Jesus Christus: Herausgegeben:Schröter, Jens [1 ed.] 9783825242138, 3825242137

Zentrales Thema in neuer, interdisziplinärer PerspektivePerson und Wirken Jesu sind nicht nur Gegenstand der neutestamen

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German Pages 338 [350] Year 2014

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Table of contents :
Jens Schröter (Hg.): Jesus Christus
Einführung
Jens Schröter
Altes Testament
Markus Witte
Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments
1. Grund, Ort und Ziel der alttestamentlichen Thematisierung von Jesus Christus
2. Jesus Christus als Thema der Auslegung des Alten Testaments
2.1. Jesus Christus im Spiegel der allegorischen Auslegung des Alten Testaments
2.2. Jesus Christus im Spiegel der typologischen Auslegung des Alten Testaments
2.3. Jesus Christus im Spiegel der eschatologischen Auslegung des Alten Testaments
2.4. Jesus Christus im Spiegel der historisch-kritischen Auslegung des Alten Testaments
3. Jesus Christus im Spiegel ausgewählter Namen und Titel Gottes im Alten Testament
3.1. Theologie als Namenskunde
3.2. Jhwh – Kyrios – Der Herr
3.3. König – Hirte – Zebaoth und Allmächtiger
3.4. Vater
3.5. »Ich-bin-Worte«
4. Jesus Christus im Spiegel von Erfahrungen Gottes im Alten Testament
4.1. Das Alte Testament als theologische Deutung von Erfahrungen
4.2. Gott als Schöpfer oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Schöpfungstheologien
4.3. Gott als Begleiter oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Vätergeschichte
4.4. Gott als einzigartiger Befreier, Leiter und Lehrer Israels oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Exodus- und Sinaiüberlieferung
4.5. Gott als der Heilige oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Heiligkeitsvorstellungen
4.6. Gott als Lenker der Geschichte oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Geschichtstheologien
4.7. Gott als Herr der Weisheit oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Weisheitsvorstellungen
5. Zusammenfassung
Quellen-und Literaturverzeichnis
Neues Testament
Reinhard von Bendemann
Die Fülle der Gnade – Neutestamentliche Christologie
1. Einleitung
2. Jesus von Nazaret als Grund neutestamentlicher Christologie(n)
2.1. Hermeneutische Vorbemerkung
2.2. Anfänge und Kontexte
2.3. Wundertätigkeit und Ansage der Präsenz der Königsherrschaft Gottes
2.4. Zum Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu
2.5. »Implizite Christologie«
3. Der auferstandene Gekreuzigte als Integral der Liebe Gottes – Christologische Ansätze in den paulinischen Briefen
3.1. Hermeneutische Vorbemerkung
3.2. Der erhöhte Kyrios
3.3. Der Gekreuzigte – Zum Spektrum der Deutungen des Todes Jesu
3.4. Rechtfertigung und Gottesgerechtigkeit
3.5. Zur Versöhnungsvorstellung
3.6. Zur Christologie der Schüler des Paulus
4. Der leidende Menschensohn – Die narrative Christologie des Markusevangeliums
4.1. Hermeneutische Vorbemerkung
4.2. Lehrer – Christus – Sohn Gottes – Menschensohn
4.3. Wundertätigkeit, Leiden und Tod Jesu
4.4. Auferstehung, neue Schöpfung und das »Messiasgeheimnis«
4.5. Akzente der matthäischen und lukanischen Christologie
5. Der einziggeborene Sohn als Gesandter des Vaters – Zur konsequenten Christozentrik des Johannesevangeliums
5.1. Hermeneutische Vorbemerkung
5.2. Der Logos und das christologische Zeichensystem des vierten Evangeliums
5.3. Die Sendungs- bzw. Parabelchristologie des vierten Evangeliums
5.4. Die bleibende Theozentrik der johanneischen Konzeption
6. Die priesterliche Konzeptualisierung der Bedeutung Jesu im Hebräerbrief
6.1. Hermeneutische Vorbemerkung
6.2. Jesus als himmlischer Hohepriester
7. Apokalyptische Christologie in der Johannesoffenbarung
7.1. Hermeneutische Vorbemerkung
7.2. Das »Lamm« im endzeitlichen Drama
7.3. Die Theozentrik der Johannesoffenbarung
8. Zur Frage nach Kohärenzen im neutestamentlichen Christuszeugnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Kirchengeschichte
Martin Ohst
Urheber und Zielbild wahren Menschseins – Jesus Christus in der Kirchengeschichte
1. Vorerwägungen
2. Voraussetzungen
3. Grundlegende Strukturen
4. Differenzierende Entfaltungen
5. Augustin: Die Bündelung und Vertiefung der Tradition vor neuen Fragestellungen
6. Retardierte Wirkung
7. Aktualisierungen
7.1. Armutsbewegung und Kirchenkritik
7.2. Zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit
7.3. Volkspredigt und Seelsorge
7.4. Jesus-Mystik und ihre Ausläufer
8. Humanistische Transformationen
9. Der reformatorische Neuansatz und seine Fortbildungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Systematische Theologie
Notger Slenczka
Die Christologie als Reflex des frommen Selbstbewusstseins
1. Einleitung
2. Der systematische Sinn der neutestamentlichen Aussagen
2.1. Hermeneutische Vorüberlegungen
2.2. Der Philipperhymnus
2.3. Die kontrafaktische Definition Gottes und des Menschen als Zentrum der Christologie
2.4. Die Implikationen der semantischen Neubestimmung
3. Die Ausbildung und Deutung der christologischen Dogmen
3.1. Nizäa und Konstantinopel
3.2. Die christologischen Streitigkeiten des 5. Jhs.
3.3. Die reformatorischen Auseinandersetzungen
3.4. Der systematische Gewinn dieser Christologie
4. Die abendländische und reformatorische Fortbildung der altkirchlichen Lehrbildung und ihr systematischer Sinn
4.1. Die Deutung der Idiomenkommunikation
4.2. Christologie und Soteriologie
4.3. Schleiermacher: Jesus Christus als Urbild des Menschseins
5. Die Frage nach dem Leben, der Lehre und dem Selbstverständnis Jesu
5.1. Probleme der Rückfrage nach dem historischen Jesus
5.2. Die Historie Jesu als Ausweisgrund der Christologie?
5.3. Die Christologie als Reflex der Soteriologie
5.4. Hermeneutische Zwischenüberlegung: der Sinn religiöser Sachverhaltsbehauptungen
6. Der existentiale Sinn der Christologie
6.1. Theodizeefrage: Die Frage nach der Identität Gottes
6.2. Anthropodizee: Die Frage nach der Identität des Menschen
6.3. Der Sinn der Prädikation Jesu als ›Gott‹
7. Der Sinn der objektivierenden Christologie
Quellen- und Literaturverzeichnis
Praktische Theologie
Helmut Schwier
Wer ist Jesus Christus für uns heute?
Praktisch-theologische Wahrnehmungen und Reflexionen
1. Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums
2. Predigt und Homiletik
3. Bildung und Unterricht
4. Diakonie, Seelsorge, Beratung
5. Christus und Kultur
6. Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis
Religionswissenschaft / Interkulturelle ­Theologie
Klaus Hock
Jesus Christus und die Religionen –
Perspektiven aus Religionswissenschaft und Interkultureller Theologie
1. Jesus im Islam: Leitbild ethischer Vollkommenheit und Zeichen Gottes
1.1. Jesus im Koran: ‘Îsâ ibn Maryam – Jesus, Sohn der Maria
1.2. Jesus in islamischer Gelehrtentradition und frühem neuzeitlichen Reformdenken
1.3. Jesus in Mystik und volksreligiösen Traditionen
1.4. Jesus »am Rande des Islam«: muslimische Sondergruppen
1.5. Jesus in modernen islamischen Diskursen
1.6. Zwischenbilanz: Der muslimische Jesus – Vielfalt innerhalb des islamischen Designs
2. Jesus im Hinduismus: Realisierte Gottmenschlichkeit und spirituelles Prinzip
2.1. Frühe neuhinduistische Ansätze
2.2. Jesus in der Ramakrishna-Tradition
2.3. Jesus als Satguru und Krishna-Jesus
2.4 Jesus zwischen universaler Humanität und politischer Ethik
2.5 Zwischenbilanz: Der hinduistische Jesus – âchârya und jîvanmukta
3. Kontextuelle Jesusdeutungen aus der Perspektive Interkultureller Theologie
3.1. Vom Jesus der Religionen zu kontextuellen Christologien
3.2. Kontinuität – Diskontinuität: Aneignungsprozesse am Beispiel des afrikanischen Jesus
3.3. Kontextkritische Jesusdeutungen zwischen Kulturalismus und Dekulturation
Quellen- und Literaturverzeichnis
Zusammenschau
Jens Schröter
Wahrer Mensch und wahrer Gott. Historisch-kritische Jesusforschung und christliches Bekenntnis
Literatur
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Jesus Christus: Herausgegeben:Schröter, Jens [1 ed.]
 9783825242138, 3825242137

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Themen der Theologie herausgegeben von Christian Albrecht, Volker Henning Drecoll, Hermut Löhr, Friederike Nüssel, Konrad Schmid

Band 9

Jens Schröter (Hg.)

Jesus Christus

Mohr Siebeck

Jens Schröter, geboren 1961, ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie die neutestamentlichen Apokryphen an der ­Humboldt-Universität zu Berlin.

ISBN 978-3-8252-4213-8 (UTB Band 4213) Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www. utb-shop.de Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut­ schen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen.  www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von pagina in Tübingen gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen gedruckt und gebunden.

Inhalt

Einführung Jens Schröter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1

Altes Testament Markus Witte: Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.  Grund, Ort und Ziel der alttestamentlichen Thematisierung von Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.  Jesus Christus als Thema der Auslegung des Alten Testaments .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.1.  Jesus Christus im Spiegel der allegorischen Auslegung des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . 15 2.2.  Jesus Christus im Spiegel der typologischen Auslegung des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . 16 2.3.  Jesus Christus im Spiegel der eschatologischen Auslegung des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . 17 2.4.  Jesus Christus im Spiegel der historisch-kritischen Auslegung des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . 20 3.  Jesus Christus im Spiegel ausgewählter Namen und Titel Gottes im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.1.  Theologie als Namenskunde  . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.2.  Jhwh – Kyrios – Der Herr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.3.  König – Hirte – Zebaoth und Allmächtiger  . . . . . . 25 3.4. Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.5. »Ich-bin-Worte« .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.  Jesus Christus im Spiegel von Erfahrungen Gottes im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.1.  Das Alte Testament als theologische Deutung von Erfahrungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

VI  Inhalt

4.2.  Gott als Schöpfer oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Schöpfungstheologien  . . . . . . . 32 4.3.  Gott als Begleiter oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Vätergeschichte  . . . . . . . . . . . 35 4.4.  Gott als einzigartiger Befreier, Leiter und Lehrer Israels oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Exodus- und Sinaiüberlieferung  .. 38 4.5.  Gott als der Heilige oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Heiligkeitsvorstellungen  . . . . . . 47 4.6.  Gott als Lenker der Geschichte oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Geschichtstheologien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.7.  Gott als Herr der Weisheit oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Weisheitsvorstellungen  . 62 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Quellen-und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Neues Testament Reinhard von Bendemann: Die Fülle der Gnade – Neutestamentliche Christologie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.  Jesus von Nazaret als Grund neutestamentlicher Christologie(n)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 2.2.  Anfänge und Kontexte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.  Wundertätigkeit und Ansage der Präsenz der Königsherrschaft Gottes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.  Zum Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu  . . . 2.5.  »Implizite Christologie«  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Der auferstandene Gekreuzigte als Integral der Liebe Gottes – Christologische Ansätze in den paulinischen Briefen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 3.2.  Der erhöhte Kyrios  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 76 76 77 79 81 83 85 85 86

Inhalt  VII

3.3.  Der Gekreuzigte – Zum Spektrum der Deutungen des Todes Jesu  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.4.  Rechtfertigung und Gottesgerechtigkeit .. . . . . . . . 89 3.5.  Zur Versöhnungsvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.6.  Zur Christologie der Schüler des Paulus  . . . . . . . . 93 4.  Der leidende Menschensohn – Die narrative Christologie des Markusevangeliums  . . . . . . . . . . . . . . 94 4.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 94 4.2.  Lehrer – Christus – Sohn Gottes – Menschensohn  .95 4.3.  Wundertätigkeit, Leiden und Tod Jesu .. . . . . . . . . 97 4.4.  Auferstehung, neue Schöpfung und das »Messiasgeheimnis«  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.5.  Akzente der matthäischen und lukanischen Christologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.  Der einziggeborene Sohn als Gesandter des Vaters – Zur konsequenten Christozentrik des Johannesevangeliums  .101 5.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 101 5.2.  Der Logos und das christologische Zeichensystem des vierten Evangeliums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.3.  Die Sendungs- bzw. Parabelchristologie des vierten Evangeliums .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.4.  Die bleibende Theozentrik der johanneischen Konzeption  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 6.  Die priesterliche Konzeptualisierung der Bedeutung Jesu im Hebräerbrief  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 105 6.2.  Jesus als himmlischer Hohepriester . . . . . . . . . . . . 107 7.  Apokalyptische Christologie in der Johannesoffenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.1.  Hermeneutische Vorbemerkung  . . . . . . . . . . . . . . 110 7.2.  Das »Lamm« im endzeitlichen Drama .. . . . . . . . . 111 7.3.  Die Theozentrik der Johannesoffenbarung  . . . . . . 112 8.  Zur Frage nach Kohärenzen im neutestamentlichen Christuszeugnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

VIII  Inhalt

Kirchengeschichte Martin Ohst: Urheber und Zielbild wahren Menschseins – Jesus Christus in der Kirchengeschichte .. . . . . . . . . . . . . . 119 1. Vorerwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Grundlegende Strukturen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.  Differenzierende Entfaltungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.  Augustin: Die Bündelung und Vertiefung der Tradition vor neuen Fragestellungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.  Retardierte Wirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Aktualisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.  Armutsbewegung und Kirchenkritik . . . . . . . . . . . 7.2.  Zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit  . . . . . . . . 7.3.  Volkspredigt und Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.  Jesus-Mystik und ihre Ausläufer  . . . . . . . . . . . . . . 8.  Humanistische Transformationen .. . . . . . . . . . . . . . . . 9.  Der reformatorische Neuansatz und seine Fortbildungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 19 121 122 123 1 29 137 139 141 146 151 154 159 161

Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Systematische Theologie Notger Slenczka: Die Christologie als Reflex des frommen Selbstbewusstseins  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.  Der systematische Sinn der neutestamentlichen Aussagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.  Hermeneutische Vorüberlegungen  . . . . . . . . . . . . 2.2.  Der Philipperhymnus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.  Die kontrafaktische Definition Gottes und des Menschen als Zentrum der Christologie  . . . . . . . . 2.4.  Die Implikationen der semantischen Neubestimmung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Die Ausbildung und Deutung der christologischen Dogmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 183 1 83 184 188 190 191

Inhalt  IX

3.1.  Nizäa und Konstantinopel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.  Die christologischen Streitigkeiten des 5. Jhs. .. . . . 3.3.  Die reformatorischen Auseinandersetzungen  . . . . 3.4.  Der systematische Gewinn dieser Christologie  . . . 4.  Die abendländische und reformatorische Fortbildung der altkirchlichen Lehrbildung und ihr systematischer Sinn .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.  Die Deutung der Idiomenkommunikation  . . . . . . 4.2.  Christologie und Soteriologie  . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.  Schleiermacher: Jesus Christus als Urbild des Menschseins .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.  Die Frage nach dem Leben, der Lehre und dem Selbstverständnis Jesu  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.  Probleme der Rückfrage nach dem historischen Jesus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.  Die Historie Jesu als Ausweisgrund der Christologie?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.  Die Christologie als Reflex der Soteriologie . . . . . . 5.4.  Hermeneutische Zwischenüberlegung: der Sinn religiöser Sachverhaltsbehauptungen .. . . . . . . . . . 6.  Der existentiale Sinn der Christologie . . . . . . . . . . . . . . 6.1.  Theodizeefrage: Die Frage nach der Identität Gottes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.  Anthropodizee: Die Frage nach der Identität des Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.  Der Sinn der Prädikation Jesu als ›Gott‹  . . . . . . . . 7.  Der Sinn der objektivierenden Christologie  . . . . . . . . .

192 1 96 199 204 205 2 05 206 209 214 214 215 2 19 2 21 222 223 2 27 231 232

Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Praktische Theologie Helmut Schwier: Wer ist Jesus Christus für uns heute?  . . . . 243 Praktisch-theologische Wahrnehmungen und Reflexionen  .243 1.  Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

X  Inhalt

2.  Predigt und Homiletik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Bildung und Unterricht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.  Diakonie, Seelsorge, Beratung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.  Christus und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ausblick .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 48 251 254 256 259

Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Religionswissenschaft / Interkulturelle ­Theologie Klaus Hock: Jesus Christus und die Religionen –  . . . . . . . . 267 Perspektiven aus Religionswissenschaft und Interkultureller Theologie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.  Jesus im Islam: Leitbild ethischer Vollkommenheit und Zeichen Gottes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.  Jesus im Koran: ‘Îsâ ibn Maryam – Jesus, Sohn der Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.  Jesus in islamischer Gelehrtentradition und frühem neuzeitlichen Reformdenken  . . . . . . . . . . 1.3.  Jesus in Mystik und volksreligiösen Traditionen  .. 1.4.  Jesus »am Rande des Islam«: muslimische Sondergruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.  Jesus in modernen islamischen Diskursen . . . . . . . 1.6.  Zwischenbilanz: Der muslimische Jesus – Vielfalt innerhalb des islamischen Designs  . . . . . . . . . . . . 2.  Jesus im Hinduismus: Realisierte Gottmenschlichkeit und spirituelles Prinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.  Frühe neuhinduistische Ansätze  . . . . . . . . . . . . . . 2.2.  Jesus in der Ramakrishna-Tradition  . . . . . . . . . . . 2.3.  Jesus als Satguru und Krishna-Jesus  . . . . . . . . . . . 2.4  Jesus zwischen universaler Humanität und politischer Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5  Zwischenbilanz: Der hinduistische Jesus – âchârya und jîvanmukta .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.  Kontextuelle Jesusdeutungen aus der Perspektive Interkultureller Theologie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt  XI

3.1.  Vom Jesus der Religionen zu kontextuellen Christologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 87 3.2.  Kontinuität – Diskontinuität: Aneignungsprozesse am Beispiel des afrikanischen Jesus . . . . . . . . . . . . 289 3.3.  Kontextkritische Jesusdeutungen zwischen Kulturalismus und Dekulturation  . . . . . . . . . . . . . 293 Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Zusammenschau Jens Schröter: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Historischkritische Jesusforschung und christliches Bekenntnis . . . . . 299 Quellen- und Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Autoren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Stellenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Namensregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Sachregister .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Einführung

Jens Schröter Der vorliegende Band nimmt bereits in seinem Titel »Jesus Christus« das Grundbekenntnis des christlichen Glaubens und das Zentrum christlicher Theologie auf: »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzform des Bekenntnisses »Jesus ist der Christus«, aramäisch: »der Messias«, deutsch: »der Gesalbte«. Dieses Grundbekenntnis wird in den einzelnen Disziplinen der christlichen Theologie mit je eigenem Schwerpunkt entfaltet: Die Wissenschaft vom Neuen Testament befasst sich mit denjenigen Schriften, die das Bekenntnis zu Jesus von Nazareth als der letztgültigen Offenbarung des Gottes Israels bezeugen. Die im  – erst christlich so genannten  – »Alten Testament« versammelten israelitisch-jüdischen Schriften gewinnen angesichts dieses Bekenntnisses eine neue Bedeutung. Die alttestamentliche Wissenschaft als Teil der christlichen Theologie lenkt hierauf ihr Augenmerk. Die Kirchengeschichte lässt sich als Nachvollzug eben jenes Bekenntnisses in Theologie und Frömmigkeit des Christentums auffassen. Die Systematische Theologie kann als Durchdringung dieses Bekenntnisses mit Hilfe philosophischer Begrifflichkeit – etwa in der Christologie und der Trinitätslehre – sowie als hermeneutische Reflexion des Zusammenhangs von einmaligem historischem Ereignis (nämlich von Wirken und Geschick Jesu von Nazareth) und seiner für das Heil jedes Menschen grundlegenden Bedeutung beschrieben werden. Die Praktische Theologie befasst sich damit, wie dieses Bekenntnis in kirchlichen Vollzügen – in der Predigt, der Seelsorge, im diakonischen Handeln – sowie in der Bildung, vor allem im Religionsunterricht, unter den je aktuellen Bedingungen zur Geltung zu bringen ist. Die Religions­ wissenschaft bzw. die Interkulturelle Theologie schließlich betrachtet das Bekenntnis zu Jesus Christus im Horizont anderer religiöser

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Überzeugungen und fragt nach deren Verhältnis zur B ­ edeutung Jesu innerhalb des Christentums. Was hat es mit dem Bekenntnis »Jesus (ist der) Christus« auf sich? Grundlegend lässt sich formulieren: In dieser Aussage verdichtet sich die Überzeugung, dass in dem Menschen Jesus von Nazareth die heilvolle Nähe und rettende Kraft Gottes endgültig und unüberbietbar Gestalt gewonnen hat. An diese Bestimmung knüpft sich jedoch sofort eine Reihe von Fragen, denen sich die christliche Theologie zu stellen hat: Wer war bzw. ist dieser Jesus von Nazareth? Was macht ihn so einzigartig, dass die Überzeugung, es handle sich nicht um einen gewöhnlichen Menschen, sondern um denjenigen, der als Repräsentant Gottes auf der Erde gewirkt hat, plausibel erscheinen kann? Handelt es sich dabei lediglich um eine kühne Behauptung, die seine ersten Anhänger – aus welchem Grund auch immer – in die Welt gesetzt haben, oder lassen sich Gründe benennen, die diese Überzeugung glaubhaft machen und sie auch für spätere Zeiten und Menschen, die Jesus nicht unmittelbar begegnet sind, bedeutsam werden lassen? Liegen diese Gründe im Wirken und der Lehre Jesu von Nazareth selbst, so dass dessen Inhalte und historische Umstände möglichst genau zu erforschen wären? Oder beruht das Bekenntnis zu ihm in erster Linie auf Vorstellungen seiner frühen Anhänger, die ihre Erwartungen und Hoffnungen nachträglich auf seine Person projiziert haben? Wie verhalten sich also der »historische Jesus« und der »geglaubte Christus« zueinander? Zu bedenken ist weiter das Verhältnis des Glaubens an Jesus Christus zu den Schriften Israels und des Judentums. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus selbst galiläischer Jude war, der fest im Glauben an den Gott Israels stand, in der Tora, der Weisung Gottes für sein Volk, unterwiesen war und sich mit seiner Botschaft an sein Volk Israel gesandt wusste. Was aber bedeutet dies für die verbindlichen Schriften Israels, für das Gesetz, für die Erwählung des Volkes? Bestand dies alles unverändert weiter oder musste es angesichts des Auftretens Jesu grundlegend neu durchdacht werden? Sind die Schriften und Traditionen Israels angesichts des ­Bekenntnisses zu Jesus Christus überhaupt noch verbindlich oder treten die Schriften des Neuen Testaments an deren Stelle

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und machen sie fortan für die Christen überflüssig oder zumindest zweitrangig? Das Bekenntnis zu Jesus Christus hat demnach nicht zuletzt auch Konsequenzen für den Glauben an den Gott Israels. Glauben Juden und Christen an denselben Gott  – nur eben mit dem Unterschied, dass sich Christen außerdem noch zu Jesus Christus bekennen? Oder verändert der Glaube an Jesus Christus auch den Glauben an den Gott Israels in grundlegender Weise? Christen wie Juden sind davon überzeugt, dass der Gottes Israels der einzige Gott ist, Schöpfer des Himmels und der Erde. Wird dieses Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes nicht durch dasjenige zu Jesus Christus verletzt? In welchem Verhältnis steht schließlich dieses Bekenntnis zu denjenigen anderer Religionen? Gibt es zwischen der christlichen und der muslimischen Sicht auf die Bedeutung Jesu Konvergenzen oder bestehen hier unüberbrückbare Widersprüche? Was folgt schließlich aus dem Bekenntnis zu Jesus Christus für die Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens? Gibt es ein spezifisches Ethos und verbindliche Lebensregeln für die an Jesus Christus Glaubenden? Können Weg und Lehre Jesu als Grundlage einer Ethik der christlichen Kirche dienen oder gehören sie in eine spezifische historische Situation, aus der sich keine unmittelbaren Konsequenzen für das christliche Leben späterer Zeiten herleiten lassen? Was aber könnte dann als Maßstab christlichen Lebens dienen? Überblickt man dieses Spektrum von Fragen, kann kein Zweifel daran bestehen: Bei der Entstehung und Bedeutung des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus geht es um die grundlegenden Inhalte des christlichen Glaubens, um die Gestaltung des Lebens in den christlichen Kirchen, und darum, was das christliche Bekenntnis von anderen Bekenntnissen und Überzeugungen unterscheidet. Das wird in den Beiträgen des vorliegenden Bandes, die das christliche Grundbekenntnis aus Sicht der verschiedenen theologischen Disziplinen in den Blick nehmen, auf je eigene Weise deutlich. Markus Witte beleuchtet in seinem Beitrag die Bedeutung des Alten Testaments für das Bekenntnis zu Jesus Christus. Er setzt dazu nicht bei den sogenannten »messianischen Weissagungen« an – also denjenigen Texten aus den Schriften Israels, die bereits im

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frühen Christentum als Vorausverweise auf Jesus Christus gedeutet wurden –, aber auch nicht bei anderweitigen Rekursen auf das Alte Testament im Neuen. Statt dieses oft beschrittenen Weges zeichnet sein Artikel vielmehr Grundstrukturen alttestamentlicher Rede von Gott als einen Rahmen nach, den das Urchristentum auf eigene Weise gefüllt hat. Grundlegend dafür seien zum einen die »Namen Gottes« – etwa Herr, König, Hirte, Herrscher –, die auf je eigene Weise für das Reden von Jesus Christus fruchtbar gemacht wurden. Zum anderen lasse sich in den großen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments – den Schöpfungstexten, der Vätergeschichte, der Exodus- und Sinaiüberlieferung, den Heiligkeitsvorstellungen, der Geschichtstheologie sowie den Weisheitstexten – ein Gottes-, Welt- und Menschenverständnis erkennen, das im Urchristentum im Horizont des Glaubens an Jesus Christus aufgegriffen und fortgeschrieben wurde. Die zentralen Traditionsbereiche und Überlieferungsstränge Israels und des Judentums erweisen sich damit als offen für eine Rezeption im Horizont des Glaubens an Jesus Christus. Der Beitrag zeigt eindrücklich, dass die entsprechenden Traditionen und Überlieferungen dadurch nicht nur in ein neues Licht rücken, sondern selbst wichtige Potentiale für eine christliche Theologie des Alten Testaments in sich bergen. Jesus Christus erscheint auf diese Weise als »die entscheidende Verbindung zwischen beiden Testamenten«. Der neutestamentliche Beitrag von Reinhard von Bendemann nimmt diesen Ansatz so auf, dass er auf die »Rezeption übergreifender narrativer Zusammenhänge und Motivkomplexe« des Alten Testaments – wie etwa Exodus, Sinaigeschehen, Schöpfungsvorstellung – im frühen Christentum verweist. Auf dieser Grundlage geht er sodann dem Wirken und Geschick Jesu und dessen Deutungen in den Schriften des Neuen Testaments – also den »neutestamentlichen Christologien« – nach. Für Jesus selbst wird die Vermittlung der Königsherrschaft Gottes in Worten und Gleichnissen sowie in seinem heilenden Wirken als charakteristisch herausgestellt. Kennzeichnend sei dabei die Gewissheit Jesu, die in seinem Wirken beginnende Aufrichtung der Gottesherrschaft werde nach seinem Auftreten eine Fortsetzung finden. Für die Christologie des Urchristentums tritt Jesus als erhöhter Herr an die Seite Gottes, was

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etwa an der intensiven Rezeption von Ps 110,1, der auf das Sitzen Jesu zur Rechten Gottes bezogen wurde, erkennbar wird. Der Blick auf Paulus und seine Schule, die Evangelien sowie die Johannesoffenbarung zeigt sodann verschiedene Entfaltungen des urchristlichen Christusbekenntnisses. Wesentlich für das Denken des Paulus ist die Überzeugung von der in Jesus Christus geoffenbarten Gottesgerechtigkeit, die auf die Einheit von Juden und Heiden in Christus zielt. In den an Paulus anschließenden Briefen wird dies mit eigenen Akzentuierungen fortgeführt. Die synoptischen Evangelien stellen das christologische Bekenntnis in Form einer narrativen Entfaltung des Weges Jesu als des Sohnes Gottes dar, der als Lehrer und Wundertäter wirkt und dessen Weg durch Leiden und Tod zu Auferstehung und Erhöhung führt. Das Johannesevangelium betont die göttliche Würde des präexistenten Logos, der auch als irdischer die Vollmacht des von Gott gesandten Sohnes behält, was sich in den »Ich bin«-Worten in besonderer Weise verdichtet. Eine eigene Form christologischer Theozentrik liefert die Johannesoffenbarung mit ihrer Darstellung des zum Thron Gottes erhöhten Lammes, das die Macht der anderen »Tiere«, die das Römische Reich und seine Institutionen symbolisieren, bricht. Das neutestamentliche Zeugnis erweist sich damit als komplexe Verbindung von Hoheitsund Niedrigkeitsaussagen, die sich bereits in den ältesten Schriften nebeneinander finden. Die urchristliche Vielfalt der Deutungen Jesu Christi besitzt ihren Kristallisationspunkt im Tod Jesu und den durch dieses Geschehen evozierten Deutungen, ihr Konstitutivum in der stets bewahrten Theozentrik. Martin Ohst legt bei seinem Gang durch die Kirchengeschichte den Akzent auf einen oft eher vernachlässigten Bereich. Statt eines dogmengeschichtlichen Rekurses auf die prägenden Begriffe und Lehrsysteme der christlichen Bekenntnisbildung stellt er »frömmigkeits-, theologie- und kirchengeschichtlich wirksame Bezugnahmen auf den Menschen Jesus« in den Mittelpunkt. Grundlegend ist die bereits in alten Texten (1 Petr 2; 1 Clem 16) begegnende, Jes 53 aufnehmende Darstellung Jesu als desjenigen, der in seiner Demut und Leidensbereitschaft den Glaubenden ethisches Vorbild geworden ist. Diese Orientierung am Christus humilis ist dann in verschiedener Weise entfaltet worden. Tertullian demonstriert

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anhand der im Verhalten Jesu sichtbar gewordenen Geduld Gottes die Überlegenheit des christlichen Glaubens über die pagane Philosophie. In vergleichbarer Weise kann Cyprian im Kontext der Martyriumsparänese auf das Vorbild Christi verweisen und zur Leidensnachfolge aufrufen. Unter anderen politischen Bedingungen wird der irdische Jesus dann zur Orientierung für Mönche und Kleriker (Hieronymus) bzw. zum »Muster menschlichen Sichdeutens und Sichverhaltens überhaupt« (Augustin). Bei Augustin steht dies im Horizont einer Gnadentheologie, der zufolge bestimmte Menschen zur Einheit mit dem Sohn Gottes erwählt wurden. Die Orientierung am Vorbild des Verhaltens Jesu verfolgt Ohst von hier aus weiter durch die Armuts- und Frömmigkeitsbewegungen des Mittelalters. Besonders eindrücklich wird sie anhand der franziskanischen Bußpredigt aufgezeigt, die sich in umfassender Weise am Weg des irdischen Jesus orientierte und daraus den Ruf zur Umkehr des Sünders herleitete. Bei den Reformatoren lässt sich eine vergleichbare Sicht auf den Menschen Jesus aufzeigen, wie Ohst anhand von Martin Luthers Auslegung von Hebr 2,10 bzw. 5,9 zeigt: Christus »zieht und reißt … alle von den Dingen weg, welchen sie in der Welt anhängen … das ist ihr … Ihm-gleich-Werden«. In der Neuzeit ist es dann vor allem Friedrich Schleiermacher, der auf die Bedeutung der geschichtlichen Person Jesu Christi rekurriert und sie ins Zentrum der christlichen Religion rückt. Für das 20. Jahrhundert verweist Ohst abschließend auf das Gegenüber der Darstellungen Rudolf Bultmanns und Emanuel Hirschs. Hatte ersterer das urchristliche Kerygma in den Mittelpunkt gestellt, so betonte letzterer die Notwendigkeit einer Aneignung des Lebens Jesu in christlicher Theologie und christlichem Glauben. Der eindrückliche Durchgang zeigt, dass neben der begrifflichabstrakten Reflexion über die Bedeutung Jesu die Orientierung an seinem irdischen Weg in der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Es wäre lohnend, dies im Horizont der neuzeitlichen Leben-Jesu-Forschung bzw. der Frage nach dem »historischen Jesus« weiterzudenken. Die gegenwärtige Jesusforschung (die sog. »Third Quest of the Historical Jesus«) gibt dazu vielfältige Anstöße. Sie fragt danach, was wir vom Wirken und Geschick Jesu mit den Mitteln historischer Kritik feststellen

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können und möchte auf diese Weise der Reduktion der Christologie auf ein abstrakt-unanschauliches »Kerygma« durch historische Untersuchungen zu Leben, Leiden und Tod des galiläischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth begegnen. Darin kann eine Fortsetzung der von Ohst aufgezeigten Linie unter den Bedingungen der historisch-kritischen Geschichtswissenschaft gesehen werden. Es wäre ein hermeneutisch fruchtbares Unterfangen, die aktuelle Jesusforschung aus dieser Perspektive in den Blick zu nehmen. Der Beitrag von Notger Slenczka erschließt aus systematischtheologischer Perspektive das Bekenntnis zu Jesus Christus als »Reflex des frommen Selbstbewusstseins«. Die an Friedrich Schleiermacher angelehnte Formulierung wird zunächst anhand des Philipperhymnus (Phil 2,5b–11) dahingehend entfaltet, dass an der Geschichte Jesu Christi – seiner Erniedrigung von der gottgleichen Gestalt bis zum Tod am Kreuz und der anschließenden Erhöhung und Verleihung des Kyrios-Namens – das Gottsein Gottes selbst in spezifischer Weise erkennbar wird: Wird der Weg Jesu Christi aus einer solchen Perspektive betrachtet, bedeutet das zum einen, dass Jesus Christus göttliche Würde zuerkannt, zum anderen, dass der Gott Israels als der Vater Jesu Christi bekannt wird. Die sich auf dieser Grundlage zu Gott und Jesus Christus Bekennenden sind damit selbst hineingenommen in das durch das Handeln Gottes an und durch Jesus Christus qualifizierte Heil. Die sich daraus ergebende Problematik der Verhältnisbestimmung von Gott und Jesus Christus führte in der altkirchlichen Bekenntnisbildung zu den Auseinandersetzungen vornehmlich mit der Position des Arius, die schließlich 325 im Konzil von Nicäa mit der Wendung »eines Wesens mit dem Vater« einer sich in der kirchlichen Tradition bewährenden Lösung zugeführt wurden. Dass diese Formel jedoch unterschiedlich ausgelegt werden konnte und entsprechend umstritten blieb, zeigt Slenczka anhand der Dispute um das christologische und trinitarische Bekenntnis bis zum Konzil von Chalcedon 451, das die Unterscheidung zwischen der einen Person bzw. Hypostase und den beiden Naturen Jesu Christi formulierte. Diese Lösung wird in der Reformationszeit im Kontext der Abendmahlsstreitigkeiten zum Problem, weil nunmehr die Frage auftaucht, wie der Leib Christi zugleich im Mahl realpräsent und zur Rechten

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Gottes sitzen könne – ein Einwand, dem Luther mit der Lehre von der wechselseitigen Mitteilung der Eigenschaften (communicatio idiomatum) begegnete. Die beiden Naturen Jesu Christi dürfen demnach nicht als beziehungslos nebeneinander stehend betrachtet werden. Vielmehr ist bei den Ereignissen, die die eine Natur betreffen, auch die jeweils andere beteiligt (bei Kreuzigung und Tod auch die göttliche, beim Sitzen zur Rechten Gottes auch die menschliche). Handelt es sich hierbei um eine stärker an systematisch-gegenständlichen Beschreibungen orientierte Soteriologie, so wird dem in der neuzeitlichen Christologie seit Schleiermacher eine stärker an der Erfahrung orientierte Sicht gegenübergestellt. Dazu wird auf das Leben Jesu – zunächst im Sinne des biblischen Christusbildes, noch nicht als »historischer Jesus« – rekurriert, woraus sich Impulse zur Stärkung des »frommen Selbstbewusstseins« ergeben sollen. Diese soteriologische Konzeption besitzt ihre Pointe  – und ihre, wie Slenczka betont, trotz gelegentlicher Einsprüche im 20. Jahrhundert bleibende Bedeutung  – darin, dass das »Werk« Christi hier nicht als etwas betrachtet wird, auf das der Glaube nachträglich Bezug nimmt, sondern dass durch dieses ein Gottesverhältnis strukturiert wird, in das der Mensch eintreten und dadurch sein Heil gewinnen kann, indem er zu seiner ursprünglichen Bestimmung findet. Vor dem so entfalteten Zusammenhang von Christologie und Soteriologie wirft Slenczka sodann einen Blick auf die Diskussion um den »historischen Jesus«. Deren Beitrag sieht er vor allem darin, den existentiellen Bezug gegenständlicher christologischer Aussagen durch den Rekurs auf die Geschichte Jesu zu Bewusstsein zu bringen. Im Anschluss an Schweitzer und Bultmann stellt Slenczka heraus, dass es keinen von dem je eigenen Standort unabhängigen »objektiven« Zugang zu den historischen Ursprüngen gebe, zudem bereits in den Evangelien Ereignis und Deutung untrennbar miteinander verwoben seien. Die durch Jesus von Nazareth ausgelöste »soteriologische Erfahrung« schlage sich also bereits in den ältesten christlichen Texten nieder, was zum Beginn des Beitrags zurückführt  – nämlich zu der Einsicht, dass die christologische Bekenntnisbildung insgesamt als hermeneutischer Vorgang aufzu-

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fassen sei, in dem sich die Bedeutung des Bekenntnisses zu Jesus Christus existentiell – eben als »Reflex des frommen Selbstbewusstseins« – erschließt, dem sich darin der Zugang zu Gott und seinem Heil eröffnet. Helmut Schwier wendet sich in seinem praktisch-theologischen Beitrag der Frage zu, wie das Bekenntnis zu Jesus Christus im praktischen Vollzug des Glaubens Gestalt gewinnen kann. Er befasst sich dazu zunächst mit dem Gottesdienst als »Feier und Kommunikation des Evangeliums«, in dem Jesus als Christus in vielfältiger Weise kommuniziert und gefeiert wird, insbesondere in der Schriftauslegung und in den Sakramenten. Näher in den Blick kommt dabei die Christuspredigt als Ort der Vergegenwärtigung Christi. Bemerkenswert ist weiter der im Blick auf den Religionsunterricht konstatierte Befund: Während in Lehrmaterialien der »Mensch Jesus« deutlich im Vordergrund steht, zeigen neuere empirische Untersuchungen, dass Schülerinnen und Schüler durchaus die »christologische« Frage nach Jesus als dem Sohn Gottes stellen. Daraus könnten sich, wie Schwier mit Recht konstatiert, wichtige Anstöße für Konzeption und Durchführung des Unterrichts ergeben, der häufig zu einseitig von der historisch-kritischen Jesusforschung her konzipiert wird und die Spannung zwischen »Jesus« und »Christus« zu wenig zur Geltung bringt. In Diakonie, Seelsorge und Beratung ist nach Schwier vor allem die »Praxis Jesu«, etwa seine Wunder und seine Tischgemeinschaften, ein wichtiger Bezugspunkt. Auch hier warnt Schwier davor, dass eine »(zu) schwache Christologie« kaum in der Lage sei, diakonisch-seelsorgerlich produktiv zu werden. Die Perspektive auf das munus regium – die Reich-Gottes-Botschaft Jesu – und seine Auferstehung könnten dazu verhelfen, die Überwindung von Not, Tod und Unheil als tröstende Botschaft des Evangeliums zur Wirkung zu bringen. Schließlich werden mit dem Blick auf »Christus und Kultur« die vielfältigen Rezeptionen der Christusgestalt außerhalb der traditionellen kirchlichen Lebensformen in den Blick genommen. In Film, Musik, Literatur usw. werden Inhalte des Lebens Jesu Christi – ganz unabhängig von ihrer historischen Verifizierbarkeit  – aufgegriffen und in unterschied­ licher Weise fruchtbar gemacht. Die Präsenz und kulturprägende Kraft der Person Jesu Christi ist demnach – jedenfalls in traditionell

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christlich geprägten Kulturräumen – keineswegs auf das »kirchliche Christentum« beschränkt. Man könnte hier die Frage anschließen, wie es auch in Regionen, die von zum Teil dramatischen Traditionsabbrüchen gekennzeichnet sind und in denen eine Kenntnis biblischer Erzählungen und Grundaussagen des christlichen Glaubens nicht (mehr) vorauszusetzen ist, gelingen kann, die Geschichte Jesu Christi so zu erschließen, dass ihr lebensfördernder, heilvoller Gehalt deutlich wird. Klaus Hock beleuchtet die Präsenz Jesu Christi in Islam und Hinduismus. Der Koran nimmt in 15 Suren auf Jesus Bezug, der als Prophet gewürdigt wird, aber auch mit dem (als Eigennamen verstandenen) Titel »Messias« (al-masîh) oder als (freilich nicht exklusives) »Wort Gottes« bezeichnet werden kann. Als »Zeichen Gottes« hat Jesus dabei für die muslimische Frömmigkeit besondere Bedeutung gewonnen. Hock stellt sodann dar, dass es im Islam eine lebendige Diskussion über die Bedeutung Jesu gibt, die sich zum Teil kritisch mit der christlichen Lehre auseinandersetzt, dabei aber durchaus eigene Zugänge zu Jesus als »Wort« oder »Geist« Gottes entwickelt, der die Kluft zu den sündigen Menschen überwinde, mit einer für alle Menschen bedeutungsvollen Botschaft aufgetreten sei und eine universale Ethik der Liebe und Mitmenschlichkeit gelehrt habe. Im Hinduismus lässt sich keine in vergleichbarer Weise weit zurückreichende Traditionslinie der Beschäftigung mit Jesus erheben. Gleichwohl hat die Gestalt Jesu in neuhinduistischen Ansätzen seit dem 19. Jahrhundert ebenfalls eine eigenständige Bedeutung gewonnen. Hock verdeutlicht dies anhand der auf Sri Ramakrishna, einen hinduistischen Priester des 19. Jahrhunderts, zurückgehenden Tradition, die mystisch-visionär ausgerichtet ist und in Christus einen Avatar (wörtlich: »Abstieg«) sieht, in dem das Göttliche auch als Mensch präsent geblieben sei. Eine zweite hinduistische Tradition sieht in Jesus den wahren Lehrer (Satguru), der als Inkarnation Gottes aufgefasst wird. Auch hierbei handelt es sich um eine mystisch orientierte Sicht, die auf eine Identifikation mit Christus zielt und durch die Hare-Krishna-Bewegung auch in Europa bekannt geworden ist. Schließlich weist Hock auf die Beschäftigung mit Jesus bei dem Philosophen und Dichter Rabindranath Thakur (Tagore) sowie bei Mahatma Gandhi hin, die auf je eigene Weise die Bedeu-

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tung Jesu als Verkörperung des Göttlichen in einem Menschen, das besonders an seinem universalen Ethos der Menschlichkeit erkennbar werde, betont haben. Im dritten Teil seines Beitrags geht Hock auf einige »kontextuelle Christologien« ein. Grundsätzlich lässt sich dabei feststellen, dass die – oftmals erst vergleichsweise spät einsetzende – Beschäftigung mit der Person Jesu dadurch gekennzeichnet ist, sie im Horizont der jeweiligen religiösen, kulturellen und sozialen Bedingungen zu kontextualisieren – so etwa in Afrika als »guten Hirten« vor dem Hintergrund der Hirtenkultur nomadisierender Maasai. Hock stellt das damit verbundene Problem deutlich heraus: Einerseits wird eine Christologie notwendig »kontextuell« sein und ist es seit ihren ersten Anfängen auch immer gewesen. Andererseits gilt es zugleich immer wieder neu auszuhandeln, welche Inhalte für christliche Theologie und christlichen Glauben konstitutiv sind und – durchaus in variierenden Sprachformen und Bildern – auch bei der Erschließung neuer kultureller und religiöser Kontexte gewahrt bleiben müssen. Der Überblick über die Beiträge dieses Bandes gibt demnach zu erkennen, dass Person und Weg Jesu Christi in der großen Weite der darin angelegten Deutungen in den Blick treten. Die Traditionen Israels und des Judentums, die sich als »Vorwort zu Jesus Christus« auffassen lassen, die Deutungen, die Jesus Christus in den Texten des Neuen Testaments gefunden hat, die Orientierung an seiner Demut und Leidensbereitschaft, das dadurch erschlossene Gottesverhältnis, in das der glaubende Mensch eintreten kann, die Präsenz seiner Person in kirchlichen und nicht-kirchlichen Kontexten der Gegenwart und schließlich die Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung in nicht-christlichen Religionen sind spezifische Akzente, die dabei besonders hervortreten. Eine genaue Lektüre der Beiträge wird dies im Detail verdeutlichen. Die Zusammenfassung am Schluss des Bandes wird einige Akzente aufgreifen und aus der Perspektive der gegenwärtigen Jesusforschung und ihrer Bedeutung für das Christusbekenntnis zusammenführen.

Altes Testament

Markus Witte

Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments 1.  Grund, Ort und Ziel der alttestamentlichen Thematisierung von Jesus Christus Die Frage nach Jesus Christus bedingt eine Darstellung der Theologie des Alten Testaments bzw. der in diesem vereinigten vielfältigen Theologien – und dies in dreifacher Hinsicht: erstens, weil die neutestamentlichen Autoren das als letztgültige Offenbarung Gottes geglaubte Leben, Sterben und Auferstehen Jesu im Licht dieser Schriften, die erst mit der Entstehung einer neutestamentlichen Schriftensammlung im Raum der Kirche zum Alten Testament wurden, verstanden und mithilfe alttestamentlicher Bilder, Motive und Vorstellungskomplexe gedeutet haben; zweitens, weil Jesus selbst die später unter dem Namen »Altes Testament« versammelten heiligen Schriften Israels gelesen und interpretiert hat; drittens, weil die Theologie des Alten Testaments das Reden von Gott in den alttestamentlichen Schriften vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Kontexte reflektiert und im Kontext christlicher Theologie auf die Rede von Gott im Neuen Testament bezieht. Denn das Neue Testament lebt aus der religiösen Sprach- und Denkwelt des Alten Testaments und stellt literaturgeschichtlich eine Fortschreibung desselben dar. Für die neutestamentlichen Verfasser ist der sich in Jesus selbst erschließende Gott identisch mit dem im Alten Testament bezeugten Gott und Jesus die zentrale im Alten Testament erwartete endzeitliche Heilsfigur, der spätestens von den neutestamentlichen Autoren der auch im zeitgenössischen Judentum für eine endzeitliche Heils- und Rettergestalt gebrauchte Titel

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»Messias / Christus« verliehen wurde. Schließlich versteht sich das frühe Christentum unter Aufnahme der im Alten Testament gesammelten heiligen Schriften des antiken Judentums in Kontinuität und Diskontinuität zum alttestamentlichen Israel als das (neue) Volk Gottes. Wenn aber Jesus Christus als die letztgültige Offenbarung dieses Gottes verstanden wird, dann wird im Horizont christlicher Theologie die Darstellung der Rede von Gott im Alten Testament letztlich zu einem Teil der Christologie (vgl. Gese 1974a: 30). Der Schriftgebrauch Jesu und der neutestamentlichen Autoren gehört stärker in den Bereich der Auslegungsgeschichte des Alten Testaments und fällt wesentlich in das Gebiet der neutestamentlichen Wissenschaft und der Kirchengeschichte. Die Verhältnisbestimmung der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament ist hingegen genuin ein Teil der Theologie des Alten Testaments im Sinn einer religionsgeschichtlich gestützten Klassifikation der im Alten Testament artikulierten Gotteserfahrungen, einschließlich deren Fokussierung auf im Neuen Testament auf Jesus Christus bezogene Texte, sowie ein Teil biblischer Theologie im Sinn des Versuchs, anthropologische und theologische Basisthemen beider Testamente hinsichtlich ihrer geschichtlichen und sachlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten.

2.  Jesus Christus als Thema der Auslegung des Alten Testaments Unabhängig von der Frage, ob der jeweilige auf Jesus Christus bezogene Rückgriff auf die Schriften Israels im Neuen Testament auf Jesus von Nazareth selbst oder erst auf die nachösterliche Reflexion der Gestalt Jesu als dem Messias / Christus zurückgeht, lassen sich im Neuen Testament im wesentlichen drei Methoden des Schriftgebrauchs zeigen: die allegorische, die typologische und die eschatologische. Diese drei Arten der Interpretation sind in hellenistisch-römischer Zeit grundsätzlich weder auf die Korrelation von alttestamentlichen Texten mit Jesus Christus noch auf eine christliche Hermeneutik beschränkt. Sie finden ihre Anwendung auch auf andere biblische Themen und sind im antiken jüdischen

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und paganen Bereich weit verbreitet, teilweise haben sie in diesem sogar ihre Wurzel. Hinter allen drei Hermeneutiken steht die Absicht, die aktuelle Bedeutung eines als normativ angesehenen Textes aufzuzeigen, dessen Gegenwartsrelevanz sich entweder nicht unmittelbar erschließt oder der durch eine neue geschichtliche Erfahrung radikal in Frage gestellt wird. Im Rahmen des Neuen Testaments wirken diese drei Lesarten in zwei Richtungen: Einerseits zielen sie auf die Interpretation der Schriften Israels im Licht der Erfahrung Jesu Christi, andererseits dienen sie dazu, mithilfe eben dieser Schriften die mit Jesus Christus gemachten Erfahrungen selbst zu deuten.

2.1.  Jesus Christus im Spiegel der allegorischen Auslegung des Alten Testaments Die allegorische Auslegung (abgeleitet von griech. ἀλληγορέω/​ allēgoreō / etwas anderes sagen, als gemeint ist) basiert auf der Vorstellung, dass ein Text über seinen wörtlichen Sinn (Literalsinn) hinaus eine tiefere (allegorische) Bedeutung besitzt, die sich mittels Entschlüsselung seiner einzelnen Bestandteile (Wörter, Wortfolgen, Etymologien, grammatische Phänomene, Zahlenangaben u. a.) erheben lässt. Demzufolge wird bei der allegorischen Auslegung zwischen der Oberfläche eines Textes und seiner erst zu dechiffrierenden Tiefendimension unterschieden. Letzterer kommt nach der Überzeugung des allegorisch verfahrenden Auslegers die eigentliche Bedeutung zu. Insofern sich bereits innerhalb des Alten und Neuen Testaments Allegorien finden (vgl. Jes 5,1–7; Ez 34 bzw. Joh 10,1–18), hat die allegorische Auslegung einen unmittelbaren innerbiblischen Anknüpfungspunkt. Allerdings verdankt sich die frühchristliche allegorische Auslegung historisch der Hermeneutik des hellenistischen Diasporajudentums, vor allem dem Werk Philos von Alexandria (um 15 / 10 v. Chr. – 40 n. Chr.), die ihrerseits im Schatten der paganen Homer- und Mytheninterpretation seit dem 6. / 5.  Jahrhundert v.  Chr. steht. Bezogen auf Jesus Christus, bietet Gal 4,21–31 ein charakteristisches (und besonders komplexes) Beispiel allegorischer Schriftauslegung. So bezieht Paulus hier die Erzählungen von Abraham,

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seiner Frau Sara, deren Magd Hagar sowie den von diesen beiden Frauen geborenen Söhnen Isaak und Ismael (Gen 16; 21) auf das Verhältnis zwischen dem an das Gesetz (νόμος / nomos, hebr. tôrāh, lat. lex) gebundenen Weg zu Gott und dem durch den Glauben (πίστις / pistis, hebr. ʼæmûnāh, lat. fides) an Jesus Christus ermöglichten Heil. Dabei versteht Paulus die Magd Hagar aufgrund einer eigenwilligen arabischen Etymologie als Chiffre für den in Arabien lokalisierten Berg Sinai (Gese 1974b: 59–61), an dem nach Ex 19 die Tora offenbart wurde, während er in Sara als der Freien die Mutter des Sohnes der Verheißung (Gen 18,10), des Sohnes der Freiheit vom »Gesetz«, sieht. Isaak erscheint dementsprechend als Chiffre für Jesus Christus und für die an ihn Glaubenden. Eine Korrelierung von Isaak und Jesus Christus findet sich an weiteren Stellen des Neuen Testaments (Röm 9,7; Hebr 11,18) und hat vor dem Hintergrund von Gen 22 (s. u. 4.3.) auch in der christlichen Kunst eine tiefe Spur hinterlassen.

2.2.  Jesus Christus im Spiegel der typologischen Auslegung des Alten Testaments Eine spezifische Form der allegorischen Auslegung bildet die typologische Interpretation (abgeleitet von griech. τύπος / typos / Form, Vorbild, Beispiel). Gemäß dieser Interpretation erscheinen einzelne Figuren oder Ereignisse der Vergangenheit als modellhafte Vorläufer (τύποι / typoi) späterer Figuren oder Ereignisse. Im Gegensatz zur allegorischen Auslegung werden bei der typologischen Lektüre die ins Verhältnis gesetzten Figuren oder Ereignisse nicht miteinander identifiziert, sondern als strukturelle Entsprechungen verstanden. Im Blick auf das Neue Testament findet sich nahezu für alle großen Figuren und Ereignisse, die in der alttestamentlichen Darstellung der Geschichte Israels eine zentrale Rolle spielen, eine typologische Auslegung, so, wenn beispielsweise Adam, die Erzväter, Mose, David, Salomo oder Elia bzw. der Exodus oder die Bewahrung Israels auf der Wüstenwanderung als Vorbilder Jesu Christi bzw. als Vorabschattungen des Handelns Gottes in Jesus Christus verstanden und zugleich zur Interpretation von dessen Leben, Tod

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und Auferstehung herangezogen werden. Dabei sind es jeweils spezifische Funktionen der einzelnen Figuren oder bestimmte Geschehensstrukturen, wie z. B. die universalen Auswirkungen der Sünde Adams (Röm 5,14 mit Rekurs auf Gen 2–3), das befreiende Handeln Gottes im Exodus (Mt 2,15 mit Zitierung von Hos 11,1; vgl. auch 1 Kor 10,1–4 in Verbindung mit einer allegorischen Auslegung von Ex 17,6) oder die Rettung Israels in der Wüste durch Mose (vgl. Joh 3,14–16 mit Num 21,4–9), die typologisch auf Jesus Christus hin gelesen werden. Eine besonders ausgestaltete Typologie bietet der Hebräerbrief mittels des Rückgriffs auf die in Gen 14,18–22 und davon abhängig in Ps 110,4 thematisierte Figur des Melchisedek, die als Urbild des Hohepriesters schlechthin und als Prototyp eines als Priester agierenden Jesus Christus verstanden wird (Hebr 7; vgl. Hebr 2,17; 8,1–6; 9,11) (s. u. 4.6.1.) Dabei zeigt gerade die Melchisedek-Typologie des Hebräerbriefs, wie frühchristliche Autoren an einem im Judentum in hellenistisch-römischer Zeit verbreiteten Auslegungsdiskurs – hier an den auch über das Schrifttum aus Qumran (11Q13) bekannten Melchisedek-Spekulationen (Fabry / Scholtissek 2002: 49–50; von Nordheim 2008: 240–267) – teilhaben und wie sie kultische Vorstellungen (Tempel, Priester, Opfer, Sühne, s. u. 4.5.) des antiken Judentums zur Deutung von Person und Werk Jesu Christi heranziehen.

2.3.  Jesus Christus im Spiegel der eschatologischen Auslegung des Alten Testaments Die sowohl für den Schriftgebrauch Jesu als auch für den der neutestamentlichen Autoren wichtigste Hermeneutik stellt das eschatologische Verständnis der Schriften Israels dar. Entsprechend einer eschatologischen Lektüre (abgeleitet von griech. τὰ ἔσχατα / ta eschata / die letzten Dinge) werden Texte als Weissagungen auf Ereignisse in der Endzeit verstanden. Dabei ist eine eschatologische Interpretation nicht auf die Auslegung futurisch ausgerichteter Texte wie prophetischer Orakel beschränkt, sondern kann sich auch auf gegenwartsbezogene Texte, wie z. B. weisheitliche Mahnungen oder Klage- und Bittgebete, erstrecken. Ebenso wenig ist

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eine eschatologische Hermeneutik spezifisch christlich. Vielmehr findet sich bereits innerhalb der Schriften Israels spätestens seit dem 4. / 3. Jahrhundert v. Chr. eine eschatologische relecture älterer Texte. So wurden in die Geschichtsbücher eschatologische Texte integriert (vgl. Gen 49,8–12*; Num 24,15–24*; 1 Sam 2,1–10*). Die Prophetenbücher wurden zu einem zwei- oder dreigliedrigen universalen endzeitlichen Drama modifiziert, das über die Stufen des Gerichts an Israel, den Völkern und der gesamten Welt zum endgültigen von Gott gewirkten Heil führt. Alte Jhwh-König-Psalmen (Ps 96–99) wurden zu Liedern von Gottes endzeitlichem Königtum transformiert und einzelne Weisheitstexte (Ps 37; Prov 2) eschatologisiert. Im zeitlichen Umfeld des Auftretens Jesu belegen aus Qumran bekannte jüdische Kommentare (pešær, Pl. pešārîm) zu einzelnen Prophetenbüchern und Psalmen eine eschatologische Interpretation (vgl. z. B. 1QpHab oder 4Q171). Schließlich zeigt sich auch im paganen Bereich in der hellenistisch-römischen Zeit ein eschatologisches Verständnis von Traditionstexten (vgl. z. B. die ägyptischen Texte Das Lamm des Bokchoris und das Töpferorakel; Quack 2009: 176–181). Charakteristisch für das im Neuen Testament vorliegende eschatologische Verstehen sind zwei Punkte: Erstens hat bereits Jesus seine Person und sein Auftreten mit Metaphern gedeutet, die in den Schriften Israels auf die Endzeit bezogen sind. Dies gilt für die vor allem in den prophetischen Büchern, einzelnen Psalmen und in den apokalyptischen Passagen des Danielbuchs ausgedrückte Vorstellung von der im Anbruch befindlichen endgültigen Königsherrschaft Gottes (hebr. malkût jhwh; griech. βασιλεία τοῦ θεοῦ / basileia tou theou / βασιλεία τῶν οὐρανῶν / basileia tōn ouranōn; Jes 24,23; Mi 4,7; Sach 14,17; Ps 96–99; 145–146; Dan 7,27); und dies gilt für den Titel »Menschensohn« (hebr. ben ʼādām, aram. bar naš, griech. υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου / hyios tou anthrōpou): Dessen traditionsgeschichtliche Entwicklungslinie und alttestamentliches Verwendungsspektrum umfasst die einfache Kennzeichnung eines Menschen in seiner Relation zu Gott (Ps 8,5), die spezifische Bezeichnung des Propheten Ezechiel (Ez 2,1 und weitere 93 Mal in Ez) sowie die Titulierung einer vieldeutigen endzeitlichen himmlischen (Retter-)Gestalt (Dan 7,13; vgl. 1 Henoch 46,1–6; 4 Esra  13,3–4). Zweitens haben die

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frühchristlichen Autoren, mit charakteristischen Differenzen im jeweiligen eschatologischen Wirklichkeitsverständnis, Leben, Tod und Auferstehung Jesu als Erfüllung »alttestamentlicher« Weissagungen interpretiert. Wie die unterschiedlichen alttestamentlichen Eschatologien ihr Zentrum im endgültigen Handeln des einen und einzigen Gottes Jhwh finden, so gilt für alle neutestamentlichen Autoren, dass sie in Jesus Christus das irreversible und unüberbietbare Heilshandeln dieses Gottes sehen. Dementsprechend kennzeichnet die Rezeption der alttestamentlichen Schriften im Neuen Testament der eschatologische Weissagungsbeweis, mittels dessen Jesus mit unterschiedlichen, im antiken Judentum für die Endzeit erwarteten Heilsfiguren identifiziert wird (s. u. 4.6.) und die entscheidenden Situationen seines Lebens von der Geburt bis zum Tod am Kreuz und der Auferstehung als ein schriftgemäßes Handeln Gottes interpretiert werden (vgl. Mt 2,5–6 versus Mi 5,1, bzw. Apg 8,30–36 versus Jes 53,7–8, bzw. 1 Kor 15,3–4 versus Jes 53,4–5; Hos 6,2; Ps 16,8–11). Dabei kann sich der auf Jesus Christus bezogene Weissagungsbeweis auf die explizite Zitation von Einzelstellen und auf die gesamte aus Tora und Propheten (Nebiim: Jos  – Mal) bestehende, in ihrem dritten Teil (Ketubim) noch im Werden befindliche Sammlung der heiligen Schriften Israels beziehen. So stellt beispielsweise Lukas den auferstandenen Christus als exemplarischen Hermeneuten der Schriften Israels dar (Lk 24,27), woraus zugleich das frühchristliche Bewusstsein einer so erst durch Jesus Christus ermöglichten Lektüre der Schriften Israels spricht (Apg 8,26–40; 2 Kor 3,12–18). Mitunter kann von den neutestamentlichen Autoren im Rahmen der eschatologischen Interpretation eine scharfe Antithetik / Entgegensetzung zwischen dem als endgültige Offenbarung Gottes verstandenen Jesus Christus und den dann als vorläufig oder überholt betrachteten Offenbarungen Gottes vor Abraham und Mose, wie sie in der Tora verschriftet sind, aufgebaut werden. In diesem Fall erscheint Jesus Christus nicht primär als Erfüllung, sondern als Überbietung alttestamentlicher Heilsvorstellungen. Das Alte Testament wird damit zur Kontrastfolie der Darstellung von Leben und Werk Jesu Christi (vgl. Joh 1,17; 7,23; 8,17 f.; 10,34–36; Röm 3,21 f.; Gal 2,21; Hebr 3,1–6). Auch eine solche Form anti-

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thetischen oder überbietenden Schriftverständnisses ist von ihrer Struktur her nicht genuin christlich, wie eine inneralttestamentliche Kritik an der Tora des Mose bzw. am Umgang mit dieser seitens bestimmter weisheitlicher und prophetischer Autoren (Hi 31; Jer 31) sowie esoterische Texte aus Qumran (1Q26 / 4Q415–418) oder die frühjüdische Henochüberlieferung zeigen, sie hat aber durch die exklusive Bindung an Jesus Christus eine neue Qualität erreicht. Noch deutlicher als bei der Allegorie und bei der Typologie zeigt sich beim eschatologischen Weissagungsbeweis und der antithetischen Gegenüberstellung die Wechselwirkung zwischen dem auf Jesus Christus hin ausgelegten Alten Testament und der Deutung von Person und Werk Jesu mittels des Alten Testaments.

2.4.  Jesus Christus im Spiegel der historisch-kritischen Auslegung des Alten Testaments Die skizzierte Thematisierung Jesu Christi im Kontext der Auslegung des Alten Testaments zieht sich in ihrer grundsätzlichen Struktur und Hermeneutik von der Alten Kirche über das Mittelalter und Martin Luther (1483–1546) bis zu vereinzelten dezidiert christologischen oder christozentrischen Interpretationen im 20. Jahrhundert (vgl. z. B. Wilhelm Vischer [1895–1988] oder Otto Procksch [1874–1947] und dazu Preuß 1984: 85–94; Reimer 1998: 380–400). Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft im 17. / 18. Jahrhundert, die im Schatten von Aufklärungsphilosophie und Romantik nach der geschichtlichen Ursprungssituation und Ursprungsintention sowie den Erstadressaten eines Textes fragt, wurde die allegorische, typologische und eschatologische, mithin die christologische Interpretation des Alten Testaments in unterschiedlichen Graden problematisiert und als eine nicht aus den alttestamentlichen Texten selbst gewonnene, teilweise deren ursprünglichen Sinn umkehrende, dabei stark selektive Deutung kritisiert (Reventlow 1982: 1–30). Die gegenwärtige christliche Theologie steht vor der Herausforderung, angesichts tatsächlicher hermeneutischer Defizite von allegorischer, typologischer und eschatologischer Auslegung und

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unter den Bedingungen historischen Denkens Jesus Christus als Thema auch des Alten Testaments darzustellen. Entzieht sich die christliche Theologie dieser Aufgabe, werden entweder der traditions- und literaturgeschichtliche sowie sachliche Zusammenhang der Testamente aufgelöst und die Betrachtung der im Alten Testament versammelten Texte an die vorderorientalische und klassische Literatur- und Religionsgeschichte delegiert (so radikal bei Friedrich Delitzsch [1850–1922], vgl. Delitzsch 1924 / 1926; Hartenstein 2009: 79). Oder die alttestamentlichen Texte kommen in Gestalt der Hebräischen Bibel (Tanach), die aber weder material noch hermeneutisch mit dem Alten Testament identisch ist, nur in der jüdischen Theologie vor. Bei aller Notwendigkeit, den literarischen und religionsgeschichtlichen Eigenwert der alttestamentlichen Texte zu würdigen und die sich auf die Schriften des antiken Israel beziehende jüdische Theologie als eine mögliche und authentische Lesart zu achten, zeigen entsprechende Fehlentwicklungen im Laufe der Auslegungs- und Kirchengeschichte, dass der Verzicht auf eine christliche und christusbezogene Auslegung nicht nur theologisch unsachgemäß ist, sondern regelmäßig zu einer Abwertung des Alten Testaments und in deren Gefolge häufig zu einer Abwertung oder gar Verfolgung des Judentums führte. Im Rahmen christlicher Theologie muss das Alte Testament aus der Perspektive des Neuen Testaments (und umgekehrt das Neue Testament aus der Perspektive des Alten Testaments) verstanden werden, ohne dass die literatur- und religionsgeschichtliche Besonderheit des Alten Testaments (und des Neuen Testaments) nivelliert und das Judentum diffamiert werden. Dem Thema »Jesus Christus« kommt dabei die Schlüsselrolle zu, weil Jesus Christus die entscheidende Verbindung zwischen beiden Testamenten darstellt (vgl. programmatisch Procksch 1950: 11). So wird im Folgenden der Versuch unternommen, die Theologien im Alten Testament in ihrer Durchlässigkeit auf das Gottes-, Welt- und Menschenverständnis, wie es sich in den neutestamentlichen Überlieferungen über Jesus Christus zeigt, nachzuzeichnen und dabei exemplarisch auf strukturelle Entsprechungen, konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verbindungen in der Rede von Gott im Alten und im Neuen Tes-

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tament hinzuweisen (vgl. Preuß 1984: 120–140). Einen solchen Zugang möchte ich eine »christo-transparente« Auslegung nennen. Dass dies hier nur in Ausschnitten und beispielhaft geschehen kann, versteht sich von selbst. Dabei müssen, zumal bei der Frage nach dem Hintergrund der Messiasvorstellungen, immer wieder die Grenzen des Kanons überschritten und das nicht kanonisch gewordene jüdische Schrifttum aus hellenistisch-römischer Zeit berücksichtigt werden. Insofern das Thema »Jesus Christus« dem Alten Testament zugewachsen ist, kann eine solche nachzeichnende Darstellung nicht anders als rückblickend geschehen (vgl. dazu die klassisch gewordenen Ausführungen bei Kähler 1965: 5–12; Dohmen 2000: 1649–1651), ohne dass hier der jeweilige neutestamentliche Bezugspunkt immer explizit angeführt werden kann. Das heißt: Auch bei einer historisch-kritischen Lektüre des Alten Testaments ist im Rahmen einer Thematisierung von Jesus Christus als Gegenstand der Theologie der Zirkel von einer Auslegung alttestamentlicher Texte auf Jesus Christus hin und einer Interpretation von Jesus Christus aus der Perspektive alttestamentlicher Texte nicht zu vermeiden, wohl aber methodisch deutlich zu machen (vgl. Barton 1998: 365–379; Waschke 2001: 157–169).

3.  Jesus Christus im Spiegel ausgewählter Namen und Titel Gottes im Alten Testament 3.1.  Theologie als Namenskunde Theologie lässt sich verstehen als argumentative Entfaltung der im Namen eines Gottes oder einer Göttin enthaltenen Bedeutungen, der durch diesen Namen eröffneten Sinnhorizonte, seiner geschichtlichen Hintergründe sowie seiner narrativen und funktionalen Kontexte. Anfänge einer so verstandenen Theologie bieten die Reflexion des israelitisch-jüdischen Gottesnamens Jhwh, des sogenannten Tetragramms, in Ex 3,13–15, der israelitischjüdischen Gottesbezeichnung Schaddaj in Jes 13,6 (par. Joel 1,15) oder des griechischen Gottesnamens Zeus bei Platon (Kratylos 396a).

