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German Pages 236 Year 2002
DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften
Beiheft 5
Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit Herausgegeben von Helmuth Schulze-Fielitz Carsten Schütz
Duncker & Humblot · Berlin
SCHULZE-FIELITZ / SCHÜTZ (Hrsg.)
Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit
DIE VERWALTUNG Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften
Herausgegeben von Wilfried Berg, Stefan Fisch Walter Schmitt Glaeser, Friedrich Schoch Helmuth Schulze-Fielitz
Beiheft 5
Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit
Herausgegeben von Helmuth Schulze-Fielitz Carsten Schütz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit / Hrsg.: Schulze-Fielitz, Helmuth ; Schütz, Carsten. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Die Verwaltung : Beiheft ; 5) ISBN 3-428-10938-4
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0946-1892 ISBN 3-428-10938-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706®
Vorwort Die nachstehenden Abhandlungen sind für ein wissenschaftliches Symposium entstanden, das die Herausgeber am 14. /15. März 2002 in Würzburg veranstaltet haben. Ein äußerer Anlass war das 600jährige Bestehen der Julius-Maximilians-Universität, deren wissenschaftliche Ausstrahlung seit ihrer Gründung auch durch ihre Juristische Fakultät mitgeprägt worden ist. In der Sache haben uns wesentlich die im nachfolgenden Einleitungsbeitrag niedergelegten wissenschaftlichen Gesichtspunkte geleitet. Zu guter Letzt können wir allen Mitwirkenden nur herzlich dankbar sein: der Fritz-Thyssen-Stiftung für die finanzielle Unterstützung des Tagungsprojekts; den Referenten für ihre zügig zielführende, mündliche und schriftliche Mitarbeit; den weiteren Tagungsteilnehmern für vielfältige wechselseitige Anregungen in den Diskussionen, die mitunter noch ihren Niederschlag in der Schriftfassung der Referate finden konnten; den studentischen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern für ihre Hilfe bei der Realisierung von Tagung und Tagungsband; und zuletzt den Verlagsangehörigen für ihre so erfreulich schnelle Kooperation! Würzburg, im April 2002
Helmuth Schulze-Fielitz Carsten Schütz
Inhaltsverzeichnis
Carsten Schütz u n d Helmuth
Schulze-Fielitz
Justiz u n d J u s t i z v e r w a l t u n g z w i s c h e n Ö k o n o m i s i e r u n g s d r u c k u n d U n a b h ä n g i g k e i t . E i n e einleitende Problemskizze
9
I. Das „Produkt" der Justiz Reinhard
Böttcher
D i e P r o d u k t e der Justiz Andreas
27
Voßkuhle
Das „ P r o d u k t " der Justiz
35
I I . Qualitätsmerkmale richterlicher Tätigkeit und ihre Sicherstellung Harald
Klein
Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g i m Prozess der M o d e r n i s i e r u n g der Justiz
55
Klaus F. Röhl Fehler i n Gerichtsentscheidungen Jürgen
67
Brand
B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n Erfahrungsbericht Gerd
Sozialgerichtsbarkeit.
Ein 99
Roellecke
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung
123
I I I . Neudefinition der richterlichen Unabhängigkeit i m „ökonomisierten" Staat? Uwe
Berlit
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d O r g a n i s a t i o n effektiven Rechtsschutzes i m „ ö k o n o m i s i e r t e n " Staat Michael
135
Reinhardt
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
179
8
Inhaltsverzeichnis IV. Selbstverwaltung der Gerichte
Christian
Dästner
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e als Voraussetzung i h r e r U n a b h ä n g i g k e i t i m schlanken Staat? Thomas
201
Groß
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e als Voraussetzung i h r e r U n a b h ä n g i g k e i t ?
Verzeichnis der M i t a r b e i t e r
217
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Justiz und Justizverwaltung zwischen Ökonomisierungsdruck und Unabhängigkeit Eine einleitende Problemskizze
Von Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz, Würzburg
I. Die Justiz als vernachlässigter Gegenstand der Rechtswissenschaft
Die Justiz als Gesamterscheinung der „Dritten Gewalt" gehört zu den eher vernachlässigten Gegenständen der Rechtswissenschaft. Das erscheint um so merkwürdiger, als die gesamte Juristenausbildung im Kern weithin unverändert am Leitbild eines habilitierfähigen Richters am Oberlandesgericht 1 ausgerichtet ist. Sucht man nach einer Erklärung für den Sachverhalt einer solchen wissenschaftlichen Vernachlässigung, so fällt der Blick erstens auf die Eigenart der Rechtswissenschaft als einer vorherrschend rechtsdogmatisch ausgerichteten Wissenschaft. Rechtsdogmatik und Jurisprudenz als praktische Kunstlehre suchen schon immer materielle und prozessuale Rechtsnormen nach Maßgabe ver allgemeinerb ar er methodischer Regeln auszulegen und einzelfallgerecht anzuwenden. Zentral ist dabei eine handlungsanleitende Perspektive; ganz im Vordergrund steht die konfliktlösungsorientierte Sicht des einzelnen Richters und Normanwenders. Eine Betrachtung der Justiz als Organisation erfolgt demgegenüber meta-dogmatisch aus der Sicht eines Beobachters und wirkt daher unjuristisch, weil nicht rechtsdogmatisch. Dieser Umstand wird zweitens dadurch bestätigt, dass es in der Rechtswissenschaft (in dem weiten Sinne einer Sozialwissenschaft) zwar zumindest in Ansätzen eine Gesetzgebungslehre und eine Verwaltungslehre, nicht aber eine Justizlehre gibt; vereinzelte Ansätze zur Begründung einer solchen Rechtsprechungslehre sind über die Versuche zu deren Initiierung in Form zweier Tagungen2 nicht hinausgekommen. Die Gesetzgebungslehre widmet sich - in Ergänzung zur rechtsanwendenden Perspektive der Rechtsdogmatik - primär den Problemen der Entstehung von Recht, bevor 1 I n diesem Sinne einst R. Wiethölter, A n f o r d e r u n g e n a n d e n J u r i s t e n heute, i n : R. Wassermann (Hrsg.), E r z i e h u n g z u m E s t a b l i s h m e n t , 1969, S. 1 ff. (20). 2 Vgl. N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, 1984; W. Hoppe/W. M. Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, 1992.
Krawietz/
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz
bzw. bis dieses in Kraft t r i t t 3 . Die Verwaltungslehre widmet sich allen Fragen der Organisation und des Handelns der Verwaltung, die sich nicht in Rechtsanwendung erschöpfen 4. Das gilt nicht etwa nur für den großen Bereich der „gesetzesfreien" Verwaltung; auch im Rahmen gesetzlicher Vorgaben ist Verwaltungshandeln weit mehr als bloße Rechtsanwendung, nicht nur im Rahmen des informalen Verwaltungshandelns. Gesetzgebungs- wie Verwaltungslehre erörtern auch Fragen der Gestaltungsfreiheit der Amtsinhaber der legislativen bzw. exekutiven Staatsgewalt. Eine Justizlehre erscheint demgegenüber mit der Lehre von der Anwendung des positiven Rechts zusammenzufallen und so eine eigene „Rechtsprechungslehre" als entbehrlich zu erweisen. Indessen zeigen gerade die aktuellen Diskussionen um eine Modernisierung der Justiz auch unter ökonomischen Gesichtspunkten im Blick auf die Effektivität des Rechtsschutzes als Verfassungsgebot aus Art. 19 Abs. 4 GG bzw. Art. 20 Abs. 3 GG, dass nicht nur die Art der Auslegung und Anwendung von Gesetzen durch den Richter, sondern auch die organisatorischen Voraussetzungen und verfahrensbegleitenden Entscheidungen der Justizverwaltung maßgeblich die Effektivität des Rechtsschutzes mitbestimmen. Auch die Dritte Gewalt erschöpft sich keineswegs in richterlicher Gesetzesanwendung und bedarf auch insoweit wissenschaftlicher Beobachtung und Begleitung aus einer Perspektive, die die unmittelbar einzelfallorientierte Entscheidungsperspektive des Rechtsanwenders überschreitet.
I I . Strukturprobleme einer wissenschaftlichen Diskussion von Justizreformen
Eine wissenschaftliche Behandlung der Reform oder Modernisierung der Justiz unterliegt strukturellen Grenzen, die eine vertiefte wissenschaftliche Diskussion behindern und zugleich in besonderer Weise geboten erscheinen lassen. Das erste strukturelle Hindernis ergibt sich allgemein aus der Gefahrentendenz, dass aus guten Gründen verfassungsrechtlich verankerte Rechtspositionen zugunsten einzelner Berufe von deren Inhabern in einer Weise instrumentalisiert werden, dass sie von notwendigen Rechten in Privilegien mit der erhöhten Gefahr ihrer Missbrauchbarkeit umschlagen. Das gilt in verschiedenen Bereichen grundgesetzlicher Gewährleistungen. Ein erstes Beispiel ist der besondere Schutz, den Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in 3 (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, 1976; H. Schulzes. näher etwa W. Schreckenberger Fielitz, Theorie u n d P r a x i s p a r l a m e n t a r i s c h e r Gesetzgebung, 1988; U. Karpen (Hrsg.), Z u m gegenwärtigen S t a n d der Gesetzgebungslehre i n der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , 1998; H. Schneider, Gesetzgebung, 3. A u f l . 2002. 4
s. neuestens G.F. Schuppert,
Verwaltungswissenschaft, 2000.
Justiz und Justizverwaltung
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der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewährt. So richtig dieser Schutz im objektiven Gemeinwohlinteresse der demokratiekonstitutiven Funktionsfähigkeit einer öffentlichen Meinungsbildung ist, so sehr gibt es seit langem Anhaltspunkte dafür, dass diese Rechtspositionen über das „normale" und erforderliche Ausmaß hinaus Fehlentwicklungen erleichtert, von den (im Vergleich zu den privaten Rundfunkanstalten deutlich höheren) Produktionskosten über die Höhe der Altersversorgung von Rundfunkangehörigen bis hin zu einer gewissen publizistischen „Selbstgerechtigkeit"; schon vor drei Jahrzehnten ist das einmal auf den Begriff gebracht worden, die öffentlichrechtlichen Sender seien „Nisthöhlen für Cliquen" 5 . Ein zweites Beispiel ist der verfassungsrechtliche Schutzumfang, den Art. 5 Abs. 3 GG den Universitäten und den einzelnen Hochschullehrern gewähren soll. Vom Grundgesetzgeber aus gutem Grunde zur Sicherung der Wissenschaftsfreiheit besonders akzentuiert, hat die Garantie des Art. 5 Abs. 3 GG dazu geführt, dass seit Jahrzehnten nahezu jede Entscheidung des Hochschulgesetzgebers insbesondere von Professoren des Öffentlichen Rechts nicht nur für verfassungswidrig oder für verfassungsrechtlich „bedenklich" erklärt wird, sondern dass Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers kraft überlegener Einsicht in die Rechtsstellung aus Art. 5 Abs. 3 GG mitunter jahrzehntelang unterlaufen werden; auch hier droht jede Unzweckmäßigkeit des Gesetzgebers im Schatten der Verfassung zum Angriff auf eine Rechtsstellung zu werden, die in professoraler Selbstinterpretation zum Privileg fast jeder Vorzugsstellung des traditionellen Hochschullehrerdaseins gerinnt. Eine strukturell gleiche oder vergleichbare Problematik ist mit der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 1 GG verknüpft. Auch hier gibt es eine bis auf die Entscheidungen der Disziplinargerichte durchschlagende Neigung von Richtern, schon jede Diskussion ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit, jeden auch nur durch eine bloße Nachfrage eines Gerichtspräsidenten veranlassten Vorhalt 6 und jede berufliche Obliegenheit mit der Vermutung eines rechtswidrigen Eingriffs in ihre individuelle richterliche Unabhängigkeit zu überziehen. Art. 97 Abs. 1 GG gerät so in Gefahr, vom Schutz der Unabhängigkeit der Richter vor staatlicher Einflussnahme auf ihre Entscheidungstätigkeit zum Schutzschild gegen jede Veränderung in der gerichtlichen Selbstorganisation zu werden. Diese Tendenz wird verstärkt durch eine zweite strukturelle Unvermeidlichkeit. Bei der Bestimmung der Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG etwa im Rahmen von Entscheidungen über die s E. Forsthoff,
D e r Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 156.
6 s. e t w a j ü n g s t B G H , B e t r i f f t Justiz 2002, 252 f.
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz
Zulässigkeit dienstaufsichtlicher Maßnahmen entscheiden Richter (generalisiert) „ i n eigener Sache", was ungeachtet aller Bemühungen um professionelle Distanz leicht zu selektiver Wahrnehmung führen kann, wie sich nicht nur an der Judikatur zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Richtern zeigen lässt. Diese strukturellen Hemmnisse einer wissenschaftlichen Diskussion führen tendenziell zur Erhaltung oder Ausweitung eines rechtlichen und tatsächlichen Status quo zugunsten der Inhalte von richterlicher Unabhängigkeit i.S. einer ausgrenzenden Abwehr von jeglichen Veränderungen als (vermeintlichen oder realen) Eingriffen. Sie gebieten, dass nichtrichterliche Instanzen wie die wissenschaftliche Fachöffentlichkeit, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit in besonderer Weise aufgerufen sind, sich diesen Problemfeldern stärker als bislang üblich zu widmen und den Stellenwert und die Reichweite richterlicher Unabhängigkeit differenziert zu bestimmen. Die Rechtswissenschaft hat insoweit kompensatorische Funktionen. Sie muss dort, wo - wie in der Justiz - strukturelle Hemmnisse für offene Diskussionen in Form der Entfaltung von Privilegien oder von Entscheidungen in eigener Sache durch bloße Abwehr von Veränderung bestehen, eine verstärkte fachwissenschaftliche Diskussion initiieren. Deshalb sind die aktuellen Diskussionen um eine Modernisierung der Justiz ein objektiv besonders wichtiger Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen, dem sich die Beiträge dieses Bandes widmen.
I I I . Die Justiz i m Prozess der Modernisierung
Die Modernisierung des Staates vor dem Hintergrund eines sich fundamental wandelnden Staatsverständnisses mit dem Ziel einer Steigerung von ökonomischer Effizienz und Effektivität 7 hat die Justiz erreicht. Die „Modernisierung" der Justiz mittels der Instrumente des „Neuen Steuerungsmodells" (NSM) ist im Gange und wird von den Landes Justizverwaltungen auf breiter Front vor allem mittels eines neuen Haushaltswesens8 vorangetrieben. Die Übertragung eines organisatorischen Systems der Exekutive 9 durch diese selbst auf die Judikative erzeugt angesichts der grundsätzlichen Unterschiede a priori Widerspruch: Denn Steuerung insbeson7 M. Wallerath,
D e r ö k o n o m i s i e r t e Staat, J Z 2001, S. 209 ff.
8
Vgl. B e r i c h t der A r b e i t s g r u p p e „Neues H a u s h a l t s wesen" an die J u s t i z m i n i s t e r der L ä n d e r v o m A p r i l 2000. 9 U r s p r ü n g l i c h w u r d e das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l d u r c h die K o m m u n a l e G e m e i n schaftsstelle f ü r V e r w a l t u n g s v e r e i n f a c h u n g ( K G S t ) f ü r die K o m m u n a l v e r w a l t u n g e n t w i c k e l t , vgl. g r d l . KGSt (Hrsg.), Das Neue Steuerungsmodell. B e g r ü n d u n g , K o n t u r e n , U m s e t z u n g , 1993 ( K G S t - B e r i c h t 5 / 1 9 9 3 ) . A n w e n d u n g s s c h r i t t e f i n d e n sich aber a u c h bereits i n der L a n d e s - u n d B u n d e s v e r w a l t u n g (vgl. n u r das P r o g r a m m der Bundesregierung „ M o d e r n e r Staat - M o d e r n e V e r w a l t u n g " u n d h i e r z u j ü n g s t Bun-
Justiz und Justizverwaltung
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dere durch die Exekutive (Justizverwaltung) scheint auf den ersten Blick ein evidenter Widerspruch zu der notwendig unabhängigen Entscheidung nur am Maßstab von Recht und Gesetz durch die hierzu allein berufenen Richter zu sein (Art. 20 Abs. 3, 92, 97 GG). In diesem Problemfeld können die Erkenntnisse der Verwaltungswissenschaft zur Kompensation der fehlenden Justizlehre deshalb nur in begrenztem Maße nutzbar gemacht werden: Anders als in der Justiz dominiert im Bereich der Verwaltung die Weisungsgebundenheit der Entscheidungsträger, der der Begriff der hierarchisch organisierten Steuerung per definitionem korrespondiert. Ein weiterer Unterschied zum Verwaltungsbereich ergibt sich aus dem Gegensatz der beteiligten Akteure und Betroffenen. Die exekutivische Verwaltung kann insofern als homogen bezeichnet werden, als ihre Umstrukturierung grundsätzlich einen A k t der Selbstbestimmung innerhalb einer einheitlichen Staatsgewalt bedeutet. Demgegenüber sieht sich die Richterschaft als Judikative der Fremdbestimmung durch eine andere Staatsgewalt jenseits der Gesetzesbindung ausgesetzt: Die Dritte Gewalt wird durch die Exekutive in ihrer Organisation und Verfahrensweise neu determiniert und gesteuert. Ganz unabhängig davon, ob die richterliche Unabhängigkeit als Rechtsgarantie des GG tangiert wird, wirken neue Steuerungsmodelle als Eingriff von außen in die Judikative. Sie erzeugen Abwehrhaltungen der Richterschaft jenseits aller rechtlichen Kategorien: Es kommt zu einer Frontstellung von Richtern und Justizressort. Dies spitzt sich personell zu, wenn man die an sich der Richterschaft zugehörigen Gerichtsleitungen (Präsident, Chefpräsident) als „verlängerten Arm" des Justizministeriums und damit der Exekutive begreift. In diese Frontstellung vermag auch die Rechtswissenschaft nur begrenzt schlichtend einzugreifen, da auch hier ein starkes Misstrauen der Richterschaft besteht, das zumeist mit dem Vorwurf mangelnder Sachkenntnis der „Theoretiker" auftritt 1 0 . Die Phase dieses ersten, geradezu „obligatorischen" Widerspruchs ist abgeschlossen. Ursprünglich stand die Frage im Raum, ob die für die Verwaltung entwickelten Konzepte des Neuen Steuerungsmodells auf den Bereich der Justiz übertragen werden können und sollen; diese Frage ist beantwortet bzw. stellt sich so nicht mehr. Budgetierung, Benchmarking 11 , Controlling, Kosten-Leistungsrechnung, Personalentwicklung 12 halten Einzug in
desministerium des Innern [Hrsg.], M o d e r n e r Staat - M o d e r n e V e r w a l t u n g . B i l a n z 2002, insb. S. 15 ff., z u r Justiz S. 39). 10 So e t w a a u s d r ü c k l i c h H. Geiger, N o c h m a l s : D e r K a m p f u m A r t . 19 I V G G , Z R P 1998, S. 252 ff., z u R. Pitschas, D e r K a m p f u m A r t . 19 I V GG, Z R P 1998, S. 96 ff. 11 s. h i e r z u a u s f ü h r l i c h J. Brand, B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t - e i n E r f a h r u n g s b e r i c h t - , i n diesem B a n d S. 99 ff. 12 Z u m M o d e l l Hessens s. H. Klein, Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g i m Prozess der M o d e r n i s i e r u n g der Justiz, i n diesem B a n d S. 55 ff.
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz
den Alltag der Gerichte, wenn auch mit vielfach unterschiedlicher Akzentuierung und Schwerpunktsetzung. Die Zielrichtung der gerichtsverwaltenden Exekutive ist klar: „Justiz kostet" 1 3 , und diese Kosten müssen gesenkt werden, auch wenn angesichts des relativ geringen Anteils der Justizausgaben das Einsparpotential eher marginal sein dürfte 1 4 . Mit der entstehenden Kostentransparenz 15 soll die Mittelzuweisung an die Gerichte nun auf eine rationale und nachvollziehbare Basis gestellt werden. Es soll zugleich Kostenbewusstsein bei den entscheidenden Stellen, allen voran bei den Richterinnen und Richtern, erzeugt werden. Wirtschaftlichkeit im Sinne kostengünstiger Arbeitsweise, die bisher für den richterlichen wie gerichtlichen Alltag kaum eine zentrale Rolle gespielt hat, wird zum neuen Handlungsmaßstab erklärt und als Zielvorgabe etabliert - es entsteht „Ökonomisierungsdruck". Freilich ist damit ihr Stellenwert für den Rechtsprechungsalltag ebenso wenig geklärt wie die Frage, ob Rechtsprechung über die Kosten überhaupt gesteuert werden kann 1 6 . Teilweise wirkt die aktualisierte Forderung nach Effizienz und Effektivität als Verstärkung schon bisher bekannter und akzeptierter Prinzipien: „Effektiver Rechtsschutz" ist nach allgemeiner Auffassung Teil der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG 1 7 . Kostengünstig ist auch eine Entscheidung, die in möglichst kurzer Zeit und mit möglichst geringem Aufwand ergeht - und dies stärkt den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) 1 8 . Können insgesamt mehr Verfahren erledigt werden, bedeutet dies für mehr Bürgerinnen und Bürger die Verwirklichung ihres Justizgewährleistungsanspruchs (Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 3 GG) 1 9 . Das Verfassungsprinzip effektiven Rechtsschutzes steht jedoch in Konkurrenzsituationen von nicht geringer Brisanz. Wenn die neuen Modelle ihrem Namen gerecht werden, dann sollen sie der „Steuerung" der Justiz dienen. Erfolgt die Einflussnahme durch die Gerichtsverwaltung, die der Exekutive angehört, so rückt die Gewaltenteilung i.S. von Art. 20 Abs. 2 GG 13 G. Roellecke, S. 123(123).
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung, i n diesem B a n d
14 s. U. Berlit, R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d O r g a n i s a t i o n effektiven Rechtsschutzes i m „ ö k o n o m i s i e r t e n " Staat, i n diesem B a n d S. 135 (143). 15
A u f der Basis einer K o s t e n - L e i s t u n g s - R e c h n u n g , A r b e i t s g r u p p e ( F N 8), S. 8, 17.
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Letzteres a u s d r ü c k l i c h v e r n e i n e n d Roellecke ( F N 13), S. 126. 17 s. n u r H. Schulze-Fielitz, in: Η . D r e i e r (Hrsg.), G G I, 1996, A r t . 19 I V Rn. 61 ff. m. w. N . 18 H i e r z u d e z i d i e r t V. Schiette, D e r A n s p r u c h auf g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g i n angemessener Frist, 1999; K.-A. Otto, D e r A n s p r u c h auf e i n Verfahren i n n e r h a l b angemessener Z e i t , 1995. 19 s. etwa K. Redeker, J u s t i z g e w ä h r u n g s p f l i c h t des Staates versus r i c h t e r l i c h e U n abhängigkeit?, N J W 2000, S. 2796 ff.; H. Schulze-Fielitz, in: H . D r e i e r (Hrsg.), G G I I I , 2000, A r t . 97 Rn. 32.
Justiz und Justizverwaltung
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in das Blickfeld, zugespitzt im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wo dann der „Kontrollierte den Kontrolleur kontrollieren s o l l " 2 0 bzw. steuert. Letzteres ist angesichts der im GG vielfach angelegten Überschneidungen der drei Staatsgewalten verfassungsrechtlich (wohl) zu akzeptieren 21 . Weit problemhaltiger ist die Frage der Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 GG). Eine Determination richterlicher Entscheidungen durch etwas anderes als das Gesetz erscheint auf den ersten Blick kaum zulässig 22 angesichts der Bindung ausschließlich an „Gesetz und Recht". Hier ist fraglich, ob ökonomische Zielvorgaben oder ein wie auch immer ausgestaltetes Wirtschaftlichkeitsprinzip überhaupt einer verfassungsrechtlich verbürgten richterlichen Unabhängigkeit Schranken setzen können 2 3 , zumal wenn diese Zielvorgaben durch die Exekutive formuliert und ihr Verfehlen von dieser dann sanktioniert werden kann 2 4 . Diese Schwierigkeit mag die Ursache dafür sein, dass die Auswirkungen der laufenden Reformen auf die richterliche Unabhängigkeit lange Zeit „systematisch dethematisiert" 25 wurden.
IV. Zentrale Problemfelder der Justizmodernisierung
Vor dem Hintergrund dieser allgemein skizzierten Problematik widmen sich die folgenden Beiträge in Form eines Dialogs zwischen Praxis und Wissenschaft vier zentralen Themenfeldern, die mit den laufenden Modernisierungskonzepten eng verknüpft sind. Sie gelten der Definition der Produkte der Justiz (1.), den Qualitätsmerkmalen richterlicher Tätigkeit und ihrer Sicherstellung (2.), dem Erfordernis und der Zulässigkeit einer Neudefinition der richterlichen Unabhängigkeit im „ökonomisierten" Staat (3.) sowie der Selbstverwaltung der Gerichte als etwaiger Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit im schlanken Staat (4.).
20 R van Husen, D i e Entfesselung der D r i t t e n G e w a l t , A ö R 78 ( 1 9 5 2 / 5 3 ) , S. 49 (53); s. h i e r z u C. Dästner, S e l b s t v e r w a l t u n g der Gerichte als Voraussetzung i h r e r U n a b h ä n g i g k e i t i m s c h l a n k e n Staat ?, i n diesem B a n d S. 201 ff. 21 B. Kramer; Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l u n d die U n a b h ä n g i g k e i t der Richter, Z Z P 114 (2001), S. 267 (301 ff.); dies., M o d e r n i s i e r u n g der Justiz: Das Neue Steuer u n g s m o d e l l , N J W 2001, S. 3449 (3451 f.); anders aber M . Bertram/B. Daum/E. Graf von Schlieffen / G. Wagner, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l a m V e r w a l t u n g s g e r i c h t H a m b u r g - M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen, 1998, Typoscript, K a p . I I l a . 22 H.-J. Papier, S. 1089(1094).
D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d i h r e S c h r a n k e n , N J W 2001,
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s. h i e r z u a b l e h n e n d M. Reinhardt, Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten S t a a t " , i n diesem B a n d S. 179 ff. 2 4 Vgl. a u c h allg. Berlit ( F N 14), S. 169 ff. 25 U. Berlit, Ü b e r l e g u n g e n z u „ G e r i c h t s r e f o r m , J u s t i z k r i t i k u n d r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t " , B e t r i f f t Justiz 2000, S. 358 (358).
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz 1. Das „Produkt" der Justiz
Der durch das Neue Steuerungsmodell intendierte methodische Systemwechsel besteht im Grundsatz in einer veränderten Steuerungsperspektive: Die Input-Steuerung durch den Haushaltsgesetzgeber, der durch Bewilligung eines bestimmten Geldbetrages das von ihm gewünschte Ergebnis letztlich nur mittelbar zu steuern versucht, soll ersetzt werden durch eine konkretere Output-Steuerung 26 . Dies geschieht dadurch, dass mit dem Erbringer der Leistung, hier also der Justiz, eine bestimmte Zahl von zu erbringenden Leistungen im Rahmen eines Kontrakts vereinbart wird. Diese Leistung ist dann verbindlich zu erbringen, und es wird nur soviel an finanziellen Mitteln zur Verfügung gestellt, wie zur „Produktion" der Gesamtleistungen erforderlich ist. Dies setzt natürlich die Kenntnis der genauen „Herstellungskosten" der jeweiligen Leistungen voraus. Vor allem aber muss definiert werden, welche Leistungen zu erbringen sind. Erst daran setzen sodann alle anderen Instrumente des Neuen Steuerungsmodells (etwa Budgetierung, Controlling) an. Damit gerät der Begriff des „Produkts" in das Zentrum der Betrachtung und wird zum Schlüssel für das Neue Steuerungsmodell auch in der Justiz 27 . Dies ist um so bedeutsamer, als den Produkten sodann im Rahmen einer Kosten-Leistungs-Rechnung genaue Herstellungskosten zugewiesen werden müssen. Will man Produkte definieren, so kann dies nicht sinnvoll geschehen, ohne gleichzeitig die Möglichkeit der Zuordnung von Kosten zu diesen Produkten zu bedenken. Die Definition der „Produkte der Justiz" erscheint indessen noch gänzlich ungeklärt und äußerst schwierig, wenn auch auf den ersten Blick einem befragten Richter dazu ein hehres Bild des Ergebnisses seiner Arbeit einfallen dürfte 2 8 . Angesichts der Tatsache, dass die Justiz in allen Bereichen rechtsförmige Verfahren nach Maßgabe der Gesetze durchzuführen hat, liegt es nahe, als Justizprodukt formal die „Verfahrenserledigung" festzulegen 29 . Hiergegen lässt sich schon aus reinen Praktikabilitätserwägungen anführen, dass die Verschiedenheit der zu erledigenden Verfahren und die unterschiedlichen Arten der Verfahrensbeendigung ([Versäumnis-]Urteil, Beschluss, Vergleich usw.) es nahezu unmöglich machen, dem Produkt „Verfahrenserledigung" einen bestimmten Kostenwert zuzuordnen 30 . Dieser 26 Ρ Maier,; N e w P u b l i c M a n a g e m e n t i n der Justiz, 1999, S. 86. 27 Maier ( F N 26), S. 90, 95 ff., 139 ff.; so a u c h A. Voßkuhle, Das „ P r o d u k t " der Justiz, i n diesem B a n d S. 35 (37). 28 s. R. Böttcher, D i e P r o d u k t e der Justiz, i n diesem B a n d S. 27 (27 f.), sowie Voßkuhle ( F N 27), S. 39 f., der z w i s c h e n l a n g f r i s t i g e n u n d k u r z f r i s t i g e n A u f g a b e n u n t e r scheidet. 29 So die A r b e i t s g r u p p e ( F N 8), S. 20. 30 E i n e D i f f e r e n z i e r u n g der P r o d u k t e n a c h den einzelnen Verfahrenserledigungen h a t die A r b e i t s g r u p p e „Neues H a u s h a l t s w e s e n " a u s d r ü c k l i c h abgelehnt; sie u n t e r -
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müsste derartig grob pauschaliert erscheinen, dass er als Mittel einer w i r k lichen Steuerung untauglich w i r d 3 1 . Vor allem aber erfasst der reduzierte Blick auf die Erledigung von Verfahren die vielschichtigen Wirkungen der Tätigkeit der Justiz, die in Jahrhunderten gewachsene Rechts- und Verfahrenskultur 32 der Rechtsprechung nur unvollständig. Unberücksichtigt bleibt die durch das Verfahren als solches geschaffene Sicherung des Rechtsfriedens oder die Streitbeilegung zwischen den Parteien 33 . Ebensowenig kann die bloße Verfahrenserledigung ausweisen, in welchem Maße ein Urteil zur Rechtssicherheit beigetragen hat. Erst recht nicht wird durch Betrachtung der bloßen Beendigung eines Verfahrens deutlich, auf welche Weise, also durch welche Verfahrenskomponente im konkreten Fall, dieser über die reine Erledigung hinausgehende Erfolg, also beispielsweise das Produkt „Rechtssicherheit", erreicht worden ist. Der fundamentalen Bedeutung des „Produkts" im NSM korrespondiert also ein hohes Maß an Unsicherheit über die (in Kosten transformierbare) Definition dieses zentralen Begriffs im Bereich der Justiz 34 . Damit bleibt aus Praktikabilitätsgründen doch nur der Ausweg, die Produktdefinition auf eben den Begriff der Verfahrensdurchführung und -erledigung zu reduzieren. Anderenfalls wäre aus der Erkenntnis, dass umfassende Produktdefinitionen unter Einschluss von Rechtssicherheit etc. nicht möglich sind, die zwingende Konsequenz zu ziehen, dass Produktdefinitionen in der Rechtsprechung überhaupt nicht erfolgen dürfen. Mit einer solchen pauschalen Absage an die Festlegung von Produkten aber wäre die Anwendung neuer Steuerungsmodelle als geschlossenes Gesamtsystem 35 wohl von vornherein ausgeschlossen36.
2. Qualitätsmerkmale richterlicher Tätigkeit und ihre Sicherstellung
Das Neue Steuerungsmodell w i l l mittels eines strategischen wie operativen „Controllings" die Wirksamkeit seiner Output-Steuerung sicherstelscheidet z w i s c h e n i n t e r n e n u n d e x t e r n e n P r o d u k t e n , s. i h r e n B e r i c h t ( F N 8), S. 20 f.; z u s t i m m e n d Böttcher ( F N 28), S. 31. 31 Bertram /Daum/ Graf v. Schlieff en / Wagner ( F N 21), K a p . C.I.2.; i m E r g e b n i s ebenso Voßkuhle ( F N 27), S. 46. 32 So Böttcher ( F N 28), S. 32, 34. 33 s. h i e r z u Böttcher 34 Bertram/Daum/Graf
( F N 28), S. 28. v. Schlieff en / Wagner ( F N 21), K a p . C. I. 2. a) dd) bbb).
35 Es b l e i b t d a n n die Frage, ob das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l n i c h t wenigstens als ein „ S t e i n b r u c h " angesehen w e r d e n k a n n , aus d e m m a n einzelne E l e m e n t e i m p l e m e n t i e r e n k a n n , w o b e i die P r o d u k t d e f i n i t i o n s i c h e r l i c h z u den n o t w e n d i g e n E l e m e n t e n z u z ä h l e n ist, vgl. Maier ( F N 26), S. 90 ff.; gegen „ e i n ,bißchen' N S M " Voßkuhle ( F N 27), S. 46 f. 36 So i m Ergebnis Voßkuhle 2 Die Verwaltung, Beiheft 5
( F N 27), S. 49 f.
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz
len. Dies geschieht durch vergleichende Betrachtung der Ist- mit der SollLeistung, wie sie in der Leistungsvereinbarung festgelegt worden ist. Versteht man dieses Controlling - aufgrund des kostenzentrierten Ansatzes des Neuen Steuerungsmodells notwendigerweise - rein kostenorientiert, so vermag es letztlich die Qualität richterlicher Tätigkeit nicht zu sichern. Denn die Justiz erbringt im Rahmen und durch ihre Verfahren Leistungen, die sich nur schwer oder gar nicht und erst recht nicht allein in Kosten umrechnen lassen. Es besteht auch keine unmittelbare, einseitige Korrelation zwischen der Qualität einer gerichtlichen Entscheidung und ihrem Kostenaufwand. Soll mittels des Controllings also eine Qualitätssicherung erreicht werden, darf es sich nicht auf die reine Betrachtung der Kosten beschränken, sondern muss weitere Qualitätsmerkmale berücksichtigen. Aber auch hier finden sich nach mehr als 50 Jahren Rechtsprechung unter dem Grundgesetz noch immer keine gesicherten Kriterien dafür, was die Qualität richterlicher Tätigkeit (jenseits der Selbstverständlichkeiten wie materielle Rechtsrichtigkeit oder Einhaltung des Verfahrensrechts) im Rechtsstaat ausmacht. Erst neuerdings entstehen diesbezügliche Überlegungen 37 und werden informelle „Qualitätszirkel" auf freiwilliger Basis institutionalisiert, die solche Qualitätsstandards innerhalb der Richterschaft entwickeln wollen. Ein erster Einstieg kann dabei vom Ergebnis her gelingen, indem in einer Art Negativ-Methode zunächst eindeutige Qualitätsmängel anhand konkreter Fehler definiert werden. Eine solche Fehlerlehre richterlicher Tätigkeit auf der Basis einer systematischen Auswertung der „Kundenreklamationen" ist nicht nur angesichts der hohen (erfolgreichen) Rechtsmittelquote 38 sowie der Defizite des Instanzenzuges als solchem geboten 39 . Denn es muss zugleich eine strukturelle Selbstgerechtigkeit der Richterschaft übenvunden werden, die sich im „unsensiblen Umgang mit Richterablehnungen", Rechtsbeugung und einer insgesamt „mimosenhafte(n) Kritikempfindlichkeit der Justiz" 4 0 dokumentiert und eine bewusste Fehlerthematisierung verhindert. Aber die inhaltliche Entscheidungstätigkeit der Gerichte besteht nicht nur in der Rechtsfindung. Rechtsprechung ist in eine Organisation einge37 A b s c h l u s s p a p i e r der A r b e i t s g r u p p e „ Q u a l i t ä t i n der J u s t i z " des D e u t s c h e n Richterbundes, Fassung l t . Beschl. der P r ä s i d i u m s s i t z u n g v o m 12. 10. 2001 ( h t t p : / / w w w . d r b . d e / q u a l i t a e t . d o c ) ; h i e r z u W. Spindler, W a r u m d i s k u t i e r e n w i r ü b e r » Q u a l i t ä t i n der Justiz«?, D R i Z 2002, S. 78, sowie k r i t . M . Bertram, Q u a l i t ä t für die Justiz, M i t t e i l u n g e n des H a m b u r g i s c h e n Richtervereins, 1 / 2 0 0 2 , S. 13 ff. ( h t t p : / / w w w . r i c h terverein.de / m h r / m h r 0 2 1 / m02108.htm). 38 Selbst w e n n m a n deren b e s c h r ä n k t e n Aussagewert i n R e c h n u n g stellt, s. h i e r z u z . B . Berlit ( F N 14), S. 165 f. 39 Erste Ansätze z u einer solchen Fehlerlehre b e i K.F. Röhl, entscheidungen, i n diesem B a n d S. 67 (78 ff.). 40 So Röhl ( F N 39), S. 96.
Fehler i n G e r i c h t s -
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bunden, die den praktischen Rahmen für die Arbeit der Richterinnen und Richter zur Verfügung stellt. Eine Fehlerlehre der soeben angesprochenen Art hilft hier nicht weiter, da sie - ungeachtet ihrer Notwendigkeit - diese organisatorische Umrahmung ausblendet. Gerade aber in solchen Bereichen, in denen dem Entscheidungsträger ein eigener Gestaltungs- und Ermessensspielraum zusteht und sich mithin sein Handeln einer lypisierung im Sinne des richtig /falsch entzieht, kann es nur um ein besser / schlechter gehen. Diese Bewertung aber setzt Vergleich voraus, der vor allem durch ein institutionalisiertes und konsequentes Benchmarking geleistet werden kann 4 1 , das im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit den Vorteil hat, dass (und wenn) es von Inhalten absieht und an „die äußersten Äußerlichkeiten anknüpft" 4 2 . Bei einem solchen Vergleich kann es aber nicht bleiben, er ist nicht Selbstzweck. Sein Sinn muss darin liegen, den relativ besten der verglichenen Wege zu gehen und ihn verbindlich vorzuschreiben. Dieses formalisierte Vorgehen entbindet jedoch nicht von der Notwendigkeit, vorweg die Prioritäten innerhalb der verglichenen Parameter festzulegen. Bezieht sich das Benchmarking auf die Bereiche „Qualität, Quantität, Wirtschaftlichkeit, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit" 43 , so muss generell oder zumindest im Einzelfall entschieden werden, welchem Kriterium im Falle konkurrierender Ziele der Vorzug zu geben ist. Die Gesellschaft muss sich entscheiden, was ihr mehr wert ist, etwa ökonomische Effizienz oder Gerechtigkeit, wenn nicht beides gleichzeitig zu haben ist. Dies wird bestätigt, wenn man die Erkenntnis zugrunde legt, dass „Recht" nicht bezahlt werden kann und somit eine betriebswirtschaftliche Betrachtung der Rechtsprechung ein „Rückfall in die Vormoderne" darstellt 4 4 . Wie weit auch immer die Effizienzsteigerung (durch Vergleiche) reicht - es muss letztlich stets berücksichtigt werden, dass die dauerhafte Inanspruchnahme auch der letzten Leistungsreserven keinerlei Kapazitäten zur Reaktion auf Notfälle übrig lässt 45 . 41 Z u d e n E i n z e l h e i t e n des Konzepts der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n Sozialgerichtsb a r k e i t s. Brand ( F N 11); k r i t . z u m B e n c h m a r k i n g i n der Justiz P. Bilsdorfer, Ben c h m a r k i n g i n der Justiz - A u f b r u c h z u neuen U f e r n oder b e d e n k l i c h e E n t w i c k l u n g ? , N J W 1999, S. 3096 ff.; speziell z u J u s t i z r e f o r m u n d S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t H.-R Jung, Justizreform u n d S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t , D R i Z 1999, S. 6; z u m K o n z e p t des B e n c h m a r k i n g aus b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h e r S i c h t s. n u r RR. Preißler, Controlling, 12. A u f l . 2000, S. 260 ff. 42 Roellecke ( F N 13), S. 131.
43 So der Grundlagenbeschluss der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n Steuerungsgruppe, bestehend aus d e n acht P r ä s i d e n t i n n e n u n d P r ä s i d e n t e n der Sozialgerichte sowie d e m L S G - P r ä s i d e n t e n , s. Brand ( F N 11), S. 104. 44 s. Roellecke
( F N 13), S. 126.
45 Roellecke ( F N 13), S. 131; vgl. a u c h T. Groß, S e l b s t v e r w a l t u n g der Gerichte als Voraussetzung i h r e r U n a b h ä n g i g k e i t ? , i n diesem B a n d S. 217 (220). 2:
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Carsten Schütz und Helmuth Schulze-Fielitz 3. Neudefinition der richterlichen Unabhängigkeit i m „ökonomisierten" Staat?
Wie sich dem Begriff des „Steuerungsmodells" entnehmen lässt, geht es dabei um Einflussnahme auf die Justiz und/oder die Justizverwaltung. Diese Steuerung ist zunächst im Grundgesetz unmittelbar angelegt, indem die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an „Gesetz und Recht" gebunden wird. Der Gesetzgeber gibt also den Maßstab judikativen Handelns vor und steuert auf diese Weise das Ergebnis richterlicher Entscheidungstätigkeit. Um diese „klassische" Steuerung im Sinne der Gewaltenteilung geht es dem Neuen Steuerungsmodell aber nicht. Die darin angelegte Lenkung geht darüber hinaus, wobei sich dabei grundsätzlich zwischen inhaltlicher Steuerung des Ergebnisses und der Einflussnahme auf den bloßen Modus der Leistung serbringung* 6 unterscheiden lässt. Damit aber kollidiert das NSM mit der richterlichen Unabhängigkeit, die nämlich gerade alles das zu verbieten scheint, was über die „klassische" Gesetzesbindung des Richters hinausgeht. Die Handhabung des gerichtlichen Verfahrens und die Entscheidungsfindung als solche sind nach herkömmlichem und insoweit unbestrittenem 47 Verständnis ausschließlich Sache des zur Entscheidung berufenen Richters. Eine Rücksichtnahme auf Kostengesichtspunkte kann und darf 8 (?) demnach den Gang der richterlichen Entscheidungsfindung oder gar deren Inhalt nicht beeinflussen - Art. 97 GG erweist sich dann möglicherweise als ökonomieresistent 49 . Sollen nun also auch oder insbesondere ökonomische Faktoren die richterliche Tätigkeit beeinflussen, so stellt sich damit die Frage, ob dies unter Geltung der Garantie der Unabhängigkeit der Richter nicht auf einen verfassungswidrigen Zustand hinausläuft 50 . Oder aber es besteht die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses von richterlicher Unabhängigkeit, sei es speziell im Lichte der Effektivitäts- oder Effizienzsteigerung 51 von Rechts46 s. d a z u M. Eifert, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l - M o d e l l f ü r die M o d e r n i s i e r u n g der Gerichtsverwaltung?, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 75 (81), a u c h in: W. H o f f m a n n R i e m (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g , 1998, S. 163 (170). 47 So auch Berlit ( F N 14), S. 144; G. Schmidt-Räntsch 5. A u f l . 1995, § 2 6 Rn. 24ff.
/ J. Schmidt-Räntsch,
DRiG,
48 So i m E r g e b n i s e t w a Papier ( F N 22), S. 1094, der n u r eine a l l e i n d u r c h das r i c h t e r l i c h e A m t s e t h o s z u sichernde P f l i c h t e r k e n n t , „ u n n ö t i g e K o s t e n z u v e r m e i d e n " . 49 So Reinhardt ( F N 23), S. 190. 50 A b l e h n e n d gegenüber e i n e m solchen P r i n z i p als E i n s c h r ä n k u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t Reinhardt ( F N 23), S. 188 ff. 51 Z u r U n t e r s c h e i d u n g v o n (zielorientierter) Effizienz u n d ( m i t t e l o r i e n t i e r t e r ) E f f e k t i v i t ä t e t w a W. Hoffmann-Riem, Effizienz als H e r a u s f o r d e r u n g a n das V e r w a l tungsrecht, i n : d e r s . / E . S c h m i d t - A ß m a n n (Hrsg.), Effizienz als H e r a u s f o r d e r u n g an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11 (17 ff.); d e m entsprechen die z w e i V a r i a n t e n des W i r t s c h a f t l i c h k e i t s p r i n z i p s , vgl. n ä h e r H. Schulze-Fielitz, K o n t r o l l e der V e r w a l t u n g d u r c h Rechnungshöfe, W D S t R L 55 (1996), S. 231 (254 ff.).
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schütz, sei es angesichts der „Ökonomisierung" des staatlichen Handelns insgesamt. Dieses Erfordernis drängt sich auf, wenn im Rahmen des NSM eine Output-Steuerung durch die Justizbehörde, also die Verwaltung, angestrebt wird. Es geht dann nicht nur darum, jenseits von „Gesetz und Recht" einen weiteren Handlungsmaßstab für die Rechtsprechung festzulegen, sondern auch darum, eine weitere Staatsgewalt mit der Befugnis zur Steuerung der Rechtsprechung auszustatten. Eine verfassungsrechtliche Vergewisserung über die Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit erscheint unabdingbar. Dabei ist die Frage zu klären, ob angesichts der Verbesserungsnotwendigkeit der Justiz die „individualistische" Überinterpretation der Unabhängigkeit nicht zugunsten der Eingebundenheit des Richters und seiner Verantwortung für das „Gericht" zurückgeschnitten werden muss 52 , die auch auf dem Weg eines Wandels der juristischen Methode im ökonomisierten Staat hin zu stärkerer Folgenorientierung verfahrensleitenden Richterhandelns oder einer ökonomischen Analyse des Rechts erreicht werden könnte 5 3 . Der Unabhängigkeitsproblematik könnte dann entgangen werden, wenn man die eigentlich rechtsprechende Tätigkeit aus dem Zielfeld der Steuerung ausnimmt. Dann würde auch das Controlling nicht der Sicherung der inhaltlichen Qualität der Rechtsprechung dienen, sondern sich auf den äußeren Ablauf der richterlichen Tätigkeit beschränken. Allerdings wird dann die Frage unausweichlich, wie der äußere Bereich richterlichen Handelns von der rechtsprechenden Tätigkeit im engeren Sinne abgegrenzt werden kann. Dabei lässt sich möglicherweise an die Erfahrungen der Rechnungshofkontrolle von Gerichten anknüpfen 54 .
4. Selbstverwaltung der Gerichte als Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit i m schlanken Staat?
Sieht man den neuen Einfluss der Justizverwaltung mittels moderner Management-Instrumentarien als verfassungsrechtlich zumindest nicht völlig unbedenklich an, so stellt sich die Frage, inwieweit die richterliche Unabhängigkeit oder auch die Garantie der Gewaltenteilung mittels alternativer und parallel zu entwickelnder Mechanismen gesichert werden können. Damit wird die bereits in den 50er Jahren diskutierte Frage 55 einer 52 So Berlit
( F N 14), S. 150 ff.
53 D i e s b e z ü g l i c h a b l e h n e n d Reinhardt
( F N 23), S. 191 ff.
54 Vgl. n ä h e r T. Franz, P r ü f u n g e n des Bundesrechungshofs b e i d e n G e r i c h t e n des Bundes, in: H . S c h u l z e - F i e l i t z (Hrsg.), F o r t s c h r i t t e der F i n a n z k o n t r o l l e i n Theorie u n d P r a x i s , 2000, S. 75 ff. 55 V g l . n u r H. Ridder, E m p f i e h l t es sich, die v o l l s t ä n d i g e S e l b s t v e r w a l t u n g a l l e r Gerichte i m R a h m e n des Grundgesetzes gesetzlich einzuführen? ( G u t a c h t e n f ü r die
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Selbstverwaltung der Dritten Gewalt wieder aktuell 5 6 , mit deren Hilfe eine erweiterte und verschärfte Steuerung durch die Exekutive kompensiert und in ihren Wirkungen abgemildert werden könnte. Neuere Modelle einer (vollständigen) Selbstverwaltung der Gerichte in Anlehnung an die Praxis in Italien, Spanien oder Dänemark 57 stehen zur Diskussion 58 , die vor allem die Entscheidung über die Richter-Beförderung aus der Hand der Exekutive nehmen. Ob jedoch diese Kompensationsmodelle wirklich die Gefährdungen richterlicher Unabhängigkeit beseitigen können oder nicht vielmehr das Gefährdungspotential nur in die Gerichte selbst hinein verschieben, erscheint durchaus offen. Zudem müßte insbesondere ein eigenes Budgetantragsrecht der Gerichte in die Verteilungsverfahren der politischen Entscheidungsebenen im Rahmen der Haushaltsaufstellung integriert werden, was angesichts deren zumeist informalen Charakters sowie der dort allseits notwendigen Kompromisszwänge wohl allzu wahrscheinlich zu einer im Vergleich zum Ist-Zustand geschwächten Position der Gerichtsbarkeit(en) führen würde. Die dabei entstehenden neuen Abhängigkeiten gegenüber den politischen Entscheidungsträgern, die entsprechende Haushaltsmittel zu bewilligen hätten, wären ebenfalls nicht zu unterschätzen 59 . Zugleich ist zu klären, inwieweit in einer selbstverwalteten Justiz das Problem der demokratischen Legitimation der richterlichen Gewalt angesichts fehlender parlamentarischer Verantwortung gelöst werden könnte 6 0 .
V. Ausblick
Die Beiträge dieses Beiheftes spiegeln eine gewisse Offenheit des Justizmodernisierungsprozesses im Deutschland der Gegenwart. Ihr einziges inhaltlich gemeinsames Band dürfte es sein, eine verfassungsrechtlich nicht begründbare Berufung auf richterliche Unabhängigkeit im Sinne von 40. D J T ) , 1953, u n d v. Husen ( F N 20), passim u n d insbesondere S. 59, w o er die „ L e i che des J u s t i z m i n i s t e r s " fordert. 56 s. n u r etwa K.F. Röhl, V o m Gerichtsmanagement z u r S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz, D R i Z 1998, S. 241 ff. 57 s. h i e r z u Groß ( F N 45), S. 224 ff. 58 A u c h der D R B ist m i t t l e r w e i l e m i t e i n e m eigenen K o n z e p t an die Ö f f e n t l i c h k e i t getreten, s. A b s c h l u s s p a p i e r der A r b e i t s g r u p p e „ S e l b s t v e r w a l t u n g " v o m M ä r z 2001 ( h t t p : / / w w w . d r b . d e / s e l b s t v e r w a l t u n g . h t m ) ; s. h i e r z u aber bereits die Forderungen der N e u e n R i c h t e r v e r e i n i g u n g (NRV) i m Beschluss „ s i n e spe ac m e t u " i h r e r B u n d e s m i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g v o m 3. M ä r z 1991, abgedr. in: Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung (Hrsg.), W o r a n k r a n k t die Justiz?, 1997, S. 26 ff. ( h t t p : / / w w w . n r v net.de / D o w n l o a d / ssam.html).
59 s. Dästner
( F N 20), S. 207 ff.
60 H i e r z u Groß ( F N 45), S. 222 ff., einerseits, u n d Dästner andererseits.
( F N 20), S. 205 f. u . ö . ,
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Art. 97 Abs. 1 GG als „Schutzschild" gegen jede Erscheinungsform einer Effektivierung oder Modernisierung von Justizpraxis und Justizverwaltung argumentativ zu diskriminieren - nicht obwohl, sondern weil richterliche Unabhängigkeit unter den fast unübersehbar zahlreichen Elementen des Rechtsstaatsprinzips 61 wohl das wichtigste und vor Diskreditierung unbedingt zu bewahren ist. Im Übrigen zeigen sie in Form von bereichsspezifischen Zwischenbilanzen die Vielfalt von Denkanstößen und Modernisierungsbemühungen, die seit wenigen Jahren viele Bereiche der Justiz der Bundesrepublik Deutschland vor neue Herausforderungen stellen. Sie nähren die Hoffnung, dass die Justiz der Bundesrepublik Deutschland aus den Auseinandersetzungen um ihre Modernisierung qualitativ gestärkt hervorgehen kann.
ei K. Sobota, Das P r i n z i p Rechtsstaat, 1997, S. 27 ff., 461 ff., 471 ff. h a t i m m e r h i n 141 solcher Elemente e r m i t t e l t .
I. Das „Produkt" der Justiz
Die Produkte der Justiz Von Reinhard Böttcher, Bamberg
I.
Als Johann Paul Anselm Feuerbach am 21. April 1817 sein Amt als Präsident des Appellationsgerichts im nahegelegenen Ansbach antrat, hielt er eine berühmt gewordene Rede über die hohe Würde des Richteramts. Daraus w i l l ich, etwas verkürzt, zitieren. „Diener der Gerechtigkeit zu sein, das dem Schutz der Gerichte anvertraute Heiligtum des Rechts zu bewahren und davon jedem gewissenhaft zuzuerkennen, was ihm gebührt", darin sah Feuerbach die Aufgabe der Justiz. „Jene Rechtlichkeit der Gesinnung zu zeigen, welche unbefangen als Recht ausspricht, was sie als das Rechte erkennt, jene Stärke des Willens, welche mit festem, keinem Einfluß weichenden Arm die Waage der Gerechtigkeit stets im sicheren Gleichgewicht hält", darin sah er ihre Verpflichtung. Und er malte auch gleich das Gegenbild an die Wand. Wieder darf ich zitieren: „Wenn der Geist des gründlichen Ernstes, der wärmende und erleuchtende Geist der Rechts- und Wahrheitsliebe aus den Gerichtssälen entwichen, wenn das edle, durch den Gedanken an die Größe und Heiligkeit des Berufs emporgetragene Selbstbewußtsein in dem Gemüthe des Richters erstorben, wenn nichts als der wandelnde Leichnam einer in kalter Gleichgültigkeit sich bewegenden Lohn- und Fronmaschine zurückgeblieben", dann, so Feuerbach, sei der Grund des Staatsgebäudes untergraben. Was hätte Feuerbach auf die Frage geantwortet: Was sind die Produkte der Justiz?
II.
Fragen wir einen Richter von heute, was die Produkte der Justiz sind, so wird er natürlich weniger pathetisch antworten und wohl auch nicht so wortmächtig wie Feuerbach. Aber seine Antwort wird in eine ähnliche Richtung gehen. Er wird daran erinnern, daß er bei Antritt des Richteramtes geschworen hat, nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen (§38 Abs. 1 DRiG). Er wird beschreiben, worum er sich in seinem Richterberuf bemüht: Um ein faires Verfahren, in dem die Beteiligten angemessen zu Wort kommen und niemand in seiner Würde verletzt wird, um Transparenz
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Reinhard Böttcher
und Verständlichkeit des Verfahrensganges, um Ausgleich und Verständigung, wo immer die Verfahrensordnung das zuläßt, um korrekte Entscheidungen, die auch einer Prüfung am Maßstab der Gerechtigkeit standhalten, um Entscheidungsbegründungen, die den Anforderungen der Rechtsmittelgerichte genügen und den Verfahrensbeteiligten einleuchten. Er wird vielleicht hinzufügen, daß er Fehlschläge erlebt bei diesem Bemühen. Er wird sagen, daß er sich um eine Beschleunigung seiner Verfahren bemüht, aber nicht um jeden Preis. Er wird, wenn er versucht zusammenzufassen, als Aufgabe und Leistung der Justiz die Durchsetzung der Rechtsordnung bezeichnen, die Schlichtung von Streit, die Gewährung von rechtlichem Schutz, Schutz insbesondere der Grundrechte, die Herstellung von Rechtsfrieden, das Bemühen um Gerechtigkeit. Der Begriff des Produkts wird ihm, angewandt auf seine Tätigkeit, unangemessen vorkommen, weil man dabei mehr an landwirtschaftliche Erzeugung und industrielle Fertigung denkt, aber wenn man den Begriff schon verwendet, wird er sagen, dann sind die Produkte der Justiz das, was ich eben beschrieben habe.
III.
Von da ist es ein weiter Weg zum Begriffsverständnis im Rahmen der sogenannten Neuen Steuerungsmodelle; die Justizverwaltungen sprechen zurückhaltend von Neuem Haushaltswesen. Danach sind Produkte Leistungseinheiten der Justiz und die interessierende Frage ist, welche Kostenanteile (Sach- und Personalkosten) für diese Teilleistungen verwendet werden und welche Erlöse zu erwarten sind. Produkte sind also zugleich sogenannte Kostenträger. Sie werden zu Produktgruppen und Produktbereichen zusammengefaßt und in Produkt- oder Kostenträgerplänen dargestellt, die in der Regel für die einzelnen Zweige der Gerichtsbarkeit und innerhalb derselben für die verschiedenen Instanzen gesondert erstellt werden. Für meinen eigenen Arbeitsbereich, das Oberlandesgericht, werden ζ. B. zwei Produktbereiche gezählt, Rechtsprechung und Verwaltung. Im Produktbereich Rechtsprechung wird zwischen den Produktgruppen Zivilsachen und Strafsachen unterschieden. Innerhalb der Produktgruppe Zivilsachen unterscheidet man - etwas vergröbert - zwischen Berufungen in Zivilsachen, Berufungen in Familiensachen, Berufungen gegen die Urteile der Kammern für Handelssachen, Beschwerden in Zivilsachen und Beschwerden in Familiensachen. Das sind dann schon Produkte. Die Produkte werden aber ihrerseits noch einmal untergliedert, die Berufungen in Zivilsachen ζ. B. in allgemeine Zivilsachen einschließlich Baulandsachen, Staatshaftungssachen, Bau- und Architektensachen, Verkehrsunfallsachen und Arzthaftungssachen. Insoweit wird dann von differenzierten Produkten
D
Produkt der Justiz
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gesprochen. Das alles entnehme ich dem Bericht der Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen" der Landes]ustizVerwaltungen an die Justizministerkonferenz aus dem Jahre 1998. Die Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen" hat sich, wie sie berichtet, intensiv mit der Frage der Produktdefinition befaßt. Sie versteht das Produkt als abgrenzbare Gruppe von (Dienst)Leistungen der Justiz. Dabei unterscheidet sie zwischen externen Produkten, die durch außerhalb der Justiz stehende Dritte, also vor allem durch die die Gerichte in Anspruch nehmenden Bürger, veranlaßt worden sind, und internen Produkten, die für andere Organisationseinheiten innerhalb der Justiz oder der sonstigen Staatsverwaltung erbracht werden. Man hat sich in dieser Arbeitsgruppe, das ist ein wichtiger Punkt, entschlossen, daß die Produktdefinition bei der Gesamtheit des jeweiligen gerichtlichen Verfahrens ansetzen solle. Die Alternative, bei einzelnen Arten der Verfahrenserledigung (Urteil, Beschluß etc.) anzusetzen, hat die Arbeitsgruppe erörtert, kam aber zu dem Ergebnis, daß dies, ich zitiere, dem „Dienstleistungscharakter" der Justiz widersprechen und dem verfassungsmäßigen Auftrag der Justiz kaum gerecht würde, weil nicht nur die jeweilige Art der Erledigung, sondern das Verfahren insgesamt rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen müsse. Wie man sieht, wurden also recht tiefschürfende Überlegungen angestellt. Jedenfalls geht es bei den Produkten abweichend vom Wortsinn nicht um Erzeugnisse der Justiz, um Arbeitsergebnisse, sondern um Verfahren, um Tätigkeiten. Darauf komme ich zurück. IV.
Bei der Frage, welche Leistungen bzw. Verfahrens arten auf der Produktebene zusammengefaßt werden sollten, hat man sich einerseits an den schon vorhandenen Statistiken orientiert, andererseits an dem, wie es heißt, „Zielsystem" für eine Kosten- und Leistungsrechnung in der Justiz. Und weil hier der Schlüssel für das gesamte Unternehmen liegt, w i l l ich dieses Zielsystem kurz referieren. Ziel einer Kosten- und Leistungsrechnung in der Justiz ist nach Auffassung der Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen" der Justizministerien die Schaffung von Kosten- und Leistungstransparenz. Man erwartet sich ein Instrument zur Unterstützung des Landesgesetzgebers, der Landesregierung und der Justizverwaltung im Bereich des Haushalts. Die Informationsbasis für eine bedarfsgerechte Mittel Veranschlagung und Mittel Verteilung soll verbessert werden. Der Nachweis für eine ordnungsgemäße und kostenbewußte Mittelverwendung soll erleichtert werden. Man w i l l Aussagen zur
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Reinhard Böttcher
Vermögenssituation, zur Ermittlung des Vermögens und des Werte Verzehrs. Die Wirtschaftlichkeit soll verbessert werden. Man erstrebt eine Schärfung des Kostenbewußtseins insoweit, als die Justiz interne Leistungen erbringt, wie auch soweit sie gegenüber dem Bürger tätig wird. Man wünscht eine Aufklärung über Kosten / Leistungsrelationen. Der Kostendeckungsgrad soll ermittelt, Kostenvergleiche sollen ermöglicht werden. Die Grundlage für organisatorische Verbesserungen (operatives controlling) soll geschaffen werden. Außerdem geht es um Informationen für Maßnahmen im rechtspolitischen und organisatorischen Bereich (strategisches controlling), wobei betont wird, dies geschehe unter Berücksichtigung übergeordneter Ziele wie ζ. B. der Sicherung des Rechtsstaatsprinzips oder der Verstärkung der Bürgerfreundlichkeit. Man w i l l die Rahmenbedingungen justizieller Aufgaben verbessern, aber auch den Gesetzgeber im Rahmen der Rechts- und Justizpolitik in dem Sinne unterstützen, daß die kostenmäßigen Auswirkungen der Veränderungen von Verfahrensabläufen organisatorischer und / oder prozessualer Art aufgehellt werden. Für diese Zielsetzung gibt es, das ist mein Eindruck, bei allen, die mit Justizverwaltung befaßt sind, im Ansatz viel Zustimmung. Daß man auch in der Justiz das Geld des Steuerzahlers nicht mit vollen Händen ausgeben darf und schon gar nicht zum Fenster hinauswerfen, daß vielmehr Kostenbewußtsein auch in der Justiz am Platz ist, das ist in dieser Allgemeinheit verbreitete Einsicht. Es gibt sie noch, jene Einstellung, die die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel in erster Linie als Ergebnis unverständlicher Geringschätzung der Justiz und als Grund zum Jammern sieht und nicht als natürliche Gegebenheit und Herausforderung zu Prioritäten setzender Gestaltung. Aber, das ist mein Eindruck, sie verliert an Boden. Einige Jahre Budgetierung, bei uns in Bayern recht eingegrenzt, tun Wirkung. Freilich, Richter und Staatsanwälte, die mit Justizverwaltung nicht befaßt werden, sind von diesem Prozeß der Sensibilisierung noch wenig berührt. Die Sensibilisierung für die Kostenseite konzentriert sich auf den Bereich der Justizverwaltung und das ist auch verständlich, wird doch der engere Bereich der rechtsprechenden Tätigkeit bisher von der Budgetierung nicht berührt. Die ehrgeizigen Ziele, die sich die Arbeitsgruppe „Neues Haushalts wesen" gesetzt hat, werden bisher nur von relativ wenigen, besonders interessierten Kollegen diskutiert.
V.
Von den Problemen, die diese ehrgeizige Zielsetzung aufwirft, wird auf dieser Tagung noch viel die Rede sein. Ich möchte zu dem Produktbegriff der Arbeitsgruppe „Neues Haushalts wesen" zurückkommen. Sie definiert
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Produkt der Justiz
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wie gesagt als Produkt der Justiz das einzelne Verfahren als Ganzes, nicht sein Ergebnis. Sie interessiert sich für die Kosten bestimmter Verfahrenstypen, nicht, jedenfalls nicht nur, bestimmter Erledigungen. Das hat den Vorteil, so meine ich, daß quantitativ nichts verloren geht, zumindest der Idee nach. Die Gesamtheit der Produkte müßte die Tätigkeit der Justiz vollständig abbilden. Darauf muß, wenn das Unternehmen halbwegs stimmig sein soll, auch besonders geachtet werden. Aus der Erhebung für PEBB§Y - ein auf analytischer Grundlage erarbeitetes neues Personalbedarfsberechnungssystem für die ordentlichen Gerichte und die Staatsanwaltschaften - wissen wir, daß auf diesen Punkt besondere Aufmerksamkeit verwendet werden muß. Ausgehend vom Produktkatalog der Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen" mußte dort kräftig nachgearbeitet werden. Und natürlich muß, wenn man die Mengen adäquat erfassen will, die Justizstatistik angepaßt werden; dies geschieht aber schon im Hinblick auf PEBB§Y. Ein Nachteil dieser Definition ist, daß er sich vom Wortsinn entfernt und deshalb Mißverständnisse hervorrufen kann. Es ist gerade nicht die Frage, was in der Justiz produziert, also hervorgebracht, erzeugt, geschaffen wird, sondern es geht darum abzubilden, was die Justiz tut, womit sie sich beschäftigt. Vielleicht wäre es deshalb klug, auf den Begriff des Produkts in diesem Zusammenhang zu verzichten und stattdessen von Verfahren und Geschäften zu reden, wie dies im Rahmen von PEBB§Y geschehen ist. Ein anderer Nachteil ist, daß der Begriff des Produkts weitgehend inhaltsleer ist. Handelskammerverfahren ist gleich Handelskammerverfahren. Alles Inhaltliche wird ausgeklammert und das muß natürlich den Verdacht schüren, es interessiere nur Quantität, nicht Qualität. Worin der Richter den Inhalt seiner Tätigkeit sieht, insgesamt und im je einzelnen Verfahren, scheint in dem Produktbegriff ebensowenig auf wie das, was der Bürger, was die Öffentlichkeit von der Justiz erwartet und mit ihr erlebt.
VI.
Der Begriff des Produkts verleugnet seine Herkunft nicht. Er stammt aus der betriebswirtschaftlichen Betrachtung von Unternehmen, die mit ihren Produkten am Markt Erfolg haben wollen. Zwei Momente lassen zweifeln, ob der Begriff sinnvoll auf die Arbeit der Justiz angewandt werden kann. Erstens: Die Produkte, die ein Unternehmen auf den Markt bringt, sind Mittel der Gewinnerzielung, Mittel zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Als solche sind sie prinzipiell austauschbar. Zweitens, aber damit zusammenhängend: Das Unternehmen entscheidet selbst, ob es mit einem
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Reinhard Böttcher
Produkt an den Markt geht, wie lange es mit diesem Produkt am Markt ist und ob es das Produkt durch ein anderes ersetzt. Beides trifft bei der Justiz nicht zu. Die Verfahren der Justiz sind nicht Mittel zu einem Zweck, schon gar nicht austauschbare Mittel, sie werden um ihrer selbst willen geführt. Und es steht nicht bei der Justiz, irgendwelche Verfahren in Zukunft nicht mehr durchzuführen. Das Handlungsprogramm der Justiz bestimmt der Gesetzgeber. VII.
Was man mit einem Produktkatalog auf keinen Fall erfaßt, sind die Inhalte, für die die Justiz jenseits der einzelnen Verfahren steht, sind die Wirkungen, die die Justiz als dritte Gewalt im Gefüge der Staatsgewalten hat, ist die Bedeutung der Justiz als Hüterin und Garantin des Rechts für die Stabilität des Staatsganzen (Justitia fundamentum regnorum) und für seine Akzeptanz, auch für die Standortqualität, um diesen modernen Begriff zu verwenden. Auf der Kostenseite kann man Gemein- und Vorhaltekosten der Justiz auf die einzelnen Produkte umlegen. Inhaltlich läßt sich das, was die Justiz als Ganzes ausmacht, nicht auf die einzelnen Verfahren verteilen. Die einzelnen Verfahren sollen wie gesagt auch nur in ihrer Existenz, vielleicht noch in ihrer Dauer, und dann in ihren Kosten erfaßt werden, aber nicht in ihrer Qualität und in ihren Wirkungen. Wobei ich mit Qualität die Gesamtheit ihrer Inhalte meine, nicht irgendein atomisiertes Detail wie etwa die Rechtsmittelhäufigkeit oder den Rechtsmittelerfolg, das nur im Kontext des gesamten Systems richtig verstanden werden kann. Von unserer in Jahrhunderten gewachsenen Rechts- und Verfahrenskultur scheint in dem Produktkatalog des Neuen Haushaltswesens nur auf, daß die Justiz mit einer sehr großen Zahl unterschiedlicher Verfahrenstypen und Justizverwaltungsgeschäfte beschäftigt ist. Die Differenziertheit unserer Rechtsordnung findet einen gewissen Niederschlag. Der rechtskulturelle Standard im übrigen ist im Produktkatalog dagegen nicht ersichtlich. Wenn die Barbarei wieder über uns hereinbrechen und die Justiz zu einem Instrument der Diktatur würde, müßte der Produktkatalog nicht geändert werden. Ist ein derart anpassungsfähiges Instrument geeignet, im demokratischen Rechtsstaat eine Steuerung der Justiz zu ermöglichen?
VIII.
Und nun noch ein Wort zu dieser Steuerung, die ja eine Steuerung mit den Mitteln des Haushalts sein soll. Montesquieu hat die Justiz als den
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Produkt der Justiz
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Mund des Gesetzes bezeichnet. Die Justiz ist mehr, aber prägend für sie ist doch die Bindung an das Gesetz. Roman Herzog hat das in der Festschrift für Sendler einprägsam dargestellt. In unserer Verfassungsordnung ist das die Justiz bindende Gesetz in aller Regel ein Bundesgesetz; nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt es etwas anders. Der Bundesgesetzgeber gibt den Gerichten der Länder die gesetzlichen Vorgaben. Dem entspricht es, daß die Gerichte der Länder bei der Vorbereitung von Bundesgesetzen im allgemeinen intensiv beteiligt werden. Vermittelt und natürlich auch beeinflußt durch die Landes Justizverwaltungen findet praktisch ohne Unterbrechung ein Austausch zwischen dem Bundesministerium der Justiz und den Gerichten und Staatsanwaltschaften der Länder statt. Inwieweit ist es zulässig, ist es wünschenswert, daß sich neben dem Bundesgesetzgeber der Haushaltsgesetzgeber mit rechtspolitischen Akzentsetzungen bemerkbar macht? Sie sehen mich zweifeln, obwohl ich noch kein Wort über die richterliche Unabhängigkeit verloren habe, die natürlich auch gegenüber einer Steuerung der Justiz mit den Mitteln des Haushalts gesichert werden muß. Sie wird nach unserem Verfassungsverständnis in dem Augenblick berührt, noch nicht notwendig verletzt, wo irgendjemand im Bereich der Justizverwaltung sich anheischig macht, die Qualität der erwähnten Produkte zu bewerten, Qualitätsstandards vorzugeben. Das ist sicher ein Hauptproblem bei der Übertragung neuer, in der Wirtschaft entwickelter Steuerungsmodelle auf die Justiz und mit Recht werden wir uns damit bei diesem Symposion noch eingehend befassen. Wenn Hans-Jürgen Papier geschrieben hat, es sei ein schwer begreifliches und leicht, weil durch einen Blick in das GG (Art. 20 Abs. 3 GG) vermeidbares MißVerständnis, richterliche Tätigkeit könne durch etwas anderes „gesteuert" werden als durch den Rechtssatz, den formellen ebenso wie den materiellen, so bedeutet das, daß die Ampel jedenfalls Gelb blinkt. Mir lag am Herzen zu zeigen, daß es neben diesem zentralen Problem noch andere Probleme gibt, die daraus erwachsen, daß die Justiz eine in Jahrhunderten gewachsene kulturelle Einrichtung ist, die sich nur schwer in einzelne Verfahren und Geschäfte zerlegen läßt, jedenfalls nicht ohne Wesentliches aus dem Blick zu verlieren, daß die Aufgabenfeider und Handlungsprogramme der Justiz überwiegend durch Bundesrecht vorgegeben sind; und daß die Rechtsprechung als staatliche Kernaufgabe zu niemandes Disposition steht. Den Begriff des Produkts sollte man, weil zu mißverständlich, nicht mehr auf die Justiz anwenden.
3 Die Verwaltung, Beiheft 5
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Reinhard Böttcher IX.
Das heißt nicht, daß ich dazu raten würde, die neuen Steuerungsmodelle für den Bereich der Justiz zu vergessen. Gegen Kostentransparenz ist auch in der Justiz nichts einzuwenden, Kostenbewußtsein ist auch in der Justiz eine gute Sache. Kostenverantwortung wirkt, das haben wir gelernt, motivierend, setzt Fähigkeiten frei, stärkt die Identifizierung mit der Justiz. Wenn der Bundesgesetzgeber mehr Klarheit will, wie sich erwogene Rechtsänderungen haushaltsmäßig auswirken, ist das legitim. Entsprechendes gilt für Informations wünsche des Landesgesetzgebers und der Landesjustizverwaltungen in Zusammenhang mit organisatorischen Änderungen, etwa einer Neugliederung der Gerichte oder der Einführung von EDV-Systemen. Es gibt ein weites Anwendungsfeld für eine nicht nur unbedenkliche, sondern wünschenswerte Aufhellung der Kostenseite der Justiz. Weil ich das so sehe, ist das Oberlandesgericht Bamberg in Bayern Pilotgericht für die Kosten / Leistungsrechnung und hat sich als eines von vier Oberlandesgerichten an der bundesweiten Erhebung zu PEBB§Y I beteiligt. Es gibt einen weiten Spielraum für zulässige, das bundesgesetzliche Handlungsprogramm der Justiz nicht berührende Investitionsentscheidungen für den Haushaltsgesetzgeber und die Justizverwaltung. Wenn ich als Exponent der Justizverwaltung die Justiz voranbringen will, ist dieser Spielraum mein Lebenselexier. Auch Haushaltsentscheidungen, die sich nachteilig auf die Rechtsprechung auswirken, insbesondere Sparbeschlüsse, sind den Landesparlamenten nicht schlechthin verwehrt. Das hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung zu den Wiederbesetzungssperren für Richter herausgearbeitet. Die Grenzen ergaben sich aus der im Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewährungspflicht. Was mich an den Neuen Steuerungsmodellen bedenklich stimmt, ist abgesehen davon, daß sie alle rechtskulturellen Inhalte aus dem Auge tun, die Vorstellung, es brauche neben der Steuerung der Justiz durch das Gesetz und konkurrierend dazu eine weitere, eine „neue" Steuerung, die Einfluß nimmt auf das Ob, Wann und Wie unserer Verfahrensbehandlung. Wir werden sehr wachsam sein und die Verfassungsgerichte, so scheint es, auch, wenn unter der Überschrift Qualitätssicherung für Justizprodukte eine neue Außensteuerung der Rechtsprechung etabliert werden soll.
Das „Produkt" der Justiz Von Andreas Voßkuhle, Freiburg i. Br.
I. Die Definition des „Produkts" als Achillesferse der aktuellen Modernisierungsbestrebungen i m Bereich der Justiz 1. Die Fokussierung der Modernisierungsdiskussion auf die Einführung des Neuen Steuerungsmodells ( N S M )
Die ubiquitäre Forderung nach einer „Modernisierung des Staates" 1 hat die Justiz erreicht 2 . Davon zeugt nicht nur eine seit Mitte der 1990er Jahre stetig anschwellende Masse an einschlägigen Publikationen zu diesem Thema. Vielmehr wurden in vielen Bundesländern bereits konkrete Reformen auf den Weg gebracht. Den Anfang machte 1993 Bremen 3 , es folgte kurz darauf Hamburg mit dem vom damaligen Hamburger Justizsenator u n d jetzigen Bundes Verfassungsrichter Hoffmann-Riem
angestoßenen P r o -
jekt „Justiz 2000" 4 . Mittlerweile haben die meisten Bundesländer nachgezo1 M i t K. König, Verwaltungsstaat i m Übergang, 1999, S. 143, läßt sich „ M o d e r n i sierung [ . . . ] i n dreifacher historischer B e z i e h u n g verstehen: erstens als der säkulare Prozeß, i n d e m sich die moderne Gesellschaft, die m o d e r n e W i r t s c h a f t , der m o d e r n e Staat u n d m i t i h m seine b ü r o k r a t i s c h e V e r w a l t u n g als Säule eben dieser M o d e r n e geb i l d e t haben; zweitens als »nachholende M o d e r n i s i e r u n g ' , also die m a n n i g f a c h e n Aufholprozesse i n w e n i g e r e n t w i c k e l t e n Gesellschaften einschließlich einschlägiger Züge der E n t w i c k l u n g der V e r w a l t u n g u n d der V e r w a l t u n g der E n t w i c k l u n g sowie der T r a n s f o r m a t i o n v o n realsozialistischem Staat u n d K a d e r v e r w a l t u n g ; schließlich d r i t t e n s als die I n t e n t i o n a l i t ä t der m o d e r n e n sozialen F u n k t i o n s s y s t e m e selbst, d u r c h Reformen u n d I n n o v a t i o n e n die M o d e r n i t ä t i n G a n g z u h a l t e n u n d neue Herausforderungen z u b e w ä l t i g e n . " A u s der u n ü b e r s c h a u b a r e n L i t e r a t u r vgl. z. B. E. Grande/ R. Prätorius (Hrsg.), M o d e r n i s i e r u n g des Staates?, 1997; F. Naschold/J. Bogumil, M o d e r n i s i e r u n g des Staates, 2. A u f l . 2000; A. Benz, D e r m o d e r n e Staat, 2001. 2 Bereits 1987 startete das B u n d e s j u s t i z m i n i s t e r i u m das F o r s c h u n g s p r o g r a m m „ S t r u k t u r a n a l y s e der Rechtspflege" (SAR), vgl. d a z u J. Stock/H. Wolff/ P-I. Thünte, S t r u k t u r a n a l y s e der Rechtspflege. B i l a n z eines Forschungsprogramms des B u n d e s m i n i s t e r i u m s der Justiz, 1996. Z u m a k t u e l l e n Reformbedarf vgl. n u r die Z u s a m m e n s t e l l u n g der A r g u m e n t e b e i B. Kramer, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l u n d die U n a b h ä n g i g k e i t der Richter, Z Z P 114 (2001), S. 2 6 7 - 2 6 9 m. w. N . 3 Vgl. U. Maurer, Dezentrale Ressourcensteuerung i m J u s t i z h a u s h a l t der Freien Hansestadt Bremen, D R i Z 1996, S. 47 ff.; ders., Justiz - A u f b r u c h oder Abbruch?, D R i Z 2000, S. 65 ff. 4 Vgl. W. Hoffmann-Riem, A u f d e m Weg z u e i n e m J u s t i z k o n z e p t „ J u s t i z 2000", D R i Z 1996, S. 13 ff.; ders., W a h r h e i t , G e r e c h t i g k e i t , U n a b h ä n g i g k e i t u n d Effizienz das Magische Viereck der D r i t t e n Gewalt?, J Z 1997, S. 1 ff.; ders., O p t i m i e r u n g d u r c h Reorganisation der G e r i c h t s v e r w a l t u n g , D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 481 ff.; ders.,
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Andreas Voßkuhle
gen, sei es mit übergreifenden Maßnahmen 5 oder mit regional begrenzten Pilotprojekten 6 . Im Mittelpunkt dieser Reformbemühungen steht die Implementation des sog. Neuen Steuerungsmodells 7, das ursprünglich von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) für die deutschen Kommunen entwickelte wurde 8 , dessen Einsatz aber mittlerweile für fast alle Bereiche des öffentlichen Sektors zumindest ernsthaft diskutiert wird 9 . Das Neue Steuerungsmodell (NSM) geht zurück auf verschiedene international erprobte Strategien der Effektivitäts- und Effizienzsteigerung, die ihren Ursprung in der Privatwirtschaft haben (Lean Management, Business Reengineering, Total Quality Management) und heute gemeinhin unter der Bezeichnung New Public Management (NPM) zusammengefaßt werden 10 .
Justiz 2000. R e f o r m der Gerichts V e r w a l t u n g a m B e i s p i e l H a m b u r g s , D R i Z 1998, S. 109 ff.; ders. Organisationsreform der J u s t i z v e r w a l t u n g als B e i t r a g z u m m o d e r n e n Rechtsstaat, in: ders. (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g , 1998, S. 243ff.; ders., J u s t i z d i e n s t l e i s t u n g e n i m k o o p e r a t i v e n Staat, J Z 1999, S. 421 ff.; ders., G e w a l t e n t e i l u n g - M e h r E i g e n v e r a n t w o r t u n g f ü r die Justiz?, D R i Z 2000, S. 18 ff.; ders., M o d e r n i s i e r u n g v o n Recht u n d Justiz, 2001. D e t a i l l i e r t e A n g a b e n z u m Sachstand u n t e r w w w . h a m b u r g . d e / Behoerden / J B / J2000. 5 I n B a d e n - W ü r t t e m b e r g u n d B a y e r n ist z. B. seit d e m 01. 01. 2000 die dezentrale B u d g e t i e r u n g f ü r d e n Bereich der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t flächendeckend eing e f ü h r t w o r d e n , vgl. h i e r z u die B e r i c h t e der l ä n d e r ü b e r g r e i f e n d e n A r b e i t s g r u p p e „Neues H a u s h a l t s w e s e n " , a n der a u c h das B u n d e s m i n i s t e r i u m der Justiz b e t e i l i g t ist. 6 Z u P i l o t g e r i c h t e n i n B a d e n - W ü r t t e m b e r g z. B. J. von Bargen, Das Freiburger Verw a l t u n g s g e r i c h t a u f d e m Weg i n das nächste Jahrtausend, VB1BW 1998, S. 121 ff. Weitere I n f o r m a t i o n e n z u m S t a n d der J u s t i z r e f o r m f i n d e n sich jeweils a u f der H o m e page der J u s t i z m i n i s t e r i e n der Länder. 7 D e u t l i c h z u r D o m i n a n z des N S M i m R a h m e n der R e f o r m d i s k u s s i o n z u l e t z t K. F. Röhl, Justiz als W i r t s c h a f t s u n t e r n e h m e n , D R i Z 2000, S. 220; B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g der Justiz: Das Neue Steuerungsmodell, N J W 2001, S. 3449. Wesentliche wissenschaftliche V o r a r b e i t e n d u r c h M. Eifert, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l - M o d e l l f ü r die M o d e r n i s i e r u n g der Gerichtsverwaltung?, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 75 ff. 8 Vgl. K G S t , B e r i c h t Nr. 19 / 1 9 9 2 ; K G S t , B e r i c h t Nr. 5 / 1 9 9 3 . D i e K G S t ist eine gemeinsame E i n r i c h t u n g der deutschen S t ä d t e u n d Gemeinden. Sie k o o p e r i e r t s t a r k m i t der Speyerer Hochschule f ü r Verwaltungswissenschaften u n d der B e r t e l s m a n n S t i f t u n g . Näheres einschließlich einer Ü b e r s i c h t ü b e r die Veröffentlichungen u n t e r www.kgst.de. 9 Vgl. den Ü b e r b l i c k b e i V. Mehde, Neues S t e u e r u n g s m o d e l l u n d D e m o k r a t i e p r i n zip, 2000, S. 1 2 9 - 1 3 6 m. w. N., sowie H. Hill, Neue O r g a n i s a t i o n s f o r m e n i n der Staats- u n d K o m m u n a l Verwaltung, in: E. S c h m i d t - A ß m a n n / W. H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 65 ff. 10 Z u den K e r n e l e m e n t e n des N P M vgl. die zusammenfassenden D a r s t e l l u n g e n v o n W. Damkowski/C. Precht, P u b l i c M a n a g e m e n t , 1995, S. 2 7 1 - 2 7 6 ; L. Reznicek, L e a n M a n a g e m e n t i n der Ö f f e n t l i c h e n Verwaltung?, 1996, S. 1 0 3 - 1 0 6 ; J. Bogumil, Modern i s i e r u n g des Staates d u r c h P u b l i c M a n a g e m e n t , i n : E. G r a n d e / R . P r ä t o r i u s (Hrsg.), M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 21 ( 2 4 - 3 0 ) ; S. Borins/G. Grüning, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t - Theoretische G r u n d l a g e n u n d K r i t i k , in: D. B u d ä u s / P . C o n r a d / G . Schreyögg (Hrsg.), N e w P u b l i c M a n a g e m e n t , 1998, S. 11 (14f.); F. Naschold/J. Bogumil, Modern i s i e r u n g ( F N 1), S. 8 4 - 9 3 . K r i t . z u d e m d a h i n t e r stehenden L e i t b i l d des D i e n s t leistungsstaates A. Voßkuhle, D e r Dienstleistungsstaat, D e r Staat 40 (2001), S. 495 ff.
Das „Produkt" der Justiz
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2. Die zentrale Bedeutung des Produktgedankens für das Neue Steuerungsmodell
Hauptziel des NSM ist es, die traditionelle zentralistische Input-Steuerung der Verwaltung durch Fachaufsicht und Geldzuweisung in den jeweiligen Haushaltstiteln in eine dezentrale, auf Eigenverantwortung aufbauende und am Bürger als Kunden orientierte Output-Steuerung zu überführen. Zu den Kernelementen dieses Gesamtkonzepts zählen: Einführung einer Kosten-Leistungsrechnung, Budgetierung, Controlling, AKV-Prinzip (Deckung von Aufgaben [Zuweisung], [Erledigungs-] Kompetenz und [Ergebnis-] Verantwortung), Leistungsvereinbarungen und Wettbewerbsorientierung 1 1 . Verbunden werden diese verschiedenen Elemente über die Ausrichtung der gesamten Aufgabenerfüllung am „Produkt". Darunter versteht man eine näher zu bestimmende „Leistung oder eine Gruppe von Leistungen, die von Stellen außerhalb des jeweils betrachteten Fachbereichs (innerhalb oder außerhalb der Verwaltung) benötigt werden" 1 2 . Die Definition von Produkten stellt insofern nicht etwa lediglich ein Element des NSM unter anderen dar 1 3 . Als zentraler Informations- und Kostenträger 14 ist das Produkt vielmehr das Herzstück der Zielvorgabe in den Leistungsvereinbarungen zwischen der übergeordneten und der nachgeordneten Einheit und unentbehrliche Grundlage für die darin vorgenommene Budgetzuweisung, das anschließende Controlling und die Einführung von Wettbewerbselementen (ζ. B. Benchmarking). Ohne angemessene Produktbeschreibung gleicht das NSM einem Schiff auf hoher See ohne Kompaß, seine Funktionslogik ist weitgehend außer Kraft gesetzt 15 . Folglich hängt die umstrittene Eignung des NSM für den Justizbereich 16 ganz maßgeblich davon ab, 11 Vgl. s t a t t v i e l e r V. Mehde, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 9), S. 85 - 1 2 9 , u n d J.-P. Schneider, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l als I n n o v a t i o n s i m p u l s f ü r V e r w a l t u n g s o r g a n i s a t i o n u n d Verwaltungsrecht, in: E. S c h m i d t - A ß m a n n / W. H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), V e r w a l tungsorganisationsrecht ( F N 9), S. 103 ( 1 1 1 - 1 2 2 ) . 12 K G S t , B e r i c h t Nr. 8 / 1 9 9 4 , S. 11. ι 3 Z u m i n d e s t m i ß v e r s t ä n d l i c h i n s o w e i t K. F. Röhl, M i t d e m Werkzeugkasten des N S M i n der Justiz, i n : H . H i l l / H . H a g e n (Hrsg.), W i r k u n g s f o r s c h u n g z u m Recht I I , 2000, S. 437 (439), w e n n er die P r o d u k t b e s c h r e i b u n g als ein (gleichberechtigtes?) „ W e r k z e u g aus d e m K a s t e n " des N S M ansieht. 1 4 So H. Hill, (103).
Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g s m o d e r n i s i e r u n g , Z G 1998, S. 101
1 5 Vgl. s t a t t vieler A. Hoffan / C. Junga, P r o d u k t e als K e r n e l e m e n t e des N e u e n Steuerungsmodells, V e r w a l t u n g & M a n a g e m e n t 1996, S. 43 ff.; J.-R Schneider, Steuer u n g s m o d e l l ( F N 11), S. 1 2 8 - 1 3 0 , u n d V. Mehde, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 9), S. 9 3 - 9 5 , 153 f. D i e zentrale B e d e u t u n g der P r o d u k t d e f i n i t i o n spiegelt sich a u c h i n den B e r i c h t e n der K G S t wieder, vgl. B e r i c h t Nr. 8 / 1 9 9 4 ( D e f i n i t i o n u n d B e s c h r e i b u n g v o n P r o d u k t e n ) ; B e r i c h t Nr. 9 / 1 9 9 4 ( O u t p u t - o r i e n t i e r t e S t e u e r u n g der Jugendhilfe); B e r i c h t Nr. 1 2 / 1 9 9 6 (Aufgaben u n d P r o d u k t e der G e m e i n d e n u n d Kreise i m B e r e i c h Recht, Sicherheit u n d Ordnung). 16 K r i t . v o r a l l e m M . Bertram/B. Daum/E. von Schliefen/G. Wagner, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l a m V e r w a l t u n g s g e r i c h t H a m b u r g . A b s c h l u ß b e r i c h t aus der A r -
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Andreas Voßkuhle
ob das „Produkt" der Justiz sinnvoll definiert werden kann 1 7 . Dieser Frage soll deshalb im folgenden näher nachgegangen werden. In einem ersten Schritt werde ich die methodischen Probleme bei der Definition des „Produkts" der Justiz näher in den Blick nehmen (3.). Daran anschließend folgen Überlegungen zur Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für die Produktdefinition (4.) und zur operativen Verengung der Produktperspektive in der Praxis (5.). Am Ende werde ich versuchen, aus dem Vorangegangen einige allgemeine Folgerungen zu ziehen (II.).
3. Methodische Probleme der Definition des „Produkts" der Justiz
a) Grundlagen der Produktdefinition. Die Basis der Produktdefinition 1 8 bilden aus konzeptioneller Sicht des NSM die gesetzlichen Rahmenvorgaben der jeweiligen Rechtsordnung und die jeweiligen Kundenbedürfnisse. Kunden sind nach einem weiten Verständnis zunächst einmal alle Personen und Institutionen, die durch die Leistung direkt oder indirekt betroffen sind, also auch die Rechtsgemeinschaft. Berücksichtigt werden können freilich nur solche Wünsche der Kunden, die mit den rechtlichen Vorgaben vereinbar sind; im demokratisch legitimierten Gesetz manifestiert sich so gesehen der Wunsch der vereinigten Kunden 1 9 .
b e i t s g r u p p e I I a m V G H a m b u r g , 1998, M a n u s k r i p t a b r u f b a r u n t e r w w w . r i c h t e r v e r ein.de; G. Bertram, Rechtsprechung u n d D i e n s t l e i s t u n g : Von d e n F a l l s t r i c k e n eines Vokabulars, N J W 1998, S. 1842 ff.; W. Hassemer, F ü r eine R e f o r m der D r i t t e n G e w a l t , i n : F S K ü b l e r , 1997, S. 87 (106 f.); P. Macke, D i e D r i t t e G e w a l t als Beute der E x e k u tive, D R i Z 1999, S. 481 (484); J. Ipsen, Gefahren f ü r den Rechtsstaat, N d s V B l . 1999, S. 225 (229); H. Reim, G e r e c h t i g k e i t u n d Effizienz, in: F S Offerhaus, 1999, S. 791 (797 f.); Ρ Bilsdorf er, B e n c h m a r k i n g i n der Justiz - A u f b r u c h z u neuen U f e r n oder bed e n k l i c h e E n t w i c k l u n g ? , N J W 1999, S. 3096 ff.; G. Mackenroth, Qualitätsdiskussion i n der Justiz: A l t e r W e i n i n neuen Schläuchen?, D R i Z 2000, S. 301 ff.; B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3451 ff. Differenzierend R. Voss, K o s t e n c o n t r o l l i n g u n d r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t oder Neues S t e u e r u n g s m o d e l l c o n t r a u n a b h ä n g i g e Rechtsprechung, D R i Z 1998, S. 379ff.; J. Grotheer, Neues S t e u e r u n g s m o d e l l - Segen oder Fluch?, D R i Z 1999, S. 458ff.; K.-H. Zimmermann, Richterliches Selbstverständnis u n d Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t i n der Gerichts Verwaltung, B e t r i f f t Justiz 2000, S. 252 ff.; K. F. Röhl, Werkzeugkasten ( F N 13), S. 4 5 0 - 4 5 4 . 17 S t a t t vieler d e u t l i c h M . Eifert, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 7), S. 79: „ [ . . . ] k o m m t d e m P r o d u k t die zentrale Rolle i m Steuerungskreislauf z u " ; Ρ Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t i n der Justiz, 1999, S. 140: „ z e n t r a l notwendiges I n s t r u m e n t des gesamt e n N P M " ; B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3450: „entscheidendes E l e m e n t dieses Steuerungskreislaufes". Vgl. auch eingehend M. Bertram/B. Daum/E. von Schliefen/G. Wagner, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 1 1 - 1 4 . !8 Z u m folgenden P. Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t ( F N 17), S. 9 6 - 1 0 5 m. w. Ν . 19 I n bezug a u f das g e m e i n w o h l o r i e n t i e r t e abstrakt-generelle Gesetz stößt das a n b i p o l a r e n , v e r t r a g s ä h n l i c h e n Leistungsbeziehungen o r i e n t i e r t e K u n d e n p a r a d i g m a offensichtlich a n k o n s t r u k t i v e Grenzen. N i c h t v o n ungefähr ersetzt die neuere amer i k a n i s c h e Verwaltungswissenschaft das „ C i t i z e n - a s - C o n s u m e r - M o d e l l " d u r c h das „ C i t i z e n - a s - O w n e r - M o d e l l " , vgl. d a z u A. Voßkuhle, Dienstleistungsstaat ( F N 10), S. 5 2 0 - 5 2 2 m. w . N .
Das „Produkt" der Justiz
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Gemeinhin unterscheidet man im Rahmen der Produktdefinition zwischen Zielen, Indikatoren und Standards. Ziele fragen nach dem Zweck der konkreten Leistung (output), mithin nach der mit ihr mittel- oder langfristig angestrebten Wirkung (impact) bzw. dem mit ihr verfolgten Nutzen (outcome). Indikatoren haben die Aufgabe, diese Ziele empirisch überprüfbar, mithin operabel zu machen. Standards wiederum geben an, welche Ergebnisse, gemessen an den Indikatoren, erwartet werden; sie sind zwingende Voraussetzung der Zielerreichungskontrolle. Soweit insbesondere bei der Festlegung von Indikatoren und Standards Wertungsspielräume bestehen, geht man grundsätzlich davon aus, daß die Produktdefinition durch die Leistungserbringer selbst erfolgen soll, da allein sie über alle notwendigen Informationen verfügen. Wie lassen sich nun diese Anforderungen auf die Justiz übertragen? b) Das Problem der Prioritätensetzung bei der Zielformulierung. Auf den ersten Blick erscheint die Tätigkeit des Richters durch das materielle Entscheidungsprogramm und vor allem durch die jeweiligen Prozeßordnungen, die ihrerseits von der Verfassung determiniert sind, weitgehend vorbestimmt. Versucht man jedoch aus dem vorhandenen Normarsenal konkrete Ziele zu destillieren, so offenbart sich ein eher diffuses B i l d 2 0 . Bereits die nähere Konkretisierung des Begriffs der Rechtsprechung, den die Verfassung in Art. 92 GG voraussetzt, aber selbst nicht ausdrücklich definiert, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Neuerdings geht man zunehmend von einer verfahrensorientierten Betrachtungsweise aus. Danach gehören zur Rechtsprechung alle Aufgaben, die aufgrund ihres spezifischen Leistungsprofils offensichtlich nur in dem von der Verfassung selbst durch Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 97, 101 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG näher ausgestalteten „Neutralen Verfahren" als stark selektivem Verfahren bewältigt werden können, wobei die von der Verfassung in Form von konkreten Richtervorbehalten getroffenen Zweckmäßigkeitsentscheidungen zu berücksichtigen sind 2 1 . Als langfristige Aufgaben der Rechtsprechung werden gemeinhin genannt: - Durchsetzung des Rechts durch autoritative Entscheidungen bei Bindung an das Recht 22 , 20 Z u r „ K o m p l e x i t ä t der Q u a l i t ä t r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t " vgl. a u c h U. Berlit, M o d e r n i s i e r u n g der Justiz, r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d R i c h t e r i n n e n b i l d , K J 32 (1999), S. 58 (64).
21 So A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 6 5 - 1 4 1 (141). Vgl. auch die neueren Ansätze b e i M. Wolf, R i c h t e r u n d Rechtspfleger i m Z i v i l v e r f a h r e n , Z Z P 99 (1986), S. 361 ff., u n d S. Smid, Rechtsprechung - Z u r U n t e r s c h e i d u n g v o n Rechtsprechung u n d Prozeß, 1990. E i n e n g u t e n U b e r b l i c k ü b e r die V i e l f a l t der bisher vertretenen Rechtsprechungsbegriffe v e r m i t t e l t N. Achterberg, D e r B e g r i f f der R e c h t sprechung, i n : F S Menger, 1985, S. 125 ff.; ders., i n : B K , A r t . 92, R d n r n . 7 4 - 9 1 . 22 Vgl. e t w a K. Hesse, G r u n d z ü g e des Verfassungsrechts D e u t s c h l a n d , 20. A u f l . 1995, Rdnr. 548.
der
Bundesrepublik
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Andreas Voßkuhle
- Schaffung von Rechtsfrieden 23 , - Vermeidung künftiger Rechtsstreitigkeiten und - Rechtsfortbildung 24 . Zu den eher kurzfristigen Zielen, die innerhalb einer Betrachtungsperiode konkret erreicht werden sollten 25 , zählen u. a.: - die Rechtsrichtigkeit des Urteils, die sich aus der Bindung an das Gesetz ergibt (Art. 20 Abs. 3 GG), - eine angemessene Konfliktbereinigung 26 , - die rasche Verfahrenserledigung 27 , - die ressourcenschonende Rechtsmittelfestigkeit der Entscheidung und - die Akzeptanz der Entscheidung bei den Betroffenen 28 . Teilweise stehen diese verschiedenen Ziele offensichtlich im Widerspruch zueinander. So kann das Ziel der Rechtsdurchsetzung mit dem der konkreten Konfliktbereinigung kollidieren und das der Rechtsrichtigkeit mit dem der raschen Verfahrenserledigung. Soll die Zielerreichung insgesamt kontrolliert werden, bedarf es daher einer Prioritätensetzung. Das politische System, das schon per se zu Formelkompromissen neigt 2 9 , tut sich indes mit einer solcher Priorisierung der verschiedenen Ziele schwer. Zum einen sind die angedeuteten Zielkonflikte bereits in der Verfassung selbst angelegt, zum anderen offenbaren die zu entscheidenden Fälle selbst bei Differenzierung nach einzelnen Gerichtszweigen und Instanzen zu große Unterschiede, 23 A l s zentrales Z i e l ζ. B. hervorgehoben v o n P. Bilsdorf er, B e n c h m a r k i n g ( F N 16), S. 3096. Vgl. ferner ζ. Β . E. Friesenhahn, Ü b e r Begriff u n d A r t e n der Rechtsprechung, in: F S T h o m a , 1950, S. 21 (43). 24 Vgl. B V e r f G E 34, 269 (288); 65, 182 (190 f.); 75, 223 (243 f.).
