte. Ich sah ihn sogar einmal in der Beamtenuniform erscheinen, den Säbel in seiner ganzen Länge aus der Tasche des Mantels heraushängend. In Taaffes Tätigkeit als Ministerpräsident sind zwei Perioden ziemlich deutlich zu unterscheiden: die erste mit Dunajewski als Finanzminister an seiner Seite, und die zweite mit D r . Emil Steinbach als Inhaber des Finanzportefeuilles. Beide hatten auf ihn in politischer Richtung großen Einfluß; Dunajewski als die eigentliche Seele des „eisernen Ringes" und als großer Sparmeister im Staatshaushalt, und Steinbach mit weniger klaren, sozialpolitischen und deshalb auch auf eine Erweiterung des Wahlrechtes gerichteten Zielen. Steinbach, nie verlegen, eine Formel oder den Text eines Paragraphen zu stilisieren,
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war Taaffe angenehm und hatte diesen persönlich förmlich in seine Obhut genommen, seit er zu kränkeln anfing. Taaffe litt damals häufig an Frostanfällen, Steinbach trug ihm also eine wollene Decke nach u n d legte sie ihm über die Knie, sooft ihn fror. Der hoshafte Bacquehem meinte einmal, Steinbach komme ihm mehr wie der Kammerdiener als der Finanzminister des Ministerpräsidenten vor. Taaffe, mehr und mehr auf seine Gesundheit bedacht und bereits etwas willensschwach, geriet nun in völlige Abhängigkeit von Steinbach und dessen Wahlreformprojekt. Dieses aber kam dem Abgeordnetenhaus viel zu unvermittelt zu, als daß es in den großen Parteien hätte Anhänger finden können, fürchtete doch jeder einzelne Volksvertreter den Verlust seines angestammten Mandats, wenn mehr „Volk" wählen würde. So kam es denn zum Sturze Taaffes und seiner Regierung, die vielleicht niemandem unvermuteter und unerwünschter kam als ihm selbst. Länger als zwölf Jahre war er Ministerpräsident gewesen, fast alle Minister und Statthalter hatte er auf ihre Posten berufen lassen, nur durch ihn waren Orden und Würden vergeben worden, u n d nun hieß es, sich plötzlich in das Privatleben zurückzuziehen und aus den ihm liebgewordenen Räumen des Ministeriums des Innern in eine Privatwohnung zu übersiedeln. Der Abschied war ihm h a r t und schmerzlich, aber auch so ziemlich alle Beamten sahen ihn ungern scheiden, war er doch ein wohlwollender und meist auch recht bequemer Amtschef gewesen. Mit allen Zeichen kaiserlicher G n a d e schied er aus dem Dienst u n d erhielt eine bedeutende Pensionszulage. Er richtete sich eine große u n d schöne Wohnung in der Schwindgasse ein, um dort auch fernerhin seine guten Bekannten und politischen Freunde würdig empfangen zu können. In diesen langen Jahren seiner Ministerschaft hatte sich so mancher „Usus fori" besonders in Personal- u n d Auszeichnungsangelegenheiten entwickelt, an dem er unverbrüchlich festhielt, vermutlich auch, weil er sich vergewissert hatte, daß es dem Kaiser so gerade recht sei. Einige dieser gebräuchlichen Regeln führe ich als Beispiele an: Geheimrat w i r d : 1. ein neuer Minister nach dem Ablauf eines halben Jahres; 2. ein neuer Statthalter in den großen Ländern nach dem Ablauf eines, in den kleineren Ländern nach dem Ablauf dreier Jahre (Oberlandespräsidenten werden wie „kleine" Statthalter behandelt); 16
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3. ein Landespräsident erst mit dem Ablauf von zehn Jahren (Sektionschefs werden ähnlich behandelt; in ein und demselben Ministerium kann nur der rangälteste Sektionschef Geheimrat werden). Bei Orden und sonstigen kaiserlichen Auszeichnungen galten unter Taaffe folgende Regeln: Jeder Rangklasse in der Beamtenhierarchie entspricht der bestimmte Grad eines Ordens. Nur Beamte von der 8. Rangklasse aufwärts erhalten Orden, die subalternen erhalten goldene Verdienstkreuze und die der Dienerschaftskategorie angehörigen Staatsangestellten silberne Verdienstkreuze. Alle anderen Berufe waren im Hinblick auf Ordensverleihungen den Beamtenrangklassen nach ganz bestimmten Gesichtspunkten „äquipariert", so z. B. Pfarrer der 10., Dechanten der 9., Prälaten der 7./6., Advokaten der 7., Inhaber größerer Gewerbebetriebe der 9., eigentliche Fabriksbesitzer der 8., Großindustrielle und Großgrundbesitzer (im Unterschied von hochadeligen Fideikomißinhabern) der 7. oder 6. Rangklasse. Taaffe hielt streng darauf, daß in allen Ministerialressorts nach diesen Grundsätzen vorgegangen werde, genau wie er es selbst tat. Ich erinnere mich da eines charakteristischen Falles. Eduard Sacher, der Besitzer des bekannten großen Hotels und Restaurants gegenüber der Oper, sollte eine Auszeichnung erhalten und setzte alle Hebel an, daß er einen Orden bekomme. Er wies darauf hin, daß Taaffe selbst alle seine offiziellen Diners in diesem Restaurant gebe und daß er es gewesen, der den Käse der Taaffeschen Herrschaft Ellischau dinerfähig und berühmt gemacht habe. Da außerdem Fürstlichkeiten und viele Staatswürdenträger im Hotel Sacher abzusteigen pflegen und dessen Küche weit über Wien hinaus großen Ruf genieße, sei er nach seiner Meinung besonders zu behandeln. Taaffe aber entschied, es bleibe bei der Regel und dem goldenen Verdienstkreuz, und Sacher tat direkt gekränkt. Nach Taaffes Abgang kam bald Unordnung in alle diese schönen Dinge. Goluchowski, der Minister des Äußern, der vorher Gesandter in Bukarest gewesen war, wo es keine Botschafter gab, fand nun, daß man dort auch bei den offiziellen Festen in den Gesandtschaften die Bänder der Großkreuze angelegt habe und daß dies doch auch in Wien geschehen könne. Ich weiß nicht mehr, wer herausfand, daß ein Erzherzog ein Erzherzog sei — einerlei ob ein Bruder des Kaisers oder nicht — und Anspruch darauf habe, daß Groß-Gekreuzigte mit dem Bande in Audienz bei ihm erscheinen. Auch der große Bürgermeister
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Lueger oder seine Zeremonialdirektoren fanden „ a d majorum dictatoris gloriam" heraus, die alte Regel, der R a n g des Hausherrn sei maßgebend, ob Ordensband getragen zu werden habe, sei absurd, es komme darauf an, wer bei diesem erscheine. D a nun Erzherzoge, Kardinal und Botschafter auf dem Ball der Stadt Wien bei Lueger erscheinen, so habe er auch Anspruch darauf, daß bei seinen offiziellen Festen die Bänder der Ordensgroßkreuze getragen würden. So gab es dann eine lange Zeit der ärgsten Verlegenheit für die armen Großkreuze; das Chaos waltete, der eine kam mit, der andere, Anhänger des „ancien regime", ohne Band. Zu den letzteren zu gehören, muß ich hier reumütig eingestehen, und ich beging sogar das „crimen laesae majestatis", daß ich einmal auf dem Ball der Stadt Wien ohne Band erschien. Mich traf so mancher unmutsvolle Blick, und ich schlich beschämt von dannen. Viel ernster war die dann einreißende Unordnung mit den Ordensauszeichnungen, zumal bald die Zeit der „Ordensregen" kam, die an sich schon so viele Verkannte und Gekränkte schuf, und dies noch viel mehr, als nun mit den Ordensgraden recht willkürlich verfahren wurde. Weiß ich doch arge Beispiele aus jener späteren Zeit, in welcher einem Inhaber eines bekannten Wiener Nachtcafes der Franz-JosephOrden und einem Herausgeber einer ziemlich obskuren Korrespondenz, der behauptet hatte, den Eucharistischen Kongreß mit ins Leben gerufen zu haben, sogar der Orden der Eisernen Krone angehängt wurde. Es obliegt mir nun, noch Taaffes Privatleben kurz zu schildern, damit sein Bild ein vollständiges sei. Er hatte mehr Wahrheitsliebe, als sie ihm Auersperg zusprechen wollte; er war ein guter Freund seiner Freunde und derer, denen er D a n k schuldete. E r war auch ein guter Familienvater, soweit dies sein Dienst, der ihn den größten Teil des Tages außer Hause zuzubringen hieß, gestattete. Seiner Frau schenkte er regelmäßig ein schönes Schmuckstück, sooft er selbst einen Orden oder eine sonstige kaiserliche Auszeichnung bekommen hatte. Er wollte sie damit bei guter Laune erhalten und ihr Ansehen in der großen Welt heben. Als sein einziger Sohn Heinrich, um dessen Erziehung er sich nur recht wenig kümmern konnte, anfing, seinem Hofmeister gegenüber ungebärdig zu werden, und nur wenig lernen wollte, gab er ihn schließlich in das Theresianum, wo dieser übrigens auch nie redit guttat. Dadurch kam T a a f f e in nähere Beziehungen zum Direktor dieser Anstalt, Dr. Paul Gautsch von Frankenthurn, der dann an Stelle des 16*
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Freiherrn Sigmund Conrad von Eybesfeld Unterrichtsminister in seinem Kabinett wurde. Mit großer Liebe hing Taaffe an seiner ältesten Tochter Mary, jetzt Gattin des Statthalters in Böhmen, Grafen Coudenhove. Zu der Zeit, von der ich rede, war sie kaum noch erwachsen. Er fand nur abends Zeit, Spaziergänge mit ihr zu machen, und unternahm diese zumeist auf den Ring, aber auch wohl in die engen Gassen der inneren Stadt, nahe um das Ministerium des Innern herum. Ob die junge Komtesse dort für sie Passendes gesehen haben wird, möchte ich bezweifeln. Übrigens heiratete sie jung, wie auch ihre zweite Schwester Helene, die den beiden Eltern viel weniger an das Herz gewachsen war als Mary. Ein Baron Mattencloit führte sie heim; die Ehe fiel nicht gut aus. Schließlich blieb nur die dritte, etwas verwachsene Tochter im Hause. Diese, mit Namen Luise, war recht gescheit, und der Vater beschäftigte sich häufig mit ihr, zumal der Sohn ihm manchmal Kummer und Sorgen bereitete. Taaffes „Levers" habe ich schon geschildert. Sein berühmtes Nachtgewand legte er stets an, sobald er von seinem Abendspaziergang oder von Diners oder offiziellen Abendfestlichkeiten heimkehrte. In diesem setzte er sich dann an seinen Schreibtisch in seinem kleinen Bürozimmer, der immer mit Haufen von Aktenstücken, die seiner Durchsicht und Approbation harrten, bedeckt war und inmitten derer, mitten auf diesem Schreibtisch, sein feister Mops saß. Der würde bezeugen haben können, daß sein Herr meist schon recht schläfrig war, wenn er ihm gegenüber Platz nahm, so daß er kaum noch mit ihm spielte, die Akten mechanisch, einen nach dem anderen, hernahm und sein „ E T " , das heißt „Expediatur: Taaffe", unter die Erledigungsentwürfe setzte. Nur höchst selten gab es Gesellschaften im Taaffeschen Hause, ab und zu lud er wohl einzelne seiner Freunde oder Beamten seiner näheren Umgebung zum Speisen ein oder veranstaltete seine Frau abends eine kleine Whistgesellschaft. Wie schon erwähnt, gab er seine offiziellen Diners bei Sacher. Sie fanden übrigens nur selten, und wenn, dann durch einen besonderen Anlaß erheischt, statt. Auch hiedurch unterschied sich Taaffe wesentlich von Auersperg, der seine Ministerkollegen regelmäßig um sich vereinigte und in seinem Hause alle offiziellen Persönlichkeiten zu Diners einlud. Der Grund für diese Art der Lebensführung Taaffes dürften seine Frau und dann auch seine eigene Abneigung gegen Festtafeln und dergleichen gewesen sein, bei denen er sich nicht so gehenlassen konnte,
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wie es seiner zum Gemütlichen neigenden N a t u r eigen war, und bei denen man wenigstens in Wien stets die Amtsperson bleibt. D a v o n weiß auch ich ein L i e d zu singen, dem alle derlei Festlichkeiten der „großen Welt" schließlich zum Ekel wurden, weil man bei diesen immer von Ordenjägern und Protektionswerbern männlichen und weiblichen Geschlechts umlauert wird, die nur die Gelegenheit abpassen, um einem alle möglichen und unmöglichen Anliegen in breitester Form vorzutragen, und sich mit einer ausweichenden Antwort niemals abspeisen lassen wollen. I r m a war nicht groß und von gutgenährter Gestalt, mit rundem, nicht unschönem Gesicht und freundlichem Ausdruck unter den dunklen H a a r e n . Ihre Bildung und Erziehung hatte sie teils in U n g a r n auf dem L a n d e , teils in einem Wiener Mädchenpensionat genossen, und es mangelte ihr nicht an Interesse für ernstere Dinge, darunter auch für die Politik. Dabei hatte sie Verstand und Mutterwitz, eine angenehme A r t zu plauschen und w a r lebensfröhlich, dabei bisweilen allerdings recht taktlos. M a n könnte beinahe sagen, sie hatte etwas v o m „ G a m i n " an sich. D a s hinderte nicht, daß man sie in der großen Welt gern sah, konnte man sich doch gut mit ihr unterhalten und schlechte Witze machen. Vielleicht w a r es das letztere oder die Befürchtung, daß sie in seiner Gegenwart taktlose Redensarten führen könnte, die T a a f f e veranlaßte, Gesellschaften offizieller Persönlichkeiten nicht bei sich zu H a u s e zu veranstalten. Gewiß wußte er nicht, daß seine I r m a , wenn er einzelne solcher Gäste in seinem Amtszimmer empfing, auf die sie gerade neugierig geworden war, sich hinter der großen Landkarte versteckte, die dort hing und die Eingangstür in seine Wohngemächer nach A r t einer spanischen W a n d verdeckte. Sie erzählte nachher lachend in der Gesellschaft außer H a u s e von diesen ihren Streichen und was sie bei denselben erhorcht habe. Ich glaube, T a a f f e w a r froh, wenn er seine Frau möglichst wenig sah, denn seine politischen Sorgen teilte sie nicht mit ihm. Er ging seine eigenen Wege. H ä t t e er ihr politische Geheimnisse anvertraut, sie hätte diese ausgeplauscht. S o hatte sich das Leben zwischen ihnen derart gestaltet, daß sie eigentlich nie zu H a u s e war, allabendlich Bälle und Gesellschaften besuchte und die Freuden der großen Welt, denen er für seine Person abhold war, in großen Zügen genoß. D a ß sie „alles mitmachte", sah er gern, erfuhr er doch nachher von ihr, was es an gesellschaftlichem Tratsch Neues in Wien gab; über solchen muß doch auch ein Ministerpräsident informiert sein, denn der Tratsch nimmt nicht selten politische Bedeutung an, namentlich wenn er auch ander-
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wärts gesammelt wird, um dem Herrscher zu seiner Unterhaltung vorgetragen zu werden. Möglicherweise hat Taaffe seiner Irma auch bisweilen den Auftrag gegeben, dies oder jenes in der großen Welt zu verbreiten, denn sie sprach oft von ihrem Edi, und von dem, was er tue und treibe, und fand dann stets ihre Zuhörer. Auffallend war mir in den späteren Jahren, als sie leidenschaftlich dem Cayenne-Whist frönte — Bridge war damals noch nicht in Mode —, daß manche Diplomaten sich zu ihrer Partie drängten, besonders auch Botschafter, wie der ernste Italiener Nigra oder der feine Türke Zia Bey. Wenn diese etwa geglaubt hatten, von ihr politische Geheimnisse erfahren zu können, so werden sie schwerlich auf ihre Rechnung gekommen sein, denn über solche verfügte sie nicht. Aber vielleicht genügten diesen Herren auch von ihr hingeworfene Bemerkungen, um Schlüsse daraus zu ziehen. Als Taaffe 1895 gestorben war und der Kaiser die trauernde Witwe sofort besuchte und ihr eine erhöhte Witwenpension anwies, gereichte ihr dies zu großem Trost und Stolz. Sie verließ nun bald die ihr zu groß erscheinende Wohnung in der Schwindgasse, um eine neue, etwas kleinere, aber besser gelegene und auch sehr elegante am Schwarzenbergplatz zu beziehen. Viele ihrer alten Freunde und Bekannten besuchten sie dort noch, aber allmählich lichtete sich der Kreis doch.
FÜRST ALFRED
WINDISCH-GRÄTZ
Auf Taaffe folge das Koalitionsministerium; Fürst Alfred WindischGrätz, damals erst einige 40 Jahre alt, trat an seine Spitze. Er ist der Enkel des aus den 1848er Jahren bekannten Feldmarschalls und der Sohn des Feldmarschalleutnants Windisch-Grätz, der den Militärdienst als Divisionär verlassen und sich dann in seinem Familienpalais in der Renngasse in Wien niedergelassen hatte. Das war zu Ende der 1860er Jahre, als eben die allgemeine Wehrpflicht in Österreich gesetzlich eingeführt worden war. Er, ebenso stolz auf den Reichsfürstenrang, den dieses im 15. Jahrhundert aus dem Bürgerstand in Graz hervorgegangene Geschlecht 1804 erworben hatte, wie alle Windisch-Grätze überhaupt, trat damals mit der Weigerung hervor, seinen Sohn Alfred der Stellungskommission vorführen zu lassen. Er begründete dies mit der durch die Bundesakte den ehemals reichsunmittelbaren Geschlechtern zuerkannten Militärfreiheit und dem Recht ihrer Angehörigen, sofort eine Offizierscharge zu erhalten, wenn sie freiwillig in einem deutschen Bundesstaat in den Militärdienst einträten. Unsere Regierung wollte dieses Recht nicht anerkennen. Sie berief sich darauf, daß diese Bundesakte in Österreich niemals publiziert und daher auch nicht Gesetz geworden seien. Der Streitfall wurde durch alle Instanzen und schließlich auch durch den Verwaltungsgerichtshof zuungunsten von Windisch-Grätz entschieden, und Alfred mußte sein EinjährigFreiwilligen-Jahr abdienen. Zu dieser Zeit, als er wegen seines Administrativprozesses in der Öffentlichkeit oft genannt worden war, lernte ich ihn, der nun in unserer Gesellschaft der jungen Herren viel verkehrte, kennen. Ich muß sagen, daß er, wiewohl groß gewachsen und in seiner ganzen Haltung den Aristokraten nie verleugnend, nicht an dem sprichwörtlich gewordenen „fumo" der Windisch-Grätz litt, vielmehr in unserer Gesellschaft alsbald sehr wohlgelitten war. Er war heiteren Temperaments und hatte ein ganz hervorragendes schauspielerisches Talent. Ich wirkte mit ihm zusammen einige Male in Dilettantenvorstellungen mit, bei denen er in humoristischen Rollen sehr gefiel.
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Fürst Alfred Windisch-Grätz
Sein Talent, bekannte Persönlichkeiten in Sprache u n d G e b ä r d e nachz u a h m e n und dabei alle ihre kleinen Schwächen wiederzugeben, ist ein g a n z außerordentliches. E r h a t uns oft köstlich damit unterhalten, aber i m m e r n u r im engsten Kreis, denn er fürchtete sich stets, bei den „gut G e t r o f f e n e n " damit Anstoß zu erregen. E r diente dann in seinem Freiwilligenjahr bei den Jägern, w u r d e Reserveleutnant, legte die N a c h t r a g s p r ü f u n g ab u n d machte verlängerte Waffenübungen mit, so d a ß er als Reserveoffizier avancieren konnte. N a c h dem Tode seines Vaters u n d nachdem er eine Prinzessin Auersperg geheiratet hatte, ü b e r n a h m er das Familienmajorat, d a r u n t e r die große Herrschaft Tachau in Böhmen, u n d widmete sich n u n mit Eifer der Verwaltung seiner Güter u n d seines sehr bedeutenden Vermögens. Als der Statthalter Baron K r a u s in Böhmen abgewirtschaftet hatte, f a ß t e T a a f f e bekanntlich den Plan, es dort auf diesem wegen der nationalen Gegensätze so schwierigen Posten mit einem Kavalier zu versuchen. Sein Auge fiel zunächst auf A l f r e d Windisch-Grätz, der politisch noch gar nicht hervorgetreten w a r u n d , o b z w a r d e m czechischfeudalen Großgrundbesitz Böhmens angehörend, doch f ü r sehr gemäßigt galt. Auf Taaffes Anerbieten a n t w o r t e t e aber A l f r e d sofort ablehnend, mit der sehr merkwürdigen Begründung, die auf seinen G ü t e r n ruhenden Lasten seien noch derartig groß u n d seine E i n k ü n f t e d a h e r nicht bedeutend genug, als d a ß er den repräsentativen Pflichten, die das Statthalteramt ihm auferlegten, zu entsprechen vermöge. Merkw ü r d i g w a r diese Begründung deshalb, weil m a n wissen konnte, d a ß Windisch-Grätz damals schon über ein E i n k o m m e n von 300 000 bis 400 000 K r o n e n verfügte. T a a f f e bot nach dieser Ablehnung den Statthalterposten F r a n z Thun an, u n d der n a h m sofort an. Windisch-Grätz' Ablehnung hatte möglicherweise auch noch den von ihm nicht eingestandenen G r u n d seiner U n v e r t r a u t h e i t mit allen Staatsgeschäften, die ihn fürchten ließ, den Aufgaben eines Statthalters in Böhmen nicht entsprechen zu können. Als wenige Jahre hienach A l f r e d Windisch-Grätz a u f g e f o r d e r t w u r d e , a n die Spitze des Koalitionsministeriums zu treten, machte er w e d e r den einen noch den anderen der e r w ä h n t e n Ablehnungsgründe mehr geltend. Seine E i n k ü n f t e d ü r f t e n damals kaum größer gewesen sein als wenige Jahre f r ü h e r , und das Bedenken, in den Staatsgeschäften u n d namentlich Verwaltungsfragen nicht hinlänglich bew a n d e r t zu sein, welches er meines Wissens anfangs geltend gemacht hatte, w u r d e damit zerstreut, d a ß man ihm sagte, er w e r d e in dieser
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Richtung an Marquis Olivier Bacquehem als Minister des Innern die beste Stütze finden. Windisch-Grätz war als Ministerpräsident, obwohl jeder Zoll ein vollendeter Kavalier und ein nicht unbegabter Mensch, von rührender Unbeholfenheit. Wohl präsidierte er seinem Ministerium, aber er leitete es in keiner Weise. Das tat überhaupt niemand, am allerwenigsten Bacquehem, der stets nur voller Angst war, bei dieser oder jener der politischen Parteien des Abgeordnetenhauses Anstoß zu erregen. Aber auch Plener, der Finanzminister der Koalition und bis dahin Führer der Liberalen dieses Hauses, versagte so gänzlich, wie niemand hätte erwarten können. Ich, der ich mit meinem provisorischen Beamtenministerium die Koalition abzulösen berufen war, weiß es aus des Kaisers Munde selbst, wie der letztere von Windisch-Grätz nie eine klare und bestimmte Auskunft über die gerade anhängigen politischen Fragen und die Pläne des Ministeriums diesen gegenüber erhalten konnte. Das machte den Herrscher schließlich so unwirsch und ungeduldig, daß er an dem Tag, als er mich mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragte, die kategorische Forderung stellte, bis Nachmittag mit meiner Liste fertig zu sein, „denn er könne und wolle auch nicht einen Tag länger mit dem ganz unfähigen Ministerium Windisch-Grätz", welches damals eben seine Demission eingereicht hatte, „zu tun haben". Zur Charakteristik Windisch-Grätz' hier nur noch einige Züge aus der Zeit seines Ministeriums. Von allem Anfang an legte er den größten Wert auf die äußere Repräsentation seiner neuen Würde. Taaffe, sein Vorgänger, hatte im Ministerium des Innern gewohnt, die Wohnung im Palais des Ministerratspräsidiums, Herrengasse 7, war seit Auerspergs Zeiten leergestanden, und einige ihrer Räume waren in der Zwischenzeit zu Bürozwecken in Benützung genommen worden. Windisch-Grätz, der einstweilen noch in seinem Palais in der Renngasse wohnte, erklärte nun sofort, er wolle die Ministerpräsidentenwohnung beziehen, um dort würdig repräsentieren zu können. Eben zu diesem Zweck aber müsse sie wesentlich vergrößert und von Grund auf renoviert werden. Eine ganze Reihe von Ubikationen, die nicht zur Auerspergschen Wohnung gehört, vielmehr seit jeher Bürozwecken gedient hatten, wurden nun in die Wohnung einbezogen, auch ein großer Saal, in welchem noch von alter Zeit her die Bibliothek des früher bestanden habenden Polizeiministeriums Metternichschen Angedenkens untergebracht war, mußte ausgeräumt und der Bücherstand, ich weiß nicht wo, untergebracht werden. Alle diese Räume wurden denn auch auf das
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prächtigste dekoriert und eingerichtet. Namhafte Künstler schufen in die Wände einzulassende Ölgemälde. Das alles nahm viel Zeit in Anspruch, so daß Windisch-Grätz vor seiner Demission nur einige wenige Feste in seinen Prachträumen veranstalten konnte, und die große Freude, die ihm diese Repräsentation gewährte, war nur von kurzer Dauer. Die Frage der Erweiterung des Wahlrechts war von Taaffe-Steinbach aufgerollt worden. Die Koalition brachte sie nicht weiter, und so begannen denn die Sozialisten eine ziemlich wüste Agitation mit den obligaten Straßendemonstrationen gegen das Ministerium. Für die Agitation hatten sie sich in der Weise Organe geschaffen, als sie nur beste Volksredner als Beamte bei ihren Krankenkassen anstellten, deren Hauptverpflichtung darin bestand, Agitationsreden in Wien und am Lande zu halten. Die bedeutenden Reisekosten hiefür aus den Krankenkasseneingängen zu bezahlen, entsprach gewiß nicht den Zwecken dieser Kassen und ihrer Statuten. Ich hatte ganz bestimmte Daten über dieses gesetzwidrige Treiben der besagten Kassen in die Hand bekommen und plante nun zunächst in Wien gleichzeitige und überraschende Revisionen bei allen diesen Kassen, um den Umfang amtlich feststellen zu lassen und ihm dann Einhalt zu tun. Das war eine Maßregel, welche bei der sozialistischen Partei, aber auch überhaupt in der Öffentlichkeit, großes Aufsehen hervorgerufen haben würde. Deshalb hatte ich meinen Plan vorher dem Ministerium zur Kenntnis gebracht und um dessen Geheimhaltung gebeten. Nach Erhalt des Planes erschienen eines schönen Morgens Kommissionen von Magistrats- und Statthaltereibeamten in den Lokalen sämtlicher Arbeiterkrankenkassen Wiens zur Buchrevision. Die überraschten Beamten hatten nun, da sie sich doch nicht weigern konnten, die Bücher vorzuweisen und Auskünfte zu erteilen, nichts Eiligeres zu tun, als die Abgeordneten ihrer Partei um Hilfe zu bitten. Der Abgeordnete Pernerstorfer unternahm es mit einigen Genossen, dem Minister des Innern, Bacquehem, das Grausen ob der Verwegenheit dieser Revision beizubringen und sogar mit einer geharnischten Interpellation dieserwegen im Abgeordnetenhaus zu drohen. Das hatte so guten Erfolg, daß der Minister gleichzeitig an mich und auch an alle erwähnten Revisionskommissionen direkt aus dem Abgeordnetenhaus Boten mit der Weisung entsandte, die Revisionen einzustellen und bei den Kassen nichts zu beanstanden oder gar Bücher mit Beschlag zu belegen.
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Windisch-Grätz war diese Anordnung seiner „Stütze", von der er erst, nachdem sie schon getroffen war, Kenntnis erhielt, ebensowenig recht als eine andere ähnliche Angstmeierei. Die Straßendemonstrationen wurden immer häufiger und exzessiver. Die Parole der Massen lautete schließlich, vor das Ministerratspalais zu ziehen und vom Ministerpräsidenten das allgemeine Wahlrecht zu verlangen. Einige Male war es der Polizei gelungen, die Demonstranten noch auf der Ringstraße zu zerstreuen, aber wenige Trupps waren doch bis in die Herrengasse gelangt. Windisch-Grätz fing an, recht nervös zu werden, und auch der Kaiser verlangte ein strengeres Einschreiten der Polizei. Ich gab also dem Polizeipräsidenten Ordre, die Straßendemonstrationen mit schärferen Mitteln zu bekämpfen, wenn nötig, Verhaftungen der Rädelsführer vorzunehmen und die Sicherheitswache von den Säbeln Gebrauch machen zu lassen, falls sich Renitenz zeige und die Demonstranten neuerlich in die innere Stadt und zum Ministerpräsidenten ziehen sollten. Diese meine Anordnung hatte der Polizeipräsident nun bei seinem Rapport dem Minister des Innern gemeldet und von diesem den „Wunsch" anhören müssen, nur ja nicht allzu scharf vorzugehen, damit die sozialistischen Abgeordneten nicht Anlaß zu Angriffen gegen die Regierung fänden. Die Folge dieses Wunsches aber war, d a ß nun eine gar arge Demonstration vor Windisch-Grätz' Fenster stattfand. Er, sowie auch Seine Majestät Allerhöchstselbst, die eben an diesem Morgen der feierlichen Einweihung der Wiener Stadtbahn auf dem Bahnhof Michelbeuern beiwohnte, beschwerten sich am anderen Morgen bitter bei mir. Man k a n n sich denken, wie unangenehm mir dies war. Ich konnte nur stammeln, daß mir der Bericht der Polizei über die mir angesichts der gegebenen Aufträge unerklärlichen Vorgänge der letzten Nacht noch nicht zugegangen sei. Unmittelbar nach der Feier ließ ich den Polizeipräsidenten rufen und erfuhr nun erst von ihm den Wunsch Bacquehem. Von nun an wurde strenger eingeschritten und den Demonstrationen ein Ende bereitet. Zur Zeit des Ministeriums Windisch-Grätz kam es nach dem Tode des Wiener Bürgermeisters D r . Prix zur N e u w a h l eines Oberhauptes der Stadt. Für diese Stelle kandidierte die liberale Majorität des Gemeinderates den Ersten Vizebürgermeister D r . Richter, einen ebenso tüchtigen als gescheiten Mann, der sich insofern um seine Vaterstadt Verdienste erworben hatte, als er 1890 im Landtag Berichterstatter für alle mit der Einverleibung der Vororte zusammenhängenden Fragen gewesen w a r .
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Fürst Alfred Windisch-Grätz
N u n aber traten die Klerikalen und Christlichsozialen plötzlich gegen Richter mit dem Vorwurf auf, er sei konfessionslos geworden, um seine Gattin, eine Jüdin, heiraten zu können. Es zeugt von WindischGrätz' ausgesprochen klerikaler Gesinnung, die mir früher nie besonders aufgefallen war, d a ß er, kaum war die Frage der Konfession Richters aufgeworfen worden, hierüber Bericht von mir verlangte. Ich hatte mich um Richters Konfession früher wahrlich nie gekümmert, wollte es auch anfangs gar nicht glauben, daß er konfessionslos sei, aber die von mir verlangten Erhebungen ergaben die Richtigkeit der Angabe. Windisch-Grätz erklärte mir nun, er als gläubiger Christ könne und dürfe es niemals zugeben, daß ein Konfessionsloser, und sei er auch ein noch so tüchtiger Mann, dem Kaiser zur Bestätigung als Wiener Bürgermeister vorgeschlagen werde. Er habe die Sache im Ministerrat zur Sprache gebracht, und dieser stimme seiner Anschauung bei. Falls Richter die Nichtbestätigung seiner Wahl vermeiden wolle, möge er von seiner Kandidatur zurücktreten. Das tat der Arme denn auch, war von diesem Zeitpunkt an ein gebrochener Mann und starb nicht lange darauf. Taaife hatte Ungers ehemaligen Leibjournalisten Freiberg zum Presseleiter im Ministerratspräsidium gemacht. Windisch-Grätz stand er aber — vielleicht wegen seiner jüdischen Abstammung — nicht zu Gesicht, er hatte ihm deshalb einen längeren Urlaub erteilt u n d ließ die Geschäfte der Presseleitung durch Sektionschef Ritter von Jauner, den Kanzleidirektor des Herrenhauses, den er schon von dorther gut kannte und schätzte, besorgen. Als Ministerpräsident hatte sich Windisch-Grätz wohl auch aus repräsentativen Rücksichten zum Major in der Reserve befördern lassen. Als solcher erschien er bei allen festlichen Gelegenheiten in der schmucken Jägeruniform. Die militärischen Uniformen werden ja bei Hof gern gesehen. Nach seiner Ministerpräsidentschaft wurde Windisch-Grätz zum Präsidenten des Herrenhauses ernannt und in dieser Würde auch immer wieder bestätigt. Er bekleidet den Posten, wenn auch die Sitzungen längst sistiert sind, noch heute. Er hat es stets verstanden, seinen O b liegenheiten mit Eifer, voll Objektivität und mit großer Höflichkeit für alle seine Herrenhauskollegen und Beamten zu entsprechen. „ N o blesse oblige" darf man von ihm getrost sagen.
OLIVIER MARQUIS DE
BACQUEHEM
Olivier Bacquehem, geboren 1847, also mein Altersgenosse, ist der Sohn eines vermögenslosen Offiziers, der, französischen Ursprungs, durch seine Frau, eine geborene Gräfin Rindsmaul, in ein Schwagerschaftsverhältnis mit einigen aristokratischen Familien Österreichs gelangte; so unter anderem mit den Taaffes und Larisch. Diese Beziehungen sollten dem Sohne Olivier, nachdem er das Theresianum absolviert hatte, in seinem Fortkommen sehr nützlich werden. Als ein beliebtes Mitglied der Theresianistenclique, wurde er gar bald nach seinem Eintritt in den Staatsdienst Präsident im Ministerium f ü r Kultus und Unterricht unter D r . von Stremayr. Er war in dieser Verwendung Kollege Gautschs, den er noch vom Theresianum her kannte, obwohl er etwas älter war als dieser. Bestrebt, eine schnelle Karriere zu machen, gelang es Bacquehem, als die Okkupation Bosniens und der Herzegowina vollzogen wurde, sich dem H o f r a t N o w a k zuteilen zu lassen, der die Zivilverwaltung der neubesetzten Länder organisieren sollte. Damals lernte ich Olivier persönlich kennen. Er sprach begeisterungsvoll über die seiner harrenden Arbeiten. Man hörte allerdings anfangs nicht viel von der Tätigkeit der Zivilverwaltung in Sarajewo. Als ich einige Zeit hienach einen alten Bekannten, den Generalstabsmajor von Pokorny, der die Okkupation mitgemacht hatte und in Sarajewo stationiert war, in Wien auf Urlaub traf, befragte ich ihn um die Tätigkeit unserer dortigen Zivilbeamten. Er aber erwiderte lachend: „Nun, die führen ein recht beschauliches Leben, denn sie warten auf Exhibite." Weder N o w a k noch Bacquehem blieben lange in Bosnien exponiert, der erstere ging in Pension, und der andere wurde von Taaffe zum Bezirkshauptmann, irre ich nicht, in Böhmen ernannt. N o w a k lernte ich in Klagenfurt kennen, woselbst er im Ruhestand wohnte. Er war ein recht gemütliches Haus, der P r o t o t y p des altösterreichischen rechtschaffenen Bürokraten. D a ß er nicht der richtige O r ganisator für Bosnien gewesen war, wurde mir sofort klar. Bacquehem hatte gewiß die richtige Nase gehabt, als er eine Bezirkshauptmann-
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Olivier Marquis de Bacquehem
schaft mit regelmäßigem Exhibiteneinlauf den bosnischen Schwierigkeiten vorzog. Er machte denn auch auffallend schnell Karriere, wurde bald Landespräsident in Schlesien und von diesem Posten aus, als Baron Pino-Friedental sich als Handelsminister unmöglich gemacht hatte, im Juni 1886 dessen Nachfolger im Kabinett Taaffe. Von Bacquehems Tätigkeit in Schlesien weiß ich nur vom Hörensagen. Er lebte dort ziemlich zurückgezogen, beinahe wie ein Sonderling, und ließ die Dinge an sich herankommen. Graf Heiny Larisch, Sohn des gewesenen österreichischen Finanzministers, nun Majoratsherr in Schlesien, Besitzer der größten Kohlengruben und Multimillionär, war eben von Taaffe zum Landeshauptmann dieses Landes ernannt worden. Obwohl er nur selten in Troppau Aufenthalt nahm, nämlich nur dann, wenn der Landtag gerade versammelt war oder um im Winter das eine oder andere Fest in seinem Hause zu veranstalten, bei dem, wie es hieß, die Honoratioren des ganzen Landes erschienen und förmlich in Champagner ertränkt wurden, hatte dieser doch (oder vielleicht eben deshalb) großen Einfluß und gutes Ansehen im Lande. Das machte sich Bacquehem, seitdem die f ü r ihn erfreuliche Entdeckung gemacht worden war, d a ß er durch seine Mutter entfernt mit den Larisch v e r w a n d t sei, zunutze. Gräfin Jetta Larisch aber, die bis zu ihrem Lebensende 1915 gern in Protektionen f ü r ihre Söhne und andere machte, legte stets großen Wert auf solche verwandtschaftliche oder auch sonst nur gesellig intime Beziehungen zu den hohen Staatsfunktionären. Als neuer Handelsminister im Taaffeschen Kabinett unterhielt er zunächst sehr enge Beziehungen zu Gautsch, der den Theresianistenkollegen in die Kunst, Österreich zu regieren — die man bekanntlich theoretisch schon in der Theresianischen Akademie erlernt —, nun auch praktisch einführte. Wie Paul glänzte auch Olivier durch äußere Eleganz. Taaffe nannte die beiden denn auch „seine Gigerln". In die Periode der Bacquehemschen Handelsministerschaft fällt die Aufhebung des Freihafens in Triest und die Erneuerung der Handelsverträge mit Deutschland und Italien. Wie weit die persönliche Ingerenz des Ministers in diesen u n d anderen Transaktionen seines Amtes damals reichte, kann ich nicht sagen. N u r erinnere ich midi, daß man erst, als der Handelsvertrag mit Italien im Abgeordnetenhaus beraten wurde, die Bedeutung der „Weinzollklausel" in diesem Instrument erkannte, welche es ermöglichte, d a ß unser Weinbau durch den Import italiennischer Weine arg geschädigt werden konnte. Das gab einen großen
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Sturm, und Bacquehem mußte alle möglichen Entschuldigungen hervorsuchen. Es hieß damals, unsere Unterhändler, die die Tragweite der genannten Klausel nicht erkannt hätten, seien den Italienern einfach aufgesessen. Bacquehem glänzte im Parlament mit seinen Reden, ebenso — ja vielleicht noch mehr als Gautsch — durch die Fülle von Details und durch witzige Wendungen. Das fiel uns im Ministerium des Innern auf. Erkundigungen ergaben, daß aus einem jeden Verhandlungsakt, von dem man voraussetzen konnte, daß dessen Gegenstand einmal im P a r lament zur Sprache komme oder mit dem der Minister in seiner Budgetrede glänzen könnte, ein Auszug verfaßt werde. Diese auf Zettel geschriebenen Auszüge wurden dann entsprechend der sich ergebenden Gelegenheit zur Ministerrede zusammengefügt. Bacquehem hatte aber ein staunenswertes Gedächtnis, so daß er imstande war, einmal Überlesenes sofort frei vorzutragen. Bei unseren in Rede stehenden Erkundigungen hieß es auch, der Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses, Dr. H a l b a n , der schon früher mehrfach von mir erwähnte „Blumenschmodi", wirke bei Verfassung der Reden f ü r Bacquehem mit und liefere namentlich die witzigen Wendungen. Letzteres dürfte aber nicht richtig sein, denn der Redner selbst verfügte stets über ein ganz genügendes Quantum von Bosheit, um aus diesem die lieben Nebenmenschen giftig-witzig anspritzen zu können. Eine große Rolle unter Bacquehem als Handelsminister spielte sein ehemaliger Theresianistenkollege Dr. Ernst von Koerber, unser heutiger und abermaliger Ministerpräsident, den er an die Spitze seines Präsidialbüros gestellt hatte, u n d der ihm dort die allerbesten Dienste leistete. Nicht nur, daß Koerber die erwähnten Aktenauszüge erfunden hatte, er veranlaßte seinen Chef auch, Rundreisen durch die größeren Industriegebiete zu machen, u n d gab ihm fertige Ansprachen mit auf den Weg, die er bei dem Besuch der einzelnen Fabriksetablissements loszulassen hatte. Diese verschiedenen Ansprachen machten damals Aufsehen und ihrem Verfasser alle Ehre, waren sie doch auf jeden einzelnen Fabrikszweig richtig zugeschnitten und stellten sie diesem besondere Regierungsförderung in Aussicht. Mit dieser Mache fing der Stern Koerbers zuerst zu leuchten an. Auf seine Leuchtkraft wurde nachmals Badeni aufmerksam gemacht, und er berief dann Koerber als Sektionschef in das Ministerium des Innern. Als nach Taaffes Sturz das Koalitionsministerium gebildet wurde und der böhmische Kavalier Alfred Windisch-Grätz als Präsident an die Spitze desselben trat, hieß es, ihm einen Minister des Innern an die
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Seite z u stellen, der die Administration,
von der
Windisch-Grätz
natürlich keine Ahnung hatte, gut kenne und der dem Ministerium und ihm selbst eine gewisse Festigkeit gegenüber den Einflüssen der P a r l a mentarier gebe, die man beim guten A l f r e d auch nicht voraussetzen durfte. Zu dieser wichtigen R o l l e wurde der kleine Olivier ausersehen. W i e er sie spielte? Jeder Zoll ein H a s e n f u ß . Seine Angst v o r jeder im P a r l a m e n t „möglicherweise" auftauchenden Schwierigkeit — Taaffe hatte man k a u m je angefochten, und dieser stützte damit seine Ministerkollegen — wurde alsbald derart arg, daß auf
administrativem
Gebiet
seitens
des
Ministeriums
des
Innern
überhaupt nichts mehr unternommen wurde und daß jede Initiative, die e t w a ein Landeschef auf diesem Gebiet ergriff, beim Ministerium taube O h r e n fand oder demselben direkt ausgetrieben wurde. Ich kann in dieser Richtung mit Beispielen dienen, über die ein Geschichtsforscher einst in den A k t e n die Einzelheiten wird nachlesen können. Als das Lebensmittelgesetz zur Diskussion stand, welches ausschließlich staatliche Lebensmitteluntersuchungsämter vorsah, verlangten die L ä n d e r das gesetzliche Recht, auch solche Ä m t e r errichten zu können. D i e Motivierung w a r merkwürdig genug: D a die Gemeinden innerhalb ihrer G r e n z e n die Lebensmittelpolizei im selbständigen Wirkungskreis ausübten, seien auch die Länder in höherer Ordnung hiezu berufen. Sektionschef
Freiherr v o n P l a p p a r t wollte dieser Forderung
nicht
nachgeben, erhielt aber von seinem vorgesetzten Minister Bacquehem den Auftrag, dies sofort zu tun, damit er unangenehmer Erörterungen bei der Plenarberatung des Gesetzes entgehe. Überhaupt wurde gerade unter der kurzen Herrschaft Bacquehems im Ministerium des Innern den Autonomen auf Kosten der Staatsautorität unendlich viel nachgegeben, und das alles aus reiner Schwäche und Feigheit. Im Ministerium des Innern nahm das Aktenexzerpieren für mögliche Reden Bacquehems im P a r l a m e n t geradezu unglaubliche Dimensionen an. In jedem Departement w a r ein Konzeptsbeamter damit beschäftigt, solche Auszüge auf Papier in
ausschließlich
Oktavbriefformat
feinsäuberlich zu schreiben. Als ich sein Nachfolger im Ministerium wurde, fand ich in dem von ihm verlassenen B ü r o zwei große Stellagen, die er sich eigens hatte anfertigen lassen, in denen in zahlreichen kleinen und mit Aufschriften versehenen Fächern diese fertigen Bruchstücke zu seinen Parlamentsreden geordnet lagerten. Mein erstes war damals die Entfernung dieser unschönen Möbel und die Vernichtung ihres Inhaltes; zahllose Konzeptsbeamte wurden ihrer eigentlichen Arbeit gegeben.
wieder-
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Wie schwach die Stütze war, die Windisch-Grätz an Bacquehem hatte, habe ich schon geschildert. Hier sei aus jener Zeit nur noch gesagt, d a ß Olivier damals die feierlichen Gelübde als Rechtsritter des Deutschen Ordens leistete und vom Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Wilhelm in der Deutschordenskirche in der Singerstraße den Ritterschlag erhielt. Ähnliche Feiern finden von Zeit zu Zeit auch in der Malteserkirche in der Kärntner Straße statt. Ich habe schon in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" geschildert, wie das Koalitionsministerium und mit ihm Bacquehem gestürzt wurde. Er war nur eine kurze Zeit lang „vazierend", bis er dann gleich zu Beginn der Ära Badeni an Stelle des Freiherrn von Kübedi, der mehr als 30 Jahre den Statthalterposten in der Steiermark bekleidet hatte, Landeschef in Graz wurde. Höchst merkwürdig war es, was man von dort alles über seine wenige amtliche Tätigkeit, seine eigentümliche Lebensführung und seine geringe Beliebtheit hörte. Aus der Grazer Epoche Bacquehems ist nur zu erwähnen, daß er damals immer die Worte im Mund führte, der Wirkungskreis eines Statthalters komme ihm, dem gewesenen Minister, kleinlich vor. Das verletzte natürlich niemanden mehr als die braven Steirer, die, was wohl ganz natürlich, ihre Landesangelegenheiten für wichtig hielten und nun sehen mußten, wie Bacquehem, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kübeck, diese bagatellisierte. Der Vergleich mit Kübedk, der noch in ihrer Mitte weilte, fiel stets zuungunsten Bacquehems aus, auch in der Art, wie der letztere repräsentierte. Kübeck hatte jährlich und regelmäßig zwei große Feste in der Statthalterei veranstaltet und zu denselben alles, was Rang und Würde hatte, aber nur die Damen der Aristokratie und die Gattinnen der höchsten Beamten und Landesfunktionäre, eingeladen. Bacquehem, der ein Auge für hübsche Weiber hatte, war von diesen eingelebten Regeln abgewichen und lud zu seinen, übrigens auch nicht zahlreichen Festen in der Statthalterei eine größere Anzahl von Damen — aber nur solche, mit denen er sich hier oder dort gut unterhalten hatte und die in Graz wegen ihrer hübschen Gesichter oder ihrer geschmackvollen Toiletten bekannt waren — ein. Durch diese Auswahl, die keinerlei hierarchischer Ordnung entsprach, hatte er zahllose andere weibliche Wesen und deren gesamten Anhang vor den Kopf gestoßen, was ihm nie wieder verziehen wurde. Auch andere Weibergeschichten schadeten seinem Ansehen sehr. Die passageren Verhältnisse, die Olivier der Öffentlichkeit nur wenig vorenthielt, bildeten meist das Tagesgespräch von Graz, und das schadete 17 Goldinger, Kaiserhaus
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seinem Amtsansehen, o b w o h l von ihm b e k a n n t w a r , daß er geschäftskundig u n d v o n schneller Auffassung sei. Letztere Eigenschaften w a r e n aber deshalb nicht genügend, weil er den Geschäften an sich ziemlich interesselos gegenüberstand u n d keinerlei Initiative zum N u t z e n des Landes entwickelte. Auch bei der Beamtenschaft, um die er sich nur selten kümmerte, w a r er wenig beliebt. Ein gut Teil der Arbeit pflegte er seinen Vizepräsidenten zu überlassen. D e r erste war R i t t e r von Fraydenegg, der aber b a l d Landespräsident in K ä r n t e n w u r d e u n d dann v o n K l a g e n f u r t aus als Freiherr in Pension ging. Ihm folgte der ebenfalls sehr tüchtige u n d fleißige B ü r o k r a t Netolicka. Als sich d a n n auch im steirischen L a n d t a g die slowenische Minorität immer unangenehmer gebärdete u n d dem Statthalter Schwierigkeiten bereitete u n d er wohl einsehen mochte, d a ß er bei den Deutschen der Steiermark, u n d besonders auch in der G r a z e r Gesellschaft, keinen rechten H a l t habe, bat er u m seine Enthebung. O b ganz aus freien Stücken oder nach aus d e m Ministerium empfangenen Winken, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen. Seine Herrlichkeit in G r a z dauerte bis 1898, also im ganzen k a u m drei J a h r e . E r übersiedelte nach Wien u n d h a t t e nun keine andere Beschäftigung mehr, als sich seinem M a n d a t als lebenslängliches H e r r e n hausmitglied zu widmen. Von hier aus sollte er es bald wieder zu etwas bringen. I m M ä r z 1900 starb nämlich ein Kollege der Mittelpartei, der ständigen eigentlichen Regierungspartei des Herrenhauses, der Großindustrielle Nikolaus D u m b a , der sich regelmäßig in die Delegation h a t t e entsenden lassen u n d in dieser m e h r als zehn J a h r e lang als Berichterstatter für das Budget des Ministeriums des Ä u ß e r n f u n giert hatte. D a s aber hatte D u m b a hohes Ansehen nach außen, O r d e n u n d zuletzt sogar die Geheimratswürde eingetragen, die doch sonst bei Industriellen niemals verliehen wird. Die Außenwelt glaubt, d a ß ein solcher Berichterstatter, der die weisesten Redensarten über die äußere Politik der Monarchie f ü h r t , Einfluß auf diese habe und eventuell noch das P u l v e r erfinden würde, wenn dieses nicht die Chinesen oder ein gewisser Berthold Schwarz längst vor ihm getan hätten. I n Wahrheit handelt es sich aber nur d a r u m , daß dieser Berichterstatter das als seine eigene kritische Meinung im Ausschuß u n d im P l e n u m der Delegation z u m besten gibt, was ihm im Ministerium des Äußern gesagt und vorgeschrieben worden ist. Ist aber dieser Berichterstatter ein gelehriger „Papagei", so darf er doch sicher erhoffen, persönliche Förderung durch
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den einflußreichen Minister des Äußern und des Kaiserlichen Hauses zu finden. Das aber war dem schlauen Olivier nicht entgangen, und er wußte es sehr geschickt durchzusetzen, daß er nach Dumbas Tod mit der in Rede stehenden Berichterstattung betraut wurde. Er muß sein Pensum gut hergesagt haben, denn schon im August desselben Jahres, 1900, hatte er wieder einen aktiven Staatsbeamtenposten, und zwar den sehr angenehmen, weil lebenslänglichen eines Senatspräsidenten beim Verwaltungsgerichtshof, erlangt. Von diesem aus wurde er bald Zweiter und dann, nach Graf Friedrich Schönborns Tod 1906, Erster Präsident dieses Gerichtshofes. Den Posten bekleidet er noch immer. Derselbe ist zwar keine Sinekure, gibt aber nicht übermäßig viel zu tun und ist mit keinerlei Verantwortung nach außen verbunden.
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Dr. K A S I M I R
GRAF
BADENI
Über Kasimir Badeni und seine Ministerpräsidentschaft habe ich das meiste schon in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" erzählt. H i e r nur etwas über seine Vorgeschichte und dann noch einige Ergänzungen. Ende der 1860er Jahre erschienen plötzlich im C a f é Daum am Kohlmarkt, w o damals die Wiener Jungherrenwelt mit Vorliebe verkehrte, zwei recht elegante Jünglinge, die man anfangs f ü r Ausländer hielt, bis man erfuhr, es seien zwei Grafen Badeni aus Galizien, Kasimir und sein jüngerer Bruder Stanislaus, nachmals langjähriger Landmarschall von Galizien. Kasimir diente schon bei den politischen Behörden seines Heimatlandes und wurde bald zur Dienstleistung in das Ministerium des Innern einberufen. Ich lernte ihn damals persönlich kennen, trat aber in keine näheren Beziehungen zu ihm, weil er sich der „großen Welt" der Diplomatengruppe angeschlossen hatte, während ich zur Wiener Gruppe gehörte. Diese zwei Gruppen standen einander, man kann nicht sagen feindlich, gegenüber, aber sie rivalisierten doch miteinander und schlössen sich infolgedessen so weitgehend voneinander ab, daß man sich wohl auf größeren Festen traf, aber sonst intimeren Verkehr mied. Badeni blieb mehrere Jahre im Ministerium des Innern, brachte es dort zum Ministerialvizesekretär und ging dann als Bezirkshauptmann nach Galizien, wo er eine Landsmännin heiratete. Eine Ausnahmestellung innerhalb Galizien hatte stets der Bezirkshauptmann in K r a kau, man pflegt ihn als Statthaltereidelegaten zu bezeichnen, er bekleidet in der Regel den Rang eines Hofrates. Von einem kleineren Bezirk aus erreichte Kasimir Badeni diesen H o f r a t s - und dann unter Taaffe, nach dem Rücktritt von Alfred Potocki, den Statthalterposten in Lemberg. Der letztere war österreichischer Ackerbauminister und dann Ministerpräsident gewesen und hatte noch etwas H e r z f ü r die zentrale Verwaltung gezeigt. Man hatte angenommen, daß dieses auch bei
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Badeni der Fall sein werde, der doch jahrelang dem Ministerium des Innern angehört hatte. Aber darin täuschte man sich gewaltig. Badeni war zu eng mit der Slachta verbunden, als daß er nicht die Eigentümlichkeiten der nur in ihrem Interesse arbeitenden Verwaltung Galiziens den neugierigen Blicken der Wiener Zentralstellen hätte entziehen sollen. Verlangte ein Wiener Ministerium von der galizischen Statthalterei Aktenvorlage, so kam ein nichtssagender Bericht ohne Anschluß von Akten. K a m eine Beschwerde über die unglaublichsten Vorgänge bei Wahlen, zu denen die unglücklichen Wähler durch förmliche D r a gonaden gezwungen worden waren, und wurde die Statthalterei um Aufklärung angegangen, so konnte man sicher sein, diese niemals oder doch nur in der ungenügendsten Form zu erhalten. Die Durchführung neuer Gesetze stieß in Galizien immer auf die größten Schwierigkeiten. Es hieß dann meist, die Bestimmungen seien für dort nicht anwendbar, die Bevölkerung zu arm, um den Forderungen des neuen Gesetzes nachkommen zu können, oder dergleichen. Wie das neue Personaleinkommenssteuergesetz in Galizien gehandhabt wurde und wie dort überhaupt alle „führenden Politiker" untereinander einig waren, möglichst wenig oder gar keine Staatssteuern zu zahlen, schildere ich vielleicht an einer anderen Stelle. Jetzt habe ich nur zu sagen, daß Taaffe oft über Badenis Vorgehen recht aufgebracht war, noch mehr aber Sektionschef Baron Erb, der eine ordentliche Handhabung der staatlichen Sanitätspolizei in Galizien nicht zu erzielen vermochte und es dieserhalb auf Badeni besonders scharf hatte. Die aus seiner Sektion nach Lemberg ergehenden Erlässe waren oft voll von tadelnden Bemerkungen, was aber den Statthalter offenbar recht kühl ließ, hatte er dodi den kommandierenden General von Krakau und dann von Lemberg, Fürsten Ludwig Windisch-Grätz, und das Militär überhaupt ganz für sich zu gewinnen vermocht; und zwar dadurch, daß er, als es sich 1889 um die Errichtung eines neuen Armeekorps in Przemysl, um die Beschaffung von Ubikationen für dieses und um die Herstellung von Wegen und Befestigungsbauten an der russischen Grenze handelte, Ukase an alle Behörden erlassen und auch persönlich eingegriffen hatte, damit diesen militärischen Erfordernissen gegen das von allen Polen Galiziens gehaßte Rußland entsprochen werde. Die Energie, mit der Badeni damals vorging, verschaffte ihm in manchen Kreisen den Namen eines österreichischen Bismarck und die besondere Geneigtheit des Herrschers. Dem Ministerium des Innern gegenüber wurde er dann noch etwas unbotmäßiger.
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N u n sollte er im Sommer 1895 Ministerpräsident werden. In Ergänzung zu meiner früheren Schilderung darüber51') trage ich nach, daß sein Bruder Stanislaus als Herrenhausmitglied fast den ganzen Sommer über, während ich „meine Gastrolle" als leitender Minister zu spielen hatte, in Wien verblieb, um die Weiterentwicklung der Dinge hier abzuwarten und Fühlung mit jenen Politikern zu nehmen, die Kasimir als Ministerkollegen brauchen könnte. Dabei waren Gautsch, der es nicht erwarten konnte, wieder als Unterrichtsminister an das Ruder zu kommen, und der Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses, Ritter von Halban, der gewesene polnische Jude Blumenstock, die Macher und Vertrauten. Gautsch wollte seine Machenschaften durchaus vor mir verbergen, was ihm aber nicht gelang. Halban wurde mir direkt als „Königsmacher" bezeichnet und war so unverfroren, einen Urlaub zum Besuch Badenis in Busk, dessen Gut in Galizien, von mir zu erbitten. Mit zu diesen Machern gehörte auch Johann Chlumecky, der neugebackene Freiherr und damalige Präsident des Abgeordnetenhauses, der ja Geburtshelfer bei allen Ministerien jener Zeit, das meinige ausgenommen, war. Ich hatte dies wohl immer angenommen, erhielt aber die Gewißheit darüber mit Einzelheiten seiner Machenschaft erst viel später. Badeni hatte sich bei Einsetzung meines Ministeriums und nach seiner Rückkehr nach Lemberg auf indirektem Weg mit dem Ersuchen an Chlumecky gewendet, ihm die Grundzüge eines Regierungsprogramms bekanntzugeben, auf Grund dessen er eine Majorität im Abgeordnetenhaus finden könnte. Dieses Ersuchen aber hatte Badeni an die „Neue Freie Presse" weitergegeben, und in deren Redaktion wurden nun durch Benedikt diese Grundzüge ausgearbeitet und nach Lemberg befördert. Badeni soll darüber dann mit Chlumecky in direkte Korrespondenz eingetreten sein und diesem ganz bestimmte Zusicherungen über die von seinem Ministerium einzuhaltende liberale Richtung gegeben haben. Dies erklärt, wieso Chlumecky dem neuen Ministerium unmittelbar nach seiner Einsetzung ein solennes Diner gab, wieso Badeni in den ersten Tagen seiner Ministerpräsidentschaft unausgesetzt Konferenzen mit Bacher, dem Herausgeber der „Neuen Freien Presse", und dann mit dem czechischen Abgeordneten und Journalisten Eim hatte, um ein Zusammengehen der Deutschen und der Czechen auf dem Wege des Liberalismus zu erzielen. Ich möchte annehmen, daß Badeni schon in seiner Korrespondenz mit Chlumecky die Nichtbestätigung Luegers als Bürgermeister von Wien zugesagt hatte. Das erklärt die * ) In meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph", Seite 58.