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Im Blick auf die biblische Theologie legt sich ein solcher Zugang aus zwei Gründen besonders nahe: Erstens kann der Name Jhwh als das eigentliche Zentrum des Alten Testaments angesehen werden (Zimmerli 1999: 11), was sich neutestamentlich in der ersten Bitte des Vaterunsers (»geheiligt werde dein Name«, Mt 6,9) spiegelt. Zweitens fasst der aus dem Eigennamen »Jesus« (hebr. ješûaʻ als Kurzform von jehôšûaʻ, griech. Ἰησοῦς / Iēsous) und dem ursprünglichen Königstitel »Christus« (hebr. māšîah‫ ׅ‬, aram. mešîh‫ ׅ‬ā ̓, griech. χριστός / christos, gräzisiert Μεσσίας / Messias) bestehende Doppelname programmatisch das Neue Testament zusammen. So bedeutet der Name Jesus Christus als Satz gelesen »Der, der ›Jhwh ist Hilfe‹ (heißt), (ist) der Gesalbte / Messias« (s. dazu ausführlich unten 4.6.1.; Hofius 1993: 106). Dabei kennzeichnet der Titel Messias / Christus / Gesalbter biblisch immer eine Zuordnung zu Gott. Ausgehend von einzelnen Gottesnamen und Gott beigelegten Titeln, Epitheta, Rollen und Funktionsbeschreibungen lassen sich Altes und Neues Testament als Spiegel der Geschichte Jhwhs und Jesu Christi lesen. Ein innerbiblischer Dreh- und Angelpunkt eines solchen an den Namen »Jhwh« und »Jesus Christus« orientierten Zugangs ist das Motiv der Übereignung des Namens Gottes an Jesus Christus in Phil 2,9–10 (vgl. Jes 42,8; Vollenweider 2008: 180–184).

3.2.  Jhwh – Kyrios – Der Herr Die im Alten Testament mit Abstand am häufigsten gebrauchte, religionsgeschichtlich und theologisch gewichtigste sowie im Blick auf das Verständnis und die Anrede Jesu Christi wirkmächtigste Gottesbezeichnung ist der Gottesname Jhwh. Die im Alten Testament zur Bezeichnung Gottes bevorzugte Verwendung des Eigennamens Jhwh kennzeichnet das personale Gottesverständnis des Alten Testaments. Literarischer Ausgangspunkt einer theologischen Wesensbestimmung Jhwhs ist die in Ex 3,14 überlieferte Selbstvorstellung, die auch im hellenistischen Judentum (vgl. Philo, det. 160; mut. 11; somn. II, 230–231) und im Neuen Testament (vgl. Hebr 11,6; Apk 1,4) aufscheint. Aus dieser Selbstvorstellung Jhwhs ergibt sich ein doppelter Grundzug des alttestamentlichen Got-

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tesverständnisses: Jhwh entzieht sich einer bestimmten Definition und ist jeder menschlichen Verfügungsgewalt enthoben. Er ist ein handelnder, kein in sich ruhender Gott; seine Bedeutung besteht nicht in seinem (bloßen) Sein, sondern in seinem (wirkenden) Dasein. Das Alte Testament vermittelt kein statisches, sondern ein dynamisches, durchgehend auf Leben und Lebendigkeit bezogenes Gottesverständnis. Dadurch, dass das Tetragramm seit etwa 300 v. Chr. als ʼadonāj (»Herr«; wörtlich: »meine Herren«) gelesen, ab etwa 200 v. Chr. auch literarisch weitgehend durch das Epitheton ʼadonāj abgelöst und in den seit der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. angefertigten griechischen Übersetzungen der hebräischen (und aramäischen) Schriften Israels fast ausschließlich mit κύριος / kyrios / Herr übersetzt wurde, ist der Aspekt der universalen Herrschaft des israelitisch-jüdischen Gottes auch sprachlich besonders in den Vordergrund getreten. Die Bezeichnung Jhwhs als Herr ist, wie im zwischenmenschlichen Bereich zur Kennzeichnung des Verhältnisses zwischen einem Höher- und einem Niedriggestellteren, eine Relationsbezeichnung, mittels derer sich der Verehrer selbst und seine ihn umgebende Welt in eine Beziehung zu seinem Gott setzt. Entscheidende theologische Funktion dieser Gottesbezeichnung ist die Relativierung jeglicher anderer Macht, sei es von Menschen beanspruchter und ausgeübter Macht, sei es von in anderen Religionen als Götter verehrten Herren: Der Titel »Herr« steht nach alttestamentlichem Verständnis letztlich keinem König zu, sondern allein Gott (Ex 15,11; Jdt 9,7–9; EstLXX 4,17a). Die Anrede Jhwhs als Herr ist einerseits Bekenntnis zu seiner alleinigen und absoluten Autorität, die alle Lebensbereiche umfasst, andererseits Ausdruck grenzenlosen Vertrauens auf seine Stärke. Durch die Anrede Jhwhs als Herr und die Wiedergabe des Tetragramms mit κύριος wurde eine Gleichsetzung dieses Gottes mit dem bereits im Neuen Testament als κύριος angesprochenen Jesus Christus (Röm 10,9; 1 Kor 8,6) ermöglicht. Ps 110,1 spielte hierbei eine besondere Vermittlungsrolle (Feldmeier / Spieckermann 2011: 43). Ein wesentlicher Faktor der im Neuen Testament angelegten und dann in der Alten Kirche entfalteten Gleichsetzung, in deren

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Folge der Kyrios Jesus Christus als in der Rolle des alttestamentlichen Kyrios handelnd gesehen werden konnte, war, dass die neutestamentlichen Autoren die Schriften des antiken Judentums im wesentlichen in ihrer griechischen Gestalt benutzten und diese in Form der Septuaginta zunächst zur Bibel der Kirche, dann zum Alten Testament wurden. Damit ist Jesus Christus nicht nur zu einem Erben Jhwhs geworden, sondern hat auch die durch die Epitheta ʼādôn / ʼadonāj und κύριος vermittelte Rolle der universalen Herrschaft übernommen.

3.3.  König – Hirte – Zebaoth und Allmächtiger Wie die anderen Götter des Alten Orients und der klassischen Antike kann Jhwh im Alten Testament mit einer Vielzahl von Titeln angesprochen und unterschiedlichen Epitheta ausgeschmückt werden. Insbesondere die Psalmen als an Jhwh gerichtete Bitt-, Dank-, Lob- und Klagegebete weisen hierin einen großen Reichtum auf. Dabei besitzt jedes Epitheton eine eigene religionsgeschichtliche Herkunft, einen spezifischen soziokulturellen und literarischen Verwendungszusammenhang sowie eine eigene Funktion im Blick auf den so titulierten Gott, dem damit auch jeweils eine bestimmte Rolle zugewiesen wird. Dabei können sich einzelne Epitheta motivisch mit anderen überschneiden und je nach Kontext in ihrem Bildgehalt und in ihrer Funktion variieren. Im Neuen Testament begegnen eine Reihe der wichtigsten Jhwh-Epitheta wieder (Zimmermann 2007), sei es zur Bezeichnung des Gottes Israels, woraus sich dann Aspekte der besonderen Korrelierung Jesu zu diesem ablesen lassen, sei es als Anrede Jesu selbst, wodurch dieser wie im Fall des Kyrios-Titels als Erbe Jhwhs erscheint und woraus sich ein bestimmtes christologisches Verständnis erheben lässt. 3.3.1. Die Bezeichnung Jhwhs als König (Ps 98,6; Jes 6,5; Jer 46,18) wurzelt religionsgeschichtlich im syrisch-kanaanäischen Polytheismus. Sie setzt ein Pantheon voraus, über das der als König bezeichnete Gott herrscht. In der Jhwh-Verehrung taucht die Bezeichnung Jhwhs als König im Lauf des 1. Jahrtausend v. Chr. auf und spiegelt vor allem eine Übertragung von Elementen aus der Baal-Verehrung

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sowie eine Aufnahme solarer Motive (»Solarisierung Jhwhs«) wider. Zum Kontext der Bezeichnung Jhwhs als König gehören die Beschreibung der himmlischen Herrschaft über die »Göttersöhne« (benê hāʼælohîm, Hi 1,6; vgl. Ps 82,1.6; 97,9), die Beschreibung des himmlischen Throns (Jes 6,1; Ps 47,3–9; 93,1 f.), die Vorstellung von Jhwhs königlichem Handeln im Himmel und auf der Erde (Ps 103,19) sowie die in eschatologischen Entwürfen des Alten Testaments und nicht kanonischen frühjüdischen Apokalypsen breit entfaltete Vorstellung von der kommenden Königsherrschaft Gottes (s. u. 4.6.). In theologischer Hinsicht erfüllt die Bezeichnung Jhwhs als König eine doppelte Funktion: Zum einen lassen sich mithilfe des Königstitels auch ursprünglich nichtjahwistische Gottesvorstellungen in die Jhwh-Verehrung einbetten. Jhwh erscheint demnach weniger als König über Israel als vielmehr als König über die ägyptischen, assyrischen, babylonischen, phönizischen oder syrischen Götter, die in seinen himmlischen Hofstaat eingegliedert und ihm so untergeordnet werden (vgl. Ps 29). Zum anderen wird, wie im Fall des Titels »Herr«, jede menschliche Herrschaft durch die Bezeichnung Jhwhs als König relativiert (vgl. Ps 82; 146). Letzteres wird in der vor allem in jüdischen Texten aus hellenistischer Zeit verwendeten superlativischen Bezeichnung Jhwhs als »König aller Könige« unterstrichen (Sir 51,12n [HB]; vgl. DtnLXX 9,26; EstLXX 14,12) und in der neutestamentlichen Rezeption fortgesetzt (1 Tim 6,15; Apk 17,14). 3.3.2. Religionsgeschichtlich eng verwandt mit der Bezeichnung Jhwhs als König ist seine Anrede als Hirte. Die Titulierung eines Gottes als Hirten findet sich in zahlreichen antiken und altorientalischen Religionen und umfasst die Aspekte einer macht- und kraftvollen Herrschaft einerseits und einer gütigen, verantwortlichen Herrschaftsausübung andererseits. Als solche begegnet die Hirtenmetapher sowohl in Bezug auf Gott als auch auf den König. Die alttestamentliche Benennung Jhwhs als Hirten basiert auf dieser altorientalischen Vorstellung. Dabei kann Jhwh als Hirte des einzelnen Beters (Ps 23,1) und als Hirte des ganzen Volkes Israel (Gen 49,24; Ps 80,2) bezeichnet werden. In Kombination mit der Wiedergabe des Tetragramms mit

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κύριος bildet die Bezeichnung Jhwhs als Hirten einen wichtigen literarischen und motivischen Hintergrund für neutestamentliche Beschreibungen und Deutungen des Lebens Jesu (vgl. Mk 14,27 [als Zitat aus Sach 13,7]; Joh 10,11; Hebr 13,20). 3.3.3. Noch nicht im Neuen Testament, wohl aber seit der Alten Kirche finden sich inschriftliche, literarische oder ikonographische Belege für die Anwendung der Jhwh-Epitheta Zebaoth und Allmächtiger auf Jesus Christus. Mit Zebaoth liegt ein genuin hebräisches Jhwh-Epitheton vor, während der Titel »Allmächtiger« eine erst durch die Septuaginta in die Geschichte der Jhwh-Religion eingeführte Gottesbezeichnung ist. So hat die Septuaginta mit dem Wort παντοκράτωρ / pantokratōr / Allherrscher, das in der lateinischen Bibel als omnipotens und bei Martin Luther durchgehend als Allmächtiger erscheint, die hebräischen Begriffe s‫ ׅ‬ebāʼôt und ʼel šaddaj übersetzt (Witte 2011: 229–243). Bei Zebaoth handelt es sich vor allem um einen kriegerisch konnotierten Titel, der für »Jhwh, den Gott der Heerscharen« steht. Er bezeichnet Jhwh als den vor dem Heer (hebr. s‫ ׅ‬ābāʼ) Israels herziehenden Kriegsgott (1 Sam 17,45), als den Anführer der kosmischen Heerscharen / der Sterne (Jes 45,12; Neh 9,6), als den Herrn des himmlischen Hofstaates / der Engel (Jes 45,12; Ps 89,7–9; 103,21; 1QHa XI,22) oder als das Haupt aller irdischen und himmlischen Wesen (Gen 2,1). Die Septuaginta hat die Gottesbezeichnung Jhwh Zebaoth mit κύριος παντοκράτωρ / pantokratōr / der Herr, der Allmächtige übertragen und damit einen Grundstein für die Identifikation mit Jesus Christus gelegt, wie sie Martin Luther (1529) unter Verwendung von Ps 46 in dem Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« (EG 362,2) explizit oder Georg Weisel (1623 / 1642) in der Nachdichtung von Ps 24 in dem Lied »Macht hoch die Tür« (EG 1) implizit vollziehen. Über die Verwendung in der Übersetzung der Hebräischen Bibel hinaus findet sich die Bezeichnung παντοκράτωρ konzentriert im jüdisch-hellenistischen Schrifttum. In allen Fällen steht »παντοκράτωρ« für die umfassende Herrschermacht Gottes, die sich in seinem Wirken als Schöpfer, Richter und kriegerischem Beschützer artikuliert. Insgesamt fließen in der jüdischen Prägung

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des παντοκράτωρ-Titels mehrere Komponenten zusammen: erstens Vorstellungen von der Herrschermacht der Götter, wie sie in der altorientalischen Welt vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in die römische Zeit nachweisbar sind, zweitens die Rezeption griechischer Terminologie, drittens die Auseinandersetzung mit dem in hellenistischer Zeit, vor allem in Ägypten auftretenden Phänomen der Zuschreibung umfassender Kompetenzen an einzelne Allgottheiten wie Zeus, Isis oder Sarapis, und viertens Reaktionen des hellenistischen Judentums auf die universalen Herrschaftsansprüche zunächst Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.), sodann der sich etablierenden Reiche der Diadochen und schließlich des Imperium Romanum (Witte 2011). In römischer Zeit kann der Titel παντοκράτωρ im Judentum und im Christentum zudem als kritischer Reflex auf den im Herrscherkult wichtigen Begriff αὐτοκράτωρ / autokratōr / Alleinherrscher gedient haben (Zimmermann 2007: 238–240). Im frühen Christentum markiert »παντοκράτωρ« in seiner Anwendung auf Jesus Christus die diesem zugeschriebene universale Herrschaft und Frontstellung gegen pagane Götter (Zeus, Isis, Sarapis u. a.), die diesen Titel tragen, und gegen den römischen Kaiser.

3.4. Vater Im Gegensatz zu den unter 3.3. genannten alttestamentlichen Epitheta, die neutestamentlich oder in der frühen Kirche auf Jesus Christus bezogen werden, bleibt die Bezeichnung Gottes als Vater (hebr. ʼāb; griech. πατήρ / patēr), die zu den Spezifika der Anrede Gottes durch Jesus selbst gehört (vgl. Mk 14,36; Mt 6,9) und die eine zentrale Rolle bei der späteren Entfaltung der Vorstellung von der Gottessohnschaft Jesu spielt (vgl. Mt 11,27; s. u. 4.5.), auf Jhwh selbst beschränkt. Das Alte Testament bezeichnet nur an wenigen Stellen Jhwh ausdrücklich als Vater und behält die Charakterisierung als Vater der metaphorischen Beschreibung des Verhältnisses zwischen Israel und seinem Gott bzw. zwischen dem König und Gott vor. Die Bezeichnung Jhwhs als Vater des einzelnen Gläubigen ist in den hebräischen Texten des Alten Testaments nicht belegt, findet sich aber im 2. Jahrhundert v. Chr. in der griechischen Version von Jesus Sirach (Sir 23,1.4) und in einem aus Qumran belegten hebrä-

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ischen Text (4Q372 Frag. 1,16; vgl. auch V. 10 in dem dem Sirachbuch später zugewachsenen hebräischen Gebet in Sir 51,1–11[HB]). Aus Personennamen, die das Namenselement –ʼāb- enthalten, ist aber ersichtlich, dass auch im alten Israel Jhwh als »Vater«, das heißt als persönliche Schutzmacht des einzelnen Menschen, verehrt wurde (vgl. Joab »Jhwh ist Vater«, 1 Sam 26,6; Abija »mein Vater ist Jhwh«, 2 Chr 13,20–21). Dazu kommt ab der Exilszeit (6. Jahrhundert v. Chr.) im Rahmen von Bildworten und Vergleichen die übertragene Bezeichnung Jhwhs als Vater (Jes 45,10; 63,16; Mal 1,6; Ps 103,13; Prov 3,12). Die im Unterschied zu den vorderorientalischen Religionen sparsame Verwendung des Vater-Titels für Jhwh im Alten Testament steht im Kontext der Vermeidung von Anklängen an kanaanäisch-phönizische Fruchtbarkeitskulte. So führen das alttestamentliche Israel, die Könige Israels im Alten Testament wie auch der einzelne Gläubige des Alten Testaments ihr Gottesverhältnis auf ein personales, geschichtliches Erwählen (hebr. bāh‫ ׅ‬ar, griech. ἐκλέγομαι / eklegomai) seitens Gottes und auf ein Erkennen (hebr. jādaʽ, griech. γινώσκω / ginōskō) und Bekennen (hebr. jādāh, griech. ἐξομολογέω / exomologeō) Gottes seitens des Menschen zurück. Das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Jhwh und dem judäischen König gründet nach dem Alten Testament in einer geschichtlich bedingten Erwählung (vgl. 1 Sam 16,8–12), in einer Adoption (vgl. Ps 2,7), nicht in einer mythischen Zeugung (Feldmeier / Spieckermann 2011: 49; 66). Es kennzeichnet funktional die innerzeitliche Bestimmung des Königs als Stellvertreter und Repräsentanten Gottes sowie als irdischen Garanten von göttlicher Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden (Ps 2,7; 89,27; s. u. 4.6.1.). Die Funktionalität der Vater-Sohn-Metapher spiegelt sich auch bei ihrer weisheitlichen Anwendung auf den einzelnen Weisen, der mittels Barmherzigkeit gegenüber den Armen den Titel »Sohn Gottes / des Höchsten« erhält (Sir 4,10). Das früheste Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu liegt in dieser Linie eines funktionalen Verständnisses (Mk 1,11): als Sohn repräsentiert er die göttliche Gerechtigkeit, das himmlische Königtum und die göttliche Weisheit. Ebenso dominiert in der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Jhwh und Israel das Moment der funktionalen Zuordnung (Ex 4,22;

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Dtn 1,31; Hos 11,1; Jes 1,2). Im Zentrum der Charakterisierung Jhwhs als Vater steht der Gedanke der liebevollen Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk und des Anspruchs Jhwhs auf den Gehorsam seines Volkes (Dtn 32,6; Jes 64,7; Jer 31,9). Diese beiden Aspekte zeigen sich auch, neben anderen, bei den vielfältigen Anreden Gottes als Vater Jesu Christi und als Vater der Gläubigen im Neuen Testament (vgl. 2 Thess 2,16; Mt 21,31; Zimmermann 2007: 41–166; 164–165). Die vom Alten Testament repräsentierte Jhwh-Verehrung kennt im Gegensatz zu den Religionen im Alten Orient, aber auch im Gegensatz zum archäologischen und epigraphischen Befund innerhalb der Jhwh-Verehrung (vgl. die Inschriften von »Jhwh und seiner Aschera« aus Kuntillet ʽAğrud, 9. / 8. Jahrhundert v. Chr., und die Erwähnung einer Anat-Jahu in den Elephantine-Papyri, 5. Jahrhundert v. Chr., Nr. 44), weder eine neben Jhwh stehende Muttergottheit noch eine neben Jhwh verehrte Göttin der Fruchtbarkeit, der Liebe oder des Krieges. Dennoch finden sich zur Beschreibung des Verhältnisses von Jhwh zu seinem Volk auch weibliche Bildworte und Metaphern. So erscheint Jhwh gelegentlich im Bild der gebärenden Frau (Jes 42,14), der tröstenden oder liebenden und erziehenden Mutter (Jes 49,15; 66,13; Hos 11,1–4; vgl. auch Num 11,12). Auf das Bild der schützenden Flügel der Geiermutter greifen Ex 19,4 und Dtn 32,11–12 zurück. Im Verbund mit Epitheta der göttlichen Weisheit (hebr. h‫ ׅ‬åkmāh, griech. σοφία / sophia; vgl. Prov 8,22–31; Sir 24; 51,13–30; SapSal 7) begegnen diese relational und funktional, nicht ontologisch zu verstehenden weiblichen Gottesaussagen im Neuen Testament in Anwendung auf Jesus Christus wieder (Mt 11,28–30; Lk 13,34; Joh 16,20–33).

3.5. »Ich-bin-Worte« Eine prägnante Zusammenfassung des alttestamentlichen Gottesverständnisses bietet die im Alten Testament über zweihundert Mal belegte Selbstvorstellungsformel ʼanî jhwh / ἐγὼ κύριος / egō kyrios / Ich bin Jhwh / der Herr (vgl. Ex 6,2). So konvergieren in dieser Formel, die in ihrer grammatischen Struktur auch in den Religionen des Alten Orients und der klassischen Antike die Offenbarungsrede oder Epiphanie einer Gottheit eröffnen kann, auf

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der Ebene der Endgestalt des Alten Testaments die genannten Gottesbezeichnungen und Epitheta. Erweitert um einzelne Aussagen wie »der Gott Abrahams« (Gen 28,13; vgl. Mt 22,32), »der dich herausführt (aus Ägypten)« (Ex 6,6 f.), »dein Erschaffer« (Jes 43,1), »dein Heiland und dein Erlöser« (Jes 49,26) oder »der Erste und der Letzte« (Jes 48,12, vgl. Apk 1,17) konkretisiert sich in diesen »Ich-bin-Worten« das grundlegende personale, auf Beziehung angelegte Gottesverständnis des Alten Testaments. In Jesu »ich bin’s« (Mk 13,6; Mt 14,27; vgl. Jes 41,4) und zumal in den johanneischen Offenbarungsreden (vgl. Joh 6,48; 10,7; 14,6) wird dieses Gotteseverständnis christologisch erweitert. In Jesu ἐγώ εἰμι (egō eimi / ich bin’s) wird das spätdeuteronomistische ʼanî hû᾽ (Dtn 32,39) aufgegriffen und fokussiert: In Jesus Christus zeigt sich namentlich das Wesen Jhwhs schlechthin. Dieses Phänomen hat in der christlichen Rezeptionsgeschichte eine breite Spur hinterlassen, wenn zahlreiche Epitheta Jhwhs auf Jesus Christus übertragen und gemäß der unter Punkt 2 beschriebenen christologischen Auslegung des Alten Testaments rückschauend im alttestamentlichen Heiland / Retter (hebr. môšîaʽ, griech. oft σωτήρ / sōtēr) oder Erlöser (hebr. goʼel, im Griech. mit wechselnden Wörtern übersetzt) Jesus Christus erblickt werden konnte. Georg Friedrich Händels Oratorium »Der Messias« (1741 / 1742) mit der Identifikation von Hiobs Erlöser (goʼel, Hi 19,25) mit Jesus Christus ist hier nur ein Beispiel (Sopran-Arie, Nr. 40, gefolgt vom Chorstück, Nr. 41, über 1 Kor 15,21 f.)

4.  Jesus Christus im Spiegel von Erfahrungen Gottes im Alten Testament 4.1.  Das Alte Testament als theologische Deutung von Erfahrungen Im Folgenden soll exemplarisch das die einzelnen alttestamentlichen Überlieferungsbereiche bestimmende Gottesverständnis in seinem religionsgeschichtlich und literarisch von einer steten relecture geprägten Charakter sowie hinsichtlich einer auf Jesus Christus hin transparenten Fortschreibung nachgezeichnet werden. Diese

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Beschreibung zentraler Gottesaussagen des Alten Testaments zielt auf eine Erhellung des Gottesverständnisses, das vor, hinter und in der neutestamentlichen Rede von Jesus als Christus, Herr und Gott steht. Dabei bilden hier bewusst nicht das Verhältnis von »König und Messias« (vgl. Day 1998), »messianische Figuren« (vgl. Collins / Yarbro Collins 2008) oder die »Geschichte der Messiaserwartungen / -vorstellungen« (vgl. Laato 1997; Oegema 1998; Fabry / Scholtissek 2002) den Ausgangs- und Mittelpunkt, auch wenn die israelitisch-jüdischen Königsvorstellungen, der namensgebende Titel »Messias« und die messianischen Weissagungen natürlich hinsichtlich ihrer literatur- und religionsgeschichtlichen Hintergründe sowie ihrer theologischen Bedeutung besonders zur Sprache kommen werden (s. u. 4.6.1.). Der Ausgangspunkt dieser Darstellung ist die sogenannte Endgestalt der alttestamentlichen Bücher. Dennoch ist immer wieder ein Rückblick auf die Literar- und Traditionsgeschichte nötig, um die Vielfalt der Rede und der Bilder von Gott und seinem Handeln an Welt und Mensch im Alten Testament zu verstehen.

4.2.  Gott als Schöpfer oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Schöpfungstheologien Der biblische Kanon und in seinem Schatten das christliche Credo beginnen mit dem Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer, mithin als der Größe, die der Welt und dem Menschen Sinn gibt und Bestand garantiert. Dabei entspringt der einleitende Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 nicht den ältesten Reflexionen der Jhwh-Religion, sondern geht erst auf priesterliche Kreise im 6. / 5. Jahrhundert v. Chr. zurück. Diese haben unter Rückgriff auf ägyptische und babylonische Vorlagen einen durch das Motiv vom Wort (hebr. dābār, griech. λόγος / logos) Gottes und durch das auf den Sabbat zulaufende Sieben-Tage-Schema strukturierten Prolog eines Gründungsmythos Israels, der auf die Einsetzung des Kultes am Sinai (Ex 25–40*) zielt, geschaffen. Im Zentrum dieses Berichts, der auf Vermittlung von Sicherheit in einer vom Chaos bedrohten Welt und auf ein Lob des Ordnung stiftenden und Leben ermöglichenden Gottes zielt, steht die Kennzeichnung des Menschen als eines Gott in der Welt

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repräsentierenden und diese in Verantwortung gegenüber Gott gestaltenden Wesens. In modifizierter Aufnahme altorientalischer Königsideologie stilisieren die priesterlichen Autoren von Gen 1,26 den Menschen als »Ebenbild Gottes« (imago dei). Dieses Prädikat, das zugleich eine Funktionsbeschreibung des in königlichen Rang erhobenen Menschen darstellt, gilt nach priesterschriftlichem Verständnis, das auch der Verfasser von Ps 8 teilt, jedem Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. Es bleibt gemäß der Konzeption der Priesterschrift auch nach, trotz und in der Verfehlung des Menschen, diese Schöpfungsgabe und -aufgabe zu verwirklichen (Gen 6,13), erhalten (Gen 5,1– 2; 9,4–6). Mit der in der heutigen Komposition der Genesis als Interpretation von Gen 1,1–2,3 fungierenden Erzählung von Adam und Eva und deren Söhnen Kain und Abel (Gen 2,5–4,26), die aus einer ursprünglich selbstständigen, wohl auch erst im 6. / 5. Jahrhundert v. Chr. in weisheitlichem Milieu entstandenen Urgeschichte stammt und die punktuell im Blick auf Gen 1,1–2,3 ergänzt wurde, ist das priesterschriftliche Menschenbild, und damit die Bestimmung der Relation von Gott und Mensch, erheblich problematisiert worden. Die Vorstellung des souveränen Schöpfergottes (Gen 1) ist mit dem Bild des strafenden Richtergottes (Gen 3) kontrastiert. Dem königlichen Menschen (Gen 1) steht der sich vor Gott versteckende, erniedrigte Mensch gegenüber (Gen 3); die mittels des Prokreationssegens betonte Vitalität des Menschen (Gen 1) wird mit dem Ausblick auf die Sterblichkeit und die Hoffnung auf ein ewiges Leben (Gen 3) kontrastiert; dem zur verantwortlichen Gestaltung der Welt aufgerufenen und befähigten Menschen (Gen 1) steht der im und trotz des Wissens um das, was dem Leben dient und was ihm schadet (Gen 3,22), seinen Bruder ermordende und dadurch unmittelbar mit dem Tod konfrontierte Mensch zur Seite (Gen 4). Trotz aller Brüche, die der Mensch in dem als Paradigma für menschliche Existenz konstruierten Geschehen erlebt, bleibt als Kontinuum die Beziehung zu Gott als Spender des Lebens, der als Schöpfer bekannt und im Gebet angerufen werden kann (Gen 4,25–26): Das Gebet bildet eine anthropologische Grundkonstante. Die grundlegenden Elemente des urgeschichtlichen Proömi-

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ums des Alten Testaments, hinter dem die allgemeinen, überzeitlichen Erfahrungen von geordneten und chaotischen Strukturen in der Natur, von der Unverfügbarkeit des Lebens und der Ambivalenz menschlicher Existenz sowie die Hoffnung auf ein mit Sinn erfülltes Leben und auf eine Überwindung der Todesgrenze stehen, verlangen von sich aus eine narrative und sachliche Fortsetzung. Die in der Urgeschichte angelegten und in den auf diese folgenden Überlieferungen des Alten Testaments vertieften Vorstellungen von dem sich in der Geschichte fortlaufend wirksam erweisenden Schöpferwort Gottes, von der mit der Einsetzung des Sabbats (Ex 20,8–11; 31,13–17) ermöglichten, ortsunabhängigen regelmäßigen Wiederkehr intensivster Gemeinschaft mit Gott und von der Spannung zwischen dem zum Bild Gottes geschaffenen und unter seinen kreatürlichen Grenzen leidenden Menschen gipfeln, gesamtbiblisch betrachtet, in ihrer jeweiligen Fokussierung auf Jesus Christus: So kann dieser erstens, religionsgeschichtlich vermittelt über jüdisch-hellenistische Spekulationen zur Rolle der Weisheit (hebr. h‫ ׅ‬åkmāh, griech. σοφία / sophia) und des Logos bei der Schöpfung (Prov 8,22–31; Sir 24; SapSal 7,21–30; 9,9; 1 Henoch 42; Philo, ebr. 31; QG IV,97; conf. 146), als das eine Schöpferwort Gottes (Joh 1; Apk 19,13) bzw. als entscheidender Mittler der Schöpfung (Kol 1) bezeichnet werden, zweitens als Ermöglichung unmittelbarer Gottesnähe und damit als personaler Ersatz für den Sabbat erklärt werden, was zugleich die Freiheit Jesu im Umgang mit einer gesetzlich verengten Sabbatobservanz verständlich macht (Mk 2,23–3,6), und drittens  – und dieser Punkt ist für die Entfaltung der Christologie von besonderer Bedeutung – im Gefolge altorientalischer und jüdischer Vorstellungen über den idealen, weisen Urmenschen (Hi 15,7; Sir 17,7; 4Q504 Frag. 8r 4–7) und jüdischer Reflexionen über das Verhältnis eines ersten (Gen 1,26) zu einem zweiten Adam (Gen 2–3; Philo, opif. 69; LA I,31–42) als neuer Adam (Röm 5,12–21; 1 Kor 15,21–22), wahrer Mensch (ecce homo, Joh 19,5), eigentliches Bild Gottes (Kol 1,15) und Vermittler eines ewigen Lebens (1 Kor 15,23) verstanden werden.

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4.3.  Gott als Begleiter oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Vätergeschichte Ein wesentlicher theologischer Grundzug der sich von Gen 11,27– 50,26 erstreckenden und aus unterschiedlichen Quellen priesterlicher und nichtpriesterlicher Herkunft in der Zeit zwischen dem 8. und dem 4. Jahrhundert v. Chr. komponierten Vätergeschichte (Erzelterngeschichte) ist die Vorstellung von Gott als einem Begleiter (Gen 46,4). Als solcher setzt er sich selbst mittels seines Segens, seiner Verheißungen von Land, Nachkommenschaft und Gemeinschaft sowie der Stiftung eines »Bundes« (hebr. berît, griech. διαθήκη / diathēkē) zum Menschen ins Verhältnis und bewahrt diesen auch in lebensfeindlichen Situationen, sofern er fest auf Gott vertraut. In ihrer redaktionellen Endgestalt bietet die Vätergeschichte eine Kombination aus einer Theologie des Gehorsams gegenüber dem sich selbst verpflichtenden Gott (aus priesterschriftlicher Tradition, Gen 17), aus einer Theologie des Vertrauens auf Gott, auch wenn er sich von seiner dunklen Seite zeigt (aus einer »elohistischen« Tradition, Gen 22), und aus einer Theologie des Segens, den Gott in seiner Freiheit den von ihm paradigmatisch Erwählten zukommen lässt (aus einer »jahwistischen« Tradition, Gen 12,1–3). Dazu kommen narrative Elemente aus redaktionsgeschichtlich sehr spät rezipierten israelitisch-jüdischen Quellen, wie z. B. die merkwürdige Erzählung vom Krieg Abrahams und seiner 318 Knechte gegen die Könige des Orients (Gen 14), deren theologische Botschaft sich auf den Satz komprimieren lässt, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist (2 Kor 12,9) und die in einer eigentümlichen frühchristlichen Allegorese auf die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu gedeutet wurde (Barnabasbrief 9), sowie verschiedene endredaktionelle Neubildungen, die gesamtbiblisch von besonderer theologischer Bedeutung sind, wie Gen 15 oder Gen 18,20–33. Die auch von deuteronomistischer und prophetischer Sprache beeinflusste Erzählung in Gen 15 von der Offenbarung Jhwhs (»Ich bin dein Schild«, Gen 15,1; vgl. Ps 3,4; 33,20), die in der Form eines prophetischen Heilsorakels (vgl. Jes 41,10–16) Abraham einen Sohn und Land verheißt (Gen 15,7 vgl. Gen 17,8; 18,10) und die

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den Glauben Abrahams im Sinne des unbedingten Vertrauens als Kennzeichen der unbedingten Treue zur Gemeinschaft mit Gott bezeichnet (Gen 15,6; vgl. Neh 9,8; Sir 44,20), entfaltet ihre besondere Bedeutung erst im Gesamtkontext des Pentateuchs, der prophetischen Bücher und des Neuen Testaments. Zum einen wird Abraham durch seinen Glauben / sein Vertrauen (hebr. hæʼæmîn, griech. πιστεύω / pisteuō) neben Mose (Num 12,5) und Samuel (1 Sam 2,35; 3,20) gestellt, zum anderen wird Gen 15,6 in Hab 2,4 zu der Vorstellung variiert, dass der Gerechte (hebr. s‫ ׅ‬āddîq, griech. δίκαιος / dikaios) im endzeitlichen Weltgericht durch sein unbedingtes Vertrauen überleben wird. Von Paulus wird Gen 15,6 dahingehend interpretiert, dass Gott selbst dem Menschen Gerechtigkeit (δικαιοσύνη / dikaiosynē), d. h. Gemeinschaft mit sich selbst zuspricht, die im Glauben an seine Heilstat in Jesus Christus ergriffen wird (Röm 1,16–17). Der Ausblick von Gen 15,13–21 auf den Aufenthalt Israels in Ägypten und den späteren Auszug gipfelt in der Kennzeichnung Jhwhs als Richter all derer, die Israel unterdrücken (Gen 15,14), und bildet ein frühgeschichtliches Vorspiel zu Jhwhs universalem Endgericht (vgl. 1 Sam 2,10; Jes 3,13; Ps 7,9; Apg 17,31; Apk 18,4–5). Das auf eine späte gerechtigkeitstheologische Bearbeitung zurückgehende Gespräch zwischen Abraham und Jhwh in Gen 18,20– 33 mit der Frage, ob Gott einen Gerechten und einen Ungerechten gleichermaßen vernichte, und wie viele Gerechte es in einer Stadt geben müsse, um diese vor der strafweisen Vernichtung durch Gott zu retten, knüpft sachlich an die Sintfluterzählung an (Gen 6–9). Der Dialog thematisiert wie diese das Problem der Gerechtigkeit Gottes. Das Motiv, dass schließlich zehn Gerechte reichen könnten, Sodom vor dem Untergang zu retten (Gen 18,32), gehört zu den Wegbereitern der Vorstellung vom stellvertretenden Sühnetod des einen Gerechten, der im göttlichen Gericht sein Leben für viele geben wird (Jes 52,13–53,12; 1 Petr 2,22–25; Janowski / Stuhlmacher 1996). Die Paradigmatik und Anlage auf Fortschreibung des Gesprächs zwischen Abraham und Jhwh zeigen sich auch darin, dass sich Abraham in einem Niedrigkeitsbekenntnis, das seinen Ort in der späten Psalmenfrömmigkeit hat (vgl. Ps 103,14), als Staub und Asche, als Menschen schlechthin bezeichnet (Gen 18,27), und

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dass in Gen 18,24.28 nur von »der Stadt« die Rede ist. Damit ist Gen 18,23–33 ein Spiegel für das 587 v. Chr. von den Babyloniern zerstörte Jerusalem, ein Appell an jede Stadt, sie möge zehn Gerechte in ihrer Mitte haben, und ein Vorspiel des Weinens Jesu über Jerusalem (Lk 19,41). Mittels des literarischen Dialogs in Gen 18,23–33, in dessen Zentrum wie in Gen 15 das Bekenntnis zu Gott als Richter der Welt steht (Gen 18,25; vgl. Ps 96,13; Apg 17,31; Apk 19,11), erscheint Abraham als beispielhafter Fürbitter (vgl. Hi 42,8 sowie pervertiert in Jes 63,16; Joh 8,39) und als Vorbild des Streitens mit Gott, das unbedingtes Vertrauen zur Basis hat (vgl. Gen 15,6). In Hiob, der in der nachbiblischen Überlieferung oft mit Abraham verglichen wird – nicht zuletzt wegen der Parallele zwischen Gen 18,27 und Hi 30,19; 42,6 (Witte 2012a: 39–61) – besitzt diese Theologie ein Pendant, die im Bild des in Gethsemane betenden Jesus eine entscheidende Transformation erlebt (Mk 14,36; Lk 22,39–46; Joh 17). Im Zentrum des Redens von Jhwh in der Geschichte der Erzeltern steht die Erfahrung, dass Jhwh konkret in die Lebensgeschichte einzelner Menschen eingreift. Jhwh handelt am Menschen, indem er segnet und verheißt, sich selbst verpflichtet und begleitet. Jhwh redet zum Menschen, aber er schweigt auch; er offenbart sich, aber verhüllt sich auch; er erscheint an vertrauten Stätten, aber auch an Orten, wo keiner mit ihm rechnet und lässt diese zum Haus Gottes (hebr. bêt-ʼel) werden (Gen 28,19). Gott, so wie ihn die Erzählungen von den Erzeltern bekennen, hat helle und dunkle Seiten: Der Gott, der Abraham erwählt und segnet, ist derselbe, der Abraham testet (»versucht«) und die Opferung des »einzigen und geliebten Sohnes« fordert (vgl. Gen 12,1–3 versus Gen 22,1–2); der Gott, der Abrahams Glauben als Zeichen seines Gottvertrauens wertet, ist derselbe, der nächtlich mit Jakob ringt und diesem Wunden schlägt (vgl. Gen 15,6 versus Gen 32,26); der Gott, der Lea und Rahel Fruchtbarkeit schenkt, ist derselbe, der es zulässt, dass Abraham Hagar, die Mutter seines Sohnes Ismael, recht- und schutzlos verjagt (vgl. Gen 29–30 versus Gen 16 par. 21). Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen theologischen Aspekten, dass Gott Anteil am Leben des Menschen nimmt. Gott ist nach der Vätergeschichte nicht

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beziehungslos, geschichts- und gesichtslos, sondern ein personales Wesen. Dabei durchziehen allem zwei Motive die Theologie der Vätergeschichte: das Motiv des Segens und das Motiv des Weges. So erzählt Gen 11,27–50,26 davon, wie Gott Segen verheißt, wie dieser Segen stets gefährdet ist und wie sich dieser Segen auswirkt – Segensverheißung, Segensgefährdung und Segensauswirkung ereignen sich immer auf einem Weg, den die einzelnen Figuren der Vätergeschichte gehen. Damit präfiguriert die Vätergeschichte im Duktus des Pentateuchs die ursprünglich als eigenständiger Ursprungsmythos komponierte Erzählung vom Auszug aus Ägypten und Einzug ins Heilige Land unter der Führung Jhwhs und sei­ nes Knechtes Mose (Ex–Jos*) (Kratz 2000: 314–327; Gertz 2010: 214–217) sowie im gesamtbiblischen Horizont die narrative Ausgestaltung des Lebens Jesu als Weg-Geschichte. Für letztere spielt die Vorstellung der Partizipation am Segen Abrahams, die sich im Motiv der Abraham-Kindschaft verdichtet (Jes 51,2; 63,16) eine zentrale Rolle, wenn Jesus Christus einerseits in die Genealogie Abrahams eingezeichnet wird (Mt 1,1), andererseits der mit Abraham inaugurierte Ritus der Beschneidung (Gen 17) scharf mit der durch Jesus Christus ermöglichten Freiheit vom Gesetz kontrastiert (Gal 4; vgl. Röm 4) oder die Abraham-Kindschaft problematisiert wird (Mt 3,9; Joh 8,56) (s. o. 2.3.).

4.4.  Gott als einzigartiger Befreier, Leiter und Lehrer Israels oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Exodusund Sinaiüberlieferung Der auf die Bücher Exodus bis Deuteronomium verteilte Erzählkomplex, der erst redaktionell durch die Trennung der Auszugs- / Exodus-Erzählung von der im Buch Josua überlieferten Einzugs- / Eisodus-Erzählung sowie durch die stufenweise Integration (spät-)priesterlichen Materials (Lev; Num) und des Deuteronomiums entstanden ist (Kratz 2000: 324–330; Gertz 2010: 216), besitzt drei Schwerpunkte mit einem jeweils spezifischen Gottesbild. So steht die eigentliche Exoduserzählung (Ex 1–15) unter dem theologischen Leitgedanken der Befreiung bzw. der Herausführung Israels

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durch Jhwh. In der Wüstenerzählung (Ex 16–18; Num 10,11–36,13) dominiert das theologische Motiv der Begleitung bzw. der Führung Israels durch Jhwh trotz des Widerspruchs Israels gegen seinen Gott. Eingebettet in die Erzählung von der Wüstenwanderung ist der Bericht vom Aufenthalt Israels am Sinai und der Gabe der dort erlassenen gesetzlichen und rituellen Gebote (Ex 19,1 – Num 10,10) mit dem theologischen Leitbild von Jhwh, der sich seinem Volk als der allein zu verehrende Gott offenbart und sein Volk als Lehrer in allen grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen und religiösen Lebens unterweist. Die als Abschluss der Mosezeit fungierende und als Testament gestaltete Rede des Mose (Dtn 1–34) wiederholt deutend Ereignisse aus den Überlieferungen vom Exodus, der Wüste und dem Sinai, bietet neue Gesetze und eröffnet einen Blick in die Zukunft Israels. In dieser Rede kulminieren die theologischen Spitzensätze der Exodus-, der Wüsten- und der Sinaidarstellung: Jhwh ist der einzigartige Befreier, Leiter und Lehrer des von ihm erwählten und verpflichteten Volkes Israel. 4.4.1. Nach der Darstellung der Exodus-Eisodus-Erzählung stellt die Herausführung der Israeliten aus Ägypten durch Jhwh das Gründungsdatum der Geschichte Israels dar. Zusammen mit der Offenbarung Jhwhs am Sinai erscheint der Exodus als ein Urbekenntnis Israels zu Jhwhs rettendem Handeln: Theologie ist hier Soteriologie. Dabei sind in der Schilderung des Exodus wie in der Vätergeschichte, neben zahlreichen nicht eindeutig zuzuordnenden literarischen Fortschreibungen, eine mehrschichtige nichtpriesterschriftliche (früher auf einen »Jahwisten« und einen »Elohisten« verteilte), eine priesterschriftliche und eine deuteronomistische Quelle sowie eine endredaktionelle, priesterschriftliche und deuteronomistische Elemente kombinierende Schicht mit jeweils charakteristischen theologischen Zügen greifbar. Die für die Erhebung des Gottesverständnisses in der ExodusEisodus-Erzählung eigentümlichen theologischen Differenzen zeigen sich beispielhaft an den unterschiedlichen literarischen Stilisierungen des Mose. Im Zentrum der priesterschriftlichen Mose-Figurationen steht der Mittler zwischen Gott und Mensch: Mose ist der Repräsentant Jhwhs und Stifter des Kultes, der selbst

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aber auch nicht sündlos ist (Num 20,1–12.22–29). Seine kultische Vermittlung ist nach priesterschriftlicher Vorstellung nötig, weil es keine unmittelbare Beziehung zwischen Gott und Mensch gibt. Die deuteronomistische Schicht betont das Stellvertretersein des Mose. So nimmt der (spät-)deuteronomistische Mose stellvertretend die Schuld seines Volkes, das heißt den beständigen Ungehorsam gegenüber dem Alleinverehrungsanspruch Jhwhs, auf sich (vgl. Ex 32,32; Num 11,11–17) und erhält das Prädikat eines einzigartigen Propheten (Dtn 18,15; 34,10). In den nichtpriesterschriftlichen und nichtdeuteronomistischen Texten kann Mose zum einen als charismatischer Führer (vgl. Ex 3,11; Num 11,24–25) erscheinen: Seine Tätigkeit ist auf die Betonung der Unverfügbarkeit und Transzendenz Gottes zentriert, wobei die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch dadurch nicht aufgehoben ist. Zum anderen kann Mose als Ankündiger, Bote und Deuter (vgl. Ex 7,16–17) sowie Fürbitter (vgl. Ex 8,26) gezeichnet werden. Alle genannten Aspekte der Mose-Figur fließen in der Endgestalt des Pentateuchs zu einem vielstimmigen Bild einer literarischen Biographie zusammen. Die Mose-Miniaturen in den späten Psalmen (Ps 105; 106) und im jüdischen Schrifttum der hellenistischen Zeit (Sir 45,1–5; SapSal 10,15–11,1; Artapanos; Philo, Mos.) steuern weitere Aspekte der Glorifizierung bei. Diese gipfelt – neben der Stilisierung als Schreiber der Tora, so dass sein Name zum Synonym für die Tora selbst werden kann (Mk 12,19; Lk 16,29.31; 24,27) – in seiner Kennzeichnung als »göttlichem Menschen« (θεῖος ἀνήρ / theios anēr) und in der Vorstellung eines in der Endzeit wiederkehrenden Mose (Mose redivivus) (vgl. Joh 1,21; 6,14; 7,40 vor dem Hintergrund von Dtn 18,15.18; Bousset / Gressmann 1926: 233; Jeremias 1942: 860–861; 871–878). Diese Mose-Bilder stehen im Hintergrund der zahlreichen Mose-Typologien und Mose-Antithesen, welche die neutestamentlichen Autoren im Rahmen ihrer Beschreibungen und Deutungen von Person und Leben Jesu entwerfen und die im Motiv von Jesus Christus als dem neuen Mose eine besondere Transformation erfahren (vgl. Mt 5–7; Mk 10,1–12; Apg 3,22; 7,37) (Saito 1977). Zu den verschiedenen Mose-Bildern tritt das für die Theologie der Exodus-Eisodus-Erzählung charakteristische und für das

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Verständnis der im Neuen Testament erzählten Machterweise Jesu wichtige Motiv der Wunder (hebr. ʼôt, niplāʼôt, môpet, »Zeichen«; griech. σημεῖον / sēmeion, θαυμάσιος / thaumasios), die Gott in den ägyptischen Plagen, der Rettung Israels am Schilfmeer und der Bewahrung Israels in der Wüste wirkt. Dabei sind in der priesterschriftlichen Schicht die Plagen eher »Beglaubigungszeichen« bzw. »Legitimationswunder« für die von Mose empfangene und von Aaron dem Pharao eröffnete Forderung Jhwhs. Sie dienen der Demonstration der Macht Jhwhs in Ägypten und lassen den Pharao als dessen Marionette erscheinen, der jenen mittels Verstockung in seinen Geschichtsplan einbindet (vgl. Ex 7,13.22; 8,15; 9,12). Demgegenüber sind in der nichtpriesterschriftlichen Schicht die Plagen stärker göttliche »Erzwingungswunder«, um den Widerstand des Pharao zu brechen und Jhwhs Gerechtigkeit zu beweisen, der den verstockten Pharao (vgl. Ex 7,23; 8,11.28) straft (Schmitt 2001a: 44–58). Ähnlich stilisiert die Priesterschrift in Ex 14,1–4.21.27 die Rettung der aus Ägypten ausziehenden Israeliten am Schilfmeer als Wunder und Herrlichkeitserweis Jhwhs, der sich dabei des Mose bedient, der das Meer spaltet, so dass Israel hindurchziehen kann (Schmitt 2001b: 209–213). Diese priesterschriftliche Darstellung vom geteilten Meer (vgl. Jos 4,21–23; Neh 9,9–11; Ps 74,13–15; 106,7–10.22; Jes 51,10–11; 63,12–13) geht religionsgeschichtlich auf eine Auseinandersetzung mit dem babylonischen Schöpfungsmythos zurück, demzufolge der Gott Marduk den Urmeer-Drachen Tiamat unschädlich gemacht hat, und spiegelt ein für die Theologie des Alten Testaments grundlegendes hermeneutisches Grundmuster der Interpretation einer geschichtlichen Erfahrung mittels des Rekurses auf den Mythos wider. In den neutestamentlichen Reflexionen über Jesus Christus begegnet dieses Muster, wenn das geschichtlich erfahrene Heilshandeln Gottes in Jesus Christus mittels des Motivs von dessen mythischer Macht über das Meer (Mk 4,35–41; 6,45–52) narrativ ausgestaltet und das Wunder als ein sich im Glauben erschließender Hinweis auf Gottes Handeln verstanden wird. In den nichtpriesterschriftlichen Teilen der Schilfmeererzählung dominiert die Betonung des alleinigen Rettungshandelns Jhwhs (vgl. vor allem Ex 14,13–14; 15,21b): Jhwh allein streitet als Krieger für sein Volk (vgl. Ex 15,3; Jes 40,10; 42,13), in-

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dem er einen Ostwind kommen lässt, der die Wasser des Meeres zurücktreibt (vgl. Dtn 11,4; Jos 24,6–7; Ps 66,6; 114,3–5; Nah 1,4), und über die Ägypter einen Gottesschrecken fallen lässt. Theologisches Kennzeichen für die endredaktionelle Exodusschilderung sind die Stichworte »Geschichte« und »Befreiung«. So wird im Exodus Jhwh in einem einmaligen geschichtlichen Geschehen erfahren. Das Bekenntnis zu Jhwhs Sein als Gott erscheint als Bericht von seinem geschichtlichen Handeln. Ganz analog dazu trägt das Bekenntnis zu Gott im Neuen Testament eine narrative Struktur, indem dort die Geschichte Jesu Christi als Geschichte des Handelns Gottes erzählt wird. Die Wüstenerzählungen, die literarisch die Sinai-Perikope rahmen, redaktionell die Themen »Exodus«, »Sinai« und »Eisodus in das Kulturland« ausschmücken und genetisch auf Lokaltraditionen unterschiedlicher Gruppen bzw. auf gezielte literarische Konstruktionen zurückgehen, kreisen um existentielle Bedrohungen Israels in der »Wüste« (Durst, Hunger, Feinde). Wesentliches pragmatisches Ziel ist die Darstellung des Wüstenvolks als Urbild Israels und des fürbittenden Mose als Beispiel des priesterlichen Fürbitters im Falle eines Schuldbekenntnisses. Die Wüste erscheint als Beschreibung der mit dem Untergang Israels 722 / 720 v. Chr. und Judas 587 v. Chr. eingetretenen exilischen Wirklichkeit, als Chiffre für das Exil und für die jüdische Diaspora sowie als Modellfall menschlicher und göttlicher Geschichte. Die Wüste ist so, theologisch betrachtet, ein wesentlicher Ort der Nähe und Ferne Gottes (vgl. Mk 1,12–13). Das zentrale Gottesbild der Wüstenerzählungen ist die Vorstellung von Jhwh als einem rettenden Kriegsgott, bewahrenden Schöpfergott und geleitenden Schutzgott. Unabhängig von der Frage, wie Exodus-Eisodus und Sinaioffenbarung historisch zusammengehören, ergibt sich aus der Kombination beider Überlieferungselemente das theologische Konzept von einem »Heilsindikativ«, der dem »Heilsimperativ« vorausgeht: Durch Jhwh geschenkte Befreiung ist das Vorwort zu der von Jhwh gegebenen Unterweisung. Dem Exodus als Offenbarung Jhwhs als Befreier und Führer folgt am Sinai die Offenbarung Jhwhs als einzigartiger Gesetzgeber und Lehrer.

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4.4.2. Die Hauptmasse der Sinai-Perikope besteht aus den dem Mose am Gottesberg mitgeteilten, göttlich verordneten Geboten (Ex 25–31; 34–40; Lev; Num 1–10 u. v. a.), traditionell zusammengefasst unter dem Begriff »das Gesetz« (griech. νόμος / nomos, lat. lex). Den vielleicht ältesten Kern der Überlieferung – und die zugleich für die neutestamentliche Interpretation des Todes Jesu wichtigste Passage der Sinai-Perikope – bildet Ex 24 mit der Erzählung von einer Theophanie, die auf eine (Mahl‑)Gemeinschaft (Ex 24,1– 2.9–11) zwischen dem sich offenbarenden Gott und den Offenbarungsempfängern zielt. Sekundär wurde die Theophanie mit einem Opfer (Ex 24,4b–5) und einem Blutritus verbunden (Ex 24,6.8a) und die Gottesgemeinschaft mittels des aus dem altorientalischen Vertragsdenken stammenden, und den von Gen 15 und Gen 17 herkommenden Lesern schon bekannten Begriffs »Bund« gedeutet (Ex 24,8; vgl. 1 Kor 11,25; Hebr 9,20): Die Beziehung zwischen Gott und Volk wird dabei durch einen Altar verdeutlicht, der die Gegenwart Jhwhs symbolisiert. Dem von Mose versprengten Blut als dem Träger der Lebenskraft wird eine zwischen Gott und Volk verbindende Kraft zuerkannt. Theologisch prägend für die »Bundes«-Konzeption waren deuteronomistische und priesterschriftliche Kreise. Dabei wurde der »Bund« einerseits als Verpflichtung Israels als Folge der Verheißung Gottes interpretiert (vgl. Dtn 28,69), andererseits als feierliche Zusage Gottes selbst verstanden (vgl. Gen 17,2). Tertiär wurden in mehreren Schüben in die Sinai-Perikope umfangreiche Rechtssätze als Kehrseite des »Bundes« in die Darstellung integriert, deren Beachtung nach deuteronomistischem und postdeuteronomistischem Verständnis Leben schlechthin schenkt (Dtn 30,15–20). Wo das Schicksal des unter dem Exil leidenden Israel als Folge eines Bruchs des »Bundes« verstanden und die Frage nach den Gründen eines solchen Bruchs radikal auf die Konstitution des Menschen als eines fragmentarischen und zum Bösen (»Lebenszerstörenden«) neigenden, mithin sündhaften Wesens zurückgeführt wird, wie in späten Texten des Jeremiabuchs (Jer 13,22; 17,9; vgl. Gen 6,5; 8,21; Hi 25,4–6; 1QHa XII,29–31), taucht fast zwangsläufig die Hoffnung auf einen neuen von Gott gestifteten »Bund« und eine radikale Wandlung des Menschen durch Gott selbst auf (Jer 31,31–34; Ps 51,7–10;

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vgl. Hebr 8,8–10; Lk 22,20; 1 Kor 11,25; 2 Kor 3,6) (Schmitt 2011: 200–204). In der Endgestalt von Ex 19 – Num 10 kommen vor allem zwei theologische Konzeptionen zur Sprache: erstens die deuteronomistische Theologie vom Gehorsam Israels gegen das erste Gebot, und zweitens die priesterliche Theologie vom sühneschaffenden Kult (s. u. 4.5.). Beide Theologien sind durch die Vorstellung verbunden, dass Jhwh der einzige Gott und als solcher bildlos zu verehren ist (Ex 20,4; vgl. Dtn 5,8). Alleinverehrungsanspruch und Bilderverbot sind aber zugleich die Grundmerkmale des alttestamentlichen Monotheismus, der von Jesus selbst wie von allen neutestamentlichen Autoren geteilt wurde (vgl. Mt 6,24; Röm 3,29 f.; 1 Kor 15,28). Dieser hat durch die bereits im Neuen Testament angelegte Bezeichnung von Jesus Christus als Gott (Joh 20,28) sowie die sich daran anschließende Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch in der Gestalt Jesu Christi im trinitarischen Dogma eine entscheidende Modifikation erhalten. Der alttestamentliche Monotheismus ist das Produkt einer langen religionsgeschichtlichen Entwicklung und trägt viele Facetten. Die historischen Anfänge könnten noch in der vorstaatlichen Zeit mit der Vorstellung der alleinigen Verehrung Jhwhs als Gott Israels, die aber die Existenz anderer Götter (noch) nicht ausschließt (Monolatrie / Alleinverehrung; Ex 22,19) und dem Verständnis Jhwhs als Garanten des Rechts liegen (vgl. Ex 22,20–26). Eine entscheidende Rolle spielt dann die Konzentration des israelitischen und judäischen Staatskultes auf den Gott Jhwh seit dem 9. / 8. Jahrhundert v. Chr., begleitet von einer (neuassyrisch beeinflussten) Übertragung solarer Vorstellungen auf Jhwh (»Solarisierung Jhwhs«) und besonders in Juda verstärkt durch deuteronomische Theologen im 7. / 6. Jahrhundert v. Chr. (Janowski 1999: 192–219). Wesentliche Impulse verdankt der Jhwh-Monotheismus erst dem Zusammenbruch des Königreichs Juda und damit des Staatskultes im 6. Jahrhundert v. Chr. Im Schatten des babylonischen Exils (587–520 / 515 v. Chr.) und der jüdischen Diaspora entsteht die Vorstellung einer nicht mehr an den Tempel in Jerusalem gebundenen ortsunabhängigen und weltweiten JhwhVerehrung. Als ein wesentlicher Katalysator wirken dabei die unmittelbaren Begegnungen der jüdischen Eliten mit der babylonischen

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Marduk-Religion, die im 7. / 6. Jahrhundert v. Chr. eine Fokussierung auf die alleinige Verehrung Marduks erlebt, und mit dem auf den Gott Ahura-Mazda konzentrierten persischen Zoroastrismus. Aus dem Vergleich Jhwhs mit den Göttern des Alten Orients schließen jüdische Theologen des 6. / 5. Jahrhunderts v. Chr. auf die absolute Unvergleichlichkeit Jhwhs (Jes 40,18). Weltgeschichtliche Vorgänge werden nun als Handlungen des einen Weltengottes Jhwh gedeutet (s. u. 4.6.). Am Ende des babylonischen Exils steht nicht die Restitution des davidischen Königtums (s. u. 4.6.), aber der theologisch reflektierte Gedanke von der Einzigartigkeit des himmlischen Königs Jhwh (Jes 43,10–11; Dtn 4,39): Jhwh als der Schöpfer, als Herr der Geschichte und als Gott Israels kann nur ein einziger Gott sein (Mal 1,11). Diese Idee geht auch mit der Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels, der in persischer und hellenistischer Zeit zum Mittelpunkt der Jhwh-Religion wird, nicht mehr verloren. Das Šemaʻ Jiśrāʼel (Dtn 6,4–5), das ursprünglich gegenüber einer Verehrung Jhwhs in unterschiedlichen Manifestationen und an unterschiedlichen Orten (Polyjahwismus, vgl. Ex 20,24; 2 Sam 15,7; und die Inschriften von Kuntillet ʽAğrud) nur die Einheit Jhwhs betonte, kann nun im Sinne der Einzigkeit Jhwhs verstanden werden, der dementsprechend den Titel »der Eine« (hebr. ʼæh‫ ׅ‬ad, griech. εἷς / eis) trägt (Hi 31,15; Sach 14,9). Mit dem Titel »der Eine« tritt Jhwh schließlich in Konkurrenz zu den hellenistischen Ein- und Allgottheiten, sei es Zeus, Sarapis oder Isis, die ebenso als »ein Gott« angerufen werden können (Markschies 2002: 209–234). Am literarhistorischen und am sachlichen Ende steht nach dem alttestamentlichen Zeugnis die Erwartung, dass einst alle Welt den einen und einzigen Gott Jhwh erkennen und verehren wird (Jes 2,2–3; Sach 14,16). Charakteristisch für den durchaus pluralen Jhwh-Monotheismus in der Zeit des Zweiten Tempels (520 / 515 v. Chr. – 70 n. Chr.) ist eine Integration angelologischer Elemente und die Entfaltung einer Angelologie und Dämonologie. So kann Jhwh in persischer und hellenistischer Zeit mit himmlischen Wesen umgeben werden, wodurch seine Majestät unterstrichen, seine Transzendenz hervorgehoben und – gegenüber einer wachsenden Zahl von bösen Engeln und Dämonen (vgl. 1 Henoch 6–9) – seine Güte betont werden sollen (vgl. Tob 3,16; 12,15). Der Monotheismus bleibt gewahrt, erhält

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aber leicht dualistische Züge (vgl. tendenziell Hi 1,6–12; Jubiläen zu Gen 22). In diesem Milieu eines vielfältigen Glaubens an den einen und einzigen Gott, der als solcher auch der allein Gute ist (hebr. t‫ ׅ‬ôb, griech. ὀ ἀγαθός / ho agathos, vgl. Nah 1,7; Ps 119,68; 145,9; Klgl 3,25; Sir 45,25 [H]; Mk 10,18; Lk 18,19) und der gleichwohl von einer Schar himmlischer Mittlerwesen und Figuren unterschiedlicher Klassen umgeben wird (vgl. Hi 33,23, Tob 3,16; 12,12.15; 4Q400–407), tritt Jesus selbst auf (vgl. Mk 1,13; Mt 13,41; Joh 5,4) und entsprechend wird seine Person von den neutestamentlichen Autoren interpretiert (Collins / Yarbro Collins 2008). Auch wenn die Anfänge des Jhwh-Monotheismus historisch ungewiss sind und der Jhwh-Monotheismus letztlich analogielos ist, so gilt dem Alten Testament als Ursprung der Alleinverehrung Jhwhs das Wesen dieses Gottes selbst: Jhwh ist der ʼel qannāʼ, ein um sein Ziel eifernder Gott (Ex 20,5–6; 34,14; Num 25,11–13; Dtn 4,24; 5,9; 6,15). Dabei bezieht sich Jhwhs Eifer auf die Absolutheit seiner Beziehung zu seinen Verehrern und Verehrerinnen und auf die Unbedingtheit seiner Anerkennung. Im Eifer Jhwhs drücken sich seine Liebe und Heiligkeit aus. Insofern Liebe und Heiligkeit aber durch Ausschließlichkeit, Einzigartigkeit und Personalität charakterisiert werden, ist in Jhwh selbst der Monotheismus angelegt. Im Licht der Eiferheiligkeit Jhwhs ist die vor allem von (spät-)deuteronomistischen Theologen vorgenommene Stilisierung einzelner prophetischer Gestalten, zumal Elias (1 Kön 18; 2 Kön 1,2–17) und Jeremias (Jer 11–20*), zu sehen, die sich bedingungslos für die Verehrung Jhwhs eingesetzt haben und die als solche das Vorbild für die Darstellung Jesu als um die Heiligkeit Jhwhs eiferndem Propheten lieferten (Mk 11,15–19 par.; Lk 13,34) (s. u. 4.6.2.). Flankiert wird die Betonung der Einzigartigkeit Jhwhs durch die ambivalente Beurteilung älterer, auch in der Jhwh-Verehrung geübter Praktiken und zeitgenössischer nichtjahwistischer Kulte. Das Bilderverbot zeigt sich hier als ein Korrelat des Alleinverehrungsgebots (Jes 40,18–20; 44,9–11; 46,5–8) und ist Ausdruck der religiösen Abgrenzung und Identitätsbildung des Judentums der persischen und hellenistischen Zeit. Je weiter im antiken Judentum die Tora ins Zentrum des Glaubens tritt, desto stärker fällt die

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Kritik an Kultbildern aus. Dabei nimmt die Tora als die nun autoritative Vergegenwärtigung Gottes selbst die Rolle eines Kultbildes an (1 Makk 3,48). Begleitet wird diese Form des schriftbezogenen Kultes durch beißenden Spott an den Götterbildern der das Judentum umgebenden Religionen (Bar 6; SapSal 13–15; DanBel), was in hellenistisch-römischer Zeit einerseits Befremden bei den zeitgenössischen Kulten auslöst, andererseits auf gewisse Sympathie in paganen philosophischen Kreisen stößt (Hengel 1988: 475; 540; 555). Als eine Verschärfung des alttestamentlichen Bilderverbots lässt sich die neutestamentliche Titulierung Jesu Christi als wahres Bild Gottes lesen, in der die Motive von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (s. o. 4.2.) und der Weisheit als Abglanz der Herrlichkeit Gottes (SapSal 7,24–26; vgl. Hebr 1,3) zusammenfließen: Ist nach Gen 1,26 allein der Mensch ein legitimes Gottesbild, so ist nach Kol 1,15–16 allein Jesus Christus das wahre Gottesbild.