25 Vgl. P. Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t ( F N 17), S. 158 f. m. w. Ν . I n d e n U S A s i n d 1997 ζ. B. die „ T r i a l C o u r t Performance S t a n d a r d s " d u r c h das N a t i o n a l Center for State Courts e n t w i c k e l t w o r d e n . Es h a n d e l t sich dabei u m E m p f e h l u n g e n f ü r die i n t e r n e S e l b s t k o n t r o l l e u n d z u r Selbsteinschätzung v o n M a ß n a h m e n z u r L e i s t u n g s steigerung, vgl. d a z u G. F. Cole, Performance Measures for t h e T r i a l Courts, Prosecut i o n a n d P u b l i c Defense, w w w . b j a . e v a l u a t i o n w e b s i t e . o r g / h t m l / d o c u m e n t s , S t a n d : 11. 03. 2002. 26 Vgl. etwa W: Hoffmann-Riem,
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 59 f.
27 Dieses Z i e l e r g i b t sich u. a. aus einer V i e l z a h l v o n V o r s c h r i f t e n i n d e n j e w e i l i g e n Prozeßordnungen ü b e r Fristen. Vgl. ferner z. B. die M ö g l i c h k e i t v o n M u s t e r v e r f a h r e n i n § 93a V w G O . 28 I m Z i v i l p r o z e ß soll der R i c h t e r auf einen Vergleich h i n w i r k e n (vgl. § 278 Z P O n. F.). I m Verwaltungsprozeß u n d i m Finanzprozeß s i n d Vergleiche z u m i n d e s t m ö g l i c h . I n diesem Z u s a m m e n h a n g ist a u c h a u f sog. deals i m Strafprozeß h i n z u w e i s e n , vgl. etwa Th. Rönnau, D i e A b s p r a c h e i m Strafprozeß, 1990, u n d aus neuerer Z e i t B. Schmitt, Z u Rechtsprechung u n d R e c h t s w i r k l i c h k e i t verfahrensbeendender A b sprachen i m Strafprozeß, G A 2001, S. 411 ff. 29 Z u m K o m p r o m i ß als F o r m der D e m o k r a t i e H. Schulze-Fielitz, x i s p a r l a m e n t a r i s c h e r Gesetzgebung, 1988, S. 4 0 4 - 4 4 3 m. w. N .
Theorie u n d P r a -
Das „Produkt" der Justiz
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um abstrakt einem Ziel den Vorrang einzuräumen. Wer möchte dem Zeitfaktor durchgehend eine höhere Bedeutung beimessen als der Rechtsrichtigkeit des Urteils und umgekehrt? Auch der Richter als maßgeblicher Leistungserbringer hätte insofern Schwierigkeiten, am Jahresanfang eine konsistente Zielhierarchie zu formulieren; er muß seine Prioritäten in der konkreten Entscheidungssituation immer wieder selbst neu erarbeiten 30 . Bei der Zielformulierung - wie durch das NSM eigentlich intendiert - auf die Prioritäten der „Kunden" der Gerichte, d. h. auf die Prioritäten derjenigen Institutionen und Personen, die direkt oder indirekt durch die Leistungen des Gerichts betroffen sind, abzustellen, führt ebenfalls nicht weiter. Erstens bleiben die vorrangigen Zielvorgaben der Verfassung weiterhin bestehen, zweitens erweisen sich die häufig durch wenig Sachkenntnis geprägten Kundenwünsche darüber hinaus als äußerst heterogen, und zwar auch dann, wenn man den Kundenkreis näher (auf die Parteien, Angeklagten, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Zeugen und Sachverständigen) einengt 31 . Während etwa Rechtsanwälte eher auf den Verfahrensablauf achten, hängt die Zufriedenheit der Parteien stärker vom Ergebnis der Entscheidung ab 3 2 . c) Das Problem der Leistungsmessung. Die Schwierigkeiten bei der Zielformulierung setzen sich fort bei der notwendigen Definition der Indikatoren, mit denen die Zielerreichung gemessen werden kann 3 3 . Während einige der soeben genannten Ziele in meßbare Größen heruntergebrochen werden können, etwa die Zeitdauer der Verfahrenserledigung oder die Rechtsmittelhäufigkeit 34 , erweisen sich andere Ziele als ausgesprochen kennzahlenfeindlich. Das Ausmaß der Konfliktbereinigung, der Akzeptanz der Ent30 D e u t l i c h G. Mackenroth, Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 308: „ D e r z e i t muss der R i c h t e r w e i t g e h e n d a l l e i n die Z i e l k o n f l i k t e z w i s c h e n S c h n e l l i g k e i t u n d G r ü n d l i c h k e i t , z w i s c h e n j u r i s t i s c h e r Professionalität u n d V e r s t ä n d l i c h k e i t f ü r d e n Bürger, z w i schen E f f e k t i v i t ä t der B e w e i s a u f n a h m e u n d K o s t e n a u f w a n d , z w i s c h e n E r l e d i g u n g s art u n d A k z e p t a n z b e i d e n Betroffenen entscheiden. L e e r f o r m e l n w i e ,so schnell w i e m ö g l i c h , so g r ü n d l i c h w i e n ö t i g ' , , n u r schnelles Recht ist gutes Recht' lösen diese K o n f l i k t e n i c h t . " Z u m Z u s a m m e n h a n g v o n Z e i t a u f w a n d u n d Q u a l i t ä t ζ. Β . Κ . Rudolph, Prozeßflut u n d E r l e d i g u n g s d r u c k , D R i Z 1992, S. 6 ff.; R. Makowka, Effektuier u n g der Justiz ohne B e v o r m u n d u n g d u r c h die L e g i s l a t i v e oder - S i n d R i c h t e r Z i n n soldaten der Macht?, D R i Z 1992, S. 205 (209); D. Hendel, W i d e r d e n N i e d e r g a n g der K u l t u r der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g i m Z i v i l p r o z e ß , D R i Z 1992, S. 91 ff.; H. Eylmann, Rechtschreibung s t a t t Rechtsprechung?, Z R P 1998, S. 81 f. 31 F ü r e i n enges Verständnis des K u n d e n b e g r i f f s p l ä d i e r t i m v o r l i e g e n d e n Z u s a m m e n h a n g P. Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t ( F N 17), S . 1 6 5 - 1 6 9 . 32 V g l . Κ. F. Röhl, Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e i n der Justiz - E i n e neue E n t w i c k l u n g i n der J u s t i z v e r w a l t u n g der U S A , D R i Z 1993, S. 301 (305). 33 K r i t . M. Bertram/B. Daum/E. von SchliefenIG. Wagner, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 4 2 - 5 0 ; G. Mackenroth, Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 305. O p t i m i s t i s c h dagegen ζ. Β . J. Grotheer, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 460. 34 K r i t . z u diesem K r i t e r i u m als Maßstab f ü r die Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e G. roth, Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 302.
Macken-
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Andreas Voßkuhle
Scheidung und der Sicherung des Rechtsfriedens läßt sich letztlich nur im Wege der empirischen Sozialforschung ermitteln, d. h. in der Regel durch Befragungen der Kunden 3 5 . Dabei ergeben sich nicht nur zahlreiche methodische Probleme, was die Validität der benutzten Indikatoren, die Auswahl der befragten Kundenkreise und das Befragtenverhalten angeht 36 , sondern die regelmäßig durchzuführenden Befragungen binden auch erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen. In der Praxis dürfte man daher in vielen Bereichen über grobe Anhaltspunkte hinsichtlich des Ausmaßes der Zielerreichung kaum hinaus kommen. So mag der Justiz durch eine Umfrage unter Besuchern von zwölf Amts- und Landgerichten in NRW aus dem Jahre 2001 zwar eine positive Leistungsbilanz attestiert werden 3 7 ; wenn jedoch als ein zentraler Kritikpunkt lediglich die unzureichende Parkplatzsituation angegeben wird, dann hilft dies im Rahmen der Reformbemühungen nicht wirklich weiter. d) Das Problem der Standardfestlegung. Mit der Festlegung der Indikatoren ist schließlich noch nicht darüber entschieden, welcher Grad der Zielerreichung der Leistungsvereinbarung als Standard zugrunde gelegt wird. Soll ein Zivilprozeß bei einer Belastung des einzelnen Richters mit der Menge χ an Verfahren in fünf, sechs oder in acht Monaten erledigt sein? Wie hoch ist die durchschnittliche Vergleichsquote als Indikator für die Akzeptanz der Verfahrensdurchführung anzusetzen? Selbst bei Einigkeit über die Bemessungsfaktoren werden hier zwischen den Kontraktpartnern in der Regel konträre Auffassungen bestehen, die aber im Verhandlungswege angenähert werden können. Im übrigen zeigt die Praxis, daß der deutschen Justiz schon bisher Standards durchaus nicht fremd waren 3 8 . Zu denken ist hier etwa an Bußgeldkataloge, Schmerzensgeldtabellen, unterhaltsrechtliche Leitlinien der Oberlandesgerichte oder sog. Diversionsrichtlinien 39 . Nach Einführung des § 495a ZPO haben einige Amtsgerichte sogar eigene 35 Z u w e n i g v i e l versprechenden A n s ä t z e n der Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e i n d e n U S A ( „ C o u r t Performance E v a l u a t i o n " ) vgl. a n s c h a u l i c h u n d m a t e r i a l r e i c h K. F. Röhl, Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e ( F N 32), S. 303 ff. m. w. Ν . Z u N u t z e r b e f r a g u n g e n u n t e r H a m b u r g e r A n w ä l t e n u n d A n w ä l t i n n e n a m Hanseatischen Oberlandesgericht vgl. D R i Z 2001, S. 129. Z u r p o s i t i v e n U m f r a g e a n z w ö l f A m t s - u n d L a n d g e r i c h t e n i n sechs S t ä d t e n i n N R W vgl. D R i Z 2002, S. 4 0 f . , sowie d e n A b s c h l u ß b e r i c h t u n t e r w w w . f hr. nrw. de. 36 Z u i h n e n a l l g e m e i n R. Schnell/ P. B. Hill/E. Esser, M e t h o d e n der e m p i r i s c h e n Sozialforschung, 6. A u f l . 1999; H. Kromrey, E m p i r i s c h e Sozialforschung, 9. A u f l .
2000.
37 D e r k o m p l e t t e A b s c h l u ß b e r i c h t der v o n der Fachhochschule f ü r Rechtspflege i n B a d M ü n s t e r e i f e l b e t r e u t e n U m f r a g e ist u n t e r w w w . f h r . n r w . d e nachzulesen. E i n e Z u sammenfassung f i n d e t sich i n D R i Z 2002, S. 40 f. 33 Vgl. G. Mackenroth, Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 305. 3 9 Z u m sächsischen M o d e l l vgl. W. Sprenger /Th. Fischer, Verbesserte Verfolgung des L a d e n d i e b s t a h l s - Sächsisches A l t e r n a t i v m o d e l l z u m „ S t r a f g e l d " , D R i Z 2000, S. 111 ff.
Das „Produkt" der Justiz
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Verfahrensordnungen für Kleinverfahren aufgestellt, nach denen sie diese Bagatellverfahren erledigen 40 . Allerdings unterscheiden sich die genannten Standards in zwei wesentlichen Punkten von den angestrebten Leistungsvereinbarungen des NSM: Sie beruhen auf freiwilliger inner- oder zwischengerichtlicher Kooperation im Sinne gesellschaftlicher Selbstregelung, und sie entfalten lediglich faktische Bindungswirkung 4 1 , ohne daß ihre Nichtbeachtung zu mittel- oder unmittelbaren Sanktionen führt. Das ändert aber nichts am Bedürfnis nach komplexitätsreduzierenden Standards. Ob die Mitarbeit an solchen auf Prognosen und Setzungen beruhenden Standards unter Justizangehörigen auf Akzeptanz stößt, hängt dabei maßgeblich von deren Überprüfbar- und Korrigierbarkeit ab.
4. Schützt die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 G G ) vor Produktdefinitionen?
Jenseits der dargelegten methodischen Probleme sieht vor allem die Richterschaft die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) durch die Produktdefinition als Grundlage von Leistungsvereinbarungen, Budgetzuweisung und Controlling verletzt 42 . Dies mag man zu einem gewissen Teil mit einer „berufsideologisch verzerrten Problemperzeption i.S. einer übertriebenen Sensibilität" erklären 43 , die ihrerseits aus dem heute so nicht mehr bestehenden historischen Konflikt zwischen richterlicher Unabhängigkeit und staatlicher Kontrolle herrührt 4 4 . Umgekehrt dürfte der Hinweis, das NSM ziele gerade auf eine Stärkung der Unabhängigkeit, indem die dominierende Stellung der zentralen Justizbehörde zu Gunsten eines selbstverwalteten Gerichtsmanagements abgebaut würde 4 5 , die Folgen einer gerichtsinternen Qualitätskontrolle für die 40 Vgl. d a z u H. Bartels, Verfahren n a c h § 495a ZPO, D R i Z 1992, S. 106; A. Kuschel/A. Kunze, M i n i m a (non) c u r a t p r a e t o r - Das B a g a t e l l v e r f a h r e n i n der a m t s g e r i c h t l i c h e n Praxis, D R i Z 1996, S. 193. K r i t . M. W. Huff, Verfahrensvereinfachung u n d Rechtsstaat, D R i Z 1996, S. 346 ff. 41 Daß i h r e B e a c h t u n g w ü n s c h e n s w e r t ist, steht auf e i n e m anderen B l a t t . 42 D e u t l i c h z u l e t z t G. Mackenroth, Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 309: „Jeder steuernde E i n g r i f f i n g e r i c h t l i c h e Verfahren k o l l i d i e r t m i t d e m G r u n d s a t z der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t ; Justiz v e r t r ä g t keine Außensteuerung. Das Neue Steuer u n g s m o d e l l t a u g t so als O r g a n i s a t i o n s p r i n z i p f ü r die G e r i c h t s b a r k e i t n i c h t . " V g l . ferner Deutscher R i c h t e r b u n d , M o d e r n i s i e r u n g der Justiz d a r f r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t b e e i n t r ä c h t i g e n , Positionspapier z u r Ü b e r t r a g b a r k e i t des „ N e u e n Steuerungsmodells" auf die Justiz, i n : Justiz i n der Modernisierungsfalle? - Z u r B e d e u t u n g der Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n i m Reformprozeß, 2 9 . / 3 0 . 01. 2000; H. Reim, G e r e c h t i g k e i t ( F N 16), S. 798; U. Berlit, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 20), S. 65. 43 So a l l g e m e i n H. Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), GG, B d . I I I , 2000, A r t . 97, Rdnr. 33 m. w. N . Vgl. ferner W. Hoffmann-Riem, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 257 f., der i m Z u s a m m e n h a n g m i t der M o d e r n i s i e r u n g s d i s k u s s i o n i m i n t e n s i v e n Pochen auf die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t eine „ I m m u n i s i e r u n g s s t r a t e g i e " e r k e n n t . 44 Vgl. A. Voßkuhle,
Rechtsschutz ( F N 21), S. 271.
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richterliche Unabhängigkeit unterschätzen 46 ; letztere schützt den einzelnen Richter auch gegenüber Beeinflussungen durch andere Mitglieder des Gerichts 47 . Die Gewährleistung der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters - diese ist kein Berufsprivileg, sondern ein Strukturprinzip zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung als „Neutralelm] Verfahren" 48 - zielt auf die Sicherung seiner „inneren Unabhängigkeit", auf die Sicherung seiner Fähigkeit und Bereitschaft also, objektiv und frei von Beeinflussung, eigenen Interessen, Vorurteilen und Aversionen nach bestem Wissen und Gewissen allein nach Maßgabe von Gesetz und Recht zu entscheiden 49 . In diesem Sinne garantiert Art. 97 GG Weisungsfreiheit, Handlungsfreiheit und Erkenntnisfreiheit jedes einzelnen Richters 50 . Während Einwirkungen der Exekutive auf den äußeren Bereich der richterlichen Tätigkeit gemeinhin als zulässig erachtet werden, ist der Kernbereich der Rechtsprechung bekanntlich vor Einwirkungen grundsätzlich geschützt, es sei denn, es liegt eine offensichtlich fehlerhafte Amtsausübung vor 5 1 . Zu diesem Kernbereich gehören neben der Festlegung des inhaltlichen Entscheidungsausspruchs alle der Rechtsfindung dienenden vorbereitenden, begleitenden oder nachfolgenden Sach- und Verfahrensentscheidungen 52. 45 So etwa W. Hoffmann-Riem, Organisationsreform ( F N 4), S. 251 f. V g l . a u c h ders., G e w a l t e n t e i l u n g ( F N 4), S. 22 f. Vgl. ferner H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 35. 4
6 W i e h i e r B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3253. 47 Vgl. B V e r f G (3. K a m m e r des Z w e i t e n Senats), N J W 1996, S. 2149 (2150 f.). Z u s t . die h . M . vgl. H. Schulze-Fielitz, in: H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, R d n r n . 3 9 - 4 1 ; S. Detterbeck, i n : M . Sachs (Hrsg.), G G , 2. A u f l . 1999, A r t . 97, Rdnr. 14; R. Herzog, i n : M a u n z / D ü r i g , G G , A r t . 97, Rdnr. 34. A u s f ü h r l i c h A. Baer, D i e U n a b h ä n g i g k e i t der R i c h t e r i n der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d u n d i n der D D R , 1999, S. 4 7 - 5 6 . A . A . B V e r f G E 12, 67 (71); 31, 137 (140); M . Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n , 1997, S. 1 1 2 - 1 1 8 . 4 ® Vgl. statt v i e l e r H. Schulze-Fielitz, in: H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 17; C.-D. Classen, i n : v. M a n g o l d t / K l e i n / Starck, G G , 4. A u f l . 2001, A r t . 97, Rdnr. 7, jeweils m. w. N . 49 Z u r i n n e r e n U n a b h ä n g i g k e i t vgl. etwa H.-J. Faller, D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t i m S p a n n u n g s f e l d v o n P o l i t i k u n d W e l t a n s c h a u u n g u n d öffentlicher M e i n u n g , in: F S Zeidler, B d . I, 1987, S. 81 ( 8 3 - 8 7 ) ; G. Pfeifer, Innere U n a b h ä n g i g k e i t des R i c h ters, i n : F S Zeidler, B d . I, 1987, S. 67 ff.; R. Wassermann, D i e r i c h t e r l i c h e G e w a l t , 1985, S. 8 5 - 9 8 . G r u n d l e g e n d bereits K. Eichenberger, D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t als staatsrechtliches P r o b l e m , 1960, S. 5 0 - 5 2 . Z u r verfassungsrechtlichen A b sicherung der N e u t r a l i t ä t des Richters als „ u n b e t e i l i g t e m D r i t t e n " vgl. A. Voßkuhle, Rechtsschutz ( F N 21), S. 1 0 5 - 1 1 5 m . w. Ν . 50 So die v i e l z i t i e r t e F o r m u l i e r u n g v o n W Meyer, i n : ν. M ü n c h / K u n i g , G G , 3. A u f l . 1996, A r t . 97, Rdnr. 8. si V g l . z u dieser Kernbereichslehre B G H Z 67, 184 (187 f.); 70, 1 (4); 100, 271 (276). A u s f ü h r l i c h z u l e t z t z u r D i e n s t a u f s i c h t A. Baer, U n a b h ä n g i g k e i t ( F N 47), S. 1 0 5 - 1 2 1 . K r i t . z u diesem K e r n b e r e i c h s d e n k e n z. B. R. Schmidt-Räntsch, D i e n s t a u f sieht ü b e r Richter, 1985, S. 69 ff.; O. R. Kissel, G V G , 3. A u f l . 2001, § 1, R d n r n . 59 f. 52 B G H Z 90, 4 1 (45); 93, 238 (243 f.); 102, 369 (372). Z u s t . die ganz h . M . vgl. H . Schulze-Fielitz, in: H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 29; S. Detterbeck, in: M . Sachs (Hrsg.), G G ( F N 47), A r t . 97, Rdnr. 13.
Das „Produkt" der Justiz
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Folglich wird man in bezug auf die Auswirkungen des NSM differenzieren müssen 53 : Die Neuorganisation des äußeren Arbeitsablaufs als solche stößt auf keine durchschlagenden Bedenken. Das gilt ζ. B. für die Einführung der dezentralen Ressourcenverwaltung oder die Einrichtung von Serviceeinheiten 54 . Auch vor allgemeinen Maßnahmen zur Erhöhung des Kosten- und Qualitätsbewußtseins innerhalb der Richterschaft durch Einrichtung gerichtsinterner Qualitätszirkel, Kostenvergleichen innerhalb des Gerichts bzw. zwischen Gerichten oder sog. „Mitarbeitergesprächen" bietet Art. 97 GG letztlich keinen Schutz 55 ; mit einem gewissen sozialen Anpassungsdruck muß der Richter seit jeher leben 56 . Selbst Präsenzpflichten 57 im Gericht und Arbeitszeitfestsetzungen 58 halte ich entgegen der Rechtsprechung des BGH für mit Art. 97 GG vereinbar, wenn auch nicht gerade für personalpolitisch klug, weil die Attraktivität des vergleichsweise schlecht bezahlten Richterberufs für gute Juristen maßgeblich von solchen Freiheiten abhängt. Ernsthafte Gefährdungen für die individuelle richterliche Unabhängigkeit entstehen aber dort, wo mehr oder weniger verbindlich 5 9 auf die konkrete Gestaltung des Verfahrensablaufs Einfluß genommen wird. Zu denken ist hier etwa an Telefonpauschalen 60 oder ζ. B. Vorgaben für die Beweisaufnahme 61 , die Terminierung 62 , die Verwendung von Textbau53 E i n g e h e n d z u m folgenden z u l e t z t Β. Kramer,; S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 2), S. 2 7 8 301 m. w. Ν . Vgl. ferner d e n differenzierten A n s a t z v o n U. Berlit, i n diesem B a n d S. 135 ff. 54 Vgl. z u dieser F o r m der S t r u k t u r s t e u e r u n g u n d i h r e r V e r e i n b a r k e i t m i t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t insbes. G. F. Schuppert, Optimierung von Gerichtsorganisation u n d A r b e i t s a b l ä u f e n : H e r a u s f o r d e r u n g e n f ü r die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t , in: W. H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), R e f o r m ( F N 4), S. 215 ff. 55 W i e h i e r H. Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 35. Vgl. ferner W. Hoffmann-Riem, W a h r h e i t ( F N 4), S. 4; G. Mackenroth, Qualitätsd i s k u s s i o n ( F N 16), S. 3 0 9 - 3 1 1 ; T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t u n d des Verwaltungsprozeßrechts, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (381). A . A . hingegen H.-J. Papier, D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d i h r e Schranken, N J W 2001, S. 1089(1094).
56 Vgl. auch J. Grotheer, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 461: „ S e l b s t w e n n seine U n a b h ä n g i g k e i t eine d i r e k t e A n w e i s u n g v e r h i n d e r t , schützt sie i h n n i c h t v o r d e m sozial e n D r u c k der p r e i s w e r t e r e n ' K o l l e g e n u n d d e n s c h w i n d e n d e n Chancen einer Beförd e r u n g u n d sonstiger b e r u f l i c h e r A n e r k e n n u n g . " G l e i c h w o h l l e h n t Grotheer, ebd., das B e n c h m a r k i n g ab. 57 Vgl. Β G H Z 112, 197 (203). K r i t . U. Maurer, Justiz ( F N 3), S. 69; H . Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 33. 58 v g l . B G H Z 113, 36 (40 f.); B V e r w G E 78, 211 (213 f.). K r i t . W. Hoffmann-Riem, Ü b e r P r i v i l e g i e n u n d V e r a n t w o r t u n g - Justiz z w i s c h e n A u t o n o m i e u n d A n o m i e , A n w B l . 1999, S. 2 (5f.); C.-D. Classen, i n : v. M a n g o l d t / K l e i n / S t a r c k , G G ( F N 48), A r t . 97, Rdnr. 5; H. Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), G G ( F N 43), A r t . 97, Rdnr. 33. 59 Z u r n o t w e n d i g e n U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n s t r i k t z u beachtenden M i n d e s t s t a n dards u n d solchen Qualitätszielen, z u deren E r r e i c h u n g a l l e i n auf F r e i w i l l i g k e i t u n d Ü b e r z e u g u n g z u setzen ist, vgl. a u c h U. Berlit, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 20), S. 65. 60 Vgl. B G H , N J W 1995, S. 731 (732). 61 Vgl. B G H Z 71, 9 (11 f.). 62 So auch R. Voss, K o s t e n c o n t r o l l i n g ( F N 16), S. 387.
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steinen bei der Begründung 63 und die Durchführung von bestimmten Bagat eil verfahren. Dementsprechend stößt die Budgetierung dort an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, wo mangels kritischer Masse Restriktionen für die konkrete Fallbearbeitung durch den einzelnen Richter zu befürchten sind; das „Runterbrechen" des Budgets auf einzelne Richter oder Kammern bzw. Senate 64 verbietet sich damit ebenso wie maßnahmengenaue Leistungsvereinbarungen 65 .
5. E i n „bißchen" Neues Steuerungsmodell: Die Beschränkung der Produktdefinition auf den Verfahrensabschluß und die ordnungsgemäße Verfahrensdurchführung
Zieht man an dieser Stelle ein kurzes Zwischenresümee, so zeigt sich, daß zumindest die Definition längerfristiger Produktziele und ihre Priori sierung sowie die Festlegung aussagekräftiger Indikatoren für Qualitätsziele auf kaum überwindbare methodische Schwierigkeiten stoßen und sie zumindest Gefahr laufen, die richterliche Unabhängigkeit zu verletzen. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, verzichtet man bisher in der Praxis ganz überwiegend auf ein umfassendes Produktverständnis und stellt bei der Produktdefinition lediglich auf den Verfahrensabschluß nach ordnungsgemäßer Verfahrensdurchführung ab 6 6 . Diese rein quantitative Betrachtungsweise, die an Eingänge, Erledigungszahlen und an die Dauer des Verfahrens anknüpft, erfaßt aber lediglich einen Teil der Leistungen der Justiz. Ob die „Kunden" mit der Verfahrensdurchführung zufrieden sind, die Entscheidung den Konflikt bereinigt und ihre Begründung zur Rechtssicherheit oder zur Rechtsfortbildung beiträgt, kommt in ihr nicht zum Ausdruck. Gleichwohl sollen sich die Leistungsvereinbarung, die Mittelvergabe und das Controlling maßgeblich an diesen quantitativen Kriterien orientieren. Damit dieser Ansatz auch nur halbwegs sinnvoll bleibt, muß man letztlich eine durchschnittliche Qualität der Leistungserbringung fingieren und dem Steuerungsmodell implizit zugrunde legen. Die Annahme, Richter und Richterinnen würden unabhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen qualitativ zumindest durchschnittliche Leistungen erbringen, erscheint aber wenig realistisch. Im Gegenteil: Nicht zuletzt von der Ökonomik kön63 K r i t . R. Pitschas,
D e r K a m p f u m A r t . 19 I V G G , Z R P 1998, S. 96 (101).
64 K r i t . J. Grotheer, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 461; Κ F. Röhl, W i r t s c h a f t s u n t e r n e h m e n ( F N 7), S. 225; T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g ( F N 55), S. 382. Weniger r e s t r i k t i v Β. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3453. 65 A b l e h n e n d a u c h J. Grotheer, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 461; G. Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n ( F N 16), S. 311.
Mackenroth,
66 G r u n d l e g e n d M. Eifert, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 7), S. 79 f. Vgl. ferner W. Hoffmann-Riem, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 2 4 0 - 2 4 3 . Zust. z u l e t z t B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3450.
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nen wir lernen, daß Menschen überwiegend danach streben, ihren eigenen Nutzen zu maximieren und Institutionen sich darauf einstellen müssen 67 . Wenn in einem System ausschließlich die gemessene quantitative Leistung belohnt wird, ist es für die handelnden Akteure rational, den quantitativen Output zu steigern und die Qualität eher zu vernachlässigen 68 . Wer diese Konsequenz fürchtet 6 9 , darf entweder auf die qualitative Dimension bei der Produktdefinition nicht verzichten 70 , oder er muß die Belohnung von der quantitativen Leistungsmessung teilweise abkoppeln und eine parallele qualitätsorientierte Anreizstruktur aufbauen 71 . Als Bewertungsgrundlage käme hier in erster Linie die dienstliche Beurteilung in Betracht (deren Aussagekraft freilich ein Kapitel für sich ist). Worin könnten aber budgetunabhängige Leistungsanreize für den Richter, also Anreize, die sich nicht auf die sachliche Ausstattung und den Arbeitsanfall beziehen, bestehen? Beförderungsämter sind in der Justiz bekanntlich absolute Mangelware, über die Besoldungsstufe R2 kommen nur die wenigsten hinaus, und mit 50 Jahren ist es mit der Karriere im allgemeinen vorbei. Die Setzung direkter finanzieller Anreize im Sinne von leistungsbezogenen Zulagen 7 2 scheitert regelmäßig an leeren Haushaltskassen 73 . Durch Übertragung einer selbständigeren, verantwortungsvolleren Tätigkeit sind Richter ebenfalls kaum zusätzlich zu motivieren, da es in dieser Hinsicht am Richterberuf kaum etwas zu verbessern gibt 7 4 . Fehlende qualitätsfordernde Anreize werden schließlich auch nicht durch das Verantwortungsbewußtsein des unab67 H i e r setzt die Neue I n s t i t u t i o n e n ö k o n o m i k an, vgl. etwa die C h a r a k t e r i s i e r u n g des Forschungsprogramms b e i M. Erlei / M. Leschke / D. Sauerland, Neue I n s t i t u t i o n e n ö k o n o m i k , 1999, S. 5 1 - 5 5 . Speziell z u m P r i n z i p a l - A g e n t - A n s a t z R. Richter/ E. Furubotn, Neue I n s t i t u t i o n e n ö k o n o m i k , 2. A u f l . 1999, S. 1 9 7 - 2 8 5 . 68 So auch K. F. Röhl, Werkzeugkasten ( F N 13), S. 441. Vgl. ferner R J. Glauben, Z w i s c h e n E f f e k t i v i t ä t u n d Q u a l i t ä t , D R i Z 1991, S. 260 (261); M . Bertram/B. Daum/ E. von Schliefen / G. Wagner, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 16), S. 65 u. passim: „ D a s , w o n a c h gefragt w i r d , ist relevant; das, w o n a c h n i c h t gefragt w i r d , w i r d u n w i c h t i g . " 69 Vgl. auch M . Eifert, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 7), S. 79: „ D a die W i r k u n g e n die n o r m a t i v e n Folgen der operativen P r o d u k t e (gewissermaßen die , Q u a l i t ä t ' der P r o d u k t e ) darstellen, ist dies [die B e s c h r ä n k u n g des P r o d u k t b e g r i f f s , Α . V.] solange u n p r o b l e matisch, aber auch n u r solange, w i e aus der B e s c h r ä n k u n g der Regelkreise auf die operative Ebene k e i n e relevanten Folgen f ü r die n o r m a t i v e n Z i e l w e r t e z u b e f ü r c h t e n sind, e t w a eine Tendenz z u m (unbeabsichtigten) Q u a l i t ä t s a b b a u . "
™ So e t w a R. Voss, K o s t e n c o n t r o l l i n g ( F N 16), S. 384; J. Grotheer, d e l l ( F N 16), S. 460.
Steuerungsmo-
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So a u c h W: Hoffmann-Riem, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 241. Z u i h r e r V e r e i n b a r k e i t m i t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t B G H Z 36, 372 (379). Vgl. d a z u das Plädoyer v o n «S. Weth, P r ä m i e n f ü r gute Richter, i n : D. S c h m i d t c h e n / S . W e t h (Hrsg.), D e r Effizienz auf der Spur, 1999, S. 220 ff. 72
73 Vgl. aber das Plädoyer v o n U. Maurer, Justiz ( F N 3), S. 69: „Was n i c h t w e i t e r geführt w e r d e n k a n n , ist das bisherige Anreizsystem: Dass die B e l o h n u n g i n b e z a h l ter Freizeit besteht. U b e r d u r c h s c h n i t t l i c h e L e i s t u n g e n müssen ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h i n Geld entlohnt werden." 74 So zutreffend K. F. Röhl, Werkzeugkasten ( F N 13), S. 446.
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hängigen Richters und des übrigen Justizpersonals kompensiert 75 . Zwar appelliert die Politik immer dann gerne an das Amtsethos und die interessante Aufgabe, wenn sie ihren Beamten keine angemessene Alimentierung gewähren kann oder will. Solche in der protestantischen Ethik verwurzelten Selbstbindungskonzepte 76 stehen aber in direktem Widerspruch zur vorher propagierten Funktionslogik des leistungsorientierten Wettbewerbs, wie sie gerade dem NSM zugrunde liegt. Zusätzlich verstärkt wird die Gefahr von Qualitätseinbußen dadurch, daß diese im Rahmen des quantitativ orientierten Controllings nicht aufgedeckt werden können, Behördenführung und Behördenpersonal aber gleichwohl im Bewußtsein stetiger Evaluierung leben. Die Beschränkung der Produktdefinition auf quantitative Aspekte führt insofern schnell zu Wahrnehmungsdefiziten und einer Desensibilisierung für bestimmte Problembereiche, zumal die Politik, sprich der Haushaltsgesetzgeber, für Qualitätsargumente, die nicht durch aggregierte Daten belegt sind, wegen des fehlenden öffentlichen Interesses kaum ein offenes Ohr besitzt - jedenfalls dann nicht, wenn zur quantitativen Dimension des Produkts umfangreiches Zahlenmaterial vorliegt. Nach alledem dürfte sich die Reduktion des NSM mittelfristig eher als kontraproduktiv für das Rechtssystem erweisen. Ist damit das vorzeitige Ende der Reformdebatte erreicht?
I I . Folgerungen 1. Die Gefahr der Verschleierung politischer Ressourcenverteilungsentscheidungen durch Reformrhetorik
Zunächst kann nur davor gewarnt werden, politische Ressourcenverteilungsentscheidungen durch affirmative Ökonomisierungsrhetorik zu verdecken 77 . Der Hinweis auf rationale Steuerungskonzepte weckt schnell die Illusion, mit weniger Input denselben Output produzieren zu können. Eine funktionierende Justiz ist indes - trotz der sicherlich bestehenden Effizienzreserven - nicht zum Billigtarif zu haben; einschneidende Kürzungen der Mittelzuweisung führen mittelfristig unweigerlich zu gravierenden Qualitätseinbußen 78 . Diese Konsequenz mag man angesichts leerer Haushalts75 So aber M. Eifert, ( F N 55), S. 1094.
S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 7), S. 94; H.-J. Papier,
Unabhängigkeit
76 Z u r B i n d u n g des Richters a n ethische G r u n d p r i n z i p i e n als M ö g l i c h k e i t der S e l b s t k o n t r o l l e vgl. A. Voßkuhle, Rechtsschutz ( F N 21), S. 296 f. m. w. Ν . 77 Vgl. Α. Voßkuhle, „ Ö k o n o m i s i e r u n g " des VerwaltungsVerfahrens, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 347 (368). Vgl. a u c h T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g ( F N 55), S. 395, d e m zufolge angesichts fehlender e m p i r i s c h e r U n t e r s u c h u n g e n der Verdacht besteht, daß „ d i e O k o n o m i s i e r u n g s t e n d e n z m e h r v o n ideologischen M o t i v e n als v o n n ü c h t e r n gep r ü f t e n o b j e k t i v e n F a k t e n ausgeht".
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kassen und einer hohen nationalen Justizquote im Vergleich zu anderen europäischen Mitgliedsstaaten 79 hinnehmen, sie sollte aber offengelegt und damit zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung gemacht werden 8 0 . Die Frage lautet dann: Wieviel ist der Gemeinschaft die Justiz im Vergleich zu anderen Kosten verursachenden Staatsaufgaben wert 8 1 ? Bei ihrer Beantwortung sollte man sich u. a. klar machen, daß die Eingangszahlen bei den Gerichten seit 1995 insgesamt gesunken sind und die in den Landeshaushaltsplänen vorgesehenen Ausgaben für den gesamten Gerichtsschutz als einer staatlichen Kernaufgabe und einem maßgeblichen Standortfakt o r 8 2 in Baden-Württemberg und Bayern ζ. B. lediglich ca. 3% des Gesamtvolumens ausmachen 83 . Die Chance auf sehr begrenzte Einsparungseffekte ist insoweit mit der Gefahr nachhaltiger rechtsstaatlicher Funktionsverluste abzuwägen 84 .
2. Abschied vom Neuen Steuerungsmodell als übergreifendem Reformansatz
Wenn in der Literatur bezüglich der auf Quantitätsindikatoren verengten operativen Produktperspektive von einer justizkonformen Anpassung des 78 D e u t l i c h auch das Fazit v o n B. Kramer, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 7), S. 3453: „ F ü r die R i c h t e r bedeutet die Neue S t e u e r u n g steigenden E r l e d i g u n g s d r u c k , f ü r die Justizk u n d e n sinkende R e c h t s p r e c h u n g s q u a l i t ä t . " 79
D a r a u f w e i s t z. B. W. Hoffmann-Riem,
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Ä h n l i c h i n der S t o ß r i c h t u n g der B e i t r a g v o n G. Roellecke,
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 52, h i n . i n diesem B a n d S . 123 ff.
81
A u s v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e r Perspektive vgl. C. Bier, D i e v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n K o s t e n der Justiz, i n : D. S c h m i d t c h e n / S . W e t h (Hrsg.), Effizienz ( F N 72), S. 124 ff. Z u r Perspektive der Parteien i m Z i v i l p r o z e ß vgl. G. Rohleder, Ist die Justiz i h r G e l d wert?, ebd., S. 111 ff. 82 A l l g e m e i n z u r Justiz als S t a n d o r t f a k t o r vgl. e t w a F. Schoser, Justiz als S t a n d o r t faktor, D R i Z 2001, S. 72 ff. Z u r S t a n d o r t g e f ä h r d u n g d u r c h die A r b e i t s g e r i c h t s b a r k e i t vgl. ζ. Β . Κ Hümmerich, Von der V e r a n t w o r t u n g der A r b e i t s r e c h t s p r e c h u n g f ü r die V o l k s w i r t s c h a f t , N Z A 1996, S. 1289 ff. 8 3 I n B a d e n - W ü r t t e m b e r g w a r e n f ü r das Jahr 2001 b e i einem Gesamthaushalt v o n 61.951 M i o . i m H a u s h a l t s p l a n f ü r die Staatsanwaltschaft, die o r d e n t l i c h e G e r i c h t s b a r k e i t , N o t a r i a t e u n d G r u n d b u c h ä m t e r 1.376 M i o . , f ü r die V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t 43.6 M i o . , f ü r die S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t 48.0 M i o . u n d die F i n a n z g e r i c h t s b a r k e i t 10.7 M i o . a n Ausgaben veranschlagt. I n B a y e r n b e t r u g e n die A u s g a b e n f ü r die Justiz i m Jahre 2001 b e i e i n e m G e s a m t h a u s h a l t v o n 66.524,2 M i o . insgesamt 2.937,5 M i o . , w o b e i 1.839.6 M i o . auf die G e r i c h t e u n d S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n entfielen. Vgl. a u c h T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g ( F N 55), S. 377. U. Vultejus, U n t e r s c h i e d l i c h e L e i s t u n g e n der Justizminister, Z R P 1997, S. 433, h ä l t die S p a r d i s k u s s i o n i m Justizbereich geradezu f ü r „gespenstisch". Vgl. ferner H.-B. Schäfer, K e i n G e l d f ü r die Justiz - Was ist uns der Rechtsfriede wert?, D R i Z 1995, S. 461 ff.; H. Geiger, N o c h m a l s - D e r K a m p f u m A r t . 19 I V G G , Z R P 1998, S. 252 (254). Z u t r e f f e n d w e i s t aber C. Bier, K o s t e n ( F N 81), S. 1 2 6 - 1 3 6 , d a r a u f h i n , daß aus w o h l f a h r t s t h e o r e t i s c h e r S i c h t die Ansätze i n d e n j e w e i l i g e n H a u s h a l t s p l ä n e n n i c h t m i t den v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n K o s t e n gleichgesetzt w e r d e n d ü r f e n , die d e u t l i c h höher liegen. 84 U m g e k e h r t G. Hofe, D i e K r i s e der öffentlichen Haushalte: Chance f ü r eine Justizreform!, K J 30 (1997), S. 30ff.
4 Die Verwaltung, Beiheft 5
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Andreas Voßkuhle
NSM gesprochen w i r d 8 5 , macht man es sich zu leicht und verkennt dessen Funktionslogik. Das NSM basiert auf fakultativen und obligatorischen Elementen 86 . Zu seinen obligatorischen Elementen gehört, wie ich darzulegen versucht habe, eine Produktdefinition, die alle relevanten quantitativen und qualitativen Aspekte einer Leistung umfaßt. Wenn eine solche Produktdefinition wie im Falle der Justiz aus methodischen, praktischen und rechtlichen Gründen nicht gelingt, dann führt kein Weg daran vorbei, das NSM als übergreifenden Reformansatz insgesamt zu verabschieden. Das ist keine terminologische Frage 87 , sondern eine der Blickrichtung und der leitenden Zielkoordinaten des Reformprozesses. Als Impulsgeber für Reformüberlegungen war die Konzeption des NSM sicherlich von großer Bedeutung. Ohne ein solch eingängiges und in gewisser Weise dem Zeitgeist entsprechendes Leitbild wäre es sehr viel schwieriger, vielleicht sogar unmöglich gewesen, eine folgenreiche Diskussion über notwendige Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der Justiz zu etablieren 88 . Dieser Umstand sollte aber nicht über seine konzeptionellen Schwächen hinwegtäuschen. Das heißt nicht, daß nicht einzelne Instrumente des NSM weiter begrenzt einsetzbar sind, es bedarf aber einer jeweils sehr genauen Prüfung, ob ihre Funktionsfähigkeit von einer angemessenen Produktdefinition abhängt. Was hingegen ausscheidet, ist die ursprünglich avisierte „strukturelle Wirtschaftlichkeitssteuerung" 89 der Justiz.
3. Reform als Daueraufgabe: Perspektiven
Wer gegen das NSM votiert, gehört nicht notwendig zum Lager der Reformgegner 90 . Die berechtigte K r i t i k in der Literatur an Immunisierungsstrategien innerhalb der Justiz gegenüber Reformen 91 darf insofern nicht zu 85 So statt v i e l e r T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g ( F N 55), S. 383. 86 Z u m V o r b i l d des N P M Ρ Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t ( F N 17), S. 9 0 - 9 5 . 87 Z u r A b w e h r der Fachterminologie i n n e r h a l b der Justiz vgl. W. Hoffmann-Riem, Organisationsreform ( F N 4), S. 271 f. 88 Z u dieser phasenspezifischen B e t r a c h t u n g a m B e i s p i e l v o n r e f o r m o r i e n t i e r t e n S t a a t s b i l d e r n A. Voßkuhle, Dienstleistungsstaat ( F N 10), S. 523. 89 Begriff b e i R. Pitschas, Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t als „ Ö k o n o m i s i e r u n g " des Rechtsstaates? i n : ders. (Hrsg.), D i e Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t , 1999, S. 59 (69). 90 D e u t l i c h auch B. Kramer, S t e u e r u n g s m o d e l l ( F N 2), S. 317: „ D i e gegenwärtigen D a r l e g u n g e n z u m N e u e n S t e u e r u n g s m o d e l l vernebeln die Tatsache, daß die M o d e r n i s i e r u n g der G e r i c h t s v e r w a l t u n g n i c h t u n t r e n n b a r m i t der E i n f ü h r u n g des N e u e n Haushaltswesens v e r b u n d e n ist. M a ß n a h m e n z u r Verbesserung der K o m m u n i k a t i o n , Maßnahmen zur Förderung von Medienarbeit, Kundenorientierung u n d Qualitätsbewußtsein, A u f g a b e n k r i t i k u n d O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g , die E n t w i c k l u n g leistungsfähiger Software - a l l dies k a n n s o w o h l i m A l t e n als auch i m N e u e n Steuer u n g s m o d e l l umgesetzt w e r d e n . " 9
1 Vgl. W. Hoffmann-Riem,
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 4), S. 2 5 2 - 2 6 1 .
Das „Produkt" der Justiz
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einer Immunisierung gegenüber K r i t i k an Reformvorschlägen führen. So macht denn auch die hier formulierte K r i t i k am NSM, die sich im übrigen auf viele Bereiche der Verwaltung übertragen läßt 9 2 , weitere Reformanstrengungen keineswegs entbehrlich. Bei allem derzeitigen Reformeifer 93 sollte indes nicht übersehen werden, daß die interne Rationalisierung der Justiz eine Daueraufgabe und permanente Herausforderung darstellt. Vieles spricht insofern für eine unspektakuläre „Politik der kleinen Schritte" 9 4 . Ich nenne lediglich einige Stichworte: Verbesserung der EDV-Ausstattung, Ablösung der Pensenschlüssel durch moderne Personalberechnungssysteme 95 , Änderung der Richterbesoldung mit dem Ziel einer Stärkung der ersten Instanz, Bildung von Serviceeinheiten aus Geschäftsstellen und Kanzleien 96 , Flexibilisierung des Haushaltsrechts, Ausbau der Möglichkeiten vor- bzw. außergerichtlicher Streitschlichtung 97 , Privatisierung von Hilfsdiensten, wie ζ. B. der Gebäudereinigung, der Registerführung oder der Zustellung. Die interne Rationalisierung der Justiz bliebe jedoch unvollkommen ohne parallele Bemühungen um eine Rationalisierung des Prozeßrechts und des materiellen Rechts 98 . Auf Dauer kann nur eine vernetzte und aufeinander abgestimmte Gesamtstrategie Erfolg haben. Über-
92 D. Budäus / S. Finger; S t a n d u n d Perspektiven der V e r w a l t u n g s r e f o r m i n D e u t s c h l a n d , D i e V e r w a l t u n g 32 (1999), S. 313 (328 f.), unterscheiden i n s o w e i t v i e r Reformphasen: (1) K r i t i k u n d N e u o r i e n t i e r u n g (ab 1989), (2) A b s i c h t s - u n d K o n z e p tionsphase (bis 1995), (3) S t a g n a t i o n u n d E r n ü c h t e r u n g (ab 1996) u n d (4) K o n s o l i d i e r u n g u n d K o n z e n t r a t i o n auf die M a c h b a r k e i t (ab 1999). I n s t r u k t i v a u c h z u m „ A u f stieg u n d F a l l v o n N P M " a m B e i s p i e l des T i l b u r g e r M o d e l l s F. Hendriks/P. Tops, D e r W i n d des Wandels: N e w P u b l i c M a n a g e m e n t i n der n i e d e r l ä n d i s c h e n Gemeindeverw a l t u n g , V e r w A r c h . 92 (2001), S. 560 ff. D i e schleppende U m s e t z u n g der erarbeiteten Reformvorschläge h a t n e b e n v i e l e n anderen U r s a c h e n ( M e n t a l i t ä t u n d M o t i v a t i o n s p r o b l e m e der Beschäftigten u n d Vorgesetzten, N e i g u n g z u symbolischer P o l i t i k , U m s t e l l u n g s p r o b l e m e , r e c h t l i c h e R e s t r i k t i o n e n ) v o r a l l e m auch etwas m i t d e n Grenzen des Modelltransfers z w i s c h e n d e m p r i v a t e n u n d d e m öffentlichen S e k t o r z u t u n , vgl. A. Voßkuhle, Dienstleistungsstaat ( F N 10), S. 5 1 5 - 5 2 2 m. w. Ν . 93 Z u m i n n e n p o l i t i s c h e n „ R e f o r m k l i m a " i n d e n 1990er Jahren vgl. A. Voßkuhle, „Schlüsselbegriffe" der Verwaltungsrechtsreform, V e r w A r c h . 92 (2001), S. 184 ( 1 8 8 190) m. w. N . 94 D i e N o t w e n d i g k e i t b e s t i m m t e r H o c h p h a s e n der Reform s o l l d a m i t indes keineswegs b e s t r i t t e n werden. Sie e r s c h ü t t e r n das System n a c h h a l t i g u n d b e r e i t e n d a d u r c h erst d e n B o d e n f ü r eine p r a g m a t i s c h e P o l i t i k der k l e i n e n S c h r i t t e . 95 Z u m P i l o t p r o j e k t „ P E B B § Y " vgl. die Z w i s c h e n b i l a n z v o n R. Maier-Peveling / R. Tucovic, Personalbedarfsberechnungssystem (PEBB§Y) i n der o r d e n t l i c h e n Ger i c h t s b a r k e i t , D R i Z 2001, S. 15 f.; E. Herrler, „ P E B B § Y " - E i n neuer Geschäftsverteilungsmaßstab, D R i Z 2001, S. 478 f. 9 6 V g l . A. G. Koetz/L. Frühauf, O r g a n i s a t i o n der A m t s g e r i c h t e , 1992, S. 1 0 2 - 1 1 0 . 97 Z u r Justiz als „ K o n k u r r e n t a m D i e n s t l e i s t u n g s m a r k t " w e i t e r f ü h r e n d E.-H. Ritter; Justiz - verspätete G e w a l t i n der Wettbewerbsgesellschaft?, N J W 2001, S. 3440 ff. Z u r außergerichtlichen S t r e i t s c h l i c h t u n g vgl. S. Breidenbach, M e d i a t i o n , 1995, u n d G. Hager, K o n f l i k t u n d Konsens. Ü b e r l e g u n g e n z u S i n n , E r s c h e i n u n g u n d O r d n u n g der a l t e r n a t i v e n S t r e i t s c h l i c h t u n g , 2001. 9 8 So zutreffend R. Pitschas, R e f o r m ( F N 89), S. 66 u. passim. V g l . auch T. Groß, Ö k o n o m i s i e r u n g ( F N 55), S. 3 8 6 - 3 9 5 .
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greifende Reformkonzepte besitzen vor diesem Hintergrund eine hohe Plausibilität und Faszination. Sie reduzieren Komplexität und geben allen Beteiligten in jeder Phase eines Reformprozesses Orientierung. Freilich muß die Richtung stimmen!
I I . Qualitätsmerkmale richterlicher Tätigkeit und ihre Sicherstellung
Qualitätssicherung i m Prozess der Modernisierung der Justiz Von Harald Klein, Kassel
I. Einführung
Veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und der dadurch bewirkte Zwang zur Haushaltskonsolidierung einerseits sowie die gegenwärtige Situation der Justiz, ihre häufig langen Bearbeitungszeiten, ihre vielfach veraltete Organisation und Ausstattung, aber auch ihre oft zu wenig an den Bedürfnissen der Rechtssuchenden, also ihren „Kunden" orientierte Arbeitsweise andererseits schaffen einen hohen Reform- und Anpassungsdruck. Daher wird nach Wegen gesucht, trotz öffentlicher Finanznot die Leistungsfähigkeit der Justiz zu sichern und sie darüber hinaus durch Modernisierungsmaßnahmen zu verbessern 1. Reforminstrument ist das ursprünglich für den Bereich der Kommunalverwaltung entwickelte, später auf die staatliche Verwaltung übertragene Neue Steuerungsmodell 2 . Dessen Kerngedanke ist die Übertragung von bewährten Organisations- und Führungsgrundsätzen modernen Unternehmensmanagements sowie betriebswirtschaftlicher Elemente auf den öffentlichen Sektor einschließlich der Justiz. Bei den in den letzten Jahren im Einzelnen ganz unterschiedlich strukturierten Modernisierungsprojekten der verschiedenen Bundesländer im Bereich der Justiz 3 geht es im Kern um die Implementierung folgender Elemente des Neuen Steuerungsmodells: - Einführung des neuen Haushaltswesens mit Kosten-Leistungs-Rechnung, Budgetierung mit dezentraler Mittelverantwortung und Controlling mit output-orientierter Steuerung, wobei sämtliche Arbeitsergebnisse 1
V g l . Hoffmann-Riem,
M o d e r n i s i e r u n g v o n Recht u n d Justiz, 2001, S. 209 ff.
2
s. h i e r z u etwa Eifert, i n : H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g , 1998, S. 163 ff.; Hoffmann-Riem, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 232 ff. 3 W i e ζ. B. das P r o j e k t „ J u s t i z 2000" i n H a m b u r g ; siehe d a z u Hoffmann-Riem (Hrsg.), R e f o r m ( F N 2), passim, sowie d e n A b s c h l u s s b e r i c h t ü b e r dieses P r o j e k t (Februar 2001), w w w . h a m b u r g . d e / S t a d t P o l / j u s t i z . h t m . Z u r M o d e r n i s i e r u n g der Justiz i n B a d e n - W ü r t t e m b e r g siehe Göll, B D V R - R u n d s c h r e i b e n 2000, S. 148 ff.
Harald Klein
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einer Budgetierungseinheit in Form so genannter Produkte nach Art, Menge und Qualität abgebildet, die hierfür erforderlichen Kosten ermittelt und der Einheit aufgrund einer Leistungsvereinbarung entsprechend dem Output in Form eines Budgets zugeteilt werden; - Schaffung einer modernen Gerichtsorganisation, also Neugestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation, insbesondere durch Bildung von Service-Einheiten mit ganzheitlicher Aufgabenerledigung, unterstützt durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik; - Fortentwicklung vorhandener personalentwickelnder Instrumente zu einem umfassenden Personalmanagement. Wenn auch über das Ziel der Modernisierung weithin Einigkeit bestehen dürfte, nämlich Entwicklung hin zu einem bürgerfreundlichen, kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen „Justiz", das sowohl qualitativ hohen Anforderungen wie dem Gebot effektiven Rechtsschutzes genügt, zugleich aber auch zu effizienter Arbeitsweise und sparsamem Mitteleinsatz verpflichtet ist 4 , gibt es über die Wege dorthin, die einzusetzenden Instrumentarien und die Schwerpunktsetzung indessen deutlich unterschiedliche Auffassungen. Bei einer Analyse der derzeit durchgeführten Modernisierungsprojekte zeigt sich, dass für die teilweise von richterlicher Seite unter dem Stichwort „Ökonomisierung der Justiz" 5 kritisierte, zuallererst an quantitativen Parametern - Geld und Zeit - orientierte betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise im Rahmen der Implementierung des neuen Haushaltswesens Fragen der Qualität justizieller Leistungserbringung eher von peripherer Bedeutung sind. Sollten wirklich bei der Bemessung des Budgets und den Controlling-Parametern ausschließlich betriebswirtschaftliche Effizienzerwägungen maßgebend sein, könnte dies zu einer rein kostenorientierten Verfahrenssteuerung durch die Ministerial Verwaltung führen 6 . Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass derart ausschließlich am Output, Effizienz- und Effektivitätsaspekten sowie Kostengesichtspunkten orientierte Vorgaben dem kraft Verfassungsrechts der Justiz anvertrauten Rechtsschutzauftrag mit dem Ziel der Herstellung von Rechtsfrieden und Gerechtigkeit nicht gerecht werden würden. Deshalb kommt bei der Einführung von Elementen des Neuen Steuerungsmodells im Bereich der Justiz dem Aspekt der Qualitätssicherung entscheidende Bedeutung zu 7 : Wollen Projekte der Moderni4 s. h i e r z u Hoffmann-Riem,
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 216 ff., 222 ff., 228 ff.
5
Beispielsweise b e i Bertram u. a., Das neue S t e u e r u n g s m o d e l l a m V e r w a l t u n g s gericht H a m b u r g , September 1998, passim; Hoffmann-Riem, M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 240 f. sowie d a z u Kramer, N J W 2001, S. 3449 (3450). 6 Beispielsweise w ä r e e i n Personalkostenansatz auf der Basis generellen E i n z e l richtereinsatzes wegen angenommener größerer Effizienz u n t e r der G e l t u n g des fak u l t a t i v e n E i n z e l r i c h t e r p r i n z i p s unzulässig.
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sierung der Justiz wirklich - und zwar inhaltlich - Veränderungen bewirken, sind die Neugestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation, Ausstattung mit moderner IT-Ausstattung, die Einrichtung von Service-Einheiten mit ganzheitlicher Aufgabenerledigung u. a. m. notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für eine möglichst gute Erfüllung des den Richtern anvertrauten Rechtsschutzauftrags. Daher müssen Qualitätsaspekte wie ζ. B. Wirkungsweise und Präsentation justizieller Dienstleistungen, die Interessen und Erwartungen der sie in Anspruch nehmenden Bürger, Mitarbeiterinteressen, -bedürfnisse und -potentiale und inhaltliche Qualitätsstandards in den Blick genommen werden. Die dringend notwendige Qualitätsdiskussion hat in der Justiz bislang allenfalls in Ansätzen stattgefunden 8 . Es besteht gerade im Bereich des Qualitätsmanagements - und damit in zentralen Fragen der Ausgestaltung und Fortentwicklung der überkommenen Justiz zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen - hoher Informations- und Diskussionsbedarf. Dieser wichtigen Zukunftsaufgabe sollten sich gleichermaßen Richter, Vertreter der Justizverwaltung wie auch der Wissenschaft stellen. Deshalb ist es außerordentlich zu begrüßen, dass im Rahmen dieses Symposiums Gelegenheit zum Meinungsaustausch besteht.
I I . Die Qualität justizieller Dienstleistungen 1. Ausgangslage und Problemstellung
Auch vor den aktuellen Reformprojekten zur Einführung des Neuen Haushaltswesens existierten bereits Qualitätsstandards für die richterliche Tätigkeit. Zum Teil leiten sie sich aus verfassungsrechtlichen Vorgaben her, wie der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), Wahrung des Rechtsfriedens, Schaffung von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG). Hierzu gehören auch die grundrechtlichen Verfahrensgarantien wie der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 2 GG), auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG). Im Übrigen basieren sie auf allgemeinen Annahmen in der Gesellschaft und in der Richterschaft darüber, wie eine gleichermaßen qualitativ hohen Anforderungen wie dem Gebot effektiven Rechtsschutzes genügende rechtsprechende Tätigkeit ausgestaltet sein sollte. Diese Qualitätsstandards sind freilich entweder abstrakter rechtlicher oder lediglich informeller Natur. Außerdem werden sie - selbst innerhalb der professionellen Organisation „Justiz" - eher vorausgesetzt als 7 s. Röhl, D R i Z 2000, S. 220 (228): „ Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g gegen e i n b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h verkürztes N S M " .
8 s. Hoffmann-Riem,
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 216, 230 f.
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kritisch thematisiert. Was fehlt, ist eine breit angelegte, institutionalisierte Richterschaft, Richtervertretungen, Gerichtsleitungen, Anwaltschaft und Rechtsuchende einbeziehende Diskussion über die Qualität gerichtlicher Dienstleistungen und die Möglichkeiten ihrer Optimierung mit dem Ziel, ein möglichst professionelles Qualitätsmanagement innerhalb der Justiz zu implementieren. Dieser Aufgabe sollte sich die Richterschaft vermehrt stellen. Konkreter Anlass für die Notwendigkeit einer intensiv zu führenden Qualitätsdiskussion ist die Einführung der Instrumente des Neuen Haushaltswesens. Denn entscheidend neu ist, dass nun nicht mehr - wie unter der Geltung des überkommenen, input-orientierten Haushaltsrechts - der Verfassungsauftrag „effektive Rechtsschutzgewährung" an die Justiz unhinterfragt und letztlich mangels Kostentransparenz unkontrollierbar den Mittelbedarf vorgibt. Die finanzielle Ausstattung der Justiz orientiert sich vielmehr unter der Geltung des Neuen Haushaltswesens am Output, also der Produktmenge pro Zeiteinheit. Die Gefahr bei dieser Betrachtungsweise besteht aus richterlicher Sicht darin, dass vor allem die schnelle und kostengünstige Verfahrenserledigung zum Maßstab gemacht wird. Soll die einseitig auf Quantität ausgerichtete Leistungsbemessung durch das Element der Qualitätssicherung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells korrigiert werden, bedeutet dies Folgendes: Wollen die Gerichte bei den Leistungsvereinbarungen im Rahmen der Budgetverhandlungen nicht nur die Zahl der Verfahrenserledigungen zur Grundlage machen, müssen sie qualitative Sonderleistungen bestimmen und nachvollziehbar bewertbar machen. Dies kann in der Form geschehen, dass sie mittels Qualitätskennzahlen ausgedrückt werden, die dann in die Kosten-Leistungs-Rechnung Eingang finden. Derartige Kennzahlen sollen dazu beitragen, Leistungen beschreibbar und auf diesem Wege den Haushaltsbedarf plausibel und überprüfbar zu machen. Es handelt sich um Maßstabswerte in Form absoluter Zahlen, insbesondere statistischer Daten, die über die Prozess-, Ergebnis- und Wirkungsqualität der Leistungserstellung Auskunft geben und damit die Rahmenbedingungen transparent machen, unter denen die Leistungserstellung stattfindet. Solche Kennzahlen sind beispielsweise Zahl der abgeschlossenen Verfahren, durchschnittliche Bearbeitungsdauer pro Fall, durchschnittliche Bearbeitungszeit in Tagen, Rechtsmittelquote, Vergleichsquote, Zahl der Dienstaufsichtsbeschwerden, Beurteilung der Verständlichkeit von Verfügungen und Entscheidungen durch die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft, Zufriedenheit der Bediensteten mit Arbeitsinhalten und Arbeitsatmosphäre, Anzahl von Hierarchieebenen, Krankheitstage pro Beschäftigter und Jahr. Um angesichts der Ökonomielastigkeit der derzeit laufenden Reformprojekte mit der Gefahr, dass als Folge einer in erster Linie erledigungsbezogenen Budgetbemessung sich eine entsprechend am schnellen Output orien-
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tierte Justizkultur ausbilden könnte, in der die Erledigungsmentalität in ein SpannungsVerhältnis zu Qualitätsstandards geraten könnte 9 , wirksam gegensteuern zu können, bedarf es einer in erster Linie durch die Richterschaft selbst 10 zu führenden fundierten Qualitätsdiskussion 11 und der selbstbewussten Außendarstellung nachprüfbarer Qualitätsfaktoren richterlicher Tätigkeit.
2. Der Qualitätsbegriff
Über Qualität lässt sich sinnvoll nur diskutieren, wenn zum einen Klarheit über den Begriffsinhalt und zum anderen über den Maßstab, d. h. über die zu erreichenden Ziele (Soll-Werte) und über eine Messmethode besteht, den derzeitigen Zustand (Ist-Werte) zu ermitteln. Ferner muss bei Zielkonflikten eine Priorisierung anhand bestimmter Kriterien nachvollziehbar möglich sein. Während nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien die Qualität eines Produktes sich relativ einfach aus den Parametern Zufriedenheit und Anforderungen der Kunden ergibt, ist der Qualitätsbegriff der Justiz wesentlich komplexer 12 . Er ist deshalb differenziert zu bestimmen. Zu unterscheiden ist zwischen der inhaltlichen Qualität, bezogen auf das Ergebnis gerichtlicher Entscheidungen [a], und organisatorischen Qualitätsmerkmalen [b]. a) Inhaltliche Qualitätsmerkmale: Die Ergebnisqualität ist sicherlich das sensibelste Qualitätskriterium, da es den durch die richterliche Unabhängigkeit absolut geschützten Kernbereich spruchrichterlicher Tätigkeit im Sinne materieller Qualität betrifft. Sie bezieht sich auf Kriterien der Richtigkeit, Gerechtigkeit, Herstellung von Rechtsfrieden, Rechtssicherheit und -klarheit, aber auch auf die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen. Im Rahmen der Qualitätsdiskussion in der Justiz handelt es sich hierbei sicherlich um die zentralen Qualitätsmerkmale. Ergebnisqualität auf hohem Niveau sicherzustellen ist das vorrangige Ziel der juristischen Ausbildung, der beruflichen Sozialisation und Fortbildung ebenso wie - bei Kollegial9 B e i s p i e l aus d e m Bereich der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ist die Phase der e x p l o sionsartig ansteigenden A s y l v e r f a h r e n A n f a n g der neunziger Jahre u n d deren E r l e d i g u n g d u r c h h i e r f ü r v i e l f a c h n e u eingestellte, m i t h i n unerfahrene Richter, die z u m T e i l m i t i n f o r m e l l e n E r l e d i g u n g s v o r g a b e n sozialisiert w o r d e n sind.
10 So zutreffend Röhl ( F N 7), S. 220. h Vgl. h i e r z u die D o k u m e n t a t i o n einer v o n der A s J H a m b u r g ausgerichteten Tagung a m 2 9 . / 3 0 . 01. 2000 „ J u s t i z i n der Modernisierungsfalle. Z u r B e d e u t u n g der Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n i m Reformprozess". 12 Vgl. Hoffmann-Riem, nannte Dokumentation.
M o d e r n i s i e r u n g ( F N 1), S. 231, sowie die i n F N 11 ge-
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gerichten - Gegenstand des ständigen Austausches innerhalb des Spruchkörpers als Qualitätszirkel. Im Folgenden werden diese wichtigen Qualitätsaspekte deshalb nicht im Vordergrund stehen, weil es hierüber wohl keine unterschiedlichen Auffassungen gibt. Ebenso wenig soll hier der seit langem intensiv diskutierten Frage nachgegangen werden, wie jeweils das Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat hoher Qualität der Rechtsprechung im Sinne von Gerechtigkeit, Entscheidungsrichtigkeit und Akzeptanz der gerichtlichen Streitschlichtung und dem der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne einer möglichst zeitnahen Entscheidung oder Schlichtung des Rechtsstreits sowie der Effizienz im Sinne eines möglichst optimalen Einsatzes der zur Verfügung stehenden Ressourcen auszutarieren ist 1 3 . Denn bei diesen „klassischen" Fragestellungen gibt es derzeit wenig Innovationspotential. b) Organisatorische Qualitätsmerkmale: Die organisatorischen Qualitätsmerkmale sind es daher, die im Kontext des Symposiumsthemas von besonderem Interesse sind. aa) Die Organisationsqualität meint in erster Linie die Neugestaltung der Aufbau- und Ablauf organisation, orientiert an den Erkenntnissen aktueller Organisationsuntersuchungen. Im Kern geht es dabei darum, die bislang vielfach streng arbeitsteilige Organisation mit zahlreichen zentralen Einrichtungen und räumlicher Trennung (Eingangsregistratur, Geschäftsstelle, Registratur, Schreibdienst, Amtsboten) mit der Folge einer starken Zersplitterung zusammengehöriger Arbeitsvorgänge und nachteiligen Folgen für einen effizienten Arbeitsablauf sowie einer hohen Zahl von Aktentransporten so zu verändern, dass die zentralen Dienstleistungseinrichtungen innerhalb der Gerichte aufgelöst und leistungsfähige, modern ausgestattete Service-Einheiten eingerichtet werden, in denen mit Unterstützung von Informationstechnik die anfallende Arbeit auf Mischarbeitsplätzen erledigt wird. Durch die ganzheitliche Aufgab en Wahrnehmung kann Motivation, Verantwortlichkeit, Selbständigkeit und Kompetenz der Mitarbeiter / innen deutlich erhöht werden. Hierdurch sind in der Praxis erhebliche Rationalisierungsgewinne zu verzeichnen. Durch die neuen Arbeitsstrukturen und -abläufe kann aber auch die Qualität gerichtlicher Produkte erhöht werden, weil die Zusammenarbeit zwischen den richterlichen Spruchkörpern und den zugeordneten Service-Einheiten wesentlich effizienter und qualifizierter vonstatten geht. Darüber hinaus gewinnt die geänderte und qualifiziertere Zusammenarbeit zwischen richterlichem und nichtrichterlichem Personal in einem Gesamtteam an unmittelbarer Bedeutung für die Qualität gerichtlicher Leistungserbringung dort, wo der Gedanke der Richterassistenz in die Praxis umgesetzt wird. 13
Vgl. h i e r z u die Nachweise i n F N 4.
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bb) Bei der Verfahrensqualität geht es um die Art und Weise der Kommunikation der Mitarbeiter des Gerichts mit den Beteiligten, also Verfahrenstransparenz, Verständlichkeit von Verfügungen und gerichtlichen Entscheidungen, Absprache von Terminen, Setzen angemessener Fristen unter Berücksichtigung der Arbeitssituation ζ. B. von Anwälten, aber auch um Fragen der Erreichbarkeit von Service-Einheit und Richter. Diese an den Bedürfnissen der rechtsuchenden Bürger, Behörden und Anwälte, also den „Justizkunden", orientierten Qualitätsaspekte sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Akzeptanz gerichtlicher Verfahren und ihre Ergebnisse. cc) Auch die Aspekte, die man unter dem Begriff der Strukturqualität zusammenfassen kann, sind kundenorientiert. Hierzu gehört ζ. B. eine klar gegliederte, Aufgaben eindeutig zuweisende Aufbau- und Ablauf organisation. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind aber auch die hinreichende Ausschilderung im Gerichtsgebäude, eine angemessene Ausstattung der Sitzungs- und Warteräume, die technische Möglichkeit von telefonischen Ansagen und Aufzeichnungen von Nachrichten außerhalb der Dienst- und Anwesenheitszeiten und kundenfreundliche Dienstzeiten. dd) Schließlich spielt bei den organisatorischen Qualitätsmerkmalen die Potentialqualität eine entscheidende Rolle. Sie betrifft die fachliche Qualifikation, Kreativität und soziale Kompetenz der gerichtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Beginnend mit der Einstellung geeigneten Nachwuchses über permanente Schulungen, Fortbildungsmaßnahmen, Anbieten von Höherqualifizierungsprogrammen bis hin zum auf die Person und deren späteren Einsatz speziell zugeschnittenen Coaching und in geeigneten Fällen Supervisionsangebote. Aber auch regelmäßiger Wechsel des Aufgabengebiets, Abordnungen zur Erweiterung des Blickfeldes, Mitarbeit in Projekten u. a. m. sind wichtige personalentwickelnde Aspekte. 3. Qualitätsmanagement
Um diese komplexen Qualitätsmerkmale, die notwendigerweise Zielkonflikte verursachen, in der gerichtlichen Praxis möglichst optimal wirksam werden zu lassen, bedarf es eines systematischen Qualitätsmanagements 14 . Dabei geht es darum, einen Prozess ständiger Verbesserung justizieller Dienstleistungen einzuleiten, inhaltlich zu gestalten und dauerhaft fortzuführen nach dem Motto: „Wer aufhört, besser zu werden, hört auf, gut zu sein." Ein solches Total Quality Management bedeutet den Versuch der kontinuierlichen Optimierung von Arbeitsstrukturen und -abläufen sowie der 14 s. h i e r z u Hensen, S. 28 ff.
in: Sachverständigenrat „ S c h l a n k e r S t a a t " , 2. A u f l .
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zu erstellenden Produkte. Dazu gehören aber auch Wissens- und Erfahrungstransfers im Rahmen von Qualitätszirkeln von Richtern und Mitarbeitern, Teambesprechungen, Arbeitsgruppen, regelmäßige Gesprächsrunden zwischen Richtern eines Spruchkörpers und Teammitarbeitern zur Verbesserung der gegenseitigen Zusammenarbeit und der Arbeitsabläufe, die auch durch einen externen Supervisor professionell moderiert werden können. Aber auch Verbesserungsvorschlagsaktionen, Befragungen von Mitarbeitern und Kunden hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Qualität des gerichtlichen Service und institutionalisierte Mitarbeiter-Jahresgespräche sind als Instrument zur Informationsgewinnung wichtig.
I I I . Die Modernisierung der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Beitrag zur Qualitätssicherung
Nachfolgend soll versucht werden zu zeigen, dass eine moderne Gerichtsorganisation strukturell ein erhebliches Qualitätspotential aufweist. Dies gilt nicht nur für die gerichtlichen Dienstleistungen insgesamt, sondern durchaus auch für die richterliche Tätigkeit im engeren Sinne. Als ein Beispiel der vielfältigen Modernisierungsanstrengungen in den verschiedenen Gerichtszweigen vieler Bundesländer soll der Modernisierungsprozess der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit dargestellt werden 15 .
1. D e r Untersuchungsgegenstand
Die hessische Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht aus dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof und fünf Verwaltungsgerichten. Bei den Verwaltungsgerichten sind 170 Richterinnen und Richter und 378 Personen im nichtrichterlichen Dienst tätig. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof verfügt über zwölf Senate mit 43 Richterinnen und Richtern sowie 107 nichtrichterlichen Bediensteten. Im Jahre 2001 waren in erster Instanz ca. 18.200 Eingänge und in zweiter Instanz ca. 3.000 Neueingänge zu verzeichnen.
2. Ausgangssituation
Zu Beginn des Projektes „Modernisierung der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit" war die Aufbau- und Ablauf organisation der Gerichte strukturell dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Funktionsbereiche 15 E i n e n k n a p p e n Ü b e r b l i c k ü b e r d e n Modernisierungsansatz der Justiz i n Hessen b e i Landau/Köhler, B D V R - R u n d s c h r e i b e n 2002, S. 36 (39 f.).
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wie Geschäftsstellen, zum Teil sogar noch Registraturen, zentrale Eingangsstelle und zentraler Schreibdienst räumlich und organisatorisch getrennt waren mit der Folge einer streng arbeitsteiligen Organisation, einer entsprechend starken Zersplitterung zusammengehöriger Arbeitsvorgänge mit nachteiligen Folgen für Effizienz und Motivation, einer hohen Zahl von Aktentransporten mit langen Liege- und Transportzeiten, insgesamt also eine Ablauf organisation, die für die Bediensteten wenig Möglichkeiten zur Kommunikation, persönlichen Qualifizierung und Übernahme der Verantwortung für das gemeinsam zu erstellende Produkt bot. Hinzu kam eine unzureichende und nicht zukunftsfähige EDV-Ausstattung mit nur teilweise vernetzten Arbeitsplätzen.
3. Organisationsentwicklung
Ausgehend von den Erkenntnissen zahlreicher Organisationsuntersuchungen in verschiedenen Gerichtsbarkeiten (u. a. Wibera-Gutachten, Arbeitsgruppe der Landesjustiz Verwaltungen „Strukturelle Veränderungen in der Justiz", der Forschungsergebnisse im Rahmen der Strukturanalyse der Rechtspflege, aber auch den Erkenntnissen im Rahmen der Reorganisation von Pilotgerichten) ist ein Organisationsentwicklungsprozess mit dem Ziel eingeleitet worden, auf der Grundlage einer Analyse des Ist-Zustandes (bauliche Situation, Raumressourcen, Personalbestand, Qualifikationsstand, Stellensituation und EDV-Bedarf) unter Auflösung der zentralen Einrichtungen leistungsfähige, zeitgerecht ausgestattete Service-Einheiten mit moderner EDV-Technik auf vernetzten Mischarbeitsplätzen zu schaffen, an denen zusammengehörige Aufgaben ganzheitlich erledigt werden. Die neue organisatorische und personelle Konzeption wurde jeweils in einer Arbeitsgruppe entwickelt, der Vertreter der Gerichtsleitung, der Richterschaft, des nichtrichterlichen Personals, der Personal- und Richtervertretungen und der Geschäftsleitung angehört haben. Die neu geschaffene Leitungsebene der Service-Einheiten, denen jeweils mehrere richterliche Spruchkörper zugeordnet sind, ist besetzt worden mit besonders qualifizierten und erfahrenen Mitarbeitern mit möglichst hoher sozialer und kommunikativer Kompetenz.
4. Flankierende personalentwickelnde Maßnahmen
a) Schulung und Fortbildung: Die grundlegende Umstrukturierung der Aufbau- und Ablauforganisation und die flächendeckende EDV-Ausstattung aller Arbeitsplätze waren indessen nicht alleiniges Ziel, sondern notwendige Voraussetzungen für neue Formen der Zusammenarbeit und zahl-
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reiche personalentwickelnde Maßnahmen. Vorbereitet und begleitet wurde sie von intensiven, alle Mitarbeiter/ innen einbeziehenden Schulungs-, Fortbildungs- und speziellen Qualifizierungsmaßnahmen. Ganz wesentlich ging es ferner um die Einführung neuer Formen der Kommunikation und Zusammenarbeit im Team, und zwar nicht nur innerhalb der jeweiligen Service-Einheit, sondern gerade auch im Gesamt-Team, also zwischen den Richtern / Richterinnen der zugeordneten Spruchkörper und den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen der jeweiligen Service-Einheit. Diese Zusammenarbeit zu fördern und zu intensivieren ist das Ziel zahlreicher Schulungsund Fortbildungsmaßnahmen gewesen, in einer ersten Stufe beschränkt auf die Mitarbeiter / innen der jeweiligen Service-Einheit, später erweitert um die dem Gesamt-Team angehörenden Richter / innen. b) Supervision : Derzeit in der Pilotierungsphase befindet sich ein Projekt „Supervision" bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Bei diesem auf die Zeitdauer eines Jahres angelegten Projekt geht es darum, mit Hilfe eines externen Beraters für Organisations- und Teamentwicklung die kommunikative Kompetenz, aber auch das Konfliktmanagement innerhalb eines Gesamt-Teams, also insbesondere an der Schnittstelle zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Angehörigen eines Gesamt-Teams zu verbessern und dessen Möglichkeiten eines Qualitätszirkels zu nutzen. Der bisherige Verlauf ist positiv. Sollte die Evaluation nach Abschluss des Pilotprojekts dem entsprechen, könnten nach Maßgabe vorhandener Mittel weitere Teams dieses Angebot nutzen. c) Richteras sis tenz: Des Weiteren wurde in der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit im Zuge der Einführung von Service-Einheiten der Versuch unternommen, die nichtrichterlichen Bediensteten neben den ihnen obliegenden klassischen Schreib- und Geschäftsstellentätigkeiten vermehrt zur Unterstützung der Richterinnen und Richter heranzuziehen und sie in weitaus stärkerem Maß als bisher mit Aufgaben zu betrauen, die bis dahin nahezu ausschließlich dem richterlichen Aufgabenkreis zugeordnet waren (so genannte „richterassistierende Tätigkeiten"). Die Einbeziehung nichtrichterlicher Bediensteter nach entsprechender Qualifizierung bei der Erledigung bisher Richterinnen und Richtern vorbehaltenen oder von ihnen lediglich traditionell übernommenen Aufgaben geschieht im Wege einer die richterliche Verantwortung und Unabhängigkeit wahrenden Delegation, setzt also entsprechend intensive Kommunikation, Schulung und auf Vertrauen beruhende Zusammenarbeit voraus. Ziel dieser Richterassistenz ist neben der Entlastung der Richterinnen und Richter von eher formalen und routinemäßigen Verrichtungen bei der Bearbeitung des Dezernats auch eine Bereicherung und Aufwertung der Arbeitsinhalte der Mitarbeiter / innen in den Service-Einheiten und der Bücherei. Es handelt sich bei diesen richterassistierenden Tätigkeiten also im Kern um standardisierte, dauernd oder
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häufig wiederkehrende Arbeiten bei der Verfahrensüberwachung (ζ. B. Überprüfung eingehender Unterlagen auf Vollständigkeit, Überprüfung und Anforderung von Vollmachten, Anschriftenermittlung) und routinemäßig zu erledigende Aufgaben im Zuge der Termins Vorbereitung (ζ. B. Terminabsprachen mit Beteiligten, Dolmetschern und Zeugen). Bezüglich dieser Tätigkeiten ist durch Einstufung als „höherwertige Tätigkeiten" in den Organisations- und Arbeitsanordnungen auch die Grundlage für eine der Wahrnehmung dieser verantwortungsvollen Aufgaben entsprechende tarifrechtliche Einstufung der Bediensteten geschaffen worden. Die bisher bei der Umsetzung gewonnenen praktischen Erfahrungen zeigen, dass Möglichkeiten und Grenzen der Richterassistenz ganz unterschiedlich genutzt werden. Ersichtlich hängt dies von dem jeweiligen richterlichen Arbeitsstil, aber auch von Erfahrungen mit und Fähigkeit zur Delegation sowie der Qualifikation der Mitarbeiter / innen ab. Insgesamt ist die Resonanz positiv. Deshalb zielen die gegenwärtigen Überlegungen auf eine künftige Erweiterung richterassistierender Tätigkeit auf vorbereitende und unterstützende Maßnahmen bei der Rechtsfindung (ζ. B. Durchführung von Recherchen etwa zur Vorbereitung von Asylgrundsatzentscheidungen, Aufbereitung der Spruchkörperrechtsprechung und dergleichen mehr). Richterassistenz als Kooperationsmodell dürfte ein Indikator für die Fortschritte im Bereich Kommunikation und Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Richter / innen und Mitarbeiter / innen im Rahmen eines Teams sein. Es handelt sich um eine zukunftsoffene, spannende Entwicklung, die wegen der richterlichen Unabhängigkeit einerseits und dem Qualifizierungsfortschritt im Bereich der Mitarbeiter / innen andererseits im Wesentlichen autonom zwischen ihnen gestaltet wird.
5. Qualitätszirkel
Um zu gewährleisten, dass ein intensiver Wissens- und Erfahrungstransfer stattfinden kann, vorhandene, wie auch bei Fortbildungsveranstaltungen neu erworbene Kenntnisse weitergegeben und Innovationspotentiale genutzt werden, finden regelmäßig Besprechungen innerhalb der ServiceEinheiten, aber auch auf der Leitungsebene dieser neuen Funktionseinheiten zusammen mit der Geschäftsleitung statt. Ebenso werden Gesamtteambesprechungen durchgeführt, in denen Optimierungsstrategien für die Zusammenarbeit zwischen richterlichem und nichtrichterlichem Personal eines Teams entwickelt werden. Diese Qualitätszirkel dienen der Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit sowie dem Wissenstransfer und werfen nach den bisherigen positiven Erfahrungen einen ganz konkre5 Die Verwaltung, Beiheft 5
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ten Ertrag für die Qualität der gemeinsam zu erstellenden Produkte ab, der eigenständig neben die damit verbundene Effizienzsteigerung tritt.
IV. Schluss
Modernisierung der Justiz ist ein langfristig angelegter Prozess ständiger Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, Arbeitsabläufe und Leistungen. Sie ist - auch und gerade bei knapper werdenden Haushaltsmitteln - notwendig, um die Qualität und Effizienz justizieller Leistungserbringung zu verbessern. Die erforderlichen Veränderungen betreffen nicht nur die Verbesserung der Ausstattung und der Arbeitsbedingungen und -abläufe, sondern sie müssen insbesondere auch im Kopf stattfinden. Es geht um die Vorstellung einer gemeinsamen Verantwortung des gesamten Justizpersonals für die zu erstellenden Produkte und die Entwicklung eines Dienstleistungsverständnisses sowie von Qualitäts-, Kosten- und Effizienzbewusstsein. Entscheidend hierfür ist die Bereitschaft aller, aktiv und kreativ, aber auch kritisch die Reformprozesse zu begleiten.
Fehler in Gerichtsentscheidungen Von Klaus F. Röhl, Bochum
I. Einleitung
Das Bild auf der folgenden Seite zeigt ein Emblem von Achilles Bocchius (1555). Die Inscriptio lautet frei übersetzt: Ein schlechter Richter ist schlimmer als die schlimmste Pest. Der Esel, als Richter angerufen, wer besser singen könne, der Kuckuck oder die Nachtigall, hatte nämlich dem Kuckuck die Siegespalme zuerkannt. Dieses Bild ist hier nicht als K r i t i k an der modernen Justiz gemeint, sondern es soll darauf hinweisen, wie wichtig dem Publikum die Qualität der Justiz ist. Leistungsmessung, die nur auf Quantität ausgerichtet ist, kann verheerende Folgen für die Qualität der Produkte haben. Zum Neuen Steuerungsmodell gehört deshalb eine Qualitätssicherung. 1 Es genügt freilich nicht, sich pauschal auf Gefahren für die Qualität der Rechtsprechung zu berufen. Die Qualitätsstandards können und müssen substanziiert werden. Die Diskussion über Qualitätskontrolle in der Justiz ist nicht mehr neu. 2 Es ist auch schon allerhand geschehen.3 Doch die Bemühungen konzentrieren sich auf die Randbereiche wie die Zugänglichkeit der Gerichtsgebäude, die Offenheit der Kommunikationswege, die Verständlichkeit von Formularen oder 1 So der Tenor meines Vortrags „ J u s t i z als W i r t s c h a f t s u n t e r n e h m e n " f ü r den D e u t schen R i c h t e r t a g i n K a r l s r u h e 1999, D R i Z 2000, S. 220. 2 Röhl, Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e i n der Justiz - E i n e neue E n t w i c k l u n g i n der Justizverw a l t u n g der U S A , D R i Z 1993, S. 301. 3 A m 2 9 . / 3 0 . J a n u a r 2000 f a n d i m A m t s g e r i c h t H a m b u r g e i n v o n etwa 150 Personen besuchtes Wochenendseminar „ J u s t i z i n der Modernisierungsfalle?" statt, das sich eingehend m i t d e n M ö g l i c h k e i t e n der Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e befasste. D e r neue Vorsitzende des D e u t s c h e n R i c h t e r b u n d e s h a t sich v o r d e m A n t r i t t seines A m t e s m i t e i n e m Aufsatz z u r „ Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n i n der J u s t i z " z u Wort gemeldet (Mackenroth, D i e Q u a l i t ä t s d i s k u s s i o n i n der Justiz: A l t e r W e i n i n neuen Schläuchen, D R i Z 2000, S. 301). D e r Deutsche R i c h t e r b u n d h a t eine A r b e i t s g r u p p e „ Q u a l i t ä t i n der Justiz eingesetzt, die i n z w i s c h e n e i n A r b e i t s p a p i e r vorgelegt h a t ( i m I n t e r n e t u n t e r h t t p : / / w w w . d r b . d e / q u a l i t a e t . d o c [4. 4. 2002]; d a z u Kleinknecht, D R i Z 2002, S. 77). L a n d a u f , l a n d a b g i b t es i n d e n G e r i c h t e n i n z w i s c h e n „ B ü r g e r b e f r a g u n g e n " , so i n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n i m M ä r z u n d A p r i l 2001 a n d e n Gerichtszentren Aachen, D ü s seldorf, D u i s b u r g , Essen, K ö l n u n d Siegen (Bericht u n t e r h t t p : / / w w w . j u s t i z . n r w . d e [4. 2. 2002] i m I n t e r n e t ; K u r z b e r i c h t „ G a r n i c h t so schlecht" i n D R i Z 2002, S. 40). Vor a l l e m aber v e r d i e n t das „ B e n c h m a r k i n g " i n der S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t N o r d r h e i n Westfalens A n e r k e n n u n g ; d a z u Brand i n diesem H e f t S. 99 ff.
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die Serviceeinstellung des Personals. Das alles ist nicht gering zu schätzen. Aber das Zentrum, nämlich die inhaltliche Qualität der Produkte, bleibt von der Diskussion immer noch ausgespart. Gleichzeitig werden in der Justiz die Vorkehrungen zur Sicherung der Verfahrens- und Entscheidungsqualität - Rechtsmittel, Kollegialentscheidungen, ausführliche schriftliche Begründungen 4 - laufend abgebaut. Deshalb wird es Zeit, dass die Qualitätsbeobachtung in das Zentrum vordringt, zu den Verfahren und Entscheidungen der Gerichte selbst. Man sollte es nicht einem Verein von Entrechteten 5 überlassen, der Justiz ihre Fehler vorzuhalten. Man darf die Fehler im Zentrum aber auch nicht aussparen, sonst wird das ganze Unternehmen der Qualitätssicherung unglaubwürdig. Die Gerichte sind unabhängig, aber nicht unfehlbar. Da die richterliche Unabhängigkeit eine Qualitätskontrolle im engeren Sinne oder gar eine Fehlerkorrektur verbietet, sind präventive Vorkehrungen umso wichtiger. Sie setzen aber voraus, dass man ein Problembewusstsein entwickelt und die Fehlermöglichkeiten kennt. Solange man nichts Genaueres weiß, besteht die Gefahr, dass Fehlleistungen der Gerichte, wenn sie bekannt werden, von Seiten der Justiz als singuläre Einzelfälle bagatellisiert oder von den Betroffenen und den Medien aufgebauscht und unzulässig verallgemeinert werden. I I . Qualität und Fehler
Im Arbeitspapier des Deutschen Richterbundes „Qualität der Justiz" 6 stehen in der Reihe der Qualitätskriterien an erster Stelle Gehorsam gegenüber Recht und Gesetz und weiter die genaue Kenntnis und sorgfältigste Anwendung des materiellen Rechts unter Beachtung der Verfahrens Ordnungen bei genauer Tatsachenfeststellung. Dennoch muss der Versuch, in das Zentrum der richterlichen Tätigkeit einzudringen, mit dem Einwand rech4 D e r e n B e d e u t u n g betonen Schulte, R e c h t s m i t t e l p r a x i s aus der S i c h t des B e r u f u n g s r i c h t e r s a m L a n d g e r i c h t , in: Gilles / R ö h l / Schuster (Hrsg.), R e c h t s m i t t e l i m Zivilprozeß, 1985, S. 35 (36); Bender; R e c h t s m i t t e l p r a x i s aus der S i c h t des B e r u f u n g s richters a m Oberlandesgericht, ebd. S. 4 1 (44); Weitzel, T a t b e s t a n d u n d E n t s c h e i d u n g s q u a l i t ä t , 1990. 5 G e m e i n t ist der Verein gegen Rechtsmissbrauch e. V., der n a c h eigenen A n g a b e n 1989 v o n Personen gegründet w u r d e , die schlechte E r f a h r u n g e n m i t der Justiz u n d / oder m i t R e c h t s a n w ä l t e n gemacht haben. E r b e t r e i b t eine I n t e r n e t - S e i t e u n t e r der Adresse J u s t i z i r r t u m . d e . Es g i b t n o c h eine Reihe weitere Web-Seiten, die sich k r i t i s c h m i t der Justiz befassen; ζ. B. h t t p : / / g a b n e t . c o m / j u s / l i j u s l . h t m [15. 3. 2002], eine Seite, die sich m i t a n t i f e m i n i s t i s c h e m A k z e n t f ü r M ä n n e r einsetzt; h t t p ://ins t i t u t fuer-hochschulrecht.de [15. 3. 2002] - der N a m e t ä u s c h t darüber, dass es sich u m eine ( z i e m l i c h w i r r e ) p r i v a t e Seite h a n d e l t . D i e Seite http://aerger-ev.de [15. 3. 2002] ist v e r l i n k t m i t einer Seite . A u f die A n f r a g e „ J u s t i z i r r t u m " g i b t die Suchmaschine Google 1290 Treffer aus. W e n n m a n näher h i n s i e h t , ist es j e d o c h n i c h t sehr e i n d r u c k s v o l l , was i m I n t e r n e t a n J u s t i z k r i t i k z u f i n d e n ist.
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nen, dass die inhaltliche Qualität richterlichen Handelns nicht gemessen werden kann, weil dafür keine von Dritten nachprüfbaren Maßstäbe zur Verfügung stehen. Das Fehlen objektivierbarer Qualitätskriterien soll sich aus der Einmaligkeit eines jeden Falles ergeben, die letztlich eine nicht mehr generalisierbare Einzelfallabwägung fordert. Der Einwand hat einen berechtigten Kern. Aber er hat auch Grenzen. Sie zeigen sich sehr schnell, wenn man konkrete Beispiele für Qualitätsmängel im Zentrum richterlicher Tätigkeit anführt: (1) Übersehen einschlägiger Vorschriften: Das Landgericht Dresden übersieht bei einem übergegangenen Anspruch nach § 116 SGB X den § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV und macht deshalb eine überflüssige Vorlage zum Bundesverfassungsgericht. 7 (2) Verwechslung von Rechtsverordnung und Allgemeinen Geschäftsbedingungen: Das OLG Saarbrücken 8 verwechselt die AGB eines Wasserversorgers mit den AVB-WasserV (Rechtsverordnung nach § 27 AGBG; jetzt Art. 243 E GB GB). (3) Falsche Begründung: In einem Urteil zur Direktabrechnung von Abfallgebühren zwischen Mieter und Vermieter übersah das Bundesverwaltungsgericht § 550b BGB. 9 Das Gericht war der Meinung, aus (dem inzwischen aufgehobenen) § 4 Abs. 5 MHG folge nicht, dass Mieter und/oder Vermieter von den Versorgungsträgern die Direktabrechnung mit den Mietern verlangen könne. Die Entscheidung mag im Ergebnis richtig sein, denn immerhin entspricht sie der herrschenden Meinung. Sie enthält aber eine falsche Begründung. Das Gericht meinte, der Vermieter habe kein besonderes Interesse an der Direktabrechnung, denn gegen eine Insolvenz des Mieters könne er sich dadurch absichern, dass er den Mieter zur Sicherheitsleistung veranlasse. Das ist falsch. Für die Berechnung der Mietkaution muß der Vermieter nach § 550 b BGB (jetzt § 551 Abs. 1 BGB) die Nettomiete ohne Nebenkosten zugrunde legen. Für die Nebenkosten kann er nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 MHG (jetzt § 556 Abs. 2 S. 2 BGB) nur „angemessene" Vorauszahlungen fordern. Die angemessene Vorauszahlung beurteilt die Rechtsprechung allein nach dem voraussichtlichen Verbrauch. Sie deckt kein Insolvenzrisiko. (4) Ein obiter dictum contra legem: In einem Urteil vom 27. 11. 1998 erklärt der B G H , 1 0 dem Berufungsgericht sei es nicht verwehrt, sich zur 7 L G Dresden, VersR 1997, S. 242; d a z u Ahrens,
VersR 1997, S. 1064.
β N J W - R R 1994, S. 436; ebenso schon L G Münster, V K U N a c h r i c h t e n d i e n s t 1989, Nr. 496, S. 4. 9 W u M 1997, S. 685. 10 J Z 1999, S. 301, m i t k r i t . A n m e r k u n g v o n Spieckhoff.
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Darstellung der steuerlichen Hechtslage eines Steuerfachmannes zu bedienen, ein Verstoß gegen § 293 ZPO. (5) Gleich drei logische Fehler; eine quaternio terminorum, einen saltus in concludendo und einen Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch hält Schneider 11 dem OLG Nürnberg vor, das in einer atemberaubenden Entscheidung 12 § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO für das Mahnverfahren nicht gelten lassen wollte. (6) Selbstverständliches wird übersehen: Amtsgericht Weilheim und Landgericht München I I hatten zunächst das Armenrecht (jetzt Prozesskostenhilfe) für den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs versagt. Den Antrag, nunmehr das Armenrecht für die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich zu bewilligen, wiesen beide Gerichte mit der Begründung zurück, das Armenrecht sei für den Vergleich bereits rechtskräftig versagt worden und dürfe für die Zwangsvollstreckung nicht gesondert bewilligt werden. Beide Begründungen waren schlicht falsch. 13 (7) Evidente Fehlsubsumtion: Im Vorurteil zu BGH, NJW 1996, S. 53, hatte das OLG Oldenburg dem beaufsichtigten Kind einen Anspruch aus § 832 Abs. 1 BGB gegen den Dritten als Schädiger zugebilligt. (8) Unhaltbare Analogie: Im Vorurteil zu BGH NJW 1988, S. 2109, wendet das OLG Hamburg § 56 HGB entsprechend auf Ankäufe durch Ladenangestellte an. (9) Unbeachtliche Verweisungsbeschlüsse: Das OLG Frankfurt a. M . 1 4 musste nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dass zuständige Gericht bestimmen, nachdem sich zuvor sowohl das AG Frankfurt a. M. als auch das AG Offenbach für unzuständig erklärt hatten. Das AG Offenbach hatte entschieden, ohne der Klägerin rechtliches Gehör zu gewähren; das AG Frankfurt a. M. hatte den Gerichtsort des Erfüllungsstandes nach § 29 Abs. 1 ZPO in Verb, mit § 269 BGB in einer Weise übergangen, für die das OLG ihm „objektive Willkür" bescheinigte. (10) Verletzung einer Vorlagepflicht: Mit gutem Grund hat Jauernig 15 beklagt, dass der II. Zivilsenat des BGH in seiner Grundsatzentscheidung zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft (NJW 2001, 1056) es versäumt hat, das Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG in Gang zu setzen, obwohl er von Entscheidungen des V. und des VII. Zivilsenats abweicht. 11 N J W 1998, S. 356. 12 N J W 1998, S. 388. 13 B V e r f G E 56, 139; d a z u Schultz, 14 N J W 2001, S. 3792. 15 N J W 2001, S. 2231.
M D R 1981, 544 (545 1. Sp.).
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(11) Fehlzitat: Das BVerfG schreibt an zentraler Stelle der MaastrichtEntscheidung 16 Zuleeg eine Äußerung von Oppermann zu. 1 7 Ein weniger prominentes Beispiel liefert das Landgericht Kiel, 1 8 wenn es sich für die Ansicht, das Abweichen von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ersetze nicht analog § 511a Abs. 2 ZPO die fehlende Berufungsbeschwer, auf Stein/ Jonas/ Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 511a Rn. 59 beruft, eine Kommentarstelle, die nicht zu finden ist. 1 9 (12) Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung: Nach der Rechtsprechung des B G H 2 0 entsteht der Anspruch aus § 179 BGB erst, wenn der Vertretene die Genehmigung verweigert; erst dann beginnt auch die Verjährung zu laufen. Das Amtsgericht nahm Verjährung an, weil es den Beginn der Verjährung abweichend vom BGH bereits mit dem Vertragsschluss beginnen ließ. Als einzige Begründung verwies es auf eine nicht einschlägige Komment ars teile. Darin sah das BVerfG 21 Willkür. (13) Unzulängliche Protokollierung: Bei dem Beschluss über die Verhängung von Ordnungshaft gegen zwei Zuhörer im Strafverfahren, der später Anlass zur Anklage wegen Rechtsbeugung gab, hatte der Amtsrichter Schill versäumt, gemäß § 182 GVG die „Veranlassung" zu protokollieren. Aus diesem Grund hob das OLG, nachdem die Akten dort eingegangen waren, den Beschluss binnen Stunden wieder auf. 2 2 Wenn die Jurisprudenz keine Zauberei ist, dann kennt sie Kunstregeln, die sich aufzeigen lassen und die verletzt werden können und aller Wahrscheinlichkeit nach auch laufend verletzt werden. Und deshalb gibt es auch fehlerhafte Gerichtsentscheidungen. Qualität ist ein gradualisierbares Maß. Man kann fast alles besser oder schlechter machen. Mehr oder weniger Qualität ist teils eine Frage des Aufwands, teils aber auch der Fähigkeiten und Anstrengungen des Produzenten. Aus dem Kauf recht ist der Unterschied zwischen Qualität und Fehlern geläufig. Ein einfacher Landwein ist kein Grand Cru, deshalb aber nicht 16 B V e r f G E 89, 155 (210). 17 Zuleeg, J Z 1994, S. 4 b e i Fußnote 36. 18 W u M 1999, 586 (587). !9 Schneidet\ d e m i c h diesen H i n w e i s v e r d a n k e ( M D R 2000, S. 10 [12]), h a t auch g l e i c h n o c h z w e i weitere Fehler i n derselben E n t s c h e i d u n g entdeckt: Das L a n d gericht b e r u f t sich auf eine E n t s c h e i d u n g des B V e r f G aus d e m Jahre 1988, die n i c h t einschlägig sein k a n n , w e i l § 511a Z P O erst 1990 eingeführt w u r d e ; das G e r i c h t m e i n t ferner a m Ende, das A m t s g e r i c h t sei gar n i c h t v o n der Rechtsprechung des B V e r f G abgewichen, so dass alle A u s f ü h r u n g e n z u r Z u l ä s s i g k e i t der B e r u f u n g v o n v o r n h e r e i n verfehlt waren. 20 B G H Z 73, 266. 21 N J W 1995, S. 2911. 22 Bertram, N J W 2001, S. 1108.