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Verlegenheit, die Badeni diese Frage damals bereitete, aber auch, d a ß er Gautsch, der nur ihm die wiedererlangte Ministerschaft verdankte, bestimmen konnte, im Ministerrat f ü r die Nichtbestätigung Luegers einzutreten, was damals sehr auffallend war, weil Gautsch es doch stets ängstlich vermied, den Parteimann hervorzukehren, um sich immer „ministrabel" zu erhalten. Ich hatte mein Ministerium ja immer nur als ein Provisorium betrachtet und Badeni als meinen präsumtiven Nachfolger sogar über die politische Situation in Wien auf dem laufenden gehalten. Als er nun Anfang Oktober wirklich die Geschäfte von mir übernahm, weihte ich ihn noch ganz besonders eingehend in diese ein. Er w a r in seinen Dankesausdrücken hiefür beinahe überschwenglich und meinte, ich müsse ihm aber auch noch die Freundschaft antun, in der nächsten Zeit täglich zu ihm zu kommen, um ihn über die laufenden Geschäfte des Ministerratspräsidiums und des Ministeriums des Innern sowie über die Q u a lität des ihm nahezu fremden Beamtenpersonals dieser Stellen zu informieren. Ich gebe hier die politische Situation wieder, wie ich sie Badeni wörtlich schilderte. Das Abgeordnetenhaus hatte sich, nachdem eine Formel, um über die Cillyer Schulfrage hinwegzukommen, gefunden war, als geradezu arbeitsfreudig erwiesen. Es standen wieder einmal Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn bevor, und mir war es gelungen, die Abgeordneten aller Parteien davon zu überzeugen, daß Österreichs Stellung in diesen nur dann stark sein könne, wenn das Abgeordnetenhaus nach außen das Bild der Einigkeit biete. Ich hatte das Schlagwort „politischer Waffenstillstand bis nach beendigten Ausgleichsverhandlungen" ausgegeben, und dieses w a r auf fruchtbaren Boden gefallen. Zum Eingehen dieses Waffenstillstandes hatte ich die Czechen allerdings nur um den Preis von 15 Millionen Gulden, die diese f ü r Wasserstraßen und Verkehrsanlagen in Böhmen verlangten, gewinnen können, und die im nächsten Budget einzustellen ich versprach. Der Preis war nicht hoch, wenn man bedenkt, daß man Wien und Niederösterreich wenige Jahre zuvor f ü r Verkehrsanlagen (Stadtbahn, Sammelkanäle usw.) über 100 Millionen bewilligt hatte, auf die die Böhmen begreiflicherweise neidig waren. Die Liberalen hatten eben in Wien abgewirtschaftet; mit dieser Partei ging es überall etwas bergab, so daß im Abgeordnetenhaus die konservativen Parteien, denen auch die Wiener Christlichsozialen zuneigten, anfingen, Uberwasser zu bekommen. Mein R a t an Badeni hatte also darin gegipfelt, den Waffenstillstand zu festigen, meine bereits formulierten Forderungen Ungarn gegenüber bei den
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Ausgleichsverhandlungen durch besonders befähigte Regierungsorgane vertreten, Lueger als Bürgermeister von Wien bestätigen zu lassen, um dessen neue Partei allmählich der Regierung gefügig zu machen und sich auf diese Weise eine Majorität im Abgeordnetenhaus zu sichern. Badeni versicherte mir, auch er neige, seiner ganzen Vergangenheit nach, den konservativen Parteien zu und habe in diesen seine Freunde, er werde meinen R a t in jeder Richtung befolgen. Schade, daß ich kein Tagebuch über die erste Zeit der Badenischen Ministerpräsidentschaft geführt habe, denn sonst könnte ich beweisen, wie er an dem einen Tag den einen und am zweiten und folgenden Tag einen anderen Punkt meines Programms, fremden Einflüsterungen folgend, aufgab, keine gesicherte Majorität für die Regierung im Abgeordnetenhaus zu schaffen verstand und schließlich mit seinem ganzen Ministerium elend, nach kaum zwei Jahren seines Bestandes, Schiffbruch erlitt. Den erwähnten Beweis kann ich also leider nur, mich auf mein gutes Gedächtnis verlassend, erbringen. Wie Badeni Böhm-Bawerk, der sich so vorzüglich auf die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn vorbereitet hatte, nicht in sein Ministerium aufnahm, vielmehr Bilinski, diesen Oberstreber, um mich keines stärkeren Ausdruckes, wie ihn unter anderen Taaffe stets für ihn hatte, zu bedienen, als Finanzminister in sein Ministerium nahm, habe ich bereits geschildert. Ich komme nun auf Sektionschef Baron Erb zu sprechen, der, wie ich erwähnte, die scharfen Erlässe an den Statthalter Badeni konzipiert hatte und deshalb mit diesem auf äußerst gespanntem Fuße stand. Als Erb Ende September von mir erfahren mußte, daß Badeni in der nächsten Zeit midi und mein provisorisches Ministerium ablösen werde, überreichte er mir sofort sein Pensionsgesuch; er könne und wolle unter Badeni nicht dienen. Ich weigerte mich, sein Gesuch dem Kaiser vorzulegen, setzte ihm auseinander, wie er, der ehemalige Komitatsbeamte in Ungarn aus der Bachischen Zeit, mit seinen fortwährend aufrechterhaltenen Beziehungen mit so vielen ungarischen Politikern und seiner Beherrschung der ungarischen Sprache es im gegenwärtigen Moment der Regierung, die seine Kenntnisse der Verhältnisse Ungarns bei den Ausgleichsverhandlungen so vorteilhaft werde verwerten können, nicht antun dürfe, den Dienst zu verlassen. Es gelang mir sogar, ihn dazu zu bestimmen, Badeni bei dessen Übernahme der Geschäfte des Ministeriums des Innern an der Spitze des Beamtenkörpers zu begrüßen. Natürlich hatte ich den Minister vorher auf die Unentbehrlichkeit Erbs aufmerksam gemacht. Nach der Vor-
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Stellung der Beamten ging er denn auch gleich, Erb einen Besuch zu machen, bei dem man sich über die früheren, nur sachlichen Differenzen aussprach, aber für die Zukunft gegenseitige Unterstützung versprach. Des Pensionsgesuchs hatte Badeni nur vorübergehend mit dem Bemerken Erwähnung getan, von dessen Erledigung könne keine Rede sein. Aber bereits vier Wochen später eröffnete Badeni Erb, er habe nunmehr hinlängliche Kenntnis von den Geschäften im Ministerium erlangt, um der Information Erbs hierüber entraten zu können, und wolle, falls er wirklich ruhebedürftig sei, diesem seinem Wunsch nicht länger entgegentreten. Auf das äußerste verletzt, schied Erb aus dem Amt, und zwar wenige Tage bevor sich Badeni zu den Ausgleichsverhandlungen nach Budapest begab. Aber vor diesen hatten er und sein Bilinski noch einen anderen Mann aus dem Dienst entfernt, der bei den in Rede stehenden Verhandlungen die größte Rolle zu spielen hätte berufen sein sollen. Es war das der Sektionschef des Finanzministeriums, Ritter von Baumgarten, der genaueste Kenner der indirekten Steuergesetzgebung Österreichs und Ungarns, von dem mir gesagt worden war, die ungarische Regierung fürchte nichts mehr, als daß dieser Sektionschef an den Verhandlungen teilnehme, denn er beherrsche sein Fach in einer derart hervorragenden Weise, daß die ungarischen Regierungsvertreter ihm nicht gewachsen seien. Bevor ich weiteres über die Ausgleichsverhandlungen selbst erzähle, möchte ich feststellen, daß ich Badenis Aufforderung, täglich zu ihm zu kommen, natürlich entsprach. Mein erster Besuch bei ihm f a n d nachmittags, als ich ihn im Ministerratspräsidium in der Herrengasse wußte, statt. Als ich in sein Kabinett eintrat, f a n d ich Bacher, den Herausgeber der „Neuen Freien Presse", bei ihm. Er war sehr erstaunt zu vernehmen, daß ich diesen persönlich nicht kenne. Er stellte mir Bacher nun mit den Worten vor, er habe es als eine seiner ersten Pflichten erachtet, den Herausgeber des hervorragendsten Wiener Blattes zu sich bitten zu lassen, um persönliche Beziehungen mit demselben anzuknüpfen und auch dessen R a t f ü r die fernere Haltung der neuen Regierung einzuholen. Nach Austausch einiger höflicher Worte zwischen mir und Bacher empfahl sich dieser. Bald hienach kam die Rede mit Badeni auf die Frage, ob Lueger nach seiner mit Sicherheit zu erwartenden Wahl zum Bürgermeister dem Kaiser zur Bestätigung vorzuschlagen sei oder nicht. Offenbar hatte Bacher eben die Nichtbestätigung verlangt. Ich machte nun meine Argumente für eine Bestätigung unter gewissen Bedingungen geltend. Badeni schien im Zweifel, was er tun solle, und
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meinte, er fürchte mit der Bestätigung die Liberalen vor den Kopf zu stoßen. Schließlich erlangte ich von ihm die Zusicherung, bevor er sich nach irgendeiner Richtung entscheide und binde, Friebeiss, den die Gemeinde Wien verwaltenden und die politischen Verhältnisse der Stadt am genauesten kennenden Regierungskommissär, zu hören. Diese Konferenz Badenis mit mir und Friebeiss f a n d dann auch tatsächlich einige Tage oder Wochen später statt und endete damit, d a ß der Ministerpräsident erklärte, die Wiener Verhältnisse, wie sie Friebeiss schildere, machten in der Tat die Bestätigung Luegers notwendig. Meinen zweiten Besuch machte ich Badeni im Ministerium des Innern. Ich mußte, wiewohl ich zu einer frühen Vormittagsstunde erschienen war, recht lange im Vorzimmer warten, denn es hieß, Badeni sei in einer wichtigen Konferenz mit dem jungczechischen Abgeordneten Eim begriffen. Ich kam nun in den nächsten Tagen noch früher in das Ministerium, aber jedesmal war Eim schon beim Minister. Bei dem letzten dieser Besuche konnte ich nicht so lange warten, bis Eim von Badeni abgefertigt war, denn mich riefen Geschäfte in die Statthalterei zurück. Ich ließ also Badeni bitten, mir von nun an Tag und Stunde zu bestimmen, w a n n er midi zu sprechen wünsche. Dabei blieb es denn auch f ü r die Zukunft. Ich kann nur sagen, d a ß Badeni, namentlich zu Zeiten, wo ihn der Reichsrat nicht völlig in Anspruch nahm, das Bedürfnis hatte, mit mir zu sprechen, und mich recht häufig zu sich bitten ließ oder auch wohl bisweilen zu mir in mein Büro kam. Aus meinen allerersten erwähnten Besprechungen mit Badeni empfing ich den Eindruck, d a ß er durchaus nicht wußte, wo er hinauswolle. E r betonte mir gegenüber immer, er benütze die Zeit bis zum bevorstehenden Zusammentritt des Reichsrates im November, um sich nach allen Richtungen zu informieren und dann erst sein Regierungsprogramm aufzustellen. Wie dieses ausfallen werde, sollte ich bald und bei einer höchst merkwürdigen Gelegenheit erfahren. Graf Kapnist, der russische Botschafter, gab ein Diner zu Ehren des neuen Ministerpräsidenten. Zu demselben waren auch der deutsche, der französische, der italienische und der spanische Botschafter sowie meine Wenigkeit geladen, eigentliche Ministerkollegen Badenis nicht, wohl aber der Minister des Äußern, Goluchowski. Auch die Damen der Genannten nahmen an dem Diner teil. Als nun nach aufgehobener Tafel der schwarze Kaffee im Salon der Gräfin Kapnist serviert wurde, bat der Hausherr die Herren, in sein Zimmer zu kommen, um dort zu rauchen. Man setzte sich um einen großen, runden Tisch, und alsbald brachte einer der Botschafter das Gespräch auf den bevorstehenden
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Zusammentritt des Reichsrates. Ich erinnere mich noch heute ganz genau, wie mir damals der Gedanke durch den Kopf schoß: „Aha, die Botschafter haben sich verabredet, Badeni über seine politischen Pläne auszuholen!" Ich war auf das höchste gespannt, ob und wieweit ihnen dies gelingen werde. Vollständig! Ich habe mich lange über die damalige Naivität Badenis nicht erholen können, namentlich aber auch nicht darüber, daß er in meiner Gegenwart ein Programm entwickelte, welches die ihm von mir gegebene Schilderung der politischen Situation im Reichsrat so ganz und gar nicht berücksichtigte. Er erklärte also den Herren Botschaftern, sein Plan sei, die liberalen Elemente der verschiedenen Nationalitätsparteien des Abgeordnetenhauses zu ralliieren und aus diesen eine Majorität für sein Ministerium zu schaffen. D a ein Großteil der Deutschen und auch der Czechen liberal gesinnt seien, werde damit auch der Ausgleich zwischen diesen Nationalitäten gefördert und die deutsch-czechische Frage gelöst werden. Er als Pole sei gewiß ein geeigneter Vermittler zwischen den beiden Streitteilen, die im Liberalismus ein einigendes Band erkennen werden. Ich glaube bemerkt zu haben, daß einige der Botschafter einander erstaunt ansahen, bei Nigra fiel es mir besonders auf, der aber kannte seit Jahren unsere Verhältnisse besonders genau. Ich enthielt mich natürlich jeden Wortes. Ich hätte doch den Botschaftern nicht etwa erzählen dürfen, daß Bacher und Eim aus Badeni sprächen. Daß Eim die Jungczechen Badeni nur um den Preis der Verordnung über die innere Amtssprache, die dieser später zu erlassen hatte und die dann zur Obstruktion der Deutschen, zur allergrößten Verschärfung des deutsch-czechischen Sprachenstreites und zu Badenis ruhmlosem Sturz führte, zuführen wollte, verschwieg Badeni den Botschaftern und mir. Sehr viel später erfuhr ich erst von dem Handel, den Eim mit Badeni schon zur Zeit seiner Flitterwochen abgeschlossen hatte und bei dem ich wahrscheinlich antichambrierte. Auf den Seiten 375—377 meiner Monographie über Dr. Karl Lueger habe ich Badenis Haltung Lueger gegenüber ziemlich eingehend geschildert, sie war vom ersten Tag an schwankend, wie es der ganze Badeni in seiner Politik überhaupt war. Wie hatten die Militärs in Galizien nur in ihm einen Bismarck erkennen können? Die Informationen, die er anfangs nach allen Richtungen, auch bei seinem aufsehenerregenden Besuch Thuns in Prag, einholte, erklärte er mir damit, daß er doch den größten Teil seines Lebens in Galizien verbracht habe und die anderen österreichischen Länder so wenig kenne. Die leichte Art,
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mit der er schnelle Beamtenkarriere in seinem Heimatland gemacht hatte, ließ mich ihn als Sanguiniker erkennen, der, auf sein Glück vertrauend, alles auf die leichte Achsel nahm. Darin glich er Taaffe; nur hatte jener viel genauere Kenntnisse von den Verhältnissen der Monarchie in allen ihren Teilen; aber auch viel mehr Menschenkenntnis u n d Mißtrauen gegenüber Leuten, die er nicht erprobt hatte. Badeni w a r von einer oft rührenden Vertrauensseligkeit; der letzte hatte bei ihm meist recht. H a t t e er sich aber in jemandem getäuscht oder war einer seiner Pläne nicht so ausgefallen, wie er gehofft hatte, so war er unglücklich und ganz niedergeschlagen. Als er sich überzeugt hatte, daß es mit seiner Koalition der liberalen Elemente nicht recht vorwärtsgehe, d a ß er mit der Nichtbestätigung Luegers einen politischen Fehler begangen habe und mir nun mitteilte, wie er mit Lueger nächtlich zusammengetroffen sei und das Interregnum Strobach und seine schließliche Bestätigung als Bürgermeister mit ihm vereinbart habe, f a n d ich ihn in einem Zustand größter Niedergeschlagenheit. Er sagte mir damals: „Ich fühle mich so schwach, als wenn ich eben eine große Krankheit überstanden hätte, es war aber ebenso schwierig als peinlich f ü r mich, Lueger die verlangte Audienz bei Seiner Majestät zu verschaffen u n d den Allerhöchsten H e r r n für die spätere Bestätigung Luegers zu gewinnen, nachdem ich vor nicht langer Zeit die Nichtbestätigung beantragt und durchgesetzt hatte." Die betreffende Audienz Badenis bei Seiner Majestät muß wohl in der Tat Badeni noch in allen Gliedern gelegen sein, als er mir von ihr u n d seinem Zustand Erwähnung tat. Der Sanguinismus Badenis trat mir besonders bei seinen Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn vor Augen. Böhm, der sich mit der ihm eigenen Gründlichkeit auf diese Verhandlungen vorbereitet hatte, nahm er nicht als Finanzminister in sein Ministerium auf, Erb und Baumgarten hatte er in den vorzeitigen Pensionsstand ziehen lassen, und nun begab er sich mit Bilinski, der entweder von den Ausgleichsproblemen nichts wußte oder aber nicht die Zeit gehabt hatte, sich auf die Verhandlungen gehörig vorzubereiten, nach Budapest. Unmittelbar nach seiner Rückkunft von dort teilte er mir den Stand der Verhandlungen telephonisch mit (es war im Sommer 1896 und seine Familie von Wien abwesend) und forderte mich auf, bei Sacher mit ihm zu soupieren, denn er habe mir Interessantes zu erzählen. Als ich ihn bei Sacher in einem der kleinen Speisezimmer traf, stürzte er mir mit den Worten entgegen: „Heute müssen wir Champagner trinken, denn du kannst mir zur glücklichen Beendigung meiner
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Verhandlungen in Budapest gratulieren, bei diesen haben wir den schönsten Erfolg erzielt." Er erzählte mir d a n n des langen u n d breiten über seine gute Aufnahme in Ungarn und, wie er glaube, alles f ü r die österreichische Seite Wünschenswerte durchgesetzt zu haben. Wenige Tage später begegnete ich meinem alten Freund Eduard Pallavicini, dem bekannten, inzwischen verstorbenen ungarischen Financier, Bruder unseres Botschafters in Konstantinopel, und dieser sagte mir: „Ich bin nur neugierig, was ihr in Österreich zu dem mit unserer Regierung vereinbarten neuen Ausgleich sagen werdet. Unsere Regierungsvertreter haben den Eurigen gegenüber leichtes Spiel gehabt, denn die Mehrzahl von ihnen war nicht gehörig informiert, wie mir einige unserer Fachreferenten lachend mitgeteilt haben." Pallavicini hatte mir das Wort abgenommen, von seiner Mitteilung keinen Gebrauch zu machen, ich behielt sie also bis heute f ü r mich, konnte aber zu jener Zeit nicht erstaunt sein, als dann der Ausgleich Badenis und Bilinskis hier bekannt wurde und im Parlament volle Ablehnung erfuhr. Badeni war also in politischer Beziehung ohne feste Pläne und sanguinisch, um nicht zu sagen leichtfertig. Mit Zusagen an Abgeordnete und andere war er leicht bei der H a n d . Ging die Sache dann nicht, so zog er sich mit einigen Scherzen oder auch mit kleinen Lügen aus der Affäre. Dabei aber war das Merkwürdige, d a ß ihm dies meist ganz gut gelang, denn er war eine äußerst liebenswürdige N a t u r , freundlich und entgegenkommend gegen jedermann. Auch in der Wiener Gesellschaft hatte man ihn gern. Bei den Diners und Abendgesellschaften in seinem Haus, im Ministerium des Innern, waren er, seine Gattin und seine Tochter f ü r ihre Gäste von ausgesuchtester Höflichkeit, so daß man sie nach seinem Sturz nur ungern aus Wien scheiden sah. Er kehrte später, als er in Lemberg und Busk, seinem Landgut, Aufenthalt genommen hatte, meines Wissens nur ein einziges Mal zu einem kurzen Besuch nach Wien zurück. Er schämte sich hier seiner Mißerfolge, wie er es mir damals im Vertrauen sagte. Nachzutragen habe ich noch, daß Badeni sich zwar f ü r die Ressortangelegenheiten des Ministeriums des Innern einigermaßen interessierte, aber der parlamentarischen Kämpfe wegen doch nie die Zeit fand, in diese einzudringen und sich um die Verwaltung oder gar deren notwendige Reform zu kümmern. Einstmals folgte er meiner Einladung zur feierlichen Eröffnung der in Melk neuerrichteten Bezirkshauptmannschaft. Bei der Feier selbst
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und bei dem hierauf folgenden Besuch des Stiftes und seines Abtes K a r l kehrte er alle guten Eigenschaften seines liebenswürdigen Charakters hervor. Schade um den Mann, daß man ihn nicht in Galizien auf seinem Statthalterposten gelassen hat, w o er als ein guter und echter österreichischer Patriot noch manch Gutes hätte schaffen können, anstatt ihn zum „Bismarck" zu erklären, ihn auf den Weg der Mißerfolge zu führen und in den vorzeitigen T o d zu treiben. Nach seinem Sturz als Ministerpräsident w a r er ein gebrochener Mann, ein Schlagfluß machte seinem Leben ein Ende.
G R A F (nachmals F Ü R S T ) F R A N Z
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Als ich im November 1866 nach Wien kam, um hier meine ein Semester früher in Heidelberg aufgenommenen juridischen Universitätsstudien fortzusetzen, hatte ich mich in die rechtshistorischen Kollegien einschreiben lassen. N u r der Neugierde halber wollte ich sofort auch einmal einen Vortrag des damals angesehensten Professors f ü r österreichisches bürgerliches Recht, D r . Unger, beiwohnen. Sein Kolleg war stets von H ö r e r n überfüllt; es hieß, man müsse f r ü h erscheinen, um sich einen Sitzplatz zu sichern. Das gelang mir. K a u m hatte ich mich gesetzt, als ein auffallend langer und hagerer junger H e r r den freien Platz neben mir einnahm und mich nun auffällig zu beobachten anfing. Ich trug damals einen sehr eleganten Anzug aus englischem Stoff und mochte von meinem Nachbarn wohl „für etwas Besseres" angesehen worden sein, denn noch während wir auf Ungers Erscheinen warteten, sprach er midi an, und wir stellten uns einander vor. Es kam sofort heraus, daß wir uns vom Hörensagen kannten, denn seine Eltern waren mit meinem Großoheim, General der Kavallerie Graf Karl Wallmoden, und dessen Gattin Zoe, geborene Gräfin Grünne, Schwester des seinerzeitigen Generaladjutanten des Kaisers, eng befreundet. Beim Verlassen des Universitätsgebäudes bot mir Franz Thun an, mich im Hause seiner Eltern vorzustellen und mich mit seinen Freunden bekannt zu machen. Das geschah denn auch alles sofort, und wir waren die nächsten zwei Jahre hindurch unzertrennliche Freunde und Kollegen. Auf den Bällen und in den Salons der großen Welt trafen wir uns häufig, bis sich Franz im kommenden Jahr auf die Staatsprüfung vorbereiten mußte und die Freuden der großen Welt eine Zeitlang mied. In demselben Falle war ich 1868, ein Jahr später. Bald nachdem ich Franz Thuns Bekanntschaft gemacht hatte, teilte er mir mit, er verkehre auch in den Häusern und Kreisen einiger Professoren und würde Wert darauf legen, midi in diese einzuführen. Durch ihn erhielt ich nun nach kurzer Zeit eine Einladung zu einer Abendunterhaltung bei Professor Arndts, bei welchem ich f ü r Pandekten eingeschrieben war. Die Gesellschaft, in der ich auch den Professor für kanonisches Recht, Philipps,
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f a n d , k a m mir einigermaßen merkwürdig vor, denn es wurde kaum v o n etwas anderem gesprochen als von der Görresgesellschaft und von der eifrigen Betätigung des katholischen Glaubens in der Politik. Einige Studenten, die ich dort traf, darunter auch den nachmaligen Wiener Vizebürgermeister D r . Porzer, erinnerten mich in ihrem Gehaben lebhaft an Jünglinge in Heidelberg, die wir Korpsstudenten dort keines Blickes würdigten und verächtlich als Blasenleute bezeichneten. So freundlich man im Hause Arndts auch mit mir war, ich konnte es nicht über mich gewinnen, weiterhin in diesem politischen Kreis zu verkehren. Thun tat letzteres auch nicht gerade häufig, aber gewisse Beziehungen mit demselben behielt er doch stets. Bei ihm lernte ich zu jener Zeit seinen Jugendfreund, den nachmaligen Kardinal und Fürsterzbischof von Prag, Graf Schönborn, kennen, als dieser eben im Begriff war, als Leutnant des 6. Dragonerregiments den Militärdienst aufzugeben, um Geistlicher zu werden u n d sich zwecks theologischer Studien nach Rom zu begeben. Als er von dort wieder zurückgekehrt war, traf ich ihn bei Thun; er war ganz verändert, abgemagert und von fahler Gesichtsfarbe. Als ich ihn teilnahmsvoll fragte, ob er etwa das römische Klima nicht habe vertragen können, meinte er, die strengen Exerzitien und das viele ö l f asten hätten ihn so sehr abmagern lassen. Ich sah Schönborn erst nach mehreren Jahren als jugendlichen Kardinal wieder. Zu diesem Zeitpunkt hatte er jedenfalls seine früher so frischen Gesichtsfarben bereits wiedergewonnen. Thun hatte damals noch seinen ehemaligen Hofmeister als juridischen Korrepetitor um sich. Es war dies D r . Erich Wolf, der später Beamter im Unterrichtsministerium und von dort aus, als ich bereits Statthalter in Niederösterreich war, zum Vizepräsidenten meines Landesschulrates bestellt wurde. Dieser Wolf war kein Klerikaler und hat seinen Zögling Thun, der sein Leben zu genießen verstand, gewiß nicht in die frömmelnde Richtung gedrängt, stammte doch Wolf aus einer Wiener aufgeklärten Industriellenfamilie: Firma Langen & Wolf, Maschinenfabrik. Auf dem Tanzboden und bei Veranstaltungen in der Wiener Gesellschaft stellte Franz Thun damals gern seinen Mann. Ich erinnere mich, wie er 1868 bei einer komischen Revue im Palais Schwarzenberg, weil er selbst gar so lang war, die damals eben bis zum Lusthaus verlängerte Praterallee darstellte und, mit einem nach dem Lusthaus geformten H u t auf dem Kopf, ein Couplet mit dem Refrain „Ich bin die verlängerte Praterallee" zu singen hatte.
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Franz Thuns Vater Friedrich führte mit seinem gleichfalls Franz genannten älteren Bruder, der eine Bürgerliche namens König geheiratet hatte, Prozeß wegen der Sukzession im Familienfideikomiß Tetschen. D a das Statut ebenbürtige Abstammung f ü r den Fideikomißinhaber vorsah, gewann Friedrich den Prozeß und trat nun Anfang der 1870er jähre den Besitz von Tetschen und dem dazugehörigen Palais in Prag an. Mein Freund Franz diente nun sein Freiwilligenjahr in Prag ab. Ich suchte ihn dort auf, als ich 1874 hinkam, um meinen Großoheim Wallmoden zu sehen. Franz nahm seinen ehemaligen Universitätskollegen mit alter Herzlichkeit auf, konnte aber nicht müde werden, von der großen Position zu reden, die er nun als Majoratserbe einnehme; mit besonderem Stolz zeigte er mir das Palais mit allen seinen Räumen und mit allen Familienschätzen. Er kam mir, ich machte den Wallmodens gegenüber kein H e h l daraus, etwas protzenhaft vor. U n d das blieb er dann nachher sein Leben lang. Dies erklärt sein gewisses Strebertum und seine sonst nicht ganz begreifliche Freude an äußerer Macht und äußerem Ansehen sowie auch die Tatsache, daß ihm sein großer Besitz und sein Reichtum nie genügten. Kaum Reserveoffizier geworden, wollte er höhere militärische Grade als den einfachen Leutnant erreichen; er diente also nach, um Oberleutnant zu werden. Dabei ließ er sich f ü r alle Manöver dem Hauptquartier des Feldmarschalls Erzherzog Albrecht zuteilen und brachte es dann auch richtig zum Rittmeister. Als Ministerpräsident setzte er es später sogar durch, Major zu werden. Neben diesen militärischen Ambitionen hatte er von allem Anfang an das deutliche Bestreben, eine politische Rolle zu spielen. Er schloß sich daher in Prag eng an den Führer der czechisch-feudalen Adelspartei Böhmens, Fürst Karl Schwarzenberg, an und heiratete 1874 dessen Tochter Anna. Als 1887/88 Taaffes Versuch, mit Hilfe seiner Regierungspartei, der Altczechen, einen nationalen Ausgleich zwischen den Czechen und Deutschen zu erzielen, an dem Widerstand der Jungczechen gescheitert war und die letzteren sich nun anschickten, die nationalczechische Herrschaft in Böhmen ganz in die H a n d zu bekommen, sah Taaffe ihren Bestrebungen mit äußerstem Mißbehagen zu. Feldmarschallleutnant Baron Kraus, der Statthalter in Prag, fand nicht die Mittel und Wege, dieser äußerst rührigen jungen Partei wenigstens insofern entgegenzutreten, daß er deren geradezu mustergültige Weise, sich zu organisieren, unterband. In jedem czechischen O r t gab es einen politischen Verein und einen Vertrauensmann des Zentralkomitees in Prag, 18 Goldinger, Kaiserhaus
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v o n wo aus regelmäßig Instruktionen ausgegeben wurden. Das alles w a r in einem Parteikataster in genauer Evidenz gehalten; führendes Presseorgan war die Prager „ N a r o d n y Listy". Unser famoses Vereinsu n d Versammlungsgesetz, eine genaue Nachbildung des im Jahre 1848 im Großherzogtum Baden geschaffenen, hatte dem Statthalter Baron Kraus wohl kaum die H a n d h a b e geboten, dieser jungczechischen und, wie sich zu Beginn des Weltkrieges erst voll herausstellte, revolutionären Organisation wirksam entgegenzutreten, aber Taaffe, dessen Ausgleichskreise gestört waren, vermeinte damals, daß ein energischerer Statthalter, als Kraus es war, dieses doch hätte zustande bringen können. E r veranlaßte also Kraus, in Pension zu gehen, und ließ den Kaiser T h u n zu seinem Nachfolger ernennen, einen feudalen H e r r n ohne jede E r f a h r u n g in der Administration, aber einen Feind der demokratischen, in der jungczechischen Partei herrschenden Richtung, der auch mit den Altczechen gute Fühlung hatte. Einen Kavalier und Dilettanten auf dem Gebiete der Staatsverwaltung hatte Taaffe ja schon einige Jahre früher in der Person des Grafen Friedrich Schönborn, Bruder des Prager Kardinals, in Mähren zum Statthalter erhoben und damit keine ganz üblen Erfahrungen gemacht. Allerdings war hier in Betracht zu ziehen, daß die Wogen des nationalen Kampfes in Mähren niemals so hoch gingen wie im benachbarten Böhmen. Direkt vom Manöverfeld und aus der Suite Erzherzog Albrechts wurde Franz Thun im September 1889 hergeholt, um als Statthalter beeidigt zu werden. E r hatte den Ruf Taaffes sofort mit Begeisterung angenommen, er, der sich schon früher als Herrenhäusler mit Taaffe äußerst gut zu stellen gewußt hatte. Jedenfalls hatte er von diesem, der beim Kaiser so einflußreich war, Ehren und Würden f ü r sich zu erlangen gehofft und, ich möchte beinahe annehmen, selbst Taaffe auf die Idee gebracht, ihn zum Statthalter in Böhmen ernennen zu lassen. Ich war zu jener Zeit Sektionschef im Ministerium des Innern und erinnere mich genau, wie Thun unmittelbar nach seiner Beeidigung bei mir freudestrahlend eintrat, um midi zu bitten, ihm, „wenn er mich auch in meiner Staatskarriere überholt habe", doch die alte Freundschaft von der Universität her zu bewahren und ihn in seinem neuen Amt zu unterstützen. Von Taaffe habe er nur wenige Weisungen entgegengenommen, namentlich die, die Jungczechen nicht weiter hochkommen zu lassen und ihren Agitationen kräftig entgegenzutreten. In allen administrativen Aufgaben seines neuen Amtes sei er aber unerfahren u n d nehme sich daher vor, sich privatbrieflich um Rat und Auskunft an mich zu wenden. Ich sagte ihm dies gern zu; er schrieb mir denn auch
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mehrmals, und bald hatte ich Gelegenheit, ihn in seinem neuen Amt in Prag zu besuchen, denn mein Bruder Oswald war zu jener Zeit als Generalmajor und Kavalleriebrigadier in Prag stationiert, und ich hatte Familiengeschäfte mit ihm zu besprechen. Thun zeigte mir seine Statthalterei, erbat meinen Rat in allen möglichen Dingen seiner Amtierung und weihte midi dann auch in seinen ersten politischen Plan, der jungczechischen Agitation Schranken zu setzen, ein, der darin bestehen sollte, der „Narodny Listy" den Einzelverschleiß zu verbieten. Ich konnte nur warnen, er aber führte seine Absicht dennoch bald aus. Mit welch negativem Erfolg, ist bekannt. Über Thuns erste Statthalterschaft schreibt die „Neue Freie Presse" vom 2. November 1916: „Am 2. O k t o b e r 1889 w u r d e Graf Thun als Nachfolger des Baron Kraus zum Statthalter von Böhmen ernannt. Es w a r die Zeit der großen K ä m p f e um die zwischen den Deutschen, den Altczechen und dem konservativen Großgrundbesitz in Böhmen vereinbarten Ausgleidispunktationen. Die A u f g a b e des Statthalters w a r es, die auf G r u n d der P u n k tationen ausgearbeiteten E n t w ü r f e im böhmischen L a n d t a g zu vertreten. Die Jungczedien, die den Ausgleich mit allen Mitteln b e k ä m p f t e n , traten dem Statthalter feindlich gegenüber, sie w a r f e n ihm vor, d a ß er der czechischen Sprache nicht vollständig mächtig sei. Die Punktationen und Ausgleichsvorlagen w u r d e n von den konservativen Parteigenossen des Statthalters im Stich gelassen, und die Deutschen gerieten um diese Zeit auch wegen der Auflösung der Reichenberger Stadtvertretung in scharfen Konflikt mit dem Statthalter. Die Landtagsverhandlungen verliefen unter Stürmen; die Jungczedien machten damals zum erstenmal von dem K a m p f m i t t e l der lärmenden Obstruktion Gebrauch. Die Punktationen fielen. Nach dem Scheitern des nationalen Ausgleichs w a r die Statthalterschaft des Grafen Thun erfüllt von seinen Kämpfen mit der jungczechischen Partei. Eine der hervorragendsten Episoden in diesen Tagen war der Omladina-Prozeß. Im Verlauf der Wirren in Böhmen verhängte der Statthalter im Sommer 1893 den Ausnahmezustand. D e r K a m p f zwischen den Jungczedien und dem G r a f e n T h u n dauerte in die Zeit der Ministerpräsidentschaft des G r a f e n Badeni fort, bis Graf Thun von der Statthalterschaft zurücktrat und am 16. Februar 1896 durch den G r a f e n K a r l Coudenhove ersetzt w u r d e . "
Diesem allgemeinen Umriß von Thuns erster Statthalterschaft habe ich beizufügen, daß ich fast gleichzeitig mit ihm ebenfalls Statthalter, und zwar in Niederösterreich, geworden war. Er hielt ganz leidliche Kollegialität mit mir, besuchte mich auch wohl bisweilen, wenn er nadi Wien kam, gab mir aber doch stets zu erkennen, daß er als Statthalter in einem Königreich mit einer viel größeren Bevölkerungszahl als das Erzherzogtum Niederösterreich ganz etwas anderes sei als ich, der 18»
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einfache Bürokrat. Das ging so weit, daß er sich wohl auch bei mir erkundigte, wieviel Einlaufnummern (!) die niederösterreichische Statthalterei bereits habe, um dann sofort mit seiner viel höheren Ziffer zu renommieren. Überhaupt betrachtete er sich mehr als Vizekönig von Böhmen denn als ersten, den Ministerien unterstellten Verwaltungsbeamten dieses Landes. Das trat so recht zutage, als Graf Gundacker Wurmbrand als Handelsminister des Koalitionskabinetts WindischG r ä t z 1893/94 eine Inspektionsfahrt nach Böhmen plante und Thun ihm sagen ließ, er werde sich zwar ein Vergnügen machen, ihn zu empfangen und bei dieser oder jener Besichtigung zu begleiten, müsse aber als Repräsentant des Kaisers im Lande den Vortritt vor dem Minister u n d den Platz rechts im Wagen neben ihm beanspruchen. Wie Thun ganz kollegial mit mir die Feier dessen Ministerjubiläums vorbereitete, habe ich in meiner Monographie über Taaffe bereits erwähnt. Als Mitte der 1890er Jahre der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ein militärisches Kommando in Prag erhielt und nun dort am Hradschin f ü r einige Jahre Aufenthalt nahm, war das so recht etwas f ü r Thun und seine Frau, die auch nicht ohne Ambition war. N u n konnten sie sich in höfischer Luft bewegen, sich der erstaunten Menge in Gesellschaft mit dem Thronfolger zeigen und sich in dessen Gnade sonnen. Diesem aber war die ewige Thunsche Gesellschaft schließlich etwas zuviel; man hörte sogar in Wien von seinem Wunsch, die Thuns möchten sich doch etwas weniger um ihn kümmern. Endlich erhielten sie von ihm direkt einen dahin abzielenden Wink, und zwar damals, als der Erzherzog wegen seines ziemlich plötzlich bei ihm aufgetretenen Lungenleidens von den Ärzten veranlaßt worden war, den Winter in Ägypten zuzubringen. Ein eigener H o f z u g sollte ihn zunächst von Wien nach Triest bringen. Wer aber erscheint, uneingeladen, am Wiener Südbahnhof? Das Statthalterpaar aus Prag: „Es habe sich doch nicht nehmen lassen wollen, dem geliebten Thronfolger das Geleit bis Triest zu geben!" Der Erzherzog bedankte sich ganz höflich f ü r die freundliche Aufmerksamkeit und läßt dem erstaunten Ehepaar zu dessen größter Enttäuschung ein Abteil im H o f z u g , aber außerhalb seines eigenen Salonwagens, anweisen, kümmert sich auch nicht weiter um dieses, bis er sich im Triester Bahnhof von demselben verabschiedet. Aus der Zeit von Thuns erster Statthalterschaft habe ich hier noch nachzutragen, wie er sich mir gegenüber verhielt, als ich 1895 plötzlich mit der Leitung des Ministeriums betraut wurde. Der einzige Landeschef, der mir nicht sofort gratulierte, wie dies doch in derlei Fällen überhaupt u n d namentlich unter alten Kollegen üblich ist, war Thun.
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Er wußte offenbar nicht, woher der Wind wehe und ob ich definitiv oder nur provisorisch zu regieren berufen sei; auch mochte er wohl gekränkt sein, daß ich, sein Studien- und kleinerer Statthalterkollege, nun zur Bildung eines Ministeriums vom Kaiser berufen worden war. In meiner ersten Privataudienz beim Kaiser befragte mich dieser, wie ich mit T h u n stehe. Ich konnte darauf nur erwidern, daß mich alte Jugendfreundschaft mit diesem verbinde u n d d a ß ich hoffe, mit ihm als Statthalter gut auszukommen, wenn mir auch auffällig sei, d a ß Thun mir direkt noch kein Lebenszeichen habe zukommen lassen. Der Kaiser schien hierüber erstaunt und übte, hieran anknüpfend, sofort Kritik an Thuns Statthalterschaft in Böhmen sowie den geringen Erfolgen, die er dort habe. „Wir werden überlegen müssen, ob Thun noch länger auf seinem Posten belassen werden k a n n " , waren des Kaisers eigene Worte. Auf diese konnte ich denn doch nicht umhin zu antworten, daß die engen persönlichen Beziehungen, in denen ich zu Thun stehe, es ermöglichen würden, Einfluß auf ihn zu nehmen, damit er sein Vorgehen den Jungczechen gegenüber ändere und seine und der Regierung Stellung in Böhmen festige. Etwa zwei Tage danach erhielt ich einen eigenhändigen, sehr freundlich gehaltenen Brief Thuns. Mein erstes w a r es, ihn dem Kaiser zu senden, der ihn mir mit der eigenhändigen Bemerkung wieder zukommen ließ: „Mit Vergnügen zur Kenntnis genommen." Zu derselben Zeit hatte ich aber auch Gelegenheit, im Abgeordnetenhaus zu erfahren, was man in diesen Kreisen Thun hauptsächlich vorwerfe. Das war auf dem politischen Gebiet und namentlich bei den Jungczechen besonders die Art, in der er das Vereins- und Versammlungsgesetz handhaben lasse, Versammlungen verbiete oder, kaum zusammengetreten, durch den behördlichen Abgeordneten auflösen lasse; auf technischem Gebiet beanstandete man, d a ß er die Bestrebungen zum Ausbau der Wasserstraßen Böhmens zu fördern unterlasse. In ersterer Beziehung konnte ich den Beschwerdeführern sofort entgegenkommen, indem ich ihnen nachwies, d a ß ich wenige Jahre zuvor als Sektionschef im Ministerium des Innern einen „Normalerlaß" verfaßt hatte, der den Behörden zur Pflicht machte, das Vereins- und Versammlungsgesetz richtiger zu handhaben. Viele Rekurse und Beschwerden beim Reichsgericht hatten mich nämlich erkennen lassen, d a ß die Mehrzahl der Sicherheitsbehörden die Überwachung dieses (für österreichische Verhältnisse übrigens durchaus nicht passenden) Gesetzes, welches den Leitern der Vereine und Versammlungen ganz allein die volle Verantwortung für die O r d n u n g und Einhaltung der Straf- und
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anderen Gesetze auferlegt, fast systematisch den mit einer gewissen Regelmäßigkeit in die Versammlungen entsendeten behördlichen K o m missären übertragen hatte. Diese aber glaubten, wie die „ H a f t e l macher" Obacht geben zu müssen, daß sich in der Versammlung nur j a nichts ereigne oder auch nur ein Wort gesprochen werde, welches als gesetzwidrig angesehen werden oder gar als regierungsfeindlich ausgelegt werden könnte. So war es denn allmählich dazu gekommen, daß diese Kommissäre sich als die Leiter der Versammlungen betrachteten, in diesen die Redner unterbrachen, tadelten und bei der geringsten Widersetzlichkeit mit der Auflösung der Versammlung vorgingen. Ein solches Gebaren war aber geradezu dumm zu nennen, denn es verbitterte die davon Betroffenen ganz überflüssigerweise, ohne daß damit irgend etwas für die Staatspolitik gewonnen werden konnte. Durch diese Praktiken hatte nun Thun die Jungczechen, mit denen er seit langem eine Kraftprobe begonnen hatte und die er glaubte, mittels Polizeikommissären mürbe machen zu können, auf das äußerste gegen sich aufgebracht. Ich mußte mich also veranlaßt sehen, ihm schriftlich strikte Weisung zu geben, daß er das Vereins- und Versammlungsgesetz im Sinne des erwähnten Normalerlasses wieder richtig handhaben lasse; das glättete die Wogen des nationalen Kampfes in Böhmen wenigstens so weit, daß die Czechen im Reichsrat ganz manierlich wurden, fleißig an dessen Arbeiten teilnahmen und es mir ermöglichten, mit ihnen wegen Erfüllung so mancher Wünsche auf dem wirtschaftlichen Gebiete Böhmens in ganz ruhige Verhandlungen einzutreten. Der Kaiser war hievon sehr befriedigt und verlangte dann nicht weiter die Beseitigung Thuns von seinem Statthalterposten. Thun hatte sich nicht bei mir in Wien blicken lassen. Es wäre einfacher gewesen, hätte ich damals die die böhmischen Angelegenheiten und Parteien betreffenden Fragen mündlich mit ihm erörtern können. Widerstrebte es ihm, mir als „Untergebener" gegenüberzutreten? Ich gab ihm meine Weisungen schriftlich, und er kam ihnen nach. Meine Frau weilte zu jener Reichsratszeit zur K u r in K a r l s b a d , und dorthin kam dann auch Thun mit seiner Gattin; das Ehepaar war zwar ganz höflich, ließ es meine Frau aber doch merken, daß es ihm nicht recht war, daß die Karlsbader Kurkommission ihr, der Frau des leitenden Ministers, anstatt der Statthalterin das Protektorat über einige festliche Veranstaltungen im Kurort übertragen hatte. D a s sollte erst später, zur Zeit der Ministerpräsidentschaft Thuns, noch ein kleines Nachspiel haben.
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Ü b e r T h u n s K a r l s b a d e r A u f e n t h a l t schrieb a l s b a l d nach seinem T o d e eine gewisse H e r m i n e H a n e l , die ich nicht kenne und v o n der ich auch gar nicht weiß, woher ihre Beziehungen z u m „ l a n g e n F r a n z " stammen, einen A r t i k e l f ü r das Wiener J o u r n a l . Ich lasse ihn hier folgen, weil er ein g a n z zutreffendes B i l d des M a n n e s gibt, der weit über seine Fähigkeiten hinaus j a h r e l a n g eine m a ß g e b e n d e R o l l e im Staatsleben Österreichs zu spielen berufen w a r u n d ernstlich glaubte, es dem Wohle des S t a a t e s schuldig zu sein, diese zu spielen. Franz Thun ist mir in dem Auf und Nieder meines Lebens ein Freund geblieben, wenn wir auch später, in anderen Orten lebend, nur mehr selten zusammentrafen. Von Zeit zu Zeit erhielt ich ein herzliches Schreiben, unmittelbar und liebenswürdig, und er nahm warmen Anteil an meinem Geschick. Ich sah ihn in Wien als Ministerpräsidenten im Parlament wieder und begegnete ihm in der Hofburg, als der Kaiser die Thronrede verlas. Seine erste Gattin war gestorben. Er vermählte sich wieder, und sein sehnlicher Wunsch nach einem Erben ging in Erfüllung, als er schon ein hoher Fünfziger war. Seine Freude war unbeschreiblich, wenn auch der Majoratsherr nur ein Prinzeßlein war. Er sandte mir ein Bild des blonden Töchterchens, schrieb entzückt von ihrem Liebreiz und schloß mit den Worten: „Sie ist sehr hübsch, sieht mir folglich nicht ähnlich." Audi fand er, daß er ein reichlich alter Papa sei. Als ich ihm meine Vermählung mitteilte, schrieb er so herzlich, daß mir ganz warm ums Herz wurde, und wünschte der Jugendfreundin alles erdenklich Gute. Die Geburt meines Sohnes, eines Silvesterkindes, begrüßte er mit einem launigen lieben Brief. — Da er zum zweitenmal die Statthalterschaft Böhmens übernahm und es vorzog, die Mühen des Amtes auf sich zu nehmen, anstatt sein Alter behaglich zu verleben, schrieb er: „Halten Sie mir den Daumen, damit es gut geht. Die Welt wird sagen ,Alter Narr, was willst du wieder am Staatsruder?' Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, ich hoffe, Gutes wirken zu können!" D e n Artikel der „ H a n e l " möchte ich nur dahin ergänzen, daß T h u n den größten Wert d a r a u f legte, der gütige u n d sorgende C h e f seiner Untergebenen zu sein. E r , der k i n d e r l o s w a r , hat, wie ich weiß, zur Zeit seiner ersten Statthalterschaft so manchen a r m e n Beamten, u n d z w a r ohne dies a n die große Glocke zu hängen, materiell unterstützt oder ihn Wuchererhänden entrissen. T h u n k a m g a n z regelmäßig nach Wien, sooft es einen H o f b a l l , eine Fronleichnamsprozession o d e r eine ähnliche höfische V e r a n s t a l tung gab, bei der er mit dem K a i s e r in B e r ü h r u n g treten und v o n diesem angesprochen werden konnte. A u f das letztere legte er es stets besonders an, und es erregte oft die Heiterkeit seiner Bekannten, ihn zu
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beobachten, wie er sich reckte, streckte und immer wieder in den Vordergrund schob, um ja nur vom Kaiser bemerkt und von diesem beim Cercle angesprochen zu werden. Einige Male nahm ich wahr, wie der Kaiser, offenbar in der Absicht, Thun etwas zu „frotzeln", in gerader Linie auf diesen zuging, um im letzten Schritt auf seinen Nachbarn zu stoßen und diesen in das Gespräch zu ziehen und Thun dann auch nachher noch geraume Zeit zappeln zu lassen, bis er sich an ihn wandte. Aber auch sooft politisch etwas in der Luft lag und wenn es im Ministerium kriselte, pflegte Thun in Wien zu erscheinen. Daß das Koalitionsministerium gar so plötzlich stürzen werde, hatte er nicht vorausgesehen und war damals nicht in Wien anwesend, als ich von heute auf morgen ein neues Ministerium bilden mußte. Auch Badenis Sturz war recht plötzlich, und dessen Ministerium wurde von Gautsch rekonstruiert. Der letztere hielt sich bekanntlich nicht lange, was Thun kommen sehen konnte. Bei Gautschs Demission w a r er also auf dem Platz und erreichte nun das Ziel seiner Wünsche, die Ministerpräsidentschaft. Als Ministerpräsident und Leiter des Ministeriums des Innern nun mein Vorgesetzter, gefiel er sich mir gegenüber gewiß in dieser Rolle und gab sich, allerdings ohne die alte Jugendfreundschaft und Kollegialität zu verleugnen, etwas gönnerhaft, was mich wieder veranlaßte, mich nie und zu keiner Zeit an ihn heranzudrängen. So kamen wir denn ganz gut miteinander aus. Aus der allerersten Zeit seiner Ministerschaft noch folgendes interessante Vorkommnis: Er begleitete meine Frau und mich eines Abends in das Theater an der Wien in meine Amtsloge Nr. 1, die unmittelbar an die Hofloge anstieß. Kaum sitzt er auf seinem Platz unmittelbar neben dieser Hofloge, als Erzherzog Franz Ferdinand dort erscheint und neben seinem gewesenen Obersthofmeister, den er seit der Entlassung nicht mehr gesehen hatte, Platz nimmt. Zunädist ein etwas verlegenes Grüßen von beiden Seiten, dann aber ergibt sich eine Unterredung, die in den Zwischenakten sogar recht lebhaft wird — und die Versöhnung zwischen den beiden Herren ist vollzogen! Hatte Thun erfahren, daß Franz Ferdinand den Abend in das Theater an der Wien kommen werde und wie dort meine Loge liege? Hatte ich Thun eingeladen, mich zu begleiten, oder hatte er sich bei mir angesagt? Leider erinnere ich mich nicht mehr daran. Von Thuns politischer Tätigkeit als Ministerpräsident habe ich als unmittelbarer Beobachter nur folgendes Bezeichnende zu berichten.
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D e m M i n i s t e r r a t s p r ä s i d i u m gehörte d a m a l s als Ministerialsekretär oder S e k t i o n s r a t D r . K a r m i n s k i an. E r w a r in T r o p p a u des L a n d e s p r ä s i denten G r a f e n C l a r y P r ä s i d i a l s e k r e t ä r gewesen; dieser hatte dem tüchtigen Beamten den W e g in das Ministerratspräsidium geebnet, und alsbald g e w a n n er d o r t d a s besondere V e r t r a u e n seines neuen C h e f s Thun. K a r m i n s k i erzählte mir d a m a l s mit größtem S t o l z , er h a b e T h u n seinen P l a n zur G e s u n d u n g der parlamentarischen Verhältnisse Österreichs vorgetragen, den dieser gebilligt habe und den er nun im einzelnen ausarbeite; ein M e h r d ü r f e er m i r nicht sagen. T h u n d ü r f t e e t w a ein J a h r Ministerpräsident gewesen sein, als er mich zu einer Besprechung in sein B ü r o einlud und mir nun „seinen" P l a n z u r Gesund u n g der parlamentarischen Verhältnisse Österreichs v o r t r u g u n d mich a u f f o r d e r t e , ihm zu sagen, o b meiner M e i n u n g nach die österreichischen u n d alpenländischen A b g e o r d n e t e n f ü r diesen zu haben sein würden. D e r P l a n bestand im wesentlichen darin, die indirekten Reichsratswahlen aus den L a n d t a g e n wieder einzuführen u n d größere N a t i o n a l i t ä t e n g r u p p e n zu bilden. Ich konnte Thuns F r a g e nur negativ beantworten u n d ihn v o r dem geplanten E x p e r i m e n t w a r n e n , v o n d e m ich mir keinerlei E r f o l g versprechen konnte. T h u n schien über meine A u s k u n f t sehr enttäuscht und meinte, er wolle sich die Sache noch weiter überlegen. D i r e k t erfuhr ich nachher nichts mehr über den f a m o s e n P l a n v o n ihm selbst, nur aus seinen Andeutungen k o n n t e ich entnehmen, d a ß er ihn fallengelassen habe. Es dauerte nicht lange, bis ich v e r n a h m , der K a i s e r h a b e von diesem P l a n nichts wissen wollen. N u n erschien mir T h u n v o n einem T a g auf den anderen ratloser, wie er den parlamentarischen Schwierigkeiten zu begegnen habe. D e r K a i s e r w u r d e u n g e d u l d i g u n d machte g a n z l a u t gegen sein Ministerium gerichtete Bemerkungen, so d a ß sich dieses E n d e A u g u s t 1899 veranlaßt sehen mußte, seine Demission einzureichen. G e r a d e zu dieser Zeit aber f a n d in B e r n d o r f die feierliche Einweihung des v o n A r t h u r K r u p p f ü r seine Beamten u n d
Arbeiter
prächtig errichteten T h e a t e r s statt, z u der der K a i s e r , auch in der Absicht, die große d o r t i g e M e t a l l w a r e n f a b r i k mit ihren vielen Wohlfahrtseinrichtungen zu besichtigen, sein Erscheinen zugesagt hatte. V o n K r u p p w a r e n auch alle Minister eingeladen w o r d e n und hatten bereits z u g e s a g t , b e v o r die D e m i s s i o n a k u t g e w o r d e n w a r . N u n f r a g t e mich T h u n u m meine M e i n u n g , ob er u n d seine Kollegen t r o t z des dem K a i s e r vorliegenden Enthebungsgesuches an d e r Feier teilnehmen soll-
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ten oder nicht. Ich konnte diese Frage nur bejahen, denn die Minister führten ihre Ressortgeschäfte noch fort, und zu diesen gehörte die Vertretung der Regierung in einem industriellen Betrieb und bei einer Feierlichkeit daselbst. Die Minister sagten also nicht ab. An mich aber wandte man sich aus höfischen und sehr maßgebenden politischen Kreisen mit der Bitte, genau zu beobachten, wie der Kaiser T h u n in Berndorf behandeln werde. Ich glaubte anfangs, daß er ihn gut behandeln werde, aber das Gegenteil war der Fall; er würdigte Thun zunächst keines Blickes und keiner Ansprache. N u r bei Besichtigung der Badeanstalt, die von mächtigen Bäumen umschattet war, sagte er, aus dieser heraustretend und an Thun vorüberschreitend, zu diesem: „Nicht wahr, diese Anlage ist reizend?" Selten ist ein Ministerpräsident so wenig gnädig von Kaiser Franz Joseph entlassen worden wie damals Thun. Wie er immer wieder in die Allerhöchste Gnade kam, Ritter des Goldenen Vlieses und sogar Fürst wurde, ist mir bis heute ein völliges Rätsel. Ich kann nur annehmen, d a ß Franz Thuns Bruder Jaroslav, der die Schwester der Gattin des Erzherzogs Franz Ferdinand, geborene Chotek, zur Frau hatte und mit diesem Thronfolger sehr intim war, die in meiner Loge begonnene Aussöhnung mit dem letzteren weiter vertiefte und daß auf diesem Weg alle Begehrlichkeiten Franz Thuns ihre schließliche Befriedigung fanden. Kurz bevor Thun von der Ministerpräsidentschaft zurücktrat, w a r seine Frau gestorben. Ihr hatte er ein Jahr zuvor, als eben der Kaiser auf Goluchowskis Vorschlag den Elisabethorden für wohltätige D a m e n gegründet hatte, eines der ersten Exemplare der 1. Klasse verschafft. Das w a r denn doch einigermaßen aufgefallen, zumal Gräfin Thun während ihres verhältnismäßig kurzen Aufenthaltes in Wien kaum Gelegenheit gehabt hatte, sich in Wohltätigkeits- und anderen humanitären Aktionen hervorzutun. Und zwar dies ganz im Gegensatz zu meiner Frau, die damals bald zehn Jahre lang, nicht gerade aus eigener Neigung als vielmehr, weil ich es von ihr verlangt hatte, sich in der allereifrigsten u n d ich darf auch sagen erfolgreichsten Weise um gemeinnützige Zwecke und jede Art von Wohltätigkeitsaktionen gekümmert hatte. Diese war aber bei der ersten Damenordensverleihung leer ausgegangen, was berechtigtes Aufsehen hervorrief und in einer für Thun nicht gerade schmeichelhaften Weise überall in Wien besprochen wurde. Es war offenbar die Strafe für Karlsbad! Die Thuns machten während ihrer Wiener Zeit nur wenig Haus, man hätte erwarten sollen, d a ß sie repräsentieren würden. N u r einen
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kleinen Kreis, oder richtiger ein Gefolge, hatten sie gern um sich, zu dem hauptsächlich seine Minister für Galizien, Ritter von Jendrczejowics, und des Handels, Baron Dipauli, dann ein Neffe Franz Thun, der dem Ministerium des Innern zugeteilt war, gehörten. Im Sommer sah man diese Gesellschaft regelmäßig in „Venedig in Wien" im Prater, wohin allerhand Unterhaltungen die Lebewelt lockten. Und zu der letzteren gehörte Thun in gewissem Sinne stets, seine Gattin scheint ihm dabei nie hindernd in den Weg getreten zu sein. Sie lauschte mit ihrer Gesellschaft den Volkssängern, während er sich den pikanteren Freuden in den Champagnerpavillons oder beim Koriandoliwerfen hingab. Diese Freiheiten des Ministerpräsidenten wurden viel besprochen und führten schließlich zu einem heftigen Angriff in der Presse, dem christlichsozialen „Deutschen Volksblatt", in dem er als der „Coriandoligraf" apostrophiert wurde. Das ärgerte ihn sehr, und er gab dann Venedig auf. Nach seiner Ministerschaft und als Witwer zog sich Thun eine Zeitlang auf sein herrliches Schloß Tetschen bei Bodenbach zurück. Von dem Wunsche beseelt, einen männlichen Fideikommißerben zu haben, vermählte er sich nach zweijähriger Witwerschaft wieder. Seine Wahl fiel auf die schöne Witwe Ernestine Gräfin Wratislaw, eine geborene Gräfin Thun, von der älteren böhmischen Linie (Majorat Klösterle). Zwischen den Linien der Thuns, Klösterle und Tetschen, bestand keine Verwandtschaft mehr und sogar eine gewisse Rivalität und Verschiedenheit in den politischen Richtungen, denn Oswald, der Klösterler Majoratsherr und nun sein Schwager, galt als Führer des liberalen Großgrundbesitzes in Böhmen; Franz, der junge Ehemann, aber gehörte der konservativen, richtiger feudal-czechischen Gruppe des Großgrundbesitzes an und wurde nach seinem Rücktritt vom Ministerium so recht eigentlich ihr Führer. Man war deshalb einigermaßen über diese Heirat erstaunt, aber es wurde eine glückliche Ehe. Freilich war nur eine Tochter die Frucht derselben. Man hätte glauben sollen, daß Franz Thun nach seinen so geringen Erfolgen auf dem leitenden Posten eines Statthalters und dann eines Ministerpräsidenten ein H a a r in der Politik gefunden und sich nun seiner neuen Häuslichkeit und der Verwaltung seiner großen Güter gewidmet haben würde. Dazu aber waren sein Machtbedürfnis und seine Sucht, in der großen Öffentlichkeit zu glänzen, zu groß. Er stürzte sich also förmlich in den Strudel der großen Politik, war nur zeitweilig auf seinem Schloß Tetschen, lebte im Familienpalais in Prag und erschien zu allen Herrenhaussessionen und höfischen
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Veranstaltungen in Wien. Diese Periode seiner politischen Tätigkeit schilderten nach seinem Tode die Blätter ganz richtig; die „Neue Freie Presse" schreibt: Auch nach dem Rücktritt vom Ministerpräsidium blieb Graf Thun eine starke Figur in der Politik. Er übernahm am 6. M ä r z 1900 die O b mannschaft der Rechten des Herrenhauses und hat als soldier wie als Führer der Konservativen in Böhmen in den zahlreichen vergeblichen Ausgleichsverhandlungen in Böhmen, die seit dem ersten Ministerium Koerber unter diesem und unter den nachfolgenden Kabinetten unternommen wurden, eine hervorragende Rolle gespielt. Scharf trat Graf T h u n auch in den parlamentarischen K ä m p f e n um die E i n f ü h r u n g des allgemeinen Wahlrechtes hervor. Er b e k ä m p f t e die W a h l r e f o r m unter dem Ministerium Gautsch u n d später unter dem Kabinett Beck, und erst in den allerletzten Phasen des Kampfes, als das Gesetz im Herrenhause zur Entscheidung stand, gab er seinen Widerstand auf und trat dem zwischen der Regierung Beck und der Wahlreformkommission des Herrenhauses vereinbarten Kompromiß bei. D e r Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag jedoch im Land Böhmen, und hier w u r d e sein Einfluß ausschlaggebend, als unter dem Ministerium Bienerth die beiden G r u p p e n des böhmischen Großgrundbesitzes die Vermittlung zwischen den Czechen und Deutschen im nationalpolitischen Streite übernahmen. Graf Thun hat sich mit Fleiß in die verwickelten Ausgleichsmaterien hineingearbeitet, allein die unter seiner Führung versuchte Einwirkung des konservativen Adels vermochten eine Lösung der Schwierigkeiten des Ausgleichswerkes nicht herbeizuführen.
Die „Arbeiter-Zeitung" aber schreibt in einem Leitartikel zur selben Zeit auch richtig: Eine nicht unerhebliche Rolle hatte T h u n bei der W a h l r e f o r m gespielt. Nach dem berühmten Umzug am 28. N o v e m b e r 1905 arrangierte er die große Oppositionsdebatte im Herrenhause, zu der er eine giftige Rede gegen Gautsch beisteuerte. Er wurde dann der O b m a n n der Wahlreformkommission im Herrenhause, die mit der Einfügung des Pluralwahlrechtes der R e f o r m den tödlichen Schlag versetzen wollte. Es ist jedoch anzuerkennen, d a ß sich T h u n der politischen Notwendigkeit f ü g t e und zum Schluß f ü r die Reform seine Stimme abgab, damit bekundend, d a ß er über die landläufige Feudalität der Kavaliere doch hinausragte und politischer Einsicht nicht unzugänglich blieb. Man könnte an seiner Bahre über die die Adelskaste selbst schädigenden Wirkungen des politischen Privilegs mancherlei Betrachtungen anstellen und auch dartun, d a ß der Idee dieser „böhmischen" Politik, des über den N a t i o n e n stehenden und darum zur Entscheidung berufenen Großgrundbesitzes, durch die Entwicklung der Dinge längst der Boden entzogen ist; aber diese Erkenntnisse setzen sich auch ohne theoretisierende Unterstützung durch. Die Zeit des herrschenden Feudaladels ist, allem Einfluß der Personen zu Trotz, endgiltig dahin; die Demokratie ist stärker als alle Privilegien.
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Anknüpfend an den vorstehenden Artikel der „Neuen Freien Presse" ist zu sagen, daß Thun die deutsch-czechische Ausgleichsfrage wiederholt mit dem Minister des Innern des Kabinetts Bienerth, Baron Guido Haerdtl, erörtert und diesem dabei immer wieder zu verstehen gegeben hatte, nur er (Thun) sei der Mann, dieses schwierige Problem gedeihlich zu lösen. Es war nun nach des Statthalters Coudenhove Erkrankung und Rücktritt Haerdtls Idee, Thun abermals auf den Statthalterposten in Prag berufen zu lassen, damit er zeige, was er könne. Diese Idee kam, da H a e r d t l Anfang 1911 bei der Rekonstruktion des Kabinetts Bienerth aus diesem ausgeschifft wurde, erst unter seinem Nachfolger, dem Grafen Wickenburg, zur Ausführung. Ich war damals sehr erstaunt, daß Thun die Berufung auf den Statthalterposten wieder annahm und neuerlich mein Kollege wurde. Als solchen begrüßte ich aber den alten Jugendfreund brieflich. Er antwortete mir umgehend und berichtete darin von schwerwiegenden Einwendungen gegenüber Seiner Majestät. H a e r d t l gegenüber hatte er sich, als die Sache zum erstenmal zur Erörterung gekommen war, durchaus nicht abgeneigt gezeigt. Meiner Ansicht nach hätte er sich sagen sollen, daß er, der früher als Statthalter stets im ärgsten Kampf mit der mächtigsten Partei der Czechen, den Jungczechen, gelegen war, und dann als Führer der Rechten des Herrenhauses, die stets eine der Mehrzahl der Deutschen Böhmens geradezu verhaßte politische Richtung vertrat, nicht der geeignete Vermittler zwischen den Nationalitäten Böhmens sei. Aus seinen Ausgleichsplänen wurde leider nichts. Das schildert die „Neue Freie Presse" nachstehend ganz übereinstimmend mit allen Auskünften, die ich oft von Beteiligten aus beiden Lagern erhielt: Graf Thun übernahm am 18. Januar 1911 neuerlich die Statthalterschaft in Böhmen, und die ihm nahestehenden Kreise erklärten, d a ß er das A m t mit der besonderen Mission angetreten habe, als Ausgleichsstatthalter dem Lande Böhmen den nationalen Frieden zu bringen. Auf deutscher Seite w a r jedoch sofort die Befürchtung geäußert worden, daß der Eintritt des G r a f e n Thun in eine amtliche Stellung dem Ausgleichswerk eher schaden als nützen würde. Diese Vermutung fand im weiteren Verlaufe der Ereignisse ihre Bestätigung. Bald nach seiner Ernennung zum Statthalter v o n B ö h m e n wurde Graf Thun in den Fürstenstand erhoben. D i e Schwierigkeiten des Ausgleiches vermehrten sich unter dem Statthalter Fürsten Thun. Auch seine Taktik, die nationalen Parteien durch den Druck der wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Arbeitsunfähigkeit des böhmisdien Landtages zu einem K o m p r o m i ß zu bringen, blieben
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erfolglos. Der Ausgleich scheiterte an dem von dem Führer der Jungczechen Dr. Kramarz aufgestellten Junktim zwischen der böhmischen Landesordnung und der in die Kompetenz des Reichsrates fallenden Regelung der Sprachenfrage. Im Sommer 1912 wurde zum letztenmal sehr lebhaft verhandelt, allein auch diese Konferenzen scheiterten. Das Jahr 1913 verging unter vergeblichen Bemühungen des Fürsten Thun und der Regierung des Grafen Stürgkh, den Zusammenbrudi der autonomen Landesverwaltung zu vermeiden. Als die Versuche fehlschlugen, wollte Fürst Thun die Parteien bewegen, ihre Vertreter in eine Verwaltungskommission zu entsenden, die nach Suspendierung der böhmischen Landesautonomie die Geschäfte leiten sollte. Die Deutschen lehnten die Teilnahme an dieser Kommission ab, sie verlangten, daß bei der Lösung der Krise der in der Landesordnung vorgezeichnete Weg nicht verlassen werde. Fürst Thun und Graf Stürgkh hielten jedoch den Gedanken der Landesverwaltungskommission fest. Der böhmische Landtag wurde am 17. Juli 1913 aufgelöst, der Oberstlandmarschall trat zurück und die Landesverwaltung ging in die Hände einer staatlichen Kommission über, an deren Spitze Graf Adalbert Schönborn trat. In der folgenden Zeit machten Fürst Thun und Graf Stürgkh wohl wiederholte Anläufe, die Ausgleichsverhandlungen wieder anzuknüpfen und den abnormalen Zustand in der böhmischen Landesverwaltung zu beenden. Allein es trat immer stärker hervor, daß jedenfalls Fürst Thun nicht mehr die geeignete Persönlichkeit war, der Schwierigkeiten in Böhmen Herr zu werden. Der Ausbruch des großen Krieges setzte der Tätigkeit des Ausgleichsstatthalters ein Ziel. Fürst Thun, dessen Gesundheitszustand nicht mehr der festeste war, schied am 27. März 1915 aus dem Amte. Er erhielt damals ein besonderes kaiserliches Handschreiben und die Brillanten des Großkreuzes zum Stephans-Orden. Bei Ausbruch des Weltkrieges schilderten die Zeitungen patriotische Kundgebungen und öffentliche Verbrüderungsfeste zwischen Deutschen und Czechen in Prag. Leider mußte ich von guten Bekannten aus Prag alsbald die Kunde vernehmen, es habe Thun ein schweres Stüde Geld gekostet, czechischen Mob zu diesen „Kundgebungen" herbeizuschaffen. D a ß die eigentlichen Czechen politischer Bedeutung diesen Veranstaltungen fernstanden, ja vielmehr ihre Fäden alsbald zur Entente spannten, ist ja heute bekannt. Als der arme Thun im zweiten Kriegsjahr sowohl körperlich wegen eines schweren Augenleidens als auch seelisch gebrochen von seinem Statthalterposten schied, geschah dies mit allen Zeichen kaiserlicher Gnade.
Dr. E R N E S T V O N
KOERBER
Idi habe schon in dem Kapitel „Olivier Marquis de Bacquehem" geschildert, welche große Rolle Koerber in den Jahren 1886 bis 1893 als Präsidialbürovorstand dieses Handelsministers spielte. Ich bleibe geneigt anzunehmen, daß ein gut Teil der unleugbaren Erfolge, welche Bacquehem bei seinem Auftreten im Parlament und vor der Öffentlichkeit damals zu erzielen verstand, seiner Leitung durch Koerber zuzuschreiben sind. Es muß hier abermals hervorgehoben weden, daß beide als ehemalige Zöglinge des Theresianums jene engen kameradschaftlichen Beziehungen zueinander hatten, die sie zu gegenseitiger Förderung, ähnlich wie solche unter den Freimaurern oder im Jesuitenorden üblich sind, verpflichten. Beispiele, wie die Theresianisten im Staatsdienst zusammenhalten, um sich vorwärtszubringen, und wie einer mit H i l f e des anderen die höchsten Beamtenstufen, oft ziemlich mühelos und ohne eigentlich die richtigen Fähigkeiten dazu zu besitzen, erreichte, könnte ich in genügender Anzahl anführen. Zwei Namen mögen genügen: Minister des Innern Graf Max Wickenburg, ein braver Durchschnittsbeamter und Hasenfuß, und der Statthalter Freiherr von Friess-Skene, einer der berühmtesten Maulhelden, der eigentlich nichts anderes versteht, als sich selbst richtig in Szene — um nicht zu sagen: Skene — zu setzen. Bacquehem und Koerber mangelte es aber an geistigen Fähigkeiten durchaus nicht. N u r war ersterer kein Arbeiter und das Gegenteil einer schaffenden N a t u r , vielmehr nur kritisch, das heißt boshaft und witzig veranlagt, mit der nötigen Portion Feigheit, wie sie solchen Leuten eigen zu sein pflegt. Koerber dagegen ist ein ernster Arbeiter, ein scharfer, dabei aber nicht übelwollender Beobachter, mit einer die Zuhörer leicht gewinnenden Rednergabe. Seine Lebens- und Beamtenlaufbahn ist in dem hier folgenden Zeitungsartikel des „Neuen Wiener Tagblattes" vom 28. Oktober 1916 mit ganz richtigen Daten geschildert. W a r u m sich Koerber stets Ernest und nicht einfach deutsch Ernst nennt, w a r mir unerfindlich. Vielleicht lautet sein Tridentiner T a u f schein auf Ernesto.
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Dr. Ernest von Koerber Der Lebenslauf
Dr. v.
Koerbers
D r . Ernest v. K o e r b e r wurde am 6. November 1850 in Trient als Sohn eines Majors geboren. E r absolvierte seine Gymnasialstudien in Wien am Theresianum, erlangte mit 22 Jahren das Doktorat der Rechte und trat dann als Rechtspraktikant beim Wiener Landesgericht ein. Zwei Jahre später wurde er in das Handelsministerium berufen, wo er durch seinen unermüdlichen Fleiß und seine besondere Begabung die Aufmerksamkeit sowohl seiner unmittelbaren Vorgesetzten als auch der jeweiligen Minister auf sich lenkte und die ganze Stufenleiter vom Konzipisten bis zum Sektionschef in 19 Jahren zurücklegte. Unter dem Koalitionsministerium übernahm Koerber als Sektionschef die Sektion für Zollpolitik und Schifffahrtswesen. 1895 wurde Koerber mit der Leitung der Generaldirektion der Staatsbahnen betraut und hatte den Obergang der Generaldirektion in das Eisenbahnministerium zu vermitteln. Mit Beginn des Jahres 1896 trat Koerber als erster Sektionschef in das Ministerium des Innern und erhielt bei diesem Anlaß die Würde eines Geheimen Rates. Am 28. November 1897 wurde Dr. v. Koerber als Handelsminister in das Kabinett G a u t s c h berufen, schied jedoch nach kurzer Zeit mit dem Kabinett Gautsch aus dem Amte. Als das Ministerium C 1 a r y ans Ruder kam, wurde Dr. v. Koerber am 2. Oktober 1899 zum Minister des Innern ernannt. Mit dem Rücktritt des Kabinetts Clary am 21. Dezember 1899 wurde Koerber zur Disposition gestellt. Nach der kurzen Aera W i 11 e k wurde Koerber am 18. Jänner 1900 zum Ministerpräsidenten und Minister des Innern ernannt. Das Ministerium Koerber stand unter dem Zeichen der von Dr. Kramarz geführten jungtschechischen Obstruktion. Am 2. Februar 1900 eröffnete Dr. v. Koerber die Verständigungskonferenzen zwischen Deutschen und Tschechen, am 22. Februar 1900 erschien er vor dem Parlament und stellte das neue Kabinett vor, er versprach, die auf die nationale Verständigung bezüglichen Gesetze der verfassungsmäßigen Behandlung zuzuführen, und entwickelte eine großes wirtschaftliches Programm. Am 13. März 1900 gelang es ihm — seit drei Jahren Obstruktion das erstemal —, das Rekrutenkontingent vom Parlament zu erhalten. Am 7. Mai 1900 legte Dr. v. Koerber den Sprachengesetzentwurf vor. Die Tschechen antworteten mit einer neuen Obstruktion, die schließlich zur Auflösung des Hauses führte. Am 26. April 1901 brachte Dr. v. Koerber im neuen Hause die K a n a l v o r l a g e ein und begründete die Notwendigkeit der Erledigung derselben. Es gelang Dr. v. Koerber — das erstemal seit vier Jahren Obstruktion — , die Bewilligung des Budgetprovisoriums für die Zeit des zweiten Semesters 1901 im Ausschuß durchzusetzen. Am 1. Juni 1901 wurden die Investitionsvorlage, das Wasserstraßengesetz und auch das Budgetprovisorium vom Abgeordnetenhaus angenommen. Im November 1901 drohte neuerlich eine Stockung der parlamentarischen Tätigkeit einzutreten. Dr. v. Koerber, mit den Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn beschäftigt, drängte die Parteien zum Abschluß eines parlamentarischen Waffenstillstandes bei Zurückstellung der nationalen Forderungen. Am 19. November veröffentlichte die Obmännerkonferenz der Parteien der Linken ihre auf Her-
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Stellung eines parlamentarischen Gleichgewichtes gerichtete Erklärung, u n d a m 22. traten sämtliche Klubobmänner mit Ausnahme der Alldeutschen z u r Feststellung des Arbeitsprogramms zusammen, wie es D r . v. Koerber gewünscht hatte. Die Beratung des Budgets im Budgetausschuß ging inzwischen nur langsam vorwärts, doch zeigten später die Parteien ihre Bereitwilligkeit, angesichts der Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn ihre nationalen F o r derungen zu vertagen und die Regierung zu unterstützen. A m 6. April 1902 beschloß die deutsche Volkspartei, als der Resolutionsantrag S t ü r g k h betreffend die Verlegung der slowenischen Parallelklassen von C i 11 i nach Marburg zu Falle gebracht wurde, dem Budget zu opponieren. D r . v. Koerber f ü h r t e die Verhandlungen mit den deutschen Parteien, um deren Obstruktion zu beseitigen. Nach Abschluß der Verhandlungen mit der deutschen Volkspartei und den Italienern gelang es ihm, die Bewilligung der Subvention von 16 Millionen Kronen f ü r die Assanierung Prags durchzusetzen als Konzession an die Tschechen f ü r die Einstellung der Obstruktion gegen das Budget. Während der Tagung der D e legationen im Mai 1902 kam es zum Konflikt über die Ausgleichsvorlagen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten S z e 11. Am 22. M a i 1902 brachte Koerber das Budget im Abgeordnetenhause zur Erledigung, u n d nach vier Jahren Obstruktion w u r d e wieder das erste parlamentarisch zustande gekommene Finanzgesetz publiziert. Die Ausgleichskonferenzen v o m 24. und 25. Mai 1902 zwischen den beiden Regierungen scheiterten. A m 11. J u n i 1902 legte Koerber während der E r k r a n k u n g des Justizministers Baron S p e n s den E n t w u r f eines P r e ß g e s e t z e s v o r . Die Ausgleichsverhandlungen mit U n g a r n wurden am 10. Juli 1902 fortgesetzt. D a die Tschechen wieder die Obstruktion ankündigten, berief D r . v. Koerber am 14. O k t o b e r 1902 die Führer der Deutschen und Tschechen zu neuen Besprechungen zur Lösung der Sprachenfrage. A m 17. Oktober 1902, nach Pensionierung des Freiherrn v. Spens, w u r d e D r . v. Koerber mit der Leitung des Justizministeriums betraut. Die Fortdauer der tschechischen Obstruktion verschärfte inzwischen die Lage. I m Parlament kam es zu wiederholten Ausschreitungen. Die Verhandlungen über den ungarischen Ausgleich veranlaßten in jenen Tagen beide Regierungen, ihre Demission anzubieten. Die Verhandlungen drohten vollständig zu scheitern. Erst in der Silvesternacht des Jahres 1902 k a m eine Einigung zwischen Koerber und Szell im letzten entscheidenden Moment zustande. A m 3. Jänner 1903 berief Koerber die Verständigungskonferenz der deutsch-tschechischen Führer ein. Alldeutsche, Tschechischradikale und tschechische Agrarier lehnten die Mitwirkung ab. D i e Tschechen verharrten trotz aller Bemühungen Dr. v. Koerbers in der Obstruktion gegen das Budget und den ungarischen Ausgleich. In U n g a r n fiel das Ministerium Szell, und Koerber verweigerte im Ausgleichsausschuß die verlangte Vorlage der Korrespondenz mit der ungarischen Regierung über den Artikel der Eisenbahntarife im Handelsbündnis. A m 23. Juni 1903 erzwang die tschechische Obstruktion die Vertagung des Parlaments. Die Krise in U n g a r n und die Ablehnung der Wehrvorlage veranlaßten D r . v. Koerber, die Demission des Kabinetts neuerlich anzubieten. In einem Handschreiben v o m 7. Juli 1903 lehnte aber der 19 Goldinger, Kaiserhaus
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Dr. Ernest von Koerber Kaiser unter Anerkennung für die Tätigkeit Dr. v. Koerbers die Demission ab. Am 23. September 1903 wurde der Reichsrat zur notwendig gewordenen Abänderung des Rekrutengesetzes einberufen, weil die in Österreich beschlossene Erhöhung des Rekrutenkontingents in Ungarn abgelehnt worden war. Am 27. September wurde die neue Rekrutenvorlage nach harten Kämpfen mit der Obstruktion erledigt. Die Session des Reichsrates, die am 8. März 1904 eröffnet wurde, brachte stürmische Erörterungen über die Prager Studentenexzesse und über das Eingreifen der Regierung zugunsten der Christlichsozialen in Niederösterreich. Am 26. Oktober erfolgte die Rekonstruktion des Kabinetts Koerber. Nach dem Sturm gegen die i t a l i e n i s c h e R e c h t s f a k u l t ä t in Wilten bei Innsbruck suchte Koerber in der Rede am 17. November 1904 das Verhalten der Regierung zu rechtfertigen. Bei Beratung der Notstands- und Kassenrefundierungsvorlage am 9. Dezember 1904 wurde diese jedoch mit mehr als Zweidrittelmajorität im Budgetausschusse abgelehnt. Am 13. Dezember 1904 wurde der Reichsrat vertagt und Dr. v. Koerber reichte seine Demission ein. Am 31. Dezember 1904 wurde Dr. v. Koerber enthoben und Freiherr von G a u t s c h trat an die Spitze des Kabinetts. Bis zu seiner Ernennung zum gemeinsamen Finanzminister am 7. Februar 1915 hielt sich Dr. v. Koerber von der Politik fern. Die einzigen Anlässe, bei denen er öffentlich sprach, waren die Sitzungen der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, deren stellvertretender Kurator er seit dem Tode S t r e m a y r s ist.