4.5.  Gott als der Heilige oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Heiligkeitsvorstellungen Die Mehrzahl der in die Komposition der Sinai-Perikope sukzessiv eingefügten Gesetze betrifft Fragen des Kultes (Ex 25–31; 34–40; Lev; Num 1–10 u. v. a.), thematisiert damit die Trennung zwischen heilig (sakral) und unheilig (profan), rein und unrein und berührt so die Vorstellung von Gott als dem schlechthin Heiligen. Insofern sich der Mensch aufgrund seiner Geschöpflichkeit und Sündhaftigkeit von dem heiligen Gott getrennt erfährt (Jes 6,5), ist der Kult Medium und Ort, in dem er die segensreiche Anwesenheit Gottes erfahren und Kontakt mit Gott aufnehmen kann. Unabhängig von der Frage, ob es sich im Einzelfall der im Kontext der Erzählung vom Aufenthalt Israels am Sinai als sichtbare Artikulationen der Verehrung Jhwhs des Heiligen durch sein heiliges Volk Israel (Ex 19,6; Dtn 7,6) eingeführten Kultgesetze und Riten um tatsächlich ausgeführte oder virtuell erlebte handelt, beinhalten die alttestamentlichen Kultvorschriften ein umfangreiches Tableau von Motiven und Traditionen, die im Neuen Testament im Blick auf Jesus Christus rezipiert werden. In erster Linie betrifft dies Vorstel-

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lungen vom Tempel, vom Priester, vom Opfer und von der Sühne, in zweiter Linie auch die Feste und die unterschiedlichen Formen des Gebets des Alten Testaments, vor allem im Psalter, insofern dieser im Judentum zur Zeit Jesu das wesentliche Gebet- und Meditationsbuch darstellte, Jesus selbst Psalmen betete und der Psalter das im Neuen Testament (nicht nur im Rahmen der Christologie) am häufigsten zitierte alttestamentliche Buch darstellt. Für die israelitisch-jüdischen Vorstellungen vom Tempel ist grundsätzlich entscheidend, dass dieser als Platz der Verehrung Jhwhs und als irdische Wohnstätte (hebr. bayit / Haus bzw. hêkal / Palast) gilt. Im Tempel sind die heilvolle Nähe und der Segen Gottes erfahrbar, was metaphorisch als Leuchten des Angesichts Gottes (Num 6,24–26; Ps 95,6; 119,135; vgl. 2 Kor 4,6) oder als Sein im Licht Gottes (Ps 27,1; 36,10; vgl. Joh 8,12) ausgedrückt werden kann. Dabei entwickeln sich im Verlauf der israelitisch-jüdischen Literatur- und Religionsgeschichte vor allem vier tempeltheologische Konzeptionen, welche die Spannung zwischen der Vorstellung von Gottes Wohnen im Himmel und im Tempel auf der Erde zu lösen versuchen. Erstens kann der Tempel als der Ort verstanden werden, an dem sich dank Gottes unsichtbarer Gegenwart Himmel und Erde berühren (Jes 6,1) – der Tempel ist demgemäß der Fußschemel Jhwhs (Ez 43,7; Klgl 2,1; Ps 99,5). Zweitens kann der Wohnort Jhwhs nur im Himmel gesehen werden, während der Tempel das Himmelstor darstellt (Gen 28,10–22). Drittens kann, so vor allem von der Priesterschrift, die Anwesenheit Jhwhs als mittels seiner Herrlichkeit (hebr. kābôd, griech. δόξα / doxa) im Tempel präsent gedacht werden, wobei die Herrlichkeit als übersinnliche Lichtgestalt verstanden wird (Ex 40,34–35). Viertens findet sich die vor allem von deuteronomistischen Theologen entfaltete Vorstellung, dass Jhwh selbst im Himmel wohnt, aber sein Name (hebr. šem, griech. ὄνομα / onoma) als Ausstrahlung seiner Person im Tempel gegenwärtig ist (Dtn 12,5). Noch während des Bestehens des Zweiten Tempels und neben dem dort geübten Kult vollzieht sich in hellenistischer Zeit – befördert durch die Diasporasituation, die Konkurrenzsituation verschiedener Jhwh-Heiligtümer in Jerusalem und Samaria, auf der Nilinsel Elephantine und ab etwa 170 v. Chr. im ägyptischen

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Leontopolis (Tell el Yahudiya) sowie durch einen auch in der paganen Geistes- und Religionsgeschichte nachweisbaren Individualisierungsschub  – eine vielfache Übertragung tempeltheologischer Konzeptionen: erstens auf die persönliche Frömmigkeit, was sich in den sogenannten »nachkultischen Psalmen« (vgl. Ps 73; Stolz 1983) niederschlägt, zweitens auf die Tora, die als eigentliches Heiligtum angesehen wird, so dass die Lektüre in ihr den am Tempel vollzogenen Kult ersetzen kann (vgl. Ps 1; 19; 119; 1QHa XIV,10–18; XVI; 4Q400–407), und drittens auf eine sich selbst als wahre Jhwh-Gemeinde verstehende Gruppe, die sich dann als Tempel bezeichnen kann (vgl. 1 Kor 3,16–17; 6,19; 2 Kor 6,16; 1QS VIII,5; IX,6; 1QSb III,25–26; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,6). Letzteres findet seine radikale Zuspitzung in der Vorstellung, dass Jesus Christus selbst der neue Tempel ist (vgl. Mk 14,58). Zu deren Entfaltung haben literarisch auch eschatologische Motive eines neuen Heiligtums (Ez 40–48; Apk 21) und historisch die Erfahrung der (endgültigen) Zerstörung des Jerusalemer Jhwh-Tempels 70 n. Chr. beigetragen (Ego / Lange / Pilhofer 1999; Horn 2013). Für die Ausübung des Kultes ist das Kultpersonal, die Priesterschaft, verantwortlich. In der israelitisch-judäischen Königszeit und in der Exilszeit bildete sich eine feste Jhwh-Priesterhierarchie mit abnehmender Heiligkeit heraus. Dabei war bis zur exilischnachexilischen Zeit die wesentliche Aufgabe der Priester weniger der Vollzug des Opfers als vielmehr die Erteilung von Orakeln und die Weisung (tôrāh), wie Heiliges zu behandeln und Unreines zu vermeiden sei. Das noch aus der späten Königszeit stammende deuteronomische Programm der Kultreinheit und der Kulteinheit (Dtn 12) wurde in der persischen und hellenistischen Zeit in der Priesterschrift und dem »Verfassungsentwurf« des Ezechiel (Ez 40– 48) detailliert entfaltet: Danach gehört zum reinen Jhwh-Kult eine streng gegliederte Priesterschaft mit dem Hohepriester, der sein Ur- und Idealbild in Aaron hat, an der Spitze (vgl. Lev 8,1–13; 21; Sir 45,6–22; 50,1–21); dem Hohepriester zugeordnet sind Priester, die sich genealogisch von Aaron ableiten können und die wie dieser besonders strengen Reinheitsvorschriften unterliegen und keinen Landbesitz haben dürfen. Spätestens in der Zeit des Zweiten Tempels gehört zu den we-

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sentlichen Aufgaben der Priester der Vollzug der Opfer. Das Alte Testament kennt keinen einheitlichen Opferbegriff, wohl aber verschiedene Opferarten. Aus diesen spricht jeweils ein bestimmtes Opferverständnis, sei es, dass das Opfer als Gabe an die Gottheit betrachtet wird, wobei sich hier nach dem Anlass des Opfers zwischen einem Bittopfer und einem Dankopfer differenzieren lässt, sei es, dass das Opfer als Mahl mit der Gottheit (communio / Gemeinschaft) oder als Sühne (Versöhnungsopfer) verstanden wird. Die Intention eines jeden Opfers besteht darin, die Beziehung zwischen dem Opfernden und der Gottheit, der etwas geopfert wird, zu beeinflussen. Als sanktionierte Opfermaterie erscheinen im Alten Testament pflanzliche und tierische Produkte sowie Tiere  – nie Menschen, wenngleich das Erstgeburtsopfer als Ersatz für den Erstgeborenen einer Familie erscheint und religionsgeschichtlich in der Jhwh-Verehrung wie in der Umwelt des alten Israel Menschenopfer in absoluten Krisensituationen belegt sind (vgl. 2 Kön 3,27). Dementsprechend stellt die im Vierten Gottesknechtslied (Jes 52,13–53,12) angelegte und im Neuen Testament zur Deutung des Kreuzestodes Jesu aufgenommene Vorstellung vom Tod des Gerechten, der »sein Leben für viele gibt«, einerseits einen Archaismus dar, andererseits eine Radikalisierung der Vorstellung von der absoluten Heiligkeit Gottes, dessen Wille zur Gemeinschaft durch die Sünde des Menschen so stark tangiert ist, dass es des Opfers eines sündlosen Repräsentanten des Menschen bedarf (Hebr 7,26; 9,14; 1 Petr 2,21–24). Die neutestamentlichen Beschreibungen Jesu als des einen sündlosen wahren Menschen (vgl. Psalmen Salomos 17,36) basieren auf diesem Denkmodell. Komplementär kommt der Sühnegedanke hinzu, der in der Zeit des Zweiten Tempels zunehmend nicht nur die Vorstellung der Opfer, sondern auch der Feste (vgl. Sir 50,5–21), des Fastens (vgl. Psalmen Salomos 3,8) und Almosengebens (vgl. Prov 16,6; Sir 3,30; Tob 12,9) prägt. Entscheidend für das alttestamentliche Sühneverständnis ist, dass Gott selbst die Schuld des Menschen aufhebt und die Sühne des Menschen ermöglicht. Sühne ist also primär ein Heilshandeln Gottes. Realsymbolisch wird dies in einem Handaufstemmungsritus vergegenwärtigt, der unter anderem beim großen Versöhnungstag (jôm ha-kippûrîm) ausgeführt wird, in dessen Verlauf das Heiligtum,

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die Priester und die Kultgemeinde von der Sünde eines vergangenen Jahres befreit werden, indem Aaron bzw. der Hohepriester die Sünde auf einen Bock überträgt, der dann stellvertretend in die Wüste geschickt wird (Lev 16,8.10.20–22: »Sündenbock«). Wenn der Hebräerbrief Jesus Christus als den wahren Hohepriester, der im Kult des Zweiten Tempels nur am großen Versöhnungstag das Allerheiligste betritt, bezeichnet (Hebr 2,17; 6,20) und wenn Paulus Jesus Christus als von Gott eingesetzte »Sühne« darstellt (Röm 3,25), dann ist jeweils die alttestamentliche Vorstellung vom Sühne schenkenden (versöhnenden) Gott fortgeschrieben (Dtn 21,8; 2 Chr 30,18f.;1 QHaXII, 37; 1 Joh 2,2). Mit dem Versöhnungstag, der in der Zeit des Zweiten Tempels im Zentrum des herbstlichen Laubhüttenfestes (Sukkot), eines ursprünglich anlässlich der Weinlese begangenen Festes, steht, ist ein alttestamentliches Fest angeklungen, das in seiner Sprach- und Bildwelt zur Interpretation von Leben und Werk Jesu Christi von überragender Bedeutung ist. Ähnliches gilt für das im Frühjahr begangene Passah-(Mazzot-)Fest, das ursprünglich ebenfalls eine Orientierung an der Natur hat, einerseits in Gestalt eines zu Beginn der Gerstenernte gefeierten Festes (vgl. Lev 23,6–10; Dtn 16,1), andererseits als ein von Hirten am Vollmond mit einem dämonenabwehrenden Blutritus gefeiertes Vollmondfest, und sekundär mit dem geschichtlichen Handeln Jhwhs im Exodus verbunden wurde (vgl. Ex 12). So dient das Passah-Mazzot-Fest nach seiner deuteronomistischen und priesterschriftlichen Deutung der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten. In jedem Passah-Mazzot verwirklicht sich die Erfahrung der Freiheit, die sich zugleich zur Hoffnung auf eine endzeitliche Befreiung entwickeln kann, die im Bild eines neuen Exodus entfaltet wird (vgl. Jes 43,16–18). Wenn im Neuen Testament das letzte Mahl Jesu als Passah-Mahl erscheint (vgl. Mk 14,12–26; Mt 26,17–30; Lk 22,7–23) oder Paulus Jesus Christus als Passah-Lamm bezeichnet (1 Kor 5,7), dann wird die Passion Jesu zum neuen Exodus: Wie einst Israel aus Ägypten geführt wurde, so führt Jesus Christus aus der Knechtschaft der Sünde; wie Gott Israel einst aus der Sklaverei befreite, so befreite Gott Jesus Christus aus dem Tod. Damit ist die alttestamentliche Exodus-Typologie (s. o. 2.2.), die im Auszug aus Ägypten ein Vorbild

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künftiger Erlösung Israels erblickt (vgl. Hos 2,17; 12,10; Mi 7,15; Jes 43,6), christologisch transformiert (vgl. Apk 15,3).

4.6.  Gott als Lenker der Geschichte oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Geschichtstheologien In den Ausführungen zu Gott als Schöpfer, als segnendem, verheißendem und bewahrendem Begleiter Abrahams, Isaaks, Jakobs und Josefs sowie als Befreier, Führer und Lehrer seines erwählten Volkes Israel ist bereits das theologische Motiv angeklungen, dass Gott der Herr der Geschichte und als ʼel ʽôlām der Herr von Zeit und Raum ist (Gen 21,33; Jes 40,28; vgl. Sir 36,22 [HB]). In den auf die Tora folgenden Büchern der Geschichte und der Prophetie liegt diese Denkfigur breit entfaltet und mit vielerlei Facetten vor. Sie, die alttestamentliche Geschichtstheologie, bildet den eigentlichen Wurzelgrund der alttestamentlichen Messiasvorstellungen. Im Hintergrund der historiographischen Entwürfe des Alten Testaments, sei es der umfassenden narrativen Kompositionen im Bereich der deuteronomistisch redigierten Königsgeschichte in den Büchern 1 Samuel bis 2 Könige (mit dem literarischen späten Vorbau der auch deuteronomistisch geprägten Bücher Josua und Richter), sei es der großen, überwiegend poetisch gestalteten Prophetenbücher (Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das ursprünglich auf einer Rolle geschriebene Zwölfprophetenbuch), stehen die tief in das kulturelle Gedächtnis Israels eingebrannten historischen Krisenerfahrungen des Zusammenbruchs des Königreichs Israel 722 / 720 v. Chr. im Schatten der Westexpansion des assyrischen Weltreichs sowie die Eroberung und Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. durch die Neubabylonier. In beiden Fällen bewirkte die Auflösung der politischen und kultischen Ordnungen des Staates, dessen offizieller Kult dem Staatsgott Jhwh galt, bei den geistigen Eliten Israels und Judas einerseits eine grundlegende Reflexion der Macht Jhwhs, die in der Vorstellung der universalen Geschichtsmächtigkeit Jhwhs, der die Mächte der Erde zur Erziehung seines Volkes Israels benutzt, mündete, andererseits eine Darstellung der Geschichte Israels als eines linearen, von Jhwh nach den Prinzipien von Schuld und Strafe gestalteten Geschehensverlaufs. Dieser Verlauf ist sowohl in

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der Endgestalt der Geschichtsbücher als auch der Prophetenbücher eschatologisch, mitunter verhalten messianisch geprägt (vgl. Beck 2006; Schmitt 2001c; 2010; Collins / Yarbro Collins 2008: 25–47); in den Prophetenbüchern trägt er auch apokalyptische Züge, wenn mit einer radikalen Veränderung der Welt nicht mehr in der Zeit, sondern jenseits dieser gerechnet wird (vgl. Jes 24–27; Dan 7–12; 1 Henoch). Die israelitisch-jüdischen Geschichtstheologien im Alten Testament und die sich aus diesen (wie aus bestimmten weisheitlichen Traditionen) entwickelnde Apokalyptik, wie sie sich in nicht kanonisch gewordenen frühjüdischen Apokalypsen niedergeschlagen hat (Collins 1998), bilden einen wesentlichen Vorstellungshintergrund für die neutestamentliche Interpretation Jesu Christi als Teil und Ziel des göttlichen Handelns in der Geschichte bzw. in Zeit und Ewigkeit. Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des Königtums (1 Sam – 2 Kön), wie ihn vor allem deuteronomistische Redaktoren im 7. / 6. Jahrhundert v. Chr. unter Verarbeitung älterer Erzählzyklen und Hofgeschichten geschaffen haben, und in den prophetischen Büchern kommt einzelnen Figuren als paradigmatischen Werkzeugen Jhwhs zur Durchsetzung und Deutung seines Geschichtsplans eine besondere Relevanz zu. Auf diesen soll hier, alternativ zu einem Ansatz, der an der historiographischen und eschatologischen Erzählstruktur der Geschichts- und der Prophetenbücher orientiert ist, der Schwerpunkt liegen. 4.6.1. An erster Stelle sind die Könige zu nennen, die im königszeitlichen Israel wie auch sonst im Alten Orient, als von Gott selbst eingesetzte Herrscher, irdische Repräsentanten der göttlichen Ordnung, höchste Priester und Garanten von Gerechtigkeit und Wohlergehen des Staats betrachtet wurden (Ps 72; Klgl 4,20; Witte 2012b: 46–52). Wie in Mesopotamien und Ägypten konnte in Israel / Juda der König als »Sohn Gottes« bezeichnet werden (Ps 2; 110), wenn auch nicht in einem biologischen, sondern in einem adoptianischen Sinn (s. o. 3.4.), und mit göttlichen Attributen versehen werden (Ps 45; vgl. Collins / Yarbro Collins 2008: 1–24). Eine israelitische und judäische Besonderheit ist der wohl unter hethitischem oder westsemitisch-kanaanäischem Einfluss ent-

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standene Inaugurationsritus der Königssalbung, mittels dessen dem König symbolisch Macht, Kraft und Ehre übereignet wurde (vgl. 1 Sam 10,1; 16,1–13; 2 Sam 2,4; 1 Kön 1,34; 2 Kön 11,12; Ps 89,21). Aus diesem Ritus resultiert die Bezeichnung des Königs als des Messias / Christus / Gesalbten (1 Sam 24,7; Ps 20,7; Klgl 4,20; s. o. 3.1.). Mit der Salbung des Königs zum Messias Jhwhs wird funktional dessen besondere Zugehörigkeit zu Gott ausgedrückt, was sich im Motiv der Verleihung des göttlichen Geistes an den Gesalbten widerspiegelt (1 Sam 16,13; Feldmeier / Spieckermann 2011: 214–221). Die Funktionalität des Messias-Titels zeigt sich auch in der singulären Kennzeichnung eines nichtisraelitischen Herrschers, des Perserkönigs Kyros (II., etwa 590 / 580–530 v. Chr.), in Jes 45,1 – bezeichnenderweise in einem Text, der erst aus der Zeit nach dem Untergang des Königtums in Juda stammt (Schmid 2002: 186; 195). Neben der Salbung der Könige kennt das Alte Testament vereinzelt auch die Salbung von Propheten (1 Kön 19,16 Elisa als Nachfolger [Elias]; Jes 61,1, vgl. CD-A II,12; VI,1), wobei es sich hier nicht um einen historisch verifizierbaren Akt, sondern um eine theologische Qualifikation handelt, und – durchgehend in Texten aus nachmonarchischer Zeit – von Priestern, zumal des Hohepriesters (Ex 28,41; 29,1–3 bzw. Lev 4,3; 6,15; Num 35,25; Dan 9,25 f.), der in der Zeit des Zweiten Tempels immer mehr die Rolle des früheren judäischen Königs übernimmt. Einmalig erscheinen in einem ebenfalls aus nachköniglicher Zeit stammenden Geschichtspsalm (Ps 105,9–15 par. 1 Chr 16,16–22) die Erzväter als Gesalbte, was wie ihre Titulierung als Propheten (vgl. Gen 20,7) die besondere Zuordnung zu Jhwh ausdrücken soll und motivgeschichtlich eine späte Ausstaffierung mit einem religiösen Ehrentitel darstellt. In der israelitisch-judäischen Königsideologie und ihrer Rede vom jüdischen König als dem (jeweils gegenwärtigen) Messias Jhwhs liegt die entscheidende Wurzel für die sogenannten Messiaserwartungen im Alten Testament und vor allem in der frühjüdischen Literatur. Diese richten sich an einen zukünftigen und endgültigen idealen König, einen »Sohn Davids«, der die voll realisierte Herrschaft Jhwhs auf Erden bringen wird. Für die Herausbildung der Erwartung solch eines (königlichen) Messias im engeren oder eigentlichen Sinn sind religionsgeschicht-

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lich drei Faktoren verantwortlich: erstens die Grundstruktur der altorientalischen Königsideologie, die immer ein Moment des Zukünftigen, noch nicht Realisierten und Utopischen enthält (»präsentischer Messianismus«, Waschke 2001: 167), zweitens die reale Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit innerhalb des existierenden Königtums des 9. / 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. und drittens die sukzessive Verklärung des Königtums Davids (ca. 1000–960 v. Chr.). Dieses mutiert, je größer der zeitliche Abstand wird, zu einer »goldenen Zeit«. Im Schatten der sogenannten Nathanweissagung (2 Sam  7 par. 1 Chr 17), in der David eine »ewige Dynastie« zugesagt wird, des (nachmonarchischen?) Motivs des Davidbundes (2 Sam 23,5; Ps 89,4–5; 132,11–12), der Silisierung Davids zum exemplarischen von Gott Erwählten (Ps 78,20) und des endgültigen Zusammenbruchs des davidischen Königtums 587 v. Chr. entsteht zunächst die Hoffnung auf eine zeitnahe Restauration (vgl. Hag 2,23; Sach 4,6 f. im Blick auf Serubbabel), dann die Vorstellung eines künftigen idealen Davididen bzw. eines David redivivus / wiedererstandenen Davids. Wesentliche alttestamentliche Bezugspunkte dieser Vorstellungen sind prophetische Königsorakel bzw. Herrscherverheißungen (»messianische Weissagungen«). Ihr ursprünglicher Ort war die Inthronisation eines Königs. Erst im Kontext der Kritik am realen König, wie sie sich vor allem in den Prophetenbüchern findet, wurde sie auf einen in der Zukunft auftretenden Heilskönig aus der Dynastie Davids bezogen (Jes 7,10–17; 9,1–6; 11,1–8; 16,4b–5; 32,1–8; Jer 23,5–6; 30,8–9; 33,15–16; Ez 17,22–24; 34,23; 37,24; Hos 3,5; Mi 5,1–5; Sach 3,8; 4,1–14; 6,9–15; 9,9–10). Anfänge einer solchen Übertragung von Königsaussagen auf eine ideale Gestalt der nahen Zukunft finden sich wohl erstmals am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr., zu ihrer vollen Entfaltung kommen sie aber erst in der königslosen Zeit des Zweiten Tempels, wo sie zur Vorstellung eines idealen Königs in der fernen Zukunft bzw. in der Endzeit weiter entwickelt werden (vgl. exemplarisch für das Jesajabuch Schmid 2002). Bei diesen Herrscherverheißungen oder eigentlichen messianischen Weissagungen selbst, zu denen aufgrund ihres futurisch-messianischen Verständnisses im frühen Christentum, teilweise auch im römerzeitlichen Judentum, die eschatologisch transformierten Kö-

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nigspsalmen (Ps 2; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144; Saur 2004), eschatologisierte Stammessprüche im Pentateuch (Gen 49,8–12*; Num 24,15–24) oder das sogenannte Protevangelium (Gen 3,15; vgl. Röm 16,20; Hebr 2,14) zählen, handelt es sich um literarisch vielschichtige Größen. In ihrer Mehrzahl stammen sie erst aus der Zeit nach dem Ende des judäischen Königtums. Sie spiegeln einen mehrfachen Fortschreibungs- und Aktualisierungsprozess wider und stellen unterschiedliche, historisch bedingte Konzeptualisierungen der Erwartung einer zukünftigen Heilsfigur dar, sind also Ausdruck eines bestimmten eschatologischen, messianischen Konzepts (Oegema 1998: 290–306). Sie gehören in den Zusammenhang weiterer eschatologischer Heilsvorstellungen im Alten Testament, zumal der Erwartung der kommenden Königsherrschaft Jhwhs (Fabry / Scholtissek 2002: 12), und entwickeln sich angesichts von negativen Erfahrungen, sei es mit dem bestehenden bzw. bisherigen Königshaus (Jes 11,1–9; Mi 5,1–3; Jer 23,5–6), sei es mit Krieg und Zerstörung (Sach 9,1–10) oder – in fortgeschrittener hellenistischer Zeit – mit der Jerusalemer Priesterschaft. Dabei sind partiell motivische Übernahmen aus dem hellenistischen Herrscherkult nicht ausgeschlossen (PsLXX 110; SachLXX 9,9–10; Collins / Yarbro Collins 2008, 48–54). Gemeinsame Grundzüge der alttestamentlichen messianischen Weissagungen, in denen nie der Begriff »Messias«, sondern Ersatznamen (Jes 7,14; Jer 23,6; Sach 6,12; Ps 132,17) oder Umschreibungen (Jes 11,1; Jer 23,5; Ez 17,22) begegnen und die ihre Bezeichnung »messianisch« erst der expliziten messianischen relecture verdanken (Waschke 2001: 13–16; Fabry / Scholtissek 2002: 20), sind die Nähe der endzeitlichen Heilsfigur zu Jhwh und seiner Herrschaft, die (Geist-)Begabung und Beauftragung durch Jhwh, das Bringen von Frieden, Recht und Gerechtigkeit für das vereinigte Israel und die Herkunft aus der davidischen Dynastie; letzteres Element findet sich vor allem in mit einer Restitution des davidischen Königtums rechnenden Erwartungen (Jes 16,4b–5; Ez 37,24 f.; Hos 3,5; Am 9,11 f.; Hag 2,10–23). Ein einheitliches Messiasbild spiegeln diese Texte nicht: So kann neben einer machtvollen, mit Weisheit ausgestatteten Herrschergestalt (Jes 9,5 f.; 11,5) auch ein erst durch Jhwh geretteter, armer und demütiger König (Sach 9,9 nach dem

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hebräischen Text; vgl. Hab 3,13; Ps 20,7) stehen. Motivisch spielt in diese Stilisierung eine vor allem in nachexilischen Psalmen anzutreffende Bezeichnung der Frommen als (vor Gott) Arme und Demütige hinein (»Armutsideal / Armenfrömmigkeit«, vgl. Ps 22,27; 37,11; 69,33, aber auch Num 12,3). Neben der Vorstellung eines individuellen endzeitlichen Heilsbringers und Herrschers taucht in alttestamentlichen Texten aus persisch-hellenistischer Zeit, gleichfalls als eine Reaktion auf den Untergang des realen Königtums, auch eine kollektive Messiasvorstellung auf (Jes 32,15–20; 55,1–5; Jer 33,16; Ps 89,51–52; 149). Hier nimmt Israel bzw. die ideale Gemeinde, möglicherweise auch der Zion als deren lokale Personifikation (Jes 61,1–3; Schmid 2002: 187–189), die Rolle des Messias ein. In dieser kollektiven Prägung der Messiaserwartung zeigt sich die Formel von Jhwh als dem Gott Israels und Israel als dem Volk Jhwhs (vgl. Ex 19,5–6; Dtn 7,6–8) in einer eschatologischen Farbe (Jes 32,15–18). Die Erwählung Israels zum Volk Jhwhs, die vorgeschichtlich im Exodusgeschehen und der Sinaioffenbarung gründet (Dtn 7,6–7) und die sich geschichtlich in der Gabe des Landes und der Staatlichkeit realisiert, findet ihre Fortsetzung in der eschatologischen Rolle Israels als Vermittler des Heils Jhwhs an die Völker (Sach 8,20–23; vgl. Joh 4,22). Insgesamt spielen die Messiaserwartungen im Alten Testament weder literarisch noch theologisch eine zentrale Rolle. Sie sind ein Element der traditionsgeschichtlich und motivisch vielfältigen Eschatologie im Alten Testament. Allerdings stehen die eschatologischen Herrscherweissagungen in der Endgestalt der Prophetenbücher häufig betont am Schluss kleinerer oder größerer Texteinheiten (vgl. Jes 7*; 9*; 11*, 45*; 55*; 61*; Schmid 2002: 179; 183–195). Im Psalter finden sie sich an hervorgehobenen Stellen (vgl. Ps 2; 72; 89; Rösel 1999). Ebenso begegnen sie im Aufriss des Pentateuchs an den narrativen Nahtstellen eines Epochenübergangs (vgl. Gen 49,8– 12*; Num 24,15–24*). Befördert durch eine zunächst gegen die Diadochenherrscher, später gegen die Hasmonäer, die Römer und schließlich die Herodianer gerichtete Einstellung jüdischer Kreise, in denen die heiligen Schriften Israels eschatologisch redigiert und eschatologisch ausgelegt wurden (s. o. 2.3.), verdanken die alttestamentlichen Messiasverheißungen ihre besondere theologische

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Bedeutung zwei religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklungen im hellenistisch-römischen Judentum: erstens den vielfältigen Erwartungen endzeitlicher Heilsgestalten in unterschiedlichen eschatologisch orientierten jüdischen Gruppen des 2. Jahrhunderts v. Chr.  – 1. Jahrhunderts n. Chr.; exemplarisch für diese sind die Psalmen Salomos 17–18, die das Motiv eines sündlosen Messias / Christus kennen (Psalmen Salomos 17,36), einzelne Texte aus Qumran, u. a. 1QSa II,11–21, wo nach gegenwärtigen Erkenntnissen erstmals die absolute Bezeichnung hammāsîah‫  ׅ‬/ der Messias für eine endzeitliche Rettergestalt belegt ist; 1QSb V,20–23; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,10–13; 4Q252 V,3, möglicherweise auch der sogenannte Gottes-Sohn-Text 4Q246, sowie die aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammenden Apokalypsen in den »Bilderreden / Parabeln« des Ersten Henochbuchs (Kap. 37–71; vgl. besonders 1 Henoch 48,10; 52,4) und des Vierten Esrabuchs (vgl. 4 Esra 7,28 f.); zweitens den sich aus den frühjüdischen messianischen Vorstellungen speisenden neutestamentlichen Rezeptionen und Interpretationen auf Jesus von Nazareth als dem erwarteten Messias (vgl. Jes 7,14 in Mt 1,23; Mi 5,1.3 in Mt 2,6; Sach 9,9 in Mt 21,5; Jes 61,1–2 in Lk 4,18–19): Über die Aufnahme »alttestamentlicher« Messiastraditionen und im Milieu der bunten frühjüdischen Messiasvorstellungen wurde aus Jesus der Christus und der in Bethlehem geborene Sohn Davids (Mt 1,1; 2,6; Mk 10,47), der im nachösterlichen Ausbau einer Vor- und Nachgeschichte weitere Elemente israelitisch-jüdischer und paganer hellenistischer Herrschermotivik, wie die Geburt aus der Jungfrau (vgl. Mt 1,23; JesLXX 7,14) oder das »Sitzen zur Rechten Gottes« (vgl. Apg 7,55 f.; Röm 8,34; 1 Petr 3,22; Heb 1,13–14 mit Ps 110,1), an sich ziehen konnte. Dabei fließen in die Gestaltung Jesu als Messias neben dem davidischen königsideologischen Hauptstrom auch priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen ein. Im Hintergrund steht die genannte Erwähnung der Salbung von Priestern und Propheten im Alten Testament. Auch diese beiden Konfigurationen teilt das Neue Testament mit bestimmten Strömungen im frühen Judentum. So bezeugt das Schrifttum aus Qumran auch die Vorstellung eines priesterlichen Messias (1QS IX,11; CD-A XII,23–XIII,2; XIV,18–19;

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CD-B XIX,7–11 – hier jeweils kombiniert mit einem zweiten, politischen Messias, vgl. Testament Simeons 7 und als Hintergrund Sach 4; 6,9–15; 1 SamLXX 2,35) und eines prophetischen Messias (4Q521 Frag. 2 II,1; 11Q13 II,18; vgl. auch 4Q175 5–8 und 1 Makk 14,41 vor dem Hintergrund von Dtn 18,15.18 und Jes 61,1, s. o. 4.4.1.). Wie in der neutestamentlichen Zeichnung Jesu als Messias sind in den qumranischen und anderen frühjüdischen Texten die Übergänge zwischen den Vorstellungen eines königlichen, priesterlichen und prophetischen Messias fließend (Zimmermann 1998: 470–480; Fabry / Scholtissek 2002: 36–52; Frey 2011: 281–290). Dabei können die frühjüdischen und die neutestamentlichen Messiasfigurationen die Aspekte weiterer zu Erlöserfiguren stilisierter Gestalten der Urund Frühgeschichte Israels (Noah, Henoch, Mose, Elia) oder des »Menschensohns« (s. o. 2.3.; 1 Henoch 48,2) aufnehmen, auch wenn diese nicht den Titel »Messias« tragen. Theologisch entscheidend für die israelitischen und frühjüdischen Geschichtstheologien, in denen Gott mittels eines gegenwärtigen, künftigen oder endzeitlichen Königs handelt, ist ihre durchgehend theozentrische Struktur: Gott ist es, der unbedingt und unabhängig erwählt. Selbst dort, wo der endzeitliche Messias gottähnliche Züge annimmt, bleibt er ein Werkzeug Gottes und der Königsherrschaft Gottes untergeordnet.

4.6.2. Neben den Königen sind es die Propheten, die in den großen theopolitischen Entwürfen des Alten Testaments als die Gottesgeschichte prägende und deutende Einzelfiguren auftreten. In den deuteronomistisch bearbeiteten Königsbüchern und davon abhängig in den chronistischen Geschichtswerken (1 Chr – Esr / Neh) erscheinen sie vor allem als unerschrockene Anwälte Jhwhs, die jeweils an geschichtlichen Wendepunkten den sich nicht an die Tora haltenden Königen Israels und Judas gegenübertreten, die Einhaltung der Alleinverehrung Jhwhs sowie der kultischen und sozialen Gebote fordern und gelegentlich Wunder vollbringen (vgl. 1 Kön 17,11–24; 2 Kön 5,1–14). Hingegen spiegelt sich in den literarischen Biographien der Prophetenbücher, die erst aufgrund einer zum Teil mehrere Jahrhunderte umfassenden Fortschreibung die prophetischen Gestalten eines Jesaja, Jeremia oder Ezechiel her-

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vorgebracht haben, das Bild eines Israel, den Völkern und schließlich der gesamten Welt das von Jhwh gewirkte Gericht und Heil ansagenden, seine Verkündigung mit symbolischen Handlungen (vgl. Jes 20,1–6; Jer 13,1–11; Ez 4,1–6,14) unterstreichenden und geschichtliche Prozesse aus der Perspektive Jhwhs interpretierenden Empfängers göttlicher Visionen und Auditionen. Wo sich die fortlaufend aktualisierten, kommentierten und redigierten Sammlungen prophetischen Spruchguts zu Bildern prophetischer Gestalten ausgewachsen haben, erscheint als ein Merkmal prophetischer Existenz das Leiden des Propheten, das ihm seitens seiner Zeitgenossen, bei denen seine Botschaft auf Widerstand stößt, zugefügt wird. In den dem Jeremiabuch redaktionsgeschichtlich erst nachjeremianisch eingelegten »Konfessionen« (Jer 11–20*) und in den damit verwandten »Gottesknechtsliedern« in der deuterojesajanischen Schicht des Jesajabuchs (Jes 42,1–4; 49;1–6; 50,4–9; 52,13–53,12) wird das Leiden zum Signum prophetischen Lebens schlechthin (vgl. Jak 5,10 f.): In seinem Leiden wird der von Gott erwählte Prophet zum Abbild des selbst an Israel und der Welt leidenden Gottes, das seine letzte Begründung und sein Ziel in der Stellvertretung findet. Theologisch bedeutsam und im Blick auf die neutestamentliche Rezeption zentral ist die Verknüpfung der Verkündigung der universalen Herrschaft und Gerechtigkeit Gottes, die sich als roter Faden durch alle Prophetenbücher zieht, mit der Vorstellung des leidenden Gerechten, der als solcher die Herrschaft und Gerechtigkeit Gottes verkörpert (s. u. 4.6.3.). Es können hier nicht die vielfältigen Theologien der Prophetenbücher in ihrer komplexen religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklung dargestellt werden. Im Blick auf die Frage nach Jesus Christus als Thema der alttestamentlichen Theologie ist die Erkenntnis wesentlich, dass sich Jesus Christus mit seiner Botschaft von der βασιλεία τοῦ θεοῦ / basileia tou theou / Königsherrschaft Gottes und mit seinem Leiden nahtlos in die Linie der alttestamentlichen Propheten einschreiben lässt, wie sie von und in ihren Büchern geschaffen wurden (vgl. Lk 13,31–34; Joh 9,17). Dabei fließen in die Motivik des leidenden Gerechten, zumal in der Ausgestaltung der Passionsgeschichte Jesu, auch Elemente aus der frühjüdischen Märtyrertheologie ein, die im Tod der leidenden Gerechten eine

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stellvertretende Funktion sieht (4 Makkbäer 6,29; 17,22) und die ihrerseits eine spezifische Form von Geschichtstheologie darstellt. 4.6.3. Als Lenker individueller und kollektiver Lebensgeschichte ist Jhwh der Herr von Zeit und Ewigkeit, was sich letztlich auch in der wunderbaren Verwandlung des Lebens (vgl. Jes 35,5–6; 42,7; 61,1–3) und in der Herrschaft über den Tod ausdrückt (Jes 25,8). Dabei geht das in der Endgestalt des Alten Testaments vorliegende bunte Tableau von Interpretamenten und Metaphern der Erfahrung und der Hoffnung Jhwhs als Gott des Lebens religionsgeschichtlich auf einen vielschichtigen Prozess der sukzessiven Kompetenzerweiterung Jhwhs zurück (Janowski 2009: 112–125), in welchem die Herausbildung des Monotheismus, eine konsequente Schöpfungstheologie sowie die radikalisierte Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens des Gerechten wesentliche Faktoren sind. So stehen die traditionsgeschichtlich aus unterschiedlichen Hintergründen und Reflexionskontexten stammenden Bilder von der Neuschöpfung aus dem Tod (Ez 37,1–14), der Auferstehung und der Auferweckung (Jes 26,19; Dan 12,1–3; HiLXX 42,17; 2 Makk 7,8), der Entrückung als der unmittelbaren Aufnahme bei Gott unter Umgehung der Todesgrenze (Ps 73,24 im Schatten von Gen 5,22–24 und 2 Kön 2,3.5), der Unsterblichkeit der Seele (Ps 49,16; SapSal 3,1) oder der endgültigen Entmachtung des Todes (Jes 25,8; vgl. 1 Kor 15,26) nebeneinander und konvergieren in der Vorstellung, dass sich das Wesen Gottes in seiner Stiftung von Leben zeigt (Röm 4,17). Die neutestamentlichen Beschreibungen des postmortalen Geschicks Jesu Christi, der nach einem frühchristlichen Überlieferungszweig gerade mit der von Gott bewirkten Überwindung der Todesgrenze in die Sohnschaft Gottes eingesetzt wird (vgl. Röm 1,3–4 versus SapSal 2,18; 5,5), greifen auf diese Bilder zurück und fokussieren sie, erneut unter Fortschreibung von Jes 52,13–53,12, auf die Vorstellung der Ermöglichung des Lebens nach dem Tod mittels einer im Glauben ergriffenen Partizipation an der Auferstehung Jesu Christi (Joh 3,15; vgl. Röm 8,17). Damit sind die alttestamentlichen Formen, intensive Gottesnähe zu erfahren – der Sabbat (vgl. Ex 31,13–17; Ps 92), der Tempel (vgl. Ps 36,9–10), die Tora (vgl. Dtn 30,16; Sir 24,23) und die Weisheit

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(vgl. Prov 3,18; Sir 24) – christologisch modifiziert. Jesus Christus erscheint so, mythisch gesprochen, als neuer Zugang zum Baum des Lebens (Gen 3,24), ja, als das Leben selbst (Joh 11,25).

4.7.  Gott als Herr der Weisheit oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Weisheitsvorstellungen In gewisser Weise quer zu den alttestamentlichen Geschichtstheologien stehen die in ihren älteren Formen stark gegenwartsorientierten Weisheitskonzeptionen des Alten Testaments. Unter der gedanklichen Voraussetzung, dass Gott als der Schöpfer in diese Welt eine gerechte kosmische Ordnung eingesenkt hat, der sich der Weise mittels genauer Beobachtung gesellschaftlicher und natürlicher Vorgänge und mittels der Weitergabe empirisch gewonnener Erkenntnisse annähern kann, entwickeln die alttestamentlichen Weisheitsbücher ihr ethisches Programm von einem glücklich gestalteten Leben. Flankiert von der Vorstellung, dass das Handeln eines Menschen immer überindividuelle Dimensionen hat und nie folgenlos ist, vielmehr Tun und Ergehen in einem Zusammenhang stehen, führt dies nicht nur zu einem alle Lebensbereiche umfassenden Programm der Orientierung, sondern auch zu einer gesellschaftlichen und religiösen Klassifikation in Weise und Toren, Gerechte und Frevler. Mittels einzelner Sentenzen, Gleichnisse, Lehrreden und »Seligpreisungen« (Makarismen) versucht der weise Lehrer seine Schüler zu einem gelingenden Leben und zur Gottesfurcht anzuleiten. Das Wissen um von Gott gesetzte Grenzen und um Gottes Undurchschaubarkeit kennzeichnet ihn ebenso wie die Fähigkeit zur genauen Differenzierung der Phänomene und zur gleichnishaften Beschreibung der Wirklichkeit, die stets implizit oder explizit auch einen ethischen Appell enthält. Wo die Theorie, dass es dem Weisen aufgrund seiner Weisheit gut gehen und der Gerechte aufgrund seiner Frömmigkeit vom Leid verschont bleiben müsse, angesichts gegenteiliger Erfahrungen widerlegt wird, wie im Fall Hiobs, gerät das Denken im Rahmen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs in die Krise. Hier wird die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Weisheit laut (vgl. Koh 7); die grundlegende theologische Vorstellung von Gott als dem gerechten

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Schöpfer gerät ins Wanken (vgl. Hi 3). Es ertönt nicht mehr nur die klagende Frage nach dem Grund und dem Ziel der Verborgenheit Gottes (vgl. Ps 13,2; 22,2), sondern Gott selbst rückt in die Ferne, wie bei Kohelet, oder nimmt Züge eines Dämons an, wie bei Hiob (vgl. Hi 9; 16). Einem solchen in die Krise geratenen Gott steht der leidende Gerechte gegenüber, der gerade aufgrund seiner von Gott und Menschen anerkannten Gerechtigkeit ins Leiden gestürzt wird (Hi 1,8 f.), der sein Leiden als göttliche Erziehungsmaßnahme deutet (Hi 5,17; 33; Ps 118,18) oder der durch sein Leiden als gerecht erscheint (SapSal 2). Gemeinsam ist den unterschiedlichen weisheitlichen Figurationen der leidenden Gerechten des Alten Testaments, sei es einem Hiob, den Betern von Ps 35; 69; 73 oder SapSal 2, dass das Leiden letztlich nicht als Zeichen der Gottesferne, vielmehr – wie im Fall des leidenden Jeremia oder des leidenden Gottesknechts (s. o. 4.6.2.) – als Kennzeichen einer eigentümlichen Nähe zu Gott verstanden wird, dessen Charakter als Schöpfer und als Lehrer des Menschen bestätigt wird. Die besondere Erkenntnis dieser späten, aus hellenistischer Zeit stammenden kritischen Weisheit ist, dass sie das Leiden in die göttliche Schöpfungsordnung integriert. Gewissermaßen als Gegenpol zu dieser kritischen Weisheit, wie sie im Alten Testament vor allem durch die Bücher Hiob und Kohelet repräsentiert wird, tritt in fortgeschrittener hellenistischer und römischer Zeit mit Jesus Sirach und der Sapientia Salomonis eine Weisheit, die geschichtliches und damit auch eschatologisches Denken aufnimmt (vgl. Sir 44–49; SapSal 10–19), das Böse als notwendiges Gegenstück zum Guten verstehen lehrt (Sir 33,7–15), eine Brücke zur Tora schlägt, insofern letztere als Inkarnation der kosmischen Weisheit erscheint (Sir 24), und die einen Ausblick auf die Unsterblichkeit des leidenden Gerechten wagt (SapSal 2–3). Der Gott dieser späten Weisheit ist in Weiterführung der deuteronomistischen und deuterojesajanischen Vorstellungen der eine und einzige Gott, der mittels seiner Weisheit, die in der Tora als dem Gesetz des Lebens Gestalt gefunden hat (Sir 17,11 [G]; 45,5), die Welt in den Händen hält und den Gerechten den Weg in das Leben – diesseits und jenseits der Todesgrenze – weist, weil er selbst das Leben liebt (SapSal 11,26). Das Gottesbild, wie es sich aus den Logien, Gleichnissen und

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Seligpreisungen Jesu ergibt, Jesu Stilisierung als leidenden Gerechten, als weisen Lehrer und als göttliche Weisheit, die ihre Schüler ins Leben ruft (Mt 11,28–30; Lk 7,34 f.; 1 Kor 1,30), seine Einschreibung in einen geheimnisvollen Plan Gottes (Röm 11,33–36) und das Motiv seiner Präexistenz (1 Kor 8,6; Joh 1,18) verdanken sich zu weiten Teilen der alttestamentlichen Vorstellung von Gott als dem Herrn der Weisheit. Diese selbst gründet tief in einem von Ägypten bis Mesopotamien und Griechenland nachweisbaren Weltordnungsund Gerechtigkeitsdenken.

5. Zusammenfassung Das Neue Testament beschreibt Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi als Teil, mitunter als Mitte und Ziel der Geschichte des Handelns Gottes an Welt und Mensch. Es bedient sich dabei ausgiebig alttestamentlicher und außerkanonischer frühjüdischer Bilder, Motive, Denkmuster und Erzählstrukturen. Die alttestamentliche Wissenschaft erhellt deren literatur- und religionsgeschichtlichen Hintergründe und theologische Horizonte. Diese lassen sich nicht auf die Jesus Christus im Neuen Testament beigelegten Titel und Funktionsbeschreibungen eines Propheten, Königs, Davidssohns, Menschensohns, Erwählten oder Messias beschränken, sondern umfassen die Vielfalt des Leben stiftenden und bewahrenden Handeln Gottes in Raum und Zeit. So führt die theologische Frage nach Jesus Christus zur Frage nach dem Handeln und Wesen Gottes im Alten Testament, zur Reflexion seines schöpferischen, Geschichte mittels Begleitung, Befreiung, Belehrung und Heiligung lenkenden Wirkens sowie zur Interpretation der auch neutestamentlich prägend gewordenen Metaphern von Gottes Weisheit, Königsherrschaft, Hirtentätigkeit und Vaterschaft. Die Christologie bedingt damit die Darstellung von Grundzügen der Theologie des Alten Testaments. Die im Alten Testament versammelten Theologien der Schöpfung, der Geschichte, des Rechts und der Weisheit, die aus der Perspektive des Neuen Testaments in der raum-zeitlichen Fokussierung und Personalisierung auf Gottes Handeln in Jesus Christus ihr Ziel finden, sind so ein grundlegender Beitrag zur Rede von Jesus

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Christus. Im Verbund mit der Theologie des Neuen Testaments bilden sie die Basis christlicher Theologie als Entfaltung des Sprechens vom Handeln Gottes in Jesus Christus.

Quellen-und Literaturverzeichnis 1.  Quellen und Übersetzungen 1 Henoch: Uhlig, Siegbert: Das äthiopische Henochbuch (JSHRZ 5), Gütersloh 1984, 463–780. 4 Esra: Schreiner, Josef: Das 4. Esra-Buch (JSHRZ 5), Gütersloh 1981, 291–412. 4 Makkabäer: Klauck, Hans-Josef: 4. Makkabäerbuch (JSHRZ 3), Gütersloh 1989, 646–763. Artapanos: Walter, Nikolaus: Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker (JSHRZ 1), Gütersloh 1976, 121–136. Barnabasbrief: Wengst, Klaus: Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet (Schriften des Urchristentums 2), Darmstadt 1984, 103–203. CD-A: García Martínez, Florentino / Tigchelaar, Eibert J.C. (Hrsg.): The Dead Sea Scrolls. Study Edition, Vol. 1, Leiden u. a. 1997, 550–581. Elephantine-Papyri: Cowley, Arthur Ernest: Aramaic Papyri of the Fifth Century b. C. Edited, with Translation and Notes, Oxford 1923 (Nachdruck Osnabrück 1967). Inschriften von Kuntillet ʽAğrūd: Renz, Johannes / Röllig, Walter: Handbuch der Althebräischen Epigraphik. Teil 1: Text und Kommentar, Darmstadt 1995, 47–64. Jubiläen: Berger, Klaus: Das Buch der Jubiläen (JSHRZ 2), Gütersloh 1981, 275–575. Lamm des Bokchoris: Hoffmann, Friedhelm / Quack, Joachim Friedrich: Anthologie der Demotischen Literatur (Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 4), Münster 2007, 181–183. Platon, Kratylos: Platon, Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hrsg. von Gunther Eigler, Band 3, Phaidon, Das Gastmahl, Kratylos, bearbeitet von Dietrich Kurz, Sonderausgabe Darmstadt 1990. Philo: Yonge, Charles Duke: The Works of Philo. Complete and Unabridged. New Updated Edition, Peabody, Mass. 20068. Psalmen Salomos: Holm-Nielsen, Svend: Die Psalmen Salomos (JSHRZ 4), Gütersloh 1977, 51–112. Septuaginta Deutsch: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von Wolfgang Kraus / Martin Karrer, Stuttgart 20102.

66  Altes Testament Testament Rubens: Becker, Jürgen: Die Testamente der Zwölf Patriarchen (JSHRZ 3), Gütersloh 19802, 15–163. Testament Simeons: Becker, Jürgen: Die Testamente der Zwölf Patriarchen (JSHRZ 3), Gütersloh 19802, 15–163. Texte aus Qumran: García Martínez, Florentino / Tigchelaar, Eibert J.C. (Hrsg.): The Dead Sea Scrolls. Study Edition, Vol. 1–2, Leiden u. a. 1997–1998. Töpferorakel: Gauger, Jörg-Dieter: Sibyllinische Weissagungen. Griechischdeutsch. Auf der Grundlage der Ausg. von A. Kurfeß neu übersetzt und hrsg. (Sammlung Tusculum), Düsseldorf / Zürich 20022.

2. Sekundärliteratur Barton 1998: Barton, John: The Messiah in Old Testament Theology, in: John Day (Hrsg.), King and Messiah in Israel and the Ancient Near East (JSOT.S 270), Sheffield 1998, 365–379. Beck 2006: Beck, Martin, Messiaserwartung in den Geschichtsbüchern? Bemerkungen zur Funktion des Hannaliedes (I Sam 2,1–10) in seinen diversen literarischen Kontexten (vgl. Ex 15; Dtn 32; II Sam 22), in: Martin Beck / Ulrike Schorn (Hg.), Auf dem Weg zur Endgestalt von Genesis bis II Regum (Festschrift für Hans-Christoph Schmitt; BZAW 370), Berlin / New York 2006, 231–251. Bousset / Gressmann 1926: Bousset, Wilhelm / Gressmann, Hugo: Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter (HNT 21), Tübingen 19263. Collins 1998: Collins, John J.: The Apocalyptic Imagination. An Introduction to Jewish Apocalyptic Literature, Grand Rapids, Mich. / Cambridge UK 19982. Collins / Yarbro Collins 2008: Collins, John J. / Yarbro Collins, Adela: King and Messiah as Son of God. Divine, Human, and Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature, Grand Rapids, Mich. / Cambridge UK 2008. Day 1998: Day, John (Hrsg.): King and Messiah in Israel and the Ancient Near East (JSOT.S 270), Sheffield 1998. Delitzsch 1924 / 1926: Delitzsch, Friedrich: Die Grosse Täuschung, I–II, Lorch 1924.1926. Dohmen 2000: Dohmen, Christoph: Art. Hermeneutik, II. Altes Testament, in: RGG4, Band 3, Tübingen 2000, 1649–1651. Ego / Lange / Pilhofer 1999: Ego, Beate / Lange, Armin / Pilhofer, Peter (Hrsg.): Gemeinde ohne Tempel. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118), Tübingen 1999. Fabry / Scholtissek 2002: Fabry, Heinz-Josef / Scholtissek, Klaus: Der Mes-

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sias. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.Themen 5), Würzburg 2002. Feldmeier / Spieckermann 2011: Feldmeier, Reinhard / Spieckermann, Hermann: Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen 2011. Frey 2011: Frey, Jörg: Die Textfunde von Qumran und die neutestamentliche Wissenschaft, in: Stefan Beyerle / Jörg Frey (Hrsg.), Qumran aktuell. Text und Themen der Schriften vom Toten Meer (BThSt 120), Neukirchen-Vluyn 2011, 225–293. Gertz 2010: Gertz, Jan-Christian (Hrsg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (UTB 2745), Göttingen 20104. Gese 1974a: Gese, Hartmut: Erwägungen zur Einheit der biblischen Theologie (1970), in: Ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie (BEvTh 64), München 1974, 11–30. Gese 1974b: Gese, Hartmut: Τὸ δὲ Ἁγὰρ Σινὰ ὅρος ἐστὶν ἐν τῇ Ἀραβίᾳ (Gal 4,25) (1967), in: Ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie (BEvTh 64), München 1974, 49–62. Hartenstein 2009: Hartenstein, Friedhelm: Wettergott – Schöpfergott – Einziger. Kosmologie und Monotheismus in den Psalmen, in: Ders. / Martin Rösel (Hrsg.), JHWH und die Götter der Völker, Neukirchen-Vluyn 2009, 77–97. Hengel 1988: Hengel, Martin: Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Brücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (WUNT 10), Tübingen 19883. Hofius 1993: Hofius, Otfried: Ist Jesus der Messias?, in: Ingo Baldermann u. a. (Hrsg.), Der Messias (JBTh 8), Neukirchen-Vluyn 1993, 103–129. Horn 2013: Horn, Friedrich-Wilhelm: Ortsverschiebungen. Transformationen des Gottesverständnisses im Neuen Testament, in: Christoph Schwöbel (Hrsg.), Gott – Götter – Götzen (VWGTh 38), Leipzig 2013, 69–82. Janowski 1999: Janowski, Bernd: JHWH und der Sonnengott. Aspekte der Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit (1995), in: Ders., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn 1999, 192–219. Janowski 2009: Janowski, Bernd: Der Gott Israels und die Toten. Eine religions- und theologiegeschichtliche Skizze, in: Friedhelm Hartenstein / Martin Rösel (Hrsg.), JHWH und die Götter der Völker, Neukirchen-Vluyn 2009, 99–138. Janowski / Stuhlmacher 1996: Janowski, Bernd / Stuhlmacher, Peter (Hrsg.): Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte (FAT 14), Tübingen 1996. Jeremias 1942: Jeremias, Joachim, Art. Μωυσῆς, in: ThWNT, Band 4, Stuttgart u. a. 1942, 852–878. Kähler 1965: Kähler, Martin: Jesus und das Alte Testament [1907 / 1937].

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70  Altes Testament Zimmerli 1999: Zimmerli, Walter: Grundriß der alttestamentlichen Theologie (ThW 3,1), Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 19997. Zimmermann 1998: Zimmermann, Johannes: Messianische Texte aus Qumran. Königliche, priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen in den Schriftfunden von Qumran (WUNT 2 / 104), Tübingen 1998. Zimmermann 2007: Zimmermann, Christiane: Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC / AGJU 69), Leiden / Boston 2007.

3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Boccaccini, Gabriele: Enoch and the Messiah Son of Man. Revisiting the Book of Parables, Grand Rapids, Mich. / Cambridge, UK 2007. Charlesworth, James H. (Hrsg.): The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992. Crüsemann, Frank: Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011. Kaiser, Otto: Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt. Der Weg Gottes im Alten Testament vom Herrn seines Volkes zum Herrn der ganzen Welt (FRLANT 249), Göttingen 2013. Koch, Klaus: Von der Wende der Zeiten. Beiträge zur apokalyptischen Literatur. Gesammelte Aufsätze, Band 3, Neukirchen-Vluyn 1996. Seybold, Klaus: Art. ‎‫‏מָ שַ ׁ ח‏‬‎I māšah‫ ׅ‬, in: ThAWT, Band 5, Stuttgart u. a. 1986, 46–59.

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Reinhard von Bendemann

Die Fülle der Gnade – Neutestamentliche Christologie 1. Einleitung Eine von ihren jeweiligen Sprachformen und soziohistorischen Bedingungen ablösbare Lehre von Christus kennen die neutestamentlichen Schriften nicht. Streng genommen müsste man den Begriff »Christologie« im Blick auf die neutestamentlichen Befunde immer in Anführungszeichen setzen. Unterscheidungen und Beschreibungsbegriffe, wie sie sich erst in der späteren systematischen Theologie eingebürgert haben, stoßen im Neuen Testament auch sonst an Grenzen. So ist eine klare Differenzierung von »Chri­ stologie« und »Soteriologie« nicht durchführbar. Zwar gibt es im Neuen Testament immer wieder Texte, in denen es vorrangig nur um ein Handeln oder bestimmte Attribute Jesu resp. Christi geht (Phil 2,6–11; 1 Tim 3,16; Hebr 2,9 u. a.); doch ist von »Jesus« bzw. »Christus« grundsätzlich und von Anbeginn an in allen frühchristlichen Stimmen nie ohne eine Deutung die Rede, die – so oder so – immer die Frage nach dem (zukünftigen) Ergehen von Einzelnen oder Gruppen einschließt. Insofern könnte man das Diktum Melanchthons auf das Christuszeugnis des ganzen Neuen Testaments beziehen, wonach Christus erkennen nicht seine »Naturen« zu erkennen bedeutet, sondern vielmehr die von ihm erwirkten Heilstaten (Melanchthon 1521: Introductio / Einführung, 13 [22 f.]). Angesichts der Dynamik der Entstehung, Etablierung, Entwicklung und Verbreitung von Aussagen der frühen Christen über den, den sie als ihren Herrn anrufen, angesichts der zeitlichen und regi-

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onalen Differenzierungen und angesichts der Fülle von Sprachformen und Gattungen neutestamentlicher Christologie(n) steht jede Anordnung einer Gesamtdarstellung vor erheblichen Problemen. Als nicht durchführbar erweist sich zunächst der Versuch, die Christusaussagen des Neuen Testaments auf bestimmte kleinere Grundbauformen zurückzuführen. Entsprechende Versuche wurzeln in der älteren formgeschichtlichen Erforschung des Neuen Testaments. Zwar gibt es in nahezu allen neutestamentlichen Schriften ältere formulare Sätze resp. »Bekenntnisaussagen«, die von den späteren Schriftstellern dann aufgegriffen werden konnten (vgl. z. B. 1 Kor 15,3–5). Doch lassen sich die neutestamentlichen Christusaussagen insgesamt nicht in die Systematik einer sukzessiven »­Entfaltung« solcher »Vorgaben« einordnen. Vielfalt, Eigenständigkeit und »Sprünge« in den Texten stehen solchen Versuchen entgegen. Dieses Problem betrifft auch den Ansatz bei den sogenannten »Hoheitstiteln« für Jesus in der älteren neutestamentlichen Forschung. Zwar ist richtig, dass Titel bzw. Attribute wie »Christus«, »Sohn Gottes«, »Kyrios / Herr«, »Davidsohn« oder auch der »Menschensohn« in der neutestamentlichen Literatur vielfach eine hervorgehobene Stellung innehaben. Doch dürfen sie nicht wie feststehende Entitäten behandelt werden. Die »Titel« werden vielmehr jeweils erst durch konkrete Erzählungen oder briefliche Kontexte in ihrem Sinn bestimmt. Zudem zeigen die verbesserten Kenntnisse über das zeitgenössische Judentum: Die »Titel« sind in vielen Fällen keineswegs trennscharf zu fassen; vielmehr gibt es z. B. bei Attributen wie »Christus«, »Sohn Gottes«, »König«, »Davidsohn«, »Spross Davids« (vgl. Jes 11,1), (endzeitlichem) »Prophet« und »Priester« zahlreiche Überblendungsmöglichkeiten. Der Sinngehalt entsteht damit als Interferenz von traditionsgeschichtlichen Deutungen und kontextuell-situativen Bezügen. Man darf folglich nicht scharf konturierte Definitionen suchen, sondern muss die jeweiligen Korrelationen und Übergänge analysieren. Auch der Versuch, die verschiedenen christologischen Konzepte lokal zu identifizieren, d. h. sie bestimmen Orten auf der Landkarte des Frühchristentums wie Jerusalem, Antiochia, Alexandria oder Rom zuzuweisen, ist für das 1. Jahrhundert zum Scheitern verur-

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teilt. Unsere Quellen können solche Zuordnungsmöglichkeiten in vielen Fällen nicht stützen. Sie stehen auf tönernen Füßen. Religionsgeschichtliche Ordnungsversuche, die christologische Aussagen auf ihre Nähe oder Ferne zum Judentum hin befragen, sind aus vielerlei Gründen schwierig. Das Problem betrifft zum einen die beiden Pole jüdischer und hellenistischer Vorstellungen. Oft lag in der Forschung der Akzent allzu einseitig auf dem hellenistischen Pol. Von hier aus betrachtete man das frühe Judentum in verfehlter Weise als einen quasi homogenen Bezugspunkt, von dem man sich abgrenzte. Zum anderen aber kam es von hier aus zu Fehlurteilen über das religiöse Feld des frühen Christentums. Man meinte, relativ trennscharf Judenchristentum und Heidenchristentum unterscheiden und als Stationen eines chronologischen Nacheinanders begreifen zu können. Demgegenüber stellt sich das frühe Christentum in seiner Geschichte vielschichtiger und facettenreicher dar. Entgegen einer älteren Forschungsmeinung hat es z. B. ein vitales und in sich vielfältiges Judenchristentum noch lange Zeit nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. gegeben. Neben den vorgenannten Ordnungsmodellen, die sich in einem weiteren Sinn als historisch verstehen lassen, werden in der jüngeren Erforschung neutestamentlicher Christologie(n) stärker ­systematische bzw. theologisch motivierte Strukturkonzepte diskutiert. In biblisch-theologischer Perspektive wird nach Deutungen Jesu in den frühchristlichen Schriften mit Hilfe und im Licht alttestamentlicher Prätexte gefragt. Gesamtbiblische Annäherungen an das Christuszeugnis des Neuen Testaments gehen von dem Befund aus, dass die Bibel (das »Alte Testament«) das Lebensbuch der ältesten Christen war und diesem in vielen Fällen eine produktive Funktion bei der Entwicklung von Christusaussagen zuzuschreiben ist. Die biblisch-theologische Forschung hat erhebliche Fortschritte in der Untersuchung der intertextuellen Bedeutung einzelner biblischer Schriften für die christologischen Konzepte neutestamentlicher Texte erzielt, etwa des Jesajabuches für die Christologien des Lukas oder des Paulus oder des Ezechielbuches für die Christusvorstellungen der Johannesoffenbarung. Der Ansatz bewährt sich damit

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zunächst bei Einzelschriften. Dagegen kann die Frage nach dem vetus testamentum in novo receptum / nach dem Alten Testament, soweit es im Neuen Testament rezipiert wird, als solche nicht zu einer tragfähigen Gesamtsystematik der Darstellung neutestamentlicher Christologie(n) führen. Auch besonders wichtige alttestamentliche Prätexte wie z. B. Ps 22, 69, 110, 118 oder Jes 53 erschließen kein gleichmäßig tragfähiges und übergreifendes Netzwerk von Verweisen und nehmen in der Rezeption insgesamt an den dynamischen Variierungs- und Vervielfältigungsprozessen teil, die sich oft schwer ordnen lassen. Weiter führt dagegen die Frage nach der Rezeption übergreifender narrativer Zusammenhänge und Motivkomplexe wie dem Exodus, dem Sinaigeschehen oder theologischen Traditionsgefügen wie der (Neu‑)Schöpfungsvorstellung u. a. Sodann ist die theologische Perspektive im engeren Sinn strikt als Klammer der beiden Testamente zu begreifen (siehe hierzu den Beitrag von Markus Witte in diesem Band). Bei alldem darf die Bedeutung des frühen Judentums in den Prozessen der Rezeption und Vermittlung biblischer Texte nicht abgeblendet werden. Gesamtkanonische Annäherungen (»canonical approaches«) an die neutestamentlichen Christusaussagen sehen sich ferner vor das Problem gestellt, dass der christliche Kanon selbst keine Größe der neutestamentlichen Zeit ist; er kommt erst am Ende des 4. Jahrhunderts zu einem Abschluss. Grundsätzlich gilt: Alle Versuche die Stoffe historisch, traditionsgeschichtlich, kanonisch o. ä. zu ordnen, basieren auf hermeneutischen Prämissen und systematischen Entscheidungen; sie sind durch die jeweilige Perspektive auf den Textbestand und die damit verbundenen zeitgeschichtlich und theologiegeschichtlich relevanten Vorstellungen und Interessen bestimmt. Besonders betrifft diese Einsicht Fortschritts- und Entwicklungsmodelle, die verschiedenen Ordnungsmustern zugrundeliegen bzw. sich in ihnen auswirken können. Oft wird z. B. – explizit oder implizit – vorausgesetzt, dass die Christusaussagen in den ersten beiden Jahrhunderten allmählich und zunehmend an »Höhe«, d. h. an Nähe zur Göttlichkeit Gottes, gewonnen hätten. Solche Ordnungsmuster erinnern an den Angler, der einen Fisch fing und dessen Fisch in seinen späteren Erzählungen über die Jahre immer größer wird. Ein solches Schema

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verfehlt jedoch die Befunde im Frühchristentum. So ist es keineswegs der Fall, dass Vorstellungen wie die der Erhöhung Jesu in eine göttliche Machtstellung oder die der Präexistenz Christi erst spät am Ende einer langen Entwicklung festzustellen wären (siehe z. B. unten 3. zu Paulus). Angesichts der genannten Probleme ist im Folgenden so zu verfahren: Gegenstand und Ausgangspunkt einer Darstellung neutestamentlicher Christologie(n) können zunächst nur die gegebenen neutestamentlichen Schriften in ihrer Vielfalt und Distinktheit sein. Die Reihenfolge lautet: Vom Text her zur Geschichte, wo dies sinnvoll und notwendig ist. Die erste Aufgabe besteht immer darin, möglichst genau zu beschreiben und zu verstehen, wie Jesus Christus in den jeweiligen Einzelschriften dargestellt, erzählt, profiliert etc. wird. Auszugehen ist grundsätzlich von der Endgestalt dieser Schriften. Erst von hier aus ist nach einer möglichen diachronen Vorgeschichte bzw. Tiefenstruktur einzelner Christusaussagen angemessen zu fragen; erst von hier aus sind auch alttestamentlich-intertextuelle Bezüge adäquat zu bewerten; erst von hier aus können Versuche ansetzen, die Frage nach einer soziohistorischen Verankerung von christologischen Positionen in der Geschichte des Frühchristentums zu beantworten. Ist die Endgestalt der Einzelschriften im Folgenden der Ausgangspunkt, so verdient hierbei die Fülle der verschiedenen Sprachformen besondere Beachtung. Es bedeutet z. B. einen gravierenden Unterschied, ob Aussagen über Christus im paränetischen Schlussteil eines Briefes (ggf.: der peroratio / Redeschluss) oder im Finale einer Erzählung begegnen. Hermeneutische Vorbemerkungen zu den einzelnen Abschnitten sollen den Blick für diesen Befund schärfen. Der Zugriff auf die neutestamentlichen Schriften kann dabei nur punktuell bzw. exemplarisch erfolgen. Nach den christologiegeschichtlich so wichtigen Paulusbriefen wird das Markusevangelium als Beispiel einer narrativen Christologie vorgestellt. Weiterhin verdient das vierte Evangelium als eigenständig profilierter Entwurf, der für die altkirchliche Christologie eminent folgenreich wurde, besondere Beachtung. Sodann findet sich in der Konzeptualisierung Jesu als wahrer Hohepriester im Hebräerbrief die innerhalb

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des Neuen Testaments singuläre Rezeption und Weiterentwicklung einer hellenistisch-jüdischen Messianologie, welche von der Priestersalbung her ansetzt. Schließlich wird nach der apokalyptisch konturierten Christologie im letzten Buch der Bibel gefragt. Zuletzt stellt sich nochmals die Frage nach Ordnungsmomenten, Kohärenzen und Invarianten im vielfältigen Christuszeugnis der neutestamentlichen Schriften. Eine unvermeidliche Sonderstellung nimmt der erste Abschnitt zum irdischen resp. »historischen« Jesus von Nazaret ein, insofern hier nicht von einem zusammenhängenden Schriftencorpus ausgegangen werden kann und sich die oben angesprochenen Probleme eines historischen Zugangs zugespitzt stellen.

2.  Jesus von Nazaret als Grund neutestamentlicher Christologie(n) 2.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Im Gefolge der sogenannten dialektischen Theologie galt in der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts die Frage nach dem irdischen Jesus für die neutestamentliche Christologie und Theologie als faktisch irrelevant. Im Fokus stand stattdessen der geglaubte und gepredigte »übergeschichtliche« Christus (vgl. Kähler 1969). Im Rahmen der neutestamentlichen Wissenschaft fand diese Position wirkkräftigen Ausdruck in den Beiträgen Rudolf Bultmanns. Für Bultmann, so kann man in Weiterführung des berühmten ersten Satzes seiner »Theologie des Neuen Testaments« (Bultmann 1953: 1) feststellen, gehört Jesus unter die Voraussetzungen neutestamentlicher Christologie, aber nicht in diese selbst hinein. Bereits in Bultmanns Jesusbuch war diese Sichtweise angelegt. Bultmann war dabei insofern seiner Zeit voraus, als sein Ansatz es ihm erlaubte, den irdischen Jesus ohne hermeneutische Schwierigkeiten in den Kontext des zeitgenössischen Judentums einzuordnen (vgl. Bultmann 1926: 18–22), wohingegen viele seiner Schüler ihn mit einem scharf gefassten Differenzkriterium gegen das frühe Judentum ausspielten: Als jesuanisch galt, was Jesus aus

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dem Judentum heraushob. Bultmanns Ausklammerung Jesu aus einer (entwickelten) neutestamentlichen Christologie erwies sich dabei als problematisch. Zur Begründung wurde oft 2 Kor 5,16 als Referenzstelle herangezogen. Doch wendet sich Paulus hier gegen die Art und Weise des Erkennens, nämlich nach dem Fleisch (adverbial), nicht aber gegen den irdischen Jesus. Es zeigte sich insgesamt, dass die Extrapolation Jesu aus der neutestamentlichen Christologie trotz aller methodischen Schwierigkeiten in vielerlei Hinsicht fragwürdig war, so dass seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Rückfrage nach dem »historischen« Jesus neu eröffnet wurde. Allerdings erwies sich dabei die Tendenz, Jesus gegenüber dem Judentum sowie auch gegenüber der späteren Zeit der Kirche zu isolieren, als weiterhin äußerst problematisch. Demgegenüber beachtet die durch den sogenannten »third quest for the historical Jesus« initiierte Forschung u. a. stärker Kriterien der Kohärenz und wirkungsgeschichtlichen Plausibilität historischer Annäherung (Theißen / Merz 2001: 21–31). Die älteste Jesusbewegung wird gegenwärtig intensiv als innerjüdische Erneuerungsbewegung erforscht. Jesus war ein besonderer, ein »radikaler« bzw. »marginaler« Jude (vgl. Meier 1991–2011 u. a.). In methodischer Hinsicht hat die Forschung der letzten drei Jahrzehnte zudem gezeigt, dass ein historisches »Suchen und Finden« unter modernen Bedingungen in den als »Quellen« betrachteten Evangelien und weiteren antiken Texten als naiv gelten muss; insbesondere sind im historischen Urteilen die Rahmenbedingungen der antiken Erinnerungskultur zu beachten. »Erinnerung« kann und darf nicht neuzeitlich-subjektiv konstruiert werden, sondern beschreibt eine transsubjektive Repräsentanz im Gedächtnis der frühen Christen und ihrer grundlegenden Dokumente.

2.2.  Anfänge und Kontexte Jesus stammte aus einer jüdischen Familie und trug einen jüdischen Namen; er bedeutet auf Hebräisch soviel wie »JHWH hilf(t)«. Dass Jesus Vorfahren im weit verzweigten Davidstamm besaß (vgl. Röm 1,3 f.), ist denkbar. Von Bedeutung ist die Einordnung Jesu in

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das zeitgenössische Galiläa. Jesus kam aus Nazaret, einem Ort, der so unbedeutend war, dass der frühjüdische Geschichtsschreiber Josephus, der Galiläa aus eigener Anschauung kannte, ihn in seiner Darstellung des Jüdischen Krieges nicht einmal erwähnt. Primärer Wirkraum Jesu war sodann das Umfeld des galiläischen Sees (Ka­ pharnaum, Chorazin, Betsaida, Dalmanuta u. a.). Zwar kann Galiläa aufgrund seiner Vorgeschichte in einzelnen Quellen als »Galiläa der Heiden« gelten (Mt 4,15 f. / Jes 8,23–9,1; vgl. 1 Makk 5,15). Doch darf man dies für die neutestamentliche Zeit nicht als Beschreibung ethnischer Identitäten der Bevölkerung auffassen. Galiläa war vielmehr seit der Wende vom 2. zum 1. Jahrhundert v. Chr. durch die Rejudaisierungsmaßnahmen der Hasmonäer zu einem überwiegend jüdischen Terrain geworden. Ausgangspunkt der Praxis und Verkündigung Jesu bot dabei zunächst die prophetische Gerichtsbotschaft Johannes des Täufers (vgl. Lk 3,7–9.16 f. par.). Dieser hatte – wie Jesus (vgl. Mk 1,16–20; Lk 9,57–62 par. u. a.) neben und nach ihm  – »Jünger«; zu ihnen zählte wahrscheinlich auch Jesus, der sich von Johannes taufen ließ (vgl. Mk 1,9–11 par.). Eine bleibende Kontinuität zwischen Jesus und Johannes zeigt sich im Umkehrruf (vgl. Mk 1,14 f.) und der prophetischen Gerichtsansage – vielfach unter Verwendung ähnlicher Metaphernfelder (vgl. Lk 6,43–45 par.; 13,6b–9; 17,23–37 par. u. a.). Der Täufer offerierte seine sündenvergebende Taufe als den einzigen Ausweg aus der unheilvollen Gesamtsituation Israels (vgl. Mk 1,4; Lk 3,3 par.). Die synoptischen Evangelien berichten nicht davon, dass Jesus die Taufpraxis des Johannes fortgeführt hat; historisch ist dies gleichwohl zu erwägen (vgl. Joh 3,22–24; 4,1). In den christlichen Quellen wird Johannes mehr und mehr (vgl. schon Mk 1,2 f.7 f.) die Rolle eines Wegbereiters und Vorläufers Jesu zugewiesen. Welche auslösenden Faktoren es dafür gab, dass Jesus sich zu Johannes an den Jordan begab und bald zu einem Wanderprediger wurde und ob es ein visionäres Berufungserlebnis gab (oft wird hierfür auf Lk 10,18 verwiesen), muss unsicher bleiben.