Fehler in Gerichtsentscheidungen
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fehlerhaft. So gibt es auch bei den Produkten der Gerichte bessere, schlechtere und fehlerhafte. Bevor es zu einer letztlich unvertretbaren Abwägung kommt, sind bei der Vorbereitung der Entscheidung, bei der Organisation des Verfahrens, bei der Sachaufklärung und bei der Ermittlung der Rechtslage eine ganze Reihe von Kunstregeln anwendbar, deren Einhaltung bis zu einem gewissen Grade nachprüfbar ist und deren Verletzung als Qualitätsmangel in Betracht kommt. Es ist zwar sehr schwierig, wenn nicht ausgeschlossen, positiv die Gerechtigkeitsqualität richterlicher Tätigkeit zu bestimmen. Sehr viel leichter lässt sich aber Übereinstimmung über konkrete Fehler erzielen, die es zu vermeiden gilt. Aus der Beschreibung solcher Fehler kann man dann induktiv zu einer Fehlertypologie und vielleicht auch zu einigen Fehlerursachen vordringen.
I I I . Die Qualitätskontrolle i m Instanzenzug
Der Forderung nach einer Kontrolle auch der Verfahrens- und Entscheidungsqualität wird man weiter entgegenhalten, dafür sei durch die Eröffnung von Rechtsmitteln in geeigneter und ausreichender Weise gesorgt. In der Tat verfügt die Justiz mit dem Instanzenzug über ein unvergleichliches Instrument zur Qualitätssicherung. Es leidet allerdings von vornherein unter zwei prinzipiellen Defiziten. Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln ist laufend eingeschränkt worden, so dass längst nicht alle Entscheidungen von der höheren Instanz geprüft werden können. Immerhin hatten 1999 40% der beim Amtsgericht anhängigen Zivilprozesse einen Streitwert bis 1500 DM. Beinahe ein Viertel der streitigen Urteile erging im vereinfachten Verfahren nach § 495 ZPO, das einen Streitwert bis 1200 D M voraussetzte. Es gibt gewisse Anhaltspunkte dafür, dass manche Amtsrichter 2 3 zu Minimalisten geworden sind. Beinahe wichtiger noch: Die Qualitätssicherung durch Rechtsmittel geht unmittelbar zu Lasten und auf Kosten der betroffenen Beteiligten. Doch auch von diesen Defiziten abgesehen, leistet der Instanzenzug keine ausreichende Fehlerkontrolle. Die Funktion der Rechtsmittel liegt eher in der Verbesserung der Gerechtigkeitsqualität von Verfahren und Entscheidungen als in der Fehlervermeidung. Am Stammtisch sagen Juristen gelegentlich, in der ersten Instanz sei das Urteil richtig, aber die Begründung verkehrt, in der Berufung werde die Begründung richtig, aber der Tenor falsch, und nach der Revision stimme weder das eine noch das andere. Anscheinend gibt es eine „natürliche" Schwankung, wenn verschiedene Juristen den gleichen Fall beurteilen. 23 Schneider l i s t e t einer Reihe v o n Fällen auf, die a u f einen M i s s b r a u c h der F r e i h e i t e n des BagatellVerfahrens n a c h § 495 a Z P O d u r c h die G e r i c h t e h i n d e u t e n ( Z A P Report: Justizspiegel, S. 145 ff.).
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Klaus F. Röhl
Ganz unabhängig von der „Qualität" der erstgerichtlichen Entscheidung ändern die höheren Instanzen einen gewissen Prozentsatz ab. Es gehört sozusagen zur Natur der Sache, dass das Obergericht von Zeit zu Zeit seine bessere Einsicht demonstriert. 24 Ich habe einen OLG-Präsidenten sagen hören, diese „natürliche" Änderungsrate liege bei 20%. Wechselt man vom Stammtisch zur einschlägigen Literatur, so trifft man auf eine alte Diskussion um die Funktion der Rechtsmittel, insbesondere der Berufung, als Verfahrensfortsetzung oder Entscheidungskontrolle. 25 Länger als ein Jahrhundert wurden die Rechtsmittel im allgemeinen und Berufung und Beschwerde im besonderen als bloße Fortsetzung des Verfahrens angesehen, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die richterliche Entscheidung nicht einfach in die Kategorien „richtig" und „falsch" eingeordnet werden kann, sondern mit der Intensität des Verfahrens graduell an Qualität gewinnt. 2 6 Zwar steht rhetorisch der Kontrollaspekt der Rechtsmittel im Vordergrund. In der Sache geht es jedoch in erster Linie um Meinungsverschiedenheiten über das Richtige. Das zeigt sich an dem Fehlerbegriff des Rechtsmittelrechts. Fehlerhaft sind alle Urteile, die an einem prozessualen oder materiellrechtlichen Fehler leiden und deshalb, wenn sie mit einem Rechtsmittel angegriffen werden, kassiert oder abgeändert werden (vgl. §§ 511-541 ZPO, §§ 124-130b VwGO zur Berufung oder § 542566 ZPO, §§ 132-144 VwGO und §§ 333-358 StPO zur Revision). In diesem Sinne reden die Revisionsgerichte von „fehlerhaften" Urteilen der Vorinstanzen, auch wenn es nur darum geht, eine bisher noch ungeklärte Rechtsfrage zu entscheiden. „Fehlerhaft" ist dann, was die Vorinstanz entschieden hat; richtig, was das Obergericht meint. Die Bezeichnung als fehlerhaft zeigt deshalb nicht ohne Weiteres einen Qualitätsmangel an. Neuere Reformen des Rechtsmittelrechts betonen zwar den Kontrollaspekt. Sie ändern aber wenig daran, dass die Beteiligten 27 eine graduelle Qualitätsverbesserung durch einen größeren Verfahrensaufwand im Sinn haben. Die Qualität, die sich mit Hilfe der Rechtsmittelstatistik messen lässt, hat daher unmittelbar mit Fehlern in dem hier gemeinten Sinn wenig zu tun. Sie spiegelt in erster Linie die Akzeptanz und Konfliktfähigkeit der Parteien vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Gerichtsverfahren sich nicht 24 E i n E x t r e m b e i s p i e l ist die H e r a b s e t z u n g des angemessenen Schmerzensgeldes v o n 710 auf 700 D M , v o n der Schneider b e r i c h t e t ( Z A P - R e p o r t : Justizspiegel, S. 54). 25 Leipold, R e c h t s m i t t e l als Verfahrensfortsetzung u n d E n t s c h e i d u n g s k o n t r o l l e , i n : G i l l e s / R ö h l / S c h u s t e r (Hrsg.), R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e ß , 1985, S. 285. 26 Gilles, R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e ß aus j u r i s t i s c h e r Sicht, i n : Schuster (Hrsg.), R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e ß , 1985, S. 11 (13).
Gilles/Röhl/
27 Schulte ( F N 4), S. 37; Lindemann, R e c h t s m i t t e l p r a x i s aus der S i c h t des Rechtsa n w a l t s m i t Singularzulassung, ebd. S. 69 (73); Topf, R e c h t s m i t t e l p r a x i s aus der S i c h t des Rechtsanwalts m i t S i m u l t a n z u l a s s u n g , ebd. S. 75 (75). Seither d ü r f t e n sich die Auffassungen n o c h n i c h t g r u n d l e g e n d geändert haben.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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wie mathematische Aufgaben lösen lassen, sondern dass es an vielen Stellen bei der Handhabung des Verfahrens, bei der Beweiswürdigung und bei der Anwendung des materiellen Rechts Spielräume gibt, deren Ausschöpfung nicht als Fehler gelten kann, sondern in den Kernbereich richterlichen Ermessens fällt. Sie spiegelt aber auch die Dynamik des Prozesses, dessen Gegenstand sich im Verlauf verändert mit der Folge, dass auch die Entscheidung sich ändern kann.
Berufungsquote
Berufungserfolg
12,5 • Berufungen
2,5
• Änderung • Zurückverweisung • Vergleich
Abbildung 1: Berufungsquote und Berufungserfolgsquote bei Entscheidungen des Amtsgerichts i m Jahr 1999
Berufungsquote
Berufungserfolg
59
• Berufungen
18,7
2,5
• Änderung Zurückverweisung • Vergleich
D
Abbildung 2: Beruf ungsquote und Berufungserfolgsquote bei Entscheidungen des Landgerichts i m Jahr 1999
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K l a u s F. R ö h l
D i e A b ä n d e r u n g der erstinstanzlichen E n t s c h e i d u n g d u r c h U r t e i l oder Vergleich bedeutet n i c h t , dass die E n t s c h e i d u n g i n a l l e n Fällen i n i h r Gegenteil verkehrt w u r d e . 2 8 D e n n o c h b l e i b t die Quote der Ä n d e r u n g e n bemerkenswert hoch. Sie sagt jedoch w e n i g über die Q u a l i t ä t der A r b e i t der E r s t gerichte. D i e ü b l i c h e n Fehlerkategorien (falsche A n w e n d u n g des m a t e r i e l l e n Rechts, falsche B e w e i s w ü r d i g u n g , unzureichende Sachaufklärung) sind w e n i g hilfreich, denn sie lassen n i c h t erkennen, ob es sich i m k o n k r e t e n Fall u m Divergenzen i n der E i n s c h ä t z u n g zwischen Erstgericht u n d Berufungsgericht oder u m einen K u n s t f e h l e r handelt. A b e r auch die Z a h l e n über erfolgreich gerügte Verfahrensfehler des Erstgerichts zeigen allenfalls Tendenzen an. I m E i n z e l f a l l k a n n m a n insbesondere h i n s i c h t l i c h A r t u n d U m fang der A u f k l ä r u n g s b e m ü h u n g e n , der Beweiserhebung u n d der Beweisw ü r d i g u n g durchaus unterschiedlicher M e i n u n g sein. Wollte m a n t a t s ä c h l i c h die A n z a h l der eingelegten Rechtsmittel u n d die Abänderungsquote als I n d i k a t o r e n f ü r die Q u a l i t ä t der Justiz verwenden, so wäre das Ergebnis verheerend. I m m e r h i n w u r d e n bisher recht k o n s t a n t i n Zivilsachen über die H ä l f t e aller l a n d g e r i c h t l i c h e n u n d m e h r als ein Viertel aller amtsgerichtlichen Entscheidungen angefochten u n d v o n den angefochtenen etwa ein D r i t t e l geändert u n d ein weiteres F ü n f t e l d u r c h Vergleich abweichend v o m Ausgang i n erster Instanz geregelt. 2 9 F ü r einen D i e n s t leistungsbetrieb wäre eine solche Beschwerdequote schlicht untragbar. I n einem P r o d u k t i o n s - oder Dienstleistungsbetrieb werden R e k l a m a t i o nen der K u n d e n systematisch ausgewertet, u m Fehlerquellen z u beseitigen u n d die K u n d e n z u f r i e d e n h e i t z u erhöhen, d a m i t „Beschwerden" möglichst gar n i c h t erst eingelegt werden. Eine vergleichbare A u s w e r t u n g der eingelegten R e c h t s m i t t e l g i b t es n i c h t . Das liegt i n erster L i n i e v e r m u t l i c h daran, dass Rechtsmittel eben n i c h t als I n s t r u m e n t der Fehlerkontrolle, sondern als eine A r t U p g r a d i n g des n o r m a l e n Produktionsprozesses verstanden werden. Deshalb f ü h l t sich i n der Justiz auch n i e m a n d zuständig oder verp f l i c h t e t , R e c h t s m i t t e l als H i n w e i s auf vermeidbare Fehler auszuwerten. I m P r i n z i p ü b e r n i m m t die Rechtsmittelinstanz selbst die K o r r e k t u r . N i c h t einm a l die Z u r ü c k v e r w e i s u n g i n die Vorinstanz ist als S a n k t i o n gedacht, sondern sie w i r d d a m i t begründet, dass den Parteien keine Instanz genommen werden dürfe. 30 28 A n H a n d der K o s t e n v e r t e i l u n g h a t Rimmelspacher (Funktion u n d Ausgestaltung der B e r u f u n g i m Z i v i l p r o z e ß , 2000, S. 36 ff.) d e n w i r t s c h a f t l i c h e n E r f o l g des Rechtsm i t t e l s z u berechnen versucht. D i e Ergebnisse erscheinen m i r j e d o c h n i c h t aussagekräftig. 29 Schuster, B e m e r k u n g e n z u r E n t w i c k l u n g der Zivilprozesse u n d des Rechtsm i t t e l s der B e r u f u n g auf der G r u n d l a g e des z u g ä n g l i c h e n statistischen M a t e r i a l s , in: G i l l e s / R ö h l / S c h u s t e r (Hrsg.), R e c h t s m i t t e l i m Zivilprozeß, 1985, S. 1 0 7 - 1 1 5 ; ders./ Siebert, Tabellen z u m T h e m a „ R e c h t s m i t t e l s t a t i s t i k " , ebd. S. 3 3 3 - 4 2 0 , 386; etwas neuere Z a h l e n bei Rottleuthner / Böhm / Gasterstädt, Rechtstatsächliche U n t e r s u c h u n g z u m E i n s a t z des E i n z e l r i c h t e r s , 1992, S. 146 ff.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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I n erster L i n i e wäre bei der Fehlerbeobachtung das Gerichtsmanagement gefordert. I m m e r h i n ist es weitgehend ü b l i c h , dass die L a n d g e r i c h t s p r ä sidenten u n d ihre Vertreter einer Berufungs- oder Beschwerdekammer Vorsitzen u n d sich die A k t e n , die aus dem Rechtsmittelverfahren z u r ü c k k o m men, vorlegen lassen. A b e r sie verfügen gar n i c h t über die K a p a z i t ä t , u m Rechtsmittel systematisch als F e h l e r i n d i k a t o r e n zu nutzen. Sie k ö n n e n allenfalls ad personam Fehlerhäufungen feststellen. Weder die juristische L i t e r a t u r z u den Rechtsmittelverfahren noch die b i s l a n g allerdings spärliche Rechtstatsachenforschung 3 1 haben z u einer A r t Fehlerlehre geführt. Es g i b t daher auch keine Vorstellung v o n der Größeno r d n u n g v o n Entscheidungen der Erstgerichte, die m i t vermeidbaren Fehl e r n belastet sind. IV. Abgrenzungen Bevor i c h versuche, die Fehler, v o n denen die Rede sein soll, etwas näher einzukreisen, sind einige A b g r e n z u n g e n angezeigt. Es geht hier n i c h t u m Justizirrtümer, u n d i c h vermeide auch den Begriff des Fehlurteils. A l s J u s t i z i r r t ü m e r bezeichnet m a n g e w ö h n l i c h fehlerhafte
Strafurteile,
die auf falschen Beweisen beruhen u n d wegen des Falles u n d / o d e r der schweren Strafe einiges Aufsehen erregen. D e r Begriff des Fehlurteils w u r de 1928 d u r c h einen Aufsatz des Straf Verteidigers Max Hirschberg
i n den
j u r i s t i s c h e n Sprachgebrauch eingeführt, i n dem er einen Fall angeblichen Kindesmissbrauchs s c h i l d e r t e . 3 2 Von Hirschberg, der zunächst nach I t a l i e n u n d 1939 i n die U S A emigrierte, erschien 1960 „ D a s F e h l u r t e i l i m S t r a f prozeß". Dieses B u c h löste eine D i s k u s s i o n i m Bundestag aus u n d führte z u r A u s w e r t u n g v o n 1.100 A k t e n über Wiederaufnahmeverfahren i n S t r a f sachen d u r c h Karl
Peters.
33
Es g i b t Fehlurteile v o n historischer D i m e n s i o n w i e den Prozess des Sokrates, die V e r u r t e i l u n g Galileis oder den Dreyfus-Prozess. D i e stehen 30 Stein/
Jonas/ Grunsky,
3. A u f l . 1993, § 539 (a. F.) ZPO, Rn. 12.
31
Baumgärtel / Homann, Rechtstatsachen z u r D a u e r des Zivilprozesses (zweite Instanz), 1972; Erhard Blankenburg / Viola Blankenburg /Hellmut Morasch, D e r l a n ge Weg i n die B e r u f u n g , i n : Rolf Bender (Hrsg.), Tatsachenforschung i n der Justiz, 1972; S. 8 1 - 1 0 4 ; Wax /Bender/ Schade, D i e B e r u f u n g s g r ü n d e i n Z i v i l s a c h e n aus der S i c h t der Richter, ebd. S. 5 7 - 8 0 ; G i l l e s / R ö h l / S t r e m p e l (Hrsg.), R e c h t s m i t t e l i m Z i v i l p r o z e ß - u n t e r besonderer B e r ü c k s i c h t i g u n g der B e r u f u n g , 1985; Gilles, Z i v i l j u s t i z u n d R e c h t s m i t t e l p r o b l e m a t i k , 1992; Rottleuthner / Böhm / Gasterstädt, Rechtstatsächliche U n t e r s u c h u n g z u m E i n s a t z des E i n z e l r i c h t e r s , 1992, u n d neuerdings Rimmelspacher, F u n k t i o n u n d A u s g e s t a l t u n g des Berufungsverfahrens i m Z i v i l prozeß, 2000. 32 E i n F e h l u r t e i l auf G r u n d u n w a h r e r Kinderaussagen, M o n a t s s c h r i f t f ü r K r i m i nalpsychologie u n d Strafrechtsreform 19 (1928), S. 670. 33 Fehlerquellen i m Strafprozeß, B d . 1, 1970; B d . 2, 1972.
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K l a u s F. R ö h l
auf einem anderen B l a t t . U n t e r der insoweit m. E. deplatzierten Bezeichn u n g als „ F e h l u r t e i l " behandelt Ulrich
Falk
Entscheidungen, die einen
S t u r m der E n t r ü s t u n g verursacht haben, w e i l sie den politischen, m o r a l i schen oder religiösen Überzeugungen des P u b l i k u m s n i c h t entsprechen, 3 4 ζ. B. das F r a n k f u r t e r B e h i n d e r t e n u r t e i l , 3 5 das S o l d a t e n - U r t e i l des L a n d gerichts F r a n k f u r t a. M . 3 6 sowie den Soldatenbeschluss 3 7 u n d den K r u z i f i x beschluss des Bundesverfassungsgerichts. 3 8 Falk thematisiert dazu das bek a n n t e Phänomen, dass das P u b l i k u m seine Gerechtigkeitsüberzeugungen über die E i n h a l t u n g v o n Verfahrensvorschriften u n d f ö r m l i c h e n Rechtsstaatsgarantien stellt. H i e r passt der Begriff eigentlich n i c h t , oder er muss i n Anführungszeichen gesetzt werden. K e i n e „ F e h l u r t e i l e " s i n d solche, die i h r e r Tendenz n a c h p o p u l ä r e n oder populistischen Forderungen w i d e r sprechen. H i e r ist insbesondere an die zahlreichen Strafentscheidungen zu denken, die dem P u b l i k u m z u m i l d sind, etwa der Verzicht auf U n t e r suchungshaft b e i durchaus handfesten Straftaten. Diese Fälle k a n n m a n n a t ü r l i c h n i c h t als Justizfehler einordnen; i m Gegenteil. Es ist die Aufgabe der Richter, gerade auch u n p o p u l ä r e U r t e i l e zu sprechen, w e n n sie denn rechtens sind. Sehr h ä u f i g b e r u h t die öffentliche K r i t i k auf mangelnder Tiefeninformation.
Oft geht es auch u m einen schwierigen Balanceakt
zwischen einer relativ a b s t r a k t e n öffentlichen M e i n u n g u n d dem k o n k r e t e n sehr i n d i v i d u e l l e n Fall. Diese R e a k t i o n des P u b l i k u m s lässt sich n i c h t ohne weiteres ändern. D i e Justiz muss sich darauf einstellen, dass i n Fällen, an denen die öffentliche M e i n u n g ein Interesse n i m m t , schon r e l a t i v kleine Fehlgriffe des Gerichts, w i e sie sonst u n b e m e r k t b l e i b e n oder jedenfalls keine besondere R e a k t i o n n a c h sich ziehen, v i e l Aufsehen erregen.
V. Fehlermaßstäbe 1. Willkürentscheidungen und „greifbare Gesetzeswidrigkeit"
B e i der Suche n a c h einem Fehlermaßstab ist zunächst an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts z u den so genannten W i l l k ü r e n t s c h e i d u n g e n 3 9 z u denken. N a c h Erschöpfung des Rechtswegs k a n n m i t der 34 Das F e h l u r t e i l i n der deutschen Ö f f e n t l i c h k e i t , in: G o u r o n u. a. (Hrsg.), E r r o r Judicis, 1998, S. 103. 35 N J W 1980, S. 1965; d a z u Castendyk, Rechtliche B e g r ü n d u n g e n i n der Öffentl i c h k e i t , 1994, S. 15 ff.
36 L G F r a n k f u r t a. M . , N J W 1988, S. 2683; d a z u Klaus, D e r strafrechtliche E h r e n schutz der Bundeswehr, N J W 1988, S. 2650; Castendyk ( F N 35), S. 260 ff. 37 B V e r f G E 93, 266. 38 B V e r f G E 93, 1. 39 B V e r f G E 3, 359 (364); 4, 1 (7); 62, 189 (192); 80, 48 (51); 86, 59 (62 f.); 83, 82 (84); 87, 273 (278 f.); 89, 1 (13); B V e r f G N J W 1999, S. 1387; z u l e t z t N J W 2000, S. 2494.
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Fehler i n Gerichtsentscheidungen
Urteilsverfassungsbeschwerde n a c h A r t . 93 Abs. 1 Nr. 4a G G die Verletzung eines der allgemeinen oder eines der Justizgrundrechte nach A r t . 101, 103 u n d 104 G G d u r c h die Gerichte gerügt werden. Das Bundesverfassungsgericht n i m m t einen Verstoß gegen A r t . 3 Abs. 1 G G i n seiner A u s p r ä g u n g als W i l l k ü r v e r b o t an, w e n n ein R i c h t e r s p r u c h „ u n t e r k e i n e m rechtlichen A s p e k t vertretbar ist u n d sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden E r w ä g u n g e n b e r u h t . " 4 0 D i e W i l l k ü r soll „ a n h a n d o b j e k t i v e r K r i t e r i e n " festgestellt werden; schuldhaftes, d e m Richter s u b j e k t i v vorwerfbares Verhalten w i r d n i c h t vorausgesetzt. A l l e i n die fehlerhafte Ausleg u n g eines Gesetzes u n d auch ein fehlerhaftes Verfahren als solches machen eine Gerichtsentscheidung n o c h n i c h t w i l l k ü r l i c h . 4 1 W i l l k ü r liegt v i e l m e h r erst vor, w e n n die Rechtslage i n krasser Weise v e r k a n n t w i r d . D a v o n k a n n jedoch n i c h t gesprochen werden, w e n n das Gericht sich m i t der Rechtslage eingehend auseinander setzt u n d seine Auffassung n i c h t jeden sachlichen Grundes e n t b e h r t . 4 2 W i l l k ü r ist v i e l m e h r z u verstehen als Maßnahme, die i m Verhältnis z u der S i t u a t i o n , der sie H e r r w e r d e n w i l l , t a t s ä c h l i c h u n d e i n d e u t i g unangemessen i s t . 4 3 Diese W i l l k ü r r e c h t s p r e c h u n g
liefert
einige eklatante
Fehlerbeispiele,
aber keinen b r a u c h b a r e n Fehlerbegriff. D i e Fehlergrenze liegt teils z u hoch, teils ist sie z u unscharf. E v i d e n t s i n d vor a l l e m die Fehler, die - i n der D i k t i o n des Bundesverfassungsgerichts - „ b e i der A n w e n d u n g des einfachen Rechts" unterlaufen. D a b e i geht es vor a l l e m u m Fehler b e i der H a n d h a b u n g des Verfahrens u n d b e i der B e w e i s w ü r d i g u n g . D i e Gerichte h ä t t e n sie v e r m u t l i c h selbst k o r r i g i e r t , w ä r e n sie b e m e r k t worden. „ E s h a n d e l t sich n i c h t u m Ergebnisse bewusst d i s k r i m i n i e r e n d e r Entscheidungen, sondern u m schlichte Missgriffe, grobe Schnitzer, j a ,dumme' F e h l e r . " 4 4 (14) Erfolgreich w a r die Verfassungsbeschwerde gegen ein U r t e i l des A G Schwabach aus d e m Jahre 1980, m i t der gerügt w u r d e , das G e r i c h t habe auf die H o n o r a r k l a g e eines Zahnarztes zunächst i n einem Beweisbeschluss dem B e k l a g t e n die Z a h l u n g eines Auslagenvorschusses aufgegeben, d a n n aber i m U r t e i l die K l a g e abgewiesen, da der K l ä g e r n i c h t bewiesen habe, dass er eine ordnungsgemäße L e i s t u n g erbracht h a b e . 4 5 (15) K a u m weniger krass l a g es b e i einem Kostenbeschluss des A G M ü n c h e n aus dem Jahre 1982, den i m m e r h i n das L G M ü n c h e n I bestätigt hatte. 40 B V e r f G E 4, 1 (7); 62, 189 (192); 80, 48 (51); 86, 59 (62 f.); 83, 82 (84); 87, 273 (278 f.); 89, 1 (13); B V e r f G N J W 1999, 1387 (1389). 41 B V e r f G E 4, 1 (7). 42 B V e r f G E 87, 273 (278 f.); 89, 1 (13 f.); B V e r f G N J W 1999, 1387 (1389); N J W 2000, 2494. 43 B V e r f G E 80, 48 (51); 83, 82 (84); 86, 59 (62 f.). 44 Weiß, O b j e k t i v e W i l l k ü r , 2000, S. 80. 45 B V e r f G E 58, 163.
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K l a u s F. R ö h l
I n einem Priva tklageverfahren hatte m a n sich geeinigt, dass v o n den Gerichtskosten u n d den n o t w e n d i g e n Auslagen der Parteien die K l ä g e r i n ein D r i t t e l u n d die Beklagte z w e i D r i t t e l tragen sollten. D i e K l ä g e r i n machte 641,27 D M an Kosten geltend, die B e k l a g t e n 598,90 D M . F ü r die Kostenausgleichung addierte der Rechtspfleger diese Beträge u n d setzte z w e i D r i t t e l der Summe - das s i n d 711,90 D M - als den Betrag fest, den die B e k l a g t e n erstatten sollten. D a m i t erhielt die K l ä g e r i n m e h r als ihre Kosten u n d Auslagen. A u c h hier hatte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, denn es ist ein selbstverständlicher Grundsatz des Kostenrechts, dass die Parteien an den Kosten n i c h t verdienen s o l l e n . 4 6 (16) D e r A m t s r i c h t e r i n E t t l i n g e n hatte 1980 einer K l a g e auf Z a h l u n g v o n W e r k l o h n stattgegeben u n d aus u n e r f i n d l i c h e n G r ü n d e n die detaillierten Mängelrügen des Beklagten einfach ü b e r g a n g e n . 4 7 (17) Das L a n d g e r i c h t Konstanz w a r der M e i n u n g , der Räumungsprozess gegen den M i e t e r dürfe erst beginnen, w e n n auf die V e r u r t e i l u n g i m Forderungsprozess h i n n i c h t gezahlt werde. Das Bundesverfassungsgericht h a t klargestellt, dass diese Auffassung dem k l a r e n Regelungssystem des Gesetzes w i d e r s p r i c h t u n d d a m i t jeder G r u n d l a g e entbehrt.48 (18) I n einem Beschluss v o m 29. 4. 1998 bescheinigte das Bundesverfassungsgericht dem L a n d g e r i c h t M ü n c h e n I I , es habe gegen die f u n d a mentale Regel verstoßen, dass Falschbezeichnungen auch b e i einer f o r m b e d ü r f t i g e n E r k l ä r u n g u n s c h ä d l i c h seien. 4 9 (19) I n U r t e i l e n des Amtsgerichts F r a n k f u r t - H ö c h s t u n d des L a n d g e r i c h t s F r a n k f u r t a. M . w a r e n Feststellungen über Grenzabstand u n d Höhe einer Hecke w i d e r s p r ü c h l i c h . 5 0 (20) Das Oberlandesgericht hatte eine Revision als offensichtlich u n b e g r ü n det verworfen, ohne dass ein Verwerfungsantrag der S t a a t s a n w a l t schaft n a c h § 349 Abs. 2 StPO v o r l a g . 5 1 (21) Eine „namens des K l ä g e r s " eingereichte, zunächst aber n i c h t näher begründete B e r u f u n g w u r d e v o m L G M a r b u r g als unzulässig verworfen, da sie n i c h t erkennen lasse, v o n welcher Partei sie eingelegt w o r d e n
46 B V e r f G E 62, 189. 47 B V e r f G E 57, 39, besprochen v o n Kroner, M D R 1981, S. 544 (546). 48 B V e r f G E 80, 48 (51 f.).
JuS 1984, S. 601, u n d v o n
49 W u M 1998, S. 399 = Z M R 1998, S. 549 = N Z M 1998, S. 757. so B V e r f G E 70, 93. si B V e r f G E 59, 98. 52 B V e r f G E 71, 202.
Schultz,
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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(22) Streiten k a n n m a n i m m e r h i n über eine Entscheidung, m i t der ein A m t s g e r i c h t s u r t e i l als w i l l k ü r l i c h aufgehoben w u r d e , w e i l es eine aufrechenbare Gegenforderung aus positiver Vertragsverletzung
gegen
einen Rechtsanwalt verneint hatte, der sein A n w a l t s h o n o r a r einklagte. D e r arbeitslose Beklagte hatte sich an den Rechtsanwalt gewandt m i t dem
Auftrag,
hinsichtlich
eines
Unterhaltsrückstandes
von
fast
11.000 D M eine Ratenzahlungsvereinbarung z u treffen. E r w a r f dem A n w a l t vor, er habe i h n n i c h t auf die M ö g l i c h k e i t v o n Beratungshilfe hingewiesen. Das A m t s g e r i c h t hatte gemeint, f ü r den B e k l a g t e n habe es andere M ö g l i c h k e i t e n z u r Rechtswahrnehmung gegeben u n d die H e r a n z i e h u n g eines Rechtsanwalts sei auch m u t w i l l i g gewesen. 0 3 Was sich b e i „ A u s l e g u n g des einfachen Rechts" aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts als „krasse Fehlentscheidung" darstellt, liegt keineswegs i m m e r so krass. Das g i l t gleich f ü r den ersten einschlägigen Beschluss, m i t dem das Gericht eine E n t s c h e i d u n g verwarf, die der bis d a h i n herrschenden M e i n u n g u n d ständigen Rechtsprechung folgte, i n d e m sie die B e i o r d n u n g eines A r m e n a n w a l t s i m Klageerzwingungsverfahren abl e h n t e , 5 4 u n d das g i l t erst recht f ü r die w i c h t i g e E n t s c h e i d u n g z u m Zuschlag i n der Zwangsversteigerung w e i t u n t e r h a l b des Verkehrswertes, bei der es sogar ein Sondervotum gab. Diese u n d andere Entscheidungen werden i n der L i t e r a t u r a u s f ü h r l i c h e r ö r t e r t . 5 5 Schließlich f ä l l t eine H ä u f u n g v o n Fällen i m Bereich v o n U n t e r h a l t s s t r e i t i g k e i t e n u n d E i g e n b e d a r f s k ü n d i gungen auf. Das scheint m i r dafür zu sprechen, dass viele „ W i l l k ü r f ä l l e " doch n i c h t so e i n d e u t i g als Fehler der Fachgerichte eingeordnet w e r d e n können. A u c h die „greifbare Gesetzeswidrigkeit" ist als Fehlermaßstab zu grob. G e r i c h t l i c h e Entscheidungen, die an sich m i t R e c h t s m i t t e l n n i c h t anfechtbar wären, k ö n n e n wegen „greifbarer Gesetzes W i d r i g k e i t " m i t außerordentl i c h e n R e c h t s m i t t e l n angegriffen w e r d e n oder u n b e a c h t l i c h s e i n . 5 6 Außerordentliche Rechtsmittel gewährt die Rechtsprechung z u r Vermeidung einer offensichtlich begründeten Verfassungsbeschwerde. Deshalb entsprechen die Voraussetzungen der „greifbaren Gesetzeswidrigkeit" weitgehend denjenigen der „ o b j e k t i v e n W i l l k ü r " . Sie sind n u r i n Fällen krassen Unrechts 53 B V e r f G N J W 2000, S. 2494. 54 B V e r f G E 2, 336. 55 So der grundlegende Beschluss B V e r f G E 42, 64 (Zuschlag i n der Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g z u e i n e m B r u c h t e i l des Verkehrs wertes) m i t S o n d e r v o t u m v o n Geiger (S. 79). 56 Β G H Z 28, 349, 350 (für den F a l l einer „ d u r c h § 276 Z P O schlechterdings n i c h t m e h r gedeckten V e r w e i s u n g " - n o c h ohne V e r w e n d u n g der Begriffe „greifbare Gesetz e s w i d r i g k e i t " u n d „außerordentliches R e c h t s m i t t e l " ) ; Β G H Z 109, 41 (43); 119, 372 (374); 121, 397 (398); B G H N J W 1989, S. 2625; N J W 1990, S. 1794; N J W 1992, S. 983 (984); N J W 1993, S. 135; N J W 1994, S. 2363 (2364); N J W 1996, S. 466 (467); N J W 1999, S.1404. 6 Die Verwaltung, Beiheft 5
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K l a u s F. R ö h l
e r f ü l l t , w e n n die angegriffene E n t s c h e i d u n g jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, i n h a l t l i c h dem Gesetz f r e m d u n d m i t der Rechtsordnung schlechth i n unvereinbar ist. Eine „greifbare Gesetzeswidrigkeit", die ausnahmsweise die Zulassung eines i m Gesetz a u s d r ü c k l i c h ausgeschlossenen außerord e n t l i c h e n Rechtsmittels rechtfertigen könnte, liegt n i c h t schon d a n n vor, w e n n die angegriffene B e u r t e i l u n g z w a r aus dem B l i c k w i n k e l einer herrschend gewordenen M e i n u n g schlechthin u n v e r t r e t b a r erscheint, diese M e i n u n g ihrerseits jedoch n o c h n i c h t u n u m s t r i t t e n ist u n d einzelne namhafte A u t o r e n Auffassungen vertreten haben, die die gerichtliche B e u r t e i l u n g zu stützen geeignet s i n d . 5 7 H i e r f ü r reicht ein Verstoß gegen die Grundsätze über das Gebot des r e c h t l i c h e n Gehörs regelmäßig n i c h t a u s . 5 8 A u c h die Nichtbeachtung
wesentlicher
Verfahrensvorschriften
rechtfertigt
allein
n o c h n i c h t die außerordentliche A n f e c h t u n g . 5 9 Diese M ö g l i c h k e i t soll „ a u f w i r k l i c h e Ausnahmefälle beschränkt b l e i b e n . " 6 0 D i e meisten Versuche z u r G e l t e n d m a c h u n g außerordentlicher Rechtsbehelfe bleiben ohne Erfolg. Vor a l l e m K o n k u r s v e r w a l t e r haben, i n der Regel vergeblich, versucht, m i t der außerordentlichen Beschwerde die Versagung der Prozesskostenhilfe n a c h § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO zu b e k ä m p f e n . 6 1 D i e w e n i gen Gegenbeispiele s i n d n i c h t sehr eindrucksvoll. Gelegentlich f ü h r t „ g r e i f bare Gesetzes Widrigkeit" zu u n b e a c h t l i c h e n Verweisungsbeschlüssen.
2. Methodenlehre
D i e Rechtswissenschaft ist bei der Suche nach einem Fehlermaßstab k e i n guter Bundesgenosse. Z w a r w e r d e n i m m e r w i e d e r einzelne Entscheidungen h e f t i g k r i t i s i e r t . Es g i b t indessen außer einem Versuch v o n Hattenhauer 62 keine Ansätze zu einer systematischen U r t e i l s k r i t i k . Wenn m a n die j u r i s t i sche Methodenlehre zu Rate zieht, so findet m a n auch dort keine b r a u c h baren G ü t e k r i t e r i e n . Ja, m a n g e w i n n t den E i n d r u c k , dass die F o r m u l i e r u n g solcher K r i t e r i e n gar n i c h t das Z i e l der j u r i s t i s c h e n Methode s e i . 6 3 D i e
57 B G H N J W 1994, S. 2363 (2364). 58 Β G H Z 43, 12; B a y O b L G N J W 1988, S. 72; anders O L G S c h l e s w i g N J W 1988, S. 67 u n d S. 69. 59 B G H VersR 1975, S. 343 (344). 60 B G H N J W 1988, S. 49 (51). 61 Ζ. B. B G H N J W 1998, S. 1715; N J W 1999, S. 1404. E r f o l g r e i c h aber i n B G H Z 119, 372 (374) m i t Besprechung v o n Chlosta, N J W 1993, S. 2160, der g e l t e n d m a c h t , es habe gar keine „ g r e i f b a r e G e s e t z e s w i d r i g k e i t " vorgelegen, u n d A n m e r k u n g v o n Gottwald /Semmelmayer (JZ 1993, S. 413), die u. a. d a r a u f h i n w e i s e n , es sei kein. A n lass z u r Z u l a s s u n g der außerordentlichen (weiteren) Beschwerde v o r h a n d e n gewesen, da mangels R e c h t s k r a f t der E n t s c h e i d u n g des O L G der K o n k u r s v e r w a l t e r d e n A n t r a g auf B e w i l l i g u n g v o n Prozesskostenhilfe n e u h ä t t e stellen k ö n n e n . 62
Hattenhauer;
K r i t i k des Z i v i l u r t e i l s , 1970.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
83
Methodenlehre t r ä g t einen N i h i l i s m u s zur Schau, der sie d a r a n h i n d e r t , Fehler b e i m N a m e n z u nennen. I h r e v i e l f ä l t i g e n theoretischen B e m ü h u n g e n b l e i b e n i n der Praxis schlicht irrelevant. Vielleicht hatte aber auch Esser Recht, w e n n er meinte, die juristische Methode diene eher der nachträgl i c h e n Rechtfertigung vorgefasster M e i n u n g e n als i h r e r o r i g i n ä r e n B e g r ü n dung.64 F ü r die M e t h o d e n w a h l - insoweit ist Esser n i c h t ü b e r h o l t - g i b t es t r o t z ausgedehnter Diskussion nach w i e v o r keine k l a r e n Kunstregeln. I n den meisten Fällen k o m m t es gar n i c h t so w e i t , dass die Gerichte bewusst oder gar e x p l i z i t eine der a n e r k a n n t e n M e t h o d e n wählen. I n der Regel w e r d e n eines oder wenige A r g u m e n t e angeführt. D i e W a h l einer b e s t i m m t e n M e t h o de ist n i c h t erkennbar. D e r „ F e h l e r " läge also schon i n fehlendem M e t h o denbewusstsein. D o c h auch insoweit ist es schwer, w e n n n i c h t ausgeschlossen, K u n s t f e h l e r i n dem hier gemeinten S i n n aufzudecken. Fehler zeigen sich a m deutlichsten i n dem b r e i t e n u n d w i c h t i g e n Bereich eher h a n d w e r k licher juristischer A r b e i t s t e c h n i k e n u n t e r h a l b der j u r i s t i s c h e n Methode.
3. Die Schmitt'sche Formel
F ü r die R i c h t i g k e i t eines U r t e i l s g i b t es eine b e r ü h m t e Formel von Carl Schmitt:
„ E i n e r i c h t e r l i c h e E n t s c h e i d u n g ist heute d a n n r i c h t i g , w e n n an-
zunehmen ist, daß e i n anderer Richter ebenso entschieden hätte. ,Ein anderer Richter' bedeutet h i e r den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten J u r i s t e n . " 6 5 E i n U r t e i l ist aber n i c h t schon d a n n mangelhaft, w e n n es diesen Maßstab verfehlt. I n A n l e h n u n g an die Schmitt'sche Formel k a n n m a n aber v i e l l e i c h t sagen, ein U r t e i l sei mangelhaft, w e n n andere Richter eine E n t s c h e i d u n g f ü r schlechthin unvertretbar halten. Das ist ein empirischer Maßstab, der w i e d e r u m n i c h t einfach einzulösen ist. A l s Ersatz müssen v o r l ä u f i g möglichst evidente Fehlerbeispiele dienen.
4. Die Goldene Regel
I m Gegensatz zu allen anderen Dienstleistern haften die Gerichte n i c h t f ü r i h r e Fehler. „ M i t Rücksicht auf das auch b e i R i c h t e r n n u r u n v o l l k o m mene menschliche E r k e n n t n i s v e r m ö g e n u n d die niemals auszuschließende M ö g l i c h k e i t eines I r r t u m s ist es P f l i c h t des Rechtsanwalts, n a c h K r ä f t e n 63 / Böhm / Gasterstädt, Rottleuthner satz des E i n z e l r i c h t e r s , 1992, S. 116 f. 64
Rechtstatsächliche U n t e r s u c h u n g z u m E i n -
Esser, Vorverständnis u n d M e t h o d e n w ä h l i n der Rechtsfindung, 2. A u f l . 1970. 65 Gesetz u n d U r t e i l , 1912, S. 71. 6*
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K l a u s F. R ö h l
dem A u f k o m m e n v o n I r r t ü m e r n u n d Versehen des Gerichts entgegenzuwirken."66 N a c h ständiger Rechtsprechung ist es Aufgabe der Rechtsanwälte, die Gerichte auf ihre Fehler aufmerksam z u machen; andernfalls haben sie f ü r den i h r e n M a n d a n t e n entstehenden Schaden einzutreten. „ N u r die A n w a l t s h a f t u n g f u n k t i o n i e r t . " 6 7 A b e r eine H a f t u n g der A n w ä l t e bietet keine L ö s u n g f ü r Fehler des Gerichts. I n erster L i n i e muss es d a r u m gehen, die Fehler an der Quelle abzustellen. D i e A n w a l t s c h a f t z i t i e r t gerne eine Form u l i e r u n g v o n Rinsche:
„ D e r pflichtgemäß arbeitende Rechtsanwalt i m
Sinne der Rechtsprechung muß - überspitzt f o r m u l i e r t - danach ein j u r i s t i scher S u p e r m a n n sein, der über ein computerhaftes Gedächtnis, ein hervorragendes Judiz sowie über höchste Intelligenz u n d Energie v e r f ü g t . " 6 8 Ob die A n f o r d e r u n g e n an die Sorgfaltspflichten des A n w a l t s v o n der Rechtsprechung tatsächlich ü b e r t r i e b e n werden, ist u m s t r i t t e n 6 9 u n d mag hier dahinstehen. N a c h der Goldenen Regel d ü r f t e n die Gerichte an sich selbst keine geringeren A n f o r d e r u n g e n stellen als an Rechtsanwälte, Staatsa n w ä l t e 7 0 oder andere Amtsträger, die j u r i s t i s c h begründete E n t s c h e i d u n gen zu treffen haben, u n d z w a r gerade deshalb, w e i l m a n sie i m A l l g e m e i nen n i c h t h a f t p f l i c h t i g machen k a n n . D i e A n w a l t s t ä t i g k e i t ist w e i t fehleranfälliger als die der Richter. D i e größte Fehlerquelle bei den A n w ä l t e n liegt i n der Versäumung materieller u n d prozessualer Fristen. Gerichte setzen sich ihre Fristen selbst. D e r A n w a l t muss eine Entscheidungsprognose stellen u n d dabei Vorsicht w a l t e n lassen. D e r Richter hat i m Z w e i f e l selbst das letzte Wort. Umso weniger 66 B G H N J W 1974, S. 1865 (1866 r. Sp.). 67 Schneider, N J W 2001, S. 3356 (3358). 68 Rinsche, D i e H a f t u n g des Rechtsanwalts u n d des N o t a r s , 6. A u f l . 1998, Rn. I 72 (S. 27). 69 Rinsche i n der Tendenz z u s t i m m e n d v o r a l l e m Hartstang, A n w a l t s r e c h t , 1991, S. 539; Prinz, VersR 1986, S. 317; d i s t a n z i e r t dagegen Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, 1989, Rn. 9 2 - 9 7 ; Zugehör; i n : Z u g e h ö r (Hrsg.), H a n d b u c h der A n w a l t s h a f t u n g , 1999, Rn. 549 ff. Dieses H a n d b u c h h a b e n p i k a n t e r Weise d r e i B u n d e s r i c h t e r geschrieben, v o n denen z w e i M i t g l i e d e r des f ü r die A n w a l t s h a f t u n g z u s t ä n d i g e n I X . Z i v i l s e nats s i n d u n d einer d e m m i t der B e r u f s h a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g der Rechtsanwälte befassten IV. Z i v i l s e n a t angehört. 70 B G H N J W 1994, S. 3162; B G H N J W 1998, S. 751; B G H N J W 2000, S. 2672 /2673. I n diesem Z u s a m m e n h a n g erscheint es bemerkenswert, w i e S t a a t s a n w ä l t e die Gefahr eines Regresses - der d o c h d u r c h das Beamtenrecht sehr a b g e m i l d e r t ist - , beklagen, w ä h r e n d die d i r e k t e H a f t u n g f ü r leichteste Fahrlässigkeit b e i Ä r z t e n , R e c h t s a n w ä l t e n oder S t e u e r b e r a t e r n eine S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t ist ( G e w i n n a b s c h ö p f u n g i m Strafverfahren. Waffe des Rechtsstaats oder Regressfalle?, R i c h t e r u n d S t a a t s a n w a l t i n NRW, 22, O k t o b e r 2001, S. 1 - 5 ; A m t s h a f t u n g v o n Staatsanwälten. D r o h e n Gefahr e n d u r c h neue Rechtsprechung des B G H z u d e n Haftungsvoraussetzungen?, ebd., Dezember 2001, S. 12 f.). D e r J u s t i z m i n i s t e r des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n sah sich veranlasst, die S t a a t s a n w ä l t e z u beruhigen, die H ü r d e n f ü r einen Regress seien sehr h o c h (Richter u n d S t a a t s a n w a l t i n NRW, J a n u a r 2002, S. 9).
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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werden die Gerichte h i n t e r dem zurückstehen w o l l e n , was sie v o n der A n waltschaft verlangen. Fehler bei der B e u r t e i l u n g der Rechtslage, die eine H a f t u n g des A n w a l t s n a c h sich ziehen, müssten daher, w e n n sie einem Ger i c h t unterlaufen, relevant sein. B e i der Beschreibung der o b j e k t i v erforderl i c h e n Sorgfalt i m Rahmen des § 839 Abs. 2 B G B nehmen die Gerichte auch sich selbst entsprechend i n die Pflicht. A u c h „ d e r Richter [hat] die A m t s p f l i c h t , eine E n t s c h e i d u n g oder eine r i c h t e r l i c h e Entschließung nach der bestehenden Gesetzes- u n d Rechtslage zu treffen u n d zweifelhafte Rechtsfragen u n t e r B e n u t z u n g der i h m z u Gebote stehenden H i l f s m i t t e l sorgfältig u n d gewissenhaft u n t e r B e a c h t u n g der einschlägigen Rechtsprechung der Obergerichte u n d des S c h r i f t t u m s z u p r ü f e n u n d danach, fußend auf vern ü n f t i g e n Überlegungen,
seine Rechtsmeinung zu b i l d e n . " 7 1
Aber
die
P f l i c h t v e r l e t z u n g hat keine Konsequenzen. Wenn m a n die A n f o r d e r u n g e n der Rechtsprechung an die Sorgfaltspflichten der Rechtsanwälte bei der rechtlichen P r ü f u n g eines Falles auf die Gerichte selbst anwendet, ergibt sich etwa folgendes: Es ist die vornehmste u n d w i c h t i g s t e Aufgabe des Richters, den v o n i h m e r m i t t e l t e n Sachverhalt auf das v o n den Parteien erstrebte Rechtsschutzziel sorgfältig u n d „ n a c h jeder R i c h t u n g " 7 2 r e c h t l i c h z u prüfen. Diese P f l i c h t stellt hohe A n f o r derungen. Sie verlangt regelmäßig, dass der R i c h t e r zusätzlich z u seinem bereits vorhandenen Wissen weitere fallbezogene Kenntnisse h i n z u e r w i r b t . N a t ü r l i c h hat k e i n Jurist lückenlose Gesetzeskenntnis parat. A b e r es muss doch von i h m erwartet werden, dass er fallbezogen alle einschlägigen Rechtsnormen recherchiert. Alles andere wäre ein Kunstfehler. A u c h neue oder geänderte Rechtsnormen, w e n n sie f ü r den k o n k r e t e n Fall relevant sind, müssen e r m i t t e l t werden. D a f ü r g i b t es k e i n e n Toleranzzeitraum. Z u den P f l i c h t e n des A n w a l t s u n d d a m i t auch der Richter gehört selbstv e r s t ä n d l i c h auch die K e n n t n i s der höchstrichterlichen Rechtsprechung. D i e Gerichte haben i h r e Entscheidungen auch g r u n d s ä t z l i c h an der höchstrichterlichen
Rechtsprechung
auszurichten.
Es g i b t
zwar
in
unserem
Rechtsystem keine P r ä j u d i z i e n b i n d u n g . K e i n Gericht b r a u c h t daher die A n s i c h t eines anderen k r i t i k l o s zu übernehmen. A b e r eine A b w e i c h u n g aus U n k e n n t n i s wäre ein Kunstfehler, u n d eine A b w e i c h u n g ohne eine B e g r ü n d u n g ebenso. 7 3 A u c h i n unanfechtbaren Entscheidungen scheint m i r eine A b w e i c h u n g v o n einer festen Rechtsprechung n i c h t akzeptabel z u sein. D i e P f l i c h t z u r E r m i t t l u n g u n d B e r ü c k s i c h t i g u n g der Rechtsprechung der Untergerichte geht längst n i c h t soweit. I m m e r h i n ist insoweit die K e n n t n i s 71 B G H Z 36, 144 (148 f.). 72 B G H W M 1993, S. 1376 (1377). 73 Vgl. B V e r f G N J W 1995, S. 2911.
K l a u s F. R ö h l
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u n d B e r ü c k s i c h t i g u n g der Entscheidungen gleichgeordneter u n d
über-
geordneter Gerichte i m B e z i r k z u fordern. Soweit es an einer k l a r e n h ö c h s t r i c h t e r l i c h e n Rechtsprechung fehlt, ist zu erwarten, dass das Gericht sich einen Ü b e r b l i c k über das juristische S c h r i f t t u m verschafft. V o l l s t ä n d i g k e i t ist insoweit z w a r ausgeschlossen. D o c h was der B G H v o n A n w ä l t e n fordert - „neue E n t w i c k l u n g e n i n Rechtsprechung
und
Rechtswissenschaft,
namentlich
das
Entstehen
neuer
Rechtsfiguren z u verfolgen" u n d z u diesem Z w e c k mindestens die Stand a r d k o m m e n t a r e z u l e s e n 7 4 - ist v o n den Gerichten n i c h t zu v i e l verlangt. F r e i l i c h muss die n o t w e n d i g e L i t e r a t u r d a n n auch v o r h a n d e n sein, u n d z w a r n i c h t n u r i n einer w e i t entfernten B i b l i o t h e k , sondern i n der Nähe des Arbeitsplatzes. I n der D i s k u s s i o n über die Q u a l i t ä t der Justiz fehlt es m. W. bisher an Überlegungen z u r angemessenen A u s s t a t t u n g der Richterarbeitsplätze. A u c h hier g i l t : Es genügt n i c h t , allgemein die schlechte A u s s t a t t u n g zu beklagten, sondern es müssen k o n k r e t e Vorstellungen e n t w i c k e l t werden, w i e diese A u s s t a t t u n g auszusehen hätte. D a f ü r k ö n n e n w i e d e r u m aus der Fehlerbeobachtung L e h r e n gezogen werden.
5. Z u m Verhältnis von Ergebnis und Begründung
Z u m G l ü c k hat n i c h t jeder Fehler schlimme Folgen. Wenn Ä r z t e Fehler machen, h i l f t die N a t u r sich m a n c h m a l selbst, u n d viele Patienten w ü r d e n auch ohne ärztliche H i l f e w i e d e r gesund. Fehler der Rechtsanwälte w e r d e n oft v o n den Gerichten aufgefangen. U n d w e n n Gerichte Fehler machen, muss das n i c h t u n b e d i n g t eine falsche E n t s c h e i d u n g z u r Folge haben. I m U n i v e r s i t ä t s u n t e r r i c h t v e r k ü n d e n w i r ständig, es k o m m e n i c h t auf das Ergebnis an, sondern auf die Begründung. I c h empfinde solche Äußerungen i n z w i s c h e n als zynisch u n d vermeide sie. N a t ü r l i c h k o m m t es auf das E r gebnis an. A b e r m a n k a n n e i n Ergebnis, jedenfalls n a c h Prüfungsrecht, n i c h t f ü r fehlerhaft halten, w e n n seine A b l e i t u n g akzeptabel ist. I n unserem Zusammenhang ist die umgekehrte S i t u a t i o n interessanter: Oft lässt sich i n der B e g r ü n d u n g einer E n t s c h e i d u n g m e h r oder weniger d e u t l i c h ein Fehler entdecken. A b e r das bedeutet n i c h t , dass die E n t s c h e i d u n g deshalb falsch sein muss. Oft lässt sie sich m i t anderen G r ü n d e n halten. D i e Frage ist deshalb, welche B e d e u t u n g bloßen Begründungsfehlern z u k o m m t . D i e Jurisprudenz beansprucht gerade d a r u m den Status einer Wissenschaft, w e i l sie i h r e Ergebnisse n i c h t freihändig, sondern d u r c h A r g u m e n -
74 B G H N J W 1993, S. 3323; ä h n l i c h B G H N J W - R R 1993, S. 243 (245 r. Sp.). Rinsche ( F N 68), Rn. I 74, m o n i e r t , dass den A n w ä l t e n i n der l e t z t g e n a n n t e n E n t s c h e i d u n g zugemutet werde, einen Aufsatz i m A c P z u b e r ü c k s i c h t i g e n .
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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t a t i o n g e w i n n t . Fehler i n Gerichtsurteilen lassen sich l e t z t l i c h ü b e r h a u p t n u r an H a n d falscher B e g r ü n d u n g e n feststellen. A u f das Ergebnis k o m m t es an. A b e r n u r an der B e g r ü n d u n g erkennt m a n Fehler. Deshalb muss m a n f ü r die Zwecke einer j u s t i z i n t e r n e n Qualitätsbeobachtung ein U r t e i l auch d a n n als fehlerhaft ansehen, w e n n z w a r die B e g r ü n d u n g einen Fehler enthält, das Ergebnis sich aber v i e l l e i c h t m i t anderer B e g r ü n d u n g h a l t e n lässt. Das g i l t auch f ü r obiter dicta, die z w a r definitionsgemäß n i c h t ergebnisrelevant sind, aber doch erhebliche F e r n w i r k u n g e n haben.
6. Fehler, die Schule machen
Wie schwierig es ist, ein U r t e i l als fehlerhaft einzustufen, zeigt eine Reihe m e h r oder weniger p r o m i n e n t e r Fälle, i n denen e i n U r t e i l , das m a n anfängl i c h nach methodischen Maßstäben als falsch bezeichnet hätte, a m E n d e akzeptabel ist oder mindestens ernsthaft d i s k u t i e r t w i r d . Beispiele geben die A n e r k e n n u n g des Sicherungseigentums oder die R e d u k t i o n des A b tretungsverbots (§ 400 B G B ) gegen seinen Wortlaut.
VI. Die Materialbasis D i e vermisste Fehlerlehre lässt sich n i c h t ad hoc nachliefern, denn i c h k a n n n u r auf d i r e k t oder i n d i r e k t veröffentlichte Entscheidungen oder verstreute H i n w e i s e i n der L i t e r a t u r zurückgreifen. A u f dieser G r u n d l a g e habe i c h eine Reihe von Fehlerbeispielen zusammengetragen. Das M a t e r i a l eignet sich aber n i c h t zu Verallgemeinerungen. Es dient a l l e i n z u m Beleg dafür, dass es m ö g l i c h ist, auch i m Z e n t r u m der r i c h t e r l i c h e n A r b e i t Fehler auszumachen. U m zu einer breiteren Datenbasis z u gelangen, k ö n n t e m a n d a r a n denken, Zufallsstichproben unterschiedlicher Verfahren auf Fehler h i n zu untersuchen. Das wäre allerdings sehr schwierig, d e n n dazu brauchte m a n b e i nahe Dworkins
Superrichter Herkules. D i e U n t e r s u c h u n g brächte aber
auch sonst viele Probleme m i t sich. D i e Fehlerdichte ist - h o f f e n t l i c h - so gering, dass ein erheblicher A u f w a n d getrieben werden müsste. M e h r als eine A k t e n u n t e r s u c h u n g wäre o h n e h i n k a u m zu leisten. A b e r n i c h t alle Fehler werden a k t e n k u n d i g . M a n k a n n diesen Weg aber n i c h t v o n v o r n herein ausschließen. A u f der Suche nach M a t e r i a l f ü r eine A r t Fehlerlehre w i r d m a n sich eher an die Verfahren halten, i n denen die B e t e i l i g t e n selbst v o n i h n e n w a h r genommene Fehler rügen, also an die R e c h t s m i t t e lverfahren. Z u r Verfügung stehen insoweit die i n großer Z a h l veröffentlichten Entscheidungen.
In
K l a u s F. R ö h l
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erster L i n i e zeigen sich d a r i n Fehler i m Sinne des Rechtsmittelrechts, die n i c h t ohne weiteres auch K u n s t f e h l e r sind, w i e sie h i e r gesucht werden. A u c h die Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte selbst k ö n n e n wieder fehlerhaft sein, darauf w i r d m a n gelegentlich d u r c h Urteilsbesprechungen aufmerksam gemacht. D o c h insgesamt gesehen ist die Ausbeute an Fehlern i n den veröffentlichten Entscheidungen n i c h t sehr groß. Es g i b t einige Rechtsbehelfe u n d Verfahren, die v e r m u t l i c h
gehäuft
„pathologische" Fälle z u Tage fördern. I n Betracht k o m m e n insbesondere folgende Konstellationen: • Strafverfahren wegen Rechtsbeugung u n d Richterbestechung, •
Wiederaufnahmeverfahren,
• Z u r ü c k v e r w e i s u n g der B e r u f u n g n a c h § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen eines wesentlichen Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens, • U r t e i l s b e r i c h t i g u n g e n u n d Urteilsergänzungen nach §§ 3 1 9 - 3 2 1 ZPO, • U r t e i l s Verfassungsbeschwerden, • Richterablehnung, • Ausnahmerechtsmittel, • Dienstaufsichtsbeschwerden u n d D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n nach § 26 D R i G , • Niederschlagung v o n Kosten wegen falscher Sachbehandlung nach § 8 GKG,75 • nach § 839 Abs. 2 B G B i m m e r h i n mögliche Amtshaftungsklagen, • Verfahren v o r dem Europäischen Gerichtshof f ü r Menschenrechte wegen MenschenrechtsVerletzungen d u r c h die J u s t i z . 7 6 Mangels besonderer E r h e b u n g e n ist m a n jedoch auch insoweit auf veröffentlichte Entscheidungen angewiesen, die i n der Regel n i c h t p u b l i z i e r t
75 D a z u m i t v i e l e n Beispielen Schneider, 76
M D R 2001, S. 914.
I m F a l l Eisholz, i n d e m der E G M R d e m K l ä g e r entsprechend A r t . 41 der K o n v e n t i o n e i n Schmerzensgeld v o n 35.000 D M wegen V e r l e t z u n g der K o n v e n t i o n d u r c h die deutsche Justiz zusprach, k a n n v o n einem Fehler der Gerichte i n d e m h i e r gemeinten Sinne n i c h t die Rede sein. I m m e r h i n gab es e i n S o n d e r v o t u m v o n v i e r der 17 Richter, die eine Verletzung v o n A r t . 6 u n d 8 der K o n v e n t i o n verneinten, w e i l sie m e i n t e n , m i t der F o r d e r u n g n a c h einem Sachverständigengutachten mische sich der G e r i c h t s h o f z u sehr i n die p r i n z i p i e l l d e n s t a a t l i c h e n G e r i c h t e n vorbehaltene B e w e i s w ü r d i g u n g ein. A u c h die F o r d e r u n g nach einer erneuten m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g m i t A n h ö r u n g der B e t e i l i g t e n sei ü b e r t r i e b e n , d e n n z w e i M o n a t e nach der V e r h a n d l u n g v o r d e m A m t s g e r i c h t seien d a r a u f k a u m neue E i n s i c h t e n z u g e w i n n e n gewesen. D e n n o c h b l e i b t es bemerkenswert, dass der Staat wegen eines „ F e h l e r s " seiner G e r i c h t e z u Schmerzengeld v e r u r t e i l t w i r d . I c h w u n d e r e m i c h deshalb ü b e r das geringe Echo der g e n a n n t e n E n t s c h e i d u n g . D i e E n t s c h e i d u n g ist a b g e d r u c k t i n D A V o r m 2000, S. 679. D o r t auch A n m e r k u n g e n v o n Koeppel (S. 640) u n d Liermann (S. 630), die sich aber n u r m i t der B e d e u t u n g der E n t s c h e i d u n g f ü r das K i n d s c h a f t s r e c h t befassen.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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werden, u m Fehler der Justiz vorzuzeigen, sondern u m A n t w o r t e n auf m e h r oder wenige offene Rechtsfragen zu geben. Weiter w ä r e d a r a n z u denken, Richter selbst z u befragen, welche Fehler i h n e n u n d i h r e n Kollegen unterlaufen. Diese Quelle k ö n n t e durchaus ergieb i g sein, d e n n v o n I n s i d e r n h ö r t m a n n i c h t selten über Fehler, die n i c h t an die Öffentlichkeit d r i n g e n . 7 7 E r g i e b i g k ö n n t e n auch die A u s k ü n f t e v o n Rechtsanwälten ausfallen. A l s Ersatz f ü r eine Befragung steht v o r l ä u f i g der „ Ζ AP-Report: Justizspiegel" zur Verfügung, den Egon Schneider
v o r a l l e m auf G r u n d v o n Einsendungen
v o n Rechtsanwälten zusammengestellt h a t . 7 8 I c h k a n n die genannten M ö g l i c h k e i t e n n i c h t ausschöpfen, sondern muss m i c h auf d i r e k t oder i n d i r e k t veröffentlichte Gerichtsentscheidungen u n d auf einschlägige S t e l l u n g n a h m e n i n der j u r i s t i s c h e n L i t e r a t u r
stützen.
Diese Materiallage verbietet n i c h t n u r Verallgemeinerungen. Sie hat n o c h weitere E i n s c h r ä n k u n g e n z u r Folge. Viele Fehler u n t e r l a u f e n v e r m u t l i c h bei der Tatsachenfeststellung vor a l l e m auf G r u n d falscher B e w e i s w ü r d i g u n g . Dass es p r i n z i p i e l l m ö g l i c h ist, sich auch diesem Gebiet z u nähern, zeigt die bereits erwähnte U n t e r s u c h u n g v o n Karl Peters über die Wiederaufnahmegründe i m Strafverfahren. Sie zeigt aber auch, w i e a u f w e n d i g es ist, den Tatsachenfeststellungen der Gerichte nachzugehen. Daher muss i c h diesen Bereich aussparen. I c h konzentriere m i c h auf Fehler b e i der H a n d h a b u n g des Verfahrens u n d bei der A n w e n d u n g des m a t e r i e l l e n Rechts, w e i l diese Fehler sich bis zu einem gewissen Grade i n veröffentlichten Entscheidungen widerspiegeln.
77 W ä h r e n d i c h diesen V o r t r a g vorbereitete, h a t t e i c h m i t einem Vorsitzenden R i c h ter a m O L G einen S t a p e l E x a m e n s k l a u s u r e n z u beraten. M e i n e N o t e n lagen i n der Tendenz etwas höher. D e r M i t p r ü f e r m a h n t e m i c h z u r Strenge, d e n n es w ü r d e n i n der P r a x i s z u viele Fehler gemacht. E r habe gerade m i t e i n e m W i d e r r u f s vergleich z u t u n , i n d e n eine A u f l a s s u n g aufgenommen w o r d e n sei. Weder die vollbesetzte K a m m e r des L a n d g e r i c h t s n o c h die b e i d e n A n w ä l t e h ä t t e n die A n w e n d b a r k e i t des § 925 Abs. 2 B G B bedacht. V i e l l e i c h t ist dies der O r t d a r a u f h i n z u w e i s e n , dass die Goldene Regel auch f ü r Professoren g i l t . Soeben ist m i r selbst i n der Lösungsskizze f ü r die Ferienh a u s a r b e i t z u r B G B - U b u n g e i n p e i n l i c h e r Fehler u n t e r l a u f e n . Es g i n g u m eine P r ä senzauktion, f ü r die e i n Interessent v o r a b ü b e r das I n t e r n e t e i n „ G e b o t " abgegeben hatte. W i e selbstverständlich h a t t e i c h dieses „ G e b o t " als Gebot i. S. v o n § 156 B G B b e h a n d e l t u n d d a m i t übersehen, dass es sich n a c h B G H N J W 1983, S. 1186, n u r u m den A u f t r a g a n den A u k t i o n a t o r h a n d e l t , w ä h r e n d der Versteigerung f ü r den I n t e r essenten e i n entsprechendes Gebot abzugeben. I n JuS 2001, S. 1248, m a c h e n z w e i S t u d e n t e n (Florian Mächtel, Bernd W. Göppner) d e n Verfasser einer S t r a f r e c h t s k l a u sur d a r a u f aufmerksam, dass i h m A r t . 1 der VO v o m 16. 6. 1999 entgangen ist, d u r c h welche die i n der Lösungsskizze herangezogene VO PR Nr. 1 / 7 2 ü b e r die Preise f ü r B a u l e i s t u n g e n b e i ö f f e n t l i c h e n oder m i t ö f f e n t l i c h e n M i t t e l n f i n a n z i e r t e n A u f t r ä g e n v o m 6. 3. 1972 aufgehoben w u r d e .
™ 2. A u f l . 1999, l a u f e n d fortgesetzt i m L o s e b l a t t - W e r k Z A P - Z e i t s c h r i f t f ü r die a n w a l t l i c h e Praxis, Fach 1.
K l a u s F. R ö h l
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Was sich i n veröffentlichten Entscheidungen niederschlägt, ist vielleicht die Spitze eines Eisbergs, v i e l l e i c h t aber auch n u r ein S t ü c k Treibeis. Eine q u a n t i t a t i v e E i n s c h ä t z u n g der Fehlerhaftigkeit gerichtlicher Verfahren u n d Entscheidungen wage i c h n i c h t .
V I I . Fehlerursachen Ü b e r die Fehlerursachen lässt sich w e n i g ausmachen, solange die i n Bet r a c h t k o m m e n d e n Fehler n i c h t näher beschrieben sind. Daher v o r l ä u f i g n u r soviel: Fehler w e r d e n n i c h t festgestellt, u m die Verursacher z u r Verantw o r t u n g z u ziehen, sondern u m Strategien z u r Vermeidung v o n Fehlern zu entdecken. Voraussetzung d a f ü r ist w i e d e r u m die Benennung typischer Fehlerursachen. M i t allgemeinen E r k l ä r u n g e n w i e Ü b e r l a s t u n g der Justiz, K o m p l e x i t ä t des Rechts oder I r r t u m s a n f ä l l i g k e i t a l l e n Handelns ist es n i c h t getan. Ingenieure u n d M e d i z i n e r haben es insoweit n i c h t leichter als J u r i sten. M a n k a n n n i c h t v o n der H a n d weisen, dass schlechte Gesetze z u Fehlern f ü h r e n . 7 9 Schlechte Gesetze s i n d ein Problem, aber keine E n t s c h u l d i g u n g f ü r eigene Fehler. D a h e r sehen die Gerichte m i t g u t e m G r u n d den Rechtsa n w ä l t e n keine Fehler nach. Sie sollten jedenfalls akzeptieren, dass sie auch selber Fehler machen. I m Ü b r i g e n g i l t : „ G u t e Richter s i n d noch w i c h t i g e r als gute Gesetze." 8 0 E i n e typische Fehlerursache ist die Verteilung der Justiz auf verschiedene Gerichtsbarkeiten u n d die d a m i t verbundene S p e z i a l i s i e r u n g . 8 1 Es f ä l l t auf, dass die Z i v i l r i c h t e r ihre U n k e n n t n i s des Steuerrechts beinahe w i e ein Markenzeichen v o r sich her tragen. Es fehlt den Z i v i l g e r i c h t e n aber auch an sozialrechtlichen Kenntnissen (Fehlerbeispiel 1). Auffällig
scheint mir, dass gelegentlich Selbstverständlichkeiten,
die
k a u m i r g e n d w o e x p l i z i t gemacht werden, aber doch jedem K u n d i g e n vert r a u t sind, z u Fehlern f ü h r e n (Fehlerbeispiele 5, 6, u n d 17). A l s typische Fehlerquelle erweisen sich die häufigen Vorlagepflichten, die oft vernachlässigt werden. B e k l a g t w i r d i n diesem Z u s a m m e n h a n g besonders der sog. h o r r o r p i e n i der oberen Bundesgerichte u n d die Verletzung der Vorlagep f l i c h t z u m E u G H aus A r t . 234 E V . 8 2 I n der Regel b l e i b t als Rechtsbehelf 79 Börstinghaus, N Z M R 2002, S. 16 z u m r e f o r m i e r t e n M i e t r e c h t ; Schneider, 2002, S. 3756 z u r neuen ZPO.
NJW
so K. S. Bader, D R i Z 1961, S. 237. 81 Diederichsen beklagte i n seinem G u t a c h t e n z u m 56. D t . J u r i s t e n t a g 1986 (Bd. I I , L 4 8 / 5 9 ) , dass das angebliche „ F e h l e r r i s i k o " , das b e i der B e r ü c k s i c h t i g u n g anderer Rechtsgebiete bestehe, z u m A r g u m e n t g e w o r d e n sei, u m sich gegenüber anderen Rechtsgebieten abzuschütten. 82 Meilicke, B B 2000, S. 17; Schneider, M D R 2000, S. 10.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
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d a n n n u r noch die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung v o n A r t . 101 Abs. 1 S. 2 GG, die f r e i l i c h n u r E r f o l g hat, w e n n die Verletzung zu Vorlage an ein anderes G e r i c h t (als den gesetzlichen Richter) n i c h t bloß auf einem I r r t u m b e r u h t , sondern dem Bundesverfassungsgericht auch w i l l k ü r l i c h ers c h e i n t . 8 3 Eine E r k l ä r u n g f ü r die N i c h t b e a c h t u n g v o n Vorlagepflichten liegt, so scheint mir, auf der H a n d . Vorlagepflichten sind abgeschwächte Auslegungsverbote u n d w e r d e n w i e diese g r u n d s ä t z l i c h schlecht b e f o l g t . 8 4 Besonders fehlerträchtig s i n d anscheinend auch Verweisungen. Verweisungen s i n d meistens Abschiebungen. M a n w i r d eine Sache los. D a h e r w e h r e n sich die Gerichte, denen der Prozess abgegeben w i r d , gelegentlich d a m i t , dass sie die Verweisung wegen „greifbarer Gesetzes Widrigkeit" entgegen § 17 Abs. 2 S. 3 G V G f ü r u n v e r b i n d l i c h halten.
V I I I . Selbstgerechtigkeit der Gerichte I m U m g a n g m i t i h r e n eigenen Fehlern beweist die Justiz eine Selbstgerechtigkeit, die selbst z u r Fehlerursache w e r d e n könnte. D i e Selbstgerechtigkeit der Gerichte zeigt sich i n dem „Bestreben . . . , eigene Fehler h e r u n t e r z u spielen u n d sich möglichst v o n S a n k t i o n e n f r e i z u s t e l l e n . " 8 5 Egon Schneider
m e i n t , dieses Bestreben sei h i n r e i c h e n d b e k a n n t . D e n n o c h
sollen die w i c h t i g s t e n Erscheinungsformen genannt werden.
1. Unsensibler Umgang mit der Richterablehnung
D i e U n p a r t e i l i c h k e i t der Gerichte ist ein F u n d a m e n t der Justiz. Wo sie i n Frage steht, k ö n n e n die Parteien einzelne Richter ablehnen. Ü b e r das A b lehnungsgesuch entscheidet z w a r n i c h t der abgelehnte Richter, aber doch das Gericht, dem er angehört. D i e Selbstkontrolle reicht n i c h t w e i t . 8 6 Das Oberlandesgericht M ü n c h e n hatte über den A n t r a g auf A b l e h n u n g eines Familienrichters d u r c h eine a l l e i n erziehende M u t t e r m i t einem behinderten K i n d z u befinden, die sich n i c h t ernst genommen fühlte, w e i l der R i c h t e r den T e r m i n der Unterhaltssache auf den 11. 11. u m 11.11 U h r anberaumt hatte. M i t der Begründung, eine T e r m i n i e r u n g auf 11.10 U h r wäre sicher 83 B V e r f G E 3, 359 (363). D a h e r s i n d aus der l a n g e n Reihe der Verfassungsbeschwerden n u r wenige erfolgreich; erfolgreich ζ. B. B V e r f G E 42, 237 (241) wegen Verletzung des § 121 Abs. 2 G V G d u r c h O L G K ö l n ; E 76, 93, gleichfalls wegen Verl e t z u n g v o n § 121 Abs. 2 G V G d u r c h L G Wiesbaden. 84 Röhl, A l l g e m e i n e Rechtslehre, 2. A u f l . 2001, S. 92 ff.; ders., V o r l a g e p f l i c h t e n als Auslegungsverböte, i n : K a r p e n / W e b e r / W i l l o w e i t (Hrsg.), Rechtsforschung, Rechtsp o l i t i k u n d U n t e r n e h m e r t u m , G e d ä c h t n i s s c h r i f t f ü r Wenz, 1999, S. 445. 85 Schneider,
M D R 2001, S. 914.
86 D a r ü b e r k l a g t auch Lamprecht, S. 2791.
K a r l s r u h e r B e f a n g e n h e i t s - L o g i k , N J W 1999,
92
K l a u s F. R ö h l
v o n der Beschwerdeführerin n i c h t beanstandet worden, hat das O L G die Beschwerde verworfen. D e r Richter habe sich einen k l e i n e n Scherz erlaubt. D i e A n n a h m e , er könne den Streit als n ä r r i s c h empfinden, sei abwegig. Solche Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t e n k ö n n t e n i m Ablehnungsverfahren n i c h t b e r ü c k sichtigt w e r d e n . 8 7 I n einer K r i t i k dieser E n t s c h e i d u n g erinnert
Schneider,
ohne sie zu nennen, an die Goldene Regel, i n d e m er sich vorstellt, w i e ein Gericht reagieren w ü r d e , w e n n eine Partei a m 11. 11. u m 11.11 U h r i m Gerichtssaal eine N a r r e n k a p p e aufsetzte. 8 8
2. Ohnmacht der Dienstauf sieht
D u r c h seine Kernbereichstheorie hat der B G H jede R e a k t i o n der D i e n s t aufsicht auf K u n s t f e h l e r untersagt. I c h zitiere dazu aus dem K o m m e n t a r v o n Schmidt-Räntsch
z u m Deutschen Richtergesetz: „Diese Lehre w i r d
aber den Herausforderungen u n d v i e l l e i c h t sogar Gefährdungen n i c h t gerecht werden können, die auf die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t zukommen. . . . D i e Kernbereichstheorie f ü h r t i n einer Reihe v o n Fällen zu Ergebnissen, die weder der Öffentlichkeit n o c h j u r i s t i s c h v e r m i t t e l b a r s i n d . " 8 9 D i e Folge ist, dass die Dienstaufsicht berechtigte Beschwerden wegen offensichtlicher Kunstfehler gegenüber den Betroffenen abwehren muss.
3. Spruchrichterprivileg
N a c h § 839 Abs. 2 B G B ist ein Beamter, der b e i einem U r t e i l i n einer Rechtssache seine A m t s p f l i c h t verletzt, f ü r den daraus entstehenden Schaden n u r v e r a n t w o r t l i c h , w e n n die P f l i c h t v e r l e t z u n g i n einer S t r a f t a t besteht, d. h. p r a k t i s c h n u r bei Rechtsbeugung oder Richterbestechung. Das g i l t allerdings n i c h t bei p f l i c h t w i d r i g e r Verweigerung oder Verzögerung der A m t s a u s ü b u n g (§ 823 Abs. 2 Satz 2 B G B ) . 9 0 D i e r e s t r i k t i v e H a n d h a b u n g des § 839 Abs. 2 B G B b e g i n n t schon b e i der E r w e i t e r u n g des Urteilsbegriffs über U r t e i l e i m technischen Sinne hinaus. Anfangs verlangte der B G H das Vorliegen einer S t r e i t - oder Strafsache; sow e i t die Prozessordnungen n i c h t Teil- oder Z w i s c h e n u r t e i l e vorsehen, eine
87 O L G M ü n c h e n N J W 2000, S. 748. 88 Schneider,
K a r n e v a l s - S i t z u n g , N J W 2000, S. 709.
89 Günther Schmidt-Räntsch 5. A u f l . 1995, § 2 6 Rn. 25a.
/ Jürgen
Schmidt-Räntsch,
Deutsches Richtergesetz,
90 I n d e n A u g e n des P u b l i k u m s ist das r i c h t e r l i c h e H a f t u n g s p r i v i l e g anscheinend e i n Ä r g e r n i s . I n I t a l i e n w u r d e n die H a f t u n g s p r i v i l e g i e n der R i c h t e r 1987 d u r c h eine V o l k s a b s t i m m u n g abgeschafft; Stuth, S t a a t s h a f t u n g f ü r Justizfehler. I t a l i e n s neues Richterhaftungsgesetz i m Vergleich z u r deutschen Rechtslage, E u G R Z 1990, S. 353.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
93
instanzbeendende Entscheidung, die G e w ä h r u n g rechtlichen Gehörs u n d mindestens die M ö g l i c h k e i t der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g . 9 1 1955 meinte der B G H noch, § 839 Abs. 2 B G B b r i n g e e i n d e u t i g z u m A u s d r u c k , dass das S p r u c h r i c h t e r p r i v i l e g n i c h t f ü r Beschlussverfahren g e l t e . 9 2 1962 distanzierte sich der B G H v o n der vorgenannten E n t s c h e i d u n g u n d stellte n u n m e h r auf die Rechtskraftfähigkeit der E n t s c h e i d u n g a b . 9 3 A u c h darauf verzichtete er, als es u m einen Entmündigungsbeschluss n a c h § 645 Abs. 1 ZPO a. F. g i n g . 9 4 Das R i c h t e r p r i v i l e g soll verhindern, dass ein r e c h t s k r ä f t i g abgeschlossener Rechtsstreit noch e i n m a l u n t e r dem A s p e k t der A m t s h a f t u n g neu aufgerollt w i r d . 9 5 D o c h auch an dieser Voraussetzung h ä l t der B G H n i c h t fest, w e n n er das R i c h t e r p r i v i l e g gegenüber D r i t t e n anwendet, die v o n der Rechtskraft des U r t e i l s gar n i c h t betroffen s i n d . 9 6 Es ist aber auch gar n i c h t einleuchtend, dass das R i c h t e r p r i v i l e g als Rechtskraftstütze - w i e Grunsky
97
es polemisch getauft h a t - dienen soll, denn der Haftungsprozess
spielt sich gar n i c h t zwischen den Parteien ab, sondern zwischen einer Partei u n d dem Staat als Träger der Justiz. Es ist durchaus n o r m a l , dass der gleiche Lebenssachverhalt i m Rechtsstreit m i t D r i t t e n erneut Gegenstand eines Rechtsstreits w i r d . So geschieht es i n vielen Regressprozessen. D i e Rechtskraft des Vorurteils w i r d n i c h t tangiert, denn sie ist s u b j e k t i v auf die Parteien des Vorprozesses beschränkt. N a t ü r l i c h liegt es nahe, S i n n u n d Z w e c k des Richterprivilegs i n dem Schutz der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t z u suchen, die i n Gefahr geraten könnte, w e n n der R i c h t e r m i t Ersatzansprüchen rechnen m ü s s t e . 9 8 A b e r die Ersatzansprüche w e r d e n d u r c h A r t . 34 G G gegen den Staat umgeleitet, der n u r b e i grober Fahrlässigkeit R ü c k g r i f f nehmen d a r f . 9 9 Dieses Risiko lässt sich m i t einer H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g f ü r 55 E U R abwenden. Daher ist diese R e s t r i k t i o n n i c h t sehr überzeugend. D e r Schutz der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t als Gesetzeszweck w u r d e anfangs v o m B G H a u s d r ü c k l i c h
91 B G H Z 10, 55 (60 f.). 92 B G H N J W 1956, S. 1716. 93 B G H Z 36, 379 (386). 94 B G H N J W 1966, S. 2307. 95 Dieser Gesetzeszweck w i r d a u c h i n der L i t e r a t u r b e t o n t : Bender, StaatshafSproll, S t a a t s h a f t u n g s tungsrecht, 2. A u f l . 1974, Rn. 631; Detterbeck / Windthorst/ recht, 2000, S. 184; Leipold, Das H a f t u n g s p r i v i l e g des S p r u c h r i c h t e r s , J Z 1967, S. 737 (739); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. A u f l . 1998, S. 101. 96 B G H Z 50, 14 (19) m i t k r i t i s c h e r A n m e r k u n g v o n Leipold,
J Z 1968, S. 465.
97 Grunsky, Z u r Haftung für richterliche Amtspflichtverletzungen, 1974, S. 141 (148).
FS Raiser,
98 So Grunsky ebd. S. 141; B G H N J W - R R 1992, S. 919; B G H D A T - Z i v i l , B. v. 26. 4. 1 9 9 0 - I I I ZR 182/89. 99 D i e Voraussetzungen eines R ü c k g r i f f s s i n d sehr hoch; vgl. B G H N J W 1988, S. 1265; B G H N J W 1992, S. 3236; B G H N J W - R R 1994, S. 1471; B V e r w G E 19, 243 (248).
94
K l a u s F. R ö h l
verneint.100 Restriktion richterlichen
D o c h das h a t sich i n z w i s c h e n geändert. kommt
jetzt
bei
der
Frage
Entscheidungen außerhalb
Die
entscheidende
des V e r s c h u l d e n s :
„Soweit
des , R i c h t e r p r i v i l e g s 1
im
haftungsprozess d a r ü b e r z u b e f i n d e n ist, ob ein R i c h t e r bei der
bei
AmtsRechts-
a n w e n d u n g u n d Gesetzesauslegung schuldhaft a m t s p f l i c h t w i d r i g gehandelt hat,
ist
der
Verfassungsgrundsatz
der
richterlichen
Unabhängigkeit
zu
beachten. E i n S c h u l d v o r w u r f k a n n d e m Richter i n diesem Bereich n u r bei besonders groben Verstößen gemacht w e r d e n . " 1 0 1 I m m e r h i n b l e i b t n o c h eine ganze Reihe v o n Tätigkeiten, für die r i c h t e r l i che U n a b h ä n g i g k e i t i n A n s p r u c h g e n o m m e n w i r d , d i e a b e r n i c h t u n t e r das S p r u c h r i c h t e r p r i v i l e g f a l l e n . 1 0 2 Es k o m m e n sogar V e r u r t e i l u n g e n v o r . 1 0 3
4. Rechtsbeugung I n historischer Z e i t w a r die A n g s t v o r d e m j u d e x c o r r u p t u s groß. H e u t e e r s c h e i n t d i e J u s t i z als d i e e i n s a m e Insel, d i e v o n d e r F l u t d e r
Korruption
verschont g e b l i e b e n ist. A u c h R e c h t s b e u g u n g ist k e i n P h ä n o m e n , das w e g e n 100 B G H N J W 1962, S. 36 (37 r. Sp.). ιοί B G H N J W - R R 1992, S. 919. ι 0 2 D a z u gehören: A u f n a h m e v o n U r k u n d e n , B e u r k u n d u n g eines Prozess Vergleichs ( R G Z 129, 37. I n s o w e i t besteht g r u n d s ä t z l i c h k e i n U n t e r s c h i e d z w i s c h e n A m t s p f l i c h t e n des Richters u n d des N o t a r s ; B G H D R i Z 1963, S. 233), B e w i l l i g u n g der Prozessk o s t e n h i l f e ( B G H Z 109, 163), Erlass u n d die A u f h e b u n g v o n Haftbefehlen, offen gelassen f ü r die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s ( B G H N J W 1970, S. 1543), Festsetzung des S t r e i t w e r t s ( B G H Z 36, 144), E n t s c h e i d u n g ü b e r e i n Arrestgesuch oder den A n t r a g auf Erlass einer e i n s t w e i l i g e n V e r f ü g u n g d u r c h Beschluss ( B G H Z 10, 55 [60]), E n t scheidungen i n der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g ( B G H N J W - R R 1986, S. 412; B G H N J W 2000, S. 3358 [3360]); E r ö f f n u n g des K o n k u r s v e r f a h r e n s ( B G H N J W 1959, S. 1085), S i t z u n g s p o l i z e i l i c h e M a ß n a h m e n ( O L G K ö l n VersR 1998, 893), Verfahren der freiw i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t m i t F ü r s o r g e c h a r a k t e r ( B G H N J W 1956, S. 1716; a.A. f ü r die A n o r d n u n g der B e t r e u u n g Coeppicus, N J W 1996, S. 1947, n i c h t dagegen f ü r die A u s w a h l des Betreuers), Vorläufige E n t z i e h u n g der F a h r e r l a u b n i s u n d H a f t b e f e h l ( B G H N J W 1964, S. 2402), Kostenfestsetzung ( B G H N J W 1962, S. 36; K G N J W 1965, S. 1602). 103 So h a t k ü r z l i c h der 1. Z i v i l s e n a t des O L G F r a n k f u r t ( O L G F r a n k f u r t a. M . N J W 2001, S. 3270) das L a n d Hessen wegen A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g der R i c h t e r des 8. Z i v i l senats des gleichen Gerichts v e r u r t e i l t , w e i l diese eine Beschwerde gegen die Verweig e r u n g der Prozesskostenhilfe d u r c h das L a n d g e r i c h t z u U n r e c h t v e r w o r f e n hatten. D e r K l ä g e r h a t t e Schadensersatz v o n seinem R e c h t s a n w a l t wegen unterlassener A u f k l ä r u n g ü b e r die z u r V e r h i n d e r u n g des V e r j ä h r u n g s e i n t r i t t s e r f o r d e r l i c h e n M a ß n a h m e n gefordert; die R i c h t e r des 8. Z S h a t t e n d a b e i vernachlässigt, dass die v e r j ä h r u n g s h e m m e n d e W i r k u n g des Prozesskostenhilfegesuchs n u r e r h a l t e n b l e i b t , w e n n b i n n e n einer F r i s t v o n höchstens z w e i Wochen n a c h dessen A b l e h n u n g hiergegen Beschwerde eingelegt w i r d . Z u diesem U r t e i l (kurze) Besprechung v o n Schläger; A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g d u r c h r i c h t e r l i c h e T ä t i g k e i t , N J W 2001, S. 3244, der m e i n t , das G e r i c h t habe es sich z u schwer gemacht, w e n n es u n t e r B e r u f u n g auf den B G H die H a f t u n g v o n g r o b e m Verschulden der R i c h t e r a b h ä n g i g gemacht habe, d e n n der B G H habe sich i n d e n a n g e f ü h r t e n E n t s c h e i d u n g e n n o c h n i c h t d e f i n i t i v d a r a u f festgelegt, dass die S t a a t s h a f t u n g wegen einer r i c h t e r l i c h e n A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g außerhalb des S p r u c h r i c h t e r p r i v i l e g s n u r b e i g r o b e m Verschulden e i n t r e t e n solle.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
95
seines Umfangs Besorgnis erregt. W i c h t i g ist der Tatbestand wegen seiner symbolischen Bedeutung. A l l e Professionen definieren sich über ein spezifisches Vertrauenskapital. D e n Ä r z t e n s i n d L e b e n u n d Gesundheit i h r e r Patienten anvertraut. Deshalb ist jeder A n g r i f f auf diese Rechtsgüter besonders verwerflich. Wissenschaftler d ü r f e n ihre Ergebnisse n i c h t verfälschen, Erzieher ihre Zöglinge n i c h t v e r f ü h r e n u n d Manager n i c h t i n die Kasse greifen. U n d so d ü r f e n eben Richter n i c h t das Recht beugen. Rechtsbeugung ist m ö g l i c h als Sachverhaltsfälschung u n d als falsche Rechtsanwendung. Es g i b t keine H i n w e i s e darauf, dass i n der deutschen Justiz vorsätzliche Verfälschungen des Sachverhalts vorkämen. Es geht praktisch nur
u m die fehlerhafte
Rechtsanwendung.
Eine
fehlerhafte
Rechtsanwendung ist o b j e k t i v n u r d a n n Rechtsbeugung, w e n n die Auffassung des Richters n i c h t e i n m a l vertretbar erscheint. A b e r d a m i t n i c h t genug. N a c h der gefestigten Rechtsprechung des B G H begründet (bloße) Unvertretbarkeit
einer E n t s c h e i d u n g selbst b e i d i r e k t e m Vorsatz keine
Rechtsbeugung; d e n n es ist „ n i c h t jeder Rechts verstoß als B e u g u n g 4 des Rechts anzusehen, v i e l m e h r e n t h ä l t dieses Tatbestandsmerkmal ein n o r m a tives Element u n d soll n u r elementare Verstöße gegen die Rechtspflege erfassen, bei denen sich der Täter bewusst u n d i n schwerer Weise v o n Recht u n d Gesetz e n t f e r n t " . 1 0 4 E i n bewusster Verfahrens verstoß, ζ. B. eine Z u ständigkeitsanmaßung, begründet eine Rechtsbeugung n u r dann, w e n n der Richter auf diesem Wege zu einem Ergebnis k o m m e n w i l l , das bei E i n h a l t u n g der gesetzlichen Vorschriften n i c h t zu erreichen gewesen w ä r e . 1 0 5 Diese Z u r ü c k h a l t u n g ist v i e l l e i c h t angemessen, w e n n R i c h t e r n zugemutet w i r d , u n t e r B e r u f u n g auf das Recht gegen einen p o l i t i s c h e n Systemwechsel W i d e r s t a n d zu l e i s t e n . 1 0 6 A b e r sie w i r k t sich gerade f ü r den Justizalltag aus, der n i c h t ganz selten Fälle m i t sich b r i n g t , die bei konventioneller Handhabung107
des Tatbestands als Rechtsbeugung angesehen w e r d e n
müssten. Vielleicht ist f ü r solche Fälle die D r o h u n g m i t einer Mindeststrafe v o n einem Jahr Gefängnis z u hart, z u m a l i m N o r m a l f a l l einer Rechtsbeug u n g d u r c h den Richter eigentlich keine Bewährungsstrafe verhängt w e r d e n d ü r f t e . 1 0 8 A b e r eine m i l d e r e S a n k t i o n g i b t es n i c h t . 104 B G H S t 38, 381 (383) f ü r Rechtsbeugung d u r c h d e n S t a a t s a n w a l t ; 41, 247 (251); d a z u k r i t i s c h Seebode, JR 1994, S. 1; ders., Jura 1997, S. 418; z u l e t z t i m F a l l S c h i l l B G H N J W 2001, S. 3275, d a z u k r i t i s c h Schiemann, N J W 2002, S. 113. 105 B G H N J W 1997, S. 1452. Z u s t i m m e n d Schmittmann,
N J W 1997, S. 1426.
i ° 6 A l l e r d i n g s ist gerade a u c h i n s o w e i t die Rechtsprechung k r i t i s i e r t w o r d e n , ζ. B. v o n Scholderer, Rechtsbeugung i m d e m o k r a t i s c h e n Rechtsstaat, 1993; Bemmann J Z 1995, S. 123 (127); Spendel, J Z 1995, S. 375; ders., N J W 1996, S. 809; Scheffler, N S t Z 1996, S. 67. 107 Schiemann w e i s t k r i t i s c h d a r a u f h i n , w i e schnell i n n e r h a l b anderer S t r a f t a t bestände s u b j e k t i v e M e r k m a l e einfach zugeschrieben w e r d e n ( N J W 2002, S. 112, 114 r. Sp.). 108 Vgl. Schmittmann,
N J W 1997, S. 1426 (1427 1. Sp.).
K l a u s F. R ö h l
96
D i e r e s t r i k t i v e H a l t u n g der Rechtsprechung ist i n die K r i t i k geraten. I c h begnüge m i c h d a m i t , den Schlusssatz zu zitieren, m i t d e m ein ehemaliger Generalstaatsanwalt i m Februar-Heft der N J W 1 0 9 den Freispruch des A m t s richters S c h i l l k o m m e n t i e r t : „ F ü r die Öffentlichkeit b l e i b t der E i n d r u c k z u r ü c k , die Justiz ,schütze' sich notfalls selbst."
5. Mimosenhafte Kritikempfindlichkeit der Justiz
A l l e Personen u n d I n s t i t u t i o n e n , die i m öffentlichen R a u m t ä t i g werden, s i n d der öffentlichen M e i n u n g ausgesetzt, die sich n i c h t i m m e r auf sachliche K r i t i k beschränkt, sondern oft polemisch, satirisch oder gar verletzend daher k o m m t . D i e Meinungsfreiheit findet ihre Grenze erst an den allgemeinen Gesetzen, also insbesondere an den Beleidigungstatbeständen u n d dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. D i e Justiz hat diese Meinungsfreiheit u n t e r dem Grundgesetz erfolgreich ausgebaut u n d verteidigt. D a w i r k t es k l e i n m ü t i g , w e n n sie f ü r sich selbst andere Maßstäbe angewendet wissen w i l l . 1 1 0 E i g e n t l i c h müsste es doch genau umgekehrt sein. F ü r die Justiz, die n a c h allen Seiten austeilt u n d n u r sich selbst k o n t r o l l i e r t , ist die öffentliche M e i n u n g die einzige zulässige Form der Fremdkontrolle. Umso w i c h t i g e r ist hier die Meinungsfreiheit. N o c h e i n m a l ist an die goldene Regel z u erinnern. Was die Justiz P o l i t i k e r n , W i r t s c h a f t s f ü h r e r n u n d Soldaten z u m u t e t , das sollte sie v o n sich selbst n i c h t abwehren, auch w e n n es aus der P o l i t i k k o m m t . D i e Justiz hat A n s p r u c h auf Gehorsam, aber n i c h t auf A c h t u n g oder Respekt. A c h t u n g muss sie sich verdienen. D i e A u t o n o m i e der Justiz ist f ü r alle, die n i c h t dazugehören, beängstigend. Falk 111 v e r t r i t t die interessante These, solche eruptive Polemiken gegen die Justiz, etwa e i n m a l i m Jahr, befriedigten v e r m u t l i c h „ e i n d r i n g e n des, sozialpsychologisch unverzichtbares Bedürfnis. Sie dienen dem A b b a u der B e k l e m m u n g , die sich bei dem Gedanken einstellen muss, dass i m Justizstaat D e u t s c h l a n d eine mausgraue Armee v o n r u n d 20.000 F u n k t i o nären der Justiz [Dieter Simon] fast t ä g l i c h unzählige Entscheidungen von großer w i r t s c h a f t l i c h e r u n d sozialer B e d e u t u n g t r i f f t , deren Rechtmäßigkeit oder R e c h t s w i d r i g k e i t a l l e n N i c h t j u r i s t e n hoffnungslos verborgen bleibt. So gesehen t r ä g t die hemmungslose Polemik gegen singulär wahrgenommene Fehlleistungen einzelner Gerichte dazu bei, die beängstigende A u t o n o m i e des Rechtssystems 1 1 2 f ü r die Gesellschaft e r t r ä g l i c h zu h a l t e n . " 109 Schaefer, Überzogenes R i c h t e r p r i v i l e g , N J W 2002, S. 734 f. 110 w i e einige Ä u ß e r u n g e n auf der B e r l i n e r T a g u n g „ U n a b h ä n g i g k e i t u n d Justizr e f o r m " , D R i Z 1999, S. 125 ff. Vgl. a u c h Mishra, Z u l ä s s i g k e i t u n d Grenzen der U r t e i l schelte, 1997; Habscheid, U r t e i l s k r i t i k d u r c h a m Verfahren „ b e t e i l i g t e " Rechtsa n w ä l t e , Professoren u n d Richter, N J W 1999, S. 2230. 111 Falk ( F N 34), S. 141.
Fehler i n Gerichtsentscheidungen
97
I X . Der langen Rede kurzer Sinn Gegen die A n f o r d e r u n g e n des N S M sollte die Justiz sich n i c h t unsubstant i i e r t auf Gefahren f ü r die Q u a l i t ä t i h r e r P r o d u k t e berufen. Sie sollte v i e l mehr ein Problembewusstsein f ü r die Fehleranfälligkeit i h r e r
Produkte
e n t w i c k e l n u n d dieses i n einer „selbstbewussten A u ß e n d a r s t e l l u n g " 1 1 3 auch vorzeigen.
112 E b d . S. 140. 113 Klein,
i n diesem H e f t S. 59.
7 Die Verwaltung, Beiheft 5
Benchmarking in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit E i n Erfahrungsbericht Von Jürgen B r a n d , Essen
I. Einführung M i t dem hier vorgelegten „ W e r k s t a t t b e r i c h t " soll ohne besondere Ü b e r h ö h u n g ein Reformprojekt der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbark e i t dargestellt werden, das n i c h t als eine sensationelle Neuerung, schon gar als eine revolutionäre Errungenschaft z u beurteilen ist. B e n c h m a r k i n g ist eines v o n vielen F ü h r u n g s i n s t r u m e n t e n , möglicherweise aber auch ein Selbststeuerungsinstrument der Richterschaft u n d - das sollte n i c h t vergessen w e r d e n - des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Dienstes. Das „Schauen über den eigenen T e l l e r r a n d " - eines der P r i n z i p i e n des B e n c h m a r k i n g 1 - ist eine lebenskluge u n d allgemein bekannte H a l t u n g . Es hebt die Beschränkung des D e n kens auf das eigene bekannte A r b e i t s f e l d auf, erweitert d a m i t den H o r i z o n t u n d fördert die K r e a t i v i t ä t . I n V e r b i n d u n g m i t der Bereitschaft, v o n den E r f a h r u n g e n anderer z u lernen - ebenfalls ein Grundgedanke des Benchm a r k i n g 2 - , ermöglicht es auch eine äußerst rationelle Arbeitsweise; denn m a n vermeidet, das R a d s t ä n d i g neu erfinden z u müssen u n d die Fehler anderer z u wiederholen. D i e I n n o v a t i o n der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit besteht allenfalls d a r i n , dass m i t der E i n f ü h r u n g des B e n c h m a r k i n g erstmals i n einer Gerichtsbarkeit der B l i c k ü b e r das eigene A r b e i t s f e l d u n d die A u s w e r t u n g der E r f a h r u n g e n anderer systematisch u n d fortlaufend als E r k e n n t n i s - u n d H a n d l u n g s i n s t r u m e n t eingesetzt werden.