Solange Koerber noch im Handelsministerium tätig w a r , hatte ich n u r seltener Berührung mit ihm gehabt. Ich lernte ihn persönlich erst näher kennen, als Badeni (siehe dort) nach der unzeitigen und u n v e r n ü n f t i g e n Beseitigung Erbs, A n f a n g 1896, Koerber als Ersten Sektionschef in das Ministerium des Innern berufen hatte. D a Badeni, vollauf mit den parlamentarischen Schwierigkeiten beschäftigt, k a u m Zeit u n d Lust hatte, sich mit den eigentlichen Verwaltungsaufgaben des Ministeriums des I n n e r n zu beschäftigen, w a r ich oft in der Lage, dies u n d jenes mit K o e r b e r zu besprechen. Dieser Verkehr w a r angenehm. D e n n w e n n er, bisher nur i m Handelsressort beschäftigt gewesen, von der eigentlichen politischen Verwaltung n u r wenig verstand, so w a r er doch schneller Auffassungsgabe, leicht orientiert u n d meinen Anträgen u n d Begehren gegenüber stets entgegenkommend. Ich beglückwünschte mich also, als Koerber unter dem Ministerium C l a r y im O k t o b e r 1899 Minister des I n n e r n wurde. Eine kurze Freude, denn vor Weihnachten desselben Jahres t r a t er schon von diesem Posten ab. Aber kaum drei Wochen hienach w a r Koerber Ministerpräsident u n d Leiter des Ministeriums des Innern. D a m a l s h a t t e er offenbar von der K r o n e den A u f t r a g erhalten u n d dieser die Zusicherung gemacht, das P a r l a m e n t aus seinen Obstruktions-
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nöten zu befreien und dieses die sogenannten Staatsnotwendigkeiten, das Rekrutenkontingent vor allem, votieren zu lassen. Nun gab es für ihn keine Rücksichten auf eine gute und gerechte Administration mehr, sondern nur solche auf die Gewinnung von Stimmen — welcher Partei immer — im Abgeordnetenhaus, um seiner Regierung eine arbeitswillige Majorität zu schaffen. Dies sein Bestreben hatten Lueger und die Christlichsozialen als erste richtig erkannt und ihm sofort, und zwar noch vor dem Zusammentritt des Parlaments im Februar 1900, ihren Wunschzettel überreicht. Unter diesen Wünschen befand sich auch der, der Wiener k. k. Krankenanstalten-Fonds möge den Bau des KaiserJubiläums-Kinderspitals mit den hiezu von der Gemeinde Wien gewidmeten Mitteln übernehmen. Das Nähere hierüber, und wie der genannte Fonds dadurch notleidend wurde, habe ich in meiner Monographie „Dr. Karl Lueger" geschildert. Ganz ähnlich verhielt es sich dann mit der auch dort von mir eingehend erörterten Einverleibung der Gemeinden links des Donauufers (Floridsdorf usw.) in Wien. Das 1901 von Koerber eingebrachte Wasserstraßengesetz, das bekanntlich nie leben und sterben konnte, hatte ja auch nur den Zweck, Stimmen von Abgeordneten und Spekulanten — was auf dem letzteren Gebiet geleistet wurde, ist unglaublich — für die Regierung zu gewinnen. Koerber aber fing dann an, durch Gewährung von Wünschen nach rechts und links die Stimmen einzelner Abgeordneter für sich und seine Regierung zu gewinnen. Er ging dabei von der irrigen Meinung aus, daß, wenn er diesen oder jenen gewonnen habe, dessen ganze Gruppe oder Partei geneigt sein werde, ihm Gefolgschaft zu leisten. Daß er sich darin täuschte, beweisen die ferneren Verhandlungen des Parlaments, die schon 1902 wieder einsetzende Obstruktion und die 1903 erzwungene Vertagung des Parlaments. Ich könnte Seiten darüber anfüllen, welche unglaublichen Protektionen einzelnen Abgeordneten von Koerber gewährt wurden, wie oft in die instanzmäßigen Entscheidungen der Behörden eingegriffen und deren Ansehen nach außen geschädigt wurde. Die Einberufungen von Beamten in die Ministerien erfolgten damals nur noch auf Protektionen von Abgeordneten hin und, was das Schlimmste war, ganz über den eigentlichen Dienstbedarf hinaus sowie von recht unfähigen und wenig vertrauenswürdigen Elementen. Nur einige Beispiele, wie damals vorgegangen wurde. Zur Erledigung dieses oder jenes Rekursfalles, zur Verleihung dieser oder jener Konzession kamen aus den Präsidialbüros des Ministerratspräsidiums oder des Ministeriums des Innern direkt ununter19*
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schriebene Dienstzettel an die Referenten der Statthaltern. Ich wurde sehr bald auf diesen Unfug aufmerksam gemacht und ordnete nun an, daß jeder derartige „Einlauf" mir sofort vorgelegt zu werden habe. Mit jedem derartigen Zettel begab ich mich dann regelmäßig selbst zu Koerber mit der Frage, ob derselbe, wie es heiße, in seinem Auftrag gesendet worden sei. Verlegene Auskunft seinerseits: es sei das ein Zettel, den ihm dieser oder jener Abgeordnete gegeben habe und den er lediglich an die Statthalterei habe weiterleiten lassen; die parlamentarischen Verhältnisse brächten es mit sich, daß er sich derlei Wünschen nicht entziehen könne, damit solle kein Auftrag seinerseits gegeben sein, und dergleichen Redensarten mehr. Ich ersuchte ihn auch ernstlich, diese Praktiken einzustellen, die nur geeignet seien, das Vertrauen der Bevölkerung in die gerechte und unparteiische Entscheidungstätigkeit der Behörde zu untergraben. Die Zettelwirtschaft hörte dann auch auf, aber dennoch kamen hin und wieder einzelne Fälle vor, in denen Kabinettsjustiz im Interesse einzelner Abgeordneter geübt wurde. Ein anderes Beispiel: Nach meiner Reform des Versatzamtswesens in Wien, der Gründung des „Dorotheums", war mit der Gemeinde Wien in schriftlichen Verträgen und teils auch mündlich mit Lueger vereinbart worden, daß das reformierte Institut sich jeder Förderung durch die Gemeinde zu erfreuen haben werde, daß dagegen k. k. Versatzamtsfilialen nach Maßgabe des Bedarfs und der zur Verfügung stehenden materiellen Mittel allmählich in allen Bezirken errichtet, die Winkelversatzämter unterdrückt und die bestehenden konzessionierten Privatversatzämter auf den „Aussterbeetat" gesetzt werden sollten. Die Gebarung in einigen dieser Anstalten war nämlich recht unordentlich, ja wucherisch. Diese nur auf den Namen des Inhabers lautenden Konzessionen mußten ja allmählich durch den Tod des Inhabers oder die Aufgabe des Geschäftes erlösdien. Übertragungen der Konzession auf irgendwelche Rechtsnachfolger oder Käufer sollten ein für allemal ausgeschlossen sein. Nun starb ein solcher Konzessionsinhaber, und die Erben verlangten die Verlängerung oder Erneuerung der Konzession, die zu erwirken Koerber ihnen versprochen habe. Meine Frage, ob das richtig sei, konnte er nicht umhin zu bejahen; es liege ihm sehr viel an dieser Verlängerung, denn der Abgeordnete der jungczechischen Partei (leider habe ich den Namen des Ehrenmannes vergessen, aber die Statthaltereiakten müssen ihn enthalten) sei an diesem Versatzgeschäft mit einer Kapitalseinlage beteiligt und — sein Konfident, der ihm regelmäßig alle Vorkommnisse innerhalb dieser Partei verrate. Er würde diesen Konfidenten aber verlieren, falls er
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dessen Wunsch nicht erfülle; der hohe politische Wert für ihn liege auf der H a n d . Später hieß es, der czechische Lump sei gar nicht mit Kapital bei dem Versatzgeschäft beteiligt gewesen, sondern habe lediglich für die von ihm erwirkte Konzessionsverlängerung eine ansehnliche Provision verdient. Ein weiteres Beispiel: Der Bürgermeister von St. Pölten, deutschnationaler Landtags- und Reichsratsabgeordneter Völkl, ein recht energischer oder richtiger exzentrischer Mann, der wenige Jahre später als Paralytiker im Irrenhaus starb, verfügte über einige Anhänger im Abgeordnetenhaus; Grund genug, daß Koerber ihm in allen möglichen Wünschen, die er vorbrachte, zu Willen war. Die Theater-Lokalkommission in St. Pölten hatte gewisse Feuersicherheitsvorkehrungen im dortigen Stadttheater vorgeschrieben. Den Rekurs der Stadtgemeinde gegen die sie als Eigentümerin des Theaters treffenden Adaptierungskosten hatte die Theater-Landeskommission abgewiesen und nun der Bezirkshauptmann dem Bürgermeister eröffnet, er werde sich vor Eröffnung der Spielsaison im Herbst von der Ausführung der aufgetragenen Herstellungen überzeugen und von dieser die Erlaubnis zum Beginn der Vorstellungen abhängig machen. Ende September hielt der Bezirkshauptmann im Theater die Besichtigungskommission ab; der dazu erschienene Bürgermeister Völkl zieht einen Brief Koerbers aus der Tasche, in dem es heißt, die Entscheidung der Statthalterei und der Theater-Landeskommission werde über den Einspruch der Gemeinde St. Pölten aufgehoben und dem Beginn der Theatervorstellungen, ohne daß Sicherheitsherstellungen ausgeführt worden seien, stehe nichts im Wege. Es hieß, der damals schon halb närrische Völkl habe beim Weggehen aus dem Theater gerufen: „Man muß mit dem Ministerpräsidenten auf gutem Fuß stehen, dann sind die Lokalbeamten nur Affen!" Ich füge ergänzend bei, daß Koerber einige Tage vor der vom Bezirkshauptmann angesetzten Theaterkommission die Statthaltereiakten verlangt hatte und daß diese alsbald nach der in St. Pölten abgehaltenen Beschau mit einem Erlaß des Ministeriums des Innern zurückgestellt wurden, der ohne jede weitere Begründung besagte, daß die Gemeinde der Verpflichtung zu baulichen Herstellungen im Stadttheater enthoben sei. Wie derlei Vorkommnisse die Autorität der Behörden schwächten, bedarf keines weiteren Beweises. Zum Ansehen Koerbers nach außen trugen auch seine in Wien viel besprochenen Beziehungen zur Frau des Advokaten Dr. Schneeberger gerade nicht sehr bei. Es möge ganz außer Betracht bleiben, ob und wie
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eng diese Beziehungen waren, aber der Ehegatte und Advokat wußte sie, um seine Klientel zu erweitern, insofern auszunützen, daß er verbreitete, sein Einschreiten bei Behörden verspräche mit Rücksicht auf seine Intimität mit dem Ministerpräsidenten besten Erfolg. Ich hatte einstmals Gelegenheit, mich von dieser Unverfrorenheit Schneebergers selbst zu überzeugen. Es handelte sich um Differenzen der DonauRegulierungs-Kommission mit einem ihrer Bauunternehmer, die zur gerichtlichen Klage geführt hatten. Eines Tages erschien nun Schneeberger in Vertretung dieses Bauunternehmers, seines neuerworbenen Klienten, bei mir mit dem Ansinnen, demselben die verlangten Mehrforderungen im außergerichtlichen Vergleichswege zuzugestehen — „es werde das dem Herrn Ministerpräsidenten sehr angenehm sein". Mir blieb nichts übrig, als den Herrn Advokaten zur Tür „hinauszukomplimentieren"; glücklicherweise verlor er dann auch seinen Prozeß. Viele Erfolge hat er damals, man kann zur Ehre unseres Richterstandes „Gott sei Dank" sagen, mit seinen Prozessen bei Gericht nicht gehabt. Die Zeit, von der ich hier rede, war nämlich jene, in der Koerber in seiner Sucht, Einfluß auf alle Behörden zu gewinnen, nach dem Rücktritt des Justizministers Freiherrn von Spens-Boden, auch die Leitung des Justizministeriums selbst übernommen hatte. Fleißig war Koerber; er wollte in alles Einblick gewinnen und die öffentliche Meinung für sich haben. Dadurch glaubte er dem Parlament gegenüber stark zu sein und es noch mehr und mehr zu werden. Als Leiter des Justizministeriums ließ er den Erlaß „Wegen humaner Behandlung jugendlicher Verbrecher und Gesetzesübertreter" erscheinen, und vom Ministerium des Innern aus kam er den Schriftstellern durch die Einsetzung von Beiräten zur Handhabung der Theaterzensur entgegen. Auch die Herausgabe seiner bekannten „Studien zur Reform der politischen Verwaltung" ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Mit dieser Denkschrift, die damals nicht mit Unrecht in allen Kreisen, die mit der öffentlichen Verwaltung zu tun hatten, Aufsehen machte, muß ich mich eingehender befassen. Sie war weder von Koerber verfaßt noch auch aus seiner Initiative hervorgegangen, vielmehr eine, beinahe könnte man sagen Privatarbeit des damaligen Ministerialrates im Ministerium des Innern, Freiherrn von Haerdtl. Dieser hatte sie einigen Kollegen zu lesen gegeben, und so hatte auch Koerber von ihr Kenntnis erlangt. Die Denkschrift gefiel ihm in ihren Grundzügen, und er ließ sie nun zu einer Art Questionär umgestalten und zur Äußerung an die politischen und autonomen Landesbehörden hinausgeben.
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Ich befaßte mich eingehend mit ihrer Beantwortung. Meine Äußerung bildete ein dickes, fast zur Gänze von mir selbst verfaßtes Heft. Viele der Haerdtlschen Vorschläge hieß ich gut, manche kritisierte ich, kam aber dann zu dem Schluß, daß die angestrebte Beseitigung der Schäden unserer Doppelverwaltung, die augenscheinlich seien, nicht ohne Änderung der Verfassung möglich sei und eine weit eingreifende gesetzgeberische Tätigkeit des Reichsrats und sämtlicher Landtage zur Voraussetzung hätte. O b und wann dieser Weg mit einiger Aussicht auf Erfolg zu betreten sei, müsse von der Regierung erwogen werden. Daneben führte ich aus, daß eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung und Vereinfachung des Verfahrens bei den staatlichen Behörden durch Ministerialverordnungen oder interne Weisungen erzielt werden könnte. Diese meine Darlegungen hatten Koerber eingeleuchtet, und in einer eingehenden Besprechung des Gegenstandes erklärte er mir, daß angesichts der ablehnenden Haltung, die die autonomen Landesbehörden gegenüber seinen Vorschlägen zur Vereinheitlichung der Verwaltung in ihren Rückäußerungen eingenommen hätten, die Betretung des gesetzgeberischen Weges zur Erzielung dieser Reformen keinerlei Aussicht auf Erfolg eröffne. Dagegen beabsichtige er eine Modernisierung der Verwaltung in die Wege zu leiten und ersuche mich um meinen R a t u n d meine Mitwirkung, um hier schnellstens zum Ziel zu gelangen. Meine Ansicht ging dahin, er möge sofort im Ministerium des Innern eine Kommission aus den dortigen, in der Verwaltung Erster und Zweiter Instanz besonders erfahrenen Beamten einsetzen, die die eingelangten Äußerungen zu sichten und auf ihre eheste Durchführung zu prüfen hätten. Ich wolle mich mit meinen Erfahrungen dieser Kommission gern zur Verfügung stellen. Auch dürfte es nach Sichtung des Materials angezeigt erscheinen, zu den Beratungen noch einige Landeschefs oder Referenten von Landesstellen beizuziehen. Koerber hieß meinen Plan sofort gut: er werde im Ministerium Umschau nach den f ü r die Kommissionsberatungen geeignetsten Arbeitskräften halten. Nach einigen Tagen teilte mir Koerber die ihn selbst überraschende Tatsache mit, daß im ganzen Ministerium des Innern nur drei Beamte dienten, welche Bezirkshauptleute gewesen seien und über den exekutiven Dienst der politischen Verwaltung genau Bescheid wußten. So weit hatte es also die schon vor Koerber und dann weiter unter seiner Regierungszeit eingerissene Protektionswirtschaft bei Einberufungen und Besetzungen der Referentenstellen im Ministerium gebracht!
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Dr. Ernest von Koerber Koerber wollte aber dennoch die Kommission einsetzen, nur meinte
er, er brauche einige Zeit, um die geeigneten Mitglieder unter der Beamtenschaft des Ministeriums ausfindig zu machen. Drei Wochen nach dieser Besprechung mit mir demissionierte Koerber, und damit waren seine doch immerhin einigen Erfolg versprechenden „Studien" begraben. Erst die im Jahre 1911 erfolgte Einsetzung der kaiserlichen Kommission zur Förderung der Verwaltungsreform brachte so ziemlich alle in den „Studien" behandelten Fragen neuerlich auf das Tapet. V o n Koerbers erster Ministerpräsidentschaft nur noch das Folgende: Anhängerschaft im Parlament und in der großen Öffentlichkeit zu gewinnen und dann mittels dieser die Staatsmaschine im Gang erhalten zu können, war sein einziges Ziel, und jedes, auch das kleinste und verwerflichste Mittel dazu war ihm recht. Den
Dispositionsfonds
durch Verkauf von Adels- und anderen Titeln und Orden zu spicken, hatte der Vorstand des Präsidialbüros, Dr. Sieghart, früher Singer geheißen, übernommen und einen förmlichen T a x t a r i f dafür aufgestellt. E r war es auch, der Koerbers Geschäfte mit den Konfidenten aus der Mitte der Abgeordneten besorgte und, ich habe es wiederholt wahrgenommen, seinen Chef vorzüglich über die im Kreise der einzelnen Parteien jeweils herrschenden Strömungen zu informieren wußte. D e r letztere hatte aber mit der Leitung des Ministeriums des Innern und dann auch noch des Justizministeriums, neben der Präsidentschaft, zuviel auf sich genommen. Herrschten auch in diesen beiden Ministerien die Vorstände der Präsidialbüros, die Gebrüder Regner von Bleyleben, in manchen Dingen, namentlich Personalien — und zwar auch zur Förderung der eigenen Karrieren — , ziemlich unumschränkt und viel mehr, als der parlamentarisch unausgesetzt in Anspruch genommene Koerber es merkte, so brach er doch schließlich unter der Last der Arbeit zusammen und wurde zusehends nervöser. Seine besten Freunde, und solche, welche sich dafür ausgaben, zweifelten schon Monate vor seinem Rücktritt, daß er sich auf seinem Posten werde halten können. Es kam etwas Fahriges und Unsicheres in seine Art, die Geschäfte zu führen. Zu seinen falschen Freunden zählte auch Bacquehem, der ihn seinerzeit so sehr gefördert hatte, nun aber beneidete, weil er ihn politisch und in der Beamtenhierarchie überholt hatte. Bacquehem wußte in ganz Wien boshafte Witze über seinen Freund Koerber zu verbreiten, so unter anderen den, K o e r b e r sei leidend und nervös und ziehe sich nur deshalb nicht in den Ruhestand zurück, weil er gar so gern als Ministerpräsident zu Diners, „mit dem Messer speisend", bei Fürstin Croy und in anderen aristo-
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kratischen Häusern erscheine. An gesellschaftlichen Formen mangelte es aber in Wirklichkeit Koerber durchaus nicht; er war ein ebenso guter Theresianist wie Bacquehem selbst. Aus der letzten Zeit seiner Nervosität eine ernste und eine heitere Geschichte: Im niederösterreichischen Landtag stand ein Schulgesetz in Beratung. Zu einem plötzlich gestellten Abänderungsantrag sollte ich namens der Regierung Stellung nehmen. Ich begab mich zu Minister Härtel in das benachbarte Unterrichtsministerium, um die Sache mit diesem zu besprechen. Der sagt mir, die Frage erscheine ihm politisch so wichtig, daß der Ministerpräsident entscheiden müsse. Ich äußerte einen leisen Zweifel, ob wir Koerber unvorbereitet damit kommen dürften, aber Härtel erwiderte mir wörtlich: „Seien Sie unbesorgt, Koerber ist zwar sehr nervös, aber ich weiß ihn zu behandeln!"; und so fuhren wir denn sofort zu ihm in das Ministerium des Innern. Härtel setzte ihm die Sache auseinander, Koerber zeigte große Ungeduld, rief in immer höherer Diskantstimme ein über das andere Mal: „Davon habe ich ja bisher gar nichts gewußt!", erwischte mehrere auf seinem Schreibtisch liegende Aktenbündel und schmiß diese wütend in verschiedener Richtung auf den Fußboden. Nicht Härtel, sondern mir gelang es, ihn endlich zu beruhigen und die Regierungserklärung für den Landtag zwischen uns dreien zu vereinbaren. Koerber war damals derart aufgeregt, daß ich schon glaubte, die Rettungsgesellschaft zu seinem Abtransport in das Irrenhaus holen lassen zu müssen. Wenn er sich auch schließlich beruhigte, so ging ich doch mit der festen Überzeugung von ihm, daß er nahe vor seiner Demission stehe. Nur wenige Wochen hienach war er abgetan. Die zweite, heitere Geschichte: Auch der „berühmten Frau von Pollak-Parnegg", der Tante seiner angebeteten Frau Dr. Schneeberger, in deren Haus Koerber oft verkehrte, war seine zunehmende Nervosität aufgefallen. Bei einem Souper setzte sie ihm nun ernstlich zu, sich eine Zeitlang Ruhe zu gönnen und einen Erholungsurlaub anzutreten. Koerber: „Leider gestatten das Parlament und meine vielen Geschäfte das nicht." Frau von Pollak: „Ein kurzer Aufenthalt in Venedig hat meinem Mann Leopold jüngst ausnehmend wohlgetan." Koerber: „Für Venedig ist die Jahreszeit jetzt schon zu weit vorgeschritten." Frau von Pollak: „Exzellenz, Exzellenz, mir scheint, Sie fürchten die Eskimos!" Koerber erklärte mir vor kurzem, daß diese Geschichte erfunden sei. Er kenne Frau von Pollak gar nicht. Aber Tatsache bleibt, daß
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Sieghart, der an dem Souper mit teilgenommen haben wollte, mir und anderen diese Geschichte erzählte, und daß wenige Wochen hienach Frau von Pollak in Wien viel berühmter war als ihre Nichte Schneeberger, so viele Verwechslungen von Fremdwörtern wurden ihr in den Mund gelegt. Nach Koerbers Demission hatte er immer noch eine ziemlich zahlreiche Anhängerschaft unter den Parlamentariern und in anderen Kreisen, die gewisse an ihm wahrgenommene staatsmännische Eigenschaften schätzten. Aber die Beamtenschaft w a r ihm nicht hold, er hatte zuviel Protektionen der Abgeordneten geduldet und die Autorität der Behörden untergraben lassen. Oftmals hieß es von ihm, er komme demnächst wieder an das Ruder, verkehre intim mit dem ErzherzogThronfolger Franz Ferdinand und dergleichen. Ich wußte aber bestimmt, daß Koerber seiner Gesundheit lebe und kaum anstrebe, wieder an die Spitze der Staatsgeschäfte zu treten. Die Quelle aller dieser Gerüchte war niemand anderer als Frau Dr. Schneeberger, die sich übrigens zu jener Zeit, ich weiß nicht aus welchen Gründen (man sagte, um Koerber heiraten zu können), von ihrem Mann hatte scheiden lassen. Sie kam im Frühjahr 1909 oder 1910 in Karlsbad mit H e r r n Alfred von Fraenkel zusammen und erzählte diesem dort des langen u n d breiten von den Regierungsplänen ihres Ernest, daß er der Vertrauensmann des Erzherzogs Franz Ferdinand sei, bei diesem ein und aus gehe und allernächstem wieder an das Ruder komme. Ich ward neugierig und zog direkt aus dem Belvedere, woeben ich damals oft verkehrte, Erkundigungen ein. Es waren die reinsten Erfindungen der Frau Schneeberger. Koerber hatte nie intime Beziehungen mit Franz Ferdinand, und hätte er sie gehabt, so hätten diese genügt, daß Kaiser Franz Joseph Koerber nicht wieder berufen hätte, so sehr war er schon zu dieser Zeit und auch später noch dagegen aufgebracht, daß der Erzherzog sich in seine, des Kaisers, Regierungsgeschäfte einzumischen trachte. Zur Zeit der Mordtat in Sarajewo w a r „der polnische Schurke", wie Taaffe im vertrauten Kreise Bilinski zu bezeichnen pflegte, Gemeinsamer Finanzminister. Der in Wien anwesend gewesene Sarajewoer Polizeidirektor hatte davor gewarnt, den Erzherzog-Thronfolger dorthin reisen zu lassen, Bilinski aber war Potioreks ehrgeizigen Plänen, den Erzherzog bei sich in Bosnien zu sehen, nicht entgegengetreten. Die allgemeine Meinung unmittelbar nach dem Attentat w a r die, Bilinski und Potiorek würden ihre Posten verlassen müssen, was aber merkwürdigerweise keineswegs der Fall war. Der schlaue
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Bilinski hatte der ihm drohenden Gefahr schon am Tage nach dem Attentat mit einem von ihm den Zeitungen zugesandten Kommunique vorgebeugt, in dem er äußerte, „das Gemeinsame Finanzministerium stehe der Reise des Erzherzogs nach Bosnien durchaus fern und habe diese nicht angeraten". Also hielt sich Bilinski noch beinahe ein Jahr auf seinem Posten, dann aber wurde Koerber sein Nachfolger. Es hieß, der Kaiser selbst habe ihn dazu ausersehen. Das ist wohl möglich, denn nach oben hatte er sich nie unbeliebt gemacht. Im Gegenteil, der Kaiser hatte es ihm gewiß hoch angerechnet, daß er sich nach seiner Demission als Ministerpräsident ruhig in das Privatleben zurückgezogen und nicht geschimpft hatte, was sicherlich Seiner Majestät hinterbracht worden wäre. So hatte denn Koerber als Gemeinsamer Finanzminister seine Beziehungen zum Kaiser wieder erneuert und dieser ihn nun nach Stürgkhs Ermordung zum Ministerpräsidenten berufen. Ein tieferer Erklärungsgrund hiefür braucht nicht gesucht zu werden. Man darf nicht außer acht lassen, daß der Kaiser damals während der Kriegswirren ein alter Herr war, der seelisch tief unter dem italienischen Treubruch litt und sorgenvoll um die Zukunft seiner Erbstaaten bangte. An einen neuen Mann hätte er sich unter diesen Umständen kaum noch gewöhnen können, und so war ihm denn Koerber, den er achtete, der nächste. Der Ausschnitt aus dem nachfolgenden Zeitungsartikel spiegelt die Volksstimmung wider, die einen jeden neuen Mann begrüßt hätte, der die allgemein verhaßte Stürgkhsche Wirtschaft mit der Abhängigkeit von Ungarn und mit dem § 14 aufhören lassen sollte. Und man mutete Koerber eine gewisse Kraft und Geschicklichkeit zu, Tisza gewachsen zu sein. Der Zufall will, daß Herr v . Koerber und Graf Stephan Tisza wieder gleichzeitig Ministerpräsidenten sind wie v o r zwölf Jahren. Auch damals waren bewegte Tage, und der ungarische Ministerpräsident sagte vom österreichischen, daß er nur ein vornehmer Fremder wäre. Ein Moderduft entschwundener Vergangenheit umweht dieses Wort, da neben dem Staatsrechte eine Blutsbrüderschaft ist, die kein Pergament zur ewigen Bekräftigung braucht. Herr v. Koerber hat die Erfüllung seiner Pflichten mit einer der Ausgleichsfahrten begonnen, die der alte Lasser im Abgeordnetenhause einst schwere Reisen genannt hatte. Graf Stephan Tisza macht in einer seiner letzten Reden die Bemerkung, Graf Stürgkh sei wenig in der Öffentlichkeit hervorgetreten. Sie darf jedoch keinem österreichischen Ministerpräsidenten fehlen; sie gehört zu seinem Einflüsse und zum Schutze des Landes. Er kann die Öffentlichkeit parlamentarischer Einrichtungen nicht entbehren und auch nicht die Presse, über die Herr v. Koerber in
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Dr. Ernest von Koerber seinem ersten Ministerium das Licht größerer Freiheit ausbreitete. Parlament und Presse müssen wieder ihren Platz einnehmen, damit die Ausgleichsfahrten des Herrn v. Koerber weniger schwere Reisen werden und der Frohmut auch die wirtschaftliche Ausdauer festige. Herr v. Koerber ist ein Gewinn. Man braucht den neuen Mann nicht zu überschätzen und hat doch das Gefühl, daß jene verletzende Tatsache, daß der ungarische Herr der Herr auch über uns ist, daß er in Österreich-Ungarn allein entscheidet und auch in Österreich mitspricht, daß sie nun ausgelöscht wird. Es mag für die Menschen bequem und vorteilhaft gewesen sein, von der ungarischen Allmacht begönnert zu werden; für den Staat Österreich taugt ein solches Verhältnis seines dualistischen Genossen nicht. Es wird doch auch nicht ewig Krieg sein und einmal wird man über den Frieden und seine Gestalt nachdenken müssen. Daß dabei der Einfluß Österreichs lebendig ist, daß die Interessen Österreichs dabei gewahrt werden, ist eine große Notwendigkeit; und wie aussichtslos das bei der gegenwärtigen Regierung der Fall war, weiß jeder. Das Gefühl, das man Herrn v. Koerber entgegenbringt, ist eigentlich dieses: daß jener einschnürende Druck, der alles im Staate lähmte, nun aufhört, daß die Widernatürlichkeit, wonach ein paar Menschen über unser gesamtes Wohl und Wehe souverän entscheiden, von einer vernunftgemäßen Ordnung abgelöst wird. Es kommt nun eine neue Regierung, und man meint doch, es müsse eine neue Zeit kommen. Warum? Weil die alte unerträglich war und alles darangesetzt werden muß, daß Staat und Volk vor ihrer Wiederkehr behütet werden. D e r alte K a i s e r starb, ihm f o l g t e K a i s e r K a r l . E s k a n n keinem
Z w e i f e l unterliegen, d a ß dieser alle seine ersten Regierungshandlungen nach d e m „politischen T e s t a m e n t " F r a n z F e r d i n a n d s richtete. Ich weiß es aus g a n z bestimmter Q u e l l e , d a ß der letztere genaue Aufschreibungen besaß u n d sich über jene Persönlichkeiten auf d e m laufenden hielt, welchen er vertraute u n d die er bei seinem Regierungsantritt auf leitende Posten im S t a a t s - und H o f d i e n s t berufen wollte. Diese A u f schreibungen w i r d K a i s e r K a r l sicher besessen haben, aber zusätzlich auch sonst mit den Absichten seines O h e i m s v e r t r a u t gewesen sein. H a t doch E r z h e r z o g F r a n z F e r d i n a n d mir selbst einstmals nach dem T o d e seines B r u d e r s O t t o gesagt, er nehme es mit seiner Vormundschaft über seinen N e f f e n , den E r z h e r z o g K a r l , sehr ernst u n d
trachte,
diesen auf seinen einstmaligen Herrscherberuf vorzubereiten. Ich sagte früher, K o e r b e r seit mit F r a n z F e r d i n a n d nicht intim gewesen. E r stand sicherlich nicht in d e m Namensverzeichnis, wohl aber S p i t z m ü l l e r und C l a m - M a r t i n i t z . D e r erstere w a r k u r z v o r dem T o d e F r a n z F e r d i n a n d s im Belvedere ein und aus gegangen. D e r E r z herzog hatte ihn, den D i r e k t o r der C r e d i t a n s t a l t , zur O r d n u n g seiner ziemlich verworrenen finanziellen Verhältnisse, und auch weil er f ü r
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seine unebenbürtigen Kinder ein großes Vermögen ansammeln wollte, oftmals zu sich berufen und bei diesen Gelegenheiten auch politische Fragen mit ihm erörtert. So w a r Spitzmüller in das gewisse Vertrauensmännerverzeichnis gelangt, und so kam es, d a ß der junge Kaiser Karl es nicht erwarten konnte, Koerber als Ministerpräsidenten loszuwerden u n d Spitzmüller, der das Finanzministerium in Koerbers Kabinett übernommen hatte, mit der Bildung eines neuen Ministeriums zu betrauen. Kaiser Karl entledigte sich Koerbers in ziemlich brüsker Weise, indem er ihm deutlich zu verstehen gab, daß er seine Demission erwarte. Das teilte mir Koerber selbst in Einzelheiten mit, und er gab auch zu, wie sehr er sich gekränkt fühle. Seither meidet er die Öffentlichkeit noch mehr als früher, erscheint auch gar nie im Herrenhaus, wo er sich übrigens nie in eine Parteigruppe aufnehmen ließ. Im vertrauten Kreise läßt er sich voller Bitterkeit über die Gestaltung der politischen Verhältnisse aus. „Der österreichische Staat", meinte er neulich, „interessiere ihn nur noch insofern, daß er gern aus dessen Kassen seine Ministerpension bis zu seinem Lebensende beziehen möchte." Schade u m den Mann, talentlos war er nicht, aber leider ein Mann der kleinen Mittel und von recht schwachen Nerven, die ihn in den wichtigsten Lebenslagen im Stich ließen.
Dr. PAUL GAUTSCH FREIHERR V O N
FRANKENTHURN
Gautsch hat mir in den langen Jahren unserer Bekanntschaft wiederholt seine Freundschaft beweisen wollen. Wir kamen sogar auf den Du-Fuß. Zweifel an seiner Aufrichtigkeit kamen mir wiederholt, doch trachtete ich immer wieder, diese zu unterdrücken, so daß es mir auch heute noch schwerfällt, ein getreues Bild des Charakters dieses Mannes zu geben, der mehrmals berufen war, an die Spitze der Regierung zu treten. Graf Zeno Welsersheimb war als Landesverteidigungsminister schon im Ministerium Taaffe sein Kollege und gehörte Gautschs verschiedenen Ministerien an, bis dieser ihn im letzten zur Demission zwang. Vielleicht w a r er deshalb nicht gut auf Gautsch zu sprechen. Mehrere Jahre nach seiner Demission kam einmal zwischen uns alten Freunden die Rede auf ihn, und als ich ihn bat, mir sein objektives Urteil über Gautsch zu geben, mit dem er so viele Jahre in der Regierung zusammengewirkt habe und den er besonders genau habe kennenlernen müssen, sagte er: „Ein charakterloser Streber und nichts weiter!" Dieses Urteil erschien mir doch als zu hart. Ob es gerechtfertigt ist, möge die nachstehende Schilderung meiner häufigen Begegnungen mit Gautsch ergeben. An einem Sommermorgen des Jahres 1876 erschien der gewesene Bürgermeister von Vöslau und Obmann des Bezirksstraßen-Ausschusses Baden, Robert Schlumberger, der Gründer des bekannten Weinhandlungshauses, frühmorgens in meiner Bezirkshauptmanns-Amtswohnung, in Begleitung eines hochgewachsenen jungen Mannes, der tadellos gekleidet war und recht schüchtern tat. Er hatte die Absicht, mir diesen als den Bräutigam seiner Tochter vorzustellen. Private und gesellschaftliche Beziehungen hatte ich bis dahin mit Schlumberger nicht gepflogen, begriff aber vollkommen, daß er stolz war auf seinen zukünftigen Schwiegersohn, den Ministerialkonzipisten des Ministeriums f ü r Kultus und Unterricht, Dr. Paul Ritter von Gautsch, und Wert darauf legte, mir diesen vorzustellen. Nach Entgegennahme meiner Glückwünsche und einigem Verweilen verließen mich die Herren.
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Gautsch, von dessen Existenz ich bis dahin nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte, machte wegen seiner guten Haltung und seines bescheidenen Wesens angenehmen Eindruck. Als ich mich gelegentlich einer Anwesenheit in Wien über ihn erkundigte, erfuhr ich, daß er Zögling des Theresianums gewesen war, f ü r einen tüchtigen jungen Beamten gelte u n d bei seinem Minister, Dr. von Stremayr, gut angeschrieben sei. Im Winter darauf feierte der alte Schlumberger in seiner Wiener Wohnung am Schwarzenbergplatz sein Geschäftsjubiläum, und ich wurde als Chef des Bezirks, in dem das Hauptetablissement der Firma lag, gebeten, an dieser Feier, einem opulenten Souper, teilzunehmen. Dort lernte ich Schlumbergers Familienangehörige kennen und sah Gautsch als jungen Ehemann wieder. Seine Frau war recht hübsch, groß und schlank gewachsen und blond. Sie machte den Gästen die Honneurs des Hauses in einer liebenswürdigen u n d ungezwungenen Art. D i e letztere traf ihr Gatte nicht so gut; er schien eher etwas verlegen. Das Milieu des übrigens sehr gut gehaltenen bürgerlichen Hauses und dessen Verwandtschaft schien ihm nicht recht zuzusagen. War doch unter der letzteren auch der bekannte Wiener Komiker Knaack und dessen blonde Tochter, die eben einen der Söhne des Hauses geheiratet hatte. Ein oder zwei Jahre nach dieser Feier, die einen recht hübschen Verlauf genommen hatte, f a n d in Wien der Weinbau-Kongreß statt, dem der Landmarschall von Niederösterreich, Graf Christian Kinsky, präsidierte. Unter seiner Führung unternahm der Kongreß einen Ausflug in die Weingärten des Badener Bezirks. Zunächst wurden die besten Lagen Gumpoldskirchens besichtigt, dann jene von Vöslau; eine Weinkost in den Schlumbergerschen Kellereien und eine Jause im Landhaus „Goldeck" machten den Beschluß. Bei der letzteren machten alle Angehörigen des Hauses den zahlreichen Kongreßteilnehmern die H o n neurs, placierten sie an kleine Tische und sorgten f ü r ihre Bedienung. Auch Gautsch war dabei und schien mir mehr in seinem Element als bei dem früher geschilderten Jubiläum seines Schwiegervaters, handelte es sich jetzt doch um etwas Offizielleres, mit dem Landmarschall an der Spitze und unter Teilnahme von Vertretern der verschiedenen Behörden, wie Ackerbauministerium, Statthalterei und dem Bezirkshauptmann von Baden. Ich sah dann Gautsch erst einige Jahre später wieder, und zwar, als er sich auf einer Sommerurlaubsreise kurz in Klagenfurt aufhielt, wohin ich eben 1885 als H o f r a t versetzt worden war. Damals war er bereits Direktor des Theresianums. Ich hatte nur gehört, daß er sich,
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obwohl noch ein recht junger Beamter ohne pädagogische Vorbildung, diesen Posten bei dessen ziemlich plötzlicher Erledigung nicht ohne einige Schwierigkeit von seinem Amtschef, dem Minister von Stremayr, erbeten habe. D e r neue Posten hatte ihm bald den R a n g eines H o f r a t e s eingebracht, ihm, dem k a u m Dreißigjährigen, der allerdings älter aussah, weil seine H a a r e frühzeitig grau oder richtiger ganz weiß geworden waren. Zu jener Zeit waren zwei meiner Neffen, K a r l und E d u a r d Kielmansegg, Zöglinge des Theresianums; ich erkundigte mich also bei Gautsch über diese, und das gab Anlaß zu einem längeren Gespräch mit ihm. Er war g a n z erfüllt von der Bedeutung seines Direktorpostens und der mit diesem verbundenen A u f g a b e n und Pflichten. Zwei Jahre später, als ich bereits Ministerialrat im Ministerium des Innern war, machte der Besuch, mit dem der Kaiser das Theresianum auszeichnete, in allen unseren Beamtenkreisen großes Aufsehen und wurde viel besprochen. Es hieß damals, Gautsch habe es in sehr geschickter Weise verstanden, den Kaiser darauf aufmerksam machen zu lassen, daß dieser das Theresianum noch nie besucht habe, und daß eine Inspektion der Anstalt durch den Allerhöchsten H e r r n in weiten Kreisen guten Eindruck machen werde. D e r Kaiser war also gekommen, und von Gautsch, der Reserveoffizier der Infanterie w a r und genau wußte, welchen Wert der Kaiser auf militärische Formen und einen gewissen Drill legte, ganz in militärischer A r t empfangen und begrüßt worden. „ D e r Direktor der k. k. Theresianischen A k a demie meldet Euer Majestät allergehorsamst: so und so viele Zöglinge, in Kompanien zu so und so vielen Mann, im Garten ausgerückt, dann so und so viele Mitglieder des Lehrkörpers, der Beamten, der Dienerschaft usw. in der Anstalt anwesend!" S o ungefähr hatte Gautsch den Kaiser angesprochen, diesen d a n n sofort in den Garten geleitet und die Zöglinge nach streng militärischer Art die Ehrenbezeugung leisten und hierauf exerzieren lassen. D e r Kaiser hatte dann auch kurz dem Unterricht in den einzelnen Klassen der Anstalt beigewohnt und auch diesen ganz nach der Art organisiert gefunden, wie er in militärischen Erziehungsanstalten gehandhabt wird, in denen die Zöglinge ihre A n t worten in Habtacht-Stellung abzugeben haben. Dies alles hatte dem Kaiser ausnehmend gefallen, so daß er seiner Umgebung und auch T a a f f e gegenüber seiner Befriedigung über die große Disziplin, die im Theresianum herrsche, Ausdruck gab. Ich habe schon in meinem Ministerbildnis von „ T a a f f e " erwähnt, daß der letztere seinen Sohn Heinrich zur Korrektur in das Theresianum gegeben hatte und damit zu Gautsch in nähere Beziehungen
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getreten war. H a t nun Taaffe, als Baron Conrad-Eybesfeld von dem Posten eines Unterrichtsministers zurücktreten mußte, dem Kaiser Gautsch als den geeigneten Nachfolger vorgeschlagen oder hat der Kaiser in dieser Beziehung TaafFe gegenüber für Gautsch die Initiative ergriffen? Man behauptete damals in ministeriellen Kreisen das letztere u n d prophezeite von dieser Zeit an Gautsch die glänzende Laufbahn, die er dann auch in der Tat gemacht hat. Auch von Gautschs ministerieller Tätigkeit habe ich in dem genannten Artikel über „Taaffe" einiges sagen können und will dies nur in einigem noch ergänzen. Ebenso elegant und geschniegelt wie in seiner äußeren Erscheinung und Kleidung war Gautsch auch in seinen Reden im Parlament. Diese, auf die er sich in der Regel wohl gründlich vorbereitet hatte, zeichneten sich durch Sachlichkeit und klaren Gedankengang aus, so daß er sowohl bei seinen Ministerkollegen, als auch in den parlamentarischen Kreisen viel Anklang damit fand. Welcher politischen Richtung er eigentlich angehört, ist mir bis heute nicht recht klar. Er vermied es immer, in dieser Beziehung Farbe zu bekennen. Damit hängt es wohl auch zusammen, d a ß er als Redner im Parlament grundsätzlich nicht in der Ichform sprach, vielmehr als Unterrichtsminister immer die Unterrichtsverwaltung oder als Ministerpräsident die Regierung durch seinen Mund reden ließ. Das klang oft recht ungewohnt, wenn Gautsch seine Verfügungen und Pläne mit Worten darlegte wie: „Die Unterrichts- (oder Kultus-) Verwaltung hat angeordnet (oder plant), daß usw." Eigener Verantwortung weicht man gern, so viel wie möglich, aus. Gründlich war er übrigens stets, im Aktenstudium und in allen anderen Geschäftsangelegenheiten. Selten Abendunterhaltungen besuchend, benutzte er diese Zeit lieber zu seiner Fortbildung, so unter anderem in Kunstsachen, die zum Unterrichtsministerium gehören. Es war bemerkenswert, welche Fülle von Kenntnissen er sich allmählich auf diesem Gebiet erwarb, aber auch beinahe ergötzlich, wie er sich auf den strengen Kunstkritiker hinausspielte und tonangebend f ü r Stilkorrektheit sein wollte. Zu seiner Ministerzeit wurde das Unterrichtsministerialpalais einem partiellen Umbau mit Erweiterung unterzogen, so daß auch seine Dienstwohnung darin eine Vergrößerung erfahren konnte. N u n war er stolz, die neuen Zimmer im mustergültigen Louis-XVI-Stil eingerichtet zu haben und gab auch ganz ausnahmsweise einige Diners bei sich, um durch seine Gäste, Ministerkollegen, höhere Staats- und H o f f u n k t i o n ä r e seinen auserlesenen Geschmack bewundern zu lassen. 20
G o l d i n g e r , Kaiserhaus
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Ich war einem dieser Diners zugezogen worden; es war das einzige Mal, daß ich in seinem Hause zu Gast war. Auch später als Ministerpräsident gab er keinerlei Feste. Über seine Tätigkeit als Minister unter Taaffe mögen Berufenere als ich ein Urteil abgeben, nur soviel sei hier gesagt, daß seine Amtsführung als Minister gewiß korrekt genannt werden darf. Er sah auf Ordnung im Schul- und Kultuswesen, ohne in irgendeinem dieser Gebiete eigentlich reformatorisch hervorzutreten. Deutlich wahrnehmbar war nur immer sein Bestreben, seine und seines Ministeriums Macht auf diesen Gebieten soviel als möglich zu erweitern und sich Entscheidungen vorzubehalten, die, weil minder wichtige Dinge betreffend, den Landesbehörden ruhig hätten überlassen werden können, wie das in vielen Belangen denn auch früher gebräuchlich gewesen war. Dieses Vorgehen entspricht aber lediglich seiner persönlichen Freude an der Macht und seinem Bedürfnis, diese nach außen hin in das rechte Licht zu setzen. Die Zentralisierung ging beispielsweise so weit, daß der Statthalterei jedes selbständige Vorgehen in Stipendien- und Stiftungsangelegenheiten untersagt wurde, und der Landesschulrat einem Mittelschulprofessor keinen irgendwie längeren Urlaub oder die kleinste Remuneration bewilligen durfte. Die Anzahl der täglich bei Statthalterei und Landesschulrat einlangenden Erlässe des Ministeriums für Kultus und Unterricht schwoll immer mehr an und war schließlich größer als die aller anderen Ministerien zusammengenommen. Dieses Gebaren brachte denn auch die Notwendigkeit der Vermehrung des Beamtenstatus des Ministeriums für Kultus und Unterricht, in dem man seit jeher jeder Geschäftsvereinfachung abhold war, mit sich. Die Einberufungen neuer Arbeitskräfte in sein Ministerium machten Gautsch stets viel Freude. Nicht, daß er dabei, wie manche seiner Nachfolger es taten, der ödesten oder gar der parlamentarischen Protektion Tür und Tor geöffnet hätte, mein, er nahm nur tüchtige und „strebsame" Beamte, die sich schon bei der Unterbehörde bewährt hatten, auf, zumeist allerdings nur Theresianisten. Man könnte die Theresianisten mit ihrem engen, auch über die Zöglingszeit währenden Kameradschaftsgefühl und dem offenbaren Bestreben, einander im Staatsbeamtenberuf hilfreich beizustehen, beinahe mit der Organisation der Freimaurer vergleichen. Träfe dies aber zu, so müßte man Gautsch als einen „Meister vom Stuhl" bezeichnen, so sehr hat er seine ehemaligen Kameraden oder Zöglinge aus der Favoritenstraße gefördert. Mehr oder weniger alle, welche in den letz-
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ten Dezennien in Österreich aufsehenerregende Karrieren machten und an dem kranken Staatsorganismus herumdoktern wollten, verdankten diese Gautsch. Ich nenne beispielsweise nur die Namen Koerber, Hauenschild, Bylandt, Bienerth, Max Wickenburg, Khoss von Sterneck, Friess. In den einflußreichsten Stellen in Österreich, in den Vorständen der Präsidialbüros der Zentralstellen, sitzen zumeist Theresianisten. Gautsch hat sich jederzeit der Theresianisten angenommen und nie den Weg zu anderen Ministern oder auch persönliche Bemühung bei Personalreferenten gescheut, um das bessere Fortkommen dieser seiner Schützlinge zu sichern. Das liegt nun einmal im „esprit de corps", hatte bei Gautsch aber auch vielleicht noch den besonderen Grund, daß er, der in so jungen Jahren Minister geworden war und von dieser Zeit an mit Bestimmtheit darauf rechnete, zur Leitung des österreichischen Staatsschiffes berufen zu sein, an allen Ecken und Enden ihm persönlich ergebene Beamte sitzen haben wollte. Von meinen persönlichen Beziehungen zu Gautsch aus der Zeit seiner ersten Ministerschaft habe ich noch ergänzend zu sagen, daß ich im Sommer 1889 eine Wohnung in Baden gemietet, zugleich er aber seine Familie in Vöslau bei den Schlumbergers untergebracht hatte. Wir fuhren nun fast täglich mit demselben Nachmittagszug der Südbahn zu den Unsrigen, wobei wir die anregendsten Gespräche über Politik und die jeweiligen Regierungsgeschäfte führten. Er war von größter Liebenswürdigkeit für mich, wußte er doch auch, daß ich als Sektionschef des Ministeriums des Innern bei Taaffe eine Vertrauensstellung genoß. Ich erinnere mich noch, wie er mir eines Tages unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit anvertraute, Taaffe habe mich zum Statthalter in Niederösterreich in Aussicht genommen. Als ob mir Taaffe dieses nicht schon Wochen zuvor selbst mitgeteilt hätte. Als Statthalter bin ich dann im großen und ganzen mit Gautsch als dem mir vorgesetzten Unterrichtsminister gut ausgekommen, es gab damals aber auch keine irgendwie aufsehenerregenden geschäftlichen Transaktionen des Kultus- oder Unterrichtsressorts bei der Statthalterei oder dem Landesschulrat. Bei Taaffe stand Gautsch sehr in Gunst, so daß dieser ihn 1889 in den Freiherrenstand hatte erheben lassen und ihm einige Jahre später, als der alte Schmerling gestorben war, zu dessen Nachfolger als Kurator des Theresianums ernannte. Es war das eine Art Ziel seiner Wünsche, denn an dem Institut und seinen Zöglingen hing er stets mit Leib und Seele, aber auch in materieller Beziehung war diese Stelle nicht zu verachten, trug sie ihm doch 12 000 Kronen jährlich ein 20*
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u n d war sie doch mit dem Rechte der Benützung einer Sommerwohnung auf der einen und dem freien Wildabschuß auf der anderen der Theresianischen Stiftungsherrschaften verbunden. Beim Sturz Taaffes 1893 wurde Gautsch mitgerissen. Zwar wurde er gleichzeitig mit seiner Enthebung vom Ministerposten zum Mitglied des Herrenhauses ernannt, dennoch aber war er höchst unglücklich, nun nur noch ein so geringes Feld f ü r eigene Machtbetätigung zu haben, nämlich die häufige Prüfung der zwei Juristenjahrgänge der Zöglinge im Theresianum und die mannigfachen Inspizierungen dieser Akademie. Die Zöglinge hatten seine Reden bei den verschiedenen Feierlichkeiten in der Akademie heimlich stenographiert und kontrollierten dann an H a n d der Stenogramme, wie er bei allen diesen Feiern sich in denselben Redensarten wiederholte. Ein Zögling, Ritter von Jaworski, der nachmals bei der niederösterreichischen Statthalterei diente, wurde mir als derjenige denunziert, der diese Kontrolle des H e r r n Kurators eingeführt, es aber verstanden habe, denselben in Sprache und Gebärden derart vorzüglich nachzuahmen, daß dieses stets ein besonderes Gaudium der anderen Zöglinge nach jedem Erscheinen des K u r a tors in der Akademie abgegeben habe. Sein Verlassen des Ministerpostens bezeichnete Gautsch damals allen seinen Bekannten gegenüber als den Sturz vom tarpejischen Felsen. Dabei machte er nie ein H e h l daraus, wie er sich danach sehne, wieder zur Macht zu gelangen. Besonders charakteristisch f ü r Gautsch ist das Folgende, zu dem ich etwas weiter ausholen muß: Ich hatte freundschaftliche Beziehungen zum Hause K r u p p in Berndorf, noch von der Zeit her, als ich Bezirkshauptmann in Baden w a r und Arthur Krupp, noch ganz jung, die Leitung des bedeutenden Fabriksunternehmens nach dem plötzlichen Tode seines Vaters übernehmen mußte. Als Statthalter häufig mit ihm in Berührung kommend, hatten sich die alten Besuchsbeziehungen erneuert und dann noch verstärkt, als Arthur Krupp sich ein großes Jagdgebiet im Walstertal bei Mariazell erpachtet hatte und mich regelmäßig zu den sehr schönen dortigen Hirschjagden einlud. Als Gautsch nun wieder einmal in den 1890er Jahren einen Sommer bei den Schlumbergers in Vöslau verbrachte, näherte er sich K r u p p auffällig durch häufige Besuche in Berndorf, was dieser mir sofort erzählte. Er bat schließlich, ebenfalls zu den Jagden bei Mariazell eingeladen zu werden. Ich erinnere mich genau, wie K r u p p es mir mit dem Beifügen mitteilte, Gautsch sei mir die Jagden, aber auch überhaupt meine Erfolge in Wien und meine
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häufigen Ordensauszeichnungen neidig. Was die letzteren betrifft, so ist es richtig, daß ich ihrer eine Masse erhielt. Bei jedem Besuch eines Monarchen in Wien hat der Statthalter denselben im Gefolge des Kaisers am Bahnhof mitzuempfangen, wird ihm vorgestellt und erhält einen Orden. Ich k a n n sagen, daß ich auf diese vielen fremdländischen Orden, deren ich schließlich zwei Dutzend zusammenbrachte, und die man scherzweise „Spinat" benennt, niemals stolz war. Man hat ja nur selten Gelegenheit, den einen oder anderen derselben anzulegen, und so bleiben derlei Orden ziemlich unbeachtet und unbesprochen. In letzterer Beziehung machte nur Gautsch mir gegenüber eine Ausnahme. Kaum war mir ein neuer Spinatorden in das H a u s gebracht worden, als Gautsch die nächste Gelegenheit ergriff, mich darauf anzusprechen, zu fragen, ob er schön und der wievielte er sei usw., kurz mir deutlich zu erkennen zu geben, wie er mich beneidete. Ganz besonders auffällig war mir und anderen eine gewisse Geheimnistuerei Gautschs mit seinen, schließlich ziemlich eng gewordenen Beziehungen zu Krupp. Während er sonst doch jede seiner Reisen durch offiziöse Zeitungsnotizen verlautbaren ließ, sollte die Welt von seinen Jagdbesuchen bei K r u p p nichts wissen. Eines Tages jagten wir bei dem letzteren in der Grünau bei Mariazell auf Gemsen. Der Abstieg der Jagdgesellschaft aus dem Revier am Zellerhut erfolgte zu einem an der Straße gelegenen Gasthaus, einem bekannten Ausflugsziel der Mariazeller Sommergäste, in dessen unmittelbarer N ä h e die Strecke der zahlreich erlegten Gemsen aufgelegt wurde. Zahlreiche Sommergäste und Touristen betrachteten diese und die einzelnen von ihren Ständen mit der Jagdbeute herabsteigenden Jäger. Allmählich waren alle um die Strecke versammelt, nur Gautsch fehlte uns. D a meinte denn Karl Ulrich Bülow, der Bruder des Reichskanzlers, der als General 1914 vor Lüttich fiel, damals aber unser ständiger Genosse bei den Jagden Krupps war, Gautsch, der einen der tieferen Stände innegehabt habe, müsse doch längst zur Stelle sein, er werde ihn suchen. Gesagt, getan, und Bülow kehrt laut lachend zu uns zurück; Gautsch habe sich in dem Holzschupfen hinter dem Gasthaus versteckt, denn er wolle den vielen fremden Zuschauern unerkannt bleiben. Seine gesamte H a l t u n g als Jäger ist charakteristisch f ü r ihn. Er war stets ein nur sehr mäßiger Schütze, aber das sollte nicht auffallen. Also beteuerte er nach jedem Trieb, um sein Ergebnis befragt, ein oder das andere Stück Wild liege hier oder dort, man möge nur Jäger und Treiber ausschicken, es zu bringen. Kamen diese dann in der Regel mit
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der Meldung zurück, keinerlei Schweißfährte oder verendetes Stück Wild gefunden zu haben, so sollte hievon nicht weiter die Rede sein. K a m aber doch die Rede unter den Jagdgenossen darauf, oder wurde bei der Wildstrecke klar, daß Gautsch nichts erlegt habe, so hatten alle unter seiner schlechten Laune zu leiden, die sich in spitzen Bemerkungen oder gar Ausfällen gegen den einen oder anderen der Jagdgesellschaft, den Jagdherrn nicht ausgenommen, entlud. Auch sein Äußeres als Jäger stach von dem der anderen ab, die zumeist das steirische Jagdgewand trugen. Eine kurze Hose und ein „eingetepschter" H u t mit einem „Gesteck"darauf hätten bei ihm zu „auffallend" wirken können, also trug er nur die sogenannte Pluderhose und den H u t in der faltenlosesten Form, wie er ganz neu aus der Maschine gekommen. In der ungezwungenen Gemütlichkeit, wie sie unter Jagdgästen herrschen soll, war er meist ein etwas störendes Element. Er hielt streng auf den ihm als dem ältesten Geheimen Rat gebührenden Rang, niemand durfte vor ihm in die Tür eintreten, niemand rechts in einem Jagdwagen sitzen, in dem er fuhr, bei allen Jagdmahlzeiten mußte er unbedingt rechts neben der Hausfrau oder dem Jagdherrn sitzen, und was dergleichen kleinliche Eitelkeiten mehr sind, die bei offiziellen Festen in der Stadt am Platze sind, aber doch nicht unbedingt zu einer Gebirgsjagd gehören müssen. Bei Tisch war er stets beflissen, das große Wort zu führen oder die zu erörternden Thematas anzugeben. Widersprach jemand seinen Ansichten, oder war er gar in der Lage ihn zu korrigieren, so hatte derselbe sich zumindest für diesen Tag die Gnade bei ihm verscherzt. Jagdherr und Hausfrau litten gar oft unter der Launenhaftigkeit Gautschs, machten auch ihren übrigen Jagdgästen kein Hehl daraus, aber Krupp und er waren schon seit einigen Jahren Kollegen in der Mittelpartei des Herrenhauses, und Gautsch hatte nun einmal die politische Leitung Krupps fest in die H a n d genommen, der der letztere sich fast willenlos hingab. Man mußte es von ihm immer wieder hören, wie er Gautsch, wenn er auch dessen kleine Schwächen nicht verkenne, doch für ein politisches Genie halte, dem die größte Zukunft auf diesem Gebiet besdiieden sei. Dabei unterließ es Krupp nicht, Gautschs Eitelkeit zu frönen, ihn auch wohl insgeheim mit seinen „kleinen Schwächen" zu necken und sich über diese lustig zu machen. So hatte er in der Havanna einen großen Posten ganz feinster Zigarren herstellen lassen, bei der jede einzelne auf der goldumränderten Krawatte sowie auch die Kistchen das Gautschsche Wappen mit der Umschrift „Flor de Gautsch" trugen,
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und ihm diese als Geschenk zu seiner silbernen Hochzeit überreicht. Krupp war nun sehr neugierig, ob der Beschenkte seinen Freunden und Bekannten mit diesen Zigarren aufwarten und des Gebers Erwähnung tun werde. Nein und niemals. Gautsch wollte, wie ich schon früher bemerkte, durchaus nicht, daß seine Beziehungen zu Krupp mehr als nötig in der Öffentlichkeit besprochen wurden. Er war offenbar im Zweifel, was dieser oder jener dahinter hätte finden können. Die Zigarrengeschichte hatte aber damit noch kein Ende. Als nämlich Gautsch bei uns das zweitemal Ministerpräsident und Fürst Bülow in Deutschland Reichskanzler war, und dem letzteren zu Ehren von einer deutschen Zigarrenfabrik große und recht gute Zigarren unter dem Namen „Bülow" in den Handel gebracht wurden — die Kistchen trugen das Bülowsche Wappen —, bestellte sich Krupp bei derselben Fabrik eine große Anzahl derselben Zigarren in Kistchen mit dem Gautschschen Wappen und der Umschrift „Gautsch", die er nun regelmäßig seinen Gästen vorsetzte, indem er meinte, wenn die Deutschen ihren Bülow hätten, so wir unseren Gautsch — und der letztere war gar nicht böse über den Scherz, der doch immerhin seiner Eitelkeit schmeichelte. Noch eines Vorkommnisses bei den Jagden muß ich an dieser Stelle gedenken. Es war nach Gautschs erster Ministerpräsidentschaft, als Thun sein Nachfolger geworden war und er selbst mit dem Posten eines Präsidenten des Obersten Rechnungshofes hatte fürlieb nehmen müssen. Krupp hatte damals den Gemsenabschuß in einem ärarischen Revier bei Wildalpen gepachtet und lud uns im Sommer dorthin ein. Das war schon im zweiten Jahr der Thunschen Herrschaft, als bereits die Meinung verbreitet war, daß er sich nicht gar lange mehr werde halten können. Die Post kam immer erst spät nachmittags nach Wildalpen, und Gautsdi war daher bei der Hauptmahlzeit nach den Gamstrieben von der Nervosität eines hysterischen Frauenzimmers. Er ging dann anschließend ganz aufgeregt in dem Hof vor dem Gasthaus, wo der Postwagen ankommen sollte, auf und ab, um diesen zu erwarten und sich förmlich auf die „Neue Freie Presse" zu stürzen, kaum daß diese ausgeladen war. Sie enthielt in den Tagen, von denen ich spreche, keinerlei auf Gautsch und neue Ministeraussichten für ihn bezugnehmende Nachrichten, so daß er bei den Abendmahlzeiten moros und wortkarg war. Der Arme litt selbst am meisten unter seinem ausgeprägten Machtbedürfnis und seinem ewigen Strebertum. Diese ließen auch niemals so recht eine echte Heiterkeit bei ihm aufkommen. Sein Lachen hatte für mich immer etwas Gekünsteltes an
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sich und w e n n er sich in Sarkasmen über diesen und jenen erging, was er gern u n d nicht ohne scharfen Witz t a t , so k a m sein lautes Lachen gewiß nicht aus dem H e r z e n . Über den a r m e n Ludwig L o b m a y r und seine vielen Soupers, an denen er übrigens selbst gern teilnahm, konnte er sich nie genug mockieren, oder über Heinrich Ritter v o n W i t t e k und seine älteste Schwester I r m a , das „Mausi". Jeder Sinn f ü r H u m o r ging ihm ab. I n Wien bestand eine H e r r e n gesellschaft, die sich in der Wintersaison an einigen Tagen des Monats im H o t e l „ Z u r goldenen E n t e " zu musikalischen, gesanglichen und deklamatorischen Vorträgen ihrer Mitglieder versammelte. Einstmals v o n Baron Bezecny gegründet und ursprünglich zumeist Beamte umfassend, w a r sie unter d e m N a m e n „ H o f r a t s k l u b " b e k a n n t ; die eigenen Mitglieder nannten sie immer nur „die E n t e " . H o h e Beamte, Künstler, Ärzte, Professoren gehörten ihr an, Gemütlichkeit, Witz u n d H u m o r waren ihre Grundregeln. N u r wenige w u r d e n in sie aufgenommen, die sich nicht selbst an den musikalischen oder deklamatorischen A u f f ü h r u n g e n beteiligten. Z u den letzteren gehörte auch Gautsch. Er w a r schon Präsident des Obersten Rechnungshofes, als er eintrat u n d sich ganz wider die Gepflogenheit der „ E n t e " mit einer schwülstigen und ganz u n d gar humorlosen Rede dort einführte. Es ist f ü r seine C h a rakteristik eigentümlich, daß ich und andere, sooft er in unserer Gesellschaft erschien, stets den Eindruck hatten, er verbreite Frostigkeit unter allen Anwesenden oder wenigstens seinen nächsten Tischnachbarn. Die Wiener Gemütlichkeit, die in der „Ente" vorherrschte u n d bei der man sich u m Standesunterschiede nicht kümmerte, w a r nicht nach seiner A r t ; er k a m schließlich seltener und blieb schließlich, als er k r a n k geworden w a r , ganz aus. Doch n u n zurück z u seiner Staatskarriere. Nach d e m Sturz vom tarpejischen Felsen machte er kein H e h l daraus, wie unglücklich er sich im Pensionsstand fühle. Als K u r a t o r des Theresianums, der einzigen ihm verbliebenen Funktion, betätigte er sich — wie ich schon e r w ä h n t e — damals besonders eifrig. Die zwei Jahrgänge der J u risten des Theresianums w u ß t e n wahrlich ein Lied d a v o n zu erzählen, wie sehr er sie mit allen möglichen internen P r ü f u n g e n u n d Kolloquien plagte. Er bewies ihnen allwöchentlich, d a ß er selbst von den Institutionen u n d P a n d e k t e n noch nicht die kleinste Kleinigkeit vergessen habe. Die Koalition stürzte, u n d ich w u r d e Minister des I n n e r n . Als ich a m Tage nach meiner Ernennung morgens im Ministerium des Innern erschien, um, noch bevor ich mein K a b i n e t t dem Abgeordnetenhaus