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2.3.  Wundertätigkeit und Ansage der Präsenz der Königsherrschaft Gottes Der vom Täufer bald differierende besondere Anspruch artikuliert sich zunächst in der dämonenbannenden und heilenden Praxis Jesu. Ausweislich aller frühen Quellen agierte Jesus als Exorzist und Therapeut. Neben den Instrumenten eines Dämonenbanners (Ausfahrbefehle u. a.) kommen manuelle Praktiken und volkstümliche medizinische Mittel wie Speichel bei Heilungen zum Einsatz (Mk 7,31–37; 8,22–26; Joh 9,1–7). Gebete zum Gott Israels spielen im Zusammenhang der Heilpraxis Jesu eine geringere Rolle. Dies bedeutet einen Unterschied zu frühjüdischen Wundertätern. Einige Wundererzählungen weisen auch in den Bereich schamanischer Kräfte, die Jesus in enger Interaktion mit natürlichen Abläufen bzw. diesen gegenüber souverän zeigen (vgl. Mk 4,35–41; 6,45–52 par. u. a.). Schon früh wird diese Wundertätigkeit Jesu insgesamt im Licht prophetischer Texte reflektiert. Besonders das Jesajabuch wirkt hier »christologiebildend« (vgl. Jes 26,19; 29,18 f.; 35,5 f.; 42,7.18; 61,1 f.; vgl. Mt 11,5 f. u. a.). Die von der Erzählüberlieferung zu unterscheidende Wortüberlieferung bestätigt, dass in der charismatischen Heilkompetenz Jesu ein Kernbereich der besonderen, Aufmerksamkeit und Widerspruch erzeugenden (vgl. Mk 3,22–30 par.) Praxis Jesu zu erkennen ist. Jesus selbst deutet das heilvolle Geschehen, indem er eine Beziehung zum Schlüsselbegriff seiner Verkündigung herstellt, nämlich der Königsherrschaft Gottes (Lk 11,19 f. par.). Die Evangelien schildern, wie mit dem Auftreten Jesu die Königsherrschaft Gottes selbst nahe kommt und sich Bahn bricht (vgl. Mk 1,14 f. par.; Lk  17,20 f. u. a.). Diese Rede vom Reich Gottes resp. der Königsherrschaft Gottes zeigt Jesus zunächst, sehr allgemein gesprochen, als ein Kind der hellenistisch-römischen Zeit und Welt. In ihr war die Monarchie die allgemein bestimmende Staatsform. Entsprechend stellte man sich nicht nur im Judentum Gott (bzw. Götter) metaphorisch als König(e) vor. Im Umfeld der Wirksamkeit Jesu konnten sich Königs-Vorstellungen dabei zunächst mit den lokalen jüdischen Klientelregenten verbinden. Insbesondere spielt das Haus des He-

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rodes in den Evangelien eine wichtige Rolle (vgl. Herodes Antipas in Mk 6,14–16; Lk 13,31–33; vgl. die Herodianer in Mk 3,6; 12,13 par. Mt 22,16). Demgegenüber rekurriert Jesus auf die theologischen Voraussetzungen und Implikate. So wie es u. a. die JHWHKönigspsalmen voraussetzen (Ps 47; 93; 96–99), setzt der Gott Israels selbst seine souveräne Königswürde herrscherlich durch. Dies wird nun gegenwärtig mit Macht erfahrbar. Jesu Rede von der Königsherrschaft Gottes ist also im Ansatz theozentrisch ausgelegt. Sie weist Berührungspunkte zur frühjüdischen Apokalyptik auf (siehe unten 6.1 zur Johannesoffenbarung). Die Gegenwart befindet sich an der Schnittstelle eines neuen Handelns Gottes an der Welt und seinem Volk bzw. Einzelnen in ihm. Man kann die Verkündigung Jesu ohne dieses eschatologische Vorzeichen nicht verstehen, wie es bereits anfangs des 20. Jahrhunderts Albert Schweitzer und Johannes Weiß gegen die uneschatologischen Jesusbilder der liberalen Theologie nachdrücklich gezeigt haben. In diesen eschatologischen resp. apokalyptischen Horizont sind z. B. die Seligpreisungen in Lk 6,20 f. / Mt 5,3-11 zu stellen: Glücklich, »selig«, sind die Armen, Hungernden und Weinenden nicht als solche, sondern weil Gott jetzt zu ihren Gunsten eintreten und ihr Geschick verwandeln wird. Die Königsherrschaft Gottes verweist jedoch nicht ausschließlich auf ein heilvolles Geschehen. Die Verkündigung und Praxis Jesu ist zugleich durch den Horizont eines kommenden Gerichtshandelns Gottes geprägt (vgl. sachlich Lk 22,30 par.). In diesen Zusammenhang gehört auch die in den Evangelien ausschließlich Jesus zugeschriebene Rede vom Menschensohn (siehe 4.2 zu Markus). Für Jesus ist insgesamt die Vorstellung konstitutiv, dass der uranfängliche Wille Gottes, wie er sich mit seinem Schöpfungswerk verbindet, nun endzeitlich heilvoll und qualitativ vollgültig zur Geltung gebracht wird. Vom Willen des Schöpfers her bemisst sich z. B. die Begründung der Feindesliebe (vgl. Mt 5,45b). Von diesem Einsatzpunkt beim schöpferischen Willen Gottes her ist auch Jesu Haltung zur jüdischen Tora zu verstehen. Das »ich aber sage euch« der Antithesen (Mt 5,21–48) argumentiert nicht schriftgelehrt aus der Tora, so wenig diese auch kritisiert wird. Von Jesu souveränem Anspruch her ergeben sich sowohl Forderungen, die die Auslegung

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der Tora verschärfen, als auch solche, die jenseits konkreter ToraGebote grundsätzlich neu ansetzen, so etwa im Fall der Ablehnung der Ehescheidung (vgl. Mk 10,1–9; Mt 5,32; ähnlich in Qumran). Der primäre Rückgriff auf die Schöpfung und ihre weisheitliche Erschlossenheit impliziert auch, dass die Praxis Jesu kulturelle, soziale und religiöse Grenzziehungen zu transzendieren vermag, die zeitgenössisch besonders von den Pharisäern verstärkt wurden. Deutlich wird dies z. B. an Jesu Kontakten zu aussätzigen und unreinen Menschen (vgl. Mk 1,40–45par.; Lk 14,1–6; 17,11–17 u. a.) und seiner Gemeinschaft mit Abgabenpächtern und Sündern (vgl. typisch: Lk 15,1–3).

2.4.  Zum Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu Jesus wurde in Jerusalem vom römischen praefectus Iudaeae / Prae­ fekt von Judäa Pontius Pilatus zum Tode verurteilt (Mk 15,1–5). Die Kreuzigungsstrafe, die nicht an römischen Bürgern vollzogen werden durfte, spricht als solche dafür, dass Jesus als politischer Aufrührer hingerichtet wurde. Er wird mit »Räubern« zusammen gekreuzigt – so bezeichnet Josephus die Zeloten (zum Ganzen: Kuhn 1982). Die Frage, inwieweit im Vorfeld des römischen Verfahrens jüdische Gruppen und Instanzen beteiligt waren, ist umstritten. Wahrscheinlich hat es ein formales Verfahren vor dem Jerusalemer Synhedrium so nicht gegeben, wie es in Mk 14,53–65 par. berichtet ist. Zugleich konnte die sogenannte »Tempelreinigung« Jesu (Mk 11,15 f.), mit der Jesus wahrscheinlich den Tempel zeichenhaft auf die nahe Ankunft Gottes vorbereiten wollte, und das unabhängig hiervon mehrfach bezeugte Tempelwort (Mk 14,58; 15,29 u. a.) eine aggressive Einstellung der Jerusalemer Kultaristokratie gegenüber Jesus fördern. Die Passionsgeschichten erzählen das Geschick Jesu in enger Anlehnung an das Schicksal des leidenden Gerechten. Von hier aus eröffneten sich für die ersten Jünger Interpretationsmodelle, die helfen konnten, Jesu Hinrichtung zu verarbeiten. Im frühen Judentum hat sich spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. eine Vorstellung ausgebildet, nach der Gott leidende und gewaltsam getötete Gerechte direkt nach ihrem Tod zu »erwecken« vermag (vgl. 2 Makk  7).

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Diese martyrologische Vorstellung ist in der ältesten Überlieferung eingebettet in ein reiches und vielfältiges Vorstellungsgefüge von Ostern (siehe Müller 1998). Man teilt die Stoffe in formelhafte und erzählende Ostertraditionen ein. Auch hier gilt (siehe unter 1.): Von den frühen Formeln her, die von Gott aussagen, dass er Jesus von den Toten auferweckt hat (Aussagesatz: Röm 10,9; 1 Kor 6,14; 15,15; partizipial formuliert: Röm 4,24; 8,11a.b.; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Kol 2,12), lässt sich nicht das neutestamentliche Osterzeugnis insgesamt entwickeln. Die Formeln sind u. a. bedeutsam, da sie festhalten: Die Auferweckungsaussagen gehören insgesamt nicht in das Feld der Anthropologie, d. h. sie antworten nicht auf die Frage: ›Wie kann ein Toter / ein Leichnam in dieses Leben zurückkehren?‹, sondern sie stellen das Osterbekenntnis in den Gravitationsbereich der Theologie. Unter den narrativen Traditionen ist besonders die Erzählung vom leeren Grab (Mk 16,1–8) in ihrem historischen Gehalt umstritten. Abgekürzt kann festgehalten werden, dass sich der Gesamtverbund frühchristlicher Osteraussagen aus dieser Tradition nicht (mindestens: nicht allein) entwickelt haben kann. Paulus erwähnt in 1 Kor 15 das leere Grab nicht, und nach Mk 16,8 kommt es vom Grab her nicht zur Osterverkündigung. Die sogenannten Erscheinungserzählungen der Evangelien lassen sich nach Einzel- und Gruppenerscheinungen differenzieren; in den Gruppenerscheinungserzählungen ergehen Aufträge an die Anhänger Jesu, die Geschichten haben eine legitimatorische Funktion (Mt 28,16–20; Lk 24,36–49; Joh 20,19–23). Die an einer Schnittstelle zwischen formularer und erzählender Ostertradition stehende Aussage, dass Jesus Petrus als dem ersten der Jünger »erschien« bzw. sich ihm gegenüber »sehen ließ« (vgl. 1 Kor 15,3–5; vgl. Lk 24,34), darf nicht neuzeitlich als »subjektive Vision« verstanden werden. Sprachlich weist die ­Formulierung in das Feld von Epiphanien bzw. Theophanien. Auch hier wird nochmals deutlich, dass es in den verschiedenen Kreisen der Osterüberlieferung nicht um ein anthropologisches Mirakel, sondern um die Frage des Handelns Gottes in der Geschichte geht.

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2.5.  »Implizite Christologie« Die Frage, inwieweit Praxis und Verkündigung des irdischen Jesus so etwas wie eine »implizite Christologie« zu erkennen geben, an der die nachösterliche(n) Christologie(n) kontinuierlich anschließen konnten, ist in der Forschung bis heute nicht konsensfähig gelöst. Eine historische Betrachtung muss zwei Extreme vermeiden: Zum einen bleibt das Postulat eines totaliter aliter / einer gänzlichen Andersartigkeit der Jesusdarstellungen des 20. Jahrhunderts unbefriedigend. Sollte der Wirksamkeit Jesu z. B. das Interpretament des »Gesalbten« (»Christus«) wirklich so inkommensurabel sein, wie seit Bultmann behauptet wurde (klassisch: Hahn 1995), so wird nicht mehr verständlich, warum sich diese Bezeichnung nach Ostern, dann auch als Eigenname verstanden, so rasch und breit durchgesetzt hat und auch den Ausgangspunkt für die Benennung der Anhänger Jesu bieten konnte (vgl. Apg 11,26; siehe insgesamt: Hengel / Schwemer 2001). Umgekehrt dürfen die Zäsur des Sterbens Jesu sowie der Neueinsatz der Osterereignisse nicht zu gering gewichtet werden. Sollte z. B. Jesus seine Jünger früh darauf vorbereitet haben, dass er nach Jerusalem ziehen wolle, um dort in stellvertretender Sühne sein Leben zu lassen (vgl. Mk 10,45; vgl. die Leidensansagen der Evangelien: Mk 8,31; Lk 24,26 u. a.), so droht die Gefahr, dass die tiefe Krise von Karfreitag, wie sie die ältesten Quellen mit der Tradition der Jüngerflucht, der Verleugnung des Petrus u. a. voraussetzen, harmonisierend eingeebnet wird. Das Modell einer »impliziten Christologie« Jesu hat die Aufgabe plausibel zu machen, wie nachösterliche Entwicklungen an die älteste Jesustradition anknüpfen konnten. Hierbei handelt es sich zugleich um Prozesse einer dynamischen Transformation; man könnte sagen: Ein »Deutungsüberschuss« wird aufgegriffen und neu gestaltet; »implizite Christologie« bedeutet dagegen nicht, dass das weitere Christuszeugnis als systematische »Explikation« der ältesten Jesustradition darzustellen wäre (zum Problem s. o. 1.). Jesu Praxis und Verkündigung sind von der Gewissheit einer ganz unmittelbaren Gottesbeziehung getragen (vgl. Lk 10,16; 11,2b par. u. a.); er versteht sich selbst als Agent des eschatologischen Gotteshandelns. In seinem Wirken setzt Gott seine könig-

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liche Herrschaft nicht erst in einer erwarteten Zukunft, sondern bereits »jetzt« durch. Von hier aus legte es sich nahe, dass seine Anhänger nach Ostern sein gesamtes Wirken bis hin zu seinem Tod als integralen Bestandteil und Ausdruck des endzeitlichen Handelns Gottes interpretieren konnten. Jesus konnte so als (eingeborener) »Sohn Gottes«, als sein singulärer Repräsentant und Stellvertreter, verstanden werden (vgl. 1 Thess 1,10; Röm 1,4; Gal 4,4; Mk 1,1.9–11; 9,7 u. a.). Hierbei konnte der universale Zug aufgegriffen werden, der in der Verkündigung Jesu, insbesondere in seinem Neuansatz beim Willen des Schöpfers, angelegt ist. Bald nach Ostern hat man die Vorstellung eines universal bedeutsamen neuschöpferischen Handelns Gottes in Christus eng mit dem Topos der Geistverleihung bzw. mit der christlichen Taufe verbinden können. In diesem Zusammenhang entstehen die frühen Begründungen für eine beschneidungsfreie Völkermission, welche die Voraussetzungen für das Missionswerk des Paulus darstellen. Spricht Jesus in seinen Gleichnissen von der Königsherrschaft Gottes in Bildern, die auf eine Dynamik des Wachstums hin angelegt sind (Mk 4,30–32; Lk 13,18–21 u. a.), so ist deutlich, dass er selbst seine Aufgabe auf Fortsetzung und Wachstum hin angelegt gesehen hat. Die dynamische Weiterentwicklung der Vorstellung vom universalen Heilswillen Gottes rekurriert allerdings schon bald nicht mehr ausdrücklich auf bestimmte Jesusworte. Insbesondere die Rede von der Königsherrschaft Gottes tritt im ältesten Christentum bald zurück. Gleichwohl kann man die vielfältigen neutestamentlichen Aussagen über eine himmlische Würde und Machtstellung Christi in eine sachliche Beziehung zur jüdischen Vorstellung der Königsherrschaft Gottes setzen: Diese ist nun nicht mehr unter Absehung von Jesus auszusagen und zu verstehen. Jesus selbst wird in ihre Machtsphäre funktional integriert. Man stellt sich, vielfach unter Rückgriff auf Ps 110,1 vor, dass Jesus in eine himmlisch-herrliche Machtposition (»zur Rechten Gottes«) eingesetzt wird (vgl. Röm 1,3 f.; 1 Kor 15,25; Eph 1,20.22 [Ps 8,7]; Hebr 1,13 u. a.). Er selbst gilt damit den frühen Christen als erhöhter »Herr(scher)«, als Kyrios (vgl. 1 Kor 8,6; Röm 10,9; vgl. Phil 2,9 u. a.). Ihm kommt damit dasjenige Attribut zu, das im griechischen Alten Testament den Gott Israels auszeichnet.

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Dass die im ältesten Christentum rasch und mit großer Dynamik entstehenden Deutungen der Person und der Bedeutung Jesu sich bald so vielfältig entwickelten und sich dabei von den Sprachformen des irdischen Jesus entfernen konnten, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen sind die Übergänge des werdenden Christentums von vorrangig jüdisch geprägten Gruppen in die nichtjüdische Sprach- und Vorstellungswelt zu beachten. Hier verbanden sich mit einzelnen Begriffen oder Vorstellungen z. T. ganz neue Bedeutungen (z. B. »Kyrios«, »Evangelium« etc.), andere Termini wurden dagegen unverständlich und kamen außer Gebrauch (z. B. »der Menschensohn«). Zum anderen machten die frühen Christen neue Erfahrungen mit ihrem erhöhten Herrn, die pneumatologisch begründet wurden. Erfahrungen der geistgewirkten, unmittelbaren Begegnung und Partizipation (vgl. z. B. Paulus in Gal 2,19f.) traten an die Stelle des »Mitseins« der Jünger mit dem irdischen Jesus.

3.  Der auferstandene Gekreuzigte als Integral der Liebe Gottes – Christologische Ansätze in den paulinischen Briefen 3.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Die Paulusbriefe bieten die ältesten zusammenhängenden literarischen Zeugnisse des Neuen Testaments, die Christusaussagen enthalten. Christologie ist in diesen Schriften Implikat einer je situationsgebundenen Korrespondenz. Die Paulusbriefe setzen sämtlich Adressaten voraus, denen Christus bereits verkündigt worden ist. D.h. sie stellen nicht so etwas wie »Christuspredigt« dar, sie besprechen und reflektieren vielmehr die konkreten soziohistorischen Probleme von Missionsgemeinden im Licht des Christuszeugnisses. Die brieflich-kommunikative Situationsbindung bleibt dabei zwar stets erhalten und erkennbar; zugleich ist aber trotz dieser Situationsgebundenheit von den Anfängen einer christologischen Lehre zu sprechen, in der in äußerst kreativer Weise Begriffe und Unterscheidungen entwickelt werden, die für die weitere Geschichte der Lehrbildung in zwei Jahrtausenden christlicher Kirchen- und Theologiegeschichte eminent wirkungs- und folgenreich geworden sind.

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Dieser Befund erschwert zugleich die Aufgabe der Darstellung, denn für ein angemessenes Verständnis der Christologie des Paulus muss man diese zugleich von ihrer späteren Wirkungs- und Auslegungsgeschichte unterscheiden. Die traditionelle deutschsprachige Paulusforschung des 20. Jahrhunderts verstand die christologischen Aussagen des Apostels im Licht der Theologie Martin Luthers. Abgekürzt gilt: Die paulinische Theologie ist nach dieser an Luther orientierten Sichtweise im Kern theologia crucis / Kreuzestheologie bzw. theologia crucifixi / Theologie des Gekreuzigten. Als das entscheidende Interpretament des Todes Jesu am Kreuz gilt die Rechtfertigungslehre. Nach dieser definiert sich Gott im Christusgeschehen so, dass er Menschen nicht nach ihren Leistungen, ihren »Werken«, beurteilt und als Sünder verurteilt (iustitia distributiva / strafende Gerechtigkeit), sondern diese vielmehr (allein) im Glauben an den auferweckten Gekreuzigten gnadenhaft und geschenkweise rechtfertigt (iustitia salutifera / heilschaffende Gerechtigkeit). Hierbei gilt das jüdische Gesetz, die Mosetora, als »Heilsweg« suspendiert. Christus ist nach dieser Sicht in seiner Bedeutung »Ende des Gesetzes«, insofern das Gesetz nicht nur Sünden hindert und aufdeckt, sondern den Menschen zu einem verfehlten Geltungsanspruch vor Gott verleitet. Diese Gesamtsicht bedarf – nicht zuletzt im Licht der jüngsten Fragerunde nach der Theologie des Paulus, der sogenannten »New Perspective on Paul« (hierzu Dunn 2005: 1–88 und passim) – der Modifikation, auch teils deutlicher Korrektur und Erweiterung.

3.2.  Der erhöhte Kyrios Christus gilt Paulus  – mit einem zu seiner Zeit bereits weit reichenden common sense im frühen Christentum – zuallererst als der erhöhte Herr (der »Kyrios«), dessen machtvolle Gegenwart es zu erfahren und mit der es zu rechnen gilt. Nicht erst einige sogenannte Spätschriften des Neuen Testaments, sondern bereits Paulus begreift diese Machtstellung des zu Gott erhöhten Christus so konsequent, dass er (freilich nicht oft) die Präexistenz dieses Herrn voraussetzen kann (1 Kor 8,6; vgl. 10,4; Phil 2,6–11). Möglichkeitsbedingung und sachlicher Grund dieser himmlischen und vorzeit-

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lich verankerten Würdestellung Christi ist die Auferweckung. Die Bandbreite entsprechender Osteraussagen bei Paulus ist sehr groß. Nach 1 Kor 15,25–28 herrscht der Auferstandene solange über die Welt, bis die widergöttlichen Kräfte unterworfen sind und Christus seine Herrschaft an Gott zurückgibt. Im Römerbrief stehen Osteraussagen im Hintergrund, wenn Paulus aufzeigt, wie die Gottesgerechtigkeit sich lebensweltlich bei den Christen Bahn bricht und erfahrbar wird. In gewichtiger Achterstellung führt Paulus in Röm 8,31–39 als conclusio / summierenden Abschluss der Ausführungen von Röm 5–8 einen Katalog von Schicksalserfahrungen und kosmischen Mächten an, die allesamt den Christen nichts mehr anhaben und sie von der Liebe Gottes trennen können, die dieser in Christus, im Heilsgeschehen seines Todes und seiner Auferweckung (Röm 8,34), als gültig erwiesen hat. Überblickt man die Bandbreite der Texte, so ist es im Ansatz problematisch, bei Paulus eine theologia crucis / Kreuzestheologie gegen eine theologia gloriae / Theologie der (Auferweckungs-)Herrlichkeit ausspielen zu wollen. Der crucifixus / Gekreuzigte ist für Paulus immer der resurrectus / der von Gott Auferweckte. Allerdings hält Paulus durchgängig fest, dass Ostern als Welten- und Zeitenwende gegenwärtig noch unter dem (seit Erik Peterson in der Forschung so genannten) »eschatologischen Vorbehalt« zu betrachten ist. Neben der Auferweckung bietet die Erwartung der Wiederkunft des Kyrios das zweite entscheidende christologische Datum (vgl. 1 Thess 1,10; Phil 3,20; vgl. 1 Kor 16,22 u. a.). Christen als Glaubende beziehen sich auf ihre Rettung darum im Modus der Hoffnung. So ist bei Paulus stets Widerspruch angezeigt, wenn das Christusgeschehen in einer Weise interpretiert wird, die diesen Vorbehalt überspringt und einen ungebrochenen Zugang zum vollen Heil bereits für die Gegenwart reklamiert und postuliert.

3.3.  Der Gekreuzigte – Zum Spektrum der Deutungen des Todes Jesu Wie zentral für Paulus das Geschehen des Sterbens Jesu ist, zeigt sich nicht nur an der Häufigkeit, sondern auch am Variantenreichtum, mit dem er es anspricht (insgesamt: Dettwiler / Zumstein 2002;

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Frey / Schröter 2005). Hier haben die verschiedenen Aussagen vom Ausgeliefertwerden, vom Dahingeben und Sterben Jesu ihren Ort. Dabei ist eine wesentliche Differenzierung notwendig, die in der älteren, von Luther her bestimmten Paulusforschung oft zu wenig beachtet wurde: Die ausdrückliche Rede nicht nur vom Sterben Jesu, seiner Selbsthingabe o. ä., sondern von seinem Tod am Kreuz findet sich bei Paulus nur in bestimmten, klar definierten Abschnitten seiner Briefe. Paulus spricht vom Kreuz nicht dort, wo er positive Aussagen über die Heilsbedeutung des Todes Jesu formulieren möchte. Der Kontext ist vielmehr zumeist kritisch bzw. polemisch. Die Kreuzestheologie ist – mit einem Ausdruck von William Wrede – eine »Kampfeslehre«. Paulus thematisiert das besondere Hinrichtungsmittel des Kreuzes vorrangig dort, wo er sich mit Gegnern auseinandersetzt oder Missstände in seinen Gemeinden korrigiert: a) Im Galaterbrief ist Paulus durch judaisierende Gegner herausgefordert, die nichtjüdischen Gemeindemitgliedern die Beschneidung abverlangen. In dieser Situation stellt Paulus die Unvereinbarkeit von Gesetz und Gnade Gottes heraus, indem er prononciert kreuzestheologische Aussagen einsetzt. Die Worte vom Kreuz rahmen so den Mittelteil des Briefes. Nach Gal 3,1, wo den galatischen Gemeinden Christus als der Gekreuzigte vor Augen gestellt wird, schließt die Verkündigung des Evangeliums die des Gesetzes aus. Der Abschluss des Zusammenhanges findet sich in Gal 5,11, wonach eine Verkündigung der Beschneidung das Ärgernis des Kreuzes beseitigen würde. Nach der zentralen Aussage Gal 3,13f. ist das Kreuz nicht der Ort des Fluches (vgl. Dtn 21,23), sondern die Quelle des Lebens. Damit hat Gott aber der Tora an zentralem Punkt nicht Recht gegeben. b) Ähnlich kritisch sind die Kreuzesaussagen im Schlussteil des 2. Korintherbriefs, wo Paulus sich mit konkurrierenden Missionaren, sogenannten »Überaposteln« (vgl. 2 Kor 11,5; 12,11), auseinandersetzt (2 Kor 13,4; vgl. 12,9 f.; 4,10). c) Im 1. Korintherbrief steht das »Wort vom Kreuz« im ersten Hauptteil kritisch in einem Zusammenhang, in dem Paulus die »Spaltungen« und Streitereien in der korinthischen Gemeinde behandelt (1,10–4,21). Die menschliche Wirklichkeit wird hier mit Bezug auf das Kreuz gegen den Augenschein interpretiert. Das

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Kreuz in der Verkündigung ist die Macht, die alle Verstehensmöglichkeiten des Menschen zerstört, die den Menschen entweder zum Geretteten oder zum Verlorenen macht (1,18–25). So kann das Wort vom Kreuz nicht Gegenstand der menschlichen Spekulation oder Weisheit sein, sondern in den Augen der Juden nur ein Ärgernis (»Skandal«) und in den Augen der nichtjüdischen Menschen nur Dummheit (1 Kor 1,23). Das Wort vom Kreuz steht gegen die Weisheit der Welt, gerade so aber entfaltet es seine »Macht« und bringt den Menschen in seiner Wahrheit ins Gericht.

3.4.  Rechtfertigung und Gottesgerechtigkeit Häufig verband sich die Darstellung der Rechtfertigungslehre des Paulus in der Forschung mit einer verzerrenden Sichtweise des Judentums und seines Toragehorsams. Dieses wurde als eine Werk- oder Leistungsreligion missverstanden; von dieser wurde dann Paulus als der quasi erste »Christ« abgesetzt. Dagegen gilt, dass Paulus mit seiner Bekehrung nicht von einem »Juden« zu einem »Christen« wurde; die jüdische Verwurzelung und Rahmung der paulinischen Christologie ist konsequent zu beachten. Paulus verdankte seine primäre religiöse Sozialisation dem pharisäischen Judentum (vgl. Phil 3,5 f.; vgl. Apg 23,6 u. a.), viele seiner christologischen Vorstellungen, z. B. seine Ausführungen zur Auferweckung Jesu, sind hiervon bleibend geprägt. Seine Sicht von der sündigen Situation des Menschen und der göttlichen Gnade findet in jüdischen Texten wie den Qumranschriften enge Analogien. Am entscheidenden Punkt des Gesetzesverständnisses hat Sanders gezeigt, dass die Gabe der Tora an Israel im Judentum innerhalb einer bestimmten »Religionsstruktur« interpretiert werden muss, die eng mit dem von Gott für sein Volk gesetzten Bund zusammenhängt (sog. »Bundesnomismus«; Sanders 1977). Das heilvolle Gemeinschaftshandeln und der Zuspruch gehen so der Forderung Gottes immer schon voraus. Die Tora ist eine Gabe an Israel, die allererst Leben ermöglicht, indem sie z. B. erlaubt, überhaupt zu unterscheiden, was richtig und was verkehrt (»Sünde«; »Schuld«) ist. Paulus kritisiert das jüdische Gesetz nicht, weil es faktisch (»quantitativ«) niemand halten konnte, und er lastet der Tora auch

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nicht an, dass sie den Menschen immer tiefer in die Sünde verstrick­ en würde, ja, dass ihr eine Sünden-produktive Funktion zukomme. Insgesamt wird nach Paulus in Christus das Gesetz nicht als ein anthropologisches »Leistungs«-Prinzip abgeschafft, wie es die existentiale Interpretation im 20. Jahrhundert verstand. Die Tora bleibt vielmehr für Paulus qua »Schrift« in Geltung. Das Gesetz selbst bezeugt so (zusammen mit den Propheten) die Glaubensgerechtigkeit, die Gott in Christus eröffnet hat, und läuft auf sie zu (vgl. Röm 3,21.31; Gal 4,21 u. a.). In dieser Richtung ist wohl auch die viel umstrittene Stelle von Christus als der »Ziellinie des Gesetzes« in Röm 10,4 (zur Diskussion der äußerst strittigen Stelle: Wolter 2011: 359–366) zu verstehen. Allerdings werden so die zum Teil sehr negativen Aussagen des Paulus über die Tora (vgl. 1 Kor 15,56; Gal 3,19 f.; Röm 5,20 f.; vgl. 2 Kor 3 u. a.) nur bedingt erklärt. Die »New Perspective on Paul« bringt sie primär mit der spezifischen Aufgabe des Paulus als Heiden-Missionar in Zusammenhang (siehe insgesamt zum Folgenden: Dunn 2005). Paulus stand vor der Aufgabe zu klären, wie NichtJuden zusammen mit jüdischen Menschen in einer (universalen) Kirche zusammenkommen und zusammenleben können. Im Blick auf diese Aufgabe beschreibt die Tora die entscheidende Barriere, insofern sie mit Israel als von Gott erwähltem Volk unablöslich verbunden ist und als dessen exklusive Gabe gilt. Die Tora definiert die Identität Israels, sie enthält spezifische Bestimmungen, die darauf ausgerichtet sind, »Heiden« von Israel zu separieren. Diese »Werke des Gesetzes«, d. h. solche Forderungen wie die der Beschneidung, des Sabbatgebots und der Speise- und Reinheitstora, mussten Paulus als Völkermissionar zum Problem werden. Die Lösung dieses Problems hat Paulus mit seiner Rechtfertigungslehre formuliert, die die »Werke des Gesetzes« als für die Glaubenden suspendiert bestimmt. Die eigentliche Sinnspitze ist damit die Gegenüberstellung der Gerechtigkeit Gottes bzw. seiner Rechtfertigung und der »Werke des Gesetzes«. Die beiden entscheidenden Aussagen finden sich in einem eng vergleichbaren Kontext in der propositio / Hauptthese des Galaterbriefes (Gal 2,16) sowie in Röm 3,28: Menschliche Rechtfertigung kommt demnach nicht aus bzw. ohne »Werke(n)

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des Gesetzes«, sondern durch Glauben (an Jesus Christus). Die sogenannte particula exclusiva / Exklusivpartikel »allein« – d. h. aus nichts anderem als aus Glauben an Christus – setzt Luther an dieser Stelle hinzu. Der Begriff steht hier im Griechischen nicht, wohl aber an der (von Luther wenig geschätzten) entsprechenden Stelle im Jakobusbrief (Jak 2,24). Die Exklusivpartikel trifft jedoch das, was Paulus sagen möchte. Nach der »New Perspective on Paul« sind die »Werke des Gesetzes« an diesen Stellen in erster Hinsicht auf die sogenannten »identity markers« resp. »boundary markers« zu beziehen, d. h. auf die Tora, sofern sie Juden von Heiden trennt. Dabei zeigt der jeweilige briefliche Zusammenhang jedoch, dass Paulus in der Gegenüberstellung von Gesetzeswerken und Glaube zugleich das Tun der Tora insgesamt meint, über die besonderen identitätskonstituierenden Gebote und den Aspekt der Separierung Israels von den Völkern (»boundary maintenance«) hinausgehend. – Das eine hängt unlöslich am anderen. Wie auch in der »New Perspective on Paul« selbst gesehen wird, löst Paulus an den entsprechenden Stellen nicht nur zufällige Lebensprobleme der frühen Christen. Es geht um die fundamentale und theologisch bedeutsame Frage der Einheit von Nichtjuden mit dem Volk Gottes. Das gesamte Sprachspiel der Rechtfertigung mit den zugehörigen forensischen (»der Gerichtssituation zugehörigen«) Begriffen wie Schuld / Sünde, Ankläger, Gesetz, Zeugen, Urteil etc. wird schon im Galater- und Philipper-, vor allem aber im Römerbrief zu einer Lehre über die Situation des Menschen coram Deo / vor Gott, die das Christusgeschehen in seiner universal von der Macht der Sünde und des Zorns freisprechenden und freimachenden Wirkung plausibilisiert. Von Luther her kommend war die Frage, ob es sich bei der »Gerechtigkeit Gottes« um einen »objektiven« (bzw. »relationalen«; 2 Kor 5,21; vgl. Phil 3,9) oder einen »subjektiven« (bzw. »auktorialen«) Genitiv handelt (vgl. Röm 1,17; 3,5.21 f.[25 f.]; 10,3), in der Forschung des 20. Jahrhunderts umstritten. »Gerechtigkeit« ist für Paulus dort, wo es um das Reden von Gottes Handeln geht, zuerst ein Gemeinschaftsbegriff, der auf die Frage antwortet, woher man das Leben und seine Ordnung empfängt. »Gerechtigkeit« zielt bei Paulus – jüdisch gedacht (vgl. z. B.

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Ps 98,2; Jes 56,1; vgl. in den Lobliedern aus Qumran: 1QH XIV 15 f. u. a.) – auf eine heilvolle Gemeinschaft, die nur Gott herstellen (und die er auch wieder aufkündigen) kann. Dies ist an der Geschichte Gottes mit seinem Volk zu lernen; zugleich richtet sich der Begriff in seinen eschatologischen (»apokalyptischen«; s. u. 6.) Konnotationen über geschichtliche Erfahrungen hinaus auch auf die Zukunft: Die Frage lautet, wie der Einzelne, aber auch die Menschen insgesamt vor dem Gericht Gottes bestehen werden, wenn alle – gemessen am Maßstab der Tora und über sie hinaus – sündig und darum dem Zorn Gottes anheimgestellt sind (vgl. Röm 1,18–3,20). Nach dem Römerbrief gibt es hier auf Seiten der Menschen keine Möglichkeiten mehr. Darum spricht Paulus im Römerbrief (vgl. noch 2 Kor 5,21) anders als im Galaterbrief nicht vorrangig von der Rechtfertigung des Menschen und der Gerechtigkeit, die ihm durch das Christusgeschehen im Glauben geschenkt wird, sondern von der Gerechtigkeit Gottes, d. h. seiner eigenen Gemeinschaftstreue, die er im Christusgeschehen durchsetzt und die dann allein im Glauben an Christus anzueignen ist.

3.5.  Zur Versöhnungsvorstellung Bereits vor Paulus hat man den Tod Jesu als stellvertretende Sühne interpretiert. Der hiermit verbundene Vorstellungskreis ist umstritten und in seinen Profilgrenzen nicht klar (zum Hintergrund siehe den Punkt 4.5 von Markus Witte in diesem Band). Grundsätzlich sollte man sich vergegenwärtigen: Der »Sühne«-Begriff verweist nicht aus sich selbst auf ein kultisches Geschehen (vgl. Lev 4 f.; 16), und Leiden und »Sterben für« können im hellenistischen Judentum auch nicht-kultisch verstanden sein (vgl. 2 Makk 7; 4 Makk 6). »Sterben für« kann so auch im Sinn der Stellvertretung begriffen sein: Jemand stirbt an der Stelle von anderen / einem anderen, die / der ansonsten vom Tod betroffen wären. Stellvertretende Sühne zielt in einer umfassenderen Weise auf das Aufbrechen eines SündeUnheil-Zusammenhanges (vgl. insgesamt: Röhser 2002). Von Aussagen der Sühne, der Stellvertretung und des Loskaufs (vgl. 1 Kor 6,20; 7,22 f.; Gal 3,13; 4,5) ist bei Paulus die Vorstellung der »Versöhnung« abzusetzen. Der Versöhnungsbegriff ist dabei

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noch nicht wie in der späteren systematischen Theologie ein Oberbegriff für das rettende Handeln Christi insgesamt: Er besitzt eine relativ begrenzte und unverwechselbare Funktion. Er begegnet nur in 2 Kor 5,17–21 sowie in Röm 5,1–11 (vgl. unter den Paulusschülern: Kol 1,20.22; Eph 2,16). Im Hintergrund der Versöhnungsmetaphorik stehen die Vorstellungswelt und Sprache der hellenistischen Diplomatie (insgesamt: Breytenbach 1989). Das von Paulus gewählte Substantiv und Verb weisen in den Bereich versöhnender Handlungen im familiären, sozialen und politischen Bereich, wobei ein Gesandter vermittelt. Von Hause aus wäre demnach »Versöhnung« ein nicht religiös besetzter Begriff und insbesondere nicht mit einem kultischen Geschehen zu verbinden (vgl. anders Hofius 1989: 1–14,33–49). Entscheidend ist jedoch vor allem, was analog oben zur Rechtfertigung in Auseinandersetzung mit der »New Perspective on Paul« bereits festgestellt wurde: Bei Paulus geht die Versöhnungsvorstellung nicht in einem ethischen oder soziologischen Theorem auf. Es geht im Kern nicht nur darum, dass menschliche Gruppen miteinander versöhnt werden und förderlich miteinander leben können. Es geht auch nicht darum, dass Gott von Menschen (durch ein Opfer) versöhnt werden müsste, wie es erst im Zusammenhang mit einer späteren dogmatischen Satisfaktionslehre postuliert werden konnte. Dagegen handelt es sich bei Paulus um ein von Gott selbst in Kraft gesetztes Geschehen, durch das sich Gott in Christus mit der Welt resp. den Menschen versöhnt hat (2 Kor 5,19a). Durch Gottes eigenes Versöhnungshandeln ist im Christusgeschehen etwas Neues und Ganzes entstanden, das Paulus »neue Schöpfung« (2 Kor 5,17) nennt. Über diese eschatologische »neue Schöpfung« informiert die Verkündigung des Apostels nicht nur. Vielmehr wird sie in der Verkündigung als Wort der Versöhnung selbst Realität.

3.6.  Zur Christologie der Schüler des Paulus Unter den Schülern des Paulus hat man seine christologische Konzeption in etwas späterer Zeit weiter durchdacht und neu akzentuiert. Im Kolosserbrief werden die göttliche Potenz Christi und

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seine universale Macht noch stärker betont. Christus ist der Kos­ mokrator, der das »All« durchdringt, der schon bei der Schöpfung beteiligt war (vgl. Kol 1,15–20). Die damit verbundene Präexistenzvorstellung erhält eine prominentere Position als bei Paulus (vgl. 1 Kor 8,6). Im Epheserbrief wird die Christologie dann stärker als bei Paulus auch auf die Ekklesiologie hin reflektiert. Die »Kirche« wird im Rückblick auf die Entwicklungen der frühen Christenheit selbst Teil des Planes Gottes, seines gerechten Willens; sie wird in das christologisch konstituierte Heilsgeschehen eingebunden. Sie erscheint als die leibhafte, im Kreuzestod und in der liebevollen Selbsthingabe (vgl. Eph 5,2.25) konstituierte Gestalt Christi in der Geschichte (vgl. Eph 2,14–18). Christus geht dabei in der »Kirche« nicht auf, er bleibt ihr als »Haupt« ein Gegenüber. Die »Kirche« ist auf Pflege und Ernährung durch das »Haupt« angewiesen und muss noch wachsen (vgl. Eph 4,15 f.). Christus liebt die »Kirche«, nicht weil sie heilig ist, sondern um sie heilig zu machen (Eph 5,26 f.).

4.  Der leidende Menschensohn – Die narrative Christologie des Markusevangeliums 4.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Der Evangelist Markus ist der Erste im frühen Christentum, der die Geschichte Jesu in einer Erzählung zusammenhängend darstellt. Mit dem narrativen / erzählerischen Charakter der Christologie der Evangelien und auch der Apostelgeschichte als Erzählung vom Fortgang des Christuszeugnisses hat insbesondere die redaktionsgeschichtliche Forschung im 20. Jahrhundert zu wenig gerechnet. Erzählungen wollen nicht nur informieren, sie lassen sich nicht auf bestimmte lehrhafte Sätze reduzieren, sondern sie wollen als ganze wirken und ihre Leserschaft prozesshaft verändern. Eine innovative Erzähltechnik des Markus besteht besonders darin, dass er in der Gestalt der Jünger als Erzählfiguren Platzhalter für seine Leserschaft schafft. Die Leserinnen und Leser können »christologisch« mitsehen, mithören und mitlernen. Ihre Erwartungen werden korrigiert. Es geht ihnen in lesender Identifikation wie den Jüngern. Sie sitzen

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z. B. in Mk 8,13–21 mit Jesus in einem Boot und verstehen gleichwohl nicht. So wie Petrus (vgl. Mk 8,29–33) missverstehen sie die Messianität Jesu und versagen im Angesicht seines Leidens. Die Leser lernen so auch, von den ersten Jüngern in christologischen Fragen Abstand zu gewinnen. Die gesamte Erzählung wird, nicht zuletzt unterstützt durch die vielen Fragen im Text (vgl. Mk 1,27; 2,7.9.18 f.; 4,40 f.; 8,17–21.27–29 u. a.), zu einer dynamischen Fragebewegung danach, wer Jesus eigentlich ist und was es heißt, in seine Nachfolge einzutreten.

4.2.  Lehrer – Christus – Sohn Gottes – Menschensohn Im Markusevangelium begegnen einige Bezeichnungen wiederholt, in denen sich die Bedeutung Jesu narrativ verdichtet. Diese in der älteren Forschung sogenannten »Hoheitstitel« sind konsequent im Kontext der Erzählung zu interpretieren. In der erzählten Welt des Markusevangeliums ist Jesus zunächst ein jüdischer Lehrer (vgl. Mk 4,38; 5,35; 9,17.38 u. v. a.), der Schüler (»Jünger«) hat. An drei bzw. vier Stellen wird Jesus auch »Rabbi« (Mk 9,5; 11,21; 14,45; vgl. »Rabbuni« in 10,51) genannt. Doch geschieht dies jeweils in einem Kontext, in dem es nicht zu einem adäquaten Verstehen Jesu kommt. Zum Lehrer tritt der Prophet: Die markinische Christologie ist stark von prophetischen Zügen bestimmt. Die Wundererzählungen z. B. erschließen sich teilweise von der Elia-Elisa-Überlieferung her. Generell gilt der Beziehung zwischen Jesus und Elia im zweiten Evangelium besondere Aufmerksamkeit (vgl. Mk 6,15; 8,28; 9,11–13 / Mal 3,23 f.; vgl. das Missverständnis des letzten Wortes Jesu am Kreuz in Mk 15,34 f.). Markus findet in seiner Erzählung eine ­eigenständige Lösung für ein Problem, das sich der frühchristlichen Theologie mit der jüdischen Elia-Erwartung seit je stellte: Weder ist die Ankunft des Elia erst in der Zukunft zu erwarten, noch war Jesus der wiederkehrende Elia, wie nach Markus viele Menschen glauben. Vielmehr ist Elia in der Sicht des Markusevangeliums ­bereits gekommen, und zwar in der Gestalt Johannes des Täufers. »Christus« (nur in Mk 1,1; 8,29; 9,41; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32)

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ist bei Markus ein theozentrischer Ausdruck. Wenn Markus vom »Gesalbten« erzählt, geht es ihm vorrangig darum, Aussagen über Gott und sein planvolles und schöpferisches Handeln in der Geschichte zu treffen. Das Attribut steht zwar am Anfang des Evangeliums in Mk 1,1, ist aber nicht das letzte Wort des Markus in Sachen Christologie. Petrus ist die Erzählfigur, die in Mk 8,29 als erste das Wissen der Leserschaft einholt, dass Jesus der Christus ist. Dieses messianische Bekenntnis des Petrus erweist sich jedoch als defizitär, da es am Leiden Jesu und seinem Kreuz vorbeigeht. Auch sonst bleibt die Christus-Bezeichnung mit ihren verschiedenen Konnotationen im Markusevangelium ambivalent. Wer »Christus« sagt, hat Jesus noch nicht verstanden. So kennt das Markusevangelium keine genealogische Verbindung Jesu mit dem Haus des großen »Gesalbten« David. In Mk 11,1–11 zeigt sich beim Einzug nach Jerusalem, dass davidische Kategorien zu Fehlinterpretationen Jesu führen (vgl. auch Mk 12,35–37). Im Vergleich zum Christus-Attribut hat die Rede von einem »Sohn Gottes« ein erheblich weiteres Bedeutungsspektrum. Es ist ein traditionsgeschichtlich vieldimensionaler Begriff, der auch narrativ sehr unterschiedlich eingesetzt wird. Nicht nur der Erzähler (Mk 1,1), sondern auch Gott (Mk 1,11; 9,7), die Dämonen (Mk 3,11) und ein heidnischer Centurio unter dem Kreuz (Mk 15,39) erkennen in Jesus einen Sohn Gottes resp. den Sohn Gottes. Alttestamentliche und frühjüdische Hintergründe beeinflussen die Vorstellung (vgl. vom König: 2 Sam 7,14; vom Frommen: Weish 2,18); zugleich spielen Konnotationen aus der nicht-jüdischen Welt eine Rolle. Markus weiß, dass eine Leserschaft, die nicht aus jüdischem Kontext stammt, ebenfalls »Göttersöhne« kennt. Der heidnische Centurio in Mk 15,39 formuliert etwas für die Leserschaft bleibend Gültiges; zugleich handelt es sich – vor Ostern – nach Markus nicht um ein qualitativ vollgültiges Christusbekenntnis; auch hier beachtet Markus die Mehrdimensionalität der Vorstellung von einem Gottessohn: Auch ein Römer kann so reden. Nur Jesus selbst spricht in den Evangelien vom Menschensohn. Im zweiten Evangelium verweist die schwer verständliche Rede vom Menschensohn im Vergleich zu anderen Christusprädikaten auf den einzig unmissverständlichen »Titel« für Jesus. Nach dem

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Markusevangelium teilt man die Menschensohnworte der synoptischen Evangelien in solche a) vom gegenwärtig Wirkenden (vgl. Mk 2,10.28 par. u. a.), b) vom künftig zum Gericht Kommenden (vgl. Mk 8,38; 13,26; 14,62 par. u. a.) sowie c) vom Leidenden, Sterbenden und Auferstandenen (vgl. Mk 8,31; 9,9.12b.31; 10,33; 14,21.41; vgl. 10,45 – par.) ein. Vor allem die Worte vom gegenwärtig in Vollmacht Wirkenden sowie vom Leidenden sind gegenüber der älteren Überlieferung eigenständig gestaltet. Der enge Konnex von Menschensohn und Kreuz ist dabei nach Markus keineswegs so zu verstehen, dass damit allein die Niedrigkeit des Menschensohnes betont würde. Die Menschensohntitulatur steht auf ihrem jüdisch-apokalyptischen Hintergrund (vgl. unten 6.1) vielmehr im Schnittfeld von Gericht, Leiden und Hoheit. Sie hält immer auch fest, dass Jesus der eschatologische, von Gott selbst gesandte Souverän ist. Die Geschichte von einem Gekreuzigten besitzt damit engsten Bezug zur eschatologischen Welt Gottes.

4.3.  Wundertätigkeit, Leiden und Tod Jesu Das Markusevangelium ist in seiner ersten Hälfte ein Wundergeschichtenbuch (zur Bedeutung der Wunder s. o. 2.3.). Wo Jesus auftritt, schwinden die Dämonen und enden Krankheit und Unheil. Die Wunder werden nicht von der Lehre oder von Kreuz oder Leiden her kritisiert, wie man in der älteren Forschung teils behauptet hat, sie dienen vielmehr positiv der Darstellung eschatologischen Heils, das in Jesus in die Welt eingebrochen ist und das dermaleinst die ganze Welt erfassen soll. Zugleich ist jedoch deutlich, dass das christologische Bekenntnis, das von der Evidenz der heilenden und exorzistischen Praxis Jesu allein ansetzt, insuffizient bleibt. So gestaltet Markus den Weg Jesu und der Jünger nach Jerusalem planvoll als einen Lernweg in das Leiden hinein (vgl. Mk 8,34–37; 9,35; 10,38–45). In der Passionsgeschichte (vgl. oben 2.4) wird das unbegreifliche Geschick des gewaltsamen Todes Jesu nicht in der Weise als Heils­ ereignis interpretiert, wie es bei Paulus der Fall ist (siehe 3.; vgl. in den Einsetzungsworten Mk 14,24 / Ex 24,8). Im Vordergrund steht das Bestreben, das Sterben Jesu auf den Willen und Plan Gottes

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zurückzuführen, indem es mit Hilfe des alttestamentlichen Motivs vom leidenden Gerechten gedeutet wird. Zur Deutung werden die sogenannten Leidenspsalmen herangezogen, insbesondere Ps 22 und Ps 69 (vgl. Mk 15,24 / Ps 22,19; Mk 15,29a / Ps 22,8; Mk 15,34 / Ps 22,2 u. a.). In solchen Bezügen soll deutlich werden, dass Gott selbst hinter dem schwer fassbaren Geschehen steht. So wird die Passionsgeschichte zur Geschichte der von Gott selbst gewollten Dahingabe des Menschensohnes.

4.4.  Auferstehung, neue Schöpfung und das »Messiasgeheimnis« Das Markusevangelium kennt in seinem ursprünglichen Schluss (Mk 16,1–18) eine Angelophanie / Engelerscheinung, aber keine Christophanie / Christuserscheinung. Die später in den Großevangelien begegnenden Erscheinungserzählungen haben im ältesten Evangelium kein Widerlager. Markus stellt so sicher, dass nicht die Evidenz des leeren Grabes oder der Erscheinungen, sondern vielmehr der Glaube an Jesus der bleibende Grund christlicher Existenz ist und dass Auferstehung nicht als ein innerweltlich verifizierbares und visualisierbares Geschehen erscheint, sondern vielmehr als Neuschöpfung und der Anfang einer neuen Geschichte in einer durch Gott transformierten Welt zu interpretieren ist. In Mk 16,6 steht das »er ist nicht hier« kritisch gegenüber allen zeitgenössischen Verifikationen messianischer Ansprüche (vgl. Mk 13,6.21–23). Ein »hier ist er« ist innerweltlich nicht auszurechnen, das »Ende« ist ganz und gar kontingent – so stellt es v. a. die Endzeitrede in Mk 13 heraus. »Hier ist er« kann man erst sagen, wenn der Menschensohn dann tatsächlich kommt (vgl. Mk 13,25 f.). Die Schlussepisode dient gerade dazu, vom Grab weg auf die durch das Grab nicht beendete Geschichte Jesu zu verweisen. Diese wird nicht zuletzt in der eigenen Leidensexistenz immer wieder neu real. Das Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes (Mk 1,1), wird nur durch die gelebte Christologie, durch die Praxis des eigenen Dienens und des eigenen Kreuzweges eingeholt. Die Vielfalt der Befunde der eigenartig verhüllend-enthüllenden markinischen Christologie hat klassisch William Wrede auf den Be-

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griff des Messiasgeheimnisses gebracht (Wrede 1901). Von Wrede ist diese »Theorie« dabei zunächst als Lösung eines historischen Problems verstanden worden: Bereits die den Evangelien vorausliegende frühchristliche Traditionsbildung vermittele zwischen dem unmessianischen Selbstverständnis Jesu und dem messianischen Bekenntnis der Gemeinde nach Ostern. Wredes Beobachtungen spielen nach wie vor eine Rolle, werden heute aber anders gewichtet und zugeordnet. Stärker als Wrede dies sah, stehen im Hintergrund der reservierten Haltung des Markusevangeliums gegenüber dem Christus-Anspruch die zeitgeschichtlichen Ereignisse des Jüdischen Krieges (vgl. Mk 13,6.21–23).

4.5.  Akzente der matthäischen und lukanischen Christologie Die Erzählentwürfe des Matthäus und des Lukas basieren zwar literarisch auf dem zweiten Evangelium, bieten jedoch sehr eigenständig konturierte christologische Positionen. Auch hier dürfen die Unterschiede nicht allein auf die benutzten Quellen und Überlieferungen zurückgeführt werden, so bedeutsam es auch ist, dass beide Großevangelien die prophetisch-weisheitlichen Traditionen der Spruchquelle Q zusätzlich aufnehmen. Manche Akzentverschiebung verfolgt bei beiden eine ähnliche Richtung. So wird z. B. das bei Markus durch die zeitgeschichtlichen Umstände belastete Christus-Bekenntnis bzw. die Aussage der Davidsohnschaft nun in biblischen Dimensionen vertieft und damit positiv rezipierbar. Der erste Evangelist beginnt gleich im ersten Vers mit der Aussage der Davidsohnschaft; und Matthäus wie Lukas akzentuieren das davidische Messiassein Jesu sowohl mit einem Stammbaum (Mt 1,1–17; Lk 3,23–38) als auch mit dem Geburtsort Bethlehem (Mt 2,6 / Mi 5,1.3; Lk 2,4). Matthäus und Lukas zeigen in Ansätzen ein stärkeres biographisches Interesse; sie beginnen mit Geburt und Kindheit Jesu und enthalten eine Aussage über die Jungfrauengeburt. Bei Matthäus wird diese mit einem Erfüllungszitat aus Jes 7,14 verknüpft (Mt 1,22 f.). Im Text ist dabei noch keine Jungfräulichkeit bei und nach (virginitas in partu; virginitas post partum), sondern lediglich vor der Geburt (virginitas ante partum) vorausgesetzt. Jenseits bzw. diesseits solcher späterer dogmatischer

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Unterscheidungen ist sowohl bei Lukas als auch bei Matthäus die Jungfrauengeburt als eine vom Geist gewirkte Geburt (Lk 1,35; vgl. Mt 1,20) zu verstehen; d. h. es soll ausgesagt werden: Hinter der Zeugung Jesu steht Gott selbst mit seiner lebensschöpferischen Kraft (vgl. Röm  1,3 f.). Lukas schreibt nicht nur ein Evangelium, sondern auch eine Apostelgeschichte. Dies bedingt, dass er die Frage der Kontinuität von Jesuszeit und Zeit der Kirche viel stärker beachten muss. Für Lukas zentral ist dabei weniger als bei Paulus der Tod Jesu, sondern vor allem die Erhöhungsvorstellung (vgl. Apg 1,22; 2,32–36; 13,30 u. a.), die er als einziger neutestamentliche Schriftsteller in eine Erzählung umgesetzt hat: Die Himmelfahrt Jesu verklammert die Jesuszeit mit der Zeit der Kirche (vgl. Lk 24,50–53; Apg 1,9–11). Jesus verwirklicht seine davidische Messianität, indem er seinen Platz als Erhöhter zur Rechten Gottes eingenommen hat. Derart ist Jesus für Lukas »Retter« / »Heiland« (Lk 2,11; Apg 5,31 u. a.). Zusätzlich hat Lukas die aktive Rolle des Geistes in der Geschichte Jesu und der Kirche erheblich ausgestaltet. Dabei wahrt Lukas strikt die Theozentrik der gesamten Jesusgeschichte. Grundsätzlich kommt jüdisches Denken darin zum Tragen, wenn z. B. die Wunder Jesu als eigentlich von Gott getan gelten (vgl. z. B. Apg 2,22). Das Matthäusevangelium erzählt weniger als Lukas vom Fluchtpunkt der Auferweckung / Erhöhung Jesu her. Vielmehr ist das MitSein Jesu mit seiner Gemeinde bis zum Ende der Zeit entscheidend (vgl. die inclusio / Ringkomposition zwischen Mt 1,23; 28,20; siehe insgesamt: Luz 1993). Jesus wirkt lehrend und Wunder tuend als davidischer Messias mitten in Israel, das ihn jedoch zunehmend ablehnt. In Aufnahme und Weiterentwicklung der markinischen Vorstellung vom Lehrer gilt Jesus als derjenige, in dessen Wirken die Tora zu ihrer Erfüllung kommt. Von seinen Jüngern verlangt er entsprechende »Gerechtigkeit«. Viel stärker als bei Paulus ist damit der Gerechtigkeits-Begriff im ersten Evangelium ethisch orientiert (vgl. den Prolog der Antithesen in Mt 5,17–20). Dem entspricht die starke Betonung der Gerichtsvorstellung, wie sie besonders in der Gleichnis- und Endzeitrede Jesu Ausdruck erhält (vgl. Mt 13,30.47– 50; 21,40–44 u. a.; 24 f.).

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5.  Der einziggeborene Sohn als Gesandter des Vaters – Zur konsequenten Christozentrik des Johannesevangeliums 5.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Darstellungen der johanneischen Christologie verfallen meist selbst in ein »Johanneisieren«. Dies hängt mit der Wirkmacht des johanneischen Soziolektes, insbesondere der zahlreichen Metaphern wie »Vater« und »Sohn« bzw. der Dualismen wie »Licht« und »Finsternis«, »Wahrheit« und »Lüge« und »Liebe« und »Hass« zusammen (vgl. zur johanneischen Bildersprache: Zimmermann 2004). Konsequent wäre dem in der Textbeschreibung nur zu entgehen, wenn die sogenannte johanneische Frage gelöst wäre – was gegenwärtig nicht der Fall ist (vgl. den Überblick: Becker 2004). Oft spricht man in der Forschung von der »hohen Christologie« der johanneischen Schriften. Umgekehrt wurde der Versuch unternommen, die johanneische Christologie als »antidoketisch«, d. h. also gerade die Niedrigkeit und Menschheit Jesu besonders betonend (vgl. Joh 1,14: »das Wort wurde Fleisch«), zu verstehen. Beide Linien sehen etwas Richtiges. Insgesamt hält Johannes beides, die eschatologische Herrlichkeit, die in Jesus erkennbar wird (vgl. Joh 2,11 u. a.) und die aus der Herrlichkeit der Präsenz bei Gott resultiert (vgl. Joh 17,5), sowie die Vorstellung der Inkarnation zusammen. Doch können spätere Interpretamente wie »Doketismus« den besonderen Ansatz verdunkeln. Einseitigkeiten im Zugang sind zu vermeiden, denn der johanneische Entwurf bietet wie die Synoptiker eine vielschichtige und facettenreiche Erzählung. Diese gründet innerhalb des Frühchristentums bereits in einem fortgeschritteneren Reflexionsstadium.

5.2.  Der Logos und das christologische Zeichensystem des vierten Evangeliums 1. Das vierte Evangelium will von seinem Prolog her gelesen werden (Joh 1,1–18). Alle weiteren Aussagen über Christus stehen unter dem Vorzeichen dieses Metatextes (siehe Theobald 1988). Das tatmächtige Wort Gottes, der »Logos«, wird mit Christus identifiziert.

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Christus als dem neuschöpferischen Wort Gottes werden dabei göttliche Potenz (vgl. Joh 1,18), himmlische Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft (Joh 1,3) zugeschrieben. Die bereits früh im ältesten Christentum begegnende Präexistenzaussage (vgl. 1 Kor 8,6; 10,4; Phil 2,6; vgl. später Kol 1,15–20; 1 Petr 1,20; Hebr 1,1–3 u. a.) gewinnt in der johanneischen Konzeption entscheidendes Gewicht. In einer singulären Weise kommt Jesus in göttlicher Vollmacht immer schon von Gott, d. h. johanneisch: von seinem »Vater« her. Die Erzählung ist von Joh 1,19 an im Licht des Prologes Selbstauslegung des »Logos«. Sie steht unter dem Vorzeichen des Schöpfungswirkens Gottes an der »Welt« (sc. dem Kosmos). 2. Unter dem Vorzeichen des Prologs erfährt die Jesusgeschichte im vierten Evangelium eine konsequente christologische Zen­ trierung. Zwar beginnt Johannes wie die synoptischen Evangelien mit dem Täufer und endet mit der Passion Jesu und Ostergeschichten. Das Corpus der Erzählung ist aber, trotz mancher Entsprechungen und Berührungspunkte (vgl. z. B. Joh 2,13–22 mit Mk 11,15–17 par. oder Joh 4,46–54; mit Lk 7,1–10 par. u. a.), erheblich anders organisiert. Die Stoffe und Vorstellungen werden dabei christologisch neu durchdrungen: a) Die Geschichte Jesu ist die einer Offenbarung, die zunächst vor der »Welt« erfolgt (bis Joh 12) und dann vor den Jüngern als den »Freunden« Jesu. Der Offenbarungsvorgang wird erzählerisch auf die feste »Stunde« der Rückkehr zum »Vater« (s. u. 5.3.) zentriert (vgl. Joh 7,30; 8,20; 13,1; 17,1 u. a.). b) Der »Menschensohn«, der in seiner Bedeutung im vierten Evangelium deutlich zurücktritt, wird in die christologische Gesamtkonzeption integriert. In Joh 3,13–16 (vgl. 8,28; 12,34) wird er mit der Aussage der himmlischen Provenienz, der Erhöhungsvorstellung und dem einziggeborenen »Sohn«, der ewiges Leben vermittelt, verbunden. c) Alttestamentliche Figuren werden auf Christus bezogen (Mose, Abraham, Jakob) und auch der Tempel und die jüdischen Feste werden auf ihn ausgerichtet. d) Die Wunder werden als »Zeichen« aufgefasst (Joh 2,11.18.23; 3,2; 4,48.54 u. v. a. bis 20,30), die konsequent auf die Bedeutung Jesu hin entschlüsselt werden wollen. Sie bilden damit einen spezifi-

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schen Konnex von Glauben und Erkennen in der johanneischen Theologie ab. Das Lebensangebot Jesu erweist sich nur insofern als wirksam, als es im Glauben und Verstehen ergriffen und begriffen wird. An den »Zeichen« vollzieht sich bei Johannes die diakritische Differenzierung der »Seinen« von anderen, die sich trennen, resp. von »den Juden« und von der »Welt«. e) Analoges gilt für die Bilderreden, in denen Jesus im von Dualismen geprägten Soziolekt des vierten Evangeliums seine Sendung thematisiert. f) Die christologische Neugestaltung wirkt sich bis in die Pneumatologie hinein aus. Der Heilige Geist wird Teil des christologischen Zeichensystems. Dies geschieht in der Gestalt des Parakleten (Anwalts / Trösters), der den Jüngern als Beistand zugesagt wird. Dabei übernimmt der Paraklet in der Gegenwart konsequent und präzise diejenigen Funktionen, die auch Jesus selbst zukommen (vgl. Joh 14,16 f.26; 15,26; 16,8.13). Der als Paraklet begriffene Geist wird zum dynamisierten Christus praesens / gegenwärtigen Christus.

5.3.  Die Sendungs- bzw. Parabelchristologie des vierten Evangeliums Das sachliche Zentrum johanneischer christologischer Aussagen markiert die Vorstellung der Sendung Jesu durch Gott (»seinen Vater«) in die Welt (vgl. Joh 4,34; 5,23 f.30.37; 6,38 f.44 u. a.), aus der er zu diesem zurückkehren wird. Ursprung der Sendung ist dabei derjenige Ort, den der Prolog anfänglich gezeigt hat: Die himmlische präexistente Machtposition Christi. Jesus steigt vom Himmel herab (vgl. Joh 3,13–17; 6,38 f.42–44 u. a.), er ist der »von oben her Kommende« (Joh 3,31). Als Mandatar seines »Vaters« repräsentiert Jesus diesen in seinen Taten qualitativ vollgültig (vgl. Joh 3,35 f.; 5,36 u. a.). Die Rückkehr in den Himmel zum »Vater« erfolgt bei Johannes vom Kreuz her im Akt der Erhöhung. Von hier aus werden Tod und Auferstehung als Erhöhung einander stark angenähert (vgl. Joh 8,28; 12,32.34 u. a.). Doch fallen Kreuz und Erhöhung auch bei Johannes nicht ganz zusammen. Zeichnet man diese Gesamtbewegung graphisch nach, so lässt sie sich als Parabel darstellen (darum auch: Parabelchristologie).

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Mit der Sendung Jesu in die Welt vollzieht sich eine Scheidung. Zwei grundsätzlich alternative Verhaltensweisen gegenüber Jesus sind möglich. Mit der Annahme seines Wortes ist bereits gegenwärtig (»ewiges«) »Leben« eröffnet (Joh 5,24; 11,25 u. a.; vgl. anders 5,28 f.; 6,39 f.44.54; 12,48). Insofern ist der »Sohn« gesandt, damit die »Welt« gerettet werde (vgl. Joh 3,17). Faktisch wird er jedoch abgewiesen und es ereignen sich »Finsternis« und »Tod«. Diese Alternative wird jedoch nicht ontologisch bzw. metaphysisch-substanzhaft begründet, wie es die spätere Gnosis versteht. Auch »die Juden«, von denen das vierte Evangelium immer wieder stereotyp spricht, bilden kein finsteres Unheilskollektiv (vgl. Joh 8,31; 11,45; 12,11; vgl. auch 1,45; 3,1 f.; 4,22). Der vollmächtig gesandte »Sohn« äußert sich im vierten Evangelium immer wieder in »Ich bin«-Aussagen. Die »Ich bin«-Worte (Joh 6,35.48.51; 8,12; 10,9.11; 11,25; 15,1 u. a.) sind u ­ nterschiedlicher Provenienz und werden narrativ verschieden eingesetzt und gewichtet. Im einen Fall kann stärker die Ausschließlichkeit des »ich« betont sein (vgl. Joh 14,6); im anderen Fall ist die Metaphorik als solche fokussiert und der Akzent liegt auf der soteriologischen Entfaltung (vgl. Joh 6,35: Brot des Lebens; 8,12: Licht der Welt). Man hat diese Sprüche traditionsgeschichtlich als Präsentationsformeln des gesandten Boten verstanden (vgl. Tob 12,14–18; Mischna Berachot 5,5: »Der Sendbote eines Menschen ist wie dieser selbst«; vgl. 2 Kor 5,20). Doch werden in ihnen weder der Name des Gesandten noch die Sendung als solche ausgesagt. Wahrscheinlicher ist demgegenüber, dass das johanneische »Ich bin« einen Sprachgebrauch der Septua­ ginta aufnimmt (vgl. Dtn 32,39; Jes 41,4; 43,10 f.25; 46,4; 48,12). Dieser gibt eine Verbindung zum Namen Gottes in Ex 3,14 zu erkennen (»Ich werde sein, der ich sein werde«). Ähnlich wie in der Johannesoffenbarung (vgl. Apk 1,8; 21,6; siehe unter 6.) wird diese Offenbarungsformel bei Johannes von Gott auf Christus übertragen.