I I . Der Untersuchungsgegenstand Zunächst z u m Untersuchungsgegenstand: D i e nordrhein-westfälische Sozialgerichtsbarkeit besteht aus dem Landessozialgericht u n d acht Sozialgerichten. Bei den acht Sozialgerichten s i n d 172 R i c h t e r i n n e n u n d Richter sowie 534 Personen i m n i c h t r i c h t e r l i c h e n Bereich beschäftigt. D i e K l a g e 1
V g l . insbes. Rau, M i t B e n c h m a r k i n g a n die Spitze, 1999, S. 48 f. 2 Rau ( F N 1), S. 139 ff. 7'
100
Jürgen B r a n d
eingänge beliefen sich i m vergangenen Jahr auf 60.000. Das Landessozialgericht ist i n 18 Senaten m i t 63 R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n sowie 86 Personen i m n i c h t r i c h t e r l i c h e n Bereich besetzt. Diese bearbeiteten i m vergangenen Jahr etwa 4.500 Berufungen.
I I I . Organisationsentwicklung - Stufe I „ N o t m a c h t erfinderisch". Ohne eine a k u t e N o t s i t u a t i o n w e r d e n Reformen n u r selten angegangen. Anlass f ü r die erste weitreichende Reform i n der Sozialgerichtsbarkeit des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n w a r der d r a m a tische A n s t i e g der Klageeingänge. D i e Z a h l stieg v o n 1992 bis 1998 von 45.729 auf 64.899 u n d d a m i t u m etwa 4 2 % an. A u c h n a c h einem Rückgang i m Jahre 1999 b e t r u g der Klagezuwachs i m Jahr 2001 i m m e r noch 31%. M i t diesem A n s t i e g k o n t r a s t i e r t der gleichbleibende - i m n i c h t r i c h t e r l i c h e n Bereich sogar zurückgehende - Personalbestand. Die Führungsverantwortlichen
der nordrhein-westfälischen
Sozialge-
r i c h t s b a r k e i t w a r e n sich - angesichts der angespannten Haushaltslage - i n dieser S i t u a t i o n einig, die Forderung n a c h m e h r (Plan-)Stellen erst z u erheben, w e n n andere M e t h o d e n z u k e i n e m E r f o l g geführt hätten. Aus diesem G r u n d e w u r d e n M i t t e bis Ende der 90er Jahre Serviceeinheiten bei allen Sozialgerichten eingeführt, dem n i c h t r i c h t e r l i c h e n D i e n s t der Serviceeinheiten sog. richterassistierende T ä t i g k e i t e n z u r eigenen B e a r b e i t u n g übertragen, die gesamte Belegschaft i n ein „qualifiziertes Vorschlagwesen" eingebunden, Organisationsberater
ausgebildet,
Führungskräfteschulungen
durchgeführt u n d die Gerichte flächendeckend m i t E D V ausgestattet 3 . Ende 1997 k o n s t i t u i e r t e sich eine Steuerungsgruppe aus den acht Präsid e n t i n n e n u n d Präsidenten der Sozialgerichte u n d d e m Präsidenten des Landessozialgerichts. Diese Steuerungsgruppe ist eine der w i c h t i g s t e n Innovationen, die die O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g i n der Sozialgerichtsbark e i t N R W hervorgebracht hat. Sie ist das zuständige G r e m i u m z u r Steuer u n g des Einsatzes aller personellen u n d sachlichen M i t t e l der Sozialgerichtsbarkeit NRW; sie entscheidet m i t einfacher S t i m m e n m e h r h e i t . D i e M i t g l i e d e r der Steuerungsgruppe treffen sich e i n m a l m o n a t l i c h . E i n e rechtliche Grundlage f ü r ihre Existenz sowie eine Geschäftsordnung o. ä. bestehen n i c h t . M i t der E i n r i c h t u n g der Steuerungsgruppe w u r d e die Hierarchieebene zwischen d e m Präsidenten des Landessozialgerichts u n d den P r ä s i d e n t i n nen u n d Präsidenten der Sozialgerichte p r a k t i s c h eingeebnet. D i e f r ü h z e i 3 Näheres i m I n t e r n e t w w w . l s g . n r w . d e u n t e r der R u b r i k A k t u e l l e s : P r o j e k t e Benchmarking.
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B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t
101
tige E i n b i n d u n g der ö r t l i c h e n Präsidentinnen u n d Präsidenten i n alle wesentlichen Entscheidungen h a t z u m einen z u einer wesentlichen Verbesserung des Informationsaustausches u n d der Transparenz der E n t s c h e i d u n gen geführt.
D i e außerordentlich hohe Sachkompetenz
des
Gremiums
garantiert i n der Regel z u m anderen, dass alle wesentlichen Gesichtspunkte i n die E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g einfließen. N i c h t zuletzt erhöht die gleichwertige B e r ü c k s i c h t i g u n g jeder S t i m m e die A k z e p t a n z der Entscheidungen i n der Runde der Gerichtsleitungen sowie der Richter- u n d M i t a r b e i t e r s c h a f t vor Ort. D i e E i n r i c h t u n g der Steuerungsgruppe hat sich zudem als eine wesentliche Voraussetzung f ü r die zentralen Projekte herausgestellt. F ü r das B e n c h m a r k i n g - P r o j e k t hat sie sich als besonders w i c h t i g erwiesen. D a B e n c h m a r k i n g i n erhöhtem Maße die Bereitschaft der B e t e i l i g t e n voraussetzt, aufeinander zuzugehen, kompromisslos Probleme anzusprechen u n d Rat bei anderen z u suchen, ist eine Offenheit i m U m g a n g u n d eine f u n k t i o nierende K u l t u r der K o m m u n i k a t i o n erforderlich 4 . D i e gute Zusammenarb e i t i n der Steuerungsgruppe der Sozialgerichtsbarkeit N R W bietet insofern eine günstige Bedingung.
IV. Organisationsentwicklung - Stufe I I 1. Auswahl verschiedener Projekte
1997 w u r d e n verschiedene M ö g l i c h k e i t e n d i s k u t i e r t , das P r o d u k t der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit schneller, besser u n d w i r t schaftlicher „ h e r s t e l l e n " u n d „ v e r t r e i b e n " zu können. Beschlossen w u r d e m i t M e h r h e i t , ein B e n c h m a r k i n g - P r o j e k t z u beginnen. B e n c h m a r k i n g ist ein I n s t r u m e n t der Wettbewerbsanalyse, das erstmals Ende der 70er Jahre v o n U n t e r n e h m e n i n den U S A u n d später auch i n D e u t s c h l a n d angewandt w u r d e 5 . I n z w i s c h e n hat B e n c h m a r k i n g auch w e i t e Teile des öffentlichen Sektors, insbesondere die K o m m u n e n 6 , erfasst. H i e r d u r c h werden Produkte, Dienstleistungen sowie Prozesse u n d M e t h o d e n m i t anderen U n t e r n e h m e n verglichen, u m die Leistungslücke z u m sog. Klassenbesten systematisch z u schließen. G r u n d i d e e ist es festzustellen, 4 Rau ( F N 1), S. 12 ff. z u m K u l t u r p r o b l e m B e n c h m a r k i n g u n d S. 16 ff. z u m K o m m u n i k a t i o n s p r o b l e m B e n c h m a r k i n g ; vgl. auch Reichardt, „ G e h t n i c h t , gibt's n i c h t " , 1999, S. 183 ff., der v o n d e n S c h w i e r i g k e i t e n i n der p r i v a t e n W i r t s c h a f t b e r i c h t e t , B M - P a r t n e r z u finden. 5 Vgl. a u s f ü h r l i c h 1995, S. 17 ff.
zur
Entwicklungsgeschichte
Lamia,
Prozessbenchmarking,
6 Vgl. e t w a Spindler, B e n c h m a r k i n g - W e t t b e w e r b u n t e r den K o m m u n e n , Sozialer F o r t s c h r i t t 1999, S. 303 ff.; Rebscher, B e n c h m a r k i n g i n der sozialen K r a n k e n v e r s i c h e r u n g , R P G 2000, S. 39 ff.
102
Jürgen B r a n d
welche Unterschiede bestehen, w a r u m diese Unterschiede bestehen u n d welche Verbesserungsmöglichkeiten gegeben s i n d 7 . Sicherlich f i n d e t B e n c h m a r k i n g i m Rahmen der p r i v a t e n Wirtschaft Bedingungen vor, die i n d e m öffentlichen Sektor fehlen; so ist es i n der p r i v a t e n Wirtschaft v o r a l l e m der Wettbewerb, der die U n t e r n e h m e n z w i n g t , sich den w a n d e l n d e n Problemen u n d Bedingungen anzupassen; der K u n d e defin i e r t die Q u a l i t ä t des P r o d u k t s u n d k a n n zwischen mehreren A n b i e t e r n auswählen. Anders i m öffentlichen Bereich: Vor a l l e m i m h o h e i t l i c h e n Sekt o r hat der A n b i e t e r eine Monopolstellung; die L e i s t u n g w i r d d u r c h rechtliche u n d politische Vorgaben, n i c h t d u r c h den Bedarf des „ K u n d e n " definiert. Diese Unterschiede lassen jedoch n i c h t den Schluss zu, B e n c h m a r k i n g außerhalb der P r i v a t w i r t s c h a f t sei ein ungeeignetes I n s t r u m e n t . V i e l m e h r k a n n B e n c h m a r k i n g f ü r den h o h e i t l i c h e n Bereich i m gewissen U m f a n g den fehlenden Wettbewerb ersetzen u n d so die f r u c h t b a r e n W i r k u n g e n der K o n k u r r e n z n u t z b a r machen 8 . Selbstverständlich hat B e n c h m a r k i n g jeweils die Besonderheiten des Vergleichsgegenstandes z u beachten: So stoßen neue Steuerungsmodelle, die i n einer Gerichtsbarkeit angewandt werden, auf die Grenzen der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t , die n i c h t angetastet w e r d e n dürfen. Diese Besonderheiten s i n d jedoch - w i e oft vorgetragen - k e i n A r g u ment gegen B e n c h m a r k i n g , sondern l e d i g l i c h ein A r g u m e n t dafür, das I n s t r u m e n t s i n n v o l l anzupassen u n d besonders k r i t i s c h auf seine T a u g l i c h k e i t h i n zu untersuchen. Gefragt w e r d e n musste demnach, ob e i n Leistungsvergleich i n der n o r d rhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit - u n t e r B e a c h t u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t - einen i r g e n d w i e gearteten Aufschluss über Schwächen i n der Organisation bzw. Verbesserungsmöglichkeiten i n der Verfahr e n s a b w i c k l u n g u n d anderen Gebieten ergeben k a n n . Z u d e m galt es auch auszuloten, ob die W i r k m e c h a n i s m e n der Wirtschaft, die - n i c h t i m m e r zu Recht - denen der öffentlichen H a n d als überlegen bezeichnet werden, i m Rahmen einer O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g einer Gerichtsbarkeit z u N u t z e sein könnten. D a die nordrhein-westfälische Sozialgerichtsbarkeit i n w e i ten Bereichen über die Steuerungsgruppe zentral gesteuert w i r d u n d dad u r c h große Unterschiede eigentlich n i c h t auftreten können, w a r genau zu prüfen, ob B e n c h m a r k i n g die G e r i c h t s b a r k e i t v o r a n b r i n g e n k a n n . D i e M i t g l i e d e r der Steuerungsgruppe erwarteten v o n dem Einsatz des B e n c h m a r k i n g eine höhere Transparenz v o n Organisation u n d L e i s t u n g u n d eine b r e i t angelegte K o m m u n i k a t i o n über „best practices". D a r ü b e r hinaus 7 A u s f ü h r l i c h z u m Begriff des B e n c h m a r k i n g Komus, B e n c h m a r k i n g als I n s t r u m e n t der i n t e l l i g e n t e n O r g a n i s a t i o n , 2001, S. 40 ff.; Lamia ( F N 5), S. 28 ff. 8 Riedel, I n t e r k o m m u n a l e r L e i s t u n g s v e r g l e i c h - Philosophie, Methode, Organisat i o n , i n : A d a m a s c h e k / B a i t s c h (Hrsg.), I n t e r k o m m u n a l e r Leistungsvergleich. K r i t i sche Erfolgsfaktoren, 1999, S. 11 f.
B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t
103
erschien es n i c h t undenkbar, über die E r h e b u n g u n d Analyse v o n K e n n zahlen sich o b j e k t i v e n Maßstäben f ü r Q u a l i t ä t , Q u a n t i t ä t u n d W i r t s c h a f t l i c h k e i t r i c h t e r l i c h e r u n d n i c h t r i c h t e r l i c h e r A r b e i t anzunähern. O b j e k t i v e Maßstäbe f ü r Gerechtigkeit existieren genauso w e n i g w i e f ü r die Q u a l i t ä t der r i c h t e r l i c h e n A r b e i t , noch n i c h t e i n m a l f ü r die Q u a n t i t ä t / Verfahrensdauer u n d W i r t s c h a f t l i c h k e i t der Justiztätigkeit. D u r c h das B e n c h m a r k i n g P r o j e k t erschien es m ö g l i c h , sich diesen o b j e k t i v e n Maßstäben anzunähern.
2. Untersuchungsgebiete
I n der Steuerungsgruppe w u r d e beschlossen, i n dem B e n c h m a r k i n g P r o j e k t einen Leistungsvergleich zwischen den acht Sozialgerichten des Landes durchzuführen. A l s Untersuchungsgebiete w u r d e n die folgenden Z i e l d i m e n s i o n e n ausgewählt: • Auftragserfüllung (Qualität u n d Quantität), • Wirtschaftlichkeit, • Beteiligtenzufriedenheit / „ K u n d e n " - Z u f r i e d e n h e i t , •
Mitarbeiterzufriedenheit. D i e B e a c h t u n g v o n Q u a l i t ä t s - u n d Quantitätsgesichtspunkten
sowie
der B e t e i l i g t e n - u n d M i t a r b e i t e r z u f r i e d e n h e i t machen d e u t l i c h , dass b e i m Benchmarking
keinesfalls
lediglich
Kostengesichtspunkte
im
Vorder-
g r u n d stehen, sondern i n einem ganzheitlichen Prozess alle f ü r die U n t e r suchungsgebiete relevanten Faktoren gegeneinander abgewogen w e r d e n müssen 9 . Es überzeugt n ä m l i c h n i c h t , sich l e d i g l i c h k r i t i s c h m i t einer Z i e l d i m e n s i o n bzw. m i t einzelnen A u s s c h n i t t e n der Untersuchungsgebiete - etwa der zeitnahen E n t s c h e i d u n g des Rechtsstreits - auseinander z u setzt e n 1 0 . D e m liegt e i n mangelhaftes Verständnis des B e n c h m a r k i n g zugrunde, das die Interdependenz der untersuchten Z i e l d i m e n s i o n e n - bewusst oder unbewusst - ignoriert. Das P r o j e k t sollte auch n i c h t dazu dienen, die L e i s t u n g einzelner Personen z u untersuchen, sondern v i e l m e h r die Leistungsfähigkeit einer O r g a n i sation bzw. einzelner A b t e i l u n g e n auf den P r ü f s t a n d zu stellen u n d z u verbessern. Dementsprechend w e r d e n die acht nordrhein-westfälischen
So-
zialgerichte u n d n i c h t die Leistungsfähigkeit des einzelnen Beschäftigten untersucht. U m Rückschlüsse auf die Arbeitsergebnisse einzelner Personen auszuschließen, w e r d e n Fachsparten n i c h t v o n der U n t e r s u c h u n g erfasst, i n 9 Vgl. d a z u Adamaschek, Interkommunaler Leistungsvergleich - Leistung u n d I n n o v a t i o n d u r c h W e t t b e w e r b , 2. A u f l . 1997, S. 45. 10 So Bilsdorfer, N J W 1999, S. 3096.
104
Jürgen B r a n d
denen f ü r g e w ö h n l i c h an einem Gericht n u r eine R i c h t e r i n bzw. ein Richter t ä t i g ist (ζ. B. Ä r z t l i c h e s Vertragsrecht). Vor a l l e m u m der Richterschaft die Sorge zu nehmen, es ginge u m den Vergleich der L e i s t u n g e n einzelner Personen, hat die Steuerungsgruppe i n der Anfangsphase des Projekts folgenden Beschluss gefasst u n d b e k a n n t gegeben: Grundlagenbeschluss
der
Steuerungsgruppe
Z i e l des P r o j e k t s ist es, die Sozialgerichte i n den Bereichen Q u a l i t ä t , Q u a n t i t ä t , W i r t s c h a f t l i c h k e i t , K u n d e n - u n d M i t a r b e i t e r z u f r i e d e n h e i t m i t e i n a n d e r z u vergleichen. D e r Vergleich der Arbeitsergebnisse einzelner R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r ist n i c h t vorgesehen u n d b l e i b t ausgeschlossen. D u r c h das P r o j e k t w i r d n i c h t auf die einzelnen Verfahren oder die A r t i h r e r E r l e d i g u n g d u r c h die R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r E i n f l u s s genommen. D e r K e r n b e r e i c h r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t b l e i b t u n e i n g e s c h r ä n k t gewahrt. Das alleinige Z i e l , insbesondere i n diesem Bereich, ist daher Selbststeuerung d u r c h Transparenz.
3. Qualitätsuntersuchungen
Z u B e g i n n des B e n c h m a r k i n g p r o j e k t s befasste sich eine m e h r h e i t l i c h m i t R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n besetzte A r b e i t s g r u p p e m i t der Frage, ob u n d ggfls. w i e die Q u a l i t ä t der A u f t r a g s e r f ü l l u n g z u messen ist. Kennzahlen, die u n m i t t e l b a r über die Q u a l i t ä t , insbesondere der r i c h t e r l i c h e n A r b e i t , A u f schluss geben, ließen sich jedoch k a u m finden. Der betriebswirtschaftliche Begriff der Q u a l i t ä t „ G ü t e eines P r o d u k t s i m H i n b l i c k auf seine E i g n u n g f ü r den Verwender, w o b e i der Verwender die E i g n u n g selbst d e f i n i e r t " , ist auf r i c h t e r l i c h e u n d n i c h t r i c h t e r l i c h e
T ä t i g k e i t n i c h t übertragbar.
Die
A r b e i t der Justiz w i r d w e s e n t l i c h d u r c h gesetzliche Vorgaben b e s t i m m t , so dass sich das Ergebnis - insbesondere w e n n Recht gesprochen w i r d - einer B e u r t e i l u n g auf seine E i g n u n g d u r c h die B e t e i l i g t e n entzieht. D i e A r b e i t s g r u p p e stellte eine Reihe v o n I n d i k a t o r e n zusammen, die (eingeschränkt) Aussagen über die Q u a l i t ä t der A r b e i t zulassen. D a z u zählen etwa: • die Verfahrensdauer (Klagen u n d einstweiliger Rechtsschutz), • die Dauer der Prozesskostenhilfeverfahren, • die Dauer der Urteilsabsetzung, • die A n z a h l streitiger Entscheidungen, • die A n z a h l n i c h t s t r e i t i g e r Entscheidungen u n d • die Erfolglosigkeit der Berufung. D i e q u a n t i t a t i v e A u s r i c h t u n g dieser M e r k m a l e überrascht auf den ersten B l i c k . Eine stärkere i n h a l t l i c h e Analyse b i r g t die Gefahr des Eingriffs i n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t sowie der Ü b e r f o r d e r u n g des A u s w e r t e n -
B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t
105
den. Das Interesse der Rechtsuchenden n i c h t n u r an einer r i c h t i g e n u n d nachvollziehbaren, sondern auch an einer zeitnahen E n t s c h e i d u n g 1 1 rechtfertigt es jedoch, i m Bereich der Q u a l i t ä t auch m i t Q u a n t i t ä t s p a r a m e t e r n zu arbeiten. D a die Richterschaft jedoch die Auffassung vertrat, die E r h e b u n g v o n K e n n z a h l e n f ü r die Q u a l i t ä t der A u f g a b e n e r f ü l l u n g könne einen E i n g r i f f i n die gem. A r t . 97 G G geschützte r i c h t e r l i c h e
Unabhängigkeit
darstellen, hat die Steuerungsgruppe beschlossen, dass der Teilbereich „ A u f g a b e n e r f ü l l u n g n a c h Q u a l i t ä t " zunächst n i c h t v o n der Gerichts Verw a l t u n g , sondern g r u n d s ä t z l i c h v o n einem d u r c h die Richterschaft bzw. dem B e z i r k s r i c h t e r r a t
selbst
organisierten
Qualitätszirkel12
bearbeitet
w e r d e n soll. Ob dieses A n g e b o t v o n der Richterschaft k ü n f t i g angenommen w i r d , b l e i b t abzuwarten.
4. Quantitätsuntersuchungen
D i e K e n n z a h l e n des Untersuchungsgebietes
„Auftragserfüllung
nach
Q u a n t i t ä t " s i n d vor a l l e m die Z a h l der eingegangenen K l a g e n u n d E r l e d i gungen sowie der Bestand. Diese D a t e n w e r d e n seit langem erhoben u n d den R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n der Sozialgerichte m o n a t l i c h - bezogen auf die einzelnen K a m m e r n - z u r Verfügung gestellt. D a r ü b e r hinaus k ö n n e n g r u n d s ä t z l i c h alle landes- bzw. bundesweit erhobenen D a t e n (ζ. B. die i n der sog. Bayernstatistik erfassten Daten) als K e n n z a h l e n genutzt werden. I m Rahmen des B e n c h m a r k i n g der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsb a r k e i t werden die K e n n z a h l e n auf diesem Untersuchungsgebiet nach Ger i c h t e n u n d nach Fachsparten e r m i t t e l t u n d ausgewertet. D e r Leistungsvergleich bietet die M ö g l i c h k e i t , Ursachen f ü r steigende Eingänge u n d Bestände oder r ü c k l ä u f i g e Erledigungszahlen z u e r m i t t e l n . I n einem ersten S c h r i t t k ö n n e n - beispielsweise - die d u r c h s c h n i t t l i c h e n E r ledigungen der Gerichte p r o I s t - R i c h t e r verglichen werden. F ü r den „ K l a s senbesten" u n d den „Klassenschlechtesten" w ü r d e sodann eine weitere D i f ferenzierung nach Fachsparten vorgenommen. Soweit sich f ü r eine Fachsparte b e i m „Klassenschlechtesten" s i g n i f i k a n t e A b w e i c h u n g e n gegenüber den E r l e d i g u n g e n des Vergleichsgerichts ergäben, k ö n n t e i m Weiteren - m i t H i l f e zusätzlicher K e n n z a h l e n - ζ. B. festgestellt werden, ob die Bestände p r o I s t - R i c h t e r b e i m „Klassenschlechtesten" weitaus höher liegen als b e i m „Klassenbesten" oder gegenüber den vorangegangenen Berichtszeiträumen 11 Das A b s c h l u s s p a p i e r der D R B - A r b e i t s g r u p p e „ Q u a l i t ä t i n der J u s t i z " , - a b r u f b a r u n t e r w w w . d r b . d e / q u a l i t a e t . doc - geht d a v o n aus, dass eine zeitnahe E n t s c h e i d u n g die Transparenz r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t u n d d a m i t auch die Q u a l i t ä t der A r b e i t erhöht. 12 Vgl. insofern auch die Vorschläge des Abschlusspapiers der D R B - A r b e i t s g r u p p e „ Q u a l i t ä t i n der J u s t i z " u n d den B e r i c h t v o n Kleinknecht, D R i Z 2002, S. 77.
106
Jürgen B r a n d
d e u t l i c h gestiegen sind. E i n e E r k l ä r u n g d a f ü r k ö n n t e möglicherweise die hohe K r a n k e n q u o t e - als weitere K e n n z a h l - bieten. E i n derart - hier n u r beispielhaft u n d grob skizzierter - systematischer Leistungsvergleich offenb a r t die Schwachstellen u n d deren Ursachen zeitnah, so dass rechtzeitig u n d gezielt geeignete M a ß n a h m e n ergriffen w e r d e n können.
5. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen
I m Bereich der „ W i r t s c h a f t l i c h k e i t " ist der ökonomische Einsatz der f i nanziellen Ressourcen z u prüfen. Insbesondere bietet sich die U n t e r s u c h u n g der Kosten f ü r Sachverständigengutachten an, w e i l diese i h r e r H ö h e nach einen wesentlichen Teil des Haushaltsansatzes der Sozialgerichtsbarkeit ausmachen. D e r Vergleich der Sachverständigenkosten der Sozialgerichte zeigte z u nächst, dass sich die Kosten v ö l l i g u n t e r s c h i e d l i c h e n t w i c k e l t hatten. D i f f e renzierte m a n w e i t e r n a c h Fachsparten, so ließen sich insbesondere i m Schwerbehindertenrecht Unterschiede b e i den Gutachtenkosten p r o E r l e d i g u n g v o n mehreren h u n d e r t D - M a r k erkennen. Z u r k o n k r e t e n Analyse w u r den weitere Kennzahlen, u. a. die Befundberichtskosten p r o E r l e d i g u n g , die Erfolgsquote u n d die Verfahrensdauer erhoben. D a b e i f i e l auf, dass das Ger i c h t m i t den niedrigsten Sachverständigenkosten zugleich den höchsten A n t e i l an Verfahrensbeendigungen bis z u m z w ö l f t e n M o n a t u n d die n i e d r i g ste Urteilsquote, allerdings auch i m Vergleich zu anderen Gerichten höhere Kosten f ü r eingeholte Befundberichte verzeichnen konnte. D i e V e r m u t u n g l a g nahe, dass auf der G r u n d l a g e eingeholter Befundberichte Sachverständigengutachten gezielter i n A u f t r a g gegeben w e r d e n k o n n t e n oder gar überflüssig w u r d e n . Diese A r t der medizinischen Sachverhaltsaufklärung u n d die d a d u r c h gewonnenen Ergebnisse stießen bei den Verfahrensbeteiligten keinesfalls auf A b l e h n u n g , was sich andernfalls i n einer ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h hohen U r t e i l s q u o t e d o k u m e n t i e r t hätte. U m t a t s ä c h l i c h - dem Grundsatz des B e n c h m a r k i n g folgend - v o m Besten lernen zu k ö n n e n 1 3 , bedarf es stets der I n f o r m a t i o n über die i m Leistungsvergleich gewonnenen Erkenntnisse. D a r ü b e r hinaus müssen unterschiedliche A r b e i t s m e t h o d e n oder eine anders geartete A r b e i t s o r g a n i s a t i o n transparent gemacht werden, soweit hier die Ursache f ü r die gewonnenen Erkenntnisse v e r m u t e t w i r d . Z u r Schwachstellenanalyse u n d z u r E r a r b e i t u n g v o n Lösungsvorschlägen ist ein R ü c k g r i f f auf die E r f a h r u n g e n u n d Kenntnisse der u n m i t t e l b a r betroffenen Beschäftigten unverzichtbar.
13 Siebert/Kempf,
B e n c h m a r k i n g , 1998, S. 8 ff.
Sozialgerichtsbarkeit NRW: Entwicklung der Sachverständigenkosten
Abbildung 1
Benchmarking i n der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit 107
Jürgen Brand
108
Dementsprechend hat i m Herbst 2001 ein „Erfahrungsaustausch über die B e a r b e i t u n g von Streitsachen aus dem Schwerbehindertenrecht"
statt-
gefunden. R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n w u r d e Gelegenheit gegeben, sich über die Erkenntnisse des Leistungsvergleichs z u i n f o r m i e r e n u n d E i n b l i c k i n die A r t u n d Weise der r i c h t e r l i c h e n B e a r b e i t u n g bei anderen Gerichten zu nehmen. D e r Erfahrungsaustausch f a n d ohne B e t e i l i g u n g von M i t g l i e d e r n der G e r i c h t s v e r w a l t u n g statt, u m den teilweise geäußerten Bedenken, die V e r w a l t u n g werde l e t z t l i c h einzig u n d a l l e i n der Arbeitsweise des sogen a n n t e n Klassenbesten den Vorzug geben, w i r k s a m zu begegnen. R i c h t e r i n nen u n d Richter sollen hingegen selbst entscheiden, ob sie - i m E i n z e l f a l l eine andere Arbeitsmethode übernehmen bzw. w e i t e r e n t w i c k e l n . F ü r die Z u k u n f t wäre es vorstellbar, den k o n t i n u i e r l i c h e n
Optimierungsprozess
d u r c h Q u a l i t ä t s z i r k e l 1 4 voranzubringen, die die Erkenntnisse eines Leistungsvergleichs aufgreifen u n d bearbeiten. A u f dem Gebiet der W i r t s c h a f t l i c h k e i t w u r d e n w e i t e r die nach § 13 Z S E G v o n den Sozialgerichten abgeschlossenen Pauschalvereinbarungen untersucht. D i e Analyse ergab deutliche Differenzen bei der Honorarhöhe sowie b e i der vertraglichen E i n b e z i e h u n g sogenannter Nebenkosten i n die Pauschale. Diese Schwachstellen w a r e n ebenfalls n i c h t ohne das E x p e r t e n wissen der M i t a r b e i t e r z u beseitigen. M i t dem Sachverstand der f ü r den A b schluss v o n Pauschalvereinbarungen zuständigen M i t a r b e i t e r der Sozialgerichte w u r d e ein M u s t e r v e r t r a g f ü r Pauschalvereinbarungen e n t w i c k e l t , auf dessen Grundlage den Sozialgerichten, EDV-gestützt, der Abschluss i n d i v i d u e l l e r Pauschalvereinbarungen, i n der Regel u n t e r E i n b e z i e h u n g der Nebenkosten, m ö g l i c h ist. D a r ü b e r hinaus w e r d e n seit B e g i n n des Jahres die Sachverständigenkosten - m i t H i l f e eines eigens dafür e n t w i c k e l t e n EDV-Programms - differenziert n a c h Gerichten u n d Fachsparten erfasst. D a m i t w i r d es möglich, ein K o s t e n p r o f i l der angefallenen Sachverständigenkosten i n den Rechtsgebieten Rentenversicherung, Unfallversicherung, Schwerbehindertenrecht u n d Pflegeversicherung z u erstelllen. Z u g l e i c h w i r d a u f g r u n d der erfassten D a t e n der Abschluss v o n Pauschalvereinbarungen erleichert.
6. Untersuchung der Mitarbeiterzufriedenheit
D i e Leistungsfähigkeit der Gerichte w i r d i n entscheidendem Maße d u r c h die Beschäftigten b e s t i m m t . I h r e K r e a t i v i t ä t u n d i h r Wissen s i n d u n a b d i n g bar, u m Schwachstellen z u analysieren u n d zu beseitigen. Es liegt daher nahe, dass n u r zufriedene M i t a r b e i t e r i n n e n u n d M i t a r b e i t e r die f ü r Ver14 Vgl. zum Modell von Qualitätszirkeln auch Mackenroth, DRiZ 2000, S. 301, 310.
Benchmarking in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit
109
änderungen notwendige Bereitschaft u n d K r e a t i v i t ä t e n t w i c k e l n . Ohne z u friedene M i t a r b e i t e r w i r d es l a n g f r i s t i g keine zufriedenen „ K u n d e n " geben, ebenso w i r d keine ordnungsgemäße A u f t r a g s e r f ü l l u n g m ö g l i c h u n d keine W i r t s c h a f t l i c h k e i t z u erzielen s e i n 1 5 . D i e Z u f r i e d e n h e i t der M i t a r b e i t e r steigt g e w ö h n l i c h i n dem Maße, i n d e m es gelingt, ihre Interessen m i t denen des Gerichts i n E i n k l a n g zu bringen. D i e diesbezüglich n o t w e n d i g e E r k e n n t n i s q u e l l e b i l d e t e die i m Jahr 2000 durchgeführte
Mitarbeiterbefra-
gung der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit. D i e M i t a r b e i t e r der Sozialgerichte b e u r t e i l t e n ihre Z u f r i e d e n h e i t
ins-
gesamt m i t der D u r c h s c h n i t t s n o t e v o n 3,17 (bei einer Schulnotenskala v o n 1 - 6). D i e generelle Z u f r i e d e n h e i t der M i t a r b e i t e r w u r d e m i t z w e i Fragestellungen e r m i t t e l t . Z u m einen w u r d e die Z u f r i e d e n h e i t m i t der eigenen T ä t i g k e i t abgefragt, z u m anderen w u r d e die Frage „ W e n n Sie sich heute noch e i n m a l entscheiden könnten, w ü r d e n Sie w i e d e r b e i I h r e m Sozialgericht anfangen?" gestellt. I n beiden Fragen w u r d e ein sehr gutes Ergebnis erzielt. D i e Z u f r i e d e n h e i t m i t der eigenen T ä t i g k e i t w u r d e - alle Sozialgerichte einbezogen - m i t der N o t e 2,53 bewertet ( W i c h t i g k e i t des K r i t e r i u m s : 1,45). H i n s i c h t l i c h der allgemeinen Z u f r i e d e n h e i t lassen sich n u r marginale U n terschiede zwischen dem r i c h t e r l i c h e n u n d dem n i c h t r i c h t e r l i c h e n Dienst feststellen. I m D u r c h s c h n i t t s i n d die Befragten i m r i c h t e r l i c h e n D i e n s t (0
2,35) etwas zufriedener als ihre Kollegen aus dem n i c h t - r i c h t e r l i c h e n
Dienst (0 2,59). D i e Frage „ W e n n Sie sich heute noch e i n m a l entscheiden k ö n n t e n , w ü r den Sie w i e d e r bei i h r e m Sozialgericht anfangen?" b e a n t w o r t e t e n 75% (87,2% der Richterschaft u n d 72,7% des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Dienstes) der Befragten positiv. D i e Portfolio-Analyse (S. 112) zeigte indes H a n d l u n g s b e d a r f i n den Themenbereichen „ O r g a n i s a t i o n des Sozialgerichts"
(Fragekomplex 8) u n d
„ K a r r i e r e u n d W e i t e r b i l d u n g s m ö g l i c h k e i t e n " (Fragekomplex 4).
is Adamaschek (FN 9), S. 44.
Jürgen B r a n d
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Sozialgerichtsbarkeit NRW: Mitarbeiterzufriedenheit allgemein
Abbildung 3
• Das Kriterium ist für mich sehr wichtig (1)... unwichtig (6).
• Das Kriterium trifft für mich vollkommen zu (1 ) ... überhaupt nicht zu (6).
Benchmarking i n der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit 111
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Jürgen B r a n d
112
sehr unwichtig
K7Ç-
schlechte Beurteilung niedrige Priorität
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gute Beurteilung niedrige Priorität
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schlechte Beurteilung hohe Priorität
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HRT, gute -
Beurteilung
^ I; hohe Priorität
sehr wichtig/ zufrieden Q)
Zufriedenheit
X-Achse
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unzufrieden
Das Verhältnis zur eigenen Tätigkeit
(g) Anerkennung und Selbstverwirklichung (3)
Die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen/dem direkten Umfeld
(4) Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten (5) Zufriedenheit mit der Vergütung (ß) Das Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen (7) Das Verhältnis zur Vorgesetzten/zum Vorgesetzten (§) Die Organisation des Sozialgerichts Abbildung 4 Portfolio-Analyse
D i e i n der Sozialgerichtsbarkeit eingesetzten Organisationsberater entw i c k e l t e n auf der G r u n d l a g e dieser Ergebnisse einen K a t a l o g sogenannter „ ü b e r ö r t l i c h e r " u n d f ü r einzelne Sozialgerichte - i n der Regel i n A b s t i m m u n g m i t G e r i c h t s v e r w a l t u n g u n d den M i t b e s t i m m u n g s g r e m i e n - einen K a t a l o g sogenannter „ ö r t l i c h e r H a n d l u n g s f e l d e r " .
B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t Überörtliche
Handlung
113
sf elder:
Ο Vergütung Ο Aufstiegsmöglichkeiten Ο Tarifliche Eingruppierung Ο Fortbildung Ο Personalverteilung (Arbeitsbelastung) Ο Wir-Gefühl Ο V e r h ä l t n i s z u d e n Vorgesetzten Ο F ö r d e r u n g v o n Verbesserungsvorschlägen (Vorschlagswesen) Örtliche
Handlungsfeider:
Ο Anerkennung und Selbstverwirklichung Ο Arbeitsbedingungen/direktes Umfeld Ο Verhältnis zu den Kollegen Ο V e r h ä l t n i s z u Vorgesetzten Ο Organisation ( E i n h a l t u n g v o n D e l e g a t i o n s r e g e l n / B e t e i l i g u n g der Betroffenen a n E n t s c h e i d u n g e n / F ö r d e r u n g v o n Verbesserungsvorschlägen)
D i e f ü r das Jahr 2 0 0 3 / 2 0 0 4 vorgesehene weitere M i t a r b e i t e r b e f r a g u n g w i r d zeigen, ob die auf den genannten Themenfeldern ergriffenen M a ß n a h m e n die Z u f r i e d e n h e i t der Beschäftigten w e i t e r verbessert haben.
7. Untersuchung der Beteiligtenzufriedenheit („Kundenzufriedenheit")
D i e Sozialgerichtsbarkeit N R W möchte sich - i h r e m L e i t b i l d 1 6 entsprechend - zu einer modernen u n d leistungsfähigen, sich ständig selbst erneuernden Gerichtsbarkeit e n t w i c k e l n . B e r ü c k s i c h t i g u n g f i n d e n müssen daher v o r a l l e m die Bedürfnisse u n d Interessen derjenigen, die die Gerichte z u r E n t s c h e i d u n g eines Rechtsfalls anrufen. O b w o h l die B e t e i l i g t e n weder Gericht noch Richter auswählen können, haben sie einen A n s p r u c h darauf, dass n i c h t n u r j u r i s t i s c h k o r r e k t , sondern auch zeitnah, f r e u n d l i c h u n d vers t ä n d n i s v o l l Recht gesprochen w i r d . Das Gesamtergebnis der B e t e i l i g t e n befragung hat gezeigt, dass die nordrhein-westfälische Sozialgerichtsbark e i t auf dem r i c h t i g e n Weg ist. D i e K l ä g e r i n n e n u n d K l ä g e r bzw. deren Bev o l l m ä c h t i g t e haben die Gerichtsbarkeit m i t der D u r c h s c h n i t t s n o t e 2,2, die Sozialleistungsträger m i t der D u r c h s c h n i t t s n o t e 2,3 bewertet. D e r Vergleich der Sozialgerichte untereinander zeigte keine s i g n i f i k a n t e n A b w e i c h u n g e n i n der Gesamtzufriedenheit. 16 s. h i e r z u i m I n t e r n e t w w w . l s g . n r w . d e u n t e r R u b r i k Benchmarking.
8 Die Verwaltung, Beiheft 5
Aktuelles: Projekte
>
Abbildung 5
Gesamtzufriedenheit - Kläger / Klägerbevollmächtigte
114 Jürgen B r a n d
8:
Beteiligtenzufriedenheit („Kundenzufriedenheit") - Sozialleistungsträger
Abbildung 6
IM = Image des Gerichts
MA = Verhalten der Mitarbeiter / -innen AF = Ablauf und Ausgang des Verfahrens
AF = Anfragen und Formulare GA = Gutachten
GZ = Gesamtzufriedenheit
KO = Kontakt mit dem Gericht
[•Zufriedenhei t • Bedeutung [
B e n c h m a r k i n g i n der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t 115
116
Jürgen B r a n d
D e r Vergleich der einzelnen Themenkomplexe v e r d e u t l i c h t hingegen t e i l weise erhebliche Differenzen zwischen der W i c h t i g k e i t / Bedeutung des Themas u n d der Zufriedenheit. So w u r d e die Z u f r i e d e n h e i t m i t den eingeh o l t e n Sachverständigengutachten v o n den K l ä g e r n / K l ä g e r - B e v o l l m ä c h t i g t e n n u r m i t 2,9 bewertet, das Thema aber m i t 2,0 (1,0 = sehr w i c h t i g - 6,0 = u n w i c h t i g ) als d e u t l i c h w i c h t i g e r eingeschätzt. D a sich K l ä g e r - B e v o l l m ä c h t i g t e u n d Sozialleistungsträger, die grundsätzl i c h k e i n persönliches Interesse a m Ausgang des Verfahrens haben, ebenso w i e die K l ä g e r i n n e n u n d K l ä g e r unzufrieden m i t der medizinischen Beweisaufnahme zeigten, k a n n dies negative Ergebnis n i c h t a l l e i n m i t dem möglicherweise negativen Ausgang des Verfahrens e r k l ä r t werden. D i e Portfolio-Analyse h a t weitere H i n w e i s e auf mögliche Schwachstellen bzw. Handlungsfelder ergeben. D i e Steuerungsgruppe ist n a c h weiterer Analyse ü b e r e i n gekommen, folgende Handlungsfelder z u bearbeiten: - Dauer der medizinischen Begutachtung, - Verständlichkeit u n d Aussagekraft der g e r i c h t l i c h e n Gutachten, - B e h a n d l u n g d u r c h den Sachverständigen, - A u s w a h l der medizinischen Sachverständigen - breitere Streuung, - zügige D u r c h f ü h r u n g des Verfahrens, - Verständlichkeit der A n f r a g e n u n d Äußerungen des Gerichts, - Verständlichkeit u n d H a n d h a b b a r k e i t der Formulare, - E r r e i c h b a r k e i t v o n Servicekräften, - E r r e i c h b a r k e i t des Gerichts d u r c h Schwerbehinderte. A l s erster S c h r i t t z u r U m s e t z u n g des Ergebnisses der Beteiligtenbefrag u n g haben an allen Sozialgerichten m i t t l e r w e i l e Sachverständigen-Symposien stattgefunden. I m Rahmen dieser Symposien s i n d die Ergebnisse der Beteiligtenbefragung vorgestellt worden. I m D i a l o g zwischen Sachverständigen u n d Richterschaft w u r d e n einerseits die E r w a r t u n g e n des Gerichts, anderseits die Grenzen medizinischer Sachverhaltsaufklärung erörtert. Ü b e r E i n z e l h e i t e n i n f o r m i e r t die Homepage des L S G N R W 1 7 .
17 w w w . l s g . n r w . d e < R u b r i k : A k t u e l l e s >
©©©©©© Abbildung 7
Beteiligtenbefragung: Portfolio-Analyse
Das Image des Sozialgerichtes
Ablauf und Ausgang des Verfahrens
Gutachten
Anfragen und Formulare
Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Kontakt mit dem Gericht
•
w
1
gute Beurteilung hohe Priorität -»kein Handlungsbedarf
schlechte Beurteilung hohe Priorität -»absoluter Handlungsbedarf
schlechte Beurteilung niedrige Priorität -»Handlungsbedarf
gute Beurteilung niedrige Priorität -»kein Handlungsbedarf
Ι Α ΑΙ
Γϊ—ΓΊ J
L-i 1
[Χ X I
Benchmarking in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit 117
Jürgen Brand
118
8. Aufbau eines Berichtswesens
B e n c h m a r k i n g ist ein k o n t i n u i e r l i c h e r Verbesserungsprozess. D i e Vergleichsdaten müssen daher regelmäßig analysiert werden. Grundlage hierf ü r sind Berichte, die die Vergleichsdaten f ü r jede Z i e l d i m e n s i o n (Auftragserfüllung, M i t a r b e i t e r z u f r i e d e n h e i t , K u n d e n z u f r i e d e n h e i t u n d W i r t s c h a f t l i c h k e i t ) n a c h e r m i t t e l t e n K e n n z a h l e n (zeilenweise) u n d nach Vergleichsgerichten (spaltenweise) s t r u k t u r i e r t darstellen (S. 119). Diese Berichte k ö n n e n i m Folgenden w e i t e r differenzieren, ζ. B. n a c h einzelnen Fachgebieten.
V. Bedenken gegen den Einsatz von Benchmarking 1. Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit
B e n c h m a r k i n g i m dargestellten U m f a n g greift n i c h t i n die richterliche U n a b h ä n g i g k e i t ein. D e r Einsatz dieses
„Management-Informations-Sys-
tems" stellt auch keine Maßnahme der Dienstauf sieht dar, d u r c h die die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t b e e i n t r ä c h t i g t werden könnte. D i e - teilweise umfangreiche - D a t e n s a m m l u n g ist keine Maßnahme der Dienstaufsicht i m Sinne des § 56 Abs. 3 D R i G , w e i l die D a t e n weder r i c h t e r - noch fallbezogen, sondern gerichts- u n d fachgebietsbezogen erhoben werden. E i n e M a ß n a h me der D i e n s t a u f sieht setzt hingegen stets voraus, dass sie sich gegen einen b e s t i m m t e n Richter oder eine bestimmte Richtergruppe w e n d e t 1 8 . D i e r i c h terliche T ä t i g k e i t k a n n zudem n i c h t als A r b e i t i m Geheimen angesehen werden, die sich statistischer Erfassung entzieht. M i t der datenmäßigen Erfassung der r i c h t e r l i c h e n T ä t i g k e i t w i r d n i c h t i n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t eingegriffen, w e i l a l l e i n d u r c h die E r h e b u n g v o n D a t e n k e i n Richter i n seiner Arbeitsweise b e e i n t r ä c h t i g t w i r d 1 9 . D u r c h M i t a r b e i t e r - oder Beteiligtenbefragungen w i r d ebenfalls n i c h t i n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t eingegriffen, soweit die Teilnahme freiw i l l i g sowie A n o n y m i t ä t gewährleistet ist u n d Fragen, die den K e r n b e r e i c h r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t betreffen, n i c h t gestellt werden. Dementsprechend ist insbesondere i m Rahmen der Beteiligtenbefragung darauf geachtet w o r den, dass Rückschlüsse auf k o n k r e t e Verfahren ausgeschlossen sind. A l l e i n die Veröffentlichung der gewonnenen D a t e n stellt auch keine u n z u lässige Maßnahme der Dienstaufsicht dar. Unzulässig s i n d l e d i g l i c h E m p fehlungen u n d psychologische u n d mentalpsychische Einflussnahmen, die 18 B G H D R i Z 1981, S. 426. 19 Vgl. Abschlusspapier der DRB-Arbeitsgruppe „Qualität in der Justiz", abrufbar unter www.drb.de / qualitaet.doc.
Benchmarking in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit
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Jürgen B r a n d
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auf eine Weisung hinauslaufen, w i e der Richter verfahren s o l l 2 0 . D e n i m B e n c h m a r k i n g gewonnenen D a t e n k a n n ein derart empfehlender Charakter n i c h t beigemessen werden. D i e I n f o r m a t i o n beschränkt sich a l l e i n darauf, die Richterschaft auf mögliche Unterschiede i n der B e a r b e i t u n g h i n z u w e i sen u n d verbindet d a m i t die Anregung, i n einen Erfahrungsaustausch (Qual i t ä t s z i r k e l ) - auch ohne B e t e i l i g u n g der G e r i c h t s v e r w a l t u n g - einzutreten. Jede R i c h t e r i n , jeder Richter k a n n f ü r sich entscheiden, ob dieses A n g e b o t angenommen w i r d . N a c h sorgfältiger P r ü f u n g w i r d derjenige, der f ü r sich beansprucht, eine Richterpersönlichkeit zu sein, auch an seiner M e i n u n g festhalten k ö n n e n 2 1 . E i n A b w e h r r e c h t gegenüber u n e r w ü n s c h t e n Inform a t i o n e n lässt sich jedenfalls u n t e r B e r u f u n g auf die verfassungsrechtlich garantierte r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t begründen. D i e Veröffentl i c h u n g der i m B e n c h m a r k i n g gewonnenen D a t e n ist daher ein u n b e d e n k liches Informationsangebot, das keinen E i n g r i f f i n r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t darstellt.
2. Qualitätsver lust
Weder B e n c h m a r k i n g n o c h eine zeitnahe E r l e d i g u n g der Streitsachen f ü h r e n zu einem Qualitätsverlust der Rechtsprechung. Entgegen mancher B e h a u p t u n g stehen auch i m Benchmarking-Prozess
i m m e r die r i c h t i g e
N o r m a n w e n d u n g sowie die uneingeschränkte E r m i t t l u n g s t ä t i g k e i t i m Vordergrund. Selbst w e n n K l ä g e r i n n e n u n d K l ä g e r die E n t s c h e i d u n g ihres Rechtsstreits i n möglichst k u r z e r Z e i t erwarten, w i r d n i e m a n d eine schnelle E n t s c h e i d u n g zu Lasten der i n h a l t l i c h e n R i c h t i g k e i t akzeptieren. D i e den Präsidentinnen u n d Präsidenten der n o r d r h e i n - w e s t f ä l i s c h e n Sozialgerichte i m Rahmen i h r e r Dienstaufsicht vorgelegten A k t e n zeugen von einer nach w i e vor hohen Q u a l i t ä t der r i c h t e r l i c h e n Bearbeitung. A u c h ein A n s t i e g erfolgreicher Berufungs- u n d Revisionsverfahren als I n d i z f ü r eine mangelhafte B e a r b e i t u n g d u r c h die Instanzgerichte lässt sich seit B e g i n n des Leistungsvergleiches n i c h t feststellen. Eine kurze Verfahrensdauer f ü h r t z u d e m keineswegs - w i e z u m Teil eingewandt w i r d - i m A l l g e m e i n e n zur einfachen Bestätigung der Verwaltungsentscheidung. D i e d u r c h s c h n i t t l i c h e Verfahrensdauer der erstinstanzl i c h e n Verfahren b e t r u g auf der Grundlage der sog. Bayernstatistik i n N R W i n den Jahren v o n 1995 bis 2000 zwischen 12,6 M o n a t e n (1999) u n d 13,3 M o naten (1996). D i e Quote der E r l e d i g u n g e n m i t E r f o l g / teilweisem E r f o l g i m Verhältnis zu den gesamten E r l e d i g u n g e n ist seit 1996 bis z u m Jahr 2000 k o n t i n u i e r l i c h gestiegen u n d i m Jahr 2001 n u r u n w e s e n t l i c h gesunken. 20 B G H D R i Z 1995, S. 352, 353. 21 Vgl. Kleinknecht,
D R i Z 2002, S. 77.
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Jürgen B r a n d
VI. Zusammenfassung B e n c h m a r k i n g ist n i c h t der einzige u n d schon gar n i c h t der Königsweg z u r Verbesserung der Leistungsfähigkeit v o n Organisationen u n d d a m i t auch n i c h t der nordrhein-westfälischen Sozialgerichte. I m Laufe der n u n m e h r etwa d r e i j ä h r i g e n P r o j e k t a r b e i t h a t sich aber gezeigt, dass B e n c h m a r k i n g i m dargestellten U m f a n g bereits jetzt den Gerichtsleitungen der nordrhein-westfälischen
Sozialgerichtsbarkeit
ein
bisher noch n i c h t vorhandenes, hochwirksames M a n a g e m e n t - I n f o r m a t i o n s System an die H a n d g i b t , es zudem h i l f t , L e i s t u n g e n transparenter u n d Leistungserwartungen realistischer z u machen, es S t ä r k e n u n d Schwächen der Gerichte aufzeigt u n d Handlungsfelder verdeutlicht. Es steht zu erwarten, dass die n u n m e h r beginnende Analyse- u n d Vergleichsphase einen großen S c h r i t t i n diese R i c h t u n g bedeuten w i r d . D a m i t t r ä g t der Einsatz v o n B e n c h m a r k i n g i n n i c h t u n e r h e b l i c h e m Maße z u einer w e i t e r e n Verbesserung des sozialgerichtlichen Rechtschutzes i n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n bei.
Der Lebensbedarf der Justiz und seine Bemessung Von G e r d Roellecke, M a n n h e i m / K a r l s r u h e
Justiz kostet. Richter müssen bezahlt, B i b l i o t h e k e n gepflegt u n d Gebäude u n t e r h a l t e n werden. D a Gerechtigkeit u n d R e i c h t u m mißgünstige Geschwister sind, steckte i n den Kosten der Justiz i m m e r ein Problem. Bis vor k u r zem w u r d e es ausgeblendet.
I. Entkoppelung von Funktion und Finanzierung Solange Herrschen als Friedenswahrung d u r c h Rechtsprechen verstanden w u r d e , also i m wesentlichen bis z u r Reformation, gehörten die Kosten der Justiz z u den Kosten des Herrschens. Sie verschwanden neben den beiden Hauptausgaben: M i l i t ä r u n d Repräsentation. I n der Konsequenz dieser K o n s t r u k t i o n lag, daß der Herrscher, w e n n er sich b e i m Rechtsprechen d u r c h Gehilfen vertreten ließ, die Kosten des Gehilfen aus seiner Schatulle begleichen mußte. D e r E w i g e L a n d f r i e d e v o n 1495 h a t eine neue Epoche der Verfassungsgeschichte auch d a d u r c h eingeleitet, daß er das Reichskammergericht aus dem kaiserlichen H o f löste, v o r a l l e m aus dem Würgegriff der kaiserlichen Finanzierung. Das G e r i c h t erhielt eine eigene Geldquelle, den Gemeinen Pfennig, später den Kammerzieler. D i e Finanzierung, insbesondere die Besetzung der Rieht erstellen, h a t f r e i l i c h nie r i c h t i g f u n k t i o n i e r t . Trotzdem hat sich das Gericht schnell hohes Ansehen erworben u n d insgesamt E r staunliches geleistet. Rechtsprechung scheint n i c h t a l l e i n v o n i h r e r F i n a n zierung abzuhängen. I n den deutschen T e r r i t o r i e n b l i e b es n a c h der Reformation zunächst b e i m t r a d i t i o n e l l e n P r i n z i p : Herrschen d u r c h Rechtsprechen. A b e r n a t ü r l i c h veranstalteten die Fürsten lieber Kriege oder Hoffeste als Gerichtstage, auf denen sie sich die Querelen i h r e r U n t e r t a n e n anhören mußten. Also stellten sie Beamte ein, die i n i h r e m N a m e n j u d i z i e r t e n u n d administrierten. Diese Beamten mußten die Fürsten selbst bezahlen. D i e B e z a h l u n g bot i h n e n zugleich die M ö g l i c h k e i t , die Beamten v o n sich abhängig z u machen. D i e Beamten mußten daher gebildet, aber a r m sein. Reiche Leute, die ihre Ä m -
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G e r d Roellecke
ter auch ohne fürstliches Salär h ä t t e n v e r w a l t e n können, w ä r e n gefährliche politische K o n k u r r e n t e n gewesen. Dagegen d u r f t e n Behörden u n d Gerichte nichts kosten. Sie mußten so viele Sportein u n d Taxen erheben, daß sie sich selbst t r u g e n u n d möglichst n o c h etwas abwarfen. Heute w ü r d e m a n das „ P r i v a t i s i e r u n g " nennen. D i e alten Fälle zeigen tatsächlich, einmal, daß es keine sogenannte S t a a t s f u n k t i o n gibt, die m a n n i c h t „ p r i v a t i s i e r e n " könnte. A u c h die Justiz k ö n n t e m a n „ p r i v a t i s i e r e n " , w i e die p r i v a t e n Schiedsgerichte besonders auf i n t e r n a t i o n a l e r Ebene belegen. Z u m anderen, daß P r i v a t i s i e r u n g das K o s t e n p r o b l e m n i c h t löst, sondern n u r verdrängt. D i e Kosten bleiben, aber sie w e r d e n n i c h t m e h r von der A l l g e m e i n h e i t , sondern v o n Privatpersonen bezahlt, die m i t i h r e m G e l d machen können, was sie w o l l e n . Also b r a u c h t m a n n i c h t m e h r d a r ü b e r zu reden. I n der A u f k l ä r u n g erkannte man, daß das Sportelsystem bequem, aber n i c h t sehr leistungsfähig war. Diese E i n s i c h t fiel n a t ü r l i c h n i c h t v o m H i m mel. Sie l a g i n der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g u n d hatte sich ideologisch w i e organisatorisch seit langem angekündigt. Ideologisch setzte sich i n der A u f k l ä r u n g e n d g ü l t i g die S ä k u l a r i s i e r u n g durch, also die A b k o p p e l u n g der R e l i g i o n von Recht u n d P o l i t i k . Daß Gerechtigkeit n i c h t k ä u f l i c h ist u n d auch den A r m e n Recht gewährt w e r d e n muß, ist z w a r altes christliches Erbe. Deshalb regelte bereits § 27 der Reichskammergerichtsordnung v o n 1495 a u s f ü h r l i c h das Armenrecht. A r menrecht u n d Bestechungsverbot s i n d sichere I n d i z i e n dafür, daß m a n Recht n i c h t bezahlen k a n n . D i e S ä k u l a r i s i e r u n g z w a n g Recht u n d P o l i t i k jedoch darüber hinaus, die allgemeine Bezugnahme auf die Religion, z u m Beispiel auf den W i l l e n Gottes oder auf die Schöpfung, d u r c h Bezugnahmen auf die F u n k t i o n s e r f ü l l u n g zu ersetzen. F ü r den Richter k a m es i m m e r w e niger darauf an, den W i l l e n Gottes zu t u n , u n d i m m e r m e h r darauf, die Ger e c h t i g k e i t z u verbessern. E i n K ä m m e r e r musste n i c h t m e h r fromme S t i f t u n g e n bedienen, sondern das Vermögen des Fürsten beieinander halten. U n d so w e i t e r bis z u m M i l i t ä r , das n i c h t m e h r n u r T r u p p e n f ü r den gerechten K r i e g aufstel-len, sondern auch i n Friedenszeiten exercieren mußte. D a d u r c h stellte sich heraus, daß sich Gerechtigkeit u n d andere Verwaltungsleistungen besser erbringen ließen, w e n n die Behörden ohne Rücksicht auf ihre eigenen E i n k ü n f t e entscheiden k o n n t e n . Diese F u n k t i o n a l i s i e r u n g ließ es als f o r t s c h r i t t l i c h u n d g e m e i n w o h l d i e n l i c h erscheinen, Gerichts- u n d Verwaltungsentscheidungen n i c h t an Geldtransfers z u binden. E i n e Ausform u n g des P r i n z i p s ist die U n a b h ä n g i g k e i t der Richter. Das A r m e n r e c h t w a r ein vertrautes Muster. Organisatorisch verlangte die E i n h e i t des Staates, konkreter: die E i n h e i t Preußens als des großen deutschen Vorbildes, die E n t k o p p e l u n g v o n E i n n a h m e n u n d Leistungen. D i e Befehle des M o n a r c h e n mußten alle U n t e r -
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung
tanen gleichmäßig erreichen,
seine Fürsorge mußte allen
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gleichmäßig
zugute kommen. A b e r die Verhältnisse w a r e n n i c h t ü b e r a l l gleich, w e s t l i c h der E l b e eher reich u n d k r ä f t i g , ö s t l i c h der E l b e eher a r m u n d d ü r f t i g . D i e sen U n t e r s c h i e d mußte m a n u n a b h ä n g i g v o n k o n k r e t e n Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen ausgleichen, ä h n l i c h w i e es heute n o c h i m F i n a n z ausgleich der L ä n d e r u n d Gemeinden geschieht. D i e T r e n n u n g der Verwaltungs-
u n d Rechtsprechungsleistungen
von
Geldzahlungen hat sich i n den vergangenen d r e i h u n d e r t Jahren segensreich ausgewirkt. D i e Entscheidungen reichen heute tiefer u n d weiter, s i n d spezialisierter u n d doch besser aufeinander abgestimmt - m a n denke n u r an die w u n d e r b a r e F i g u r der „Verwaltungsakzessorietät des U m w e l t s t r a f rechtes" - , u n d die K o r r u p t i o n s a n f ä l l i g k e i t
des Gesamtsystems hat f ü r alle
sichtbar abgenommen. K o m m u n a l p o l i t i k ist allerdings ein P r o b l e m f ü r sich. Vielleicht g i b t es auch sonst i r g e n d w o noch K o r r u p t i o n , u n t e r U m s t ä n d e n sogar i n der Justiz. A b e r sie stört n i c h t mehr. I m P r i n z i p wissen alle: Staatliche Entscheidungen k a n n m a n i n der Regel weder m i t Geldleistungen noch m i t Liebesdiensten beeinflussen. Von dieser Errungenschaft
sollten
w i r uns nichts a b h a n d e l n lassen.
I I . Rechtsprechung und Verwaltung als knappe Güter Heute zeigt sich f r e i l i c h auch die Schattenseite dieser E n t w i c k l u n g . Hohe Gebühren u n d andere Zugangsbarrieren k a n n m a n u n t e r dem A s p e k t der Gerechtigkeit u n d des Gemeinwohls f ü r falsch h a l t e n oder sogar u n t e r dem A s p e k t der F u n k t i o n s e r f ü l l u n g tadeln. A b e r sie begrenzen den Z u g a n g z u staatlichen L e i s t u n g e n eben auch. Fallen sie weg, muß m a n sich auf eine p r i n z i p i e l l grenzenlose - sprich: u n b e k a n n t e - I n a n s p r u c h n a h m e der Verw a l t u n g u n d der Rechtsprechung einstellen. W i l l m a n das n i c h t , muß m a n entweder auf gleichsam n a t ü r l i c h e Grenzen spekulieren w i e Unwissenheit, K r a n k h e i t u n d Charakterschwäche. A b e r n a t ü r l i c h e Grenzen haben m i t Gerechtigkeit oder G e m e i n w o h l so w e n i g zu t u n w i e Geld. Offen auf sie zu setzen, wäre auch unmoralisch, w e i l es dem P r i n z i p widerspräche, daß m a n Schwachen helfen muß. Oder m a n muß neue, andere Grenzen ziehen. Das geht i n einer D e m o k r a t i e ebenfalls n i c h t , w e i l m a n d a m i t potentielle Wähler verprellt. Das s i n d f r e i l i c h p o l i t i s c h u n k o r r e k t e Gedanken, die e i n P o l i t i k e r n i c h t haben darf u n d auch n i c h t hat. E i n P o l i t i k e r d e n k t gleichsam i m m e r an eine klassenlose Gesellschaft. E r stellt sich auf eine p r i n z i p i e l l u n b e grenzte Nachfrage ein u n d hofft, daß alles so w e i t e r geht w i e bisher, n u r k o stenlos. Das probateste I n s t r u m e n t der Verwaltungsreform, die anteilige M i t t e l k ü r z u n g , verschließt er sorgsam i n seinem Herzen, u n d die Organisat i o n w i l l er ü b e r h a u p t n i c h t ändern. E r überlegt n u r noch, w i e er aus der
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G e r d Roellecke
gegebenen Organisation ein paar Entscheidungströpfchen m e h r herauspressen k a n n . E i n paar Entscheidungströpfchen m e h r sind i m m e r d r i n . Deshalb k ö n n e n sich Reformopfer schlecht wehren. Z u diesem Ergebnis k a n n m a n f r e i l i c h auch auf modernerem Wege gelangen. Wenn die Justiz Recht sprechen soll u n d w e n n Recht n i c h t bezahlt werden k a n n u n d darf, d a n n ist der Versuch, f ü r die Justiz eine K o s t e n / N u t zen-Rechnung aufzumachen, v o n v o r n h e r e i n z u m Scheitern verurteilt. Wie i c h zu zeigen versucht habe, g i l t das sogar historisch. D i e Justiz betriebsw i r t s c h a f t l i c h z u betrachten, ist ein R ü c k f a l l i n die Vormoderne. A u c h die V e r w a l t u n g entzieht sich dem b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h e n K a l k ü l , w e i l i h r N u t z e n n i c h t i n G e l d bemessen w e r d e n k a n n . M a n k a n n n u r über ihre zu hohen Kosten j a m m e r n . Das ist aber n o c h n i c h t Betriebswirtschaft. Daß Recht n i c h t bezahlt w e r d e n k a n n , erledigt auch das Steuerungsproblem. D i e Kosten der Justiz haben m i t i h r e r Steuerung k a u m z u t u n . Vielleicht k a n n m a n Wirtschaftsunternehmen steuern, aber n i c h t gesellschaftliche Subsysteme w i e P o l i t i k , Recht u n d Wirtschaft. K ö n n t e die P o l i t i k die W i r t s c h a f t steuern, h ä t t e n w i r keine Arbeitslosen mehr. Schon gar n i c h t k a n n m a n die Gesellschaft insgesamt steuern. Viele P o l i t i k e r u n d Verwaltungswissenschaftler glauben f r e i l i c h noch an die M ö g l i c h k e i t , die Gesellschaft zu steuern. M a n fragt sich nur, w a r u m sie es n i c h t t u n . I n den siebziger Jahren m e i n t e n manche, besonders Politiker, sie k ö n n t e n m i t der J u r i s t e n a u s b i l d u n g die Justiz auf Vordermann u n d G l e i c h s c h r i t t bringen. „Neues Recht d u r c h neue R i c h t e r " w a r ein v i e l z i t i e r t e r B u c h t i t e l . I n zwischen n ä h e r n sich viele der damaligen Studenten der Pensionsgrenze. D i e grundlegenden Rechtsänderungen seitdem s i n d aber weder v o n den j u r i s t i s c h e n F a k u l t ä t e n n o c h v o n den Gerichten ausgegangen. Angestoßen hat sie die Europäische U n i o n . R i c h t i g ist n a t ü r l i c h , daß der Gesetzgeber i m Rahmen der Verfassung die Besoldung der Richter, die Organisation der Gerichte u n d die Verfahren regelt. D a d u r c h k ö n n t e er die Rechtsprechung beeinflussen, m e i n e n manche. Beispiele g i b t es allerdings keine. D e r Staat h a t auch i m m e r die Justiz a l i m e n t i e r t . Wer möchte das ändern? Sollen die Richter ihre eigenen Gehälter selbst festsetzen? Das verlangen n i c h t e i n m a l die Richter des Bundesverfassungsgerichtes. N u r hessische F i n a n z r i c h t e r s i n d Ende der sechziger Jahre e i n m a l auf eine ähnliche Idee gekommen (BVerfGE 23, 321).
I I I . Konkurrenz der Werte Erst w e n n m a n sich k l a r gemacht hat, daß die P o l i t i k spätestens seit dem M ü l l e r - A r n o l d - P r o z e ß (1771 bis 1780) die Justiz n i c h t m e h r beeinflussen, sondern n u r n o c h stören k a n n , k a n n m a n ermessen, w i e k o m p l i z i e r t die Ver-
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung
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hältnisse sind, die der Satz beschreibt: Justiz kostet. D e r Satz m e i n t n i c h t n u r die U n a b h ä n g i g k e i t der Richter, sondern die Existenz der gesamten Rechtsprechung. Z u r Rechtsprechung gehört n i c h t n u r Geld, auch E r z i e hung, Geschichte, Theorie, Entscheidungen u n d persönliches Engagement gehören dazu. D i e Richter müssen ausgebildet werden, das Recht muß I n h a l t e haben, die I n h a l t e müssen festgelegt sein u n d die Menschen i m Rechtssystem müssen sich persönlich engagieren, etwa
Unvollkommen-
heiten ausbügeln, die sich weder vermeiden noch r e c h t l i c h regeln lassen. Bekanntes Beispiel ist die B e h a n d l u n g v o n Bagatellfällen. Das alles ist Lebensbedarf der Justiz. Stellt i h n die Gesellschaft n i c h t z u r Verfügung, g i b t es keine Rechtsprechung. D i e Folge ist r e c h t l i c h b e s t i m m t , n u r n i c h t sehr gerecht: Selbsthilfe. Gerade die Selbsthilfe w o l l t e m a n aber seit d e m M i t t e l a l t e r so w e i t w i e m ö g l i c h einschränken. Das k l i n g t t r i v i a l . K o m p l i z i e r t w e r d e n die Verhältnisse dadurch, daß m a n f ü r jedes andere Subsystem der Gesellschaft genau so argumentieren k a n n w i e f ü r die Justiz. N i c h t n u r Gerechtigkeit k a n n m a n n i c h t bezahlen, auch n i c h t die ewige Seligkeit (Religion), die W a h r h e i t (Wissenschaft), die Schönheit (Kunst), die L i e b e (Familie), die Gesundheit (Medizin), selbst n i c h t das G e m e i n w o h l (Politik) u n d - n u r scheinbar p a r a d o x - den W o h l s t a n d ( W i r t schaft). D i e P o l i t i k h a t h ä u f i g versucht, W o h l s t a n d zu bezahlen. Das Ergebnis w a r jedes M a l eine m e h r oder weniger schnell galoppierende I n f l a t i o n . W i r alle wissen auch, daß K i r c h e n , Museen u n d alte Menschen genau so u m staatliche F i n a n z i e r u n g r i n g e n w i e die Justiz. D i e besten K a r t e n haben eind e u t i g die A l t e n , w e i l sie sehr zahlreich s i n d u n d als W ä h l e r p o t e n t i a l ins Gew i c h t fallen. D i e schlechtesten K a r t e n haben z u r Z e i t die Universitäten. Sie sind teuer, b r i n g e n nichts als Ä r g e r u n d k ö n n e n als W ä h l e r p o t e n t i a l vernachlässigt werden. Deshalb fließt die Ökosteuer n i c h t i n die Universitäten, sondern i n die Rentenkassen, o b w o h l dort m i t Sicherheit n i c h t die Z u k u n f t der B u n d e s r e p u b l i k liegt. K u r z u m , w i e u n d i n welcher H ö h e die Justiz finanziert w i r d , h ä n g t f ü r j e d e r m a n n sichtbar n i c h t v o n b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h e n Kosten / N u t z e n - Ü b e r l e g u n g e n ab, sondern v o n der B e a n t w o r t u n g der Frage: Was ist der Gesellschaft m e h r w e r t , ewige Seligkeit, Gerechtigkeit, wissenschaftliche Wahrheit, Schönheit, Sicherheit, Elternliebe, Gesundheit oder Wohlstand?, also v o n der E i n s c h ä t z u n g der gesellschaftlichen G r u n d w e r t e . Legt eine Gesellschaft m e h r Wert auf W o h l s t a n d u n d Schönheit als auf Gerechtigkeit, erhalten die U n t e r n e h m e n Steuervergünstigungen, die Museen v i e l G e l d u n d die Gerichte wenig. Regeln über die j e w e i l i g e n Kurse der gesellschaftlichen G r u n d w e r t e g i b t es möglicherweise. A b e r w i r kennen sie n i c h t , w e i l es keine Börse g i b t , an der die Kurse n o t i e r t werden. D a m i t ist zugleich die Frage beantwortet, w e r die V e r a n t w o r t u n g f ü r die F i n a n z i e r u n g der Justiz trägt: die gesamte Gesellschaft, also jeder u n d n i e m a n d Besonderes. Diese A n t w o r t hängt f r e i l i c h auch davon ab, was m a n
128
G e r d Roellecke
u n t e r „ V e r a n t w o r t u n g " versteht. Versteht m a n darunter: Wer h a t die Folgen z u tragen?, ist die A n t w o r t „ A l l e " z w i n g e n d , w e i l alle Subsysteme etwas f ü r die Gesellschaft leisten, das v o n k e i n e m anderen System erbracht werden k a n n . D i e gesellschaftliche B e d e u t u n g der Justiz k a n n m a n n u r d u r c h Vergleichen erkennen. Gesellschaften ohne oder m i t n u r w e n i g ausdifferenzierter Justiz w i e die deutsche i m F r ü h m i t t e l a l t e r sehen ganz anders aus als eine moderne Gesellschaft. Heute ist i m wesentlichen das Recht die G r u n d lage f ü r die Verständigung zwischen den Systemen u n d Gruppierungen. D i e P o l i t i k versteht V e r a n t w o r t u n g f r e i l i c h m e h r als Vorwegbestimmung v o n Sündenböcken f ü r den Fall, daß etwas schief geht. Es muß von v o r n h e r e i n k l a r sein, w e r aus dem A m t gejagt w e r d e n k a n n , w e n n sich die öffentliche M e i n u n g über einen groben Fehler empört. A n d e r n f a l l s heißt die Sündenb o c k - H a t z „ r a d i k a l s t mögliche A u f k l ä r u n g " . A n der Festlegung v o n S ü n denböcken ist die P o l i t i k umso m e h r interessiert, als sie subsidiär f ü r alle Fehler einstehen muß. Das folgt aus der f ü r alle zugänglichen Wahl. Sie verlangt v o n der P o l i t i k , möglichst v i e l A u f m e r k s a m k e i t auf sich zu ziehen, d a m i t sie a l l e n alles versprechen k a n n , oder umgekehrt: allen alles zu versprechen, d a m i t sie möglichst v i e l A u f m e r k s a m k e i t erhält. D i e Justiz t r ä g t jedenfalls keine V e r a n t w o r t u n g f ü r i h r e F i n a n z i e r u n g oder f ü r i h r e n Ressourcenverbrauch. D a die Richter n u r d e m Gesetz u n t e r w o r f e n sind, k a n n n u r der Gesetzgeber haften, genauer: die Abgeordneten bei i h r e r Wiederw a h l . Ihre Gesetzesbindung entlastet die Richter genau so v o n jeder Folgenv e r a n t w o r t u n g w i e die Wissenschaftsfreiheit den Wissenschaftler. A n g e sichts der Erfahrungen, die die Wissenschaftler m i t „ D e m o k r a t i s i e r u n g " gem a c h t haben, k a n n m a n sich n u r darüber w u n d e r n , daß jetzt auch viele Richter i h r e „ D e m o k r a t i s i e r u n g " anstreben. D i e Tatsache, daß sich die Justiz u n t e r „ Ö k o n o m i s i e r u n g s d r u c k "
setzen läßt, beweist freilich, daß
Richter keine P o l i t i k e r sind.
IV. Strukturelle Koppelungen Das ist der etwas h o l p r i g e Versuch, e i n Phänomen z u beschreiben, das der Soziologe Niklas Luhmann als erster a u s f ü h r l i c h dargestellt u n d analysiert hat, die s t r u k t u r e l l e K o p p e l u n g . S t r u k t u r e l l e K o p p e l u n g e n betreffen das Verhältnis v o n A u t o n o m i e u n d A b h ä n g i g k e i t des Rechtes, der Wissenschaft, der W i r t s c h a f t u n d so weiter. Sie bedeuten, die großen gesellschaftlichen Subsysteme erbringen eigenständig u n d aus eigener K r a f t L e i s t u n g e n f ü r die gesamte Gesellschaft. D i e Religion b e r u h i g t die Existenzfrage, das Recht stiftet Frieden, die Wirtschaft schafft W o h l s t a n d u n d so weiter. D a sie Teil der Gesellschaft sind, erbringen sie diese L e i s t u n g e n n o t w e n d i g auch füreinander u n d s i n d insofern s t r u k t u r e l l gekoppelt. Das heißt aber n i c h t , daß ein System ein anderes steuert oder sonst i n der E r f ü l l u n g seiner spezi-
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung
129
fischen F u n k t i o n e n beeinflußt, sondern nur, daß es sich v o n dem anderen nährt. Eine Beeinflussung ist n u r als S t ö r u n g möglich. D i e S t ö r u n g k a n n n a t ü r l i c h p o l i t i s c h erwünscht sein. A b e r sie m i n d e r t i m m e r die Leistungen des Systems. Wenn Gesetzgeber oder Gerichte oder beide Vertrag u n d E i g e n t u m , die G r u n d l e i s t u n g e n des Rechtes an die Wirtschaft, zugunsten der sozial Schwachen lockern, ist fraglich, ob sie den sozial Schwachen helfen, aber sicher, daß sie die W i r t s c h a f t stören. D a Rechtsprechung k e i n e n Preis hat, aber G e l d kostet, k a n n der Lebensbedarf der Justiz n i c h t nach i h r e n Leistungen, sondern n u r n a c h dem bemessen werden, was die Gesellschaft, v o r a l l e m die P o l i t i k , z u zahlen bereit u n d i n der Lage ist. D i e Frage l a u t e t also n i c h t : Was b r a u c h t die Justiz?, sondern: Was k ö n n e n u n d w o l l e n w i r f ü r sie zahlen? Oder härter: W i e v i e l an Justiz w o l l e n w i r uns leisten? Wegen einer A n t w o r t brauchen w i r n i c h t z u w ü r f e l n . Es g i b t einsehbare Gründe, z u m Beispiel k u l t u r e l l e Traditionen. I n Korea b r a u c h t m a n auf eine M i l l i o n E i n w o h n e r erheblich weniger Gerichte als i n Deutschland, w e i l d o r t das Recht eine geringere Rolle spielt. D e n A u s schlag geben aber die Kosten der anderen Systeme, etwa der E r z i e h u n g oder der K u n s t . E i n neues Theater oder ein neues Gericht?, das b e s t i m m t , was Gerichte kosten dürfen. Wesentlich ist, die G r ü n d e müssen i m m e r v o n außen an die Justiz herangetragen, sie k ö n n e n nie v o n i n n e n aus der Justiz gewonnen werden. Gerade deshalb scheint es m i r f r e i l i c h n o t w e n d i g zu sein, die Justiz v o n Z e i t zu Z e i t auf den P r ü f stand des Kosten / Nutzen-Vergleichs z u zerren. D i e Gerechtigkeit w i r d ein solcher Vergleich n a c h menschlichem Ermessen n i c h t verbessern. A b e r die anderen Systeme haben einen A n s p r u c h darauf. K e i n Theater-, Museums- oder K l i n i k d i r e k t o r b r a u c h t sich d a m i t a b z u f i n den, daß der E t a t der Justiz sakrosankt ist. I m Spiel u m den A n t e i l a m Steueraufkommen müssen die K a r t e n i m m e r w i e d e r neu gemischt werden. U n d die P o l i t i k muß die relative Offenheit der Verteilung d u r c h geeignete M a ß n a h m e n symbolisieren. Z u m i n d e s t diesen S i n n hat die K a m p a g n e zur Ö k o n o m i s i e r u n g der Justiz. F ü r die A u ß e n b e u r t e i l u n g der Justiz g i b t es auch ein einigermaßen vernünftiges Verfahren, das B e n c h m a r k i n g , den Leistungsvergleich. E i n schönes Beispiel b o t n e u l i c h ein Gespräch zweier P o l i t i k e r über die Bürgerschaftswahl 2001 i n H a m b u r g , die der Regierungspartei b e k a n n t l i c h die Regierung gekostet hat, m a n sagt, wegen i h r e r S i c h e r h e i t s p o l i t i k . D e r eine P o l i t i k e r meinte, die Wähler h ä t t e n die Regierung z u U n r e c h t abgewählt. Sie habe v i e l f ü r die innere Sicherheit getan. D a n n zählte er zehn oder z w a n z i g M a ß n a h m e n auf. D e r andere hörte i h m gelangweilt zu u n d sagte schließlich k ü h l : A u f die M a ß n a h m e n k o m m e es n i c h t an, sondern darauf, daß H a m b u r g so sicher werde w i e M ü n c h e n . Klassisches B e n c h m a r k i n g . 9 Die Verwaltung, Beiheft 5
130
G e r d Roellecke
Das Beispiel zeigt vor allem, w a r u m sich B e n c h m a r k i n g hervorragend auf die Justiz anwenden läßt. Es h a t m i t Recht u n d Gerechtigkeit n i c h t das Geringste zu t u n . Es fragt n i c h t nach S c h u l d u n d Ursachen, sondern a l l e i n nach zahlenmäßig faßbaren Ergebnissen. Deshalb k a n n es den Gerechtigkeitsanspruch des Rechtes n i c h t berühren. Es m i ß t die Rechtsprechung a l l e i n an n i c h t r e c h t l i c h e n Maßstäben u n d entspricht d a m i t dem U m s t a n d , daß auch der Lebensbedarf der Justiz eine n i c h t r e c h t l i c h e Größe ist.
V. Leistungsreserven Justiz- u n d Verwaltungsreformer w e r d e n i n den bisherigen Überlegungen ausgerechnet die Größe vermissen, auf die sie ihre Modernisierungs- u n d neuen Steuerungsmodelle stützen: die viele L u f t , die i n den Organisationen ein beträchtliches Leistungsreservoir b i l d e n soll. A r b e i t e t schneller K o l l e gen!, möchten sie den R i c h t e r n u n d Justizbediensteten zurufen. A b e r sie k ö n n e n nichts beweisen, u n d auf „Parkinsons Gesetz" k a n n m a n sich n i c h t berufen. Deshalb s i n d sie v o r s i c h t i g u n d v e r m u t e n nur. Sie sind sich jedoch sicher, daß sie r i c h t i g v e r m u t e n u n d daß eine M a u e r des Schweigens a l l die schützt, die sich n i c h t bis an den R a n d der Erschöpfung einsetzen. Tatsächlich v e r m u t e n
sie h a l b
richtig.
Verwaltungsarbeit
und
Gerichts-
entscheidungen k a n n m a n schneller u n d langsamer erledigen. M a n k a n n sie z u m Beispiel so dehnen, daß sie genau i n die dafür vorgesehene Z e i t passen. Northcote
Parkinson
hat das ebenso w i t z i g w i e treffend beschrieben.
L e i s t u n g e n i n Z e i t e i n h e i t e n z u bemessen - das ist das A k k o r d - P r i n z i p - , scheint allerdings n i c h t m e h r beliebt z u sein. Wahrscheinlich w i d e r s p r i c h t es dem P r i n z i p der S e l b s t v e r a n t w o r t u n g oder irgendeiner ManagementMethode. N u r ist n i c h t zu sehen, w i e m a n ü b e r h a u p t rationalisieren k a n n , w e n n m a n L e i s t u n g e n n i c h t auch nach i h r e m Z e i t v e r b r a u c h b e u r t e i l t . Desh a l b gehe i c h v o n der b e w ä h r t e n Volksweisheit aus, daß Z e i t G e l d ist, u n d orientiere m i c h a m rechtsstaatlichen P r i n z i p der alsbaldigen Entscheidung. Wenn m a n eine A r b e i t k o m p r i m i e r t , hat m a n i n der gegebenen Z e i t e i n h e i t Platz f ü r weitere A r b e i t e n . Insofern k a n n m a n der V e r w a l t u n g weitere A r b e i t e n aufladen. Das ist die r i c h t i g e Hälfte. D i e falsche H ä l f t e erkennt man, w e n n m a n fragt: W a r u m sollte ein Beamter eine A r b e i t i n kürzeren Z e i t a b s c h n i t t e n erledigen als i n denen, die dafür vorgesehen sind? A u f diese Frage g i b t es keine zuverlässige A n t w o r t . N a t ü r l i c h k a n n m a n an K a r r i e r e g r ü n d e u n d Ä h n l i c h e s denken. Wer schneller ist als die anderen, w i r d befördert. A b e r das ist n i c h t sicher. D i e K o l l e g e n mögen Streberei n i c h t , u n d die P o l i t i k k a n n u n m ö g l i c h alle Karrierehoffnungen einlösen. Jede Organisation benötigt neben H ä u p t l i n g e n ein paar Indianer. Daß j e m a n d aus b l a n k e m E d e l m u t schneller arbeitet als er muß, k o m m t z w a r
D e r Lebensbedarf der Justiz u n d seine Bemessung
131
vor, k a n n m a n aber n i c h t einplanen. I n N o t - u n d K a t a s t r o p h e n f ä l l e n ist allerdings jeder z u M e h r l e i s t u n g e n bereit. A b e r N o t f ä l l e d a r f m a n n i c h t z u r Regel machen. I m Gegenteil. Sie rechtfertigen das Arbeitszeitpolster, das m a n i n jeder Organisation v e r m u t e n darf, schließen aber aus, es a n d e r w e i t i g zu verwenden. Wenn einer Organisation s t ä n d i g das abverlangt w i r d , was sie i n N o t z e i t e n z u leisten bereit u n d i n der Lage ist, w i r d sie i n w i r k l i c h e n N o t f ä l l e n zusammenbrechen. Das größte soziologische u n d politische H i n dernis f ü r eine vollständige A u s n u t z u n g der K a p a z i t ä t e n ist aber die N o r mierung. Wenn f ü r die E r l e d i g u n g einer A r b e i t eine bestimmte Z e i t vorgeschrieben ist, d a n n d a r f m a n diese Z e i t auch ausnutzen. Alles andere ist grobe W i l l k ü r . M a n k a n n n i e m a n d e n t a d e l n oder gar bestrafen, der sich an die Vorschriften h ä l t . A l s o k a n n m a n v o n n i e m a n d e m erwarten, daß er seinen A r b e i t s a u f w a n d n u r a m Ergebnis u n d n i c h t auch an der Z e i t orientiert. I n der Verwaltungspraxis w e r d e n Fristen, also Zeitbestimmungen, sogar vielfach als Qualitätsmaßstäbe eingesetzt. Wenn ein M i n i s t e r v o n seinem persönlichen Referenten einen Redeentwurf i n d r e i S t u n d e n verlangt, verl a n g t er etwas v ö l l i g anderes, als w e n n er einen E n t w u r f z u m selben Thema i n d r e i Wochen verlangt. D i e „ N e u e n Steuerungs-Modelle" d ü r f e n deshalb n i c h t so t u n , als seien Leistungsbemessung u n d Q u a l i t ä t s k o n t r o l l e i n Justiz u n d V e r w a l t u n g unbeschriebene Seiten. D a r ü b e r g i b t es m e h r als ein Buch. Was noch fehlt, s i n d Überlegungen z u r p o l i t i s c h e n Umsetzung.
VI. Ergebnis I c h breche ab u n d fasse zusammen. Was P o l i t i k u n d Wissenschaft M o d e r nisierung, Ökonomisierung, Effizienzsteigerung oder Steuerung der Verwalt u n g nennen, ist soziologisch ein A s p e k t der s t r u k t u r e l l e n K o p p e l u n g v o n P o l i t i k , Rechtsprechung, V e r w a l t u n g u n d Wirtschaft. S t r u k t u r e l l e K o p p e l u n g e n k a n n m a n n i c h t u n t e r dem A s p e k t der Effizienz, sondern n u r u n t e r dem der Präferenz beeinflussen. E i n e Kosten / N u t z e n - R e c h n u n g ist n i c h t möglich, w e i l sich der N u t z e n v o n Gerechtigkeit n i c h t beziffern läßt. E i n e Gesellschaft muß v i e l m e h r entscheiden, was sie vorzieht: religiöse Z u v e r sicht, Gerechtigkeit, wissenschaftliche Wahrheit, Wohlstand, Gesundheit oder Elternliebe. Wenn der P o l i t i k die Ausgaben f ü r die Rechtsprechung z u hoch erscheinen, muß sie sie n a c h rechtsexternen Gesichtspunkten k ü r z e n u n d hoffen, daß die Q u a l i t ä t der Rechtsprechung - was i m m e r das ist - n i c h t d a r u n t e r leidet. E i n e angemessene Methode des Leistungsvergleiches scheint das B e n c h m a r k i n g zu sein, gerade w e i l es v o n I n h a l t e n absieht u n d an die äußersten Ä u ß e r l i c h k e i t e n a n k n ü p f t . M a n muß sich aber darüber k l a r sein, daß m a n m i t der U m v e r t e i l u n g der M i t t e l n u r G e w i c h t e verschiebt, also M i t t e l u m v e r t e i l t . Ob m a n auch die Verhältnisse verbessert, steht i n den Sternen. 9*
I I I . Neudefinition der richterlichen Unabhängigkeit i m „ökonomisierten" Staat?
Richterliche Unabhängigkeit und Organisation effektiven Rechtsschutzes i m „ökonomisierten" Staat Von U w e B e r l i t , H a n n o v e r 1
I. Problemstellung 1. Justiz als Großorganisation
Justiz 2 ist (auch) eine tief gegliederte, mit
dem
verfassungsrechtlichen
Rechtsschutz Dimension
zu gewähren. effektiven
nung s Verhältnis satorischen
Die Akzentsetzung
Rechtsschutzes
zwischen
differenzierte
richterlicher
Eingebundenheit
„Groß
„Dienstleistungsauftrag", verweist
auf die
effektiven organisatorische
auf ein besonderes
Unabhängigkeit
in die Aufbau-
organisation "
und ihrer
und Ablauforganisation
Spanorganivon
Justiz. Gerichte sind professionalisierte Organisationen. 3 A l s notwendige Voraussetzung der V e r w i r k l i c h u n g des Justizgewährleistungsanspruches 4 u n d M i t t e l z u seiner D u r c h s e t z u n g 5 v e r t r a u t A r t . 92 G G die rechtsprechende Gewalt n i c h t den Gerichten als Rechtsprechungsorganisation, 6 sondern den R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n an, die nach A r t . 97 G G u n a b h ä n g i g u n d n u r dem Gesetz u n t e r w o r f e n sind. 7 D i e unabhängige Richterschaft m i t den einzelnen R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n als „organisatorischer
Grundeinheit"8
1 Ü b e r a r b e i t e t e r u n d u m Nachweise ergänzter V o r t r a g auf d e m wiss. S y m p o s i u m „Justiz u n d J u s t i z v e r w a l t u n g z w i s c h e n O k o n o m i s i e r u n g s d r u c k u n d U n a b h ä n g i g k e i t " , 1 4 . / 1 5 . 3. 2002 i n W ü r z b u r g . A u f die Beiträge der w e i t e r e n Referenten k o n n t e b e i der Ü b e r a r b e i t u n g n u r i n d i r e k t u n d p u n k t u e l l eingegangen werden. 2
H i e r w i e i m Folgenden b l e i b t der Bereich „ S t r a f v o l l z u g " ausgespart. 3 Blankenburg / Wolf, Das G e r i c h t als professionalisierte O r g a n i s a t i o n , in: R. B e n der (Hrsg.), Tatsachenforschung i n der Justiz, T ü b i n g e n 1972, S. 223 ff. 4 Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 5. A u f l . 2000, A r t . 97 Rn. 1; Papier, U n a b h ä n g i g k e i t u n d D i e n s t a u f s i c h t , N J W 1990, S. 1 (9 f.). 5
Papier,
Richterliche
ebd. S. 2, passim.
6 Meyer, in: v. M ü n c h / K u n i g , G G , B d . 3, 3. A u f l . 1996, A r t . 92 Rn. 4. 7 F ü r die Z w e c k e dieses Vortrages ist der Frage n i c h t w e i t e r nachzugehen, w e l c h e B e d e u t u n g d e m U m s t a n d beizumessen ist, dass A r t . 20 Abs. 3 G G die Rechtsprec h u n g a n Gesetz u n d Recht b i n d e t , A r t . 97 G G n u r das Gesetz e r w ä h n t ; d a z u Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n , T ü b i n g e n 1997, S. 130 f.
8 Meyer ( F N 6), A r t . 92 Rn. 4.
Uwe Berlit
136
bildet personell unbestritten den K e r n justizieller Aufgabenerfüllung
9
-
aber doch n u r einen Ausschnitt. -
I n d e r J u s t i z s i n d n e b e n ca. 2 0 . 0 0 0 h a u p t a m t l i c h e n R i c h t e r i n n e n
und
R i c h t e r n 1 0 u n d ca. 5 . 0 0 0 1 1 S t a a t s a n w ä l t i n n e n u n d S t a a t s a n w ä l t e n i m sog. n i c h t r i c h t e r l i c h e n D i e n s t 1 2 ca. 1 2 0 - 1 3 0 . 0 0 0 P e r s o n e n b e s c h ä f t i g t . 1 3 -
I n der B u n d e s r e p u b l i k
g i b t es ü b e r
1 1 0 0 G e r i c h t e , d a v o n ca. 60 v . H .
Amtsgerichte unterschiedlichster Größe - von unter zehn Beschäftigten b i s ü b e r 1.600 B e s c h ä f t i g t e i s t alles v e r t r e t e n . -
I n d e r s t r e i t i g e n G e r i c h t s b a r k e i t e r l e d i g e n d i e G e r i c h t e j ä h r l i c h ca. 5 M i l lionen Verfahren,
14
d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n e r l e d i g t e n 1 9 9 7 ca. 4 , 4 M i o
Verfahren. -
Die bereinigten Ausgaben i n B u n d u n d L ä n d e r n für die Staatsgewalt
liegen
Prozentbereich,
in
Bund
und
Ländern
im
unteren
eigenständige einstelligen
erreichten aber absolut m i t B r u t t o a u s g a b e n 1 5
von
ca.
15 M r d . D M ( 1 9 9 8 ) 1 6 e i n e b e t r ä c h t l i c h e G r ö ß e n o r d n u n g . 9 Ausgeblendet w e r d e n a u c h die Staatsanwaltschaften, die t r o t z i h r e r „ o r g a n i schen E i n g l i e d e r u n g i n die J u s t i z " n o r m a t i v T e i l der E x e k u t i v e s i n d (BVerfG N J W 2001, S. 1121 [1123]; N J W 2002, S. 815); z u m Weisungsrecht s.a. D R i Z 2002, S. 43; z u m „ B e r u f s b i l d " des S t a a t s a n w a l t s Günter, D R i Z 2002, S. 55. Nr. 3 des Abschlusspapieres der „ A r b e i t s g r u p p e S e l b s t v e r w a l t u n g " des D e u t s c h e n R i c h t e r b u n d e s v o m M ä r z 2001 (nachfolgend: DRiB, S e l b s t v e r w a l t u n g ) anerkennt, dass die S t a a t s a n w ä l t e u n d S t a a t s a n w ä l t i n n e n keine r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t genießen, w i l l rechts- u n d standespolitisch aber die S t e l l u n g der S t a a t s a n w ä l t e u n d S t a a t s a n w ä l t i n n e n jener der R i c h t e r u n d R i c h t e r i n n e n p a r t i e l l annähern. 10 Statistisches Bundesamt, Statistisches J a h r b u c h 2000, Wiesbaden 2001, S. 345; aggregierte D a t e n z u r Z a h l der e h r e n a m t l i c h e n R i c h t e r u n d R i c h t e r i n n e n s i n d i n den offiziellen S t a t i s t i k e n - soweit e r s i c h t l i c h - n i c h t nachgewiesen.
n Statistisches
Bundesamt
( F N 10), S. 345.
12
Z u r B e d e u t u n g des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Dienstes f ü r die F u n k t i o n s f ä h i g k e i t u n d das E r s c h e i n u n g s b i l d der Justiz u n d den h i e r z u lösenden P r o b l e m e n s. HoffmannRiem, M o d e r n i s i e r u n g v o n Recht u n d Justiz, F r a n k f u r t 2000, S. 272 ff. 13 D i e allgemeinen J u s t i z s t a t i s t i k e n geben z u m n i c h t r i c h t e r l i c h e n Personal k e i n e n aggregierten Aufschluss. S c h ä t z u n g h i e r n a c h Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 6: Personal des öffentlichen Dienstes 2000, Wiesbaden 2001, S. 62 ( V o l l z e i t ä q u i v a l e n t der Beschäftigten a m 30. 6. 2000 i m Bereich Rechtsschutz [abgesetzt Justizv o l l z u g s a n s t a l t e n u n d Z a h l der R i c h t e r u n d R i c h t e r i n n e n / S t a a t s a n w ä l t e n a c h der Justizstatistik]). H i n z u z u r e c h n e n ist noch die u n b e k a n n t e Z a h l der i n d e n Justizm i n i s t e r i e n m i t J u s t i z v e r w a l t u n g befassten Personen. 14 Z u s a m m e n s t e l l u n g n a c h Statistisches Bundesamt ( F N 10), S. 346 ff. F ü r die o r d e n t l i c h e G e r i c h t s b a r k e i t ohne M a h n v e r f a h r e n u n d ohne f r e i w i l l i g e G e r i c h t s b a r k e i t ; f ü r die Fachgerichtsbarkeiten n u r K l a g e - bzw. Hauptsacheverfahren; ohne Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes u n d der Länder. 15 Ohne E i n n a h m e n , insb. aus Gerichtsgebühren, die wegen des 50 v.H. ü b e r s t e i genden Kostendeckungsgrades der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t d e n Zuschussbedarf d e u t l i c h geringer ausfallen lassen. Z u den (kameralistisch berechneten) K o s t e n deckungsgraden s. e t w a die differenzierten A n g a b e n z u d e n K o s t e n ( E i n n a h m e n , Ausgaben, Zuschussbedarf) der rechtsprechenden G e w a l t i n Hessen 1970, 1980 u n d 1990 bis 1996 ( L T - D r s . 1 4 / 2 9 2 3 ) ; s.a. - b e i n i c h t u n b e t r ä c h t l i c h e n A b w e i c h u n g e n u n d S c h w a n k u n g e n , b e i denen der A n t e i l u n t e r s c h i e d l i c h e r Z u o r d n u n g s - u n d Ver-
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
137
2. Organisationsabhängigkeit von Justizgewährleistung
Justizgewährleistung Tätigkeit
ist ohne Organisation
- und damit richterliche
abhängig von organisatorischen
nicht
Unabhängigkeit
denkbar:
Richterliche
- ist eingebunden
in und
Rahmenbedingungen.
Rechtsprechung ist A u s ü b u n g öffentlicher Gewalt; ohne konstituierende Ausgestaltung u n d Steuerung v o n A u f b a u - u n d A b l a u f o r g a n i s a t i o n sowie Verfahrensabläufen, die E i n g l i e d e r u n g i n Gerichte als O r g a n , 1 7 k a n n sich r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t entfalten. Z u diesen Ausgestaltungsregel u n g e n 1 8 rechnen neben der verfassungsrechtlich vorgegebenen i n s t i t u t i o nellen Sonderung der Justiz vor a l l e m das Gerichtsverfassungsrecht,
die
Prozessordnungen, Richtergesetze des Bundes u n d der L ä n d e r sowie ergänzende organisationsrechtliche Regelungen der Länder, vor a l l e m i m Bereich der regionalen Gerichtsorganisation; die Kostenseite w i r d i m K e r n d u r c h das G K G u n d die KostenO geregelt. Diese Gesetze prägen A u f b a u - u n d A b l a u f o r g a n i s a t i o n r i c h t e r l i c h e r Aufgabenerfüllung, ohne diese abschließend zu determinieren. Sie b i l d e n - neben der m e h r oder m i n d e r s t r e i t i n d u zierenden Ausgestaltung des m a t e r i e l l e n Rechts - d u r c h die Regulierung des Zugangs z u m G e r i c h t u n d die Gestaltung der Verfahrensabläufe w e sentliche Faktoren f ü r das A u f g a b e n a u f k o m m e n der Justiz. A n den Diskussionen der letzten J a h r e 1 9 ist n i c h t die E i n g e b u n d e n h e i t der Richter u n d R i c h t e r i n n e n i n eine körperschaftliche Rechtsprechungsbuchungsregeln, die einen u n m i t t e l b a r e n Vergleich ausschließen, u n k l a r ist - L T R h e i n l a n d - P f a l z , Drs. 1 3 / 5 5 1 9 , 21 f.; L T S a c h s e n - A n h a l t , Drs. 3 / 2 7 4 0 , 45 ff.; L T - B a d e n - W ü r t t e m b e r g , Drs. 1 2 / 3 6 8 7 , 15 f.; L T S c h l e s w i g - H o l s t e i n , Drs. 1 4 / 2 3 8 7 , 6 ff.; L a n d t a g N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , Drs. 1 2 / 4 5 7 8 , 36 ff. 16 Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 3.1.: Rechnungsergebnisse des öffentlichen Gesamthaushalts 1998, Wiesbaden 2001, S. 34 f. (Aufgabenbereich Rechtsschutz [ohne Justizvollzugsanstalten]); s.a. Vultejus, Z R P 1997, S. 433 ff. S.a. L T R h e i n l a n d - P f a l z , Drs. 1 3 / 5 5 1 9 , 19 f.; L T S a c h s e n - A n h a l t , Drs. 3 / 2 7 4 0 , 37 ff.; L T - B a d e n - W ü r t t e m b e r g , Drs. 1 2 / 3 6 8 7 , 10; L a n d t a g N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , Drs. 1 2 / 4578, 29 f. 17 Achterberg, in: B o n n e r K o m m e n t a r , A r t . 92 ( Z w e i t b e a r b e i t u n g [1981]) Rn. 240, der m i t diesem Begriff das G e r i c h t als a d m i n i s t r a t i v e E i n h e i t „ G e r i c h t s a n s t a l t " kennzeichnet.