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vorzustellen hatte, die höheren Beamten zu empfangen, wird mir Gautsch gemeldet: er habe mir nur ein kurzes Wort zu sagen. U n d dieses war, es dränge ihn, als einer der ersten mich in meiner neuen Stellung zu beglückwünschen, es stehe mir eine große Zukunft bevor, ich werde berufen sein, Österreich zu reorganisieren, und wenn es jetzt heiße, mein Ministerium sei nur der Übergang zu einem neuen unter Badeni, also provisorisch, so wisse er es aus den sichersten Quellen besser. Er sei nur gekommen, um mir dieses zu sagen und mir zu versichern, wie ich auf seine Unterstützung und „Mitarbeiterschaft" zählen könne, wenn ich die letztere in Anspruch nehmen wolle. D a s w a r doch deutlich. Ich konnte ihm für seine freundliche Bereitwilligkeit nur danken, mußte aber beifügen, ich dürfe nach der Allerhöchsten Willensmeinung mein Ministerium nur als ein provisorisches betrachten. Als ich dann einige T a g e oder Wochen hienach mich zu einer Sitzung der Budgetkommission des Herrenhauses begab, welch letzterer auch Gautsch angehörte, traf ich ihn eingehängt mit Stanislaus Badeni im Couloir auf und ab gehend. Er konnte seine Verlegenheit ob dieser Begegnung mir gegenüber nicht verbergen. In der Sitzung selbst wollte er dann mit verbindlichen Worten f ü r mich den Eindruck verwischen, daß er seine Fäden schon spinne, um im kommenden Ministerium Badeni unterzukommen. Hienach wurde mir dann fortlaufend vertraulich berichtet, wie Gautsch es übernommen habe, das Ministerium für Badeni zusammenzustellen. Ich habe schon in meiner Monographie über Badeni berichtet, wie er sich hiebei der H i l f e des Kanzleidirektors des Abgeordnetenhauses, des berühmten H o f r a t e s Ritter von H a l b a n (Blumenstock) bediente. D a s Ministerium war fix und fertig, als Badeni gegen Ende August nach Wien kam. Es sollte vor mir geheim bleiben, daß Gautsch Badeni seine neuen Ministerkollegen vorstellte. Daher veranstaltete man zu diesem Zweck ein Souper im geschlossenen R a u m einer Bahnhofsrestauration, irre ich nicht, der Südbahn. Ich aber wußte am nächsten Morgen genau, wer außer Gautsch noch Ministerkandidat sei. Also Gautsch wurde Badenis Unterrichtsminister. Als solcher triefte er von Freundschaft f ü r mich, versicherte mir immer wieder, wie er sich freue, die alten guten Beziehungen zu mir, ganz wie zu Zeiten T a a f f e s , wieder aufnehmen zu können usw. Ich schilderte schon an anderer Stelle die näheren U m s t ä n d e der Nichtbestätigung Luegers zum Bürgermeister Wiens. In dem denkwürdigen Ministerrat, in dem der diesbezügliche Beschluß gefaßt wurde, hat Gautsch den betreffenden Antrag gestellt, während eine
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Minorität unter Welsersheimbs Führung f ü r die Bestätigung eingetreten war. Als dann später Badeni dennoch mit der Rathauspartei seinen Frieden schloß und mit Lueger die Übergangsbürgermeisterschaft Strobachs vereinbart hatte, glaubte ich, bei der feierlichen Beeidigung des letzteren zum Bürgermeister eine politisch möglichst farblose Rede halten zu sollen. Aber die politischen Wogen in Wien waren lange Zeit hindurch so hoch gegangen, daß ich denn doch den Entwurf meiner Rede Badeni vorlegte. Ich erhielt ihn umgearbeitet und, wie mir Badeni sagte, nach eingeholtem Beschluß des Ministerrates zurück. Die Einschaltungen in meinen Entwurf aber lauteten, daß, „wenn der Bürgermeister seinen Eid einhalte und sich unparteiisch und objektiv benehme, er auf die Unterstützung des Statthalters und der Regierung zu rechnen habe". Die Rede machte bei der Beeidigungsfeier keinen günstigen Eindruck, es fiel das Witzwort, es sei das keine Beeidigungs-, sondern eine Beleidigungsrede gewesen. Erst viel später wurde mir verraten, Gautsch sei der Verfasser der besagten Zusätze gewesen. Das dürften weder Strobach noch Lueger je erfahren haben. Wer weiß, ob Lueger sich sonst später so gut zu Gautsch gestellt haben würde, als dieser es noch als Badenis Unterrichtsminister und dann später als Badenis Nachfolger in der Ministerpräsidentschaft so meisterlich verstand, dem als Bürgermeister und Parteiführer zu politischer Macht gelangten Lueger alles nur denkbare Entgegenkommen zu beweisen. Gautschs erste Ministerpräsidentschaft nach dem Sturz Badenis an der Spitze von dessen rekonstruiertem Ministerium dauerte bekanntlich nicht lange. Ich sah ihn unmittelbar nach seiner Berufung auf diesen Posten durch den Kaiser, und nie freudestrahlender und hoffnungsvoller als damals. Er trug sich mit weitgehenden Plänen f ü r eine N e u gestaltung Österreichs und die Beilegung aller nationalen Konflikte, allein durch die Macht seiner Persönlichkeit, seiner schönen Worte und seiner Kenntnis der parlamentarischen Verhältnisse. Auf die Schwierigkeiten, die ihm von Ungarn aus erwachsen könnten, hatte er allerdings zu wenig gerechnet, ebenso auch nicht darauf, daß man, wenn man auch die Allüren eines Fürsten oder böhmischen Feudalen zur Schau zu tragen versteht, doch noch lange keiner ist. Die großen Herren Böhmens hatten den Polen Badeni nicht gern an der Macht gesehen u n d erachteten nun ihre Zeit wieder f ü r gekommen. Es wurde daher von allem Anfang an eifrig gegen Gautsch intrigiert. Das konnte mir in den Wiener aristokratischen Salons nicht entgehen. Sagte mir doch eines Tages die Fürstin Pauline Metternich, man müsse trachten,
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Gautsch ehestens loszuwerden, denn dieser sei, wie sie eben aus sicherster Quelle erfahren habe, ein Freimaurer. Was half es, daß ich ihr auf das bestimmteste versichern konnte, in dieser Beziehung tue man dem Armen gewaltig Unrecht? Der Unsinn wurde verbreitet und geglaubt. Ich ging damals zu Gautsch, um ihn zu warnen, vor solchen gewissenlosen Intrigen auf seiner H u t zu sein. Er war mir dankbar f ü r den Wink, aber halten konnte er sich nicht, und die Feudalen in der Person Thuns kamen an das Ruder. Diese hatten übrigens um so leichteres Spiel gehabt, als das von Gautsch rekonstruierte Ministerium Badeni doch schon abgebraucht und innerlich morsch war. Das aber hatte Chlumecky, der Minister- und „Königsmacher" der damaligen Zeit, längst erkannt und sein schwankendes liberales SchifTlein vorsichtig in den H a f e n der feudalen Herren bugsiert. Chlumecky aber war ein intimer Freund des gewesenen ungarischen Premiers Koloman Szell und gar häufig auf dessen Besitzung Ratot zu Gast. Meine Annahme dürfte gerechtfertigt sein, daß er damals das Seinige dazu beigetragen hat, Gautsdi von Ungarn aus zu unterminieren. Eben an dem Tage, als ich dieses schreibe, wird nach der abscheulichen Ermordung Stürgkhs das neue Ministerium Koerber eingesetzt. Die Spatzen pfeifen es auf dem Dach, daß der Gouverneur der Bodencreditanstalt, Geheimrat Dr. Rudolf Sieghart, der derzeit mächtigste Mann Österreichs und absolute Beherrscher der Presse, es war, welcher die neue Ministerpräsidentschaft Koerbers, unter dessen erstem Ministerium er selbst erst groß geworden war, von langer H a n d vorbereitet hatte. D a r u m will ich als sehr interessant hier einfügen, daß mir Gautsch auf einer Jagd bei Krupp im Herbst 1897 wörtlich folgendes sagte: Für den Fall, daß ich etwa berufen sein sollte, die Leitung der Staatsgeschäfte wieder einmal zu übernehmen, wolle er mich auf einen jungen Beamten aufmerksam machen, den er eben aus dem Finanzministerium in die Presseleitung des Ministerratspräsidiums übernommen habe. Es sei das der Steuerinspektor, jetzt Ministerialvizesekretär Dr. Sieghart, der vorzügliche Verbindungen mit der Presse habe und sich als sehr brauchbar erweise. Viel später erkundigte ich mich gelegenheitlich einmal nach diesem Sieghart und erfuhr, daß er kurze Zeit in der niederösterreichischen Finanzlandesdirektion gedient, dann aber von Plener in das Finanzministerium berufen worden sei. Gautsch sei dann auf ihn aufmerksam gemacht worden, weil er als Schwiegersohn des Wechselrechtslehrers an der Wiener Universität und Leitartikelschreibers der „Neuen Freien
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Presse", Professor G r ü n h u t , vorzügliche Verbindungen zu diesem Blatt habe, die dem Ministerpräsidenten von offenbarem N u t z e n sein könnten. Diese Verbindungen aber w a r e n Sieghart selbst gewiß noch viel nützlicher, denn er schwang sich in wenigen Jahren z u m Sektionschef u n d Leiter des Präsidialbüros des Ministerratspräsidiums empor, w u r d e auf diesem Posten (nach einer gesamten Staatsdienstleistung von k a u m 15 Jahren) Wirklicher Geheimrat u n d d a n n Gouverneur des größten Kreditinstitutes Österreichs, der Bodencreditanstalt. Seine eigenen Eink ü n f t e sollen heute nicht weniger als 900 000 K r o n e n betragen. N u n w u r d e Gautsch nach seinem Sturz im März 1898 auf das Nebengeleise eines Präsidenten des Obersten Rechnungshofes geschoben. Dieser Posten galt mehr als Sinekure, bestimmt f ü r abgetane g r o ß e Staatsmänner. Letzteres p a ß t e aber Gautsch u n d seinem ausgesprochenen Bedürfnis nach Macht durchaus nicht. Der Rechnungshof h a t t e sich bis dahin zumeist darauf beschränkt, den alljährlichen Staatsrechnungsabschluß zusammenzustellen, bei dieser Arbeit A u f k l ä r u n g e n aus den einzelnen Ressorts zu verlangen u n d A k t e n der Ministerien einzusehen, wenn diese p l a n t e n oder gezwungen waren, einzelne Budgetmittel zu überschreiten. Gautsch unternahm es nun sofort, das dem Obersten Rechnungshof nach dessen Statut zustehende Kontrollrecht allen Ressorts f ü h l b a r zu machen. Er ließ zu diesem Zweck den Beamtenstatus seines Amtes wesentlich erhöhen u n d entsandte n u n K o n t r o l l - und Lustrierungskommissionen nach allen möglichen Richtungen. Auf die Eisenbahnv e r w a l t u n g mit dem Eisenbahnminister D r . Heinrich Ritter von Wittedi an der Spitze hatte er es besonders scharf, hatte er diesen doch persönlich nie leiden können und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit zum Gegenstand seines Spottes gemacht. Es w u r d e die Gebarung in den einzelnen Staatsbahnstationen revidiert u n d dergleichen. Auch ich, der „alte F r e u n d " Gautschs, sollte seine Macht zu spüren bekommen. Mehrere J a h r e nacheinander erschienen von einem H o f r a t des Obersten Rechnungshofes geführte Kommissionen in der Statthalterei, die d o r t wochenlang das Rechnungsdepartement in allen seinen Abteilungen lustrierten und stets eine arge Störung des laufenden Dienstes verursachten, da sie alle A k t e n u n d Vormerkbücher durchw ü h l t e n . Das Ergebnis dieser Revisionen w a r materiell gleich N u l l , doch w u r d e n eine Menge v o n Kleinlichkeiten, um nicht zu sagen Nichtigkeiten, beanstandet, weil dieser oder jener alten N o r m des Staatsrechnungsdienstes bei der Buchung, Liquidierung oder der kon-
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zeptiven Tätigkeit der Rechnungsbeamten nicht ganz genau entsprochen worden sei. Das hatte dann bogenlange Erledigungen des Rechnungshofes zur Folge, die mir vom Ministerium des Innern mit der Weisung zuzukommen hatten, in Zukunft diese und jene Form der Gebarung bei den Rechnungsbeamten einhalten zu lassen. Die erwähnten Kommissionen hatten sich jedesmal bei Beginn und Beendigung ihrer Revisionen in der Statthalterei bei mir zu melden. Bei einer solchen Abmeldung fragte ich den führenden H o f r a t , ob wieder viel zu beanstanden gewesen sei, und auf seine verneinende Antwort wies ich ihn auf die umfassende Tätigkeit der Statthalterei in den letzten Jahren hin, in der Absicht, Ordnung in die Verwaltung der zahllosen Stiftungen zu bringen und das Erträgnis derselben, namentlich der Stiftungshäuser in Wien, zu erhöhen, wobei auch das Rechnungsdepartement mitzuwirken berufen gewesen sei. Davon hatte der gute Mann bei seinen mehrmaligen Revisionen vor lauter Prüfung von Ziffern und kleinlichem Formelkram keinerlei Wahrnehmung gemacht. Ich lud ihn daher ein, mit seiner Kommission das Versäumte nachzuholen, zumal ich Wert darauf legen müsse, daß der Oberste Rechnungshof sich überzeuge, wie es jetzt mit der Verwaltung des rund 60 Millionen betragenden Stiftungsvermögens bei der Statthalterei bestellt sei. Die Kommission nahm also ihre Revisionsarbeit nochmals für einige Tage auf. Zum Verständnis des Folgenden habe ich hier einzufügen, daß ich bald nach meinem Amtsantritt als Statthalter hatte wahrnehmen müssen, daß es mit der Verwaltung der einzelnen Stiftungen bei der Statthalterei seit vielen Jahren sehr im argen liege. Es fehlte jeder Überblick über dieselben, manche wurden gar nicht persolviert, weil sich der im veralteten Stiftbrief vorgesehene Zweck nicht mehr erfüllen ließ. Die Mehrzahl der Stiftungshäuser war baufällig oder doch derart mangelhaft, daß ihre Zinserträgnisse immer mehr zurückgingen. Es hieß, man könne sie nicht umbauen oder gründlich reparieren, weil aus den bisherigen Zinserträgnissen kein Rekonstruktionsfonds erspart und angelegt worden sei. In allen diesen Dingen hatte ich in jahrelanger Arbeit gründlichen Wandel geschaffen, zunächst alle Stiftungen in Evidenz stellen und dann einen nach Kategorien geordneten Stiftungskataster in Druck legen lassen. Die Sammlung der Stiftbriefe wurde neu geordnet oder vielmehr neu angelegt, denn es ergab sich, daß bei über mehr als 500 Stiftungen die Stiftbriefe ganz fehlten oder nur in Abschriften oder ganz ungenauen Vermerken vorhanden waren. Das hatte unendlich weit-
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wendige archivalische Forschungen notwendig gemacht. N u n w u r d e von mir auch eine Statistik der Stiftungen in ganz Niederösterreich angeordnet, die sich auch auf die in der V e r w a l t u n g der Kirche u n d Religionsgenossenschaften stehenden „geistlichen S t i f t u n g e n " erstreckte. Bei dieser Gelegenheit w u r d e n alle in der V e r w a l t u n g von Gemeinden u n d a u t o n o m e n Körperschaften stehenden Stiftungen e r f a ß t und außerdem kontrolliert, ob u n d wie diese, ihrem ursprünglichen Zweck entsprechend, ordentlich verwaltet u n d persolviert w u r d e n . Endlich w a r ich darangegangen, jede einzelne der viele H u n d e r t e zählenden, in V e r w a l t u n g der Statthalterei als der Stiftungsbehörde des Landes stehenden Stiftungen dahin p r ü f e n zu lassen, ob der Stiftbrief den heutigen Verhältnissen noch entspreche — widrigenfalls er abgeändert w u r d e —, u n d ob die Vermögenschaft der Stiftung richtig angelegt sei u n d ein gutes Erträgnis liefere. Ich w a r der Ansicht, d a ß der Statthalterei als „der obersten Stiftungsbehörde im L a n d e " auch die Permutation der doch zumeist von ihr selbst errichteten Stiftbriefe zustehe, sobald geänderte Verhältnisse eine solche unbedingt notwendig machten. Hinsichtlich der Schulstipendien-Stiftungen w a r ich aber bald „eines Besseren belehrt" w o r den, indem das Unterrichtsministerium (noch unter Gautsch, zu Taaffes Zeiten) — bestrebt, alles an sich zu ziehen — e r k l ä r t hatte, jede Ä n derung an Stipendien-Stiftbriefen sei seiner Genehmigung vorbehalten. Dabei ging m a n dann in diesem Ministerium unendlich engherzig vor. O b das auf Gautsch selbst oder seinen Referenten, Ministerialrat v o n Spaun, zurückzuführen w a r , weiß ich nicht. U m nur ein Beispiel f ü r diese Engherzigkeit a n z u f ü h r e n : Aus den süddeutschen L ä n d e r n h a t t e im 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t eine starke E i n w a n d e r u n g von I n telligenzkräften nach Österreich stattgefunden u n d M ä n n e r , die hier als Staatsbeamte oder in sonstigen öffentlichen Funktionen ihre zweite H e i m a t gefunden hatten, machten nun Stipendienstiftungen, die ihre Verwandtschaft veranlassen sollten, ihre Jugend in Österreich studieren zu lassen, d a m i t auch diese hier heimisch werde. Diese Stipendienstiftungen r ä u m e n daher fast regelmäßig den Familienangehörigen des Stifters oder seinen engeren deutschen Heimatgenossen das Vorzugsrecht auf die Verleihung ein. Allmählich hatte n u n der Z u z u g solcher Studierender aus Deutschland nachgelassen. Die dortigen Studenten verlangten aber auf G r u n d der Vorzugsklausel im Stiftbrief die Verleihung des Stipendiums auch d a n n , wenn sie ihren Studien in Deutschl a n d oblagen, u n d dem m u ß t e nach dem W o r t l a u t desselben entsprochen werden, t r o t z d e m der Sinn u n d Zweck der S t i f t u n g dahin gegangen
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war, dem Studierenden das Studium in Österreich zu ermöglichen und zu erleichtern, damit er sich dann hier eine Berufsstellung verschaffe. N u n aber wurden zahlreiche solche Stipendiengenüsse alljährlich an Schüler bayrischer, württembergischer oder badischer Lehranstalten hinausgezahlt. In Würdigung des offenbaren Willens der Stifter und auch im Interesse unserer heimischen Schulen, wollte ich nun durch einen Anhang an den betreffenden Stiftbriefen zum Ausdruck bringen lassen, daß diese Stipendien f ü r Studierende an österreichischen Lehranstalten geschaffen seien, und d a ß die Vorzugsverleihung an Familienoder Heimatsangehörige der Stifter nur unter dieser Voraussetzung Geltung haben und geltend gemacht werden könnten. Das Unterrichtsministerium verweigerte seine Genehmigung hiezu — und heute verschlechtern wir noch immer unsere Valuta durch Ausfuhr zahlreicher Stipendien nach Süddeutschland oder in einzelnen Fällen auch in die Schweiz. Auch den Stiftungen, die aus Häusern in Wien oder Landgütern in Niederösterreich bestanden, etwa 30 an der Zahl, darunter manche von sehr hohem Wert, widmete ich mein besonderes Augenmerk. Im Verlauf weniger Jahre gelang es mir, einige der alten Stiftungshäuser unter günstigen Bedingungen zu verkaufen und mit dem erzielten Erlös neue und erträgnisreichere Objekte zu erbauen. So machte ich es unter anderem mit dem k. k. Blindeninstitut und dem gräflich Winhagschen Stiftungshaus, und ähnlich mit einem Dutzend anderer Stiftungshäuser, die ich umbauen ließ. U m die Erinnerung an einige dieser ursprünglichen Stiftungsobjekte wach zu erhalten, hatte ich dieselben vor ihrer Demolierung photographieren lassen. Die früher erwähnte Lustrierungskommission des Obersten Rechnungshofes nahm also über mein Ersuchen Einsicht in die Akten der Stiftungstransaktionen, und der sie leitende H o f r a t erklärte mir hienach, sich überzeugt zu haben, daß viel auf diesem Gebiete geschehen sei, nunmehr große Ordnung herrsche und daß die Erträgnisse namentlich der aus Realitäten bestehenden Stiftungen wesentlich gehoben worden seien; nur fehle f ü r die einzelnen dieser Transaktionen die ministerielle Genehmigung und die grundbücherliche Eintragung der Darlehen, die zwecks des Umbaues von Stiftungshäusern auf die letzteren aufgenommen worden seien. Nach kurzer Zeit wurde mir nun ein Erlaß des Obersten Rechnungshofes (Gautsch) intimiert, welcher diese schon von seinem H o f r a t erhobenen Bemängelungen zum Gegenstand hatte, und bezüglich derer ich mich nun zu rechtfertigen habe. Von irgendeiner Anerkennung
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meiner R e f o r m e n im Stiftungswesen, auf die ich so stolz w a r u n d es heute noch bin, war nichts darin zu lesen. Die Rechtfertigung w u r d e mir nicht schwer, konnte ich doch auf G r u n d von archivalischen Studien nachweisen, d a ß die V e r w a l t u n g der Stiftungen v o n jeher ausschließlich Sache der Landesstellen gewesen sei, d a ß die einschränkenden Kompetenzbestimmungen, welche hinsichtlich eigentlicher Staatsgüter u n d verfassungsmäßig bewilligter Staatskredite gelten, auf Stiftungen keine A n w e n d u n g zu finden haben, d a ß ich die Tutel des Staates über diese gewissenhaft gewahrt habe u n d bei der ihrer V e r w a l t u n g als „bonus pater familiae t a m q u a m " gehandelt habe. Mein Rechtfertigungsbericht schloß mit dem Hinweis d a r a u f , daß, wenn ich, eigene V e r a n t w o r t u n g scheuend, f ü r diese oder jene meiner Transaktionen die vorherige ministerielle Genehmigung h ä t t e erwirken wollen, mir diese nach auf anderen Gebieten gemachten E r f a h r u n g e n überhaupt nie oder doch erst so spät erteilt worden sein w ü r d e , d a ß die günstige K o n j u n k t u r , u n t e r der allein Vorteile f ü r das Stiftungsvermögen hätten erzielt werden können, voraussichtlich längst vorüber gewesen wäre. Noch in der Ausarbeitung dieses sehr eingehenden Rechtfertigungsberichts begriffen, erhielt ich K u n d e von einer Aktion der Genossenschaft der Wiener Baumeister, welche wegen Niederlegung der Bautätigkeit bei den Ministerien vorstellig geworden waren, doch mehr Staatsbauten ausführen zu lassen. Zufolge dieser erhielt ich einen E r l a ß des Ministeriums des Innern wegen F ö r d e r u n g der Wünsche der Baugewerbetreibenden; auch möge ich berichten, welche B a u a u f t r ä g e in letzter Zeit von der Statthalterei bereits erteilt worden seien. Diese A u f f o r d e r u n g bot mir die Gelegenheit, eine übersichtliche Zusammenstellung über die zahlreichen U m b a u t r a n s a k t i o n e n auf dem Gebiete der Stiftungen herstellen zu lassen, u n d als die Gautschschen Nörgeleien gerade damit zusammenfielen, beschloß ich „die Flucht in die Öffentlichkeit". Ich ließ also ein „Die Bautätigkeit der n. ö. Statthalterei" betiteltes und mit Lichtdrucken nach den oben erwähnten P h o t o g r a p h i e n geziertes Buch erscheinen, welches den Wiener Baugewerben u n d dem großen Publikum beweisen sollte, daß, wenn über mangelnde Bauaufträge geklagt wurde, dieser Vorwurf die Statthalterei nicht treffe. Mein H i n t e r g e d a n k e bei diesem Buch w a r aber auch, ich gestehe es hiemit offen, Gautsch den W i n d aus den Segeln seines v o n ihm gegen mich in Bewegung gesetzten Wikingerschiffes zu nehmen.
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U m ihn das einigermaßen fühlen zu lassen, ließ ich midi in seinem Büro anmelden und überreichte ihm das erste Exemplar meines eben erschienenen Buches mit einer freundlichen Widmung. Wilhelm Busch sagt irgendwo in seinen humoristischen Dichtungen: „Er ärgert sich nicht schlecht und m u ß sich noch bedanken." U n d so war es, zumal ich ihm auseinandersetzte, daß ich sicher hoffe, A n erkennung f ü r meine in dem Buch dargestellte zielbewußte Tätigkeit auf dem Gebiete des Stiftungswesens zu finden. Ich erzählte ihm auch von meiner in Ausarbeitung begriffenen Rechtfertigungsschrift, worauf er meinte, es komme ihm nur darauf an, daß in den allerdings nicht ganz klaren Kompetenzbestimmungen über die Verwaltung von Stiftungen feste N o r m e n geschaffen würden. Hinsichtlich seiner Bemängelung wegen der Unterlassung von Grundbuchsvormerkungen setzte ich ihm damals auseinander, d a ß ich die bei der Statthalterei verwalteten Stiftungen in gewisser Beziehung als ein Ganzes betrachte u n d daß, wenn daher bei einer Stiftungsrealität die Ansammlung eines „Erneuerungsfonds" in früherer Zeit verabsäumt worden sei und nun zwecks Umbaues derselben vorübergehend ein Darlehen aus einer anderen Stiftung, und nur um solche Fälle handle es sich, gewährt werde, die interne Vormerkung bei der Statthalterei und die Aufstellung des Tilgungsplanes vollkommen genügen müsse. An Gautschs Antwort erinnere ich mich genau: Von diesem Gesichtspunkt aus möge ich wohl ganz recht haben; wenn jemand für verschiedene Geschäftszweige abgesonderte Kassen führe, so verschlage es nichts, wenn er zeitweilig, gehörige Buchung vorausgesetzt, Geld aus der einen Kasse in die andere hinübernehme. Diese ganze Geschichte f a n d erst 1912 ihr Ende, als bereits Bienerth mein Nachfolger auf dem Statthalterposten war. Als Bylandt unter dem zweiten Ministerium Gautschs Minister des Innern war, erzählte er mir einst, er habe eine Note Gautschs, des Präsidenten des Obersten Rechnungshofes, vorgefunden, die von seinem Amtsvorgänger noch nicht erledigt worden sei. So unangenehm es ihm sei, so werde er doch nicht umhin können, dies nunmehr zu tun. Der Oberste Rechnungshof verlange ernste Verweise an mich wegen meines durchaus unzulässigen und eigenmächtigen Vorgehens in den Stiftungsangelegenheiten, die Nichtanerkennung meiner darüber erstatteten Rechtfertigung und genaue Vorschriften, wie sich die Statthalterei in H i n k u n f t bei der Verwaltung von Stiftungen zu benehmen, und wie sie dabei wegen jeder Kleinigkeit vorerst die Genehmigung des Ministeriums einzuholen haben werde. 21 Goldinger, Kaiserhaus
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Auf diese Mitteilung hin erklärte ich damals Bylandt ganz kategorisch, daß ich einen derartigen Vorwurf, mit dem er selbst doch unmöglich einverstanden sein könne, gewiß nicht ruhig hinnehmen würde, selbst auf die Gefahr hin, daß es zu einem Skandal komme. Ich hätte das Bewußtsein, bei der Herstellung der Ordnung im Stiftungswesen in Niederösterreich Großes geleistet zu haben und sei imstande, dieses jederzeit — auch vor der Öffentlichkeit — zu vertreten. S o unterließ denn Bylandt die Erledigung des Aktes, ebenso wie auch Bienerth, Haertl und Wickenburg, seine Nachfolger im Ministerium des Innern. Erst Bienerth als Statthalter mußte diese auf mich gemünzte Strafpredigt über sich ergehen lassen, und klagend wurde mir dann aus der Statthalterei erzählt, wie dieser nun die Hände gebunden worden seien, und wie es für die Zukunft nun damit aus sei, günstige Konjunkturen für Stiftungsrealitäten auszunützen und überhaupt Vernünftiges auf dem Gebiete des Stiftungswesens neu zu schaffen. Aber auch noch auf einem anderen Gebiet, und zwar dem der Donau-Regulierungs-Kommission, als deren geschäftsführender Vorsitzender ich seit Jahren fungierte, sollte ich Gautschs Macht als oberstes Kontrollorgan zu spüren bekommen. Ich kann kaum annehmen, daß dies damit zusammenhing, daß K r u p p bei unseren Jagden seinen Freund Gautsch als Rechnungshofspräsidenten in meiner Gegenwart wiederholt damit hänselte, er sei doch nichts anderes als ein Verwahrer „abgelegter Rechnungen". Der Grund für Gautschs nachfolgend zu schilderndes Vorgehen dürfte eher in der Donauregulierung selbst zu suchen sein. Diese an sich hatte manche Gegner, und letztere hatten nun, als die Kommission sich einen Dienstdampfer angekauft hatte und mit diesem regelmäßig Besichtigungsfahrten in die eben in Regulierung begriffenen Donaustromstrecken unternahm, um die Bauten selbst, aber auch die damit zusammenhängenden Wünsche und Beschwerden der lokalen Faktoren kennenzulernen, mißgünstig verbreitet, die Kommission zeche und trinke fleißig auf ihrem Schiff bei diesen Fahrten. Als nun Gautsch seinen Kontrollapparat gegen die Donau-Regulierungs-Kommission in Bewegung setzte und in deren Büros alles umwühlen ließ, wurde besonders nach der Verrechnung über die erwähnten Fahrten gefahndet. Nachher kam ein Erlaß des Rechnungshofes mit Bemängelungen minimaler Dinge und dem Verlangen nach Aufklärung über die auf dem Schiff stattgehabten Mahlzeiten, die ungerechtfertigte Kosten verursacht hätten, sowie über einige von der
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Kommission aus dem Donau-Regulierungs-Fonds bewilligte Gnadengaben. Als dieser Erlaß in der nächsten Sitzung der Kommission zur Verlesung kam, bemächtigte sich derselben eine gewaltige Aufregung. Es hieß, diese Dinge gingen den Obersten Rechnungshof gar nichts an, man solle gegen dessen Revision Verwahrung einlegen und jede Auskunft verweigern, denn die aus den drei Kurien des Staates, des Landes Niederösterreich und der Stadt Wien zusammengesetzte Kommission sei in ihrer Majorität autonom und dem Rechnungshof nicht untergeordnet. Mir wurde es schwer, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen, aber es gelang mir doch mit dem Hinweis darauf, daß in dem Statut, mit dem die Kommission seinerzeit ins Leben trat, der Passus vorkomme, diese habe ihren alljährlichen Rechnungsabschluß dem Rechnungshof vorzulegen; wenn dies zu tun bisher auch seit vielen Jahren und von allem Anfang an übersehen worden sei, so könne der Rechnungshof aus dieser Statusbestimmung doch seine Kontrollkompetenz ableiten. Auch sei unsere Gesamtgebarung derart ordentlich, daß wir sie getrost kontrollieren lassen könnten. Diese Überzeugung teilten alle Mitglieder der Kommission mit mir, waren doch sowohl der administrative Referent derselben, Statthaltereirat Anton Fischer, nachmals als Ministerialrat in den Status des Ministeriums für öffentliche Arbeiten übernommen, als auch die ihr zugeteilten zwei Rechnungsbeamten der Statthalterei derart umsichtig und so gewissenhafte Beamte, daß niemand einen Zweifel in die korrekte Gebarung der Kommission hätte setzen dürfen. Es wurde also beschlossen, ich möge Gautsch alle von ihm gewünschten Aufklärungen erteilen. Letzteres wurde mir nicht schwer. Zunächst ließ ich eine genaue Zusammenstellung über die Kosten der Verpflegung der Angehörigen der Kommission bei den Fahrten mit dem Dienstschiff verfassen und dieser einen Ausweis gegenüberstellen, der darlegen sollte, was diesen Funktionären des Staates, des Landes und der Gemeinde Wien an Diäten und Gebühren hätte gezahlt werden müssen, wenn sie nicht anstatt derselben Naturalverpflegung erhalten hätten. Diese Gegenüberstellung aber ergab, zumal die Mahlzeiten stets höchst einfach gewesen waren, eine Ersparnis von mehreren hundert Kronen für jede einzelne Inspektionsfahrt; und dazu kam dann noch mein Nachweis, daß wenn die Kommissionsangehörigen sich während der Fahrt selbst hätten verköstigen sollen, wie es der Rechnungshof vermeinte, man stets längere Landungsaufenthalte hätte machen müssen, die weniger Baubesichtigungen und Verhandlungen mit den Ufergemeinden usw. an ein und 21*
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demselben Tag gestattet hätten, und daß sich daher die Anzahl der Reisetage sowie der mit diesen verbundenen Kosten an Heizung des Schiffes und dergleichen um ein Wesentliches erhöht haben würden. Das mußte denn Gautsch auch einsehen und es sich ruhig gesagt sein lassen. Aber eine arme, auf dem Lande wohnende alte Witwe eines bei der Kommission bedienstet gewesenen Aufsehers, die nicht pensionsberechtigt w a r , und der die Kommission mehrere Jahre nacheinander über ihren Notschrei Gnadengaben von je 80 Kronen (!) bewilligt hatte, blieb das Objekt des Revisionsbefundes. Gautsch eröffnete der Kommission, sie habe keinerlei Recht zur Bewilligung von derlei Gnadengaben aus ihrem Fonds u n d habe daher ähnliches in Zukunft zu unterlassen. Im Protokoll der Sitzung der Kommission, in der dieser Erlaß zur Verlesung gelangte, steht verzeichnet, derselbe sei zur Kenntnis genommen worden. D a ß einige Mitglieder damals laut riefen, sie würden auch in Zukunft arme Witwen von Bediensteten der K o m mission nicht verhungern lassen, wurde als Zwischenruf nicht protokolliert. Ich komme nun zu Gautschs zweiter Ministerpräsidentschaft;. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß sein jäher Sturz nach der so kurzen ersten, an der die hohen Aristokraten, wie ich schon oben angedeutet habe, nicht unschuldig waren, für ihn mitbestimmend gewesen sein könnte, plötzlich das allgemeine Wahlrecht zu proklamieren, um dem Großgrundbesitz seine Kurienvertretung im Abgeordnetenhaus und damit einen Großteil seines politischen Einflusses zu nehmen. Allen denen, die Gautsch von früher her kannten, kam damals seine ganz plötzlich radikal gewordene Gesinnung merkwürdig vor. Man suchte sie sich damit zu erklären, daß sie eine Folge des damals in recht stürmischer Weise gestellten Verlangens der sozialistischen Partei nach dem allgemeinen Wahlrecht sei. Damit aber stimmte doch durchaus nicht überein, daß Gautsch sich den eher konservativ gesinnten Grafen Arthur Bylandt als Minister des Innern in sein Kabinett genommen hatte. Erst jüngst wurde mir aus genauestens informierter Quelle Kunde, wie und wieso Gautsch der große Staatsmann und Wahlreformer geworden war. Gautschs damalige Ministerpräsidentschaft fiel mit jener des Feldzeugmeisters Baron Fejervary in Ungarn zusammen, dessen Aufgabe dort bekanntlich war, den nationalen Chauvinismus der Gentry niederzuringen. Als Helfer bei dieser sehr schwierigen Aufgabe hatte er sich einen sehr geriebenen Herrn von Kristoffy als Minister des Innern
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beigesellt, und dieser wieder hatte die an sich ganz richtige Theorie aufgestellt, die Macht der Magyaren und ihrer Gentry könne in Ungarn nur durch eine radikale Wahlreform gebrochen werden, die den Nationalitäten und den breiteren Volksschichten eine große Anzahl von Abgeordnetenmandaten sichere. Kristoffy hatte nun diesen Plan seiner Wahlreform ausgearbeitet und mit einer Denkschrift dem Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand übergeben, dem, seiner ganzen antiungarischen Stimmung nach, die Idee äußerst gut gefallen hatte. Dieser hatte nun dem Kaiser von Kristoffys Projekt berichtet, worauf dieser zur Audienz befohlen wurde. In ihr hatte er dem Kaiser auseinandergesetzt, daß das allgemeine Wahlrecht vom ungarischen Reichstag nicht früher zu erlangen sein werde, bevor es nicht in Österreich eingeführt sei. Erst hienach würden sich die ungarländische Gentry und deren Konsorten zu demselben bequemen müssen. Das hatte dem Kaiser eingeleuchtet, und nun erhielt Gautsdi von ihm den Auftrag, dem Reichsrat in Wien ehestens eine die Wahl nach Kurien aufhebende Vorlage zu machen. Aufgabe Bylandts war es nun, diese Vorlage auszuarbeiten. Das, was sie enthalten sollte, entsprach gewiß weder Gautschs noch Bylandts Vergangenheit und den politischen Anschauungen, die sie bisher zu äußern Gelegenheit gehabt hatten, aber Gautsch hing zu sehr an der Macht, als daß er nicht gute Miene zum bösen Spiel gemacht hätte, und Bylandt war wegen seiner prekären finanziellen Verhältnisse hiezu direkt gezwungen. Als nun gerade zu jener Zeit die Wiener Sozialisten die bekannte große Straßendemonstration zugunsten des allgemeinen Wahlrechts planten, kam dies Gautsdi zustatten. Mir kam es so vor, als ob er im Zweifel sei, ob er sie zulassen oder verbieten lassen solle, als er mich damals zu sich beschied, um, wie er sagte, die Sache mit mir zu überlegen. Ich konnte ihm nur darlegen, daß ein einfacher Spaziergang von Massen über die Ringstraße noch nicht als förmlicher Aufzug betrachtet werden müsse, den das Versammlungsgesetz zu Zeiten des versammelten Reichsrates ausdrücklich verbiete. Also müsse man sich ein solches polizeiliches Verbot gegen den geplanten Spaziergang wohl überlegen, denn derselbe werde voraussichtlich, der Stimmung der Wiener Arbeiter nach, trotzdem stattfinden. Dann müsse die Polizei ihrem einmal erlassenen Verbot Nachdruck verleihen und den Demonstranten entgegentreten. Die gänzliche Unterdrückung der Demonstration mit den eigenen Kräften werde, bei dem sicher zu gewär-
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tigenden Massenzuzug von Arbeitern auf die Ringstraße, der Polizei kaum gelingen, und wenn dann Militär zur Assistenz ausrücken müsse, könnte niemand dafür einstehen, daß es nicht zur Anwendung der Waffen und zum Blutvergießen komme. Gautsch dankte mir f ü r meine Auskunft mit dem Beifügen, er müsse sich die Sache noch überlegen. Am nächsten Tag fiel diese auf die ungehinderte Zulassung der Straßenpromenade aus. Ich glaubte damals, Gautsch habe vorerst noch die Willensmeinung des Kaisers eingeholt, der nie ein Freund von Militäraufgebot gegen seine Wiener war, wie ich es aus seinem eigenen Munde wußte. H a t Gautsch dies nun getan oder nicht, sicher ist heute, daß er von allem Anfang nach einem Ausweg suchte, das Versammlungsgesetz gegen die Arbeiter nicht anwenden zu müssen, damit er sich bei der Einbringung der Wahlreformvorlage auf das Verlangen der großen Massen nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts berufen könne. Das tat er denn auch und ertrug mit Ruhe die ihm von manchen Seiten gemachten Vorwürfe, die große Straßendemonstration zugelassen und nicht unterdrückt zu haben, wozu ihm das Versammlungsgesetz immerhin die genügende Handhabe geboten hätte. Den Arbeiterführern hatte er durch die Polizei eröffnen lassen, falls sie sich auf einen Spaziergang beschränkten, werde diesem nicht entgegengetreten werden; diese aber organisierten, merkend, d a ß man überhaupt nicht gewillt sei, ihrer Demonstrationsabsicht entgegenzutreten, von nun an einen förmlichen Aufzug mit Fahnen u n d Aufschriften. Diese Promenade w a r dann allerdings ein von den Arbeiterführern wohl organisierter Aufzug. Ich sah ihn mir aus nächster N ä h e an und konnte nur über die Ruhe und Ordnung, die bei diesem herrschte, staunen, nicht ein lautes Wort, nicht der geringste Exzeß bei diesem nach vielen Tausenden zählenden Massenaufgebot von Arbeitern. Gautsch konnte sich nun aber bei Einbringung und der weiteren Vertretung seiner Wahlreformvorlage darauf berufen, daß sie dem Wunsch der breiten Massen des Volkes entspreche. Dasselbe taten aber auch die Christlichsozialen, die ärgsten Feinde der „Sozi", wodurch sie die dicksten Freunde Gautschs wurden, der ihnen, ihrem Lueger und Strobach, doch früher so vieles am Zeug geflickt hatte. Schlauheit und Geschicklichkeit, die jeweilige politische Situation auszunützen, haben die Christlichsozialen stets entwickelt, nie aber so vollkommen, wie gerade damals. Sie verkündeten den Bauern und Kleinbürgern die frohe M ä r vom allgemeinen Wahlrecht, weiters, daß in Zukunft das
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„jüdische Großkapital" und der Großgrundbesitz, „die großen Jagdherren", keine Abgeordneten mehr in das Volkshaus zu entsenden haben würden und nun die goldene Zeit für den „kleinen Mann" anbreche; der „Sozi" würden sie schon Herr werden. Damit letzteres aber möglich sei, hieß es nun, mit Hilfe der Regierung die städtischen und ländlichen Wahlbezirke derart abzugrenzen, daß womöglich in keinem derselben die Arbeiter und Sozialisten je die Majorität der Stimmen für ihren Kandidaten erlangen könnten. Die christlichsozialen Abgeordneten und ihr „Generalstabschef" Albert Gessmann gingen nun beim Minister des Innern, dem Grafen Arthur Bylandt-Rheidt, und in seinem legislativen Departement förmlich ein und aus, ja sie hatten ihnen gutgesinnte politische Beamte aus fast jedem Kronland zur Hilfsarbeit in diesem Departement einberufen lassen, damit die Wahlbezirksabgrenzung ganz und gar in ihrem Sinne erfolge. Gab es in einem Land eine Gruppe von Industrieorten, die nach ihrer Bevölkerungsziffer und ihrer geographischen Lage zusammengehörten, so wurde aus dieser beileibe nicht ein städtischer Wahlbezirk geschaffen, denn in diesem hätte ein Sozialdemokrat gewählt werden können. Derlei Orte wurden mit anderen Kleinstädten nur unter dem Gesichtspunkt vereinigt, daß das kleinbürgerliche und christlichsoziale Element darin überwiege. Die Wiener Wahlbezirke schuf Gessmann für das Ministerium direkt und allein nach diesem Gesichtspunkt. Die Schwierigkeiten, die Gautsch im Verlaufe der Behandlung seines Wahlreform-Gesetzentwurfes schließlich von den Polen gemacht wurden, sind seinerzeit genugsam publizistisch erörtert worden. Weniger bekannt dürfte sein, wie diese zum Sturz Gautschs führten. Die polnischen Abgeordneten hatten behufs Errichtung ihrer Extrawünsche im neuen Wahlgesetz gemeinsame Sache mit dem Statthalter in Galizien, Grafen Andreas Potocki, gemacht und dieser hatte dahin abzielende Vereinbarungen mit Gautsch und seiner Regierung getroffen. Als es nun zu den erwähnten Differenzen mit den Polen im Abgeordnetenhaus kam, erschien Potocki bei Gautsch mit der Beschwerde, die mit ihm getroffenen Vereinbarungen würden von der Regierung nicht genau eingehalten. Dieser wies ihn an Bylandt, der die Vorlage habe ausarbeiten lassen und sie im Abgeordnetenhaus vertreten müsse, damit er Potocki beruhige. Eine Konferenz bei dem letzteren, bei der Bylandt sich die größte Mühe gab, seinen Statthalter zu überzeugen, daß alle polnischen Sonderwünsche gehörig berücksichtigt worden seien, hatte nicht den erhofften Erfolg. Potocki blieb bei dieser wortkarg, wie er es immer war, ja sogar eisig stumm und reiste unmittelbar nach
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derselben nach Lemberg zurück. Von dort aus bewarb er sich um eine Audienz bei Seiner Majestät, die er natürlich bewilligt erhielt und bei der er sich sodann über das Ministerium beschwerte. Der Kaiser aber, der ja die polnischen Herren immer als seine speziellen Freunde u n d Stützen seiner Dynastie zu betrachten gewohnt war, hieß Gautsch, sofort einem anderen Ministerium Platz zu machen, welches den Polen gegenüber entgegenkommender zu sein habe. Gautsch, der sich immer einbildete, ein ganz besonderer Günstling des Kaisers zu sein, war damals wie aus den Wolken gefallen und zog Bylandt, dem es nicht gelungen war, Potocki zu beruhigen, mit in seinen Sturz. Dem letzteren war das gar nicht recht, hatte er doch die Wahlreform nur im A u f t r a g und nach Anleitung seines Gönners Gautsch ausgearbeitet, ohne sich irgendwie persönlich mit dieser zu identifizieren. Ich brachte damals einen Abend bei ihm und seiner Familie zu, die sich in den lautesten Klagen über Gautsch erging, der es leicht habe mit seiner Demission, da er sich wieder auf den Posten des Präsidenten des Obersten Rechnungshofes zurückziehen könne, den er sich vorsichtigerweise gleich bei seiner Berufung auf den Ministersitz habe vorbehalten lassen, während der vermögenslose Familienvater Bylandt nun einer unsicheren Zukunft entgegensehe. Wenn Gautsch zu allen Zeiten Andeutungen darüber zu machen pflegte, welche ganz besondere Vertrauensstellung er beim Kaiser einnehme, und wie dieser ihn häufig berufe, um seinen R a t zu vernehmen, so hat er gewiß übertrieben oder sich einer Selbsttäuschung hingegeben. E r war in Wirklichkeit ebensowenig Vertrauter des Kaisers, wie andere Leute, oder gar besonders gut bei diesem angeschrieben. Höchstens w a r er mit seinem Machtstreben dem Kaiser ein bequemes Werkzeug zur Aushilfe in Verlegenheiten, wenn es plötzlich hieß, ein neues Übergangsministerium zu berufen. Ich weiß bestimmt, d a ß der Kaiser nach Potockis Audienz sehr ungehalten über Gautsch w a r und sich dahin geäußert hat, Gautsch habe durch sein ungeschicktes Vorgehen in der Wahlreformsache die Krone in die Verlegenheit gesetzt, einen neuen Ministerpräsidenten zu finden, der sie zu Ende führe. Gautsch zehrte nun an seinem Ruhm, als erster in Österreich das v o n breiten Volksschichten gewünschte „allgemeine Wahlrecht" proklamiert zu haben und versuchte, sich auf Grund dieser Popularität f ü r die Zukunft „ministerabel" zu erhalten. Die letztere wartete er d a n n auf seinem schönen Posten des Rechnungshofspräsidenten ruhig ab. Ruhig im eigentlichsten Sinne des Wortes. Man hörte nun fast gar
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nichts mehr von außerordentlichen Inspizierungen und K o n t r o l l m a ß regeln, die er ergriffen habe; wohl aber d a v o n , d a ß er enge Fühlung mit maßgebenden politischen Persönlichkeiten, auch Ungarns, aufrecht erhalte. Als sehr charakteristisch f ü r Gautschs weitere Bestrebungen w u r d e mir damals mitgeteilt, d a ß er keinerlei Reise antrete, ohne den Chiffrenschlüssel mitzunehmen u n d dies sowie auch seinen jeweiligen Aufenthaltsort der Kabinettskanzlei des Kaisers mitzuteilen. E r wollte in jedem Augenblick erreichbar sein, wenn der Kaiser seinen R a t hören oder ihn wieder zum Ministerpräsidenten machen wollte. Aus der Zeit seiner zweiten Ministerpräsidentschafl ist auch noch zu erwähnen, d a ß ihn damals das Unglück t r a f , auf dem rechten Auge zu erblinden. Infolge einer Verkühlung hatte er sich eine Mittelohrentzündung zugezogen. Diese w a r noch nicht ganz behoben, als eine f ü r ihn wichtige D e b a t t e im Abgeordnetenhaus stattfinden sollte. Entgegen dem R a t seines Arztes f u h r er in das Parlamentsgebäude. Die Folge d a v o n w a r ein R o t l a u f , der einen so bösen Verlauf nahm, d a ß er den Sehnerv seines rechten Auges vernichtete. V o n nun an m u ß t e er eine schmale schwarze Binde über diesem Auge tragen. W i r trösteten ihn unter a n d e r e m auch damit, er werde in Z u k u n f t sogar besser schießen, da m a n doch nur mit dem linken Auge ziele. Er k a m nun auch wieder zu den Jagden bei K r u p p , bei diesen w a r aber die W a h r n e h m u n g zu machen, d a ß ihm das Gehen schwerfalle. Es w a r das der Beginn eines Leidens, welches dann immer weitere Fortschritte machte, dessen N a t u r aber damals noch nicht recht e r k a n n t w a r . K r u p p , immer voller A u f m e r k s a m k e i t f ü r seinen Freund Gautsch, h a t t e ihm deshalb ein P o n y beigestellt, das ihn auf die v o n ihm sonst nicht mehr leicht zu erklimmenden S t ä n d e im Jagdgebiet tragen sollte; weil K r u p p aber seine guten Freunde zu hänseln nie lassen konnte, h a t t e er dieses P o n y „Sozi" getauft — Anspielung auf Gautschs W a h l r e f o r m u n d seine Hinneigung zu den Sozialisten. D e r Scherz w u r d e viel belacht u n d Gautsch machte noch leidlich gute Miene dazu. Das aber sollte sich im L a u f e der Begebenheiten ändern. Es k a m nämlich der T a g der silbernen Hochzeit des Kruppschen Ehepaares heran, welcher durch die Einweihung einer dem heiligen H u b e r t u s geweihten Kapelle in der N ä h e des Jagdhauses im Walstertal gefeiert werden sollte. N a c h der Weihe dieser Kapelle durch die Geistlichkeit v o n Mariazell, mit ihrem P r ä l a t e n von St. Lambrecht, dem Abte Kalcher, an der Spitze, sollte ein Mahl, halb im Freien, alle Festteilnehmer mit der gesamten Jägerei einschließlich der Treiber (Holzknechte der dortigen Gegend) vereinigen. D a m i t es bei diesem
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Volksfest auch der Heiterkeit nicht ermangele, hatte K r u p p mich gebeten, Vierzeiler zu verfassen, die Wiener Volkssänger vortragen sollten. Zu diesem Zweck waren die Spitznamen jedes einzelnen der Festteilnehmer oder über ihn bekannte Scherze eifrig gesammelt und mir zur heiteren Verarbeitung zur Verfügung gestellt worden. Von diesem Plan oder Programmpunkt erfuhr Gautsch erst am Morgen des Festtages selbst, als wir Gäste den genannten Abt mit seinem geistlichen Gefolge im Jagdhaus erwarteten. Gewiß ahnend, daß ich es mir sicher nicht habe entgehen lassen, auch auf ihn, den Ministerpräsidenten ein Gstanzl singen zu lassen und vielleicht auch befürchtend, d a ß dabei über ihn gelacht werden könnte, protestierte er heftigst gegen diesen ganzen Teil des Programmes. Es würde die Feier entwürdigen und könne unmöglich von der anwesenden Geistlichkeit gut aufgenommen werden. Das letztere Argument glaubte Gautsch gewiß nur zu meiner Einschüchterung anwenden zu sollen, kam damit aber an den unrechten, da ich die katholische Geistlichkeit und namentlich die Orden nur zu gut kannte. Ich wandte mich also flugs mit der Frage an den Prälaten, und zwar in einem Moment, in dem uns Gautsch nicht beobachtete, ob er gegen die heitere N o t e des Festmahles in seiner und seiner Ordensbrüder Gegenwart etwa irgendein Bedenken habe, was er, wie ich vorausgesetzt hatte, sofort verneinte und sogar beifügte, es sei nur zu begrüßen, wenn bei einem Fest, wie dem bevorstehenden, nach der erhebenden kirchlichen Feier bei allen Teilnehmern Heiterkeit in die Gemüter einziehe. Ich dichtete nun ganz verstohlen und schnell das folgende Gstanzl: Der Prälat von St. Lambrecht H a t goar a guats Herz, Nach der kirchlichen Feier Erlaubt er den Scherz und steckte dieses dem Volkssänger zu, damit er nach einer Verbeugung vor dem A b t seinen Vortrag mit diesem Vierzeiligen beginne. U n d so geschah es denn beim Festmahl. Alle erhoben sich von den Sitzen und jubelten dem, übrigens in der ganzen Mariazeller Gegend populären, Prälaten zu. Das zweite Gstanzl aber lautete: Dem heil'gen Hubertus Habn's g'weiht a Kapell, So schön, daß der sicher Jetzt'n wallfahrt auf Zell.
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N u n ging der Jubel erst recht los, und in diesen stimmte die Geistlichkeit ein. Der Prälat rief mir laut über den Tisch zu, den hübschen Vers müsse ich ihm eigenhändig aufschreiben, damit er ihn in das im Mariazeller Superiorate (dem Pfarrhaus bei der Gnadenkirche) geführte Gedenkbuch einlege. Nach diesen Worten erhob sich der neben Frau K r u p p sitzende Gautsch und bat sie, ihn zu entschuldigen, wenn er sich auf sein Zimmer zurückziehe, allein heftige Kopfschmerzen, die ihn plötzlich befallen, erlaubten ihm nicht länger, in der Tafelrunde zu verweilen. Sprach es und entfernte sich. So war er denn nicht Zeuge der Heiterkeit, welches eines der nächsten Gstanzln entfachte, das da lautete: Der Pony hoaßt Sozi, Ist f ü r d' älteren Herrn, D r u m reit't a der Gautsch eahm H i a z t goar so vil gern! N u r der Ärger über meinen Erfolg beim Prälaten hieß Gautsch plötzlich K o p f w e h vorschützen. Ich gelange nun zu Gautschs dritter, letzter u n d abermals kurzer Ministerpräsidentschaft, die er nach dem Sturz Bienerths im Juni 1911 antrat. Da ich, um Bienerth Platz zu machen, kurz vorher, nach erreichtem vierzigsten Dienstjahr, mein Pensionsgesuch überreicht hatte, welches noch vom Ministerium Bienerth erledigt wurde, so habe ich eigentlich als Statthalter nicht mehr, oder doch nur die wenigen Tage bis zu meiner formellen Enthebung vom Amte, unter dem neuen Ministerium gedient. Seine Tätigkeit vom amtlichen Platz aus zu beobachten, hatte ich daher nur wenig Gelegenheit. Ich beschränke midi also in dieser Beziehung auf die Bemerkung, d a ß diese seine Tätigkeit besonders unter dem Zeichen der Dienstpragmatik für die Staatsbeamten, dieser unglückseligen Vorlage, stand, die dann auch der Regierung die letzte Möglichkeit benahm, ihre Beamtenschaft zur Gefolgschaft und Disziplin überhaupt anzuhalten. D a ß eine solche aber gerade im konstitutionellen Staat eine unbedingte Notwendigkeit ist, wenn die Regierungsgewalt entsprechend funktionieren soll, brauch ich wohl nicht weiter auszuführen. U n d Gautsch verdient gewiß keinen Tadel, wenn er nach kurzer Zeit demissionierte, als er einsah, daß man in der Zuerkennung von Rechten an die Beamtenschaft bei gleichzeitiger Einschränkung der ihr aufzuerlegenden Pflichten im Abgeordnetenhaus viel zu weit ging und daß er nicht mehr den Einfluß im Parlament
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habe, um den auf einer abschüssigen Bahn schon längst ins Rollen geratenen Stein noch aufzuhalten. In dieser Zeit hatte ich, der Abgetane, Gelegenheit, Gautsch noch näher kennen zu lernen, als dies schon bisher der Fall war. Als ich, auf Urlaub in Paris weilend, telegraphisch verständigt wurde, daß mein Pensionsgesuch genehmigt worden sei, ließ ich sofort bei Marek, Gautschs Minister für öffentliche Arbeiten, durch einen der Beamten des Präsidialbüros der Statthalterei anfragen, ob ich meiner Funktion als geschäftsführender Vorsitzender der Donau-Regulierungs-Kommission werde von Amts wegen enthoben werden oder ob dazu ein Gesuch meinerseits, welches ich in diesem Fall unverzüglich bei ihm einbringen werde, erforderlich sei. Marek ließ mir antworten, er müsse über diese Angelegenheit mit mir erst noch sprechen, sobald ich nach Wien zurückgekehrt sei. Dann aber teilte er mir mit, es sei die Absicht des Ministeriums, in Zukunft, und zwar nach der verfassungsmäßigen Erledigung des dem Parlament bereits vorliegenden neuen Donau-RegulierungsGesetzes, die Agenden dieser Regulierung unmittelbarer in die Hand zu nehmen und von der Ingerenz des Statthalters loszulösen. Damit dieser Plan aber gelinge, möge ich dem Ministerium für öffentliche Arbeiten doch den Dienst erweisen, die Leitung der Donauregulierung, die ich so genau kenne einstweilen noch fortzuführen. Es paßte mir das gar nicht, ich wollte Automobilreisen unternehmen und meine endlich erlangte Freiheit auf Jagden genießen. Marek meinte, das Abgeordnetenhaus werde doch vielleicht arbeiten und die Donau-Regulierungs-Vorlage bis Ende des Jahres Gesetz werden; diese kurze Spanne Zeit eines halben Jahres möge ich die Geschäfte doch fortführen. Seinem dringenden Zureden gab ich erst nach, nachdem ich ihn gefragt hatte, ob er im Namen der Regierung und auch Gautschs mit mir rede. Er bejahte dies und fügte bei, er sei im Begriff, zum Ministerpräsidenten zu fahren und werde ihm Kunde von der mit mir getroffenen Vereinbarung geben. Nun ließ ich mir in dem Amtshaus der Donau-Regulierungs-Kommission ein Büro einräumen und einrichten, empfing dort die Beamten der Kommission mit der Mitteilung, daß ich bis zu dem mit dem Minister vereinbarten Zeitpunkt in ihrer unmittelbaren Nähe weilen und mich intensiv mit den Geschäften der Kommission befassen werde. Das tat ich denn auch, indem ich mein neues Büro ziemlich regelmäßig besuchte. Nach etwa 14 Tagen erscheint dort bei mir der Präsident des Ministers Marek, Ministerialrat Dr. Schaukai, mit einem sehr langen
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Gesicht und den Worten, heute habe er die peinlichste Mission seines Lebens zu erfüllen und mich um die sofortige Einbringung meines E n t hebungsgesuches zu bitten. Sein Minister könne die mit mir getroffene Vereinbarung nicht einhalten und habe sich geniert, mir dies selbst zu sagen. Bienerth gebe ihm keine R u h e und wolle durchaus mit der Leitung der Geschäfte der Kommission betraut werden. Ich gab Schaukai sofort mein Enthebungsgesuch
mit. Ich
war
durchaus nicht unglücklich, nun meine volle Freiheit von den Geschäften zu haben, nur war es mir höchst peinlich, mein Büro wie ein Davongejagter verlassen zu müssen, nachdem ich wenige Tage zuvor dort den Beamten der Kommission erklärt hatte, noch monatelang in ihrer Mitte arbeiten zu wollen. Erst volle drei J a h r e nach dieser Begebenheit wurde mir aus dem Ministerium für öffentliche Arbeiten die authentische Kunde, Gautsch habe damals zuliebe seines Theresianumgenossen Bienerth an Marek die schriftliche Aufforderung
gerichtet, die mit mir getroffene Verein-
barung rüdegängig zu machen. Wenn Gautsch jahrelang der sicheren Oberzeugung war, daß er der große Staatsmann sei, der Österreich von Grund auf reformieren und namentlich die schwierige Nationalitätenfrage werde lösen können, so muß sich der wirklich Bedauernswerte, der jetzt von schwerem Siechtum befallen ist, wohl sagen, daß die größte zur Schau getragene K o r r e k t heit, die formvollendetsten Reden und ein verbindliches persönliches Auftreten allen Parteien gegenüber nicht genügen, um H e r r der Probleme zu werden, die dem österreichischen Staatsorganismus eigen sind. Ich habe Gautsch schon seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen und gesprochen, weiß also nicht, in welcher Gemütsverfassung er sich befindet.
Das letztemal w a r ich auf Kruppschen Jagden mit ihm bei-
sammen, als ich den aktiven Dienst bereits verlassen und er eben zum drittenmal
als
Ministerpräsident
demissioniert
hatte,
nämlich
im
Herbst 1912. Damals war er recht schlechter Laune, die er auch an mir auslassen wollte. Ich erkannte erst jetzt, wie recht K r u p p gehabt hatte, als er mir einstmals von Gautschs N e i d gesprochen hatte. E r brachte damals unter anderem das Gespräch plötzlich auf die schöne Equipage, die ich früher als Statthalter mein eigen genannt hatte, und deren gelbgeränderte Räder jeder Sicherheitswachmann Wiens kannte und mich daher mit ihr allen anderen Wagen habe vorfahren lassen — um dann den Vorwurf daranzuknüpfen, eine solche Begünstigung gegenüber allen anderen Wagen hätte ich nicht in Anspruch nehmen dürfen. Meine Einwendung, daß mir dies durchaus ferngelegen sei und daß die Wach-
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männer vielleicht bisweilen ganz unaufgefordert meinem Wagen hätten Platz machen lassen, wenn gerade Gedränge geherrscht habe, wollte er nicht gelten lassen. Ich wäre, meinte er, verpflichtet gewesen, der Polizei jede auch nur scheinbare Begünstigung meiner Person und meines Wagens ganz ausdrücklich zu verbieten. Als er mit diesen Vorwürfen post festum bei mir nicht aufkam, brach er noch einige andere ähnliche ganz ungerechtfertigter Art vom Zaun. Im Sommer 1917 wurde ich von Kaiser Karl in das Herrenhaus berufen und traf nun dort nach langer Zeit wieder mehrmals mit Gautsch zusammen. Gespräche über Tagesfragen ergaben sich einige Male — natürlich keinerlei Herzensergüsse oder Austausch von Erinnerungen aus älterer Zeit. Übrigens war es ein Jammer, Gautsch so gebrochen zu sehen. Nicht einmal gestützt auf seinen Stock konnte er sich allein fortbewegen. Sooft er im Herrenhaus erschien, und es war das nur bei wichtigen Sitzungen, hatte K r u p p ihn in seiner Wohnung mit dem Auto abgeholt und führte ihn dann zu seinem Sitz. Bei seinem schwer leidenden Zustand kam daher die Nachricht von seinem Tod kaum überraschend.
GRAF A R T H U R
BYLANDT-RHEIDT
Arthur Bylandt, als einziger Sohn eines gleichnamigen Vaters, des seinerzeitigen Reichskriegsminister, 1854 geboren, war ein Theresianumkollege Gautschs und verdankte wohl ausschließlich diesem seine staatsmännische Karriere. E r diente als politischer Beamter in Mähren, wurde anfangs der 1880er Jahre Bezirkshauptmann in Gaya, heiratete damals Gräfin Franziska St. Génois in Baden und wurde dann Statthaltereirat in Brünn. Von dort aus berief ihn Gautsch als Ministerialrat in das von ihm geleitete Ministerium f ü r Kultus und Unterricht und betraute ihn mit dem Hochschulreferat. An der Errichtung der Wiener Hochschule für Bodenkultur hatte er mitzuwirken. Als Gautsch nach Badenis Sturz dessen Nachfolger wurde und das Ministerium f ü r Kultus und Unterricht abgab, stellte er Bylandt an die Spitze desselben. Dieses Ministerium hatte bekanntlich nur kurze Dauer, und nun wurde Bylandt an Stelle des Freiherrn von Puthon, der damals ausgedient hatte und sich in den Pensionsstand zurückzog, Statthalter in Linz. Bylandt war nicht unbegabt, wich jeder Schwierigkeit gern aus, war im übrigen ein korrekter Bürokrat der alten Schule, mit dem, als Referenten und Minister, f ü r mich, den Statthalter in Wien, ganz gut auszukommen war. Ich hatte mich über ihn und seine Amtierung nicht zu beklagen und es gab keinen Konflikt. Unsere Frauen hielten gute Nachbarschaft. Einstmals folgten wir einer Einladung, sie f ü r einige Stunden in Linz zu besuchen. Als ich nun Bylandt befragte, wie es ihm in Oberösterreich gefalle, was er f ü r Pläne f ü r das Land habe, ob er es bereise u n d Neuerungen eingeführt habe, wurde mir der Charakter dieses Staatsmannes erst klar. Er setzte mir damals auseinander, in Oberösterreich sei der Landeshauptmann D r . Ebenhoch, ein gebürtiger Vorarlberger u n d ausgesprochener Klerikaler, der einflußreichste u n d mächtigste Mann, daher müsse er als Statthalter es als seine H a u p t a u f g a b e betrachten, mit Ebenhoch und seiner autonomen Landesverwaltung auf das beste auszukommen und daher selbst und mit seiner staatlichen Verwaltung
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möglichst wenig hervorzutreten. Als die Rede darauf kam, daß es doch darauf ankomme, das äußere Ansehen der politischen Behörden im Lande etwas zu heben und dieserhalb f ü r bessere Amtsunterkünfte der Bezirkshauptmannschaften im Lande zu sorgen (mir war bekanntgeworden, daß vielerwärts über diese geklagt werde), meinte er, jede dahin abzielende Änderung gäbe Streitigkeiten mit dem Finanzministerium und werde in Wien nicht gern gesehen. Wenn seine Bezirkshauptleute bisher mit minderen Amtslokalitäten ausgekommen seien, werde das auch in Zukunft möglich sein, er sei der letzte, sich dieserhalb Scherereien auf den H a l s zu laden. Diese Anschauungen Bylandts waren den meinen direkt entgegengesetzt. Als kurze Zeit hienach der Oberbaurat und Chef des technischen Departements der oberösterreichischen Statthalterei, Ritter von Mathes, zu Konferenzen wegen der Regulierung der Donau nach Wien kam, reizte es mich, diesen über seinen neuen Statthalter auszufragen. Nachstehend dessen Schilderung: Als Graf Bylandt als neuer Statthalter nach Linz gekommen sei, habe die politische Beamtenschaft große H o f f nungen in ihn gesetzt, daß er nach dem in den letzten Jahren etwas untätig gewordenen Baron Puthon neues Leben in die Verwaltung des Landes bringen werde, sei aber arg enttäuscht. Der neue Statthalter habe seiner Beamtenschaft deutlich zu erkennen gegeben, daß er mit Arbeiten nicht überlastet zu werden wünsche und daß alles seinen gewohnten Gang zu gehen habe. Hierunter leide das technische Departement ganz besonders, denn es gäbe gerade jetzt in Oberösterreich eine Menge von wichtigen Fragen auf diesem Gebiet, und als er, der Departementschef, den Statthalter gebeten habe, die Revision der wichtigen aus diesem Departement kommenden Geschäftsstücke selbst zu übernehmen, sei ihm die Antwort zuteil geworden, er, der Statthalter, verstehe von technischen Dingen nichts und man möge ihn daher damit verschonen. Bylandt blieb mehrere Jahre auf dem Linzer Statthalterposten, ließ den Landeshauptmann Dr. Ebenhoch gewähren, war um so untätiger, als seine Gesundheit zu wünschen übrig ließ u n d er mit ewigen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Seine Mutter, eine geborene Gräfin Chamare, lebte noch, sie besaß nur ein geringes Vermögen, von seinem Vater hatte er so gut wie nichts ererbt und seine Frau hatte aus dem Ausgleichsverfahren, welchem das St. Genoissche Vermögen nach dem Tode des Vaters unterworfen werden mußte, nichts errettet als eine Villa in einem geräumigen Garten in Baden. Die aber trug nichts ein.