5.4.  Die bleibende Theozentrik der johanneischen Konzeption Nach johanneischer Vorstellung hat Jesus als gesandter »Sohn« seine Herkunft (Joh 3,13; vgl. den Prolog) und Bestimmung (vgl. Joh 6,62 u. a.) im Himmel. Als Präexistenter und Erhöhter parti-

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zipiert er an der Gottheit Gottes (vgl. Joh 1,18; 17,5). Es ist darum konsequent, dass nicht nur dem »Vater«, sondern auch dem »Sohn« göttliche Verehrung (vgl. Joh 5,23) zukommt. In einer Spitzenaussage setzt dies die Episode vom ungläubigen Thomas um, der im Angesicht des Auferweckten ausruft: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28). Die johanneische Christologie wird an diesem Punkt in der Erzählung als Gefährdung für das jüdische Axiom der Einzigkeit Gottes konstruiert (siehe zum »Monotheismus« den Abschnitt 4.4.2 im Artikel von Markus Witte in diesem Band). Jesus wird mit dem Blasphemie-Vorwurf konfrontiert (Joh 10,30–33; vgl. 5,18; 6,42 u. a.). Es ist wahrscheinlich, dass die Erzählung an dieser Stelle transparent für eine religionshistorische Konfliktkonstellation wird. Auch wenn man die immer noch in der Forschung vertretene enge Verbindung des johanneischen »Aposynagogos« / Synagogenausschluss (Joh 9,22; 12,42 und 16,2) mit Jamnia bzw. der Einführung der birkat ha-minim / Ketzersegen im Rahmen des jüdischen Achtzehn-Bitten-Gebetes als solche in Frage ziehen muss, ist sehr wahrscheinlich: Die johanneische Erzählung reagiert auf BlasphemieVorwürfe von jüdischer Seite. Das vierte Evangelium kontert solche Vorwürfe, indem es immer wieder darauf verweist, wer eigentlich hinter Jesus als dem Gesandten steht, nämlich niemand anders als Gott. Die Mandatschristologie stellt theo- bzw. patrozentrisch die funktionale Unterschiedenheit von »Vater« und »Sohn« sicher. Der »Vater« bleibt im vierten Evangelium im Vergleich zum »Sohn« der semper maior / immer Größere (vgl. Joh 10,29).

6.  Die priesterliche Konzeptualisierung der Bedeutung Jesu im Hebräerbrief 6.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Als »Gesalbter« kann in den biblischen Schriften nicht allein der König gelten; vielmehr werden Salbungspraxis und die verschiedenen mit ihr verbundenen Vorstellungen von Auszeichnung, Reinigung, Heiligung und Beauftragung / Ermächtigung auch auf den

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Hohepriester (vgl. Lev 4,3.5; 6,15; 8,12; 21,10; Ex 29,7; Num 35,25) bzw. auf die Priester generell (vgl. Ex 28,41; 30,30 u. a.) oder auch kultische Gegenstände (vgl. Num 7,1 u. a.) übertragen (vgl. hierzu den Beitrag von Markus Witte in diesem Band [dort 4.5. und 4.6.1.]). Im antiken Judentum kann die (eschatologische) Erwartung einer messianischen Rettergestalt entsprechend nicht allein »royal«, sondern auch mit priesterlichen Zügen konnotiert sein, wobei eine trennscharfe Unterscheidung der Vorstellungen kaum durchführbar ist. In Qumran findet sich die Vorstellung eines königlichen sowie eines priesterlichen Messias (vgl. 1QS IX 11 u. a.; vgl. Sach 4,12). In den in ihrer Endgestalt christlichen Testamenten der zwölf Patriarchen kann der priesterliche Messias aus dem Stamm Levi der Vorstellung des königlichen Messias aus dem Stamm Juda vor- und übergeordnet werden. Der Hebräerbrief schlägt hier, anschließend an antikjüdische Voraussetzungen, einen eigenständigen Weg ein, indem er Christus nicht primär in Kategorien des aaronitisch-levitischen Priestertums einschreibt (vgl. Hebr 5,4 f.), sondern vielmehr im Anschluss an entsprechende Diskussionen im frühen Judentum (vgl. 11Q 13 u. a.) mit der Ordnung des Priestertums Melchisedeks verbindet (Hebr 5,6.10; 7,11.17.21; 8,1–6; 9,11 / Ps 110,4). Strukturell geschieht hier etwas Ähnliches wie in der paulinischen Christologie und Soteriologie: Greift Paulus auf den Glauben Abrahams vor der Gabe des Sinaigesetzes zurück (Gen 15,6 im Galater- und Römerbrief), so sieht der Hebräerbrief das wahre Priesteramt nicht mit der Kultgesetzgebung am Sinai begründet, sondern bereits in Gen 14,18–22. Melchisedek als eltern- und stammbaumloser Priester (Hebr 7,3) nimmt so den ewigen Dienst des präexistenten Christus vorweg. Die entsprechenden Aussagen über ein »priesterliches Amt« Jesu sind dabei im Hebräerbrief in ein weites Spektrum weiterer alttestamentlicher und insbesondere kultischer Referenzstellen und Vorstellungen eingebettet. Sie wirken in sich sehr geschlossen, sind jedoch als Teil einer »Rede der Ermahnung« (Hebr 13,22) zugleich eng auf die Situation der Adressaten abgestimmt. Christologische Aussagen brechen immer wieder in Mahnungen um, die sich an eine in ihrer Glaubenspraxis ermüdende Leserschaft richten (vgl. Hebr 2,1–4; 3,1–6; 5,11–6,20 etc.).

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6.2.  Jesus als himmlischer Hohepriester Im exordium (Hebr 1,1–4) schließt der Hebräerbrief an der Vorstellung Jesu als qualitativ vollgültigem eschatologischem Gotteswort (vgl. Joh 1,1–18), dem Bekenntnis zu seiner himmlisch-herrscherlichen Stellung in Folge der Erhöhung sowie auch der These der Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft (vgl. Kol 1,15–20) an, formiert solche Aussagen jedoch in sehr eigenständiger Weise, wenn die Erhabenheit Jesu über die Engel fokussiert ist (vgl. Hebr 2,5–18) und sich mit der Präexistenzaussage bereits die für Christologie und Soteriologie des Briefes grundlegende These kultischer Reinigung von den Sünden verbindet (Hebr 1,3). In der besonderen und innerhalb des Neuen Testaments einzigartigen (vgl. in den Apostolischen Vätern: 1 Clem 36,1; 61,3; 64,1 – wahrscheinlich auf der Basis der Kenntnis des Hebr) Konzeptualisierung Jesu als Hohepriester wirkt sich insgesamt das Ziel einer Verhältnisbestimmung zwischen »altem Bund« und »neuem Bund« aus. Hierbei werden die Ordnungen des »alten Bundes« e­ inerseits vom durch Gott neu gewirkten Heilshandeln her e negativo ­kritisch beleuchtet. Das »frühere Gebot« erscheint aufgehoben; das Gesetz war zur Vollendung insuffizient (Hebr 7,18 f.). Andererseits kann die besondere priesterlich-metaphorische Christologie des He­ bräerbriefes nur auf der Grundlage eines ­Überbietungsdenkens in Geltung gebracht werden (a minore ad maius), welches den »­alten« Ordnungen Dignität zuerkennt. So wird z. B. in Hebr 3,1–6 C ­ hristus einerseits metaphorisch als Erbauer des »Hauses Gottes« dem Mose klar gegenübergestellt; andererseits bedeutet dies k­ eine ­völlige De­ pravierung, insofern Mose in Gottes ganzem Haus »treu« »als Diener« war (vgl. Num 12,7LXX). Strukturell ist diese b ­ esondere Mischung aus deutlichem Kontrast und positiv a­ nschließender Überbietung mit den Ausführungen des Paulus in 2. Korinther 3 zu vergleichen. Der Blick richtet sich dabei im Hebräerbrief vor allem auf die Ebene der übergeschichtlich-jenseitigen Welt Gottes. Diese beschreibt die Bühne für die entscheidenden Taten Christi. Für die priesterliche Christologie des Hebräerbriefes ist es darum auch kein Problem, dass Jesus selbst nicht einem priesterlichen Stamm entstammt (Hebr  7,13 f.).

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Traditionsgeschichtlich erinnern die Aussagen über die übergeschichtlich-jenseitige Welt im Hebräerbrief an Vorstellungen der frühjüdischen Apokalyptik (siehe unten 7.), die von einem himmlischen Raum ausgehen, in welchem transhistorisch resp. vorgeschichtlich die entscheidenden Heilsgüter von Gott bereitgehalten werden. So gibt es im apokalyptischen Judentum etwa die Vorstellung, dass Jerusalem als Gottesstadt bereits protologisch gegründet wurde und im Himmel verborgen von Gott konserviert wird; die Zerstörung des irdischen Jerusalem und des Tempels – insbesondere die Katastrophe von 70 n. Chr. – kann so abgefangen und verarbeitet werden. Im syrischen Baruchbuch (syrBar 4) wird die himmlische Stadt bereits Adam vor dem Sündenfall gezeigt. Auch Abraham – in der Situation von Gen 15 bei einem urtümlichen Opferritus – sowie Mose durften die himmlische Stätte bereits schauen. In Anklang an die in Ex 25,9.40 berichtete Situation kommen kultische Konnotationen ins Spiel; die Rede vom »Abbild des Zeltes« verweist auf eine innovative Dimension, die den Vorgang vom irdischen Tempelkult deutlich abgrenzt (vgl. Hebr 9 zu dem nicht mit Händen gemachten Heiligtum, in welches Jesus ging). Eine entsprechende Vorstellung der Himmelsstadt setzt auch der Hebräerbrief voraus (vgl. Hebr 11,10; 12,22; 13,14), verbindet sie allerdings mit weiteren Anschauungen, welche apokalyptische Texte transzendieren. Innerhalb des hellenistischen Judentums stehen dem Denken des Hebräerbriefes vor allem Vorstellungen nahe, wie sie im Schrifttum Philos von Alexandria begegnen und die dem – traditionsgeschichtlich allerdings schwer zu beschreibenden – Mittelplatonismus zuzuordnen sind. In diesen Zusammenhang gehört die Konzeption eines klar konturierten Gegenübers von sichtbarer, veränderlicher, vergänglicher irdischer Welt und unsichtbarer, konstanter und zeitlich nicht limitierter himmlischer Heimat (vgl. Hebr 9,23; 11,3.13; 12,22–29; 13,14 u. a.). Die irdische Wirklichkeit erscheint lediglich als Schatten der himmlischen Realität (Hebr 8,5; 10,1). Entsprechend ändern sich im Vergleich zu den biblischen Texten die Funktionsbestimmungen und Deutungen priesterlichen Handelns (zu Hebr 4,14–5,10 vgl. Philo, SpecLeg I 82–97; 230; II 164; Somn I 214–216; Fug 106–118

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u. a.; zu Melchisedek: Philo, LegAll III 79–82; Abr 235–246; Congr 99 u. a.). Insgesamt folgt aus dem besonderen Fokus auf der himmlischen resp. »ewigen« Welt als Raum der Generierung von Heil und Beheimatung christlicher Hoffnung im Hebräerbrief die Akzentuierung der Erhöhung Christi. Die Erhöhung bildet die Möglichkeitsvoraussetzung für den Dienst Jesu als »treuer Hohepriester« vor Gott. Der Kreuzestod Jesu wird innerhalb des entsprechenden Metaphernfeldes vom – nunmehr ein für alle Mal abgegoltenen – Sühnopfer her ausgelegt (vgl. Hebr 7,27; 9,28; 10,10.12.14). Diese besondere, von der Erhöhungsvorstellung her ansetzende Opferkonzeption bedingt, dass Jesus im Hebräerbrief im Unterschied zur Menschheit als sündlos beurteilt werden kann, ja muss (Hebr 4,15; 7,26 f.). Innerhalb der Logik seiner metaphorischen Welt gelangt der Hebräerbrief mit der These der Sündlosigkeit Jesu zu einer Konsequenz, die ansonsten im Neuen Testament nicht zentral ist und erst in späteren Texten (vgl. die Taufe Jesu nach dem Hebräerevangelium; Hieronymus, Contra Pelag. III 2) an Bedeutung gewinnt. Im Unterschied zum irdischen Hohepriester, welcher für seine eigenen Sünden Opfer bringen muss (Hebr 5,1–3), vermag Jesus als sündloser himmlischer Hohepriester in das himmlische Heiligtum einzutreten und ein wahres Opfer zu vollbringen, welches ein für alle Mal (Hebr 7,27; 9,12; 10,10) Heil wirkt (vgl. Hebr 5,1–10; 7,26; 9,11.24 u. a.). Der Hebräerbrief bringt dieses »ein für alle Mal« zugleich mit der Bundesvorstellung zur Sprache. Jesus wird zum Mittler des neuen Bundes, welcher allein bleibendes Heil zu realisieren vermag (vgl. Hebr 8,6–13; 10,15–18.29; 12,24 u. a.). Auch die vom priesterlichen Opfer für die Sünden des Volkes her ansetzende Christologie des Hebräerbriefes ist – wie die neutestamentlichen Christologien insgesamt – im Kern soteriologisch orientiert. So bleibt in produktiver Spannung zur singulären Funktion Jesu als Hohepriester die These seiner »Gleichheit« / »Ähnlichkeit« mit den »Brüdern« (Hebr 2,17; vgl. 4,15; 5,7 f.) für die Gesamtkonzeption zentral. Für die Christen wird Jesus so zum »Anführer der Rettung« (Hebr 2,10) bzw. zum »Anführer und Vollender des Glaubens« (Hebr 12,2). Seine zentrale Funktion ist es, ihnen die übergeschichtliche Welt in einer unverstellten und unbelasteten Nähe

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zu Gott zu eröffnen (vgl. Hebr 5,9: »Urheber ewiger Rettung«); er ermöglicht es ihnen, ihrerseits in das himmlische Heiligtum einzutreten (Hebr 10,19–22), resp. den Zugang zur »Stadt des lebendigen Gottes« (Hebr 12,18–24).

7.  Apokalyptische Christologie in der Johannesoffenbarung 7.1.  Hermeneutische Vorbemerkung Jeder Versuch, die bildhafte Christologie der Johannesoffenbarung zu verstehen, muss bei der Frage ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Apokalyptik ansetzen. Der Begriff »Apokalyptik« ist ein Metabegriff der neuzeitlichen Forschung, der erst vom christlichen Text der Offenbarung (Apk 1,1) her gewonnen wurde. Er wird herkömmlich in einem doppelten Sinn verwendet, zum einen für ein literarisches Phänomen, zum anderen aber für eine dahinterstehende Vorstellungswelt. Unter die Besonderheiten der Apokalyptik als geistesgeschichtliches Phänomen werden ein zeitlicher und ein räumlicher Dualismus gezählt: Eine alte Weltzeit kommt an ihr Ende, Gott führt eine neue herauf. Der Geschichtsplan wird durch Offenbarung einem Einzelnen bekannt gemacht, der diesen in kritischer Situation einer Gruppe offenlegt – verschlüsselt in Bildern und Erzählungen  –, die damit stabilisiert und zum Durchhalten in den letzten Tagen der bösen Weltzeit ermuntert werden kann. Die Einzelelemente dieser Weltsicht und ihrer literarischen Ausgestaltung sind freilich in ihrer Zugehörigkeit zu einem Gesamtphänomen Apokalyptik nach wie vor umstritten. Bei allen diesbezüglichen Unsicherheiten ist die christologische Konzeption der Johannesoffenbarung, die ihrem Selbstanspruch nach auf eine Offenbarung Jesu Christi an den Seher Johannes zurückgeht (vgl. Apk 1,1; 22,16), in einen entsprechenden literarisch-konzeptionellen Horizont einzutragen. In ihrem visionären Erzählcorpus kommt z. B. der Unterscheidung eines himmlischen und eines irdischen Raumes eine ungleich tragendere Bedeutung zu als in den übrigen neutestamentlichen Schriften. Der irdische Raum erscheint dabei in der letzten Phase der alten Weltzeit, die

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rasch auf ihr Ende zuläuft (vgl. das »siehe, ich komme bald«; Apk 3,11; vgl. 2,16; 22,7.12.20), als Ort der Auseinandersetzung mit dem Teufel als widergöttlicher Macht. Die Leserorientierung ist dabei zunächst affirmativ: Der gesamte erzählte Geschehensablauf ist von der Gewissheit des Sieges Christi und der Seinen getragen. Dies stellen vor allem die hymnischen Abschnitte sicher, die in die Folge von visionären Erzählzusammenhängen eingeblendet werden (vgl. Apk 7,10–12; 11,15–18; 12,10–12; 15,3 f.; 19,1–8 u. a.). Zugleich ist die Textpragmatik stabilisierend und immunisierend ausgelegt: Die Leserschaft soll sich insbesondere gegen die Versuchungen und Gefährdungen des Kaiserkultes in Kleinasien behaupten.

7.2.  Das »Lamm« im endzeitlichen Drama Vom 4. Kapitel an folgt die mit brieflichen Formelementen eröffnete Offenbarung in ihrem »apokalyptischen« Hauptteil einem konsequenten Erzählplan. Der Seher wird in den himmlischen Thronsaal entrückt, womit der Ort bezeichnet ist, von dem aus die kommenden Ereignisse gelenkt werden. In der Vision des 5. Kapitels wird Christus in seine Funktion innerhalb des eschatologischen Fahrplans eingesetzt. Christus, der in der Visionserzählung einem »Lamm« gleicht, empfängt von der Gestalt auf dem Thron das Buch, welches das Heils- und Gerichtskonzept Gottes beinhaltet. Dieses dem folgenden visionären Geschehen zugrunde liegende Konzept wird von dem »Lamm« in Gang gebracht, indem es die sieben Buchsiegel öffnet. Die theriomorphe / tiergestaltliche Christusmetapher des »Lammes« findet sich in der Offenbarung 29 Mal (die Rede vom »Christus« dagegen nur 9 Mal). Sie hat sühnetheologische, ekklesiologische und herrscherlich-hoheitliche Implikationen. Das »Lamm« wird vom Erzähler vor Gottes Thron gezeigt »wie geschlachtet« (vgl. Apk 5,6; vgl. 5,9.12; 13,8; vgl. 7,14 vom »Blut des Lammes«). Die Märtyrer tragen den Namen des »Lammes« und Gottes auf ihrer Stirn; als solche sind sie im Lebensbuch verzeichnet (Apk 13,8; 17,8; 20,12). Dabei ist das »Lamm« nicht nur ein Bild für die Niedrigkeit Christi, sondern es symbolisiert zugleich die hoheitliche Repräsentanz Gottes. Schon in der Thronsaalvision wird es

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mit den Würdeattributen des Löwen aus dem Stamm Juda und der Wurzel Davids in Verbindung gebracht sowie ferner mit sieben Hörnern und sieben Augen ausstaffiert (Apk 5,5 f.) – Chiffren der souveränen Macht. Die theriomorphe / tiergestaltliche Christologie ermöglicht dem Verfasser zugleich die Ausarbeitung der fundamentalen »apokalyptischen« Opposition: Das »Lamm« kontrastiert mit der Ausübung der Herrschaft durch das andere Tier (Apk 12,18–13,10) bzw. das ihm huldigende Wesen, in dem wahrscheinlich die imperiale Priesterschaft Kleinasiens symbolisiert ist (Apk 13,11–17; 16,13 f.; 19,20). Nach der dem Geschichtsverlauf Struktur verleihenden Öffnung des Buches in der Thronsaalvision tritt Christus in der Erzählung zunächst in den Hintergrund. Dies ändert sich, wenn ab Apk 19,11 Christus vom Erzähler aktiv an der Durchsetzung des Endgeschehens beteiligt wird. Die theriomorphe Metaphorik tritt dabei zunächst zurück, wenn im finalen Verbund der Visionserzählungen berichtet wird, dass Satan für tausend Jahre gefesselt wird, so dass nach einer ersten Auferstehung ein messianisches Zwischenreich auf Erden beginnen kann (Apk 20,6). Die zweite Auferweckung verbindet sich mit dem Weltgericht, worauf der visionäre Ausblick auf den neuen Himmel und die neue Erde mit ihrer Herrlichkeit, besonders das neue Jerusalem, folgt. Am Ende steht die Zielperspektive, dass Gott selbst bei den Menschen wohnen wird und diese sein Volk sein werden.

7.3.  Die Theozentrik der Johannesoffenbarung Über die theriomorphe Metaphorik des »Lammes« hinaus finden sich in der Offenbarung verschiedenste Aussagen über ein aktives Handeln Christi. Schon in der Eingangsdoxologie Apk 1,5b.6 wird Christus als der gepriesen, »der uns geliebt hat und erlöst aus unseren Sünden durch sein Blut«; die Christen sind durch ihn in die Würde von Priestern eingesetzt (vgl. Apk 5,9 f.; vgl. 1 Petr 1,2.19 u. a.); ebenso begegnet auch die Vorstellung vom Los- bzw. Freikauf durch Christus (Apk 5,9 f.; 14,4 f.). Königlich-messianologisch ist die Vorstellung, dass der Christus die Völker »mit eisernem Stab weiden« wird (Apk 12,5; 19,15 / Ps 2,9 u. a.). Den entscheidenden Akt

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im christologischen Drama beschreibt dabei die Auferweckung / Erhöhung Christi. In Apk 1,18 hält Christus die Schlüssel des Todes und des Hades, d. h. er hat in seinem Tod nicht nur den Zugang zur Unterwelt eröffnet, er hat vielmehr ihre Herrscher entmachtet. Jesus ist der Bezwinger des Todes, insofern ist er Erster und Letzter (vgl. Apk 2,8). Zwar ist also durchaus von einer aktiv-souveränen Rolle Christi im erzählten endzeitlichen Geschehen zu sprechen. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Theozentrik der Christologie der Johannesoffenbarung. Christus erscheint dem Gott Israels, der der Pantokrator (»All-Beherrscher«) ist, deutlich nach- und untergeordnet (vgl. Apk 3,5; 5,6 f.13; 6,16; 7,10; 15,3 u. a.). Der Anfang und das Ende (vgl. Apk 1,8; 21,6; anders: 22,13; vgl. Jes 48,12 u. a.) liegen bei Gott als dem Schöpfer, der die Welt erlösen wird.

8.  Zur Frage nach Kohärenzen im neutestamentlichen Christuszeugnis Angesichts der im einleitenden Abschnitt (1.) benannten Probleme ist deutlich, dass am Ende nicht so etwas wie ein neutestamentliches christologisches »Grundcredo« stehen kann. Die verschiedenen Schwierigkeiten, Kohärenz im in sich komplexen und vielfältigen Christuszeugnis der neutestamentlichen Schriften durch historische oder theologische Postulate zu erzeugen, wurden benannt. Andererseits kann und darf aus historischen und theologischen Gründen nicht auf die Frage nach Kohärenzen verzichtet werden. U.a. verknüpft sich diese Frage mit Impulsen, die in den neutestamentlichen Schriften im Blick auf das Desiderat eines verbindenden inhaltlichen Profils selbst gesetzt werden (vgl. Eph 4,1–16 u. a.). Auf die Frage der geschichtlichen Entwicklung gesehen, lautet ein wesentliches Ergebnis: Neutestamentliche Christologie beginnt nicht (allein) mit Niedrigkeitsäußerungen über Jesus, vielmehr stehen schon sehr früh am Beginn dezidierte Souveränitäts- und Hoheitsaussagen. Diese werden zuerst mittels jüdischer Vorstellungen und Sprachmittel formuliert. Historisch muss man die die ältere Forschung oft leitende Auffassung in Frage ziehen, nach der im

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zeitgenössischen Judentum im Himmel neben dem einzigen Gott keine weiteren Positionen und Funktionen zu vergeben waren. Es ist darum äußerst problematisch, wenn man den frühchristlichen Texten eine christologische Entwicklungslinie unterstellt, nach der Jesus Gott und seiner himmlischen Welt erst spät angenähert worden wäre. Vielmehr zeigt sich: Bereits in den frühesten neutestamentlichen Texten begegnet etwa die Präexistenzvorstellung (vgl. 1 Kor 8,6). In neuer Weise sind dann im ältesten Christentum die Aussage der Auferweckung Jesu und die Erhöhungsvorstellung, die eine Einsetzung in eine himmlische resp. göttliche Machtfunktion impliziert, eine engste Allianz eingegangen. Schon früh wird Jesus in den Gottesdiensten der ältesten Christen als himmlischer Kyrios / Herr angerufen und erhält damit den Namen, der im Alten Testament dem Gott Israels zukommt (vgl. Phil 2,9–11). Der Glaube an den einen Gott ist damit nicht mehr vom Glauben an Christus und sein Handeln zu lösen. D.h. insgesamt: Eine Modifikation der Gottesvorstellung durch die Christologie ist in den Quellen bereits früh und breit angelegt. Zugleich gilt, dass die neutestamentlichen Schriften insgesamt nie den Rahmen der fundamentalen Theo- bzw. Patrozentrik verlassen; grundsätzlich wird das erste Gebot nicht in Frage gestellt, vielmehr immer vorausgesetzt: Der Gott Israels ist als der Vater Jesu Christi der semper maior / immer Größere, und er bleibt für die frühen Christen stets der deus unus / der eine und einzige Gott. Auch die in sich vielfältige Metaphorik der Sohnschaft Jesu bleibt dabei – bei allen Graden der Variation – immer relational gedacht und wird nicht als metaphysisch-seinshafte Partizipation am Göttlichen verstanden. Auch dort, wo Präexistenz oder Schöpfungsmittlerschaft Christi ausgesagt werden, bleibt die Kraft Christi stets eine abgeleitete, unterschiedene. Dies gilt auch für das vierte Evangelium, welches in der Forschung bisweilen als diakritischer Text behandelt wird, mit dem die Wege zwischen Juden und Christen in puncto Dei unius / in Hinsicht auf die Frage der Einzigkeit Gottes auseinandergegangen seien (siehe 5.4). In späteren altkirchlichen Distinktionen könnte man darum insgesamt wenigstens einigen neutestamentlichen Schriften eine

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»subordinatianische« Christologie bescheinigen, etwa den lukanischen Schriften oder der Johannesoffenbarung. Dies hieße freilich anachronistisch urteilen. Äußerst bedeutsam ist, dass die schon bald einsetzende Verehrung des auferweckten und himmlisch inthronisierten Christus, die das gesamte neutestamentliche Christuszeugnis trägt und prägt, nicht dazu geführt hat, die irdische Person Jesu und ihr Wirken zu vergessen. Nicht nur die neutestamentlichen Evangelien, sondern auch die Briefe halten – wenngleich in sehr verschiedener Weise – stets im Blick, dass Jesus eine geschichtliche Gestalt gewesen ist und als Mensch unter Menschen gelebt hat (vgl. Phil 2,7 f.; Gal 4,4 f.; Röm 1,3 f.; 1 Tim 3,16a u. a.). Doketischen Trennungschristologien, die Christus als himmlisches Geistwesen von seinem sterblichen Leib separieren und die »historische« Anbindung lösen wollen, ist damit vom Neuen Testament her ein Riegel vorgeschoben. Das Geschehen von Leiden und Tod Jesu bildet den nonsub­ stituierbaren Ausgangs- und Kristallisationspunkt neutestamentlicher Christologie(n) (Barth 1992). Man hat dieses für die frühen Christen unfassbare Ereignis von Beginn an im Licht alttestamentlicher Prätexte gedeutet und auf den Plan und Willen Gottes zurückgeführt (Ps 22; 69; Jes 53 u. a.). Eine ganz entscheidende Leistung der frühchristlichen Schriften besteht dabei darin, dass man das Postulat universalen von Gott gewirkten Heils nicht nur mit der Erhöhung Jesu verknüpft, sondern bleibend auf sein Leiden und Sterben bezogen hat. Paulus war nicht der erste, der in seinen Briefen diesen entscheidenden Schritt getan hat, aber er hat ihm mit seiner theologia moriendi Christi (Theologie, die vom Sterben Christi her qualitativ vollgültig bestimmt ist) – zugespitzt in seinen ausdrücklich kreuzestheologischen Aussagen  – bleibend gültigen Ausdruck verliehen. Insgesamt kann man bei allem Facettenreichtum der neutestamentlichen Christologien festhalten: Der Tod Jesu am Kreuz bezeichnet das entscheidende »Ein-für-alle Mal« (Hebr 7,27; 9,12; 10,10; vgl. 9,26b–28; 1 Petr 3,18) – und zwar auch dort, wo er sein Licht von der Auferweckungs- und Erhöhungsaussage her erhält. Die große Dynamik und Pluriformität neutestamentlicher Christologien sind insgesamt als Ausdruck einer »Fülle« und eines

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»Reichtums« aufzufassen. Der Schatz neutestamentlicher Narrative, Metaphern, diskursiver Vorstellungen und Ausdrucksformen zeigt, dass die Bedeutung Jesu Christi nicht in einem einzigen Sprachspiel zu erschöpfen ist, vielmehr immer und je neu zur Versprachlichung und Verwirklichung drängt. In den neutestamentlichen Schriften selbst wird dieser Befund pneumatologisch interpretiert: Der lebensschaffende Geist des Schöpfergottes war in Christus selbst präsent, in unlösbarer Verbindung zu ihm wirkt er dynamisch weiter. Vom Neuen Testament selbst her eröffnet sich damit ein Freiheitsraum, innerhalb dessen das Christusgeschehen in seiner Bedeutung in veränderten Zeiten und Situationen je neu durchzubuchstabieren ist, wobei auch innovativ-schöpferische Sprach- und Ausdrucksformen zu finden sind. Dies gilt es bei allen weiteren Entwicklungen in der Geschichte der Christologie in späteren Jahrhunderten zu berücksichtigen. Es geht nicht lediglich um Lehrbauformen, die verstanden und »expliziert« werden wollen, sondern auch um Prozesse der Versprachlichung und Verwirklichung, in denen Übereinstimmungen und Differenzen gegenüber dem grundlegenden neutestamentlichen Zeugnis als solche zu benennen und herauszustellen sind, in denen jedoch in der Art, wie Differenzen überhaupt zustande kommen, auch Strukturanalogien zur Dynamik der neutestamentlichen Zeit herauszuarbeiten sind. So sind z. B. die stärker am griechisch-römischen philosophischen Diskurs orientierten und in Seins-Kategorien denkenden christologischen Distinktionen der Alten Kirche nicht eo ipso / aus sich selbst als Bruch von »Athen« mit »Jerusalem« zu werten, sondern können als in ihrer Zeit legitime und notwendige Weiterentwicklungen und Transformationen begriffen werden.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Sekundärliteratur Barth 1992: Barth, Gerhard: Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 1992. Becker 2004: Becker, Jürgen: Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick, Tübingen 2004.

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Breytenbach 1989: Breytenbach, Cilliers: Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie (WMANT 60), Neukirchen-Vluyn 1989. Bultmann 1926: Bultmann, Rudolf: Jesus, Tübingen 1926.19643 (Nachdruck Tübingen 1988). Bultmann 1953: Bultmann, Rudolf: Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1953.19849. Dettwiler / Zumstein 2002: Dettwiler, Andreas / Zumstein, Jean (Hrsg.): Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151), Tübingen 2002. Dunn 2005: Dunn, James D.G.: The New Perspective on Paul. Collected Essays (WUNT 185), Tübingen 2005. Frey / Schröter 2005: Frey, Jörg / Schröter, Jens (Hrsg.): Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament (WUNT 181), Tübingen 2005. Hahn 1995: Hahn, Ferdinand: Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum (FRLANT 83), Göttingen 1961.19955. Hengel / Schwemer 2001: Hengel, Martin / Schwemer, Anna Maria: Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie (WUNT 138), Tübingen 2001. Hofius 1989: Hofius, Ottfried: Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen 1989. Holmén / Porter 2011: Holmén, Tom / Porter, Stanley E. (Hrsg.): Handbook for the Study of the Historical Jesus, Bd. 1-4, Leiden / Bosten 2011. Kähler 1969: Kähler, Martin: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, Leipzig 1892. München 19694. Kuhn 1982: Kuhn, Heinz-Wolfgang: Die Kreuzesstrafe während der frühen Kaiserzeit. Ihre Wirklichkeit und Wertung in der Umwelt des Urchristentums, in: ANRW II.25.1 (1982), 648–793, 751–767. Luz 1993: Luz, Ulrich: Die Jesusgeschichte des Matthäus, NeukirchenVluyn 1993. Meier 1991–2011: Meier, John P.: A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Band I–III (ABRL), New York u. a. 1991–2011. Melanchthon 1521: Pöhlmann, Horst Georg (Hrsg.): Philipp Melanchthon, Loci Communes 1521. Lateinisch – Deutsch, Gütersloh 19972. Müller 1998: Müller, Ulrich B.: Die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu. Historische Aspekte und Bedingungen (SBS 172), Stuttgart 1998. Röhser 2002: Röhser, Günter: Stellvertretung im Neuen Testament (SBS 195), Stuttgart 2002. Sanders 1977: Sanders, Ed Parish: Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977. Theißen / Merz 2001: Theißen, Gerd / Merz, Annette: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 20013. Theobald 1988: Theobald, Michael: Die Fleischwerdung des Logos (NTA 20), Münster 1988. Wolter 2011: Wolter, Michael: Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011.

118  Neues Testament Wrede 1901: Wrede, William: Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901.19694. Zimmermann 2004: Zimmermann, Ruben: Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (WUNT 171), Tübingen 2004.

2. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Bousset, Wilhelm: Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen 1913.19212 (Nachdruck 1965). Karrer, Martin: Jesus Christus im Neuen Testament (GNT 11), Göttingen 1998. Schröter, Jens: Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt (BG 15), Leipzig 2006.20124. Schröter, Jens / Brucker, Ralph (Hrsg.): Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW 114), Berlin / New York 2002. Schweitzer, Albert: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1913.19849.

Kirchengeschichte

Martin Ohst

Urheber und Zielbild wahren Menschseins – Jesus Christus in der Kirchengeschichte 1. Vorerwägungen Eine Überblicksdarstellung zum Thema »Jesus Christus in der Kirchengeschichte« erfordert vor allem anderen Mut, nämlich Mut zur Einseitigkeit und Mut zur Lücke. Diesen Mut habe ich zunächst betätigt, als ich zwei Themenbereiche von meiner folgenden Darstellung weitestgehend ausschloss: Zum einen die eigentliche Dogmengeschichte des Themas, also die Geschichte der trinitätstheologisch rückgebundenen Lehre von der Menschwerdung der Zweiten Ewigen göttlichen Person, die Geschichte der Lehre über das Verhältnis der beiden Naturen in Christus und die Geschichte der Lehre vom Heils- bzw. Genugtuungswerk Christi. – Auf diesem Gebiet herrscht ja auch kein Mangel an vertrauenswürdigen geschichtlichen Darstellungen für jedes Erwartungs- und Bedürfnisprofil. Zum anderen die theologische Wissenschaftsgeschichte der Frage nach dem »historischen Jesus«. Hier ist das Angebot an guter Literatur schon sehr viel knapper; vor allem muss vor einer Benutzung von Albert Schweitzers Klassiker gewarnt werden, welche sich nicht hinlänglich klar macht, wie rigoros dieser in der Präsentation des Materials seinen eigenen Interessen Geltung verschafft (s. schon die Hinweise bei Weinel 1914). Beide Zusammenhänge sind jedenfalls derart komplex, dass sie je für sich den ganzen mir zur Verfügung gestellten Raum eingenommen hätten. Ich habe mich also auf einen den beiden eben be-

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nannten Bereichen zwar vielfältig verbundenen, aber doch deutlich anderen Phänomenbereich konzentriert, nämlich frömmigkeits-, theologie- und kirchengeschichtlich wirksame Bezugnahmen auf den geschichtlichen Menschen Jesus. Keinesfalls ist damit die Absicht verbunden, bestimmte moderne Schlagwortalternativen (Christologie »von oben« / »von unten«) in frühere Geschichtsalter zu retrojizieren. Aber es sollen bestimmte Phänomenbestände in den Mittelpunkt gestellt werden, die in dogmengeschichtlichen Darstellungen meist eher randständig bleiben (eine Ausnahme bildet Harnack 1909–1910) und ohne die auch die Auseinandersetzungen um den »Historischen Jesus« in der Geschichte der neueren protestantischen Theologie geschichtlich wohl nicht wirklich verstanden werden können. Auch nach diesen Reduktionen bleibt die schiere Masse dessen, was der Beachtung und der Würdigung wert wäre, noch völlig unübersehbar. Hier hat sich mir dann Karlmann Beyschlags selbständig an Harnack und Scheel sich anschließende typologische Konstruktion der »Abendländischen Demutschristologie« (Beyschlag 1988–2000: II / 1, 100–114) als außerordentlich hilfreich erwiesen, nämlich die These, dass im westlichen Christentum von frühester Zeit an in spezifischer Weise nicht nur die Menschwerdung, sondern das geschichtlich-persönliche Menschsein Christi als formender Beweggrund der Frömmigkeit wie der Theologie in einer Weise wirksam ist, die im östlichen Christentum keine Entsprechung hat (vgl. auch Holl 1904: 153–157. 178–196. 220–235. 246–254 sowie Elert 1957). Hiermit werden, so scheint mir, Frömmigkeits- und Denkmotive freigelegt, die dann in unterschiedlichen Variationen und Konstellationen in allen Folgegestalten abendländischen Christentums wirksam geworden und geblieben sind.  – Auch so blieben noch unübersehbare Stoffmassen, die nur durch Reduktionen ansatzweise zu bewältigen waren. Jeder Kundige wird notieren, in welchem Maße dabei auch meine ganz subjektiven Kenntnisse, Interessen und Vorlieben bestimmend waren.

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2. Voraussetzungen Unbeschadet der hier nicht zu erörternden Frage, ob der vorösterliche Jesus für sich eine konstitutive Funktion im Anbruch der Gottesherrschaft, die er proklamierte, in Anspruch genommen hat, gilt: Der urchristliche Glaube bekennt ihn als mit Gott lebenden und herrschenden Christus / Messias bzw. Herrn. Der erhöhte Gekreuzigte zeigt sich ihm als der lebendige Christus praesens. Die irdische Geschichte Jesu wird von hier aus auch und gerade als geschichtstheologisch gedeutete bzw. konstruierte (Davidssohnschaft etc.) zur Vorgeschichte. Mit der Präexistenz-Christologie (Phil 2,6–11) erhält der Erdenweg Jesu schon sehr früh seinerseits noch einmal eine transzendente Vorgeschichte, wird also zur Episode in einem nach hinten wie nach vorn, nach oben wie nach unten in Ewigkeitsdimensionen sich erstreckenden Zusammenhang. Der Gegenstand der Gegenwartserfahrung ist der sich ekstatisch bzw. kultisch vergegenwärtigende Erhöhte. Der Irdische wird Gegenstand der Memoria, die sich ihre Inhalte nach den Maßgaben des Glaubens an den Erhöhten bzw. Präexistenten formt und gestaltet (ältere Forschung bilanzierend und neue Fragen aufwerfend Bousset 1921). Die Thematisierung Jesu Christi, welche ihr Zentrum in dessen Erlöserschaft und Heilsbedeutung hat, nimmt forthin ihren Ausgang bei der Relation des Präexistenten zu Gott und erörtert dann die Heilsnotwendigkeit und die Heilsbedeutung seiner geschichtlichen Epiphanie, welche ihrerseits ihre Vollendung und ihre Fortsetzung in der Herrschaft des Erhöhten und einst Wiederkommenden hat. Die trinitarisch-inkarnatorische Christologie begreift die christliche Heilserfahrung und -erwartung als begründet in Gottes Selbstkundgabe in, an und durch Jesus Christus. Die Erinnerung an den geschichtlichen Menschen Jesus verweist im Unterschied hierzu einmal auf dessen stellvertretendes Selbstopfer, wird also im ebenso engen wie problematischen Konnex (Apathie-Axiom, Patripassianismus etc.) in das transzendent-immanente Erlösungsdrama eingezeichnet. Sodann kommt Jesus als maßgebliche Orientierungsinstanz erlösten Lebens zur Sprache: In Logien präsentiert sich der Irdische wie der Erhöhte als Lehrer. In der christlichen Populärfrömmigkeit und -literatur gestaltet die Phantasie die Lebens- und

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Leidensgeschichte mit einer Fülle von pittoresken Details weiter aus (Bauer 1909).

3.  Grundlegende Strukturen Eine wohl schon sehr früh vorliterarisch ausgebildete Denk- und Redefigur war besonders wirkungsreich: Das in 1 Petr 2,21–24 zi­tierte Fragment eines alten Hymnus (Bultmann 1947) stellt in Verbindung mit signifikanten Zitaten aus Jes 53 den am Kreuz leidenden Jesus als Vorbild (ὑπογραμμός / hypogrammos / Vorbild, 2,21) christlichen Verhaltens dar: Gerade im Zentrum von dessen Erlösungswerk erkennt und vernimmt der Glaube Jesus als die schlechthin authentische Verkörperung der ihm vor- und aufgegebenen Lebenshaltung. Der genauere Vergleich mit dem scheinbar parallelen Gedankengang des Hymnus in Phil 2,6–11 lässt die Besonderheit deutlich hervortreten: Der Philipper-Hymnus spricht den sich entäußernden Präexistenten als ethisches Muster an, das in 1 Petr aufbehaltene alte Fragment bezeugt den irdischen Jesus. Dieselbe Gedankenverbindung bezeugt 1 Clem  – literarisch lässt sich keine wechselseitige Beeinflussung nachweisen, was jedoch nicht gegen traditionsgeschichtliche Gemeinsamkeiten spricht, zumal für den Fall, dass 1 Petr wie 1 Clem stadtrömisches Christentum bezeugt. Die dialektische Spannungseinheit von Ethik und Christologie, Erlösung und Lebensgestaltung wird hier noch deutlicher über den Demutsbegriff aufgebaut: »Das Szepter der Majestät Gottes, der Herr Jesus Christus, ist nicht gekommen im Gepränge der Prahlerei und des Übermuts, wiewohl er es gekonnt hätte, sondern demütig, wie der Heilige Geist über ihn gesprochen hat [folgt Jes 53,1 ff.]« (1 Clem 16,2). Die Paränese entspricht dieser Grundlage passgenau: »Den Demütigen nämlich gehört Christus, nicht denen, die sich über seine Herde erheben« (1 Clem 16,1). »Seht, geliebte Männer, wer das Beispiel ist, das uns gegeben ist! Wenn nämlich der Herr so demütig gewesen ist, was sollen wir tun, die wir unter das Joch seiner Gnade gekommen sind?« (1 Clem 16,17; vgl. auch 21,8; 30,1–3; 33,8; 38,2; 48,6; 54,1 f.) Die soteriologische und die ethische Perspektive sind in bemerkenswerter Weise zusammenge-

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führt. Sie verfließen gleichsam im Terminus der Demut ineinander, welcher die Sinnes- und Wesensart des Erlösers formelhaft auf den Begriff bringt und damit zugleich den Erlösten die Leitlinie ihres Sichdeutens und Sichverhaltens vorgibt: Den Verzicht auf jegliche Eigengeltung und auf jeden Anspruch im selbstvergessenen Dienst an Gott und am Nächsten. Die Begriffe demütig / Demut (ταπεινός / tapeinos / humilis / demütig, ταπεινοφροσύνη / tapeinophrosynē / humilitas / Demut,) er­hielten also soteriologisch wie ethisch kategorialen Rang, und hierin war das frühe Christentum offenkundig schöpferisch: Die Verwendung des Begriffsfeldes hat eine gewisse Vorgeschichte im Frühjudentum, was sich z. B. in der Aufnahme von Prov 3,34 (LXX) in 1 Petr 5,5 und Jak 4,6 zeigt; im nichtjüdischen / vorchristlichen Griechisch und Latein dagegen kennzeichnen sie nur persönliche oder soziale Erniedrigung als Tatsachen ohne jede positive ethische Bewertung (Dihle 1957).

4.  Differenzierende Entfaltungen Tertullian hat bekanntlich die Formeln geschmiedet, die mittel- und langfristig die eigentlichen inkarnationschristologischen Debatten bestimmt haben. Aber er hat auch den Faden weitergesponnen, dessen Anfänge wir im 1 Petr und 1 Clem betrachtet haben. In seinem Traktat De patientia / Über die Geduld thematisiert Tertullian eine ethische Haltung, die in der stoischen Ethik als Korrelat der Haupttugend der Tapferkeit gilt. Er identifiziert durch einen Kettenschluss die Geduld mit der Demut: »Denn wen hat der Herr glückselig genannt? Nur die Geduldigen, indem er sagt: [Mt 5,4]. Arm im Geiste ist aber nur der Demütige. Wer aber ist demütig als nur der Geduldige?« (Tertullian, De patientia / Über die Geduld, 11; vgl. auch 15). Gegenüber der paganen Philosophie erhebt der Apologet einen steilen Überbietungsanspruch. Die heidnischen Philosophen kennen nicht die Wahrheit dessen, wovon sie reden (ibd., 1 f.; 16): Gott selbst ist ja der Grund und das Urbild der Geduld, die Selbstoffenbarung seiner Geduld ist Jesus Christus, dessen ganzes Leben bis hin zum Kreuzestod seine göttliche Geduld manifestiert

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(ibd., 2 f.). Sicher, Jesus hat auch überragende Bedeutung als Lehrer. Aber er ist mehr, denn er verwirklicht selbst, was er lehrt (vgl. Tertullian, De carne Christi / Über den Leib Christi, 7). Erlöser ist er, weil und sofern er in Geduld das Verlorene sucht (Tertullian, De patientia / Über die Geduld, 12). Die Geduld ist auch die Lebenshaltung, in der die Erlösten ihrem Erlöser entsprechen: »Er gab ihnen das vollkommenste Beispiel für die Verachtung alles Begehrens und Stolzes auf Würde und Macht« (Tertullian, De idololatria / Über den Götzendienst, 18). In der Mühsal der Buße und in Leiden aller Art bewährt sie sich. Gott ist ein zuverlässiger »Treuhänder« (sequester) menschlicher Geduld: »Wenn du ihm Unrecht anvertraust, ist er der Rächer; wenn Schaden, dann der Erstatter, bei Schmerz ist er der Arzt, wenn es der Tod ist, so weckt er dich auf« (Tertullian, De patientia / Über die Geduld, 15). Die von Christus ins Werk und in Geltung gesetzte ethische Haltung und die endgültige Teilhabe an der von ihm gewährleisteten Erlösung werden hier auf höchst zukunftsträchtige Weise in einem Bedingungsgefüge zugleich deutlich voneinander unterschieden und miteinander verbunden. Der als Märtyrerbischof verehrte Cyprian von Karthago hat von der Schrift des Schismatikers Tertullian unter dem Titel De bono patientiae / Vom Segen der Geduld eine überarbeitete Neuausgabe veranstaltet: Jesus lehrt die Verehrung und Nachahmung Gottes als des Musters aller Milde und Geduld (Cyprian, De bono patientiae / Vom Segen der Geduld, 4; s. auch Cyprian, De mortalitate / Über die Sterblichkeit, 2 f.), aber mehr noch: »Unser Herr und Gott Jesus Christus hat das nicht allein mit Worten gelehrt, sondern mit Taten erfüllt: Der von sich sagte, er sei gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, hat unter den Machttaten, mit denen er Zeichen der göttlichen Erhabenheit aufrichtete, auch die väterliche Geduld durch seinen Duldermut [tolerantia] bewährt« (Cyprian, De bono patientiae / Vom Segen der Geduld, 6). Auch anderweitig verweist Cyprian auf Jesus Christus als die Verkörperung des sich zum Heil des Menschen durchsetzenden und zugleich dessen Gehorsam fordernden göttlichen Willens. Das Gebot der Fürbitte für die Feinde legt er folgendermaßen aus: »Wir sollen auch für diejenigen beten, die noch auf Erden sind und nicht angefangen haben, himmlisch zu sein, damit auch an

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ihnen Gottes Wille geschehe, den Christus erfüllt hat, indem er den Menschen bewahrte und wiederherstellte« (Cyprian, De dominica oratione / Über das Gebet des Herrn, 17). Als Erlöser ist Jesus Christus zugleich der sich durchsetzende Heilswille Gottes und Ur- und Vorbild eines Menschseins, in welchem der Wille Gottes Gestalt gewinnt: »Das ist der Wille Gottes, den Christus getan und gelehrt hat: Demut im Wandel [humilitas in conversatione], Beständigkeit im Glauben, Schamhaftigkeit in Worten, Gerechtigkeit in Taten, Barmherzigkeit in Werken, Zucht in den Sitten, Unfähigkeit zum Unrechttun und die Bereitschaft, Unrecht zu erleiden, Frieden mit den Brüdern halten, Gott aus ganzem Herzen achten, ihn nämlich als Vater lieben und als Herrn fürchten, nichts über Christus stellen, weil er ja auch nichts über uns gestellt hat« (ibd., 15). Die in der Abstandnahme von irdischen Bindungen ethisch realisierte Christus-Nachfolge – Cyprian zitiert ohne eigentlich asketische Deutung Mt 19 (ibd., 19) – bewährt und bewahrt die Gliedschaft am Leib Christi, der Kirche, und damit die Teilhabe am eucharistischen Christus (vgl. ibd., 18) – auch dies ist ein ebenso wirksames wie variationsfähiges Gedankenmuster. In besonderer Weise sind die Märtyrer bzw. die zum Martyrium Bereiten dem Zugriff von Gottes Willen in Christus ausgesetzt (vgl. Cyprian, Ad Fortunatum / An Fortunatus 11), und der Gemeinschaft mit dem leidenden Christus ist der Triumph mit dem Erhöhten verheißen: »ihn begleiten, wenn er kommen wird, um an den Feinden Rache zu nehmen, an seiner Seite stehen, wenn er zu Gericht sitzt, Miterbe Christi werden, den Engeln gleich sein, mit den Patriarchen, Aposteln und Propheten sich im Besitz des Himmelreiches erfreuen« (ibd., 13). Die geforderte Leidensnachfolge und die ihr verheißene Teilhabe an der Vollendung / Erlösung treten deutlich weiter auseinander. Eine vergleichbare Steigerungsform der Christusnachfolge  – Christum continentia sequitur / die Enthaltsamkeit folgt Christus nach (Cyprian, De habitu virginum / Über die Haltung der Jungfrauen, 5) – ist den Asketen, Frauen wie Männern, gegeben und aufgegeben: Sie sind der heller strahlende Teil der Herde Christi, die inlustrior portio gregis Christi (ibd., 3). Christi Zuwendung an die Askesen vollzieht sich in Lehre und Ermahnung (ibd., 2), aber v. a. weiß der asketische Lebensstand sich durch Christus

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überhaupt erst ermöglicht. »Der Sklave ist nicht größer als der Herr, und der Freigelassene schuldet seinem Befreier treuen Gehorsam« (ibd., 7). Hier verfestigt sich das bekannte Bedingungsgefüge von Gehorsam und Vollendung der Heilsteilhabe zum ausgeprägten Lohngedanken mit charakteristischen Konturen: »Verwende deine Güter zu Zwecken, die Gott gebietet, die der Herr dir zeigt. Lass die Armen deinen Reichtum spüren und die Bedürftigen deinen Wohlstand, wuchere mit deinem Erbe für Gott, speise Christus: Bitte mit den Gebeten Vieler, dass du zur Ehre gelangst, die in der Jungfräulichkeit liegt, dass du zum Lohn beim Herrn gelangen mögest« (ibd., 11). Ambrosius von Mailand, als theologischer Schriftsteller wie als durchsetzungsstarker Kirchenpolitiker Vorkämpfer der werdenden reichskirchlichen Rechtgläubigkeit im Abendland, nimmt die subordinatianische Deutung von Joh 5,30 auf, um sie zu widerlegen: Richtig verstanden, bezeugt der Vers die Einheit des λόγος ἄσαρκος / logos asarkos / unfleischliches Wort wie des menschgewordenen Christus mit dem Vater im Willen und im Handeln (Expositio psalmi CXVIII / Auslegung von Ps 118, 20,32). In dieser Einheit ist nun gerade die besondere Funktion des Menschgewordenen in ihrer Unterschiedenheit wahrzunehmen; sie hat ihre ganz eigene, unvertretbare Bedeutung: »Das Evangelium ist nämlich nicht allein Glaubenslehre, sondern auch Lebensanleitung und Spiegel des gerechten Wandels« (ibd., 33). Der Mensch Jesus Christus hat eine Vielzahl von menschlichen »Gemütszuständen und Tätigkeitsbereichen [affectus et officia] auf sich genommen, um uns zu zeigen, um uns zu lehren, wie wir uns in diesen Aufgabenbereichen zu verhalten haben« (ibd.). Ambrosius exemplifiziert das am Hirten, am Rechtsbeistand und am Richter. Mit einem höheren Grad an Allgemeinheit kann Ambrosius dieses gedankliche Muster an Joh 14,6 anschließen und differenziert fein zwischen der Selbsterniedrigung des ewigen Logos einerseits und dem Erdenweg des Menschgewordenen anderseits. Einmal gilt: »Christus ist vorangegangen, damit wir folgen, und zwar als Wort. Der Anfang [Gen 1,1; M.O.] ist Christus, deshalb sagt die Weisheit [Prov 8,22]: Der Herr schuf mich als Anfang seiner Wege« (ibd., 5,26). Sodann gehört damit in der Unterschiedenheit das Wirken und Leiden des

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Menschgewordenen zusammen: »Er ist geschaffen worden, damit er die Geschöpfe erlöste; er ist Mensch geworden, damit er die Menschen vom ewigen Tode befreite« (ibd.). Und hierher gehört sein spezifisch menschliches Leben und Leiden: »Er ist geschaffen worden, damit er mir die ewigen Wege zeige, auf denen der Mensch in Gottes Reich zurückkehren kann. Weil er also der Anfang der Wege Gottes ist, wollen wir diesem Anfang nachfolgen. Als erster hat er den Weg des Neuen Testaments beschritten, um auf dem Wege der Hingabe uns den Weg zu ebnen [iter sternere]. Wenn wir fasten, so hat er vor uns gefastet. Wenn wir um des Namens Gottes willen Gewalt erleiden, so hat er sie zuvor um unserer Erlösung willen gelitten. […] Endlich sagte er gleichsam vorangehend zu Petrus: Folge mir nach [Joh 21,22], und Petrus hat deswegen seinen Lauf vollendet, weil er Christus nachgefolgt ist« (ibd.). Dieser Gedanke wird von Ambrosius systematisch zugleich verallgemeinert und vertieft, indem er auf den Begriff der Demut bezogen wird – sie ist der entscheidende Mittelbegriff, in welchem Christologie, Soteriologie und Ethik ineinander fließen und jeweils aufeinander zurückverweisen: Sie ist in ihrer Vollendung von Christus verkörpert, aber sie ist nicht in ihm isoliert, sondern als Haupt teilt er sie seinem Leib, der Kirche, mit, und für die Glieder des Leibes ist gerade so das in Christus verkörperte Demutsideal Ziel ihres ethisch-religiösen Bildungsstrebens. Die Demut ist also das gerade im Menschen Jesus Christus gewährte Heilsgut und zugleich die in ihm sich stellende sittlich-religiöse Forderung (vgl. ibd., 20,3): »Der zur Rechten Gottes sitzt, hat sich um unseretwillen gedemütigt, und deshalb sagt er zu uns: ›Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig‹ [Mt 11,29]. Nicht etwa hat er gesagt: Lernt von mir, denn ich bin mächtig, sondern dass er von Herzen demütig ist, damit du ihn nachahmst, so dass du zu ihm sagen kannst: Herr, ich habe deine Stimme gehört und dein Gebot erfüllt. Du hast gesagt, dass wir von dir Demut lernen sollen, wir haben sie nicht allein aus deinem Wort gelernt, sondern auch aus deinem Verhalten. Ich habe getan, was du befohlen hast: Sieh hier, meine Demut« (ibd., 20,20). Die Demut, also die Haltung, in der der Mensch von sich und für sich nichts erwartet und verlangt, sondern im Verzicht auf jeden Anspruch alles von Gott erbittet und zu jeder Leistung

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des duldenden wie des tätigen Gehorsams bereit steht, ist in jedem nur denkbaren menschlichen Lebensstand zugleich möglich und aufgegeben. Auf sie allein kann sich der Mensch nach dem Vorbild Christi wie der Apostel und Märtyrer vor Gott berufen – allerdings nicht als auf eine Leistung, sondern lediglich auf das Eingeständnis, trotz aller möglichen Anstrengung eben keine Leistung vorweisen zu können (vgl. ibd., 20,16 sowie 20,7 mit der folgenden Reihe von Exempeln). Gerade darin ist Christus das erhabene Vorbild der Demut, dass er diese nicht für sich, sondern für die Vielen lebte (ibd., 20,18)! Und weil genau das Fehlen der Selbstlosigkeit den Wert jeder gelebten menschlichen Demut verneint, ist die Lebenshaltung der Demut die beständige Buße, die sich an Christus als ihrem Normbild entzündet (ibd., 20,15). – Wie schon bei Cyprian steht auch bei Ambrosius hart neben der Betonung der die sozialen und persönlichen Unterschiede umgreifenden Allgemeingültigkeit der von Christus gewährleisteten Demut als des Heilsguts und des Strebeziels des christlichen Glaubens die Betonung der besonderen Möglichkeiten, die der Asketenstand in dieser Hinsicht bietet. Sein jüngerer Zeitgenosse Hieronymus hat diesen relativen Vorzugsrang noch erheblich deutlicher markiert und zugleich dem westlichen Christentum ein weiten- und tiefenwirksames Motiv der Unruhe eingestiftet. Klerikern wie Mönchen obliegt die Pflicht, »nackt dem nackten Kreuz« bzw. dem nackten Christus nachzufolgen – so die wohl von ihm dem christlichen Sprachschatz hinzugefügte einprägsame Formulierung, welche im Mittelalter in den unterschiedlichsten Kontexten vielhundertfach nachhallen wird. Der irdische Jesus wird zum Normgeber für einen bestimmten Stand innerhalb der Kirche, Christusnachfolge konkretisiert sich als Standesethos. Der Kleriker wird glaubwürdig durch materielle Bedürfnislosigkeit (vgl. Hieronymus, Epistula / Brief 52,5,2 f.); andersherum mahnt die rhetorische Frage: »Wenn wir, vollgestopft mit Gold, dem armen Christus nachfolgen und unter dem Vorwand des Almosengebens auf unserm alten Vermögen sitzen bleiben, wie sollen wir getreulich die Güter anderer verwalten, wenn wir furchtsam unsere eigenen zurückhalten?« (Hieronymus, Epistula / Brief 58,2,2). Auch dem Kleriker gilt Jesu Wort zum Reichen Jüngling mitsamt der folgenden Verheißung: »Setze das Wort in die Tat um, und indem

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du nackt dem nackten Kreuze nachfolgst, wirst du umso schneller und leichter die Himmelsleiter [Gen 28,12] ersteigen« (ibd., 2,1). Aber vor allem sind hier Asketen gemeint, männliche wie weibliche. Ihre Lebensform ist die apostolische, womit ein weiterer Signalbegriff mittelalterlicher Frömmigkeitsgeschichte anklingt: »Du willst vollkommen sein und auf dem Gipfel der Würde stehen? Tue, was die Apostel taten: Verkaufe alles, was Du hast, und gib es den Armen und folge dem Erlöser nach, und so wirst du ganz allein der nackten, einzigen Tugend nachfolgen« – so rät der Seelsorger einer wohlhabenden Witwe (Hieronymus, Epistula / Brief 120,1,12). Der Verzichtsforderung wird klar und deutlich die motivierende Verheißung überschwänglicher Entschädigung untergelegt: »Wenn Du Vermögen hast, so verkaufe es und gib es den Armen. Wenn Du keines [mehr] hast, so bist du von einer schweren Last befreit: Dem nackten Christus folge nackt! Das ist hart, anspruchsvoll und schwierig. Aber der Lohn ist groß!« (Hieronymus, Epistula / Brief 125,20).