D e r Typus des „Ausgestaltungsgesetzes" ist e n t w i c k e l t w o r d e n , u m i n b e s t i m m t e n g r u n d r e c h t l i c h geordneten Bereichen ( R u n d f u n k ; U n i v e r s i t ä t e n ) d e m U m s t a n d R e c h n u n g z u tragen, dass die R e a l i s i e r u n g g r u n d r e c h t l i c h e r F r e i h e i t e n v o n k o m p l e x e n Organisationen a b h ä n g t , i n denen kostenintensiv, a r b e i t s t e i l i g u n d i n h o h e m Maße professionell gearbeitet w i r d u n d f ü r die es materieller, organisatorischer u n d Verfahrensregelungen bedarf; s. - f ü r d e n R u n d f u n k b e r e i c h - Ruck, A ö R 117 (1992), S. 543 (545 ff.). 19 A u s der u m f a n g r e i c h e n L i t e r a t u r s. n u r Eifert, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 75; Behrens, Z R P 1998, S. 186; Berlit, B e t r i f f t Justiz 1998, S. 358; Hassemer, D R i Z 1998, S. 391; Hoffmann-Riem (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g . E i n B e i t r a g z u m m o dernen Rechtsstaat, B a d e n - B a d e n 1998; Röhl, D R i Z 1998, S. 241; Voss, D R i Z 1998, S. 379; Berlit, K J 32 (1999), S. 58; Deutscher Richterbund (DRiB), Positionspapier, D R i Z 1999, S. 457; Groß, Z R P 1999, S. 361; Mackenroth, D R i Z 2000, S. 301; Maurer,
Uwe Berlit
138
organisation n e u . 2 0 N e u ist ihre bewusste W a h r n e h m u n g i m R a h m e n v o n Überlegungen
zu
einer
strukturellen
Organisationssteuerung
und
systematischen Analyse gerichtlicher A u f b a u - u n d - vor allem -
einer
Ablauf-
o r g a n i s a t i o n m i t d e m Ziel, die gegebenen personellen u n d sächlichen Ressourcen
optimal
diskussionen
22
zu
nutzen.
Kosten-Leistungs-Rechnungen,21
u n d Benchmarkingprojekte 23 verweisen hier i m
LeitbildAnschluss
a n die O r g a n i s a t i o n s u n t e r s u c h u n g e n der 70er Jahre a u f d e n b r e i t e n S p i e l r a u m , den die Ausgestaltungsgesetze f ü r die A r t u n d Weise der E r f ü l l u n g des J u s t i z g e w ä h r l e i s t u n g s a n s p r u c h e s
lassen.
Richterliche
Tätigkeit
und
justizielle Aufgabenerfüllung werden tatsächlich durch zusätzliche Faktoren „beeinflusst". -
Empirisch
erfolgt ihre „Steuerung"
( g e z i e l t o d e r u n g e z i e l t ) auch
durch
etwas anderes als d u r c h d e n R e c h t s s a t z . 2 4 -
Normativ
folgt hieraus die Frage, ob r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t
G e s e t z e s b i n d u n g eine gezielte G e s t a l t u n g dieses Bereiches, a u c h Kostengesichtspunkten,
ausschließen,
der funktional
r a n g der S t e u e r u n g d u r c h Gesetz, die w e i t ü b e r das
notwendige
und unter Vor-
Parlamentsgesetz
h i n a u s r e i c h t , 2 5 eine E x k l u s i v i t ä t dieser Steuerung begründet. -
Dies ist - w i e auszuführen ist - n i c h t der F a l l . 2 6
D R i Z 2000, S. 65; Röhl, D R i Z 2000, S. 220; Hoffmann-Riem ( F N 12) (verschiedene Texte aus d e n Jahren 1995 ff. ü b e r a r b e i t e t zusammenfassend); Mackenroth / Wilke, D R i Z 2001, S. 148; Papier, N J W 2001, S. 1089. 20 So die B e g r i f f l i c h k e i t b e i Schuppert, O p t i m i e r u n g v o n G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n u n d A r b e i t s a b l ä u f e n : H e r a u s f o r d e r u n g f ü r die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t , i n : H o f f m a n n - R i e m ( F N 19), S. 215 (224 ff.). 21 D a z u eingehend Arbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen", B e r i c h t a n die Justizm i n i s t e r i n n e n u n d - m i n i s t e r , A p r i l 2000, insb. auch A n l a g e n 4 (Ziele der K L R ) , 6 ( G r u n d s t r u k t u r e n ) u n d 7 ( P r o d u k t r a h m e n p l ä n e ) ; s.a. Nds. Justizministerium, Projekt J u s K o L e i . K o s t e n u n d L e i s t u n g s r e c h n u n g i n der Niedersächsischen Justiz, H a n n o v e r O k t o b e r 1999; dass., Z w i s c h e n b e r i c h t z u m P r o j e k t „ J u s K o L e i " . M o d e l l h a f t e E i n f ü h r u n g einer K o s t e n - u n d L e i s t u n g s r e c h n u n g i n der Niedersächsischen Justiz, S t a n d : 31. 12.2000. 22 D a z u n u r Becker, B e t r i f f t Justiz 1998, S. 199ff.; Dihm, B e t r i f f t Justiz 1998, S. 246 ff.; Späth, B e t r i f f t Justiz, S. 241 ff.. D i e L e i t b i l d d i s k u s s i o n der 90er Jahre h a t die D i s k u s s i o n der 6Oer/70er-Jahre u m d e n „ p o l i t i s c h e n R i c h t e r " h i n t e r sich gelassen; d a z u Wassermann, D e r neue R i c h t e r t y p , i n : d e r s . / A k t i o n s k o m i t e e J u s t i z r e f o r m (Hrsg.), Justizreform, N e u w i e d / B e r l i n 1970, S. 11 ff.; ders., D e r p o l i t i s c h e Richter, M ü n c h e n 1972; Remmers, D e r p o l i t i s c h indifferente Richter: L e i t b i l d der D r i t t e n Gewalt?, i n : FS Wassermann, D a r m s t a d t / N e u w i e d 1985, S. 165 ff. 23 D a z u e t w a das i m I n t e r n e t b r e i t d o k u m e n t i e r t e B e n c h m a r k i n g p r o j e k t i n der Soz i a l g e r i c h t s b a r k e i t N R W (www.lsg.nrw.de ); d a z u a u c h Brandt, B e n c h m a r k i n g , i n d i e sem H e f t S. 99 ff.; s.a. IGUS e.V. /OLG Oldenburg, A b s c h l u s s b e r i c h t „ L e i s t u n g s v e r g l e i c h i n der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t z w i s c h e n den A m t s g e r i c h t e n B a d I b u r g , Jever u n d Vechta", T y p o s k r i p t , O k t o b e r 2001; k r i t . Bilsdorfer, N J W 1999, S. 3096. 24 A . A . - i n n o r m a t i v e r W e n d u n g - Papier, N J W 2001, S. 1089 (1094). 25 K n a p p e Ü b e r b l i c k e e t w a b e i Classen, i n : Chr. S t a r c k (Hrsg.), Das B o n n e r Grundgesetz, 4. A u f l . , Bd. 3, M ü n c h e n 2001, A r t . 97 Rn. 11 ff.; Wassermann, i n : A K G G , 3. A u f l . , A r t . 97 Rn. 43 ff., 53 ff.; eingehend Reinhardt ( F N 7), S. 134 ff.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
139
3. Veränderte Rahmenbedingungen der Justizgewährleistung
Die Veränderungen, feld der Justiz der Dritten nenbild
die sich im gesellschaftlichen
ergeben haben, werfen
Gewalt
von richterlicher
nicht aussparen
/ institutionellen
nach dem
auf, deren Beantwortung
und das Verhältnis
Rechtsschutzgewähr
Fragen
Um-
Selbstverständnis
das Richter-
und
Unabhängigkeit
Richterin-
und effektiver
kann.
Justiz ist unverzichtbare K e r n f u n k t i o n rechtsstaatlicher D e m o k r a t i e . Sie h a t ein M o n o p o l h o h e i t l i c h v e r b i n d l i c h e r S t r e i t s c h l i c h t u n g u n d -entscheid u n g (Rechtsprechungs- u n d Richtermonopol), aber k e i n setzungsmonopol: 2 7
„Die Verwirklichung
Rechtsdurch-
des Rechtsstaates steht
nicht
u n t e r Staats v o r b e h ä l t " . 2 8 Dies belegen e x e m p l a r i s c h 2 9 - die F i l t e r f u n k t i o n vor- u n d außergerichtlicher T ä t i g k e i t der m i t t l e r w e i l e über 110.000 zugelassenen R e c h t s a n w ä l t e , 3 0 - die ausdifferenzierte Landschaft vorgerichtlicher Streitschlichtungsstell e n u n d -ausschüsse 3 1 u n d - f ü r die öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten die Ausgestaltung der vorgerichtlichen E i n s p r u c h s - bzw. W i d e r s p r u c h s v e r f a h r e n , 3 2 die wesentlich auf A r t u n d U m f a n g des Fallaufkommens an den Gerichten einwirken. Das insgesamt i m Z e i t v e r l a u f stabile F a l l a u f k o m m e n i n der Justiz t r o t z w o h l wachsender Nachfrage n a c h Recht rechtfertigt die Vermutung, dass die L ü c k e d u r c h - teils bewusst geförderte oder propagierte - A l t e r n a t i v e n geschlossen w i r d - m i t allen Folgeproblemen f ü r den gleichheitskonformen Z u g a n g z u m Recht, seine gleichmäßige Durchsetzung u n d die Rolle der Justiz i m System s t a a t l i c h geordneter Rechtsdurchsetzung. 3 3 D e r Aufgabenbe26 W i e v e r b r e i t e t a u c h i n n e r h a l b der Richterschaft die Gegenansicht ist, belegt exemplarisch, dass die R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r i n N R W b e i einer B e f r a g u n g i m Dezember 2000 m i t k n a p p e r M e h r h e i t e i n L e i t b i l d g r u n d s ä t z l i c h abgelehnt h a b e n (s. LSG NRW, B e n c h m a r k i n g u n d O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g , M ä r z 2001, S. 6). 27
Ritter, N J W 2001, S. 3440.
28
So die eingängige F o r m u l i e r u n g v o n Hoffmann-Riem 1999, S. 421 ff.
( F N 12), S. 36 ff.; ders., J Z
29 E i n m i t B l i c k a u f d e n r e l a t i v h o h e n A n t e i l v o n Verkehrsunfallsachen a n z i v i l g e r i c h t l i c h e n S t r e i t i g k e i t e n auch praxisrelevantes weiteres B e i s p i e l b i l d e t die Regul i e r u n g s p r a x i s der Versicherer b e i der V e r k e h r s u n f a l l r e g u l i e r u n g ; s. d a z u Benice/ Bora/Simsa, ZfRSoz 17 (1996), S. 286ff.; eingehend Simsa, D i e g e r i c h t l i c h e u n d außergerichtliche Regulierung von Verkehrsunfällen i n Deutschland u n d den Niederlanden, K ö l n 1995. 30 Mitgliederstatistik Bundesrechtsanwaltskammer gr.htm [Abruf 9.3.2001]). 31 s. n u r Ritter, N J W 2001, S. 3340 (3341 ff.). 32
D a z u Oppermann,
(1. 1. 2001)
D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 517.
(www.brak.de/
Uwe Berlit
140
stand v o n Justiz ist n i c h t i n v a r i a b e l u n d u n t e r l i e g t i m Z e i t v e r l a u f dem Wandel. Beispiele s i n d die Diskussionen u m die R e d u k t i o n der Justiz auf i h r e Kernaufgaben d u r c h „ P r i v a t i s i e r u n g " der n i c h t s t r e i t i g e n Gerichtsbarkeit, insb. h i n s i c h t l i c h der Registergerichte u n d die unterschiedliche Ausges t a l t u n g des N o t a r i a t s w e s e n s , 3 4 die Veränderungen d u r c h das neue Insolvenz- u n d Betreuungsrecht u n d die q u a l i t a t i v e n Veränderungen, die sich f ü r die Rechtsprechung aus der B e r ü c k s i c h t i g u n g v o n Gemeinschaftsrecht ergeben. D i e Bürger u n d Bürgerinnen, f ü r die wegen der zunehmenden Verrechtl i c h u n g der Lebensverhältnisse höhere Chancen auf J u s t i z k o n t a k t e bestehen, 3 5 haben veränderte, gesteigerte u n d differenzierte E r w a r t u n g e n an die staatlich organisierte Rechtsgewähr. - Gesteigerte A n f o r d e r u n g e n beziehen sich insbesondere auf die M o d i der L e i s t u n g s e r b r i n g u n g sowie die Prozessqualität i m weitesten Sinne u n d ergänzen die K e r n e r w a r t u n g neutraler, rechtsrichtiger
Streitentschei-
d u n g i n angemessener Zeit. -
„Bürgerorientierung", „Dienstleistungsfunktion" und „Kundenstellung" s i n d daher n i c h t bloß modernistische A n l e i h e n an eine j u s t i z i n a d ä q u a t e Terminologie der „ N e u e n S t e u e r u n g s m o d e l l e " . 3 6 Sie ergänzen die weiterh i n gesetzesgeformte Rechtsschutzgewähr u m eine D i m e n s i o n , die der S u b j e k t s t e l l u n g der Verfahrensbeteiligten, i h r e r Vertreter u n d Vertreter i n n e n u n d sonst i n den Prozess der Justizgewähr einbezogener Personen Rechnung t r ä g t u n d f ü r das Vertrauen i n die Justiz, die A k z e p t a n z i h r e r E n t s c h e i d u n g e n 3 7 u n d l e t z t l i c h ihre rechtsstaatlichen S i c h e r u n g s f u n k t i o nen v o n m i t prägender B e d e u t u n g s i n d . 3 8
- D i e Justiz u n d das i n i h r tätige Personal muss diese D i m e n s i o n e n system a t i s c h m i t i n den B l i c k nehmen, w i l l sie i m mit
alternativen, gesellschaftlichen
„Außenwettbewerb"39
Formen der Streitbeilegung
und
33 s. auch Ritter, N J W 2001, S. 3446 ( „ D a s f a k t i s c h bestehende u n d p r a k t i z i e r t e Rechtsdurchsetzungsmonopol des Staates z e r b r ö c k e l t " ) . 34 D a z u n u r Sachverständigenrat 1998, S. 179 f f 1 8 9 f. 35 s. Kramer,
„Schlanker
Staat", Abschlussbericht,
Bonn
R u P 2001, S. 127.
36 D i s t a n z i e r t gegenüber der „ D i e n s t l e i s t u n g s t e r m i n o l o g i e " Bertram, S. 1842 ff.; s. - z u m Begriff „ K u n d e n z u f r i e d e n h e i t " - auch Freudenberg, S. 79 ff.
N J W 1998, Z R P 2002,
37 D a z u Würtenberger, D i e A k z e p t a n z v o n Gerichtsentscheidungen, in: H . H o f / M . S c h u l t e (Hrsg.), W i r k u n g s f o r s c h u n g z u m Recht I I I : Folgen v o n G e r i c h t s e n t s c h e i d u n gen, B a d e n - B a d e n 2001, S. 201 ff. 38 I n ä h n l i c h e R i c h t u n g bereits v o r der D i s k u s s i o n u m neue Steuerungsmodelle Makowka, D R i Z 1987, S. 257 ff.; k n a p p auch Paehler, D R i Z 1986, S. 218 f. 39 D e r „ B i n n e n W e t t b e w e r b " d u r c h die N e u e n Steuerungsmodelle, B e n c h m a r k i n g p r o j e k t e etc. k o m m t h i n z u .
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
141
-Schlichtung u m Rechtsfrieden stiftende Rechtsgewähr n i c h t an Boden verlieren. L a s t not least: D i e f ü r das materielle Recht vielfach herausgearbeitete R e l a t i v i t ä t der Gesetzesbindung g i l t gleichermaßen f ü r die N o r m e n , die Organisation u n d Verfahren der Rechtsgewährung steuern; Prozessrecht verzichtet o h n e h i n vielfach auf eindeutige Vorgaben u n d eröffnet i m I n t e r esse einer flexiblen, fallangemessenen Rechtsschutzgewähr O p t i o n e n f ü r die r i c h t e r l i c h e Verfahrensgestaltung. D i e These, Organisations- u n d Verfahrensnormen determinierten richterliches Verfahrenshandeln
hinreichend
u n d eindeutig, ist methodisch ü b e r h o l t u n d e m p i r i s c h leicht z u widerlegen. Dies w i r f t Folgefragen nach der K o n t r o l l e u n d V e r a n t w o r t l i c h k e i t der R i c h ter u n d R i c h t e r i n n e n b e i der Verfahrensgestaltung auf. A l l dies lässt das Festhalten a m t r a d i t i o n e l l e n , liberalistischen Richterb i l d 4 0 u n d einem umfassenden, a b w e h r r e c h t l i c h e n Verständnis v o n richterl i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t m i t i h r e m K e r n g e h a l t des Verbots der i n h a l t l i c h e n E i n m i s c h u n g i n die spruchrichterliche T ä t i g k e i t (Weisungs-, H a n d l u n g s u n d Erkenntnisfreiheit) als n i c h t m e h r a l l e i n p r o b l e m a d ä q u a t erscheinen. Diese E n t w i c k l u n g e n werfen hier n u r anzudeutende Fragen nach den S t r u k t u r e n der Rechtsgewährleistung i m Rechtsstaat des Grundgesetzes, den Verschiebungen i n der A r b e i t s t e i l u n g 4 1 zwischen gerichtsförmig organisierter, h o h e i t l i c h e r S t r e i t s c h l i c h t u n g u n d anderen Formen der Rechtsgewähr u n d S t r e i t s c h l i c h t u n g u n d d a m i t n a c h dem Selbstverständnis der D r i t t e n G e w a l t auf. I h r e B e a n t w o r t u n g k a n n das Richter- u n d R i c h t e r i n n e n b i l d u n d das Verhältnis von r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutzgewähr n i c h t aussparen.
4. Diskussionsbedarf zu richterlicher Unabhängigkeit auch jenseits „Neuer Steuerungsmodelle"
Diese veränderten Rahmenbedingungen und weniger die neuartigen Fragestellungen, die sich mit der Übertragung Neuer Steuerung smodelle für die Justiz ergeben, sollten Anlass geben, im Rahmen der (grund) g es etzlichen Vorgaben die Organisationsziele der Justiz und das derzeitige Verständnis richterlicher Unabhängigkeit darauf zu überprüfen, ob sie den derzeitigen und absehbaren Anforderungen an die Stabilisierungsund Systemleistungen der Justiz - Sicherung des Rechtsfriedens, Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und Schaffung von Rechtssicherheit - hinreichend entsprechen. 40 D a z u Reinhardt ( F N 7), S. 132: V o r s t e l l u n g v o n der Rechtsprechung „als einer r e i n n o r m vollziehenden, i m f o r m e l l e n S i n n e gesetzesvollziehenden S t a a t s g e w a l t " . 41 Hoffmann-Riem ( F N 12), S. 52 ff.
142
Uwe Berlit
D i e bundesrepublikanische Justiz ist b e i a l l e m Modernisierungsbedarf o b j e k t i v insgesamt besser als i h r Ruf. - D i e w e i t überwiegende Z a h l der Verfahren w i r d - ungeachtet regionaler S t r e u u n g u n d Unterschieden n a c h G e r i c h t s b a r k e i t e n - b i n n e n angemessener Frist - u n d w o h l auch auf sachgerechte A r t u n d Weise erledigt, n i m m t m a n als I n d i k a t o r die K u n d e n z u f r i e d e n h e i t . 4 2 Das i m Vergleich zu d e m anderer Staatsgewalten w e i t e r h i n relative hohe Vertrauen i n die Justiz k a n n n i c h t a l l e i n als R e a k t i o n auf das M i s s t r a u e n i n die anderen Staatsgewalten gewertet werden. - Es k a n n sogar als Teil des Problems gesehen werden, dass die bundesr e p u b l i k a n i s c h e Justiz - bei allen m i t Recht öffentlich aufgegriffenen u n d k r i t i s i e r t e n „ A u s r e i ß e r n " - insgesamt (zu) schnell u n d (zu) p r e i s w e r t 4 3 a r b e i t e t , 4 4 w e i l sie d a m i t aus dem riesigen P o t e n t i a l gerichtsförmig auszutragender S t r e i t i g k e i t e n 4 5 Verfahren anzieht, die i n anderen Rechtsstaaten m i t anderer Rechts- u n d G e r i c h t s k u l t u r u n d geringerer Richterdichte n i c h t z u den Gerichten g e l a n g e n . 4 6 G l e i c h w o h l h ä l t sich i n Öffentlichkeit, P o l i t i k u n d Justizverwaltungen das - p u n k t u e l l a l l z u m a l tatsachengestützte, generell aber unzutreffende B i l d einer grundlegend modernisierungsbedürftigen Justiz, - die i n den Gebäuden v o n vorgestern, i n den S t r u k t u r e n u n d m i t M i t t e l n v o n gestern m i t Personal v o n heute die Aufgaben v o n morgen z u b e w ä l t i g e n hat, 42 A l s Versuch einer differenzierten A n n ä h e r u n g s. d a z u FH S für Rechtspflege NRW, Schlussbericht z u m Forschungsprojekt B ü r g e r b e f r a g u n g i n der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t , B a d M ü n s t e r e i f e l 2001; die Ergebnisse lassen sich indes a u c h n i c h t d a r a u f v e r k ü r z e n , dass H a u p t k r i t i k p u n k t a n der Justiz die P a r k p l a t z s i t u a t i o n sei. 43 I n Z e i t e n der Ö k o n o m i s i e r u n g b i l d e t d a b e i angesichts der „ M i s c h k a l k u l a t i o n " der s t r e i t w e r t a b h ä n g i g e n G e r i c h t s g e b ü h r e n e i n S o n d e r p r o b l e m , dass i m Segment der „ m i t G e w i n n " z u b e a r b e i t e n d e n Verfahren m i t besonders h o h e n S t r e i t w e r t e n die Justiz z u g u n s t e n außergerichtlicher S t r e i t s c h l i c h t u n g s v e r f a h r e n a n B o d e n z u v e r l i e r e n scheint; z u r P r o b l e m a t i k der „ Q u e r s u b v e n t i o n i e r u n g " u n d des Wertgebührensystems s.a. Mertin, Z R P 2000, S. 81 ff.; Hirte, Z R P 1999, S. 182 ff. D e r v o n der Expertenkommission „BRAGO-Strukturreform" (Bericht v o m A u g u s t 2001) vorgelegte E n t w u r f eines Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes h ä l t a l l e r d i n g s g r u n d s ä t z l i c h a m Wertgebührenansatz fest; s. d a z u Madert, A n w a l t 3 / 2 0 0 2 , S. 6 ff.; Jansen, A n w a l t 3 / 2002, S. 10 ff. 44 Z u der W e c h s e l w i r k u n g v o n A n g e b o t u n d Nachfrage - i n auch rechtsvergleichender S i c h t - s. Blankenburg/ Verword, D R i Z 1986, S. 207 (208 f.); Blankenburg, Z R P 1986, S. 262 (265); ders., D i e I n f r a s t r u k t u r der Prozeßvermeidung i n d e n N i e d e r l a n d e n , in: G o t t w a l d / S t r e m p e l (Hrsg.), S t r e i t s c h l i c h t u n g , K ö l n 1995, S. 139 ff.
Z u r „ E n t g r e n z u n g " der Nachfrage n a c h Recht u n d Justiz i n historischer Perspektive s. Roellecke, i n diesem H e f t S. 123 ff. 4 6 E i n B e i s p i e l ist die N u t z u n g der S t a a t s a n w a l t s c h a f t z u r S c h u l d b e i t r e i b u n g d u r c h Betrugsanzeigen i n der E r w a r t u n g , dass das S t r a f v e r f a h r e n n a c h § 153a StPO m i t der A u f l a g e v o r l ä u f i g eingestellt w i r d , d e n geschuldeten B e t r a g (ratenweise) z u bezahlen, v o n d e m i m Versandhandel b r e i t e r G e b r a u c h gemacht w o r d e n ist - schnell, effizient, preiswert.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
143
- i n der i n Zeiten ausgebluteter öffentlicher Haushalte erhebliche E f f i zienzreserven u n d E i n s p a r p o t e n t i a l e vermutet werden u n d - f ü r die erheblicher Modernisierungsbedarf besteht. Diese E i n s c h ä t z u n g ist G r u n d der i n i h r e r V i e l f a l t n i c h t m e h r überschaubaren Ansätze u n d M o d e l l p r o j e k t e 4 7 zur Ü b e r t r a g u n g v o n Elementen der b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h geprägten Neuen Steuerungsmodelle auf die Justiz. Diese machen - anders als n o c h die Organisationsuntersuchungen der 70er u n d 80er Jahre - n i c h t m e h r h a l t vor der r i c h t e r l i c h e n T ä t i g k e i t selbst - t r o t z aller verbalen Beteuerungen, dass die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t angetastet w e r d e n solle. Sie bergen die - n u r b e i S t ä r k u n g der Selbstverwalt u n g beherrschbare - Gefahr einer V e r k ü r z u n g der j u s t i z i e l l e n A u f g a b e n erledigung auf ein b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h verkürztes Effizienzverständnis. D i e E i n s p a r p o t e n t i a l e i n der Justiz s i n d angesichts des Umfanges der Justizhaushalte absolut z u r Haushaltssanierung n i c h t geeignet, v e r m u t l i c h geringer als erwartet u n d bei aller n o t w e n d i g e n Kostentransparenz n i c h t v o r r a n g i g d u r c h die b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h orientierten Neuen Steuerungsmodelle zu heben. G l e i c h w o h l muss sich die Justiz, müssen sich Richter u n d R i c h t e r i n n e n dieser D i s k u s s i o n stellen, die Perspektive aber erweitern. F ü r die Justiz k a n n i n z w i s c h e n - zumindest v e r b a l 4 8 - als „ C o m m o n sense" gelten, dass n i c h t nur, aber auch wegen der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n gigkeit eine „ b r u c h l o s e " Ü b e r t r a g u n g der f ü r die öffentliche V e r w a l t u n g e n t w i c k e l t e n u n d schon dort n i c h t unproblematischen „ N e u e n Steuerungsm o d e l l e " n i c h t m ö g l i c h i s t . 4 9 B e i p o l i t i s c h getroffener G r u n d e n t s c h e i d u n g f ü r ihre A n w e n d u n g geht es u m den G r a d n o t w e n d i g e r A n p a s s u n g . 5 0 Deswegen w i r d auch die zwischenzeitlich i n der öffentlichen V e r w a l t u n g b e g i n nende „ E r n ü c h t e r u n g " über die Effekte u n d W i r k u n g e n Neuer Steuerungsm o d e l l e 5 1 die Diskussion u m eine angepasste Ü b e r t r a g b a r k e i t auf die Jus47 Es w ä r e eine w i c h t i g e A u f g a b e der Rechtswissenschaft, diesen Prozess r e f l e x i v z u b e g l e i t e n u n d i n e i n e m ersten S c h r i t t d u r c h eine a n a l y t i s c h angeleitete, s y s t e m a t i sche A u f b e r e i t u n g der verschiedenen Ansätze ( u n d i h r e r Ergebnisse u n d W i r k u n g e n ) „ A u f k l ä r u n g " z u schaffen. 48 I n w i e w e i t diese B e k u n d u n g e n seitens der J u s t i z e x e k u t i v e beachtet, i n der P o l i t i k b e i der U m s e t z u n g ernst g e n o m m e n u n d auch i n den Finanzressorts auf Gehör stoßen, ist n u r b e i einer h i e r n i c h t z u leistenden D e t a i l a n a l y s e der i m L ä n d e r v e r g l e i c h heterogenen Ansätze u n d P r o j e k t e z u b e u r t e i l e n , die - soweit b e k a n n t - a u f eine u n t e r s c h i e d l i c h ausgeprägte S e n s i b i l i t ä t weisen. 49 A b l e h n e n d h i e r z u a u c h Voßkuhle, i n diesem H e f t S. 35 ff., dessen These, dass der P r o d u k t b e g r i f f f ü r die Justiz s c h l e c h t h i n u n t a u g l i c h sei, indes n i c h t z u folgen ist. 50 Differenziert h i e r z u , m i t w e i t e r h i n s t a r k ökonomischer A k z e n t s e t z u n g , Maier, N e w P u b l i c M a n a g e m e n t i n der Justiz. M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen einer w i r k u n g s o r i e n t i e r t e n G e r i c h t s f ü h r u n g aus b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h e r u n d r e c h t l i c h e r Perspektive, B e r n u. a. 1999. 51 Z u r E n t w i c k l u n g i n d e n N i e d e r l a n d e n , die m i t d e m „ T i l b u r g e r M o d e l l " f ü r die b u n d e s r e p u b l i k a n i s c h e D i s k u s s i o n erhebliche A n s t o ß - u n d V o r b i l d f u n k t i o n hatte,
144
Uwe Berlit
tiz, den „ ö k o n o m i s c h e n " B l i c k auf sie u n d den Versuch, sich insoweit des „ W e r k z e u g k a s t e n s " 5 2 der „ N e u e n Steuerungsmodelle" z u bedienen, n i c h t beenden. 5. Doppelte „Frontstellung" einer Rejustierung richterlicher Unabhängigkeit
Eine Rejustierung hat sich abzugrenzen, richterlicher
des Verständnisses sowohl
Aufgabenerfüllung
gegenüber
von richterlicher
Unabhängigkeit
einer ökonomistischen
als auch gegen ihren
Einsatz
Reduktion zur
Moder-
nisierung s ab wehr. I n der D i s k u s s i o n u m Veränderungen (in) der Justiz n i m m t die richterliche U n a b h ä n g i g k e i t m i t Recht einen zentralen Stellenwert ein. I m gew a l t e n t e i l e n d e n Rechtsstaat sind U n a b h ä n g i g k e i t u n d U n p a r t e i l i c h k e i t der Richter u n d R i c h t e r i n n e n u n b e s t r i t t e n verfassungsrechtlich
gesicherter
Baustein der F u n k t i o n „Rechtsprechung" - u n d müssen es bleiben. Jenseits dieses Basiskonsenses l a u t e n die zentralen Fragen indes: - Welche Grenzen zieht - neben der i n s t i t u t i o n e l l e n Sonderung der Justiz i n d i v i d u e l l e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t Veränderungen i n der Justiz? - Ist sie die v o n E i n i g e n 5 3 behauptete w i r k m ä c h t i g e Reformsperre 5 4 oder lässt sie d e u t l i c h größere Spielräume als vielfach behauptet? - I n w e l c h e m Verhältnis stehen r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d Sicherung einer gleichheitskonformen,
q u a l i t a t i v hochstehenden, den (welchen?)
gesellschaftlichen A n f o r d e r u n g e n entsprechenden effektiven Rechtsprechung? D i e Fragen erfordern eine R ü c k b e s i n n u n g auf Begriff, I n h a l t u n d Reichw e i t e r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t . E i n e Rejustierung, welche die richters. Hendricks / Tops, V e r w A r c h 92 (2001), S. 560 ff.; s.a. die P h a s e n e i n t e i l u n g f ü r d e n Prozess der V e r w a l t u n g s m o d e r n i s i e r u n g d u r c h Budäus / Finger, D i e V e r w a l t u n g 32 (1999), S. 312 (327 ff.); auf eine A k z e n t v e r s c h i e b u n g i n der D i s k u s s i o n w e i s t auch der Tagungsbericht v o n Bull, DVB1. 2001, S. 1818 ff. 52 So der Begriff b e i Röhl, M i t d e m Werkzeugkasten des N S M i n die Justiz, i n : H . H i l l / H . H o f (Hrsg.), W i r k u n g s f o r s c h u n g z u m Recht I I , B a d e n - B a d e n 2000, S. 437 ff. 53 D e z i d i e r t auf der G r u n d l a g e eines p u r i s t i s c h - ü b e r z o g e n e n Verständnisses der N e u e n Steuerungsmodelle, die justizspezifische A n p a s s u n g e n n i c h t d u l d e t e n , Bertram / Daum / Graf von Schlieff en / Wagner, Das Neue S t e u e r u n g s m o d e l l a m V e r w a l t u n g s g e r i c h t H a m b u r g . M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen ( A b s c h l u ß b e r i c h t aus der A r b e i t s g r u p p e I I a m V e r w a l t u n g s g e r i c h t H a m b u r g ) , H a m b u r g (Typoskript) September 1998 (dazu die G e g e n k r i t i k d u r c h Röhl [ F N 52]); Bertram, D R i Z 1998, S. 506; Hochschild, B e t r i f f t Justiz 2000, S. 258 ff.; Häuser, B e t r i f f t Justiz 2000, S. 255 ff.; Piorreck, B e t r i f f t Justiz 2001, S. 22 ff.; Reim, G e r e c h t i g k e i t u n d Effizienz. D e r R i c h t e r i m S p a n nungsfeld, in: F S Offerhaus, K ö l n 1999, S. 791 (797 f.). 54 Dagegen dezidiert: Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (375): „ D i e U n a b h ä n g i g k e i t ist k e i n P r i v i l e g z u r A b w e h r v o n R e f o r m e n " ; Schulze-Fielitz, in: D r e i e r (Hrsg.), G G , Bd. I I I , T ü b i n g e n 2000, A r t . 97 Rn. 54.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
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liehe U n a b h ä n g i g k e i t rückbezieht auf die übergreifenden Systemaufgaben der Justiz, effektiven Rechtsschutz z u gewährleisten, h a t eine doppelte Frontstellung: - Z u m einen k a n n es n i c h t u m eine exekutivistische Perspektive gehen, r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t i n einer Weise neu zu definieren, dass eine U m s e t z u n g „ N e u e r Steuerungsmodelle" i n der Justiz bruchlos m ö g l i c h u n d Justizgewähr a l l e i n oder v o r r a n g i g an ökonomischen, b e t r i e b s w i r t schaftlichen K r i t e r i e n z u messen ist. D i e Überlegungen haben sich abzugrenzen gegen ein Verständnis, „das eine , E i n o r d n u n g der Richterschaft i n vorgegebene Arbeitsabläufe' fordert u n d v e r s t ä n d i g e n P r o d u k t i v i t ä t s erwartungen' an Richter u n d Staatsanwälte das Wort r e d e t . " 5 5 - Z u m anderen muss sie ein Verständnis ü b e r w i n d e n , r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t hindere auf Effizienzsteigerung gerichtete Binnenreformen i n der Justiz. S t o ß r i c h t u n g ist hier ModernisierungsVerhinderung u n d Veränderungsabwehr i n n i c h t unerheblichen Teilen der Richterschaft: D i e Absage der organisierten Richterschaft an die Schaffung eines neuen Richterbildes56
u n t e r uneingeschränktem
Festhalten an dem i n
der
Rechtsprechung entfalteten Schutzbereich der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t unterzeichnet den Rejustierungsbedarf, w e n n sie den zugestandenen „ W a n d e l auch i n der Justiz" beschränkt auf „Facetten i n der A u s gestaltung r i c h t e r l i c h e r A r b e i t " . D e r „ w e i c h e " Begriff der „ R e j u s t i e r u n g " signalisiert: D i e genaue Reichweite der angezeigten Veränderungen ist wegen n o c h offener Fragen unklar. E r geht indes davon aus, dass r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t statisch definiert werden k a n n ; sie muss auf den Wandel der Z e i t u n d auch veränderte Rahmenbedingungen u n d Sichtweisen reagieren.
6. Stellenwert und mögliche Reichweite einer Rejustierung richterlicher Unabhängigkeit
Eine Vergewisserung hängigkeit
über die normative
ist trotz ihrer nur begrenzten
Einflussfaktoren,
welche nachhaltiger
Rechtsschutzgewähr
einwirken,
nicht
Reichweite
richterlicher
„Steuerungswirkung auf die Effektivität
" und
Unabanderer
und Effizienz
der
sinnlos.
D i e hohe, verfassungsrechtlich gesicherte B e d e u t u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t f ü r eine rechtsstaatliche Justiz u n d das A b s t r a k t i o n s n i v e a u lassen n o r m a t i v R a u m f ü r eine rechts-, j u s t i z - u n d standespolitische A u f 55 A b s c h l u s s p a p i e r der A r b e i t s g r u p p e „ Q u a l i t ä t i n der J u s t i z " des D e u t s c h e n R i c h t e r b u n d e s (Fassung l t . Beschluss P r ä s i d i u m s s i t z u n g v. 12. 10. 2001) (nachfolgend: DRiB, Q u a l i t ä t ) , 1. 56 DRiB, Q u a l i t ä t ( F N 55), Nr. 1.3.
10 Die Verwaltung, Beiheft 5
146
Uwe Berlit
ladung. E i n e Vergewisserung über ihre normative Reichweite ist nötig. Eine p r i m ä r normative D i s k u s s i o n über r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t k a n n n u r A n s t o ß f u n k t i o n haben. Tatsächlich w i r d sie i n der Justiz n u r w e n i g b e w i r ken. Veränderungen i n der Justiz k ö n n e n n u r m i t u n d d u r c h die Richterschaft selbst erreicht werden. Sie muss e i n verändertes Verständnis von r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t m i t e n t w i c k e l n - u n d v o r a l l e m akzeptieren. D i e dem G r u n d e nach f u n k t i o n s n o t w e n d i g e Steuerungsresistenz der Justiz erstreckt sich f a k t i s c h auch auf veränderte oder redefinierte n o r m a t i v e Vorgaben: A l l e i n d u r c h Recht ist eine Ä n d e r u n g i n f o r m e l l eingespielter A b läufe, eine Veränderung „regionaler J u s t i z k u l t u r e n " oder die Anpassung an veränderte V e r f a h r e n s - „ l e i t b i l d e r " n i c h t z u erreichen. D e r Gesetzgeber musste diese E r f a h r u n g b e i den deswegen jüngst veränderten Regelungen z u r E i n z e l r i c h t e r ü b e r t r a g u n g i m Zivilprozess machen (§§ 348, 348a Z P O ) ; 5 7 dasselbe Schicksal w e r d e n w o h l die neuen ZPO-Regelungen z u r o b l i g a t o r i schen G ü t e v e r h a n d l u n g (§ 278 Abs. 2 ZPO) erleiden. A u c h diese Beispiele belegen, w i e unzureichend der Rekurs auf die Gesetzesbindung der Richter u n d R i c h t e r i n n e n ist, die i m m e r h i n die zentrale
Legitimationsquelle58
bildet. M i t einer i n Teilbereichen auch auf E i n s c h r ä n k u n g des bisherigen n o r m a t i v e n Verständnisses zielenden Rejustierung k ö n n e n auch k o n t r a p r o d u k t i v e Effekte erzielt werden. N a c h Maßgabe der handelnden A k t e u r e i n - u n d außerhalb der Justiz k ö n n e n p u n k t u e l l neue Gefahren f ü r r i c h t e r l i c h e U n abhängigkeit heraufbeschworen w e r d e n 5 9 - gegenüber den Justizressorts, 57 N o r m a t i v w a r bis z u m 31. 12. 2001 die Ü b e r t r a g u n g des Rechtsstreites auf den E i n z e l r i c h t e r b u n d e s w e i t e i n h e i t l i c h d u r c h eine „ S o l l - i n der R e g e l " - V o r s c h r i f t gesteuert. G l e i c h w o h l s c h w a n k t e die E i n z e l r i c h t e r ü b e r t r a g u n g s q u o t e 1998 z w i s c h e n 8,57 V.H. (Sachsen-Anhalt) u n d 66,72 v.H. (Schleswig-Holstein), die E r l e d i g u n g s q u o t e je R i c h t e r oder R i c h t e r i n z w i s c h e n 187,7 ( B a d e n - W ü r t t e m b e r g ) u n d 260,1 Sachen (Berlin), ohne dass e i n e i n d e u t i g e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n Ü b e r t r a g u n g s - u n d E r l e d i g u n g s q u o t e feststellbar w ä r e (Quelle: Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte 1998). B r e m e n e t w a h a t t e m i t der z w e i t n i e d r i g s t e n Ü b e r t r a g u n g s q u o t e (8,77 v.H.) die zweithöchste E r l e d i g u n g s q u o t e (242,2 S a c h e n / R i c h t e r ) . Werden e i n insgesamt ä h n l i cher V e r f a h r e n s m i x u n d i n e t w a g l e i c h hohe K o s t e n p r o R i c h t e r u n t e r s t e l l t , ergeben sich aus diesen D a t e n z w a r keine A n t w o r t e n , w o h l aber berechtigte Fragen n a c h der e r h e b l i c h e n S p a n n b r e i t e der hieraus resultierenden Erledigungskosten, b e i denen f ü r die A n t w o r t n i c h t i n die U n t e r s t e l l u n g u n t e r s c h i e d l i c h e r Q u a l i t ä t des O u t p u t s ausgew i c h e n w e r d e n sollte. Jedenfalls erscheint angesichts dieser D a t e n der schlichte Rek u r s auf die „ G e s e t z e s b i n d u n g " als h i n r e i c h e n d e u n d eindeutige S t e u e r u n g schwerl i c h aufrechtzuerhalten. Dass der g e w o l l t e S i n n der z u m 1. 1. 2002 i n K r a f t getretenen Regelung z u m o r i g i n ä r e n E i n z e l r i c h t e r b e i „strategischer Gesetzesinterpretation" i n r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t d u r c h die großzügige B i l d u n g v o n S p e z i a l k a m m e r n u n t e r l a u f e n w e r d e n k a n n , m a g als Beleg f ü r die Steuerungsresistenz der gesetzesgebundenen Justiz auch gegenüber d e m Prozessrechtsgesetzgeber gewertet werden, s t e l l t d a n n aber u m so drängender die Frage n a c h der L e g i t i m a t i o n u n d V e r a n t w o r t l i c h k e i t einer so verstandenen r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t . 58 D a z u n u r Roellecke, D i e B i n d u n g des Richters a n Gesetz u n d Verfassung, V V D S t R L 34 (1976), S. 5 (29 ff.).
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
147
aber auch gegenüber der Gerichts Verwaltung. Gerade an die Gerichtsl e i t u n g werden d u r c h die Neuen Steuerungsmodelle neue A n f o r d e r u n g e n gestellt, die zu einem veränderten Selbst- u n d Rollenverständnis m i t A u s w i r k u n g e n auf das auch i n n e r g e r i c h t l i c h stets prekäre Spannungsverhältnis zwischen Gerichtsspitze, Richterschaft u n d einzelnen R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n führen. D i e h i e r liegenden Risiken erfordern flankierende i n s t i t u tionelle u n d verfahrensrechtliche Sicherungen, vor a l l e m eine i m D e t a i l noch auszuarbeitende S t ä r k u n g der S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e . 6 0 D e m N u t z e n einer Vergewisserung über die normative Reichweite richterl i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t i m Interesse effektiver Justizgewähr k a n n schließlich n i c h t entgegengehalten werden, dass die eigentlichen Ursachen f ü r k r i t i k w ü r d i g e Erscheinungen i n der Justiz woanders lägen. Z u nennen sind etwa - eine - n a c h welchen K r i t e r i e n auch i m m e r bestimmte - unzureichende personelle u n d sächliche A u s s t a t t u n g der J u s t i z , 6 1 - eine Verfahrensgesetzgebung, bei der Chancen, ohne Qualitätseinbußen erreichbare Effektivitätssteigerungen
zu bewirken, ungenutzt
bleiben
oder die ohne erkennbaren N u t z e n zusätzlichen A u f w a n d produziert, oder -
„Qualitätsmängel"
b e i der m a t e r i e l l e n Gesetzgebung, die die Justiz
wegen des Verbots der Rechtsverweigerung m e h r u n d m e h r i n die Rolle eines Ersatz- u n d Ergänzungsgesetzgebers
treibt,
klärungsbedürftige
Fragen statt p o l i t i s c h i m Gesetz k l a r z u entscheiden auf die Justiz abschiebt, das p o l i t i s c h G e w o l l t e rechtstechnisch unzureichend umsetzt u n d bei der Rechtsgestaltung i m Rahmen der Gesetzesfolgenabschätz u n g 6 2 die „Vollzugskosten"
f ü r die j u s t i z i e l l e
n i c h t (hinreichend) b e r ü c k s i c h t i g t .
Rechtsdurchsetzung 6 3
64
59 s. e t w a das S t r a t e g i e p a p i e r PräsOVG N R W ( a b g e d r u c k t i n B e t r i f f t Justiz 2001, S. 223). Das P r o b l e m dieses Papiers l i e g t neben der i n h a l t l i c h e n E i n s e i t i g k e i t i n der N u t z u n g der k a u m ü b e r p r ü f b a r e n , hierarchischen M i t t e l u n d d e m A n s a t z b e i d e n „schwächsten" Gliedern, den Proberichtern u n d Proberichterinnen. Z u m hier nicht behandelten Sonderproblem „richterliche Unabhängigkeit u n d Proberichter/Prober i c h t e r i n n e n " u n t e r d e m B l i c k w i n k e l des A r t . 6 E M R K Lippold, N J W 1991, S. 2383 ff. 60
s. d a z u die Beiträge v o n Groß u n d Dästner, i n diesem H e f t S. 217 ff. bzw. S. 201 ff.
61
D a z u j ü n g s t DRiB, Presseerklärung v. 7. 3. 2002 „Justiz i n D e u t s c h l a n d : C h r o nisch überlastet. I n D e u t s c h l a n d fehlen derzeit mindestens r u n d 1.500 Richter, R i c h t e r i n n e n , S t a a t s a n w ä l t e u n d S t a a t s a n w ä l t i n n e n " ; s.a. „ H i l f e r u f " der R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r des L a n d g e r i c h t s H a m b u r g , D R i Z 2001, S. 311. Diese öffentlichen Ä u ß e r u n g e n s i n d i m K a m p f der Justiz u m die k n a p p e n s t a a t l i c h e n Ressourcen m i t u n t e r n o t w e n d i g , w e r d e n aber a n der k l a r e n p o l i t i s c h e n Aussage n i c h t s ändern, dass eine M i t t e l a u f s t o c k u n g (gerade i m Personalbereich) allenfalls p u n k t u e l l A u s s i c h t auf E r folg hat. 62 Z u m s t r u k t u r e l l vergleichbaren P r o b l e m der Gesetzesausführungskosten i n der V e r w a l t u n g s. Leisner, DVB1. 2001, S. 1799; ohne e x p l i z i t e T h e m a t i s i e r u n g der V o l l zugskosten z u r Gesetzesfolgenabschätzung s.a. Köck, V e r w A r c h 93 (2002), S. 1 ff. F ü r eine n i c h t d u r c h d e n „ D i e n s t w e g " gefilterte N u t z u n g des j u s t i z i e l l e n E r f a h r u n g s -
io :
Uwe Berlit
148 Gewaltenteilungsgrundsatz
u n d Gesetzesgebundenheit hindern
Richter
u n d R i c h t e r i n n e n d a r a n , selbst b e i r e c h t s p o l i t i s c h als z u t r e f f e n d u n t e r s t e l l ten Hinweisen auf Mängel der Verfahrens- u n d Sachgesetzgebung auf B i n nenoptimierungsanstrengungen zu verzichten. D i e Justiz hat auch hinzunehmen, w e n n bestimmte Steuerungs-, K o n t r o l l - u n d Optimierungsprobleme durch verstärkten Einsatz von Einzelrichtern u n d
Einzelrichterinnen,
R e c h t s m i t t e l v e r k ü r z u n g u n d sonstige M a ß n a h m e n z u r Verfahrensbeschleunigung verschärft
werden.
Die Amtspflicht
zur effektiven
Justizgewähr
b e s t e h t a u c h u n t e r B e d i n g u n g e n des M a n g e l s . D i e a b s t r a k t a n e r k a n n t e v e r fassungsrechtliche Pflicht der anderen Gewalten, für eine funktionsfähige Justiz hinreichende Ressourcen räumlicher, sächlicher u n d personeller
Art
z u r Verfügung z u stellen,65 belässt insbesondere d e m Haushaltsgesetzgeber einen breiten Einschätzungs- u n d Gestaltungsspielraum, den die Justiz zu akzeptieren h a t . 6 6 Justiz bzw. Richter u n d Richterinnen sind zur optimierten A u s n u t z u n g der tatsächlich bereitgestellten Ressourcen auch d a n n verp f l i c h t e t , w e n n g u t e G r ü n d e d a f ü r sprechen, dass diese n i c h t a u s r e i c h e n d sind.
wissens b e i der Gesetzesfolgenabschätzung der K u r z k o m m e n t a r v o n Schmid, 2001, S. 187.
ZRP
63
E i n e p o s i t i v e A u s n a h m e - f ü r die Verfahrensgesetzgebung - b i l d e t e e t w a die Verf a h r e n s s i m u l a t i o n z u m R e f e r e n t e n e n t w u r f des Zivilprozessreformgesetzes; d a z u Dieckmann, J Z 2000, S. 760 ff. 64 A u s d e m p o l i t i s c h e n R a u m h i e r z u etwa L T N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , Drs. 1 2 / 4 5 7 8 , 40ff.; L T B a d e n - W ü r t t e m b e r g , Drs. 1 2 / 3 6 8 7 , 16ff.; L T R h e i n l a n d - P f a l z , Drs. 1 3 / 5519, 22 ff.; L T - S a c h s e n - A n h a l t , Drs. 3 / 2 7 4 0 , 12 ff.; e x p l i z i t ebd. S. 19: „ D i e L a n d e s r e g i e r u n g sieht . . . i n d e m Bereich des m a t e r i e l l e n Rechts h i n s i c h t l i c h s o w o h l des Regelungsumfanges als a u c h der R e g e l u n g s q u a l i t ä t erhebliche gesetzliche S p i e l räume, u m die B e a n s p r u c h u n g der Justiz z u m i n d e r n " . I n R a n d a s p e k t e n angesprochen i n d e m B e i t r a g v o n S cheer / Meyer, N J W 2001, S. 643 ff. 65 Meyer ( F N 6), A r t . 92 Rn. 3, 9, 12; Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 92 Rn. 57. 66 D a z u auch Roellecke, i n diesem H e f t S. 123 ff., der m i t Recht d a r a u f verweist, dass der F i n a n z b e d a r f der Justiz n i c h t d u r c h diese selbst b e s t i m m t w e r d e n k ö n n e u n d die f i n a n z i e l l e A u s s t a t t u n g der Justiz, die i n e i n e m „ W e t t b e w e r b " m i t u n g l e i c h v e r t e i l t e n Durchsetzungschancen u m k n a p p e staatliche Ressourcen steht, l e t z t l i c h v o n der n u r (gesellschafts)politisch z u b e a n t w o r t e n d e n Frage abhängt: „ W i e v i e l J u stiz w o l l e n w i r uns leisten?" (zu dieser Perspektive bereits Schäfer, D R i Z 1995, S. 461 ff.). Dies w e c k t b e i r e a l p o l i t i s c h e r Perspektive erhebliche Z w e i f e l , dass e i n systematisch a n sich konsequentes - direktes, eigenes B u d g e t a n t r a g s r e c h t m i t eigener H a u s h a l t s v e r a n t w o r t u n g der Justiz (dazu DRiB, S e l b s t v e r w a l t u n g [ F N 9], Nr. 1 l i t . c); s. bereits DRiB, Positionspapier z u r Ü b e r t r a g b a r k e i t des „ N e u e n Steuerungsmod e l l s " auf die Justiz, D R i Z 1999, S. 462; Voss, D R i Z 1998, S. 379 [390]) t a t s ä c h l i c h z u r S t ä r k u n g der E i g e n s t ä n d i g k e i t der 3. G e w a l t d u r c h eine „aufgabengerechte F i n a n z a u s s t a t t u n g " f ü h r e n k a n n , u n d lässt eine a n eine ausgebaute K o s t e n - L e i s t u n g s - R e c h n u n g a n k n ü p f e n d e o u t p u t o r i e n t i e r t e Budgetbemessung n a c h d e m s c h l i c h t e n Schema „ B u d g e t = erwartete P r o d u k t m e n g e χ K L R - e r m i t t e l t e r P r o d u k t p r e i s " als i r r e a l erscheinen. Dies e r ü b r i g t indes n i c h t B e m ü h u n g e n u m m e h r Kostentransparenz i n der Justiz, die d e n „ K a m p f u m die k n a p p e n M i t t e l " , der z u d e m a m status q u o ansetzt, z u r a t i o nalisieren geeignet ist.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
149
I I . Rejustierung von Begriff und Reichweite richterlicher Unabhängigkeit 1. Richterliche Unabhängigkeit zwischen funktionalem Bezug und individualistischem Abwehrrecht
Der abstrakt
konsentierte
keit auf die effektive tung partiell
funktionale
aus dem Blick
-kontrollierende
Funktion
geraten
eingebüßt.
tuell zu einem individualistisch renden subjektiven heit richterlicher antwortung
Bezug
Rechtsschutzgewähr
Tätigkeit
nicht hinreichend
UnabhängigAusgestal-
und hat seine handlungsleitende Richterliche
definierbaren,
Abwehrrecht
richterlicher
ist in der konkreten
mutiert,
Unabhängigkeit
und
ist
punk-
vom Amtsauftrag
abstrahie-
das die Organisations
g ebunden-
und den Konnex berücksichtigt.
von Unabhängigkeit
und Ver-
Dieses Verständnis
bedarf der
Rejustierung. a) Richterliche
Unabhängigkeit
als notwendige
wirklichung
des Justizgewährleistungsanspruches:
unbestritten,
dass die Zuweisung
ter und die richterliche Verwirklichung
Voraussetzung
der rechtsprechenden
Unabhängigkeit
des Justizgewährleistung
der Ver-
Verfassungsrechtlich
notwendige s anspruches,
Gewalt
ist
an die Rich-
Voraussetzung
für die
aber auch auf diese
bezogen sind. Richterliche U n a b h ä n g i g k e i t ist f u n k t i o n a l bezogen auf die Sicherung des Rechtsschutzauftrages,
ungeachtet
ihrer
subjektiv-öffentlichrechtlichen,
grundrechtsgleichen D i m e n s i o n 6 7 k e i n persönliches P r i v i l e g . 6 8 Diese dienende F u n k t i o n unterstreicht A r t . 92 GG, der die rechtsprechende G e w a l t den R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n „ a n v e r t r a u t " . 6 9 D i e verfassungsrechtliche Verankerung der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t (Art. 97 Abs. 1, 2 GG) hat bei i h r e r ausformenden Sicherung d u r c h die Richterdienstgerichtsbarkeit die i n d i v i d u e l l e , „ a b w e h r r e c h t l i c h e " D i m e n s i o n stark i n den Vordergrund r ü k k e n lassen u n d eine Tendenz befördert, nach der i m Z w e i f e l s f a l l die - d a n n jeweils i n d i v i d u e l l definierte - r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t Vorrang vor der Dienstauf sieht h a t 7 0 - u n d dies auf der Grundlage eines extensiven Verständnisses v o n i m K e r n b e r e i c h absolut geschützter r i c h t e r l i c h e r T ä t i g en Schulze-Fielitz
( F N 54), A r t . 97 Rn. 16.
68 B V e r w G E 78, 216 (220): „ A r t . 97 gewährleistet d e m R i c h t e r die U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t als subjektives Recht, als R i c h t e r p r i v i l e g i m S i n n e eines z u s ä t z l i c h e n G r u n d rechts. D i e U n a b h ä n g i g k e i t d i e n t v i e l m e h r a l l e i n d e m Interesse a n einer f u n k t i o n s fähigen, i n t a k t e n , rechtsstaatlichen A n f o r d e r u n g e n genügenden R e c h t s p r e c h u n g " ; s.a. Barbey, i n : I s e n s e e / K i r c h h o f (Hrsg.), H S t R , B d . I I I , 2. A u f l . 1996, § 74 Rn. 23. 69 D e r v o m DRiB ( Q u a l i t ä t [ F N 55], Nr. 1.2.) verwendete Begriff des „ T r e u h ä n d e r s " des Volkes, als der der R i c h t e r d e n J u s t i z g e w ä h r l e i s t u n g s a n s p r u c h des Grundgesetzes k o n k r e t i s i e r t , n i m m t diesen f u n k t i o n a l e n Bezug auf, verdeckt i m ü b r i g e n aber m e h r als dass er erhellt. 70 D a z u - m. w. N . - Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (376).
Uwe Berlit
150
k e i t . 7 1 Z u Recht ist auf die Gefahr einer „berufsideologisch verzerrten Problemperzeption i.S. einer übertriebenen S e n s i b i l i t ä t " verwiesen w o r d e n . 7 2 b) Spannungsverhältnis gebundenheit dienstrechtlicher nicht
lichen
Eingebundenheit
befriedigend
Unabhängigkeit
Tätigkeit:
Rechtsprechung
einem ihrer
richterliche
richterlicher
Der
und überwiegendem
aufgelösten der Richter
/ Organisations
„individualistische" Schrifttum
Spannungsverhältnis
und Richterinnen
in die
zur
(ein) -
Bias
in
steht
in
tatsäch-
Organisation
Gerichte.
Z u r dieser These n u r einige Stichworte: - D i e Verteilung der Geschäfte regelt das P r ä s i d i u m , dem seinerseits d u r c h die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t n u r w e i t e Grenzen bei der ( U m v e r t e i l u n g der Geschäfte gezogen sind. E i n P r ä s i d i u m , das seine L e i t u n g s - u n d Personalführungsfunktion
sowie seine V e r a n t w o r t u n g gegenüber dem
rechtssuchenden P u b l i k u m ernst n i m m t , ist dabei i n einem Maße auf systematische u n d gezielte I n f o r m a t i o n e n z u r Geschäftsentwicklung, der A r t u n d Weise der A u f g a b e n e r f ü l l u n g i n einzelnen S p r u c h k ö r p e r n bzw. einzelner Richter u n d R i c h t e r i n n e n u n d i h r e m L e i s t u n g s p r o f i l angewiesen, das bei E r h e b u n g u n d Feststellung d u r c h den Präsidenten oder die P r ä s i d e n t i n n a c h der h.M. als E i n g r i f f i n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t gewertet w ü r d e . - B e i i n S p r u c h k ö r p e r n eingebundenen R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n t r i t t die spruchkörperinterne Geschäftsverteilung h i n z u ; 7 3
Gerichtsverfassungs-
u n d Prozessrecht schaffen f ü r die spruchkörperinterne Zusammenarbeit n u r einen äußeren Rahmen, bei der die n o r m a t i v e n Vorgaben o h n e h i n vielfach d u r c h informelle Regeln überlagert oder verdrängt w e r d e n , 7 4 u n d setzt i m ü b r i g e n die Bereitschaft z u r reibungslosen spruchkörperi n t e r n e n Zusammenarbeit voraus, ohne sie w i r k l i c h garantieren zu k ö n nen. Das v o n „ K o l l e g i a l i t ä t " getragene S p r u c h k ö r p e r p r i n z i p hat o b j e k t i v unbestreitbar Regulierungs- u n d K o n t r o l l f u n k t i o n 7 5 u n d setzt v i e l f ä l t i g 71 Diese Tendenz m a g m i t d a d u r c h gefördert w o r d e n sein, dass n a c h der Rechtsprec h u n g des B G H ( e x p l i z i t : Β G H Z 90, 41 [48]; N J W 1988, S. 421 [422]) v o m Richterdienstgericht n i c h t g e p r ü f t w e r d e n darf, ob eine angegriffene M a ß n a h m e aus anderen G r ü n d e n als wegen B e e i n t r ä c h t i g u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t r e c h t s w i d r i g / sachlich falsch ist. 7 2 Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 97 Rn. 33. 73 D u r c h § 21 f. G V G i n der Fassung des Gesetzes m i t der w o h l k l i n g e n d e n , aber i r r e f ü h r e n d e n B e z e i c h n u n g „Gesetz z u r S t ä r k u n g der U n a b h ä n g i g k e i t der R i c h t e r u n d G e r i c h t e " v o m 22. 12. 1999, B G B l . I S. 2598, v o m Vorsitzenden auf die M i t g l i e d e r des S p r u c h k ö r p e r s ü b e r t r a g e n ( m i t „ S t i c h e n t s c h e i d s r e c h t " des Präsidiums). 74 E i n B e i s p i e l ist die T e r m i n i e r u n g s - u n d L a d u n g s b e f u g n i s des Vorsitzenden, v o n der e i n „ k l u g e r " Vorsitzender n i c h t „ ü b e r d e n K o p f " der / d e s Berichterstatters / i n G e b r a u c h m a c h t ( z u m a l aus der T e r m i n i e r u n g als solcher k e i n e P f l i c h t z u r sachgerechten T e r m i n s v o r b e r e i t u n g folgt).
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
151
ste Beschränkungen der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t voraus; eine i n d i vidualistische D e f i n i t i o n r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t k a n n n i c h t überzeugend erklären, aus welchen G r ü n d e n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t v o n E i n z e l r i c h t e r n u n d - r i c h t e r i n n e n gegenüber „ k o l l e g i a l e r Intervent i o n " i n den K e r n b e r e i c h eine größere Reichweite haben soll als die v o n i m Spruchkörper tätigen Richtern u n d Richterinnen. 76 - D i e tatsächlichen Voraussetzungen f ü r die r i c h t e r l i c h e T ä t i g k e i t sind i m Bereich der „ u n t e r s t ü t z e n d e n D i e n s t e " (Kanzlei, Geschäftsstelle), aber auch der I n f o r m a t i o n s b e s c h a f f u n g
77
i n hohem Maße d u r c h Vorgaben u n d
Gestaltungsaufgaben der G e r i c h t s v e r w a l t u n g b e s t i m m t . 7 8 Sie k ö n n e n maßgeblich zumindest die Prozessqualität u n d p u n k t u e l l auch die Ergebn i s q u a l i t ä t r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t beeinflussen u n d formen vielfach die Rahmenbedingungen f ü r Verfahrensentscheidungen aus (Beispiel: T e r m i nierung; P r o t o k o l l f ü h r u n g ) . - D u r c h das dem G r u n d e nach u n b e s t r i t t e n m i t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t v e r e i n b a r e 7 9 Beurteilungswesen sowie das Beförderungssystem s i n d die Richter u n d R i c h t e r i n n e n i n ein hierarchisches System eingebunden, das eine ausschließlich i n d i v i d u e l l e S e l b s t d e f i n i t i o n v o n Richterrolle u n d A r t u n d Weise r i c h t e r l i c h e r Aufgabenerledigung schon wegen der ü b e r i n d i v i d u e l l e n B i l d u n g der B e u r t e i l u n g s k r i t e r i e n , i h r e r G e w i c h t u n g u n d der h i e r i n liegenden i m p l i z i t e n Standardsetzung ausschließt. 8 0 D e r 75 D i e e i n „ k l u g e s P r ä s i d i u m " auch gezielt einsetzt u n d n u t z t ; n o r m a t i v ist diese F u n k t i o n b e i der „ N a c h w u c h s a u s b i l d u n g " a n e r k a n n t , w e n n die E i n z e l r i c h t e r ü b e r t r a g u n g a n eine b e s t i m m t e D a u e r r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t i m S p r u c h k ö r p e r g e k n ü p f t w i r d (§ 6 Abs. 1 Satz 2 V w G O ; § 348 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). 76 D a z u auch das i n d i v i d u a l i s t i s c h e Verständnis v o n Meyer ( F N 6), A r t . 92 Rn. 1, 4, n a c h d e m A r t . 92 G G die rechtsprechende G e w a l t d e n R i c h t e r n , n i c h t den G e r i c h t e n als Rechtsprechungsorganisation u n d a u c h n i c h t „ ' S p r u c h k ö r p e r n ' , d. h. V e r b i n d u n gen v o n R i c h t e r ä m t e r n " a n v e r t r a u t habe. 77 Beispiele: A u s s t a t t u n g m i t Gesetzestexten u n d K o m m e n t a r e n a m A r b e i t s p l a t z , B i b l i o t h e k s a u s s t a t t u n g , Z u g a n g z u elektronischen I n f o r m a t i o n s d i e n s t e n (ζ. B. Juris). I n k o n s e q u e n t scheint mir, die B e r e i t s t e l l u n g eines J u r i s - D i r e k t z u g r i f f s als Organisat i o n s e n t s c h e i d u n g z u sehen, eine Z u g r i f f s k o n t r o l l e i m Interesse der Kostenbegrenz u n g b e i gegebenem Anschluss aber als E i n g r i f f i n die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t z u werten. 7 8 Dies r e i c h t h i n bis z u r A u s s t a t t u n g des Sitzungssaales. D i e Vorteile einer Verh a n d l u n g „ a m r u n d e n T i s c h " (s. Dihm, B e t r i f f t Justiz 2002, S. 264 ff.) k ö n n e n n i c h t g e n u t z t werden, steht e i n solcher n i c h t z u r Verfügung.
™ Jüngst: B G H (Dienstgericht des Bundes), N J W 2002, S. 359 (360) = D R i Z 2001, S. 14(16). 80 N u r schwer n a c h v o l l z i e h b a r s i n d die a n frühere E n t s c h e i d u n g e n a n k n ü p f e n d e n W e n d u n g e n i n d e m B G H - U r t e i l v. 18. 8. 2001 (ebd.), n a c h denen eine dienstliche B e u r t e i l u n g z w a r die r i c h t e r l i c h e A m t s f ü h r u n g u n d spezifische r i c h t e r l i c h e F ä h i g k e i t e n bewerten, n i c h t aber auf eine d i r e k t e oder i n d i r e k t e Weisung h i n a u s l a u f e n dürfe, „ w i e der R i c h t e r k ü n f t i g verfahren oder entscheiden soll. I n dieser R i c h t u n g muss die d i e n s t l i c h e B e u r t e i l u n g sich a u c h jeder psychologischen E i n f l u s s n a h m e enthalten. Sie ist unzulässig, w e n n die i n i h r enthaltene K r i t i k d e n R i c h t e r veranlassen soll, i n Z u k u n f t eine andere Verfahrens- oder Sachentscheidung als ohne diese K r i t i k z u
152
Uwe Berlit
hier anzustrebenden „ E n t h i e r a r c h i s i e r u n g " s i n d enge Grenzen gesetzt d u r c h die Organisationsgröße u n d die Aufbauorganisation, die (auch) d e m Rechtsmittelsystem geschuldet ist. - D i e zunehmende Technisierung u n d Vernetzung (in) der Justiz p r ä g t schon heute vielfach die r i c h t e r l i c h e Arbeitsweise, auch w e n n derzeit die E D V - N u t z u n g i m r i c h t e r l i c h e n Bereich weitgehend noch auf dem F r e i w i l l i g k e i t s p r i n z i p gründet. Ansätze z u r „ E l e k t r o n i s i e r u n g des Rechtsverk e h r s " , Überlegungen z u r „elektronischen A k t e " , 8 1 aber auch der E i n f ü h r u n g v o n Spracherkennungssystemen, Zulassung v o n Videokonferenz e n 8 2 etc. weisen darauf h i n , dass dieser Prozess längst n i c h t abgeschlossen ist u n d das P r o b l e m verschärfen w i r d , i n w i e w e i t das b i s l a n g aus A k z e p t a n z g r ü n d e n weitgehend beachtete F r e i w i l l i g k e i t s p r i n z i p auf D a u er - jedenfalls n o r m a t i v - d u r c h z u h a l t e n sein w i r d . 8 3 - Das Rechtsmittelsystem b i n d e t die Richter u n d R i c h t e r i n n e n i m K e r n b e reich der Sachentscheidung i n ein System i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e r Fehlerkont r o l l e e i n , 8 4 verteilt je n a c h gesetzlicher Ausgestaltung u n d d a h i n t e r stehendem Verständnis der F u n k t i o n des R e c h t s m i t t e l s 8 5 organisationsübergreifend V e r a n t w o r t l i c h k e i t e n f ü r das „ P r o d u k t " der Justiz u n d die Verfahrensdauer u n d w i r f t b e i Beschränkungen Fragen nach alternativen Qualitätssicherungssystemen auf. Diese E i n b i n d u n g schließt ein r e i n individualistisches Verständnis von r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t aus. Sie lässt i m Vorfeld b i n d e n d e r Weisungen R a u m f ü r j u s t i z i n t e r n e E i n w i r k u n g e n auf die eine Sachentscheidung voroder nachbereitenden Verfahrensentscheidungen u n d erfordert, dass die Freiheit r i c h t e r l i c h e r A r b e i t s g e s t a l t u n g (Dienstzeiten; E r r e i c h b a r k e i t ) aus d e m Bereich r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t entlassen u n d als Frage v e r n ü n f tiger f l e x i b l e r A r b e i t s o r g a n i s a t i o n definiert w i r d . 8 6 treffen". D i e prospektive, verhaltensbeeinflussende F u n k t i o n einer d i e n s t l i c h e n R i A 1999, S. 161); B e u r t e i l u n g ist e i n T e i l z w e c k v o n B e u r t e i l u n g e n (s. Schnellenbach, das Verbot „ a u c h jeder psychologischen E i n f l u s s n a h m e " m u t e t u m so absurder an, als der B G H den Erlass v o n B e u r t e i l u n g s r i c h t l i n i e n a u s d r ü c k l i c h ebenso b i l l i g t w i e d e n P r ü f v e r m e r k des Chefpräsidenten, der - v e r m e i n t l i c h i m Interesse „ e i n h e i t l i c h e r B e u r t e i l u n g s m a ß s t ä b e " - das i n der realen P e r s o n a l p o l i t i k zentrale M o m e n t „ s t r a t e gischer B e u r t e i l u n g e n " s t ä r k t . 81 S k e p t i s c h d a z u Suermann, 82
D R i Z 2001, S. 291 ff.
V e r h a n d l u n g i m Wege der B i l d - u n d T o n ü b e r t r a g u n g n a c h § 128a ZPO.
83 Z u r Weigerung, n a c h k r a n k h e i t s b e d i n g t e m , k u r z f r i s t i g e m A u s f a l l einer P r o t o k o l l k r a f t den T e r m i n d u r c h z u f ü h r e n u n d selbst m i t t e l s D i k t i e r g e r ä t P r o t o k o l l z u f ü h ren, s. L G D ü s s e l d o r f (Dienstgericht) D R i Z 1999, S. 59; d a z u - m i t Recht - k r i t i s c h Redeker, N J W 2000, S. 2796 (2798). 84 Z u r V e r e i n b a r k e i t m i t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t s. Reinhardt S. 112 ff.
( F N 7),
85 B e s c h r ä n k u n g auf bloße F e h l e r k o n t r o l l e oder v o l l s t ä n d i g e zweite Rechts- u n d Tatsacheninstanz.
se A n d e r s DRiB,
Q u a l i t ä t ( F N 55), Nr. I I I . 2.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
c) Effektive
Rechtsschutzgewähr
Der Ausgangs-
und Bezugspunkt
mung richterlicher
als Ausgangspunkt einer punktuellen
Unabhängigkeit
durch die Rechtsprechung
dienstgerichte
ist in dem Gebot
Abs. 4 GG )87
bzw. - für die hier zu behandelnden
dem allgemeinen Effektive
effektiver
Justizgewähranspruch
Rechtsschutzgewähr
und Richterinnen
optimal
einer Korrektur
88
153
Rejustierung: der Ausforder
Rechtsschutzgewähr (Art.
Richter(Art.
19
Fragen deckungsgleich 20 Abs. 3 GG) zu
muss gerade auch mit und durch die
und ressourcenschonend
organisierbar
-
suchen: Richter
sein.
Gerade w e n n u n d w e i l zutreffend ist, dass die p a r l a m e n t a r i s c h v e r a n t w o r t l i c h e E x e k u t i v e mangels E i n w i r k u n g s -
und
Steuerungsmöglichkeit
n i c h t f ü r eine effektive Rechtsschutzgewähr auch i m E i n z e l f a l l i n A n s p r u c h genommen w e r d e n k a n n , k a n n die V e r a n t w o r t u n g n u r bei der J u d i k a t i v e liegen. Justiz muss eine effektive Rechtsschutzgewähr m i t den vorhandenen Ressourcen u n d E i n w i r k u n g s m i t t e l n organisieren u n d sicherstellen können. H i e r besteht ein Spannungsverhältnis, dessen Pole zudem n i c h t k l a r definiert sind: - D e r eine Pol b e t r i f f t die Frage n a c h d e m Effizienzverständnis.
„Recht-
sprechungseffizienz" weist auf k o m p l e x e O p t i m i e r u n g s p r o b l e m e 8 9
und
d a r f n i c h t auf eine möglichst „schnelle u n d b i l l i g e " E n t s c h e i d u n g verk ü r z t werden. Was aber u n t e r den veränderten Rahmenbedingungen die spezifische Rechtsprechungseffizienz ausmacht, ist n i c h t k l a r u n d steht z u r Diskussion, bei der einen wesentlichen P u n k t ausmacht, i n w i e w e i t u n d i n welchen Bereichen welche D i m e n s i o n e n v o n
„Dienstleistung
Justiz" zu berücksichtigen s i n d u n d b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n können. -Der
andere Pol b e t r i f f t
die Reichweite r i c h t e r l i c h e r
Unabhängigkeit
gegenüber den unterschiedlichen Effektivitätsdimensionen, bei Einbezieh u n g der seinerseits mehrdimensionalen Q u a l i t ä t s d i m e n s i o n 9 0 die Frage, ob die d u r c h die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t erfassten Bereiche überh a u p t sinnvolle Bereiche einer Q u a l i t ä t s b e t r a c h t u n g sein d ü r f e n oder dies jenseits des gesetzlich vorgegebenen Qualitätssicherungsmechanismus „ R e c h t s m i t t e l " n o r m a t i v ausgeschlossen ist. Es k a n n hier n i c h t 87 E i n g e h e n d bereits Papier, N J W 1990, S. 8 ff.; u n t e r B e t o n u n g des Z e i t f a k t o r s s.a. Redeker, N J W 2000, S. 2796 ff. 88 D a z u Papier, Justizgewähranspruch, in: Isensee/ K i r c h h o f f (Hrsg.), H S t R , B d . V I , H e i d e l b e r g 1989, § 153. 89 90
s. Pitschas,
Z R P 1998, S. 96 (97 f.).
D a z u Klein, i n diesem H e f t S. 55 ff. Z u A n n ä h e r u n g e n s.a. die Beiträge i n AsJHamburg u. a. (Hrsg.), Justiz i n der Modernisierungsfalle? Z u r B e d e u t u n g der Q u a l i t ä t s d i m e n s i o n i m Reformprozess. Tagungsbericht der T a g u n g v o m 2 9 . / 3 0 . J a n u a r 2000, H a m b u r g 2000; Pitschas, Neues S t e u e r u n g s m o d e l l i n der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ; Q u a l i t ä t s m a n a g e m e n t i m r i c h t e r l i c h e n Bereich b e i gegebenem Prozessrecht. Thesenpapier z u m A r b e i t s k r e i s „ J u s t i z m a n a g e m e n t u n d r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t " des 13. Deutschen Verwaltungsrichtertages ( M ü n c h e n M a i 2001).
154
Uwe Berlit
näher ausgeführt werden, dass Effizienz u n d „ Q u a l i t ä t "
richterlicher
T ä t i g k e i t auch i m K e r n b e r e i c h z w a r n i c h t d u r c h w e g messbar, aber d u r c h aus erkenn- u n d beschreibbar, 9 1 d a m i t aber auch beeinfluss- u n d sicherb a r sind u n d sich Qualitätssicherung n i c h t auf das Rechtsmittelrecht beschränkt. D i e unbestrittene K o m p l e x i t ä t der hier n o c h offenen Fragen, etwa i m Bereich der Standardsetzung, u n d die S c h w i e r i g k e i t e n q u a n t i f i zierender A n n ä h e r u n g e n rechtfertigen aber n i c h t , die Probleme als s i n n v o l l - u n d sei es beschränkt auf Partialaspekte - n i c h t lösbar z u werten: dies entließe die T ä t i g k e i t einer ganzen Staatsgewalt i n das D u n k e l eines intransparenten, analytisch n i c h t fassbaren Handelns, stünde i n einem k a u m begründbaren Spannungsverhältnis z u Qualitätsdiskussionen i n vergleichbar k o m p l e x e n B e r e i c h e n 9 2 - u n d sperrte m i t k a u m abschätzbaren Folgen f ü r j u s t i z p o l i t i s c h e D e b a t t e n das Qualitätsargument. F ü r die auch i n den Organisationswissenschaften n i c h t abschließend gek l ä r t e n 9 3 Begriffe E f f e k t i v i t ä t u n d Effizienz v o n Rechtsprechung k ö n n e n hier n u r Annäherungen, keine k l a r e n D e f i n i t i o n e n angeboten werden. D i e m i t u n t e r verwendete U m s c h r e i b u n g v o n Effizienz als Fähigkeit „ t o do the things r i g h t " u n d E f f e k t i v i t ä t als K r i t e r i u m „ t o do the r i g h t t h i n g s " l e n k t f ü r die gegebene Aufgabe Rechtsprechung f ü r die E f f e k t i v i t ä t den B l i c k auf die v o n Rechtsprechung zu erreichenden Ziele u n d W i r k u n g e n , die n i c h t auf den w i r k s a m e n Rechtsschutz i. S. d. A r t . 19 Abs. 4 G G bzw. w i r k s a m e r Justizgewähr, i m K e r n also die auch n a c h K o n t r o l l - u n d Entscheidungsu m f a n g f a k t i s c h w i r k s a m e Streitentscheidung u n d Rechtsgewähr d u r c h einen n e u t r a l e n D r i t t e n i n angemessener Z e i t 9 4 beschränkt ist. D i e mater i e l l r e c h t l i c h i m Ergebnis
(möglichst) rechtsrichtige
Entscheidung,
die
u n t e r B e a c h t u n g der einfachgesetzlich ausgeformten grundgesetzlichen Verfahrensstandards (Art. 101, 103 GG) ergeht, b i l d e t den K e r n . D i e rechts91 Das setzen Beurteilungswesen u n d B e f ö r d e r u n g n a c h d e m P r i n z i p der „ B e s t e n auslese" (dazu n u r - aus der kontroversen D i s k u s s i o n z u m Verfahren b e i der B u n d e s r i c h t e r w a h l v o m Februar 2001 - O V G S c h l e s w i g D R i Z 2002, S. 11 = DVB1. 2002, S. 134 = N J W 2001, S. 3495; Bull, B e t r i f f t Justiz 2001, S. 208; Bertram, N J W 2001, S. 3167 f.; Lovens, Z R P 2001, S. 465) voraus; s.a. Röhl, K a n n die Q u a l i t ä t der Justiz gemessen werden, in: A s J H H ( F N 90). 92 s. n u r - f ü r die ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e Forschung - Schulze-Fielitz, JöR N.F. 50 (2002), S. 1 ff.; f ü r die E r b r i n g u n g personenbezogener sozialer D i e n s t l e i s t u n g e n Trübe, O r g a n i s a t i o n der ö r t l i c h e n S o z i a l v e r w a l t u n g u n d Neue Steuerung. G r u n d l a g e n u n d Reformansätze, F r a n k f u r t / M . 2001, S. 220ff. ( Z i e l e n t w i c k l u n g „ Q u a l i t ä t s m a n a gement f ü r die S o z i a l h i l f e " ) . 93 D a z u Nullmeier, I n p u t , O u t p u t , Outcome, E f f e k t i v i t ä t u n d Effizienz, i n : B l a n k e u. a. (Hrsg.), H a n d b u c h z u r Verwaltungsreform, 2. A u f l . 2001, S. 357 (358 ff.). 94 Z u r z e i t l i c h e n K o m p o n e n t e s. n u r - j e w e i l s m. w. N . - Schiette, D e r A n s p r u c h auf g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g i n angemessener Frist, B e r l i n 1999; Wilfinger, Das G e b o t effektiven Rechtsschutzes i n Grundgesetz u n d E u r o p ä i s c h e r Menschenrechtsk o n v e n t i o n , F r a n k f u r t / M . 1995; Schmidt-Jortzig, N J W 1994, S. 2569ff.; aus der Rechtsprechung n u r B V e r f G E 54, 39 (41); 55, 349 (369); 60, 253 (269); 93, 1 (13); B V e r f G (1. K a m m e r des E r s t e n Senats) N J W 2001, S. 214.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
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staatliche V e r p f l i c h t u n g z u staatlicher Justizgewähr umfasst neben dieser s u b j e k t i v e n D i m e n s i o n , d u r c h Schaffung u n d G e w ä h r l e i s t u n g v o n Rechtsfrieden u n d Rechtssicherheit die Voraussetzungen f ü r W i r k s a m k e i t u n d A k zeptanz v o n Recht als Mechanismus gesellschaftlicher O r d n u n g sicherz u s t e l l e n . 9 5 D e r E f f e k t i v i t ä t des Rechtsschutzes geht es auch u m die Effekt i v i t ä t v o n R e c h t . 9 6 Das Zielsystem effektiven Rechtsschutzes h a t - p r i m ä r bei der Ausgestaltung d u r c h den Gesetzgeber, i n dem d u r c h Gesetz u n d Recht gezogenen Rahmen aber auch b e i der Rechtsanwendung d u r c h die Gerichte - die gesellschaftlichen W i r k u n g e n des Rechtsprechungssystems zu b e r ü c k s i c h t i g e n . 9 7
Dieser weite, I m p a c t - bzw.
Outcomedimensionen
umfassende Effektivitätsbegriff ist dabei wegen der Heterogenität der Z i e l dimensionen n o t w e n d i g unscharf, b i r g t erhebliche Z i e l k o n f l i k t e 9 8
und
schafft n a m e n t l i c h h i n s i c h t l i c h der Outcomedimensionen wegen erheblicher Erfassungsprobleme Probleme f ü r Versuche eines J u s t i z c o n t r o l l i n g , 9 9 das
notwendig
auf
Operationalisierung
und
Hierarchisierung
der
unterschiedlichen Z i e l d i m e n s i o n e n angewiesen ist. Demgegenüber bezieht sich Effizienz auf den Ressourceneinsatz, das Verh ä l t n i s v o n A u f w a n d u n d Ergebnis m i t d e m Z i e l eines möglichst ressourcenschonenden M i t t e l e i n s a t z e s . 1 0 0 D e r (betriebs)wirtschaftliche Effizienzbegriff unterscheidet dabei zwischen dem M a x i m u m p r i n z i p , b e i dem m i t gegebenen M i t t e l n ein maximales Ergebnis erzielt werden soll, u n d d e m M i n i m u m p r i n z i p , b e i d e m e i n bestimmtes Ergebnis m i t d e m geringsten A u f w a n d u n d M i t t e l e i n s a t z erreicht w e r d e n s o l l . 1 0 1 I h m geht es u m die Res95 D a z u auch die U n t e r s c h e i d u n g v o n j u s t i z n a h e n bzw. P r i m ä r f o l g e n u n d den a l l gemeinen sozialen bzw. S e k u n d ä r f o l g e n b e i Röhl, Wo v e r l a u f e n die Leistungsgrenzen g e r i c h t l i c h e r Entscheidungen? - P o i n t i e r t e Zusammenfassung, i n : H . H o f / M . S c h u l t e (Hrsg.), W i r k u n g s f o r s c h u n g z u m Recht I I I , B a d e n - B a d e n 2001, S. 215 ff. 96 Heyde, Rechtsprechung, in: B e n d a / M a i h o f e r / Vogel (Hrsg.), H a n d b u c h des Verfassungsrechts, 2. A u f l . , B e r l i n / N e w Y o r k 1995, § 33 Rn. 1: „ D i e reale K r a f t des Rechts, das Ausmaß a n G e r e c h t i g k e i t , Freiheit u n d O r d n u n g , a n S c h u t z u n d Förder u n g , die es gewähren k a n n , h ä n g t v o n der A r t u n d Weise der V e r w i r k l i c h u n g des Rechts d u r c h die Rechtspflege ab. " 97 s. a u c h die U m s c h r e i b u n g der Z i e l e u n d Q u a l i t ä t s k r i t e r i e n r i c h t e r l i c h e r A r b e i t i n Nr. I I . 1 des Abschlusspapieres des D e u t s c h e n R i c h t e r b u n d e s ( F N 55), i n der u. a. genannt sind: „ E r z i e l u n g m a t e r i e l l gerechter Ergebnisse z u r Rechtsbefriedung u n d Schaffung v o n Rechtssicherheit" (Nr. 4), „ E i n b i n d u n g r i c h t e r l i c h e r A r b e i t i n die Gesellschaft, g r u n d s ä t z l i c h e A k z e p t a n z der Ergebnisse r i c h t e r l i c h e r A r b e i t i n der B e v ö l k e r u n g , auch d u r c h v e r s t ä n d l i c h e S p r a c h e " (Nr. 5) u n d „ D a r s t e l l u n g der A r b e i t nach außen m i t d e m Z i e l der V e r t r a u e n s b i l d u n g i n die Justiz u n d der b e s t m ö g l i c h e n Transparenz i h r e r E n t s c h e i d u n g e n " (Nr. 12). 98 U n t e r Ressourcengesichtspunkten s. bereits Pfeiffer, Z R P 1981, S. 121 ff.; D R i Z 1979, S. 357 (362); Heußner, D R i Z 1987, S. 312 (313).
Benda,
99 D a z u IGUS, Schlussbericht z u m P r o j e k t „ A u f b a u u n d U m s e t z u n g eines C o n t r o l lingsystems f ü r die niedersächsische Justiz (JuCo)", H a m b u r g Dezember 2000. 100 F ü r die Verwaltungsrechtsreform s. Voßkuhle, V e r w A r c h 92 (2001), S. 184 (197 f.), d o r t auch - u n t e r H i n w e i s a u f die Gefahr einer R e l a t i v i e r u n g n o r m a t i v e r Z i e l v o r g a b e n u n d R e c h t s p f l i c h t e n - z u r begrenzten Reichweite dieses P r i n z i p s .
156
Uwe Berlit
sourcenintensität. Dieser enge, eher ökonomische Effizienzbegriff verweist darauf, dass auch i n der Justiz das - u. a. d u r c h begrenzte Rechnungshofk o n t r o l l e 1 0 2 zu aktivierende - Gebot der W i r t s c h a f t l i c h k e i t g i l t . 1 0 3 Gerade wegen der Outcomedimensionen v o n Rechtsprechung k ö n n e n E f f e k t i v i t ä t u n d Effizienz aber i n Gegensatz g e r a t e n . 1 0 4 Rechtsprechungseffizienz bedeutet n i c h t r e i n betriebswirtschaftliche Kosteneffizienz. E i n r e i n o u t p u t bzw. produktivitätsbezogenes Effizienzverständnis lichst wirtschaftlichen,
„kostenminimierenden"
i m Sinne einer mög-
Erledigung
gerichtlicher
Streitverfahren verfehlt n o t w e n d i g die Systemziele der Justiz, w e i l u n d sow e i t es die k o m p l e x e n q u a l i t a t i v e n D i m e n s i o n e n rechtsprechender T ä t i g k e i t a u s b l e n d e t . 1 0 5 D e r n o r m a t i v geformte Begriff der „Rechtsprechungseffizienz" ist n u r q u a l i t a t i v a u s z u f ü l l e n . 1 0 6 Jede Effizienzbetrachtung hat die E f f e k t i v i t ä t der Justiz m i t z u d e n k e n u n d d a m i t die q u a l i t a t i v e n E r w a r t u n g e n an die Ergebnisse rechtsprechender T ä t i g k e i t z u bestimmen, die sich n i c h t auf die n o r m a t i v u n h i n t e r g e h b a r e n A n f o r d e r u n g e n der Ergebnisqual i t ä t - insb. „ m a t e r i e l l e E r g e b n i s r i c h t i g k e i t " u n d „Prozessrechtskonformit ä t " - beschränken lassen. I n den B l i c k z u nehmen s i n d auch die S t r u k t u r u n d Prozessqualität rechtsprechender T ä t i g k e i t als D e t e r m i n a n t e n der O u t come-Effizienz. d) Richterliche Unabhängigkeit
Unabhängigkeit zieht
Rechtsschutzgewähr
einer
als Effektuierung
Effektuierung
s grenze:
der Bewältigung
Richterliche der
Aufgabe
Grenzen.
D i e verfassungsgesetzliche Verselbständigung der r i c h t e r l i c h e n
Unab-
h ä n g i g k e i t m a g m a n als Fortschreibung eines bereits 1949 ü b e r h o l t e n R i c h terbildes u n d als eine R e a k t i o n des Verfassunggebers werten, die auf einer unzureichenden historischen Analyse der E r f a h r u n g e n aus der N S - Z e i t g r ü n d e t . 1 0 7 D e constitutione l a t a ist sie h i n z u n e h m e n u n d zu beachten. Richterliche U n a b h ä n g i g k e i t zieht einer ökonomistischen V e r k ü r z u n g jus101 Schmidt-Aßmann, Effizienz als H e r a u s f o r d e r u n g a n das Verwaltungsrecht, in: H o f f m a n n - R i e m / S c h m i d t - A ß m a n n (Hrsg.), Effizienz als H e r a u s f o r d e r u n g a n das Verwaltungsrecht, B a d e n - B a d e n 1998, S. 245 (246). 102 D i e Justiz ist v o n der klassischen R e c h n u n g s h o f k o n t r o l l e n i c h t insgesamt ausgenommen, auch w e n n (jedenfalls) e i n K e r n b e r e i c h p r ü f u n g s f r e i ist; s. Franz, P r ü f u n g e n des Bundesrechnungshofs b e i den G e r i c h t e n des Bundes, in: S c h u l z e - F i e l i t z (Hrsg.), F o r t s c h r i t t e der F i n a n z k o n t r o l l e i n Theorie u n d P r a x i s , B e r l i n 2000, S. 75 (83 f.); Blasius, D Ö V 2002, S. 12 ff. 103 Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (376).
104 Dieses SpannungsVerhältnis beleuchtet i n der Sache f ü r das Verwaltungsverf a h r e n Voßkuhle, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 347 ff. 105 So auch die W a r n u n g v o n Hassemer ( D R i Z 1998, S. 391 [401]) v o r einer Festleg u n g a u f e i n E f f i z i e n z k o n z e p t , „welches auf eine ökonomische R a t i o n a l i t ä t v e r k ü r z t ist". 106 Pitschas,
Z R P 1998, S. 97 f.
io? I n diese R i c h t u n g Reinhardt
( F N 7), S. 132, passim.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
157
t i z i e l l e r Aufgabenerledigung m i t h i n Grenzen. Dies ist i m Ansatz u n b e s t r i t ten. K l ä r u n g s b e d ü r f t i g b l e i b t der genaue Grenzverlauf. D e r f u n k t i o n a l e Bezug auf die G e w ä h r u n g effektiven
Rechtsschutzes
u n t e r w i r f t aus der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t hergeleitete E f f e k t i v i t ä t s grenzen Rechtfertigungs- u n d Begründungszwängen auch u n d gerade i n dem n a c h der herrschenden M e i n u n g gegenüber der Dienstaufsicht absolut k o n t r o l l - u n d interventionsfreien Bereich vor- u n d nachbereitender r i c h t e r licher Verfahrensgestaltung: - A u c h i n diesen Bereichen gelten allgemeine Gebote effizienter u n d w i r t schaftlicher Aufgabenerfüllung. - Dass Ressourcenoptimierung den Justizgewähranspruch u n d die Gebote r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t u n d des gesetzlichen Richters z u beachten h a t , 1 0 8 bezeichnet ein SpannungsVerhältnis, i n dem der Steuerung d u r c h Recht n o r m a t i v e r Vorrang gebührt. - Dies rechtfertigt aber n i c h t , das Effizienzproblem z u leugnen oder als ausschließlich i n d i v i d u e l l z u lösendes P r o b l e m zu definieren. Dies g i l t auch f ü r die organisationssoziologische Überlegung, dass i n jeder Organisation, i n der Menschen arbeiten, „Effizienzreserven" stecken u n d i m Interesse einer q u a l i t a t i v hochwertigen A r b e i t i m Regelfall sowie zur
B e w ä l t i g u n g unvorhersehbarer
Belastungsspitzen verbleiben
müs-
s e n . 1 0 9 Eine vollständige Ausschöpfung aller Effizienzreserven, w i e u n d d u r c h w e n auch i m m e r diese z u definieren u n d k o n k r e t z u bestimmen sind, wäre allerdings auch i n der Justiz k o n t r a p r o d u k t i v . Diese a b s t r a k t u n b e streitbare Ü b e r l e g u n g beweist aber n i c h t , dass der jeweils betriebene Ressourceneinsatz i n v a r i a b e l u n d n o t w e n d i g ist oder q u a l i t ä t s n e u t r a l ausschöpfbare Leistungsreserven n i c h t v o r h a n d e n sind; sie löst - z u m a l angesichts der a b s t r a k t ebenso r i c h t i g e n Überlegung, dass jede Organisation verbesserungsfähig ist - vor a l l e m n i c h t das u n t e r Bedingungen k n a p p e r staatlicher Ressourcen, deren Z u t e i l u n g p o l i t i s c h ü b e r f o r m t ist, jeweils „ v o r O r t " z u lösende P r o b l e m des v e r a n t w o r t l i c h e n Umganges m i t den je verfügbaren Ressourcen i m Interesse effektiver Rechtsschutzgewähr - auch als l e g i t i m i t ä t s - , jedenfalls akzeptanzstützende Maßnahme. e) Fortentwicklung Stärkung
eines - allerdings ventionsfrei Richtung
in Richtung
richterlicher
graduelles,
Verantwortlichkeit
recht breit definierten
differenziertes
- Kernbereiches,
zu bleiben hat, von einem interventionsoffenen eines graduellen,
108 Schulze-Fielitz
differenzierten
Konzepts
( F N 54), A r t . 92 Rn. 59.
109 I n diese R i c h t u n g Roellecke,
Konzept:
ist die dichotome
i n diesem H e f t S. 130 f.
Zur
Abgrenzung
der absolut
inter-
Randbereich
fortzuentwickeln.
in
158
Uwe Berlit
D i e D i s k u s s i o n u m die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t ist fokussiert auf die Dienstaufsicht ( i n k l . das B e u r t e i l u n g s w e s e n ) . 1 1 0 E i n w i r k u n g e n auf r i c h t e r liche U n a b h ä n g i g k e i t s i n d indes n i c h t hierauf beschränkt, ebensowenig mögliche Ansätze z u einer S t ä r k u n g r i c h t e r l i c h e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t . A n g e zeigt ist demgegenüber eine i m D e t a i l erst noch zu entfaltende differenzierte Betrachtung, die unterscheidet zwischen - den einzelnen Interventionsformen (Weisung, dienstaufsichtliche Beanstandung, diskursive E i n b i n d u n g , Offenlegungs- u n d Transparenzpflichten, B e r ü c k s i c h t i g u n g i n Beurteilungen, i n n e r g e r i c h t l i c h e Standardsetzung etc.), - i h r e r i n s t i t u t i o n e l l e n u n d verfahrensmäßigen
„Hegung"
innergerichtliche Q u a l i t ä t s z i r k e l ; innergerichtliche
(ζ. B. d u r c h
„Standardsetzung")
und - der Nähe z u r Sachentscheidung. Z i e l ist dabei der A b b a u v o n Steuerungs-, K o n t r o l l - u n d Verantwortungsdefiziten i n den gesetzlich gerade n i c h t v o l l s t ä n d i g d e t e r m i n i e r t e n Bereichen r i c h t e r l i c h e r Verfahrensgestaltung. D i e
organisatorisch-prozedurale
D i m e n s i o n effektiver Rechtsschutzgewähr ist angesichts der Organisationsg e b u n d e n h e i t 1 1 1 i n d i v i d u e l l e r r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t stärker zu betonen. f) Zur
Verwendung
der Begriffe
deren anderer
Zielrichtung
der Steuerung
und Kontrolle
diskursive
„Steuerung"
und Wirkungsweise auch für „weiche",
Formen der „Einwirkung"
und
„Kontrolle":
sind die „harten" nondirektive
und
Trotz Begriffe primär
zu verwenden.