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Als Gautsch nun nach Koerber sein zweites Ministerium bildete, berief er seinen ehemaligen Ministerkollegen und TheresianistenConfrater Bylandt auf den Posten des Ministers des Innern, auf dem Bylandt nahezu ebenso untätig war wie auf dem Statthalterposten in Linz. Merkwürdig war, daß bald nach der Übersiedlung der Familie Bylandt nach Wien eine Deputation von Linzer Gewerbetreibenden bei Gautsch mit der Bitte erschien, er möge seinen Minister des Innern gefälligst veranlassen, die in Linz hinterlassenen Schulden bei Fleischhauern, Bäckern und anderen kleinen Gewerbetreibenden zu zahlen. Als Gautsch die Aufgabe erwuchs, das allgemeine Wahlrecht Gesetz werden zu lassen, wäre eigentlich ein Großteil der Arbeit auf Bylandt gefallen, doch dieses allgemeine Wahlrecht entsprach weder seinem Geschmack im allgemeinen noch auch mit den Spitzfindigkeiten der Wahlkreiseinteilung seiner ruhigen Bequemlichkeit im besonderen. Er überließ also die große legislative Arbeit seinem Sektionschef Baron Guido H a e r d t l und die Einzelheiten der Wahlordnung den einzelnen Politikern der Länder. Für Niederösterreich saß damals D r . Albert Gessmann, der sogenannte Generalstabschef der Christlichsozialen, im Rohre und schnitt mit der Sachverständigenbeihilfe des bekannten Wahlmachers, Magistratsrat Pawelka, Pfeifen f ü r diese Partei. Als nun Gautsch wegen dieser Wahlreform in Schwierigkeiten mit den Galizianern geriet und sich veranlaßt sehen mußte, seine Demission einzureichen, zwang er Bylandt geradezu, sich ihm dabei anzuschließen. Später dann gaben sich aber Gautsch und andere hinsichtlich Bylandt schließlich doch Mühe; er erhielt die Sinekure eines Kanzlers des Ordens der Eisernen Krone und so u n d so viele Verwaltungsratsstellen bei industriellen Gesellschaften, w u r d e dann sogar Präsident der N o r d bahngesellschaft, so daß er sich finanziell in den letzten Jahren seines Lebens noch ganz leidlich rangieren konnte. Er gehörte auch der 1910 eingesetzten Kaiserlichen Kommission zur Förderung der Verwaltungsreform an, übernahm hier einige Referate ohne sie je zu erstatten. Aber freilich, er war damals schon recht krank, so d a ß er kaum imstande war, zu den Sitzungen dieser K o m mission zu erscheinen. Nach längerem Siechtum starb er 1913 in seinem Badener Besitz.
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Goldinger, Kaiserhaus
Dr. H E I N R I C H
RITTER
VON
WITTEK
Schade, daß Gautsch nicht mehr am Leben ist, sonst hätte ich ihn ersucht, das Bildnis Dr. Heinrich Ritter von Witteks zu verfassen, so sarkastisch, dabei aber treffend ähnlich, wußte er es zum besten zu geben. Es war sogar im kleinen Kreis eines seiner Lieblingsthemata. Also versuche ich es selbst in kurzen Strichen zu zeichnen. Heinrich Wittek und seine zwei Schwestern, man muß diese immer mit ihm erwähnen, sind die Kinder eines Unteroffiziers, der seinerzeit dazu ausersehen worden war, Anfang der 1840er Jahre der Exerziermeister des nachmaligen Kaisers Franz Joseph zu sein. Er erhielt dann später eine Anstellung bei H o f e . Heinrich, 1844 geboren, w a r Jugendgespiele des gleichaltrigen Erzherzogs Ludwig Victor. Daher die höfischen Beziehungen dieser Familie und eine gewisse Protektion, die sie fortdauernd genoß. Heinrich wurde nach kurzer Dienstleistung bei der Wiener Finanzprokuratur schon mit 24 Jahren in das Handelsministerium berufen und entwickelte dort mit dem ihm angeborenen großen Fleiß eine strebsame Tätigkeit. Schöne Schrift und Nettigkeit seiner Arbeiten machten ihn bei seinen Vorgesetzten beliebt. Er wurde bald Ministerialsekretär, und als solcher nun auch nach außen bekannt, weil er im Verein mit einem Kollegen eine Sammlung von auf das Eisenbahnwesen Bezug habenden Verordnung dieses Ministeriums herausgab. E r avancierte zum Sektions- und, 18 80, Ministerialrat in der Eisenbahnsektion dieses Ministeriums und war dann, als die Verstaatlichungsaktion der Privatbahnen begann, hauptsächlich mit dieser befaßt. Es hieß nun von ihm, er, nun schon seit 1886 Sektionschef, habe hiebei die Interessen des Staates mit Geschick, aber auch mit Zähigkeit und nicht ohne H ä r t e vertreten. Bei der Einverleibung der Vororte in Wien war die Frage der Wiener Stadtbahn wieder akut geworden, und nach dem Fall der Linienwälle hatte ich nach zahllosen Konferenzen mit Bürgermeister Prix, dem niederösterreichischen Landesausschuß und der Regierung die Sache dahin gebracht, daß außer der Stadtbahn auch noch andere
Dr. Heinrich Ritter von Wittek
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für den großstädtischen Verkehr in Wien benötigte Anlagen errichtet werden sollten. Es waren dies die Umgestaltung des Donaukanals in einen vor Hochwasser geschützten Verkehrs- und Winterhafen und der Ausbau des Wiener Kanalnetzes und dessen Einmündung in einen neu zu erbauenden Hauptkanal. Staat, Stadt und Land Niederösterreich sollten zu den Kosten dieser einzelnen Anlagen nach verschiedenen Schlüsseln beitragen; zum Bau und zur Verwaltung der neuen Anlagen wurde eine aus Vertretern der genannten Konkurrenten bestehende Korporation unter Vorsitz des Handelsministers, die „Kommission für die Wiener Verkehrsanlagen", eingesetzt. Der erste Vorsitzende dieser Kommission nach deren Konstituierung war der Handelsminister Graf Gundaker Wurmbrand und sein Stellvertreter, der Sektionschef Dr. Ritter von Wittek. Die beiden hatten bisweilen Differenzen. Die Stadtbahn, ursprünglich als eine alle in Wien einmündende Bahnen verbindende Hauptbahn gedacht, wurde zur Lokalbahn „herabverhandelt". Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die oft recht unerquicklichen Stadien dieser Verhandlungen und die Rolle, die Wittek dabei spielte, schildern zu wollen. Unter meinem provisorischen Ministerium 1895 war Wittek Leiter des Handelsministeriums und für mich ein wertvoller Mitarbeiter, der auf alle meine Pläne und Ideen eifrig und loyal einging. Damals führte er den Vorsitz in der Verkehrsmission und, als dann unter Badeni im darauffolgenden Jahr ein eigenes Eisenbahnministerium errichtet wurde, ward er Erster Sektionschef in diesem und führte als solcher in Vertretung des Ministers Feldmarschalleutnant Ritter von Guttenberg zumeist den Vorsitz in der genannten Kommission. Von 1897 bis 1905 war er selbst Eisenbahnminister. In dieser Kommission hatten die Vertreter des Staates, des Landes und der Stadt je eine Stimme. Lueger gehörte der Kommission an und dominierte insofern in derselben, als die Vertreter des Landes Niederösterreich und Wiens seiner Partei angehörten und nur nach seinem Kommando stimmten. Die eine staatliche Stimme war also immer in der Minorität und es bedurfte aller Geschicklichkeit des staatlichen Vorsitzenden in der Kommission, die staatlichen Interessen vor allzu arger Benachteiligung durch die zwei anderen Kurien zu wahren. D a ich selbst der Kommission von allem Anfang an angehört hatte und ihren Sitzungen regelmäßig beiwohnte, bin ich in der Lage zu bezeugen, daß Wittek dieser seiner schwierigen Aufgabe zumeist gerecht wurde. Dazu bedurfte es aller ihm eigenen Findigkeit, besonders aber der Eignung, Luegers Eitelkeit zu schmeicheln, ihn glauben zu lassen, daß er schiebe, 22*
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w o er geschoben wurde. Das aber verstand Wittek meisterlich. Jede Angelegenheit von Wichtigkeit, zu der er Luegers u n d seiner Leute Stimmen brauchte, hatte er vorher mit Lueger besprochen und diesen dann auch meist dahin gebracht, als Antragsteller aufzutreten. Was wunder, daß sich aus diesem regen Geschäftsverkehr zwischen den zweien eine gewisse Intimität entwickelt hatte, die schließlich dazu führte, daß der eine auf den anderen immer größeren Einfluß gewann. Brauchte Lueger etwas von der Regierung, so wandte er sich an deren Mitglied Wittek, und dieser setzte es ihm durch, um ihn sich f ü r die Verkehrskommission gefügig zu machen. Nachdem ein Teil des neuen Wiener Hauptsammelkanals durch das Wiener Stadtbauamt fertiggestellt worden war, lud Lueger die Kommission zu dessen Besichtigung ein. H i e r unter der Erde feierte er in einem Trinkspruch den Kommissionsvorsitzenden Wittek in der ihm eigenen beredten Weise, indem er ihn als den „Minister f ü r Wien" apostrophierte. Das schmeichelte Wittek gewaltig. U n d von dem Augenblick an, als Lueger ihn offen als Mitglied der Christlichsozialen Partei bezeichnete, hatte er ihn ziemlich fest in der H a n d . Wittek war im ersten Kabinett Gautsch Eisenbahnminister geworden, blieb es unter Thun, Clary und Koerber und trat erst unter der zweiten Ministerpräsidentschaft Gautschs vom A m t zurück. Clary w a r von Oktober bis Dezember 1899 provisorischer Leiter des Ministerrates, ihm folgte als solcher Ende Dezember 1899 bis in den Januar 1900 nur f ü r kurze drei Wochen Wittek als provisorischer Vorsitzender des Ministerrats. Er hatte damals lediglich die Aufgabe, die Einsetzung des neuen Kabinetts Koerber, dem er wieder angehören sollte, durch die Erlassung einiger §-14-Verordnungen vorzubereiten. In die Zeit der Eisenbahnministerschaft Witteks fällt der Bau der Tauernbahn, welche in einem höchst schwierigen Gebirgsterrain gef ü h r t , riesige Überschreitungen der ursprünglichen Kostenvoranschläge mit sich gebracht hatte. Das trug Wittek im Abgeordnetenhaus heftigsten Tadel ein. Ein Unwetter entlud sich über seinem H a u p t e , vor dem ihn nicht einmal sein Freund Lueger bewahren konnte, und er trat vom A m t zurück. Lueger tröstete ihn aber damit, daß er ihm seine Protektion f ü r fernerhin u n d bei günstiger Gelegenheit zusicherte. N u n möge hier eines meiner heitersten Erlebnisse mit Wittek erzählt sein. Der erste Teil der niederösterreichischen Landesbahn von St. Pölten nach Mariazell wurde feierlich eröffnet. Der Eisenbahnzug mit dem Niederösterreichischen Landesausschuß und seinen Festgästen, dem Eisenbahnminister Wittek an der Spitze, wurde in der Station
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Ober-Grafendorf feierlich empfangen. Weißgekleidete Mädchen, Musik, Feuerwehr, Gemeindevertretung und viel Landvolk. Ein weißgekleidetes, recht hageres Mädchen tritt vor, überreicht dem Herrn Minister einen Blumenstrauß und sagt ein Gedicht her, das mit den der Lokomotive geltenden Worten begann: Sei mir gegrüßt du schwarzes Dampfroß, mit dem rauchenden Schlote . . . Die Situation war unbeschreiblich komisch. Man bedenke nur: Wittek, mit dem einen Auge die deklamierende Jungfrau anschielend, die ihm „schwarzes Dampfroß" zuruft, und dann nach beendeter Hersage des Gedichtes, der hervortretende Dorfschullehrer, der Wittek die brave Deklamantin als seine Tochter und sich selbst als Verfasser des Poems vorstellt. Selten wohl ist soviel Lachen verbissen und später auf der Eisenbahnfahrt so viel und so herzlich gelacht worden, wie damals. Die Eigentümlichkeit ist Wittek geblieben, daß er sich gern in höfischer Luft bewegt. Auch als Pensionist, der es nicht mehr nötig hat, wird er keine Gelegenheit versäumen, bei dieser oder jener Hoheit aufzuwarten und Audienz zu erbitten, einer jeden Kirchen- oder sonstigen Feier, bei welcher die Majestät oder wer immer vom Hofe erscheint, beizuwohnen. Der Mann hat eben seine Schwächen und kleinlichen Eitelkeiten bei sonst vorzüglichen Charaktereigenschaften, als welche seine Integrität, seine Menschenliebe und seine geschäftliche Tüchtigkeit hervorgehoben zu werden verdienen. Als Wittek im Jahre 1905 das Eisenbahnministerium aufgeben mußte, berief ihn der Kaiser in das Herrenhaus. Hier trat er der farblosen Mittelpartei bei. Ich hatte bis dahin geglaubt, ihn, trotz seiner ziemlich engen persönlichen Beziehungen zu Lueger, eher zu den Liberalen zählen zu müssen, so wie bis zu den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts so ziemlich alle höheren Ministerial- und anderen Beamten Wiens. Liberale und zentralistische Gesinnung flössen mit einem ganz bestimmten österreichischen Deutschtum ineinander, im Gegensatz zu den Mitgliedern der „alldeutschen" Gruppe, die wie ihr Führer Georg von Schönerer damals als Hochverräter galten und gerichtlich verfolgt wurden. Als nun 1907 ein Reichsratsmandat der Inneren Stadt Wien frei wurde, erinnerte sich Lueger seiner dem Freunde zugesicherten Protektion und stellte Wittek als christlichsozialen Kandidaten auf. Von nun an bekannte sich Wittek als Christlichsozialer, was bei seinen Bekannten und Freunden Kopfschütteln hervorrief.
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Dr. Heinrich Ritter von Wittek
Bei den Juniwahlen 1911 unterlag er und betätigt sich seither wieder eifrig in Kommissionen und als deren Berichterstatter im Herrenhaus. Als bald nach Kriegsausbruch wirtschaftliche Hilfsbüros für die Eingerückten im Felde bei den Landes- und Bezirksstellen geschaffen wurden, übernahm Wittek die Leitung des Büros der Stadt Wien. Die große Masse der Wiener Eingerückten, dann aber auch der Umstand, daß im Verlaufe der Zeiten die hilfsbedürftigen Zurückgebliebenen der Eingerückten mehr als diese selbst die erwähnten Büros in Anspruch nahmen, brachte es mit sich, daß Witteks Hilfsstelle einen großen Umfang an Geschäften und Arbeitskräften annahm, und ihm selbst bis heute viel zu tun gibt. Er hat recht, auf dieses Ehrenamt stolz zu sein. Mir, dem Vorstand des Wirtschaftlichen Hilfsbüros der k. k. Niederösterreichischen Statthalterei, legt er von Zeit zu Zeit den Nachweis über den Umfang der Tätigkeit seines Büros vor. Er heimst dafür stets ein Dank- und Anerkennungsschreiben der Statthalterei ein, und das freut ihn jedesmal; er hat es sich aber auch verdient. Nun ist er 74 Jahre alt, was man ihm kaum ansieht, und noch immer arbeitet er sehr fleißig.
Dr. W I L H E L M R I T T E R V O N H Ä R T E L
Von Freunden und Bekannten war mir wiederholt nahegelegt worden, meine Memoiren zu schreiben, da ich doch in mehr als vierzigjähriger Dienstzeit so viel erlebt und erfahren hätte. Ich konnte mich nicht dazu entschließen, denn ich habe nie etwas Tagebuchähnliches geführt; eine chronologische Darstellung meines Lebenslaufes zu geben, wäre mir daher recht schwergefallen. Aber dennoch hatte es etwas Verlockendes, einzelne Persönlichkeiten — mich dabei auf mein ganz gutes Gedächtnis verlassend — zu schildern, die ich genau kennenzulernen Gelegenheit gehabt hatte und deren Bild der Nachwelt in möglichster Ähnlichkeit zu vermitteln von Wert sein könnte. Als ich, procul a negotiis, den Sommer 1914 in Bergheim in Oberösterreich auf dem Lande verbrachte, begann ich Monographien zu schreiben und setzte diese Arbeit auch noch während der folgenden Kriegsjahre fort. Nun kam aber der Zusammenbruch unserer alten Monarchie und eine so folgenschwere Umwandlung aller Verhältnisse in jeder Beziehung, daß alles, was man von Persönlichkeiten zu sagen hatte, die im alten Staat Bedeutung hatten, nahezu völlig bedeutungslos f ü r die Nachwelt wurde, die ganz andere Sorgen politischer und wirtschaftlicher Natur hatte, als sich mit der Geschichte des zertrümmerten Habsburgerreichs zu befassen. Dazu kommt, daß einem Mann wie mir, der es als seine Lebensaufgabe betrachtet hatte, den österreichischen Staatsgedanken zu fördern, das Stammland der Monarchie, Niederösterreich, zu heben und namentlich die alte Kaiserstadt Wien zu vergrößern, zu verschönern und zum mächtigsten Anziehungspunkt für alle Völker dieser Monarchie auszugestalten, der jähe Absturz in eine ungewisse Zukunft, ganz abgesehen von manchen schon früheren Enttäuschungen auf diesem Gebiet, eine derartige seelische Niedergeschlagenheit bereitete, daß ich zu schriftstellerischen Arbeiten kaum noch die Spannkraft besitze. Indem ich daher, eben in den Tagen der Neuwahlen für die Deutschösterreichische Nationalversammlung, die unser neues armes Staats-
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Dr. Wilhelm Ritter von Härtel
gebilde ausgestalten soll, zu einem Abschluß kommen möchte, will ich nur noch eines Ministers des alten Österreich gedenken, dessen staatsmännische Bedeutung wohl nicht allzu groß war, der sich aber wichtig zu machen verstand und dafür charakteristisch erscheint, wer alles in Österreich Minister werden konnte. Dr. Wilhelm Härtel begann als Gymnasialprofessor in seinem engeren Heimatland Schlesien, nachdem er, irre ich nicht, schon vorher einige Jahre Hofmeister bei dem jungen Grafen Karl Lanckoronski gewesen war. Der Vater Lanckoronski, ein schwerreicher polnischer Magnat, war Oberstkämmerer des Kaisers Franz Joseph gewesen, seine Witwe hatte dann einen Grafen Vitzthum in Dresden geheiratet, einen großen Kunstfreund und Kunstkenner. In dessen Haus hatten Härtel und sein Zögling viel an Kunstsinn und Altertumskunde gelernt. Härtel war hiefür gewiß um so empfänglicher als er, man muß es anerkennen, einer der hervorragendsten Kenner der lateinischen Klassiker war. Viele Jahre hindurch wurde keine lateinische Legende auf einem Monumentalgebäude oder einer Denkmünze angebracht, die nicht Härtel verfaßt oder korrigiert hätte. Der junge Lanckoronski unternahm, herangewachsen, Reisen in die Länder des klassischen Altertums, erwarb dort Antiquitäten, befaßte sich auch wohl mit Ausgrabungen. Härtel war sein Begleiter. Der Protektion des Hauses Lanckoronski hatte er es dann zu verdanken, daß er, der Gymnasialprofessor, als Professor der klassischen Philologie an die Wiener Universität berufen wurde. Hier nun wurde er durch seinen ehemaligen Zögling, Karl Lanckoronski, gesellschaftlich gefördert, so daß er bald in manchen angesehenen Häusern verkehrte. Ich sage, er, denn seine Frau bekam man nie zu Gesicht. Vielleicht war sie niederer Herkunft und wenig repräsentabel, ich weiß es nicht. Die nächste Stufe, die Härtel mit Hilfe Lanckoronskis erklomm, war die eines Direktors der k. k. Hofbibliothek. Das brachte ihn nun wieder mit vielen höfischen und wissenschaftlichen Kreisen in Beziehungen. Wie er allerdings dann in die Kreise der Haute finance kam, ist mir nicht ganz klar. Doch nun zu seiner „staatsmännischen" Karriere. Als Gautsch im Kabinett Badeni wieder Unterrichtsminister geworden war und Badeni daranging, die Czechen und Deutschen unter einen liberalen Hut zu bringen, wollte Gautsch auch dem für etwas klerikal geltenden Unterrichts- und Kultusministerium einen liberaleren Anstrich geben und
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berief Härtel, den Hausfreund von so vielen „liberalen" Familien und guten Kollegen der Universitätsprofessoren, als Sektionschef in dieses Ministerium. Etwa zu derselben Zeit w a r Härtel auch in den Ritterstand erhoben worden. Als Sektionschef t r a t Härtel meines Erinnerns nicht besonders hervor. Es hieß nur, daß er eifrigst bestrebt sei, den Universitätsprofessoren, insbesondere denen Wiens, in allem und jedem zu Willen zu sein. Als nach dem Zurücktritt des Ministeriums Thun Clary ein Ministerium unter seinem provisorischen Vorsitz bildete, w a r d Härtel als Sektionschef Leiter des Unterrichtsressorts, und zwar in der kurzen Spanne Zeit vom 2. Oktober bis 21. Dezember 1899. Ich hatte damals ein für die Zukunft des Wiener Allgemeinen Krankenhauses und des nun finanziell ganz zerrütteten Wiener Krankenanstalten-Fonds folgenschweres Erlebnis mit ihm. Um dessen Tragweite richtig zu ermessen, muß ich folgendes vorausschicken. Bei Einverleibung der Vororte in Wien hatte der Krankenanstalten-Fonds auch die Gemeindespitäler der Vororte übernommen. Das neueste und schönste unter diesen war das Wilhelminenspital in Ottakring, so genannt nach der Fürstin von Montleart, welche es der genannten Gemeinde erbaut und geschenkt hatte. Auf dieses großartige Geschenk aber w a r die Nachbargemeinde Währing eifersüchtig geworden und hatte die Fürstin vermocht, auch ihr ein großes Kapital von, erinnere ich mich recht, einer halben Million Kronen zu schenken, damit auch Währing sich ein Gemeindekrankenhaus errichte. Dieses Kapital hatte ich bei Übernahme der Gemeindespitäler an den Krankenanstaltenfonds zugunsten des letzteren reklamiert und schließlich ausgefolgt erhalten. Mit diesem Kapital nun in Währing ein eigenes, verhältnismäßig kleines Spital im Sinne der Widmung der Spenderin, an die ich doch gebunden war, zu errichten, schien mir nicht angezeigt. Denn die Regie eines kleinen Spitals erfordert unverhältnismäßig hohe Kosten. N u n hatte ich seit Jahren die Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses aus dem Inneren Wiens weiter hinaus an die Peripherie mit ihrer gesünderen Luft sowie auch die Sanierung des stets finanziell auf schwachen Füßen stehenden Krankenanstalten-Fonds durch Verwertung des nach Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses freiwerdenden, nach seiner Lage sehr wertvollen Grund und Bodens im Auge. Ich faßte also den Plan, das Währinger Kapital dazu zu verwenden, um die an das Ottakringer Wilhelminenspital angrenzenden Ackergrundstücke in möglichst weitem U m f a n g anzukaufen, damit auf diesen,
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zunächst f ü r die Spitalsbedürftigen Währings, eine Erweiterung der Anlage des genannten Spitals, dann aber auch die Errichtung aller f ü r die Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses notwendigen Spitalsgebäude vorgenommen werden könnte. Die Abänderung derMontleartschen Widmungsurkunde in diesem Sinne zu erwirken, war f ü r midi kein leichtes Stück Arbeit. Ich kannte die alte Dame, die sich von der Gouvernante zur Fürstin hinaufgeschwungen hatte und ein höchst eitles und merkwürdiges Original war, nur von Hörensagen. Audi wußte ich, daß sie noch immer Beziehungen zu Währinger Bezirksgrößen hatte, die jede Änderung der ursprünglichen Widmung zu hintertreiben beflissen waren. Ich suchte also die alte Dame persönlich auf und es gelang mir nach vielem H i n - und Herreden und, nachdem ich ihr ein ihrer persönlichen Eitelkeit schmeichelndes Anerkennungsschreiben Seiner Majestät des Kaisers in Aussicht gestellt hatte, sie f ü r die Zustimmung, daß ihr Widmungskapital zu den besagten G r u n d ankäufen verwendet werde, zu gewinnen. Einige Tage nach dieser Unterredung war der KrankenanstaltenFonds bereits der glückliche Besitzer von etwa 15 Joch an das Wilhelminenspital angrenzender Äcker, auf denen alle Ersatzubikationen f ü r das Allgemeine Krankenhaus bequem hätten untergebracht werden können. Im Allgemeinen Krankenhaus waren aber damals noch alle medizinischen Universitätskliniken untergebracht, und die Kliniker, D r . Nothnagel an der Spitze, bekämpften meinen Plan der Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses mit größter Heftigkeit, denn die weiten Fahrten in ein, an der Peripherie der Stadt gelegenes Spital würden ihnen zuviel Zeit u n d Verdienstentgang in der Privatpraxis kosten. Bezüglich der Kliniken aber hatte der Leiter des Unterrichtsressorts ein Wort mitzureden. Ich ersuchte also Härtel, eine Probefahrt mit mir und einigen Klinikern von der inneren Stadt zum Wilhelminenspital zu unternehmen, um die letzteren zu überzeugen, daß diese nicht allzu lange währe. Gesagt, getan; wir fuhren vom Unterrichtsministerium am Minoritenplatz ab, verteilt in vier bis fünf Fiakern (Automobile gab es damals noch nicht). Der schnellste Fiaker brauchte 25 Minuten, die anderen wenige Minuten mehr, aber H e r r H ä r t e l harangierte die Herren Kliniker direkt zu der Erklärung, man dürfe es doch einem vielbeschäftigten A r z t nicht zumuten, täglich eine und bisweilen auch wohl zwei Fahrten von so langer Dauer unternehmen zu müssen.
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Von dem genannten Tage an w a r Härtel der Vertrauensmann der Professorenclique und der stets intrigant gegen die Verlegung der K l i niken an die Peripherie auftretende Unterrichtsressortchef. Heute, wo der Krankenanstalten-Fonds durch den unsinnigen Neubau der Universitätskliniken auf den Gründen des ehemaligen Landesirrenhauses und durch den um ein Vielfaches überzahlten Preis für diese R e a l i t ä t auf den H u n d gebracht ist und wo eine Fahrt per Auto nach Ottakring höchstens zehn Minuten währt, darf man mit Recht sagen, daß es hauptsächlich Harteis Schuld ist, daß der Wiener Krankenanstalten-Fonds dauernd notleidend wurde und daß bisher nur ein Teil der Kliniken neuerrichtet werden konnte. Härtel w a r im Ministerium Koerber am 19. J a n u a r 1900 wirklicher Minister f ü r Kultus und Unterricht geworden und bekleidete dieses Amt unter Gautschs zweiter Ministerpräsidentschaft bis zu seinem Tode im September 1905, also etwa noch ein J a h r lang. Seiner verhängnisvollen Transaktionen mit dem christlichsozialen Niederösterreichischen Landesausschuß und derselben Partei angehörigen Wiener Gemeindevertretung wegen Ankaufs der Irrenhausrealität und des ihr benachbarten Wiener Versorgungshauses habe ich schon in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" gedacht. Ich schilderte dort, in welcher verlogenen Weise Härtel dem Kaiser berichtete, um dessen Zustimmung zu dem maßlos teuren Ankauf der genannten Realitäten zu erwirken. Mir w a r als Minister des Innern die Landesirrenhaus-Realität vom Landesausschuß kaum sechs Jahre früher um etwa ein Viertel des von H ä r t e l zugestandenen Preises zum Kauf angeboten worden. D a r über liegen Akten vor. Der Landesausschuß erbaute aus dem von ihm erzielten Verkaufserlös die gesamte gewaltige Irrenhausanlage des Steinhofs. Was dabei von manchen Leuten verdient wurde, darüber liegen wohl keine Akten vor. Aber von dieser gewissen Seite mag das Andenken Harteis wohl öfter gesegnet werden. Diese Transaktion ergänzend wäre noch zu berichten, daß die Kliniken, als zur Universität gehörig, Staatsinstitute sind, die im Allgemeinen Krankenhaus mietweise untergebracht waren. Für den Neubau von Kliniken wollte der Staat nicht aufkommen und hatte also auch kein Geld f ü r den Ankauf der mehrgenannten Realitäten hergeben wollen. In einer Ministerkonferenz hatte Härtel nun die Sache derart durchzusetzen verstanden, daß der Wiener Krankenanstalten-Fonds — obschon damals schon verschuldet — als Dominus negotii auftreten, die Realitäten ankaufen und auf diesen mit Staat-
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liehen Vorschüssen auf die ihm auch fernerhin zu zahlenden Mietzinse neue Gebäude f ü r die Kliniken errichten solle. Das Ganze war eigentlich ein schwindelhafter Plan, und dieses um so mehr, als der Neubau der einzelnen Kliniken auf eine längere Reihe von Jahren verteilt u n d auf die Realität des Allgemeinen Krankenhauses die denkbar höchste H y p o t h e k aufgenommen werden mußte, um nur mit dem N e u b a u für eine Klinik beginnen zu können. Wäre mein Projekt der Verlegung des Allgemeinen Krankenhauses nach Ottakring seinerzeit verwirklicht worden, längst stünden dort alle Kliniken und Abteilungen des Allgemeinen Krankenhauses in lichten u n d luftigen Gebäuden, und die alten wären bereits demoliert und zu Geld gemacht worden. Härtel, der ja gut wußte, daß ich ein Gegner seiner, den Professoren zuliebe verfolgten Pläne sei, hatte, obwohl der Wiener Krankenanstalten-Fonds der Verwaltung der niederösterreichischen Statthalterei unterstand, zur Verwirklichung eine eigene Ministerialkommission unter seinem Vorsitz durch kaiserliche Anordnung einsetzen lassen. In dieser sollte ich als Statthalter den Minister vertreten und auch einen Statthaltereireferenten in dieselbe entsenden dürfen. Es fiel mir gleich auf, daß Härtel, wenn er verhindert war, zu seiner persönlichen Vertretung einen seiner Ministerialräte bestimmt hatte. Zweimal wohnte ich schandenhalber Sitzungen dieser Kommission bei. In ihr führte Engel als Sektionschef des Finanzministeriums, der von mir „Würgengel" getaufte Fiskalist, das große Wort, indem er eigentlich jede Beihilfe des Staates zu Harteis Bauprojekten ablehnte und diese auf die lange Bank schieben hieß. Mich erfaßte ein wahrer Ekel vor der ganzen schwindelhaften Gebarung und ich gab die Erklärung ab, daß ich mich persönlich an den Arbeiten der Ministerialkommission nicht mehr beteiligen werde; sie sah mich auch niemals wieder. Von der Unzuverläßlichkeit Harteis, die hier im einzelnen darzustellen zu weit führen würde, hatte ich mich in mehrfachen Fällen überzeugen müssen. Ich und meine Stellvertreter bei der Statthalterei und dem Landesschulrat beschlossen, jede mündliche Erörterung von Geschäftssachen mit Härtel zu vermeiden und immer den schriftlichen Weg einzuhalten, denn man konnte nach mehrfach gemachten Erfahrungen niemals sicher sein, daß der große Philologe nicht eine getroffene Verabredung rundweg ableugne oder vorgebe, sich auf eine solche „leider" nicht erinnern zu können. U m nun auch noch Gutes von Härtel zu berichten: Er war als vielerfahrener und gereister Mann ein guter Gesellschafter, auch ein ganz
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guter R e d n e r bei angenehmem Organ und deutlicher Sprechweise; allerdings etwas salbungsvoll und selbstgefällig, so etwa wie ein protestantischer Pastor. Von seiner Amtswirksamkeit als Minister ist noch festzustellen, daß in Beamtenkreisen das Scherzwort verbreitet w u r d e : Wenn der Härtel irgendwo gut gegessen hat, so wird der Sohn des Hauses alsbald in das Ministerium für Kultus und Unterricht einberufen. Das hatte seine Berechtigung, da das Protektionswesen bezüglich Einberufungen von jungen Beamten in das Ministerium unter H ä r t e l als Unterrichtsressortchef in die üppigsten Halme schoß. Die durchaus verfehlte Art, wie die Beamtenschaft unserer Ministerien in den letzten Dezennien ergänzt und wie dadurch der einstmals so gute Ruf der österreichischen Bürokratie geschädigt wurde, ist wert, der Nachwelt geschildert zu werden. Die unterste Stufe (Rangklasse 9) der Konzeptsbeamten waren bei den Ministerien und anderen Zentralstellen die Ministerialkonzipisten. Die f ü r jede einzelne Zentralstelle systematisierte Anzahl dieser Konzipisten wurde denn auch immer, bis in die letzte Zeit der Monarchie, im Staatsvoranschlag ausgewiesen und der Kredit an Gehalten und Aktivitätszulagen dafür angesprochen. Die Besetzung dieser Stellen erfolgte nach althergebrachter N o r m — die auch noch unter dem Ministerium Taaffe fast ausnahmslos galt — in der Weise, daß, sobald sich in einem Ministerium der Bedarf an neuen Arbeitskräften ergab u n d eine solche Konzipistenstelle durch Beförderung oder sonstwie erledigt war, die Aufforderung an die Unterbehörde (Statthalterei, Finanzlandesdirektion, Finanzprokuratur u n d dergleichen) erging, einen oder mehrere Beamte der 9. Rangklasse vorzuschlagen, welche f ü r den Dienst im Ministerium befähigt u n d besonders würdig seien. Aus den Vorgeschlagenen wurde dann entweder die erledigte Stelle sofort besetzt oder der Betreffende einstweilen, um seine Eignung für den Dienst im Ministerium zu erproben, nur in seinem bisherigen Dienstcharakter eines Bezirkskommissärs, eines Steuerinspektors, eines Finanzkommissärs und dergleichen einberufen und erst nach Ablauf einer gewissen Probezeit förmlich in den Stand des Ministeriums eingereiht. Die beschriebene Art der vorläufigen Einberufungen zeitigte nun bei der Mehrzahl der Ministerien die Einführung der sogenannten Einberufungskredite, die stets nur eine interne Einrichtung blieben, im Staatsvoranschlag niemals zur Darstellung gelangten, aber vielleicht gerade deshalb, weil sie der öffentlichen Kritik entzogen blieben, die
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Quelle von allerhand Unregelmäßigkeiten und einer Protektionswirtschaft ohnegleichen wurden, von welcher namentlich auch die Herren Reichsratsabgeordneten der verschiedensten Parteien, um die Gunst einflußreicher Wähler buhlend, immer umfassenderen Gebrauch machten. Diese Einberufungskredite wurden in der Weise gebildet, daß man die systemisierten Ministerialkonzipisten- und vielleicht noch einige höhere Stellen unbesetzt ließ, und aus den dadurch disponibel gebliebenen Summen an Gehältern und Aktivitätszulagen den Fonds f ü r Einberufungen bildete. N u n hatten es der Minister und der Chef des Präsidialbiiros, der ja fast überall als Personalreferent fungierte, in der H a n d , ad libitum Einberufungen vorzunehmen, wann immer die politische Konstellation und die Wünsche von Abgeordneten dies erforderte. Und wenn man nun anstatt von Beamten der 9. Rangklasse, wie es ursprünglich vorgeschrieben war, ganz junge Beamte niederer Rangklassen einberief, so kosteten diese Beamten dem Einberufungsfonds weniger Geld, man konnte also eine weit größere Anzahl von Bewerbern und Protektoren befriedigen; und darauf kam es ja oft an. Dabei übersah man mit voller Absicht, daß im Dienste der unteren Instanzen nicht gehörig ausgebildete und unerfahrene K r ä f t e nicht die richtigen Männer seien, um den gerade bei uns so schwierigen Dienst in den Zentralstellen zu fördern. Daher die vielen Mißgriffe und das gewisse Beharrungsvermögen mit der sprichwörtlich gewordenen Scheu vor jeder reformatorischen Tätigkeit, die, wenn zu richtiger Zeit eingesetzt, Österreich vor dem Zerfall hätte retten können. Besonders arg trieb es nun Härtel mit derlei Einberufungen, daher das oben erwähnte Scherzwort in den Beamtenkreisen. Als er nun eines Tages einen ganz jungen Praktikanten der Statthalterei einberief, der kaum zwei Jahre diente, noch nicht einmal im Genuße eines „Adjutums" stand und die praktisch-politische P r ü f u n g noch nicht abgelegt hatte, mußte ich mich veranlaßt sehen, gegen ein solches Vorgehen aufzutreten und Abhilfe bei Koerber zu verlangen. Härtel redete sich nun darauf aus, sein Einberufungskredit sei so gering, er brauche viele Arbeitskräfte und schone die Staatsfinanzen, wenn er ganz junge, diesen Kredit nur wenig belastende Beamte in seinem Ministerium verwende; die noch mangelnde P r ü f u n g bei der Statthalterei abzulegen, dazu könnten ja diese Beamten verhalten werden. Ich widerlegte diese Begründung und hatte die Genugtuung, daß vom Ministerpräsidenten entschieden wurde, in Zukunft sollten ganz
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junge Beamte nicht mehr in die Ministerien einberufen werden, es solle die feste Regel bleiben, daß nur Konzeptsbeamte der 9. Rangklasse einberufen würden — in Ausnahmefällen eventuell solche der 10.Rangklasse. Dies war vielleicht ein Härtel gemachtes Zugeständnis, um ihn nicht z u sehr bloßzustellen. Streng an die Regel hat sich stets, und zwar bis in die letzte Zeit seines Bestandes, das Landesverteidigungsministerium bezüglich seiner Zivilabteilung gehalten, alle anderen Ministerien trieben mit den Einberufungen mehr oder weniger Protektionswirtschaft. Das gilt insbesondere auch von czechischen Ministern wie Kaizl, Forscht, Fiedler und T r n k a , die ihre Ministerien möglichst zu „nationalisieren" trachteten, so lange sie in denselben herrschten. Wer im Rohr sitzt, schneidet Pfeifen! Diese meine mir gelegentlich des Bildnisses Harteis in die Schreibmaschine gekommene Darstellung der ganz u n d gar verfehlten Art und Weise der Besetzung der Beamtenstellen in den die Staatsverwaltung leitenden Stellen würde aber unvollkommen sein, wenn ich nicht in Kürze wenigstens noch beifügen würde, d a ß die einmal in ein Ministerium Einberufenen kaum je wieder aus demselben zu entfernen waren. Für diese bedauerliche Tatsache, bedauerlich, weil die Arbeit in den Ministerien mehr und mehr von Beamten verrichtet wurde, die nur noch den grünen Tisch kannten und keine Erfahrung in der Exekutive besaßen sowie jeden Kontakt mit der Bevölkerung verloren hatten, lassen sich die verschiedensten Gründe feststellen. Fast in jedem Ministerium bildete die dort erbeingesessene Bamtenschaft, mit dem allmächtigen Präsidialchef und Personalreferenten an ihrer Spitze, eine Clique, oder besser gesagt eine Assekuranzgesellschaft, für gutes Avancement. Der Einberufene trachtete also vor allen Dingen, in dieser Gesellschaft festen Fuß zu fassen. Aber selbst wenn dies nicht gelang und man nun versuchte, ihn wieder in jene untergeordnete Stelle, von wo er gekommen, zurückzuversetzen, so konnte man letzteres doch kaum erreichen, weil jene Landesstellen einen eigenen Beamtenstatus hatten, in den Beamte, die oben schneller befördert worden waren, nur unter Kränkung ihrer früheren Vordermänner wieder hätten eingereiht werden können. Jeder solchen Rückversetzung setzte deshalb der Amtschef der in Betracht kommenden Stelle einen mehr oder weniger hartnäckigen Widerstand entgegen. Dies muß aber um so begreiflicher erscheinen, als es wohl allgemein bekannt ist, daß die gesamte Amtsführung bei unseren Zentralstellen, gegenüber jener der Mehrzahl der Unterinstanzen, durchaus veraltet und rückständig
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war. Dabei aber war der Einberufene höchstens verdorben worden und konnte daher niemals als Gewinn für das Amt betrachtet werden, in das er nun zurückversetzt werden sollte. Diese Rückständigkeit in der Amtsgebarung der Zentralstellen ist ja oft, leider nur nicht genügend, im Parlament erörtert worden. Auch sie hatte ihren Hauptgrund in dem eben erwähnten Cliquewesen, dessen Streben hauptsächlich dahin gerichtet war, möglichst günstige Beförderungsverhältnisse zu schaffen. Also wurden mit Hilfe eines jeden neuernannten Ministers, dem der gesamte Geschäftsgang noch unbekannt war, neue höhere Stellen „systemisiert". Es ist fast unglaublich, wie viele ganz und gar überflüssige Sektionschefsstellen in den letzten Dezennien geschaffen wurden; im Ministerratspräsidium, als schlechtes Beispiel für alle anderen Zentralstellen, gar drei. Das naturgemäße Bestreben eines jeden, einmal in ein Ministerium Einberufenen war es, seine Tage im Schatten des Stephansdomes und im Genuße einer Sektionschefspension zu beschließen. Um so besser, wenn sein ursprünglicher Protektor, der ihn in das Ministerium gebracht hatte, auch noch ferner dafür sorgte, daß er nicht etwa wieder aus demselben hinausbefördert werde. War dieser Protektor nun ein einflußreicher Abgeordneter gewesen, dann nochmals besser, denn dann brauchte man den Mann nur durch kleine Gefälligkeiten warmzuhalten. Ich habe in den letzten Jahren meiner Amtstätigkeit als Statthalter leider auch bei meinen Beamten einzelne Fälle von unerlaubten Vertrautheiten mit Abgeordneten wahrgenommen und bin diesen stets entgegengetreten. Ein Bezirkskommissär wollte mit Hilfe eines Abgeordneten an Stelle eines von mir empfohlenen würdigeren Bewerbers durchaus in das Handelsministerium einberufen werden. Es gelang mir, diese feine Absicht zu vereiteln, wenigstens in diesem einen Fall. Ich wollte ein Bildnis Harteis geben und bin weit abgeschweift. Hier also ist es: gedrungene, „wohlgenährte Gestalt, etwas gekünstelte Würde in der Haltung, unterstützt durch einen Patriarchenkopf mit grauen Haaren und gleichem, üppigem Vollbart, meist freundlicher Gesichtsausdruck aus hellen, durch Brillengläser schauenden Augen. Amicus erat professorum, sed non sufficienter aegrorum. Wien, den 20. Februar
1919.
Erich G r a f K i e l m a n s e g g bei f e s t l i c h e m A n l a ß
Dr. R I C H A R D F R E I H E R R V O N B I E N E R T H (später G R A F B I E N E R T H - S C H M E R L I N G )
Richard Bienerth starb nach längerem Siechtum am 3. Juni 1918, und die Zeitungen brachten seine längst bei ihnen vorbereiteten Nekrologe, die zumeist und besonders was seine Ministerpräsidentschaft anbelangt, recht günstig für ihn lauteten. Ich besuchte hienach seinen Nachfolger auf dem Wiener Statthalterposten, Baron Bleyleben, um diesem den auch von mir gehegten Wunsch auszusprechen, daß wir beide, wenn uns der Tod von dieser verelendeten Welt abberufe, von der öffentlichen Meinung in einer relativ ähnlich günstigen Weise beurteilt werden mögen. Niemand lernt eines Beamten gute und schlechte Eigenschaften so genau kennen, wie sein unmittelbarer Amtsnachfolger. Das ist ein Erfahrungssatz. Bleyleben hatte mir über Bienerths eigentümliches Gebaren als Statthalter schon früher so manches mitgeteilt, jetzt aber zeigte er mir den neuesten, in der „Reichspost" erschienenen Nachruf auf Bienerth, der ihn in das höchste Erstaunen gesetzt hatte. Der Zyniker und große Egoist Bienerth war in diesem als frommer Christlichsozialer und Mustermensch geschildert, der sich seines nicht unbedenklichen Leidens bewußt, in seinem Schlafzimmer einen Hausaltar habe weihen und an diesem täglich die Messe habe lesen lassen. Bleyleben wußte hinzuzufügen, in demselben Schlafgemach habe Bienerth sein von ihm „erspartes, nicht weniger als drei Millionen Kronen zählendes Vermögen", damit es nicht auffalle, und vielleicht auch um den Staat um Gebühren zu prellen, seiner Frau überschreiben lassen. Koerber teilte mir mit, daß die Gräfin-Witwe dem N o t a r , der zur Todesfallsaufnahme in der Bienerthschen Wohnung erschienen war, erklärt habe, „es sei nichts zu inventarisieren, denn ihr Mann habe gar nichts Eigenes hinterlassen". Bienerth war ein echter Theresianist, reinste Schule Gautschs (siehe dort), der denn auch diesen seinen gelehrigen Schüler, nachdem derselbe kurze Zeit bei den politischen Behörden der Steiermark gedient hatte, in das Ministerium f ü r Kultus und Unterricht einberufen ließ. Er w a r nicht eben übermäßig begabt, von angenehmem Äußern und eben23 Goldinger, Kaiserhaus
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soldien Umgangsformen, auch ganz fleißig und redegewandt, so daß es ihm bald gelang, in das Präsidialbüro dieses Ministeriums berufen zu werden und nun die gewisse rapide Präsidialistenkarriere zu machen. 1899 war er sdion einer der rangältesten Ministerialräte dieses Ministeriums, seinen Vordermännern als möglicher Bewerber um eine Sektionschefstelle aber unbequem. Sein Protektor Gautsch, der damals schon nicht mehr Unterrichtsminister war, hätte ihn vielleicht diesem Ministerium erhalten wollen, Härtel aber, sein damaliger Nachfolger, dachte anders, enthob den Vizepräsidenten des niederösterreichischen Landesschulrates Marenzeller seiner Stelle und berief Bienerth auf dieselbe. Ich hatte Bienerth bis dahin nur sehr wenig gekannt und war nur einige Male mit ihm, dem Präsidialisten des Unterrichtsministeriums, zusammengekommen. Ich wußte nur, daß er ein Enkel Schmerlings sei, sich darauf etwas zugutehalte und eben als solcher für einen Liberalen der alten Schule gelte. Ob dieser Ruf ihm nicht seine Stellung bei dem Landesschulrat erschwerte, in dem damals bereits die Christlichsozialen über die Mehrheit verfügten? Auch eine andere Frage mußte ich mir noch vorlegen, ob Bienerth nämlich als mein Stellvertreter in der Leitung des Landesschulrates nicht mich und meinen Einfluß als Statthalter dort etwa ausschalten könne oder werde, indem er, seine engen Beziehungen zum Ministerium für Kultus und Unterricht fortsetzend, versuche, den Landesschulrat ganz im Sinne direkter Weisungen aus diesem Ministerium zu leiten. Als er sich mir zum Dienstantritt vorstellte, hielt ich ihm diese beiden Fragen vor und ermahnte ihn zu der ersteren, vorsichtig zu sein, den Christlichsozialen niemals schroff entgegenzutreten, dabei aber um so mehr darauf zu achten, daß entgegen ihren allzu „autonomen Tendenzen" nichts vom staatlichen Einfluß auf das Schulwesen verlorengehe. Dr. Albert Gessmann, der „Generalstabschef Luegers", w a r damals auch der Führer seiner Partei im Landesschulrat und eben dabei, die niederösterreichischen Volksschulgesetze im Landtag in dem Sinne novellieren zu lassen, daß dem Landesausschuß, in welchem Gessmann als Schulreferent tätig war, der maßgebende Einfluß auf das Volksschulwesen zufalle. Ich erhielt von Bienerth beide von mir gewünschten Zusagen und kann heute, nach 18 Jahren und nun als Pensionist den Blick nach rückwärts richtend, nicht behaupten, daß er sie nicht eingehalten hätte. In das Unterrichtsministerium ging Bienerth niemals ohne mein Vorwissen; er behielt mir alle mündlichen Verhandlungen mit diesem vor.
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Im Landesschulrat war er vorsichtig, hielt mich über alles politisch Wichtige auf dem laufenden und ließ midi die Verhandlungen mit Gessmann pflegen, als der Landesschulrat an den Entwürfen für die neuen Schulgesetze mitzuwirken und ich im Namen der Regierung gewisse Einschränkungen der allzu großen Begehrlichkeit der christlichsozialen „Autonomie" verlangen mußte. Und trotz alldem bin ich ganz unwillkürlich an der späteren Ministerlaufbahn Bienerths schuld. Er hatte sich nämlich im Landesschulrat Gessmann und dessen Parteigenossen gegenüber stets so höflich und zuvorkommend benommen, daß diese anfingen, den schlauen Streber als einen der ihrigen zu betrachten; und Gautsch erwies dieser Partei, die er zur Zeit seines Ministeriums von 1904 bis 1906 mit allen möglichen Mitteln an sich heranzog, einen Gefallen, als er im September 1905 den als liberal geltenden Unterriditsminister Dr. Ritter von Härtel entheben ließ und Bienerth als Sektionschef und Leiter des Unterrichtsministeriums an dessen Stelle berief. Sechs Jahre wirkte Bienerth als mein Stellvertreter im Vorsitz des Landessdiulrates. Es war das gerade jene Zeit, in welcher ich die vom Bezirkshauptmann Freiherrn von Hohenbruck zum Teil nach deutschen Mustern zusammengestellten Geschäftsvereinfachungen und Kanzleireformen erproben ließ und dann zur Gänze einführte. Zur Erprobung, auch bei der Zweiten Instanz, wählte ich zwei Statthaltereidepartements und den Landesschulrat. Bienerth ging mit Eifer und Verständnis auf meine Pläne ein und erreichte damit nicht nur meine Anerkennung, an der ihm damals noch gelegen war, sondern auch den Ruf eines expeditiven, modernen Beamten und noch mehr. Koerber, der Ministerpräsident, inspizierte alle meine Neuerungen eingehend. Ich ließ sie ihm durch Bienerth in den Räumen des Landesschulrates vorführen, der dann sehr stolz auf das reiche Lob und die Anerkennung des Regierungschefs war. Zu eben jener Zeit hatte ich auch das zweifelhafte Glück, Bienerths robuste Gemahlin Anka, eine Serbin, geborene von Lazarovich, kennenzulernen. Er hatte gebeten, sie meiner Frau vorstellen zu dürfen, und diese fand Gefallen an der so harmlos und bescheiden tuenden Beamtensgattin, daß sie diese einige Male zu den musikalischen Veranstaltungen in unserem Hause einlud und einigen Damen der Gesellschaft vorstellte. Und Anka tat noch immer so bescheiden und stammelte rührend Dankesworte. Bienerth war kaum ein Jahr Leiter des Unterrichtsministeriums, als Gautsch wegen der polnischen Schwierigkeiten bei seiner Wahlreform 23*
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demissionierte und seinen Wahlreformminister Bylandt mit zu demissionieren zwang. N u n folgte M a x Vladimir Freiherr von Beck als Ministerpräsident. Der eigentliche Spiritus rector aber f ü r die W a h l kreisgeometrie der Gautsch-Bylandtschen Reichsrats Wahlordnung, wenigstens f ü r Niederösterreich und die Alpenländer, d a n n auch f ü r alle Einschränkungen des allgemeinen Wahlrechts durch Seßhaftigkeit sowie für das komplizierte R e k l a m a t i o n s v e r f a h r e n anstatt einer ständigen Wählerliste und dergleichen, w a r Gessmann. Beck, vor die Aufgabe gestellt, die Wahlreform im Reichsrat durchzubringen, brauchte dazu natürlich auch die starke G r u p p e der Christlichsozialen, und namens dieser verlangten nun Gessmann u n d Lueger den Eintritt Bienerths in das neue Kabinett als Minister des I n n e r n . Während der mehr als zwei J a h r e währenden Tätigkeit Bienerths als Minister des Innern w a r Gessmann nicht nur in der Wahlrechtssache, sondern auch in anderen Fragen sein ständiger Inspirator. Bienerth w a r stets eine durchaus unselbständige N a t u r ; zu Hause w a r er ein ausgesprochener Pantoffelheld, der sich von seiner bösen, intriganten und habsüchtigen Frau die schlechteste Behandlung gefallen lassen mußte, und im Amt w a r er von seiner Umgebung abhängig. Er konnte heiter und beinahe ausgelassen werden, wenn er f e r n von der Frau einige Stunden auf einem öffentlichen Ball oder in einer geschlossenen Herrengesellschaft zubringen durfte. Diese Abhängigkeit von seiner Umgebung erklärt es auch, daß er die erbeingesessenen Präsidialisten des Ministeriums des Innern in allem, was nicht die eigentliche Parlamentspolitik betraf, schalten und w a l t e n ließ und sich ihrem Widerspruch gegen die E i n f ü h r u n g der Geschäftsreformen, f ü r die er beim Landesschulrat so sehr geschwärmt h a t t e , ohne weiteres fügte. Später fiel das noch ganz besonders auf, als nämlich Gessmann Minister f ü r öffentliche Arbeiten w u r d e und sein Ministerium ganz nach Bienerths Landesschulratmuster einrichtete. Als Minister des Innern hätte Bienerth eigentlich ein großes Feld f ü r Verwaltungsreformen vorgefunden. H a t t e er doch seinerzeit, als ich mein umfangreiches V o t u m zu Koerbers Studien zur R e f o r m der inneren Verwaltung abgab, mich gebeten, in dieses Einblick nehmen u n d demselben in seiner Eigenschaft als Vizepräsident des niederösterreichischen Landesschulrates eine k u r z e Ä u ß e r u n g beigeben zu dürfen. In dieser aber hatte er sich meinen R e f o r m p l ä n e n angeschlossen und, g a n z in deren Rahmen, kleine Einzelheiten bezüglich des Schulwesens h i n z u g e f ü g t . Er wollte eben damals, falls es zu den Koerberschen Ref o r m e n käme, sagen können, auch er sei ein Freund von solchen.
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Ich wartete, als Bienerth Minister des Innern geworden war, täglich auf irgendeine Initiative desselben auf dem eben gekennzeichneten Gebiet. Vergeblich, denn es zeigte sich nun, d a ß er das Gegenteil eines schaffenden Geistes war, vielmehr der echte österreichische Bürokrat, der nur um sein Fortkommen besorgt, die ihm zugeteilten Exhibite, womöglich nach dem Simile, erledigt, aber sonst dem „quieta non movere" huldigt. Wozu auch eine Verantwortung für eine Initiative und etwas Neues suchen, von der man doch nie wissen kann, wie sie von der Allgemeinheit aufgenommen werden wird, und die einem möglicherweise Verlegenheiten bereiten könnte? Als Minister des Innern huldigte er denselben Grundsätzen, mit denen er schon im Unterrichtsministerium so gut vorwärtsgekommen w a r ; möglichst wenig Regierungsvorlagen f ü r den Reichsrat, dann gibt es auch wenig Angriffspunkte für den Minister, der diese einbrachte. Die Abgeordneten mit ihren Wünschen freundlich und geduldig anzuhören und ihnen keine Zusagen zu machen, „evasive Termen", das war Bienerths Regierungskunst, die ihm obendrein noch das Lob der Öffentlichkeit eintrug, er habe nie, um Stimmen der Abgeordneten zu gewinnen, die Staatseinheit und die Staatsautorität schwächende Zugeständnisse gemacht. Diese seine Politik war ja bisweilen gar nicht übel; er ließ die Abgeordneten der verschiedenen Parteien und Nationalitäten ruhig untereinander raufen und trat nur als Mittler zwischen sie, wenn er gerufen wurde. Beck, sein Ministerpräsident, w a r anders geartet und gesinnt; er hatte entschieden Schaffensdrang und diesen schon als Beamter des Ackerbauministeriums bewiesen. Er hatte dort die agrarischen Operationen, nämlich die Zusammenlegung der Grundstücke und die Auseinandersetzung der Agrargemeinschaften mit den Ortsgemeinden, ins Leben gerufen, neue Jagdgesetze verfaßt und den Kampf mit den Fleischhauern und anderen volksausbeuterischen Lebensmittelgewerben Wiens aufzunehmen versucht. Als Ministerpräsident war er zwar unter anderem in der Wahlreformsache von einem gewissen Tatendrang beseelt, allerdings schon wegen seiner Vergangenheit nie der Mann der Christlichsozialen. Dazu kam, daß Beck und Gattin sich beim Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, unbeliebt gemacht hatten (siehe meine betreffende Monographie); Grund genug für Bienerth, möglichst wenig als Minister des Innern hervorzutreten, um sich bereit zu halten, im gegebenen Augenblick Becks Nachfolger zu werden. In meiner Monographie „Dr. Karl Lueger" werde ich schildern, wie Gessmann bei Wiederzusammentritt des Reichsrates im November 1908
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Beck zu Fall brachte und Bienerth sein Nadifolger wurde. Gessmann ging damals bei Franz Ferdinand im Belvedere ein und aus. Er verdankte diesen Zutritt zweifellos Bienerth, dem Minister des Innern, ebenso auch seine Berufung in das Kabinett Beck, zunächst im November 1907 als Minister ohne Portefeuille, schon damals aber mit der ausgesprochenen Absicht, eigens für ihn ein neues Ressortministerium, das „für öffentliche Arbeiten", zu schaffen. Das geschah denn auch alsbald; schon im März 1908 wurde es aktiviert und Gessmann zum „Minister für öffentliche Arbeiten" ernannt. Von Bienerth und Gessmann, dem „par nobile fratrum", kann man getrost sagen: manus manum lavat. Von dem ersten Tage an, an dem Bienerth durch Gessmanns Einfluß unter seinem alten Förderer Gautsch im September 1905 Leiter des Unterrichtsministeriums und dann gar im Kabinett Beck 1908 Minister des Innern geworden war, war Gessmann häufig bei ihm zu sehen. Man konnte kaum je in sein Vorzimmer kommen, ohne Gessmann dort zu begegnen. Der Letztere tat sich aber förmlich etwas zugute, der Welt zu zeigen, daß Bienerth „sein Mann" sei. Als er nun beschlossen hatte, selbst Minister zu werden, mußte Bienerth die Hand dazu bieten, daß er für sein neues Ressort der öffentlichen Arbeiten alle möglichen Agenden zusammenklaube, an denen er Gefallen gefunden, oder die er für politisch hielt, oder die er wohl auch für persönliche Zwecke glaubte ausnützen zu können. So kam es zu unglaublicher Ausplünderung des Unterrichts-, des Handelsministeriums und des Ministeriums des Innern selbst. Bienerth überließ Gessmann ruhig die technischen Departements des Ministeriums des Innern und brachte dieses dadurch um einen großen Teil seines doch aus allen möglichen Gründen notwendigen Einflusses auf die öffentliche Verwaltung im allgemeinen und die der Kronländer im besonderen. Nun hätte man allerdings meinen sollen, daß es doch Sache des Ministeriums des Innern und des ihm damals noch zugehörigen Hochbaudepartements gewesen wäre, die Baulichkeiten und die innere Einrichtung für das neue Ministerium für öffentliche Arbeiten zu beschaffen. Das aber waren Geschäfte, die Gessmann mit Hilfe eines Agenten namens Gaertner abschloß. Der Kauf zweier großer Zinshäuser für die Zwecke des neuen Ministeriums, deren Adaptierung mittels eines Verbindungstraktes und die innere Einrichtung soll so manches „abgeworfen" haben. Ich werde dem Minister Gessmann noch eine eigene Monographie widmen. Er blieb nur wenige Monate auf seinem Posten. In das von Bienerth gebildete Ministerium trat er nicht ein. Die politische Intrige
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als Abgeordneter — er wähnte sich damals bei Luegers Erkrankung schon als Führer der christlichsozialen Partei — und private Geschäfte boten ihm viel mehr Anreiz und Einkommen. U n d dann wußte er doch aus langer Erfahrung, daß der neue Ministerpräsident Bienerth ein ganz und gar gefügiges Werkzeug in seiner H a n d sein werde. D a war es doch viel gescheiter, sich von diesem eine Baubank konzessionieren zu lassen, als dessen Ressortminister zu sein! Man konnte abermals kaum je in Bienerths Vorzimmer kommen, ohne dort Gessmann zu begegnen. Und er tat sich nun noch mehr darauf zugute, nach außen als des Ministerpräsidenten Mentor zu erscheinen. Ein eigenes Erlebnis führte mir dies so recht vor Augen. Es handelte sich um die Verlängerung der nach dem Gesetz ablaufenden Funktion der Donau-Regulierungs-Kommission. Die von dieser beantragte Regierungsvorlage war im Reichsrat noch immer nicht eingebracht worden, obwohl Gessmann als Minister für öffentliche Arbeiten behauptet hatte, dieselbe fertiggestellt zu haben. Ich begab mich also mit dem administrativen Referenten der Donau-Regulierungs-Kommission, Sektionsrat Anton Fischer, zu Gessmann in dessen Büro im Landhaus, um uns über den Stand der Sache zu erkundigen. Er teilte uns mit, der Gesetzentwurf müsse sich im Ministerratspräsidium befinden; es handle sich in der Tat um eine dringende Angelegenheit, die flottzumachen sei. Mit diesen Worten trat er an das Telephon, ließ sich mit dem Ministerratspräsidium verbinden und rief in den Apparat: „Der Herr Ministerpräsident soll sofort zum Telephon kommen!" Und dann: „Sie, Bienerth, warum ist die Donau-Regulierungs-Vorlage noch immer nicht an den Reichsrat gelangt? Das muß sofort geschehen!" Bienerths Antwort hörte ich nicht, aber als Gessmann die Hörmuschel aus der Hand legte, sagte er uns mit wohlgefälliger Miene: „Die Vorlage erfolgt nächster Tage. Sie haben sich in dieser wichtigen Angelegenheit an den Richtigen gewandt, der mit dem Ministerpräsidenten umzugehen versteht!" Er beeinflußte damals so ziemlich alle Regierungsgeschäfte Bienerths und machte für ihn im Reichsrat Stimmung. Im letzteren hat er es übrigens auch selbst gar nicht so schlecht getroffen und sich mit mehrfachen Rekonstruktionen seines Ministeriums drei Jahre am Ruder erhalten. Seine oben von mir geschilderte Art zu „regieren", kam ihm dabei zustatten. Dem alten Kaiser Franz Joseph, der dem politischen Getriebe damals schon ziemlich gleichgültig gegenüberstand, seine Ruhe und nur ja keine grundstürzenden Änderungen im Staate haben wollte,
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war Bienerth, in seiner ruhigen Art zu reden und sich zu geben, nicht unangenehm. Er zeichnete ihn wiederholt aus und ernannte — eine außerordentliche Auszeichnung — Bienerths Anka, trotz ihrer ahnenlosen Herkunft, zur Palastdame. Das machte Aufsehen und gab zu vielem Gerede Anlaß. Es kursierte der Reim.
„Die A n k a ist Palastdam' word'n, Helene hat ein'n großen Zorn!"
Gemeint ist Helene Beck, die mit der Kaltstellung ihres Gatten die Hoffähigkeit wieder verloren hatte. Um nun wieder auf Bienerths „Geschäfte" zurückzukommen; er, der Vermögenslose, soll bei seinem Tode ein sehr beträchtliches Vermögen besessen haben. Gewährsmänner, die ihn genau kannten, nannten mir die Ziffer von drei Millionen Kronen. Es soll aus der Zeit seiner Ministerschaft stammen. Er und sie gaben sich von jener Zeit her übrigens nach außen den Anschein, reiche Leute zu sein. Sie trug die elegantesten Toiletten, alle Augenblicke neuen kostbaren Schmuck, und ihre stets in den Zeitungen ausgewiesenen Spenden zu wohltätigen Zwecken waren sehr namhaft. Ich weiß es von genau Informierten, daß diese Spenden zur Zeit der Ministerpräsidentschaft aus dem Dispositionsfonds durch Sieghart flössen. Ein solcher Fonds steht bekanntlich dem Statthalter nicht zur Verfügung. Als aber nach Kriegsausbruch die Wiener Blätter Extraausgaben über jede bedeutendere Nachricht herausgaben und diese im Wege der nach unserem veralteten Preßgesetz verbotenen Kolportage verbreiten ließen, ergab sich für Bienerth die Gelegenheit, sich einen kleinen Dispositionsfonds zu schaffen. Den Blättern wurde vorgeschrieben, von jedem verkauften Exemplar einer Extraausgabe zwei Heller zu Kriegswohltätigkeitszwecken an die Statthalterei abzuführen, widrigenfalls die Kolportage mit diesen Presseerzeugnissen eingestellt werden würde. Vizepräsident der Statthalterei, Ritter von Wagner, hatte mit diesen angesammelten Geldern zu tun. Er erzählte mir, d a ß diese etwa 100 000 Kronen jährlich ausgemacht hätten und daß Bienerth und Frau die namhaften unter ihrem Namen in den Zeitungen regelmäßig verlautbarten Spenden zu den verschiedenen Zweigen der Kriegswohltätigkeit aus diesen Sammelgeldern behoben hätten. Die Sache wurde ruchbar und kritisiert, worauf dann eine Einschränkung der Herausgabe von Extranummern der Blätter erfolgte. Bevor ich nun Näheres darüber sage, was mir die früher genannten ernsten Zeugen über den Vermögenserwerb Bienerths mitteilten, muß
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idi zu seiner teilweisen Ehrenrettung erwähnen, daß er ein nahezu bedürfnisloser M a n n ohne irgendeine der noblen Passionen war. J a g d , Turf und Spiel waren ihm fremd. Autotouren unternahm er erst, seit er Dienstkraftwagen zur Verfügung hatte, und auch von Weibergeschichten habe ich im Zusammenhang mit ihm nie gehört. Von dem Augenblidt an, als Richard Minister geworden war, legte seine Frau ihr bisher zur Schau getragenes Kleid der Bescheidenheit ab und wurde eine Streberin in des Wortes verwegenster Bedeutung. Sie drängte sich nun förmlich an die Spitze aller möglichen Wohltätigkeitsaktionen, protzte mit ihren Beiträgen sowie mit ihren eleganten Toiletten und ihrem prächtigen Schmuck. Es ist richtig, daß sie in ihren Wohltätigkeitsaktionen hohe Spenden zusammenbrachte. Ein jeder Auszeichnungswerber, und ihrer gab und gibt es bekanntlich immer viele, konnte sicher sein, ein kleines Billett von ihrer H a n d mit der Bitte um eine Spende für dieses oder jenes zu erhalten. D a s waren gewiß meist reiche Leute, aber auch jeder arme Ministerial- oder Statthaltereibeamte, von dem sie wußte, daß er Beförderung oder Einberufung in das Ministerium anstrebe, wurde vorher von ihr „eigenh ä n d i g " (welche Ehre!) angegangen und zu Wohltätigkeitsspenden erpreßt. Nicht wenige haben mir ihr Leid darüber geklagt, wie schwer sie das O p f e r treffe, das sie hätten bringen müssen und der hohen Chefesse doch nicht hätten ablehnen können. D a ß A n k a s eigenes Vermögen, der sorgenden Obhut Siegharts anvertraut, von seinen kleinsten oder kleinen Anfängen an zusehendst, durch Spekulationen gefördert, anwuchs, ist in Wien stadtbekannt. A n k a liebte aber auch schön eingerichtete Wohnungen. Ihre frühere Wohnung im sogenannten Sühnhaus am Schottenring w a r recht einfach. Neben der Amtswohnung im Ministerium des Innern, dann im Ministerratspräsidium und endlich in der Statthalterei, hielten sich die Bienerths noch eine Privat-Sommerwohnung in dem X a t p e überschriebenen H a u s unmittelbar vor dem Meidlinger T o r des Schlosses Schönbrunn, also in nächster N ä h e des Kaisers. Alle diese Wohnungen aber richtete der Baurat, dann Oberbaurat, Fieger der Staatsgebäudeverwaltung auf Staatskosten zuerst neu her und dann ein. Man staunte in Beamtenkreisen, wie solches ohne Beanstandung durch das Ministerium der öffentlichen Arbeiten und der Finanzen, auch des Obersten Rechnungshofes möglich sei. Wie Bienerth seinen Sektionschef (Singer) Sieghart loskriegte, indem er ihn nämlich mit H i l f e Gessmanns und Konsorten zum Gouverneur der Bodencreditanstalt hinaufbugsierte, habe ich in meiner Mono-
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graphie „Erzherzog Karl Ludwig und seine Söhne" geschildert und k a n n ergänzend nur noch beifügen, daß Frau A n k a damals in den Salons eifrigst intrigierte, um Siegharts Sache zu fördern. Es war nur Pflicht der Dankbarkeit seinerseits, wenn er, Gouverneur der großen Bank geworden, nun Ankas Vermögensverwalter w u r d e und durch gelungene Transaktionen, angeblich Spekulationen, sie „wohlhabend" machte. Wie aber Bienerth mein Nachfolger auf dem Statthalterposten in Niederösterreich wurde, ist in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" eingehend dargelegt, und wie er mich dann auch von der Leitung der Donau-Regulierungs-Kommission „entheben" ließ, steht unter „Paul Gautsch Freiherr von Frankenthurn" anschaulich zu lesen. Anläßlich der letzten Begebenheit kam mir zum erstenmal Bienerths recht reger Erwerbssinn zu Bewußtsein. E r trat als geschäftsführender Vorsitzender an die Spitze der Donau-Regulierungs-Kommission, indem er mit den Mitgliedern eine Stromschau abhielt. Auf dem Schiff wurde eine Sitzung abgehalten, um ihm eine erhöhte Funktionszulage zu bewilligen; das heißt, nicht nur f ü r ihn, auch f ü r seinen neuen Stellvertreter, den Sektionschef des Ministeriums f ü r öffentliche Arbeiten, Lauda, da es ihm, dem Statthalter, doch an der Zeit gebrechen werde, die Akten der Donau-Regulierungs-Kommission zu revidieren und zu approbieren. U n d richtig, er hat sich in der Zukunft nie um diese Geschäfte gekümmert, hödistens das eine oder andere Mal den Vorsitz beim Zusammentritt der Kommission geführt und d a f ü r 8000 Kronen eingesteckt. Als Bienerth die Leitung der Statthalterei nach seinem Erholungsurlaub wirklich übernahm, geschah dies, ich muß das ausdrücklich anerkennen, in einer f ü r midi schmeichelhaften Weise. Er rühmte den versammelten Beamten gegenüber meine Art, die Geschäfte zu führen; an dieser müsse, was Form und Ziele der einzelnen Abteilungen betreffe, unbedingt festgehalten werden. Alsbald aber ergab sich folgender Unterschied. Ich hatte meine Beamten und namentlich die Referenten insofern etwas verwöhnt, als ich sie zu jeder Zeit des Tages empfing, um ihre Vorträge anzuhören, Geschäftsfälle mit ihnen zu besprechen und sofort Weisungen zu erteilen, wie diese zu erledigen seien. Das kostete mich stets sehr viel Zeit, denn schwache Referenten kamen auch wohl mit Lappalien. Ich kann nicht leugnen, daß ich, namentlich in den letzten Jahren meiner Statthalterschaft und schon älter und der frischen Luft bedürftiger geworden, unter dieser Last der Geschäfte litt.