5.  Augustin: Die Bündelung und Vertiefung der Tradition vor neuen Fragestellungen Jesus Christus als irdisch-geschichtlicher Mensch wird von den bislang angeführten Autoren als Verkörperung von Gottes Willen gewertet, und zwar als vollendete Verwirklichung der Demut. Hierin ist der geschichtliche Mensch Jesus Christus Gottes Gabe und Aufgabe an den Menschen, sofern er ihm zu seinem Heil das göttliche Zielbild seines Lebens vor Augen stellt. Augustin nahm alle bisher genannten Spielarten dieses Gedankenmusters auf, und er überführte es zugleich auf eine andere, höhere Ebene, indem er es mit der Frage konfrontierte, auf welche Weise Christus als Muster menschlichen Sichdeutens und Sichverhaltens überhaupt zur Wirkung gelangen kann. Mit einem neuartig verfeinerten sprachlich-gedanklichen Instrumentarium thematisierte er ethisch und psychologisch die Formation menschlicher Innerlichkeit, auf welche das wirksame Erinnerungsbild Jesu Christi als radikale Infragestellung trifft, und erörterte die Mög-

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lichkeitsbedingungen dafür, dass die menschliche Innerlichkeit gerade in dieser Infragestellung aus ihrer wurzelhaften Verkehrung befreit und in ihre eigene Wahrheit geleitet wird. Der Überschuss seiner Erörterungen über die seines Lehrers Ambrosius oder seines Zeitgenossen Hieronymus besteht darin, dass er die Fähigkeit bzw. die Unfähigkeit des Menschen, sich von der Demut Jesu Christi überhaupt ergreifen und bestimmen zu lassen, zum selbständigen Thema der Reflexion erhoben hat. Die Zweite Person der Ewigen göttlichen Dreieinigkeit wurde Mensch, um die Versöhnung des zornigen Gottes mit dem Menschengeschlecht zu vollbringen: »Deshalb lag das Menschengeschlecht in gerechter Verdammnis gefangen, und alle waren Kinder des Zorns. […] Weil die Menschen durch die Ursünde unter diesem Zorn waren, und zwar umso schwerer, desto mehr sie an eigenen Sünden hinzufügten, war der Mittler [mediator] vonnöten, das heißt der Versöhner [reconciliator], der diesen Zorn durch die Darbringung des einzigartigen Opfers stillte. […] Dass wir also durch den Mittler mit Gott versöhnt werden und den Heiligen Geist empfangen, so dass wir aus Feinden Söhne [Gottes; Röm 8,14] wurden: Das ist die Gnade Gottes durch Jesus Christus, unsern Herrn« (Augustinus, Enchiridion de fide, spe et caritate / Handbüchlein über Glaube, Hoffnung und Liebe X,33; vgl. z. B. auch Augustinus, De trinitate / Über die Dreifaltigkeit, IV,II,4). Damit er im Opfer die Erlösung vollbringen konnte, war es schlechterdings notwendig, dass Jesus Christus ganz und vollständig Gott und ebenso ganze, vollständige menschliche Person war: »Denn es wäre ein Frevel, zu sagen, bei jener Annahme habe der menschlichen Natur irgendetwas gefehlt, freilich einer menschlichen Natur, die von jeder Verbindung mit der Sünde gänzlich frei war, nicht so, wie sie durch die fleischliche Gier aus dem Geschlechtsverkehr mit der diesem notwendig innewohnenden Sünde entsteht, deren Straffolge durch die Wiedergeburt gelöscht wird, sondern wie sie von der Jungfrau geboren werden musste, welche also nicht von der Lust, sondern vom Glauben der Mutter empfangen war« (ibd., X,34). Aber Augustin kann die Menschwerdung noch in einen ganz anderen Gedankengang einzeichnen, der im Begriff der Gnade entspringt. Die Gnade Gottes in Christus ist Gottes souverän-

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spontane, ewige Erwählung bestimmter Menschen, deren notwendiges Gegenstück die Nicht-Erwählung bzw. Verwerfung der anderen ist. Gottes derart in sich zwieschichtiges ewiges Bestimmen ist schlechterdings schöpferisch, an keine außerhalb seiner selbst liegende Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft. Seine Selbstdurchsetzung und Selbstverwirklichung in der Zeit ist die gesamte Geschichte, und das bezeugt im Zentrum der Geschichte die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus: »Hier wird uns auf großartige, zwingend einleuchtende Weise Gottes Gnade vor Augen geführt. Welches Verdienst hat die menschliche Natur im Menschen Christus erworben, dass sie zur Einheit der Person des eingeborenen Sohnes Gottes auf einzigartige Weise angenommen wurde? Welcher gute Wille, welcher Eifer um einen guten Vorsatz, welche guten Werke waren zuvor da, durch welche jener Mensch es verdiente, eine Person mit Gott zu sein? War er etwa zuerst Mensch und wurde ihm dann erst diese einzigartige Wohltat gewährt, als er sich einzigartige Verdienste erworben hatte? Nein, denn von dem Moment an, da er als Mensch anfing zu existieren, war er der eingeborene Sohn Gottes, und weil er Gott war, war er das Wort, welches durch seine, des Menschen Annahme Fleisch ward« (ibd., XI,36). Der Glaube wird also gerade an seinem Urheber dessen inne, dass er kein Akt der freien und letztlich verdienstlichen Wahl ist, sondern seinen letzten Grund im erst in Ewigkeit sich erhellenden Geheimnis des göttlichen Ratschluss der Erwählung und Verwerfung (vgl. ibd., XXIV,94) hat. So sehr also der Glaube sich durch verdienstliche Werke zu bewähren und sich seine Vollendung in der ewigen Seligkeit zu verdienen hat – er selbst weiß sich jenseits alles eigenen Wählens und Entscheidens in Gottes gnädiger Erwählung gegründet: »Gnade ist nur Gnade, wenn sie reines Geschenk ist. Wir müssen uns also eingestehen, dass auch des Menschen gute Verdienste Gottes Werke sind, und wenn sie mit dem Ewigen Leben belohnt werden, dann belohnt lediglich Gnade die Gnade« (ibd., XXVIII,107). So wird also der Glaube am geschichtlichen Menschen Jesus Christus, in welchem Gottes ewiger Wille sich kontingent-geschichtlich manifestiert und realisiert, seines ewigen Ermöglichungsgrundes inne. Neuplatonische und katholisch-christliche Gedankenelemente sind

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in einem großartigen Konstrukt miteinander verbunden. Die unnachahmliche Sprach- und Gedankenkunst, die hier waltet, vermag jedoch nicht über letzte Unklarheiten hinwegzutäuschen: Ist Christus wirklich als Urheber des Heils anerkannt, oder ist er lediglich exemplum, an welchem sich ewig-allgemeingültige Wahrheit ablesen lässt, welche ihrerseits zudem die Frage nach dem Verhältnis von intellektuellem Verstehen und existentieller Aneignung stellt, aber nicht beantwortet? Der nächste Gedankengang, auf den hier einzugehen ist, löst dieses Problem nicht, sondern weitet es lediglich aus. Sünde ist als transsubjektives Menschheitsverhängnis nicht allein, ja, gar nicht einmal in erster Linie Strafverhaftung (reatus), sondern sie ist auch und vor allem religiös-ethische Fehlhaltung, welche zu Gottes Willen im kontradiktorischen Widerspruch steht, also mit der Versöhnung / Erlösung nicht zusammenbestehen kann. Diese impliziert also nicht allein die – wie auch immer zu bewerkstelligende – Zueignung des Ertrags des Versöhnungswerks Jesu Christi an den Menschen, sondern zugleich auch die Austilgung der Fehlhaltung und die Einwurzelung ihres positiven Widerspiels: Der Hochmut (superbia) des Sünders muss der Demut (humilitas) des Gerechten weichen. Und genau hier ist wieder der Mensch Jesus von entscheidender Bedeutung: »Weil aber die Sünden das Menschengeschlecht weit von Gott getrennt haben, war es notwendig, dass wir mit Gott versöhnt würden bis hin zur Auferstehung des Fleisches und ins Ewige Leben, und zwar durch den Mittler, der allein ohne Sünde geboren ward, lebte und getötet wurde. Es war notwendig, dass der menschliche Hochmut durch Gottes Demut bloßgestellt und geheilt wurde und dass dem Menschen gezeigt wurde, wie weit er von Gott gewichen war, als er durch den fleischgewordenen Gott zurückgerufen wurde und dem verstockten Menschen durch den Gottmenschen ein Beispiel des Gehorsams gewährt wurde und ein Gnadenquell entsprang, als der Eingeborene die Knechtsgestalt annahm, welche zuvor nichts verdient hatte« (ibd., XVIII,108). Der Mensch Jesus ist also nicht allein als vollkommenes Opfer die Versöhnung des göttlichen Zorns bzw. die Verleiblichung des ewigen göttlichen Gnadenwillens für die Erwählten, sondern er ist zugleich auch das Muster derjenigen ethisch-religiösen Lebensführung, wel-

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che den Erwählten / Erlösten zukommt. Das gilt für alle Stationen und Situationen seines Erdenlebens von der Geburt an. So führt Augustin in einer Weihnachtspredigt aus: »Siehe, o Mensch, was Gott um deinetwillen geworden ist. Erkenne eine solche Lehre der Demut auch am Lehrer, der noch nicht sprechen kann. Einst warst du im Paradies derart sprachmächtig, dass du allem Getier seine Namen gabst. Um deinetwillen lag dein Schöpfer als Säugling da, der nicht einmal seine Mutter beim Namen nannte. Du hast Dich in der Weite des Gartens der fruchtbarsten Gehölze verloren, indem du den Gehorsam verweigert hast, er war gehorsam und kam als Sterblicher in die beengteste Herberge, um sterbend nach dir, dem Toten, zu suchen. Als du Mensch warst, wolltest du Gott sein, und so bist du verloren gegangen. Als er Gott war, wollte er Mensch sein, um das Verlorene zu finden. Derart drückte dich der menschliche Hochmut nieder, dass allein die göttliche Demut dir aufzuhelfen vermochte« (Augustinus, Sermo / Predigt, 188,3). Einige der in diesen scheinbar schlichten Sätzen anklingenden Motive sollen kurz entfaltet werden. Nicht allein in der Entäußerung der Menschwerdung, sondern in seinem ganzen geschichtlichen Lebensgang ist Jesus Christus die Verkörperung der Demut, in welcher der Mensch zu seiner Wahrheit gelangt. Der Mensch Jesus ist also Lehrer, und er ist zugleich doch noch sehr viel mehr: »O heilsame Lehre! O Herr und Lehrer der Sterblichen, welchen der Tod durch den Becher des Hochmuts eingeflößt und übertragen worden ist. Er wollte nichts lehren, was er selbst nicht war, und er wollte nichts befehlen, was er selbst nicht verwirklichte. Ich sehe dich, guter Jesus, mit den Augen des Glaubens, die du mir geöffnet hast, indem du das Menschengeschlecht rufst und sagst ›kommet her zu mir, und lernt von mir‹ [Mt 11, 29]. Weshalb, bitte, o Sohn Gottes, durch den alles geworden ist, und Sohn des Menschen, der du geworden bist wie alle, sollen wir zu dir kommen, um es von dir zu lernen? ›Dass ich sanftmütig bin‹, sagt er, ›und von Herzen demütig‹ [Mt 11,29]« (Augustinus, De sancta virginitate / Über die Heilige Jungfräulichkeit, 35). Dieses Lernen versteht Augustin als Nachfolge (sequi) und als Nachahmung (imitari): »Denn Christus hat für uns gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen, wie Petrus sagt, ›dass wir seinen Fußstapfen folgen‹ [1 Petr 1,22]. Ein jeder folgt ihm nun nach, indem

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er ihn nachahmt – nicht, sofern er der eingeborene Sohn Gottes ist, durch den alles geworden ist, sondern sofern er als Menschensohn alles Nachahmenswürdige dargeboten hat« (ibd., 27). Durch Gebot und Beispiel hat Jesus Menschen jeden Standes je ihren Weg der Nachahmung und Nachfolge gewiesen, und so kann Augustin im Rückgriff auf die Evangelienüberlieferung den Grundriss einer christlichen Tugend- und Lasterlehre zeichnen, in welchem die Demut und die Liebe, welche die Verantwortung für den Nächsten annimmt (charitas), sich in ihre Konkretionen hinein entfalten und sich im Kampf gegen den Hochmut und seine vielfältigen Erscheinungsformen bewähren (ibd., 32 f.). Und bei dieser Erörterung der Demut als praktischer Lebensmaxime wird denn auch sogleich deutlich, dass mit ihr die Gefahr des Umschlags in ihr Gegenteil einhergeht. Im Anschluss an Lk 18,9 ff. führt Augustin aus: »Es kann also geschehen, dass jemand in sich selbst zwar das Böse meidet und das Gute pflegt und dafür dem Vater des Lichts dankt, von dem alle gute und vollkommene Gabe kommt [Jak 1,17] und dennoch getadelt wird wegen des Lasters der Selbstüberhebung, wenn er nämlich hochmütig Sünder, besonders solche, die ihre Missetaten im Gebet bekennen, auch nur in Gedanken herabsetzt. Denen gebührt nämlich nicht aufgeblasene Missbilligung, sondern ein Erbarmen, welches die Hoffnung nicht aufgibt« (ibd.). Diese seelsorgerliche Erwägung verweist auf spezifische Probleme derjenigen Christen, welchen nach Augustin die allen Christen gewährte Gabe und Aufgabe der Nachfolge bzw. Nachahmung Christi in besonderem Maße zukommt, nämlich der Asketen. Augustin betont in immer neuen Anläufen die Differenzen zwischen den Leistungen, welche Asketen und Nichtasketen in der Nachfolge zu erbringen vermögen, und dem Maße an jenseitigem Lohn, welches sie jeweils zu erwarten haben. Dabei ist er peinlich bemüht, das Gleichgewichtsverhältnis auszutarieren: Es handelt sich lediglich um graduelle Unterschiede, aber eben doch um graduelle Unterschiede! Der Jesus der Geschichte ist eben das Urbild und Vorbild der Jungfräulichkeit (virginitas), und darum ist das Vollmaß der Nachfolge und Nachahmung eben auch nur den Jungfrauen männlichen wie weiblichen Geschlechts möglich: »Es sollen also auch die anderen Gläubigen, welche die Jungfräulichkeit eingebüßt haben, dem Lamme nachfolgen, aber

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nicht überall dorthin, wohin es geht, sondern nur so weit, wie sie es vermögen. Sie können es überall – nur nicht dort, wo er im Glanz der Jungfräulichkeit einhergeht« (ibd., 28). Dieses alles sind intellektuell glanzvoll ausgearbeitete, rhetorisch kunstvoll stilisierte Fassungen von Gedanken, die im Grunde schon bei Cyprian und erst recht bei Ambrosius vorliegen. Neu ist bei Augustin die Betonung des Kontrastes zwischen dem Normbild der Demut, welches in Jesu Leben und Lehren in die Geschichte der Menschheit eintritt, und der faktischen Verfassung der Menschen, die mit diesem Vorbild konfrontiert werden. Sie sind allesamt seit dem Beginn ihres physischen Lebens und vor dem Erwachen ihres Bewusstseins in die Adamssünde des Hochmuts verstrickt, sind also gar nicht in der Lage, sich vom Lehrer und Vorbild Jesus leiten und formen zu lassen. Es besteht also zwischen dem Lehrer / Vorbild und den Schülern / Nachahmern eine qualitative Grunddifferenz, welche durch die Schlüsselbegriffe humilitas und superbia markiert ist, und genau diese Differenz muss überwunden werden, damit überhaupt eine Neuformung des Menschen durch Beispiel und Lehre beginnen kann. Systematisch hat hier der Begriff der gratia / Gnade seinen Ort. Die kann Augustin, wie gesehen, mit dem als Selbstopfer des sündlosen Gottmenschen verstandenen Heilswerk Christi verknüpfen, aber diese Verknüpfung ist alles andere als zwingend, ja gerade an ihr wird deutlich, dass Augustins Gnaden- und Erwählungslehre, rein für sich genommen, das Heilswerk Christi und dessen zueignende Fortwirkung potentiell entwertet. Für unseren Zusammenhang bleibt festzuhalten: Die entscheidende innere Neubestimmung und Neuausrichtung, durch welche der humilis / demütige Christus für den ja von Geburt an hochmütigen Menschen überhaupt erst als Lehrer und Vorbild lebensorientierende Evidenz gewinnen kann, ereignet sich nicht in der und durch die Begegnung mit ihm bzw. mit dem Zeugnis von ihm. Vielmehr ist es das Wirken der Gnade, welches im Menschen die Sünde des Hochmuts austilgt und ihn somit dazu disponiert, sich dem sich dem Abbau und dem Neubau seiner selbst preiszugeben. Die Gnade ist ihrerseits gänzlich unanschaulich, und sie wirkt auf den Menschen in einer Schicht seiner Person, an welche keine mögli-

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che Erfahrung heranreicht. Symbolisiert wird die Gnade allerdings durch die Sakramente, insbesondere die Taufe und die Eucharistie, wobei in Augustins einschlägigen Gedanken die Bestimmung des Verhältnisses, in welchem das Bezeichnende zum Bezeichneten steht, vielschichtig bleibt: Aussagereihen, die eine »realistische« Sichtweise vertreten, stehen neben einer Mehrheit von solchen, welche zwischen Zeichen und Sache streng unterscheiden und so prinzipiell die Unabhängigkeit der Gnadenwirkung von ihren sakramentalen Zeichen hervorheben. Die Begegnung mit dem erinnerten bzw. sich vergegenwärtigenden geschichtlichen Menschen Jesus Christus gehört also nicht ins Zentrum der Heilszueignung und –aneignung hinein: Hier verkünden und hüten die Sakramente das Geheimnis der Gnade. Aber an der Peripherie wirkt der Gottmensch, indem er dem Sünder durch Lehre und Beispiel seine Erlösungsbedürftigkeit bewusst macht und indem er ihn anleitet, die durch die Gnade ihm geschenkte Lebensmöglichkeit richtig einzuschätzen und zu nutzen. Mit dem Begriffspaar »sacramentum et exemplum / Heilsgabe und Beispiel« (Augustinus, De trinitate / Über die Dreifaltigkeit, IV,III,6) drückt Augustin genau dieses doppelschichtige Verhältnis aus: Der Weg Christi hat, kulminierend im Kreuzesopfer, Gott und Mensch versöhnt, und er bildet auf geheimnisvolle Weise ab, was am inneren Menschen geschieht, wenn im Heiligen Geist die Gnade an ihm wirkt; dem äußeren Menschen gibt sich Christus als Beispiel zur Nachfolge und Nachahmung, denn hier vermag er zu erkennen, welche äußere Gestaltwerdung die Erneuerung des inneren Menschen fordert und gewährt. Diese gedankliche Verbindung von sacramentum / Heilsgabe und exemplum / Beispiel, innen und außen lässt sich auch gleichsam in die Vertikale drehen und als Reinigungs- und Aufstiegsschema gestalten: Die menschliche Natur Christi führt über das Glauben zum Schauen seiner göttlichen Natur. Im Anschluss an Joh 1,1 f. führt Augustin aus: »Vergeblich würde er uns die Gottheit des Wortes verkündigen, wenn er die Menschheit des Wortes verschwiege. Damit ich jene erblicken kann, wird hier an mir gehandelt; um mich zu reinigen, damit ich jene zu schauen vermag, kam er selbst meiner Schwäche zur Hilfe. Indem er von der Menschennatur die

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Menschennatur selbst annahm, ist er Mensch geworden. Er kam mit dem Lasttier des Fleisches zu dem, der verwundet am Wege lag [Lk 10,30–37], um durch das Geheimnis seiner Fleischwerdung [sacramento incarnationis] den kleinen Glauben zu formen und zu nähren, um ihn zum hellen Verstehen zu machen und ihn zum Anblick dessen zu führen, was er selbst durch das, was er annahm, doch nie verloren hat« (Augustinus, Sermones / Predigten, 341,3,3). Und als Chiffre für dieses Aufstiegsschema, in welchem die Menschheit Christi als Weg zur Teilhabe an seiner Gottheit fungiert, zitiert Augustin immer wieder Joh 14,6 (Stellen bei Scheel 1901: 370–375). So ist für Augustins Christentumsauffassung die authentische, vollständige Menschheit Jesu Christi schlechterdings konstitutiv, denn ohne sie könnte sich ja nicht die schöpferische Spannung zwischen dem Vorbild und Strebeziel der ihrer Herkunft nach göttlichen und in voller Menschlichkeit sich verwirklichenden, vollendeten Demut einerseits und von der Gnade entbundenem menschlichem Demutsstreben anderseits aufbauen. Und darum hat er nicht nur die »arianische« Verkürzung der vollen Gottheit Jesu Christi bekämpft (Brennecke 2007), sondern sich ebenso energisch gegen die Herabstufung seiner vollen Menschheit im doketistischen oder monophysitischen Sinne verwahrt (vgl. Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse VII,19,25).

6.  Retardierte Wirkung Insofern vertrat Papst Leo I. i.J. 449 nicht nur römische Primatsansprüche, sondern auch und vor allem spezifische theologische Denktraditionen und Frömmigkeitsanliegen des Westens in ihrer augustinischen Färbung und Zuspitzung, als er in seinem Lehrschreiben an den Patriarchen Flavian von Konstantinopel, das zwei Jahre später der Synode von Chalcedon die Grundlinien ihrer Verdammung des alexandrinischen Monophysitismus und ihrer Formulierung der Zwei-Naturen-Lehre vorgeben sollte (Leo I. Epistola / Brief 28,2–4), die volle, sündlose, unverkürzte Menschheit Jesu Christi einschärfte (Mühlenberg 1997).

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Zunächst ist jedoch eine wirkungsgeschichtliche Brechung zu konstatieren: Harnack bescheinigt Augustin zwar: »Die Wendung, die er damit der Christologie gegeben hat, hat im Mittelalter fortgewirkt und sich in Strahlenbüscheln und verschiedener Stärke auseinandergelegt«, fügt jedoch einschränkend hinzu, dass »durch den adoptianischen Streit veranlasst, die griechische Christologie wieder kräftig einströmte« (Harnack 1909–1910: III, 132). Was Harnack meint, ist, dass im frühen Mittelalter auch im Christusbild des Westens die Anschauung des auch in der Inkarnation erhabenen Weltherrschers überwog und der Mensch Jesus überwiegend als Lehrer in Betracht kam, und was er hier aus dogmengeschichtlicher Perspektive anspricht, das bezeugt auch die Frömmigkeitsgeschichte (vgl. die höchst gehaltvollen Analysen von Hauck 1952: I, 192–200 zu Gregor von Tours und Venantius Fortunatus, Bd. II, 793–805 über den Heliand, Otfried von Weißenburg etc.), zu deren aussagekräftigsten Zeugen die Kunstgeschichte gehört (vgl. Bäbler / Rehm 2001; Preuß 1915 mit eindrücklichen Beispielen; Angenendt 1997: 143–147). Wie in vielen anderen Bereichen war es auch hier der Mönchspapst Gregor d.Gr., der bestimmte Grundgedanken Augustins in behältliche Formulierungen und Formeln goss und dafür sorgte, dass sie auch dort in Erinnerung blieben, wo Augustin selbst in Zeiten des kulturellen Abbruchs nicht mehr lebendig fortzuwirken vermochte: Christus ist Erlöser und in seiner Demut als Mensch Stifter einer neuen Weise menschlichen Lebens (Greschat 2005: 175–178). Im benediktinischen Hauptstrang des abendländischen Mönchtums herrschte zunächst eindeutig das Bild der erhabenen Hoheit des Gottmenschen vor. Bezeichnend ist die folgende Passage aus der berühmten »Demutstreppe« der Benediktsregel – nur an dieser Stelle wird im wichtigsten Grundtext abendländischen Mönchtums eine ganz dünne Verbindungslinie zwischen Christus und der beherrschenden Leittugend der humilitas / Demut gezogen: »Die zweite Stufe der Demut besteht darin, dass ein Mensch seinen eigenen Willen nicht liebt und keinen Genuss aus der Erfüllung seiner Wünsche zieht, sondern mit Taten der Stimme des Herrn nachlebt, der da spricht: Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat [Joh 6,38]« (RB 7, 32 f.; s.

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auch die Vergleichstexte aus Johannes Cassian bei Puzicha 2007: 122 f.). Dass der Hl. Martin den Teufel als wahren Urheber einer Vision des zum Gericht wiederkommenden Christus daran erkannte, dass dieser hier im Königshabit auftrat und ihm gegenüber darauf insistierte, der Herr werde auch zum Gericht als Gekreuzigter mit seinen Wundmalen erscheinen (Sulpicius Severus, Vita Martini / Das Leben des heiligen Martin, 24), ist unschwer als Fortwirken alter Anschauungen im Gewande der didaktischen Legende zu identifizieren. Aber diese Form der Jesusfrömmigkeit war im abendländischen Mönchtum zunächst nicht die bestimmende – allerdings wurden ihre Denkmale in der Mühsal des Abschreibens eben in den Klöstern vor dem Vergessen und für spätere Wirkungen bewahrt. Wichtig für die Zukunft war weiterhin die Durchsetzung der realistischen gegen die symbolische Auffassung der Elemente in der Eucharistie / Messe: Die verlief eben nicht nur in theoretischen Debatten seit dem 1. Abendmahlsstreit, sondern schlug sich auch in einer reichen Fülle von Mirakel- und Visionserzählungen nieder: In ihnen vergegenwärtigt sich der leidende Christus in der Messfeier in ganz drastischer Weise und bringt auf diese Weise Zweifler zur Raison bzw. zum »Glauben« (Browe 1938). Hier bahnte sich eine Steigerung und Intensivierung der für die Katholische Kirche des Abendlandes insgesamt überaus folgenreichen Verbindung von Passionsmemoria und Sakramentsfrömmigkeit an.

7. Aktualisierungen Die Auffassung des irdischen Jesus als Quell und Norm einer besonders geprägten und in sich heilsamen und mehr noch heilsverbürgenden Lebensform erfuhr eine neuartige Aktualisierung im Zuge derjenigen grundstürzenden kirchlich-gesellschaftlichen Umwälzungsversuche des 11. Jahrhunderts, die als »gregorianische Kirchenreform« doch wohl zu eng und zu verharmlosend benannt sind, zumal wenn man die inflationäre Ubiquität des Begriffs »Reform« in den beiden letzten Menschenaltern in Rechnung stellt (vgl. zu den geschichtlichen Zusammenhängen insgesamt Tellenbach 1988). Zu den Protagonisten der Bewegung gehörte Petrus Damiani

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(vgl. Reindel 1996), der den Kampf gegen seit Jahrhunderten etablierte rechtsförmige Gaben von Gut und Geld bei der Übertragung kirchlicher Ämter und gegen das allgemein akzeptierte eheliche Leben von Priestern nicht nur unermüdlich lehrend und schreibend führte, sondern auch als Maxime kirchenleitenden Handelns an der römischen Kurie etablierte. Seine Prägungen hat der auch in der altkirchlichen Literatur außergewöhnlich belesene Mann an der Peripherie abendländischen Mönchtums, nämlich bei italienischen Eremiten, empfangen. Wie alle Asketen verstanden diese Eremiten ihre besondere Lebensform als die eigentlich christliche, welche sich von der der Laien und der Weltgeistlichen als die deutlich bessere abhob. Wohl strikter noch als die nach der Regel Benedikts Lebenden fühlten sie sich jedoch anscheinend berufen, ihrer Lebensform auch bei den Weltgeistlichen, ja, sogar bei den Laien bestimmende Geltung zu verschaffen (Tellenbach 1988: 119 f.). Die Vita / Biographie, die Petrus Damiani seinem Mentor Romuald (gest. 1027) gewidmet hat, bezeugt, unbeschadet der Frage, ob sie mehr den Idealen ihres Autors oder dem tatsächlichen Lebensgang ihres Protagonisten Ausdruck verleiht, genau diese Lebens- und Frömmigkeitshaltung samt dem in ihr wirksamen Konfliktpotential: Aus ravennatischem Adel stammend, tut Romuald, gänzlich ungebildet, nach einer Duellaffäre seines Vaters in einem Kloster stellvertretend Buße und wird Mönch. Aber es hält ihn nicht in den vorgefundenen Lebensbahnen, sondern er verbringt sein langes Leben in heiliger, aggressiver Unruhe, gänzlich unbekümmert um das benediktinische Gebot der stabilitas loci, an wechselnden Orten  – neue asketische Lebensformen erprobend, immer wieder scheiternd an renitenten Mönchen / Schülern und niederträchtigen Äbten, die auch vor Mordanschlägen nicht zurückschrecken. Dabei ist er selbst nicht nur von rigorosem äußeren Askesestreben getrieben, sondern sucht auch nach innerer Vergewisserung: Drei Jahre lang ringt er in der Einsamkeit um die wahre, vom Geist geschenkte Herzensreue, und als deren Unterpfand erlangt er die Gnade der Tränen, d. h. fortan überkommt ihn ohne äußeren Anlass immer wieder das Weinen. Trotzdem bzw. deshalb prangert er schonungslos verweltlichtes Mönchtum und simonis-

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tische Weltgeistlichkeit an, wirkt also als Bußprediger, und zwar auch in die Laienwelt hinein: »Im Herzen des heiligen Mannes war ein derartiger Eifer entbrannt, Frucht zu bringen, dass er, wenn er eine Sache angefangen hatte, sogleich die nächste begann und niemals mit dem Erfolg zufrieden war. Man konnte meinen, er wollte die ganze Welt in eine Eremitenkolonie verwandeln und die ganze Volksmenge dem Mönchsstande anschließen« (Petrus Damiani, Vita sancti Romualdi / Das Leben des Heiligen Romuald, MPL 144, Sp. 953–1008, cap. 37). – In diesen aggressiv-frommen Aufbrüchen erwachten die frühchristlichen und altkirchlichen Formeln und Gedankenmuster vom irdischen Jesus als dem Musterbild der Demut und von der nackten Nachfolge des nackten Christus zu neuem Leben – freilich unter von Grund auf neu gestalteten Umständen und darum auch in neuen Reflexions- und Realisationsgestalten. So mündeten die Aufbrüche des Reformzeitalters trotz ihrer gemeinsamen Verwurzelung in bestimmten altkirchlichen Vorgaben in ganz unterschiedliche, vielfach einander kreuzende und miteinander konfligierende Prozesse der Frömmigkeits- und Theologiegeschichte, aber auch der Institutionengeschichte aus und drückten der seitherigen Geschichte des westlichen Christentums in allen ihren Strängen und Verläufen ihre unverkennbaren Spuren ein.

7.1.  Armutsbewegung und Kirchenkritik Zuerst tritt die Wirkung im Zusammenhang der Kritik an »verweltlichten« Mönchen und Klerikern deutlich hervor. Petrus Damiani schrieb den Mönchen auf dem Monte Cassino einen umfänglichen Mahnbrief (Petrus Damiani, Brief 161, MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 4,4, alte Zählung: opusc. 43), weil sie die Sitte aufgegeben hatten, sich freitags mit nacktem Oberkörper zu geißeln, denn hierdurch würden Schamgrenzen verletzt. Um dieses Argument zu entkräften, zieht Petrus alle Register seiner demagogischen Rhetorik. Theologisch appelliert er an das Heilsverlangen seiner Adressaten: Die persönlich-existentielle Teilhabe am Leiden Christi verleiht die Anwartschaft auf die Teilhabe an seiner Herrlichkeit. Um diese Teilnahme geht es beim freitäglichen Fasten und ebenso bei der Geißelung wie der Überwindung der Scham wegen der Nacktheit,

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während das Bedürfnis, die Blößen zu bedecken, die Verhaftung an die Sünde der Protoplasten verrät. Beide Haltungen kann Petrus auch als Demut und Hochmut einander gegenüberstellen; ihre jeweiligen Urbilder sind Christus, der sich selbst um der Erlösung willen zum Fluch erniedrigte (Gal 3,13), und der Teufel, der alles von oben herab betrachtet (Hi 41,26 vg). Nur wer sich des Erniedrigten nicht schämt und sich von ihm leiten lässt, wird Gnade vor dem furchtbaren Richter bei seiner Wiederkunft in Herrlichkeit finden. Und genau hierin liegt der Heilsertrag von Christi Weg: »Nun sag’ schon: Warum hat Christus gelitten? Etwa um seine eigene Schuld abzuwaschen und um seine Übertretungen zu tilgen? Nein, höre, was Petrus von ihm sagt [1 Petr 2,22]! Wozu also hat er gelitten? Immer noch antwortet Petrus selbst [1 Petr 2,21]. Christus hat also als erster gelitten, ihm sind zuerst die Apostel nachgefolgt, deren Fußstapfen auch wir nachfolgen [vestigia imitari] sollen, wie einer von ihnen sagt [1 Kor 11,1 vgl.: imitatores … estote]. Wozu also hat Christus, wie wir lesen, gelitten, wenn nicht dazu, dass wir uns an ihm ein Beispiel nehmen?« (Petrus Damiani, Brief 161, MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 4,4, 143; opusc. 43,6). Die Freitagsgeißelung steht hierbei natürlich lediglich als pars pro toto; es geht insgesamt um die Buße als Grundmuster frommen Lebens, in welchem Christus formende und prägende Macht über den Menschen gewinnt: »O was für ein herzerquickendes, hinreißendes Schauspiel: Der oberste Richter sieht vom Himmel zu, und der Mensch verbannt sich selbst wegen seiner Vergehen in die Unterwelt. Wo der Angeklagte, der im Herzenstribunal selbst den Vorsitz führt, im Herzen die Richterrolle übernimmt, im Leibe die des Angeklagten und sich eigenhändig dem Folterknecht ausliefert! Es ist, als sagte der heilige Büßer zu Gott: Es ist nicht nötig, Herr, dass du deinen Leuten befiehlst, mich zu bestrafen, oder dass du mich selbst mit der Vergeltung gerechter Untersuchung schlägst, ich lege ja schon Hand an mich selbst, ich nehme Rache an mir, ich zahle für meine Sünden« (Petrus Damiani, Brief 161, MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit 4,4, 144; opusc. 43,6). Die Aufnahme des von Tertullian zuerst vertretenen Gedankens, in der Buße nehme der sündhafte Christ mildernd Gottes Gericht vorweg, zeigt, dass die hier entwickelte Grundanschauung über den Einzelfall und über

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das Mönchsmilieu hinaus verallgemeinerbar und der Transformation in unterschiedliche Denk- und Lebenskontexte fähig ist. Der Weg ist bereitet für eine Auffassung der Jesus-Nachfolge, welche den Einzelnen an seinem jeweiligen gesellschaftlichen Ort belässt und ihm den Weg zum innerlich-meditativen Umgang mit dem Anfänger und Vollender seines Glaubens in der Lebensbewegung der Buße weist. Der Weg in diese Verinnerlichung führte jedoch zunächst über spektakuläre Aufbrüche und Verwerfungen in der Gesellschaft und Kirche des Hohen Mittelalters. Zeitgleich mit der beginnenden Beilegung der akuten kirchenpolitischen Konflikte zwischen dem Papsttum und den weltlichen Herrschern ereigneten sich religiöse Erweckungsphänomene, die den Beginn der »Armutsbewegung« (Grundmann 1977) markieren: Das Leitbild einer freiwillig armen Lebensweise, die sich am Beispiel Jesu und der Apostel orientiert, löste sich heraus aus den herkömmlichen mönchischen und klerikalen Lebenskreisen und ihren aparten Lebensordnungen und wurde zum Anstoß für eine Suche nach neuen Lebensformen. Die in diesen Suchbewegungen sich artikulierende Kritik an »verweltlichten« Klerikern entsprach durchaus den von Petrus Damiani und anderen gesetzten Maßstäben, und so ist es nicht verwunderlich, dass diese Aufbrüche anfangs von Päpsten und Bischöfen durchaus gefördert wurden, wobei die zeitliche Koinzidenz mit der beginnenden Kreuzzugsbewegung zu beachten ist: Peter von Amiens (Hagenmeyer 1879), der, jäh ins Licht der Geschichte tretend und von Papst Urban II. im Anschluss an die Synode von Clermont (1095) mit der Kreuzpredigt beauftragt, ein Vierteljahr lang im Nordosten des heutigen Frankreich eine Massenhysterie entfachte, welche in eine Seitenbewegung des I. Kreuzzuges ausmündete, gehört nicht in den Kern der Frömmigkeitsbewegung hinein. Aber die bizarre Gestalt ist doch von Bedeutung als Indikator volkstümlicher Stimmungen und Erwartungshaltungen: Ihnen entsprach offenkundig der abgezehrte Asket, dessen Selbstinszenierung zweifelsohne die Nähe zu Jesus und nicht etwa zu den Aposteln suchte (Peter ritt auf einem Esel, der seinerseits Verehrung auf sich zog). Die spezifisch kirchengeschichtliche Signifikanz dieses Mannes liegt darin, dass er methodisch vor und für Laien predigte, und dass er hierzu offiziell

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vom Papst beauftragt wurde, seine Wirksamkeit also strukturell in konflikthaltiger Weise quer stand zur Kirchenstruktur der Bistümer und Pfarreien. Vom Inhalt seiner Predigt wissen wir, sofern man die Berichte mit dem gebotenen Maß an nüchterner Quellenkritik liest, nichts, und schriftliche Zeugnisse hat er nicht hinterlassen. Äußerlich erinnert vieles im Wirken der »Ersten Wanderprediger Frankreichs« (grundlegend von Walter 1903–1906) an Peter von Amiens. Es handelte sich bei ihnen um gebildete Männer auch hochadliger Herkunft (Norbert von Xanten), die zunächst Mönche oder Kleriker waren, jedoch in diesen vorgegebenen Lebensständen und -ordnungen kein Genügen fanden und sie deshalb freiwillig und demonstrativ aufgaben. In Kleidung, Haar- und Barttracht distanzierten sie sich von allen geistlichen und weltlichen Konventionen und näherten sich schmutzig und zerlumpt ihrem Bilde vom Auftreten Jesu und seiner Jünger an. Mitnichten begaben sie sich von vornherein in eine pauschale Oppositionsstellung gegen »die Kirche«, vielmehr ließen sie sich von Bischöfen bzw. vom Papst in aller Form als Prediger beauftragen. Als solche wirkten sie unter freiem Himmel. Inhalt ihrer Verkündigung war die gelebte Buße als arme Nachfolge Jesu und der Apostel, und diese Verkündigung wirkte, je nach Prädisposition, kritisch-niederschlagend oder positiv enthusiasmierend. – Wem der Schuh jeweils passte, der zog ihn sich an: Bestimmte Mönche und Kleriker sahen sich mit Fundamentalkritik an ihrer Lebensweise konfrontiert, Laien tat sich im Bußruf unversehens eine neuartige Möglichkeit authentisch-christlicher Existenz jenseits hergebrachter Rollenzuschreibungen und lebensgeschichtlicher Festlegungen auf. So sammelten die Prediger alsbald große Scharen von Menschen um sich, die ihnen nachfolgten, unter ihnen viele Frauen, unter welchen dann noch einmal die Prostituierten eine besonders signifikante Gruppe bildeten. Diese spektakulären Erfolge warfen neue Probleme auf: Die Bewegungen mussten stabile Formen finden, widrigenfalls würden sie spurlos in eine Vielzahl lebensgeschichtlicher Dramen diffundieren. Und so wurden Wanderprediger zu Klostergründern: Robert von Arbrissel (von Walter 1903–1906: I) gründete das berühmte Doppelkloster von Fontevrault (Pernoud 1979), Norbert von Xanten den Prämonstratenserorden und starb als Erzbischof von M ­ agdeburg.

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­ indestens ebenso deutlich wie an diesen »­erfolgreichen« Prot­ M agonisten jener Bewegung wird deren Innovations- und Problempo­ tential an einem »gescheiterten«, nämlich an dem Mönch Heinrich (Manselli 1986). Von seinem Wirken in Le Mans besitzen wir einen, kritisch gebraucht, recht informativen Bericht in der Bischofschronik der Stadt (Acta Episcoporum Cenomanensium / Bischofsakten des Bistums Le Mans, 315–317). Subtrahiert man die offenkundigen Schmähungen und Verleumdungen, so ergibt sich folgendes Bild: Heinrich war ein gebildeter Mann und hatte zuvor als Mönch oder Eremit gelebt. Nun zog er mit einer Schar von Gefolgsleuten, die als Büßer gewandet waren und Wanderstäbe mit einem Eisenkreuz an der Spitze trugen, umher. Durch zwei von ihnen ließ er sich dem Bischof, Hildebert von Lavardin, am Aschermittwoch 1116 (?) avisieren. Der, gerade im Aufbruch zu einer Reise nach Rom begriffen, hieß den Fremdling willkommen und erteilte ihm Predigterlaubnis. Nun predigte Heinrich – von einem Gerüst herab, das man ihm eigens zu diesem Behufe errichtet hatte. Seine geistliche Beredsamkeit muss hinreißend und unwiderstehlich gewesen sein: Weinend vor Erschütterung saßen Kleriker und Mönche vornan in der Menschenmenge ihm zu Füßen. Übel beleumundete Frauen gaben demonstrativ ihr bisheriges Leben auf; sie schoren sich die Haare und warfen ihre Kleidung ins Feuer. Heinrich kleidete sie neu ein und stiftete Ehen zwischen ihnen und jungen Männern der Stadt, bei deren Zustandekommen auf die üblichen Übertragungen von Geld und Gut verzichtet werden sollte. Neben der Tatsache, dass ihm andere Laien Geld und Wertsachen stifteten, die er, wie selbst der durch und durch polemische Chronist einräumt, nicht für selbstische Zwecke verwendete, spricht das für die Vermutung, dass Heinrich auch verheirateten Laien ein Leben in relativer, partieller Armut / Askese nahe legte. Wenn das zutrifft, dann hätten wir hier den Anfangspunkt von Bewegungen, welche im 13. Jhdt. die Bußbruderschaften und die Organisationen von Tertiariern hervorbrachten (Müller 1885) und dann im Späten Mittelalter in einer Vielzahl von Varianten städtischer Lebensformen zwischen »Welt« und »Kloster« existierten (Elm 1998). Die Begeisterung für den asketischen Prediger hatte jedoch zu ihrer Kehrseite eine tiefe Verstimmung gegen den etablierten Klerus der Stadt, die auch vor

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Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckte. Die Priester sahen sich gezwungen, in förmliche Verhandlungen mit dem unliebsamen charismatischen Konkurrenten einzutreten; dass einer ihrer Wortführer das cognomen »Qui non bibit aquam / Der kein Wasser trinkt« führte, mag für sich sprechen. Zu Pfingsten eskalierte die Situation: Das Volk wies den Festsegen des inzwischen zurückgekehrten Bischofs demonstrativ ab. Erst ein Brand in einer Vorstadt führte einen Stimmungsumschwung herbei, der es dem Bischof ermöglichte, Heinrichs Nimbus in einer öffentlichen Auseinandersetzung so weit zu beschädigen, dass dieser abzog – völlig unbehelligt, und, wie der Bericht betont, ungebrochene, kaum austilgbare Zuneigung in den Herzen der Gläubigen zurücklassend.

7.2.  Zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit In den Quellen über die Armutsbewegung, deren Exponenten die Wanderprediger waren, sind die Zeugnisse der Orientierung am irdisch-geschichtlichen Leben Jesu und an den Aposteln allgegenwärtig (Grundmann 1977: 40 f. mit Anm. 57; 503–513). Bekanntlich bildete die Armutsbewegung auch das Einfallstor für Missionare dualistischer Sekten, deren Einflüsse seit den vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts in Westeuropa nachweisbar sind und den Beginn des Katharismus markieren, der schwersten häretischen Herausforderung der Katholischen Kirche des Mittelalters. Everwin von Steinfelden, dessen Brief an Bernhard von Clairvaux (1144) die ersten Kölner Katharer und ihr Ergehen schildert, berichtet, diese bezeichneten sich als die »Armen Christi«, bei ihnen allein sei »die Kirche, weil sie allein in den Fußspuren Jesu Christi wandeln und in der Lebensweise der Apostel bleiben, nicht nach dem fragen, was zur Welt gehört, weder Haus noch Acker noch sonst irgendein Eigentum besitzen, wie ja auch Christus nichts besaß und seinen Jüngern kein Eigentum zugestand« (MPL 182, Sp. 677). Die vom reichen Kaufmann (Petrus) Waldes in Lyon begründete Gemeinschaft von Bußpredigern wollte ursprünglich in authentisch-apostolischer Armut den katholischen Glauben vertreten und so den radikalasketischen Katharern das Wasser abgraben; aufgrund von Konflikten um das Predigtrecht wurden die »Waldenser« dann selbst verket-

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zert. Vom Auftreten des Waldes und seiner Genossen berichtet der kluge, etwas zynische Engländer Walter Map als Augenzeuge: »Sie haben keine festen Unterkünfte und streifen immer zu zweit umher, barfuß und in wollenen Gewändern. Sie sind besitzlos und haben alles gemeinsam wie die Apostel, und nackt folgen sie dem nackten Christus« (Enchiridion Fontium Waldensium / Handbuch der Quellen über die Waldenser, 123). So erwies sich die Frömmigkeitsbewegung, in der das arme Leben Jesu und seiner Jünger als Lebensideal wirksam war und sich mit innerer Notwendigkeit kritisch gegen eine auf Besitz und weltliche Macht sich stützende Kirche wandte, als gewaltige Herausforderung: Ihre Ausstoßung hätte die kirchliche Institution mit ihrer Hierarchie und ihren Sakramenten von den wichtigsten Kräften lebendiger Frömmigkeit abgeschnitten; ein vorbehaltloses Eingehen auf die Forderungen hätte wohl das Ende der Katholischen Kirche als des überragenden ethisch-kulturellen Erziehungsfaktors bedeutet. Die Radikalalternativen konnten vermieden werden, weil an der Spitze der Kirche Männer zum Zuge kamen, welche gerade mit ihrem hochgespannten Bewusstsein hierarchischer Macht und Verantwortung ein deutliches Gespür für die allgemeine Bedeutung der Armutsbewegung, aber auch für deren potentiellen Nutzen als Faktor päpstlicher Machtsteigerung und -durchsetzung in der Kirche verbanden: Zu nennen sind die Päpste Innocenz III., Honorius III. und Gregor IX., in deren Amtszeiten (1199–1241) die wichtigsten Schritte zur kirchlichen Integration der Armutsbewegung unternommen wurden. Seitens der Armutsbewegung waren es zunächst Teile der Waldenser sowie die oberitalienischen Humiliaten, die sich gegen die Konzession bestimmter eigener Lebensform in die übergeordnete Organisation der Kirche einfügen ließen und diese damit als dem Stifterwillen Gottes entsprechend anerkannten. Die wirkmächtigste Synthese zwischen der Armutsbewegung und der Kirche gestaltete sich jedoch in Franz von Assisi (Selge 1966), und an der Geschichte der an ihn sich anschließenden Asketen- und Predigerbewegung lassen sich am deutlichsten die Handlungsmöglichkeiten wie die Gefahren ablesen, die aus dieser dauerhaft problematischen Synthese erwuchsen. Franz verpflichtete seine Brüder und sich nicht auf eine vorgege-

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bene Mönchsregel, sondern auf die »vita evangelii / Leben des Evangeliums« (Franziskus von Assisi, Regula non bullata / Nicht bullierte Regel, Einleitung), also auf das als normative Lebensform verstandene Vorbild der Lebensführung Jesu und seiner Jünger: »Die Regel und die Lebensform dieser Brüder ist diese: Leben in Gehorsam, in Keuschheit und ohne Eigentum, und der Lehre und den Fußspuren unseres Herrn Jesu Christi folgen« (ibd., cap. 1), d.h, wie die folgenden Bibelstellen signalisieren, am Vorbild Jesu und seiner Jünger orientierte Radikalaskese in der Hoffnung auf überschwängliche Kompensation im Ewigen Leben. Neuartig war daran die Radikalisierung des Gehorsamsbegriffs zu einer alle Ordnungen zutiefst relativierenden radikalen Demut. Diese Lebensform ist allerdings nicht Heilsteilhabe, sondern sie gewährt lediglich die Anwartschaft bzw. die Aussicht auf sie: »Alle Brüder sollen sich bemühen, der Demut und Armut unseres Herrn Jesu Christi nachzufolgen[…]. Und wenn die Menschen sie schänden und ihnen kein Almosen geben wollen, so sollen sie Gott dafür danken, denn aus der Schande empfangen sie große Ehre vor dem Richtstuhl unsers Herrn Jesus Christus. Und sie sollen wissen, dass die Schande nicht denjenigen zugerechnet wird, die sie erlitten haben, sondern denjenigen, die sie zugefügt haben« (ibd., cap. 9). Das Heilswerk Jesu Christi fasste Franz als Gabe der heilsamen Lebensform: »Er legte seinen Willen in den Willen des Vaters […]. Es war der Wille des Vaters, dass der gelobte und geehrte Sohn, den er uns gab, für uns geboren wurde und sich durch sein eigenes Blut als Opfer auf dem Altar des Kreuzes darbrachte – nicht für sich selbst, durch welchen ja alles geschaffen ist, sondern für unsere Sünden, und er hinterließ uns ein Beispiel, damit wir seinen Fußspuren nachfolgen [1 Petr 2,21]. Und er will, dass alle durch ihn gerettet werden und dass wir ihn mit reinem Herzen und keuschem Leib empfangen [recipiamus]. Aber es sind nur wenige, die ihn aufnehmen und durch ihn gerettet werden wollen, wenngleich doch sein Joch sanft und seine Last leicht ist« (Franziskus von Assisi, Opusculum commonitorium / Brief an die Gläubigen, 1). Dass hier eucharistische Terminologie durchscheint, ist kein Zufall. Franz bezog die göttliche Natur Christi, die menschliche Natur Christi und den eucharistischen Christus in auffälliger Weise auf

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einander: »Daher sind alle verdammt, die den Herrn Jesus Christus nach seiner Menschheit sehen und nicht sehen und glauben, dass er der wahre Sohn Gottes ist; genauso sind auch alle verdammt, die das Sakrament des Leibes Christi sehen, das durch die Worte des Herrn auf dem Altar durch die Worte des Herrn und durch die Hand des Priesters in der Form des Brotes und des Weines geheiligt wird, und nicht glauben, dass dies das allerheiligste Fleisch und Blut unsers Herrn Jesus Christus ist« (Franziskus von Assisi, Verba admonitionis / Worte der Ermahnung, 1). Franz’ Jesusfrömmigkeit war also auch eucharistische Frömmigkeit, Sakramentsfrömmigkeit, und darum band sie ihn an die Kirche. »Sodann gab und gibt mir der Herr um ihrer Weihe willen ein solches Vertrauen zu den Priestern, die gemäß den Ordnungen der heiligen römischen Kirche leben, dass ich mich an sie hielte, auch wenn sie mich verfolgen würden. […] Sie und alle anderen will ich wie meine Herren fürchten, lieben und ehren. Und ich will an ihnen keine Sünde beachten, weil ich in ihnen den Sohn Gottes erkenne und sie meine Herren sind. Und das tue ich deshalb, weil ich in dieser Welt nichts vom allerhöchsten Sohne Gottes sehe als seinen allerheiligsten Leib und sein Blut, welches sie selbst empfangen und welches sie allein anderen austeilen« (Franziskus von Assisi, Testamentum / Testament, 3). Damit ist auf höchster ideeller Ebene ein existentielles Bindeglied zwischen dem freiwillig Armen und der reichen Kirche aufgewiesen, denn auch der himmelstürmende Asket ist in unumkehrbarem Gefälle auf die Kirche als Heilsanstalt angewiesen, weil er allein durch sie des Beweggrundes und des Strebeziels all seiner Mühsal ansichtig zu werden vermag. Die Legendenüberlieferung malt Franziskus als einen Menschen, der sich in radikaler Askese Jesus immer mehr annähert. Seine Lebenswelt wurde ihm allenthalben zum sprechenden Zeugnis des Herrn: Franz hat ja die beiden Lämmer (und nicht Kälber oder Ferkel!) nicht deshalb vor dem Schlachter gerettet, weil ihn das Leiden der Kreatur dauerte, sondern weil er in ihnen Jesus erkannte (Thomas von Celano, Vita prima Sancti Francisci / Die erste Lebensbeschreibung des Franz von Assisi, I Cel XVIII,79), und seine Nähe zu Jesus konnte er auch unter Beweis stellen, indem er beim Aussprechen seines Namens wie ein Lamm blökte (ibd., XXX,86).

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Franz suchte und fand Jesus so im Lamm (Joh 1,29), wie seine Zeitgenossin Elisabeth von Thüringen den Herrn in den Leidenden und Entstellten suchte und fand, die sie pflegte (Mt 25,35 f.; Ohst 1994). Auch Franz hatte ja eine Zeitlang Aussätzige gepflegt (Franziskus von Assisi, Testamentum / Testament, cap. 1), sich dann jedoch auf die Instandsetzung verkommener Kirchen geworfen (Thomas von Celano, Vita prima Sancti Francisci / Die erste Lebensbeschreibung des Franz von Assisi, I Cel VIII f.). Auch Leiden und Entbehrungen aller Art vermochte er als bestätigende Proben auf den Erfolg seiner Bemühung um die Annäherung an Jesus freudig anzunehmen. So zeigt sich in der Legendenüberlieferung allenthalben die Tendenz, Franziskus als »Zweiten Christus« zu stilisieren. Einen markanten Kulminationspunkt erreichte dieser Prozess in der Behauptung, Franziskus habe einige Zeit vor seinem Tode an Händen und Füßen die Nägelmale Jesu Christi empfangen, diese besondere Begnadung jedoch so geheim wie irgend möglich gehalten. Nüchterner historischer Sinn liest an diesem Machwerk der Hysterie und des (mehr oder minder frommen) Betruges die überragende Bedeutung ab, die Franziskus zugesprochen wurde, denn die Stigmatisierung war eine ganz neue Pflanze auf der schon zuvor in reichem Flor stehenden Wiese der Heiligenmirakel (Ohst 2004). In den institutionellen Lebensformen der von ihm angestoßenen Armuts- und Predigtbewegung wirkte die radikale Armutsforderung von Anfang an als Keim der Zwietracht (Lambert 1961; Miethke 1999; Ders. 2000: 262 ff.). Schon bei Franz’ Lebenszeiten erwiesen sich radikaler Verzicht auf jeglichen Besitz und effiziente apostolische Wanderpredigt als miteinander unvereinbar, und so entbrannte ein jahrzehntelanger Streit um die Auslegung der entsprechenden Regelpassagen. Seit 1321 ging dieser Streit vor der Papstkurie zu Avignon in eine neue Runde: Nun standen nicht mehr die Regel und ihre Auslegung(en) im Vordergrund, sondern vielmehr die Frage, ob deren Bestimmungen ihrerseits der Prüfung an den übergeordneten Normen standhielten, m. a. W.: Haben Jesus und die Jünger wirklich weder als Einzelne noch als Gruppe irgendetwas, auch keine alltäglichen Ge- bzw. Verbrauchsgüter wie Kleidung und Nahrung, besessen? Diese Fragen wurden in Streitschriften und Gutachten

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»exegetisch« traktiert, allerdings unter Zugrundelegung eines differenzierten Systems von Eigentumsbegriffen, in welchem auf höchstem Niveau die begrifflichen Möglichkeiten damaliger Jurisprudenz und Sozialphilosophie erprobt bzw. erweitert wurden. Im Medium der innerfranziskanischen Auseinandersetzung ging es ja auch um die übergeordnete Frage, ob Eigentum erst eine Straffolge der Sünde, also durch die Erlösung aufzuheben sei, oder ob es sich um eine schon in und mit der Schöpfung selbst gegründete Ordnung handle, die von der Erlösung also nicht tangiert werde. Für manche der unterlegenen Radikalen, die sich dem höchstrichterlichen Urteil des Papstes nicht fügen wollten noch konnten, endete der Streit vor dem Inquisitionsgericht bzw. auf dem Scheiterhaufen; seine geistesgeschichtlichen Folgen gingen nichtsdestotrotz ins Unermessliche.

7.3.  Volkspredigt und Seelsorge Ein Hauptstrang der kirchengeschichtlichen Bedeutung der unterschiedlichen institutionellen Verzweigungen der franziskanischen Bewegung liegt in der Volkspredigt, die in allen ihren Spielarten letztlich Bußpredigt war. Sie sprach also ihre Hörer darauf an, dass sie sich der heiligmachenden Gnade mit Hilfe des Bußsakraments versichern und die ihnen so geschenkte Lebensmöglichkeit zu ihrem eigenen Heil in guten, d. h. verdienstlichen Werken ergreifen mussten. Der Gottmensch Jesus Christus wird in diesem Typus von Predigt aus drei Blickwinkeln thematisch. Einmal sind seine Menschwerdung, sein gesamter irdischer Lebensgang und insbesondere sein unschuldiges Leiden der zugleich transzendente wie geschichtliche Ermöglichungsgrund der dem Sünder durch Begnadigung gewährten Möglichkeit, zum Heil zu gelangen. Sodann enthält der Lebensgang des Erlösers Weisungen, welche den Sündermenschen dazu anleiten, sich der ihm gnadenhaft gewährten Möglichkeiten zu seinem Heil zu bedienen. Endlich vermag der Affekt des Mitleids mit dem unschuldig Gemarterten den sündhaften Hochmut des Sünders zu brechen und in ihm die Demut zu befördern, welche erforderlich ist, damit er die zu seiner eigenen Teilhabe am göttlichen Geschenk der Erlösung notwendigen see-

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lischen Anstrengungen zu erbringen vermag. So kommt der erinnerte bzw. in der Erinnerung sich vergegenwärtigende Mensch Jesus zu stehen als Ermunterer und Tröster, als Helfer und Berater, welcher drohend und verheißend den Menschen anleitet, für sich die Heilsmöglichkeit zu realisieren, welche er ihm eröffnet hat (vgl. auch Seegets 1998). Diese Heilsmöglichkeiten werden manifest im Absolutionswort des Bußsakraments und in der Begegnung mit Christus in den wesensverwandelten eucharistischen Elementen, aber eben als bloße Möglichkeiten. Darüber, ob sie dem einzelnen, kontingenten Menschen zum Heil ausschlagen, entscheidet  – je nach Sichtweise  – der Einzelne selbst durch hinreichende bzw. nicht hinreichende Disposition oder die unergründliche Fügung der göttlichen Erwählung. Es liegt auf der Hand, dass genau diese Konstellation von Gewissheiten und Ungewissheiten samt der Stellung des geschichtlichen Jesus in ihr strukturell exakt die schon an Augustin aufgewiesene ist (s. o.). Der mit der alles entscheidenden Aufgabe der individuellen Aneignung der allgemeinen Heilsmöglichkeit letztlich alleingelassene Mensch sucht verständlicherweise nach Hilfe und Unterstützung im Schoße der Kirche und insbesondere bei deren vollendeten Gliedern, welche die Stadien der Zweideutigkeit überwunden haben, den Heiligen. An deren Spitze steht Maria: Sie ist auf einmalig-beispielhafte Weise diesen Weg des demütigen Mitleidens mit ihrem Sohn gegangen, und weil sie auf diesem Weg schon die Vollendung erlangt hat, ist sie nicht nur ermutigendes Vorbild des Frommen, sondern dieser kann sie zugleich um Hilfe anrufen, und zwar genau bei der schwersten ihm gestellten Aufgabe, der psychischen Disposition für die heilsame Reue, in welcher der Mensch sich authentisch zu sich selbst als Sünder bekennt und dadurch fähig wird, den Ertrag des Heilswerks Christi in rückhaltloser Leidens- und Leistungsbereitschaft auf sich selbst zu beziehen: »Eia, Mutter, Quelle der Liebe / lass mich die Kraft Deines Schmerzes fühlen, / mach, dass ich mit dir trauere. / Mach, dass mir das Herz brenne / in der Liebe zu Gott-Christus, / damit ich ihm gefalle« – in dieser an Maria gerichteten Gebetsstrophe kulminiert das vielvertonte Gedicht »Stabat mater dolorosa / Es stand die Mutter schmerzerfüllt« (Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied, Bd. I, 161). Der Beter imaginiert das unschuldige, verdienstliche Leiden

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Christi, und er imaginiert zugleich dessen Mutter, die das Leiden ihres Sohnes miterlitten und sich genau damit des Empfangs von dessen Heilsertrag würdig gemacht hat: Sie soll ihm dabei helfen, genau diese Aneignung zu vollziehen, damit er selig werden kann. Diese Beziehung des meditierenden Beters zum Gekreuzigten steht ihrerseits noch einmal in eschatologischer Spannung: Der angebetete Kreuzesmann ist ja der, dessen Wiederkunft bevorsteht, und beim Endgericht wird er darüber urteilen, ob ein jeder Mensch die ihm gewährten Gnadenmöglichkeiten hinlänglich genutzt hat: »Lass mich von Schlägen verwundet werden / mach, dass ich durch das Kreuz und das Blut des Sohnes selig werde. / Durch dich entzündet und entflammt, du Treue, möge ich am Tage des Gerichts verteidigt sein« (ibd., 162). In einem anderen bis heute durch eindrucksvolle Kompositionen weithin bekannten mittelalterlichen Lied, dem »Dies irae / Tag des Zorns«, herrscht gleichsam in umgekehrter Reihenfolge dieselbe Spannung von Bitte und Furcht: Der zum Gericht wiederkommende Christus wird um seines Leidens willen um Barmherzigkeit angefleht: »Gedenke dessen, treuer Jesu, dass ich die Ursache deines Erdenweges bin. Gib mich also nicht verloren an jenem Tag!« (ibd., 139). – Es war dieses Bild des Gekreuzigten als des unerbittlichen Richters, über dessen verstörende Nachwirkungen Luther oftmals geklagt hat (vgl. Scheel, Dokumente, Sachverzeichnis s. v. »Gericht«). Was hier in poetischer Sprache ausgedrückt ist, kann mit wenig Aufwand in die technische Terminologie des Bußsakraments transponiert werden: Der Sünder sucht nach Mitteln, die ihm helfen, in sich das Maß an Reue hervorzurufen (Disposition), welches dazu hinreicht, dass ihm in der Absolution die heiligmachende Gnade (erneut) eingegossen wird, die es ihm möglich macht, verdienstliche bzw. genugtuende Werke zu vollbringen, also seine Anwartschaft auf die ewige Seligkeit zu festigen bzw. für sich und andere drohende Fegefeuerstrafen zu mildern. Und die durch Disposition und Absolution erlangte Eingießung der Gnade setzt den Menschen auch dazu in den Stand, der Begegnung mit Christus in der eucharistischen Kommunion standzuhalten: In der Messe ereignen sich eben nicht nur in sakramental verdichtender Vergegenwärtigung das Weihnachtswunder und das Karfreitagsgeschick, sondern in

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der Begegnung des Kommunikanten mit Christus findet ja auch so etwas wie eine Antizipation des Jüngsten Gerichts statt. Genau dieses religiöse Interesse am irdischen Jesus bezeugt die Reihe von vierzehn Nutzanwendungen, mit der Johannes von Paltz, ein Theologe und Seelsorger aus dem Augustiner-Eremitenorden, seine umfangreiche Auslegung der Passionsgeschichte einleitet. Gleich die ersten drei schlagen die Brücke zum Bußsakrament. Die Betrachtung der Passion verhilft zur wahren Reue, sie befördert die rückhaltlose Beichte und sie ist in sich eine bedeutsame Satisfaktionsleistung (Johannes von Paltz, Werke, Bd. I, S. 98 f.). Diese Grundgedanken waren in der Volkspredigt einer reichen Variationsbreite von Ausprägungen fähig. Gerade FranziskanerPrediger hatten keinerlei Scheu, sie an das populäre Verlangen nach Glückseligkeit auch in dessen gröberen und gröbsten Varianten anzuknüpfen. Charakteristisch ist weiterhin, dass sich in den Predigten, aber auch in der Erbauungsliteratur die Geschichte Jesu, besonders die Passionsgeschichte mit einer Fülle legendärer Zutaten anreichert – ein Prozess, der auf altkirchliche Vorläufer zurückverweist und der bis in den Katholizismus der Neuzeit hinein weiter ging (vgl. Ohst 2012).

7.4.  Jesus-Mystik und ihre Ausläufer Dieselben Grundgedanken wirkten auch in der Jesus-Mystik, wie sie zunächst in Klöstern praktiziert wurde und im Spätmittelalter durch literarische Vermittlungen auch in die Welt der gebildeten Laien hineinwirkte. Stilbildend wirkte hier mit Bernhard von Clairvaux ein Zeitgenosse der religiösen Aufbrüche des 12. Jahrhunderts. Sein Verhältnis zu diesen war spannungsreich, aber doch längst nicht so einlinig negativ, wie es scheinen mag. Bernhard von Clairvaux hat in einem Brief (Bernhard von Clairvaux, Epistula / Brief 241) eindringlich vor dem Mönch Heinrich (s. o.) gewarnt. Hier agiert er als überzeugungsstarker, gewandter Sachwalter der gegebenen Kirche mit ihren Ämtern und ihren heilsnotwendigen Sakramenten sowie den in ihr geltenden Ordnungen: Diese verweisen den Mönch in die feste Bindung an sein Kloster und gestatten ihm jedes Eingreifen in die Seelsorge an Laien allein mit besonderem

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bischöflichen / päpstlichen Auftrag und unter strengen Auflagen. Jemanden wie Heinrich, der diese Grenzen mutwillig einreißt, vermag Bernhard nur als wahrhaft diabolischen Störer des Friedens und der Ordnung zu verstehen, der Menschen in Verwirrung stürzt und ihnen den Weg zum Heil verstellt, denn der führt nun einmal über die Kirche und ihre Sakramente. Wenngleich der Mönch Bernhard das eigentliche Ausreißen dieses Unkrauts im Acker des Herrn demonstrativ den Zuständigen anheimstellt (Mt 13,24 ff.), so tut er doch nach bewährter Pfaffenart das Seine, um Heinrichs Vernichtung durch Herabsetzung und Verleumdung zu befördern: Ursprünglich Mönch, ist Heinrich ins Weltleben zurückgekehrt wie ein Hund, der sein Erbrochenes frisst (2 Petr 2,22). Das Evangelium würdigt er zum Erwerbsgegenstand herab, und das Geld, das er so einnimmt, verprasst er mit Huren und beim Würfelspiel. In seiner Predigt und seiner geistlichen Schriftstellerei erweist sich Bernhard jedoch auf seine Weise ebenfalls als Vertreter einer neuen Art von Frömmigkeit. In eigenständiger Weise das Erbe v. a. Augustins neu aneignend, entwarf Bernhard ein Bild christlicher Existenz als Prozess der aufsteigenden Rückkehr der Seele in ihren göttlichen Grund. »Mystisch« ist dieses Konzept insofern, als es die Möglichkeit offenhält, dass dem Menschen schon auf dem Wege in unaussprechlichen Momenten ein Vorgeschmack auf die Vollendung gewährt sein kann: Im seligen Selbstverlust zergeht das Ichbewusstsein, weil es an seinen göttlichen Grund rührt. Dieser gesamte Ansatz christlicher Existenzdeutung erhebt seinen Anspruch auf Plausibilität in und unter den Voraussetzungen benediktinisch-zisterziensischen Mönchtums. Dieser Kontext ist konstitutiv, und das ist nicht allein bei Bernhard selber und in seiner mittelalterlichen Wirkungsgeschichte zu berücksichtigen, sondern insbesondere bei den altprotestantischen Rezeptionsgestalten »bernhardinischer Mystik«, in denen diese zum Steinbruch für Versatzstücke wird, mit deren Hilfe eine ganz anders gerichtete und gestimmte Frömmigkeit ihre Ausdrucksfähigkeit steigern will: »ein Mystiker, der nicht Katholik wird, ist ein Dilettant« (Harnack 1909–1910: III, 436). Die spätmittelalterlichen Divulgarisierungsbewegungen, in welchen »bernhardinische« Devotion auch außerhalb der Klöster Wirkungen entfaltete, haben der reformatorischen Frömmigkeits-

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wende sicher an ihrem Ort den Boden bereitet, sind dann aber von ihr, wo sie Eingang fand, ganz neu justiert und ausgerichtet worden. Das Bild, das Bernhard vom Menschen Jesus Christus zeichnet (vgl. auch Hummel 1989: 144–152), ist bestimmt von dessen Funktion für den Menschen auf seinem Weg in seinen Ursprung und zu seinem Ziel, und diese ist in sich noch einmal mehrschichtig. In sinngemäßer Aufnahme von Augustins Unterscheidung zwischen sacramentum / Heilsgabe und exemplum / Beispiel formuliert Bernhard: »Das Leben Christi ist mir die Richtschnur des Lebens, sein Tod die Erlösung vom Tode« (Bernhard von Clairvaux, De laude novae militiae / Lobrede auf das neue Rittertum, XI,18). Das Kreuzesopfer des Gottmenschen Jesus Christus hat das Verhängnis der Erbsünde vom Menschengeschlecht genommen. Insofern ist es die bleibend notwendige Ermöglichungsbedingung des Aufstiegs. Aber es ist eben nicht die hinreichende Bedingung; es muss seitens des Menschen, ermöglicht durch die vorauslaufende Heilstat, zu einer entsprechenden Erneuerung der Lebensdeutung und der Lebensführung kommen, zu der er, versunken im immer neue sündige Verstrickung hervorbringenden Strafübel der Sinnlichkeit, von sich aus nicht kommen kann. Die göttliche Gnadenhilfe zur Aneignung des Heils muss sich also den gegebenen menschlichen Aufnahmebedingungen anpassen. Die Menschwerdung des ewigen Wortes ist ein durch die ins Animalische herabgezogene conditio humana / Bedingung des Menschseins erforderlicher Akt der Kondeszendenz; Bernhard verdeutlicht das durch eine Allegorese der Geburtsszene im Stall von Bethlehem, in welche er den Ochsen und den Esel gemäß Jes 1,3 hineinliest: »Das Wort, das Brot der Engel, ist zum Futter für das Vieh geworden, damit der Mensch, der es verlernt hat, sich vom Brot des Wortes zu ernähren, fleischliches Heu habe, das er wiederkäuen kann – so lange, bis er durch den Gottmenschen wieder seine ursprüngliche Würde erlangt hat und, vom Vieh wieder zum Menschen geworden, wieder sagen kann: Auch wenn wir Christus nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr (2 Kor 5,16). Das kann nur wahrhaftig sagen, wer mit Petrus auch dieses aus dem Munde der Wahrheit gehört hat: Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe,

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sind Geist und Leben, das Fleisch aber ist nichts nütze (Joh 6,64)« (ibd., VI,12). – Gott ist Mensch geworden, weil der Mensch viehisch war, und je weiter sich der Mensch mit Gottes Hilfe aus dem Verfall herausarbeitet, desto weniger bedarf er der sinnlichen Wahrnehmung, weil er der geistigen Schau fähig wird, welche sich nicht auf den Menschgewordenen, sondern auf den ewigen Logos richtet. Der Mensch Jesus Christus wendet sich an Menschen, die sich auf einer bestimmten Strecke ihres Aufstiegsweges befinden, also in einem durchaus transitorischen Stadium, und dementsprechend weist der Menschgewordene über sich selbst hinaus (vgl. Bernhard von Clairvaux, Sermones in Cantica Canticorum / Predigten über das Hohelied, XX,6–8). Die beiden Richtungen des Heilswerks des M ­ enschgewordenen, also die stellvertretende Sühne sowie die Leitung und Beförderung des religiös-sittlichen Aufstiegs, verknüpft Bernhard miteinander, ­indem er hier wie dort auf die selbstlose Demut und Liebe des Mensch­ gewordenen verweist: Sie bewogen ihn dazu, die Mühsal und das Leid der erbsündigen Menschheit zu tragen und e­ rwarben so das überschwängliche Verdienst zum Heil der Menschheit (­Bernhard von Clairvaux, Sermo in feria IV. hebdomadae sanctae / Predigt am 4. Feiertag der heiligen Woche, 3). Die Menschheit schuldet dem Gottmenschen deshalb tätige Dankbarkeit (Bernhard von Clairvaux, Sermones in Cantica Canticorum / Predigten über das Hohelied, XI,8 – man denke an Zinzendorfs Düsseldorfer Erlebnis zu Beginn seiner Kavalierstour, vgl. die Diagnose bei Ritschl 1880–1886: III, 201). Christi Liebe und Demut treiben die lasterhaften seelischen Grundhaltungen aus (ibd., 5). Das heißt: Die meditierende Erinnerung des Erdenweges Jesu, insbesondere seiner Passion, ist Mittel zum Zweck der religiös-ethischen Tugendbildung. In seinen Predigten über das Hohelied macht Bernhard seinen Brüdern, die er als Fortgeschrittene, als geistlich Gebildete, als alt nicht an Jahren, sondern an Verdiensten in Anspruch nimmt (Bernhard von Clairvaux, Sermones in Cantica Canticorum / Predigten über das Hohelied, I,12), in immer neuen kühnen Bildern deutlich, dass ihm ein Dreischritt vor Augen steht, der mit der contritio / Reue seinen Anfang nimmt, über die Bewährung im asketischen Vollkommenheitsstreben führt und in die Aussicht auf die eigentliche, un- und übergegenständli-

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che religiöse Erfahrung ausmündet (z. B. ibd., III,2–5; VII,6; X,4–7), wobei der eigentliche Gegenstand der Sehnsucht und der Hoffnung die göttliche Natur Christi bzw. Gott selbst ist (vgl. ibd., X,8 mit charakteristischem Bezug auf Joh 6,64). Bernhards Jesus-Mystik nimmt in der Frömmigkeitsgeschichte des Mittelalters eine zentrale Stellung ein, in ihr bündeln sich ältere Topoi und Anschauungen, und von hier aus verbreiten sie sich, nicht nur durch die echten Schriften Bernhards, sondern auch und gerade durch Pseudo-Bernhardiana (s. dazu Schwarz-Mehrens 1985: 47–68, sowie Ruh 1990–1999: I, 420). Ein Ausläufer dieser klösterlichen Mystik und ihres Jesus-Bezuges ist die im Spätmittelalter anschwellende fromme RatgeberLiteratur, welche ihr Publikum und ihre Trägergruppen zunehmend auch außerhalb der Klöster fand. – In seiner umfänglichen »Vita Jesu Christi / Das Leben Jesu Christi« deutete der Kartäuser Ludolf von Sachsen (gest. 1378) die einzelnen Züge und Episoden mit umfangreichen Rückgriffen auf die rechtgläubige Auslegungstradition als hilfreiche Beispiele für eine bewusst gestaltete christliche Lebensführung, welche stets die Spannung von Gnadenbewusstsein und Verlustgefahr zu bewältigen hat: An Jesus lässt sich ablesen, wie im Bestehen von Bewährungsproben und im entschlossenen Zugriff auf Möglichkeiten verdienstlichen Verhaltens ein wahrhaft christliches Leben gestaltet werden kann. Eingeübt wird mit dem Leser dabei zugleich die vergegenwärtigende Meditation der Szenen der biblischen Geschichte. Ignatius von Loyola hat von diesem Werk in der Phase seiner Bekehrung entscheidende Anstöße empfangen und diese dann auch in seinen eigenen Arbeiten zur Seelsorge und Seelenführung verarbeitet (Boehmer 1914: 299–308). Ganz ähnlich gearbeitet, jedoch erheblich kürzer und praktisch entsprechend besser brauchbar ist das aus vier Einzeltraktaten zusammengefügte Werk »De imitatione Christi / Die Nachfolge Christi« des Thomas Hemerke von Kempen (gest. 1479), wohl das nach der Bibel weitestverbreitete Buch der Weltliteratur. Es bietet seinem Leser im sehr lockeren Anschluss an die evangelische Geschichte Hilfestellungen bei der Selbstanalyse und bei der Selbsterziehung, es spricht diesen dabei als jemanden an, der sich der Verantwortung für sein ewiges Ergehen bewusst ist und ihr nach Kräften gerecht

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werden will. Immer wieder sucht »Christus« selbst den Dialog mit der nach dem rechten Weg suchenden und nach ihrer Vollendung strebenden Seele und spendet ihr Aufmunterung, Rat und Trost für eine Lebensführung, die sich auf das wirklich Wichtige konzentriert und die drängenden Nebendinge auf Abstand hält. Eine Sonderstellung im Werk nimmt das letzte Buch ein, welches der angemessenen Vorbereitung auf die Begegnung mit Christus in der eucharistischen Kommunion gewidmet ist.

8.  Humanistische Transformationen Wendet man sich von hier aus des Erasmus von Rotterdam »Enchir­ idion«, also dem Handbuch (oder auch Dolch) für den christlichen Ritter (1503), zu, so sind gewichtige Verschiebungen unverkennbar: Der angebliche leere Formalismus des scholastischen Theologiebetriebes wird im Namen einer schlichten Bibelorientierung bekämpft, und die auf die monastische Herkunft verweisende weltscheue, weltflüchtige Tendenz ist zugunsten der bejahten Aufgabe der konstruktiven Weltgestaltung erheblich zurückgenommen. Mindestens ebenso bezeichnend sind die Kontinuitäten. Das Leben des Christenmenschen ist ein einziger Kampf des Geistes gegen das Fleisch. In diesem Kampf ist Christus der Feldherr, der als Schöpfer und Erlöser Anspruch auf die Treue seiner Dienstleute erheben kann. Seine wichtigste Funktion besteht allerdings darin, dass er als Vorbild und ermutigender Berater den ihnen selbst und anderen heilsamen Freiheitsgebrauch der Seinen anleitet und befördert. Die praktisch-ethischen Übereinstimmungen mit stoischen Maximen sind allenthalben mit Händen zu greifen; Christus ist aber allen philosophischen Lehrern qualitativ überlegen, weil bei ihm Lebensführung und Lehre lückenlos übereinstimmten. Der von Erasmus besonders glanzvoll vertretene Bibelhumanismus wirkte in je unterschiedlichen Spielarten in den sich mit der Reformation bildenden und verfestigenden Konfessionskirchentümern. Erasmus selbst bewies in seiner Auseinandersetzung mit Luther eindrucksvoll, welche Möglichkeiten die Synthese von stoischhumanistischem Denken und der herkömmlichen Anschauung des

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Zusammenwirkens von menschlichem Heiligungs- und Verdienststreben mit der kirchlich-sakramental verstandenen Gnade für die sich erneuernde Papstkirche eröffnete. Ihre kritische Potenz erwies diese Denkweise in Einzelgängern und in Sondergruppen abseits der großen Kirchentümer (Sozinianer, Arminianer): Hier wurden im kritisch operierenden Rückgriff auf die biblischen Quellen die Zwei-Naturen-Christologie und die Lehre von der Versöhnung Gottes durch das unschuldige Strafleiden des Gottmenschen abgebaut, also diejenigen Traditionsbestände, welche in Wort und Werk Jesu Christi einen menschliche Möglichkeiten qualitativ aufbrechenden bzw. erweiternden Eingriff Gottes behaupteten. Ein frühes Stadium dieses Prozesses repräsentiert die viel gelesene Apologie des Arminianers Hugo Grotius: »Und so ziehen wir den Schluss, dass diese Religion über alle anderen herausragt, weil ihr Lehrer selbst verwirklicht hat, was er gebot, und selbst erlangt hat, was er versprach« (Hugo Grotius, De veritate religionis Christianae / Über die Wahrheit der christlichen Religion II,20): Gemeint sind Jesu vollendetes religiöses Ethos und seine Auferstehung, welche seine Verheißung des Ewigen Lebens gewährleistet, wie Grotius überhaupt aus den Wundern Jesu das entscheidende Argument für dessen göttliche Legitimation zieht (vgl. ibd., II,4). Die Wunderüberlieferungen, aus welchen Grotius hier noch meinte, umstandslos für die Überzeugungskraft der christlichen Religion Kapital schlagen zu können, verloren durch tief eingreifende Umschwünge im Verständnis der natürlichen und geschichtlichen Wirklichkeit massiv an Gebrauchswert: Die einst zuversichtlich ins Feld geführten apologetischen Argumente wurden zu ihrerseits apologetischer Bemühungen bedürftigen Sachverhalten, und ein Christentum ohne Mysterien fand seinen Begründer und seine Leitgestalt in einem Jesus, dessen Lebensgang in höchstmöglicher Schlichtheit und Reinheit ein menschliches Existenzverständnis bezeugt, das um die ihm mit seinem Dasein selbst gestellte Aufgabe der Selbstbildung zu seiner eigenen Wahrheit hin weiß und sich bei deren Erfüllung dankbar und vertrauensvoll der göttlichen Leitung und Hilfe gewiss ist. Dieses Jesus-Bild entstand im englischen Deismus (Voigt) und fand seinen Abschluss im »Rationalismus« der

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späten deutschen Aufklärungstheologie (Johann Friedrich Röhr, Briefe über den Rationalismus, Brief XVII, 395–432).