„ C o n t r o l l i n g " ist n i c h t i n d i v i d u e l l e K o n t r o l l e , O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g u n d s t r u k t u r e l l e Steuerung zielen auf die O p t i m i e r u n g des Ressourceneinsatzes u n d n i c h t auf K r i t i k v o n oder Vorwürfe gegen einzelne Personen. 110 D i e w e i t e r e n K o n t r o l l m i t t e l l a u f e n weitestgehend leer. Dies g i l t - a l l z u m a l nach der S c h i l l e n t s c h e i d u n g des B G H v. 4. 9. 2001 ( N J W 2001, S. 3275; d a z u k r i t . Kuse, Bet r i f f t Justiz 2002, S. 257; Schaefer, N J W 2002, S. 734) - auch f ü r d e n Rechtsbeugungst a t b e s t a n d u n d die B e f a n g e n h e i t s a b l e h n u n g wegen U n t ä t i g k e i t (s. d a z u Schneider, A n w B l . 2002, S. 9 f.). 111 Selbst die tatsächliche Reichweite der persönlichen U n a b h ä n g i g k e i t ist p a r t i e l l v o n Organisationsentscheidungen abhängig, etwa der Gerichtsgröße: Gesetzlich ist die persönliche U n a b h ä n g i g k e i t d a h i n ausgeformt, dass R i c h t e r u n d R i c h t e r i n n e n auf Lebenszeit gegen i h r e n W i l l e n g r u n d s ä t z l i c h n i c h t versetzt oder z e i t w e i l i g a n e i n e m anderen G e r i c h t eingesetzt w e r d e n k ö n n e n , was gerade b e i k l e i n e r e n G e r i c h t e n i n F l ä c h e n l ä n d e r n einen gerichts(zweig)übergreifenden Belastungsausgleich n a c h h a l t i g erschwert. B e i Schaffung größerer E i n h e i t e n ( m i t Nebenstellen) l ä u f t diese S i c h e r u n g wegen der Geschäftsverteilungsplanbefugnis des P r ä s i d i u m s w e i t g e h e n d ins Leere. H i e r a n setzt e i n A r g u m e n t i n der i m m e r w i e d e r a u f k o m m e n d e n D i s k u s s i o n z u r Z u s a m m e n l e g u n g der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n Fachgerichtsbarkeiten u n d / oder der E i n g l i e d e r u n g der A r b e i t s g e r i c h t s b a r k e i t i n die o r d e n t l i c h e G e r i c h t s b a r k e i t an, d u r c h die (auch) m e h r personelle F l e x i b i l i t ä t geschaffen w e r d e n soll.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
159
Dies ändert aber nichts daran, dass - gegenständlich - nach bisherigem Verständnis
dem K e r n b e r e i c h
richterlicher
Unabhängigkeit
unterfallende
Bereiche betroffen s i n d u n d die Überlegungen hier ergebnisorientiert auf „ W i r k u n g e n " zielen. U n t e r den Bedingungen einer hierarchischen, b ü r o k r a t i s c h e n Organisation w i e den Gerichten s i n d auch diskursive, p r i m ä r auf F r e i w i l l i g k e i t , I n f o r m a t i o n u n d Überzeugung setzende M i t t e l geeignet, soziale K o n t r o l l e u n d sozialen D r u c k zu entfalten. Dies ist i m Interesse einer offenen D i s k u s s i o n i n der Terminologie, auch u m die Gefahr z u m A u s d r u c k zu bringen, dass die W i r k u n g s m e c h n i s m e n neuer Steuerungsmodelle an den „klassischen" Rastern dienstaufsichtsrechtlicher I n t e r v e n t i o n e n gemessen werden. Vorbehalte u n d Widerstände i n der Richterschaft s i n d n u r d u r c h E i n s i c h t i n die N o t w e n d i g k e i t einer differenzierenden B e t r a c h t u n g unterschiedlicher Interventionsformen, n i c h t d u r c h „semantische T r i c k s " zu ü b e r w i n d e n .
2. Effektiver Rechtsschutz und richterliche Effizienzverantwortung
Nicht
nur
staatsprinzip, Justizgewähr
der
112
Grundsatz sondern
verbieten
cher Unabhängigkeit Richterinnen
sätzlich
ein rein
Gewaltenteilung
unterliegen
das
Verständnis
nicht geeignet, die richterliche Effizienzverantwortung:
justizintem
bzw.
richterli-
aller Richter
von Rechtsprechungseffizienz.
einer umfassenden
Rechts-
Rechtsschutz-
und gebieten eine aktive Mitwirkung
die diese Verantwortung
a) Richterliche
und
individualistisches
an der Optimierung
und Richterinnen Maßnahmen,
der
vor allem das Gebot effektiver
und
Richter
Effizienzverantwortung. realisieren,
Unabhängigkeit
zu
sind
grund-
beeinträchtigen.
Teil des i n r i c h t e r l i c h e r U n a b -
h ä n g i g k e i t z u erfüllenden Amtsauftrages ist die G e w ä h r u n g effektiven Rechtsschutzes. Richter u n d R i c h t e r i n n e n unterliegen einer umfassenden Effizienzverantwortung. aa) Dies g i l t bereits b e i einer Perspektive, die auf den einzelnen S t r e i t f a l l bezogen ist. D e r aus Sicht der Rechtsschutzsuchenden einheitliche A n spruch auf gleichmäßig effektive, q u a l i t a t i v hochwertige Rechtsschutzgewähr ist d u r c h ein a r b e i t s t e i l i g organisiertes Gerichtssystem z u erfüllen, i n dem der zentrale „ B a u s t e i n " - das r i c h t e r l i c h e Personal - als S p i e g e l b i l d einer p l u r a l e n Gesellschaft heterogen zusammengesetzt ist,
112 D a z u Reinhardt ( F N 7), S. 103, passim, dessen A k z e n t u n d Erkenntnisinteresse auf d e m B e i t r a g der Rechtsprechung z u r Rechtsentstehung u n d - e n t w i c k l u n g sowie der inhaltlichen Konsistenz der Sachentscheidung liegt.
160
Uwe Berlit
- i n n e r h a l b der d u r c h das geltende Recht w e i t gezogenen Grenzen unterschiedliche B i l d e r v o n der Richterauf gäbe, der F u n k t i o n v o n Justiz, den Verfahrenszwecken „ i m K o p f h a t " u n d - Unterschiede ζ. B. i n A r b e i t s h a l t u n g , Methodenverständnis, j u r i s t i s c h e n Fähigkeiten u n d der Sozialkompetenz aufweist. D i e hieraus folgenden Unterschiede i n Verfahren
und Qualität
der
R e c h t s s c h u t z g e w ä h r 1 1 3 k ö n n e n - wegen der erheblichen Ausgestaltungsspielräume u n d des prozessrechtlich eingeräumten Ermessens d u r c h den Verweis auf die Gesetzesbindung geleugnet noch m i t
weder dem
schlichten H i n w e i s auf die aus der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t folgende k o n s t i t u t i o n e l l e U n e i n h e i t l i c h k e i t der R e c h t s p f l e g e 1 1 4 abgetan werden: Sie begründen - zumindest - ein auszugleichendes Spannungsverhältnis z w i schen A r t . 19 Abs. 4 G G u n d A r t . 97 GG. Je k l a r e r die Trennungslinie gegenüber E x e k u t i v e u n d Legislative gezogen w i r d , desto n o t w e n d i g e r werden gewalteninterne Vorkehrungen z u r Sicherung v o n Rechtsprechungseffizienz (einschließlich i h r e r K o n t r o l l e ) . 1 1 5 Dies g i l t jedenfalls f ü r ein Effizienz- u n d QualitätsVerständnis, das den A n s p r u c h auf gleichheitskonformen, effekt i v e n Rechtsschutz n i c h t reduziert auf eine a l l e i n „ w i l l k ü r f r e i e " Justiz, die l e d i g l i c h „greifbare Gesetzeswidrigkeiten" bzw. „offenkundige Fehlgriffe" zu vermeiden hat. bb) A u f einer m i t t l e r e n Ebene, die auf das G e r i c h t als organisatorische E i n h e i t abstellt, ergibt sich ein Spannungsverhältnis z u r Gerichtsleitung. Diese t r ä g t - w i e auch i m m e r sie organisiert ist u n d k ü n f t i g organisiert werden w i r d - f ü r eine o p t i m a l e Ressourcenausnutzung i m Außenverhältnis besondere Verantwortung, ohne dieser i m Innenverhältnis w i r k s a m gerecht w e r d e n z u können. Rechtsschutzeffizienz ist z w a r m e h r als „ s c h n e l l u n d b i l l i g " , umfasst aber auch diese Dimensionen. Eine r e i n i n d i v i d u a l i s t i s c h e Perspektive r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t , die sich a l l e i n auf die autonome, auch v o n n o n d i r e k t i v e n B i n n e n i n t e r v e n t i o n e n freie B e w ä l t i g u n g des eigenen Dezernats konzentriert, verkennt hier das SpannungsVerhältnis, das zwischen den verschiedenen Teilzielen u n d Parametern effektiver, q u a l i t a t i v hochstehender Rechtsprechung besteht: - Bei gegebenem Bestand personeller u n d sächlicher Ressourcen beeinflussen hier (zumal bei budgetierten Einheiten) v o n der r i c h t e r l i c h e n U n ns D i e m a t e r i e l l r e c h t l i c h e Seite beleuchtet u n t e r d e m A s p e k t des Rechtsstaatsp r i n z i p s Reinhardt ( F N 7), S. 185 f., passim. 114 D a z u B V e r f G E 12, 67 (71); 31, 137 (140 f.). Z u r aus der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t folgenden Befugnis v o n U n t e r g e r i c h t e n , auch einer gefestigten ober- u n d h ö c h s t r i c h t e r l i c h e n Rechtsprechung n i c h t z u folgen, s. B V e r f G E 87, 273 (278). 1 1 5 Reinhardt ( F N 7), S. 116: „ ( D ) i e Freiheit der R i c h t e r [ k a n n ] einer organisationsrechtlichen Sicherstellung möglichst irrtums- u n d mißbrauchsfreien staatlichen H a n d e l n s n i c h t i m Wege stehen".
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
161
abhängigkeit geschützte ressourcenrelevante Verfahrenshandlungen
und
-entscheidungen n o t w e n d i g (mittelbar) auch die Tätigkeit anderer Richter u n d Richterinnen. 116 -
E i n e i n d i v i d u e l l sehr unterschiedliche A u f l ö s u n g der Z i e l k o n f l i k t e
bei
der Rechtsschutzgewähr w i r k t sich auf die Effektivität der Rechtsschutzg e w ä h r d u r c h das G e r i c h t insgesamt, jedenfalls d e n A n s p r u c h
gleich-
m ä ß i g e f f e k t i v e r R e c h t s s c h u t z g e w ä h r aus. Z u r M i l d e r u n g der hiermit verbundenen Probleme - zumindest i n
der
A u ß e n d a r s t e l l u n g - ist u. a . 1 1 7 der gerichtsinterne D i s k u r s u n d der Versuch, i n d e m d u r c h Gesetz u n d R e c h t gezogenen R a h m e n z u g e m e i n s a m e r
„Stan-
dardsetzung" zu gelangen, unabweisbar. -
Solchen Formen kollegialen, innerprofessionellen
Diskurses, die
indes
stets a u c h E l e m e n t e ü b e r i n d i v i d u e l l e r „ s o z i a l e r " K o n t r o l l e bergen, s i n d auch bei höherer Einwirkungsintensität,
als sie d u r c h d i e
Rechtspre-
chung der Dienstaufsicht zugestanden w i r d , Ausfluss u n d kollektive Ausgestaltung richterlicher Unabhängigkeit118 u n d kein Eingriff in diese.119 -
H i e r d ü r f t e a u f D a u e r n i c h t a n d e m F r e i w i l l i g k e i t s p r i n z i p , das als m e t h o dische Erfolgsbedingung erscheint, festgehalten werden k ö n n e n . 1 2 0
116 D e r „klassische" u n d v o n neuen Steuerungsmodellen u n a b h ä n g i g e F a l l ist die U m v e r t e i l u n g v o n „ R ü c k s t ä n d e n " (zur s p r u c h k ö r p e r i n t e r n e n U m v e r t e i l u n g O V G H H , D R i Z 1999, S. 21 f.) oder die E n t l a s t u n g w e n i g e r „ e f f e k t i v e r " S p r u c h k ö r p e r bzw. R i c h t e r oder R i c h t e r i n n e n b e i der Geschäftsverteilung; e i n Rechtsgrundsatz, dass h i e r v o n anhängige Verfahren auszunehmen seien, folgt hieraus n i c h t (NdsOVG, Beschl. v. 28. 2. 2002 - 1 1 K N 45 / 02 - ; s.a. B V e r w G B u c h h o l z 310 § 133 Nr. 22 V w G O ) . 117 D a n e b e n ist z u d e n k e n an meist nachgehende I n t e r v e n t i o n e n eines v e r a n t w o r tungsbewussten Präsidiums. H i e r mögen auch Rechtsänderungen angezeigt sein. D i e i m i n t e r n a t i o n a l e n Vergleich e i n z i g a r t i g e n Regelungen z u r Geschäftsverteilung zieh e n einen f l e x i b l e n Personaleinsatz b e i u n g l e i c h g e w i c h t i g e r G e s c h ä f t s e n t w i c k l u n g oder sonst unvorhergesehenen E n t w i c k l u n g e n (ζ. B. längere E r k r a n k u n g e n ) w ä h r e n d des l a u f e n d e n Geschäftsjahres r e l a t i v enge Grenzen. Diese stoßen d a n n b e i der N a c h steuerung b e i der Jahresgeschäftsverteilung z u oft n o c h auf Präsidien, die i h r e r M a nagementaufgabe u n d i h r e r V e r a n t w o r t u n g gegenüber d e n Rechtssuchenden wegen m e n s c h l i c h verständlicher, f u n k t i o n a l aber k o n t r a p r o d u k t i v e r persönlicher R ü c k s i c h t n a h m e n oder einer n o r m a t i v n i c h t gerechtfertigten, auch „ p ä d a g o g i s c h " m o t i v i e r t e n H a l t u n g , anhängige Verfahren n i c h t ohne besondere N o t u m z u v e r t e i l e n , n i c h t hinreichend nachkommen. lie F ü r eine N e u o r g a n i s a t i o n des äußeren Verfahrensablaufes auch Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 97 Rn. 35; s.a. ders., ebd. A r t . 92 Rn. 59. Z w e i f e l n d Papier, N J W 2001, S. 1089 (1093 f.).
119 A . A . w o h l Kramer, N J W 2001, S. 3449 (3453): „ F ü r d e n einzelnen R i c h t e r spielt es i m L i c h t e v o n A r t . 97 1 G G keine Rolle, ob die B e w e r t u n g der V e r s t ä n d l i c h k e i t seines U r t e i l s namens des G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n oder namens des (aus u n a b h ä n g i g e n R i c h t e r n bestehenden) Qualitätsausschusses e r f o l g t " . ι 2 0 D i e F o r m u l i e r u n g „ D i e A r b e i t i n Q u a l i t ä t s z i r k e l n ist Teil des D i e n s t e s " ( D R i B , Q u a l i t ä t [ F N 55], Nr. I I I . 3.) ist e r s i c h t l i c h bezogen a u f die B e r ü c k s i c h t i g u n g solcher A k t i v i t ä t e n b e i Personalbedarfsberechnungen u n d umschließt n i c h t die These, dass die T e i l n a h m e a n solchen D i s k u r s e n „ D i e n s t p f l i c h t " ist (anders als f ü r die T e i l n a h m e a n F o r t b i l d u n g s v e r a n s t a l t u n g e n f ü r D i e n s t a n f ä n g e r [ebd., IV. 1. l i t . a)], w o b e i die 11 Die Verwaltung, Beiheft 5
162
Uwe Berlit
cc) E i n individualistisches Verständnis v o n r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t scheidet erst recht aus, soweit die gesellschaftlichen
„Systemleistungen"
der Justiz, die Gewährleistungen v o n Rechtsfrieden, Rechtssicherheit u n d Gerechtigkeit i n den B l i c k genommen w e r d e n . 1 2 1 Diese - r i c h t i g e n u n d w i c h t i g e n - Ziele haben ein so hohes A b s t r a k t i o n s n i v e a u , dass eine k o n t r o l l - u n d diskursfreie, r e i n i n d i v i d u a l i s t i s c h e D e f i n i t i o n
auszuscheiden
hat. H i e r v o n z u t r e n n e n ist die Frage, ob diese D i m e n s i o n e n systematisch i n den Steuerungs- u n d Controllingansatz des N S M eingebaut w e r d e n k ö n nen.122 b) Gerichtsinterne die Mitwirkung gungen terlichen
Sicherung
effektiver Aufgabe.
Rechtsschutzgewähr Maßnahmen,
sieren, sind grundsätzlich zu
von Verantwortlichkeit:
an der Optimierung
nicht
Die Sorge um und
der organisatorischen ist originärer
die diese Verantwortung geeignet,
Rahmenbedin-
Bestandteil justiziniem
die richterliche
der richreali-
Unabhängigkeit
beeinträchtigen. Dies g i l t vor a l l e m f ü r ein höheres Maß an Transparenz der r i c h t e r l i c h e n
T ä t i g k e i t auch i m s p r u c h r i c h t e r l i c h e n Bereich. Transparenz realisiert auch dort, w o i n f o r m e l l e r „sozialer D r u c k " o b j e k t i v d r o h t (oder gar g e w o l l t ist), die der U n a b h ä n g i g k e i t korrespondierende Verantwortung. - Dies g i l t n i c h t n u r f ü r eine differenzierte datenmäßige Erfassung „äußer e r " , q u a n t i t a t i v e r V o r g ä n g e , 1 2 3 ζ. B. Z a h l u n d Verfahrensdauer, A r t der E r l e d i g u n g , R e c h t s m i t t e l - u n d Aufhebungsquote, aber auch U m f a n g nachgewiesener amtsspezifischer F o r t b i l d u n g s a k t i v i t ä t e n . - Es g i l t auch f ü r den Versuch der systematischen Erfassung q u a l i t a t i v e r Aspekte, f ü r die geeignete Verfahren weitgehend erst n o c h z u e n t w i c k e l n u n d zu erproben sind, einschließlich sog. externer „ K u n d e n b e f r a g u n g e n " oder der
systematischen A u f b e r e i t u n g
der
internen
Arbeitsabläufe,
n a m e n t l i c h an der Schnittstelle r i c h t e r l i c h e r / n i c h t r i c h t e r l i c h e r Dienst. Grenze ist u n d b l e i b t - auch j u s t i z i n t e r n - die Freiheit v o n Weisungen i n a l l den Bereichen, i n denen die E n t s c h e i d u n g - sei es i n der Sache, aber V e r p f l i c h t u n g z u r W e i t e r b i l d u n g b e i P l a n r i c h t e r n u n d - r i c h t e r i n n e n l e d i g l i c h als „ O b l i e g e n h e i t " gesehen w i r d ) . D a m i t w i r d , standespolitisch v e r s t ä n d l i c h , p r a g m a t i s c h auf die A k z e p t a n z b e d i n g u n g e n reagiert, aber n i c h t das P r o b l e m gelöst, dass b e i F r e i w i l l i g k e i t u n d A n g e b o t s s t r u k t u r m i t u n t e r jene R i c h t e r u n d R i c h t e r i n n e n n i c h t erreicht werden, b e i denen d i s k u r s i v e k o l l e g i a l e K o n t r o l l e a m d r i n g l i c h s t e n scheint. 121 DRiB, Q u a l i t ä t ( F N 55), Nr. I. 2., u m s c h r e i b t die d e n R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n t r e u h ä n d e r i s c h anvertraute A u f g a b e rechtsstaatlicher J u s t i z g e w ä h r u n g als „ d i e D u r c h s e t z u n g unserer rechtsstaatlichen O r d n u n g , die S i c h e r u n g des Rechtsfriedens, die W a h r u n g des Rechtsschutzes des einzelnen Bürgers u n d die E r h a l t u n g der Sicherh e i t des Rechts".
1 2 2 E h e r a b l e h n e n d Hoffmann-Riem ( F N 12), S. 231 f., 241 f. 123 So auch DRiB, Q u a l i t ä t ( F N 55), I I I . l .
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
163
auch i m Verfahren - v o n dem Richter zu treffen u n d zu v e r a n t w o r t e n ist. Weisungsfreiheit bedeutet aber - entgegen m i t u n t e r auch ü b e r i n t e r p r e t i e r ten Äußerungen u n d J u d i k a t e n der Dienstgerichte - n i c h t Beeinflussungsfreiheit. D i e recht hohen A n f o r d e r u n g e n an die „ P e r s ö n l i c h k e i t " der Richter u n d Richterinnen, die erst die r e c h t l i c h k a u m opera tionalisierbare „ i n n e r e U n a b h ä n g i g k e i t " determinieren, lassen die E r s t r e c k u n g auch auf ein Verbot „psychologischer Beeinflussung" als w i d e r s i n n i g erscheinen.
3. Reichweite richterlicher Unabhängigkeit innerhalb der Judikative
Die neben Gesetzesbindung terlichen lierende, Legislative
Unabhängigkeit kontrollierende bestimmen
der Judikative
gegenüber „Kontrolle"
Grenzen für effektive
und korrigierende
Maßnahmen
deren Hauptschutzrichtung.
ist eine differenzierte
Maßgabe von Gegenstand, fahrensmäßiger
und Gewaltenteilungsgrundsatz
folgenden
Vorkehrungen
inner gerichtlicher
von Exekutive
Für den
Betrachtung
Kontrollmitteln
aus der richsteuernde,
reguund
Binnenbereich
erforderlich,
die
nach
sowie institutioneller
und ver-
Schutzintensität,
namentlich
eine geringere Standardsetzung
und
diskursiv
durch Professions angehörig e, zulässt und
verlangt.
gestützter
a) Richterliche U n a b h ä n g i g k e i t w i r k t dem G r u n d e nach auch i n n e r h a l b der Judikative. F ü r die S c h u t z r i c h t u n g des A r t . 97 G G ist u m s t r i t t e n , ob sie sich a l l e i n gegen E x e k u t i v e u n d Legislative r i c h t e t oder - so die w o h l w e i t überwiegende M e i n u n g 1 2 4 - sich auch erstreckt auf das Verhältnis der R i c h ter u n d R i c h t e r i n n e n i n n e r h a l b des Spruchkörpers, zu anderen S p r u c h k ö r p e r n u n d G e r i c h t e n . 1 2 5 D i e M i n d e r m e i n u n g , n a c h der A r t . 97 G G n u r das Verhältnis der Richter zu den Trägern n i c h t r i c h t e r l i c h e r G e w a l t b e t r i f f t , 1 2 6 erleichtert allerdings die dogmatische Rechtfertigung prozessordnungsrechtlicher Zusammenarbeitsregelungen u n d K o n t r o l l m e c h a n i s m e n , insb. v o n Rechtsmitteln, u n d k a n n f ü r die B e w ä l t i g u n g sonstiger gewalteninterner B i n d u n g e n bis h i n z u einer relativen P r ä j u d i z i e n b i n d u n g i n der Sachentscheidung f r u c h t b a r gemacht w e r d e n . 1 2 7 F ü r die hier i m Vordergrund stehende Frage i n n e r j u s t i z i e l l e r M a ß n a h m e n z u r Sicherung einer q u a l i t a t i v hochwertigen, effektiven Rechtsprechung ist dieser A n s i c h t indes n i c h t z u folgen. 124 s. n u r - m. w. N . - Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 97 Rn. 39 ff.; Baer, D i e U n a b h ä n g i g k e i t der R i c h t e r i n der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d u n d i n der D D R , B e r l i n 1999, S. 47 ff.; B V e r f G ( K a m m e r ) N J W 1996, S. 2149 (2150f.) (auch i n k l a r s t e l l e n d e r A b g r e n z u n g z u B V e r f G E 12, 67 [71]). 125 s. m. w. N . Reinhardt 126 So e x p l i z i t Reinhardt 31, 137 [140]).
( F N 7), S. 112 ff. ( F N 7), S. 112 ff. (unter H i n w e i s auf B V e r f G E 12, 67 [71];
127 D a z u eingehend Reinhardt 11*
( F N 7).
164
Uwe Berlit
- A u s ü b u n g u n d B e t ä t i g u n g der hierarchisch organisierten Dienstaufsicht, kollegiale „ I n t e r v e n t i o n e n " u n d selbst l a u f b a h n " r e i n e " r i c h t e r l i c h e Qual i t ä t s z i r k e l erfolgen z w a r personal d u r c h Träger r i c h t e r l i c h e r Gewalt, sind aber funktional n i c h t spruchrichterliche T ä t i g k e i t i.e.S. u n d der „ Gericht s V e r w a l t u n g " zuzuordnen. -
G e r i c h t s v e r w a l t u n g b l e i b t auch d a n n „ V e r w a l t u n g " , w e n n sie i n n e r h a l b des Gerichts w a h r g e n o m m e n u n d d u r c h Organe r i c h t e r l i c h e r Selbstv e r w a l t u n g ausgeübt w i r d . Sie w i r d auch n i c h t d a d u r c h f u n k t i o n a l z u „ s p r u c h r i c h t e r l i c h e r " Tätigkeit, dass n a c h hier vertretener A n s i c h t die M i t w i r k u n g an u n d die Sorge f ü r eine effektive Rechtsprechung Teil des A m t s a u f träges der Richter u n d R i c h t e r i n n e n ist. § 4 Abs. 2 Nr. 1 D R i G setzt, w i e auch i m m e r „ A u f g a b e n der rechtsprechenden G e w a l t " bzw. „Rechtsprechung" definiert w e r d e n , 1 2 8 eine H e r a n z i e h u n g z u Aufgaben der G e r i c h t s v e r w a l t u n g als statthaft u n d m i t d e m A m t s a u f t r a g vereinbar voraus.
D i e auch v o n der M i n d e r m e i n u n g anerkannte Grenze zwischen J u d i k a t i v e u n d E x e k u t i v e verläuft insoweit auch i n n e r h a l b der Gerichte, n a m e n t l i c h auch zwischen R i c h t e r n bzw. R i c h t e r i n n e n u n d p r ä s i d i a l e r G e r i c h t s l e i t u n g sowie Organen r i c h t e r l i c h e r S e l b s t v e r w a l t u n g . 1 2 9 Dies w i r d bei jeder Stärk u n g r i c h t e r l i c h e r Selbstverwaltung, u n a b h ä n g i g v o m gewählten M o d e l l , zu beachten sein, insb. d u r c h verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen u n d Ausgestaltung entsprechender „ M i n d e r h e i t e n r e c h t e " , welche die vorausgesetzte u n d wünschenswerte Heterogenität u n d P l u r a l i t ä t i n n e r h a l b der Richterschaft zu achten u n d bewahren haben werden. A u c h hier stellen sich bei der Ausgestaltung i m D e t a i l noch schwierige, ungelöste Fragen. 128 Z u r A b g r e n z u n g - a m B e i s p i e l des Richtervorbehaltes b e i der p r ä v e n t i v p o l i z e i l i c h e n K o n t r o l l s t e l l e nach § 14 N G e f A G - Berlit, N d s V B l . 1995, S. 197 ff.; z u d e n v i e l f ä l t i g e n D e f i n i t i o n s versuchen v o n Rechtsprechung s.a. - jeweils m. w. N . - Reinhardt ( F N 7), S. 94 ff.; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, M ü n c h e n 1993, S. 69 ff.; Achterberg ( F N 17), A r t . 92 Rn. 65 ff. ( m i t d e m A k z e n t auf der l e t z t v e r b i n d l i c h e n E n t scheidung eines Streites a l l e i n a m Maßstab des Rechts d u r c h einen n i c h t b e t e i l i g t e n D r i t t e n ) u n d Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 92 Rn. 24 ff. (der jenseits eines „gesetzesfest e n " Kernbereichs m a t e r i e l l e r Rechtsprechungsaufgaben v o n einem e n t w i c k l u n g s o f fenen Begriff der „rechtsprechenden G e w a l t " ausgeht, der „ f o r m e l l - i n h a l t l i c h d u r c h eine heterogene F ü l l e verfassungspositiver A n h a l t s p u n k t e , vorverfassungsrechtlicher T r a d i t i o n e n als A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r d e n Verfassungsgeber u n d d u r c h die Verfass u n g s i n t e r p r e t a t i o n a u f g r u n d gesetzgeberischer F o r t s c h r e i b u n g b e s t i m m t " werde; e b d . , R n . 27). F ü r die Z w e c k e dieses Beitrages b r a u c h e n diese U n s c h ä r f e n i n den Randbereichen h i n z u d e n A u f g a b e n der J u s t i z - u n d G e r i c h t s v e r w a l t u n g sowie z u solchen derzeit der Justiz übertragenen A u f g a b e n , deren E r l e d i g u n g b e i einer a u f g a b e n k r i t i s c h e n R e v i sion der derzeitigen Gerichtsaufgaben a u c h anders organisiert w e r d e n k ö n n t e n (ζ. B. Registersachen), n i c h t g e k l ä r t z u werden. Wegen dieser U n s c h ä r f e n ist a l l e r d i n g s eine r e i n formelle, n u r an die R i c h t e r als H a n d l u n g s s u b j e k t a n k n ü p f e n d e B e s t i m m u n g v o n T ä t i g k e i t e n , f ü r die der Schutz r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t greift, u n t a u g l i c h . 129 Z u m Rechtsschutz des Richters gegen P r ä s i d i u m s e n t s c h e i d u n g e n z u r Geschäftsv e r t e i l u n g s. Marquardt, D i e R e c h t s n a t u r p r ä s i d i a l e r Geschäfts Verteilungspläne gemäß § 21e G V G u n d der Rechtsschutz des Richters, F r a n k f u r t / M . 1998, S. 39 ff., S. 75 ff.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
b) Abgestufte
Schutzintensität
bei gewalteninternen
Einwirkungen:
165
Bei
gewalteninternen E i n w i r k u n g e n bedürfen Reichweite u n d Schutzintensität r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t einer differenzierenden Betrachtung. D i e z u lässige gewalteninterne K o n t r o l l e ist insb. n i c h t auf die prozessrechtlich vorgesehenen Rechtsmittel beschränkt. D i e Feststellung, dass auch gewalteninterne E i n w i r k u n g e n dem Schutzbereich des A r t . 97 G G unterfallen, bedeutet n i c h t , dass die S c h u t z i n t e n s i t ä t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t gegenüber innergerichtlicher bzw. gewalteninterner professioneller Selbstr e f l e x i o n u n d „ E i g e n k o n t r o l l e " dieselbe ist w i e gegenüber externen K o n trollformen. E i n Verbot jeder vermeidbaren Einflussnahme i m gewalteni n t e r n e n Bereich ist m i t der Maßgabe n i c h t anzuerkennen, dass zwischen Gegenstand (Verfahrensgestaltung vs. Sachentscheidung) u n d K o n t r o l l m i t t e l n (Weisung vs. n o n d i r e k t i v e n E i n w i r k u n g e n ) z u differenzieren ist. Gegenstand meiner Überlegungen s i n d dabei n i c h t gewalteninterne E i g e n k o n t r o l l e u n d Selbststeuerung i n Bezug auf die S a c h e n t s c h e i d u n g , 1 3 0 n a m e n t l i c h Fragen der sachlich-rechtlichen B i n d u n g an P r ä j u d i z i e n . 1 3 1 Eine gewalteninterne „ k o l l e g i a l e " K o n t r o l l e rechtsprechender T ä t i g k e i t w i r d n i c h t d u r c h das Rechtsmittelrecht ausgeschlossen: K o n t r o l l e d u r c h Rechtsmittel hat keine „ E x k l u s i v w i r k u n g " . U n a b h ä n g i g von Zugangsvoraussetzungen, 1 3 2 Ausgestaltung u n d K o n t r o l l m a ß s t a b ist die w i c h t i g e K o n t r o l l e d u r c h R e c h t s m i t t e l 1 3 3 unzureichend. Sie - ist abhängig v o n den B e t e i l i g t e n u n d der ihrerseits unterschiedlichen Qualität anwaltlicher Rechtsberatung,134 130 Z u r B e d e u t u n g ökonomischer A s p e k t e b e i der A n w e n d u n g u n d A u s l e g u n g des m a t e r i e l l e n Rechts s. Reinhardt, i n diesem H e f t S. 179 ff. 131 M a ß n a h m e n z u r S i c h e r u n g konsistenter Sachentscheidungen i n n e r h a l b eines Gerichts w e r d e n z u m a l i n d e n Bereichen, i n denen de lege l a t a auch R e c h t s m i t t e l n i c h t ( w i r k s a m ) z u r V e r e i n h e i t l i c h u n g b e i t r a g e n k ö n n e n ( i n der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t e t w a i m Bereich des v o r l ä u f i g e n Rechtsschutzes), auf Ä n d e r u n g e n des Verfahrensrechts, ζ. B. d u r c h g e r i c h t s i n t e r n e Abstimmungsprozesse z u r V e r m e i d u n g m a t e r i e l l divergierender Rechtsprechung (Vorlage a n Große K a m m e r n / Senate) z u setzen. D a n e b e n k o m m t h i e r d e m P r ä s i d i u m eine erhöhte V e r a n t w o r t u n g zu. 132 § 321a Z P O i n der z u m 1 . 1 . 2002 i n K r a f t getretenen Fassung des Z i v i l p r o z e s s reformgesetzes (v. 27. 7. 2001, B G B l . I, 1887) öffnet h i e r den w e i t e r h i n w e i t e n B e r e i c h der t r o t z A b s e n k u n g des Schwellenwertes f ü r die B e r u f u n g n i c h t b e r u f u n g s f ä h i g e n a m t s r i c h t e r l i c h e n E n t s c h e i d u n g e n einer a u f Gehörverstöße begrenzten Fehlerselbstk o n t r o l l e , die d u r c h das B V e r f G effektiv n i c h t w a h r g e n o m m e n w e r d e n k o n n t e bzw. w o r d e n ist. 133 Ausgeblendet w e r d e n k a n n h i e r die Frage, i n w i e w e i t aus A r t . 19 Abs. 4 G G e i n sekundärer K o n t r o l l a n s p r u c h d u r c h e i n (auf F e h l e r k o n t r o l l e beschränktes) Rechtsm i t t e l folgt; d a z u eingehend Voßkuhle ( F N 128). 134 Dies h a t sich insb. b e i E i n f ü h r u n g des Zulassungsrechtsmittels i n der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t d u r c h das 6. V w G O Ä n d G (v. 1. 11. 1996, B G B l . I, S. 1626) gezeigt, b e i der viele A n w ä l t e die - teils ü b e r s p a n n t e n (BVerfG [ K a m m e r ] DVB1. 2000, S. 1458; d a z u Kuhla, DVB1. 2001, S. 172 ff.; Schmidt, VB1BW 2000, S. 393 f.; Fischer, DVB1. 2000, S. 1686 f.; k r i t . Atzler, N V w Z 2001, S. 410 f.) - D a r l e g u n g s a n f o r d e r u n g e n n i c h t b e w ä l t i g e n k o n n t e n . D i e p a r t i e l l e R ü c k n a h m e des f u n k t i o n s d i f f e r e n z i e r e n d e n
Uwe Berlit
166
- f ü h r t z u r Verlängerung der Verfahren, - b ü r d e t n a c h geltendem Kostenrecht w e i t e s t g e h e n d 1 3 5 den Verfahrensbeteiligten die K o n t r o l l k o s t e n auf u n d - erfasst als einzelfall- u n d ergebnisbezogene, v o n der Beschwer abhängige K o n t r o l l e v o n v o r n h e r e i n n i c h t die v i e l f ä l t i g e n qualitätsrelevanten D i mensionen s p r u c h r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t u n d s t r u k t u r e l l e n Fragen der Gerichtsorganisation, die sich n i c h t i n dem Ergebnis der Sachentscheidung n i e d e r s c h l a g e n 1 3 6 oder sonst zu „ f e h l e r h a f t e n " Entscheidungen f ü h r e n . 1 3 7 D e r These, der Richter werde „ g r u n d s ä t z l i c h a l l e i n nach Maßgabe des Rechtsmittelrechts u n d i n den v o n i h m geregelten Verfahren"
kontrol-
l i e r t , 1 3 8 ist n u r f ü r den Bereich der d i r e k t i v e n K o n t r o l l e der Rechtmäßigkeit seines Handels zuzustimmen. D e r w e i t e Bereich r e c h t l i c h gerade n i c h t eind e u t i g determinierten, f ü r die E f f e k t i v i t ä t
des Rechtsschutzes u n d die
Rechtsprechungsqualität relevanten r i c h t e r l i c h e n Handelns w i r d h i e r v o n gerade n i c h t erfasst. c) Unzureichende
Verantwortlichkeit
ein gewaltenintern
anzugehendes
keit
Bereich
einen
breiten
Ausübung
staatlicher
nehmung
richterlicher
antwortung
als gewalteninternes
Problem,
weitgehend
Gewalt
schafft,
139
Unabhängigkeit
weitestgehend
unkontrolliert
Problem:
dass richterliche
kontroll-
und
interventions
bei der die verantwortliche und die Erfüllung
Es ist
Unabhängigfreier Wahr-
der Effizienzver-
bleiben.
Das P r o b l e m v e r a n t w o r t l i c h e r W a h r n e h m u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t liegt weniger i n der Sicherung gesetzeskonformer Sach- u n d Verfahrensentscheidungen d e n n den v i e l f ä l t i g e n Optionsentscheidungen, die auf die Effizienz der Rechtsschutzgewähr u n d die Prozessqualität (sowie die Kosten) e i n w i r k e n . V e r a n t w o r t l i c h k e i t realisiert sich auch i n systematiR e c h t s m i t t e l k o n z e p t s i m Verwaltungsprozess d u r c h das Gesetz z u r B e r e i n i g u n g des Rechtsmittelrechts i m Verwaltungsprozess ( R m B e r e i n V p G ) v o m 20. 12. 2001 ( B G B l . I, S. 3987) (dazu Kuhla/Hüttenbrink, DVB1. 2002, S. 85; Seibert, N V w Z 2002, S. 265; Berlit, info also 2002, S. 51) w i r d h i e r a n wegen fortbestehender Darlegungserfordernisse (§§ 124a Abs. 4, 146 Abs. 4 V w G O ) t r o t z verlängerter B e g r ü n d u n g s f r i s t e n n u r begrenzt etwas ändern. 135 § 8 G K G h a t einen sehr engen A n w e n d u n g s b e r e i c h u n d erfasst v o r a l l e m n i c h t die außergerichtlichen Kosten. 136 Es k o m m t h i n z u , dass a u c h w e i t e r h i n w e i t e Bereiche der h i e r interessierenden verfahrensleitenden u n d entscheidungsvorbereitenden E n t s c h e i d u n g e n n i c h t isoliert r e c h t s m i t t e l f ä h i g s i n d (s. n u r § 146 Abs. 2 V w G O ) u n d a u c h i n e i n e m Rechtsmittelverfahren z u r H a u p t s a c h e n i c h t (§ 512 ZPO) oder begrenzt ü b e r p r ü f b a r sind. 137 Z u A n s ä t z e n einer „ F e h l e r q u e l l e n l e h r e " s. Röhl, i n diesem H e f t S. 88 ff. Dieser B e i t r a g legt d e n A k z e n t auf die Q u a l i t ä t i m V o r f e l d „ f e h l e r h a f t e r " P r o d u k t e , die es selbstverständlich z u v e r m e i d e n g i l t , also u m die Verbesserung „ s c h l e c h t e r e r " , aber n o c h n i c h t fehlerhafter P r o d u k t e der Gerichte. 138 Papier, N J W 2001, S. 1089 (1094). 139 s. n u r Voßkuhle
( F N 128), S. 255 ff., passim.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
167
sehen Versuchen einer O p t i m i e r u n g der „ D i e n s t l e i s t u n g " Justiz u n d der organisatorischen S t r u k t u r e n i h r e r E r b r i n g u n g einschließlich der A u f l ö s u n g der Z i e l k o n f l i k t e , die sich bei der A n n ä h e r u n g an effiziente Rechtsschutzgew ä h r ergeben. D i e m a t e r i e l l „ r i c h t i g e " Entscheidung, die u n t e r Beachtung des Verfahrensrechts, n a m e n t l i c h gesetzlich gewährter Verfahrensrechte der Beteiligten, ergeht, ist notwendiger, aber längst n i c h t hinreichender Bes t a n d t e i l effektiver, gleichheitskonformer Rechtsschutzgewähr. I n dem w e i t e n Bereich gesetzlich n i c h t h i n r e i c h e n d oder e i n d e u t i g vors t r u k t u r i e r t e r r i c h t e r l i c h e r Tätigkeit, b e i d e m i c h m i c h auf die Verfahrensh a n d l u n g e n k o n z e n t r i e r e , 1 4 0 korrespondiert
der r i c h t e r l i c h e n
dungsmacht keine w i r k s a m e (Verfahrens)Kontrolle.
Die
Entschei-
verantwortliche
W a h r n e h m u n g der R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n zustehenden Verfahrensgestaltungs- u n d Entscheidungsmacht ist derzeit weitgehend ein P r o b l e m der einzelnen Richter u n d Richterinnen. D i e aus dem „ T r e u h a n d v e r h ä l t n i s " folgende abstrakte „ V e r a n t w o r t l i c h k e i t " ist jenseits des Rechtsmittelsrechts i n s t i t u t i o n e l l n i c h t w i r k s a m abgesichert: - D i e sonst greifenden Mechanismen hierarchischer K o n t r o l l e d u r c h Weisung greifen - aus g u t e n G r ü n d e n - n i c h t ; - p o l i t i s c h e n oder gesellschaftlichen Rückkopplungsmechanismen steht a l l z u m a l nach der E r n e n n u n g z u m Richter auf Lebenszeit - die auch persönliche U n a b h ä n g i g k e i t g e g e n ü b e r ; 1 4 1 - die präventive „ K o n t r o l l e " d u r c h sorgsame Personalauswahl leidet - w i e auch i m m e r die Anforderungsprofile definiert u n d die Auswahlprozesse organisiert s i n d - an erheblichen Unschärfen u n d Prognoseunsicherheit e n u n d entlässt die Richter u n d R i c h t e r i n n e n n a c h erfolgter E i n s t e l l u n g oder Beförderung i n den „ k o n t r o l l f r e i e n " R a u m eigenverantwortlicher Tätigkeit. I n einer rechtsstaatlichen D e m o k r a t i e gehören indes V e r a n t w o r t u n g u n d K o n t r o l l e u n t r e n n b a r z u s a m m e n . 1 4 2 D e r Gewaltenteilungsgrundsatz die Funktionsvoraussetzungen v o n gerichtsförmiger
und
Rechtsschutzgewähr
schließen eine I n t e r - O r g a n - K o n t r o l l e weitestgehend u n d v o l l s t ä n d i g h i n s i c h t l i c h einzelner Verfahren aus: Rechtsprechungstätigkeit u n t e r l i e g t n i c h t dem P r i n z i p der parlamentarischen V e r a n t w o r t u n g . 1 4 3 Konsequenz aus die140 Z u den m a t e r i e l l r e c h t l i c h e n B i n d u n g e n eingehend etwa Reinhardt ( F N 7), Voßkuhle ( F N 128) u n d Ziegler, S e l b s t b i n d u n g der D r i t t e n G e w a l t , F r a n k f u r t / M . 1993. 141 Selbst i n den A u s n a h m e f ä l l e n , i n denen die L e b e n s z e i t e r n e n n u n g m i t einer A r t F r ü h p e n s i o n i e r u n g verwechselt w i r d ( „ I c h b i n R l , i c h b l e i b e R l , u n d i c h gehe u m 1"). 142 A l l g e m e i n : Scheuner, V e r a n t w o r t u n g u n d K o n t r o l l e i n der d e m o k r a t i s c h e n Verfassungsordnung, in: ders., Staatstheorie u n d Staatsrecht. Gesammelte S c h r i f t e n , B e r l i n 1978, S. 293 (298). 143 Meyer ( F N 6), A r t . 92 Rn. 4; u n t e r d e m A s p e k t der Personalauswahl Priebke, D R i Z 1992, S. 50 ff.; z u m w e i t e r r e i c h e n d e n Verständnis i n der Schweiz s. Seiler, ZB1. 2000, S. 281 ff.
168
Uwe Berlit
sem r i c h t i g e n u n d f ü r die neutrale Rechtsschutzgewähr zentralen G r u n d satz k a n n indes n i c h t Verantwortungslosigkeit d u r c h K o n t r o l l f r e i h e i t sein. D i e Realisierung r i c h t e r l i c h e r V e r a n t w o r t u n g k a n n n u r
gewaltenintern
organisiert w e r d e n u n d muss i n den Bereichen gesetzlich zugewiesener i n d i v i d u e l l e r bzw. kollegialer Entscheidungskompetenz
auch gewalten-
i n t e r n die Weisungsfreiheit beachten. Jenseits der n i c h t hinreichenden K o n t r o l l e d u r c h R e c h t s m i t t e l k o m m t n u r eine n o n d i r e k t i v e , diskursiv gestützte „ K o n t r o l l e " d u r c h Professionsangehörige i n Betracht. Diese ist h i n s i c h t l i c h der Träger k o l l e k t i v e professionelle Selbstkontrolle, organisationsrechtlich b l e i b t sie aber wegen der i n d i v i d u e l l e n Entscheidungsmacht F r e m d k o n t r o l l e . 1 4 4 Wegen der Funktionserfordernisse unabhängiger Justiz u n d der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t ist das Verantwortungs- u n d K o n t r o l l p r o b l e m daher l e t z t l i c h n i c h t zu lösen; es s i n d aber die negativen Folgen w e i t gehend k o n t r o l l f r e i e r A u f g a b e n w a h r n e h m u n g zu begrenzen.
4. Richterliche Unabhängigkeit und gewalteninterne Sicherung richterlicher Verantwortung
Richterliche Mechanismen
Unabhängigkeit nicht
entgegen,
steht
gewalteninternen,
eine verantwortliche
licher
Effizienzverantwortung
digkeit
reicht nicht so weit wie die richterliche
a) Konnex
Verantwortung
zu befördern.
/ Verantwortlichkeit:
nondirektiven
Wahrnehmung
Die
richterliche Selbständigkeit,
richterEigenstän-
145
V e r a n t w o r t u n g ohne Ver-
a n t w o r t l i c h k e i t reicht n i c h t aus. D e r A p p e l l an Verantwortungsbewusstsein u n d G e r e c h t i g k e i t s s i n n 1 4 6 erinnert daran, dass r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t H a n d e l n i n autonomer V e r a n t w o r t u n g sichert. Angesichts der Spannbreite der n o t w e n d i g p l u r a l e n Richterschaft k a n n er auch b e i o p t i m i e r t e r Personalauswahl147 - ohne s t r u k t u r e l l e Sicherung der V e r a n t w o r t u n g n i c h t F e h l e n t w i c k l u n g e n u n d „anomische E n t g l e i s u n g e n " 1 4 8 verhindern, - h i l f t i n den f ü r die Q u a l i t ä t v o n Rechtsprechung u n d die gleichheitskonforme Rechtsschutzgewähr problematischen Fällen r e i n i n d i v i d u a listisch verstandener r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t u n d ( i n d i v i d u e l l oder 144 F ü r die professionelle E i g e n k o n t r o l l e i m Wissenschaftsbereich s. Trute, D i e Forschung z w i s c h e n g r u n d r e c h t l i c h e r Freiheit u n d staatlicher I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g , T ü b i n g e n 1994, S. 483 f. ( i n u n d b e i F N 123). 14 5 I m Anschluss a n die T e r m i n o l o g i e v o n Eichenberger, g i g k e i t als staatsrechtliches P r o b l e m , B e r n 1960, S. 43 ff. 146 Kramer, R u P 2001, S. 127 (128).
147 Kramer,
R u P 2001, S. 127 (136).
148 Hoffmann-Riem
( F N 12), S. 290 ff., 307.
Die richterliche Unabhän-
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
169
k o l l e k t i v ) unzureichend ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein n i c h t weiter und - verdeckt wegen der i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n Fassung i n k o l l e k t i v e r autonomer Gestaltung liegende Chancen f ü r die Verbesserung der eigenen T ä t i g k e i t u n d der E f f e k t i v i t ä t des Rechtsschutzes insgesamt. Es k a n n heute n i c h t m e h r ohne weiteres v o n einem gleichmäßigen „ B e r u f sethos" aller R i c h t e r i n n e n u n d Richter ausgegangen werden. E i n e postmoderne „ J o b m e n t a l i t ä t " ist p u n k t u e l l ebenso anzutreffen w i e ein w e i t gehend folgenlos bleibendes „ A u s l e b e n " der Freiräume u n d Gestaltungsmöglichkeiten, die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t m i t sich b r i n g t . E i n erster u n d w i c h t i g e r S c h r i t t wäre hier indes ein verändertes Rollenverständnis u n d Verantwortungsbewusstsein. E i n e veränderte „ K u l t u r der V e r a n t w o r t l i c h k e i t " muss sich bereits i m Dezernat über die a l l e i n gesetzeskonforme Verfahrensleitung u n d Sachentscheidung hinaus auf die zusätzliche D i m e n sion q u a l i t a t i v hochwertiger Rechtsprechung erstrecken. D i e ( M i t v e r a n t w o r t u n g f ü r Gesamtleistungen u n d E r s c h e i n u n g s b i l d des Gerichts - u n d v o n Justiz insgesamt - muss als originärer Teil des Amtsauftrages auch i n den R ü c k w i r k u n g e n auf die i n d i v i d u e l l e r i c h t e r l i c h e T ä t i g k e i t begriffen werden; die i m Rahmen der Neuen Steuerungsmodelle i n den V o r d e r g r u n d gerückten Aspekte „Kostenbewusstsein",
„Wirtschaftlichkeit
u n d Spar-
s a m k e i t " , „schonender U m g a n g m i t den verfügbaren Ressourcen" b i l d e n dabei n u r einen Teilausschnitt. D i e n o r m a t i v abzuverlangende Fähigkeit u n d Bereitschaft, die eigene r i c h t e r l i c h e T ä t i g k e i t organisiert d i s k u r s i v zu reflektieren u n d i n dem d u r c h das Gesetz gezogenen Rahmen darauf zu überprüfen, ob i m eigenen H a n d e l n die Z i e l k o n f l i k t e effektiver Rechtsschutzgewähr u n d unterschiedlicher Qualitätsdimensionen gelöst sowie die s t r u k t u r e l l e n K o p p e l u n g e n i n n e r h a l b des eigenen Gerichts o p t i m a l u n d ressourcenschonend beachtet werden, ist vielfach n o c h n i c h t i n den K ö p f e n v o n R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n angekommen. b) Stärkung
der Dienstaufsicht?
ten hierarchischer gewähr jedenfalls
ist ungeachtet nicht der
Ein qualitativer
dienstaufsichtlicher punktuellen
Sicherung
Ausbau
der
effektiver
Erweiterungsbedarfs
nicht
MöglichkeiRechtsschutzder
Ausweg,
Königsweg.
D i e hierarchisch organisierte K o n t r o l l e d u r c h Dienstaufsicht ist unverzichtbar, aber n u r begrenzt w i r k s a m . Sie ist a u c h 1 4 9 deswegen p r o b l e m a tisch, w e i l sie z w a r personell i n der Regel g e w a l t e n i n t e r n ausgeübt w i r d (durch den Präsidenten oder die P r ä s i d e n t i n als u n m i t t e l b a r e n Dienstvorge149 Schärfer Hoffmann-Riem ( F N 12), S. 306: A u c h i n der Justiz „ i s t die ü b e r k o m mene hierarchische S t e u e r u n g ü b e r fach- oder d i e n s t a u f s i c h t l i c h e W e i s u n g anachron i s t i s c h u n d insbesondere w e i t g e h e n d ungeeignet, das L e i s t u n g s - u n d V e r a n t w o r t u n g s p o t e n t i a l z u a k t i v i e r e n , das i n d e n G e r i c h t e n s c h l u m m e r t " .
170
Uwe Berlit
setzten), diese aber f u n k t i o n a l Teil der hierarchisch organisierten E x e k u t i v e sind. Demgegenüber hat die Perspektive - auch als Lehre aus der deutschen J u s t i z g e s c h i c h t e 1 5 0 - i n einer - wegen der Organisationsgröße - n u r begrenzt m ö g l i c h e n „ E n t h i e r a r c h i s i e r u n g " zu liegen. D i e p u n k t u e l l e u n d meist nachgehende Dienstaufsicht löst vor a l l e m auch dann, w e n n i h r eine höhere K o n t r o l l d i c h t e u n d ein breiterer Interventionsspielraum zugestanden w ü r d e , n i c h t das Problem, dass eine alle D i m e n s i o nen v o n Rechtsprechungseffizienz u n d - q u a l i t ä t erfassende
Optimierung
des Einsatzes auch personeller u n d sächlicher Ressourcen auf „ S t e u e r u n g " d u r c h S t r u k t u r , Organisation u n d Verfahren s e t z t 1 5 1 u n d hier auf die aktive M i t w i r k u n g s b e r e i t s c h a f t der Richterschaft auch i n solchen Bereichen zu setzen hat, die u n s t r e i t i g der d i r e k t i v e n Steuerung entzogen s i n d u n d b l e i b e n müssen. E i n e q u a l i t a t i v e E r w e i t e r u n g der Reichweite der dienstaufsichtlichen Sicherung effektiver Rechtsschutzgewähr ist n i c h t der A u s weg, jedenfalls n i c h t der Königsweg. D a m i t soll die N o t w e n d i g k e i t einer A k z e n t v e r s c h i e b u n g auch bei dieser Rechtsprechung n i c h t geleugnet werden, bei der d a n n auch deren I n k o n sistenzen i n den B l i c k zu nehmen sind. D a z u n u r einige Beispiele: - D i e i n der Rechtsprechung anerkannte Freiheit z u r i c h t e r l i c h e r A r b e i t s z e i t - u n d A n w e s e n h e i t s g e s t a l t u n g 1 5 2 ist aus meiner Sicht keine Frage der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t , sondern einer bloß sinnvollen, f l e x i b l e n Arbeitsorganisation; das leidige P r o b l e m der E r r e i c h b a r k e i t - f ü r Verfahrensbeteiligte, aber auch das n i c h t r i c h t e r l i c h e Personal - lässt sich m i t modernen T e l e k o m m u n i k a t i o n s m i t t e l n unschwer lösen. - D i e Beschränkung dienstaufsichtlicher M a ß n a h m e n i m (breiten) K e r n b e reich der an sich weisungs- u n d einmischungsfreien s p r u c h r i c h t e r l i c h e n T ä t i g k e i t auf eine „offensichtlich fehlsame A m t s a u s ü b u n g " bzw. einen „offensichtlichen, jedem Z w e i f e l e n t r ü c k t e n , F e h l g r i f f ' " , 1 5 3 m i t h i n extreme Ausnahmefälle absoluter F e h l e r e v i d e n z , 1 5 4 bedarf gegen die K r i t i k , die schon diese Rechtsprechung f ü r i m Ansatz verfehlt h ä l t , 1 5 5 behutsamer Lockerung. Sie ist den Beteiligten, aber auch der Öffentlichkeit schwer zu v e r m i t t e l n u n d k o n t e r k a r i e r t B e m ü h u n g e n u m Qualitätssteigerung. 150 D a z u Deiseroth,
K J 35 (2002), S. 90 (103).
151 D a z u Schuppert ( F N 20), S. 232 ff. 152 B H G Z 113, 36; k r i t . Hoffmann-Riem, S. 2796 (2797).
A n w B l . 1999, S. 2 (6); Redeker, N J W 2000,
153 s. etwa Β G H Z 42, 163; 67, 184; B G H D R i Z 1991, S. 368; 1991, S. 396; 1997, S. 468 f. 154 Meyer ( F N 6), A r t . 97 Rn. 33. 155 Wassermann ( F N 25), A r t . 97 Rn. 30; s.a. Meyer, D R i Z 1981, S. 22; Herrmann, D R i Z 1982, S. 286 (290); R. Schmidt-Räntsch, D i e n s t a u f sieht ü b e r Richter, B i e l e f e l d 1985, S. 64 f f , 74, 106; Rudolph, D R i Z 1978, S. 146 (147).
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
171
- D i e hohe S e n s i b i l i t ä t gegenüber „ S t e u e r u n g d u r c h I n f o r m a t i o n " Bitten156
widerspricht
dem n o r m a t i v
vorauszusetzenden
Bild
oder einer
selbstbewussten, stabilen Richterpersönlichkeit. - D i e ausdifferenzierte Rechtsprechung zu R i c h t e r b e u r t e i l u n g e n 1 5 7 ändert an dem s t r u k t u r e l l e n P r o b l e m der i n f o r m e l l e n A b h ä n g i g k e i t e n
und
Beeinflussungen, die aus einem hierarchischen System m i t r i c h t e r l i c h e n B e f ö r d e r u n g s ä m t e r n 1 5 8 folgen, nichts u n d ist u n t e r Bedingungen der - f a k t i s c h auch d u r c h strategische Beurteilungen g e s t e u e r t e n 1 5 9 - „ B e stenauslese" auch i m m a n e n t w i d e r s p r ü c h l i c h : D i e hohe B e d e u t u n g der Richterpersönlichkeit, das f ü r Akzentsetzungen offene allgemeine A n f o r derungsprofil u n d die durchaus differenzierten A n f o r d e r u n g e n i n Beförderungsämtern oder besonderen F u n k t i o n e n erfordern eine möglichst differenzierte Erfassung u n d B e w e r t u n g auch der m a t e r i e l l e n Q u a l i t ä t der Fähigkeiten u n d L e i s t u n g e n eines R i c h t e r s ; 1 6 0 das i n der Zulässigkeit v o n Bewertungen als solchen liegende i n f o r m e l l e
Steuerungspotential
d ü r f t e d e u t l i c h höher liegen als das so mancher i n der dienstgerichtlichen Rechtsprechung beanstandeter M a ß n a h m e n . 1 6 1 - D i e - m i t Recht - g r u n d s ä t z l i c h anerkannte Befugnis, i n B e u r t e i l u n g e n bzw. dienstaufsichtlich allgemein u. a. Fragen der Q u a n t i t ä t
(Erledi-
gungszahlen), der T e r m i n i e r u n g älterer Sachen u n d der fristgerechten Entscheidungsabsetzung162
oder der Q u a l i t ä t s d i m e n s i o n
Erledigungs-
d a u e r 1 6 3 z u thematisieren, steht i n einem gewissen Spannungsverhältnis z u r A u s b l e n d u n g q u a l i t a t i v e r Aspekte i m übrigen. D e n n solche vergleichenden Betrachtungen setzen i m p l i z i t Standards über „ r i c h t i g e " r i c h t e D i e r i c h t e r d i e n s t g e r i c h t l i c h e B e a n s t a n d u n g ( B G H Z 112, 197 [203]) der a n das P r ä s i d i u m gerichteten B i t t e , einen R i c h t e r wegen seiner J u s t i z v e r w a l t u n g s t ä t i g k e i t „ w i r k s a m u n d n a c h h a l t i g z u e n t l a s t e n " , ist auch wegen der L e i t u n g s f u n k t i o n u n d O r g a n i s a t i o n s v e r a n t w o r t u n g des P r ä s i d i u m s verfehlt. 157 s. - m. w. N . - Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 5. A u f l . , M ü n c h e n 1995, § 26 Rn. 30 ff., insb. 33 ff.; Kissel, Gerichts Verfassungsgesetz, 3. A u f l . , M ü n c h e n 2001, Rn. 89 ff., insb. 93 ff. iss Das aus A r t . 97 Abs. 1 G G hergeleitete Gebot (BVerfGE 55, 372 [389]), z u r Bes c h r ä n k u n g v e r m e i d b a r e r E i n f l u s s n a h m e n der E x e k u t i v e auf die rechtsprechende G e w a l t m ö g l i c h s t w e n i g Beförderungsämter vorzusehen, verweist m e h r auf e i n P r o b l e m als dass es gelöst / e i n g e d ä m m t w i r d u n d erscheint i n einer Z e i t , i n der ansonst e n i m öffentlichen D i e n s t ü b e r leistungsbezogene Besoldungsbestandteile d i s k u t i e r t w i r d , o h n e h i n anachronistisch.
159 N a c h einer U n t e r s u c h u n g einer j u s t i z i n t e r n e n A r b e i t s g r u p p e des Nds. Justizm i n i s t e r i u m s aus d e m Jahre 2000 g i b t es auch A n h a l t s p u n k t e f ü r geschlechtsspezifische Beurteilungsverzerrungen. 160 Wassermann
( F N 25), A r t . 97 Rn. 37.
161 U n t e r d e m A s p e k t unzulässiger E i n f l u s s n a h m e der E x e k u t i v e s.a. Groß, 1999, S. 361 (362); s.a. Schulze-Fielitz ( F N 54), A r t . 97 Rn. 37. 162 B G H Z 90, 4 1 (45 f.) = N J W 1984, S. 2531.
ZRP
163 B G H D R i Z 1991, S. 20 ff.; z u r Z u l ä s s i g k e i t v o n R ü c k s t a n d s l i s t e n B G H D R i Z 1978, S. 185 f.
172
Uwe Berlit
terliche T ä t i g k e i t u n d i h r e Q u a l i t ä t voraus (bei u n t e r d u r c h s c h n i t t l i c h e n Erledigungszahlen etwa die A n n a h m e , dass die r i c h t e r l i c h e n „Referenzpersonen" ihrerseits die Q u a n t i t ä t auch i n der angezeigten / erforderl i c h e n Q u a l i t ä t erbringen). Sie k ö n n e n i m ü b r i g e n just jenen m i t t e l b a r e n D r u c k b e w i r k e n , das Verhältnis v o n Q u a n t i t ä t u n d Q u a l i t ä t r i c h t e r l i c h e r T ä t i g k e i t z u Gunsten der ersteren z u verschieben, f ü r den das I n s t r u m e n t der Dienstauf sieht an sich n i c h t zur Verfügung stehen s o l l . 1 6 4 c) Institutionalisierte Stärkung
professionelle
der Dienstaufsicht
durch Schaffung
verbindlicher
litäts- / Benchmarkingzirkel gerichtlichen
Dialog,
richtskunden" barkeiten:
gerichtsinterner o.ä.) für
vorzuziehen,
(ζ. B. Anwälte,
Behörden)
Selbstkontrolle:
ist die professionelle
165
den
Gegenüber Selbstkontrolle,
Verfahren
inner gerichtlichen
in die in geeigneten
in den öffentlich-rechtlichen
eingebunden
werden
und Foren oder
einer insb. (Quaüber-
Fällen auch „ GeFachgerichts-
können.
E i n i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e r gerichtsinterner D i s k u r s über Standards, Q u a l i täts-, Verfahrens- u n d Organisationsfragen entspricht Vorstellungen m o derner Organisation u n d k n ü p f t an laufende Diskussionen über eine Stärk u n g der S e l b s t v e r w a l t u n g u n d S t ä r k u n g der Beteiligungsgremien an. M ö g liche Vorteile und Chancen sind: - E i n „enthierarchisierter D i a l o g " vermeidet die d i r e k t e K o p p e l u n g m i t hierarchischen A u f s i c h t s m i t t e l n u n d d e m Beurteilungswesen u n d entspricht so eher der „professionellen S e l b s t k o n t r o l l e " . E r verbreitert die Basis der vielfach i n Gerichten anzutreffenden „ K a f f e e r u n d e n " als „ i n f o r m e l l e r " , spruchkörperübergreifender Q u a l i t ä t s z i r k e l . - E i n e auf D i s k u r s gründende K o n t r o l l - u n d V e r a n t w o r t l i c h k e i t s s t r u k t u r entspricht der stark auch v o n k o m m u n i k a t i v e n Elementen geprägten r i c h t e r l i c h e n Tätigkeit. - Sie ist offen f ü r eine (ständige, sektorale oder anlassbezogene) B e t e i l i g u n g des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Dienstes u n d die p u n k t u e l l e E i n b e z i e h u n g externer „ J u s t i z k u n d e n " . - Sie f ü h r t d u r c h Vernetzung der K o m m u n i k a t i o n die v i e l f ä l t i g e n I n f o r m a t i o n e n u n d Aspekte zusammen u n d ist so geeignet, die n o t w e n d i g e P l u r a l i t ä t der (jeweiligen) Richterschaft abzubilden. D e m stehen mögliche Nachteile
und Risiken
gegenüber:
- E i n e systematische innergerichtliche D i s k u s s i o n über Standards, Q u a l i täts-, Verfahrens- u n d Organisationsfragen verlangt ein hohes Maß an
164 Papier, N J W 2001, S. 1089 (1093). 165 So auch Wassermann
( F N 25), A r t . 97 Rn. 31 f.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
173
Transparenz u n d I n f o r m a t i o n , das bereits f ü r sich a l l e i n geeignet ist, „sozialen D r u c k " zu entfalten. - D i e A n f o r d e r u n g e n an i n d i v i d u e l l e D i s k u r s - , L e r n - u n d A u f n a h m e b e r e i t schaft, den sachgerechten U m g a n g m i t dort erlangten I n f o r m a t i o n e n u n d seine zielführende
Organisation
(einschließlich der
Themenauswahl)
stellt an alle B e t e i l i g t e n neue u n d n i c h t geringe Anforderungen. Dies g i l t mangels A n o n y m i s i e r u n g n a m e n t l i c h dann, w e n n Fragen unterschiedlicher Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft oder exemplarisch einzelne „ F e h l e n t w i c k l u n g e n " z u r Sprache kommen. E r ist u n t e r den B e d i n g u n gen hierarchischer G e r i c h t s s t r u k t u r e n u n d beurteilungsabhängiger K a r rierechancen n i c h t als idealer „herrschaftsfreier D i s k u r s " d e n k b a r u n d erfordert S e n s i b i l i t ä t gegenüber dem Problem, dass er n i c h t i n „ o r g a n i siertes M o b b i n g " umschlagen darf. - Diskursgestützte
Selbstkontrollsysteme
sind
relativ
aufwendig.
Bei
k n a p p e n (richterlichen) Ressourcen k ö n n e n sie die Probleme effektiven Rechtsschutzes auch i n der Z e i t noch verstärken. Dies g i l t a l l z u m a l b e i A n n a h m e einer - hier b e f ü r w o r t e t e n - D i e n s t p f l i c h t z u r T e i l n a h m e . 1 6 6 - D i e I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g neuer „ G r e m i e n " k a n n ihrerseits zu k o n t r a p r o d u k t i v e r Ressourcenverschleuderung 1 6 7 u n d z u r D i f f u n d i e r u n g
von
derzeit bei dem Präsidenten oder der P r ä s i d e n t i n zentralisierter K o n t r o l l - u n d St euerungs ver a n t w o r t u n g führen. Bei sorgsamer Ausgestaltung überwiegen e i n d e u t i g die Chancen. - Z u dieser Ausgestaltung gehört u. a., dass die r i c h t e r l i c h e Selbstverwalt u n g auch i m ü b r i g e n gestärkt u n d der Prozess selbst u n t e r k o l l e k t i v e r r i c h t e r l i c h e r K o n t r o l l e steht. Dies ist f ü r m i c h einer der Gründe, der hierarchischen Gerichtsspitze ein P r ä s i d i u m neuer A r t m i t erweiterten A u f gaben u n d B e f u g n i s s e n 1 6 8 z u r Seite zu stellen: Das derzeit n i c h t m i t A u f 166 N u r a m Rande sei v e r m e r k t , dass i m B e n c h m a r k i n g p r o j e k t Sozialgerichte N W z w a r die Z a h l der k r a n k h e i t s b e d i n g t e n Fehltage, n i c h t aber die d u r c h F o r t b i l d u n g s oder Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g s a k t i v i t ä t e n entstandenen Fehltage erfasst w o r d e n sind. Von diesem P r o b l e m w i r d h ä u f i g e r i n der u n i v e r s i t ä r e n S e l b s t v e r w a l t u n g berichtet. 168 D a z u gehören neben der klassischen, Managementelemente bergenden F u n k t i o n der Geschäftsverteilung insb.: - die D i e n s t a u f sieht ü b e r die R i c h t e r i n n e n u n d Richter, b e i der die „ K o l l e k t i v i e r u n g " einen r e l a t i v e n Verfahrensschutz h i n s i c h t l i c h einer gewissen q u a l i t a t i v e n A u s d e h n u n g bietet, - die H e r a n z i e h u n g v o n R i c h t e r n u n d R i c h t e r i n n e n z u V e r w a l t u n g s a u f g a b e n (einschließlich A u f g a b e n der Referendarausbildung), - g e r i c h t s i n t e r n e P e r s o n a l e n t w i c k l u n g ( i n k l . F o r t b i l d u n g s m a ß n a h m e n u n d die B e t e i l i g u n g a m Beurteilungswesen), - Anstoß, G e s t a l t u n g u n d „ K o n t r o l l e " g e r i c h t s i n t e r n e r M a ß n a h m e n z u r Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g (insb. u n t e r d e m A s p e k t der W a h r u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t ) , - S c h w e r p u n k t s e t z u n g e n b e i der g e r i c h t s i n t e r n e n Ressourcenverwendung sowie - A u s g e s t a l t u n g der „ C o n t r o l l i n g s t r u k t u r e n " .
174
Uwe Berlit
gaben der G e r i c h t s v e r w a l t u n g i.e.S. befasste P r ä s i d i u m ist - zumindest m i t t e l f r i s t i g - z u einem Organ k o l l e k t i v e r G e r i c h t s l e i t u n g auszubauen, das n a m e n t l i c h bei budgetrelevanten Entscheidungen d u r c h H i n z u t r e t e n v o n Repräsentanten des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Personals z u einem „ B u d g e t r a t " zu erweitern ist. - Ausgestaltungsbedürftig ist auch die Informationsverwendung. Das K o n t r o l l - u n d Beeinflussungspotential k o n t i n u i e r l i c h erhobener, differenzierter D a t e n z u a l l e n A s p e k t e n des Gerichtsgeschehens, die schon heute erhoben w e r d e n (können), ist n i c h t z u unterschätzen, die k o n t i n u i e r l i c h e n controllingbezogenen Datenaufbereitungen f ü h r e n z u einer q u a l i t a t i v e n Veränderung u n d w e i t e r e n Intensivierung. D i e D a t e n v e r b r e i t u n g
und
-Verwendung ist gerichtsintern zu zielgerichteten Diskussionen u n d Maßn a h m e n auch i n A b w ä g u n g z u r p o t e n t i e l l e n Beeinflussung r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t gerechtfertigt. D i e berechtigte Forderung, sie an höhere Ebenen n u r i n aggregierter Form w e i t e r z u g e b e n , 1 6 9 ist n i c h t n u r eine Frage der A k z e p t a n z . Dies ist r e c h t l i c h geboten, w e i l - sich m i t der Weitergabe der Nutzungszusammenhang der D a t e n ändert, - die M ö g l i c h k e i t verloren geht, u n m i t t e l b a r i m D i s k u r s auf die I n t e r p r e t a t i o n dieser D a t e n e i n z u w i r k e n u n d - damit
die
Gefahr
der
Fehlinterpretation
oder
des
Fehlgebrauchs
wächst. d) Kollektive rensgestaltung sorgsamer
inner gerichtliche
Standardsetzung?
ist auch über den Bereich
Verfahrens aus g estaltung
Standardsetzung
mit „semiverbindlicher
Im Bereich
der „äußeren
Ordnung"
über eine kollektive " Wirkung
der Verfahhinaus
bei
inner gerichtliche
nachzudenken.
Systematisierung u n d I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g b i s l a n g weitgehend p u n k t u e l ler u n d informeller Diskurse verändern dessen S t r u k t u r . Das P r o b l e m lässt sich i n der Frage zuspitzen, i n w i e w e i t u n d i n w e l c h e m Verfahren i n n e r h a l b des gesetzlich gezogenen Rahmens n a m e n t l i c h i m Bereich r i c h t e r l i c h e n E r messens eine ergänzende innergerichtliche „ S t a n d a r d s e t z u n g " m i t semiverb i n d l i c h e r W i r k u n g zulässig sein k a n n . 1 7 0 Semiverbindliche W i r k u n g soll heißen, dass die Standardsetzung wegen fortbestehender i n d i v i d u e l l e r E n t scheidungsmacht u n d - V e r a n t w o r t u n g u n t e r h a l b der Schwelle der „ W e i sung" bzw. eines „Verbotes" z u liegen hat, anders z u e n t s c h e i d e n / v o r z u g e hen, sie aber als eine A r t „ermessensleitende R i c h t l i n i e " m e h r als bloßen I n -
169 DRiB, 170
Q u a l i t ä t ( F N 55), Nr. I I I . 1.
Dies setzt die M ö g l i c h k e i t einer dezentralen, p a r t i a l e n S t a n d a r d b i l d u n g voraus. D i e L ö s u n g des S t a n d a r d p r o b l e m s h ä l t Voßkuhle, i n diesem H e f t S. 42 f , indes f ü r unmöglich.
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
175
formations- u n d Angebotscharakter h a t . 1 7 1 D i e m ö g l i c h e n W i r k u n g e n h ä n gen v o n A r t u n d I n h a l t der gefundenen Standards ab. M ö g l i c h e Beispiele sind: - Sie k ö n n e n G r u n d l a g e f ü r organisatorische Entscheidungen der Ger i c h t s v e r w a l t u n g sein (ζ. B. bei Verständigung auf einen an v i e l e n G e r i c h ten schon p r a k t i z i e r t e n regelmäßigen Verzicht auf die Beiziehung einer Protokollführungskraft). - Sie k ö n n e n innergerichtliche Begründungs- u n d Rechtfertigungslasten bewirken. - H i e r a n k ö n n e n auch i m E i n z e l f a l l verursacherorientierte
Ressourcen-
zuweisungsentscheidungen g e k n ü p f t w e r d e n , 1 7 2 ζ. B. h i n s i c h t l i c h der Sachmittelausstattung.173 - Sie k ö n n e n abwägungserheblicher Faktor f ü r die Präsidiumsentscheidungen über die Z u t e i l u n g b e s t i m m t e r Geschäfte u n d / oder r i c h t e r l i c h e n Personals sein, soweit sie die Q u a n t i t ä t einer h i n s i c h t l i c h der Q u a l i t ä t s anforderungen näher definierten Aufgabenerledigung bestimmen. Solche semiverbindlichen W i r k u n g e n bergen unbestreitbar R i s i k e n u n d Probleme. B e i sorgsamer Ausgestaltung des Verfahrens sind, sie aber i m Ergebnis t r o t z ihres „soft l a w " - C h a r a k t e r s anzuerkennen. Sie setzen einen offenen, b r e i t e n u n d h i n r e i c h e n d transparenten Diskursprozess voraus. - D i e p r i n z i p i e l l e M ö g l i c h k e i t aller Richter u n d R i c h t e r i n n e n der b e t r o f fenen E i n h e i t , sich an der D i s k u s s i o n z u beteiligen, ist u m so wichtiger, je d i c h t e r die Standardsetzung an die M ö g l i c h k e i t einer stets auszuschließenden d i r e k t e n Beeinflussung der Sachentscheidung
heranzurücken
171 I m m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e n Bereich k e n n e n w i r solche „ S t a n d a r d s " etwa b e i d e n U n t e r h a l t s r i c h t l i n i e n verschiedener O L G s oder d e m „ S t r e i t w e r t k a t a l o g f ü r die Verwaltungsgerichtsbarkeit" . 172 Dies ist n i c h t gleichzusetzen m i t einer - a b z u l e h n e n d e n - spruchkörperbezogenen Budgetierung. 173 A b z u l e h n e n ist eine m i t u n t e r vorgeschlagene (Weth, P r ä m i e n f ü r gute Richter, in: S c h m i d t c h e n / W e t h [Hrsg.], D e r Effizienz auf der Spur. D i e F u n k t i o n s f ä h i g k e i t der Justiz i m L i c h t e der ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e des Rechts, S. 220 [229 ff.]) bzw. e r w o gene {Maurer, D R i Z 2000, S. 65 [69]) erledigungsbezogene B e s o l d u n g bzw. L e i s t u n g s zulage: E i n e a n den j e w e i l i g e n E r l e d i g u n g e n ansetzende, gar „ s t ü c k z a h l a b h ä n g i g e " R i c h t e r b e s o l d u n g schaffte - a u c h b e i bloßer E r g ä n z u n g s f u n k t i o n ( „ L e i s t u n g s z u l a gen") - f ü r d e n A l l t a g s b e t r i e b der Justiz u n ü b e r w i n d b a r e Bemessungs-, B e w e r t u n g s u n d Verteilungsprobleme, ließe eine (weitere) E r o s i o n des „ B e r u f s e t h o s " erwarten, setzte i n d i v i d u e l l e ökonomische „ S t e u e r u n g s i m p u l s e " , deren W i r k u n g e n schwer a b schätzbar s i n d u n d jedenfalls n i c h t eine generelle A k t i v i e r u n g v o n Eifizienzreserven e r w a r t e n lassen, u n d potenzierte die P r o b l e m e der Festlegung der Standards f ü r eine q u a l i t a t i v h o c h w e r t i g e Rechtsprechung, w e i l diese z u s ä t z l i c h m i t u n m i t t e l b a r w i r k e n d e n Verteilungsentscheidungen g e k o p p e l t w ü r d e n . E t w a i g e positive E r f a h r u n g e n m i t R i c h t e r n i m N e b e n a m t i n der Landesverfassungsgerichtsbarkeit (so w o h l a m Landesverfassungsgericht B e r l i n ) s i n d schon wegen deren ökonomischer A b s i c h e r u n g d u r c h die j e w e i l i g e „ H a u p t t ä t i g k e i t " n i c h t übertragbar.
176
Uwe Berlit
geeignet ist oder je höher der faktische V e r b i n d l i c h k e i t s g r a d gefundener Standards / Regeln ist. N i c h t erforderlich ist indes eine tatsächliche Teilnahme oder ein E i n s t i m m i g k e i t s p r i n z i p . - Sicherzustellen ist ein angemessener „ M i n d e r h e i t e n s c h u t z " .
I I I . Schlussbemerkung D e r hier i n ausfüllungsbedürftigen Umrissen angeregten Rejustierung r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t geht es n i c h t u m deren grundlegende N e u d e f i n i t i o n oder gar schleichende Abschaffung. Sie p l ä d i e r t f ü r eine v e r a n t w o r t l i c h e M i t w i r k u n g der Richterschaft an einer B i n n e n m o d e r n i s i e r u n g der Justiz, die n i c h t auf eine auf betriebswirtschaftliche D i m e n s i o n e n verk ü r z t e Steigerung v o n Rechtsprechungseffizienz zielt; sie ist einzupassen i n eine systematische Qualitätsdiskussion u n d - v o r a l l e m - i n eine S t ä r k u n g der Selbstverwaltung der G e r i c h t e . 1 7 4 I n den laufenden, u n ü b e r s i c h t l i c h e n Veränderungsprozessen überwiegen die offenen Fragen. D e r B e i t r a g versucht, f ü r die n o t w e n d i g e n Diskussionsprozesse R i c h t u n g e n anzudeuten, i n die w e i t e r nachzudenken ist, n i c h t ein fertiges K o n z e p t z u präsentieren. K o n z e p t i o n s - u n d
Diskussionsbedarf
besteht aus meiner Sicht insb. i n folgenden Bereichen: - F ü r die Ü b e r f ü h r u n g der b i s l a n g auf Kostenerfassung u n d -transparenz setzenden Kosten-Leistungsrechnungen u n d der bisherigen Budgetierungsansätze, die i n der Sache n i c h t über eine dezentrale, f l e x i b l e M i t t e l v e r w a l t u n g bei i n p u t o r i e n t i e r t e r M i t t e l z u w e i s u n g hinausreichen, i n eine produktbezogene, o u t p u t o r i e n t i e r t e Budgetbemessung steht die L ö s u n g zahlreicher Probleme n o c h aus; die offenen Fragen s i n d so gew i c h t i g , dass der v o n den F i n a n z m i n i s t e r i e n angestrebte Ü b e r g a n g n i c h t gesichert scheint. H i e r w i r d zudem der G r a d p o l i t i s c h e r Ü b e r f o r m u n g rationalisierter Budgetanforderungen, die Skepsis gegenüber d i r e k t e n Budgetantragsrechten der Justiz w e c k t , ebenso sorgsam zu beobachten sein w i e die bisherige D e t a i l d i c h t e v o n P r o d u k t b i l d u n g u n d Kostenerfassung darauf z u befragen sein w i r d , welchen I n f o r m a t i o n s - u n d „Steuer u n g s n u t z e n " sie tatsächlich b r i n g t . - F ü r die hier n u r angedeutete Differenzierung der S c h u t z i n t e n s i t ä t r i c h terlicher U n a b h ä n g i g k e i t s i n d dogmatisch operationalisierbare K r i t e r i e n erst noch zu e n t w i c k e l n ; sie w e r d e n auf die erst n o c h zu entfaltenden Mechanismen i n t e r n e r „ Q u a l i t ä t s s i c h e r u n g " a b z u s t i m m e n sein.
174 s. DRiB, S e l b s t v e r w a l t u n g ( F N 9) sowie die Beiträge v o n Groß u n d Dästner, diesem H e f t S. 217 ff. bzw. S. 201 ff.
in
R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d effektiver Rechtsschutz
177
- E i n e n S c h w e r p u n k t w i r d aber die k ü n f t i g e Ausgestaltung r i c h t e r l i c h e r bzw. gerichtlicher S e l b s t v e r w a l t u n g u n d i h r e A b s t i m m u n g m i t den M i t w i r k u n g s r e c h t e n des n i c h t r i c h t e r l i c h e n Personals b i l d e n (einschließlich einer N e u b e s t i m m u n g der Rolle der Präsidenten u n d Präsidentinnen). M i t seinem an ausländischen V o r b i l d e r n orientierten Diskussionsmodell hat der Deutsche R i c h t e r b u n d eine neue Phase der D i s k u s s i o n eingeleitet; andere A n s ä t z e 1 7 5 zielen eher auf eine Fortschreibung gerichtsinterner k o l l e k t i v e r Steuerung i m Rahmen des bestehenden Systems (Ausbau Präsidium). - E i n e n Teilaspekt b i l d e n hier die Rekrutierungsfragen i m Spannungsfeld v o n demokratischer V e r a n t w o r t u n g u n d K o o p t a t i o n . N u t z e n , Voraussetzungen u n d Grenzen einer stärkeren „ P a r l a m e n t a r i s i e r u n g " d u r c h (gemischte) Richterwahlausschüsse u n t e r B e t e i l i g u n g der Richterschaft s i n d i m Rahmen einer verfassungs- u n d rechtspolitischen Z w e c k m ä ß i g k e i t s entscheidung auch m i t e r w a r t b a r e n A u s w i r k u n g e n auf eine gezielte Pers o n a l e n t w i c k l u n g i m r i c h t e r l i c h e n Bereich abzuwägen. D e r D i s k u s s i o n ist eine intensive B e g l e i t u n g d u r c h Rechts- u n d Verwaltungswissenschaft z u wünschen, die neben einer Reflexion der (verfass u n g s r e c h t l i c h e n Rahmenbedingungen d u r c h systematische A u s w e r t u n g der i m Rahmen der zahlreichen M o d e l l p r o j e k t e gewonnenen Erkenntnisse auch I n f o r m a t i o n e n z u den t a t s ä c h l i c h e r w a r t b a r e n W i r k u n g e n v o n S t r u k t u r - u n d Organisationsänderungen beisteuern sollte.
Nr. 3 E c k p u n k t e p a p i e r des B D V R z u r r i c h t e r l i c h e n S e l b s t v e r w a l t u n g (als D i s kussionsgrundlage f ü r die M i t g l i e d s verbände), M ü n s t e r N o v e m b e r 2001. 12 Die Verwaltung, Beiheft 5
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat" Von M i c h a e l Reinhardt, T r i e r *
I. Einführung Das I n s t i t u t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t z ä h l t z u den tragenden F u n d a m e n t e n der grundgesetzlichen Ordnung. Seine positive Benennung l e d i g l i c h i n A r t . 97 Abs. 1 G G k a n n n i c h t darüber hinwegtäuschen, daß es i n gleicher Weise wesentlicher Bestandteil der änderungsfesten Rechtsstaatlichkeit i s t 1 w i e es zugleich z u m allgemein a n e r k a n n t e n Gehalt der f r e i h e i t l i c h e n demokratischen G r u n d o r d n u n g z ä h l t 2 . Das gewaltenteilende System ist nach der auch insoweit n o c h maßgeblich v o n den E r f a h r u n g e n u n t e r dem Nationalsozialismus geprägten Vorstellungswelt des Grundgesetzes darauf angewiesen, das K o n t r o l l s u b j e k t erheblich schärfer von den K o n t r o l l o b j e k t e n zu scheiden, als dies i m Verhältnis zwischen erster u n d zweiter G e w a l t g e m e i n h i n f ü r n o t w e n d i g befunden w i r d . S p r a c h l i c h auffall e n d w i r d dies u n t e r anderem d a d u r c h offenbar, daß die rechtsprechende G e w a l t n a c h A r t . 92 Satz 1 G G den R i c h t e r n anvertraut
ist - eine K o n s t r u k -
t i o n , die das Grundgesetz an anderer Stelle n i c h t m e h r v e r w e n d e t 3 . Dieses besondere Vertrauen i n die m i t der W a h r u n g des Rechts befaßte G e w a l t * L e i c h t erweiterte u n d m i t F u ß n o t e n versehene Fassung eines Vortrags, den Verf. auf d e m Symposion „ J u s t i z u n d J u s t i z v e r w a l t u n g z w i s c h e n Ö k o n o m i s i e r u n g s d r u c k u n d U n a b h ä n g i g k e i t " a m 15. M ä r z 2002 i n W ü r z b u r g gehalten h a t . S o w e i t f ü r s i n n v o l l erachtet, s i n d a n der einen oder anderen Stelle k l e i n e r e E r g ä n z u n g e n auf G r u n d der aus der D i s k u s s i o n gewonnenen E r k e n n t n i s s e eingeflossen. 1 A r t . 20 Abs. 3 , 7 9 Abs. 3 G G ; siehe d a z u M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 81 ff., 98 ff.; H. Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), G r u n d g e s e t z - K o m m e n tar, B a n d I I I , 2000, A r t . 97, A n m . 14; K. Stern, Das Staatsrecht der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , B a n d I, 2. A u f l a g e 1984, S. 845; z u r E r s t r e c k u n g der E w i g k e i t s g a r a n t i e auf die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t s. R. Herzog, in: T. M a u n z / G . D ü r i g , GG, A r t . 20, V I I , A n m . 38; R. Pitschas, i n : ders. (Hrsg.), D i e Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t , 1999, S. 59 (74). 2 B V e r f G E 2, 1 (12f.); Ρ Kunig, in: J. Isensee/P. K i r c h h o f (Hrsg.), H a n d b u c h des Staatsrechts, B a n d I I , 2. A u f l a g e 1998, S. 103 (122). 3 M. Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 92; Κ. Stern, Das Staatsrecht der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , B a n d I I , 1980, S. 893; R. Wassermann, A u c h die Justiz k a n n aus der Geschichte n i c h t aussteigen, 1990, S. 183; die V e r w e n d u n g desselben Worts i n A r t . 34 Satz 1 G G setzt d e m gegenüber das anvertraute A m t voraus, ist also i m Gegensatz z u A r t . 92 G G n i c h t k o n s t i t u t i v z u verstehen.
12
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Michael Reinhardt
w i r d n i c h t zuletzt genährt u n d gerechtfertigt d u r c h die n o r m a t i v angelegte O b j e k t i v i t ä t der Judikative, die i n der G e w ä h r l e i s t u n g r i c h t e r l i c h e r U n abhängigkeit ihre k o n s t i t u t i o n e l l e V o l l e n d u n g findet. Solche Ü b e r h ö h u n g einer m i t u n t e r auch bis über tolerable Grenzen hinaus strapazierten G a r a n t i e 4 d ü r f t e zudem der G r u n d f ü r den durchaus bemerkenswerten U m s t a n d gewesen sein, daß sich die d r i t t e G e w a l t - das Bundesverfassungsgericht ausgenommen - überraschend lange der Inbesitznahme der auf
einem
insoweit w o h l bewußt u n d gezielt g ä n z l i c h mißverstandenen A r t . 21 Abs. 1 G G 5 gegründeten Parteienmacht weitgehend zu entziehen gewußt hat, u n d - h i e r m i t zusammenhängend - daß die Justiz i n der B e w e r t u n g der Öffentl i c h k e i t stets einen oberen Platz beanspruchen konnte. Erst i n jüngerer Z e i t hatte eine breitere Öffentlichkeit z u r K e n n t n i s zu nehmen, daß auch die Gerichtsbarkeit m i t u n t e r durchaus A n l a ß z u Verdrossenheit bietet, w e n n beispielsweise selbst eine de lege artis getroffene E n t s c h e i d u n g sich dem Volk n u r m e h r schwer v e r m i t t e l n läßt oder w e n n das Parteibuch n i c h t m e h r n u r z u Spitzenpositionen i n der Justiz v e r h i l f t , was f r e i l i c h keineswegs v ö l l i g neu ist, sondern i n z w i s c h e n darüber hinaus auch über Z w e i f e l an der fachlichen Q u a l i f i k a t i o n eines Bewerbers erhaben z u sein s c h e i n t 6 , 7 . D a neben stehen rechtliche I n s t i t u t i o n e n u n d Verfahren u n d d a m i t auch die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t heute m e h r denn je u n t e r dem Z w a n g i h r e r Rechtfertigung aus w i r t s c h a f t l i c h e m W i n k e l . D e r gerne beschworene „ ö k o nomisierte S t a a t " , i n dem jegliches H a n d e l n u n t e r den ständigen Vorbehalt seiner w i r t s c h a f t l i c h e n S i n n h a f t i g k e i t gestellt w i r d , negiert kategorisch die Zulässigkeit u n w i r t s c h a f t l i c h e n Vorgehens der öffentlichen H a n d u n d ersetzt die materielle B e g r ü n d u n g w o h l f e i l m i t dem lapidaren, aber i m m e r w i e d e r höchst w i r k u n g s v o l l e n Verweis auf die Verwendung v o n Steuergeldern. „ F i a t i u s t i t i a et pereat m u n d u s " heißt die Schreckensvision einer sich v e r m e i n t l i c h i n Q u i s q u i l i e n verlierenden S t a a t l i c h k e i t , f ü r die jeder eifrige Leser der Boulevardpresse rasch hanebüchene Beispiele anzuführen weiß. D e r i n der Tat groteske z i v i l g e r i c h t l i c h e Streit u m den hosenlosen Z w e r g i n des Nachbars G a r t e n 8 , der die Justiz d a r a n h i n d e r t , i n angemes4 M. Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 102, 206; D. Simon, h ä n g i g k e i t des Richters, 1975, S. 15; jeweils m i t w e i t e r e n Nachweisen. 5 Η. Η. v. Arnim, D Ö V 1985, S. 593; siehe a u c h Η. Η. v. Arnim, geordnete u n d das Geld, 1991, S. 23 f.
Die Unab-
D i e Partei, der A b -
6 O V G Schleswig, Beschluß v o m 15. 10. 2001, Az. 3 M 3 4 / 0 1 (unveröffentlicht); k r i t i s c h z u r P r a x i s der Besetzung v o n R i c h t e r s t e l l e n J. Jahn, D R i Z 2001, S. 424 ff.; S. Detjen, D R i Z 2000, S. 208 ff.; W. Ewer, S c h l H A 1996, S. 326 ff. 7 A m Rande e r w ä h n e n s w e r t erscheint der U m s t a n d , daß das deutsche R i c h t e r r e c h t die U n a b h ä n g i g k e i t des K a n d i d a t e n anders als etwa A r t . 223 Abs. 1 E G V ( „ j e d e Gew ä h r f ü r die U n a b h ä n g i g k e i t b i e t e n " ) n i c h t e x p l i z i t als EinstellungsVoraussetzung anführt. 8 Siehe z. B. A G Essen-Borbeck, N J W - R R 2000, S. 461 f.; jüngstes Beispiel: die „ b l e n d e n d e " 4 0 - W a t t - G l ü h b i r n e als G a r t e n b e l e u c h t u n g , L G Wiesbaden, U r t e i l v o m 19. 12. 2001, Az. 10 S 4 6 / 0 1 (unveröffentlicht).
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
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sener Z e i t auch über Wesentlicheres z u entscheiden u n d medienversierte Wirtschaftskapitäne i m m e r w i e d e r eilfertig m i t der Preisgabe des „ W i r t schaftsstandorts D e u t s c h l a n d " drohen läßt, w i r d z u m gefällig k o n s t r u i e r t e n Menetekel, das nachgerade dazu drängt, sich m i t der rechtsprechenden Gew a l t aus ökonomischer Perspektive zu befassen u n d b a l d nach geeignetem Wandel z u verlangen. A b e r auch jenseits solch p l a k a t i v e r Auswüchse w i r d ein objektives Bedürfnis empfunden, nach der W i r t s c h a f t l i c h k e i t gerichtl i c h e n Entscheidens zu fragen. D i e teilweise bemerkenswerte D a u e r hiesiger Gerichtsverfahren, die den Europäischen Gerichtshof f ü r Menschenrechte m e h r als n u r gelegentlich befaßt h a t 9 u n d die den Parteien zunehm e n d den Weg zu außergerichtlicher S c h l i c h t u n g nahelegt, w i r d g e m e i n h i n m i t der erheblichen Ü b e r l a s t u n g der Richter i n einem Staat e r k l ä r t , der i m m e r h i n über eine Richterdichte verfügt, die i n E u r o p a ihresgleichen sucht. Z u viele Richter u n d z u lange Verfahren i n d i z i e r e n u n w i r t s c h a f t l i c h e u n d d a m i t zugleich k o r r e k t u r b e d ü r f t i g e S t r u k t u r e n u n d Verfahren. „Fast L a w " also als zeitgemäßes ökonomisches Gebot der Stunde? D i e d a m i t n o t w e n d i g verbundene R e l a t i v i e r u n g der b i s l a n g nahezu e i n h e l l i g nachgerade als unantastbar verstandenen r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t ist ebenso offenk u n d i g w i e beispiellos. Aus der S i c h t der Staatsrechtslehre k a n n es bei der näheren Beschäftigung m i t diesem B e f u n d indes n i c h t d a r u m gehen, eine umfassende ökonomische Analyse der Rechtsprechung u n t e r dem G r u n d gesetz vorzulegen oder gar Wirtschaftsprüfer i n die Gerichte z u entsenden u n d sie Erweiterungssteckplätze u n d Speicherkapazitäten i n D i e n s t c o m p u t e r n katalogisieren sowie Beschilderungen u n d P a r k m ö g l i c h k e i t e n i n u n d an Gerichtsgebäuden aufnehmen u n d bewerten z u lassen. V i e l m e h r soll i m folgenden die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t als zentrale verfassungsrechtliche G e w ä h r l e i s t u n g der d r i t t e n G e w a l t d a r a u f h i n betrachtet wer-den, ob u n d gegebenenfalls i n w i e w e i t sie i n einem „ ö k o n o m i s i e r t e n S t a a t " einer N e u d e f i n i t i o n zugänglich ist u n d so d u r c h L o c k e r u n g z u m V e n t i l des i m Tagungsthema angesprochenen Ökonomisierungsdrucks i n der Justiz taugt.
I I . Z u den Grundpositionen der richterlichen Unabhängigkeit 1. Der historische Ausgangspunkt der Gewährleistung
Erscheinung u n d I n h a l t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t u n t e r d e m Grundgesetz werden ausschließlich v o r dem H i n t e r g r u n d i h r e r geschichtl i c h e n E n t w i c k l u n g i m Rahmen der Idee der G e w a l t e n t e i l u n g h i n r e i c h e n d 9 Z. B. E G M R N J W 1979, 477; N J W 1989, 652; N J W 1997, 2809ff.; N J W 2001, 211; N J W 2001, 213; J. A. Frowein, i n : J. Isensee/P. K i r c h h o f (Hrsg.), H a n d b u c h des Staatsrechts, B a n d V I I , 1992, S. 731 (755 f.); F. Lansnicker / T. Schwirtzek, N J W 2001, S. 1969 (1972).
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Michael Reinhardt
d e u t l i c h 1 0 . D i e v o n Montesquieu
zunächst eher als equilibristische A u s t a -
r i e r u n g der f ü r i m m a n e n t i n s t a b i l befundenen Z w e i t e i l u n g der G e w a l t e n i m Staatsmodell John Loches11
gedachte E i n f ü h r u n g der Rechtsprechung
als d r i t t e G e w a l t 1 2 schenkte den „ w i l l e n l o s e n Wesen, die weder die Schärfe noch die Strenge des Gesetzes zu m i l d e r n v e r m ö g e n " 1 3 , k a u m hinreichende Beachtung. D a die Urteilssprüche nichts anderes b e i n h a l t e t e n als eine genaue F o r m u l i e r u n g des Gesetzes 1 4 , sei die rechtsprechende G e w a l t „ i n gewisser Weise n i c h t v o r h a n d e n " 1 5 . Diese Charakterisierung, die schon i m 18. J a h r h u n d e r t k a u m zugetroffen haben dürfte, hat sich bis heute z w a r e n d g ü l t i g überlebt, b e s t i m m t aber n o c h i m m e r wenigstens „ i n gewisser Weise" E r s c h e i n u n g s b i l d u n d Selbstverständnis der d r i t t e n Gewalt. D i e F u n k t i o n der Rechtsprechung ist - z u m Leidwesen der R e c h t s i n f o r m a t i k zu keiner Z e i t auf die bloß algorithmische Transformation abstrakt-genereller Rechtssätze auf den E i n z e l f a l l beschränkt gewesen. I h r ist i m Gegent e i l die eigenständige Rechtsgestaltung bereits deswegen i m m a n e n t , da sich Rechtssetzung u n d Rechtsanwendung n i c h t k l a r voneinander scheiden lass e n 1 6 . I m D e u t s c h l a n d des 18. J a h r h u n d e r t s 1 7 konzentrierte sich das Bem ü h e n u m den Schutz bürgerlicher Freiheiten v o r der absolutistischen M a c h t a u s ü b u n g i n erster L i n i e auf den K a m p f gegen die p a r t i k u l a r s t a a t liche K a b i n e t t s j u s t i z , auf G r u n d derer sich die spätabsolutistischen Fürsten
10 D a z u M. Reinhardt, weisen.
Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 98 ff. m i t w e i t e r e n N a c h -
n J. Locke, 2 n d Treatise of G o v e r n m e n t , 1681. 12 C. de Montesquieu, E s p r i t des Lois, 1748, B u c h X I , K a p . 6.: „ S i elle [la puissance de juger] é t o i t j o i n t e à l a puissance législative, le p o u v o i r sur l a v i e et l a l i b e r t é des citoyens seroit a r b i t r a i r e ; sie elle é t o i t j o i n t e à l a puissance exécutrice, le juge p o u r r o i t avoir l a force d ' u n oppresseur".
ι 3 C. de Montesquieu, E s p r i t des L o i s , B u c h X I , K a p . 6: „ M a i s les juges de l a n a t i o n ne sont . . . que l a bouche q u i prononce les paroles de l a l o i ; des êtres i n a n i m é s q u i n ' e n peuvent modérer n i l a force n i l a r i g e u r " . 1 4 C. de Montesquieu, E s p r i t des Lois, B u c h X I , K a p . 6:" .. .si les t r i b u n a u x ne d o i vent pas être fixes, les jugements doivent l'être à u n t e l p o i n t q u ' i l s ne soient j a m a i s q u ' u n t e x t e précis de l a l o i . " . 1 5 C. de Montesquieu, E s p r i t des L o i s , B u c h X I , K a p . 6: „ D e s t r o i s puissances d o n t nous avons parlé, celle de j u g e r est en q u e l q u e façon n u l l e . I l n ' e n reste que d e u x " . 16 R. Herzog, in: Gesetz u n d R i c h t e r s p r u c h i n der Verfassungsordnung der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , 1991, S. 5 (6); J. Ipsen, R i c h t e r r e c h t u n d Verfassung, 1975, S. 34ff., 63 ff.; F. Müller, Richterrecht. E l e m e n t e einer Verfassungstheorie IV, 1986, S. 65, 68; F. Ossenbühl, in: J. Isensee/P. K i r c h h o f (Hrsg.), H a n d b u c h des Staatsrechts, B a n d I I I , 1988, S. 281 (298); M . Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 61 ff., 84ff., 311 ff., 329ff., 422 ff. u n d passim; Κ Stern, Staatsrecht I I ( F N 3), S. 946 f.; F. Wieacker, Gesetz u n d R i c h t e r k u n s t , 1958, S. 6 f.; R. Zippelius, N J W 1964, S. 1981 (1983).