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Bienerth trat sein Statthalteramt schon recht leidend an und wollte und mußte sich Ruhe gönnen. Er ließ also seinen Herren erklären, sie seien seine Räte und hätten ihm fertig ausgearbeitete Erledigungen vorzulegen. Vorträge zu mündlichen Weisungen seinerseits wünsche er nicht. In Ausnahmefällen werde er sie wohl empfangen, doch behalte er sich die Stunde des Empfanges zu bestimmen vor. Er bestimmte dann zumeist Abendstunden, was für die Beamten bedeutete, von ihren oft entfernten Wohnungen aus ein zweites Mal in ihr Büro in der Statthalterei zurückzukehren. Mit dieser Anordnung schaffte sich Bienerth seine Referenten ziemlidi gründlich vom Halse. Die fertigen Ausarbeitungen, die sie ihm vorlegten, unterschrieb er entweder, oder wenn die Sache ihm wichtig oder zweifelhaft erschien, berief er den Referenten, den Approbanten (Hofrat, Vizepräsidenten) und vielleicht noch einen Rat zu einer Komiteebesprechung, bei der er nur fragte, aber keine Meinung von sich gab. Er wußte nämlich genau, wie wenig er von der eigentlichen politischen Verwaltung verstand und wollte sich keine Blöße geben. Als bald nach Bienerths Antritt der Statthalterschaft der schwache Dr. Neumayer den Wiener Bürgermeisterposten dem geriebenen Dr. Weiskirchner, Bienerths ehemaligem Ministerkollegen, hatte überlassen müssen, konnte er sich die Sache, zumal sein leidender Zustand zunahm, noch leichter machen, indem er zweifelhafte Akten dem Bürgermeister und Führer der christlichsozialen Partei zur Entscheidung zusandte. Das hatte den doppelten Vorteil für ihn, daß er sich schonen konnte und obendrein noch sicher war, von der die Herrschaft im Lande Niederösterreich besitzenden Partei unbedingt gestützt und gehalten zu werden. Die alten Beamten der Statthalterei, denen ich diese Einblicke verdanke, schüttelten zwar bedenklich den Kopf zu dieser Abhängigkeit vom Wiener Rathaus, aber Bienerth wurde Ehrenbürger von Wien, und Leopold Steiner, der gescheite Obmann des Wiener Bürgerklubs und ehemalige Zimmermalergehilfe, geadelt. Weiskirchner hätte damals den Freiherrenstand erhalten sollen; alles war schon vorbereitet, als er im letzten Augenblick bat, davon Abstand zu nehmen. Der Handel wäre zu auffällig geworden und der Freiherrenstand hätte Weiskirchner bei seinen Wählern, den Kleingewerbetreibenden, denn doch schaden können. Diese Standeserhöhung wurde also im freundlichen Einvernehmen vertagt. Der Nachfolger Bienerths im Statthalteramt war Freiherr Oktavian von Regner-Bleyleben. Kaum war dieser in die Statthalterei eingezogen, als er mich bat, die Amtswohnung zu besichtigen. Dort fragte
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er mich, wieso diese so kahl sei, zu meiner Zeit sei sie doch reich eingerichtet gewesen. Ich sah nun manche „ärarische Einrichtungsstücke, die nicht mehr da waren". Meine Auskunft k o n n t e nur dahin lauten, d a ß Baurat Ender bei meinem Abgang auf G r u n d des ordentlich g e f ü h r t e n Inventars alle Stücke vor mir übernommen habe. Bleyleben stellte d a n n fest, daß ein solches I n v e n t a r nicht mehr existiere! Er h a t es aber unterlassen, von Gräfin A n k a Teppiche u n d Möbelstücke zu reklamieren. M a n h ö r t in neuester Zeit viel von K o r r u p t i o n u n d Bestechlichkeit. D i e vielgepflegte und durch Staatsgesetze geschützte Religion vermochte diesen Übeln keinen Einhalt zu tun. Es zeigt sich mehr u n d mehr, d a ß Religion und Frömmigkeit oft nur Aushängeschild f ü r besseres F o r t k o m m e n oder bei gläubigen Seelen eine Assekuranz f ü r ein besseres Leben nach dem T o d e ist. Das ist auch eine A r t Egoismus, ebenso wie der Selbsterhaltungstrieb des Menschen f ü r das irdische Leben. Die Lebensmittelnot und die Teuerung stören die Selbsterhalt u n g zahlreicher Menschen, die nun Religion und anerzogene moralische G r u n d s ä t z e beiseitewerfen, um das N ö t i g e zur Selbsterhaltung zu erraffen, w o und wie immer sich nur die Gelegenheit dazu bietet. D e r N o t l e i d e n d e stiehlt und läßt sich bestechen. D a s ist wider die Staatso r d n u n g , aber leider erklärlich. Dieses Übel w ä r e aber nicht so arg geworden und hätte nicht mit so erstaunlicher Schnelligkeit u m sich gegriffen u n d die weitesten Kreise der Bevölkerung und der zur W a h r u n g der öffentlichen Interessen berufenen Beamtenschaft e r f a ß t , hätten nicht böse Beispiele vom Beginn des Weltkriegs an u n d selbst noch vor dessen Ausbruch mitgewirkt. In meiner 1916 geschriebenen Monographie über Minister Bacquehem e r w ä h n t e ich eine Begegnung mit diesem, bei welcher er mir unter anderem auch eine Schilderung von Bienerths K o r r u p t i o n aus der Zeit v o n dessen Ministerschaft e n t w a r f , die ich damals f ü r übertrieben hielt. Diese Anschauung kann ich heute nicht mehr aufrechterhalten; Bienerth w a r , durch seine Frau verleitet, arg k o r r u p t geworden und hat als Ministerpräsident der gesamten, namentlich aber der höheren Beamtenschaft, der seine „Geschäfte" nicht verborgen bleiben konnten, das böseste Beispiel gegeben. Eben will das Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuß zur P r ü f u n g der Holzabstockungs Verträge des Ackerbauministeriums einsetzen. Was alles Ähnliches w i r d nicht noch nachfolgen? Geschrieben im September
1918.
Dr. K A R L
LUEGER
Ich beschäftige mich während des Weltkriegs damit, Erinnerungen über hervorragende Persönlichkeiten zu Papier zu bringen, mit welchen ich in meiner Dienstlaufbahn in nähere Beziehungen trat. Etwas länger als Jahresfrist währt jetzt der Krieg, und ich muß mich zunächst fragen, ob Dr. Karl Lueger, der vor nicht gar langer Zeit das U m und Auf der Wiener war, heute überhaupt noch als hervorragende Persönlichkeit gelten kann, so sehr hat der Krieg unsere Anschauungen über alles und jedes über den H a u f e n geworfen. Wer spricht heute noch von Lueger und den Zielen seiner wienerischen Politik? Aber immerhin, es wird wohl wieder von ihm die Rede sein, und durch meine Darstellung kann sein lokalhistorisches Bild vielleicht in einigen charakteristischen Zügen ergänzt werden. Dr. Karl Lueger wollte durchaus Bürgermeister seiner Vaterstadt werden. Ein starker Wille und ein angeborener Instinkt, die jeweilige Volksstimmung förmlich zu erraten und für diese das richtige Schlagwort zu finden, ließ ihn sein Ziel glänzend erreichen. Er war damit f ü r einige Jahre das angestaunte und angejubelte Idol seiner Wiener, die ihn gern als Ministerpräsidenten, auch als D i k tator — oder gar als ihren Landesherrn gesehen hätten. Wurde er doch oft nach einer seiner Volksreden derart angejubelt und, wenn er öffentlich auftrat, mit Hochrufen traktiert, daß der angestammte Landesherr Eifersucht empfand und dieser unverhohlen Ausdruck gab. Ich lernte Lueger 1881 kennen, als ich Bezirkshauptmann in Sechshaus war und das englische (Fogertysche) Projekt der Wiener Stadtbahn kommissioniert wurde. Bei den damaligen Begehungskommissionen war die Gemeinde Wien durch einige Magistratsbeamte und Gemeinderäte — unter den letzteren auch Lueger — vertreten. Er fiel mir sofort durch sein etwas präpotentes Wesen und die Sucht, im Namen der Gemeinde das große Wort zu führen, auf. Diese opponierte von allem Anfang an gegen das Projekt. Lueger gefiel sich darin, die unglaublichsten Einwendungen gegen technische Einzelheiten des an sich doch vorzüglich ausgearbeiteten Projektes vorzubringen. Als ich ihn über
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Dr. Karl Lueger
den Grund seiner intensiven Opposition gegen die Stadtbahn befragte und kein Hehl daraus machte, daß diese, meiner Ansicht nach, Wien erst auf das Niveau anderer Großstädte erheben werde, gestand er mir mit größter Offenheit, im Gemeinderat säßen 80 Prozent Gemeinderäte, die Hausherren seien, und wenn eine Stadtbahn das Wohnen in den Vororten oder der noch weiteren Umgebung Wiens gestatte, so würden die Wohnungszinse in Wien fallen. Er vertrete bei unseren Kommissionen als Gemeinderat nur das Interesse der Wiener Hausherren u n d werde alles daransetzen, daß die Stadtbahn Projekt bleibe. Alle übrigen Vertreter der Gemeinde Wien würdigten das Projekt mehr oder weniger, aber Lueger wußte einen derartigen Terrorismus auszuüben, daß, als es sich um die Abgabe der Schlußäußerung handelte, alle Wiener Vertreter obstruierten — auch der Magistrat. Damit aber doch ein den Vorschriften entsprechendes Kommisionsgutachten der politischen Behörde Erster Instanz zustande komme, war die Statthalterei gezwungen, mich als den Vorsteher dieser Behörde f ü r die Wiener Vororte zu beauftragen, dieses Gutachten gleichzeitig auch mit f ü r die Gemeinde Wien abzugeben. Das Projekt war gut, aber die Wiener Vertreter hatten so viele Begehren nach kostspieligen Ergänzungen desselben gestellt, daß die englischen Unternehmer, wenn diese ausgeführt werden müßten, wohl mit Recht an der Rentabilität ihrer Stadtbahn zweifeln mußten. Dazu kam, daß der Grundgedanke des Projektes war, alle in Wien einmündenden großen Eisenbahnen in einem Zentralbahnhof zu vereinigen, von dem aus dann auch die Stadtbahnlokalzüge hätten verkehren sollen. Die Niveaulage der Wiener Hauptbahnen bedingte aber, d a ß die derart geplante Stadtbahn als Hochbahn geführt werde. Als die Regierung den Engländern die Konzession für ihr Unternehmen erteilt hatte, benützten nun Lueger und seine Hausherren obiges Argument zur heftigsten Agitation gegen die Stadtbahn. Es wurde am Schwarzenbergplatz eine Schablone des Hochbahn-Viaduktes aufgestellt und nun Stimmung d a f ü r gcmacht, d a ß dieser Viadukt auf eisernen Säulen das Stadtbild verschandeln werde. Die Engländer, schon früher kopfscheu, verzichteten nun auf die Ausübung ihrer Konzession. Ich war inzwischen nach Czernowitz versetzt worden und kehrte erst 1886 nach Wien zurück. Während mit der Einsetzung der Regierung Taaff e-Dunajewski durch den Kaiser den Liberalen im Abgeordnetenhaus das Heft aus der H a n d genommen worden war, hatte diese Partei doch noch die Herrschaft im niederösterreichischen Landtag und im Wiener Rathaus behalten.
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Dr. Karl Lueger
Lueger, der damals die christlichsoziale Partei noch nicht gegründet hatte, vielmehr sich im Gemeinderat als reiner D e m o k r a t gerierte, hatte aber mit seinem feinen politischen Instinkt erkannt, daß in der Wiener Wählerschaft vielfach Unzufriedenheit mit ihren
Mandats-
trägern im Gemeinderat herrsche. Das aber hatte seinen Grund wohl hauptsächlich darin, daß die liberale Majorität der Gemeindevertretung eine A r t Clique bildete, die allmählich die Fühlung mit den breiteren Schichten der Wählerschaft verlor, jüngere, aufstrebende Elemente nicht aufkommen
lassen wollte, j a
vielmehr
Gemeinderatskandidaturen
ganz einseitig durch ein Wahlkomitee aufzustellen beliebte, an dessen Spitze sich der Gemeinderat Matzenauer, ein Juwelier der inneren Stadt, befand. In diese Verhältnisse bekam ich Einblick, als ich im J a h r e 1889 zum Statthalter in Niederösterreich ernannt wurde. Damals war Uhl Bürgermeister, er war alt und trat sehr bald hierauf von seinem Posten zurück. Lueger hätte damals vielleicht einige Aussicht gehabt, zum Bürgermeister gewählt zu werden, wenn er sich der erwähnten Clique angeschlossen hätte; da er das aber nicht tat, wählte diese seinen alten Konkurrenten für kommunale Würden, den Vizebürgermeister D r . J o hann Nepomuk P r i x , zum Stadtoberhaupt. Gegen diesen trat Lueger nun in die heftigste Opposition und bildete aus allen der Clique nicht angehörenden Elementen des Gemeinderates und namentlich auch der Wiener Wählerschaft, nachdem er für die Clique den Spottnamen „Judenliberale" erfunden hatte, die neue christlichsoziale Partei. Sie w a r natürlich aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt: unzufriedene junge Liberale, Demokraten, denen die sogenannten Altliberalen zu kapitalistisch erschienen, Deutschnationale, die mit Schönerer an der Spitze schon früher den Antisemitismus in ihr Programm aufgenommen hatten, Alldeutsche, das sind die nicht gar zahlreichen deutschen Irredentisten, und endlich alle Schattierungen
der
kon-
servativ-klerikalen Partei. Es muß noch heute beinahe als ein Wunder angestaunt werden, daß es Lueger gelang, aus diesen, so verschiedenartigen Zielen zustrebenden Menschen eine kommunale Partei zu bilden, die anfangs nur im R a t haus, gar bald aber auch in ganz Niederösterreich geschlossen auftrat. Den Altliberalen
die Herrschaft zu entreißen, war der
einigende
Gedanke, alles andere sollte sich später finden. Luegers für die neue Partei entworfenes Programm bestand aus nur wenigen, die Massen ködernden Schlagworten, sein eigenes aber blieb, mit H i l f e derselben Bürgermeister von Wien zu werden. Wie er seine demagogische, die
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Volksleidenschaften geradezu aufpeitschende Rednergabe in Gemeinderatssitzungen, namentlich aber in Volksversammlungen und Wirtshäusern, überaus fleißig ausnützte, um sein Ziel zu erreichen, geben die Zeitungsberichte und stenographischen Protokolle der damaligen Gemeinderatssitzungen wieder. Alle diese Reden waren meist seicht, auf den Augenblickserfolg berechnet, und stets voller Sarkasmen und seine Gegner dem Spotte preisgebenden Bemerkungen und Witzen. Dem sei beigefügt, daß Lueger ein wohltönendes und kräftiges Organ hatte und mit dem einen Auge ein kleinwenig schielte. Die ironisierenden Einstreuungen in seiner Rede wurden durch seinen Gesichtsausdruck dann besonders packend. Bald nach Prix* Wahl zum Bürgermeister trat an diesen und den Wiener Gemeinderat sowie dann auch an den niederösterreichischen Landtag die von mir aufgeworfene Frage der Vereinigung der Vororte mit Wien heran. Das war für Lueger allerdings eine arge Verlegenheit. Er verhielt sich in dieser Frage anfangs ziemlich passiv. Er mußte sich ja sagen, daß die Vereinigung der Vororte, die von Wien durch den mächtigen Verzehrungssteuerwall getrennt waren und jede Entwicklung der Reichshauptstadt gar so sehr hemmten, der lange gehegte Wunsch jedes guten Wieners sei, während anderseits, wenn dieses große Werk mit H i l f e der Liberalen in der Wiener Gemeindevertretung und im Landtag durchgeführt werde, diese sich damit nach außen einen solchen Erfolg sichern würden, daß seiner neuen Partei möglicherweise keinerlei Aufschwung mehr blühen könnte. Wie es mir endlich gelang, Prix und seine Leute, die ich doch zur Durchführung meines Planes in erster Linie brauchte, f ü r diesen zu gewinnen, schildere ich vielleicht einmal an anderer Stelle. Als es aber geschehen war, blieb Lueger nichts anderes übrig, als gegen die Vereinigung der Vororte zu opponieren; er tat dieses aber, ohne sich selbst irgendwie dabei zu exponieren. Unmittelbar vor der Beratung des neuen Wiener Gemeindestatutes im Landtag mußte dieser neu gewählt werden, und nun wollten zahlreiche Angehörige der Luegerschen Partei sich Landtagsmandate verschaffen und glaubten mit Recht, sich diese am leichtesten in den Wiener Vororten ergattern zu können, wenn sie dort die der Vereinigung abholden Elemente in ihrem Widerstand gegen die Vergrößerung Wiens bestärkten und eine, wie sich dann herausstellte, wüste, mit faustdicken Lügen arbeitende Agitation dagegen entfachten. An der Spitze dieser Mandatsjäger marschierte der in der Wiener Lokalchronik sattsam bekannte Mechaniker Ernst Schneider. Er erlangte im Gerichtsbezirk Sechshaus das Landtagsmandat und
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spielte nachmals in der Luegerschen Partei noch eine große, dem Führer nicht immer angenehme Rolle. Aber damals ließ Lueger alle diese M a n datsjäger in ihrer direkt gegen die Lebensinteressen Wiens gekehrten Agitation ruhig gewähren, ja er unterstützte dieselbe sogar, erhoffte er sich doch einen Einzug seiner Partei in den Landtag in großer numerischer Stärke, und er hatte sich nicht verrechnet. N u n mußten aber alle diese neuen Mandatsträger im Landtag, in Konsequenz ihrer Agitation gegen die Vereinigung der Vororte mit Wien bei den jüngst stattgehabten Wahlen, der betreffenden Gesetzesvorlage die heftigste O p p o sition machen. Diese aber erschien ziemlich aussichtslos, da Prix u n d die Liberalen im Landtag noch immer die Majorität hatten. Sie verlangten also die Obstruktion dagegen, und diese mußte nun ihr Führer Lueger, obwohl in seinem Innern ein warmer Freund der Vereinigung, organisieren und kommandieren. Er zog sich sehr schlau aus der Affäre, indem er seine Mirmidonen gegen die Vorlage wettern ließ, so viel und so lange sie wollten; er selbst ergriff aber das Wort nur selten, sei es zu einer persönlichen Polemik mit mir als dem Regierungsvertreter — was sich ja nach außen immer recht gut macht und den unabhängigen Politiker hervorkehrt — sei es, daß er die eine oder andere Bestimmung des neuen Statuts angriff. Besonders von einem Stadtrat, mit dessen Hilfe er dann später seine Alleinherrschaft in Wien so prächtig zu bemänteln wußte, wollte er nichts hören. Durch diese Obstruktion zog sich die Landtagssession 1890/91 viele Monate in die Länge. Das mußte Lueger sehr recht sein. Seine Parteigenossen waren ja meist kleine Leute, und denen taten 300 Gulden monatlicher Diäten sehr gut. Als es aber zur Schlußabstimmung über das Gesetz kam, erwog Lueger seine Zukunftsaspiration auf den nun viel bedeutenderen Bürgermeisterposten Wiens sehr wohl, indem er erklärte, gegen die Vereinigung der Vororte in Wien habe er nichts einzuwenden, seine Opposition habe sich nur gegen eine Reihe von Bestimmungen des Statuts f ü r die erweiterte Gemeinde Wien gekehrt. Zum Bürgermeister des erweiterten Wien wurde begreiflicherweise Prix wiedergewählt, und nun f u h r Lueger fort, diesem und seinen Leuten im Gemeinderat das Leben in jeder Weise sauer zu machen. Seine Opposition war dabei zynisch und oft auch sachlich ungerechtfertigt, im persönlichen Angriff auf Prix aber meist ironisierend u n d höhnend. Prix w a r auch recht eitel, und, seit er Bürgermeister des erweiterten Wien geworden war, von einem gewissen Größenwahn befallen, der ihn 1891 anläßlich der wegen des Ausbruches der Cholera in Wien zu 24 Goldinger, Kaiserhaus
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ergreifenden Maßregeln in argen Konflikt mit der S t a t t h a l t e r n brachte u n d , da er geschlagen aus diesem hervorging, seinem Ansehen wesentlich schadete. Die ewigen Angriffe Luegers aber n a h m er sich gar sehr zu H e r z e n , u n d es hieß, als er nach wenigen J a h r e n einem Schlaganfall erlag, Lueger sei schuld an seinem vorzeitigen Tode. Lueger handelte mit dem Zynismus u n d Sarkasmus in seinen Reden z i e l b e w u ß t ; er kannte seine Wiener genau, die an jeder „ H e t z " ihre F r e u d e haben und so gern einem ausgesuchten Grobian mit den Worten A n e r k e n n u n g zollen: „ D e r hat's eam aber urdentli g'sagt!" D i e einfache Grobheit, ja oft nur Gemeinheit in ihren öffentlichen R e d e n , ließen sich nun auch zahlreiche der Luegerschen P a r t e i m a n n e n angelegen sein, sie glaubten, seinem Beispiel durchaus folgen zu müssen, übersahen aber dabei allerdings, d a ß Rohheit allein doch etwas anderes ist als höhnender Sarkasmus, der immer mit etwas W i t z u n d Geist vorgebracht zu werden hat. D i e ganz unglaublichen Szenen im Wiener Gemeinderat u n d im niederösterreichischen L a n d t a g des letzten Dezenniums des 19. J a h r hunderts finden damit ihre E r k l ä r u n g . Dieses Auftreten Luegers allein brachte ihn aber seinem ersehnten Ziele noch kaum merklich näher, glückliche Zufälle m u ß t e n dazu mitw i r k e n . Diese aktenmäßig zu schildern, m u ß ich etwas weiter ausholen. Die Regierung hatte geglaubt, daß der gleichzeitig mit der Vereinigung der Vororte mit Wien in K r a f t tretende neue Verzehrungssteuertarif, der billiger w a r als der f r ü h e r e und eine ganze Reihe f r ü h e r besteuert gewesener Verbrauchsartikel nun steuerfrei nach Wien eintreten ließ, zur Verbilligung führen u n d den Konsumenten nützlich sein werde. D a r i n aber hatte man sich gründlich getäuscht. Nicht einer dieser Artikel ging im Preis herab u n d die Lebensmittel- u n d anderen H ä n d l e r in den nun einverleibten Vororten, die bis dahin zu niedrigeren Preisen verkauft hatten, n a h m e n die erhöhten Wiener Preise auf, w o r ü b e r die Konsumenten mit Recht klagten. Diese Preistreiberei, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der heutigen h a t t e , f ü h r t e zu vielfachen Beratungen in der Statthalterei, wie dem Ü b e l beizukommen sei. Diese Beratungen aber mußten so ziemlich alle zu dem Ergebnis f ü h r e n , d a ß die Staatsverwaltung in dieser Beziehung machtlos sei, weil unsere kurzsichtigen Gemeindegesetze die Lebensmittel- und Marktpolizei dem selbständigen Wirkungskreis der Gemeinde zugewiesen hatten. Es blieb daher nichts anderes übrig, als den Wiener Magistrat und, um die Bedeutung der Sache besser zu betonen,
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den Vorsteher dieser Behörde, den Bürgermeister selbst, in verschiedenen Erlässen immer wieder aufzufordern, die autonome Polizeigewalt zu handhaben, damit die willkürliche und ungerechtfertigte Verteuerung der Lebensmittel und täglichen Gebrauchsgegenstände ein Ende nehme. Bürgermeister und Magistrat taten nichts oder antworteten mit Ausflüchten. Nur ein Beispiel in dieser Beziehung und aus jener Zeit, in der die Semmeln immer kleiner wurden. Es war, um die ärmsten Konsumenten vor dem Brotwucher zu schützen, von der Gemeinde verlangt worden, die Bäcker dazu zu verhalten, wenigstens eine Gattung einfachsten Gebäcks gewichtsweise unter Angabe des Preises feilzuhalten. Diese billige Forderung konnte niemals durchgesetzt werden, obwohl sie jahrelang immer wieder erneuert wurde und das Ministerium des Innern sich ihr angeschlossen hatte. So manche Bäckermeister waren damals einflußreiche Mitglieder der Gemeinderatsmajorität, aber ihre eigentliche Stütze bildeten doch die Fleischhauer, und zwar insofern, als deren Einfluß bei den Wahlen durch ihre geschäftlichen Beziehungen zu Gastwirten und Lebensmittelhändlern usw. noch größer war. Die Wiener Fleischhauer hatten nun zu dieser Zeit den Nachlaß an Verzehrungssteuer einfach „breitgeschlagen" und die Fleischpreise sogar gesteigert. Dem mußte vor allen Dingen Einhalt getan werden und die Statthalterei hatte daher unter anderem von Bürgermeister und Magistrat verlangt, die Fleischstände der Fleischhändler auf den öffentlichen Märkten zu vermehren, billiger zu vermieten und den großen Fleischmarkt derart zu organisieren, daß daselbst nicht nur ganze oder halbe Tiere, sondern auch kleinere Teile oder Fleisch in beliebig großen Stücken abgegeben werden könne, damit auch kleinere Konsumenten billig einzukaufen vermöchten. Prix tat auch in dieser Richtung nichts; er berief sich auf den Widerstand der Fleischhauer und deren Gewerbeberechtigung, das Fleisch kunstgerecht zu zerteilen; sie nannten es: „bankmäßig herzurichten". Als nun verschiedene Gegenargumente in Erlässen der Statthalterei an Bürgermeister und Magistrat nichts fruchteten, sandte ich dem ersteren eine Art Ultimatum, den Widerstand der Fleischhauer zu brechen, widrigenfalls ich an die Öffentlichkeit appellieren und selbst Maßregeln ergreifen würde, um durch den freien Handel mit Fleisch den Fleischhauern eine wirksame Konkurrenz zu schaffen. Nun erschien Prix bei mir mit der Bitte, daß ich, wenn er schon einigen meiner Forderungen durchaus entsprechen müsse, doch den Fleischhauern selbst erklären möge, daß diese Maßregeln nicht von der Gemeinde ausgingen, vielmehr nur 24*
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Forderungen der Staatsgewalt entsprächen; er dürfe es sich nun einmal als gewähltes Oberhaupt der Gemeinde mit den Fleischhauern nicht verderben. D a ich natürlich keine solchen Rücksichten auf die Herren Fleischwucherer zu nehmen hatte, ersuchte ich Prix, die Genossenschaftsvorstehung der Fleischhauer zu mir zu senden. Diese erschien wenige T a g e später mit ihrem Vorsteher H e r r n Wimmer, einem liberalen K o m munalpolitiker, an der Spitze bei mir, und ich erklärte den Herren kurz und bündig, daß die Stimmung der breitesten Schichten der Bevölkerung in Wien gebieterisch niedrigere Fleischpreise erheische und daß diese Forderung in jeder Beziehung gerecht sei; die Fleischhauer mögen dieser Rechnung tragen, wie sie glaubten, es tun zu können; im übrigen müßten sofort auch Maßregeln ergriffen werden, um durch Vermehrung der Fleischverkaufsstände auf den Tagesmärkten und dergleichen dem V o l k den billigen Fleischeinkauf zu ermöglichen. Einwendungen widerlegte ich sofort; ich war gut über die Verhältnisse und Praktiken im Wiener Fleischhauergewerbe informiert. Ziemlich kleinlaut verließ mich die Vorstehung, und vom Rathaus erflossen nun einige, aber g a n z ungenügende Maßnahmen auf diesem so wichtigen Approvisionierungsgebiet. K u r z hienach war in den Zeitungen zu lesen, H e r r Wimmer habe sein A m t eines Vorstehers der Genossenschaft niedergelegt; fast gleichzeitig erschien die N o t i z , ein Wiener Fleischhauer (!) namens Hütter kandidiere für ein Gemeinderatsmandat im zweiten Wiener Gemeindebezirk (Leopoldstadt) auf G r u n d des antisemitischen Wahlprogrammes. D i e E r k l ä r u n g für diese höchst auffällige Erscheinung sollte bald folgen. Es f a n d zu jener Zeit im großen S a a l des Etablissements Colosseum in der Schönbrunner Straße (heute Mariahilfer Straße) eine große Fleischhauerversammlung statt, bei der der „Gewerberetter", Mechaniker Schneider, das große Wort führte und auseinandersetzte, Prix begünstige den freien Fleischhandel, sei liberal und ein Feind des Gewerbes; für dieses und besonders für die Fleischhauer sei das Heil nur bei der antisemitischen Partei und Lueger zu suchen. Schließlich wurde eine förmliche Wahlkapitulation aufgesetzt und unterfertigt, nach welcher sich die durch Schneider und Konsorten vertretene neue Partei verpflichtete, nichts gegen die Interessen oder die Einsprache der Fleischhauer zu unternehmen, sobald sie mit H i l f e dieser und der von ihnen abhängigen anderen Gewerbetreibenden an das R u d e r komme. Ein neugieriger liberaler Kellner des Colosseums hatte den Inhalt der Wahlkapitulation erlauscht, und so wurde dieser tags darauf der
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Statthalterei bekannt. Über diese für die Herrschaft im Rathaus beinahe entscheidende große Versammlung haben die Wiener Blätter meines Erinnerns damals gar nichts gebracht. Nach abgeschlossener Kapitulation wählten die Herren Fleischhauer alsbald den neuen antisemitischen Gemeinderat Hütter zu ihrem Genossenschaftsvorsteher. Die Ratten verließen das Schiff der Liberalen, und ich wußte nun, daß es leck geworden sei. Nach Prix' plötzlichem Tod wurde D r . Grübl f ü r kurze Zeit Bürgermeister, er brachte nur noch eine geringe Majorität auf, wußte aber vielleicht nicht genau, wie es um die Fleischhauer stehe, denn bei dem ersten Besuch, den er mir in seiner neuen Eigenschaft machte, bat er mich dringend, nicht weiter auf eine zu weit gehende Abänderung der Fleischmarktordnung zu bestehen; er hoffe, bei den nächsten Gemeindewahlen doch noch auf die Stimmen der Fleischhauer und ihres Anhanges, bei dem Geringsten aber, was er gegen die Interessen dieser mächtigen Wählergruppe unternehmen müsse, sei es um die ganze liberale Partei in Wien geschehen. Diese Wählergruppe hatte aber Lueger schon an sich gebracht und eine andere, nicht minder mächtige, war ihm ebenfalls zu jener Zeit beinahe zufällig „in den Schoß gefallen". Damit verhielt es sich folgendermaßen: Es hatten sich in den 1880er Jahren in den einzelnen Wiener Bezirken und in den Vororten Vereine der Hausherren zur Wahrung gemeinsamer Interessen gebildet. An der Spitze des Margarethener Vereines stand der nachmalige Bürgermeister, Lehrmittel- und Papierhändler Strobach. Als diese einzelnen Vereine eine gemeinsame Zentralorganisation schufen, trat Strobach auch an deren Spitze; politisch war er bis dahin nicht hervorgetreten. Prix hatte geäußert, er wolle behufs Entlastung der städtischen Organe in Zukunft die sogenannten Zinskreuzer (Beiträge f ü r den Wiener Schulfonds) gleichzeitig mit den Mietzinsen durch die Hausherren oder Häuseradministratoren, anstatt wie bisher durch Magistratsdiener, einheben lassen. Dadurch wären die Hausherren auch f ü r die richtige Abfuhr dieser Zinskreuzer an die Gemeinde verantwortlich gemacht worden. Auch die Sammlungen von Haus zu H a u s f ü r wohltätige Zwecke wollte Prix durch die Hausinhaber besorgen lassen. Anläßlich eines speziellen polizeilichen Strafrekursfalles, es handelte sich um die Abstrafung eines Hausbesorgers wegen unterlassener Abräumung des Schnees vom Trottoir, hatte damals das Ministerium des Innern den polizeilichen Schuldspruch behoben und ausgesprochen, in
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erster Linie sei der Hausherr d a f ü r verantwortlich zu machen, daß das Trottoir vor seinem Hause gereinigt werde. Diese der Polizei gegebene neue Direktive war natürlich den Hausbesitzern äußerst unangenehm, und deren Vereine beschlossen nun, von der Gemeinde zu verlangen, daß diese, der ja doch die Reinigung der Straßenfahrbahn obliege, auch jene der Trottoirs übernehme. Gleichzeitig sollte auch gegen Prix' eben erwähnte Reformpläne Stellung genommen werden. Unter Führung Strobachs begab sich also der Zentralausschuß der Hausherrenvereine zum Bürgermeister, um seine Begehren vorzubringen, dieser aber empfing die Herren in seiner neuen, etwas hochmütigen Art und f a n d nur ablehnende Worte. Strobach, ein ziemlich geriebener Geschäftsmann, der um Worte nie verlegen war und auch gehörig grob werden konnte, entgegnete ihm. Die Gemüter erhitzten sich u n d der Wortwechsel wurde schließlich so arg und Strobach so ausfällig, daß Prix nichts anderes übrig blieb, als die Deputation zu ersuchen, sein Empfangszimmer zu verlassen. Wieder im Vorzimmer, beschloß die letztere aber, sofort zu Lueger zu gehen, sich bei diesem über Prix zu beschweren und seine Hilfe im Gemeinderat f ü r die Hausherrensache zu erbitten. Gesagt, getan. Lueger empfing die Herren auf das liebenswürdigste, mit dem hochmütigen Prix sei allerdings nicht mehr auszukommen, er, Lueger, habe sich schon vor Jahren anläßlich des englischen Stadtbahnprojektes der Interessen der Wiener Hausherren erfolgreich angenommen, das wolle er auch in Zukunft gern tun, nur müßten diese und ihre Vereinsorganisation ihn und seine Partei bei den nächsten Gemeinderatswahlen unterstützen, damit diese die Majorität erlange. Das wurde zugesagt, der wichtige Freundschaftsbund LuegerStrobach war geschlossen und, was das Wichtigste war, die antisemitische Majorität im Rathaus gesichert. Bei den nach dem Interregnum des Regierungskommissärs Friebeis durchgeführten Wahlen wurde Lueger denn auch zum Bürgermeister gewählt und stand nun am Ziele seiner Wünsche. Allerdings mochte er wohl ahnen, daß seine Bestätigung bei dem Radikalismus seiner Partei und zufolge seiner eigenen Haltung gegen die Ungarn, gegen die er in seinen Volksreden stets aufgetreten war und auf die er das diese schwer beleidigende Wort der „Judäomagyaren" geprägt hatte, nicht ohne Schwierigkeiten durchzusetzen sein werde. Wie damals der Kaiser über diese Bestätigungsfrage dachte, habe ich in meiner diesem gewidmeten Monographie dargelegt. Unmittelbar nach seiner Wahl erschien Lueger bei mir — sehr bescheiden und manierlich: sein erster Weg sei zum Statthalter, um sich
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diesem vorzustellen und um die B e f ü r w o r t u n g seiner Bestätigung durch den K a i s e r zu erbitten; er wisse, d a ß er als Bürgermeister viel v o m P a r t e i m a n n w e r d e abstreifen m ü s s e n ; er verspreche O b j e k t i v i t ä t gegenüber allen Parteien der G e m e i n d e u n d loyale H a l t u n g gegenüber den der Gemeinde übergeordneten S t a a t s b e h ö r d e n , g a n z speziell mir, d e m Statthalter. Ich erklärte Lueger damals wörtlich f o l g e n d e s : „Ich nehme Ihre E r k l ä r u n g e n z u r Kenntnis u n d werde, da gegen Ihre Person nichts polizeilich Nachteiliges vorliegt, wohl in der L a g e sein, die E r w i r k u n g Ihrer kaiserlichen Bestätigung beim Ministerium z u beantragen, allein ich habe v o n meinem administrativen S t a n d p u n k t als Statthalter die Voraussetzung d a r a n zu k n ü p f e n , d a ß Sie sich voll u n d g a n z dem Bürgermeisteramt w i d m e n . Für mich ist der Bürgermeister Wiens der B e z i r k s h a u p t m a n n des größten mir unterstehenden B e z i r k s , und in diesem gibt es gerade jetzt, nach der erst v o r k u r z e m v o l l zogenen Einverleibung der V o r o r t e , eine Fülle v o n f ü r die gedeihliche Entwicklung der Reichshauptstadt wichtigen Arbeiten. D i e s bedingt, d a ß Sie die Sie so sehr in Anspruch nehmende T ä t i g k e i t als politischer Führer sehr wesentlich einschränken und namentlich auf ihr M a n d a t als Reichsratsabgeordneter verzichten. D a s L a n d t a g s m a n d a t sollten Sie dagegen beibehalten, weil es v o n B e d e u t u n g ist, d a ß der Wiener B ü r germeister im L a n d t a g die Interessen Wiens vertrete." Zu dieser meiner Lueger gemachten E r k l ä r u n g h a b e ich b e i z u f ü g e n , daß diese in Übereinstimmung mit dem stand, w a s ich dem K a i s e r über meine A u f f a s s u n g hinsichtlich der B e s t ä t i g u n g s f r a g e darzulegen m i r erlaubt hatte. A b e r auch B a d e n i hatte ich vorher informiert, d a ß ich Lueger die B e d i n g u n g der N i e d e r l e g u n g des Reichsratsmandats stellen werde. E r , der d a m a l s gerade a m Werk w a r , die liberalen E l e m e n t e der deutschen u n d slawischen P a r t e i e n des Abgeordnetenhauses zu einer M a j o r i t ä t f ü r die Regierung z u vereinigen, w o r ü b e r ich in meiner M o n o g r a p h i e über B a d e n i noch N ä h e r e s gesagt habe, hatte mir gleich nach Antritt seiner Ministerpräsidentschaft Z w e i f e l darüber geäußert, ob es ihm möglich sein werde, L u e g e r , diesen ärgsten Feind der L i b e ralen und der U n g a r n , zur kaiserlichen Bestätigung vorzuschlagen. A u f das hin aber hatte ich ihm d a r g e l e g t , daß in Wien a u f J a h r e hin nicht mehr mit einer liberalen G e m e i n d e r a t s m a j o r i t ä t z u rechnen sei, d a ß die R e g i e r u n g sich daher wohl v o r A u g e n halten müsse, ob sie ein ihr durchaus oppositionelles Wien gebrauchen könne, u n d daß mir deshalb der Versuch angezeigt erscheine, die neue K o m m u n a l p a r t e i unter ihr gesteilten Bedingungen an d a s R u d e r zu lassen u n d zu trachten, sie
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allmählich in das Regierungsfahrwasser zu bugsieren. Ich hatte Badeni aus diesem Grunde auch ersucht, den genauesten Kenner der politischen u n d kommunalen Verhältnisse Wiens, den die Stadt verwaltenden Regierungskommissär, Bezirkshauptmann Dr. von Friebeis, über alle diese Dinge einzuvernehmen. Es fand denn auch eine einstündige Konferenz mit diesem statt, nach welcher uns Badeni bestimmt erklärte, die Bestätigung Luegers werde nicht zu umgehen sein. Luegers Erklärung auf meine oben zitierte Ansprache an ihn aber lautete dahin, die ihm von mir gestellte Bedingung überrasche ihn durchaus nicht, und er müsse eine gewisse Berechtigung derselben ohne weiteres zugeben, allein es handle sich dabei f ü r ihn und seine Partei d a r u m , einen geeigneten Nachfolger f ü r sein Reichsratsmandat des f ü n f t e n Wiener Gemeindebezirkes, Margarethen, zu finden und auch Vorsorge f ü r die Führung seiner Partei zu treffen, wenn er dem Reichsr a t nicht mehr angehöre. Das brauche geraume Zeit, er könne sich daher mir gegenüber nur bereit erklären, drei Monate nach Antritt seines Amtes als Bürgermeister den verlangten Mandatsverzicht zu vollziehen. Das lehnte ich ab, ich sei kein Freund von derlei Provisorien, die gar leicht länger dauern könnten, auch scheine es mir in seinem eigenen Interesse zu liegen, sofort klare Verhältnisse zu schaffen. Mir kam so vor, als ob er das alles einsehe, jedenfalls versuchte er nicht, mich zu widerlegen und erklärte zum Schluß unserer längeren Unterredung nur, der verlangte Mandatsverzicht sei von großer Bedeutung für seine Partei, er müsse dieser Gelegenheit geben, sich in der Sache zu äußern. Er werde ehestens wieder bei mir erscheinen, um mir seine definitive Erklärung abzugeben. Lueger war von mir aus unmittelbar zu Badeni gegangen, um sich auch diesem vorzustellen und um die Erwirkung seiner Bestätigung zu bitten. Als er dabei der ihm von mir gestellten Bedingung Erwähnung t a t , soll ihm Badeni geantwortet haben, er finde diesen Standpunkt des Statthalters sehr begreiflich, aber es würde ihm als Minister des Innern angenehm sein, mit dem Bürgermeister der Reichshauptstadt Fühlung zu haben, und dazu seien Begegnungen im Abgeordnetenhaus eine bequeme Gelegenheit. Von dieser leichtfertigen oder aber illoyalen Bemerkung Badenis gegenüber Lueger erhielt ich erst nach mehr als Jahresfrist, als nämlich Lueger endlich Bürgermeister geworden war, durch diesen selbst Kunde. Er hatte die Bemerkung Badenis dahin aufgefaßt, dieser werde seine Bestätigung beantragen, auch ohne d a ß er die von mir gestellte Bedingung erfülle, hatte demgemäß seinen Parteiklub informiert und
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erschien nun am nächsten Tag bei mir mit der Erklärung, dieser Klub gestatte ihm bis auf weiteres die Mandatsniederlegung nicht, er könne sich daher in dieser Richtung zu nichts verpflichten, halte im übrigen aber alle mir gegenüber gemachten Zusicherungen von objektiver und loyaler Erfüllung seiner Amtspflichten aufrecht. Ich könne ihn rufen lassen, so oft es die Geschäfte erheischen, auch aus dem Parlament, wenn er gerade dort beschäftigt sei. Ich muß sagen, ich befand mich damals in ärgster Verlegenheit, ob ich nun Luegers Bestätigung beantragen sollte oder nicht, beriet midi mit mehreren meiner Referenten und Friebeis, gelangte aber endlich zum Entschluß, die Bestätigung zu beantragen. Mein Bericht war lang und breit, schilderte die Sachlage genau unter eingehender Erörterung des Pro und Kontra. Kaum hatte Badeni ihn in Händen, als er mich zu sich bitten ließ und mir ein eben vom Erzherzog-Thronfolger an ihn gelangtes Telegramm vorwies, worin dieser die Bestätigung Luegers verlangte. Badeni ersuchte mich, am nächsten Tag in der Ministerratssitzung zu erscheinen, in der die Bestätigungsfrage werde erörtert werden, um dort Auskünfte zu erteilen; er selbst sei f ü r die Bestätigung, einige Mitglieder seines Kabinetts aber gegen dieselbe. Der Ministerrat f a n d statt, ich hatte zu referieren und auf manche Zwischenfragen zu antworten. Aus diesen konnte ich unschwer erkennen, daß die Mehrheit der Minister unter der Führung des Landesverteidigungsministers Graf Welsersheimb für, und eine kleinere Gruppe, vom Unterrichtsminister Baron Gautsch geleitet, gegen die Bestätigung war. Wie in derlei Fällen üblich, verließ ich den Ministerrat vor der Abstimmung. Am Tage des Ministerrates oder ganz kurz vor oder nach demselben fand beim Abgeordnetenhaus-Präsidenten Johann Freiherrn von Chlumecky ein Diner statt, zu dem außer allen neuen Ministern auch meine Wenigkeit geladen war. Bei Tisch und beim schwarzen Kaffee wurden wohl allerhand politische Fragen, nicht aber die Lueger-Frage erörtert. Beim Aufbruch der Gesellschaft forderte mich Chlumecky auf, noch zu verweilen und ihn zu unserer Tarockpartie in den Jockey-Club zu begleiten. Kaum waren wir allein, als er die Frage a u f w a r f , er höre zu seinem Entsetzen, daß die Regierung im Begriff stehe, Luegers Bestätigung zu beantragen, und ob ich ihm nicht sagen könne, was Wahres daran sei. Ich gab ihm nur die kurze Auskunft, daß, wenn dies der Fall sein sollte, es doch unter Bedingungen geschehen werde, die die Sache jeder politischen Bedeutung entkleiden. Chlumecky meinte, er
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könne sich solche Bedingungen nicht vorstellen, die Bestätigung dieses ärgsten Feindes der Liberalen werde es ihm, als einem Führer dieser Partei, nicht gestatten, das A m t als Präsident des Abgeordnetenhauses beizubehalten, die Niederlegung seines Amtes aber könne für die Regierung eine Parlamentskrise heraufbeschwören; wenn das die Regierung etwa nicht wisse, möge ich es ihr doch sagen. Das mußte ich nun Badeni am nächsten Tag wortwörtlich wiederholen. Ich riet ihm, mit Chlumecky selbst über die Sache zu sprechen, der wohl zu beruhigen sein werde. Unmittelbar hierauf befiel mich eine heftige Influenza, ich mußte einige Tage das Bett hüten und erhielt, noch in meinem Krankenzimmer, den Erlaß des Ministeriums, dahin lautend, daß der Kaiser Lueger nicht bestätigt habe. Mein erster Ausgang war nun zu Badeni, der mir sagte, mein Antrag auf Bestätigung sei ja eigentlich durch meine eigene wertvolle Mitteilung über Chlumeckys und der Liberalen Auffassung von der Bestätigungsfrage über den H a u f e n geworfen worden. Er habe mit Chlumecky selbst sofort über die Sache sprechen wollen, dieser aber sei eben zu seinem Freund Koloman von Szell nach Ratot abgereist gewesen, und der sofort von ihm dorthin entsandte Kanzleidirektor des Abgeordnetenhauses, H o f r a t Halban (Blumenstock), habe in seinem Auftrage vergeblich versucht, Chlumecky zu beruhigen. Die Regierung aber brauche den letzteren und seinen liberalen Anhang im Abgeordnetenhaus derart, d a ß sie darauf habe verzichten müssen, die Wiener Wählerschaft zufriedenzustellen. Lueger sei doch auf meine ihm gestellte Bedingung nicht eingegangen und könne mir nichts anhaben, wenn er nun nicht bestätigt worden sei. Ich würde vielleicht im zukünftigen Landtag einen schweren Stand haben, aber die Regierung stehe hinter mir. Was mir der Kaiser damals über die Nichtbestätigung sagte, habe ich in meiner ihn betreffenden Monographie dargelegt. Als der Gemeinderat trotz der Ablehnung Luegers durch den Kaiser diesen ein zweites Mal zum Bürgermeister wählte, mußte er abermals aufgelöst werden, und Friebeis zog wieder in das Rathaus ein. Friebeis war ein aus angesehenen früheren Gemeinderäten der verschiedenen Parteien bestehender und von mir eingesetzter Beirat beigegeben, den er bei wichtigen, von ihm zu treffenden Entscheidungen auf dem Gebiet des selbständigen Wirkungskreises der Gemeinde stets hören sollte. Eine schriftliche Instruktion über seine Amtsführung war ihm nicht gegeben worden, ich konnte mich bei diesem erprobt tüchtigen und äußerst objektiven Beamten darauf verlassen, daß er den Ma-
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gistrat als politische Behörde Erster Instanz in den Geschäften des übertragenen Wirkungskreises, namentlich aber auch bei der Durchführung der neuen Gemeinderatswahlen, korrekt und umsichtig leiten werde, was denn auch in der T a t der Fall war und von allen Parteien und nicht in letzter Linie von den Magistratsbeamten anerkannt wurde. So mancher von ihnen betonte dies mir gegenüber auch noch später, als nämlich im Rathaus die Parteiherrschaft eingezogen war und die Magistratsbeamten nur zu oft entgegen ihrer besseren Überzeugung nach parteipolitischen und, was f ü r sie noch ärger war, auch nach Direktiven einzelner einflußreicher Gemeinderäte amtszuhandeln hatten. N u r das eine hatte ich Friebeis besonders ans H e r z gelegt, die Sorge für das M a r k t - und Approvisionierungswesen Wiens. Auf diesem Gebiet tat er denn auch manches oder leitete es wenigstens in die Wege, wenn er es auch in der verhältnismäßig kurzen Zeit seiner Herrschaft nicht voll durchführen konnte. Dahin gehörte unter anderem die Errichtung zahlreicher neuer Fleischverkaufsstände auf den verschiedenen Marktplätzen der Gemeinde. Diese sollten zumeist von Fleischhändlern, welche ihre Ware vom Lande nach Wien hereinbrachten, bezogen werden. Diese Fleischquantitäten waren durchaus nicht unbedeutend und stammten direkt von den ländlichen Fleischhauern her, die mit weit geringeren Regiekosten arbeiteten als ihre Wiener Kollegen, und stets gern alle besten Fleischstüdke in Wien verkauften, die sie im eigenen Betriebsort mit schwacher Konsumkraft nicht an den Mann bringen konnten. Diese Aktion war in bestem Gang, als Friebeis die Geschäfte der neukonstruierten Gemeindevertretung übergab. Deren erste Verfügung, die leider nur zu getreulich an der Schneiderschen Wahlkapitulation mit den Wiener Fleischhauern festhielt oder vielmehr festhalten mußte, aber war, daß die neuen Fleischstände wieder eingezogen und alle bereits eingegangenen Verträge gekündigt wurden. Muß einem bei solchen Erscheinungen nicht der deutsche Scherzreim einfallen, der da „ N u r die dümmsten Kälber Wählen ihre Metzger selber." Die Wahlagitation, die Lueger und seine Partei damals organisiert hatten, war wohldurchdacht und besonders heftig. „Rettung des Kleingewerbes" war das eine und „Wiederfüllung der Kirchen" das zweite Schlagwort. Zu dem ersteren bemerke ich, daß die Gewerbegesetznovelle, welche den Gewerbegenossenschaften so viele Rechte eingeräumt hatte, Schneider die H a n d h a b e bot, diese neuen „Zünfte" zur
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Wahlarbeit heranzuziehen. Das jüdische Großkapital, hieß es, bringe das Gewerbe um, und deshalb kauften sich die Kleingewerbegenossenschaften das antisemitische „Deutsche Volksblatt" in der Weise, daß sie einzeln Verträge mit dessen Herausgeber, Ernst Vergani, abschlössen, nach denen das Blatt jede von ihnen gewünschte Publikation ungekürzt bringen und überhaupt im kleingewerblichen Sinne schreiben mußte. Die Lebensmittelgewerbe, dann aber auch die Fuhrwerker, verstanden es gar bald ausgezeichnet, auf ihrem neuen Preßinstrument Musik zu machen und jede im Interesse des großen Publikums und der Konsumenten aus der Mitte der letzteren oder auch behördlicherseits verlangte Maßregel und Reform als untunlich oder gewerbefeindlich darzustellen und zu bekämpfen. Als ich Vergani, der ja auch Landtagsabgeordneter war, einmal während meines späteren intensiven Kampfes mit den Fuhrwerkern, behufs Abstellung der Mißbräuche in ihrem Platzdienstgewerbe, Vorwürfe darüber machte, d a ß er meine wohlgemeinten Absichten in seinem Blatt gegenteilig darstelle, erklärte dieser mir ganz offen, er persönlich erachte meine Reformabsichten als vollkommen gerechtfertigt und im Interesse des Fremdenverkehrs in Wien gelegen, in seinem Blatt aber sei er durch Verträge mit den Genossenschaften gebunden. So bekam ich auch diesen Einblick und konnte immer deutlicher die Ursachen erkennen, weshalb Wien binnen weniger Jahre in den Ruf gelangte, eine der teuersten Städte Europas zu sein, und Fremde es daher geflissentlich zu meiden begannen. Aber nach dieser Abschweifung zurück zu den Kommunalwahlen. Die Klerikalen wurden vollends, auch in ihren oberen, bisher durch den Radikalismus der Partei Luegers noch abgeschreckten Schichten, für diese gewonnen, als es Gessmann und Porzer gelungen war, Kardinal Gruscha, diesen schwachen und ängstlichen Kirchenfürsten, dahin zu bringen, ihrem Wahlfonds 1000 Kronen zu widmen, was sie natürlich ausgiebig verbreiteten. Die Nachricht wurde in Regierungskreisen auf das unangenehmste vermerkt und ich stellte Gruscha direkt zur Rede. Er hatte nur die Ausflucht, er müsse doch anerkennen, d a ß es Lueger und seinen Leuten zu danken sei, wenn die Kirchen wieder weit besser als früher besucht seien; es sei ihm aber durchaus ferngelegen, mit seiner Spende etwa gegen die Regierung oder gar gegen die kaiserliche Nichtbestätigung Luegers zu demonstrieren. N u n war natürlich an einem eklatanten Wahlsieg Luegers und seiner Partei nicht mehr zu zweifeln; nichtsdestoweniger hatte diese die Parole ausgegeben, gegnerische Wählerversammlungen stets zu stören und, wenn nötig, mit Gewalt zu sprengen. Letzteres besorgten meist
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Wähler der Arbeiterschaft, die der sozialdemokratischen Organisation nicht angehörten, denn diesem Teil der Wählerschaft war versprochen worden, daß die neue Partei sofort nach ihrem Sieg großartige kommunale Bauten ins Werk setzen werde, welche allen Arbeitern reichen Verdienst versprächen. Mit unverhohlener Angst und großem Schrecken sahen die Liberalen, aber auch alle anderen oberen Schichten der Intelligenz, der Gestaltung der Dinge im Rathaus entgegen. Ich wurde fast täglich und stündlich angegangen, ob denn gar nichts geschehen könne, um dem bevorstehenden Übel Einhalt zu tun. Meine stereotype Antwort w a r : „Organisieren Sie sich, gehen Sie hinaus in die Wählerversammlungen und klären Sie das Volk über seine wahren Interessen auf." Stereotyp war aber auch immer die Rückantwort, die ich erhielt: „Wer wird sich denn den in Wiener Versammlungen üblichen Roheiten aussetzen oder sich gar in den Gemeinderat setzen wollen, um dort angeflegelt zu werden?" Dazu ist zu bemerken, daß nicht erst die Christlichsozialen es waren, die die Mandate Mindergebildeten anvertrauten; damit begannen schon viele Jahre zuvor die Liberalen, so daß in der letzten Zeit ihrer H e r r schaft kaum mehr ein Intellektueller von anerkannter Bedeutung unter den Mitgliedern des Gemeinderates zu finden war. U n d bis heute ziehen sich, ganz im Gegensatz zum Ausland, alle Kapazitäten jeder Berufsgattung, in Wien und vielleicht auch in den anderen Städten Österreichs, durchaus geflissentlich von der kommunalen Politik und deren Pflichten zurück. N u r Krämerpolitik; leider, leider! Wie nach durchgeführten Wahlen Lueger schließlich dazu kam, Bürgermeister zu werden, habe ich in meiner Monographie „Kaiser Franz Joseph" geschildert, so d a ß ich hier nur darzustellen habe, wie er sich mir, dem ihm vorgesetzten Statthalter gegenüber, benahm. Es sind hier zwei Perioden zu unterscheiden, eine erste, während der er noch nicht ganz vom Größenwahn befallen war, und eine zweite, in welcher er mehr und mehr von einer etwas gewissenlosen Umgebung in diesen Wahn gehetzt wurde und in welcher zugleich auch wegen Diabetes ein Verfall seiner körperlichen und geistigen K r ä f t e in Erscheinung trat. In der ersten Periode wollte sich Lueger, der den Statthalter zur Durchführung seiner Pläne auf dem kommunalen Gebiet ja doch oft auch brauchte oder wenigstens nicht umgehen konnte, mit mir gut stellen, dabei aber auch seine Unabhängigkeit von Regierung u n d
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Statthaltern nach außen beweisen. Er kam daher sehr oft zu mir und befliß sich größter Offenheit, ja er betonte oft, wie er in mir die staatliche Autorität anerkenne. Vor jeder längeren Abwesenheit von Wien meldete er mir, meist mündlich, den Antritt eines Urlaubs, und zurückgekehrt, stellte er sich wieder vor. Der Verkehr mit ihm wickelte sich, ich muß es gestehen, in den angenehmsten Formen ab; war mit ihm eine Verabredung in geschäftlichen Dingen getroffen worden, so hielt er diese auch gewissenhaft ein. Er tat sich etwas zugute darauf, wenn er einem erklärte, er habe ein gutes Gedächtnis, brauche sich nichts zu notieren und werde sein Wort pünktlich einlösen. Er war in dieser Beziehung höchst verläßlich und anständig, das letztere auch wohl insofern, als er, wenn er keine Zusage geben konnte oder wollte, den Grund anzugeben pflegte; er wisse nicht, wie sich seine Partei zu der gerade in Rede stehenden Angelegenheit verhalten werde, müsse diese erst befragen, werde hienach seine Erklärung abgeben und dergleichen. Ein solcher Vorbehalt bedeutete zwar meist Luegers eigene Ablehnung, aber wenigstens wußte ich in den meisten, und auch politischen Dingen, was zu gewärtigen war. Luegers Offenheit mir gegenüber setzte mich nicht selten in Erstaunen, interne Vorgänge in seiner Partei, auch seine Art, diese zu leiten, erklärte er mir oft ganz genau. Einstmals, bald nach dem Antritt seines Bürgermeisteramtes, kam die Rede auf den Antisemitismus. Er erklärte mir damals wörtlich, der sei für ihn nur ein die Massen köderndes Schlagwort, er selbst achte und schätze viele Juden und werde keinem derselben je geflissentlich Unrecht tun; sein eigener Antisemitismus reiche nur bis in die Fichtegasse, das ist die Redaktion der „Neuen Freien Presse". Wie wenig er selbst Antisemit sei, möge ich daraus entnehmen, daß er eben einen tüchtigen Mediziner zum städtischen Arzt ernannt habe; würde ich aber eine ähnliche Ernennung vollziehen und die Öffentlichkeit auf diese aufmerksam werden, so würde er mich in der Öffentlichkeit dieserhalb angreifen müssen. Das erfordere nun einmal das Parteiprogramm. Daß Lueger selbst in der Tat kein Antisemit war, hat er übrigens bewiesen. Er verkehrte, bevor er seine Partei gründete, bekanntlich viel und intim mit Juden, sein Freund und erster Kampfgenosse im Gemeinderat, Mandel, w a r z. B. ein solcher. Und bei ihm als Bürgermeister hatten Mitglieder des Vorstandes der israelitischen Kultusgemeinde und andere bekannte Juden stets Zutritt, sooft es sich um ein einem ihrer Glaubensgenossen angetanes Unrecht handelte. Ein solcher Appell war selten vergeblich. Höchst merkwürdig war Luegers Haltung Rothschild gegenüber. Als es zum Bau der Zweiten Wiener Hoch-
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quellwasserleitung kam, m u ß t e der H a u p t s t o l l e n auf niederösterreichischem Gebiet durch Steinbach, das beste Gamsrevier der R o t h schildschen Herrschaft Gaming, getrieben werden. Baron Albert R o t h schild h a t t e nun der Gemeinde — darf ich es sagen — auf meinen R a t hin, t r o t z der begreiflichen argen Störung seines Jagdbetriebes das größte Entgegenkommen bewiesen. Nicht nur, d a ß er der Gemeinde alle von ihr auf Dauer benötigten Grundstücke unentgeltlich überließ, er hatte ihr auch die Ablagerung des Bauschuttes unmittelbar neben dem neuen Stollen gestattet u n d damit etwa später notwendig werdende K o r r e k t u r e n des Laufes des Steinbaches auf sich genommen. Als dann nach Fertigstellung des Stollens Lueger mit einer großen A n z a h l von Gemeindefunktionären sich zur Besichtigung des Baues nach Steinbach begab, harrten ihrer die Rothschildschen Equipagen und ein opulentes Frühstück im Jagdhaus. Lueger feierte nun Rothschild in einer Rede inmitten aller Festteilnehmer als einen der besten Wiener u n d vollendeten Kavalier u n d ließ sich d a n n auch, in der Rothschildschen Equipage sitzend, photographieren. D e m Bezirkshauptmann von Scheibbs, der dabei war, h a t t e er ausdrücklich erklärt, er fürchte A n griffe seiner Partei wegen dieser seiner judenfreundlichen H a l t u n g nicht, denn er sei es Rothschild schuldig, ihm öffentlich die d a n k b a r e A n e r k e n n u n g f ü r sein gegenüber der Gemeinde bewiesenes Entgegenkommen auszusprechen. Die Rede w a r stenographiert worden, ein kleines Lokalblatt der dortigen Gegend brachte sie, und so bekam ich sie zu lesen. Luegers Parteigenossen griffen ihn wegen seiner Rede tatsächlich nicht an — das zu tun, hätten sie sich nicht getraut — , aber sie hatten es verstanden, Vorsorge zu treffen, d a ß die Rede ihres H e r r n und Meisters in keinem einzigen Wiener Blatt abgedruckt erschien. Ein illustriertes Wiener Blatt brachte die Abbildung Luegers in der R o t h schildschen Equipage, aber — ohne die Rede dem Bild beizufügen. Von allem A n f a n g an liebte es Lueger, sich als den wahren Bürgermeister des vergrößerten Wien zu zeigen u n d die ehemaligen V o r o r t e seines besonderen Wohlwollens zu versichern. Es d u r f t e nicht d a v o n die Rede sein, daß er ja doch ihre Einverleibung heftigst m i t b e k ä m p f t habe. Das wollte er um jeden Preis aus dem Gedächtnis seiner Mitbürger entfernen, u n d dazu bot ihm die bald nach seiner Ü b e r n a h m e des Bürgermeisteramtes ins W e r k gesetzte Kaiser-Jubiläums-Ausstellung die erwünschte Gelegenheit. Für den großen Wiener Pavillon in dieser Ausstellung ließ er ein Kolossalgemälde, G r o ß w i e n aus der Vogelperspektive gesehen, durch den bekannten Wiener Künstler K a r l Moll malen. Audi sonst w a r der Pavillon voll von interessanten Aus-
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stellungsobjekten der G e m e i n d e , die z u m großen Teil B e z u g auf die E r w e i t e r u n g Wiens hatten. Als der K a i s e r bei seinem R u n d g a n g nach der E r ö f f n u n g der Ausstellung z u m genannten P a v i l l o n k a m , empfing ihn Lueger, geschmückt m i t der Bürgermeisterkette, und machte ihm nun die H o n n e u r s v o n G r o ß w i e n , geradeso als ob er es geschaffen hätte. Ich, der ich im G e f o l g e Seiner Majestät ging u n d jedes W o r t hören konnte, k a m aus dem S t a u n e n ob dieser Kühnheit nicht heraus. W a s sich der K a i s e r wohl gedacht h a b e n mag? E r sagte mir d a m a l s kein Wort, ebensowenig Lueger! D a ß er in Wirklichkeit G r o ß w i e n nicht geschaffen hatte und er sich n u r d e n Schein geben konnte, dabei G e v a t t e r gestanden zu
sein,
w a r i h m recht peinlich. Es ging aus so manchen seiner Äußerungen h e r v o r , d a ß er es mir neidig w a r , wenn i r g e n d w o erwähnt w u r d e , ich sei derjenige, welcher die Reichshauptstadt zur eigentlichen G r o ß s t a d t gemacht hat. Es sollte sich f ü r ihn eine Gelegenheit ergeben, mir meinen E r f o l g z u k ü r z e n und sich z u m „Semper A u g u s t u s " zu machen. Ich hatte b a l d nach der Vereinigung der V o r o r t e mit Wien, weil in d e n L a n d t a g s v e r h a n d l u n g e n u n d a n d e r w ä r t s viel v o n einer z u k ü n f tigen Reichsunmittelbarkeit Wiens gesprochen w u r d e , f ü r den F a l l , d a ß diese e i n m a l einträte, vorgedacht, Niederösterreich eine neue L a n d e s h a u p t s t a d t z u schaffen. D a f ü r konnten nur die an der D o n a u Wien gegenüber gelegenen G e m e i n d e n F l o r i d s d o r f , D o n a u f e l d und Jedlesee, bis d a h i n noch D ö r f e r oder Industrieorte, in Betracht k o m m e n . E s mußte sich mir zunächst d a r u m handeln, diesen Gemeinden städtischen C h a r a k t e r u n d Aufschwung z u geben, w a s nur durch ihre Vereinigung in eine Großgemeinde geschehen konnte. D a ß dies im Interesse der B e w o h n e r des linken D o n a u u f e r s gelegen sei, führte ich deren V e r tretern in einer im F l o r i d s d o r f e r R a t h a u s gehaltenen längeren R e d e v o r A u g e n . Ich f a n d Beifall und Verständnis, so daß ich den dortigen B e z i r k s h a u p t m a n n , G r a f L e o K ü e n b u r g , b e a u f t r a g e n konnte, die Verh a n d l u n g e n mit den genannten G e m e i n d e n wegen ihrer Vereinigung offiziell einzuleiten. Diese hatten so guten E r f o l g , d a ß über J a h r u n d T a g die Großgemeinde F l o r i d s d o r f gebildet w a r . G r o ß e A u f g a b e n standen dieser b e v o r , sie wollte eine Mittelschule, ein S p i t a l und andere städtische Einrichtungen haben und schaffen; eigene Mittel fehlten ihr einstweilen hiezu. Ein in F l o r i d s d o r f gewählter neuer Bürgermeister, Anderer, und sein F r e u n d , der dortige L a n d t a g s a b g e o r d n e t e D r . K n o t z , verfielen nun auf die Idee einer S t a a t s s u b v e n t i o n u n d w a n d t e n sich diesbezüglich a n mich, an d e n Unterrichts- u n d an
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den Finanzminister. D a aber für derlei Dinge im Staatsvoranschlag natürlich nichts vorgesehen war, konnte ihr Begehren nur abschlägig beschieden werden. Es war das zu der Zeit, als Lueger eben sein großes Kommunaldarlehen mit der Deutschen Bank in Berlin, behufs Verstaatlichung der Gas-, Elektrizitäts-Werke und der Tramway, abgeschlossen hatte. Knotz und Anderer gingen nun flugs zu ihm und seinen Millionen, um eine Kleinigkeit von diesen abzubekommen — und sei es auch um den Preis der Einverleibung von Floridsdorf in Wien! Letzteres aber kam Lueger aus den früher von mir angegebenen Gründen äußerst gelegen. Trotz der, wie mir genau bekannt, sehr lebhaften Warnungen des Vizebürgermeisters Strobach und des Magistratsdirektors Weiskirchner, diese Einverleibungsaktion werde Wien unendlich viel kosten und sei nicht im derzeitigen Interesse Wiens gelegen, sagte Lueger den bei ihm erschienenen Floridsdorfer Vertretern sofort zu, diese Einverleibung durchzusetzen. Mir, der ich mir eben eine Art zweiter Landeshauptstadt geschaffen hatte, von der ich auch annehmen durfte, daß sie bald ein gewisses Gegengewicht gegen das im Lande etwas übermächtige Wien abgeben werde, ging Luegers recht eigenmächtige Zusage, von der ich natürlich sofortige Kenntnis erhielt, sehr wider den Strich. Der Regierung gegenüber konnte ich mich nur in motivierter Weise abfällig über Luegers Plan äußern. Und da nun auch der Finanzminister, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung eines erweiterten Verzehrungssteuerrayons, gewichtige Gründe gegen die Ausdehnung Wiens auf dem linken Donauufer vorbrachte, war ich angewiesen worden, im Landtag, woselbst die neue Frage zur Sprache kam, eine abweisliche Regierungserklärung abzugeben. Gegen diese schickte Lueger, vielleicht aus taktischen Parteigründen, seinen damaligen Nebenbuhler Dr. Pattai in das Feld, der mich als einen Feind Wiens und seiner Weiterentwicklung apostrophieren mußte. Wie Lueger die Einverleibung von Floridsdorf und anderen Gemeinden in Wien schließlich doch durchsetzte, schildere ich später. Hier komme ich auf einen früheren Satz zurück, daß Lueger sich zwar gut mit dem Statthalter stellen, vor der Öffentlichkeit aber auch seine Unabhängigkeit betonen wollte. Dahin gehörte vielleicht auch, daß er in der Floridsdorfer Frage Pattai losgehen ließ und mich nicht selbst angriff. Letzteres pflegte er nämlich zum Beweis seiner Unabhängigkeit nur sporadisch und bei meist minimalen Anlässen zu tun. Ich erinnere mich, um hier Beispiele anzuführen, daß er in der ersten 25
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Zeit seiner Bürgermeisterschaft einmal im Gemeinderat, als jemand gegen eine Regierungsmaßregel eiferte, dem mit den Worten zustimmte, das könne erst anders werden, bis der Statthalter von seinem Posten beseitigt sei. Ein anderes Mal, als ich die Gemeinde aufgefordert hatte, der übermäßigen Vermehrung der Tauben in Wien Einhalt zu tun, deren ätzende Exkremente Monumente und Monumentalfassaden schädigten, und der Tierschutzverein, in der irrigen Meinung, ich habe eine grausame Vertilgung der Tauben verlangt, dagegen Stellung genommen hatte, erklärte Lueger im Gemeinderat, der Statthalter solle sich lieber um andere Dinge kümmern als um die friedlichen Tauben, die niemandem etwas zuleide tun. Nach derlei Ausfällen fand Lueger aber fast immer Gelegenheit, um mir selbst oder durch Vermittlung zu sagen, ich möge seine Bemerkungen nicht übelnehmen, sie seien nur diesem oder jenem zuliebe gemacht worden. Der „schöne Karl", von dem Liebesverhältnisse, obwohl er unvermählt blieb, außer dem einen mit der Gattin seines Advokaturkollegen Dr. Brzebohaty, nicht bekannt wurden oder doch unbesprochen blieben, wurde in der Frauenwelt seiner Parteianhänger viel bewundert. Es entstanden nun, ob auf seine eigene oder eines Parteigenossen Anregung, weiß ich nicht, christlichsoziale Frauenvereine, bezirksweise gegliedert und in einem Zentralausschuß zusammengefaßt. Ihr Zweck war ein hochpolitischer, nämlich, die Luegerpartei durch Agitation in den Familien und in der Öffentlichkeit zu fördern und zu unterstützen. Diese Frauenorganisation führte den Scherznamen des Luegerschen Amazonenkorps. Lueger hatte so manche Rücksicht auf sie zu nehmen, und wenn er wohl auch immer ein Gegner des Frauenstimmrechtes blieb, so mußte er doch in seine Volksreden so manches einflechten, was den Anschauungen der Frauen entsprach. Das Merkwürdigste aber war folgendes: Ich erwähnte schon früher, daß seine Partei den Sieg zum großen Teil den Wiener Fleischhauern verdankte, und daß sie, kaum an das Ruder gelangt, die den preistreibenden Fleisch Wucherern unbequemen freien Fleischstände wieder beseitigt hatte. Lueger wurde denn auch von der Genossenschaft zu ihrem Ehrenmitglied ernannt und ihm, dem Ehrenfleischhauer, ein prächtiges Diplom feierlich überreicht. Dessen hatte er sich allerdings nur wenige Jahre voll und ganz zu erfreuen. Die Fleischpreise gingen immer mehr in die Höhe. Eine unter meinem Vorsitz tagende Approvisionierungskonferenz konnte dem fühlbarer
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werdenden Übel keinen Einhalt tun, weil die in diese entsandten Vertreter des Wiener Rathauses nur unter der Bedingung an den Beratungen teilnehmen durften, daß die Konferenz keinerlei Beschlüsse fasse. Es kam also nichts als eine ziemlich öde Rederei heraus, bei welcher diese Gemeindevertreter, unter Führung des Stadtrates und Obmannes der Greislergenossenschaft Wessely, jeder vernünftigen Anregung die engherzigste Greisleropposition entgegensetzten. Da nun auch die an meinen Konferenzen teilnehmenden Ministerialvertreter zu den aufgeworfenen Fragen nie Stellung nahmen, weil sie die Weisung erhalten hatten, alles nur ad referendum zu nehmen, wurde mir die Geschichte zu dumm, ich löste die Konferenz auf, und der Sektionschef des Ackerbauministeriums, Baron Beck, der nachmalige Ministerpräsident, berief in seinem Ministerium eine neue ein, die allerdings auch keinen nennenswerten Erfolg hatte. Fleisch- und Lebensmittelpreise stiegen lustig weiter. Das machte sich natürlich im Amazonenkorps recht unangenehm fühlbar, oppositionelle Regungen zeigten sich und drohten, über den engen Frauenkreis zu dringen. Lueger und die Gemeinde mußten sich also entschließen, sich an der Gründung der Großschlächterei zu beteiligen, welche dem Volk billigeres Fleisch verschaffen sollte. Die Fleischhauer mußten dies Vorgehen Luegers natürlich als einen Bruch der Wahlkapitulation von Schwenders Kolosseum betrachten, und nun folgten in den offenen Gemeinderatssitzungen die bekannten scharfen Rededuelle zwischen diesem und seinem Parteifreund, Gemeinderat und Fleischhauerobmann Hütter, bei denen es nur noch gefehlt hätte, daß das bis heute geheimgehaltene Schwender-Dokument enthüllt worden wäre. Zu dieser Zeit etwa hatte ich Gelegenheit, die große Rednerin und Präsidentin des Zentralausschusses der christlichsozialen Wiener Frauenvereine, Frau Planner, zum erstenmal von Angesicht zu sehen und die Ehre, ihre Bekanntschaft zu machen. Es war das im Stift Melk, dessen Abt Karl, ein bekannter Gegner der Luegerschen Partei, ein Jubiläum feierte. Wie kam sie nur dahin? Lueger war doch nicht bei der Feier. Ich war diskret genug, sie nicht zu fragen, ob es etwa fleischliche Gründe seien, die sie zu der Reise veranlaßten, als ich beim großen Festmahl ihr Tischnachbar wurde. Ihr Dialekt fiel mir auf. Ich fragte, ob sie Wienerin sei? „Nein." „Wohl eine Reichsdeutsche?" „Adi ja, aus Stendal, aber nun schon über 20 Jahre in Wien verheiratet." Auf meine weitere Frage, ob sie Katholikin sei und als solche zum Besuch der Kirche aneifre, erhielt ich die Antwort: „Nee, ich bin ne Jlaubensjenossin von Ihnen." Ihr Mann war ein Kleingewerbetreibender, einer von denen, 25*
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welchen die Luegerleute aufzuhelfen versprochen hatten. Das ist Erklärung genug für die norddeutsche Amazone, die in Wien so teuer einkaufen mußte. Ja, der schöne Karl! Idi komme nun zur zweiten, der Größenwahnperiode Luegers, in die schon einzelne der von mir zuletzt erwähnten Vorkommnisse fielen. Dieser Größenwahn entwickelte sich allmählich mit den Erfolgen, die seine Partei erzielte, indem sie sich zunächst im Lande Niederösterreich immer weiter ausbreitete, die entscheidende Majorität im Landtag errang und im Reichsrat eine stattliche Gruppe aus allen Alpenländern stellte, mit der nun jede Regierung stark zu rechnen hatte. Aber auch speziell als Bürgermeister hatte Lueger von allem Anfang an nicht unbedeutende Erfolge erzielt, wie ihm denn ein gewisses Verwaltungstalent und eine Großzügigkeit in allen seinen Maßnahmen nicht abgesprochen werden darf. Er hatte seinen Wählern und Wahlzutreibern lohnende Arbeit versprochen. Wenn er es auch nicht gesehen, denn als Urwiener unternahm er kaum je eine Reise in das Ausland, so hatte er doch gehört, daß andere große Städte mit Unternehmungen in eigener Regie namhafte Gewinne für den Stadtsäckel erzielten. Also ging er sofort an die Schaffung solcher Betriebe. Die wichtigsten erwähnte ich bereits oben, als ich vom ersten großen Kommunalanlehen sprach. Waren auch die Straßen Wiens jahrelang aufgerissen, um die neuen Gasrohre und Elektrizitätsleitungen in diese legen zu können, so kam doch durch die Arbeiten und die Anlage der großen Werksanstalten viel Geld unter die Leute, die Straßenbeleuchtung wurde besser und reichlicher, und das brachte dem Bürgermeister Anerkennung in weiten Kreisen ein. Wien müsse eine Gartenstadt werden, hatte er gesagt, und war alsbald an die Anlage mehrerer neuer öffentlicher Gärten geschritten. Das war gut und vernünftig, viele Eltern waren ihm dankbar. Auch die Elektrifizierung der alten Wiener Trambahn brachte ihm um so mehr Anerkennung, als er sich nun als denjenigen feiern ließ, der die Idee des elektrischen Trambahnbetriebes gehabt hatte. Luegers Größenwahn fiel mir zum erstenmal auf, als im Bezirk Simmering das imposante neue Wiener Elektrizitätswerk eröffnet wurde. Es war eine besonders geräuschvolle Einweihungsfeier mit kirchlicher Einsegnung und Beiziehung aller Staatswürdenträger und Honoratioren Wiens veranstaltet worden. Alle erschienen in Frack oder Uniform und wurden auf dem schön geschmückten Festplatz vor
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dem monumentalen Werksgebäude von den zwei Vizebürgermeistern empfangen und vor das Kapellenzelt geleitet. Manche fragten erstaunt, wo denn der Bürgermeister sei? Er erschien erst, nachdem alles versammelt war, in einem großen Kortege von galonierten Gemeindedienern, gefolgt von den Schriftführern des Gemeinderates und den Beamten seines Präsidialbüros und schritt, jeder Zoll ein König, huldvoll nach allen Seiten grüßend, durch die Versammlung und auf den für ihn reservierten Platz vor dem Zelt. Nach der gottesdienstlichen Handlung und nachdem er, wie stets bei derlei Gelegenheiten, in einer Rede eines seiner Gemeindefunktionäre gehörig angestrudelt worden war und auf diese, wie ebenfalls üblich, in dem Sinne geantwortet hatte, er sei mit der Durchführung seiner Absichten zufrieden und spreche allen Beteiligten seine Anerkennung aus, begann unter seiner Führung der Rundgang durch die Werksanlagen, die nicht etwa er seinen Festgästen, den Ministern usw., zeigte, die vielmehr ihm, dem Bauherrn, von den Erbauern und Installateuren erklärt wurden. Alle Festgäste waren lediglich seine Staffage und wurden nur besonders auf zwei riesige am Werksgebäude angebrachte Gedenktafeln aufmerksam gemacht, welche in Lapidarschrift besagten, daß Dr. Karl Lueger das Werk geschaffen habe. Ich kann nicht leugnen, daß ich nach dieser Feier das Gefühl hatte, als Seiner Majestät Statthalter bei dieser Feier denn doch eine etwas traurige Rolle im Hintergrund gespielt zu haben und daher beschloß, Erkundigungen einzuziehen, was das neue bürgermeisterliche Zeremoniell für eine Bedeutung habe. Bald wurde mir aus dem Rathaus hinterbracht, es sei von Luegers Magistrats- und Präsidialsekretär Dr. Bibl ausgearbeitet worden und in Zukunft werde, um das Ansehen des Bürgermeisters zu heben, immer nach demselben vorgegangen werden. Es hieß auch, dieser Bibl wolle sich bei seinem Herrn einschmeicheln, er sei der Urheber dieser „Hofordnung", die sich Lueger in seiner Eitelkeit gern gefallen lasse. Wie taktlos er damit gegenüber seinen Gästen handle, komme ihm nicht zu Bewußtsein. Ich nun wollte ihm das letztere doch etwas beibringen, nachdem ich erfahren hatte, daß der große Bürgermeister auch bei verschiedenen Empfängen im Rathaus seine Festgäste warten lasse und erst in feierlichem Aufzug in ihrer Mitte erscheine, wenn ihm „gemeldet, daß alles in Ordnung sei"; wie bei Hofe. Die Gelegenheit ergab sich bald. Vom Landesausschuß war ein niederösterreichischer Weinbautag veranstaltet worden, an dem zahlreiche Bürgermeister, Landwirte und Weinbauer aus dem ganzen Lande
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teilnahmen. Die Weinbauausstellung w a r im Arkadenhof des Rathauses eingerichtet worden und der große, damit verbundene Festabend sollte in dessen Festräumen stattfinden. Ich erhielt dazu vom Bürgermeister eine Einladung und sandte nun sofort einen meiner Präsidialbeamten zu ihm, der ihm auszurichten hatte, ich würde sehr gern dieser Einladung Folge leisten; d a diese aber offenbar an mich in meiner Eigenschaft als Landeschef gerichtet sei, müsse ich bei diesem Landesfest als solcher gleich bei meinem Erscheinen im Rathaus offiziell begrüßt und in den Festsaal geleitet werden. Lueger hatte den W i n k offenbar verstanden, denn er ließ mir sagen, natürlich würden mich Gemeindefunktionäre beim untersten Absatz der Feststiege, die Vizebürgermeister in deren Mitte und er selbst bei dem oberen Stiegenabsatz empfangen und ich würde dann von allen zusammen in den Festsaal geleitet werden. Außer bei Bürgermeisterbeeidigungen, für welche ein ähnliches Zeremoniell seit alters her üblich oder vorgeschrieben ist, habe ich nie mehr einen besonderen Empfang im Rathaus verlangt, die einmalige Lehre w a r genügend. Wenigstens so oft ich an Festlichkeiten im Rathaus teilnahm, erschien Lueger nicht mehr im Kortege in der Mitte seiner bereits versammelten Festgäste; er empfing sie fein artig bei ihrem Eintritt in die Festräume. Lueger und Bibl hielten, soviel ich weiß, an ihrem Zeremoniell nur fest, wenn keine höheren Funktionäre Festteilnehmer waren. Bibl ließ aber darum nicht nach, den Bürgermeister in seinem Größenwahn, der zuletzt bei Luegers fortschreitender Zuckerruhr beinahe krankhaft wurde, zu bestärken. So hatte er anläßlich des feierlichen Leichenbegängnisses des Landtagsabgeordneten Costenoble in der Wiedener Pfarrkirche, bei welcher doch der Landmarschall die erste Repräsentativpersönlichkeit w a r , unmittelbar beim Hochaltar einen Fauteuil und Betschemel für den Bürgermeister aufstellen lassen, so daß der Landmarschall, als er erschien, hinter demselben stehen mußte. Ein Kirchendiener brachte ihm dann schließlich einen bescheidenen Sessel. Liechtenstein hatte das, wie wohl ganz natürlich, gehörig krummgenommen und gab seinem Unmut beim Verlassen der Kirche lauten Ausdruck. In Luegers allerletzten Jahren aber hatte Bibl für sich und seine Präsidialkollegen sogar eine Luegerschc Hofuniform, bestehend aus einem grünen Frack mit schwarzen Samtaufschlägen und gelben Wappenknöpfen, erfunden, die im Gefolge des Bürgermeisters bei allen festlichen Anlässen getragen wurde.