9.  Der reformatorische Neuansatz und seine Fortbildungen Die bislang angedeutete Linie der Zersetzung der »dogmatischen« Christologie im Namen des Rückganges auf den geschichtlichen Menschen Jesu lässt sich, rein immanent-theoriegeschichtlich betrachtet, weitestgehend ohne die Dazwischenkunft der reformatorischen Zäsur verstehen. Sicher, die klare, unverblümte Abstoßung rechtsgültiger kirchlicher Lehre war im frühneuzeitlichen Europa allein im Wirkungs- und Strahlungsbereich der Reformation möglich. Aber der reformatorische Neuansatz im Bilde des geschichtlichen Menschen Jesus ging doch zunächst in eine ganz andere Richtung. Er erschließt sich am deutlichsten, wenn man bei seiner Verwandtschaft mit und seiner Unterschiedenheit von der Christusmeditation einsetzt, wie sie Augustin und Bernhard von Clairvaux begründet haben. Auch Luther kann davon sprechen, dass die Gotteserkenntnis beim geschichtlichen Menschen Jesus, insbesondere bei seinem Leiden einsetzt, dass sie von dort aus aufsteigt und Gottes innewird (Martin Luther, Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi; WA 2, 136 ff.; weitere Stellen bei Althaus 1975: 159–171). Hier tut sich dann jedoch sogleich ein tiefer Unterschied auf: Das Innewerden Gottes ist kein seliger Selbstverlust, sondern die Neukonstitution des menschlichen Selbst im Vergebungs- und Versöhnungsglauben, welcher sich auf das ihm zugute geschehene einmalig-geschichtliche Heilshandeln Gottes in Jesus Christus stützt. Luther fasst dabei den geschichtlichen Menschen Jesus auf neuartige Weise in seiner Selbstvergegenwärtigung als das wirksame Organ des göttlichen Heilswillens. Gottes Wille, wie er im Bild Jesu Christi Gestalt gewinnt, ist nicht die Ursache eines Gefüges von Bedingungen und Hilfestellungen, welchen der Mensch zu genügen bzw. welcher er sich um seines Heils willen zu bedienen hätte, sondern im Menschen Jesus realisiert Gott seinen Willen im und am Menschen. Zu Hebr 2,10 bzw. 5,9 bemerkt Luther. »Hier zeigt

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sich schön die Art und Weise, auf die wir erlöst werden, nämlich durch Christus als das Urbild und Beispiel, gemäß dessen Bild alle geformt werden, die erlöst werden. Denn Gottvater hat Christus gemacht, auf dass er ein Zeichen und Urbild sei, damit diejenigen, welche ihm durch den Glauben anhängen, in dieses Bild hinein umgeformt werden und so weggezogen werden von den Bildern der Welt. […] Diese Sammlung der Kinder Gottes geschieht so, als wenn eine Stadtregierung ein öffentliches Schauspiel anberaumt: Dann verlassen alle Bürger ihre Häuser und Gewerke und strömen dorthin. So zieht und reißt Christus, durch das Evangelium wie durch ein Schauspiel aller Welt bekannt, durch seine Erkenntnis und durch das Nachsinnen über ihn alle von den Dingen weg, welchen sie in der Welt anhängen. Und das ist ihr Umgeformtwerden, ihr Ihm-gleich-Werden. […] Nicht durch Gewalt und Furcht zwingt Gott zum Heil, sondern durch dieses süße Schauspiel seiner Barmherzigkeit und Fürsorge bewegt und zieht er alle diejenigen durch die Liebe, welche er rettet« (Martin Luther, Hebr.-Vorl., WA 57, 124 f; vgl. Osthövener 2004: 41–58 und U. Barth 2010). Das heißt: Jesus Christus vergegenwärtigt sich gerade als derjenige, welcher sein Heilswerk vollbringt, und zwar für den je einzelnen Menschen. Das Heilswerk ist nicht mehr zeitlich und räumlich entfernte Ursache für jetzt bestehende und zu realisierende Möglichkeitsbedingungen, sondern es kommt in seiner worthaften Selbstzueignung an den je einzelnen Menschen an sein Ziel. Die Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi, sein Gleichzeitigwerden ist es, welches den Glauben begründet, und das primäre Medium dieser Selbstvergegenwärtigung ist das in sich vielfältige und vielstimmige Zeugnis der Bibel: »Wenn du nun das Evangelienbuch aufschlägst, liest oder hörst, wie Christus hierhin oder dahin kommt oder jemand zu ihm gebracht wird, dann sollst du dadurch vernehmen die Predigt oder das Evangelium, durch welches er zu dir kommt oder du zu ihm gebracht wirst. Denn das Evangelium predigen ist nichts anders, denn Christus zu uns kommen oder uns zu ihm bringen« (Martin Luther, Ein klein Unterricht, WA 10.1 / 1, 13 f.). So realisiert der auferstandene Christus seine Herrschaft, indem er sich als irdischer im Wort fort und fort vergegenwärtigt und Menschen in je ihrer Gegenwart zum Grund des Glaubens wird.

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In Luthers Abendmahlsverständnis kommt dieselbe Konzentration auf die worthaft-wirkmächtige Selbstvergegenwärtigung Christi, die den Glauben schenkt, ganz ebenso konsequent zur Geltung: Die völlige Neugestaltung des Bildes des irdischen Christus geht Hand in Hand mit einer ebenso tief eingreifenden Umgestaltung der Anschauung des eucharistischen Christus (kritisch wie konstruktiv grundlegend in Martin Luther: De captivitate Babylonica ecclesiae, praeludium / Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, WA 6, 507–526). Christus bleibt demjenigen, welchem er worthaft gleichzeitig wird, nicht äußerlich, sondern es kommt zu einer in die letzten Tiefen gehenden Persongemeinschaft, für die Luther auch (vgl. Bornkamm 1998: 183–185) in kühn umprägender Weise die altbekannte Bilderwelt (von Harnack 1909–1910: III, 343) der Brautmystik heranziehen kann: »also dass, wenn du ihm zusiehst oder zuhörst, dass er etwas tut oder leidet, dass du nicht zweifelst, er selbst, Christus, mit solchem Tun und Leiden sei dein, darauf du dich nicht weniger mögest verlassen, denn als hättest du es getan, ja, als wärest du derselbige Christus« (Martin Luther, Ein klein Unterricht, WA 10.1 / 1, 11). Glaube wird zur Chiffre für die dem einzelnen Menschen gewährte, im Geist eröffnete Teilhabe am Heilswerk Christi, welche dasselbe ist wie die Herrschaft Christi im Menschen (Ohst 2003): Christus, so formuliert Luther im terminologischen Anschluss an 2 Petr 2,1, hat uns nicht losgekauft, »um uns bloß darüber zu belehren, wie man gut lebt. Sondern er hat das getan, damit er selbst in uns lebe und regiere und unser Herr sei, der in uns alle unsere Werke tut, was allein durch den Glauben an ihn geschieht« (Martin Luther, WA 7, 726 f.). In der durch den Glauben konstituierten Gemeinschaft mit Christus erhält der Christ Anteil an Christi Gütern. Aber mehr noch: Die authentisch-persönliche Gemeinschaft mit seinem Anfänger und Vollender eignet dem Glauben auch dessen Leiden zu: »S. Paulus heißt auch aller Christen Leiden das Leiden Christi. Denn wie der Glaube, der Name, das Wort und Werk Christi mein ist, darum, dass ich an ihn glaube, also ist sein Leiden auch mein, darum, dass ich auch um seinetwillen leide« (Martin Luther, WA 12, 279 [Predigten über 1 Petr, gedruckt 1523]). Auch

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der Normbegriff der Demut wird so ganz neu gestaltet: Er bezeichnet nicht mehr das (verdienstliche) Strebeziel menschlicher Selbsterziehung, sondern eine im und mit dem Glauben im Menschen gegründete Lebenshaltung (Burger 2007). Der leidende, angefochtene Christus wird so auf gänzlich neuartige Weise zum Gegenstand der frommen Besinnung und des theologischen Nachdenkens, denn er figuriert nicht mehr allein als der Erbringer des vor Gott für die Erlösung notwendigen Verdienstes, sondern er wendet sich selbst als Gottes wirkendes Wort an den aneignenden Glauben (Vogelsang 1992). So ist der Glaube verstanden als Neukonstitution des Menschen, welche Gott durch den Menschen Jesus Christus im Gewissen ins Werk setzt und durchsetzt, und diese Neukonstitution vollzieht sich als Akt der Konformation des Glaubenden mit dem Menschen Jesus Christus  – allerdings nicht so, dass der Mensch sich nachfolgend und nachahmend mit Christus konformiert, sondern vielmehr so, dass der Mensch in seinem Tun und Erleiden in Christus gleichsam hineingebildet wird, wobei der Glaube das bewusste, bejahte Miterleben und Miterleiden dieses Prozesses ist, der nicht als bloßes Geschick sich vollzieht, sondern immerdar in seiner bewussten Aneignung, welche durchaus auch krisen- und konflikthaft verläuft. Dass Luther in solchen Argumentationszusammenhängen ausdrücklich den Anschluss an Augustins Unterscheidung zwischen Christus als sacramentum / Heilsgabe und exemplum / Beispiel gesucht hat, war ihm sicherlich hilfreich bei der terminologischen Fixierung der eigenen Gedankenbildung und bei deren argumentativer Plausibilisierung: »Augustin« war ja ein über Differenzen, ja, über Abgründe hinweg allgemein anerkanntes Gütesiegel für theologische Exzellenz und unzweifelhafte kirchliche Rechtgläubigkeit. Aber das Verständnis für die Besonderheit seiner Gedanken auch und gerade gegenüber Augustin selbst hat er durch diese terminologische Übernahme eher erschwert denn erleichtert. In der von Augustin entworfenen und von Bernhard reich ausgeführten Betrachtungsweise kommt Christus dreifach vor: Der Gottmensch mit seinem einmalig-geschichtlichen Heilswerk und dessen in den Sakramenten fort und fort ausgespendeten Ertrag ist der objektive Ermöglichungsgrund für den Reinigungs- und

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Aufstiegsweg der Seele; er ist also Gottes Heilstat bzw. Heilsgabe, sacramentum. Auf diesem Wege hilft der sich vergegenwärtigende Mensch Jesus als Ratgeber und Mahner, als Lehrer und ermutigendes Vorbild, indem er dem menschlichen Bemühen anspornend, ermutigend und unterstützend zur Seite steht, hier wirkt er also als exemplum / Beispiel. Christus als exemplum leistet dem Menschen also Hilfestellung bei der Aneignung und Verwirklichung des Heils, welches er als sacramentum / Heilsgabe erworben und ermöglicht hat. Endlich ist Christus in seiner göttlichen Natur das Strebeziel des Aufstiegs, das Aufgehen in ihm bzw. in Gott selbst ist das Ende der Individualität in ewiger Glückseligkeit, das im flüchtigen Vorgeschmack schon auf dem Wege erfahren werden kann. Diese psychologisch wie theologisch und auch literarisch-ästhetisch gleich großartige Auffächerung mitsamt dem in ihr waltenden fein austarierten Gleichgewichtsverhältnis von selbstverantwortlicher menschlicher Freiheit und göttlicher Gnadenhilfe zieht Luther ein. Der sich im Wort auf seinem heilvollen geschichtlichen Erdenwege vergegenwärtigende Jesus Christus ist der Auferstandene. Er handelt in göttlicher Vollmacht am menschlichen Gewissen, welches an ihm seiner eigenen Heil- und Trostlosigkeit innewird und in und an ihm im Glauben seine Neukonstitution erfährt. So legt sich über die Unterscheidung von exemplum / Beispiel und sacramentum / Heilsgabe die Dialektik von Gesetz und Evangelium, welche wie alle lebendige Gotteserkenntnis so auch das worthafte Handeln des sich vergegenwärtigenden Jesus Christus strukturiert. Die Gesetzeserfahrung bildet allererst die Voraussetzung dafür, dass Christus sich in seinem Heilswerk im Gewissen gegenwärtig setzen und den Glauben schaffen kann, welchem er dergestalt zum sacramentum / Heilsgabe wird, dass er zugleich dessen Lebensgestalt als exemplum im Tun und Leiden formt. Christi Wirkweisen als exemplum / Beipiel und sacramentum / Heilsgabe am Menschen sind gegenüber der Sichtweise Augustins jeweils ganz anders gefasst und einander in einer ganz neuartigen Konstellation zugeordnet. Sie sind so eng aneinander gerückt, dass sie letztlich nur noch perspektivisch differente Bezeichnungen für denselben Sachverhalt sind: »Die Gabe schließt das Exempel in sich, wie der Glaube die Tat« (Vogelsang 1932: 55). Eine vielsagende Probe auf die Neuartigkeit von Luthers

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Gedanken liegt darin, dass sie bei der Transmission und Aneignung des Werkes Christi dem Verdienstgedanken keinen noch so schmalen Spielraum lassen, was ja Augustins Lehrfassung tut, wie sie selbst zeigt und wie es erst recht ihre Rezeptionsgestalten vor Augen führen: Christus als exemplum / Beispiel leitet den Menschen dazu an, die von Christus als sacramentum / Heilsgabe eröffneten Verdienstmöglichkeiten zu nutzen: Menschliches Verdienst ist eben zugleich Gottes Werk (vgl. Augustinus, Epistola / Brief, 194,5,19). Betrachtet man die Neubestimmung der Bedeutung des geschichtlichen Menschen Jesus Christus in Luthers Christologie problemgeschichtlich, dann kommt sie zu stehen als ein Knotenpunkt, auf welchen bestimmte Entwicklungslinien hinlaufen, an dem sie neu verbunden und geordnet werden und von dem aus sie dann wieder in unterschiedliche, auch konträre Richtungen auseinandergehen. Das Problem, das Luthers einschlägige Neubestimmungen auf neue Weise stellen und zuspitzen, lässt sich so formulieren: Wie ist es gedanklich zu plausibilisieren, dass die worthaft gestaltete Begegnung mit dem einmaligen geschichtlichen Menschen Jesus Christus fort und fort Menschen an je ganz anderen geschichtlichen Orten zur erlösenden und befreienden Gewissensbegegnung mit Gott wird, wenn man die bisher zur Lösung dieses Problems eingesetzten gedanklichen und institutionellen Konstrukte verwirft, weil sie allesamt mehr oder weniger auf eine Kooperation menschlicher Wahl- und Willensfreiheit mit sakramental vermitteltem göttlichem Gnadenhandeln hinauslaufen? Luthers eigene Lösung läuft über eine gänzliche Neubestimmung des biblischen Wortes als der Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi, als des Gleichzeitigwerdens des Erhöhten mit demjenigen, welchem er den Glauben schenkt, und sodann christologisch über die im Zuge des Abendmahlsstreits ausgearbeitete Neufassung der Zwei-Naturen-Lehre. Die wechselseitige Mitteilung der Eigenschaften der göttlichen und der menschlichen Natur Christi enthebt den menschlich-geschichtlichen Christus seiner Bindung an Zeit und Ort: »Es ist ein Mißverständnis, das auch Kierkegaard nicht überall vermieden hat, als ob wir mit Jesus gleichzeitig werden müßten. Nein, er will es mit uns werden. Wir bleiben an Ort und Stunde gebunden, und er kommt mit seinem Worte und seinem Leben

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zu uns. […] Nur dann kommt ihm der Herrenname mit Recht zu, wenn er die Macht hat, als ein gegenwärtiger an unserm Gewissen zu handeln. Wo ein lebendiges Herz ist, siehe, da will er auch sein. Ich bin mir bewußt, damit einen Gedanken Luthers aufgenommen zu haben, den man meist als Schrulle behandelt, seine Lehre von der Allgegenwärtigkeit Jesu Christi nach seiner Menschheit. Es ist noch kaum beobachtet und doch wahr: wollte Luther Jesus Christus in seiner Menschheit ernstlich als uns zu Gottes Wort geworden verstehen, dann war er auf diese Lehre hingedrängt. Sie hat also in den Tiefen seines Evangeliums ihre Wurzel« (Emanuel Hirsch, Dogmatische Abhandlungen I, 67; maßgeblich die Untersuchungen von Baur 1993: 117 ff.). Luthers kühne Denkanstöße, die nicht nur die mit dem ZweiNaturen-Dogma gesetzten Grenzen bis zum Zerreißen spannten, sondern auch die Grundlagen der klassischen Metaphysik in Frage stellten (Elert 1952–1953: I, 363–378), fanden v. a. in Württemberg Widerhall; den Hauptstrom der Frömmigkeits- und Theologiegeschichte bestimmten jedoch in den Spuren Melanchthons Synthesen reformatorischer Ansichten mit augustinischem und humanistischem Denken. Wie schwer es hielt, unter diesen B ­ edingungen reformatorischen Erwerb festzuhalten, bezeugt beispielhaft der zähe Kampf gegen die sozinianisch-humanistischen und tridentinischkatholischen Beanspruchungen Christi als eines neuen Gesetzgebers (Johann Gerhard, Loci Theologici / Hauptthemen der Theologie Bd. III, 171–179). Hierbei handelte es sich ja nicht um haarspalterische Rechthaberei, sondern um das Anliegen, den geschichtlichen Jesus Christus durch klare Unterscheidungen als in der worthaften Selbstvergegenwärtigung durch die Schrift sich zueignendes Evangelium festzuhalten. Die Schultheologie der Aufklärung begann, herausgefordert durch Radikalisierungen des Deismus wie die von Lessing publizierten Reimarus-Fragmente, in der Auslegung der Evangelien die Berichte mit ihren theologischen Akzentuierungen, Bewertungen und Behauptungen kritisch auf den in ihnen aufbewahrten historisch-tatsächlichen Gehalt hin zu befragen. Sie suchte den Weg zum historischen Jesus, indem sie Schicht um Schicht der nachträglichen Übermalungen abtrug, und verstand Jesus mit zunehmendem Maß

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an Ausschließlichkeit als ethisch-religiösen Lehrer, der als Person hinter den von ihm vermittelten Inhalten und der ihnen selbst inhärenten Überzeugungskraft zurücktrat. Gegenläufig versteifte sich der Supranaturalismus auf einen Begriff der im Bibelbuch zuverlässig und autoritativ verfassten göttlichen Offenbarung, als deren Urheber Jesus als geschichtliche Person insofern nur zweitrangige Bedeutung hatte, als diese Offenbarung wiederum primär als, wenngleich »übernatürliche«, Lehre verstanden wurde. Nach Außenseitern wie Zinzendorf und Herder war es dann v. a. Schleiermacher, der auf neue Weise die geschichtliche Person Jesus Christus als den zentralen Bezugs- und Orientierungspunkt der christlichen Religion auf höchstem theoretischen Reflexionsniveau geltend machte: Die Reden »Über die Religion« (1799) widmen sich (auch) der Frage, wie aus der allgemeinmenschlichen Anlage zum religiösen Sichdeuten und Sichverstehen durch das Wirken schöpferisch-spontaner Individuen die geschichtlichen Religionsformationen entstehen. Schleiermachers wichtigstes frühromantisches Jugendwerk kulminiert in einem Bilde Jesu, in welchem dessen individuell durchlebtes und durchlittenes Gottesverhältnis als eigentliches Wesenszentrum der christlichen Religion aufscheint. Die »Weihnachtsfeier« lässt unterschiedliche Optionen christologischer Theoriebildung miteinander ins Gespräch treten, sie alle haben ihren gemeinsamen Bezugspunkt darin, dass sie das Verhältnis des geschichtlich-individuellen Menschen Jesus zu seinen geschichtlichen Wirkungen zu klären suchen. In seinem theologischen Hauptwerk »Der Christliche Glaube« (Erstauflage 1821 / 22) markiert Schleiermacher den Ort des Christentums in der Welt der Religionen durch eine Wesensdefinition. Diese stellt als individuierendes Moment das »Bewußtsein der Erlösung durch die Person Jesu von Nazareth« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 18 Leitsatz) ins Zentrum und markiert damit die entscheidende Wesensdifferenz zu allen anderen geschichtlichen Ausformungen des religiösen Bewusstseins, mögen diese auch derselben Art oder Stufe wie das Christentum angehören. Im Kern der christlichen Religion mit ihrer kaum überschaubaren Fülle von Erscheinungsformen steht der geschichtliche Mensch Jesus von Nazareth, der an seinem geschichtlich-einmaligen Lebens- und Wirkungsort eine

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neue Formation gelebter Religion inauguriert hat. Im Unterschied zu anderen »Religionsstiftern« liegt seine Bedeutung also nicht in einem Kanon von Glaubenssätzen oder kultisch-moralischen Anweisungen, welche von ihrem Urheber ablösbar wären, sondern in dessen persönlichem Lebenszentrum selbst. Die materiale Dogmatik lokalisiert die Besonderheit Jesu, die ihn über alle anderen Menschen hinaushebt und ihm die Würde des »Urbildes«, des Stifters einer qualitativ neuen Weise des Menschseins, verleiht, in dem »ihm einwohnende[n] Gottesbewußtsein« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 116 Leitsatz). Diese Grundaussage über die Person Jesus als Erlöser wird entfaltet in der Lehre von seinem Werk, welches darin besteht, dass andere Menschen an der Formation des Gottesbewusstseins, welche in und mit ihm in die Welt eingetreten ist, Anteil gewinnen: Die »erlösende Thätigkeit Christi besteht in der Mittheilung seiner unsündlichen Vollkommenheit« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 121 Leitsatz); seine versöhnende Tätigkeit ist die »Aufnahme in die Gemeinschaft seiner Seligkeit« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 122 Leitsatz). Dieser Mitteilungs- und Aneignungsprozess vollzieht sich geschichtlich in und mit dem durch Christus gestifteten neuen »Gesamtleben«: Der Einzelne erhält an Christi Werk Anteil, sofern er zum Glied dieses neuen Gesamtlebens wird. Der Hl. Geist, die innere Triebkraft dieses neuen Gesamtlebens, ist gefasst als »die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur unter der Form des das Gesammtleben der Gläubigen beseelenden Gemeingeistes« (Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 142 Leitsatz). So treten in Schleiermachers dogmatischer Gesamtauffassung des Christentums Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie in die denkbar engste Verbindung miteinander. Zentral und fundamental ist in diesem Gefüge allerdings die geschichtliche Person Jesus Christus: Mit der Annahme, dass in ihm »Geschichtliches« und »Urbildliches« untrennbar miteinander verbunden waren (vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 114), dass also der historisch erkennbare, geschichtlichindividuelle Mensch an seinem konkreten, distinkten Lebensort eine durch Individualisierbarkeit unbeschränkt universalisierba-

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re neue Gestalt gelebter Frömmigkeit begründet hat, erhöhte den theologischen Erwartungsdruck auf die historische Frage nach Jesus beträchtlich. Insofern markiert Schleiermacher den Beginn einer neuen Periode in der historischen Frage nach Person und Verkündigung Jesu, und von hier aus ist es wohl auch zu verstehen, dass sich die Fehlinformation festsetzen konnte, er habe als erster deutscher Theologe Vorlesungen über das Leben Jesu gehalten. Jedenfalls hat er auf herausragende und stilbildende Weise vorgeführt, dass diese Zentralstellung des geschichtlichen Jesus in der Rechenschaft über den christlichen Glauben argumentativ nur dann schlüssig vertreten werden kann, wenn historisch-quellenkritische Untersuchungen mit geschichtsphilosophischer und ethischer Anstrengung und religions- bzw. subjektivitätstheoretischen Bemühungen verbunden werden (Schröder 1996). Die methodischen und inhaltlichen Fragen, die dieser Typus christologischer Theoriebildung stellt, hat Schleiermacher allesamt je an ihrem Ort innerhalb seiner systematischen Vorgaben traktiert. Sie haben sich allerdings in den Menschenaltern nach seinem Tode in mehreren Schüben aus- und umgestaltet. Insbesondere stellte sich durch die Verfeinerung der quellenkritischen Fragestellungen und mit dem sich verfeinernden Bewusstsein um historisch-kulturelle Differenzen mit zunehmender Schärfe die Frage, wie es überhaupt möglich sei, dass ein Mensch, der in seinem Denken und Deuten ganz und gar an die Vorgaben des Frühjudentums gebunden war, weiterhin als die vollendete Verkörperung menschlicher Religion gelten könne. Der feinfühlige Historiker Heinrich Julius Holtzmann (Messianisches Bewusstsein, Zukunftsaufgaben) suchte nach Lösungen, indem er die Ergebnisse feinster Quellenkritik und -interpretation mit weit ausgreifenden religions- und geschichtsphilosophischen Überlegungen verband. Adolf Harnack deutete in seinen Vorlesungen über »Das Wesen des Christentums« Jesus und seine Verkündigung als die Urerscheinungsform des von hier aus in immer neue geschichtliche Seins- und Wirkungsweisen sich ergießenden Evangeliums. Wilhelm Herrmann verwies, angeregt auch durch die selbständige Aneignung reformatorischer Grundgedanken, auf das »innere Leben Jesu«, welches sich in seiner geschichtlichen Erscheinung zugleich verberge und enthülle und in dem eigentlich die bleibende

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religiöse Bedeutung Jesu bestehe (R. Barth 2010). Emanuel Hirsch hat diese und andere Ansätze in selbständiger Weise aufgenommen und in mehreren Anläufen ein imposantes christologisches Gedankensystem entworfen, das seine geschichtliche Grundlage in der historisch-kritisch analysierten geschichtlichen Wirklichkeit des irdischen Weges Jesu hat (U. Barth 1991). Aber diese in ihrer Verschiedenheit doch in ihren methodischen Grundentscheidungen allesamt auf Schleiermacher zurückverweisenden Denkansätze hatten immer starke Konkurrenz: Schleiermachers Leben-Jesu-Vorlesungen sind erst mehr als ein Menschenalter nach seinem Tode durch den Druck allgemein bekannt geworden – zuvor haben sie nur lokal und untergründig gewirkt. Zunächst polarisierten sie unter den Studenten: Diejenigen unter ihnen, die von der Erweckungsfrömmigkeit berührt waren und den kritischen Umgang mit den biblischen Texten beargwöhnten, nahmen Anstoß und wurden an Schleiermacher irre (Hausrath 1902–1906: I, 111). Es gewann hier eine in sich vielfacher Ausprägungen fähige theologische Denkrichtung Gestalt, die gegen die historisch-kritische Rückfrage hinter die biblischen Berichte protestierte und die biblischen Texte selbst in ihrem gegebenen Gehalt als die unhintergehbaren, zuverlässigen und glaubwürdigen Dokumente der Wirkung Jesu respektiert wissen wollte. Martin Kähler hat in dieser Stoßrichtung die Präferenz für den »biblischen Christus« gegenüber dem »historischen Jesus« begründet, indem er zunächst einmal aus der historischen Not eine theologische Tugend machte: Die neutestamentlichen Quellen gäben schlichtweg nicht das Material zu einer zutreffenden, konsensfähigen Rekonstruktion der Lehre und des Lebens Jesu her. Sie seien ganz und gar vom Glauben der nachösterlichen Gemeinde(n) geprägt und daher lediglich als werbende Zeugnisse dieses Glaubens zu lesen. Auch 2 Kor 5,16 konnte Kähler hierfür ins Feld führen: Die historische Genese des urchristlichen Glaubens aus dem Wirken und Reden des vorösterlichen Jesus sei theologisch letztlich irrelevant. Untergründig hat Schleiermachers Leben-Jesu-Vorlesung auch auf David Friedrich Strauß (vgl. Lange 1975: 190–194) gewirkt, dessen »Leben Jesu« langfristig wohl die wirkungsreichste Globalalternative zu Schleiermachers Ansatz aufstellte. Hier figuriert Jesus

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lediglich als Anlass der frühchristlichen Mythen- und Gedankenproduktion, welche sich ihrerseits in ihrem wahren Bedeutungsgehalt allein geistphilosophisch ausgerichtetem Denken erschließe. Unter den Theologen der Generation, welche nach dem I. Weltkrieg die Felder der Auseinandersetzungen neu vermaß und die Debatten restrukturierte, war es Rudolf Bultmann, der mit innovativen literatursoziologischen Einsichten (»Formgeschichte«) Impulse Strauß’, aber auch Kählers sowie bestimmte existenzphilosophische Einflüsse (Heidegger) verband. Quellenkritisch begründete tiefe Skepsis hinsichtlich der Erkennbarkeit der historischen Person Jesus und ein Verständnis des Glaubens als Aktes des Gehorsams gegen das gänzlich unanschauliche Kerygma, welches mit dessen erstem Träger in keinem sachnotwendigen Zusammenhang mehr stehe (2 Kor 5,16), verstärkten einander wechselseitig. Praktisch gleichzeitig mit Bultmanns auf diesen Fundamenten errichtetem Jesus-Buch erschien das erste Jesus-Buch Hirschs, welches ein Jesus Bild zeichnete, das, geschichts- und subjektivitätstheoretisch reflektiert, auf der Annahme basiert, das in seiner Verkündigung sich abspiegelnde Personleben Jesu sei mit den Methoden reflektierter historischer Kritik aus den Quellen erhebbar und fordere gebieterisch eine deutende Aneignung im Sinne reformatorischer Grundeinsichten. Diese beiden Entwürfe und die sich an sie anschließende Kontroverse der Autoren haben, rückschauend betrachtet, den Rang einer markanten problemgeschichtlichen Verdichtung: Problempotentiale, welche sich seit mehreren Menschenaltern angestaut hatten, entluden sich, und es zeichneten sich zugleich deutlich in die Zukunft weisende exegetisch-geschichtswissenschaftliche und systematisch-theologische Positionen ab (hierzu perspektivenreich Laube 2008).

Quellen- und Literaturverzeichnis 1.  Quellen und Übersetzungen Zu altsprachlichen Quellen nenne ich, wo vorhanden, deutsche Übersetzungen bzw. zweisprachige Ausgaben – die Übersetzungen im Text stammen allerdings durchgängig von mir.

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Systematische Theologie

Notger Slenczka

Die Christologie als Reflex des frommen Selbstbewusstseins »… darumb wirt die gottheyt Ihesu Christi … damit bekant, das wir ynn yhn … glauben« (Luther, WA 7,215,15)

1. Einleitung Der Name ›Jesus Christus‹ ist ursprünglich ein Bekenntnis, das eine bestimmte historische Person – Jesus von Nazareth – als den ›Gesalbten‹, den Messias, bekennt. Damit steht dieser Name neben einer Reihe weiterer Kurzbekenntnisse, in denen alttestamentlich vorgeprägte Hoheitstitel von Jesus von Nazareth ausgesagt werden (Hahn 1995; Stegemann 1993). Diese Hoheitstitel sind alles andere als eindeutig; sie werden im zeitgenössischen Judentum vielfältig verwendet und in der Anwendung auf Jesus von Nazareth ­semantisch neukonturiert und vereindeutigt. Diese semantische Reinterpretation ist somit nicht einsinnig: Mit der Übertragung der Prädikate und Titel auf Jesus von Nazareth wird nicht nur Jesus durch die Titel gedeutet, sondern es werden auch die Titel durch die Person und die Biographie Jesu von Nazareth interpretiert und semantisch strukturiert bzw. angereichert. Dass in Jesus von Nazareth der die Welt durchwaltende göttliche Schöpfungsgedanke präsent ist, dass in ihm der Logos, der Gesamtsinn der Wirklichkeit, vor der Gemeinde steht (1 Joh 1,1–5.14), sagt eben nicht nur etwas über Jesus von Nazareth, sondern zugleich und in einem etwas über den Logos bzw. Gott (vgl. auch Ringleben 2008: 1–7.652–663). Explizit reflektiert wird dieser hermeneutische Vorgang im Mk, wo der Be-

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griff des Gottessohnes bzw. des Messias bzw. des Menschensohnes durch die Verbindung mit dem Leiden Jesu von Nazareth modifiziert wird (Mk 8,31 ff.), so dass das Leiden nicht nur als ein Moment des begrifflichen Gehaltes, sondern als der zentrale organisierende Gehalt und explizit als Erkenntnisgrund der Gottessohnschaft erscheint (Mk 15,34). Zugleich ist damit aber deutlich, dass die Voraussetzung der Christologie die Vorzeichnung einer Erwartung ist, für die das Wort ›Christos‹ steht; als deren – freilich modifizierende – Erfüllung wird die Person Jesu von Nazareth erfahren. Der hermeneutische Grundvorgang, der der ausgebildeten Christologie zugrunde liegt und sich in den Stationen ihrer Fortbildung identifizieren lässt, ist somit dieser: dass eine bestimmte historische, menschliche Person als mehr erscheint als das, was von ihr als menschlicher Person gelten kann, dass sie sich als Erfüllung einer Projektion erschließt, die sich in der zeitgenössischen, auf das AT gestützten Erwartung eines Heilsbringers ausspricht, bzw.: dass sie sich anderen Personen als Erfüllung dieser Projektion erschließt, die daraufhin eine Gemeinschaft der Nachfolge bilden. Dadurch, dass die Gemeinde in ihrer Deutung des Lebens und der Person Jesu die auf ihn gerichteten Erwartungen mit dem Scheitern seines Lebensvollzuges vermitteln musste, ist die Christologie von Momenten des Kontrafaktischen durchzogen, in denen die extreme Erniedrigung des Menschseins mit den Prädikaten äußerster Hoheit zusammengesprochen und verbunden wird. Das erste Ergebnis dieses Vorgangs lässt sich am besten anhand des Philipperhymnus zeigen und davon ausgehend anhand anderer neutestamentlicher Theologien knapp verifizieren (2.). Unter dieser Vorgabe erschließt sich der Sachgehalt der altkirchlichen (3.1. und 3.2.) und der entscheidende Streitpunkt der reformatorischen Christologie (3.3.), aber auch die Gefahr einer Vergegenständlichung, der jede Christologie ausgesetzt ist. Die neuzeitlichen Reformulierungen der Christologie und der Rekurs auf den Lebensvollzug Jesu lassen sich als Besinnung auf den soteriologischen Sinn der Christologie fassen (4.). Im Rahmen der Debatte um die theologische Relevanz der Historizität Jesu (5.) tritt der jeder Christologie zugrundeliegende hermeneutische Grundvollzug ins Bewusstsein: Es wird in einem Strang der Diskussion verstanden,

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dass die hoheitliche Auszeichnung der Person Jesu in den biblischen Schriften der Reflex seiner Wirkung an der Gemeinde ist, die im Umgang mit dieser Person die Erfüllung der mit dem Menschsein gesetzten Heilserwartungen erfährt und daraufhin diese Person prädiziert; es gibt somit in der Schrift die Person Jesu nicht ohne die Deutung durch die Gemeinde. Das impliziert, dass die klassische Christologie nicht beanspruchen kann, die Person Jesu vor und als Voraussetzung ihrer Wirkung auf die Zeitgenossen und der an ihr befestigten Deutungen zu thematisieren. Vielmehr impliziert jede Christologie ein Selbstverständnis des Menschen: das Bewusstsein der von Jesus von Nazareth ausgegangenen Erlösung und der darin vorausgesetzten Erlösungsbedürftigkeit. Diese Implikation der klassischen Christologie soll abschließend herausgearbeitet werden (6.) unter dem Vorzeichen, dass sich an der Nachvollziehbarkeit dieser Deutung des Menschseins der Wahrheitsanspruch der christologischen Aussagen entscheidet. Damit ist eine existentiale Deutung der christologischen Aussagen vorgeschlagen; es wird aber auch deutlich werden, dass eine objektivierende Rede über die Person Jesu für eben das Selbstverständnis, das sich in den Aussagen des christlichen Glaubens ausspricht, unverzichtbar ist (7.).

2.  Der systematische Sinn der neutestamentlichen Aussagen 2.1.  Hermeneutische Vorüberlegungen Dass sich eine systematische Christologie auf die biblischen Schriften bezieht, entspricht der Konzentration der Gotteserfahrung des Christentums auf eine historisch kontingente Person der Vergangenheit und deren Lebensvollzug: Die Kirche vergegenwärtigt diese Person und ihr Leben auf die einzige Art und Weise, wie die Vergangenheit einer lebendigen Person gegenwärtig sein kann: in der Erinnerung, und das heißt im Falle der Gegenwart einer nicht eigens erlebten Vergangenheit: im Medium der aufbewahrten Erinnerung der Zeitgenossen und Augenzeugen. Zugleich tragen die unterschiedlichen Genera der biblischen Schriften der Tatsache Rechnung, dass es diese Erinnerung immer nur im Medium

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einer das eigene Leben deutenden Aneignung gibt  – neben den als Berichten vom Leben Jesu einhergehenden Evangelien stehen die Briefe insbesondere des Paulus, die den hermeneutischen Vorgang der Selbstdeutung des Paulus unter dem Vorzeichen dieses Lebensvollzuges Jesu widerspiegeln (Slenczka 2012a: 78–80); diese soteriologische Perspektive bestimmt selbstverständlich auch bereits die Berichte der Evangelien bzw. die durch unterschiedliche Gemeindegruppen tradierten Traditionsstücke, die alles andere als interessefreie Protokolle des Lebens Jesu und seiner Situationen sind (dazu unten 5.). Dabei macht schon die Vierzahl der Evangelien, mehr aber noch die Vielzahl der in ihnen und in der Briefliteratur des NT zusammengefassten Traditionen deutlich, dass sich das Leben Jesu und das auf es gegründete Heilsinteresse vielfältig darstellt und entsprechend eine Vielzahl von Christologien (Hahn 1995; Schnackenburg 1993) vorliegt. Ein systematischer Zugriff ist selbstverständlich seinerseits eine perspektivische, kulturell und konfessionell kontextualisierte Interpretation, die, wie zu skizzieren sein wird (unten 5.), ihren Wahrheitsgehalt nicht aus einer gegenständlichen Übereinstimmung mit bestimmten neutestamentlichen Christologien oder gar einer Quersumme derselben bezieht, sondern daraus, dass sie gegenwärtige Verkündigung ermöglicht, die erschließt, wie das Evangelium von Christus für die Gegenwart existenzbestimmende Kraft erlangen kann.

2.2.  Der Philipperhymnus Im Rahmen einer Paränese, die auf das Verhalten der Christen untereinander zielt und diese zu selbstlosem wechselseitigem Dienst aufruft, bezieht sich Paulus auf das Vorbild der Selbsterniedrigung und Selbstentäußerung Christi (Phil 2,5b–11). Dabei gibt er, wie das Versmaß erkennen lässt, einen Hymnus wieder, der, wie wiederum ein wortstatistischer Vergleich erkennen lässt, nicht von Paulus selbst stammt, sondern ihm als Traditionsgut vorlag (dazu und zum Folgenden: Hofius 1991; Lohmeyer 1961). 2.2.1. Die an diesem Traditionsstück haftenden exegetischen Fragen (dazu vgl. nur Gnilka 1976: 111–147; Müller 2002: 91–115; O’Brien

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1991: 186–253) sind für unseren Zweck bis auf ein Detail unwichtig: Es ist exegetisch umstritten, aber m. E. wahrscheinlich (mit Hofius 1991: 3–17), dass Paulus auch die in V. 8 das Versmaß überschießende Wendung »ja zum Tode am Kreuz – θανάτου δὲ σταυροῦ / thanatou de staurou« bereits vorfand, so dass das theologische Interesse an der Heilsbedeutung ausgerechnet des Schandtodes am Kreuz ein vorpaulinisches Anliegen der Gemeindetradition ist, aus der der Text stammt. Damit wird der Grundzug des Hymnus noch einmal unterstrichen, der auf die Differenz zwischen dem Wahrnehmbaren und der Wahrheit abhebt und die Einholung dieser Differenz in der Zukunft erwartet. Die in der Vergangenheit liegende irdische Geschichte Jesu von Nazareth (»Knechtsgestalt«; »den Menschen gleich«; »gehorsam bis zum Tod [am Kreuz]« [Phil 2,7 f.]) wird in den Rahmen der Entäußerung des Gottgleichen (»er entäußerte sich selbst«; »er nahm … an«; »er erniedrigte sich selbst« [ebd.]) einerseits und der Erhöhung zum ›Kyrios – Herrn‹ (»Darum hat ihn auch Gott erhöht …« etc. [V. 9 f.]) andererseits eingezeichnet. Damit kommt die irdische Geschichte des Jesus von Nazareth als Manifestation einer himmlischen Wirklichkeit zu stehen, die aber vor den Menschen verborgen bleibt und sich erst nach und nach im Modus der Anerkennung Jesu als ›des Herrn‹ nicht nur durch die Menschengemeinschaft, sondern durch den gesamten Kosmos durchsetzt (V. 10 f.). 2.2.2. Der Gegensatz des ›Göttlichen‹ und des ›Irdischen‹ und entsprechend der Verborgenheit des Göttlichen vor den Erkenntnisfähigkeiten des Menschen (»er ward … der Erscheinung nach als ein Mensch erkannt« (V. 7b) wird im Hymnus gesteigert dadurch, dass sich das Göttliche gerade dadurch unerkennbar macht, dass es sich unter seinem Gegenteil verbirgt und so gegenwärtig, aber unerkannt ist. Genau diesen Gedanken der Verborgenheit Gottes in der Schwäche des Kreuzes Jesu von Nazareth entfaltet Paulus nicht nur hier im relativ späten Phil, sondern ausdrücklich bereits in einem seiner frühesten Briefe, nämlich dem 1 Kor (1–3; Wolter 2011: 116–128). Mit dieser Querverbindung wird zugleich deutlich, dass Paulus die Gemeinde als den Anfang der Durchsetzung der Anerkennung Jesu als des »Herrn« betrachtet, denn dies Bekenntnis zum Herrsein Jesu

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ist das Grundbekenntnis der Christen, das eine Einsicht formuliert, die nach Paulus geistgewirkt ist (1 Kor 12,3). Dieses Wirken des Geistes ist der Beginn der universalen Anerkennung des Herrseins Jesu von Nazareth (Phil 2,10 f.). 2.2.3. Das Besondere an diesem Hymnus ist somit zunächst einmal das Einstellen der Geschichte Jesu von Nazareth in einen erschließenden zeitlichen Horizont, in dem diese Geschichte als das Ergebnis der vorausgehenden Entäußerung und der Selbsterniedrigung des Gottgleichen gedeutet und auf die Folgegeschichte der Wiedereinsetzung des Gottgleichen in die ursprüngliche Würde und die Erschließung dieser Würde des Gekreuzigten durch Gott selbst ausgerichtet wird. Die Wiederherstellung der Würde des Gottgleichen erfolgt durch die Verleihung des »Namens, der über alle Namen ist« – gemeint ist damit der ›Kyrios‹-Name; diese Deutung des Bekenntnisses zu Jesus von Nazareth als dem ›Kyrios‹ impliziert, dass nicht erst Paulus, sondern bereits die Gemeinde, die den ihm überlieferten Hymnus gebildet hat, das gemeindliche Bekenntnis zu Jesus als dem ›Herrn‹ als Übertragung des alttestamentlichen Gottesprädikats versteht, hinter dem sich das unaussprechliche Tetragramm verbirgt, (zu den Problemen: Hofius 1991: 109–122). Gesagt ist damit, dass in Jesus von Nazareth der Gott gegenwärtig ist, der die Geschichte Israels bestimmt hat. 2.2.4. Entscheidend ist nun nicht nur der Umstand, dass in der Geschichte Jesu von Nazareth mehr engagiert ist als nur ein Mensch – dass also die Geschichte Jesu von Nazareth die Geschichte des Gottgleichen ist. Vielmehr gilt auch umgekehrt, dass die Identität Gottes selbst durch die Biographie Jesu von Nazareth bestimmt und definiert ist (vgl. Klumbies 1992: bes. 247). Dass »in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller … Knie« und »dass Jesus Christus der Herr ist«, besagt eben nicht nur etwas über Jesus von Nazareth oder über den Präexistenten, sondern zugleich etwas über Gottes Gottsein, das ohne die Bezugnahme auf die Person Jesu von Nazareth nicht mehr angemessen zur Sprache gebracht werden kann, weil diese Biographie in Gott selbst aufgenommen ist (dazu ausgezeichnet Klumbies 1992: 131–133). Daran ändert auch die den Hymnus abschließende, scheinbar relativierende Näherbestimmung »zur Ehre

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Gottes, des Vaters« nichts (gegen Jantsch 2011, der einen exegetischen consensus widerspiegelt; vgl. Klumbies 1992: 241 f.): Auf den ersten Blick scheint sie das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn unter das Vorzeichen und unter den Vorbehalt der Anerkennung der Gottheit Gottes zu stellen; auf der anderen Seite aber hält die Wendung eben zum einen fest, dass sich die Ehrung Gottes nur in der Anerkennung der Würde Jesu von Nazareth vollzieht; zweitens wird nicht die Gottheit Gottes, sondern die Gottheit »Gottes, des Vaters« (Phil 2,11b) mit diesem Bekenntnis geehrt: Mit dem Attribut des ›Vaters‹ wird für Paulus Gott als der Vater Jesu Christi zur Sprache gebracht, so dass also gerade in dieser den Hymnus abschließenden Wendung kein Vorbehalt eingebracht wird, sondern gerade durch sie die Bedeutung Jesu als des Herrn für die Identität Gottes zur Sprache gebracht wird: der Gott der alttestamentlichen Heilsgeschichte ist wesentlich der Vater Jesu Christi. 2.2.5. Für Paulus hat diese Selbstdefinition Gottes in der Geschichte Jesu von Nazareth eine unmittelbare soteriologische Bedeutung dadurch, dass die Existenz der Gemeinde und in ihr des Christen  – namentlich seine, des Paulus, eigene Existenz  – bestimmt ist durch die kontrafaktische Identität des Jesus von Nazareth: Wie er in der Gestalt der Erniedrigung der Gottgleiche ist und als der Herr ausgerufen wird, so sind auch die Christen mit ihm in der Niedrigkeitsgestalt vereint und genau in dieser Erniedrigung kontrafaktisch Repräsentanten des Erhöhten bzw. Gottes (Güttgemanns 1966: 53–198; Weder 1981: 121–224). Die kontrafaktische Hoheit des Jesus von Nazareth ist die Grundlage entsprechender kontrafaktischer Aussagen und Selbstzuschreibungen der Christen, die durch die Taufe eins sind mit Jesus Christus (Röm 6,3 f.) und so an seinem Geschick Anteil haben (Röm 6,5–11; 2 Kor 5,12–21; vgl. die Peristasenkataloge 1 Kor 4,9–13; 2 Kor 4,7–18; 6,9 f.; 11,1–12,10; vgl. Gal 2,19–21; Röm 8,17). 2.2.6. Zusammengefasst: Diese Christologie ist bestimmt durch eine Grundfigur: dass sich das Vorfindliche als mehr erweist, als an ihm sichtbar ist. Das gilt für die Person Jesu, deren Niedrigkeit angesichts des Rahmens des göttlichen Handelns sich als Manifestation Gottes erweist; und das gilt folgeweise auch für die Gemeinde

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und für Paulus selbst, deren Niedrigkeit im Licht dieses Rahmens als Teilnahme am Geschick Christi und so als gegenwärtig unter dem Gegenteil verborgene, aber künftig offenbar werdende Hoheit erkennbar wird. 2.2.7. Diese Christologie ist damit engstens verbunden mit einer religiösen Erkenntnistheorie, in der die durchaus religionsübergreifend traditionelle Feststellung, dass die Gottheit unsichtbar ist, durch die christologische Feststellung präzisiert wird, dass Gott seine Macht unter dem Gegenteil verborgen hat und nur unter dem Gegenteil für denjenigen erkennbar wird, dem in einem unverfügbaren Geschehen die Augen geöffnet werden (2 Kor 3,12–4,6). 2.2.8. Und diese Christologie definiert eben nicht nur den Menschen Jesus von Nazareth als Ort der Selbstmanifestation der Gottheit, sondern umgekehrt die Gottheit durch die Person und das Geschick Jesu von Nazareth  – diese Affektion des Gottesbegriffs durch die scheiternde Biographie Jesu wird besonders gut in 1 Kor  1,18–2,16 erkennbar.

2.3.  Die kontrafaktische Definition Gottes und des Menschen als Zentrum der Christologie Mit dieser eigentümlichen Christologie ist Paulus im neutestamentlichen Schrifttum nicht allein. Es ist durchaus und problemlos möglich, die wechselseitige Definition des Menschen Jesus von Nazareth durch die Gottheit und der Gottheit durch das Leben Jesu ebenso wie die Verborgenheit und die unverfügbare Erschließung dieser Hoheit in anderen Textcorpora, namentlich bei Markus und bei Johannes, nachzuzeichnen: 2.3.1. Gottessohnschaft und Leiden im Mk. Bei Markus (Pesch 1984; Gnilka 1989; Schnackenburg 1993: 28–89; zum ›Messiasgeheimnis‹ nur: Beck 2010) beispielsweise hat das Petrusbekenntnis (Mk 8,29) insofern eine zentrale Bedeutung, als dort beschrieben wird, dass Petrus zwar Jesus als den Christus prädiziert, das von Jesus anschließend verkündigte eigene Leiden als mit dem Christusprädikat unvereinbar betrachtet und daraufhin von Jesus

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›Satanas‹ genannt wird (Mk 8,31–33). Markus präludiert dies Bekenntnis nicht absichtslos mit der vorausgehenden Erzählung von einer zweistufigen Blindenheilung, in der ein Blinder zunächst undeutlich sieht (wie Petrus die Messianität Jesu zwar erfasst, von ihr aber das Leiden ausschließt), während erst der Hauptmann unter dem Kreuz Gottheit und Leiden so verbindet, dass er – »als er sah, dass er so starb«, aussagt, dass Jesus »der Sohn Gottes gewesen« sei (Mk 15,39); die Vergangenheitsform in diesem zuletzt zitierten Halbsatz ist absichtsvoll gewählt, weil sie das ganze zurückliegende Leben Jesu unter das Vorzeichen der Gottessohnschaft stellt. Diese Gottessohnschaft hebt somit nicht erst mit der Auferstehung an, sondern das gesamte Leben Jesu hat – wie auch die Titulatur des Markus (Mk 1,1)angibt – den Sohn Gottes zum Subjekt. Zugleich findet sich auch bei Markus in der Deutung der Nachfolge als Kreuzesnachfolge die Verbindung des Geschickes Jesu mit dem seiner Gemeinde, die den entsprechenden Vorstellungskreis bei Paulus prägt (vgl. nur Mk 8,34–36 und 10,42–45). 2.3.2. Der Streit um die Identität Jesu bei Joh. Auch bei Johannes (vgl. nur Becker 1991; Schnackenburg 1993: 246–326; Loader 1992) ist die Christologie geprägt von dem Streit zwischen den »Pharisäern und Schriftgelehrten« und Jesus selbst um die Frage nach dessen Identität, wobei die Gegner Jesu ihn von seiner irdischen Abkunft her als reinen Menschen verstehen wollen (etwa Joh 8,52–59). Die vielen Missverständnisse der Worte Jesu, von denen Johannes berichtet, haben alle ihren Ursprung darin, dass seine Gegner nicht verstehen und auch nicht verstehen können, »woher« Jesus ist (vgl. etwa 8,21–29, dazu 3,31–36). Auch die Übertragung der verborgenen Hoheit Jesu auf die Jünger findet sich bei Johannes (vgl. etwa 15,18–16,4). In diesem Sinne hat der Johannesprolog (Hofius / Kammler 1996: 1–23; dort Lit.), in dem für die Gemeinde die Herkunft Jesu aufgedeckt wird, dieselbe Funktion wie der Philipperhymnus, in dem das irdische Leben Jesu auf den Rahmen einer göttlichen Absicht hin enthüllt wird; hier, bei Johannes, ist es das Schöpfungswort Gottes, das Mensch wird und ›unter uns wohnt‹, dabei unverfügbar von einigen aufgenommen und von der Welt verworfen wird

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(Joh 1,4 f.11–13). Dabei ist allerdings auch hier das Verhältnis der wechselseitigen Interpretation anzunehmen, nach dem nicht nur in der Person und im Geschick Jesu das ewige Wort gegenwärtig ist, sondern umgekehrt das ewige Wort und sein Sinn in Jesus von Nazareth und seinem Geschick definiert wird; auch der Begriff ›Gott‹ wird neu bestimmt, und zwar als ›der Vater‹, dem diejenigen, die das Wort aufnehmen, als Kinder zugeordnet werden (1,12 f.): Wie im Philipperhymnus, so wird auch hier im Johannesprolog erst am Ende die Bezeichnung ›Vater‹ für Gott, bei dem im Anfang das Wort war, eingeführt (vgl. Joh 1,1 mit 1,14).

2.4.  Die Implikationen der semantischen Neubestimmung Als systematischer Ertrag dieses Blickes auf diese neutestamentlichen Christologien ergibt sich eine Neubestimmung des herkömmlichen Verständnisses Gottes durch die Bezugnahme auf die Person Jesu von Nazareth (vgl. Klumbies 1992). Es geht den Autoren nicht einfach um die Feststellung, dass der wie immer bestimmte Gott in Christus handelt, sondern dass dieses ›Sein in Christus‹ bzw. die Lebensgeschichte Jesu etwas Neues über die Identität Gottes und auch des Menschen sagt. Dabei setzen die skizzierten Christologien ganz offensichtlich ein Verständnis dessen, was der Mensch und was ›Gott‹ ist, voraus und bestimmen beides neu. Im Philipperhymnus ist der Rahmen, in den das Leben Jesu eingefügt wird – das Woher des Gottähnlichen und der Ausgang von Gott ebenso wie der die Erhöhung ratifizierende Gott – ebenso vorausgesetzt wie im Johannesprolog der Gott, bei dem und mit dem von Anfang an das Wort war. Entsprechend ist ein Verständnis des Menschseins zumindest in dem Sinne vorausgesetzt, dass das Menschsein von Gott unterschieden und als mit ihm nicht ohne weiteres kompatibel betrachtet wird. Die Neubestimmung jeweils des Gott- und des Menschseins erscheint als Durchbrechung und Neuorganisation der semantischen Gehalte, die die Begriffe im alltäglichen Gebrauch mit sich führen. Für eine Christologie bedeutet dies, dass die Frage nach dem Ursprung und nach der Plausibilität dieser semantischen Ausgangspunkte jeweils eigens zu stellen ist (unten 6.). Und für eine Christologie bedeutet das weiter, dass die Neubestimmung des

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Begriffes weder so aussehen darf, dass unbesehen die Semantik des ursprünglichen Begriffes Gottes und des Menschen als Kriterium an die Christologie herangetragen und die Person Jesu unter dem Vorbehalt dieser Semantiken gedeutet wird – dieser Gefahr sah Luther die vorreformatorischen und die später reformiert genannten Christologien ausgesetzt. Andererseits aber darf die christologische Neubestimmung auch nicht dazu führen, dass die semantische Kontinuität zum ursprünglichen Sinn des Begriffes verlorengeht: es muss unbeschadet der Neubestimmung weiterhin verständlich bleiben, dass die Rede von Christus eine Rede von demselben Sachverhalt ist, der außerchristologisch als ›Gott‹ und als ›Mensch‹ bezeichnet wird. Der Gefahr, hier zu viel des Guten zu tun, sahen die reformierten und altgläubigen Gegner Luther und das Luthertum ausgesetzt. Die Geschichte der christologischen Dogmenbildung in der Alten Kirche und die Auseinandersetzungen der Reformationszeit arbeiteten sich genau an diesen beiden Forderungen ab.

3.  Die Ausbildung und Deutung der christologischen Dogmen Dies Verhältnis des jeder Christologie zugrundeliegenden Verständnisses Gottes und des Menschen einerseits und der christologischen Neubestimmung des Gott- bzw. Menschseins andererseits stellt damit das Leitthema dar, das im Zentrum der Entfaltung des christologischen Dogmas in der Kirchengeschichte steht und die beiden großen und in sich zerklüfteten Streitgänge, nämlich die trinitarischen Streitigkeiten des 4. (3.1.) und die christologischen Streitigkeiten des 4. / 5. Jahrhunderts (3.2.) bzw. deren Renaissance im 16. Jh. (3.3.), miteinander verbindet. Diese Streitigkeiten sind hier nicht nachzuvollziehen, sondern es geht darum, das Problem zu verstehen, um das sie sich drehen, und nur die Punkte aus der langwierigen Auseinandersetzung zu notieren, die zum Verständnis wichtig sind (insgesamt: Grillmeier 2004; Ritter 1982; Hauschild 2000: § 1 und § 4; Kelly 2006).

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3.1.  Nizäa und Konstantinopel Die trinitarischen Streitigkeiten der Alten Kirche sind nur knapp zu berühren mit dem Ziel, das im Zentrum stehende systematische Problem zu erfassen: 3.1.1. Im Zentrum der trinitarischen Streitigkeiten des 4. Jhs. steht die Deutung der Person Jesu durch Arius, einen philosophisch versierten Presbyter aus Alexandria. Dieser stellte bekanntlich die Behauptung auf, dass der in Jesus von Nazareth erschienene Logos, der Sohn Gottes, die Weisheit Gottes, ein Geschöpf sei (dazu Hanson 1988: 3–128; Böhm 1991). Freilich sei der Logos nicht irgendeines der Geschöpfe oder gar nur ein Mensch, sondern das erste der Geschöpfe Gottes, dasjenige, in dem alle andere Wirklichkeit geschaffen ist – aber eben ein Geschöpf. Damit entscheidet Arius eine grundlegende Zweideutigkeit der zeitgenössischen Theologie, die mit der Kennzeichnung des Logos als Schöpfungsmittler dazu tendiert, den Logos Gott dem Vater im Rang zu subordinieren – exemplarisch dafür ist die Leitfigur der altkirchlichen Theologie im Ostteil des Reiches, der 256 verstorbene Theologe Origenes (De principiis / Von den Prinzipien I,2). Arius entscheidet nun die Frage nach dem Verhältnis des in Christus Erschienenen zu Gott nach dem Kriterium der Transzendenz und des Ungewordenseins Gottes: Weil Gott als Ursprung der Schöpfung etwas ganz anderes als die Schöpfung ist, kann man von ihm nur reden, indem man alle geschöpflichen Prädikate negiert, insbesondere eben das Gewordensein, das der kosmologischen Funktion Gottes als dem unbewegten Beweger bzw. der unverursachten Ursache widerspricht (Lonergan 1977: 68–74). Nun gilt aber für den göttlichen Logos nach dem Johannesprolog, dass er aus Gott ist, also aus etwas anderem hervorgegangen ist; und es gilt von der (mit dem Logos identifizierten) göttlichen Weisheit nach Prov 8,22–24 sogar, dass sie von Gott geschaffen (je nach Übersetzung: Prov 8,25) ist – wenn auch als erstes und herausgehobenes Werk Gottes, das alle weiteren Werke bestimmt. Somit gilt aber nach Arius für den Logos oder die Weisheit, was für Gott nicht gelten kann: Es gab ein ›Einst‹, ›in dem er nicht war‹: ἦν ποτε ὅτε οὐκ ἦν / ēn pote hote ouk ēn; der Logos

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ist nicht, so Arius ausdrücklich, ὁμοούσιος τῷ πατρί / homousios tō patri / wesenseins mit dem Vater. Das Besondere der Position des Arius liegt darin, dass er gegen die – in der gottesdienstlichen Praxis des Gebetes zu Jesus von Nazareth selbstverständlich vollzogene – Gleichstellung Jesu mit Gott die Grundkriterien eines philosophischen, der kosmologischen Frage nach dem letzten Grund des Kosmos entstammenden Gottesbegriffes zur Geltung bringt (soweit ist Harnacks Charakterisierung der Theologie des Arius recht zu geben: Harnack 1909–1910: I,190– 207, bes. 189 f.). Dieser Gottesbegriff bzw. dessen kosmologische Funktion als ›unhintergehbarer Grund‹ bzw. ›unbewegter Beweger‹ schließt es aus, dass von diesem Gott ›Werden‹ oder ›Veränderung‹ ausgesagt wird (Böhm 1991: 112–124 und bis 174; Williams 1983). Denn – so das in der Wirkungsgeschichte der aristotelischen Tradition stehende Argument: Ein letzter Grund, der selbst veränderlich oder geworden ist, setzt selbst die Frage nach dem Grund seiner selbst aus sich heraus. In jüngerer Zeit wird allerdings hervorgehoben, dass Arius und die Arianer nicht nur von diesem Gottesbegriff, sondern von dem soteriologischen Anliegen, von Gott ein Interesse an der Welt und die Übernahme des Leidens aussagen zu können, geleitet waren (Hanson 1988). 3.1.2. Die Auseinandersetzung um die Position des Arius ist letztlich eine Auseinandersetzung darum, ob die Person Jesu und sein Verhältnis zu Gott unter der Voraussetzung des ursprünglichen Sinnes des Begriffes ›Gott‹ verstanden wird, oder ob die Person Jesu eine Neubestimmung des Begriffes ›Gott‹ ansagt, in der unter Wahrung einer semantischen Kontinuität dieser Begriff durch die Person Jesu neubestimmt wird. Die Formel des Bekenntnisses von Nizäa und Konstantinopel (Text DH 150; dazu nur: Staats 1996) deutet das für Arius anstößige Verhältnis des Sohnes zum Vater nicht einfach als Zeugung im Unterschied zur Schöpfung; das allein hätte gegen Arius nicht viel ausgetragen, denn seinem Einwand – was einen Ursprung hat, kann nicht Gott sein – wäre so nicht begegnet. Vielmehr begründen die Konzilsväter mit der Deutung des Ursprungsverhältnisses als ›Geborenwerden aus Gott‹ oder ›Zeugung durch den Vater‹ gerade die Göttlichkeit des aus

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Gott Hervorgegangenen: Die Wendungen implizieren, dass – wie bei der menschlichen Geburt und bei der menschlichen Zeugung aus einem Menschen ein Mensch hervorgeht, so auch hier – aus Gott nur etwas Göttliches hervorgehen kann; das halten die dem »geboren aus« folgende und dem »gezeugt, nicht geschaffen« vorausgehenden Wendungen (»Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom waren Gott«) ausdrücklich fest. Die Ursprungsrelationen der ›Geburt‹ und der ›Zeugung‹ des Sohnes gewährleisten somit geradezu die Gottheit des Sohnes. Gerade die Relation, die nach Arius die Gottheit des Sohnes ausschließt, nämlich die Abkünftigkeit, verbürgt die Gottheit des Sohnes: Gerade weil er aus Gott (dem Vater) hervorgeht, ist er nichts anderes als Gott. Zugleich wird dem Anliegen eines kosmologischen Gottesbegriffs  – der Unhintergehbarkeit des Weltgrundes auf anderes seiner selbst – Rechnung getragen, indem mit dem von Origenes übernommenen »vor aller Zeit« festgehalten wird, dass es sich bei der Geburt aus Gott nicht um eine Veränderung in Gott handelt: Der Sohn ist ›vor aller Zeit‹ – das heißt: in Gottes Ewigkeit – aus dem Vater hervorgegangen, somit nicht später als dieser; vielmehr schließt der Gott, aus dem die Welt hervorgegangen ist, von Ewigkeit her die Ursprungsrelation von Vater und Sohn in sich. 3.1.3. Die Wendung ›ὁμοούσιος τῷ πατρί / homousios tō patri / eines Wesens mit dem Vater‹ fasst diese Deutung der Person Jesu in einer höchst gelungenen Formulierung zusammen. Es wird damit festgehalten, dass sich der Gemeinde eben der Gott der griechischen Philosophie, den die Gebildeten unter den Christen nicht ohne Schwierigkeiten, aber umstandslos mit dem Gott des Alten Testaments identifizierten, unbeschadet seiner kosmologischen Funktion in der Person Jesu von Nazareth anders erschloss, nämlich als in sich differenziert und somit als Subjekt des Heilswerkes, in dem nicht nur das Heil des Menschen begründet ist, sondern der Sinn der Schöpfung lesbar wird: In ihm, dem dann Menschgewordenen, ist nach Auskunft des Bekenntnisses von 325 bzw. 381 alles geschaffen. Die Ausbildung des trinitarischen Bekenntnisses ist das Ergebnis der Relektüre des Gottesbegriffes im Ausgang von der Geschichte des Jesus von Nazareth. Die dem Arius widersprechenden Theo-

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logen sind offensichtlich daran interessiert, festzuhalten, dass die Welt es in dem Menschen Jesus von Nazareth mit Gott selbst zu tun hat, dass also die Geschichte des Jesus von Nazareth, deren Grundzüge – Geburt, Leiden, Tod – in den folgenden Sätzen des Bekenntnisses von Jesus von Nazareth erzählt werden, selbst eine Geschichte Gottes ist. Sie widersprechen nicht dem Gottesbegriff und den Kriterien der Rede von Gott, die Arius in Anschlag bringt, sondern sie wahren die semantische Kontinuität des Gottesbegriffs. Sie halten aber zugleich fest, dass man es in der Person Jesu mit einer heilsamen Neubestimmung eben dieses Gottes zu tun hat: Die Abkünftigkeit, die im Gottesverhältnis Jesu Christi ausgesagt ist, gehört als ursprüngliches Selbstverhältnis zu eben diesem Gott. 3.1.4. Das genaue Verhältnis dieser inneren Differenzierung in Gott zur Einheit Gottes, die die Alte Kirche mit dem AT (Dtn 6,4) als selbstverständlich betrachtete, wird unter Inanspruchnahme der Unterscheidung von Person und Wesen fixiert. Diese hatte schon Tertullian, hatten dann aber im Vorfeld des Konzils von Konstantinopel 381 insbesondere die drei ›großen Kappadokier‹, die oströmischen Kirchenväter Basilius von Caesarea, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz und etwas später der weströmische Kirchenvater Augustin für diese Zuordnung in Dienst genommen. Nach dieser Unterscheidung eignet das eine göttliche Wesen drei Personen bzw. ›sind‹ in dem einen göttlichen Wesen drei Personen; die zweite dieser Personen inkarniert und manifestiert sich in der Person und in der Geschichte Jesu von Nazareth. 3.1.5. Der systematische Ertrag des Konzils ist die Feststellung, dass in der Person Jesu von Nazareth sich der Kirche die Identität des göttlichen Weltgrundes bzw. des Schöpfers des Alten Testaments neu erschließt, nämlich so, dass zum einen dieser Gott in Christus Mensch geworden ist, und zum anderen so, dass der Weltursprung bzw. der Schöpfer der Vater Jesu Christi ist und die Menschwerdung zugleich die Enthüllung des Sinnes aller Wirklichkeit ist, die »in ihm geschaffen« ist. Und schließlich: der Weltgrund, von dem die griechische Tradition spricht, ist in sich differenziert und in Verhältnissen der wechselseitigen Konstitution der Personen strukturiert.

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Damit stellt sich aber die Frage, wie diese Neubestimmung Gottes genau zur Sprache zu bringen ist – und diese Frage wird als Frage nach dem Verhältnis der beiden Naturen in der Person Jesu Christi in den auf das Konzil von Konstantinopel folgenden Jahrzehnten diskutiert.