1 7 Demgegenüber h a t t e die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t i n E n g l a n d bereits d u r c h d e n Act of Settlement aus d e m Jahre 1701 i h r e r e c h t l i c h e F i x i e r u n g erfahren, Α. V. Dicey, A n I n t r o d u c t i o n to t h e S t u d y of the L a w of t h e C o n s t i t u t i o n , 10. A u f l a g e 1959, N e u d r u c k 1987, S. 195, F n . 3; Κ. Kluxen, in: Η . Rausch (Hrsg.), Z u r h e u t i g e n P r o b l e m a t i k der G e w a l t e n t r e n n u n g , 1969, S. 131 (149).
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
183
das Recht nahmen, die E n t s c h e i d u n g einzelner Prozesse an sich z u ziehen oder den R i c h t e r n Einzelweisungen f ü r den Richterspruch z u e r t e i l e n 1 8 . Selbst das p r a k t i s c h h ä u f i g verfolgte, aber r e c h t l i c h n i c h t verankerte Ziel, die Machtsprüche z u m Wohle der U n t e r t a n e n einzusetzen 1 9 , vermochte auf Dauer den Ruf nach einer unabhängigen d r i t t e n G e w a l t n i c h t z u m Verstummen zu b r i n g e n 2 0 u n d g i n g schließlich auf i n der Niederlegung der sachl i c h e n u n d persönlichen r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t i n den verschiedenen Landesverfassungen 2 1 w i e auch i n der Paulskirchenverfassung 2 2 , die die K a b i n e t t s - u n d die M i n i s t e r i a l ] u s t i z a u s d r ü c k l i c h untersagen s o l l t e 2 3 . D o c h erst die V e r v o l l k o m m n u n g dieser essentiellen Voraussetzungen d u r c h den b ü r g e r l i c h e n L i b e r a l i s m u s n a c h dem Ende der Restauration ließ i m ausgehenden 19. J a h r h u n d e r t die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t i n der noch heute v o r f i n d l i c h e n A u s f o r m u l i e r u n g auf verfassungsverbindlicher
Ebene ent-
s t e h e n 2 4 . Gesetzesbindung u n d G e w ä h r l e i s t u n g des gesetzlichen Richters, reglementierte Richterernennung u n d Dienstaufsicht, Öffentlichkeits- u n d M ü n d l i c h k e i t s p r i n z i p ergänzten das per se u n z u l ä n g l i c h e Verbot der K a b i nettsjustiz u n d die E i n f ü h r u n g der I n a m o v i b i l i t ä t 2 5 z u einem neuartigen R i c h t e r b i l d . D i e liberalistische Vorstellung, einem derart
ausgestatteten
Richter n u n n u r noch einen m i t dem Geist der materiellen Gerechtigkeit beseelten Gesetzestext an die H a n d geben zu m ü s s e n 2 6 , formte den p o s i t i v i s t i schen H i n t e r g r u n d der u m die J a h r h u n d e r t w e n d e entstandenen G r o ß k o d i f i kationen. D i e E n t s t e h u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t i n i h r e r gegenw ä r t i g e n Gestalt k n ü p f t d a m i t gewissermaßen w i e d e r an das überkommene B i l d Montesquieus
v o m Richter als dem das Gesetz aussprechenden M u n d e
an, i n d e m es i h m a l l e i n die klassische Aufgabe der E n t s c h e i d u n g v o n Rechtsstreitigkeiten an H a n d ausschließlich legislativ erzeugter i n h a l t l i c h e r Maßstäbe z u w e i s t 2 7 . Schon der V o r w u r f gegen die K a b i n e t t s j u s t i z , n i c h t 18 D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. V o m F r a n k e n r e i c h bis z u r Teil u n g Deutschlands, 2. A u f l a g e 1992, S. 157.
19 So R. Wassermann
i n : A K - G G , B a n d 2, 1984, A r t . 97, A n m . 1.
20 A u f die D i s k r e p a n z z w i s c h e n W o r t e n u n d Taten w e i s t zutreffend D. Willoweit, Verfassungsgeschichte ( F N 18), S. 191, h i n , i n d e m er d e m Z i t a t Friedrichs II., „ I n d e n Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen u n d der Herrscher s o l l schweigen." dessen E i n g r e i f e n i n d e m Verfahren des M ü l l e r s A r n o l d gegenüberstellt. 21 W. Schaffer, B a y V B l . 1991, S. 641 (644). 22 §§ 175, 177 Paulskirchenverfassung; siehe a u c h J.-D. Kühne, D i e Reichs Verfassung der Paulskirche, V o r b i l d u n d V e r w i r k l i c h u n g i m späteren deutschen Rechtsleben, 1985, S. 358 ff. 23 § 175 Abs. 1 Satz 2 Paulskirchenverfassung.
24 D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 3 ff.; W. Schaffer, 1991, S. 641 (644).
BayVBl.
25 D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 4. 26 D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 106; W. Schaffer, 1991, S. 641 (644). 2? Ä h n l i c h D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 6 f.
BayVBl.
184
Michael Reinhardt
etwa unzulässigerweise die großen L i n i e n j u d i k a t i v e r E n t w i c k l u n g e n zu beeinflussen, sondern die einzelfallentscheidende A l l e i n z u s t ä n d i g k e i t des Richters z u usurpieren, prägte die r a t i o der entstehenden r i c h t e r l i c h e n U n abhängigkeit sohin i n einer auf die A n w e n d u n g vorgegebenen Rechtes, auf legis executio, begrenzten Form, die ohne A n s e h u n g der F o r t e n t w i c k l u n g der r i c h t e r l i c h e n T ä t i g k e i t weitestgehend unbeschadet bis i n unsere Z e i t überdauern sollte. D i e etwa z u r selben Z e i t erst ganz a l l m ä h l i c h einsetzenden Anfänge einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung m i t dem rechtschöpfenden R i c h t e r 2 8 k o n n t e n demgegenüber i n diese Genese n i c h t m e r k lich einwirken29. Das angehende 20. J a h r h u n d e r t behandelte das Phänomen der richterl i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t i n einer ausgreifenden, v o r n e h m l i c h p o l i t i s c h m o t i v i e r t e n D i s k u s s i o n u m das Verhältnis des Richters z u r staatlichen M a c h t . D i e scharfe K r i t i k an dem E r s c h e i n u n g s b i l d der aus w i l h e l m i n i s c h e r Z e i t ü b e r k o m m e n e n Justiz der Weimarer R e p u b l i k 3 0 gipfelte i n den zwanziger Jahren gar i n der Forderung Paul Lobes n a c h zeitweiliger Suspensierung der Gewährleistung, u m ein „großes Reinemachen" z u e r m ö g l i c h e n 3 1 . D i e nationalsozialistische Gleichschaltung der J u s t i z 3 2 f ü h r t e schließlich z u m Ende der Rechtsprechung als selbständiger Gewalt d u r c h die zunächst n u r faktische, später aber auch p o s i t i v - r e c h t l i c h e A u f h e b u n g der U n a b h ä n g i g k e i t der Rechtspflege 3 3 . Trotz der Rolle der Gerichtsbarkeit zwischen 1933 u n d 1945 als I n s t r u m e n t der Durchsetzung nationalsozialistischer H e r r s c h a f t 3 4 setzte das Bonner Grundgesetz faute de m i e u x i n besonderer Weise auf eine unabhängige Justiz als verfassungsrechtlich gesicherte Schranke politischer Herrschaft. 28 O. Bülow,
Ungeachtet der bereits e r w ä h n t e n
sprachlichen
Gesetz u n d R i c h t e r a m t , 1885.
29
I n s t r u k t i v i n s o w e i t die D a r s t e l l u n g b e i L . Enneccerus / H. C. Nipperdey, Allgem e i n e r T e i l des B ü r g e r l i c h e n Rechts, 15. A u f l a g e 1959, S. 124 ff. m i t w e i t e r e n N a c h weisen. 30 D a z u eingehend z. B. D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 4 1 ff., 45 ff. m i t z a h l r e i c h e n N a c h w e i s e n S. 58 ff. 31 So Reichstagspräsident Paul Lobe i m Jahre 1925, z i t i e r t n a c h D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 51; R. Wassermann, i n : A K - G G ( F N 19), A r t . 97, A n m . 5. 32 W Benz, i n : H . H e i n r i c h s / H . F r a n s k i / K . S c h m a l z / M . Stolleis (Hrsg.), Deutsche J u r i s t e n j ü d i s c h e r H e r k u n f t , 1993, S. 813 (834ff.); R. Grawert, i n : J. Isensee/P. K i r c h h o f (Hrsg.), H a n d b u c h des Staatsrechts, B a n d I, 1987, S. 143 (159); W. Johe, D i e gleichgeschaltete Justiz: O r g a n i s a t i o n des Rechtswesens u n d P o l i t i s i e r u n g der Rechtsprechung 1 9 3 3 - 1 9 4 5 , 1983; D. Willoweit, Verfassungsgeschichte ( F N 18), S. 321 f. 33 I m einzelnen A. Wagner, D i e U m g e s t a l t u n g der Gerichtsverfassung u n d des Verfahrens- u n d Richterrechts i m n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n Staat, i n : Q u e l l e n u n d D a r s t e l l u n g e n z u r Zeitgeschichte B a n d 16/1, 1968, S. 191, 205ff., 208ff., 216ff. 54 Siehe d a z u R. Grawert ( F N 32), S. 159 f.; M . Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts i n D e u t s c h l a n d I I I , 1999, S. 335 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d V, 2000, S. 799 ff.; R. Wassermann, A u c h die Justiz k a n n aus der Geschichte n i c h t aussteigen ( F N 3), S. 157 ff.
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
185
A k z e n t u i e r u n g e n u n d einzelner M o d i f i k a t i o n e n 3 5 k o n n t e an Text u n d I n t e r p r e t a t i o n der Weimarer Reichs Verfassung 3 6 a n g e k n ü p f t werden, u m die gerichtliche W a h r u n g des Rechts o b j e k t i v auszugestalten u n d v o r außergerichtlichen Einflüssen z u schützen. Z u g l e i c h w u r d e d u r c h die nachgerade hermetische Versiegelung der d r i t t e n G e w a l t d u r c h die A r t . 92 ff. G G eine weitgehende Tabuisierung der k r i t i s c h e n Auseinandersetzung
mit
der
Rechtsstellung des Richters b e w i r k t , die erst vergleichsweise spät z u erodieren b e g a n n 3 7 . Selbst die i m wesentlichen ab dem Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis z u m Rande der P o l e m i k 3 8
geführte
Debatte u m die Klassenjustiz u n d den p o l i t i s c h e n R i c h t e r 3 9 , die die d r i t t e G e w a l t als I n s t r u m e n t ü b e r w i e g e n d k o n s e r v a t i v - a u t o r i t ä r e r
Machtaus-
ü b u n g grundlegend i n Frage zu stellen s u c h t e 4 0 , vermochte sich i n der norm a t i v e n A u s f o r m u n g der Rechtsprechung n i c h t n a c h h a l t i g niederzuschlagen. Erst i n jüngerer Z e i t haben zunehmende M a c h t f ü l l e der Richter b e i w e i t h i n fehlender K o n t r o l l e , wachsende U n z u f r i e d e n h e i t m i t den Ergebnissen rechtsprechender T ä t i g k e i t , n i c h t zuletzt ausgelöst d u r c h einige p o l i t i sche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 4 1 ,
steigende, dabei
aber zugleich abnehmend verhohlene parteipolitische E i n f l u ß n a h m e n u n d Einflüsse sowie die hier i m V o r d e r g r u n d stehende ökonomische K r i t i k die Rechtsstellung der d r i t t e n G e w a l t u n d d a m i t auch die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t w i e d e r z u m Diskussionsgegenstand w e r d e n lassen.
35 Z u n e n n e n ist h i e r insbesondere die H e r a u s l ö s u n g der Richterschaft aus d e m a l l gemeinen Beamtenrecht, A r t . 98 Abs. 1 u n d 3 G G ; B V e r f G E 32, 199 (213); R. Herzog, in: T. M a u n z / G . D ü r i g , G G , A r t . 98, A n m . 7. 36
A r t . 102 WRV: „ D i e R i c h t e r s i n d u n a b h ä n g i g u n d n u r d e m Gesetz u n t e r w o r f e n " .
37
M. Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 93; Α. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen d e n Richter, 1993, S. 256 ff., 265 ff. 38 So O. R. Kissel, Gerichts Verfassungsgesetz, 2. A u f l a g e 1994, § 1 G V G , A n m . 159; i n der Tendenz ä h n l i c h Κ Stern, Staatsrecht I I ( F N 3), S. 910. 39 Siehe e t w a W. Kaupen, H ü t e r v o n Recht u n d O r d n u n g , 1969; ders. / T. Rasehorn, D i e Justiz z w i s c h e n O b r i g k e i t s s t a a t u n d D e m o k r a t i e . E i n e m p i r i s c h e r B e i t r a g z u r Soziologie der deutschen J u s t i z j u r i s t e n , 1971; R. Lautmann, Justiz - die s t i l l e G e w a l t . Teilnehmende B e o b a c h t u n g u n d entscheidungssoziologische Analyse, 1972; T. Rasehorn, Recht u n d Klassen. Z u r K l a s s e n j u s t i z i n der B u n d e s r e p u b l i k , 1974; d a z u a u c h N. Plassmann, J Z 1975, S. 4 1 ff.; H. Ryffel, Rechtssoziologie. E i n e systematische O r i e n t i e r u n g , 1974, S. 341 ff.; Κ Stern, Staatsrecht I I ( F N 3), S. 910; jeweils m i t w e i teren Nachweisen. A u s j ü n g e r e r Z e i t e t w a T. Rasehorn, D e r R i c h t e r z w i s c h e n T r a d i t i o n u n d L e b e n s w e l t , 1989; R. Wassermann, D i e r i c h t e r l i c h e G e w a l t : M a c h t u n d Vera n t w o r t u n g des Richters i n der m o d e r n e n Gesellschaft, 1985, insbesondere S. 85 ff.; z u m historischen Begriff der Klassenjustiz a l l g e m e i n D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 4 1 ff., 157 f.
40 Siehe auch G. Pfeiffer, i n : W. F ü r s t / R . H e r z o g / D . C. U m b a c h (Hrsg.), Festschrift f ü r Wolfgang Zeidler, 1987, S. 67 (72); R. Wassermann, R i c h t e r l i c h e G e w a l t ( F N 39), S. 85. 41 Ζ . B. B V e r f G E 93, 1 ff. ( K r u z i f i x ) ; B V e r f G E 93, 266 ff. (Soldaten s i n d Mörder).
186
Michael Reinhardt 2. Sachliche, persönliche und innere Unabhängigkeit der Richter
Heute t r i f f t diese D i s k u s s i o n auf vergleichsweise gefestigte A n s i c h t e n über E r s c h e i n u n g s b i l d u n d Z i e l r i c h t u n g des I n s t i t u t s der r i c h t e r l i c h e n U n abhängigkeit. Ausgehend v o m W o r t l a u t des A r t . 97 G G unterscheidet m a n g r u n d s ä t z l i c h zwischen der sachlichen U n a b h ä n g i g k e i t , die Absatz 1 der Verfassungsnorm m i t dem A d j e k t i v „ u n a b h ä n g i g " allenfalls skizziert, u n d der i n Absatz 2 etwas ausführlicher behandelten persönlichen U n a b h ä n g i g keit. D a b e i m e i n t die sachliche U n a b h ä n g i g k e i t die Freiheit des Richters v o n Weisungen, die auf die rechtsprechende T ä t i g k e i t E i n f l u ß z u nehmen suchen. Das allgemein vertretene w e i t e Verständnis v o n dieser Weisungsfreiheit stellt den Richter k o n s t i t u t i o n e l l v o n jeder vermeidbaren E i n f l u ß nahme D r i t t e r f r e i 4 2 . Diese Ebene der U n a b h ä n g i g k e i t w i r d regelmäßig auf d e m Wege der U n t e r s c h e i d u n g verschiedener Provenienzen der d e n k b a r e n E i n f l u ß n a h m e n aus exekutiven, legislativen, j u d i k a t i v e n u n d n i c h t s t a a t l i c h e n Quellen näher beschrieben 4 3 . R a u m f ü r ökonomische D e t e r m i n a n t e n besteht hier n u r insoweit, als entsprechende Wertungen legislativen A u s d r u c k gefunden haben u n d d a m i t i n der Gestalt gesetzlicher B i n d u n g z u r Schranke der U n a b h ä n g i g k e i t des Richters werden. I m Gegensatz dazu bezieht sich die i n A r t . 97 Abs. 2 G G geregelte persönliche U n a b h ä n g i g k e i t auf die U n a n g r e i f b a r k e i t des Status des einzelnen Richters d u r c h die Garantie v o n U n a b s e t z b a r k e i t u n d U n v e r s e t z b a r k e i t 4 4 , auch u n d gerade i m Sinne w i r t s c h a f t l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t 4 5 . A l l diese Elemente der Gewährl e i s t u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t eint die A b s i c h t , den z u r Entscheid u n g berufenen Richter v o n jeglichen äußeren Einflüssen auf seine rechtsprechende T ä t i g k e i t freizustellen, gleichviel ob sich diese m e h r oder w e n i ger u n m i t t e l b a r auf die k o n k r e t e M a t e r i e beziehen oder auf den Richter d u r c h E i n g r i f f i n dessen Status e i n z u w i r k e n suchen. Sie zielen d a m i t z u gleich darauf ab, den Status des Richters gegenüber externen Faktoren ver-
42 B V e r f G E 12, 81 (88); 26, 79 (93ff.); 38, 1 (21); C. D. Classen , in: H . v. M a n g o l d t / F . K l e i n / C . S t a r c k (Hrsg.), Das B o n n e r Grundgesetz, B a n d 3, 4. A u f l a g e 2001, A r t . 97, A n m . 18; H. Schulze-Fielitz, i n : H . D r e i e r (Hrsg.), G G I I I ( F N 1), A r t . 97, A n m . 19; W. Meyer, i n : I. v. M ü n c h / P . K u n i g (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, B a n d 3, 3. A u f l a g e 1996, A r t . 97 A n m . 8 f.; W. Hoffmann-Riem, D R i Z 2000, S. 18. 43 D a z u a u s f ü h r l i c h B. Pieroth, in: H . D. J a r a s s / B . Pieroth, Grundgesetz f ü r die B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , 5. A u f l a g e 2000, A r t . 97, A n m . 3 ff.; M . Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 104ff.; S. Detterbeck, i n : M . Sachs (Hrsg.), G r u n d gesetzkommentar, 2. A u f l a g e 1999, A r t . 97, A n m . 5 ff.; H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), G G I I I ( F N 1), A r t . 97, A n m . 21 ff. 44 B V e r f G E 14, 56 (70); 26, 186 (198 f.); K. Hesse, G r u n d z ü g e des Verfassungsrechts der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , 20. A u f l a g e 1995, S. 237 f.; M. Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 103; näher z u r persönlichen U n a b h ä n g i g k e i t z. B. C. D. Classen, i n : H . v. M a n g o l d t / F . K l e i n / C . S t a r c k , G G I I I ( F N 42), A r t . 97, A n m . 40; R. Herzog in: T. M a u n z / G . D ü r i g , GG, A r t . 97, A n m . 45ff.; H. Schulze-Fielitz, in: H . D r e i e r (Hrsg.), G G I I I ( F N 1), A r t . 97, A n m . 45 ff.; siehe ferner die §§ 30 ff. D R i G .
45 O. Jauernig,
Z i v i l p r o z e ß r e c h t , 26. A u f l a g e 2000, S. 31.
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
187
schiedenster organisatorischer, prozeduraler u n d materieller H e r k u n f t j e n seits des Gesetzes resistent w e r d e n z u lassen. Sachliche u n d persönliche U n a b h ä n g i g k e i t i n diesem Sinne beschreiben m i t h i n die äußere U n a b h ä n gigkeit der Richter. I n A b g r e n z u n g h i e r z u w i r d als innere U n a b h ä n g i g k e i t die Freiheit des Richters v o n solchen U m s t ä n d e n bezeichnet, die n i c h t v o n außen an i h n herangetragen werden, sondern als interne D e t e r m i n a n t e n der E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g E i n f l u ß auf die Rechtsprechungstätigkeit n e h m e n 4 6 . H i e r w i r d üblicherweise m i t pathetischen W e n d u n g e n 4 7 beschrieben, was sich der rechtlichen Regelung l e t z t l i c h e n t z i e h t 4 8 . D i e Steigerung der O b j e k t i v i t ä t über das r e c h t l i c h Faßbare hinaus ist allenfalls n o c h ein auf die S u b j e k t i v i t ä t der Richterpersönlichkeit gerichteter A p p e l l z u b e w i r k e n i n der Lage. A l s d e m einzelnen Richter persönlich gestellte A u f g a b e 4 9 sucht das Postulat der i n n e r e n U n a b h ä n g i g k e i t die Rechtsprechungstätigkeit v o n den zahlreichen Einflüssen u n d Z w ä n g e n freizuhalten, denen der Richter als G l i e d der Gesellschaft n o t w e n d i g ausgesetzt ist. Insbesondere die i n z w i schen n i c h t m e h r so sehr i m Vordergrund stehende Frage n a c h der sozialen H e r k u n f t der Richter u n d die unleugbare, doch i m einzelnen n i c h t meßbare Beeinflussung des Richters d u r c h die J u s t i z k r i t i k der Massenmedien zählen zu den i m m e r w i e d e r benannten H a u p t a n w e n d u n g s b e i s p i e l e n der i n n e r e n U n a b h ä n g i g k e i t 5 0 . A l l g e m e i n geht es u m das Bemühen, die r i c h t e r l i c h e E n t scheidungstätigkeit v o n Voreingenommenheiten, Vorurteilen u n d anderen sachfremden Einengungen des G e i s t e s 5 1 freizuhalten. D i e d a m i t zwangsl ä u f i g entstehende Ausweglosigkeit hat n i e m a n d k l a r e r p o i n t i e r t als Dieter Simon, der i m Jahre 1975 i n seiner S c h r i f t „ D i e U n a b h ä n g i g k e i t des R i c h -
te Siehe etwa E. Benda, D R i Z 1975, S. 166 (168); C. D. Classen, in: H . v. M a n g o l d t / F. K l e i n / C . Starck (Hrsg.), B o n n e r Grundgesetz I I I ( F N 42), A r t . 97, A n m . 8; H. J. Faller, in: W. F ü r s t / R . H e r z o g / D . C. U m b a c h (Hrsg.), Festschrift f ü r W o l f g a n g Zeidler, 1987, S. 81 (83 ff.); J. Herrmann, D R i Z 1982, S. 286 (291); O. R. Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, 3. A u f l a g e 2001, § 1 A n m . 157 ff.; M. Reinhardt, Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 119 ff.; W. Schaffer, B a y V B l . 1991, S. 641 (648); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, G G I I I ( F N 1), A r t . 97, A n m . 38; A. Voßkuhle, Rechtsschutz ( F N 37), S. I l l ; P. Gummer, in: R. Z ö l l e r (Begr.), Z i v i l p r o z e ß o r d n u n g , 21. A u f l a g e 1999, § 1 G V G , A n m . 9. 47 Z. B. „geistig, ethische, w i l l e n t l i c h e , z u c h t v o l l e A n s t r e n g u n g " , W. Geiger, D R i Z 1979, S. 65 (66). 48 G. Pfeiffer, in: FS Z e i d l e r ( F N 40), S. 67 (71 f.); H. Schulze-Fielitz, i n : Dreier, G G I I I ( F N 1), A r t . 97, A n m . 38; W. Schaffer, B a y V B l . 1991, S. 641 (648).
49 G. Pfeiffer, (648).
in: FS Z e i d l e r ( F N 40), S. 67 (71 f.); W. Schaffer, B a y V B l . 1991, S. 641
so j. Herrmann, D R i Z 1982, S. 286 (292); O. R. Kissel, Gerichts Verfassungsgesetz, 3. A u f l a g e 2001, § 1, Rn. 109; G. Pfeiffer, i n : F S Z e i d l e r ( F N 40), S. 67 (69); W. Schier, in: D. H e n r i c h / Β . v. H o f f m a n n (Hrsg.), Festschrift f ü r K a r l F i r s c h i n g z u m 70. Geb u r t s t a g , 1985, S. 233 (259f.); d e n Versuch einer e m p i r i s c h e n U n t e r s u c h u n g u n t e r n e h m e n H.-J; Friske/R. Herr, D R i Z 1990, S. 331 ff. 5i So schon K. Eichenberger, D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t als staatsrechtliches Problem, 1960, S. 51; ebenso A. Voßkuhle, Rechtsschutz ( F N 37), S. I l l m i t w e i t e r e n Nachweisen.
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Michael Reinhardt
ters" formulierte: „ D e r einfachste Weg, das P r o b l e m aus der Welt z u lügen, besteht i n der Beschwörung der ,Charakterfestigkeit', des ,Selbstbewußtseins', der P e r s ö n l i c h k e i t 4 der Richter - gerade so, als ob Richter andere Menschen als Straßenbahnschaffner, F a b r i k a n t e n oder Professoren seien, m i t der Folge, daß bei i h n e n jene Eigenschaften die Regel u n d n i c h t w i e sonst die seltene Ausnahme w ä r e n . " 5 2 . I n der Reihe der ü b e r k o m m e n e n Elemente der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t w i r d allenfalls an dieser Stelle ein bescheidener A n s a t z p u n k t sichtbar, ökonomische Aspekte als interne Fakt o r e n r i c h t e r l i c h e r E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g zu identifizieren. Oder salopper f o r m u l i e r t : Es k a n n n i c h t g ä n z l i c h ausgeschlossen werden, daß ein Richter, der m i t Leidenschaft der Börsenspekulation frönt, sich den Einflüssen einschlägiger Magazine u n d Fernsehsendungen schwerer entzieht als ein solcher, der seine Besoldung ausschließlich i n schöngeistige L i t e r a t u r
und
Theaterkarten zu investieren pflegt. M i t einer ökonomischen D e t e r m i n a t i o n des verfassungsrechtlichen Begriffs der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t aber hat a l l dies f r e i l i c h noch nichts zu t u n , da es hier l e d i g l i c h u m die u n b e s t r i t tene praktische M ö g l i c h k e i t , n i c h t aber u m eine k o n s t i t u t i o n e l l e P f l i c h t zu ökonomisch beeinflußtem Judizieren geht.
3. Verfassungsrechtliches Wirtschaftlichkeitsprinzip als Schranke richterlicher Unabhängigkeit?
Bietet d a m i t die G e w ä h r l e i s t u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t i n i h r e r n o r m a t i v e n A u s f o r m u n g selbst keinen geeigneten A n s a t z p u n k t f ü r die I m p l e m e n t a t i o n ökonomischer Einflüsse, so b l e i b t zu fragen, ob n i c h t das Grundgesetz an anderer Stelle der G e w ä h r l e i s t u n g des A r t . 97 G G eine Schranke w i r t s c h a f t l i c h e r N a t u r zieht. N i c h t gemeint s i n d i n diesem Z u sammenhang die zahllosen gegenwärtigen Diskussionen u m den „ s c h l a n k e n " Staat, u m „ E f f e k t i v i t ä t u n d E f f i z i e n z " 5 3 staatlichen Handelns. D e n n a l l e i n das w i e auch i m m e r berechtigte Bedürfnis, staatliche I n s t i t u t i o n e n zu modernisieren, u m w i r k l i c h oder v e r m e i n t l i c h gewandelten A n f o r d e r u n g e n gewachsen z u sein, w i r d selbst d a n n n i c h t z u m Rechtsprinzip, w e n n es m i t griffigen Bezeichnungen e t i k e t t i e r t b a l d ein Eigenleben zu f ü h r e n
und
B i b l i o t h e k e n z u f ü l l e n i m Begriff i s t 5 4 . D i e Ü b e r n a h m e b e t r i e b s w i r t s c h a f t l i c h e r I n s t r u m e n t a r i e n i n staatliche Organisationsstrukturen, etwa i n der 52 D. Simon, U n a b h ä n g i g k e i t des Richters ( F N 4), S. 26. 53 A m Rande: A u c h auf mehrfaches N a c h f r a g e n w a r w ä h r e n d des Symposions n i e m a n d der w i e s e l b s t v e r s t ä n d l i c h m i t diesen B e g r i f f l i c h k e i t e n H a n t i e r e n d e n i n der Lage, diese b e f r i e d i g e n d z u erläutern. 54 I n diese R i c h t u n g w e i s e n d H. Eidenmüller, Effizienz als R e c h t s p r i n z i p : M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen der ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e des Rechts, 1995; ders., A c P 197 (1997), S. 80 (122 ff.); a.A. H. H. v. Arnim, W i r t s c h a f t l i c h k e i t als R e c h t s p r i n z i p , 1988, S. 60 ff.
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
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Form des „ N e u e n S t e u e r u n g s m o d e l l s " 5 5 , v o l l z i e h t sich i n den grundgesetzl i c h vorgegebenen S t r u k t u r e n , insbesondere der Rechtsstaatlichkeit; sie ist n i c h t ohne weiteres i n der Lage, verfassungsrechtliche Positionen z u e r r i c h ten oder z u verändern. A l l e i n die P r o k l a m a t i o n eines „effizienten Rechtsstaats" als „ L e i t b i l d " 5 6 der M o d e r n i s i e r u n g jedenfalls reicht n i c h t h i n , das anerkannte Gebot effektiven Rechtsschutzes z u r ökonomischen S o l l b r u c h stelle der Rechtsstaatlichkeit z u verformen. D e n n a m Ende v e r h a n d e l n d a n n die Familiengerichte - w i e i m ü b r i g e n schon jetzt die gelbe Presse - n u r noch die Scheidungsfälle alternder S p o r t - u n d Showgrößen, n i c h t m e h r jedoch die arbeitsloser Krankenschwestern, w e i l sich letzteres i m „effizienten Rechtsstaat" eben n i c h t m e h r rechnet. D i e Garantie r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t gemäß A r t . 97 G G ist w i e gesehen ein d u r c h Verfassungsrechtsprechung u n d S c h r i f t t u m differenziert ausgestaltetes konstitutionelles I n s t i t u t bedeutenden Rangs. Neben den z u vor beschriebenen, aus der k o n k r e t e n K o n t u r i e r u n g der N o r m folgenden Grenzen stößt dieses daher allenfalls d a n n an weitere Schranken, w e n n es m i t mindestens gleichwertigen Verfassungsgütern zu k o n f l i g i e r e n
droht
oder sich deren überlegener D e t e r m i n a t i o n s k r a f t u n t e r z u o r d n e n hat. So w i r d i n diesem K o n t e x t etwa ein verfassungsrechtliches
Wirtschaftlich-
keitsgebot geltend g e m a c h t 5 7 , das die rechtsprechende T ä t i g k e i t beeinf l u ß t 5 8 u n d sich d a m i t auch auf die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t a u s w i r k e n kann. D o c h selbst w e n n das Grundgesetz i n der Tat ein rechtsprinzipielles Bekenntnis z u r W i r t s c h a f t l i c h k e i t e n t h a l t e n sollte, so w ü r d e ein derartiges K o n s t r u k t aus rechtsstaatlichen, g r u n d r e c h t l i c h e n u n d f u n k t i o n s t h e o r e tischen E l e m e n t e n 5 9 jedenfalls n i c h t über die erforderliche K o n k r e t h e i t verfügen, die U n a b h ä n g i g k e i t der Richter i m Sinne einer w i r t s c h a f t l i c h umgedeuteten G e w ä h r l e i s t u n g neu z u begreifen. A l l e n f a l l s der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Maßstab jeglichen staatlichen Handelns erscheint zu materieller E i n f l u ß n a h m e i n der Lage. Indes fehlt auch i h m als ausschließlich allgemeines rechtsstaatliches O r d n u n g s p r i n z i p die erforder55 Siehe d a z u ζ. Β . M. Eifert, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 75 ff.; R. Pitschas, i n : ders. (Hrsg.), Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N 1), S. 59 (69); Κ. F. Röhl, D R i Z 2000, S. 220 (221 ff.); T. Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (379); J. Grotheer, D R i Z 1999, S. 458 ff.; H.-J. Papier, N J W 2001, S. 1089 (1093 f.). 56 So R. Pitschas, S. 59 (60).
i n : ders. (Hrsg.), Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N 1),
57 H. H. v. Arnim, W i r t s c h a f t l i c h k e i t als R e c h t s p r i n z i p ( F N 54), S. 67 ff.; T. Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (376); R. Pitschas, i n : ders. (Hrsg.), R e f o r m der Verw a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N 1), S. 59 (79); a b l e h n e n d ζ. B. G. Britz, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 185 (192). 58 T. Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (376); R. Pitschas, i n : ders. (Hrsg.), Ref o r m der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N 1), S. 59 (79). 59 Vgl. die A r g u m e n t a t i o n b e i H. H. v. Arnim, W i r t s c h a f t l i c h k e i t als R e c h t s p r i n z i p ( F N 54), S. 71 ff.; speziell z u r „ j u s t i z i e l l e n E f f i z i e n z d i r e k t i v e " R. Pitschas, i n : ders. (Hrsg.), Reform der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N 1), S. 59 (81 ff.).
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liehe präzise Gestaltungskraft u n d beschränkt sich seine B e d e u t u n g auf die K o r r e k t u r offensichtlicher U n z u l ä n g l i c h k e i t e n i m U m g a n g m i t der richterl i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t ; ausreichend sicheren G r u n d f ü r eine ökonomisch m o t i v i e r t e N e u d e f i n i t i o n i n großem S t i l bereitet er n i c h t .
4. Zwischenbefund: Grundsätzliche Ökonomieresistenz des Art. 97 G G
N a c h alledem b l e i b t einstweilen ein i n A n s e h u n g des gestellten Themas negativer Befund. D i e verfassungsrechtliche G e w ä h r l e i s t u n g bietet i n i h r e r klassischen A u f b e r e i t u n g d u r c h Rechtsprechung u n d Staatsrechtslehre k e i nen geeigneten A n g r i f f s p u n k t f ü r den E i n f l u ß eines ökonomisierten Staats auf die T ä t i g k e i t seiner d u r c h A r t . 97 G G abgeschirmten D r i t t e n Gewalt. A u c h ein h i n r e i c h e n d explizites verfassungsrechtliches Gebot w i r t s c h a f t l i c h e n Staatshandelns, das als k o n s t i t u t i o n e l l e Rechtsposition a l l e i n eine immanente Schranke der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t darstellen könnte, besteht n i c h t 6 0 . Soweit n i c h t der Gesetzgeber selbst den Richter d u r c h die Vorgabe w i r t s c h a f t l i c h e r E r w ä g u n g e n i n der Form
entscheidungserheb-
l i c h e n Rechts z u einer ökonomischen Betrachtungsweise anhält, v e r h i n d e r t die sachliche U n a b h ä n g i g k e i t nach A r t . 97 Abs. 1 G G jegliche externe Influenzierung. A u c h die persönliche U n a b h ä n g i g k e i t n a c h A r t . 97 Abs. 2 G G verschließt sich einer ökonomisch m o t i v i e r t e n U m d e u t u n g .
Endlich
erstreckt sich z w a r die ebenfalls u n t e r die G e w ä h r l e i s t u n g gefaßte innere U n a b h ä n g i g k e i t auf jedwede Faktoren, die den i n t e r n e n Entscheidungsfindungsprozeß des i n d i v i d u e l l e n Richters u n m i t t e l b a r oder m i t t e l b a r t a n gieren können, ist aber einer rechtlichen S t r u k t u r i e r u n g oder gar Steuerung g r u n d s ä t z l i c h n i c h t zugänglich. A l l e r d i n g s weist ein b i s w e i l e n i m K o n t e x t der inneren U n a b h ä n g i g k e i t erörtertes Phänomen auf eine mögliche weitere Erwägung: D i e auch d u r c h die Forderung innerer U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t vermeidbare S u b j e k t i v i t ä t der r i c h t e r l i c h e n E r k e n n t n i s spiegelt sich n i c h t zuletzt i n der A u s w i r k u n g des Vorverständnisses des Auslegenden auf das Auslegungsergebnis w i d e r 6 1 . Dies indes eröffnet den B l i c k auf die j u r i s t i sche Methodenlehre als D e t e r m i n a n t e der r i c h t e r l i c h e n
Unabhängigkeit
u n d mögliches Vehikel ökonomischer Beeinflussung der Entscheidungst ä t i g k e i t zugleich.
60 A . A . R. Pitschas, 1), S. 59 (79).
in: ders. (Hrsg.), R e f o r m der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ( F N
ei H. J. Faller, i n : F S Z e i d l e r ( F N 46), S. 81 (85 f.); z u r Vorverständnislehre s. J. Esser, Vorverständnis u n d M e t h o d e n w a h l i n der R e c h t s f i n d u n g , 1972, insbes. S. 136 ff.
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
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I I I . Ökonomie, Ökonomik und juristische Methode 1. D i e juristische Methodenlehre als zweite Schranke der richterlichen Unabhängigkeit
D i e U n a b h ä n g i g k e i t des Richters findet i h r e Grenze i n der B i n d u n g an das Gesetz: Wie A r t . 97 Abs. 1 G G p r ä g n a n t f o r m u l i e r t , s i n d die Richter u n abhängig u n d n u r dem Gesetz unterworfen. Diese k o n s t i t u t i o n e l l e Gesetzesbindung als einzige positive Grenze der sachlichen U n a b h ä n g i g k e i t e n t artet allerdings n i c h t z u m r i c h t e r l i c h e n Privileg, jenseits der Buchstaben des Gesetzes g ä n z l i c h frei w a l t e n z u können. D e n n das u n t e r dem G r u n d gesetz allgemein anerkannte Postulat des rechtsgelehrten R i c h t e r s 6 2 m a c h t den Richter i m U m g a n g m i t dem Gesetz n i c h t etwa z u m Träger des G r u n d rechts auf Wissenschaftsfreiheit n a c h A r t . 5 Abs. 3 GG, sondern b i n d e t i h n i m Gegenteil an die gesicherten Erkenntnisse der j u r i s t i s c h e n M e t h o d e n l e h r e 6 3 . D i e P f l i c h t z u r D o g m a t i k 6 4 i m U m g a n g m i t dem materiellen Recht schränkt die Freiheit des Richters als A n n e x seiner Gesetzesbindung ein. D a m i t steht die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n t e r ökonomischem E i n f l u ß , soweit sich ein solcher methodisch begründen läßt. Vor der näheren Befassung m i t der Frage n a c h ökonomischer D e t e r m i n a t i o n der j u r i s t i s c h e n Methodenlehre - soweit diese an dieser Stelle ü b e r h a u p t geleistet w e r d e n k a n n - soll jedoch ein kursorischer B l i c k auf i m m e r h i n existente positive I n d i z i e n geworfen werden, die das B i l d des Gesetzgebers v o n der Eigenart rechtsprechender T ä t i g k e i t w o m ö g l i c h zu erhellen helfen. D i e oft u n d genauso oft zu U n r e c h t als z u j u s t i z l a s t i g geschmähte J u r i s t e n a u s b i l d u n g f i n det ihre bundesrechtliche G r u n d l a g e i n dem i m Deutschen Richtergesetz verankerten I n s t i t u t der Befähigung z u m R i c h t e r a m t 6 5 . Diese e r w i r b t z u m gegenwärtigen Z e i t p u n k t nur, w e r zunächst ein rechtswissenschaftliches S t u d i u m an einer U n i v e r s i t ä t absolviert, zu dessen P f l i c h t i n h a l t e n n a c h dem e r k l ä r t e n W i l l e n des § 5a Abs. 2 Satz 2 D R i G auch die gesellschaftl i c h e n G r u n d l a g e n des Rechts, m i t h i n w o h l auch dessen w i r t s c h a f t l i c h e I m p l i k a t i o n e n zählen. S p r a c h l i c h k l a r e r f o r m u l i e r e n dies einige Landesjuristenausbildungsgesetze, die a u s d r ü c k l i c h auf die ökonomische K o m p o nente des rechtswissenschaftlichen S t u d i u m s hinweisen. So ist beispielsweise n a c h r h e i n l a n d - p f ä l z i s c h e m L a n d e s r e c h t 6 6 Z i e l der A u s b i l d u n g der 62 D a z u N. Achterberg, i n : B o n n e r K o m m e n t a r , A r t . 92, A n m . I I . 278 f.; R. Herzog in: T. M a u n z / G . D ü r i g , G G , A r t . 20, A n m . IV. 81 ff.; K. Stern, Staatsrecht I I ( F N 3), S. 903 f.; jeweils m i t w e i t e r e n Nachweisen. 63 M . Reinhardt, K o n s i s t e n t e J u r i s d i k t i o n ( F N 1), S. 510.
64 C. Gusy, D Ö V 1992, S. 461 (468); M . Reinhardt, S. 443,451.
Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1),
65 §§ 5 ff. D R i G ; siehe d a z u e t w a J. Thomas, R i c h t e r r e c h t , 1986, S. 34; G. SchmidtRäntsch/J. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 5. A u f l a g e 1995, v o r § 5, A n m . 12 f.; W. Sirp, D R i Z 1991, S. 274 (275).
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Michael Reinhardt
dem Rechtsstaat verpflichtete Jurist, der neben a n d e r e m 6 7 das Recht m i t seinen geschichtlichen, philosophischen, gesellschaftlichen, p o l i t i s c h e n u n d eben w i r t s c h a f t l i c h e n Bezügen kennt. Diese E i n b e z i e h u n g w i r t s c h a f t l i c h e r Bezüge i n das juristische S t u d i u m u n d d a m i t i n die Q u a l i f i k a t i o n z u m R i c h t e r a m t erscheint f r e i l i c h n u r sinnvoll, w e n n sich die geforderten Kenntnisse auch i n der Rechtsanwendung niederschlagen u n d n i c h t bloß dazu dienen sollen, das C u r r i c u l u m z u verzieren. A l l e r d i n g s ist es auf der anderen Seite n i c h t statthaft, schon aus der pauschalen Benennung w i r t s c h a f t l i c h e r I m p l i k a t i o n e n i n einleitenden B e s t i m m u n g e n des Ausbildungsrechts gleich eine w i r t s c h a f t l i c h determinierte A n w e n d u n g des Rechts oder gar eine U m d e u t u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t z w i n g e n d z u schlußfolgern. D i e oftmals n u r p r o g r a m m a t i s c h gemeinten u n d m i t Recht auch so verstandenen Forderungen, deren sich noch dazu viele F a k u l t ä t e n i n der Gestalt einer das A u d i t o r i u m regelmäßig überfordernden Erstsemesterveranstaltung m i t Scheinerwerb w o h l f e i l entledigen, reichen als n o r m a t i v e r
Ansatzpunkt
einer N e u d e f i n i t i o n der k o n s t i t u t i o n e l l gewährleisteten r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t schon aus rechtsquellenhierarchischen G r ü n d e n keinesfalls h i n . Sie weisen l e d i g l i c h den Weg z u einem u n t e r anderem w i r t s c h a f t l i c h gep r ä g t e n U m g a n g m i t dem Recht, dem sich auch der Richter n i c h t z u entziehen vermag. A l s D e t e r m i n a n t e der G e w ä h r l e i s t u n g des A r t . 97 G G faßbar w i r d dieser U m s t a n d jedoch ausschließlich auf dem Wege seiner K o n k r e t i sierung d u r c h Gesetz u n d Methode.
2. Z u m Wandel der juristischen Methodenlehre i m ökonomisierten Staat
Z w i n g t die juristische Methodenlehre demnach den Richter zu einem b e s t i m m t e n Vorgehen b e i Auslegung u n d A n w e n d u n g einer v e r b i n d l i c h e n Rechtsnorm, so ergänzt sie insoweit das materielle Gesetz als W i d e r p a r t der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t . D a b e i spielen w i r t s c h a f t l i c h e E r w ä g u n g e n jedenfalls n a c h ü b e r k o m m e n e m Verständnis keine bedeutende Rolle. Es überrascht daher n i c h t , w e n n schon die kursorische D u r c h s i c h t der klassischen Auslegungsmethoden erhellt, daß sie selbst i n i h r e r heutigen Erscheinungsform k e i n e n A n l a ß z u einer N e u d e f i n i t i o n des A r t . 97 G G geben k ö n nen: D i e W o r t l a u t i n t e r p r e t a t i o n entzieht sich g r u n d s ä t z l i c h ökonomischen Wertungen, solange n i c h t der N o r m t e x t selbst w i e etwa i m Falle der Ersatzp f l i c h t aus B i l l i g k e i t s g r ü n d e n nach § 829 B G B A u s d r ü c k l i c h e s v o r g i b t . § 1 Abs. 1 J A G (Landesgesetz ü b e r die j u r i s t i s c h e A u s b i l d u n g v o m 30. N o v e m b e r 1993, G V B l . R h . - P f . S. 550). 67 § 1 Abs. 1 J A G Rh.-Pf. l a u t e t v o l l s t ä n d i g : „ Z i e l der j u r i s t i s c h e n A u s b i l d u n g ist der d e m Rechtsstaat v e r p f l i c h t e t e Jurist, der das Recht m i t seinen geschichtlichen, philosophischen, gesellschaftlichen, p o l i t i s c h e n u n d w i r t s c h a f t l i c h e n Bezügen k e n n t , die F ä h i g k e i t z u r m e t h o d i s c h e n R e c h t s a n w e n d u n g besitzt u n d i n der Lage ist, sich i n alle Bereiche der Rechtspraxis e i n z u a r b e i t e n . "
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
193
N i c h t s anderes g i l t i m Falle der systematischen Auslegung, die ebenfalls auf e x p l i z i t e n o r m a t i v e A n k n ü p f u n g s p u n k t e angewiesen ist. Sodann lassen sich aus der Entstehungsgeschichte
zahlreicher
Regelungen
wirtschaftliche
I n t e n t i o n e n des Gesetzgebers k l a r ersehen oder wenigstens herleiten. D i e B a n d b r e i t e reicht hier v o n der Wirtschaftssteuerung w i e etwa i m Falle der Einspeisevergütung n a c h dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 6 8 bis z u m e h r oder weniger verhohlenen Sparvorschriften w i e etwa i m Falle der D i e n s t rechtsreform 2 0 0 2 6 9 . Weitere Beispiele s i n d das Genehmigungsbeschleunig u n g s r e c h t 7 0 oder die diversen Prozeßrechtsreformen 7 1 . Soweit n i c h t diese Regelungen selbst u n d a u s d r ü c k l i c h wirtschaftliches Judizieren gebieten, weist die historische Interpretationsmethode dem Richter den entsprechenden Weg. Indes ist es auch h i e r l e t z t l i c h w i e d e r der Gesetzgeber, der den ökonomischen I m p u l s g i b t . I n d e m n u n der Richter diesen methodisch aufgreift, w i r d das überkommene Verständnis seiner U n a b h ä n g i g k e i t n i c h t aufgegeben. E i n zunächst weniger klares B i l d v e r m i t t e l t demgegenüber die Methode der teleologischen Auslegung, die n a c h d e m S i n n des Gesetzes fragt u n d somit auch ökonomische rationes umschließen könnte. A l l e r d i n g s f ü h r t selbst die I d e n t i f i k a t i o n einer w i r t s c h a f t l i c h e n
Regelungsintention
n i c h t gleich z u d e m Bedürfnis, die G e w ä h r l e i s t u n g r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n gigkeit i m Sinne einer ökonomischen U m s t r u k t u r i e r u n g neu z u definieren. War z u erwarten, daß die klassische Methodenlehre n i c h t geeignet sein k a n n , das ebenso klassische Verständnis r i c h t e r l i c h e r
Unabhängigkeit
grundlegend i n Frage z u stellen, so w a n d e l t sich der Befund, wendet m a n sich modernen L e h r e n des Umgangs m i t dem Recht zu. D a b e i ist i n d e m hier interessierenden Z u s a m m e n h a n g zuvörderst auf z w e i m i t e i n a n d e r verw o b e n e 7 2 Aspekte hinzuweisen, die nachstehend k n a p p skizziert w e r d e n sollen: die folgenorientierte Auslegung i m allgemeinen u n d die ökonomische Analyse des Rechts i m besonderen. 68 Gesetz f ü r d e n V o r r a n g E r n e u e r b a r e r E n e r g i e n (EEG) v o m 29. M ä r z 2000, B G B l . I S . 305. 69 Gesetz z u r Reform der Professorenbesoldung v o m 23. F e b r u a r 2002, B G B l . I S. 686 ff.; Fünftes Gesetz z u r Ä n d e r u n g des Hochschulrahmengesetzes (5. H R G Ä n d G ) v o m 23. Februar 2002, B G B l . I S. 693 ff. 70 Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG) v o m 12. S e p t e m ber 1996, B G B l . I S. 1354; H. Schmitz/F. Wessendorf; N V w Z 1996, S. 955ff.; B. Stüer, DVB1. 1997, S. 326ff.; J. Ziekow, DVB1. 1998, S. 1101 ff.; F.-L. Knemeyer, i n : K . G r u p p / M . R o n e l l e n f i t s c h (Hrsg.), P l a n u n g - Recht - Rechtsschutz. Festschrift f ü r W i l l i B l ü m e l z u m 70. Geburtstag, 1999, S. 259 (264).
Ζ . B. Gesetz z u r E n t l a s t u n g der Rechtspflege v o m 1. N o v e m b e r 1993, B G B l . I S. 50; Sechste N o v e l l e z u r Ä n d e r u n g der V e r w a l t u n g s g e r i c h t s o r d n u n g v o m 1. N o v e m ber 1996, B G B l . I S. 1626; Zivilprozeß-Reformgesetz v o m 27. J u l i 2001, B G B l . I S. 1887. 72 M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g i n der Rechtsanwendung, 1995, S. 71; W. Hassemer, i n : N . H o r n / K . L u i g / A . S ö l l n e r (Hrsg.), Europäisches Rechtsdenken i n Geschichte u n d Gegenwart. Festschrift f ü r H e l m u t C o i n g z u m 70. Geburtstag, B a n d I, 1982, S. 493 (503 F n . 39).
13 Die Verwaltung, Beiheft 5
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Michael Reinhardt
a) Die folgenorientierte
Auslegung
versteht sich als E r g ä n z u n g der klas-
sischen Auslegungsmethoden, i n d e m sie i m Gegensatz z u r o b j e k t i v - t e l e o l o gischen I n t e r p r e t a t i o n S i n n u n d Z w e c k des Gesetzes n i c h t i n a b s t r a k t e n P r i n z i p i e n u n d Wertungen s u c h t 7 3 , sondern e m p i r i s c h verifizierbare Konsequenzen verschiedener Entscheidungsvarianten i n die Auslegung einfließen l ä ß t 7 4 . I n dem den R i c h t e r n v o n der Gesetzesbindung belassenen F r e i r a u m w e r d e n eine Reihe verschiedenster K r i t e r i e n z u r K a n a l i s i e r u n g der E n t scheidung b e n a n n t 7 5 , z u denen m i t Quantifizierung, O p t i m i e r u n g , N u t z e n m a x i m i e r u n g u n d Allokationseffizienz auch ökonomisch m o t i v i e r t e Ausleg u n g s l e i t l i n i e n zählen sollen. A u f diese Weise w i r d der Richter i n ein i m Vergleich z u m ü b e r k o m m e n e n Auslegungskanon m e r k l i c h engeres Korsett geschnürt, das heißt die B i n d u n g an das Gesetz d u r c h E r w e i t e r u n g der methodischen B i n d u n g e n extensiviert u n d d a m i t auf der Kehrseite der M e daille die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t w e n n n i c h t ökonomisch umgedeutet, so doch ökonomisch n i c h t unmaßgeblich eingeschränkt. Vor diesem H i n t e r g r u n d steht n i c h t a l l e i n die problematische L e g i t i m a t i o n des folgenorient i e r t j u d i z i e r e n d e n Richters als Ü b e r g r i f f i n Kompetenzbereiche anderer G e w a l t e n 7 6 auf dem Prüfstand, sondern die L e g i t i m i t ä t der folgenorientierten Auslegung als methodische Regel. D e n n dieser geht es u m eine m e t h o dische K o n d i t i o n i e r u n g der rechtsprechenden T ä t i g k e i t u n d d a m i t u m E i n schränkung; n u r w e r u n t e r dem Gesichtspunkt der Folgenorientiertheit l e d i g l i c h danach fragt, ob der Richter die Folgen seiner E n t s c h e i d u n g berücksichtigen darf 1,
vermeidet den K o n f l i k t m i t A r t . 97 GG. D i e Recht-
f e r t i g u n g der Folgenorientiertheit als bindende Methode hingegen läßt sich n i c h t m i t dem bloßen H i n w e i s auf Defizite der Gesetzgebung b e g r ü n d e n 7 8 . D i e insoweit angeführte
Gleichsetzung der i n z w i s c h e n
unbezweifelten
L e g i t i m i t ä t v o n R i c h t e r r e c h t 7 9 m i t der L e g i t i m i t ä t der F o l g e n o r i e n t i e r u n g 8 0 73
K. Larenz,
M e t h o d e n l e h r e der Rechtswissenschaft, 6. A u f l a g e 1991, S. 333 ff.
74
M . R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 129; dies., JuS 1995, S. 480 (482); W. Hassemer, i n : F S C o i n g ( F N 72), S. 493 (512 f.); H. Rottleuthner, Rechtstheorie u n d Rechtssoziologie, 1981, S. 210 f. 75 Sie etwa die L i s t e b e i M . R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 163. 76 Das hiergegen v o n M. R. Deckert, JuS 1995, S. 480 (483) vorgebrachte A r g u m e n t , i n zahlreichen Regelungsbereichen liege die faktische E n t s c h e i d u n g s m a c h t o h n e h i n n i c h t m e h r b e i m P a r l a m e n t , sondern habe sich auf die M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e v e r l a gert, l i e g t verfassungsrechtlich g ä n z l i c h neben der Sache. 77 H. Sendler, Z u r r i c h t e r l i c h e n F o l g e n b e r ü c k s i c h t i g u n g u n d - V e r a n t w o r t u n g , in: W. B r a n d t / H . G o l l w i t z e r / J. F. Henschel (Hrsg.), E i n Richter, e i n Bürger, e i n Christ. Festschrift f ü r H e l m u t S i m o n , 1987, S. 113 (116). 78 So aber M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 225. 79 Ζ . B. B V e r f G E 3, 225 (243); 26, 327 (337); F. Ossenbühl, i n : H . U. E r i c h s e n (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. A u f l a g e 1998, S. 127 (169); P. Kirchhof, N J W 1986, S. 2275 f.; G. Müller, A u R 1977, S. 129 (132 ff.). 80 So M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 225 u n t e r unzutreffender Bez u g n a h m e auf K. Redeker, N J W 1972, S. 409 (412); k r i t . i n s o w e i t auch H. Sendler, FS S i m o n ( F N 77), S. 113 (135 f.), w e n n auch aus anderer Perspektive.
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
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übersieht, daß d a m i t r i c h t e r l i c h e Gestaltungsfreiheit auf der einen Seite u n d deren E i n s c h r ä n k u n g auf der anderen Seite einander unzulässigerweise gleichgestellt werden. D e n n w e r den v o m Gesetzgeber belassenen richterl i c h e n F r e i r a u m d u r c h außerhalb der D r i t t e n G e w a l t aufgestellte m e t h o dische P r i n z i p i e n einzuschränken sucht, bedarf i m Rechtsstaat einer gesonderten B e f u g n i s 8 1 , die sich aus dem schlichten H i n w e i s auf R a t i o n a l i t ä t u n d Rechtssicherheit 8 2 n i c h t ergibt. D i e i n A r t . 97 G G angelegte D i c h o t o m i e v o n B i n d u n g u n d Freiheit des Richters läßt sich ohne ausreichende verfassungsrechtliche F u n d i e r u n g n i c h t w i r k s a m modifizieren. b) A u c h die ökonomische
Analyse
des Rechts 83
sucht die Folgen v o n
Rechtssetzung u n d Rechtsanwendung einer systematischen B e t r a c h t u n g z u u n t e r z i e h e n 8 4 u n d k o n z e n t r i e r t sich dabei zunächst auf die w i r t s c h a f t l i c h e n I m p l i k a t i o n e n der Rechtsordnung. Sie strebt eine R a t i o n a l i s i e r u n g des Rechts u n t e r Z u h i l f e n a h m e wirtschaftswissenschaftlicher Theorien u n d E r kenntnisse a n 8 5 u n d ist d a m i t als Methode g r u n d s ä t z l i c h geeignet, i n E r g ä n z u n g z u r B i n d u n g des Richters an das Gesetz dessen verfassungsrechtlich gewährte U n a b h ä n g i g k e i t einschränkend umzugestalten. D i e A u s w e i t u n g der t r a d i t i o n e l l e n Wirtschaftswissenschaft (Ökonomie) z u einer umfassenden sozialwissenschaftlichen D i s z i p l i n ( Ö k o n o m i k ) 8 6 soll dabei den Weg i n die juristische Methodenlehre öffnen. F r e i l i c h k u l m i n i e r t die Frage, ob die ökonomische Analyse des Rechts eine N e u d e f i n i t i o n der r i c h t e r l i c h e n U n abhängigkeit i m ökonomisierten Staat rechtfertigt oder gar bedingt, l e t z t l i c h i n der höchst k o n t r o v e r s e n 8 7 u n d an dieser Stelle n i c h t h i n r e i c h e n d eingehend z u w ü r d i g e n d e n Auseinandersetzung u m die Eigenschaft der ökonomischen Analyse als methodische Regel des Rechts. G l e i c h w o h l lassen sich einige f ü r den Untersuchungsgegenstand bedeutsame U m s t ä n d e
knapp
skizzieren. So ist schon unsicher u n d b i s l a n g n i c h t abschließend geklärt, ob sich die ökonomische Analyse des Rechts ü b e r h a u p t an den Rechtsanwender r i c h t e t 8 8 oder n i c h t l e d i g l i c h als I n s t r u m e n t der Gesetzgebungslehre si G. Roellecke, W D S t R L 34 (1976), S. 7 (23). 82 So M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 226. 83
Z u m B e g r i f f siehe C. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S. 5 f. 84 M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 71), S. 71 ff.; H. Eidenmüller, A c P 197 (1997) S. 80 (83); C. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts ( F N 83), S. 7 ff., 19 f.; C. Ott/H.-B. Schäfer, J Z 1988, S. 213 (216). 85 Ν. Horn, A c P 176 (1976), S. 307 (310); C. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts ( F N 83), S. 8 f.; M. Lehmann, Bürgerliches Recht u n d H a n d e l s r e c h t - eine j u ristische u n d ökonomische Analyse, 1983, S. 28. 86 C. Kirchner, 87
Ökonomische Theorie des Rechts ( F N 83), S. 12.
K r i t i s c h z u r ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e des Rechts: F. Bydlinsky, Juristische M e t h o denlehre u n d Rechtsbegriff, 2. A u f l a g e 1991, S. 331 f.; K -Η. Fezer, J Z 1986, S. 817 (821 ff.); ders., J Z 1988, S. 223 ff.; P. Häberle, in: S c h r i f t e n des Vereins f ü r S o c i a l p o l i t i k , Neue Folge B a n d 140, 1983, S. 63 (70ff.); M. Morlok, in: C. E n g e l / M . M o r l o k (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S. 1 (10 ff.). 13'
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Michael Reinhardt
oder P o l i t i k d i e n t 8 9 . D o c h selbst w e n n m a n u n g e p r ü f t unterstellt, daß die Lehre auch den einzelfallentscheidenden Richter zu l e i t e n sucht, b l e i b e n i n zweifacher H i n s i c h t gewichtige Z w e i f e l an i h r e r E i g n u n g zur E i n s c h r ä n k u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t : Z u m einen geht es u m die Frage, ob b e i der A n w e n d u n g u n d F o r t b i l d u n g des Rechts d u r c h den R i c h t e r ökonomische I n s t r u m e n t a r i e n t a t s ä c h l i c h herangezogen w e r d e n k ö n n e n oder müssen. Z u m gegenwärtigen S t a n d der Methodendiskussion k a n n i m m e r h i n k o n s t a t i e r t werden, daß jedenfalls eine allgemeine methodische P f l i c h t i m Sinne einer B i n d u n g der D r i t t e n G e w a l t an ökonomische I n s t r u m e n t e n i c h t besteht. D e n n die ökonomische M o d i f i k a t i o n der j u r i s t i s c h e n M e t h o denlehre k o n f l i g i e r t i n vielfacher H i n s i c h t m i t den systematischen S t r u k t u r e n der Rechtsordnung. A u c h w e n n die B e f ü r w o r t e r der ökonomischen Analyse des Rechts insbesondere i m p r i v a t r e c h t l i c h e n Bereich p r i m a facie durchaus frappante Einzelbeispiele der W i r k k r a f t i h r e r Lehre z u benennen i n der Lage s i n d 9 0 , f ü h r t gerade deren universaler Geltungsanspruch i n einen n i c h t auflöslichen Widerstreit. D e r Versuchung, m i t ökonomischen L e h r e n n u n e n d l i c h die seit J a h r h u n d e r t e n i m m e r w i e d e r vergeblich gesuchte R a t i o n a l i s i e r u n g des Rechts d u r c h die I m p l e m e n t a t i o n scheinbar naturwissenschaftlicher A x i o m e b e w i r k e n z u können, erliegt jedoch allein, w e r neben anderem die K o m p l e x i t ä t der Rechtsordnung auf monokausale Deutungsmuster z u reduzieren u n d das M e n s c h e n b i l d des sog. R E M M („resourceful evaluative m a x i m i z i n g m a n " 9 1 ) h i n z u n e h m e n bereit i s t 9 2 . Eine solche l e t z t l i c h n u r k o p e r n i k a n i s c h z u bezeichnende Wende i n der M e t h o dendiskussion ist aber t r o t z e x p o n e n t i e l l ansteigender wissenschaftlicher Befassung auf diesem Felde z u r Z e i t n i c h t n u r n i c h t allgemein konsentiert, sie steht angesichts der h i e r n u r r u d i m e n t ä r angerissenen G r u n d s a t z k r i t i k noch n i c h t e i n m a l u n m i t t e l b a r bevor. Z u m anderen stünde eine I m p l e m e n t a t i o n ökonomischer I n s t r u m e n t e i n die juristische Methodenlehre
vor
d e m Z w a n g , die d a m i t n o t w e n d i g einhergehende E i n s c h r ä n k u n g der rechtsprechenden T ä t i g k e i t v o r dem H i n t e r g r u n d der k o n s t i t u t i o n e l l gewährten r i c h t e r l i c h e n Freiheit n i c h t n u r ökonomisch, sondern auch u n d gerade ver-
88 So etwa C. Ott/H.-B. Schäfer; J Z 1988, S. 213 (215); äußerst z u r ü c k h a l t e n d H. Eidenmüller, A c P 197 (1997) S. 80 (115 ff.). 89 So M. R. Deckert, F o l g e n o r i e n t i e r u n g ( F N 72), S. 73; z u r B e d e u t u n g f ü r die Gesetzgebungstheorie s. a u c h H. Eidenmüller, A c P 197 (1997), S. 80 (93 ff.). 90 Siehe ζ. Β . M . Lehmann, Juristische u n d ökonomische A n a l y s e ( F N 85), S. 122 ff. (Produzentenhaftung), S. 133 ff. (Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts); C. Ott/H.-B. Schäfer, J Z 1988, S. 213 (222) (§ 651 f. B G B ) . 9 1 Siehe d a z u K.-H. Fezer, JuS 1991, S. 889 (894); R. Gröschner, in: C. E n g e l / M . M o r l o k (Hrsg.), Öffentliches Recht als Gegenstand ö k o n o m i s c h e r Forschung ( F N 87), S. 31 (36 ff.); G. Kirchgässner, J Z 1991, S. 104 (106 f.); C. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts ( F N 83), S. 12 ff. 92 D a z u k r i t . insbesondere R Häberle, Folge B a n d 140, 1983, S. 63 ff.
S c h r i f t e n des Vereins f ü r S o c i a l p o l i t i k , Neue
Richterliche Unabhängigkeit i m „ökonomisierten Staat"
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fassungsrechtlich zu rechtfertigen. Wie gesehen h a n d e l t es sich b e i der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t nach dem Grundgesetz u m ein historisch gewachsenes I n s t i t u t , dessen I n t e g r i t ä t als Sicherung der Machtbalance i m gewaltenteilenden Staat über einen herausgehobenen u n d k o n s t i t u t i o n e l l bestät i g t e n Rang verfügt u n d daher ausschließlich auf gleicher Ebene beschränkt werden k a n n . D i e ökonomische Analyse des Rechts k a n n allerdings eine solche gleichrangige W e r t i g k e i t n i c h t f ü r sich beanspruchen. Sie ist, w e n i g stens auf absehbare Zeit, n i c h t m e h r als ein v i e l l e i c h t interessanter i n t e r d i s z i p l i n ä r e r Deutungsansatz i m Recht, der i n Teilen w o m ö g l i c h sogar p l a u sible Resultate b e w i r k e n mag, der jedoch i m Bonner Grundgesetz u n d der Methode v o n dessen I n t e r p r e t a t i o n keine Verankerung als allgemeingültige Lehre findet. A u c h bei B e m ü h u n g des bereits angesprochenen verfassungsrechtlichen W i r t s c h a f t l i c h k e i t s p r i n z i p s
fehlen h i n r e i c h e n d k l a r e k o n s t i -
t u t i o n e l l e K o n t u r e n , u m eine m i t der ökonomischen R e v o l u t i o n i e r u n g der Methodenlehre einhergehende E i n s c h r ä n k u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t z u begründen. E i n e B i n d u n g des Richters besteht daher auch insoweit nicht. IV. Schluß A u c h i m zunehmend ökonomisierten Staat besteht d a m i t insgesamt keine M ö g l i c h k e i t z u einer entsprechend veranlaßten N e u d e f i n i t i o n der richterl i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t . I n h a l t u n d B e d e u t u n g der verfassungsrechtlichen G e w ä h r l e i s t u n g verschließen sich z w i n g e n d einer ökonomisch m o t i v i e r t e n M o d i f i k a t i o n . I m m e r h i n ist es d a m i t dem Staat n i c h t verwehrt, die rechtsprechende T ä t i g k e i t w i r t s c h a f t l i c h z u steuern. D i e V e r a n t w o r t u n g f ü r eine derartige E n t w i c k l u n g k a n n jedoch n u r sehr begrenzt i m i n t e r n e n Bereich der D r i t t e n G e w a l t verortet werden, was an dieser Stelle n i c h t w e i t e r vert i e f t w e r d e n konnte. Jedenfalls scheidet eine notwendigerweise m i t Beschränkungen verbundene ökonomische A n t a s t u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t de lege l a t a aus. A l l e n f a l l s der hier n i c h t zu vertiefende u n d n i c h t ökonomisch m o t i v i e r t e Wandel v o n dem gegenwärtigen i n d i v i d u e l l e n zu einem i n s t i t u t i o n e l l e n Verständnis der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t 9 3 vermag als N e b e n p r o d u k t auch w i r t s c h a f t l i c h e Vorzüge z u erzeugen. I m ü b r i g e n ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, d u r c h die F o r m u l i e r u n g geeigneter Rechtsnormen d e m i m übergreifenden Thema des Symposions u n t e r stellten Ökonomisierungsdruck z u begegnen u n d so die rechtsprechende T ä t i g k e i t i n diesem Sinne einzusetzen. D i e E i n s c h r ä n k u n g der U n a b h ä n g i g k e i t aus ökonomischem M o t i v ergibt sich d a n n ebenso zwanglos w i e verfassungsrechtlich g r u n d s ä t z l i c h u n b e d e n k l i c h aus der B i n d u n g des Richters an das Gesetz. Indessen stößt schließlich auch der Gesetzgeber selbst b e i 93
D a z u a u s f ü h r l i c h M. Reinhardt,
Konsistente J u r i s d i k t i o n ( F N 1).
198
Michael Reinhardt
einem etwaigen ökonomischen U m b a u der Rechtsordnung an verfassungsrechtliche Grenzen, w e n n d u r c h ein a l l z u wirtschaftliches Vorgehen insbesondere Rechtsstaatlichkeit u n d Grundrechtsschutz v e r l u s t i g z u gehen drohen. D o c h dies ist schon ein anderes Thema.
IV. Selbstverwaltung der Gerichte
Selbstverwaltung der Gerichte als Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit im schlanken Staat? Von C h r i s t i a n Dästner, Düsseldorf
I. Rückblick Das Thema der Selbständigkeit der Gerichte ist v o n Repräsentanten der Gerichtsbarkeiten schon i n den Anfangs] ahren der R e p u b l i k verstärkt z u r D i s k u s s i o n gestellt worden. U n t e r dem T i t e l „ D i e Entfesselung der D r i t t e n G e w a l t " 1 ist der erste Präsident des nordrhein-westfälischen
Oberver-
waltungsgerichts, Paulus van Husen, b e i der Tagung der Oberverwaltungsgerichtspräsidenten i m September 1951 dafür eingetreten, dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts das Recht einzuräumen, den E t a t der Verwaltungsgerichtsbarkeit u n m i t t e l b a r d e m Parlament vorzulegen u n d i h n diesem gegenüber z u vertreten. D i e Schaffung eines besonderen Rechtswahr u n g s m i n i s t e r i u m s lehnte er ebenso ab w i e die E i n r i c h t u n g eines „Rechtsamtes" oder „Rechtswahrungsamtes". Das m a g auf dem H i n t e r g r u n d z u sehen sein, daß, w i e v a n Husen formulierte, „ d e r M u t aufgebracht w e r d e n (muss), k l a r zu sagen, daß f ü r die Verwaltungsgerichte i h r e r B e s t i m m u n g nach ein w e i t höheres Maß v o n Selbständigkeit u n d d a m i t U n a b h ä n g i g k e i t n ö t i g ist als f ü r die Z i v i l g e r i c h t e " . 2 Was die von i h m vertretene Fachgerichtsbarkeit angeht, führte er f ü r sich das A r g u m e n t an, es sei „absurd, daß der K o n t r o l l i e r t e den K o n t r o l l e u r k o n t r o l l i e r e n soll. " I n der Sache benannte van Husen
als Gegenstand seiner K r i t i k das
„ G r u n d ü b e l " der Richterernennung d u r c h die E x e k u t i v e : „ W i e soll ein Richter u n a b h ä n g i g sein, der sein ganzes L e b e n l a n g h i n s i c h t l i c h der Beför1 Paulus S. 49 ff.
van Husen,
D i e Entfesselung der D r i t t e n G e w a l t , A ö R 78 ( 1 9 5 2 / 5 3 ) ,
2 V i e l l e i c h t m a g b e i dieser F o r m u l i e r u n g auch die z u r d a m a l i g e n Z e i t offen ausgebrochene A u s e i n a n d e r s e t z u n g ü b e r die Besetzung des Präsidentenamtes b e i m Verfassungsgerichtshof des Landes eine R o l l e gespielt haben, i n der sich die b e i d e n d i e n s t ältesten Präsidenten der Oberlandesgerichte i n N R W zunächst ö f f e n t l i c h geweigert h a t t e n , i n einem Verfassungsgericht u n t e r d e m „ g e b o r e n e n " Vorsitz des Präsidenten des O V G m i t z u w i r k e n , w e i l d a r i n eine „ k r ä n k e n d e Z u r ü c k s e t z u n g " der R i c h t e r der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t z u sehen sei. Dieser S t r e i t w a r d a f ü r v e r a n t w o r t l i c h , dass die Besetzungsfrage i m T e x t der Landesverfassung - anders als zunächst vorgesehen - offen gelassen u n d erst i m Gesetz ü b e r d e n Verfassungsgerichtshof entschieden w u r d e ( i m Sinne des P r ä s i d e n t e n des Oberverwaltungsgerichts).
202
Christian Dästner
derung i n Aufrückestellen v o n der E x e k u t i v e a b h ä n g t " . D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t sei ein verlogenes System, solange dies so sei. A l s ein ganz böses K a p i t e l bezeichnete v a n Husen die Dienstauf sieht der E x e k u t i v e , „ d i e tausend H ä n d e hat, u m den Richter a b h ä n g i g zu machen u n d die Rechtsprec h u n g zu beeinflussen". Es sei auch k e i n Trost, dass i n den Justizminister i e n frühere Richter diese A u f s i c h t ausübten: „Erfahrungsgemäß
werden
Richter oft Superverwaltungsbeamte, w e n n sie i n ein M i n i s t e r i u m k o m m e n . " Seine K r i t i k galt ferner dem Personalbemessungssystem. M i t dem Wort „Pensenzahlen" e n t w ü r d i g e die E x e k u t i v e den Richter. D e m d a m a l i g e n Zeitgeist m a g die anschließende F o r m u l i e r u n g so recht entsprochen haben: „ E i n Plansoll, das genau w i e i n Moskau, dem Richter u n b e k a n n t , v o n einigen A m t s r ä t e n der Zentralstelle aufgestellt u n d gehütet w i r d , dient hier z u r Unterlage f ü r dienstaufsichtsmäßige Beurteilung, f ü r die Beförder u n g u n d die S t e l l e n b e w i l l i g u n g . Seit achtzig Jahren w i r d f ü r H a n d a r b e i t e r der Satz propagiert: , A k k o r d l o h n ist M o r d l o h n ' . D i e geistige A r b e i t des Richters w i r d aber widerspruchslos v o n der E x e k u t i v e nach Z a h l , P f u n d u n d E l l e gemessen." N u r a m Rande sei erwähnt, dass v a n Husen - w i e er recht d e t a i l l i e r t darlegte - auch i n der N i c h t g e w ä h r u n g der M i n i s t e r i a l zulage an die Oberverwaltungsgerichte eine typische H e r u n t e r s t u f u n g der Gerichte gegenüber der E x e k u t i v e sah. I m Jahre 1953 w a r die Forderung n a c h S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz Thema des 40. Deutschen Juristentages i n H a m b u r g . Prof. Dr. Hans-Peter
Ipsen
befürwortete i n seinem G u t a c h t e n eine vorsichtige, moderate E r w e i t e r u n g der r i c h t e r l i c h e n Selbstverwaltung. Ergebnis der Diskussionen u n d Berat u n g e n war, dass m e h r h e i t l i c h eine vollständige S e l b s t v e r w a l t u n g f ü r n i c h t empfehlenswert gehalten w u r d e . L e d i g l i c h h i e l t m a n gesetzgeberische Maßn a h m e n m i t dem Z i e l f ü r erforderlich, die U n a b h ä n g i g k e i t des erkennenden Richters i m H i n b l i c k auf Beförderung u n d Dienstaufsicht n i c h t z u gefährden. Z u d e m sollten die haushaltsrechtlichen A n f o r d e r u n g e n der Gerichte dem Parlament m i t g e t e i l t u n d gerichtliche Organe an den p a r l a m e n t a r i schen Beratungen der Haushaltsausschüsse b e t e i l i g t werden. I m A p r i l 1968 leitete der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Verfassungsgerichtshofs, Wilhelm
Pötter, d e m Justizminister des L a n d e s 3 den
E n t w u r f eines „Gesetzes über die E r r i c h t u n g eines Landesrichteramtes" zu. D e r aus zehn Paragraphen bestehende E n t w u r f sah die B i l d u n g eines L a n desrichteramtes als oberste Landesbehörde vor, das sich aus den Präsident e n aller Gerichtsbarkeiten des Landes zusammen setzen sollte. 4 E i n e E i n 3 Interessanterweise d e m J u s t i z m i n i s t e r u n d n i c h t d e m bis 1970 f ü r die V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t u n d bis heute f ü r das Verfassungsgericht z u s t ä n d i g e n M i n i s t e r präsidenten. D i e S t e l l u n g n a h m e w u r d e ferner d e m f ü r die A r b e i t s - u n d die S o z i a l g e r i c h t s b a r k e i t z u s t ä n d i g e n A r b e i t s - u n d S o z i a l m i n i s t e r i u m zugeleitet. 4 § § 1 , 2 des E n t w u r f s .
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
203
beziehung der Staatsanwaltschaften enthielt der E n t w u r f n i c h t . D e r A u f g a benbereich des Landesrichteramtes ist w i e folgt umschrieben: „ D a s L a n desrichteramt v e r w a l t e t die Personalangelegenheiten der Richter, Beamten, Angestellten u n d A r b e i t e r der Gerichte i n eigener Z u s t ä n d i g k e i t , soweit diese V e r w a l t u n g einer obersten Landesbehörde zusteht." D a r ü b e r hinaus sollten d e m A m t weitere A u f g a b e n d u r c h Gesetz oder Rechtsverordnung übertragen
werden
können.
Was die
Letztentscheidung
in
Personal-
angelegenheiten angeht, sah der E n t w u r f vor, dass „ f ü r Personalangelegenheiten, die der Landesregierung z u r E n t s c h e i d u n g vorzulegen sind, (ist) eine Stellungnahme des Landesrichteramtes herbeizuführen u n d der Landesregierung m i t dem Personalvorschlag vorzulegen" ist. Ferner sollte den M i t gliedern des Landesrichteramtes ein Recht auf A n h ö r u n g d u r c h den L a n d tag u n d seine Ausschüsse bei der B e r a t u n g des Haushalts u n d der die A n g e legenheiten betreffenden Gesetzesvorlagen u n d d u r c h die Landesregierung f ü r den Fall zustehen, dass diese v o n Personalvorschlägen der M i t g l i e d e r des Amtes abweichen w i l l . D e r nordrhein-westfälische Justizminister Josef Neuberger Versuchen, den G e r i c h t e n eine größere organisatorische
b
hat zu diesen
Selbständigkeit
einzuräumen, bei mehreren Gelegenheiten d e u t l i c h S t e l l u n g genommen. 6 Es dürfe n i c h t übersehen werden, dass ein derartiger Isolationismus der D r i t t e n G e w a l t darauf hinausliefe, einen großen Teil aller E x e k u t i v b e f u g nisse aus der parlamentarischen K o n t r o l l e herauszunehmen. B e i aller U n abhängigkeit der Rechtsprechung sei z u beachten, dass auch die r i c h t e r l i che G e w a l t aus der allumfassenden Volkssouveränität fließe, die sich i m Parlament verkörpere u n d die m i t den ü b r i g e n G e w a l t e n v e r b u n d e n u n d verzahnt b l e i b e n müsse. Schließlich gehörten die Justizverwaltungsaufgaben z u r E x e k u t i v e u n d müssten i n einer parlamentarischen D e m o k r a t i e d u r c h einen M i n i s t e r gegenüber dem Parlament v e r a n t w o r t e t werden. E i n e Bestrebung der Loslösung der D r i t t e n G e w a l t müsse also bereits an der Verfassungsordnung des demokratischen Staates scheitern; sie sei „verfassungsrechtlich i n d i s k u t a b e l " . N a c h d e m die D i s k u s s i o n über eine S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz i n der Fachöffentlichkeit damals v o r l ä u f i g z u m Abschluss gekommen war, scheint sie i n jüngerer Z e i t i m Rahmen der Überlegungen z u r M o d e r n i s i e r u n g der Justiz einen neuen A n f a n g gefunden z u haben. D a z u k a n n auch die Bef ü r c h t u n g mancher Richter u n d Staatsanwälte beigetragen haben, die Justiz werde v o n der E x e k u t i v e „ v e r e i n n a h m t " . Z e i t l i c h i n diesem Z u s a m m e n h a n g 5 Dr. Dr. Josef Neuberger (SPD) gehörte der L a n d e s r e g i e r u n g N R W v o m 8. D e z e m ber 1966 bis z u m 13. September 1972 als J u s t i z m i n i s t e r an. e Josef Neuberger, P a r l a m e n t u n d D r i t t e G e w a l t , R u P 3 (1967), S. 104 ff.; ders., Z u r S t e l l u n g des Richters, D R i Z 1968, S. 344f.; ders., M o d e r n e J u s t i z p o l i t i k , hrsg. v o m J u s t i z m i n i s t e r i u m NRW, Düsseldorf 1968, S. 9 ff.
204
Christian Dästner
steht auch die zeitweise Zusammenlegung v o n Justiz- u n d I n n e n m i n i s t e r i u m i n Nordrhein-Westfalen. A u c h der Deutsche Richtertag h a t sich i m Jahre 1999 m i t der T h e m a t i k der S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz i n seiner A b t e i l u n g I beschäftigt, die u n t e r dem Thema „ S t r u k t u r r e f o r m der Justiz i m Zeichen k n a p p e r Kassen" stand. N i c h t u n e r w ä h n t lassen w i l l i c h schließl i c h , dass sich a m 16. November 2001 auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth,
i m N a m e n des Vorstands dafür ausge-
sprochen hat, „ d e r deutschen Justiz eine neue u n d v o n staatlicher Verwalt u n g g ä n z l i c h unabhängige S t r u k t u r z u geben." 7
I I . Z u r gegenwärtigen Diskussion M e i n R ü c k b l i c k i n die Geschichte der D i s k u s s i o n u m die Frage der S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz hatte z u m Ziel, wesentliche A r g u m e n t e i n E r i n n e r u n g z u rufen, m i t denen die jetzt w i e d e r belebte D i s k u s s i o n i n der Vergangenheit geführt w u r d e . E i n e n v o l l s t ä n d i g e n Ü b e r b l i c k über die für das P e t i t u m der organisatorischen Verselbständigung der Justiz ins Feld geführt e n A r g u m e n t e zu geben, k a n n i c h m i r schon deshalb ersparen, w e i l das Gegenstand eines weiteren Referats sein w i r d . E i n i g e wenige A n m e r k u n g e n möchte i c h dazu g l e i c h w o h l machen: Wie bereits erwähnt, scheint die D i s k u s s i o n einen neuen Anlass i n den derzeit i n allen Justizverwaltungen verstärkt betriebenen Anstrengungen z u einer M o d e r n i s i e r u n g der Arbeitsweise an den Gerichten u n d Staatsanwaltschaft e n gefunden z u haben. D i e I n s t r u m e n t e des Neuen Steuerungsmodells w i r k e n sich i n der Tat auf die Spielräume aus, die den Justizbehörden b e i der B e w ä l t i g u n g i h r e r A u f g a b e n z u r Verfügung stehen u n d an denen Richter u n d Staatsanwälte i m Rahmen des Gerichtsverfassungsrechts u n d der Personalvertretungen teilhaben. A l s Gefährdungen der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t werden v o r a l l e m gesehen die B u d g e t i e r u n g f ü r einzelne S p r u c h k ö r p e r bzw. Dezernate, w e i l sich hieraus unerwünschte Vergleichsmöglichk e i t e n der k o n k r e t e n Arbeitsweisen der Richter u n d Staatsanwälte u n t e r einander ergäben. Das I n s t r u m e n t des B e n c h m a r k i n g w i r d wegen seiner innergerichtlichen
Wirkung
als Wettbewerbsstimulanz
„ Ö k o n o m i s i e r u n g der Rechtspflege" k r i t i s i e r t . A u c h
und Mittel
zur
Zielvereinbarungen
zwischen J u s t i z v e r w a l t u n g u n d r i c h t e r l i c h e n Dezernaten gelten als susp e k t . 8 D i e Stimmungslage i n w e i t e n Kreisen der Richterschaft g u t getroffen zu haben scheint der H a m b u r g e r Hochschullehrer Michael 7 8
Köhler,
w e n n er
d p a - M e l d u n g v o m 16. N o v e m b e r 2001.
s. A b s c h l u s s b e r i c h t der A r b e i t s g r u p p e „Neues S t e u e r u n g s m o d e l l " des D e u t s c h e n R i c h t e r b u n d e s (zitiert n a c h der V e r ö f f e n t l i c h u n g u n t e r w w w . d r b . d e / s t e l l u n g / s t e u e r u n g s m o d e l l . h t m l [20. 07. 00]).
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
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i m M a i 2001 vor schleswig-holsteinischen R i c h t e r n als Symptome f ü r die angefochtene S t e l l u n g der Justiz u. a. die „ l a n g f r i s t i g e Tendenz z u r Vernachlässigung u n d permanenten Ü b e r l a s t u n g der Justiz, Reorganisationsbestrebungen u n t e r j u s t i z f r e m d e n Gesichtspunkten (ζ. B. der A b b a u k o l l e gialer S p r u c h k ö r p e r aus Ersparnis)" u n d eine n i c h t v o m Parteieneinfluss freie Personalpolitik benannt h a t . 9 I c h halte das f ü r eine sehr einseitige B e t r a c h t u n g der Dinge. D i e Neuen Steuerungsmodelle eröffnen i m Gegenteil Spielräume, die gerade i m Sinne einer gesteigerten A u t o n o m i e f ü r die D r i t t e G e w a l t genutzt w e r d e n können. D i e a k t u e l l e D i s k u s s i o n z u r M o d e r n i s i e r u n g der V e r w a l t u n g s s t r u k t u r e n zeigt sich indes n i c h t imstande, die S i n n h a f t i g k e i t einer S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz außerhalb des ü b e r k o m m e n e n Systems dar z u t u n .
I I I . Keine Rückkehr in den Paragraphenturm I c h w i l l keinen Z w e i f e l an meiner H a l t u n g lassen: I c h betrachte die dargestellten Bestrebungen als A u s d r u c k einer Sehnsucht der Justiz n a c h einer Existenz i m Paragraphenturm, i n dem es so etwas w i e eine paradiesische N e u t r a l i t ä t jeglichen Handelns geben könne, frei von L e n k u n g d u r c h die E x e k u t i v e u n d frei v o n jeder p o l i t i s c h e n Einflussnahme. Diese Sehnsucht w i r d ebenso w e n i g z u s t i l l e n sein w i e die Hoffnung, m a n könne u n d solle Recht u n d P o l i t i k als v ö l l i g voneinander getrennte Bereiche ansehen. D i e i h r zugrunde liegenden Vorstellungen sind i n den angedachten M o d e l l e n geeignet, die Justiz i n die I s o l i e r u n g z u führen. H i e r z u d a r f es jedoch n i c h t kommen. Lassen Sie m i c h auf die wesentlichen Einzelfragen eingehen:
1. Verfassungsrechtliche Bewertung
Was die verfassungsrechtliche B e w e r t u n g angeht, w i l l i c h m i c h k u r z fassen. Dass hier das H a u p t p r o b l e m liegt, ist w o h l allen Teilnehmern an der D i s k u s s i o n bewusst. M i r ist b i s l a n g k e i n M o d e l l b e k a n n t , das die gewünschte A u t o n o m i e der J u s t i z v e r w a l t u n g u n t e r einem K a n z l e r oder Präsid i u m ohne parlamentarische V e r a n t w o r t l i c h k e i t verfassungskonform ausgestalten könnte. Es geht ja d a r u m , dass eine öffentlich-rechtliche K ö r p e r schaft m i t einer Führungsspitze, die weder v o m Parlament n o c h v o n der Landesregierung k o n t r o l l i e r t w e r d e n k a n n , öffentliche M i t t e l erheblichen Umfangs - i n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n entfallen auf die Justiz insgesamt ca. 11%, auf die Gerichte u n d Staatsanwaltschaften m e h r als 8 % des Personal9 Z i t i e r t n a c h der Zusammenfassung v o n R i c h t e r a m L a n d g e r i c h t Wolf gang u n t e r w w w . r i c h t e r v e r e i n . d e / j 2 0 0 0 / s v k o h l e r . h t m (14. 10. 001).
Hirth
Christian Dästner
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budgets des Landes u n d die dazu erforderlichen S a c h m i t t e l - v e r w a l t e n soll, ohne dass sie dem Parlament f ü r die M i t t e l v e r w e n d u n g , aber auch f ü r ihre sonstige A u f gaben Wahrnehmung v e r a n t w o r t l i c h sein soll. D i e A m t s d a u e r der Führungspersönlichkeiten wäre an i h r richterliches A m t gekoppelt, i n dem sie den besonderen Schutz eines Richters vor der E n t f e r n u n g aus dem A m t genießen. Dass eine solche K o n s t r u k t i o n i n einer parlamentarischen D e m o k r a t i e u n m ö g l i c h ist, liegt auf der H a n d . N u r a m Rande e r w ä h n t sei, dass n a t ü r l i c h auch die Vorstellungen des ehemaligen Richters Ulrich
Vultejus,
der die L e i t u n g der J u s t i z v e r w a l t u n g
i n die H ä n d e eines von den R i c h t e r n auf Z e i t g e w ä h l t e n obersten Richterrats legen w i l l 1 0 , das L e g i t i m a t i o n s d e f i z i t n i c h t beseitigen. D e n n z u m einen wäre d a m i t z w a r eine zeitliche Begrenzung der A m t s f ü h r u n g , n i c h t aber eine parlamentarische V e r a n t w o r t l i c h k e i t einer Instanz, die i n erheblichem U m f a n g Exekutivbefugnisse w a h r n e h m e n w ü r d e , sicher gestellt. Z u m anderen w i r d i n der D i s k u s s i o n insgesamt - u n d so auch hier - übersehen, dass die Justiz n i c h t n u r aus R i c h t e r n u n d Staatsanwälten besteht. Diese sind zwar, zusammen m i t Rechtspflegern u n d A m t s a n w ä l t e n , I n h a b e r besonderer A u t o n o m i e - G e w ä h r l e i s t u n g e n . Von der Gesamtzahl der r u n d 26.000 Stellen an den Gerichten u n d Staatsanwaltschaften i n Nordrhein-Westfalen i m H a u s h a l t s p l a n 2002 machen die Richter aber m i t r u n d 4.800 n u r ca. 18,5%, die Staatsanwälte m i t r u n d 1.050 etwa 4 % des Personals aus. W a r u m die große M e h r z a h l der Justizbediensteten, die persönlich k e i n e n A n t e i l an der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t haben, der p a r l a m e n t a r i s c h k o n t r o l l i e r ten E x e k u t i v e g ä n z l i c h entzogen w e r d e n sollen, ist b i s l a n g nirgends t h e m a tisiert, geschweige denn begründet worden. A u c h w e n n i c h n i c h t i n weitere Details gehen w i l l , doch soviel: W i r bewegen uns, was die Frage der parlamentarischen K o n t r o l l e angeht, i n einem Bereich, der gemäß A r t . 79 Abs. 3 i n V e r b i n d u n g m i t A r t . 20 G G v o r Verfassungsänderungen geschützt ist. Es geht b e i der K o n s t r u k t i o n s f r a g e also n i c h t u m ein Problem, das m a n einigen Rechtstechnikern z u r L ö s u n g überweisen k a n n : Es geht v i e l m e h r u m eine Kernfrage unseres p a r l a m e n tarischen Systems. Das sei a l l denen gesagt, die l e i c h t h i n meinen, dass das, was woanders gehe, doch auch b e i uns m ö g l i c h sein müsse.
2. Vergleich mit ausländischen Modellen
Dies f ü h r t m i c h z u dem i m m e r w i e d e r angestrengten Vergleich m i t ausländischen Modellen. Diese Frage w i l l i c h h i e r aus Z e i t g r ü n d e n n u r k u r z 10 Ulrich Vultejus, D i e S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t , z i t i e r t n a c h der Veröffentl i c h u n g v o n Wolfgang Hirth u n t e r w w w . r i c h t e r v e r e i n . d e / m h r / m h r 9 8 3 / 9 8 3 1 5 . h t m (24. 07. 00).
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
streifen. Schon Paulus
van Husen 11
207
hatte 1951 auf vorzugswürdige Rege-
l u n g e n i n F r a n k r e i c h u n d I t a l i e n hingewiesen u n d sogar i n der sowjetrussischen Verfassung Beherzigenswertes gefunden. I c h halte v o n d e m Vergleich p u n k t u e l l herausgegriffener Einzelregelungen wenig; erforderlich wäre i n jedem Fall ein umfassender System vergleich, der die S t e l l u n g der Verfassungsgewalten i n den einzelnen Staaten beleuchtet u n d dabei die E i n z e l regelungen h i n s i c h t l i c h i h r e r F u n k t i o n i m j e w e i l i g e n System analysiert. Das leistet, soweit i c h sehe, die bisherige D i s k u s s i o n n i c h t ;
vielmehr
herrscht h i e r die M e t h o d e des Rosinenpickens vor. U n d i c h erlaube m i r - methodisch v i e l l e i c h t n i c h t v i e l sauberer - , I h n e n als meine persönliche B e w e r t u n g z u sagen, dass i c h jedenfalls den H i n w e i s auf die L ä n d e r des romanischen Rechtskreises n i c h t f ü r w e i t e r f ü h r e n d halte. I c h habe n i c h t den E i n d r u c k , dass die Rechtspflege dort v o n der P o l i t i k weniger beeinflusst w i r d als i n Deutschland. I m Gegenteil k a n n m a n aus zahlreichen E i n z e l Vorgängen i n I t a l i e n , Spanien u n d auch F r a n k r e i c h den E i n d r u c k gew i n n e n , dass die Justiz i n diesen L ä n d e r n i n stärkerem Maße als bei uns i n öffentliche Auseinandersetzungen m i t den anderen Verfassungsgewalten u n d i h r e n Repräsentanten hineingezogen u n d d a m i t z u m p o l i t i s c h e n A k t e u r w i r d . Dass d a m i t eine Z u n a h m e des p o l i t i s c h e n D r u c k s v e r b u n d e n ist, k a n n m a n dabei recht gut beobachten. Z w e i f e l h a f t ist auch, ob die w i r t s c h a f t liche S t e l l u n g der Justiz i n den europäischen Staaten, die f ü r einen Vergleich b e m ü h t werden, besser ist als hier.
3. Justizhaushalt
E i n H a u p t a n l i e g e n der Autonomiebestrebungen besteht d a r i n , dass der Justiz e n d l i c h ein angemessenes Budget z u r Verfügung gestellt w e r d e n müsse. D i e Justiz - so ist vielfach z u hören - f ü h l t sich permanent überlastet u n d bei der Verteilung der H a u s h a l t s m i t t e l n i c h t h i n r e i c h e n d berücksicht i g t . Das soll m i t einem eigenen A m t u n d seinen Repräsentanten, die die Interessen der Justiz dem Parlament gegenüber u n m i t t e l b a r geltend machen könnten, besser werden. I c h k a n n diesen O p t i m i s m u s n i c h t nachvollziehen. N a t ü r l i c h g i b t es i m m e r w i e d e r K n a p p h e i t e n . D e r Justiz geht es insoweit n i c h t anders als anderen Bereichen öffentlicher A u f g a b e n w a h r n e h m u n g . A b e r sei dem w i e es wolle: D i e autonome W a h r n e h m u n g der H a u s h a l t s i n t e r essen d u r c h die Justiz w ü r d e n a c h meiner E i n s c h ä t z u n g zwangsläufig z u einer Schwächung der Position der Justiz i m Haushaltsverfahren führen. E i n u n m i t t e l b a r e s Vortragsrecht b e i m M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n , b e i m L a n d t a g s präsidenten u n d auch den zuständigen Ausschüssen gegenüber ist keineswegs geeignet, den Verlust an M i t w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n z u kompensieren, 11 s.o. F N 4.