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Diese Uniform gab auch in Rathauskreisen zu manchen Spottreden Anlaß; Neumayer schaffte sie bei seinem Amtsantritt ab und enthob auch Bibl vom Dienst im Präsidialbüro. Ganz ähnlich ging es auch mit der Sucht Luegers, seinen Namen auf Gedenktafeln bei jedem neuen Kommunalgebäude oder sonstigen Anlage verewigen zu lassen. Ein Witzblatt brachte denn auch, als die Elefantin des Schönbrunner Tiergartens ein Junges zur Welt gebracht hatte, das Bild dieses Elefantenbabys mit der Unterschrift: „Geworfen unter dem Bürgermeister Dr. Karl Lueger." Vielleicht hat er selbst den Witz nicht erfahren, denn der arme war damals schon nahezu blind, so daß ihm alles vorgelesen werden mußte. Was er nicht wissen sollte, enthielt ihm seine Umgebung vor. Sonst wäre es kaum zu erklären, daß er zustimmte, daß der Platz vor dem Rathaus seinen Namen erhielt, und zwar gar nicht lange nach einem Beschluß des Wiener Gemeinderates, daß in Hinkunft keine Straße und kein Platz den Namen eines lebenden Mitbürgers erhalten dürfe. N u r für Lueger und Kaiser Wilhelm (!) wurden Ausnahmen gemacht. Es ist ganz unglaublich, was Lueger in der Periode seines Größenwahns alles an Lobhudeleien von seiner ihm, dem Volkstribunen, schmeichelnden kommunalen Umgebung vertragen konnte und sich auch öffentlich sagen ließ, ohne mit der Wimper zu zucken und wenigstens taktvoll eine abwehrende Bemerkung zu machen. Unglaublich ist das besonders deswegen, weil er, so oft anderer bei festlichen Anlässen mit anerkennenden oder Dankesworten, wie solche ja usuell sind, gedacht wurde, stets mit spöttelnden Bemerkungen über „überflüssige Anstrudelungen" bei der Hand war. Er duldete eben nicht gern andere Götter neben sich. Davon wissen die Angehörigen seiner eigenen Partei das meiste zu erzählen, so unter anderen Dr. Pattai, ein sehr begabter Mann und vorzüglicher Redner, der den Spitznamen „Salonantisemit" führte, weil er sich gern in höheren Gesellschaftskreisen bewegte und dort, in wohlgesetzter Rede und ohne je ausfällig zu werden, für Antisemitismus agierte. Auch er strebte damit eine Führerrolle in der Partei, wenn nicht gar den Bürgermeisterposten Wiens, an. Lueger ließ ihn nie recht aufkommen und war, wie ich glaube, recht froh — vielleicht wirkte er auch mit —, daß Pattai Präsident des Abgeordnetenhauses wurde und sein Ehrgeiz damit auf einem anderen als dem Wiener kommunalen Gebiet befriedig wurde. Ich eile späteren Vorkommnissen voraus, wenn ich hier sage, daß Lueger Pattais Karriere übrigens prächtig zu seinem eigenen Vorteil
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auszunützen verstand. Es ist üblich geworden, daß der Präsident des Abgeordnetenhauses nach mehrjähriger Amtsführung mit der Würde eines Geheimrates bekleidet wird. Audi Pattai erhielt diese Hofwürde, und das war f ü r Lueger geradezu ein „crimen laesae majestatis", welches gutgemacht werden mußte. Alois Liechtenstein, der ewige Bote der Partei zu den Ministern, den wegen seines Fürstenranges zu empfangen doch niemand ablehnen konnte, wurde nun in Bewegung gesetzt — und richtig, nach nidit gar langer Zeit war auch Wiens Bürgermeister, dessen weltlich hierarchische Stellung doch höchstens dem Rang eines k. k. Hofrates entsprach, Seiner Majestät Wirklicher Geheimrat. Damit aber hatte dieses argen Demagogen Größenwahn den Höhepunkt erreicht. Seine Exzellenz waren nun entweder hochfahrend oder auch leutselig, je nachdem es die Situation gerade ergab — oder Wahlen bevorstanden. Um weiter zu schildern, was Lueger an Lob vertragen konnte, erwähne ich die Einweihung des neuen Kuglerparks in Döbling, zu der nebst anderen Festgästen auch meine Frau und ich geladen waren. Als nun der dortige Bezirksvorsteher und ehemalige Gastwirt, Kuhn, Lueger in überschwenglicher Rede für die Anlage dieses Gartens und Erholungsplatzes für die Bevölkerung gedankt und dabei eingeflochten hatte, diese vergesse es Lueger nicht, daß er (!) Großwien geschaffen habe, quittierte Lueger dies in seiner Gegenrede trotz meiner Gegenwart vorbehaltlos. Ich glaube, Lueger hatte vorher von Kuhns Rede keine Kenntnis genommen, wenigstens antwortete er aus dem Stegreif. Eines anderen Festaktes aber, es war die Eröffnung der neuen Marienbrücke über den Donaukanal, erinnere ich mich, bei dem Festrede und Gegenrede verlesen wurden. Der städtische Baubeamte übergab die fertiggestellte Brücke seinem Vorgesetzten, dem Bürgermeister, mit einer den letzteren in den überschwenglichsten Worten feiernden Rede, und dieser antwortete ganz wie ein Souverän, den einzelnen beim Bau beschäftigt gewesenen Beamten und Unternehmern huldreich Anerkennung zollend. Deren Vorstellung und ein „Cercle" beschloß die Feier. Zu der Zeit, von welcher ich rede, fand in Wien ein Schriftstellertag statt. Nach beendigtem Festbankett lud Lueger einige auswärtige Schriftsteller zu einem gemütlichen Beisammensein im „Ratsstüberl" des Wiener Rathauskellers ein, wie er es bei derlei Anlässen so gern tat. Er war dann stets von echt Wienerischer Liebenswürdigkeit und Gemütlichkeit, aber der Wein löste ihm auch die Zunge. Ein damaliger Teilnehmer des Symposions, ehemaliger Generalstabsoffizier aus Graz,
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teilte mir mit, er sei ganz unter dem Banne der Liebenswürdigkeit Luegers gestanden, habe aber nicht genug staunen können, als Lueger, mit einer Handbewegung auf die H o f b u r g zeigend, ihm gegenüber geäußert habe: „Jener glaubt der H e r r Wiens zu sein, ich aber bin es!" Merkwürdig, alles huldigte damals dem allmächtigen Bürgermeister; und zwar nicht nur seine Untergebenen, die zahllosen städtischen Angestellten, die längst gemerkt hatten, wie sehr ihr Oberhaupt Schmeicheleien zugänglich war und wie er sich oft durch außerordentliche Beförderungen und dergleichen dankbar erwies, und nicht nur seine Parteigenossen in Wien, die scherzweise sein Stimmvieh oder seine Barrierestöcke geheißen wurden; nein, auch hervorragende Politiker und sogar k. k. Minister stimmten in den Reigen ein. Von den letzteren wurde Lueger gar arg verwöhnt, als er anfing zu kränkeln. Die Symptome der Zuckerkrankheit, eine Folge seiner höchst unregelmäßigen Lebensweise, traten immer bedenklicher bei ihm auf. Einige Jahre hindurch noch half Karlsbad, aber dann versagten ihm trotz aller Kuren Füße und Augen. Sein Ende war ergreifend traurig. Viele Jahre lang hatte er eigentlich nur der Agitation gelebt. Während des größten Teils des Jahres täglich mehrere Wählerversammlungen oder wenigstens Konventikel von Wählern in von Rauch geschwängerten engen Gasthauslokalitäten zu besuchen und dort bis spät in die Nacht Reden zu halten und zu zechen, ja sogar an einem und demselben Abend sich in die verschiedensten Wirtshäuser der verschiedensten Bezirke Wiens zu begeben, hält selbst die robusteste Natur, und eine solche war Lueger ursprünglich, auf die Dauer nicht aus. Dabei w a r auch die von ihm entwickelte geistige Anstrengung stets groß. Es hieß, seine anfänglich aus den heterogensten Elementen zusammengesetzte Partei einig zu erhalten und zu diesem Zweck immer neue Schlagwörter zu bringen, die auf die breiten Massen der Bevölkerung, aus der sich seine Partei zusammensetzte, zugkräftig wirkten. In der Rücksichtnahme auf den kränkelnden Lueger ging Heinrich Ritter von Wittek als Eisenbahnminister und Vorsitzender der Kommission für die Wiener Verkehrsanlagen so weit, daß er die Sitzungen dieser Kommission in der Wohnung Luegers im Rathaus abhielt, nur, damit der leidende Bürgermeister geschont werde. Und auch schon früher konnte er sich in dieser Kommission an Rücksichtnahme für den großen Bürgermeister nicht genugtun. H a t t e Wittek bestimmte Absichten damit, ich weiß es nicht. Dieser war als Leiter des Handelsministeriums 1895 Mitglied meines provisorischen Beamtenministeriums und huldigte als solcher noch jenen
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gemäßigt liberalen Anschauungen, wie sie unter der k. k. Beamtenschaft herkömmlich waren. Lueger quittierte Witteks erwähnte Höflichkeiten in der Kommission schon bei einer offiziellen Besichtigung des fertiggewordenen Wiener Hauptsammeikanals, indem er ihn als „den Minister für Wien" bezeichnete und ihm „seine Anerkennung" aussprach. Nach Witteks Pensionierung bot ihm Lueger zur allgemeinen Überraschung ein Wiener christlichsoziales Reichsratsmandat an; Wittek nahm es und wußte gar bald seine alten Staatsbeamtentraditionen so gut an den Nagel zu hängen, daß er einige Jahre hienach als Mitglied der k. k. Kommission zur Förderung der Verwaltungsreform durch dick und dünn mit den Autonomen in dieser Kommission stimmte und die von der anderen Seite verlangte Stärkung der Staatsautorität in der österreichischen Verwaltung mit den Worten bekämpfte, das sei ein Ideal und folglich nicht zu erreichen. Auch Koerber, der Mann der kleinen Mittel in der Politik, trug gleich, als er Anfang 1900 Ministerpräsident und Leiter des Ministeriums des Innern geworden war, wesentlich dazu bei, Lueger in seinem Größenwahn zu bestärken, indem er ihn zu sich lud, um seine Wünsche f ü r Wien kennenzulernen und ihm deren Erfüllung so ziemlich in Bausch und Bogen zuzusagen. Einer derselben betraf das „Kaiser-Jubiläums-Kinderspital" der Gemeinde Wien. Leider muß ich hier etwas weiter ausholen, um darzulegen, daß der Wiener Krankenanstalten-Fonds nie, wie im niederösterreichischen Landtag und im Wiener Gemeinderat oft irrig behauptet wurde, verpflichtet war, für alle Spitalsbedürftigen Wiens Krankenbetten bereitzuhalten. Kaiser Joseph II. hatte die verschiedenen in Wien bestehenden Bettenstiftungen im Allgemeinen Krankenhaus zusammengelegt und diesem gewisse Zuflüsse aus öffentlichen Mitteln zugewiesen. Das und besonders die Abgabe aus den in Wien vorgefallenen Verlassenschaften führte zur Bildung des „Wiener Krankenanstalten-Fonds", der schließlich in der Lage war, außer dem Allgemeinen Krankenhaus noch einige Spitäler zu erbauen oder bestehende zu übernehmen und dadurch die Anzahl der gestifteten Betten auf über 3000 zu vermehren. Daß aber durch die Schaffung dieses Fonds die der Gemeinde Wien gesetzlich obliegende Pflicht, für ihre erkrankten Armen zu sorgen, zur Gänze abgenommen worden sei, wie irrtümlich angenommen wurde, leugnete die Verwaltung dieses Fonds stets mit vollem Recht. Die erwähnten mehr als 3000 Betten genügten nun zu gewissen Epidemie- oder Jahreszeiten nicht und es stand der Gemeinde
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Wien bevor, im Entscheidungswege durch die berufenen Staatsaufsichtsbehörden dazu gezwungen zu werden, selbst Spitäler zu errichten, um ihrer Verpflichtung auf Krankenfürsorge, soweit die Fondsbetten nicht reichten, gerecht zu werden. Dieses Damoklesschwert hing gerade über Wien, als das fünfzigjährige Regierungsjubiläum des Kaisers herannahte. Lueger hing sich nun ganz schlau das patriotische Mäntelchen um und erschien bei mir mit dem Anbot, aus Wiener Gemeindemitteln dem KrankenanstaltenFonds eine Million Kronen zur Erbauung eines Kinderspitals mit mindestens 500 Betten auf den Gründen des Fonds in Ottakring zu widmen, wenn dieses Spital dann als Kaiser-Jubiläums-Kinderspital der Gemeinde Wien bezeichnet werde. Die Absicht Luegers, sich nach hochoben schön zu machen und gleichzeitig die eben von mir erwähnte Gefahr von Wien abzuwenden, war so durchsichtig, daß ich ihm sofort mit dem Satz: „Timeo Danaos et dona ferentes" antwortete, aber ihm doch versprach, beredinen zu lassen, ob die angebotene Summe den Bau und Betrieb eines so großen Kinderspitals nachhaltig zu decken vermöge. Diese Berechnungen hatten, wie bereits von mir vorausgesehen, ein durchaus negatives Resultat. Ich erklärte daher Lueger, die Widmung nur unter der Bedingung annehmen zu können, daß die Anzahl der Betten auf etwa die Hälfte eingeschränkt werde. Dann werde der Bau nur rund die Hälfte der zu widmenden Summe erfordern, die andere Hälfte aber als Stiftungskapital zur Deckung des Betriebes des neuen Kinderspitals dienen müssen, der nach den modernen, an eine derartige Anstalt zu stellenden Anforderungen ungemein hoch zu stehen kommen werde. Das war nun wieder Lueger nicht recht. Er erklärte mir ganz offen, damit werde seinem Zweck, mit der Widmung für geraume Zeit dem Bettenmangel in den Spitälern des Wiener Krankenanstalten-Fonds abzuhelfen, nicht entsprochen; er müsse sich die Sache noch weiter überlegen. Bevor er mir gegenüber auf diese zurückkam, wurde Koerber Minister und Lueger erzählte ihm nun von seiner patriotischen Absicht und meinen diesbezüglichen kleinlichen Bedenken; es werde einen sehr guten Eindruck in der Partei machen, wenn die erste Tat Koerbers als neuer Leiter des Ministeriums des Innern die Annahme der „KaiserJubiläums-Spende" sei. Koerber, um sich Lueger und seine mächtige Partei zu verbinden, sagte sofort zu und teilte mir dies dann unter Darlegung seiner „parlamentarischen Motive" mit. Ida möge meine Bedenken fallenlassen, man werde schon Mittel finden, daß der Krankenanstalten-Fonds nicht zu Schaden komme; auch der patriotische
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Anlaß erheische Entgegenkommen. Mir blieb in diesem Augenblick nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Denn ein solches war es in der Tat, wie mir allerdings erst später ganz klar werden sollte. Einstweilen verkündete Lueger laut seinen großen Einfluß auf den neuen Minister und, wie er meine kleinlichen Bedenken besiegte. Mir blieb nun nichts anderes zu tun übrig, als den Bau des KaiserJubiläums-Spitals möglichst einfach und billig projektieren zu lassen, damit von der Million wenigstens ein wenn auch nur kleiner Teil als Betriebsfonds erspart werde. Aber auch damit hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Dieser war der unter Koerber stehende Oberste Sanitätsrat, der für das neue Kinderspital zahlreiche kleine „Isolier"-Krankenpavillons und Abstände von dem einen zum anderen in der doppelten Breite des Projektes meiner Techniker verlangte. So kam es, daß nicht nur bedeutend mehr Terrain verbaut werden mußte, sondern auch der Betrieb des Spitals, als es fertiggestellt war, viel viel höher zu stehen kam, als ich mir von allem Anfang an hatte beredinen lassen. D a s riesige Jahresdefizit dieser neuen Gruppe der Wiener Spitäler ist der erste und Hauptgrund, daß der KrankenanstaltenFonds dann nach Verlauf weniger Jahre direkt notleidend wurde. Dieser Niedergang aber hatte zu Luegers Größe beigetragen. Mir scheint, seine Devise lautete überhaupt auf: Hilf, was helfen kann. Eine zweite Sache, die Lueger ein oder zwei Jahre danach während einer Art parlamentarischen Notstandes Koerbers bei ihm in ähnlicher Weise durchsetzte, war die Einverleibung der Gemeinden links des Donauufers (Floridsdorf usw.) in Wien. Ich tat dieser Aktion Luegtrs schon oben Erwähnung und will hier nur nachholen, daß ich einer Morgens zu Koerber in das Ministerium des Innern berufen wurde, wo dieser mir mitteilte, es werde sofort eine Sitzung unter Teilnahme Luegers und seiner Begleitung sowie von Vertretern mehrerer Ministerien stattfinden, der auch ich beiwohnen möge. Es handle sich um die Frage, wie die Einverleibung der Donaugemeinden in Wien ermöglicht werden könne; parlamentarische, höchst wichtige Rücksichten erheischten eine möglichst glatte und schleunige Lösung; ich möge keine unnötigen Schwierigkeiten machen. Zu meiner größten Überraschung gaben nun die alsbald zur Sitzung erschienenen Vertreter des Finanzministeriums Erklärungen ab, die Sache lasse sich finanztechnisch ganz leicht durchführen. Das stand zwar in direktem Gegensatz zu der von mir zu dieser Frage im Vorjahr im Landtag abgegebenen und vom Finanzminister formulierten Regie-
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rungserklärung, aber Lueger hatte eben damals Koerber in der H a n d und letzterer wieder hatte den neuen Standpunkt dem Finanzministerium angeordnet. Dieser neue Erfolg Luegers war der Höhepunkt seiner Größe als Bürgermeister und Parteiführer. Bald nach der famosen Sitzung bei Koerber war die Einverleibung durch ein Landesgesetz im Niederösterreichischen Landtag beschlossen worden. Die dazu nötigen Ausnahmegesetze und Verordnungen für das Finanzressort wurden ebenso erlassen, und nun konnte Lueger nicht nur seine Macht über die Regierung in allen Tonarten preisen, sondern sich auch als den eigentlichen Schöpfer des richtigen Großwien feiern lassen, was dann stereotyp blieb. Auf Koerber folgte das zweite Ministerium Gautsch. Gautsch war es gewesen, der seinerzeit unter Badeni die Nichtbestätigung Luegers als Bürgermeister durchgesetzt hatte, und der, als dann Strobach als Bürgermeister der Christlichsozialen zugelassen wurde, jene Bedingungen formuliert hatte, unter denen dieser Partei von der Regierung die R a t hausherrschaft ermöglicht wurde und die ich in meiner Rede bei der feierlichen Beeidigung Strobachs kundzugeben hatte. D a s war Lueger sicherlich bekannt. Ich war daher sehr gespannt, wie sich diese zwei Männer, d a ja Gautsch stets viel Selbstbewußtsein zeigte und im Kreise seiner Intimen deshalb den Spitznamen „Fürst P a u l " führte, zueinander stellen würden. Es ging merkwürdig gut. Gautsch verstand es immer, jenen zu schmeicheln, die er gerade brauchte, und den unterirdischen Verkehr der Regierung mit Luegers Partei besorgte der Vorstand der Präsidialkanzlei des k. k. Ministerratspräsidiums, Ministerialrat D r . Rudolf Sieghart, der ehemals Singer geheißene getaufte Jude, vorzüglich. Er hatte finanzielle Schwächen einzelner Mitglieder der Luegerschen Partei richtig erkannt und verwaltete doch den Dispositionsfonds der k . k . Regierung. Ich bin überzeugt, daß Lueger von diesen Machenschaften keine Ahnung hatte, denn reine H ä n d e hatte er stets und verlangte diese auch von seinen Parteigenossen. Aber damals hatte er den Höhepunkt seiner Größe bereits erklommen, seine Zuckerkrankheit zeigte ihre ersten verheerenden Wirkungen an ihm, so daß er schon oft müde und erschlafft erschien und anfing geschoben zu werden, wo er noch zu schieben glaubte. Ein gewisses Mißtrauen gegen diese Schieber hegte er allerdings damals schon. Dies erklärt, weshalb er sich einen ganz außerhalb des
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Parteigetriebes stehenden Vertrauensmann erkor. Es war dies der Generaldirektor der Länderbank, Herr August Lohnstein, den Lueger bei den finanziellen Transaktionen der Gemeinde mit dieser großen Bank kennengelernt hatte. Dieser, ein sehr gescheiter Geschäfts- und Ehrenmann durch und durch, verdiente das Vertrauen Luegers gewiß in jeder Beziehung, gab ihm, ich weiß es, immer nur sachlichen und „gemäßigten" Rat, und erreichte es dadurch, daß Lueger schließlich, als bei zunehmender Krankheit die Zügel seinen Händen zu entgleiten drohten, auf politischem Gebiet nichts selbst unternahm oder von seiner Partei unternehmen ließ, ohne vorher Lohnsteins Rat gehört zu haben. Diese Oberzensur mußte sich selbst Gessmann, der „Generalstabschef" der Partei, gefallenlassen, was ihn so weidlich ärgerte, daß er sogar mir gegenüber kein Hehl daraus machte, und Lueger „als alten Esel" bezeichnete. Anlaß dazu war der Landtag, als die Partei zu einer für sie wichtigen Frage Stellung zu nehmen hatte und Gessmann daher zur Einholung einer Weisung zu dem leidend auf dem Semmering weilenden Parteichef Lueger gefahren war und mit der Antwort heimkehren mußte, Lueger behalte sich seine Entscheidung vor, bis er die Angelegenheit mit Lohnstein, den er sofort auf den Semmering berufe, besprochen haben werde. Ironie des Schicksals: Lueger, Haupt der Antisemiten, wenigstens nach außen; Gessmann, ein ausgesprochener Judenstämmling mit allen charakteristischen Eigenschaften, besonders auch dem regen Erwerbssinn dieser Rasse; Rudolf Singer-Sieghart und August Lohnstein, beide getaufte Juden! Und da will man noch sagen, Österreich sei nicht das Land der UnWahrscheinlichkeiten. Als Beck Ministerpräsident wurde, um den verfahrenen Karren der Wahlreform wieder in das Geleise zu ziehen und außerdem gewisse „Staatsnotwendigkeiten" durch das Parlament beschließen zu lassen, brauchte er dazu namentlich auch die starke christlichsoziale Partei des Abgeordnetenhauses, hofierte daher Lueger in jeder denkbaren Weise und ließ der Partei im niederösterreichischen Landtag jeden kleinsten Wunsch sofort erfüllen. Was aber Lueger in seiner Eitelkeit mit Stolz und besonderer Genugtuung empfand, war, daß Beck ihn so häufig im Rathaus besuchte, um, wie er sagte, dem Kränkelnden den Weg in das Ministerium zu ersparen. Der vorletzte und letzte Besuch bei Lueger sollten Beck verhängnisvoll werden. Bei dem ersten ersuchte Beck um die Stimmen der Christlichsozialen bei einer bevorstehenden für die Regierung wichtigen Abstimmung im Abgeordnetenhaus. Lueger zögerte mit der Zusage; er
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müsse die Frage erst in seiner Partei erörtern lassen, Beck möge am nächsten Tag wieder bei „ihm erscheinen und sich die Antwort holen". Lueger ließ nun Gessmann rufen, damit dieser die Meinung der Partei einhole. Der aber fuhr zunächst in das Belvedere zum ErzherzogThronfolger Franz Ferdinand, da ihm dessen damals äußerst gespanntes Verhältnis zu Beck bekannt war, und legte diesem dar, in welcher Verlegenheit sich Beck befinde und wie er nur mit Hilfe der Christlichsozialen seine Vorlage im Abgeordnetenhaus durchbringen könne. Das aber ersdiien dem Erzherzog die lange schon von ihm ersehnte Gelegenheit zu sein, Bede zu stürzen. Er ersuchte also Gessmann, Lueger seinen Wunsch zu überbringen, daß die Partei nicht für die Regierung stimme. Beck, der natürlich keine Ahnung von der gegen ihn gesponnenen Intrige hatte, von dieser vielmehr erst später erfuhr, erschien am nächsten Tag wieder bei Lueger, der ihm nun kalt lächelnd mitteilte, die Partei sei nicht gewillt, in der auf der Tagesordnung stehenden Frage der Regierung Gefolgschaft zu leisten. Aus dieser Antwort, die die Regierung vor eine Schlappe im Abgeordnetenhaus stellte, zog Beck die Konsequenzen, indem er sofort die Demission seines Ministeriums bei der Krone erbat, die auch angenommen wurde. Der ErzherzogThronfolger und Lueger, der allerdings nie zu des ersteren Intimen zählte, frohlockten beide für sich; der Erzherzog, seinen ehemaligen Lehrer und Vertrauten, der es gewagt hatte, ohne sein Zutun die Ministerpräsidentschaft anzunehmen, gestürzt zu sehen, und Lueger mehr aus Eitelkeit — Beck war ihm doch stets um den Bart gegangen—, endlich einmal bloß durch sein Machtwort einen Ministerpräsidenten Österreichs gefällt und sich damit noch obendrein die Zufriedenheit des immer mächtiger werdenden Thronfolgers erworben zu haben. Lueger machte aus diesen seinen Gefühlen damals mir gegenüber durchaus kein Hehl. Nun kam mit Hilfe Gessmanns Bienerth, bis dahin Minister des Innern im Kabinett Beck, dazu, Ministerpräsident zu werden. Die Intimität dieser zwei Männer stammte aus der Zeit, in welcher Bienerth Vizepräsident des niederösterreichischen Landesschulrates gewesen war und Gessmann als Mitglied und Macher in dieser Korporation immer mehr Einfluß auf Bienerth, den liberal schillernden Enkel Schmerlings, gewonnen hatte. Lueger wurde nun kränker und kränker, schließlich sogar bettlägerig und hatte kaum mehr Gelegenheit, mit dem neuen Ministerpräsidenten zu verkehren. Die politische Leitung desselben übernahm
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daher Gessmann, und zwar so gründlich, daß er täglich bei ihm aus und ein ging. Dabei schickte er sich auch an, Luegers Erbe als Bürgermeister Wiens anzutreten. Unvergeßlich ist die von Gessmann veranstaltete „Extraausgabe", Lueger habe ihn auf dem Totenbett zu seinem politischen Erben ernannt, was sich dann alsbald als bewußte Unwahrheit herausstellte und Gessmann als Bürgermeister unmöglich machte, ja ihn sogar zwang, für eine Zeitlang aus Wien zu verschwinden und dem politischen Leben fernzubleiben. In seiner letzten Krankheit besuchte ich Lueger mehrere Male, nicht, um noch mit ihm über Geschäfte zu verhandeln, sondern nur, um ihm meine Teilnahme zu bezeugen. Es war beinahe herzzerreißend, diesen früheren Typus männlicher Kraft, der so trotzig und hochfahrend sein konnte, nun so elend, weich und weinend daliegen zu sehen. In sein Schicksal ergeben war er dabei nicht, er hing zu sehr am Leben und glaubte zu sehr an seinen guten Stern, der ihm so lange geleuchtet hatte. Er hatte auf seinem letzten Krankenlager treue Pflege; außer einigen Pflegeschwestern leisteten ihm abwechselnd zwei junge Ärzte, die Doktoren Erwin RufF und Venus, Hilfe; beide waren — abermals eine Ironie des Schicksals — jüdischer Abstammung. Als nun Lueger aber dodi endlich sein Ende herannahen fühlte, erbat er sich zur Spendung der Sterbesakramente den Besuch des Abtes von Herzogenburg, Frigdian Schmolk. Das war kein unschöner Zug von Luegers Charakter, denn dieser Prälat war bis vor ganz kurzem Landmarschall von Niederösterreich gewesen, und Lueger hatte, dem Drängen Alois Liechtensteins nachgebend, diesen edlen Geistlichen zur Resignation auf den ihm so lieb gewordenen Posten veranlassen müssen. Lueger hatte dies nicht gern getan, ich wußte es von ihm selbst, aber Liechtenstein war nun einmal das fürstliche Aushängeschild der Partei, dessen sich namentlich Gessmann bei seinem öffentlichen Auftreten so gern bediente, und so war denn auf dessen Betreiben in der Partei die Parole ausgegeben worden, der ständige Begleiter Gessmanns bei seinen häufigen Querulantenbesuchen bei den Ministern müsse, um diesen Begehrlichkeiten ein noch größeres Gewicht zu verschaffen, unbedingt Landmarschall werden. Lueger aber hat dann auf seinem Totenbett Schmolk um Verzeihung gebeten, wie dieser mir noch voller Rührung unmittelbar nach seinem Versehgang mitteilte. Zur Vervollständigung des Charakterbildes Luegers gehört eine Schilderung seiner Rednergabe. Diese hatte er schon als junger Jurist in verschiedenen Universitätsvereinen ausgebildet und dort erfahren,
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welche Wirkungen er mit seinem sonoren Organ, aber auch mit seinen den Gegner bespöttelnden und sarkastischen Wendungen auf seine Zuhörer zu erzielen vermochte. Dieser Art, vor breiten Volksmassen zu reden, und seiner ausgesprochenen Gabe, die momentane Volksstimmung in einem Schlagwort zum Ausdruck zu bringen, verdankte er seine beispiellose Popularität in Wien. N u r ein Beispiel möge meine Wahrnehmung erhärten. Als die Stimmung in Wien zur Zeit des Regimes Banffy-Baross sich immer mehr gegen die, alle österreichischen Interessen mißachtende oder gar schädigende, ungarische Regierungspolitik kehrte, welche von dem aus der Gentry und dem in Ungarn fast ausschließlich jüdischen Advokatenstand zusammengesetzten Abgeordnetenhaus gestützt wurde, erfand Lueger das Wort „Judäomagyaren". Dieses Wort allein führte ihm damals Tausende von Anhängern zu. Bei einem der häufigen Besuche Luegers bei mir, dem Statthalter, bei denen er nach Erörterung der eigentlichen Geschäftssache, eine meiner guten Zigarren rauchend, gern redselig wurde, sprach er mir von seinen rednerischen Erfolgen, auf die er natürlich ungemein stolz war. Er setzte mir damals auseinander, seine Vorbereitung zu Reden in Volksversammlungen oder bei ähnlichen Anlässen bestehe nur darin, daß er vorher den Beginn, den Höhepunkt und den Schluß der Rede sich zurechtlege und allenfalls kurz notiere. Es handle sich darum, seine Zuhörerschaft von allem Anfang an mit einigen freundlichen Worten zu gewinnen, ihnen in der Mitte, dem Höhepunkt der Rede, deren eigentlichen Zweck mit treffenden Worten zu Gemüte zu führen, und sich selbst am Schluß lauten Beifall, den „schönen Abgang" des Schauspielers, zu sichern. In eine solche Rede flechte er dann alles Mögliche ein, was ihm gerade in den Sinn komme oder wozu ihn Stimmung und Gebärden seiner Zuhörerschaft anregen. Luegers Reden sind der Nachwelt durch stenographische Protokolle oder Zeitungsberichte zu einem sehr großen Teil erhalten. Wer sie gewissenhaft durchsieht, wird finden, daß alle diese Reden auf den Tag und das Publikum gestimmt sind, dem sie gerade dienen sollten. Wenn ich sie als seichtes Geschwätz bezeichne, so ist dieser Ausdruck vielleicht zu stark, aber große Gedanken und ernste Erörterungen zur Lösung politischer Probleme wird der Geschichtsforscher vergeblich in den sämtlichen Reden des goßen Bürgermeisters suchen. Mein persönliches Verhältnis zu ihm war naturgemäß zu manchen Zeiten gespannt, da er mich aber nie beleidigte, vielmehr immer seine persönliche Hochachtung zu erkennen gab und, als er Bürgermeister 26 Goldinger, Kaiserhaus
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geworden war, sogar ganz manierlich die dem der Gemeinde vorgesetzten Statthalter schuldigen Rücksichten in unserem direkten Verkehr wahrte, so kam ich stets ganz leidlich mit ihm aus. Er vertraute mir vieles über die inneren Vorgänge in seiner Partei an und hielt mit seinem Urteil über so manche recht zweifelhafte Charaktere in derselben dabei nicht zurück. Er wußte, daß ich sein Vertrauen in dieser Beziehung nicht mißbrauchen würde. Dieses Vertrauensverhältnis beruhte aber auch insofern auf Gegenseitigkeit, als ich mich überzeugt hatte, daß Lueger über ihn von mir als vertraulich bezeichnete Mitteilungen ganz gewissenhaft reinen Mund zu halten verstand. In dieser Beziehung war er ein durchaus anständiger Charakter, auf den man sich verlassen konnte, wenn er einem einmal eine bestimmte Zusage gemacht hatte. Das Wort „bestimmt" ist hier zu unterstreichen, denn wenn er unbestimmt redete, mußte man auf der Hut sein. Lueger war ein österreichischer und noch mehr Wiener Lokal-Patriot. Ein starkes, auch von Ungarn nicht geschwächtes Österreich war sein Ideal. Sein Deutschtum betonte er nur, wenn ihm dies mit Rücksicht auf die „Deutschnationalen", die er in seine Partei aufgenommen hatte, gerade notwendig erschien. Er wollte allerdings den deutschen Charakter Wiens aufrecht erhalten sehen, verkannte aber auch anderseits nicht, daß Wien die Reichshauptstadt eines von den verschiedenartigsten Völkern zusammengesetzten Reiches sei, welche keine dieser Nationalitäten abstoßen dürfe und die ihrer Angehörigen, die sich in Wien niederlassen, zu germanisieren trachten müsse. Seinen Parteiangehörigen, die anders dachten und den zahllosen in Wien angesiedelten Czechen die Pflege ihrer Nationalität verwehren wollten, rief er einst zu: „Laßt mir meine Böhm' in Ruh." Dynastisch gesinnt war er auch, gewiß aber kein Byzantiner, im Gegenteil, er hätte den Vers dichten können: „Meinem Kaiser bin ich gut, Solang er meinen Willen tut." So ungefähr war seine Haltung, als der Kaiser seine Wahl zum Bürgermeister nicht bestätigt hatte. Es wäre einem Staatsanwalt vielleicht damals nicht gar zu schwer geworden, sich das Material zur Erhebung einer Anklage auf Majestätsbeleidigung gegen Lueger zu beschaffen. Sein Lokalpatriotismus gipfelte darin, daß er seine Vaterstadt groß und schön sehen wollte. Es ging ihm stets gegen den Strich, wenn er seiner doch zumeist aus Kleinbürgern zusammengesetzten Partei zuliebe Dinge geschehen lassen oder gar an solchen mitwirken mußte, die
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diesem seinem Ideal widersprachen. Das treffendste Beispiel hiefür ist der ihm aufgezwungene Obstruktionskampf gegen die Einverleibung der Vororte im Jahre 1890. Aber auch noch zahllose andere Beispiele kann ich hiefür anführen. Ich erwähnte schon oben, wie er die Fleischhauer Wiens, die einflußreichsten Mitbegründer seiner Partei, aber auch die ärgsten Preistreiber und größtenteils rückständigsten Geschäftsleute der Welt, jahrelang in ihren Machenschaften unterstützen mußte, endlich aber gründlich mit ihnen brach, als er nämlich erkennen mußte, daß sie Schädlinge Wiens seien. Ein ganz ähnliches Bewandtnis hatte es mit den Wiener Lohnfuhrwerkern, die keinerlei ihnen gesetzlich vorgeschriebene Taxe einhalten wollten und das „Würzen" eines jeden nach Wien gekommenen Fremden so gründlich und systematisch besorgten, daß viele Blätter des Auslands förmlich vor dem Besuche Wiens warnten. Jahrelang führte ich den Kampf gegen diese Art unreellen Geschäftsbetriebes durch konzessionierte Gewerbe. Die Inhaber hatten sich aber der christlichsozialen Partei, der sie von deren Ursprung her nicht angehörten, angebiedert, ihre Hilfe bei den Wahlen versprochen und fanden deshalb insofern beim Wiener Magistrat als der Gewerbebehörde Erster Instanz Unterstützung, als dieser die Absichten der Statthalterei zur Regelung des Fiaker- und Einspännergewerbes auf jede mögliche Art und Weise zu durchkreuzen suchte. Endlich, erst im allerletzten Jahr meiner Statthalterschaft, gelang es mir, Lueger persönlich davon zu überzeugen, wie schädlich die Fortdauer dieser Verhältnisse für die Entwicklung Wiens als Reichshauptund Fremdenstadt sei. Sofort berief er nun einige der einflußreichsten Mitglieder seiner Partei zu einer Besprechung des Gegenstandes mit mir. In dieser formulierten wir einen dem Gemeinderat vorzulegenden Antrag auf obligatorische Einführung des Taxameters, und nun konnte endlich darangegangen werden, auf diesem so wichtigen Verkehrsgebiet Ordnung zu schaffen. Daß die letztere so kurz andauerte, ist nur Bienerths, des neuen Statthalters, Schuld, der, alsbald nach seinem Dienstantritt, ohne Kenntnis der Sachlage und ihrer Vorgeschichte, den Fiakern förmlich aufsaß, indem er einem Teil (!) von ihnen jeden Taxzwang erließ. Während des Krieges sind viele Lohnfuhrwerkslizenzen außer Betrieb gekommen, die wenigen noch fahrenden Fiaker aber würzen das Publikum in einer Art, von der Bienerth es sich nicht hätte träumen lassen, wenn er Sachkenntnis gehabt hätte. Lueger ist tot und unschuldig an der wieder eingerissenen Wirtschaft, die hoffentlich den Krieg nicht überdauern wird. Ich habe eben eine 26»
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Reihe guter und schöner Charaktereigenschaften Luegers geschildert, aber in einem Bild müssen Licht und Schatten richtig dargestellt sein. Der Hauptfehler Luegers war seine Eitelkeit, wie ich sie maßloser und dabei ganz öffentlich zur Schau getragen, bei niemand anderem je wahrgenommen habe. In diesem Fehler war er von Anfang an, als er eine Rolle im Vereins- und politischen Leben zu spielen begann, von Strebern und Schmeichlern, die sich an seine Schöße hingen, und schließlich im Wiener Rathaus derart bestärkt worden, daß er ganz förmlich zu Größenwahn ausartete. Dieser Eitelkeit ist es zuzuschreiben, daß Lueger oft glaubte, es sei ihm alles und jedes erlaubt — über den Kaiser abfällig zu urteilen, wenn dieser von dem gesetzlich ihm zustehenden Recht Gebrauch machte, einen ihm als mißliebig geschilderten Mann nicht als Bürgermeister seiner Residenzstadt zu bestätigen, oder sich öffentlich über Minister und andere Staatswürdenträger, die ihm gerade nicht zu Gesicht standen, in deren An- oder Abwesenheit lustig zu machen. Hier nahm seine Eitelkeit die Form von Taktlosigkeit an, in der er Hervorragendes leistete. Bei einem Bankett im Rathaus anläßlich eines internationalen Kongresses hielt er derart taktlose Reden, daß die fremdländischen Diplomaten unter der Führung des deutschen Botschafters Graf Wedel das Fest vorzeitig verließen und der letztere auch gar kein Hehl daraus machte, weshalb dieses geschehe. Minister und andere Funktionäre hatten stets eine Heidenangst, ein Fest im Rathaus mitmachen zu müssen, weil sie doch niemals wissen konnten, ob sie oder ihnen nahestehende Kollegen nicht dabei als Zielscheibe der bürgermeisterlichen Witze herhalten müßten und dem öffentlichen Gelächter preisgegeben wären. Lueger wollte die so von ihm Apostrophierten beileibe nicht beleidigen, er war aber so eitel, daß er einen momentanen Erfolg bei seinen Zuhörern, zu dem jene gerade herhalten konnten, nicht gern missen wollte, und so hatte er allmählich jedes Taktgefühl, welches ihn von derlei Geschmacklosigkeiten hätte abhalten müssen, verloren. Ganz ähnliche Bewandtnis hatte es auch damit, wenn er fremde Ideen aufgriff und alsbald so tat, als seien es seine eigenen gewesen, oder sich doch von seinen Leuten als der Erfinder feiern ließ. Der k. k. Baurat und Architekt Fassbender z. B. hatte die gute Idee gehabt, das erweiterte Wien solle bei Aufstellung des Generalregulierungsbauplanes auf die Schonung der Wien umgebenden herrlichen Wälder und Wiesen Rücksicht nehmen, dieses daher in einem Plan dargestellt und die Zeichnung — irre ich nicht, so war es in der KaiserJubiläums-Ausstellung — dem großen Publikum zugänglich gemacht.
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Fassbender, den ich von Baden her kannte, war stolz auf seine gute Idee und machte sowohl mich als auch Lueger sofort auf seinen großen Lageplan aufmerksam. Lueger leuchtete dieser ein, so daß er sogleich Magistrat und Bauamt beauftragte, Studien über deren Durchführbarkeit anzustellen. Diese ergaben, es solle rings um Wien an seiner äußeren Peripherie eine breite, von unverbautem Wald und Wiesen eingefaßte Straße unter dem Namen Wald- und Wiesengürtel angelegt und ein Bauverbot auf die diese Straße begrenzenden Wald- und Wiesenparzellen gelegt werden. Von nun an war nur noch von dem Waldund Wiesengürtel L u e g e r s die Rede und ein Teil desselben wurde auch sofort angelegt. In vielen deutschen Städten waren die Trambahnen bereits elektrifiziert, als in Wien noch der Pferdebetrieb ruhig fortbestand. Die Wiener Tramway-Gesellschaft beziehungsweise deren Großaktionär, das Bankhaus Reitzes, war unter Umständen nicht abgeneigt, den elektrischen Betrieb einzuführen, aber die damals noch liberale Gemeinderatsmajorität mit dem Tramway-Referenten Dr. Hackenberg an der Spitze, machte Reitzes alle möglichen Schwierigkeiten und brachte die unmöglichsten Bedenken vor. Damals gab es das Kleinbahnen betreffende Gesetz noch nicht, zu denen die Straßenbahnen dann gezählt wurden. Noch war die Statthalterei Konzessionsbehörde für diese letztere Art von Eisenbahnen. Ich wollte mich deshalb persönlich vergewissern, ob die vielen Einwendungen der Wiener Rathausleute begründet seien. Da ich vernommen hatte, daß Anlage und Betrieb der neuen elektrischen Straßenbahn in der Stadt Hannover ganz besonders gelungen seien, begab ich mich dorthin, ließ mir alles zeigen und erklären und lud dann den Direktor der hannoverschen Straßenbahn ein, nach Wien zu kommen, um mir hier behilflich zu sein, die Elektrifizierung in die Wege zu leiten. Sitzungen der Gemeindeund Tramway-Vertreter in der Statthalterei unter meinem Vorsitz folgten. Endlich konzessionierte ich der Tramway-Gesellschaft, trotz der Fortdauer gewisser Einwendungen der Gemeinde, die „Transversallinie" mit ausschließlich elektrischem Betrieb. Diese lange Linie wurde nun auch sofort ausgebaut und am 28. Januar 1897 in Betrieb gesetzt. Bei dem bedeutend schnelleren Fahrtempo ergaben sich anfangs allerdings einige Unfälle, aber nach Verlauf von nicht gar langer Zeit verlangte die öffentliche Meinung Wiens die Elektrifizierung des gesamten Tramway-Netzes. Inzwischen hatte Lueger die Herrschaft im Wiener Rathaus angetreten. Dem obigen Wunsch Wiens ehestens zu entsprechen, paßte ihm
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sehr in den K r a m , nur sollte nicht die jüdische Firma Reitzes den D a n k d a f ü r ernten. Er ließ also zunächst mit H i l f e der Deutschen Bank in Berlin der Firma Reitzes den ganzen Besitz ihrer Tramway-Aktien abkaufen und verwandelte diese Aktiengesellschaft in ein städtisches Unternehmen. Er legte das große städtische Elektrizitätswerk an, von dessen feierlicher Eröffnung ich bereits oben Erwähnung tat, und gestaltete die Tramway in die Straßenbahnen nach hannoverschem Muster um. U n d nun ließ er sich in allen Tonarten als denjenigen feiern, der den elektrischen Straßenbahnbetrieb in Wien eingeführt habe. Er konnte dies um so leichter tun, als die früher erwähnte elektrische Linie der Transversalbahn nur Außenbezirke, nicht aber die innere Stadt durchzog. Die Tramway-Sache brachte Lueger erstmals mit der Deutschen Bank in Berührung. So kam es denn, daß diese, als Lueger außerdem auch noch für die mit den neuen Gaswerken Wiens in Zusammenhang stehenden Verlegungen ganz neuer Gasrohrstränge und f ü r eine ganze Menge anderer Anlagen, an denen allen seine Leute viel Arbeit und Verdienst finden sollten, ihm die erste große städtische Anleihe finanzierte. Werner Siemens, der Direktor der Deutschen Bank in Berlin, weilte damals oft in Wien, zog auch bei mir persönlich Erkundigungen ein, verhandelte aber die Anleihesache ausschließlich mit dem Vizebürgermeister Strobach, denn in derlei Finanzsachen war Lueger nicht erfahren und daher äußerst ängstlich. Auch mochte er wohl Verdächtigungen seitens seiner eigenen Leute, betreffend Provisionen, mit Recht fürchten. Reine Hände wollte er ja stets behalten, und auf seinen guten R u f in dieser Richtung war er gewiß mit Recht eitel. Als Stadtrat Hraba schon gegen Ende der Luegerschen Herrlichkeit die Partei als „Anbeter des Gottes N i m m " stigmatisierte, konnte er Lueger selbst damit durchaus nicht treffen. Andere Götter neben sich wollte Lueger nie dulden, deshalb durfte auch niemand außer ihm in Wien populär sein oder werden, oder sich gar öffentlicher Anerkennung erfreuen. D a s ging bei ihm so weit, daß er die H a n d dabei im Spiele hatte, wenn er sich in Gegenwart des Kaisers von seinen Wienern mit Hochrufen feiern ließ und sie durch auffälliges Grüßen förmlich dazu aneiferte. Einstmals nach der Fronleichnamsprozession, als der Kaiser im goldstrotzenden Hofgalawagen, gezogen von acht Schimmeln, St. Stephan verließ, fuhr Lueger, in seiner städtischen Galakarosse sitzend, dem Monarchen unmittelbar nach, neigte sich, fortwährend den H u t ziehend, sehr auffällig aus dem Wagenfenster, so daß ihm lauter gehuldigt wurde als Seiner Majestät.
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Ich hatte dieses, weiter hinten fahrend, wahrgenommen und bei einem kurzen H a l t der ganzen Wagenreihe während des Einbiegens in den Graben gesehen, wie die dort aufgestellten Zöglinge des k. k. Waisenhauses förmlich von ihren Lehrern, den Schulbrüdern, dazu angehalten wurden, Lueger anzujubeln. Ich ließ mir gleich nachher den Direktor der Anstalt, Frater Eucherius Haas, kommen, um ihn auf das Unpassende dieser Kundgebung im Angesichte des Kaisers aufmerksam zu machen und war nicht wenig erstaunt, aus seiner recht verlegenen Antwort zu entnehmen, d a ß „geistliche" parteipolitische Einflüsse laute Kundgebungen f ü r den so gut katholischen Bürgermeister verlangt hätten. Galt es, irgend jemanden in Wien aus diesem oder jenem Anlaß zu feiern, so war Lueger stets in arger Verlegenheit, wie er sich aus der Affäre ziehen solle, damit er dabei nicht in den Hintergrund trete. Als die Statthalterei die Feier ihres vierhundertjährigen Bestandes beging, ignorierte er dieselbe anfangs völlig, sandte aber nachträglich ein farbloses Glückwunschschreiben und ließ mir sagen, er bedauere, von der Feier nicht rechtzeitig informiert worden zu sein. Ich selbst war nie ein Freund solcher Feiern, gestaltete dieselben daher möglichst unauffällig. Die Herausgabe der vierhundertjährigen Geschichte der Statthalterei in antikem Einband war meine Idee, die mir D a n k eintrug und Freude bereitete. Mein zwanzigjähriges Statthalterjubiläum fiel fast genau mit dem Tag meiner silbernen Hochzeit zusammen, zu der fast alle Mitglieder der Kielmanseggschen Familie nach Wien kamen. Ich mußte also hier bleiben, stellte aber meine Familienfeier allein in den Vordergrund, um jede offizielle Begehung meines Dienstjubiläums möglichst hintanzuhalten. Dennoch erhielt ich zu dem letzteren zahllose w a r m gehaltene Kundgebungen — und auch ein Schreiben Luegers, in dem er mir „seine Anerkennung" f ü r meine langjährige Tätigkeit aussprach, etwa in dem Ton, wie der Kaiser es in einem Handschreiben an einen Staatsfunktionär tun könnte. H ä t t e ich dieses Schreiben Luegers publiziert, ich hätte ihn damit lächerlich gemacht und auch wohl vor jenen seiner Parteigenossen kompromittiert, die mir immer abhold blieben und mich gern als „Feind des Gewerbes" bezeichneten, weil ich meinen Kampf gegen Preistreibereien, Ubervorteilung von Fremden und derlei Unarten unserer Spießbürger niemals aufgeben wollte. Aber Luegers Anerkennung hatte ich schriftlich und wir blieben also ganz gute Freunde bis zu seinem traurigen Ende.