208
C h r i s t i a n D ästner
die ein Regierungsmitglied i m Haushaltsverfahren hat. Jeder K u n d i g e weiß, dass w i c h t i g e Entscheidungen erst i n den h ä u f i g ganztägigen K l a u s u r t a gungen der Landesregierungen u n d der Regierungsfraktionen fallen. Ist die Justiz hier n i c h t präsent, fehlen i h r w i c h t i g e I n f o r m a t i o n e n u n d die M ö g l i c h k e i t der Einflussnahme. Das g i l t auch f ü r den Haushaltsvollzug. Wie soll die Justiz i h r e Position vertreten, w e n n es etwa - w i e k ü r z l i c h i n N o r d r h e i n Westfalen - u m die Gegenfinanzierung
eines Programms
„Verlässliche
Schule" geht, das einen zweistelligen M i l l i o n e n b e t r a g kostet? A l l e Ressorts s i n d i n n e r h a l b kürzester Beratungsfristen z u prozentualen K ü r z u n g e n bei den sog. F ö r d e r t i t e l n aufgefordert gewesen; die Entscheidungen s i n d erst i n den Beratungen des K a b i n e t t s u n d anschließenden F r a k t i o n k l a u s u r e n der Regierungsparteien gefallen. E i n e n i c h t präsente Justiz h a t b e i einem solchen Verfahren keine Chance, ihre Interessen angemessen z u vertreten. E i n weiteres aktuelles Beispiel stellen die i n vielen H a u s h a l t e n aufgelegten Sonderprogramme z u r Terrorismusbekämpfung aus Anlass des Anschlags v o m 11. September 2001 dar. Diese Programme sind i n großer E i l e aufgestellt w o r d e n u n d betrafen d i r e k t auch Justizinteressen. E i n e außerhalb des p o l i tischen Geschehens stehende Körperschaft w i e ein Justizverwaltungsrat hätte keine angemessene Gelegenheit, sich hier rechtzeitig einzubringen. Justizinteressen w ü r d e n b e i diesem M o d e l l also zwangsläufig n i c h t b e r ü c k sichtigt. N u n g i b t es i n Justizkreisen die Auffassung, eine solche Verschlechterung der Justizposition werde sich vermeiden lassen, w e i l der Justizkanzler oder -Präsident über eine gestärkte A u t o r i t ä t verfügen werde, was auch das Parl a m e n t berücksichtigen werde u n d müsse. E i n dem L a n d t a g präsentierter H a u s h a l t s e n t w u r f , h i n t e r dem die gesamte D r i t t e G e w a l t stehe, könne beanspruchen, dass i h n das Parlament p r i n z i p i e l l berücksichtige, etwa so w i e die Parlamente die E n t w ü r f e der Verfassungsgerichte i m Grundsatz unverändert passieren lassen. I c h halte diese E r w a r t u n g n i c h t n u r f ü r unrealistisch. Sie ist darüber hinausgehend weder verfassungsrechtlich noch verfassungspolitisch zu rechtfertigen. Das Grundgesetz u n d die Landesverfassungen e n t h a l t e n eine V i e l z a h l v o n Rechtsverbürgungen zugunsten Einzelner u n d v o n H a n d l u n g s aufträgen an den Staat z u r V e r w i r k l i c h u n g v o n G r u n d r e c h t e n u n d v o n Staatszielen. D i e Verfassungen verzichten aber d u r c h w e g darauf, die einzelnen verfassungsrechtlichen G ü t e r u n d H a n d l u n g s a u f t r ä g e i n eine feste R a n g o r d n u n g z u stellen. D i e E n t w i c k l u n g v o n P r i o r i t ä t e n z u r V e r w i r k l i c h u n g der m i t e i n a n d e r k o n k u r r i e r e n d e n Ziele ist Aufgabe der P o l i t i k , der die Verfassungen n u r den Rahmen bieten. Es g i b t k e i n e n i r g e n d w i e beg r ü n d b a r e n Grundsatz, nach d e m die G e w ä h r l e i s t u n g einer f u n k t i o n s f ä h i gen Rechtspflege einen Vorrang v o r der Sicherung des Bildungsanspruchs unserer K i n d e r oder der Sicherung eines bezahlbaren Gesundheitssystems
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
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hätte. D i e i n A r t . 97 G G garantierte r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t e n t h ä l t keine i n s t i t u t i o n e l l e G a r a n t i e eines Haushalts Vorrechts der D r i t t e n Gewalt. Wie v i e l der Staat f ü r die Rechtspflege i m Verhältnis z u r Polizei, z u r Schule, zu den U n i v e r s i t ä t e n oder z u r Gesundheitsfürsorge ausgibt, ist verfassungsr e c h t l i c h n i c h t v o r b e s t i m m t , sondern Gegenstand v o n p o l i t i s c h e n W e r t u n gen. A u c h die Reihenfolge, i n der ein Parlament sich m i t den v o n den einzelnen P o l i t i k b e r e i c h e n f o r m u l i e r t e n Forderungen auseinandersetzt, g i b t k e i n e m P o l i t i k b e r e i c h , auch n i c h t der Rechtspflege, einen verfassungsrechtlich i r g e n d w i e ableitbaren A n s p r u c h auf vorrangige Behandlung. Z u a l l e m t r i t t der G r u n d e i n w a n d h i n z u , dass der „ J u s t i z k a n z l e r " m i t der Vorlage eines Haushaltsentwurfs seine politische U n s c h u l d verlieren w ü r d e : E r w ü r d e z u m p o l i t i s c h e n A k t e u r , dies ohne demokratische L e g i t i m a t i o n . Jeder H a u s h a l t s p l a n ist „geronnene P o l i t i k " , i n d e m er P r i o r i t ä t e n
und
Posterioritäten f o r m u l i e r t . M i t welcher L e g i t i m a t i o n k a n n e i n - p o l i t i s c h neutraler - Justizverwaltungsrat ein M o d e r n i s i e r u n g s p r o g r a m m etwa i m Stile des i n Nordrhein-Westfalen
derzeit verfolgten Programms
„Justiz
2003" m i t einem Finanzierungsvolumen i n dreistelliger M i l l i o n e n h ö h e vorschlagen, das ja zugleich bedeutet, dass M i t t e l f ü r andere j u s t i z p o l i t i s c h wünschbare Vorhaben zurückgestellt w e r d e n müssen? Wer liefert die M a ß stäbe f ü r die entsprechenden Bewertungen? Es liegt doch auf der H a n d , dass haushaltswirksame H a n d l u n g s k o n z e p t e auch i n der Justiz Bewertungen voraussetzen u n d sich n i c h t i m v ö l l i g p o l i t i k f r e i e n R a u m bewegen können. D i e bereits angesprochenen Sonderprogramme z u r Terrorismusbekämpfung machen den P o l i t i k b e z u g n u r z u deutlich. Erst recht wäre der v o n den Justiz-Repräsentanten vorgetragene A n s p r u c h auf einen b e s t i m m t e n A n t e i l a m H a u s h a l t s v o l u m e n i n K o n k u r r e n z z u anderen öffentlichen A u f g a b e n e i n Politikum. Dass der so n e u t r a l gedachte „ J u s t i z k a n z l e r " i n einem solchen Verfahren seine N e u t r a l i t ä t zwangsläufig sehr schnell verlieren w i r d , ergibt sich auch daraus, dass die Existenz einer autonomen Justiz Verwaltungsbehörde die p o l i t i s c h e n Parteien n i c h t d a r a n w i r d h i n d e r n k ö n n e n u n d dürfen, i h r e r seits j u s t i z p o l i t i s c h e Vorstellungen m i t eigenen P r i o r i t ä t e n z u e n t w i c k e l n . Ob der S c h w e r p u n k t personeller A u f w ü c h s e etwa i m Bereich der B e w ä h rungshilfe oder i m Gerichtsvollzieherdienst, ob er eher b e i den Richterstellen der A r b e i t s - als der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen soll, ob die Rechtspflegerausbildung verlängert oder der Stellenschlüssel i m einfachen Justizdienst verbessert w e r d e n soll, a l l dies ist Gegenstand v o n j u s t i z p o l i t i schen Konzeptionen, bei deren Ausgestaltung sich Unterschiede zwischen den p o l i t i s c h e n K r ä f t e n i m L a n d e zeigen. Je n a c h dem I n h a l t seines H a u s h a l t s e n t w u r f s muss der „ J u s t i z k a n z l e r " zwangsläufig i n größere Nähe oder Distanz z u r Regierungs- oder Oppositionsseite geraten. Seine S t e l l u n g n a h me k a n n , da er sich i n der Sphäre der P o l i t i k bewegt, p o l i t i s c h n i c h t n e u t r a l 14 Die Verwaltung, Beiheft 5
Christian Dästner
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bleiben - u n d das alles ohne hinreichende demokratische L e g i t i m a t i o n u n d ohne parlamentarische V e r a n t w o r t l i c h k e i t . Nein, das Ergebnis z u m Thema H a u s h a l t ist f ü r m i c h eindeutig: D i e Posit i o n der Justiz i m Haushaltsverfahren w ü r d e geschwächt u n d die angeblich neutrale Justizbehörde w ü r d e z u m n i c h t ausreichend l e g i t i m i e r t e n p o l i t i schen Akteur. D i e D r i t t e G e w a l t w ü r d e i n Bereiche übergreifen, die i n der parlamentarischen
Demokratie
des Bonner
Grundgesetzes
aus
gutem
G r u n d der E x e k u t i v e vorbehalten sind. Diese ist d e m Parlament v e r a n t w o r t l i c h , das d e m Regierungschef d u r c h k o n s t r u k t i v e s Misstrauensvotum das M a n d a t entziehen k a n n . E i n Justizkanzler demgegenüber w ü r d e seines Amtes auch d a n n n i c h t v e r l u s t i g gehen, w e n n er d u r c h provokative Vorschläge a k t i v i n das j u s t i z p o l i t i s c h e Geschehen eingreifen w ü r d e . Eine „Entfesselung der Justiz" i n diesem Sinne w i r d n i c h t gehen.
4. Personalentscheidungen über Richter und Staatsanwälte
Z u den G r u n d ü b e l n unserer derzeitigen S t r u k t u r e n zählen K r i t i k e r die Richterernennung d u r c h die E x e k u t i v e . I c h zitiere n o c h e i n m a l den ersten Präsidenten des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts,
Paulus
van Husen, m i t dem 1951 f o r m u l i e r t e n Satz: „ W i e soll e i n Richter u n a b h ä n g i g sein, der sein ganzes L e b e n l a n g h i n s i c h t l i c h der Beförderung i n A u f rückestellen v o n der E x e k u t i v e a b h ä n g t . " E i n solcher Satz aus d e m M u n d e des Präsidenten eines Obergerichts k a n n n u n allerdings eigentlich n u r Anlass f ü r H e i t e r k e i t sein. D e n n w i e sieht denn die Aufgabenverteilung zwischen den Gerichtspräsidenten u n d den Justizministerien i n Richterpersonalien i n der Praxis aus? I c h denke, dass die Verhältnisse i n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n - n u r diese kenne i c h m i t h i n reichender Genauigkeit - sich v o n denen i n den anderen 15 L ä n d e r n n i c h t wesentlich unterscheiden. D a n a c h liegt die Beurteilungskompetenz über einen Richter b e i seinem u n m i t t e l b a r e n Dienstvorgesetzten, d. h. f ü r einen b i s l a n g unbeförderten Richter i n der o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t b e i m Präsidenten eines großen Amtsgerichts oder des Landgerichts. D e r Präsident des Oberlandesgerichts ergänzt diese B e u r t e i l u n g d u r c h eine sog. „ Ü b e r b e u r t e i l u n g " , die sich - soweit es u m die B e w e r b u n g u m Beförderungsstellen bei einem L a n d - oder Oberlandesgericht geht - wesentlich auf das „ E r p r o b u n g s z e u g n i s " stützt u n d i m Ü b r i g e n die Beachtung e i n h e i t licher Beurteilungsmaßstäbe i m Gerichtsbezirk bezweckt. D e r Präsident des Obergerichts ist es d a n n auch, der dem Justizminister einen begründeten Besetzungsvorschlag vorlegt, der sich auf die - typischerweise also v o n i h m selbst v e r a n t w o r t e t e n - B e u r t e i l u n g e n stützt. F ü r die Fachgerichtsbark e i t e n u n d den staatsanwaltlichen Dienst g i l t Entsprechendes.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
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D e r Entscheidungsspielraum des Justizministers ist i n dieser S i t u a t i o n d e n k b a r gering. E r k a n n die Beurteilungen des Präsidenten des Obergerichts n i c h t d u r c h seine eigenen ersetzen, sondern ist auf eine Rechtskont r o l l e beschränkt. I n seltenen Fällen m a g sich ein S p i e l r a u m z u r A b w e i c h u n g von dem Besetzungsvorschlag des Gerichtspräsidenten ergeben, etwa w e n n Bewerber aus verschiedenen B e z i r k e n aufeinander treffen, deren Beurteilungsmaßstäbe i n der Praxis auseinander laufen, so dass eine I n t e r p o l a t i o n n o t w e n d i g w i r d ; zumeist versuchen die Gerichtsbezirke allerdings schon i m Vorfeld, Querbewerbungen dieser A r t zu kanalisieren. L e d i g l i c h bei Bewerbungen u m Spitzenämter, b e i denen n i c h t selten Bewerber m i t f o r m a l gleicher Q u a l i f i k a t i o n aufeinander treffen, b l e i b t dem Justizminister ein zumeist eng bemessener Spielraum. K o n k r e t e K l a g e n über p o l i t i s c h m o t i v i e r t e Beförderungen g i b t es deshalb i n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n seit v i e len Jahren n i c h t . Das theoretisch beschworene G r u n d ü b e l f i n d e t i n Wahrheit gar n i c h t statt. Es ist denn auch ganz eindeutig, u n d alle anwesenden R i c h t e r i n n e n u n d Richter wissen das aus eigener E r f a h r u n g : D e r Anpassungs- u n d Leistungsd r u c k , der d u r c h das B e m ü h e n u m die W a h r u n g v o n K a r r i e r e m ö g l i c h k e i ten i m r i c h t e r l i c h e n D i e n s t ausgelöst w e r d e n k a n n , geht n i c h t v o m Justizm i n i s t e r i u m aus. Entscheidende Instanzen s i n d v i e l m e h r der Präsident des Stammgerichts u n d der Chefpräsident der sog. „ M i t t e l b e h ö r d e " . Das Justizm i n i s t e r i u m ist i n diesem Spiel weitgehend teilnehmender Beobachter, aber nicht Akteur. I n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n haben w i r zudem d u r c h Ä n d e r u n g der Z u s t ä n d i g k e i t s v e r o r d n u n g m i t W i r k u n g ab J u l i 2000 bereits weitreichende Personalverwaltungsaufgaben des höheren Dienstes v o m M i n i s t e r i u m auf die M i t t e l i n s t a n z e n delegiert. Das g i l t etwa i m r i c h t e r l i c h e n u n d staatsanwaltl i c h e n Bereich f ü r die E i n s t e l l u n g i n den Justizdienst u n d die E r n e n n u n g auf Lebenszeit oder die Befugnis z u r Entlassung oder Versetzung i n den Ruhestand. D e r Delegationsprozess ist die Konsequenz aus einer Organisat i o n s e n t w i c k l u n g , die darauf abzielt, der jeweils niedrigeren Ebene m e h r E i g e n v e r a n t w o r t u n g z u übertragen. D i e delegierten A u f g a b e n u n d E n t scheidungskompetenzen u n d d a m i t ein Z u g e w i n n an V e r a n t w o r t l i c h k e i t werden v o n den M i t t e l i n s t a n z e n außerordentlich v e r a n t w o r t l i c h w a h r genommen. E t w a w e r d e n die E i n s t e l l u n g e n i m r i c h t e r l i c h e n Bereich auf der Basis v o n Assessment-Centern vorgenommen. Angesichts dieser S i t u a t i o n n i m m t es schon Wunder, w e n n manche m e i nen, ein die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t „ e i n ganzes L e b e n l a n g " gefährdender Anpassungsdruck d u r c h die J u s t i z v e r w a l t u n g könne geringer werden, w e n n m a n die Richterpersonalien ausgerechnet der Ebene abschließend zuwiese, die schon heute die Personalpolitik i m Richterbereich i m 1
212
Christian Dästner
Wesentlichen steuert. Eher w ü r d e i c h eine Z u n a h m e des Anpassungsdrucks u n d eine Verstärkung des i n der Justiz bedauerlicher Weise so w e i t verbreiteten closed-shop-Denkens erwarten. I m Gegensatz dazu sollte aber K r i t e r i e n w i e berufliche M o b i l i t ä t , Bereitschaft z u m L a u f b a h n w e c h s e l oder z u r zeitweisen T ä t i g k e i t außerhalb der Justiz u n d der E n t w i c k l u n g möglichster breiter E r f a h r u n g e n - dem E r w e r b sozialer Kompetenz - größeres G e w i c h t beigemessen werden. Dies sollte meines Erachtens auch i n der D i s k u s s i o n über die F o r m u l i e r u n g v o n A n f o r derungsprofilen f ü r die unterschiedlichen r i c h t e r l i c h e n F u n k t i o n e n bedacht werden. D i e E r s t e l l u n g geeigneter Personalentwicklungs-
und
Fortbil-
dungskonzepte ist eine w e i t lohnendere Aufgabe z u m Aufbrechen
von
b e d r o h l i c h erscheinendem Anpassungsdruck als das sich A b s c h o t t e n i m „closed shop". Diesem Thema jedenfalls w e r d e n w i r uns i n N o r d r h e i n Westfalen jetzt v e r s t ä r k t zuwenden. Z u den Forderungen, die i n dem hier behandelten Zusammenhang erhoben werden, gehört auch diejenige nach dem Verzicht auf ein jegliches Beförderungs-
u n d Beurteilungssystems, nach Ü b e r w i n d u n g v o n H i e r -
archien i n der Richterschaft, so w i e es etwa die Neue Richtervereinigung f o r m u l i e r t h a t . 1 2 H i e r i n sehe i c h ein spätes Wiederaufkeimen der U t o p i e v o m „herrschaftsfreien R a u m " . I n der Folge der Diskussionen der 68er w i s sen w i r , dass es den n i c h t gibt. Unser Gerichtswesen u n d darauf aufbauende Verfahrensordnungen sehen vor, dass es an den G e r i c h t e n verschiedener Instanzen r i c h t e r l i c h e F u n k t i o n e n unterschiedlicher A r t g i b t , die es jeweils m i t den a m besten geeigneten Persönlichkeiten zu besetzen g i l t . Dies ist ohne Bewertungen n i c h t möglich. Dass ein solches System n i c h t w e r t u n g s frei, sondern n a c h dem P r i n z i p der Bestenauslese gefahren w i r d , darauf haben die B ü r g e r i n n e n u n d Bürger auch einen A n s p r u c h .
5. „Ökonomisierung" der Rechtspflege
D i e Aufgabe, bei der Verwendung öffentlicher M i t t e l die Grundsätze v o n W i r t s c h a f t l i c h k e i t u n d Sparsamkeit z u beachten, stellt sich jeder A r t v o n Justizverwaltung. Deshalb w i r d sich h i e r a n die Organisationsfrage n i c h t entscheiden; auch ein Justizverwaltungsrat müsste h i e r z u Maßstäbe entw i c k e l n . Dass d a m i t die h e i k l e Frage b e r ü h r t w i r d , i n w i e w e i t r i c h t e r l i c h e T ä t i g k e i t sich z e i t l i c h u n d q u a n t i t a t i v ü b e r h a u p t messen lässt, k a n n als bek a n n t vorausgesetzt werden. Aus der S e n s i b i l i t ä t der Fragestellung k a n n jedoch k e i n T a b u f ü r Fragen der Effizienzsicherung i n der Justiz abgeleitet werden. I n der Praxis geschieht das j a auch seit jeher n i c h t . Jeder Gerichts12 Sine spe ac m e t u . S t r u k t u r e n einer u n a b h ä n g i g e n u n d d e m o k r a t i s c h e n Justiz. Beschluss der M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g der N R V i n T r e i s - K a r d e n a m 3. M ä r z 1991.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
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Präsident u n d jedes G e r i c h t s p r ä s i d i u m orientiert sich bei der Verteilung der Geschäfte u n d bei der Z u w e i s u n g v o n R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n auf die S p r u c h k ö r p e r u n d Dezernate an Leistungsfähigkeit u n d Belastbarkeit der Kolleginnen
und
Erledigungsziffern.
Kollegen
ebenso
wie
am
Geschäftsanfall
Das geschieht i n r i c h t e r l i c h e r
und
den
Unabhängigkeit
der
zuständigen Gremien u n d hat sich bewährt. Aus diesem G r u n d e k a n n i c h auch den Aufschrei gegenüber einem Gedanken w i e B e n c h m a r k i n g n i c h t ganz verstehen, denn i m Rahmen der Geschäftsverteilungs-Diskussionen i n den Präsidien gehört B e n c h m a r k i n g n a c h m e i n e m E i n d r u c k z u m selbstverständlichen Handwerkszeug. Ob das „Schwarze B r e t t "
wesentlicher
Bestandteil v o n B e n c h m a r k i n g - M o d e l l e n sein muss, m a g z u d i s k u t i e r e n sein. A u f weitere E i n z e l h e i t e n der I n s t r u m e n t e des Neuen Steuerungsmodells w i l l i c h h i e r n i c h t eingehen. Sie s i n d f ü r die Organisationsfrage, w i e bereits bemerkt, n i c h t ausschlaggebend. Eines sei n u r klargestellt: D i e aktuelle D i s k u s s i o n über die M o d e r n i s i e r u n g der V e r w a l t u n g s s t r u k t u r e n der Justiz ist k a u m das geeignete S t i c h w o r t , u m die S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz außerhalb des ü b e r k o m m e n e n Systems zu begründen. A u c h m i t einer anderen Organisationsform w i r d die Justiz der D i s k u s s i o n über die gerechte A l l o k a t i o n öffentlicher M i t t e l n i c h t entgehen. Das w e r d e n u n d k ö n n e n weder die F i n a n z m i n i s t e r n o c h die Parlamente hinnehmen. D i e Justiz w i r d w i e alle anderen Instanzen, die öffentliche M i t t e l v e r w a l t e n u n d i n A n spruch nehmen, darstellen müssen, dass sie m i t diesen M i t t e l n p f l e g l i c h umgeht. N u r d a r u m geht es, gleich i n welcher Organisationsform.
IV. Mehr Eigenverantwortung für die Justiz Das Ergebnis meiner A r g u m e n t a t i o n , m i t der i c h die E i n r i c h t u n g einer autonomen J u s t i z v e r w a l t u n g als I r r w e g gekennzeichnet habe, l a u t e t n u n m i t n i c h t e n , dass alles b e i m A l t e n b l e i b e n müsse u n d es k e i n e n Weg zu m e h r Selbstbestimmung i n der Rechtspflege gebe. I m Gegenteil: W i r sind j a bereits auf einem g u t e n Wege u n d haben allen Anlass z u der E r w a r t u n g , dass die Justiz ihre eigenen Geschicke m i t den neuen z u r Verfügung stehenden V e r w a l t u n g s i n s t r u m e n t e n k ü n f t i g selbstbewusster als bisher i n die H a n d nehmen w i r d . 1. Justizverwaltung ist Exekutive
A m B e g i n n dieses Weges muss f r e i l i c h die E r k e n n t n i s stehen, dass die J u s t i z v e r w a l t u n g der E x e k u t i v e zuzuordnen ist, wenngleich sie i n u n m i t t e l b a r e m Bezug z u den A u f g a b e n der Rechtsprechung steht. Dies h a t auch der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof i n seinem U r t e i l v o m 9. Fe-
214
C h r i s t i a n D ästner
b r u a r 1 9 9 9 1 3 z u r Zusammenlegung v o n I n n e n - u n d Justizressort ausgeführt. Z w a r s i n d i m Laufe der Z e i t verschiedene Modelle f ü r die Organisation der J u s t i z v e r w a l t u n g e n t w i c k e l t worden. D i e gewachsene T r a d i t i o n eines selbständigen Justizministeriums, die auch i m Grundgesetz i h r e n Niederschlag gefunden hat, erscheint m i r indes u n a b d i n g b a r u n d n i c h t d u r c h ein Selbstverwaltungsorgan der Justiz z u ersetzen. D i e L e i t u n g eines Personalkörpers etwa v o n ca. 26.000 Bediensteten aller Dienstzweige an den G e r i c h t e n u n d Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen, m e h r als 8 Prozent aller Landesbediensteten u n d des dazu erforderlichen A n t e i l s an den Sachm i t t e l n des Landes, k a n n i n unserem Verfassungssystem n u r i n p a r l a m e n tarischer V e r a n t w o r t u n g geschehen. Es gehört zu den Grundentscheidungen
aller Justizverwaltungen
in
Deutschland, dass sie n i c h t den Weg g ä n z l i c h gesonderter, neben den Ger i c h t e n u n d Staatsanwaltschaften stehender Justizverwaltungen gegangen sind, sondern dass Rechtsprechungs- u n d Verwaltungsaufgaben i n einem integrierten Behördenaufbau w a h r g e n o m m e n werden. D i e Philosophie dieser L ö s u n g besteht d a r i n , dass eine sachfremde Einflussnahme der E x e k u tive auf die Organisation v o n Rechtsprechung a m ehesten ausgeschlossen w e r d e n k a n n , w e n n die Verwaltungs aufgab en v o n eben demselben K r e i s v o n Persönlichkeiten erledigt werden, der auch die Rechtsprechungsaufgaben w a h r n i m m t . U n d dieses P r i n z i p der Verschränkung v o n Rechtsprec h u n g u n d J u s t i z v e r w a l t u n g ist - jedenfalls i n Nordrhein-Westfalen - bis i n die Ministerialebene h i n e i n v e r w i r k l i c h t , i n d e m dort der Kreis der „ S t a m m beamten" bewusst k l e i n gehalten u n d der Großteil der Referate m i t R i c h t e r i n n e n u n d R i c h t e r n sowie S t a a t s a n w ä l t i n n e n u n d Staatsanwälten i m Abordnungswege besetzt ist. A u c h Planbeamte kehren i m m e r w i e d e r i n die Rechtsprechung zurück. D a m i t v e r b u n d e n ist unsere langjährige E r f a h rung, dass es zu einer w i r k l i c h e n E n t f r e m d u n g zwischen den Behörden des sog. „nachgeordneten Bereichs" u n d dem M i n i s t e r i u m nie gekommen ist. I m G r u n d e ist das P e t i t u m einer selbständigen, autonomen J u s t i z v e r w a l t u n g d a m i t bereits e r f ü l l t , w e n n m a n akzeptiert, dass es ohne parlamentarische V e r a n t w o r t u n g n u n m a l n i c h t geht. N a t ü r l i c h b l e i b t das Problem, dass J u s t i z v e r w a l t u n g w e i t e r h i n eine E x e kutivaufgabe ist, i n der es Weisungen geben k a n n u n d i n deren Bereich die richterliche
Unabhängigkeit
nur Ausstrahlungswirkungen
zeitigt,
aber
n i c h t u n m i t t e l b a r g i l t . Dieser Spagat, den R i c h t e r i n n e n u n d Richter i n der J u s t i z v e r w a l t u n g b e w ä l t i g e n müssen, f ü h r t n i c h t selten z u Spannungen m i t K o l l e g i n n e n u n d Kollegen ohne Verwaltungsaufgaben u n d zu Verdächtigungen nach A r t van Husens,
i n den M i n i s t e r i e n w ü r d e n Richter erfah-
rungsgemäß oft z u „ S u p e r v e r w a l t u n g s b e a m t e n " . 13 U r t e i l v o m 9. 2. 1999 - V e r f G H 11 / 98 - , N J W 1999, 1243 ff.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
215
2. Chancen i m Modernisierungsprozess
I n diesem Zusammenhang empfinde i c h es als eine der wesentlichen E r rungenschaften der eingeleiteten Verwaltungsmodernisierung i n der Justiz, dass sie einen B e i t r a g z u einer gewissen Verringerung der Distanz zwischen den unterschiedlichen F u n k t i o n s g r u p p e n i n der Richterschaft sowie z w i schen den verschiedenen Dienstzweigen leisten k a n n . R i c h t e r i n n e n u n d Richter nehmen m i t der E i n f ü h r u n g moderner B ü r o t e c h n i k u n d der E i n r i c h t u n g v o n Serviceeinheiten i n vermehrtem U m f a n g die Gesamtverantw o r t u n g aller i n einer A r b e i t s e i n h e i t zusammen arbeitenden Justizbediensteten f ü r das Ergebnis i h r e r A r b e i t w a h r u n d an i h r teil. D a m i t erfahren sie, w i e w i c h t i g es ist, dass die Justiz ihre eigenen Aufgaben, auch soweit es sich u m solche m i t E x e k u t i v c h a r a k t e r handelt, selbst i n die H a n d n i m m t u n d n i c h t anderen überlässt. Z u g l e i c h erkennen sie dabei, welche Rolle die G e r i c h t s v e r w a l t u n g w a h r n i m m t i n der Organisation der A r b e i t s e i n h e i t e n u n d Arbeitsabläufe i m Gericht. Das verringert ihre D i s t a n z z u r Verwaltung. Das gegenseitige Verständnis v o n „Rechtsprechern"
und
„Verwaltern"
n i m m t zu. D e r Modernisierungsprozess f ü h r t auch i m Ü b r i g e n z u erheblichen U m w ä l z u n g e n i n n e r h a l b der Justiz. Aufgabengebiete verschieben sich, teils k a n n m a n eine A r t „ W i r - G e f ü h l " erfahren, das der Justiz v i e l l e i c h t insgesamt noch fehlt, das aber durchaus i m Entstehen sein könnte. D i e z a h l reichen Neuerungen auch i m Bereich der I n f o r m a t i o n s t e c h n i k
verändern
die A r b e i t s u m g e b u n g i n den Gerichten u n d Staatsanwaltschaften, f ü h r e n zu engeren u n d effizienter arbeitenden A r b e i t s v e r b ü n d e n u n d zu einer neuen A r b e i t s k u l t u r . W i c h t i g ist m i r die Feststellung, dass m i t der Veränderung der A r b e i t s u m g e b u n g zugleich ein M e h r an b e r u f l i c h e n E r f a h r u n g e n u n d an B e r e i t schaft, sich neuen A u f g a b e n z u stellen, einher gehen w i r d . E i n e vielgestaltigere A r b e i t s w e l t fördert die geistige u n d - so steht zu hoffen - auch die berufliche M o b i l i t ä t , u n d das w i r d uns allen i n der Justiz zugute kommen. Schließlich gehört i n diesen K o n t e x t , dass die Delegation v o n Verwaltungsaufgaben i n n e r h a l b des Neuen Steuerungsmodells auch m i t einer A u s d e h n u n g v o n M i t w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n der Richtervertretungen u n d Personalräte u n d d a m i t m i t m e h r A u t o n o m i e der Angehörigen der D r i t t e n G e w a l t v e r b u n d e n sein w i r d . Dass dabei n i c h t alles, was uns die Betriebswirtschaftslehre an Neuerungen beschert, unbesehen auf die Justiz zu übertragen ist, wissen w i r alle. I n N o r d r h e i n - W e s t f a l e n gehen w i r deshalb den Weg der offenen D i s k u s s i o n m i t den Richtervertretungen u n d i h r e n Verbänden ebenso w i e m i t den allgemeinen Personalvertretungen. Unsere E r f a h rungen auf diesem Weg s i n d bisher ermutigend.
216
C h r i s t i a n D ästner
V. Schlussbemerkung I c h b i n gewiss, dass die E r w e i t e r u n g v o n Selbstverwaltungsrechten i n der D r i t t e n G e w a l t i n den bestehenden S t r u k t u r e n eine Z u k u n f t hat; ja, sie ist bereits auf dem Weg. D i e E i n r i c h t u n g einer g ä n z l i c h autonomen Justizv e r w a l t u n g wäre allerdings ein Irrweg. I c h zweifele auch daran, dass die Bereitschaft der Richter u n d Staatsanwälte z u r Ü b e r n a h m e der gesamten V e r w a l t u n g u n d d a m i t zugleich der alleinigen V e r a n t w o r t u n g f ü r das Gesamtergebnis t a t s ä c h l i c h existiert. A u c h i n den bestehenden S t r u k t u r e n besteht jedoch v i e l R a u m f ü r eine gesteigerte E i g e n v e r a n t w o r t u n g der Justiz. I n N R W w u r d e n bereits große S c h r i t t e auf diesem Weg zurückgelegt. Was w i r brauchen, ist die Bereitschaft aller, sich auf neue E r f a h r u n g e n i n i h r e m Berufsalltag einzulassen u n d sich i n die G e s a m t v e r a n t w o r t u n g f ü r die Aufgabe z u stellen, die der D r i t t e n G e w a l t zugewiesen ist, n ä m l i c h eine q u a l i t a t i v anspruchsvolle u n d w i r k u n g s v o l l e Rechtsgewährung zu gewährleisten. Diese Bereitschaft ist n a c h m e i n e m E i n d r u c k verbreitet vorhanden. N i c h t der R ü c k g r i f f auf vordemokratische M o d e l l e also, sondern die engagierte M i t a r b e i t aller i n der Rechtspflege a m laufenden Modernisierungsprozess: Das w i r d n a c h meiner Überzeugung der G a r a n t f ü r eine auch z u k ü n f t i g i n Selbständigkeit u n d U n a b h ä n g i g k e i t arbeitende D r i t t e G e w a l t i n unserem L a n d e sein.
Selbstverwaltung der Gerichte als Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit? Von Thomas Groß, Gießen
I. Einleitung N i c h t erst die u m s t r i t t e n e R i c h t e r w a h l z u m B G H 1 hat die Frage der organisatorischen A b s i c h e r u n g der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t gegen p r o b l e matische externe Einflüsse w i e d e r auf die Tagesordnung gesetzt. Sie w a r n u r das p o l i t i s c h spektakulärste Ereignis i m Rahmen einer tiefergehenden D i s k u s s i o n über s t r u k t u r e l l e Veränderungen i n der Justizverwaltung, die alte T r a d i t i o n e n m e h r u n d m e h r i n Frage stellt. Das schon lange vorhandene Unbehagen gegenüber den Einflüssen der E x e k u t i v e k o i n z i d i e r t heute m i t der Tendenz moderner Managementmodelle, die Ressourcenverantwortung zu dezentralisieren. I n gewisser Weise k a n n m a n dies als Anzeichen f ü r die N a c h h o l u n g einer E n t w i c k l u n g z u r S t ä r k u n g der A u t o n o m i e der Justiz ansehen, die i n einigen anderen europäischen Staaten bereits stattgefunden hat u n d die sich auch i n E m p f e h l u n g e n des Europarats niedergeschlagen hat2. Das bemerkenswerteste Zwischenergebnis dieser Debatte ist ein Positionspapier der A r b e i t s g r u p p e S e l b s t v e r w a l t u n g des Deutschen Richterb u n d e s 3 , i n der auch der amtierende Vorsitzende des Verbandes m i t g e w i r k t hat. D o r t w i r d u. a. u n t e r H i n w e i s auf ausländische V o r b i l d e r u n d die Grundidee der G e w a l t e n t e i l u n g m e h r A u t o n o m i e f ü r die bundesdeutsche Justiz gefordert. Vorgeschlagen w i r d die Schaffung eines Justizverwaltungsrates auf Landesebene als selbständiges Verfassungsorgan z u r L e i t u n g der Justizorganisation. E r soll u. a. den Haushaltsbedarf u n m i t t e l b a r b e i m ι Vgl. Bertram, N J W 2001, S. 1838; Mackenroth, D R i Z 2001, S. 214; s.a. V G Schlesw i g , N J W 2001, S. 3206, d a z u Lovens, Z R P 2001, S. 465; O V G Schleswig, DVB1. 2002, S. 134, d a z u Bull, B e t r i f f t Justiz 2001, S. 208; Schulze-Fielitz, J Z 2002, S. 144. 2 Vgl. die E m p f e h l u n g Nr. R (94) 12 des M i n i s t e r k o m i t e e s des E u r o p a r a t s , h t t p : / / c m . c o e . i n t / t a / r e e / 1 9 9 4 / 9 4 r l 2 . h t m , u n d die Europäische C h a r t a ü b e r das R i c h t e r s t a t u t , a b g e d r u c k t i n ö t v i n der Rechtspflege Nr. 69, J u n i 2000, S. 14, u n d i n R e n o u x (Hrsg.), Les Conseils supérieurs de l a m a g i s t r a t u r e en E u r o p e , 1998, S. 277. 3 h t t p : / / w w w . d r b . d e / s e l b s t v e r w a l t u n g . h t m ; s.a. D R i Z 2002, S. 5; ä h n l i c h bereits die „ L e i t s ä t z e z u m R i c h t e r a m t s r e c h t " v o m 29. 11. 1968, a b g e d r u c k t i n D R i Z 1969, S. 34.
218
Parlament
Thomas Groß
anmelden,
bei Personalentscheidungen
mitwirken
und
die
Dienstaufsicht führen. Seine M i t g l i e d e r sollen die Präsidenten der obersten Landesgerichte u n d der Generalstaatsanwalt sein. F ü r die Personalentscheidungen w e r d e n z w e i unterschiedliche M o d e l l e vorgestellt. E n t w e d e r k ö n n t e n die Richter auf Vorschlag des Justizverwaltungsrates v o n dem Landtagspräsident ernannt werden. B e i N i c h t - E i n i g u n g w ü r d e ein Richterwahlausschuss entscheiden, der p a r i t ä t i s c h aus g e w ä h l t e n Vertretern der Richter u n d Staatsanwälte u n d P a r l a m e n t a r i e r n besteht. Oder es k ö n n t e i n jedem Fall eine W a h l d u r c h diesen Ausschuss erfolgen. D a m i t greift der R i c h t e r b u n d Vorstellungen auf, die ä h n l i c h vorher bereits v o n der Neuen Richtervereinigung 4 entwickelt wurden. Es ist sicher k e i n Z u f a l l , dass diese N e u o r i e n t i e r u n g z e i t l i c h m i t der E i n f ü h r u n g v o n Elementen des Neuen Steuerungsmodells i n der Justiz zusamm e n f ä l l t 5 . Eines seiner wesentlichen Kennzeichen ist die Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung. D e n einzelnen Organisationseinheiten, d. h. i n diesem Fall den Gerichten, soll m e h r E i g e n v e r a n t w o r t u n g i m U m g a n g m i t i h r e n Finanzen eingeräumt werden. D a m i t v e r b i n d e t sich ohne weiteres die Frage, w e r i n n e r h a l b der Gerichte die H a u s h a l t s v e r a n t w o r t u n g übernehmen soll. Verbreitet w i r d h i e r f ü r eine A b k e h r v o n den hierarchischen S t r u k t u r d u r c h eine M i t w i r k u n g der Richter gefordert 6 . I n w i e w e i t solche Reformen verfassungsrechtlich zulässig wären, ist u m stritten. I m Folgenden sollen die einschlägigen Probleme systematisch aufgearbeitet werden. A u s g a n g s p u n k t ist die Garantie der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t (II.). Anschließend w i r d untersucht, welche Folgerungen aus d e m G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p gezogen w e r d e n können, u n d i n w e l c h e m Verh ä l t n i s es z u m D e m o k r a t i e p r i n z i p steht (III.)· D e r Recht s vergleich verdeutl i c h t , dass verschiedene Formen einer stärkeren A u t o n o m i s i e r u n g der Justiz i n anderen europäischen L ä n d e r n bereits p r a k t i z i e r t werden (IV.). Hieraus ergeben sich die d r e i w i c h t i g s t e n Elemente eines Selbstverwaltungsmodelles (V.). Abschließend w e r d e n die p r a k t i s c h e n Voraussetzungen einer Ref o r m der J u s t i z v e r w a l t u n g thematisiert (VI.).
I I . Schutzgehalte der richterlichen Unabhängigkeit D i e r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t hat mehrere Dimensionen, die sich gegenseitig ergänzen. D e n K e r n g e h a l t b i l d e t historisch u n d systematisch die 4
Vgl. h t t p : / / w w w . n r v - n e t . d e / D o w n l o a d / s s a m . h t m l . 5 Vgl. die Ü b e r b l i c k e b e i Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (377 ff.), u n d Kramer, Z Z P 114 (2001), S. 267 (270 ff., 293 ff.). 6 Hoffmann-Riem, J Z 1997, S. 1 (7); K.F. Röhl, D R i Z 1998, S. 241 (246); Voss, D R i Z 1998, S. 379 (388); Grotheer, D R i Z 1999, S. 458 (462).
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
219
sachliche U n a b h ä n g i g k e i t gemäß A r t . 97 Abs. 1 GG, d u r c h die die Richter v o n jeder v e r b i n d l i c h e n i n h a l t l i c h e n Weisung freigestellt w e r d e n 7 . Maßstab f ü r eine r i c h t e r l i c h e E n t s c h e i d u n g ist a l l e i n die B i n d u n g an Recht u n d Gesetz, w i e es auch i n A r t . 20 Abs. 3 G G festgelegt ist. A u c h an Rechtsauffassungen höherer Gerichte ist ein Richter n i c h t gebunden 8 . Schon seit dem 19. J a h r h u n d e r t ist aber klar, dass dieser Schutz gegen d i r e k t e Einflussnahmen i m E i n z e l f a l l n i c h t ausreichend ist. Deshalb dient die persönliche U n a b h ä n g i g k e i t als n o t w e n d i g e E r g ä n z u n g der sachlichen U n a b h ä n g i g k e i t 9 . A r t . 97 Abs. 2 G G schützt den Richter vor dienstrechtl i c h e n Sanktionen, da d a r i n eine G e f ä h r d u n g der i n h a l t l i c h e n Entscheidungsfreiheit gesehen w i r d , die deshalb ebenfalls d u r c h ausdrückliche A n o r d n u n g i n der Verfassung ausgeschlossen w i r d . D a m i t ist der Schutzgehalt jedoch n i c h t erschöpft. So ist etwa allgemein anerkannt, dass über den u n m i t t e l b a r e n A n w e n d u n g s b e r e i c h des A r t . 97 Abs. 2 G G hinaus auch Richter m i t einem anderen Status als die h a u p t a m t l i c h u n d p l a n m ä ß i g e n d g ü l t i g angestellten R i c h t e r vor einer vorzeitigen Bee n d i g u n g ihres Amtes geschützt sein m ü s s e n 1 0 . E i n entsprechender Schutzmechanismus findet sich etwa f ü r ehrenamtliche Richter i n § 44 Abs. 2 D R i G i.V.m. den gerichtsverfassungsrechtlichen V o r s c h r i f t e n 1 1 . A m prekärsten ist der Status eines Richters auf Probe, doch gewährt auch hier § 22 D R i G einen gewissen S c h u t z 1 2 . Diese Regelungen k ö n n t e n keineswegs ersatzlos gestrichen werden. D i e zunächst getroffene Aussage des Bundesverfassungsgerichtes, A r t . 97 Abs. 2 G G gewähre das M i n i m u m der persönlichen U n a b h ä n g i g k e i t , über das der Gesetzgeber hinausgehen k ö n n e 1 3 , ist später r i c h t i g i n dem Sinne erweitert worden, dass es sich auch b e i den f l a n kierenden Schutzvorschriften u m n o t w e n d i g e Regelungen h a n d e l t 1 4 , w e n n auch die Details n i c h t d u r c h die Verfassung vorgegeben sind. A b e r auch f ü r die h a u p t a m t l i c h e n Richter auf Lebenszeit erkennt der Gesetzgeber einen zusätzlichen Schutzbedarf an, der über die Weisungs-, Entlassungs- u n d Versetzungsfreiheit hinausgeht. Anders k a n n n ä m l i c h die E i n s c h r ä n k u n g der D i e n s t a u f sieht i n § 26 Abs. 1 D R i G u n d das z u m Schutz 7
H i e r z u umfassend Simon, D i e U n a b h ä n g i g k e i t des Richters, 1975, S. 1 ff.
8 B V e r f G E 87, 273 (278). 9 Papier, N J W 2001, S. 1089 (1089). 10 B V e r f G E 14, 56 (70 ff.); Schulze-Fielitz, i n : D r e i e r (Hrsg.), G G , B d . 3, 2000, A r t . 97 Rn. 56f.; Classen , i n : v. M a n g o l d t / K l e i n / S t a r c k , GG, B d . 3, 4. A u f l . 2001, A r t . 97 Rn. 46. n V g l . d a z u Schmidt-Räntsch, 12
Deutsches Richtergesetz, 5. A u f l . 1995, § 44 Rn. 8 ff.
Z u g r u n d s ä t z l i c h e n Z w e i f e l n a n der Probezeit f ü r R i c h t e r vgl. Lippold, 1991, S. 2383. 13 B V e r f G E 38, 139 (151). 14 B V e r f G E 87, 68 (85).
NJW
220
Thomas Groß
der Richter z u r Verfügung gestellte gerichtliche Verfahren des § 26 Abs. 3 D R i G n i c h t e r k l ä r t werden. H i e r d u r c h w i r d anerkannt, dass M a ß n a h m e n der Dienstauf sieht gegen die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t verstoßen k ö n nen, auch w e n n sie k e i n e n u n m i t t e l b a r e n Einfluss auf den E i n z e l f a l l bezwecken. D i e Rechtsprechung lässt es n ä m l i c h schon ausreichen, w e n n eine Maßnahme auf eine „ i n d i r e k t e Weisung h i n a u s l ä u f t , w i e der Richter k ü n f t i g verfahren oder entscheiden s o l l " 1 5 . D i e U n a b h ä n g i g k e i t s g a r a n t i e erfasst also auch einen Vorfeldbereich v o n m i t t e l b a r e n Eingriffen. N u n k a n n m a n über viele Einzelentscheidungen der Dienstgerichte m i t F u g u n d Recht streiten. Ob etwa a u f g r u n d der U n a b h ä n g i g k e i t s g a r a n t i e der Z u g a n g z u m D i e n s t z i m m e r eines Richters f ü r m e h r als 74,5 S t u n d e n i n der Woche gewährleistet w e r d e n m u s s 1 6 , erscheint zweifelhaft. I n jüngster Z e i t mehren sich die Vorwürfe, dass diese Rechtsprechung die staatliche Justizgewährleistungspflicht z u sehr vernachlässige, deren D u r c h s e t z u n g n i c h t anders als m i t dem M i t t e l der Dienstaufsicht erfolgen k ö n n e 1 7 . D i e g r u n d sätzliche Aussage, dass die U n a b h ä n g i g k e i t s g a r a n t i e über die u n m i t t e l b a r e Weisungs- u n d Sanktionsfreiheit hinausgeht, w i r d aber auch v o n den k r i tischen S t i m m e n n i c h t bestritten. Folgerichtig w e r d e n zurecht auch mögliche Gefährdungen der U n a b h ä n g i g k e i t d u r c h die L e n k u n g s i n s t r u m e n t e des Neuen Steuerungsmodells t h e matisiert. Es besteht w o h l Konsens darüber, dass Mechanismen der Budget i e r u n g u n d Leistungsmessung n i c h t z u einem Z u g r i f f der J u s t i z v e r w a l t u n g auf einzelne Verfahren f ü h r e n d ü r f e n 1 8 . D i e P f l i c h t z u r gesetzeskonformen A b w i c k l u n g eines Prozesses k a n n n i c h t d u r c h Sparzwänge r e l a t i v i e r t werden. E i n e ökonomische Analyse der K o s t e n der Justiz w i r d d a m i t allerdings n i c h t u n m ö g l i c h , doch muss sie sich auf aggregierte D a t e n beschränken u n d d u r c h Qualitätsstandards ergänzt w e r d e n 1 9 . Wenn m a n aber die N o t w e n d i g k e i t des Schutzes v o r i n d i r e k t e n Einflussn a h m e n n i c h t leugnen k a n n , so ist es n i c h t konsequent, die A u g e n v o r dem Steuerungspotential v o n Personalentscheidungen i n der Justiz zu verschließen. Neben den Einstellungsentscheidungen ist es v.a. die Vergabe höher dotierter Posten, einschließlich der vorausgehenden B e u r t e i l u n g der Leistungen, die eine L e n k u n g ermöglichen, die r e c h t l i c h relevant i s t 2 0 . Z w a r ist 15 So j ü n g s t B G H , N J W 2002, S. 359 (361); s.a. B G H Z 113, 36 ff. 16 So Hess. D G H f. R i c h t e r b e i d e m O L G F r a n k f u r t a.M., N J W 2001, S. 2640. 17 Redeker, S. 1089.
N J W 2000, S. 2796; Sendler,
N J W 2001, S. 1256; Papier,
N J W 2001,
18 Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371 (380 f.); Papier, N J W 2001, S. 1089 (1094). 19 Eifert, D i e V e r w a l t u n g 30 (1997), S. 75 (81 ff.); Voss, D R i Z 1998, S. 379; Berlit, K J 32 (1999), S. 58 (62 ff.); Mackenroth, D R i Z 2000, S. 301. 20 Zätzsch, R i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t u n d R i c h t e r a u s w a h l i n d e n U S A u n d D e u t s c h l a n d , 2000, S. 189 ff.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
221
es schon a u f g r u n d der S c h w i e r i g k e i t v a l i d e r empirischer S t u d i e n k a u m möglich, das Phänomen der Folgen der Personalpolitik i n der Justiz o b j e k t i v zu erfassen, doch ist die A n z a h l der Berichte über entsprechende E i n f l u s s n a h m e n so g r o ß 2 1 , dass die B e d e u t u n g f ü r die richterliche U n a b h ä n g i g k e i t auf der H a n d liegt. D i e Steuerung der personellen Ressourcen d u r c h die J u s t i z v e r w a l t u n g ist mindestens ebenso p r o b l e m a t i s c h w i e die der f i n a n ziellen Ressourcen. Wo s i n d n u n aber diese ergänzenden Schutzgehalte der r i c h t e r l i c h e n U n abhängigkeit n o r m a t i v verankert? A r t . 97 Abs. 1 G G verbietet neben Weisungen auch andere vermeidbare E i n f l u s s n a h m e n 2 2 . D a m i t werden aber n u r inhaltsbezogene Lenkungsversuche i n Bezug auf ein bestimmtes Verfahren erfasst, n i c h t aber s t r u k t u r e l l e Gefährdungen. A r t . 97 Abs. 2 G G erfasst n a c h seinem W o r t l a u t n i c h t alle Richterkategorien. Seine A n w e n d u n g auch auf ehrenamtliche Richter stößt deshalb auf methodische B e d e n k e n 2 3 . Ebenso unbefriedigend ist die Verankerung i n A r t . 33 Abs. 5 G G 2 4 , denn sie ignoriert die v o n A r t . 98 G G systematisch vorgenommene T r e n n u n g z w i schen Beamten u n d R i c h t e r n 2 5 . Richtigerweise ist v i e l m e h r aus A r t . 92 G G ein allgemeines Gebot r i c h t e r licher U n a b h ä n g i g k e i t als übergreifendes S t r u k t u r m e r k m a l der Gerichtsb a r k e i t abzuleiten, das über den Gewährleistungsgehalt v o n A r t . 97 G G h i n a u s g e h t 2 6 . Jeder Richter, der rechtsprechende G e w a l t ausübt, steht u n t e r der Garantie der U n a b h ä n g i g k e i t , denn sie ist die Kehrseite der Verpflichtung, n u r a m Maßstab v o n Recht u n d Gesetz zu entscheiden. Folglich hat sich die gesamte S t r u k t u r der Justiz daran auszurichten, dass sie diese zentrale R a h m e n b e d i n g u n g gewährleistet. Seine K o n k r e t i s i e r u n g ist neben den Kerngehalten des A r t . 97 G G d u r c h den Gesetzgeber vorzunehmen.
21 Vgl. die Nachweise b e i Groß, Z R P 1999, S. 361 (362 Fn. 7); s.a. Schuppert, in: H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g , 1998, S. 215 (221 f.); Hassemer, in: F G K ü b l e r , 1997, S. 87 (97). 22 Schulze-Fielitz, i n : D r e i e r (Hrsg.), GG, B d . 3, A r t . 97 Rn. 19 m. w. N . 23 So r i c h t i g Schulze-Fielitz, B V e r f G E 14, 56 (70 ff.).
i n : D r e i e r (Hrsg.), G G , Bd. 3, A r t . 97 Rn. 56, gegen
24 B V e r f G E 12, 81 (88); B V e r f G ( K a m m e r ) , N J W 1996, S. 2149; Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. A u f l . 1999, A r t . 97 Rn. 32; Schulze-Fielitz, in: D r e i e r (Hrsg.), GG, B d . 3, A r t . 97 Rn. 56. 25 Groß, Z R P 1999, S. 361 (362); i n k o n s e q u e n t Schmidt-Räntsch t u n g Rn. 32.
( F N 11), E i n l e i -
26 Herzog, in: M a u n z / D ü r i g , G G , A r t . 92 Rn. 74; Detterbeck, i n : Sachs (Hrsg.), G G , 2. A u f l . , A r t . 97 Rn. 25; Schulze-Fielitz, i n : D r e i e r (Hrsg.), GG, B d . 3, A r t . 92 Rn. 51; Groß, K J 33 (2000), S. 209 (220 f.).
222
Thomas Groß
I I I . Gewaltenteilung als Strukturprinzip Das G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p ist ein besonders k o m p l e x e r Verfassungsgrundsatz. So einfach der t e x t l i c h e Ausgangsbefund i n A r t . 20 Abs. 2 S. 2 G G ist, w o n a c h die Staatsgewalt d u r c h besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden G e w a l t u n d der Rechtsprechung ausgeübt w i r d , so s c h w i e r i g ist die K o n k r e t i s i e r u n g seines n o r m a t i v e n Gehaltes. D a i n dem v o m Grundgesetz
geschaffenen
parlamentarisch-repräsentativen
Regie-
rungssystem eine s t r i k t e G e w a l t e n t r e n n u n g u n m ö g l i c h ist, hat sich i n neuerer Z e i t zunehmend die E r k e n n t n i s durchgesetzt, dass das Gewaltenteil u n g s p r i n z i p n i c h t als eindeutige u n d trennscharfe Z u w e i s u n g v o n A u f gaben zu Organen, sondern als Gebot der funktionsgerechten O r d n u n g der A u s ü b u n g der Staatsgewalt zu verstehen i s t 2 7 . U n s t r e i t i g ist aber, w i e soeben festgestellt, die U n a b h ä n g i g k e i t der R i c h ter ein Wesensmerkmal der Organisation der A u s ü b u n g rechtsprechender Gewalt. F o l g l i c h w i r d das Unabhängigkeitsgebot v o m n o r m a t i v e n Gehalt des G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p s erfasst 2 8 . Es p r ä g t die S t e l l u n g der als besondere Organe der Rechtsprechung aus den R i c h t e r n gebildeten Gerichte. D a b e i besteht eine wesentliche A s y m m e t r i e i m Verhältnis zu den beiden anderen Gewalten. Während der Gesetzgeber den - abgesehen v o n der Verfassung - maßgeblichen Maßstab f ü r die Entscheidungen der Gerichte vorg i b t , so dass hier n u r die weniger relevante Gefahr v o n Einflussnahmen auf laufende Einzelverfahren abzuwehren i s t 2 9 , ist aus historischen u n d systematischen G r ü n d e n das Spannungsverhältnis zwischen der z w e i t e n u n d der d r i t t e n G e w a l t anders s t r u k t u r i e r t . Neben der Aufgabe der Justizgewährl e i s t u n g ist die K o n t r o l l e der E x e k u t i v e eine auch d u r c h A r t . 19 Abs. 4 G G besonders hervorgehobene F u n k t i o n der G e r i c h t e 3 0 . K o n t r o l l e setzt aber Distanz voraus, die gerade d u r c h die Separierung der Organe b e w i r k t w e r d e n soll. Folglich s i n d alle E i n f l u s s m ö g l i c h k e i t e n der E x e k u t i v e auf die J u d i k a t i v e vor dem H i n t e r g r u n d des Gewaltenteilungsprinzips p r o b l e matisch. D a es sich jedoch n u r u m ein P r i n z i p handelt, das per se k o n k r e t i s i e r u n g s b e d ü r f t i g i s t 3 1 , ist m i t dieser Feststellung n o c h k e i n abschließendes V e r d i k t über alle Einzelfragen der Ausgestaltung der J u s t i z v e r w a l t u n g getroffen. D i e A u s ü b u n g v o n Aufgaben der J u s t i z v e r w a l t u n g u n t e r f ä l l t n i c h t 27 So ζ. B. B V e r f G E 68, 1 (86); Zimmer, F u n k t i o n - K o m p e t e n z - L e g i t i m a t i o n , 1979, passim; Schmidt-Aßmann, in: I s e n s e e / K i r c h h o f (Hrsg.), H S t R I, 1987, § 24 Rn. 50. 28 Wassermann, A K - G G , 3. A u f l . 2001, A r t . 97 Rn. 13. 29 Vgl. ζ. Β . Detterbeck,
i n : Sachs (Hrsg.), GG, 2. A u f l . 1999, A r t . 97 Rn. 12.
30 Groß, Z R P 1999, S. 361 (361). 31 Ehlers, Verfassungsrechtliche Fragen der R i c h t e r w a h l , 1998, S. 30 ff. m. w. N .
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
223
der r i c h t e r l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t 3 2 . A u f g r u n d der m i t t e l b a r e n V e r k n ü p f u n g m i t der Rechtsprechungsfunktion ist sie aber relevant f ü r das G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p , das insoweit zumindest eine L e i t l i n i e f ü r Auslegungsfragen u n d f ü r die gesetzgeberische A u s f o r m u n g der J u d i k a t i v e darstellt. Soweit besondere Verfassungsvorschriften Einzelfragen aus diesem Bereich regeln, w i e etwa A r t . 95 Abs. 2 u n d A r t . 98 Abs. 4 G G zu den R i c h t e r w a h l ausschüssen, so k a n n das G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p interpretatorische H i l f e stellung leisten, n i c h t aber eindeutige F u n k t i o n s z u w e i s u n g e n relativieren. Entgegen einer einflussreichen D o k t r i n besteht dagegen k e i n zwingendes Spannungsverhältnis
zwischen dem G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p
und
dem
D e m o k r a t i e p r i n z i p . Insbesondere k a n n das D e m o k r a t i e p r i n z i p n i c h t herangezogen werden, u m die bestehenden Einflussmöglichkeiten, insbesondere i m Rahmen von Personalentscheidungen der Justiz, zu r e c h t f e r t i g e n 3 3 . D i e monistische I n t e r p r e t a t i o n demokratischer L e g i t i m a t i o n , die sie i n ein u m fassendes Steuerungsprivileg der E x e k u t i v s p i t z e v e r w a n d e l t 3 4 , missachtet sowohl den demokratischen Vorrang des Parlamentes als d i r e k t gewählter Volksvertretung als auch die A n f o r d e r u n g e n des rechtsstaatlichen Rationalitätsgebotes 3 5 . Ebenso w e n i g ist einzusehen, w a r u m der E x e k u t i v e eine besondere V e r a n t w o r t u n g f ü r die Durchsetzung des Justizgewährleistungsanspruches z u k o m m e n s o l l 3 6 . Es leuchtet n i c h t ein, w a r u m n i c h t auch j u s t i z i n t e r n e K o n t r o l l m e c h a n i s m e n diese F u n k t i o n übernehmen k ö n n e n 3 7 . Insbesondere i m Verhältnis zwischen E x e k u t i v e u n d J u d i k a t i v e g i b t es folgl i c h keine verfassungsrechtliche
Rechtfertigung f ü r die
Fortschreibung
historischer Traditionen. D e m o k r a t i e p r i n z i p u n d G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p stehen i n A r t . 20 Abs. 2 G G auf der selben Stufe. D i e A u s ü b u n g der Staatsgewalt erfolgt entweder d u r c h das Volk selbst oder i n einer vielfach gegliederten Staatsorganisation m i t differenzierten Legitimationsmechanismen. Das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander w i r d i n erster L i n i e d u r c h die Verfassung selbst u n d i m Ü b r i g e n d u r c h den Gesetzgeber ausgeformt. Wenn m a n die Aussage des A r t . 97 Abs. 1 G G ernst n i m m t , dass Richter n u r dem Gesetz u n t e r w o r f e n sind, so e n t f ä l l t jede Rechtfertigung f ü r externe E i n f l u s s n a h m e n auf die A r b e i t der Justiz, die über die A u s w a h l der Richter, d. h. den Z u t r i t t z u r
32 Vgl. z. B. Kramer,
Z Z P 114 (2001), S. 267 (285 ff.) m. w. N .
33
So aber insbesondere Böckenförde, Verfassungsfragen der R i c h t e r w a h l , 1974, S. 71 ff.; Ehlers ( F N 31), S. 40ff.; Wassermann, A K - G G , 3. A u f l . , A r t . 92 Rn. 13 ff. 34 Vgl. die R e k o n s t r u k t i o n b e i Groß, Das K o l l e g i a l p r i n z i p i n der V e r w a l t u n g s o r g a n i s a t i o n , 1999, S. 163 ff. ss D a z u Schulze-Fielitz, F S Vogel, 2000, S. 311.
se So w o h l Kramer, Z Z P 114 (2001), S. 267 (302 f.); Hoffmann-Riem, t u n g 30 (1997), S. 481 (493). 37 So auch Renoux, in: ders. ( F N 2), S. 21 (26).
Die Verwal-
224
Thomas Groß
d r i t t e n Gewalt, u n d die n o t w e n d i g e Sicherung der Rahmenbedingungen i h r e r F u n k t i o n s f ä h i g k e i t , insbesondere die Ressourcenausstattung, h i n a u s geht38. Das Erfordernis
einer eigenständigen L e g i t i m a t i o n besteht
ebenfalls
n i c h t bei den Entscheidungen der Justizverwaltung, deren m i t t l e r e I n s t a n zen nach der a u g e n b l i c k l i c h e n S t r u k t u r die Gerichtspräsidenten sind. A u c h als L e i t e r v o n Gerichtsverwaltungen s i n d sie i n erster L i n i e unabhängige Richter, deren A u s w a h l n i c h t v o r r a n g i g d u r c h politische L o y a l i t ä t geprägt sein darf. N u r d a m i t wäre aber der exekutive Einfluss auf die Besetzung v o n L e i t u n g s f u n k t i o n e n z u rechtfertigen. V i e l m e h r beschränken sich die a d m i n i s t r a t i v e n T ä t i g k e i t e n auf eine reine E r m ö g l i c h u n g s f u n k t i o n f ü r die A u s ü b u n g der Hauptaufgabe, die Rechtsprechung, so dass k e i n R a u m f ü r eine eigenständige i n h a l t l i c h e Gestaltungsbefugnis besteht, f ü r die eine politische V e r a n t w o r t u n g z u übernehmen wäre. Insofern besteht eine Parallele z u r Parlament s Verwaltung, deren F u n k t i o n s f ä h i g k e i t von k e i n e m M i n i ster v e r a n t w o r t e t w i r d .
IV. Rechtsvergleich Es ist i n diesem Rahmen n i c h t möglich, einen weitgespannten Vergleich der verfassungsrechtlichen S t e l l u n g der J u d i k a t i v e i n verschiedenen europäischen L ä n d e r n v o r z u n e h m e n 3 9 . A u f der G r u n d l a g e vorliegender S t u d i e n sollen i m Folgenden l e d i g l i c h drei a k t u e l l bedeutsame, aber durchaus auch unterschiedliche Beispiele einer stärker autonomen Organisation der Justiz vorgestellt werden. Neben d e m älteren, sehr weitgehenden M o d e l l Italiens, das d u r c h die jüngsten p o l i t i s c h e n E n t w i c k l u n g e n w i e d e r i n die D i s k u s s i o n geraten ist (1.), w e r d e n die i n den letzten Jahren reformierten S t r u k t u r e n i n F r a n k r e i c h (2.) u n d D ä n e m a r k (3.) vorgestellt.
1. Italien
D i e längste T r a d i t i o n u n d solideste verfassungsrechtliche Verankerung hat die S e l b s t v e r w a l t u n g der Richterschaft i n I t a l i e n 4 0 . A l s R e a k t i o n auf die faschistische Vergangenheit m i t i h r e r p o l i t i s c h e n K o n t r o l l e der Richter u n d der Staatsanwaltschaft legt A r t . 104 Abs. 1 der Verfassung fest, dass die Richter einen selbständigen u n d v o n jeder anderen G e w a l t unabhängigen 38 Vgl. d a z u n ä h e r Groß, Z R P 1999, S. 361 (362 f.). 39 Vgl. die Beiträge in: R e n o u x ( F N 2), S. 21 ff., 143 ff.; s.a. d e n B e r i c h t ü b e r den 17. D e u t s c h e n Richtertag, D R i Z 1999, S. 413 (421 ff.). 40 V g l . z u m folgenden Mariuzzo, D R i Z 2001, S. 161; Behrendt, ö t v i n der Rechtspflege, Nr. 69, J u n i 2000, S. 7 (8 ff.); Pizzorusso, i n : R e n o u x ( F N 2), S. 235 ff.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
225
S t a n d b i l d e n . F ü r die E i n s t e l l u n g , Aufgabenzuweisung, Versetzung, Beförderung u n d das D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n der Richter ist nach A r t . 105 der Verfassung der Oberste Rat des Richterstandes zuständig. E r besteht aus dem Präsidenten der R e p u b l i k , der den Vorsitz f ü h r t , dem ersten Präsidenten u n d dem Generalstaatsanwalt des Kassationshofes, sowie w e i t e r e n M i t g l i e dern, v o n denen z w e i D r i t t e l v o n allen R i c h t e r n u n d ein D r i t t e l v o m Parlament aus den Reihen der o r d e n t l i c h e n Universitätsprofessoren der Rechtswissenschaft u n d der Rechtsanwälte gewählt werden. F ü r die Wahlen der Richter g i l t das Verhältniswahlrecht, so dass a u f g r u n d der K a n d i d a t u r v o n Vertretern u n t e r s c h i e d l i c h ausgerichteter Richtervereinigungen eine p l u r a listische Zusammensetzung entstanden ist. Z u s t ä n d i g ist der Rat allerdings n u r f ü r die ordentliche Justiz u n d die Staatsanwaltschaft, w ä h r e n d die Verw a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ä h n l i c h der französischen T r a d i t i o n eine selbständige S t e l l u n g e i n n i m m t . D u r c h diese Organisation s i n d alle Personalentscheidungen i n der Justiz v ö l l i g dem Justizminister entzogen. U n m i t t e l b a r e politische E i n f l u s s n a h men s i n d auch n i c h t i m Rahmen der Dienstaufsicht möglich. Andererseits ist der Oberste Rat n a t ü r l i c h n i c h t frei v o n p o l i t i s c h e n Strömungen. Z u d e m w i r d k r i t i s i e r t , dass er seine Aufgabe der K o n t r o l l e der ordnungsgemäßen A u f g a b e n e r f ü l l u n g d u r c h die Richter n i c h t i m m e r m i t der n o t w e n d i g e n Konsequenz vorgenommen h a b e 4 1 . Gerade i n der jetzigen p o l i t i s c h e n K o n stellation erweist sich andererseits die V o r z u g s w ü r d i g k e i t einer so w e i t gehenden A u t o n o m i e der Justiz, die u n m i t t e l b a r e Durchgriffe einer neuen Regierungsmehrheit verhindert.
2. Frankreich
E i n e weniger w e i t gehende A u t o n o m i e der Justiz hat F r a n k r e i c h i n der Verfassung der V. R e p u b l i k v o n 1958 e i n g e f ü h r t 4 2 . A u c h dort g i b t es einen Obersten Rat des Richterstandes, der nach A r t . 64 der Verfassung den Präsidenten, der als G a r a n t der U n a b h ä n g i g k e i t der Justiz bezeichnet w i r d , unterstützt. Seine Zusammensetzung u n d seine Aufgaben s i n d i n A r t . 65 der Verfassung geregelt. D e n Vorsitz f ü h r t der Präsident, sein Stellvertreter ist der Justizminister als Vizepräsident. Es g i b t z w e i A b t e i l u n g e n , v o n denen die eine f ü r die Richter (der o r d e n t l i c h e n Gerichtsbarkeit), die andere f ü r die Staatsanwälte z u s t ä n d i g ist. D i e f ü r die Richter zuständige A b t e i l u n g besteht neben dem Präsidenten u n d dem Justizminister aus f ü n f R i c h tern, einem Staatsanwalt, einem M i t g l i e d des Staatsrates u n d d r e i Persönlichkeiten, die weder dem Parlament n o c h den o r d e n t l i c h e n Gerichten an41 Mariuzzo, D R i Z 2001, S. 161 (167). 42 Vgl. z u m folgenden Gicquel, i n : R e n o u x ( F N 2), S. 201. 15 Die Verwaltung, Beiheft 5
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Thomas Groß
gehören u n d jeweils v o m Präsidenten u n d den Vorsitzenden der beiden K a m m e r n des Parlaments benannt werden. Seit einer Reform i m Jahr 1993 w e r d e n die r i c h t e r l i c h e n M i t g l i e d e r v o n den R i c h t e r n selbst g e w ä h l t 4 3 . Z u s t ä n d i g ist die A b t e i l u n g f ü r Vorschläge f ü r die E r n e n n u n g v o n R i c h t e r n des Kassationshofes u n d v o n Präsidenten der anderen Gerichte der u n teren Stufen. Vor der E r n e n n u n g der anderen Richter g i b t sie eine S t e l l u n g nahme ab. Außerdem fungiert sie als D i s z i p l i n a r g e r i c h t f ü r die Richter. D i e Personalgewalt des Justizministers ist f o l g l i c h n i c h t beseitigt,
sondern
d u r c h die E i n s c h a l t u n g des Obersten Rates l e d i g l i c h gemäßigt worden. Gegen sein V o t u m k a n n aber keine Personalentscheidung
durchgesetzt
w e r d e n 4 4 . E i n e I n i t i a t i v e z u r A b l ö s u n g der i n s t i t u t i o n e l l e n A n b i n d u n g der Staatsanwaltschaft an die E x e k u t i v e - w i e i n I t a l i e n - ist dagegen i n den letzten Jahren gescheitert 4 5 .
3. Dänemark
D i e dänische Verfassung aus dem Jahr 1953 e n t h ä l t keine spezifischen Regelungen über die Justizverwaltung. § 64 regelt nur, dass die Richter sich i n i h r e m A m t l e d i g l i c h nach dem Gesetz zu r i c h t e n haben. T r a d i t i o n e l l gehörte die V e r w a l t u n g der Gerichte u n d die E r n e n n u n g der Richter zur Z u s t ä n d i g k e i t des J u s t i z m i n i s t e r i u m s 4 6 . N a c h einer öffentlichen D i s k u s s i o n über Defizite der U n a b h ä n g i g k e i t der Gerichte w u r d e a m 1. J u l i 1999 eine grundlegende Reform auf einfachgesetzlicher Ebene durchgeführt. D i e Gerichte unterstehen n u n m e h r einem selbständigen Gerichtsverwaltungsrat, der v o n einem elfköpfigen Vorstand geführt w i r d . A c h t seiner M i t glieder sind Vertreter der Gerichte, ein M i t g l i e d ist Rechtsanwalt, z w e i M i t glieder werden a u f g r u n d fachlicher Kompetenzen i n Bezug auf F ü h r u n g bzw. Soziales ausgewählt. D i e t ä g l i c h e n Geschäfte w e r d e n v o n einem D i r e k t o r geführt. Aufgaben des Rates s i n d die V e r w a l t u n g des Personals, der I n formationstechnik, der Finanzen u n d der Gebäude der Gerichte. Insbesondere verhandelt er d i r e k t m i t dem F i n a n z m i n i s t e r i u m über den H a u s h a l t der Justiz. E r soll auch eine E f f e k t i v i e r u n g des Mitteleinsatzes b e w i r k e n . Außerdem w u r d e ein unabhängiger Richter-Ernennungsrat geschaffen 4 7 . E r besteht aus je einem Richter der d r e i Instanzen, einem Rechtsanwalt u n d 43 Bokelmann, (117).
in: A l b e r t i n u. a. (Hrsg.), F r a n k r e i c h - J a h r b u c h 2001, 2001, S. 111
44 E i n e positive B i l a n z zieht Gicquel, R e n o u x ( F N 2), S. 208. 4 5 Bokelmann ( F N 43), S. 117 f. 4
R D P 1998, S. 1339; z u r P r a x i s s.a. Pech, in:
6 Vgl. h i e r z u u n d z u m Folgenden Feier, D R i Z 2001, S. 436. Vgl. Evers-Vosgerau, D R i Z 2000, S. 299.
47
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
227
z w e i Repräsentanten der Öffentlichkeit. E r g i b t i m Rahmen v o n Bewerbungsverfahren gegenüber dem J u s t i z m i n i s t e r i u m S t e l l u n g n a h m e n ab, w e l che Richter er f ü r a m besten q u a l i f i z i e r t h ä l t . S o l l v o n seinem Vorschlag abgewichen werden, so muss der M i n i s t e r die E n t s c h e i d u n g v o r dem Parl a m e n t begründen. Es h a n d e l t sich also n i c h t u m einen echten R i c h t e r w a h l ausschuss, doch w i r d v o n einer hohen B i n d u n g s W i r k u n g seiner E m p f e h l u n gen ausgegangen.
V. Elemente eines Selbstverwaltungsmodells D e r k u r z e Ü b e r b l i c k über ausländische M o d e l l e z u r A u t o n o m i s i e r u n g der Justiz h a t gezeigt, dass z w a r i n k e i n e m Fall die E x e k u t i v e v ö l l i g ausgeschaltet w o r d e n ist, dass aber i n allen drei Fällen Gremien, die m e h r h e i t l i c h m i t gewählten Vertretern der Richterschaft besetzt sind, einen wesentlichen Einfluss insbesondere auf Personalentscheidungen haben. Dies entspricht dem P r i n z i p I . l . c der E m p f e h l u n g des Ministerkomitees des Europarats u n d dem Grundsatz 1.3. der Europäischen Charta über das R i c h t e r s t a t u t 4 8 . D o r t ist vorgesehen, dass i n jede E n t s c h e i d u n g über A u s w a h l , Beförderung oder A m t s e n t h e b u n g eines Richters eine unabhängige Instanz eingeschaltet werden muss, die zumindest z u r H ä l f t e aus R i c h t e r n besteht, die v o n R i c h t e r n gewählt w u r d e n . I n D ä n e m a r k ist z u d e m die Ressourcenverantwortung auf eine unabhängige Leitungsinstanz der Justiz übertragen worden. Seit vielen Jahrzehnten w i r d auch i n D e u t s c h l a n d die Forderung n a c h größerer A u t o n o m i e der d r i t t e n G e w a l t erhoben. Sie w i r d meistens m i t d e m E t i k e t t „ S e l b s t v e r w a l t u n g " verbunden. M i t der i m Verwaltungsrecht ü b l i c h e n D e f i n i t i o n v o n S e l b s t v e r w a l t u n g als M i t w i r k u n g der Betroffenen an der V e r w a l t u n g eigener A n g e l e g e n h e i t e n 4 9 lässt sich dies jedoch n i c h t i n Ü b e r e i n s t i m m u n g bringen, denn es besteht E i n i g k e i t , dass die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t k e i n G r u n d r e c h t u n d auch k e i n Standesprivileg d a r s t e l l t 5 0 . Folglich k a n n m a n die Richter, auch w e n n sie M i t w i r k u n g s r e c h t e i m Rahmen der Organisation der Justiz wahrnehmen, n i c h t als „Betroffene" bezeichnen, die persönliche Interessen w a h r n e h m e n 5 1 . Andererseits gleicht der K a m p f gegen eingefahrene B e g r i f f l i c h k e i t e n den Anstrengungen des D o n Quijote, so dass hier auf den A n s p r u c h einer eindeutigen Begriffsb i l d u n g verzichtet w e r d e n soll. Entscheidend ist, was i n der Sache vertreten wird. 48 s.o. F N 2. 49 Hendler,
i n : Isensee/ K i r c h h o f (Hrsg.), H S t R IV, 1990, § 106 Rn. 15 ff.
so Classen, i n : v. M a n g o l d t / K l e i n / S t a r c k , GG, Bd. 3, 4. A u f l . , A r t . 97 Rn. 7; Schulze-Fielitz, i n : D r e i e r (Hrsg.), G G , B d . 3, A r t . 97 Rn. 15 f. 5i Groß, Z R P 1999, S. 361 (365). 15:
Thomas Groß
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I n den rechtspolitischen Diskussionen haben sich d r e i Teilelemente einer S t ä r k u n g der S e l b s t v e r w a l t u n g der Justiz herauskristallisiert, die S t ä r k u n g der Richterwahlausschüsse (1.), die Schaffung einer autonomen S t r u k t u r der J u s t i z v e r w a l t u n g (2.) u n d die S e l b s t v e r w a l t u n g auf der Ebene der einzelnen Gerichte (3.).
1. Die Stellung der Richterwahlausschüsse
Das Verfahren z u r A u s w a h l v o n R i c h t e r n f ü r die verschiedenen Ä m t e r i n der Justiz zeichnet sich d u r c h eine große föderale Vielfalt a u s 5 2 . Verfassungsrechtlich vorgegeben ist die obligatorische E i n s c h a l t u n g eines R i c h terwahlausschusses f ü r den B u n d i n A r t . 95 Abs. 2 G G u n d i n den Landesverfassungen v o n B r a n d e n b u r g (Art. 109 Abs. 1), Bremen (Art. 136 Abs. 1), H a m b u r g (Art. 63 Abs. 1), Hessen (Art. 127 Abs. 3), Schleswig-Holstein (Art. 43 Abs. 2) u n d T h ü r i n g e n (Art. 89 Abs. 2). I n B a d e n - W ü r t t e m b e r g w i r d das entsprechend bezeichnete G r e m i u m dagegen n u r eingeschaltet, w e n n es zwischen P r ä s i d i a l r a t u n d Regierung z u keiner E i n i g u n g k o m m t . I n den Verfassungen v o n B e r l i n (Art. 82 Abs. 2) u n d Schleswig-Holstein (Art. 43 Abs. 3) ist z u d e m vorgesehen, dass die Präsidenten der obersten Landesgerichte u n m i t t e l b a r v o m Parlament gewählt w e r d e n 5 3 . I n den ü b r i g e n acht Bundesländern entscheidet a l l e i n die Exekutive. I n der Zusammensetzung der Ausschüsse g i b t es große Unterschiede. M a n k a n n z u m Zwecke der Systematisierung vier K a t e g o r i e n v o n M i t g l i e d e r n unterscheiden: parlamentarische, richterliche, exekutive u n d sonstige M i t glieder. Z u d e m g i b t es unterschiedliche G e w i c h t u n g e n zwischen den einzelnen K a t e g o r i e n u n d verschiedene Auswahlverfahren, so dass sich ein buntes S p e k t r u m an L e g i t i m a t i o n s f o r m e n zeigt. S o w o h l i m B u n d w i e i n a l l e n L ä n d e r n , die einen Richterwahlausschuss kennen, g i b t es parlamentarische Mitglieder, die überwiegend auch die Mehrheit
stellen.
In
Baden-Württemberg,
Brandenburg,
Bremen
und
S c h l e s w i g - H o l s t e i n ist vorgeschrieben, dass sie aus der M i t t e des Landesparlaments g e w ä h l t w e r d e n müssen. I m B u n d u n d i n den anderen L ä n d e r n k ö n n e n auch Personen g e w ä h l t werden, die selbst n i c h t Abgeordnete sind. Richterliche M i t g l i e d e r k e n n t n u r der Richterwahlausschuss des Bundes n i c h t , abgesehen v o n der M ö g l i c h k e i t des Bundestages, i n seinem K o n t i n gent Richter zu wählen, die d a n n allerdings p a r t e i p o l i t i s c h l e g i t i m i e r t sind. I n den Bundesländern w i r d z u m Teil zwischen ständigen u n d n i c h t s t ä n d i 52 Vgl. den Ü b e r b l i c k b e i Schmidt-Räntsch
( F N 11), v o r § 8 Rn. 4 ff.
53 Z u r Z u l ä s s i g k e i t vgl. O V G Schleswig, D Ö V 1999, S. 389; k r i t . Ziekow berger, N o r d Ö R 2000, S. 13 (16 f.).
/ Guckel-
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
gen r i c h t e r l i c h e n M i t g l i e d e r n unterschieden, u m die
229
unterschiedlichen
Gerichtszweige zu berücksichtigen. Verfassungsrechtlich w i c h t i g e r ist aber die Tatsache, dass B a d e n - W ü r t t e m b e r g , Bremen, H a m b u r g , Hessen u n d T h ü r i n g e n eine D i r e k t w a h l der Vertreter der Richterschaft d u r c h alle R i c h ter i m Landesdienst kennen, die d u r c h k e i n anderes Landesorgan k o n t r o l l i e r t w e r d e n kann. I n B e r l i n , B r a n d e n b u r g u n d Schleswig-Holstein w e r d e n v o n den R i c h t e r n dagegen n u r Vorschlagslisten gewählt, w ä h r e n d die endgültige A u s w a h l d u r c h das Landesparlament erfolgt. N u r m i t der föderalen S t r u k t u r e r k l ä r b a r ist die paritätische B e t e i l i g u n g der zuständigen L a n d e s m i n i s t e r i m Richterwahlausschuss
des Bundes.
Stimmberechtigte M i t g l i e d e r aus dem Bereich der E x e k u t i v e kennen ansonsten n u r Bremen u n d H a m b u r g , da dort jeweils drei M i t g l i e d e r des Senats i n den Richterwahlausschuss entsandt werden. Regelmäßig f ü h r t allerdings der Justizminister, w e n n auch ohne S t i m m r e c h t , den Vorsitz i m Richterwahlausschuss. Aus dieser Befugnis zur Verfahrensleitung ergeben sich n i c h t unwesentliche Einflussmöglichkeiten. Schließlich beteiligen sechs Bundesländer (außer Bremen u n d Thüringen) Vertreter der Rechtsanwaltschaft an der A r b e i t der Richterwahlausschüsse. Eine Besonderheit v o n H a m b u r g u n d Schleswig-Holstein ist, dass bei der A u s w a h l v o n R i c h t e r n f ü r die A r b e i t s - u n d Sozialgerichtsbarkeit auch Vertreter der Gewerkschaften u n d Arbeitgeberverbände als M i t g l i e d e r des Richterwahlausschusses m i t w i r k e n . Dieser kurze Ü b e r b l i c k hat d e u t l i c h gemacht, dass sich die Gesetzgebung i n den L ä n d e r n n i c h t an einem e i n h e i t l i c h e n L e g i t i m a t i o n s m o d e l l orientiert. Insbesondere ist die aus dem D e m o k r a t i e p r i n z i p abgeleitete Forder u n g nach einer doppelten M e h r h e i t i m Richterwahlausschuss, so dass jede E n t s c h e i d u n g v o n der M e h r h e i t der p a r l a m e n t a r i s c h gewählten M i t g l i e d e r l e g i t i m i e r t w i r d 5 4 , i n mehreren L ä n d e r n n i c h t v e r w i r k l i c h t . D i e einzige Konstante ist die gemischte Zusammensetzung der Gremien, die i h r e r F u n k t i o n als P u f f e r i n s t i t u t i o n entspricht, d u r c h die u n m i t t e l b a r e r p o l i t i scher Einfluss gemäßigt w i r d 5 5 . Wenn m a n A r t . 98 Abs. 4 G G zutreffend r e s t r i k t i v i n t e r p r e t i e r t 5 6 u n d Schlussfolgerungen, die aus dem D e m o k r a t i e p r i n z i p f ü r die E x e k u t i v e gezogen werden, n i c h t unbesehen auf die ganz andersartig l e g i t i m i e r t e J u d i k a t i v e überträgt (s.o. III.), so ist auch eine noch weitergehende Z u r ü c k d r ä n 54 Vgl. B V e r f G E 93, 37 (67 f.); v o r s i c h t i g e r n o c h Böckenförde, (Hrsg.), H S t R I, § 22 Rn. 19 F n . 25. 55 Zätzsch ( F N 20), S. 168 f.; Schulze-Fielitz, Rn. 26 m. w. N .
in: Isensee/ K i r c h h o f
in: D r e i e r (Hrsg.), GG, B d . 3, A r t . 95
56 Vgl. Groß, Z R P 1999, S. 361 (363 f.); Wassermann, A K - G G , 3. A u f l . , A r t . 98 Rn. 32 f.; a.A. Schulze-Fielitz, in: D r e i e r (Hrsg.), G G , B d . 3, A r t . 98 Rn. 44; Ziekow/ Guckelberger, N o r d Ö R 2000, S. 13.
Thomas Groß
230
g u n g p a r t e i p o l i t i s c h l e g i t i m i e r t e r M i t g l i e d e r i n den Richterwahlausschüssen denkbar. F ü r eine Besetzung m i t m e h r h e i t l i c h n i c h t d u r c h das Parlament ausgewählten M i t g l i e d e r n bedarf es allerdings a u f g r u n d des Verbotes der Selbstentmachtung des Parlamentes einer e x p l i z i t e n verfassungsrechtl i c h e n G r u n d l a g e 5 7 . Soweit i n den Länderverfassungen die E i n r i c h t u n g eines Richterwahlausschusses a u s d r ü c k l i c h vorgesehen ist, ist der Landesgesetzgeber deshalb weitgehend frei, seine Zusammensetzung zu regeln. Fehlt eine k o n s t i t u t i o n e l l e Basis, so müssen die M i t g l i e d e r zumindest mehrh e i t l i c h v o m Parlament bestellt werden.
2. Die autonome Justizverwaltung
E i n v o m Deutschen R i c h t e r b u n d entwickeltes M o d e l l der Verlagerung der Aufgaben der J u s t i z v e r w a l t u n g aus der V e r a n t w o r t u n g der E x e k u t i v e i n die A u t o n o m i e der d r i t t e n G e w a l t ist bereits vorgestellt w o r d e n (s.o. I.). D e r Versuch, Ingerenzrechte der J u s t i z v e r w a l t u n g i m Rahmen der D i e n s t a u f sicht bereits nach geltendem Recht als unzulässig z u erklären, ist allerdings jüngst h ö c h s t r i c h t e r l i c h zurückgewiesen w o r d e n 5 8 . A r t . 97 Abs. 1 G G h i n dere n i c h t , dem J u s t i z m i n i s t e r i u m entsprechende Befugnisse gegenüber den R i c h t e r n einzuräumen. D i e E n t k o p p e l u n g der d r i t t e n G e w a l t v o n der Dienstaufsicht d u r c h die E x e k u t i v e sei l e d i g l i c h eine rechtspolitische Forderung. Aus dieser Aussage k a n n m a n allerdings auch den Gegenschluss ziehen, dass eine U m g e s t a l t u n g verfassungsrechtlich zulässig ist. N a c h dem hier vertretenen Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips wäre eine solche Lösung, die neben der Dienstaufsicht auch die V e r a n t w o r t u n g f ü r H a u s haltsangelegenheiten u n d die Personalfragen, die n i c h t i n die Z u s t ä n d i g k e i t der Richterwahlausschüsse fallen, umfassen müsste, jedenfalls verfassungsnäher. Mangels Relevanz der J u s t i z v e r w a l t u n g f ü r die demokratische L e g i t i m a t i o n ist h i e r f ü r keine Verfassungsänderung erforderlich. A u f g r u n d der föderalen S t r u k t u r der deutschen Justiz müssten entsprechende Reformschritte f ü r die Gerichte des Bundes u n d der L ä n d e r jeweils eigenständig vorgenommen werden. Andererseits s i n d d u r c h das Gerichtsverfassungsrecht u n d die Regelungen des Deutschen Richtergesetzes w e sentliche Vorgaben bundeseinheitlich. Entsprechend zu anderen Elementen der Verwaltungsreform k ö n n t e als erster S c h r i t t den L ä n d e r n d u r c h E x p e r i m e n t i e r k l a u s e l n ein S p i e l r a u m z u r R e a k t i v i e r u n g i h r e r Organisationshoheit eingeräumt werden. E i n zusätzliches praktisches P r o b l e m entsteht d u r c h die Heterogenität der J u s t i z s t r u k t u r m i t f ü n f Gerichtszweigen m i t u n t e r schiedlichen Stufungen. Z u d e m sind diese h ä u f i g unterschiedlichen Res57 Groß, Z R P 1999, S. 361 (364). 58 B G H ( D i e n s t g e r i c h t des Bundes), N J W 2002, S. 359.
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
231
sorts z u g e o r d n e t 5 9 . A l l e E r f a h r u n g e n zeigen, dass d a d u r c h hohe H ü r d e n f ü r s t r u k t u r e l l e Reformen bestehen. D i e p r a k t i k a b e l s t e L ö s u n g w i r d deswegen entsprechend den ausländischen V o r b i l d e r n die Schaffung eines e i n h e i t l i chen Leitungsgremiums f ü r alle f ü n f Zweige sein, das gemeinsam die A u f gaben der G e r i c h t s v e r w a l t u n g ü b e r n i m m t , soweit sie n i c h t auf die einzelnen Gerichte übertragen w e r d e n können. Eine der wesentlichen Aufgaben einer autonomen J u s t i z v e r w a l t u n g wäre die Ü b e r n a h m e der F i n a n z v e r a n t w o r t u n g . Gegen den Vorschlag, ein u n m i t telbares Haushaltsvorschlagsrecht
gegenüber dem Parlament
einzufüh-
r e n 6 0 , w i r d allerdings n i c h t z u U n r e c h t eingewandt, dass d a m i t w i c h t i g e Abstimmungsprozesse i n n e r h a l b der Regierung umgangen w ü r d e n 6 1 . D a die I n t e g r a t i o n des M i t t e l b e d a r f s der J u d i k a t i v e i n den H a u s h a l t s p l a n e n t w u r f s i n n v o l l ist, sollte sie deshalb w i e ein Ressort behandelt werden, u n d d a m i t u n m i t t e l b a r i n Verhandlungen m i t dem F i n a n z m i n i s t e r i u m treten können. D i e Vertretung der eigenen A n l i e g e n auch gegenüber dem Parlament darf d a d u r c h n a t ü r l i c h n i c h t ausgeschlossen werden. E i n e Z w i s c h e n schaltung des Justizministeriums wäre jedoch n i c h t m e h r erforderlich.
3. D i e E n t h i e r a r c h i s i e r u n g der Gerichte
A u c h i n der i n t e r n e n Organisation der Gerichte haben sich hierarchischbürokratische Elemente erhalten, die d u r c h die Funktionsgesetze der J u d i k a t i v e n i c h t gerechtfertigt sind. Während m i t t l e r w e i l e i n der V e r w a l t u n g die M ö g l i c h k e i t der Vergabe v o n F ü h r u n g s f u n k t i o n e n auf Z e i t eingeführt w o r den i s t 6 2 , werden i n der Justiz sowohl der Vorsitz i n einem S p r u c h k ö r p e r als auch die L e i t u n g s f u n k t i o n e n i m Gericht insgesamt i m Rahmen eines „ B e förderungsverfahrens"
63
unbefristet vergeben. F ü r Aufgaben der Justizver-
w a l t u n g ist g r u n d s ä t z l i c h a l l e i n der Präsident zuständig, der d u r c h andere Richter u n d das n i c h t r i c h t e r l i c h e Personal u n t e r s t ü t z t w i r d . Überlegungen zur E i n f ü h r u n g eines Gerichtsmanagers s i n d bisher auf großen W i d e r s t a n d gestoßen 6 4 . D i e M i t w i r k u n g s r e c h t e der Richter- u n d Präsidialräte u n d des Präsidiums s i n d z e r s p l i t t e r t 6 5 . E i n k l e i n e r S c h r i t t z u r A u s w e i t u n g der M i t 59 v g l . Lindemann,
Z R P 1999, S. 200 (201 f.).
60 Vgl. oben b e i F N 3. 61 Hoffmann-Riem, D R i Z 2000, S. 18 (30 f.). 62 Vgl. Kunig, in: S c h m i d t - A ß m a n n (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. A u f l . 1999, 6. A b s c h n . Rn. 63; Leisner, Z B R 1996, S. 289; Günther, Z B R 1996, S. 65; Hofe, K J 29 (1996), S. 197. 63 Z u r b e r e c h t i g t e n K r i t i k a n diesem Begriff vgl. Strelitz, S. 355 (362). 64 Vgl. Mackenroth, (378 f.) m. w. N .
i n : FS M . H i r s c h , 1981,
D R i Z 2000, S. 301 (311); Groß, D i e V e r w a l t u n g 34 (2001), S. 371
65 Vgl. den Ü b e r b l i c k b e i Mackenroth
/ Wilke, D R i Z 2001, S. 148.
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Thomas Groß
b e s t i m m u n g ist m i t dem allerdings sehr großspurig bezeichneten Gesetz zur S t ä r k u n g der U n a b h ä n g i g k e i t der Richter u n d Gerichte v o m 22. Dezember 1999 getan worden. Insbesondere s i n d die h e r k ö m m l i c h e n S t r u k t u r e n der G e r i c h t s v e r w a l t u n g n i c h t auf die B e w ä l t i g u n g der zusätzlichen V e r a n t w o r t u n g ausgerichtet, die i h n e n d u r c h die E i n f ü h r u n g neuer Steuerungsmechanismen v.a. i m f i n a n ziellen Bereich übertragen w i r d . M i t der Dezentralisierung der Ressourcenv e r a n t w o r t u n g k o m m t auf die einzelnen Gerichte ein d e u t l i c h höherer Verw a l t u n g s a u f w a n d z u 6 6 . E i n wesentliches Element des Neuen Steuerungsmodells ist aber gerade die A k t i v i e r u n g der einzelnen O r g a n i s a t i o n s m i t glieder, deren P a r t i z i p a t i o n v o n der B e t r i e b s w i r t s c h a f t als wesentliches Potential f ü r die E r h ö h u n g der Effizienz der Arbeitsabläufe i d e n t i f i z i e r t w o r d e n i s t 6 7 . D i e einzelnen Entscheidungsträger wissen a m besten, w o Verbesserungsmöglichkeiten bestehen, die z u m E r f o l g des Reformprozesses beitragen können. H i e r z u muss i h n e n aber auch Einfluss auf seine Gestalt u n g eingeräumt werden. Deshalb liegt es sehr nahe, w e n n i n den Überlegungen zur Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g die E i n f ü h r u n g v o n zusätzlichen P a r t i z i p a t i o n s i n s t r u menten eine wesentliche Rolle s p i e l t 6 8 . I n den P i l o t p r o j e k t e n s i n d h i e r f ü r v.a. informelle Mechanismen, insbesondere die M i t w i r k u n g v o n R i c h t e r n i n A r b e i t s g r u p p e n , genutzt w o r d e n 6 9 . Z u m Teil haben die Gerichte auch bereits f r e i w i l l i g einen Haushaltsausschuss e i n g e f ü h r t 7 0 . I n der L o g i k eines konsequenten Selbstverwaltungsmodells w ü r d e es liegen, w e n n die innere S t r u k t u r der Gerichte a m Grundsatz der Gleichheit der Richter als u n a b hängige I n h a b e r der rechtsprechenden G e w a l t ausgerichtet w ü r d e . A l s Konsequenz w ü r d e n die Verwaltungsaufgaben v o n Beauftragten der Richter wahrgenommen, sei es i n Ausschüssen oder i n einzelnen L e i t u n g s f u n k t i o nen. Dementsprechend w ü r d e n alle F ü h r u n g s p o s i t i o n e n i n der Justiz i m Wege einer W a h l u n t e r den j e w e i l i g e n R i c h t e r n auf Z e i t v e r g e b e n 7 1 . N a t ü r l i c h sind auch Zwischenformen denkbar, etwa i n der Form v o n Bestätigungsvorbehalten oder der Beschränkung auf eine A u s w e i t u n g der Befugnisse der vorhandenen Partizipationsgremien. 66 Kramer,
Z Z P 114 (2001), S. 267 (309); Hoffmann-Riem,
D R i Z 2000, S. 18.
67
V g l . die Nachweise b e i Groß, in: S c h m i d t - A ß m a n n / H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 139 (142 f.); ferner Schwarting, PersV 1998, S. 127 (130); Hill, i n : Ipsen (Hrsg.), V e r w a l t u n g s r e f o r m H e r a u s f o r d e r u n g f ü r S t a d t u n d K o m m u n e n , 1996, S. 83 ff. 68 D e u t l i c h KF. Röhl, D R i Z 1998, S. 241 (246): „ D a s neue S t e u e r u n g s m o d e l l lässt sich auf die Justiz n u r übertragen, w e n n m a n i h r S e l b s t v e r w a l t u n g g e w ä h r t " ; z u s t i m m e n d Voss, D R i Z 1998, S. 379 (390); s.a. Berlit, K J 32 (1999), S. 58 (67 ff.). 69 Vgl. z u r S t r u k t u r des H a m b u r g e r Projektes „ J u s t i z 2000" d e n B e r i c h t in: H o f f m a n n - R i e m (Hrsg.), Reform der J u s t i z v e r w a l t u n g , 1998, S. 37.
™ s. ζ. B. Hoffmann-Riem, 7
D R i Z 2000, S. 18 (23) f ü r H a m b u r g .
i So auch Zuleeg, Z R P 2000, S. 483 (485).
S e l b s t v e r w a l t u n g der G e r i c h t e u n d i h r e U n a b h ä n g i g k e i t
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VI. Fazit A u c h i m Bereich der J u s t i z v e r w a l t u n g stellt das Grundgesetz n u r eine R a h m e n o r d n u n g dar, die der K o n k r e t i s i e r u n g d u r c h den Gesetzgeber, aber auch d u r c h die Landesverfassungen bedarf. D i e Regelungen der A r t . 92 ff. G G stellen n u r einige feste D e t e r m i n a n t e n z u r Verfügung, so insbesondere A r t . 95 Abs. 2 G G f ü r den Richterwahlausschuss des Bundes u n d A r t . 97 G G f ü r die sachliche u n d persönliche U n a b h ä n g i g k e i t der Richter. Aus A r t . 92 G G u n d dem G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p folgt jedoch ein weitergehender Verfassungsauftrag z u r Sicherung der J u d i k a t i v e v o r externen p o l i tischen D i r e k t i v e n , soweit sie n i c h t i n die Form eines Gesetzes gegossen w o r d e n sind. Dagegen k a n n der bestehende Einfluss der E x e k u t i v e , v.a. b e i Personal- u n d Haushaltsentscheidungen, n i c h t m i t i h r e r demokratischen L e g i t i m a t i o n gerechtfertigt werden, denn die A l t e r n a t i v e einer u n m i t t e l baren A n b i n d u n g an das Parlament b e w i r k t jedenfalls k e i n M i n u s an L e g i timation. Eröffnet
somit die Verfassung der Reformgesetzgebung einen w e i t e n
Spielraum, so w i r d d e u t l i c h , dass die Widerstände v.a. i n einer verfestigten T r a d i t i o n der F r e m d v e r w a l t u n g der Justiz w u r z e l n , aus der insbesondere die Justizministerien einen Großteil i h r e r Daseinsberechtigung ziehen. Es fragt sich allerdings, i n w i e w e i t den Justizverwaltungen, die bisher als A n t r e i b e r f ü r Veränderungen v.a. i m Bereich des Ressourcenmanagements auf getreten sind, k l a r ist, dass die daraus folgenden S t r u k t u r ä n d e r u n g e n m i t t e l f r i s t i g wesentliche Teile i h r e r eigenen Aufgaben i n Frage stellen werden. A b e r auch die Richter haben sich bequem i n S t r u k t u r e n eingerichtet, i n denen sie sich u m die Rahmenbedingungen i h r e r T ä t i g k e i t i m wesentlichen n i c h t selbst zu k ü m m e r n brauchten. Wie i n der V e r w a l t u n g w i r d deshalb eine Dezentralisierung der V e r a n t w o r t u n g auch m i t einer Ä n d e r u n g der Org a n i s a t i o n s k u l t u r v e r k n ü p f t w e r d e n müssen. Ohne k o n k r e t e A k t e u r e aus der Richterschaft, die a k t i v E i g e n v e r a n t w o r t u n g einfordern u n d ausüben, ist m e h r A u t o n o m i e n i c h t z u r e a l i s i e r e n 7 2 . E i n w i c h t i g e r S c h r i t t i n diese R i c h t u n g ist schon getan, w e n n die G r u n d i d e e n des Reformprozesses v o n den w i c h t i g s t e n Berufsverbänden u n t e r s t ü t z t werden. M i t m a r g i n a l e n K o r r e k t u r e n des Verfahrens des Richterwahlausschusses 7 3 ist der Reformbedarf jedenfalls n i c h t erschöpft. Es k o m m t jetzt darauf an, dass die m i t der E i n f ü h r u n g neuer Steuerungsstrukturen verbundene Chance ergriffen w i r d , die Justiz v o l l s t ä n d i g aus i h r e n b ü r o k r a t i s c h e n 72 K.K Röhl, D R i Z 1998, S. 241 (246); Hoffmann-Riem, kenroth, D R i Z 2000, S. 30.
D R i Z 2000, S. 18 (22); Mak-
73 Vgl. das ZRP-Rechtsgespräch m i t M i n . Göll, Z R P 2001, S. 480.
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Thomas Groß
T r a d i t i o n e n z u lösen. N u r d a d u r c h k a n n das Z i e l der Europäischen Charta über das R i c h t e r s t a t u t 7 4 erreicht werden, die Kompetenz, U n a b h ä n g i g k e i t u n d U n p a r t e i l i c h k e i t der Richter w i r k u n g s v o l l abzusichern.
74 Vgl. F N 2.
Verzeichnis der Mitarbeiter Prof. Dr. Uwe Berlit, nover Prof. Dr. Reinhard 96045 B a m b e r g Dr. Jürgen Brand, 45130 Essen
R i c h t e r a m O V G Niedersachsen, Heidornstraße 2, 30171 H a n -
Böttcher,;
Präsident des O L G , O L G Bamberg, W i l h e l m s p l a t z 1,
P r ä s i d e n t des L S G , L S G N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , Zweigertstraße 54,
Dr. Christian Dästner,; Staatssekretär, J u s t i z m i n i s t e r i u m des L a n d e s Westfalen, 40190 Düsseldorf
Nordrhein-
Prof. Dr. Thomas Groß, U n i v e r s i t ä t Gießen, L i c h e r Straße 64, 35394 Gießen Dr. Harald Klein, Vizepräsident des V G H , Hessischer Verwaltungsgerichtshof, B r ü d e r - G r i m m - P l a t z 1, 34117 Kassel Prof. Dr. Michael
Reinhardt,
Prof. Dr. Gerd Roellecke,
U n i v e r s i t ä t Trier, Fachbereich V, 65286 T r i e r
Kreuzackerstraße 8, 76228 K a r l s r u h e
Prof. Dr. Klaus F. Röhl, U n i v e r s i t ä t B o c h u m , Universitätsstraße 150, 44801 B o c h u m Prof. Dr. Helmuth 97070 W ü r z b u r g
Schulze-Fielitz,
U n i v e r s i t ä t W ü r z b u r g , Domerschulstraße
16,
Carsten Schütz, Wissenschaftlicher Assistent, U n i v e r s i t ä t W ü r z b u r g , D o m e r s c h u l straße 16, 97070 W ü r z b u r g Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, U n i v e r s i t ä t Freiburg, I n s t i t u t f ü r u n d Rechtsphilosophie, 79085 F r e i b u r g
Staatswissenschaft