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Gessmann, der viel Ehrgeiz und Tatendrang besaß, schloß sich nach der Gründung der Wiener kommunalen Partei der Christlichsozialen durch Lueger eng an diesen an und betrachtete es von allem Anfang an als seine Aufgabe, dieser Partei möglichst viele Männer zuzuführen. Das konnte am besten mit Hilfe der Geistlichkeit geschehen, die auf das Kleinbürgertum seit jeher großen Einfluß hatte. Gessmann verband sich deshalb mit dem klerikalen Flügel von Luegers junger Partei und suchte vor allen Dingen, Beziehungen mit den Pfarrhöfen und Klöstern in Wien zu gewinnen. Von hier aus den Pfarrern und Klöstern in ganz Niederösterreich empfohlen, hatte er auch bald enge Beziehungen mit allen angeknüpft und ihnen die christlichsoziale Sache nahegebracht. Um auch bei der höheren Geistlichkeit und den katholischen Kreisen des Adels, welche der gar zu turbulent, radikal und schreiend auftretenden Luegerpartei keine rechte Sympathie entgegenbringen wollten, Eingang und Unterstützung zu finden, heftete sich Gessmann nun geradezu an die Frackschöße des Prinzen Alois Liechtenstein, der sich mit Hilfe des Führers der Kleingewerbetreibenden in der jungen Partei, nämlich des Mechanikers Schneider, in dem ehemaligen Wiener Vorort Ottakring zum Abgeordneten hatte wählen lassen. Als nun Gessmann Anfang der 1890er Jahre mit der christlichsozialen Majorität in den Niederösterreichischen Landtag einzog, hieß es mit vollem Recht von ihm, er sei der Generalstabschef Luegers. Er trat häufig als äußerst temperamentvoller Redner hervor, wurde zum Landesausschuß gewählt, übernahm als solcher das Schulreferat und wurde auch als Landesausschußvertreter in den k. k. Landesschulrat entsandt. Dieses Schulreferat war der richtige Tummelplatz für Gessmanns politische Pläne und Ziele, nämlich das ganze Land Niederösterreich mit Hilfe der katholischen Geistlichkeit und dann auch der Lehrer für Luegers Partei zu gewinnen und diese zunächst im Herzen der Monarchie derart stark zu machen, daß sie maßgebende Reichspartei werden könne. Gessmann war nun fortwährend, angeblich zur Inspizierung der Landesgymnasien und anderer Landesunterrichts-
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anstalten, in Wahrheit zu Agitationszwecken, im Lande unterwegs und rechnete d a f ü r soviel Reisekosten und Taggelder auf, daß dies schließlich dem Finanzreferenten des Landes, Landesausschuß Josef Schöffel, zu dick wurde, so daß er dieses Gebaren in einer von ihm herausgegebenen Broschüre vor der Öffentlichkeit kritisierte. Gessmann schäumte vor Wut und Schöffel wurde nicht wieder zum Landesausschuß gewählt. Bei den erwähnten Reisen hatte nun Gessmann eine Organisation geschaffen, die ihm und der Partei die größten Dienste leisten sollte. Sie bestand darin, daß ihm regelmäßig, so ziemlich aus jedem Pfarrhof (vom Pfarrer oder einem Kooperator), Geheimberichte über das Fortschreiten der Parteipropaganda u n d ganz speziell auch über die H a l t u n g der Lehrerschaft erstattet wurden. Gessmann, der alte Registratur- und Bibliotheksbeamte, hatte sich über diese Berichte genaue Nachschlageregister angelegt, so daß er jederzeit über die politische Richtung der Gemeinden und der einzelnen Lehrer innerhalb derselben informiert w a r . Das allgemeine Bild, welches er damals gewann, war, daß ein Großteil der Lehrer noch von früher her liberalen Gesinnungen zuneigte. Dies gründlich zu ändern, setzte er nun den Hebel an. Die Lehrerschaft der über das Land verteilten Landesgymnasien hatte er als Schulreferent ganz in der H a n d ; nur Lehrer, welche sich parteipolitische Verdienste erworben hatten, durften auf Beförderung rechnen, und zu Direktoren dieser Gymnasien wurden nur bewährte Kämpen berufen. Der jetzige Unterstaatssekretär Miklas ist ein Beispiel d a f ü r . Er war damals ein junger Lehrer, dann H a u p t a g i t a t o r in Gessmanns Sinn, wurde auf dessen Verlangen Direktor des Landesgymnasiums in H o r n und dann unter dessen Patronanz Landtags- und Reichsratsabgeordneter. So wurden diese Landesunterrichtsanstalten damals durch Gessmann zu den eigentlichen H e r den der christlichsozialen Agitation gestaltet. Der Einfluß, den die Volksschullehrer auf die Wähler in den einfachen Landgemeinden hatten, war und wird stets bedeutend bleiben, sind diese Lehrer doch in steter Berührung mit den einzelnen Familien, wirken oft als Gemeindeschreiber, sind Ratgeber in dieser oder jener Angelegenheit und repräsentieren neben P f a r r e r und Kooperator die „Intelligenz" der kleinen Gemeinde. „Die Partei, die Pfarrer u n d Lehrer auf ihrer Seite hat, wird bei politischen Wahlen obsiegen." In richtiger Erkenntnis dieses Satzes ging Gessmann nun daran, die Lehrerschaft unter das christlichsoziale Joch zu beugen und zu diesem Zweck die niederösterreichischen Landesschulgesetze zumeist nach oberösterreichisdiem Muster, wo ein einheit-
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lidier Landesschulfonds und die Lehrerernennung nach parteipolitischen Grundsätzen durch den dortigen, seit Jahren klerikalen Landesaussdiuß bereits bestand, umzumodeln. Das kostete ihn allerdings jahrelange Mühe und Arbeit, denn die Regierung wollte in Niederösterreich nicht allen Einfluß auf Schule und Lehrer verlieren, aber nach Maßgabe des immer größeren Erstarkens der christlichsozialen Partei im Reichsrat mußte sie schließlich diesen Forderungen Schritt für Schritt nachgeben. Wie Gessmann sich zu jener Zeit gut mit dem geschäftsführenden Vorsitzenden des niederösterreichischen Landesschulrates, Bienerth, zu stellen gewußt hatte, wie er dann diesem, den er förmlich suggestiv beeinflußte, dazu verhalf, Leiter des Unterrichtsministeriums, Minister des Innern und dann Ministerpräsident zu werden, habe ich in meinem Porträt Bienerths geschildert. Zu der Zeit dieser Tätigkeit oder Geschäftigkeit Gessmanns als Landesausschuß konnte man in kein Ministervorzimmer treten, ohne nicht dort Gessmann zusammen mit Alois Liechtenstein anzutreffen. Er hatte immer und überall Wünsche der Partei oder einzelner Mitglieder derselben mit der größten Beredsamkeit und dem größten Nachdruck zu vertreten, und im Sinne des letzteren mußte „der Prinz" mit dabei sein. Dessen Gattin Hanna, geborene Klinkosch, klagte mir einstmals heftig darüber, wie Gessmann ihn ge- und mißbrauche. Als 1905 auf Wunsch des Kaisers durch Gautsch als Ministerpräsident und Bylandt als Minister des Innern das allgemeine Wahlrecht für den Reichsrat eingeführt werden sollte, erkannte Gessmann sofort, welche große Gefahr dieses Wahlprinzip, unkorrigiert angewendet, für die christlichsoziale Partei bedeute. Die Findigkeit und Klugheit, die er damals und dann auch noch unter der Ministerpräsidentschaft Becks und „seines" Bienerth als Minister des Innern, welche die Wahlreform erst 1906 zu Ende führten, im Interesse seiner Partei entwickelte, waren bewundernswert. Er verstand es, ich weiß heute noch nicht mit welchen Mitteln und Wegen, sich von Bylandt zur Mitarbeit an der Verfassung der Gesetzvorlage im Ministerium des Innern heranziehen zu lassen, schuf dort ein großes Büro, in welches zeitweilig fachkundige Beamte aus den einzelnen Ländern berufen wurden, und klügelte nun mit diesen die Wahlbezirksgeometrie aus, die schließlich Gesetz wurde. Sein Rezept dabei war im wesentlichen, die Industrieorte mit den Sozialisten aus den ländlichen Wahlbezirken auszuscheiden und diese dann in Gruppen mit Städten und Märkten zu städtischen Wahlbezirken derart zu vereinigen, daß in diesen die reinen
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Industrieorte nicht überwogen. Schon damals hatte er maßgebenden Einfluß darauf genommen, daß man ja keine ständige Wählerliste schuf, die Wählerlisten vielmehr stets erst unmittelbar vor einer jeden Wahl verfaßte und daß ein höchst kompliziertes Wahlrechts-Reklamationsverfahren angewandt werde, welches bekanntlich, parteimäßig gehandhabt, so manche Korrekturen im voraussichtlichen Interesse einer Partei gestattet. In dieser Richtung hatte nämlich Gessmann schon früher bei der Verfassung und Handhabung der neuen Wahlordnung f ü r den Wiener Gemeinderat, um in diesem die Herrschaft der Christlichsozialen zu sichern, Lueger wichtige Dienste geleistet und war in alle Wählerlistenund Reklamationspraktiken durch den Referenten f ü r Wahlsachen in Wien, Magistratssekretär, später Magistratsrat und Magistratsdirektor D r . Pawelka, gründlich eingeweiht worden. Als Reichsratsabgeordneter war Gessmann natürlich Mitglied des Wahlreformausschusses, in welchem er schon deshalb besonders einflußreich war, weil niemand dort, den Regierungsvertreter Sektionschef Freiherrn von Haerdtl inbegriffen, die Wahlpraktiken so genau kannte wie er selbst. Übrigens hatte er sich auch Pawelka beigesellt, der bei Beratungen dieses Ausschusses im Gange vor dem Kommissionszimmer weilte und von Gessmann um R a t gefragt wurde, sobald ein Abänderungsantrag in Beratung kam. Bei den großen Heerschauen der christlichsozialen Partei, die sich immer mehr zu einer Reichspartei auswuchs, den „Katholikentagen", fehlte Gessmann nie, führte vielmehr bei denselben oft das große Wort. Bei dem Katholikentag in Linz 1906 wurde die Gründung eines Zentralorgans in Wien, nämlich der „Reichspost", beschlossen und Gessmann in das Gründungskomitee gewählt. Finanziell hat er sich an dieser Gründung zwar nicht beteiligt, und doch w a r er die Seele derselben und hat das neue Blatt mit Artikeln versehen. Auch die Gründung des „Amtsblattes des niederösterreichischen Landesausschusses" war sein Werk. Sein Sohn erhielt die gutdotierte Stelle eines Redakteurs dieses Blattes. An dieser Stelle möchte ich mir erlauben, etwas abzuschweifen und den Werdegang des späteren Erzbischofs von Wien, Dr. Nagl, zu schildern, der so bezeichnend ist f ü r eine in der Kirche weit verbreitete Streberei. U m 1890 herum starb Dr. Binder, der Bischof von St. Pölten. Idi hatte als Statthalter und Regierungsvertreter seinem feierlichen Leichenbegängnis beizuwohnen. Das Domkapitel von St. Pölten lud midi
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ein, in der bischöflichen Residenz abzusteigen, um erst dort meine Galauniform anzuziehen. Angekommen, macht mir in dieser Residenz ein jugendlicher Geistlicher die Honneurs, geleitet mich in das mir bestimmte Ankleidezimmer und will mir durchaus — es war noch ziemlich früh am Morgen — ein Gabelfrühstück vorsetzen lassen. Ich lehne dankend ab, worauf er eingekühlten Champagner bringen läßt, den ich schon gar zurückweise. Der etwas aufdringliche Herr, dessen Namen ich bei der ersten Vorstellung mir nicht gemerkt hatte, erzählt mir nun, er sei ein St. Pöltener Diözesan, derzeit an der Anima, der österreichischen geistlichen Lehranstalt, in Rom tätig und von dort hergeeilt, um dem von ihm so ganz besonders verehrten Bischof die letzte Ehre zu erweisen. Ich hatte das Gefühl, als ob dieser junge Geistliche sich bei mir „eintegeln" wollte, so gesprächig und gezwungen liebenswürdig war er. Aber unser Gespräch dauerte nicht gar lange, denn es nahte die Stunde des Leichenbegängnisses. Nach demselben erkundigte ich mich, wer denn der junge Geistliche sei, der in der erzbischöflichen Residenz wohne und mir dort die Honneurs gemacht habe. Antwort: Dr. Nagl, Leiter der Anima in Rom, eilends hergekommen, in der Hoffnung, der Nachfolger des verstorbenen Bischofs zu werden. Ich ahnte damals nicht, daß ich den Vorschlag für die Ernennung des neuen Bischofs zu erstatten haben werde. Die Auswahl wurde meist im Kultusministerium direkt getroffen, und dann war ich doch Protestant. Im Kultusministerium scheint man sich aber in den Personalverhältnissen der höheren Geistlichen der St. Pöltener Diözese nicht ausgekannt zu haben, denn einige Wochen nach dem erwähnten Leichenbegängnis erhielt ich den Auftrag, einen Vorschlag zur Ernennung des neuen Bischofs durch den Kaiser zu erstatten. Ich muß offen sagen, daß auch ich als Statthalter bisher keine Gelegenheit gehabt hatte, mich mit den Personalverhältnissen der St. Pöltener Geistlichkeit zu befassen. Ich ließ mir also den dortigen Bezirkshauptmann, Freiherrn von Conrad-Eybesfeld, kommen und besprach die Angelegenheit mit ihm, dem Katholiken. Er möge mir einen genau ausgearbeiteten Bericht mit Antrag vorlegen, den ich, der Protestant, mit keinem Wort zu ergänzen und lediglich an den Minister für Kultus und Unterricht weiterzuleiten hätte. Allerdings kamen wir damals überein, den jungen streberischen Nagl nicht vorzuschlagen. Auch auf Conrad hatte dieser keinen guten Eindruck gemacht. Ebenso wurde ein anderer großer Streber, der nachmalige niederösterreichische Landtags- dann Reichsratsabgeordnete und Landesausschuß, der päpstliche Ehrenkämmerer Scheicher, damals Professor an der
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St. Pöltener Diözesanlehranstalt, nicht vorgeschlagen, sondern der Leiter dieser Schule, D r . Rössler, der noch heute Bischof von St. Pölten ist. Scheicher hat mir das niemals verziehen und mir später bei jeder Gelegenheit des dienstlichen Verkehrs Verlegenheiten bereiten wollen""). Gegen Ende 1909 war Wien mit der Nachricht überrascht worden, Dr. Nagl, der Bischof von Triest, sei zum Coadjutor cum jure successionis des Wiener Fürsterzbischofs Kardinal Grusdia ernannt worden. Gruscha, ein ewig schwankendes Rohr, seit Jahren ganz in den H ä n d e n seiner Wirtschafterin, Fräulein Liste, war schon hochbetagt, lebte fast nur noch auf seinem Schloß Kranichberg, hatte sich von der Leitung der Diözese mehr und mehr zurückgezogen und diese seinem Weihbischof, Exzellenz D r . Godfried Marschall, einem in Wien und Niederösterreich sehr beliebten Priester, überlassen. Dieser war ein aufgeklärter und hochgebildeter Mann, auch absolvierter Jurist, der seinen geistlichen u n d administrativen Pflichten erfolgreich und mit bewundernswertem Fleiß nachkam. Ich, der ich so viele Berührungspunkte mit ihm hatte und seine Tätigkeit als Mitglied und Sektionsobmann im niederösterreichischen Landesschulrat jahrelang zu beobachten Gelegenheit hatte, fühle mich berufen, es zu bezeugen. Allgemein und mit Recht hatte man erwartet, Marschall werde der Nachfolger Gruschas auf dem fürsterzbischöflichen Stuhle sein. Marschall war ganz gebrochen ob der ihm widerfahrenen Unbill. Man meinte, Erzherzog Franz Ferdinand, dessen Ehe mit der Gräfin Chotek Marschall nicht gebilligt hatte, sei an seinem Sturz schuld. Nein, wie ich aus der bestinformierten Stelle, von dem Abt von Göttweig und Präses der österreichischen Benediktiner-Kongregation, Dungl, erfuhr, N a g l war es selbst, der den Fürsterzbischofsstuhl von Wien anstrebte und sein Ziel durch seinen Oheim, den Beichtvater und H o f b u r g p f a r r e r des Kaisers, Bischof Meyer, erreichte. Meyer hatte auf Betreiben seines Neffen Nagl dem Kaiser dargestellt, Gruscha sei alt und dienstunfähig und Marschall auch bald 60 Jahre alt; es müsse ein junger Koadjutor bestellt werden. Meyer hatte dann direkt mit der römischen Kurie in der Angelegenheit korrespondiert, der Papst hatte dem Kaiser seine Zustimmung mitteilen lassen, u n d die Sache war abgemacht, bevor Gruscha von Rom und durch den Minister f ü r Kultus und Unterricht, Graf Stürgkh, *) Über das Strebertum und die Intrigen in Personalsadien bei der höheren katholischen Geistlichkeit, die idi beobachten durfte, könnte ich ein dickleibiges Buch schreiben.
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die Weisung erhielt, um die Bestellung eines Koadjutors bittlich zu werden und Nagl für den Posten vorzuschlagen. Gruscha hatte versucht, Stürgkh gegenüber zu remonstrieren, und zahlreiche Freunde Marschalls hätten gern dasselbe getan, aber gegenüber dem „fait accompli" wir dieses unmöglich. Marschall nahm sofort Urlaub und trat eine Reise nach Palästina an. Als er nach einem halben Jahr nach Wien heimkehrte und den, den Geistlichen, die aus Jerusalem kamen, gestatteten Vollbart trug, erkannte man ihn kaum, so sehr war sein Äußeres verändert. Aber auch innerlich war er gebrochen. Er fing zu kränkeln an und starb nach wenigen Monaten; es hieß, an gebrochenem Herzen ob der ihm angetanen Kränkung. Während der Abwesenheit Marschalls hatte der neue Koadjutor die Leitung der Diözese ganz allein in die Hand genommen, eine Menge Neuerungen eingeführt, die nicht nach dem Sinn Marschalls waren, und diesen selbst nach seiner Rückkehr völlig kaltgestellt. Nagl hatte mir gleich nach dem Antritt seines Amtes einen offiziellen Antrittsbesuch gemacht. Bei diesem kam natürlich die Rede auf unsere Bekanntschaft von St. Pölten. Nagl gestand mir dabei offen ein, er habe damals gehofft, auf den erledigten Bischofsstuhl von St. Pölten berufen zu werden, habe sich aber später mit dem in Triest begnügen müssen. Von Triest aus habe er öfters dem Kardinal Sarto, dem Patriarchen in Venedig und nunmehrigen Papst, seine Aufwartung gemacht, da dieser sich als Metropolit Norditaliens auch quasi als Oberhaupt der Triester Diözese betrachtet habe. So komme es denn, daß er mit dem Heiligen Vater auf einem ganz speziellen Bekanntschaftsfuß stehe, was immerhin für seine neue Wiener Diözese von Nutzen sein könne. Ich gebe dies alles aus meiner genauen Erinnerung wieder, um Nagl zu charakterisieren. Weitere dienstliche Berührungspunkte hatte ich kaum mehr mit ihm, denn im Juli 1911 ging ich in Pension und war nicht mehr dabei, als er nach dem Tode Kardinal Gruschas 1912 wirklicher Fürsterzbischof wurde, den Eucharistischen Kongreß desselben Jahres vorbereitete und dann durchführte. Die große Rolle, die Gessmann bei der Wahlreform gespielt hatte, und die Bedeutung, die die christlichsoziale Partei mit Lueger an der Spitze allmählich im Reichsrat erlangt hatte, veranlaßten Beck, vermutlich wohl über Eingeben seines Präsidialvorstandes Dr. Sieghart, der die parlamentarische Mache damals ganz in der Hand hatte, und zur Stärkung seines Ministeriums, Gessmann im November 1907 als
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Mitglied in dieses zu berufen. Gessmann wollte aber an der Spitze eines Ressorts stehen, und da ein solches augenblicklich nicht frei war, verlangte er, daß ein solches für öffentliche Arbeiten neu für ihn geschaffen werde. Bis dahin war er Minister ohne Portefeuille. Als Sekretär ließ er sich Dr. Twardowski, einen findigen Polen, zuteilen, der schon statistische Schriften herausgegeben hatte und sich in allen Wiener Ministerien gut auskannte. Mit Hilfe dieses erfahrenen Beamten unternahm er die Ausplünderung der bestehenden Ministerien an Agenden, die sich irgendwie unter den Begriff „öffentliche Arbeiten" einreihen ließen. Am schlimmsten kam dabei das Ministerium des Innern, welches doch die eigentliche Stütze der Verwaltung sein soll, weg. Gessmann und Twardowski plünderten die Ministerien aber nicht nur an Agenden aus, sondern, wie zugleich andere Ämter, auch an Beamtenpersonal, welches zum Teil mit Beförderung in das neue Ministerium berufen wurde. Bei der genauen Personalkenntnis, über welche die Genannten verfügten, beriefen sie nur erprobte Arbeitskräfte und diese in so großer Zahl, daß das neue Ministerium bei seinem Entstehen kaum Arbeit für alle diese Beamten hatte. Noch einige Jahre später waren dort Geschäftsabteilungen (Departements) mit einem Jahreseinlauf von nur 50 bis 500 Geschäftsstücken! Aber Gessmann hatte sich es nun einmal vorgenommen, Mustergültiges mit seinem neuen Amt zu leisten, und ich muß es gestehen, er nahm sich desselben mit Feuereifer an, studierte die Donauregulierung, die Versuchsstrecken für neuartigen Straßenbau in Ausflügen an Ort und Stelle, hörte Vorträgen aller seiner Referenten gern und aufmerksam zu, entwickelte viel Initiative, an der es früher nur allzu häufig bei der Bürokratie in den oberen Regionen gefehlt hatte, um auf dem gesamten Gebiet der öffentlichen Arbeiten des Staates neues Leben, aber auch neue Bauten entstehen zu lassen. Zu jener Zeit suchte er oft Fühlung mit mir, um sich über dies und jenes Auskünfte zu holen. Gar bald fand ich ihn in verzweifelter Stimmung, er verliere jede Lust an der Arbeit in seinem von ihm so schön geschaffenen Ressort, denn zu jeder Sache, die er angreifen wolle, und namentlich zu jeder Bewilligung der nötigen Gelder, müsse er zunächst das Einvernehmen mit anderen dabei interessierten Ressortministerien pflegen, zu den Geldanweisungen brauche er auch die Zustimmung des Finanzministeriums und des Obersten Rechnungshofes. Das sei oft nur mit den größten Schwierigkeiten und nadi endlosen Schreibereien zu erreichen und ekle ihn an. Als Referent der autonomen Landesverwaltung sei er gewöhnt gewesen,
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nahezu unabhängig über alles zu verfügen, denn die nötige Zustimmung des gesamten Landesausschusses bei einzelnen wichtigen Dingen sei doch nur eine reine Formalität gewesen und hätte ihn niemals gehindert, in seinem Schulressort weitgehende Anordnungen zu treffen und die bedeutenden dafür erforderlichen Gelder kurzerhand anzuweisen. So ließ er denn in seinem Feuereifer alsbald nach und ging, als er Beck, wie ich dies in meiner Monographie „Dr. K a r l Lueger" dargestellt habe, im November 1908 gestürzt hatte, mit diesem, ohne in das von seinem Freund Bienerth gebildete neue Kabinett eizutreten. Er erklärte mir damals, nie wieder einen Ministerposten anstreben zu wollen, auf dem man doch von anderen durchaus abhängig sei. Nach kurzer Zeit w a r er wieder niederösterreichischer Landesausschuß und Schulreferent u n d machte nun andere von sich abhängig; die niederösterreichische Lehrerschaft, den Ministerpräsidenten Bienerth und den zu dieser Zeit über sein Verlangen zum Landmarschall von Niederösterreich berufenen Prinzen Alois Liechtenstein. Die Lehrer immer mehr in seine Gewalt zu bekommen, blieb sein eifrigstes Bestreben. Die beim Landesausschuß eingesetzte Lehrerernennungskommission unter seiner Leitung war das Instrument dazu. Mit Bienerth kommandierte er geradezu herum, wie ich es bei dessen Bildnis schilderte, und Liechtenstein war als Landmarschall eine reine Null, ließ Gessmann im Landesausschuß nach Belieben walten, repräsentierte hin und wieder das Land nach außen, hielt auch wohl ab und zu einmal eine Rede, schön zusammengestellt aus den Schätzen seiner reichhaltigen Bibliothek. Aber ich glaube, das Thema und das Halten der Rede überhaupt hatte ebenso stets Gessmann angeordnet, wie die Einladungsliste der politischen Diners, die Liechtenstein bisweilen in seinem herrlichen Palais in der Valeriestraße nächst dem Prater gab. Gessmann war recht regen Erwerbssinnes. Ich erwähnte bereits, daß sein Landesausschußposten ihm ziemlich reiche Einkünfte an Diäten abwarf. Dazu kam die hohe Ministerpension (mit Einrechnung seiner langen Laufbahn eines staatlichen Bibliotheksbeamten) und endlich die sehr einträgliche Konzession f ü r die Wiener Baukredit-Bank, die er sich 1909 von seinem Freund Bienerth hatte erteilen lassen und an deren Spitze er seinen Sohn Albert, den bereits erwähnten Redakteur des Landesamtsblattes, stellte. Bei der zunehmenden Krankheit Luegers ging die Führung von dessen Partei mehr und mehr an Gessmann über. Eigentlich mochten beide einander nicht. Der verschlagene Charakter Gessmanns war Lueger zuwider, aber er brauchte ihn. Ich sprach über ihr Verhältnis
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bereits in meiner Monographie „Dr. Karl Lueger". Hinzuzufügen ist nur, daß ich in den Landtagssessionen von 1909 und 1910, während deren Lueger meist k r a n k und abwesend war, über so manche Dinge mit Gessmann als dem stellvertretenden Führer der Landtagsmajorität zu verhandeln hatte. Mit Lueger war das verhältnismäßig leicht gewesen, mit ihm wußte man alsbald, wie man daran war; mit Gessmann selten oder nie. Kaum hatte man mit ihm etwas verabredet, so kam er, um es zu revozieren: „die Partei gehe nicht mit, er habe geglaubt, aber es gehe nicht" und dergleichen. Man nennt das in ähnlichen Fällen auch: „reservatio mentalis". Es kamen die Reichsratswahlen von 1911. Gessmann kandidierte wieder in seinem alten Wahlbezirk Mistelbach. Aber dort war ihm ein sehr gefährlicher Gegenkandidat in der Person des pensionierten Oberlehrers Rudolf Wedra erstanden, der früher als liberaler Lehrer von Gessmann verfolgt und gemaßregelt worden war. Voller böser Vorahnungen über seine mögliche Wahlniederlage beschwor nun Gessmann den Mistelbacher Bezirkshauptmann, D r . Montandon, ihm bei seiner Wahl behilflich zu sein, seine Wählerversammlungen durch Gendarmen schützen zu lassen, die gegnerischen möglichst zu hindern und bei einflußreichen Wählern zu seinen Gunsten zu agitieren. Montandon, ein äußerst korrekter Beamter, konnte natürlich derlei Begehren Gessmanns nicht entsprechen, und nun lief dieser meine und Bienerths Türen ein, um Montandon zu verklagen und zu verlangen, daß ein größeres Gendarmerieaufgebot, er sprach von 20 bis 30 Mann, speziell zur Sicherung seiner Wahl nach Mistelbach entsandt werde. Einem so verrückten Begehren konnte ich natürlich nicht nachgeben, auch sein Freund Bienerth nicht, an den er über mich rekurrierte. Von Montandon ließ ich mir über die Wahlbewegung berichten und erfuhr, daß Gessmanns Wählerversammlungen äußerst schwach besucht seien, aber keine derselben noch irgendwie gestört worden sei; Wedra und sein sehr großer Anhang agitierten lebhaft und erfolgreich, so daß Gessmann Wahlaussichten ungünstig seien. Die Geistlichen des Servitenklosters in Mistelbach boten zwar allen ihren Einfluß auf, um Gessmanns Wahl zu fördern, gaben aber schließlich den Ausschlag zu seiner Niederlage. Von ihrem Kloster f ü h r t eine lange steinerne Stiege zur hoch auf einem Hügel gelegenen Pfarrkirche. Das massive steinerne Geländer zu beiden Seiten der Stiege ist mit zahlreichen Statuen von Heiligen und einer des Heilands, alle etwas über Lebensgröße, geziert. Einige Tage vor der Wahl trugen nun sämtliche Statuen große Plakate mit dem Aufdruck: „Wählt Dr. Gessmann im Namen der Christenheit!" H a t t e der letztere 27
Goldinger, Kaiserhaus
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dies angeordnet, oder war es eine Erfindung der P. P. Serviten? Ich weiß es nicht. Aber amtlich wurde mir nach Gessmanns Wahlniederlage berichtet, Wedra und seine Leute hätten diese Geschmacklosigkeit weidlich ausgenützt, sie den Wählern gegenüber als Profanation der Religion gebrandmarkt, dadurch zahlreiche fromme Wähler von Gessmann abgekehrt und damit den Ausschlag zu seiner Niederlage gegeben. Wenige Tage nach dieser trat ich meinen Urlaub an, währenddessen mein nach mehr als vierzigjähriger Dienstzeit eingebrachtes Ansuchen um Übernahme in den dauernden Ruhestand genehmigt wurde. So kam es, daß ich Gessmann nach seinen Wahlförderungsbegehren nicht wiedergesehen habe; auch nach meiner Berufung in das Herrenhaus nicht. Er hatte als abgetaner Abgeordneter schon lange vor mir einen Sitz in diesem erhalten, aber ich traf ihn dort nicht mehr. Er hatte sich von der Politik zurückgezogen und war, vom Schlage gerührt, in seinen letzten Lebensjahren schwer krank. Eine Erörterung über die Wahlplakate wäre peinlich gewesen! Requiescat!
REGISTER
Abele Vinzenz, Baron, Oberleutnant 131, 133 f. Abensperg-Traun Otto, Graf, Obersthofmeister (1848—1899) 147 Aehrenthal Alois Lexa, Freiherr von, Minister des Äußeren (1854—1912) 87 f., 91 f., 169 Agliardi Antonio, Kardinal (1832 bis 1915) 107 f. Albert, König von Sachsen 181 Albrecht, s. Erzherzöge Alesani Hieronymus, Baron, Landespräsident (1837—1887) 216 Alfons, König von Spanien 169, 178 Althann Robert, Graf (1853—1919) 183 Anderer Anton, Bürgermeister von Floridsdorf 384 f. Andrässy Julius, Graf, Ministerpräsident (1823—1890) 189, 192, 214 Appel Johann, Freiherr von, General, Landesdief v.Bosnien (1826—1906) 26 Apponyi Anton (1852—1920) 136 Marie (Mouche), geb. Prinzessin Montenuovo (1859—1911) 136 Arndts (Arndt) Ludwig, Universitätsprofessor (1803—1878) 271 f. Artus Anton, Sektionschef 189, 192 Auersperg Adolf, Fürst, Ministerpräsident (1821—1885) 7, 16, 28 ff., 59, 186—198, 205, 208, 210, 213 f., 224, 243 f. Carlos, Fürst, Ministerpräsident (1814—1890) 7, 186—198, 208 Johanna, Fürstin, geb. Gräfin Festetics (1830—1884) 187 27*
Bacher Eduard, Herausgeber der „Neuen Freien Presse" (1846 bis 1908) 2 6 5 , 2 6 7 Bacquehem Olivier, Marquis de, Handelsminister (1847—1917) 7, 41, 44 f., 51, 219, 221, 241, 249 ff., 253—259, 287, 296 f., 364 Badeni Kasimir, Graf, Ministerpräsident (1846—1909) 7, 13, 37, 42, 44 ff., 48 f., 54 f., 57 ff., 63, 65 ff., 257, 260—270, 275, 313 f., 335, 339, 344, 375 ff., 397 Louis, Legationsrat (1873—1916) 64 Stanislaus, Geheimrat (1850—1912) 5 8 , 2 6 0 , 2 8 0 , 290,313 Bamberg Joseph, Freiherr von, Oberstleutnant 164 Banffy Desiderius, Baron, Ministerpräsident (1843—1911) 6 2 , 8 3 , 4 0 1 Baumgartner Florian, Freiherr von, Sektionschef (1861—1928) 265, 268 Bayern, Herzog in 34 Beck Helene (1863—1930) 360 Max Vladimir, Baron, Ministerpräsident (1854—1943) 36 ff., 52, 54, 68, 70 f., 80, 96, 148, 159, 168 f., 284, 356 ff., 387, 398, 399,410,414,416 -Rzikowsky Friedrich, Graf, Generalstabschef (1830—1920) 99 Bees-Chrostin Georg, Freiherr von (1824—1905) 239 Belcredi Richard, Minister (1823 bis 1902) 199 Benda Ernst, Kaiserlicher Rat, Linienamtsverwalter 231 f.
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Register
Benischko Gustav, Dr., A d v o k a t 118 seine Frau 118 Benkö Isidor, Baron (1846—1925) 90 Berchtold Leopold, G r a f , Minister des Äußeren (1863—1942) 172 Berg, Baron, Dienstkämmerer 137 Bernt R u d o l f , Maler 238 Beust Friedrich Ferdinand, G r a f , Reichskanzler (1809—1886) 100 Bezecny Joseph, Baron, Generalintendant (1829—1904) 312 Bibl R u d o l f , Dr., Präsidialsekretär des Wiener Magistrats 389 ff. Bienerth-Schmerling Richard, Dr., G r a f , Ministerpräsident (1863—1918) 52, 54, 68, 71 f., 77 f., 86 ff., 159 ff., 307, 321 f., 331, 333, 353—364, 399, 403, 410, 416 f. seine Frau Anka, geb. Lazarovich 355, 360 ff., 364 Bilinski Leon, Finanzminister (1846 bis 1923) 49, 52, 59 ff., 76 ff., 160 f., 264 f., 268 f., 298 f. Binder Matthäus, Bischof von St. Pölten (1822—1893) 411 Bismarck Otto, Fürst, deutscher Reichskanzler (1815—1898) 24 f., 37, 42, 100 Bleyleben, s. Regner Blumenstock, s. Halban Böhm von Bawerk Eugen, Finanzminister (1851—1914) 46,49,59 ff., 264, 268 Bolfras Arthur, Baron, Generalmajor (1838—1922) 80 Bontoux Eugen, Generaldirektor 128 Boos-Waldeck Philipp, Graf (1831 bis 1917) 121 Borschke Franz, Vizebürgermeister (1838—1892) 235 Bothmer, Baron, Hofstallmeister 182 Braganza Don Miguel von 136 Maria Theresia von, s. Erzherzoginnen Braun Adolf, Baron, Legationssekretär, Kabinettsdirektor (1818 bis 1904) 22, 45 f., 55 ff.
Braunschweig, H e r z o g von 175 Breisky Rudolf, Sektionschef (1826 bis 1896) 215, 222 f., 227 f. Brzebohaty, s. Brzobohaty Brzobohaty Joseph, Dr., Rechtsanw a l t 386 seine Frau 386 Bülow Karl Ulrich, General 3 0 9 , 3 1 1 Burg Adam, Professor (1792—1882) 180 Burian Stefan, Baron, Minister des Äußeren (1851—1922) 87 ff. Bylandt-Rheidt Arthur, G r a f , Minister (1854 bis 1915) 7, 68, 78, 307, 321 f., 324 f., 327 f., 335—337, 356, 410 seine Mutter Maria, Gräfin v. H a r buval, gew. Chamare 336
Carlon, s. Karion Castell Friedrich, G r a f , Landesamtsdirektor (1877—1923) 80 Chertek Emil, Baron, Generaldirektor d. kaiserlichen P r i v a t - u. Familienfonds (1833—1922) 94 f., 105, 141, 158, 162 Chlumecky Johann, Baron, H a n delsminister (1834—1924) 42, 46, 53, 55, 67, 224, 234, 262, 315, 377 f. Chorinsky Gustav, Graf (1832—1871) (s.auch Ebergenyi) 112 Heinrich, Graf 112 Chotek Bohuslaw, Graf (1829—1896) 132 G r a f , H o f r a t 147 Maria Pia, verm. Fürstin T h u n Hohenstein (1863—1935) 282 Sophie, Herzogin von Hohenberg (1868—1914) 96, 146 ff., 155, 165 ff. Christa, s. Erzherzoginnen Christallnigg Adalbert, G r a f , O b e r l e u t n a n t (1836 bis 1890) 130 f. G r a f , Bürgermeister 129
Register Christine, Königin von Spanien 174, 178 Christomanos Konstantin, Lehrer der Kaiserin (1868—1911) 104 Clam-Martinitz Heinrich, Ministerpräsident (1863—1932) 300 Clary-Aldringen Carlos, Fürst (1844—1912) 108 ff., 194 Manfred, Graf, Statthalter (1852 bis 1928) 281, 288, 290, 340, 345 Colloredo-Mansfeld Franz, Graf 186, 188 Hieronymus, Graf 188 Conrad-Eybesfeld Siegmund, Freiherr von, Minister für Kultus und Unterricht (1821—1898) 188, 305, 412 Conrad von Hötzendorf Franz, Feldmarschall (1852—1925) 80, 99 Costenoble Carl, Landtagsabgeordneter (1837—1907) 390 Coudenhove Karl, Graf, Statthalter (1855—1913) 2 4 4 , 2 7 5 , 2 8 5 Crenneville, Folliot de, Franz, Graf, Generaladjutant (1815—1888) 23 Croy Fürstin 296 Graf, Abgeordneter 194 Isabella, Prinzessin, s. Erzherzoginnen Cumberland Ernst August, Herzog von, Kronprinz von Hannover (1845—1923) 97, 171, 174 ff., 183 f Czuber Bertha 172 f. Emanuel, Prof. (1851—1925) 172 Dickmann, Baron 167 Dipauli Josef, Freiherr von (1844 bis 1905) 283 Dlauhowesky-Langendorf Carl, Freiherr von, General (1844—1907) 140 Doblhoff-Dier, Baron 179 Dondorf Ferdinand, Ritter von, 164
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Dreher Anton, Großindustrieller (1849 bis 1921) 136 Käthe 82 Dubsky Emanuel, Graf, Herrenhausmitglied (1806—1881) 194 Dumba Nikolaus, Großindustrieller (1830—1900) 183, 258 f. Dunajewski Julian, Finanzminister (1822—1907) 40 f., 212, 220, 225, 229, 232 ff., 236, 240, 366 Dungel Adalbert, Abt von Göttweig (1842—1923) 413 Dungl, s. Dungel Ebenhoch Alfred, Dr., Ackerbauminister (1855—1912) 335 f. Ebergenyi von Telekes Julie, Stiftsdame, Giftmörderin (1842—1873) 112 Eduard, König von England 79 Ehrhart Robert („Im Dienst des alten Österreich") 10 Eim Gustav, jungtschechischer Abgeordneter 266 f. Elisabeth s. Erzherzoginnen Kaiserin 33 f., 39, 80, 99, 102 bis 110, 111, 119 -kirdie 80, 82 Ender Artur, Baurat 364 Engel August, Finanzminister (1855 bis 1941) 348 Enzenberg Arthur, Graf, Sektionschef (1841—1925) 162 Erb Ferdinand, Baron (1833—1898) 210 f., 234, 261, 264 f., 268 Erzherzöge Albrecht, Feldmarschall 93, 127 ff., 174—185, 273 f. Eugen, Generaloberst 174, 177, 180, 184 Ferdinand Karl (Burg) 172 f. Franz 125 f. Franz Ferdinand 14, 52, 61, 76 ff., 85, 90, 92, 94 ff., 99, 131, 133, 139, 142, 143—171, 173, 276, 280, 298, 300, 325, 357 f., 377, 399,413
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Register
Franz Salvator 50 Friedrich 96, 129, 146, 174, 177 f., 184 Karl 174 Karl Ferdinand 174 f. Karl Ludwig 9, 21 (Ulanenregiment), 39, 125—173 Karl Salvator 34, 129 f. Karl Stefan 177, 185 Ludwig Viktor 108 f., 129, 338 Max 142 Otto 95, 125, 130—143, 145, 148 f., 170 f., 300 Rainer 72, 127, 129 f., 161, 177 Wilhelm, Hoch- u. Deutschmeister 93, 174, 175—177, 179, 183 f., 257 Erzherzoginnen Christa 175 Elisabeth 174 ff. Isabella Croy 129, 146 f., 177 ff. Maria Immaculata 34, 129 f. Maria Immaculata Raineria 129 Maria Josepha 109, 131, 133, 141 ff. Maria Theresia von Braganza 125, 135, 138 Marie 129 Marie-Rainer 174, 177 Valerie 123 f. Esterhâzy Gräfin, geb. Prinzessin Liechtenstein, Obersthofmeisterin (1798 bis 1869) 34 Karl, Graf (1847—1919) 184 Nikolaus (Niki), Herzog Totis (1839—1897) 23, 104 Exner Wilhelm, Technologe (1840 bis 1931) 231 Fabini Ludwig von, General (1830 bis 1906) 216 Falk, Generaldirektor 128 Falkenhayn Julius, Graf (1829 bis 1899) 221 Fassbender, Architekt 404 Fejervary Geza, Baron, General (1833—1914) 98,100,324
Felix (Gross) Benedikt, Hofopernsänger (1883—1912) 140 Ferdinand Karl, s. Erzherzöge Festetics Marie, Gräfin, Hofdame (1839—1923) 104 Fiedler Franz, Handelsminister (1858 bis 1925) 351 Fieger August, Oberbaurat 361 Fischer Anton, Statthaltereirat 323, 359 Fort Josef, Handelsminister (1850 bis 1929) 351 Forscht, s. Fort Fraenkel Alfred von 298 Franz s. Erzherzöge Ferdinand, s. Erzherzöge Salvator, s. Erzherzöge Fraydenegg Otto, Ritter von, Landespräsident (1851—1939) 81, 258 Freiberg Rudolf, Ritter von, Pressereferent (1843—1902) 14, 210 f., 252 Friebeiss Hans von, Regierungskommissär (1855—1923) 266, 374, 376 ff. Friederike, Prinzessin von Hannover 175 Friedrich s. Erzherzöge Adolf, Apotheker, Gemeinderat 235 Friess-Skene Alfred, Freiherr von (1870—1947) 287,307 Galen Augustin, Graf, Benediktinermönch (1870—1949) 155 Galitzin Marie, verm. Gräfin Rumerskirch (1841—1896) 113 Gautsch Paul, Dr., Freiherr von Frankenthurn, Ministerpräsident (1851—1918) 7, 32, 49, 51, 55, 58 f., 67 f., 88, 169, 219, 221, 243, 253 ff., 262 f., 280, 284, 288, 290, 302—334, 337, 340, 344, 347, 353 ff., 358, 377, 397, 410 Geistinger Marie, Schauspielerin (1836—1903) 118
Register Georg V., König 27 König von Sachsen 131 f. Gessmann Albert, Dr. (1852—1920) 7, 159, 327, 337, 354 ff., 361, 380, 398 ff., 408—418 Albert 416 Gianellia Basilio, Ritter von Philergos (1844—1929) 53,161 Girardi Alexander, Schauspieler (1850—1918) 114 f., 121 f. Giskra Karl, Dr., Innenminister (1820—1879) 199—204 Glaser Julius, Prof., Justizminister (1831—1885) 190,210 Glöckner, s. Kramer-Glöckner Goluchowski Agenor, Graf, Minister des Äußeren (1849—1921) 42, 58, 71,149, 242, 266, 282 Gondrecourt Leopold, Graf, General (1816—1888) 22 Gorup von Besanez Ferdinand, Freiherr, Polizeipräsident (1855 bis 1928) 119 Grabmayr Karl, Dr. von, Präsident d. Verwaltungsgerichtshofes (1848 bis 1923) 212 Gribl Lina, Schauspielerin 114 Therese, Schauspielerin 114 Grübl Raimund, Dr., Bürgermeister (1847—1898) 373 Grünhut Karl Samuel, Prof. (1844 bis 1929) 68, 160 f., 316 Grünne Karl, Graf, Generaladjutant (1808 bis 1884) 174 Zoe, Gräfin, s. Wallmoden Grusdia Anton, Kardinal (1820 bis 1911) 107,109,380,413 Guttenberg Emil, Ritter von, Eisenbahnminister (1891—1941) 339
Haas Eucherius, Frater 407 Hackenberg Ferdinand, Rechtsanwalt, Gemeinderat 405
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Haerdtl Guido, Freiherr von, Minister des Inneren (1859—1928) 203, 285, 294 f., 322, 337, 411 Halban (Blumenstock) Heinrich, Dr., Ritter von, Sektionschef 14, 59, 210 f., 255, 262, 313, 378 Hannover König von 15, 25 f. Königin von 174 Hardegg Dominik, Graf (1846—1924) 25, 125 f., 167 Franz, Graf (1859—1937) 166 Harrach Marie, Gräfin, Obersthofmeisterin (1856—1908) 82 Härtel Wilhelm, Dr., Ritter von, Minister für Kultus und Unterricht (1839—1907) 7, 74 ff., 297, 343 bis 353, 354 f. Hasenauer Karl, Freiherr von, Architekt (1833—1894) 153 Hauenschild-Bauer-Przerab Eugen, Freiherr, Präsident des Obersten Rechnungshofes (1856—1921) 307 Heidler von Egeregg Karl, Baron, Gesandter (1848—1917) 91 f, 149 Henckel, Graf 167 Herbert-Ratkeal Gabriel, Freiherr (1832—1889) 132 Herbst Eduard, Justizminister (1820 bis 1892) 193,213 Herz Julius, Direktor der Bodencreditanstalt 76 f. Herzl Theodor (1860—1904) 14 Hohenbruck Eduard, Freiherr von, Bezirkshauptmann 355 Hohenlohe Constantin, Fürst (1828 bis 1896) 239 Hohenwart Karl, Graf 9 Hompesch Ferdinand, Graf, Oberstleutnant (1843—1897) 181 Hoyos Eleonore, Gräfin (1835—1913) 82 Ernst, Graf (1830—1903) 81, 179 Hraba Felix, Stadtrat 406 Hunyady Emmerich, Graf, Oberstleutnant (1827—1902) 106 Hütter Georg, Fleischhauer, Wiener Gemeinderat 372 f., 387
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Register
Jäger K a r l , R i t t e r von, Landespräsident von Schlesien ( 1 8 3 6 — 1 9 2 0 ) 206 J a n a c z e k Franz, Leibkammerdiener 163 Jansekovich Maximilian, Geheimrat von, Gouverneur d. bosnischen Landesbank ( 1 8 3 2 — 1 9 1 2 ) 86 f., 89 Jauner August, Ritter von, Sektionschef ( 1 8 3 5 — 1 9 0 7 ) 252 Jaworski Apollinar, Ritter von, Minister für Galizien ( 1 8 2 5 — 1 9 0 4 ) 46, 59 f., 308 Jedrezejowicz Adam, R i t t e r von, ( 1 8 4 7 — 1 9 2 4 ) 283 Jendrczejowics, s. Jedrezejowicz John Franz, Freiherr von, Kriegsminister (1815—1876) 9 9 Jonghe d'Ardoye, Comtesse de 129 Josef II., Kaiser 11
Kaan Julius, Sektionschef (1860 bis 1924) 225 Kaiser Eduard, Baurat 230 Kaizl Josef, Finanzminister (1854 bis 1901) 351 Kalcher Severin, Abt von St. Lambrecht 329 ff. Kalnoky, G r a f , Minister des Äußeren ( 1 8 3 2 — 1 8 9 8 ) 108 Kapnist Gräfin 266 Peter Alexejewitsch, G r a f , B o t schafter (1839—1904) 266 Kappa E. ( = Pseudonym für Erich G r a f Kielmansegg) 15 Karl s. Erzherzöge Kaiser 123 f., 142, 170—172, 300 f., 334 Alexander, Abt von Melk (1824 bis 1909) 387 Ferdinand, s. Erzherzöge Ludwig, s. Erzherzöge Salvator, s. Erzherzöge Karion Alois, Dompropst (1835 bis 1902) 2 3 9
Karminski (Karmelin) Friedrich, Dr., Ministerialrat, Direktor des H a n delsmuseums ( 1 8 5 9 — 1 9 2 3 ) 211, 281 Kerzl Josef, Dr., kaiserl. Leibarzt ( 1 8 4 1 — 1 9 1 9 ) 79 Khevenhüller Karl, Fürst (1839 bis 1905) 194 Kielmansegg Alexander, Oberst 21, 174 Alexander, Konteradmiral (1833 bis 1914) 21, 23, 43, 207 Anastasia, geb. Lebedewna von Lebedeff 14 Eduard ( 1 8 7 4 — 1 9 4 1 ) 304 Erich, G r a f : der Autor wird nicht eigens angeführt Juliane, geb. Zesterfleth (1808 bis 1888) 21, 98, 101, 177, 186 K a r l ( 1 8 7 1 — 1 9 5 3 ) 304 Luise, Gräfin ( 1 8 3 3 — 1 9 0 1 ) 23 M a x , Freiherr von, Rittmeister 142 Natalie, Gräfin, Stiftsdame (1803 bis 1883) 34, 102 Oswald ( 1 8 3 8 — 1 8 9 6 ) 21, 23, 25, 37, 102, 184, 275 Thedel ( 1 8 3 6 — 1 8 6 7 ) 22 Kinsky Christian, G r a f ( 1 8 5 6 — 1 9 3 1 ) 303 Ferdinand, Fürst ( 1 8 3 4 — 1 9 0 4 ) 194 Ferdinand, Graf, Oberststallmeister ( 1 8 6 6 — 1 9 1 6 ) 145 Kiss de Itebe, Nikolaus ( 1 8 5 2 — 1 9 0 9 ) 115, 119 Knaack Wilhelm, Schauspieler (1829 bis 1894) 303 K n o t z Alfred, Landtagsabgeordneter ( 1 8 4 5 — 1 9 1 6 ) 384 f. Koblitz von Willmburg Johann, Feldmarschalleutnant (1818 bis 1908) 176 Kodolitsdi Alfred von, Bezirkshauptmann ( 1 8 2 0 — 1 8 7 4 ) 208 Koerber, Ernest von, Ministerpräsident ( 1 8 5 0 — 1 9 1 9 ) 7, 13, 51 f., 54, 68, 74 f., 255, 2 8 7 — 3 0 1 , 307, 337, 340, 347, 350, 353, 355 f., 394 ff. Koller Paul, Direktor der H o f apotheke 124
Register K o p p Josef, Reichsratsabgeordneter (1827—1907) 238 Krahl, s. Krall K r a h u l e t z Johann (1848—1928) 70 Krall K a r l , Ritter von Krallenburg (1829—1907) 57 KramäF (Kramarz) Karl, D r . (1860 bis 1937) 286, 288 Kramer-Glöckner Josefine, Schauspielerin (1874—1954) 158 Kraus A l f r e d , Freiherr von, S t a t t halter von Böhmen (1824—1909) 219, 248, 273 ff. Krieghammer E d m u n d von, Kriegsminister (1831—1906) 134 Kristoffy Josef von, ungar. Minister d. Inneren (1857—1928) 324 f. Krupp A r t h u r (1856—1938) 281, 308 ff., 315, 322, 329, 333 f. seine Frau 331 Kübeck Guido, Statthalter von Steiermark (1829—1907) 237, 257 Küenburg Leopold, H e r r von Fronburg (1848—1921) 384 Kuhn Franz, Baron, Kriegsminister (1817 bis 1896) 3 0 , 9 9 Wenzel, Reichsratsabgeordneter 392
Lamberg Heinrich, G r a f , Oberst (1841—1929) 130 f. Lanckoronski Karl, Graf (1848 bis 1933) 344 Larisdi 2 3 7 , 2 5 3 Heiny, Graf (1850—1918) 254 H e n r i e t t e (Jetta) (1853—1916) 254 Lasser Josef, Freiherr von Zollheim, Minister des Inneren (1815—1879) 189 f., 197, 205—209, 222 f., 299 Oskar, Bezirkshauptmann (1851 bis 1926) 209 Laube Heinrich The?.terdircktor (1806—1884) 111 f. Leopold von Bayern, Prinz 83 f.
425
Liechtenstein A l f r e d (1842—1907) 55 Alois, Prinz 91 f., 239, 390, 392, 400, 408, 410, 416 Franz, Botschafter (1853—1938) 165 H a n n a , geb. Klinkosch 410 Rudolf, Prinz, Flügeladjutant (1838—1908) 32, 145, 180 Lobkowicz Ferdinand, Oberstlandmarschall (1850—1926) 181 Zdenko, P r i n z (1858—1933) 172 Lobmayr Ludwig, Fabrikant (1829 bis 1917) 312 Lohnstein Ludwig August, Generaldirektor d. Länderbank 398 Loyola Ignatius von 15 Ludwig Viktor, s. Erzherzöge Lueger Karl, Dr., Bürgermeister (1844—1910) 7, 9 f., 12 ff., 62 f., 65, 67 f., 74 f., 143, 159, 168, 235 f., 243, 264 f., 267 f., 291, 313 f., 326, 339 ff., 354, 356, 359, 365—407, 408, 414, 416
Mandel, s. M a n d l Mandl Ignaz, Dr. d. Medizin, Wiener Gemeinderat 382 Marek Karl, Minister f ü r öffentliche Arbeiten 332 f. Marenzeller E d m u n d von, Vizepräsident des nö. Landessdiulrates (1855—1930) 354 Maria Immaculata, s. Erzherzoginnen Immaculata Raineria, s. Erzherzoginnen Josefa, s. Erzherzoginnen Marie, s. Erzherzoginnen -Rainer, s. Erzherzoginnen Marschall Godfried, Dr., Weihbischof (1840—1911) 96, 132, 148, 155, 413 f. Mary. Prinzessin von H a n n o v e r 174 f. Mathes Karl, Ritter von, O b e r b a u r a t 336
426
Register
Matzenauer Joseph, Gemeinderat 367 Max, s. Erzherzöge Mayer Laurenz, Burgpfarrer (1828 bis 1912) 413 Juwelier 109 f. Mayerhofer Ernst, Statthaltereirat (1824—1881) 204 Mayr Friedrich, Baron, Generaldirektor (1821—1894) 117 f., 162 Mehoffer Joseph, Maler 127 Meissner Florian, Schriftsteller (1835 bis 1895) 231 Metternich Paul, Fürst (1834—1906) 145 Pauline, Fürstin (1836—1921) 14, 314 Meyer, s. Mayer Miklas Wilhelm, Bundespräsident (1872—1956) 409 Milan, serbischer König (1854—1901) 38 Moll Karl, Maler 383 Montandon Julius, Dr., Bezirkshauptmann 417 Montenuovo Alfred, Fürst, Obersthofmeister (1854—1927) 32, 95, 98, 123, 144 f., 149, 165 Montleart Wilhelmine, Fürstin (1827 bis 1895) 345 f. Mrazek Franz, Arzt (1848—1918) 141 f. Müller-Müllenau Eduard, Ritter von (1825—1895) 197, 202 Nagl, Dr., Kardinal (1855—1913) 411 ff. Natalie, serbische Königin 38 Naumowicz Johann, gr.-kath. P f a r rer, Reichsratsabgeordneter 191 Netolicka Eugen, Statthaltereivizepräsident 258 Neumayer Josef, Dr., Bürgermeister (1844—1923) 363, 391 Nigra Constantin, Graf, Botschafter (1828—1907) 246,267 Nostitz Albert, Graf, Dienstkämmerer (1843—1929) 126,146
Nothnagel Hermann, Universitätsprofessor (1841—1905) 346 Nowak, H o f r a t 253
Odilon (Petermann) Helene, Schauspielerin (1865—1939) 121 f. Ohmann Friedrich, Architekt (1858 bis 1927) 153 Otto, s. Erzherzöge
Paar Eduard, Graf, Generaladjutant (1837—1919) 39, 72, 80, 89, 93, 98, 134, 171 Pace Anton, Graf, Sektionschef (1851—1923) 204 Pallavicini Crescence, Markgräfin, Hofdame (1860—1938) 14 Eduard (1845—1914) 269 Palmer Eduard, Generaldirektorstellvertreter d. Alpine Montan (1838 bis 1914) 116, 118 f. Pattai Robert, Dr., Präsident des Abgeordnetenhauses (1846—1920) 385,393 Pawelka Karl, Dr., Obermagistratsrat 337,411 Pernerstorfer Engelbert, Abgeordneter (1850—1918) 250 Philipps, s. Phillips Phillips George, Universitätsprofessor (1804—1872) 271 Pichler Rudolf, Staatstechniker 153 f. Pino-Friedental Felix, Statthalter (1826—1906) 254 Piret de Bihain Eugen, Freiherr, Obersthofmeister (1821—1902) 180 f. Plappart August, Freiherr von, Generalintendant d. Hoftheater (1831 bis 1907) 256 Plener Ernst von, Finanzminister (1841—1923) 41, 53, 68, 212, 315 Pokorny Hermann, General 253
Register Pollack von Pernegg Mathilde, geb. Gerstl (1845—1923) 297 f. Pongracz Mathilde, Gräfin, geb. Gräfin Wolf-Metternich, verw. Gräfin Arco (1840—1925) 135 f. Porzer Josef, Vizebürgermeister (1847—1914) 272,380 Possinger Ludwig, Freiherr von Choborski, Statthalter in Niederösterreich (1823—1905) 39, 225 f. Potiorek Oskar, General (1853 bis 1933) 6 1 , 9 0 , 2 9 8 Potocki Alfred, Statthalter (1822—1889) 260 Andreas, Graf (1861—1908) 327 f. Prazäk Alois, Freiherr von (1820 bis 1901) 219 f. de Pretis Sisinio, Freiherr von Cagnodo, Finanzminister (1828 bis 1890) 30, 226 f. Prix Johann Nepomuk, Dr., Bürgermeister (1836—1894) 228, 235 ff., 251,338, 367 ff., 371 ff. Prokesch Anton, Graf, Präsidialgesandter (1795—1876) 24 Puthon Viktor, Freiherr von, Statthalter (1842—1919) 335 f.
Radetzky Joseph, Feldmarschall (1766—1858) 174 Rainer, s. Erzherzöge Rainer-Harbach, Hubert von (1822 bis 1895) 201 Ratkeal, s. Herbert-Ratkeal Rechberg Johann, Graf, (1806 bis 1899) 24 f. Redlich Josef, Prof. Dr. (1869—1936) 71 Oberbaurat 78 Redwitz, Baron, Oberleutnant 111 Regner von Bleyleben 296 Oktavian, Freiherr, Statthalter (1866—1945) 363 f. Rudolf, Oberlandesgerichtspräsident 353 Reisch Theodor, Dr., Vizebürgermeister 235
427
Reverseaux de Rouvray Frédéric, Marquis, Botschafter (1845 bis 1916) 158 Reyer Franz, Freiherr von, Attaché 22 Richter Albert, Dr., Vizebürgermeister 235, 251 f. Riedl Ludwig, Cafétier 109 f. Ritsehl Eduard, Maler u. Gemälderestaurator (1822—1906) 154 Robinson Louise, Operettensängerin 141 Rössler Johannes, Bischof von St. Pölten (1850—1927) 413 Rothberger Jakob, Schneider 198 Rothschild Albert, Baron (1844—1911) 105, 161, 382 f. -Gruppe 76, 160 Nathaniel, Baron (1836—1905) 135, 155 Rudolf, Kronprinz 39, 94 Ruff Erwin, Dr. 400 Rumerskirch Fritz, Graf (1840—1898) 113 Karl, Baron, Obersthofmeister 78, 90, 150, 160, 162
Sacher Eduard, Hotelier 242 St. Genois Franziska, verm. BylandtRheidt, Gräfin (1854—1929) 335 Sarto, Kardinal (Pius X . ) (1835 bis 1914) 414 Schaukai Richard, Ministerialrat (1874—1942) 332 f. Scheicher Josef, Prälat, christlichsozialer Politiker (1842—1924) 9, 412 Schiessl Franz, Baron, Kabinettsdirektor (1844—1932) 52, 69, 78, 89, 97, 161 Schleinzer Frl., Tänzerin 140 f. Schlumberger Robert, Weinhändler 302 f., 307 f. Schmerling Anton von, Staatsminister (1805 bis 1893) 24 f., 205 f., 222 f., 237, 307, 354
428
Register
Josef von, General (1807—1884) 22 Schmidt-Zabierow Artur, Freiherr von 147,216 Schmolk Frigdian, Abt von Herzogenburg (1842—1912) 400 Schneeberger Helene 293, 297 f. Wilhelm, Rechtsanwalt 293 f. Schneider Ernst, Mechaniker, Landesausschuß (1850—1913) 368, 372, 408 Schneider-Arno Josephine, Freiin von, Stiftsdame (1854—1909) 82 Sdioeller Firma 135 Paul von, Herrenhausmitglied (1853—1923) 161 f. Schöffel Josef, Landesausschuß, Bürgermeister (1832—1910) 409 Schönaich Franz, Kriegsminister (1844—1916) 183 Schönborn Adalbert, Graf (1854—1924) 286 Friedrich, Graf, Justizminister (1841—1907) 259,274 Graf, Kardinal 272 Schönerer Georg (1842—1921) 181, 341 Schratt Katharina (1853—1940) 7, 106, 111—124, 160 ihr Bruder 113 ihr Vater, Bäckermeister 113 f. Schreiber Alfred, Theaterdirektor 114 Schwarzenberg Anna (1854—1898) 273 Karl, Fürst (1824—1904) 273 Lori, Fürstin (1858—1938) 25, 213 Prinzessin 131 Seidl Betty, Schauspielerin 114 Sieghart (Singer) Rudolf (1866 bis 1934) 14, 51 ff., 68, 76 ff., 121, 159, 161 ff., 296, 298, 315 f., 360 ff., 397 f., 414 Siemens Werner (1816—1892) 406 Silva-Tarouca Ernst, Ackerbauminister (1860—1936) 168
Singer (Sieghart) Rudolf, s. Sieghart Solm-Braunfels Esperence, Prinzessin 73 Spaun Johann, Ritter von, Sektionschef (1840—1910) 318 Spens-Boden Alois, Freiherr von, Justizminister (1835—1919) 289, 294 Spitzmüller, Alexander von, Handels- u. Finanzminister (1862 bis 1953) 16, 163, 300 f. Starzer Albert, Archivdirektor (1863 bis 1909) 12, 152 Stehling Albert, Leiter d. Sicherheitsbüros d. Wiener Polizeidirektion 35 Steinbach Emil, Dr., Finanzminister, Präs. d. obersten Gerichtshofes (1846—1907) 41, 225, 240 f., 250 Steiner Leopold, Landeshauptmann (1857—1927) 75,363 Sternberg Adalbert (Montschi), Graf (1868—1930) 145 Sterneck, Freiherr von, Admiral (1829—1897) 43 Steuernagel, s. Thomas Stiassny Wilhelm, Oberbaurat 230 Stolberg Anna, Gräfin, geb. St. Genois 145 f. Strangfeld Alexander von, H o f r a t d. Verwaltungsgerichtshofes 188 Stransky Carl, Ritter von, Senatspräsident d. Verwaltungsgerichtshofes 189 Stremayr Karl von, Minister (1823 bis 1904) 253, 290, 303 Strobach Josef, Bürgermeister (1852 bis 1905) 64 f., 314, 326, 373 f., 385, 397, 406 Stürgkh Karl, Graf (1859—1916) 53, 68, 72, 90 ff., 171, 286, 289, 299, 413 f. Styrcea Eugen von (1835—1901) 201 Suess Eduard, Prof., Reichsratsabgeordneter (1831—1914) 229 f., 232 ff. Szell Koloman, ungar. Finanzminister, Ministerpräsident (1845 bis 1915) 289, 315
Register TaafFe Eduard, Graf, Ministerpräsident (1833—1895) 7, 37 ff., 54, 101, 104, 118, 134, 198, 211, 213 bis 246, 248 ff., 253 f., 261, 264, 268, 273 f., 298, 302, 304 f., 307 f., 366 Heinrich (1872—1928) 243, 304 Helene (1870—1925) 244 Irma, geb. Gräfin Csaky (1838 bis 1912) 213, 243 f. Luise, Stiftsdame (1868—1921) 244 Mary, verm. Coudenhove (1866 bis 1928) 244 Taussig Theodor, Gouverneur d. Bodencreditanstalt (1849—1909) 76, 158 Tegetthoff, Wilhelm von, Admiral (1827—1871) 24 Thomas (Steuernagel), Kaiserlicher Rat 64 Thun-Hohenstein Franz, Fürst, Ministerpräsident (1847—1916) 7, 16, 25, 41, 55, 67 f., 86, 95, 144, 146, 149, 181, 210 f., 219, 237, 248, 267, 271 bis 286, 311, 340, 345 Franz 283 Friedrich (1810—1881) 273 Gräfin 276, 278, 282 Jaroslaw, Graf (1864—1929) 168, 282 Oswald (Linie Klösterle) (1849 bis 1913) 283 Tisza Stefan, Graf, ungar. Ministerpräsident (1861—1918) 100, 299 Tomasczuk Constantin, Reichsratsabg., Universitätsprofessor 191 Trauttmansdorff Karl, Fürst (1845 bis 1921) 194 Trenner Anna, Schauspielerin 114 Treumann Karl, Theaterdirektor (1823—1879) 118 Trnka Ottokar, Minister für öffentliche Arbeiten (1871—1919) 351 Türckheim-Geislern Joachim, Freiherr (1847—1893) 130, 134 Twardowski Julius, poln. Landsmannminister (1874—1945) 415
429
Uhl Eduard, Bürgermeister (1813 bis 1892) 367 Unger Josef, Prof., Präsident d. Reichsgerichtes (1828—1913) 25, 59, 190, 195, 210—212, 252, 271 Valerie, s. Erzherzoginnen Vanderstrass Carl, Reichsratsabg., mährischer Landesadvokat 41 Vecsera Mary, Baronesse 39 Venus, Dr. 400 Vergani Ernst, Herausgeber d. Deutschen Volksblattes 380 Vittinghof-Schell Max, Freiherr von (1840—1898) 143 Vitzthum Carl, Graf, Gesandter (1819—1895) 344 Völkl Wilhelm, Reichsratsabg., Bürgermeister von St. Pölten 293 Waber Leopold, Vizekanzler (1875 bis 1945) 13, 49 Wagner Otto, Architekt (1841—1918) 69 f. Heinrich, Ritter v. Kremsthal 360 Waldstätten Alfred, Freiherr von, General 172 Wallis Georg, Graf, Major (1856 bis 1928) 170 f. Wallmoden Karl, Graf (1792—1883) 21 f., 187,215, 271,273 Ludwig, Graf (1769—1862) 21, 25 Zoe, geb. Gräfin Grünne (1810 bis 1894) 174, 177, 187, 271, 273 Walterskirchen Franz Xaver, Graf (1862—1933) 143 Wasserburger Architekt, Steinmetzmeister 179 seine Frau 179 Weber-Ebenhof Ernst, Freiherr, Sektionschef (1823—1893) 190 Wedel Karl, Graf, Botschafter (1842 bis 1919) 404 Wedra Rudolf, Oberlehrer, Reichsratsabg., Nationalrat 417 f. Weiprecht, s. Weyprecht
430
Register
Weiskirchner Richard, Bürgermeister (1861—1926) 143,363,385 Welserheimb Rudolf, Graf, Botschafter (1842 bis 1926) 178 Zeno, Graf, General, Landesverteidigungsminister (1835—1921) 45, 47, 302, 314, 377 Wertheim Franz, Kassenfabrikant (1814—1883) 127 Wessely Vinzenz, Stadtrat 387 Wetschl Franz, Kanzleidirektor (1850 bis 1944) 104 Weyprecht Karl, Leiter d. österr. Nordpolexpedition (1838—1861) 207 Wickenburg Max, Graf (1857—1918) 285, 287, 307, 322 Wilczek Hans, Graf (1837—1922) 207 Wilhelm s. Erzherzöge deutscher Kaiser (1859—1941) 81, 158, 168, 183 f., 391 Wimmer, Fleischhauer 372 Windisch-Grätz Alfred, Fürst, Ministerpräsident (1861—1927) 7, 41 ff., 211, 247 bis 252, 255 Alexandrine, Prinzessin (1850 bis 1933) 155, 256 f., 276 Ludwig, Prinz, General (1830 bis 1904) 37,261
Wittek Heinrich, Dr., Ritter von, Eisenbahnminister (1844—1930) 7, 50, 60, 288, 312, 316, 338—342, 393 f. Wlassitz Conrad, Generalstabshauptmann 22 Wolf Erich, Vizepräsident d. Landesschulrates für Niederösterreich 272 Wolter Charlotte (1834—1897) 118 Wratislaw Ernestine, verm. ThunHohenstein 283 Wrbna, Graf 83 Wurmbrand Gundacker, Graf, Handelsminister 69, 167, 276, 339 Wilhelm (1806—1884) 81 Württemberg, Herzog von 175 Wuthenau, Maria Antonia von, geb. Gräfin Chotek (1874—1930) 147 Wydenbruck Misa, Gräfin 161
Ysenburg Gustav, Prinz, Gesandter (1813 bis 1883) 25 sein Sohn 25
Zacherl Johann Evangelist, Insektenpulverfabrikant 64 Zia Bey, türkischer Botschafter 246 Zwerenz Mitzi, Schauspielerin 114
Z B Y N E K A. Z E M A N
Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1914-1918 1963. 278 Seiten, Leinen D M 19.80
Aus dem I n h a l t : D i e R u h e v o r dem S t u r m — Die O s t f r o n t — Austria delenda est — D e r Tod des Kaisers — R e v o l u t i o n im Osten — D e r Sieg d e r Radikalen — D e r T r i u m p h d e r E m i g r a n t e n — D a s E n d e d e r Monarchie „Es ist erfreulich, d a ß aus d e r Feder eines tschechischen H i s t o rikers eine objektive Untersuchung des Zusammenbruches der D o n a u m o n a r c h i e eine Revision einleitet, die längst fällig w a r . D a s sehr übersichtlich geschriebene Buch v e r d i e n t wegen seiner Fülle an Details besondere Beachtung." Österreich
in Geschichte und
Literatur
„ Z e m a n verarbeitet in d a n k e n s w e r t e r Weise die umfangreiche slawische Literatur u n d b r i n g t überdies noch mancherlei bisher unbekanntes Archivmaterial bei." Wiener
R. O L D E N B O U R G
VERLAG, W I E N
UND
Geschichtsblätter
MÜNCHEN