3.2.  Die christologischen Streitigkeiten des 5. Jhs. Diese Streitigkeiten (vgl. dazu Grillmeier 2004; Ritter 1965; Grillmeier 1951–1954) führen somit eine mit der kirchlichen Trinitätslehre unabweisbare Frage fort: Schon Arius hatte darauf hingewiesen, dass eine Schwierigkeit der Vorstellung, dass Gott selbst sich in Jesus von Nazareth manifestiert habe, darin liegt, dass damit die Unvollkommenheiten des Menschseins in allernächste Nähe zum immateriellen, rein transzendenten, leidens- und veränderungsunfähigen Gott treten; seine Annahme eines gegen Gott abgestuften, aber dennoch aus ihm hervorgehenden Wesens zielte offenbar nicht zuletzt darauf, das Werk Christi als Werk Gottes aussagen zu können (Hanson 1988). Damit ist ein weiteres und entscheidendes Problem des orthodoxen Ansatzes markiert, nämlich die Frage, wie es eigentlich vorzustellen ist, dass der ewige Gott in einem Menschen gegenwärtig wird und dort den Bedingungen menschlicher Endlichkeit ausgesetzt ist. 3.2.1. Die Auseinandersetzung um diese Frage bricht zu Beginn des fünften Jahrhunderts in voller Schärfe aus (zur Vorgeschichte: Grillmeier 2004: 637–686; vgl. auch Beyschlag 1991–2000: II,1). Auslöser ist die Weigerung des aus Antiochien stammenden, 428 zum Bischof von Konstantinopel gewählten Nestorius, Maria – wie in liturgischen Formularen vorgesehen – als ›Theotokos – Gottesgebärerin‹ zu bezeichnen. Allein angemessen sei die Bezeichnung ›Christotokos – Christusgebärerin‹. Denn – so Nestorius: Gott kann nicht geboren werden, daher kann man das Geborenwerden nicht von Jesus Christus als Gott, sondern nur von ihm als Menschen aussagen. Geboren wird also Christus, und zwar nach seiner menschlichen Natur, nicht aber der Logos. Sein Gegner war der seit 412 als Bischof von Alexandria amtierende Kyrill, der darauf bestand, dass das Subjekt des gesamten

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Lebens Jesu der Logos sei, der alle Bestimmungen des Menschseins in sich aufnehme. Sachlich geht es in der Auseinandersetzungen, in die als außertheologischer Faktor die Konkurrenz der großen östlichen Bischofssitze  – Konstantinopel, Alexandria und Antiochien  – hineinspielten, um die Frage, welchem Subjekt die neutestamentlichen Aussagen über Jesus zuzuschreiben sind. 3.2.2. Ein Problem entsteht dabei mit den Aussagen, die eindeutig nur einem Menschen (und nach traditionellem Verständnis keinesfalls Gott) und die eindeutig Gott (und nach traditionellem Verständnis keinesfalls einem Menschen) zukommen. So bezeichnet Paulus – das ist ein vieldiskutiertes Beispiel im 16. Jh. – in 1 Kor 2,8 den Tod Jesu als den Tod ›des Herrn der Herrlichkeit‹ (»… dann hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt«). Am Ende des Mt (28,18) wird umgekehrt Jesus als Träger der (göttlichen) Gewalt über Himmel und Erde bezeichnet. Bereits im Vorfeld des Streites zwischen Nestorius und Kyrill war klar, dass solche Aussagenübertragungen  – Göttliches wird vom Menschen Jesus von Nazareth und Menschliches vom inkarnierten Gottessohn ausgesagt – möglich sind. Man nennt diese Aussagen-Übertragung seit Johannes Damascenus die ›communicatio idiomatum / die wechselseitige Mitteilung der Eigenschaften‹. 3.2.3. Es ist aber in der Alten Kirche (wie in der späteren innerreformatorischen Auseinandersetzung: 3.3.) strittig, wie diese Übertragungen zu verstehen sind und welchen Stellenwert sie haben. Auf der einen Seite wäre es möglich, dass es sich bei den Aussagen um rein verbale Übertragungen handelt  – weil in Christus Gott gegenwärtig ist, kann man von Gott Eigenschaften aussagen, die eigentlich und in Wirklichkeit nur dem Menschen Jesus von Nazareth zukommen und umgekehrt. Auf der anderen Seite kann man – und darauf wollte Kyrill hinaus – als Subjekt des Lebens Jesu allein Gott betrachten und somit alle Aussagen, die von Jesus zu machen sind, dem Subjekt ›Gott‹ zuschreiben. Es ging also im 5. Jh. um die Frage, welchen Stellenwert der Lebensvollzug Jesu für die Identität Gottes hat: Entweder hat man es mit einem Leben zu tun, das vor Gott und mit Gott geführt

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wird und das als Sühneleistung eine Bedeutung für das Verhältnis von Gott und Mensch hat, von dem aber das Leben und die Identität Gottes selbst unberührt bleiben. Oder der Lebensvollzug Jesu ­zwischen Geburt und Kreuz hat selbst Gott zum Subjekt und wird ihm nicht nur verbal, sondern mit sachlichem Recht als sein – Gottes – Lebensvollzug so zugeschrieben, dass Gott durch diesen Lebensvollzug definiert wird. Damit ist hier dieselbe Sachfrage wie im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Trinitätslehre strittig, nämlich die Frage, welche Folgen die Rede von der Person Jesu für das durchschnittliche, dieser Rede von Jesus Christus vorausgehende Reden von Gott hat: Steht die Rede von Jesus von Nazareth unter der Prämisse und unter den Kriterien dieses vorausgehenden Redens von Gott, oder handelt es sich um eine Aufnahme und Neubestimmung dieser Rede von Gott? 3.2.4. In der Definition des Konzils von Chalcedon (DH 300–303; vgl. den Tomus Leonis ebd. 290–295; vgl. Grillmeier 2004: I,1951) wird die altkirchliche Debatte vorläufig entschieden durch die Unterscheidung der einen göttlichen Person von den beiden Naturen, in denen sie als Gott und Mensch besteht (Slenczka 2007b; 2011). Die Naturen sind bezeichnet durch die Abstraktbegriffe (Gottheit; Menschheit) und benennen das, was Jesus von Nazareth mit jedem Menschen gemeinsam hat bzw. mit Gott gemeinsam hat. Die Person hingegen ist bezeichnet durch Konkretbegriffe (ein Träger einer Pferdenatur [ein Exemplar der Gattung Pferd] ist nicht ›die Pferdheit‹ sondern ›ein Pferd‹): Jesus von Nazareth ist in diesem Sinn ›Gott‹ und ›Mensch‹ zugleich; es wird die Aussage möglich, dass dieser Gott Mensch ist und umgekehrt; und es wird die Aussage möglich, dass Gott leidet oder geboren wird, und dass dieser Mensch die Welt regiert. Diese Unterscheidung von Person und Natur ermöglicht es dem Konzil von Chalcedon, die Einheit der Person Jesu unter Wahrung der Unterschiedenheit der Naturen auszusagen; damit werden die Anliegen der alexandrinischen (Kyrill) und der antiochenischen (Nestorius) Position berücksichtigt und bezüglich der Naturen in berühmten Abgrenzungsbestimmungen festgehalten, dass sie ei-

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nerseits unvermischt und unverändert, andererseits ungetrennt und ungeteilt in einer Person bestehen, die das Subjekt des Heilswerkes ist. Mit den gegen eine Vermischung der Naturen abgrenzenden Negativwendungen (unvermischt, unverändert) wird die semantische Kontinuität des vor- und außerchristologischen Begriffes Gottes und des Menschen festgehalten; mit den gegen eine Trennung abgrenzenden Negativwendungen (ungetrennt und ungeteilt) wird ausgeschlossen, dass die beiden Naturen durch die Verbindung in einer Person nicht affiziert wären und dass sie durch das, was mit der Person geschieht, nicht affiziert würden; damit wird dem Anliegen der christologischen Neubestimmung des Begriffs des Menschen und des Begriffs Gottes Rechnung getragen. 3.2.5. Der systematische Ertrag des Konzils ist die Feststellung, dass die Menschwerdung eine Verbindung Gottes mit einem einmaligen menschlichen Lebensvollzug darstellt, der damit die Identität Gottes mitbestimmt und umgekehrt. Die Frage, wie genau die semantische Kontinuität der Naturen sich zur Neubestimmung durch die Verbindung mit der jeweils anderen Natur verhält, wird durch Abgrenzungsformeln umschrieben, die das Feld zulässiger Aussagen begrenzen, in dessen Rahmen aber eine Vielfalt von Aussagen riskiert werden kann.

3.3.  Die reformatorischen Auseinandersetzungen Die Ambivalenz der chalcedonensischen Fixierungen führte dazu, dass die Frage nach dem genauen Verständnis und den Implikationen des Verhältnisses der beiden Naturen in einer Person in den folgenden Jahrhunderten nicht zur Ruhe kam, sondern die altkirchliche Theologie in Atem hielt, etwa mit der Frage, ob der Person Jesu ein gottmenschlicher oder – der Vollständigkeit des Menschseins entsprechend – ein zweifacher, göttlicher und menschlicher, Wille zuzuschreiben ist (zur Wirkungsgeschichte des Konzils vgl. nur: Grillmeier 2004: Teilbde. II,1–4); die Frage nach der wechselseitigen Mitteilung der Eigenschaften der göttlichen und der menschlichen Natur, die terminologisch von Johannes Damascenus auf den Be-

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griff gebracht worden war, blieb uneindeutig, aber in den Jahrhunderten der scholastischen Lehrinterpretation auch unauffällig und unbetont: In der scholastischen Christologie des Mittelalters wird die Idiomenkommunikation unter dem Vorzeichen der Frage nach den mit Bezug auf den Inkarnierten möglichen Aussagen unter dem Vorzeichen der Wahrung des herkömmlichen Verständnisses des Mensch- bzw. Gottseins unter Kuratel gestellt (Thomas, STh III q 16 a 5, bes. ad 3; Petrus, Sent III dist 6–9; Biel, In Sent III dist 6; vgl. dazu bes. Schwarz 1966). 3.3.1. Erst in der Reformationszeit wird, wie Harnack mit nachvollziehbarer Verwunderung notiert (1909–1910: III,5; 813 f.), das christologische Dogma plötzlich zum religiösen Streitpunkt und erfährt eine Reformulierung, die den abständigen Begriffen einen existentiellen Sinn abgewinnt, den auch Melanchthon in der ersten Gestalt der Loci (communes) von 1521 noch für unvorstellbar gehalten hatte (dazu unten 4.2.). Die Auseinandersetzung hatte ihren Ursprung im Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli: Zwingli (bes. Zwingli, Dass diese Worte) bestritt die Möglichkeit einer Realpräsenz des Leibes Christi in der Hostie des Abendmahls mit dem Argument, dass der Leib Christi nach der Himmelfahrt Jesu im Himmel ›zur Rechten Gottes‹ sei und daher nicht auf vielen Altären sein könne, denn: Ein Leib ist nicht der Multipräsenz fähig. Dies diente ihm als Argument dafür, dass die Abendmahlsworte (Dies ist mein Leib) nicht wörtlich genommen werden dürfen, sondern ein übertragener Sinn (Dies ist ein Zeichen meines Leibes) angenommen werden müsse. Verallgemeinert bedeutet dies, dass Aussagen der Schrift, die den Menschen als Gott und umgekehrt bezeichnen (Mk 15,34; 2 Kor 5,19, Joh 1,14; 10,31) und die Göttliches vom Menschen und umgekehrt aussagen (Paradebeispiele sind 1 Kor 2,8 und Mt 28,18), unter dem Vorbehalt der Gottheit Gottes und der Menschheit des Menschen gelesen werden müssen: Es wird nicht Gott getötet, sondern der Mensch, mit dem Gott zu einer Person verbunden ist; und es regiert nicht der Mensch allgegenwärtig die Welt, sondern Gott, der mit der Menschheit verbunden ist. Insofern sei die ›communicatio idiomatum / die wechselseitige Mitteilung der Eigenschaften‹ als ein uneigentlicher, rein sprachlicher Akt zu ver-

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stehen, nach dem, aufgrund der Verbindung der zwei Naturen zu einer Person, zur Bezeichnung des Subjektes der Handlungen und Eigenschaften Christi zuweilen auch die Natur- oder die Personbezeichnung verwendet werden kann, die im eigentlichen Sinne nicht an der Handlung beteiligt ist bzw. der die jeweilige Eigenschaft eigentlich nicht zukommt – Zwingli spricht von einer ›Alloiosis‹, einer rein sprachlichen ›Veränderung‹ des Handlungssubjektes (Zwingli, Daß diese Worte: 922–929). Diese Rede steht aber unter dem beständigen Vorbehalt der Uneigentlichkeit, die dem ursprünglichen Sinn dessen, was Gott bzw. dem Menschen zukommt, Rechnung trägt. Es ist hier der ursprüngliche, umlaufende semantische Gehalt der Begriffe ›Gott‹ und ›Mensch‹, der das Kriterium des Verständnisses der christologischen Wendungen darstellt. 3.3.2. Luther (Vom Abendmahl; ders., DDH; dazu Hund 2006; Slenczka 2005; Baur 1993) widersprach dieser Behauptung mit dem Hinweis, dass nach der Einigung von Gottheit und Menschheit in Christus die beiden Naturen nicht wie Bretter nebeneinanderliegen, sondern einander ihre Eigenschaften mitteilen, so dass die genannten Aussagen der Schrift genau das erschließen, was in der Person Jesu geschieht: Dass in den Aussagen der Schrift und der Tradition Göttliches vom Menschen ausgesagt wird und Menschliches von Gott, ist ein Hinweis darauf, dass die beiden Naturen sich genau so ›verhalten‹, wie es diese Aussagen implizieren: Die beiden Naturen interpretieren einander wechselseitig, so dass das, was Gott und was der Mensch ist, einen neuen, bislang unerhörten Sinn erhält: Gott leidet und stirbt, und der Mensch erhält Anteil an Gott (Baur 1993:145–163). 3.3.3. Luthers christologische Aussagen zielen darauf, extreme Hoheitsaussagen und Niedrigkeitsaussagen miteinander zu verbinden, dies aber in besonderer Weise, nämlich ohne den Vorbehalt einer Zuweisung an eine bestimmte Natur in Christus: alle Niedrigkeitsaussagen, die von diesem Menschen gelten, von der Geburt bis zum Leiden und zum Tod am Kreuz, sind Aussagen über Gott: »Es bleibt dabei: Die Naturen sind unterschieden, aber nach jener wechselseitigen Mitteilung besteht eine Verbindung, d. h. eine Person, es sind nicht

202  Systematische Theologie zwei Personen. … Daher sage ich mit Recht das, was ich vom Menschen Christus aussage, auch von Gott aus, nämlich dass er gelitten hat und gekreuzigt wurde. Einwand: Aber Gott kann nicht gekreuzigt werden oder leiden. A[ntwort]: Ich weiß das: als er nämlich noch nicht Mensch war. Von Ewigkeit her hat er nicht gelitten, aber als er Mensch wurde, ist er leidensfähig geworden. Von Ewigkeit her war er kein Mensch, aber bereits seit seiner Empfängnis durch den Heiligen Geist, seit seiner Geburt aus der Jungfrau werden Gott und Mensch eine Person und haben Gott und Mensch dieselben Prädikate. Hier ist es zu einer Einheit in einer Person gekommen. Da geht Gottheit und Menschheit ineinander. Die Einheit, die setzt es. Ich bekenne zwei Naturen, aber sie können nicht getrennt werden. Das macht die Einheit, die eine engere und festere Verbindung ist als die von Körper und Seele … Da gilt: Christus, der Sohn des unsterblichen Gottes, Gott und Mensch, wird gekreuzigt unter Pontius Pilatus.« (Luther, DDH Ag. Ir, 101,4–102,6 in Auswahl; Übers. von N.Sl.). »Frage: Es wird gefragt, ob jener Satz wahr ist: Der Sohn Gottes, der Schöpfer des Himmels und der Erde, das ewige Wort, schreit am Kreuz und ist Mensch. Antwort: Er ist wahr, denn: Was der Mensch schreit, schreit auch Gott, und dass der Herr der Herrlichkeit gekreuzigt wird, ist unmöglich nach der Gottheit, ist aber möglich nach der Menschheit, und weil die Einheit der Person besteht, wird dieses Gekreuzigtwerden auch der Gottheit zugeschrieben.« (ebd. 103,20 ff [A]). »… alle werck, wort, leiden und was Christus thut, das thut, wirckt, redet, leidet der warhafftige Gottes son, und ist recht geredt: Gottes son ist für uns gestorben, Gottes son predigt auff erden, Gottes son wescht den jüngern die füsse …« (Luther, Vom Abendmahl, WA 26,320,ff).

Die Pointe dieser Feststellungen liegt darin, dass die ›communicatio idiomatum / die wechselseitige Mitteilung der Eigenschaften‹ als eine Neubestimmung Gottes einerseits und des Menschen andererseits verstanden wird, in der durch die jeweils andere Natur Gott und dem Menschen Eigenschaften und ein Geschick zukommen, die unter nichtchristologischen Bedingungen nicht von ihnen gelten könnten (Streiff 1993). Entsprechend kann und muss vom Menschen die Allgegenwart, von Gott das Leiden und der Tod ausgesagt werden und gelten; dies freilich nicht so, dass nun Gott selbst stirbt, sondern dass Gott durch die Teilhabe an der Menschheit stirbt, und dass die Menschheit durch die Teilhabe an der Gottheit allgegenwärtig ist.

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3.3.4. Diese auf den ersten Blick abstrakt anmutende Christologie ist getragen von einer soteriologischen Pointe: Es ist eine Grundaussage der lutherischen Christologie, dass in der Person Jesu der Schlüssel zum Verständnis der Schöpfung als Werk und Wirkungsmedium eines liebenden Vaters gegeben ist – der allmächtige Schöpfer definiert sich in der Person Jesu als der dem Menschen zugewandte Gott und als der liebende Vater: »Darumb wir es für einen schädlichen Irrtumb halten, da Christo nach seiner Menschheit solche Majestät [der Allgegenwart und Allwirksamkeit] entzogen, dadurch den Christen ihr höchster Trost genommen, den sie in vorangezeigter Vorheißung von der Gegenwärtigkeit und Beiwohnung ihres Haupts, Königs und Hohenpriesters haben, der ihnen versprochen hat, daß nicht alleine seine bloße Gottheit bei ihnen sein werde, welche gegen uns arme Sünder wie ein vorzehrendes Feuer gegen dürre Stuppel ist, sonder er, er, der Mensch, der mit ihnen geret hat, der alle Trübsal in seiner angenommenen menschlichen Natur versuchet hat, der auch dahero mit uns als mit Menschen und seinen Brüdern ein Mitleiden haben kann, der wölle bei uns sein in allen unsern Nöten …« (FC.SD VIII; BSLK 1046,25–42).

Auf der anderen Seite geht Luthers Christologie nicht darin auf, alle Niedrigkeitsprädikate des Menschen Jesus von Nazareth Gott zuzuschreiben, sondern zielt umgekehrt auch darauf, dass aufgrund der Verbindung Gottes mit dem Menschen nun auch alle Hoheitsprädikate Gottes dem Menschen Jesus von Nazareth zugeschrieben werden können und müssen. Darum gilt von dem Menschen Jesus von Nazareth, dass er allmächtig die Welt regiert, dass dem Kind in der Krippe alle Gewalt übergeben ist und dass er der Schöpfer ist. Darüber hinaus zielt aber diese Selbstentäußerung Gottes in der Person Jesu von Nazareth nicht allein auf den Menschen Jesus von Nazareth, sondern durch ihn auf alle Menschen, die an der der Selbsterniedrigung Gottes zu den Menschen korrespondierenden Erhöhung des Menschen zur Rechten Gottes teilhaben (Steiger 1996; Slenczka 2005). 3.3.5. Das ist nun in dem Sinne eine Reformulierung der chalcedonensischen Zweinaturenlehre, als hier nicht einfach zwei Naturen zusammengedacht werden, sondern diese Naturen einander

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wechselseitig definieren und neubestimmen über das hinaus, was durchschnittlicherweise von ihnen gilt (Baur 1993). Die Macht des Schöpfers, die der Mensch allenthalben erfährt, definiert sich durch das Geschick Jesu von Nazareth und nimmt das, was eigentlich zu ihr nicht passt, in sich auf: den Tod und das Leiden und die Begrenztheit des menschlichen Lebensvollzuges. Diese Macht wird damit in ihrem Wollen als Vater identifizierbar und ansprechbar. Denn diese Macht ist damit identifiziert als der Wille, mit dem Menschen zu sein, das heißt: als Liebe zum Menschen; als Selbstmitteilung an den Menschen. ›Selbstmitteilung‹ heißt, dass in der Gemeinschaft mit dieser Macht nun auch der Mensch nicht bei sich selbst und er selbst bleibt, sondern eigentlich Unerhörtes von ihm gilt: Dass er teilhat an der Macht und Herrlichkeit des Schöpfers. Diese Teilgabe bleibt nun nicht beschränkt auf die Person Jesu von Nazareth, sondern zielt durch sie auf den Menschen, der Kind Gottes wird, aus dem Jammertal geführt wird und im Himmel »reich« gemacht wird – Anteil erhält an Gott, wie Luther im Weihnachtslied »Gelobet seist du, Jesu Christ« schreibt (EG 23,6). Was in der Person Jesu von Nazareth herauskommt, ist dies: Was Gott und was der Mensch über das hinaus, was von ihnen erfahrbar ist, noch sind: Gott erweist sich statt als anonyme Macht als der Vater Jesu von Nazareth und als der sich um des Menschen willen vergessende und aufgebende Liebende. Der Mensch erweist sich als der von Gott Geliebte und Gesuchte, ohne den Gott nicht Gott sein will und der Anteil erhält an Gott selbst.

3.4.  Der systematische Gewinn dieser Christologie … … besteht nicht einfach in einer Neubestimmung Gottes und des Menschen in der Person Jesu von Nazareth, sondern diese Neubestimmung ist übergriffig und zielt auf die Eröffnung eines neuen Selbst- und Weltverständnisses des Menschen: Wer den Sinn der christologischen Aussagen erfasst hat und ergreift, der versteht sich selbst als Gegenstand der Liebe Gottes und lebt im Wissen um die Unselbstverständlichkeit der Wirklichkeit als dankbares Wesen und wird so eigentlich Geschöpf im Sinne der Auslegung des ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus Luthers.

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4.  Die abendländische und reformatorische Fortbildung der altkirchlichen Lehrbildung und ihr systematischer Sinn In der nachreformatorischen Dogmatik wird diese Christologie zum Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen zwischen Calvinisten und Lutheranern und zwischen unterschiedlich optierenden Angehörigen der lutherischen Schultheologie (Mahlmann 1967; Hund 2006; Baur 1993: bes. 204–276; Brandy 1991; Wiedenroth 2012).

4.1.  Die Deutung der Idiomenkommunikation In der lutherischen Christologie wurde, einem Vorschlag Martin Chemnitz’ folgend (Mahlmann 1967), die Deutung der wechselseitigen Mitteilung der Eigenschaften Gottes und des Menschen durch die Annahme von drei ›genera / Gattungen‹ der Idiomenkommunikation präzisiert und zugleich limitiert (vgl. FC.SD VIII, BSLK 1028,14–1033,33): Das ›genus idiomaticum / die auf die Eigenschaften bezogene Weise [der Mitteilung]‹ umfasst die Aussagen, in denen Eigenschaften und Tätigkeiten, die den beiden Naturen angehören, von der gottmenschlichen Person (und damit von Gott und vom Menschen) ausgesagt werden. Das ›genus apotelesmaticum / die auf den Vollzug des Heilswerks bezogene Weise [der Mitteilung]‹ bezeichnet beide Naturen als eigentliches Subjekt des Heilswerkes. Das ›genus majestaticum / die auf die Hoheitsprädikate bezogene Weise [der Mitteilung]‹ bezeichnet die Mitteilung von Hoheitsprädikaten Gottes an die menschliche Natur (nicht nur an die als Mensch bezeichnete Person des Gottmenschen), so dass der Leib Christi allenthalben ist und die Menschheit Christi mit der Gottheit die Welt regiert. Diesem ›genus majestaticum / die auf die Hoheitsprädikate bezogene Weise [der Mitteilung]‹ entspricht ausdrücklich kein ›genus tapeinoticon / auf die Niedrigkeitsprädikate bezogene Weise [der Mitteilung]‹, nach dem das Leiden und der Tod von der menschlichen Natur der göttlichen Natur mitgeteilt würde – hier setzt sich das Interesse an der Unveränderlichkeit und der Leidensunfähigkeit der Gottheit und damit die Anforderungen eines metaphysischen Gottesbegriffs durch (vgl. die Rezeption der

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Unterscheidung in der Konkordienformel: SD VIII, BSLK 1032,9– 11). Theodor Thumm hatte in seiner ›Tapeinosigraphia sacra / Heilige Beschreibung der Erniedrigung‹ (1623) noch einmal ein solches ›genus tapeinoticon / auf die Niedrigkeitsprädikate bezogene Weise [der Mitteilung]‹ in Vorschlag gebracht (Baur 1993: 145–163; Wiedenroth 2012: 502–556). Mit der Unterscheidung einer (offenbar unproblematischen) Mitteilung von Eigenschaften der Naturen an die Person einerseits von der (die Unveränderlichkeit der Gottheit bedrohenden) wechselseitigen Mitteilung von Eigenschaften zwischen den Naturen andererseits fällt natürlich auf das ›genus idiomaticum / die auf die Eigenschaften bezogene Weise [der Mitteilung]‹ der Schatten der Uneigentlichkeit, da zwar an die Person der Gottheit, nicht aber an die göttliche Natur in Christus die Attribute der Menschheit mitgeteilt werden.

4.2.  Christologie und Soteriologie Zum anderen steht die Christologie in ihrer der kontroverstheologischen Situation geschuldeten Konzentration auf die Vereinigung der beiden Naturen und ihr gegenseitiges Verhältnis in der Gefahr, die Rückbindung an die soteriologische Pointe der Christologie und damit das Bewusstsein des existentiellen Sinnes aller christologischer Aussagen aus den Augen zu verlieren. 4.2.1. Melanchthon hatte es in den Loci communes / Allgemeine Grundbegriffe der Theologie von 1521 noch abgelehnt, die Trinitäts- und die Zweinaturenlehre zum Gegenstand einer eigenen theologischen Untersuchung zu machen und einer evangelischen Dogmatik die Aufgabe gestellt, nicht zusätzlich zur, sondern anstelle einer Beschreibung des Verhältnisses der beiden Naturen die Wohltaten Christi und somit den soteriologischen bzw. existentiellen Sinn der Christologie herauszustellen: »Nam ex his proprie Christus cognoscitur, siquidem hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere, non, quod isti docent, eius naturas, modos incarnationis contueri. / Denn daraus [aus seinen Heilswirkungen] wird eigentlich Christus erkannt, so daß Christus erkennen heißt: seine Wohltaten erkennen, nicht, was jene [die scholastischen Theologen] lehren,

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seine Naturen, die Arten und Weisen der Inkarnation betrachten.« (Melanchthon, Loci / Allgemeine Grundbegriffe der Theologie, Introductio 22). In den späteren aetates / Auflagen der Loci integriert Melanchthon in allerdings sehr knapper Form (und überwiegend in Gestalt des Referates der einschlägigen biblischen ›testimonia / Zeugnisse‹) die Bestimmungen der altkirchlichen Dogmen wieder  – freilich nun unter dem Vorzeichen und unter dem begrenzenden Kriterium einer ausweisbaren soteriologischen Funktion und Bedeutung (Melanchthon, Loci 1559: 185; 198,30–199,3). Damit entspricht Melanchthon einer Konzentrationsbewegung der Theologie Luthers, die sich auch bei den anderen Reformatoren identifizieren lässt, und die auf eine Konzentration aller Theologie nicht auf die Christologie in einem gegenständlichen Sinn, sondern auf die Soteriologie abzielt, auf die Neubestimmung des Gottes-, Welt- und Selbstverständnisses, die sich am Ort des frommen Subjekts vollzieht (Luther, Unterricht). Die christologischen Dogmen haben ihr Recht unter der Voraussetzung, dass ihr Existenzbezug nachweisbar ist, das heißt: dass sie in den Kontext eines menschlichen Selbstverständnisses treten. 4.2.2. In den – calvinistischen wie lutherischen – Dogmatiken des 17. Jhs. wird die Lehre von der Person Christi als eigenständiges Kapitel geführt und als Entfaltung des dem Werk Christi und seiner Heilsbedeutung zugrundeliegenden Personseins Jesu gefasst (zum folgenden Hollaz, Examen p III sect 1); durch den Ausweis des ›usus practicus / Praktischen Gebrauch‹ und durch die folgenden Lehrstücke der Ämter und der ›status Christi / Stände Christi‹, schließlich durch das gleich folgende Lehrstück von der ›gratia applicatrix spiritus sancti / der zueignenden Gnade des Heiligen Geistes‹ bleibt diese Darstellung auch noch in der monographischen Verselbständigung der Christologie (seit Chemnitz’ De duabus naturis / Über die zwei Naturen, 1560) soteriologisch angebunden. Die Ämterlehre – die Darstellung des prophetischen, des priesterlichen und des königlichen Amtes Christi – hängt zum einen am Christus-Prädikat: Es handelt sich nach Überzeugung der altprotestantischen Theologen um diejenigen alttestamentlichen Ämter, die mit einer Salbung ver-

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bunden und in Jesus von Nazareth vollendet und abgelöst werden. Die Lehre von den Ämtern vermittelt dabei zwischen der Person und dem Heilswerk Christi, da das Amt eine dem Vollzug vorausgehende, der Person durch die Salbung gegebene Ausstattung zu einem Werk darstellt, somit dessen Bedingung der Möglichkeit: Durch die Salbung ist Christus mit der Aufgabe der vollmächtigen Verkündigung des göttlichen Willens, des versöhnenden Opfers bzw. des fürbittenden Eintretens für die Gemeinde und der Herrschaft über alle Wirklichkeit ausgestattet. Das nach dem Philipperhymnus in zwei Stadien sich vollziehende Leben (exinanitio [kenosis] / Entäußerung und exaltatio / Erhöhung) stellt die realisierende Durchführung dieser mit dem Amt gestellten Aufgaben dar, wobei in der theologischen Auseinandersetzung mit den Spielarten der reformierten Theologie strittig war, ob das Subjekt der Kenose der ewige Logos oder (nur) die menschliche Natur ist, während innerlutherisch (etwa im Tübinger-Gießener Streit im ersten Drittel des 17. Jhs., Baur 1993: 204–276; Wiedenroth 2012) darüber gestritten wurde, ob der Mensch Jesus von Nazareth während seines Erdenlebens auf die göttlichen Prärogative, etwa der Allwissenheit und der Allgegenwart, verzichtet (so die Gießener) oder nur ihren Gebrauch verborgen hat (so die Tübinger). Die in dieser kontroverstheologischen Front, auch angesichts innerlutherischer Uneinigkeit, immer differenzierter und entsprechend ausführlicher werdenden Bestimmungen zum Werk Christi wurden auch in eigenen Traktaten, Streitschriften und Disputationen verhandelt (etwa in der vielhundertseitigen ›Tapeinosigraphia sacra / Heilige Beschreibung der Erniedrigung‹ des Theodor Thumm), in denen die soteriologische Anbindung zwar mitgedacht war, aber noch weniger offensichtlich wurde als in der Einbettung der Bestimmungen in den Traktat ›De principiis salutis / von den Grundlagen des Heils‹ im Rahmen der dogmatischen Gesamtentwürfe. Das Problem der trinitätstheologischen und christologischen Dogmenbildung liegt  – das hat genau gesehen bereits Adolf von Harnack (1909–1910: 4–25, bes. 18–21) erfasst  – darin, dass die Lehre nicht mehr als Ausdruck und Auslöser der religiösen Erfahrung, der sie entsprang, derselben nachgeordnet wird, sondern sich als gegenständliche Beschreibung der Wirklichkeit, die die re-

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ligiöse Erfahrung auslöst, ihr vorgeordnet wird. Die Christologie läuft Gefahr, gegen die Soteriologie verselbständigt zu werden; sie erscheint als die Definition und Beschreibung der gegenständlichen Bedingung der Möglichkeit der Soteriologie, über die die wissenschaftliche Theologie sich und andere verständigt. Im Verständnis des religiösen Sinnes des Christentums verselbständigt sich die ­Zustimmung zum gegenständlichen Gehalt der Christologie von deren soteriologischen Sinn und der religiösen Aneignung. Entsprechend erscheint die Soteriologie als Folge des Werkes, das diese gottmenschliche Person hinausführt. Das hat zur Folge, dass die von soteriologischen Anliegen geleitete theologische Reflexion in der Folge ein alternatives christologisches Fundament sucht, das die Universitätstheologie offenbar – trotz allen Bemühens – nicht zu bieten imstande ist (dazu weiter unten 7.).

4.3.  Schleiermacher: Jesus Christus als Urbild des Menschseins Der fortschreitende Verlust der existentiellen Plausibilität und die mit weiterer Differenzierung immer problematischere Ausweisbarkeit der dogmatischen Christologie anhand des Bildes vom Leben Jesu, das die Evangelien zeichnen, motivierte die Rückkehr zum biblischen Jesus-Bild, eine Bewegung, die sich in der deutschen Theologie von zwei verwandten, aber dennoch sehr unterschiedlichen Traditionen vollzog und die entsprechend von unterschiedlichen Motiven getrieben war (Pannenberg 1982: 18–31; 41–44; Ristow / Matthiae 1961; R. Slenczka 1967; Theißen / Merz 1997; Schröter 2002; dort Lit.). 4.3.1. Die Rückkehr zum biblischen Christusbild war die Motivation, die im Pietismus und seiner Kritik an der Universitätstheologie zum Tragen kam und die sich zunächst auf die reformatorische Rückkehr zur Schrift gegen die menschlichen Traditionen berief. Diese Bewegung wurde im dogmen- und christentumskritischen Impuls der Aufklärungsbewegung radikalisiert – für diese Tendenz steht in Deutschland die Evangelienkritik des Herrmann Samuel Reimarus, die zugleich deutlich macht, dass der kritische Impetus der dogmenkritischen Bewegung nicht bei den Evangelientexten

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innehielt, sondern über deren theologische Absichten hinaus nach deren Grundlage, dem Leben und Selbstverständnis ›Jesu selbst‹ als der Grundlage und dem Ausweis des Rechts (oder dem Nachweis des Unrechts) aller christologischen Aussagen zurückfragte (Schweitzer 1984: 13–26). 4.3.2. Im Hintergrund der Rückgriffe auf den Lebensvollzug Jesu steht häufig ein soteriologisches Konzept, das intensiver an der exemplarischen Bedeutung des Lebens Jesu interessiert war als die – an der sakramentalen Bedeutung des Werkes Christi als Stellvertretung des Menschen vor Gott orientierten  – reformatorischen und vorreformatorischen Christologien, die dazu tendierten, die Christologie als Rede von der einer Wirkung vorausgehenden Ursache zu konzipieren. Der irdische Lebensvollzug Christi wird nun zum orientierenden Exemplar des menschlichen Lebensvollzuges, und das Heil wird interpretiert als Teilgabe am Gottesverhältnis und am Leben Jesu, häufig unter Inanspruchnahme des Begriffs der Nachfolge. Die Verbindung beider Anliegen – des exemplarischen und des ›sakramentalen‹  – gelingt Schleiermacher, dessen Christologie in mehrfachem Sinn typbildend ist für die neuzeitliche Reformulierung der Vorgaben der klassischen Theologie und daher knapp umrissen werden soll. 4.3.3. Schleiermacher fasst den Menschen Jesus von Nazareth als die vollkommene und insoweit urbildliche Realisierung des menschlichen Gottesbewusstseins und betrachtet die Evangelien als Zeugnisse der historischen Realisation dieses Urbildes des Menschseins. Seine Christologie ordnet sich in den Gesamtaufbau seiner Dogmatik ein in die Darstellung des Bewusstseins der Gnade; hier stellt die Christologie bezeichnenderweise nicht etwa die Bedingungen der Entstehung des christlich-frommen Selbstbewusstseins vor, sondern die Christologie ist selbst die erste Form der Aussagen des frommen Selbstbewusstseins in diesem Teil der Glaubenslehre, die Darstellung also des Bewusstseins der Gnade in der Form der Beschreibung menschlicher Lebenszustände (Schleiermacher, Glaubenslehre § 91 ff; vgl. 92, dazu im Folgenden). Schleiermacher legt seine Christologie so an, dass er nicht etwa im Ausgang von der Inkarnation des Gottessohnes zunächst die Konstitution der Person

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und dann das Werk Christi betrachtet. Seiner Christologie liegen vielmehr zwei Entscheidungen zugrunde: Insgesamt stellt er Jesus von Nazareth als das Urbild des Gottesverhältnisses dar (§ 93); dies hat zwei Pointen, die in dem nach dem Modell einer platonischen Idee gestalteten Begriff des ›Urbilds‹ angelegt sind: Zum einen ist das Urbild die Vollkommenheit dessen, was in allen Exemplaren realisiert ist: das Gottesverhältnis ist im Leben Jesu zu höchster Vollkommenheit ausgebildet. Diese vollkommene ›Kräftigkeit‹ des Gottesbewusstseins ist »ein eigentliches Sein Gottes in ihm« (§ 94); dies ist insofern eine völlig schlüssige Reformulierung der Zwei­ naturenlehre, als der Begriff Gott von Schleiermacher insgesamt als das Korrelat des frommen Selbstbewusstseins nicht nur eingeführt, sondern definiert wurde (Anm. zu § 4.4 im Handexemplar), so dass Gott – jedenfalls im Gebiet der Theologie – nur und ausschließlich im frommen Bewusstsein bzw. als Korrelat des frommen Bewusstseins überhaupt ist. Wo die vollkommene Kräftigkeit des frommen Bewusstseins ist, da und nur da ist Gott. Die Urbildlichkeit führt zum zweiten den Aspekt mit sich, dass das Urbild die Quelle aller abkünftigen Realisationen der Idee in einzelnen Exemplaren ist. Vom Urbild geht somit eine Wirkung aus, die am Ort des frommen Subjekts in der Form der Angleichung an das Urbild erfahren wird – diesen Sachverhalt fasst Schleiermacher als Teilgabe am Gottesbewusstsein Jesu bzw. als Aufnahme des Christen in das Gottesbewusstsein Jesu (§ 100). Der entscheidende Punkt ist nun der, dass Schleiermacher die Christologie von vornherein soteriologisch konzipiert in dem Sinne, dass er der Lehre von der Würde und dem Werk des Erlösers Bestimmungen des von ihm ausgehenden Gesamtlebens vorausschickt, das kollektive Bewusstsein der Erlösung, das – § 11 – als Wirkung (Tätigkeit) Christi erfahren wird (§ 88; vgl. 91) und das »untrennbar eins« ist mit der »ausschließliche[n] Würde des Erlösers«: »Die eigenthümliche Thätigkeit und die ausschließliche Würde des Erlösers weisen auf einander zurükk, und sind im Selbstbewußtsein des Gläubigen unzertrennlich eines.« (Glaubenslehre § 92, Lehrsatz). Die am Ort des Subjektes bzw. in der Gemeinde erfahrene erlösende Wirksamkeit (das Wiederherstellen des Gottesbewusstseins)

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des Erlösers – die Lehre vom »Geschäft« bzw. vom Werk Christi – ist die Grundlage der Würde des Erlösers, die sich in der Lehre von der Person Christi ausspricht, und umgekehrt (§ 93.2): In den Aussagen über die – exklusive – Würde des Erlösers wird er als der Ursprung der erfahrenen Erlösung apostrophiert. Dabei ist Schleiermacher allerdings durchaus der Meinung, dass das Lebensbild Jesu, wie es in den Evangelien, insbesondere im Johannesevangelium vorliegt, eben die Ausbildung und die Manifestation dieses urbildlichen Gottesbewusstseins im Laufe eines Menschenlebens wiederspiegelt (§ 93); er lehnt es ausdrücklich ab, die Aussagen über das vollkommene Gottesbewusstsein Jesu als Projektion der Gemeinde, die sich durch ihn in ihrem Gottesbewusstsein gefördert weiß, zu betrachten (§ 93.2). 4.3.4. Diese Verbindung von Soteriologie und Christologie ist ein Ertrag der Theologie Schleiermachers, dessen Überzeugungspotential sich auch diejenigen Positionen nicht entziehen konnten, die sich im 20. Jh. unter reformatorischem Gestus gegen Schleiermacher zu profilieren suchten. Denn hier wird die soteriologische Bedeutung Jesu Christi und seines Werkes nicht darin gesehen, dass Christus stellvertretend eine Leistung vollbringt, die folgeweise Auswirkungen am frommen Subjekt hat – sei es durch die Mitteilung einer im Kreuz erworbenen Gnadenqualität, sei es durch die Anrechnung des stellvertretenden Gesetzesgehorsams im Jüngsten Gericht. Vielmehr ist das Werk Christi die Manifestation eines Gottesverhältnisses, in dem die Bestimmung des Menschen sich darstellt und in das einzutreten das Heil des Menschen darstellt. Noch die Anlage der Schöpfungs- und der Versöhnungslehre in der Dogmatik Karl Barths (KD III und IV) ist von der Grundbewegung bestimmt, das Handeln Gottes in Christus als Stiftung und Realisierung des Bundes Gottes mit dem Menschen zu fassen und so auszulegen, dass das stellvertretende Handeln Christi auf die Gleichförmigkeit des Menschen mit der Menschheit Christi abzielt (KD III,3; KD IV,2,305 und Kontext; Jüngel 1980: 266; Jüngel 1962). Diese Grundfigur setzt voraus, dass der Glaube nicht als Bezugnahme auf den exklusiv stellvertretenden Gesetzesgehorsam Jesu gefasst wird, sondern dass das Gottesverhältnis Jesu selbst als

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durch das Evangelium strukturiert und somit als werkfreier Glaube verstanden wird, in dem die eigentliche und ursprüngliche Bestimmung des Menschen realisiert ist. Entsprechend ist der Glaube an Christus nicht die Substitution des eigentlich Gott entsprechenden Gesetzesgehorsams (den Christus allein leistet, den aber eigentlich der Mensch schuldet) sondern der Glaube ist das Eintreten in das ursprüngliche, in der Person Jesu realisierte Gottesverhältnis selbst. Die Einsicht Luthers und vieler anderer Reformatoren, dass der Glaube nicht einfach die Antithese zum Gesetz, sondern als Erfüllung des Ersten Gebotes das eigentliche Werk des Gesetzes ist, bietet hier die Grundlage, auf der der referierte Gedanke Schleiermachers ebenso wie der Barths aufbaut. Systematisch wird damit die Antithetik der Vorbildlichkeit und der Sakramentalität Christi transzendiert und das menschliche Heil nicht einfach als Teilgabe an den Wirkungen des Werkes Christi, nicht aber auch als selbsttätige Nachahmung Christi, sondern als Teilgabe am Gottesverhältnis Jesu gefasst, in dessen Vollzug die Stellvertretung Jesu ein Übergangsphänomen darstellt – zu nennen ist neben Barth auch Bonhoeffers Deutung der Kirche als Vergegenwärtigung Christi und der Rechtfertigung vom Zentrum der Kreuzesnachfolge her (Bonhoeffer 1986; Soelle 1973; Jüngel 1982: 510 im Kontext von 430 ff; Moltmann 1987: 184–267). 4.3.5. Der systematische Ertrag dieser in der reformatorischen Tradition stehenden Positionen ist ein – etwa im Vergleich mit Anselms Satisfaktionslehre  – neubestimmtes Verständnis des soteriologischen Gehaltes der Christologie, die das Heil wesentlich als Gleichgestaltung des Lebens des Glaubenden mit Christus versteht (zu den vorreformatorischen Voraussetzungen vgl. den kgl. Beitrag). Der Lebensvollzug Christi erscheint als Exemplar des Lebens des Christen, und umgekehrt das Leben des Christen als Teilgabe am Leben Christi und in diesem Sinne als Nachfolge. Das Heilswerk ist nicht eine Veranstaltung vor Gott, dem als Ursache Wirkungen am Menschen entsprechen, sondern die Eröffnung einer dem Leben Jesu gleichartigen Existenzmöglichkeit.

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5.  Die Frage nach dem Leben, der Lehre und dem Selbstverständnis Jesu Damit verbindet sich ein nachhaltiges Interesse am Leben Jesu (vgl. den kgl. Beitrag), das nun allerdings in seiner Differenz zur abständigen kirchlichen Lehrbildung wahrgenommen wird (R. Slenczka 1967: 25–175).

5.1.  Probleme der Rückfrage nach dem historischen Jesus Schleiermacher behandelt in seiner Verbindung von Urbildlichkeit und Geschichtlichkeit Jesu die Evangelien, insbesondere aber das Johannesevangelium, als Quellenbericht vom Leben Jesu und – in seiner Vorlesung zum Leben Jesu – als Quelle für eine Darstellung des Selbst- bzw. Gottesbewusstseins Jesu (Schleiermacher, Leben). Damit ist einiges dogmatisches Gewicht an die Zuverlässigkeit der Evangelienberichte gehängt. Systematisch liegt das daran, dass nun das Leben Jesu nicht mehr unter dem Vorzeichen der Ausführungen über die Inkarnation des Logos und damit unter der hermeneutischen Voraussetzung der gottmenschlichen Person und der im Leben Jesu verfolgten göttlichen Absicht gelesen wird, sondern als Vorzeichnung eines nachvollziehbaren menschlichen Lebensvollzugs. Unter dem Vorzeichen dieser Urbildlichkeit wird somit der menschliche Lebensvollzug Jesu der Ausweisgrund für die Hoheit Jesu: die Menschlichkeit einerseits und die die Hoheitsprädikate begründende urbildliche Höherrangigkeit gegenüber allen anderen Menschen wird auf dem Wege des Rückgangs auf die Evangelienberichte verifiziert. Die Rückfrage nach dem Leben Jesu als Ausweisgrund der auf Jesus begründeten Heilserwartungen belastet die Berichte mit der Erwartung, auf irgendeiner Stufe Zugang zu der vorgegebenen Grundlage der dogmatischen Deutung Jesu durch die Kirche zu erhalten. Grundsätzlich werden dabei die biblischen Berichte als historische Quellen behandelt, die den jeder Deutung zugrundeliegenden Vorgang zu erschließen erlauben. Die Unterscheidung von Gotteswort und menschlicher Tradition kehrt wieder als Unterscheidung des der Willkür entzogenen historischen Kerns von

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möglicherweise von menschlichen Interessen geleiteter Deutung und als Frage danach, ob die Deutung dem vorgegebenen ›Kern‹ entspricht. Damit ist prinzipiell die Frage offen, ob das Berichtete so geschehen ist, wie es dasteht, wobei ein Historiker gegenüber den biblischen Texten ein gesundes Misstrauen unterhalten und mit deutlichen Niederschlägen des Gemeindeinteresses rechnen wird. Die Widersprüche in der Überlieferung über Jesus führen jedenfalls darauf, dass manche Berichte vermutlich keine historischen Fakten oder Situationen des Lebens Jesu wiedergeben. Grundsätzlich gibt es zwei mögliche Formen des Umgangs mit der komplexen Überlieferungslage der biblischen Texte und der Uneindeutigkeit einer Unterscheidung von ›historischem Kern‹ und interessegeleiteter Deutung:

5.2.  Die Historie Jesu als Ausweisgrund der Christologie? Entweder fasst man die Verifizierbarkeit der kirchlichen Christologie am Leben, an der Verkündigung und am Selbstverständnis Jesu als Wahrheitskriterium und räumt den historischen Berichten über Jesus und seinen Worten unbedingte Priorität ein. Die Frage nach der ›ipsissima vox Iesu / ursprüngliche Worte Jesu‹ gewinnt dann die Funktion eines Fundamentes und Wahrheitskriteriums aller religiösen und theologischen Aussagen (z. B. Jeremias 1966). 5.2.1. Allerdings ist es nach den Kriterien historischen Arbeitens unwahrscheinlich, dass Jesus die ihm von der Gemeinde zugeschriebenen Hoheitsprädikate auf sich selbst angewendet hat. Folgt man dem Hauptstrom historischer Forschung (vgl. nur: Schenke 2004; Schröter 2002), so ist es beispielsweise relativ unwahrscheinlich, dass er sich selbst auch ›nur‹ als der Messias (in welchem Sinne auch immer) verstanden und bezeichnet hat, geschweige denn als der Gottessohn im Sinne des späteren christologischen Dogmas. Es ist – ein weiteres Beispiel – historisch ebenso zweifelhaft, ob er den Titel eines Repräsentanten des hereinbrechenden Reiches Gottes, nämlich den Titel ›Menschensohn‹ aus Dan 7 auf sich selbst angewendet hat. Es ist ferner fraglich, ob er selbst seinen Tod vorhergesehen und als Versöhnungsmittel begriffen hat (Mk 10,45); man

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gelangt auch auf diesem Wege bestenfalls zu der Feststellung, dass und in welchem Umfang die Verkündigung der Gemeinde durch das möglicherweise feststellbare Selbstverständnis Jesu abgedeckt ist. Die Verkündigung der Gemeinde müsste sich dann dadurch legitimieren, dass sie die Verkündigung und das Selbstverständnis des historischen Jesus aufnimmt und fortführt. 5.2.2. Diese Frage nach der Grundlage der Verkündigung der Gemeinde im Selbstverständnis und in der Verkündigung Jesu wurde von einem der Schüler Rudolf Bultmanns, Ernst Käsemann, als theologisch unverzichtbar betrachtet (Käsemann 1964). Käsemann weist darauf hin, dass die Urchristenheit eigentümlicherweise ihr Kerygma nicht einfach als allgemeine Wahrheit über den ­Menschen ausgesprochen und von der Person Jesu abgelöst hat. Vielmehr habe die Urchristenheit ihr Kerygma untrennbar mit dieser ­Person verbunden und eine Identität des Auferstandenen mit dem irdischen Jesus und damit eine Kontinuität der eigenen Verkündigung mit der des Jesus von Nazareth vor seiner A ­ uferstehung behauptet. Das sei der Grund dafür, dass die Rückfrage nach dem ­historischen Jesus nicht einfach sistiert werden kann, sondern der Glaube ein Interesse an der Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem von der Gemeinde verkündigten auferstandenen Herrn haben müsse. Käsemann weist ferner darauf hin, dass auch noch unter den Verkündigungsinteressen der Gemeinde die ­ursprüngliche Botschaft Jesu erkennbar ist, wenn man nach dem in den Jesus zugeschriebenen Worten fragt, was weder Entsprechungen im z­ eitgenössischem Judentum hat noch der späteren ­Gemeindeverkündigung entspricht. Käsemann isoliert auf diese Weise einen Vollmachtsanspruch Jesu, der angesichts des nahenden Reiches Gottes die Menschen in die Freiheit der Kinder Gottes berufen habe. Die Kontinuität zwischen der Verkündigung der G ­ emeinde und der Jesu liegt nach Käsemann in dem befreienden, dem Evangeliums-Charakter der Botschaft Jesu; nachösterlich wird diese Botschaft mit seiner P ­ erson v­ erbunden, die als Grund menschlicher Freiheit vor Gott zur Sprache gebracht wird. Käsemann ist der Meinung, dass sich Jesus selbst gerade nicht als der Messias verstanden, sondern seine ­Person ­gänzlich einem Auftrag – der Verkündigung des unerhörten Evangeliums von der

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Freiheit des Menschen vor Gott  – unterstellt hat. Die Gemeinde hat diese Einheit von Botschaft und Person sachgemäß dadurch ausgedrückt, dass sie seine Person von dieser Botschaft her und so als die Manifestation des Gottesreiches versteht (Käsemann 1964: 211), in diesem neuen Sinne das Messiasprädikat auf ihn überträgt und von seiner Botschaft und Person her füllt. 5.2.3. Die in jüngerer Zeit ausgerufene ›Third Quest‹ nach dem historischen Jesus (du Toit 2002; Oegema 2001) stellt die Rückfrage nach dem historischen Jesus in den Kontext des christlich-jüdischen Dialogs und widerspricht den von Käsemann für die Identifizierung der Botschaft und des Selbstverständnisses Jesu angelegten Kriterien. Käsemann hatte Differenzkriterien angegeben, mittels derer man nicht den ganzen Umfang der Botschaft Jesu, wohl aber das mit Sicherheit für ihn Typische identifizieren kann, nämlich die Aussagen der Evangelien, die sich nicht in Texten des zeitgenössischen Judentums finden und die sich nicht aus Interessen der nachösterlichen Gemeinde erklären lassen. Dieses Differenzkriterium grenzt die Person Jesu vom zeitgenössischen Judentum ab, während viele Neutestamentler diese Abgrenzung für historisch unwahrscheinlich, für geleitet vom Persönlichkeitsideal des Historismus und im Kontext der Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs für wenig zielführend halten. Es wäre das Anliegen einer solchen Kritik, die Verbindungslinien zwischen Jesus und dem Frühjudentum und die traditionsgeschichtlichen Verbindungslinien zwischen dem Judentum und der Kirche in den Blick zu nehmen und den traditionsgeschichtlichen Kontext der Botschaft Jesu und der frühen Kirche zu verorten in einer ›Karte des palästinischen Judentums zur Zeit Jesu‹ (du Toit 2002: 124). 5.2.4. Mit dieser forschungsgeschichtlichen Weiterentwicklung wird deutlich, dass man es bei der Rückfrage nach dem historischen Jesus bei Käsemann wie in der übrigen vom Anliegen der Verifikation der kirchlichen Verkündigung geleiteten Forschung mit einem kritischen Ansatz zu tun hat, der die Verkündigung Jesu in ein kritisches Verhältnis ja nun nicht nur zur Gottesrede des Judentums, sondern eben gerade auch der Kirche stellt. Freilich ist gerade in dieser Rekonstruktion des Selbstverständnisses Jesu vom Zentrum

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der Freiheitsbotschaft her zum einen zwar der kirchenkritische Impuls der Rückfrage nach dem Selbstverständnis Jesu und nach seiner Verkündigung erkennbar, auf der anderen Seite aber unabweisbar, dass Käsemann in der von ihm erhobenen Botschaft Jesu die eigenen, kirchenkritischen theologischen Anliegen identifiziert, so dass der Verdacht naheliegt, dass er dem historischen Befund erstaunt die Einsichten entnimmt, die er auf dem Wege hermeneutischer Voraussetzungen selbst in ihn hineingelegt hat. Käsemanns Rekonstruktion belegt wie jede historische Nachfrage die Diagnose Albert Schweitzers, dass jede Rekonstruktion des historischen Jesus immer zugleich Wiederspiegelung der zeitgenössischen Interessen des jeweiligen Historikers ist. Schweitzer hatte festgestellt, dass die Versuche, ein Leben Jesu zu schreiben, eigentümlicherweise alle erkennbar Darstellungen der Lieblingsideen der jeweiligen Zeit im Medium der Jesusbiographie sind; zudem zeigte er, dass das, was wirklich historisch feststellbar ist vom Leben Jesu, der jeweils gegenwärtigen Zeit fremd und nicht nachvollziehbar ist. »… der historische Jesus … kann der modernen Theologie nicht mehr die Dienste leisten, die sie von dem ihren, halb historischen, halb modernen, in Anspruch nahm. Er wird nicht mehr der Jesus Christus sein, dem unsere religiöse Zeit nach altgewohnter Weise ihre Anschauungen und Erkenntnisse in den Mund legen kann … Es ist der Leben-Jesu-Forschung merkwürdig ergangen. Sie zog aus, um den historischen Jesus zu finden, und meinte, sie könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit hineinstellen. Sie löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten an den Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück. … Das historische Fundament des Christentums, wie es die rationalistische, die liberale und die moderne Theologie aufgeführt haben, existiert nicht mehr, was aber nicht heißen will, daß das Christentum deshalb sein historisches Fundament verloren hat … Jesus ist unserer Welt etwas, weil eine gewaltige geistige Strömung von ihm ausgegangen ist und auch unsere Zeit durchflutet. Diese Tatsache wird durch eine historische Erkenntnis weder erschüttert noch gefestigt.« (Schweitzer 1984: aus 620 f.).

Diese Feststellung, dass die historische Forschung die gegenwärtige Wertschätzung Christi nicht auf dem Wege des Rückganges zu den

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Ursprüngen, sondern nur auf dem Wege der Identifizierung der kulturgeschichtlichen Wirkungen seiner Verkündigung erfassen kann, setzt voraus, dass eine Unterscheidung von Interpretation und Interpretandum jedenfalls nicht so möglich ist, dass das Interpretandum – das Leben und das Selbstverständnis Jesu – zum normativen Kriterium der Interpretation wird.

5.3.  Die Christologie als Reflex der Soteriologie Dieser Einsicht tragen nun diejenigen Positionen Rechnung, auf die Käsemann reagiert und von denen er sich abgrenzt: die Grundposition Bultmanns und der meisten seiner Schüler (Bultmann 1967; Braun 1957). 5.3.1. Hier wird die Rückfrage nach dem historischen Jesus und nach seiner Botschaft für theologisch irrelevant erklärt. Eine solche Position verweist darauf, dass bereits die biblischen Texte selbst gar keine Geschichtsquellen sein wollen, sondern Verkündigung. In diesen Texten spricht eine Gruppe von Menschen aus, was sie von Jesus von Nazareth erfahren hat und wie sich der Umgang mit ihm und der – dem wie auch immer zu beschreibenden Osterereignis entspringende – Glaube an ihn in ihrem Leben niedergeschlagen haben. Dafür verwenden die Glaubenden Bruchstücke historischer Erinnerung; die Glaubenden beschreiben aber auch die Wirkung des Umganges mit der Person Jesu in neugebildeten Geschichten oder in Umbildungen vorhandener Geschichten. In diesem Sinne hat bereits David Friedrich Strauß die Berichte der Evangelien als ›Mythen‹ bezeichnet, als Produkt der absichtslos – also nicht von einer Betrugsabsicht geleitet – dichtenden Gemeinde, die von der Person Jesu zutiefst bewegt ist: »… um ein großes Individuum, zumal wenn an dasselbe eine in das Leben der Menschen tief eingreifende Umwälzung geknüpft ist, [bildet] sich frühzeitig … ein unhistorischer Kreis sagenhafter Verherrlichung … Man denke sich eine junge Gemeinde, welche ihren Stifter um so begeisterter verehrt, je unerwarteter und tragischer er aus seiner Laufbahn herausgerissen worden ist; eine Gemeinde, geschwängert mit einer Masse neuer Ideen, die eine Welt umschaffen sollten; eine Gemeinde … von größtentheils ungelehrten Menschen, welche also jene Ideen nicht in der abstrakten Form

220  Systematische Theologie des Verstandes und Begriffs, sondern einzig in der concreten Weise der Phantasie, als Bilder und Geschichten sich anzueignen und auszudrücken im Stande waren: so wird man erkennen: es musste unter diesen Umständen entstehen, was entstanden ist, eine Reihe heiliger Erzählungen, durch welche man die ganze Masse neuer, durch Jesum angeregter, so wie alter, auf ihn übertragener Ideen als einzelne Momente seines Lebens sich zur Anschauung brachte.« (Strauß 1835 / 36: § 12 [71 f.]).

Die Berichte der Evangelien sind also Berichte, die von einer Erfahrung mit der Person Jesu und mit einer Aufnahme seiner Botschaft bestimmt sind und nicht nur von der Person Jesu selbst, sondern von einer Wirkung der Person und einem Verständnis dieser Person sprechen. 5.3.2. Diese These bleibt nicht auf die theologischen Positionen beschränkt, die im 19. Jh. mit dem Label des ›Liberalismus‹ etikettiert wurden, sondern wird gegen Ende des 19. Jhs. in apologetischer Absicht auf der anderen Seite des theologischen Spektrums aufgenommen und gegen die scheinbar ruinösen Folgen in Stellung gebracht, die eintreten, wenn man nur das am feststellbar historischen Bestand der Verkündigung und des Selbstverständnisses Jesu Ausweisbare für theologisch legitim hält; so weist Martin Kähler in seiner berühmten Schrift ›Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus‹ darauf hin, dass zu einem geschichtlichen Phänomen seine Wirkung auf die Zeitgenossen dazugehört. Das heißt, dass man die Wahrheit Jesu nicht dann ergriffen hat, wenn man von ihm als historischem Individuum die Reaktionen seiner Zeitgenossen auf ihn abstrahiert, sondern man hat die geschichtliche Wahrheit Jesu nur, wenn man ihn im Spiegel der Reaktionen seiner Zeitgenossen erfasst: »Schon rein geschichtlich begriffen ist das wahrhaft Geschichtliche an einer bedeutenden Gestalt die persönliche Wirkung, die der Nachwelt auch spürbar von ihr zurückbleibt. Was aber ist die Wirkung, die durchschlagende, welche dieser Jesus hinterlassen hat? Laut Bibel und Kirchengeschichte keine andere als der Glaube seiner Jünger.« (Kähler 1953: 38 f.).

5.3.3. Die Formgeschichte der Evangelien, das heißt: die Frage nach dem Sitz im Leben der biblischen Berichte, bringt diese These auf den Begriff. Alle Berichte sind von der Intention der Gemeinde,

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Christus zu verkündigen als Heil der Welt, geleitet; sie protokol­ lieren also nicht oder nicht nur historische Fakten, sondern sie ­sprechen im Medium des Berichtes von Christus über die lebensund weltgeschichtliche Bedeutung dieser Person und reflektieren so die Erfahrung, die die Gemeinde mit dieser Person gemacht hat.

5.4.  Hermeneutische Zwischenüberlegung: der Sinn religiöser Sachverhaltsbehauptungen Ich halte diese in 5.3. reflektierte Sicht der Dinge für den Charakter der neutestamentlichen Überlieferung und dem Charakter religiöser Texte insgesamt angemessen. Die Aufmerksamkeit auf die untrennbare Verbindung der Rede von einem Gegenstand mit dem Ausdruck der Erfahrung einer Wirkung, den dieser Sachverhalt auf das Selbstverständnis des Menschen hat, impliziert, dass sich religiöse Rede nicht in der wie immer feststellbaren Übereinstimmung ihrer gegenständlichen Aussagen mit den entsprechenden Sachverhalten bewahrheitet, sondern in der Angemessenheit und Nachvollziehbarkeit der Selbstdeutung, in der der religiös Bewegte reflektiert, was er von diesen Gegenständen her empfangen haben will. Die christliche Rede über Jesus von Nazareth ist Rede des Glaubenden über das im Umgang mit dieser Person bzw. im Hören der Überlieferung von ihr ausgelöste Selbstverständnis; dies bringt der Glaubende in Aussagen über diese Person zur Sprache (vgl. Slenczka 2011a und 2012a; Danz 2012: 209–220; Dalferth 1994). Die Überlieferung bezüglich des Jesus von Nazareth ist insgesamt Niederschlag der Erfahrung, dass eine soteriologische Erwartung als erfüllt wahrgenommen und die diese Erfüllung auslösende Person daraufhin gedeutet wurde. Alle Züge der Biographie werden von diesem Zentrum her erfasst und sortiert und mit dem Ziel tradiert, diese Erfahrung bei den späteren Hörern und Lesern auszulösen. Damit würde der Wahrheitsanspruch der Jesusüberlieferung nicht darin bestehen, dass die Hoheitsaussagen die in der Person Jesu präsente Wirklichkeit oder das Selbstverständnis Jesu als historisch zugängliche Gegebenheit korrekt oder wenigstens angemessen wiedergeben, sondern die Wahrheit der Aussagen entscheidet sich daran, ob die soteriologische Erfahrung, deren Niederschlag

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die Hoheitsaussagen sind, authentisch und ob sie existentiell nachvollziehbar ist. »Existentiell nachvollziehbar« würde bedeuten: Es handelt sich bei diesen Aussagen um das Aussprechen einer in der Begegnung mit Jesus von Nazareth ausgelösten soteriologischen Erfahrung, die als befreiende Deutung gegenwärtiger Existenz sich erschließt und überzeugt. Die Aussagen sind dann wahr in dem Sinn, dass sie authentische Selbstaussprache auch gegenwärtiger Existenz sind und dieses Selbstverständnis in anderen zu wecken anstreben; ihr Wahrheitsgehalt und ihr Wahrheitsanspruch hängt aber nicht daran, dass sie als Aussagen über die isolierte historische Person Jesu von Nazareth und deren Selbstverständnis zutreffend sind. Eine solche Deutung religiöser Aussagen trägt zugleich der Einsicht Schleiermachers Rechnung, dass Religion nicht erkennender oder handelnder Umgang mit Gegebenheiten ist, sondern ein jeden Umgang mit Gegebenheiten begleitendes Verstehen seiner selbst, das sich in gegenständlichen Aussagen ausspricht und sich durch den performativen appeal solcher gegenständlicher Aussagen überträgt, dabei aber immer als Wissen um sich selbst seiner Objektivation vorgeordnet bleibt.

6.  Der existentiale Sinn der Christologie Wenn diese Deutung religiöser, damit auch christologischer Aussagen sachgemäß ist, dann spricht sich in den gegenständlichen Aussagen der Kirche über Christus ein Selbstverständnis aus, das in der Begegnung mit der Person Jesu seinen Ursprung hat und sich im Medium der Rede über Christus weitertradiert. Das eröffnet die Möglichkeit und die Aufgabe, unter Aufnahme der zuvor dargestellten Stationen der dogmen- und theologiegeschichtlichen Entwicklung diesen existentiellen Sinn der Aussagen über Jesus von Nazareth zu erheben und danach zu fragen, wie in ihnen sich menschliche Existenz versteht bzw. deutet und neubestimmt. Denn bei allen Unterschieden sind sich die Kirchen darin einig, dass Jesus von Nazareth der Grund der Erlösung ist, das heißt: der Befreiung aus einem als negativ erfahrenen Zustand zu einem positiven. Wenn es richtig ist, dass dieser Vorgang jeder ausformulierten

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Christologie zugrunde liegt, dann muss sich die Tradition der christologischen Dogmen auf das jeweilige Verständnis der Existenz hin erschließen lassen; dieses Existenzverständnis weist sich dann entweder als nachvollziehbar und heilsam aus – oder eben nicht. Daran wiederum entscheidet sich das Überzeugungspotential der jeweiligen Christologie und ihrer Aussagen über Christus. Dafür ist auszugehen von der in den vorangehenden Abschnitten erarbeiteten Einsicht, dass der Christologie insgesamt ein hermeneutischer Vorgang zugrunde liegt, in dem ein vorausgesetztes Verständnis des Menschen und Gottes aufgenommen und neubestimmt wird. Das heißt, dass auch die jeweils vorausgesetzte Rede von Gott und dass das vorausgesetzte gegenständliche Verständnis des Menschen und seiner Geschichte als Ausdruck eines Selbstverständnisses erfasst werden muss. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass das jeweilige Verständnis des Menschen und Gottes nicht den Charakter einer gegenständlichen Theorie hat, sondern den Charakter eines Lebensvollzuges, in dem Verstehen und Verstandenes eins sind, der aber nur in der Vergegenständlichung und damit im Modus des Missverstehens zum expliziten Verständnis seiner selbst kommt (unten 7.). Eine solche existentiale Interpretation der Christologie, die sich nicht nur auf Schleiermacher oder Bultmann, sondern auch auf Tillichs ›Methode der Korrelation‹ berufen könnte, könnte in den Grundzügen folgendermassen aussehen:

6.1.  Theodizeefrage: Die Frage nach der Identität Gottes Die klassische Christologie spricht eine Neubestimmung des semantischen Gehaltes des Begriffes von Gott einerseits und des Begriffs des Menschen andererseits aus und zu. Dies setzt voraus, dass beide Begriffe bereits einen expliziten oder zumindest impliziten semantischen Gehalt haben, gegen den sich die Neubestimmung profiliert. 6.1.1. In der klassischen Christologie sind die Grundzüge der Rede vom ›Theion / Göttlichen‹ vorausgesetzt, die in der griechischen, insbesondere der aristotelischen Metaphysik auf den Begriff gebracht

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ist, und dessen kosmologische Funktion – als unbewegter Beweger – es ausschließt, dass er durch anderes seiner selbst affiziert und motiviert werden könnte – im Folgenden wird dieser Gottesbegriff als ›metaphysischer‹ bezeichnet und damit eine Vielzahl von Traditionen im Blick auf das funktional geleitete Interesse am Gottesbegriff zusammengefasst. Dieser Begriff von Gott stand schon immer in einem konflikthaltigen Verhältnis zur ›Volksreligion‹ (Platon, Politeia II 376 e 1–383 c 5; Aristoteles, Metaphysik XII,9 [1074 b 1–14]; Thomas, STh I q 2 a 3resp; dazu Slenczka 2010b) und so auch zu den im Alten und Neuen Testament verbundenen semantischen Gehalten des Gottesbegriffs (z. B. Philo, Sacr 94; Lactantius, De Ira 21); für diesen im religiösen Verhältnis begründeten Gottesbegriff ist jeweils das Involviertsein des Gottes in die Menschengeschichte und ein entsprechendes leidenschaftliches Interesse des Gottes an menschlichen Verhältnissen oder an bestimmten Menschengruppen oder Einzelpersonen vorausgesetzt und in entsprechenden Eigenschaften Gottes (Reue, Eifersucht, Liebe) und dem Bericht von göttlichen Verhaltensweisen (Strafen, Handeln an der Welt, Bezugnahme auf bestimmte Menschen) ausgesagt, die mit der Impassibilität, die dem Weltgrund notwendigerweise eignen muss, schwer vereinbar sind (Thomas, STh I q 13 a 7, bes. resp). Der – mit dem Ende der für den metaphysischen Gottesbegriff konstitutiven kosmologischen Gottesbeweises begründete – Verzicht auf diesen Gottesbegriff und die Reformulierung eines Gottesbegriffs aus den Mitteln der Christologie wurden verschiedentlich unter Rekurs auf das in unterschiedlicher Weise von Luther, Hegel und Nietzsche geprägte Motiv des ›Todes Gottes‹ vorgeschlagen (Jüngel 1982; Soelle 1973; 1982; Moltmann 1987). Allerdings liegt es näher, zu fragen, woher – trotz der naheliegenden Schwierigkeiten – eigentlich ›der metaphysische Gottesbegriff‹ sein Plausibilitätspotential für die Reflexion der religiösen Erfahrung des christlichen Glaubens gewann. Es ist dabei anzunehmen, dass die semantischen Gehalte – die in der kosmologischen Figur eines Weltgrundes auf der Basis der Frage nach dem Ursprung des Kosmos und seiner Grundgesetze, somit im Ausgang von der Zentralintuition des ›unbewegten Bewegers‹ und damit wiederum der Ursächlichkeit impliziert sind – im religiösen Kontext ebenfalls eine Funktion haben, sich aber um ein

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anderes, in der religiösen Erfahrung begründetes Zentrum organisieren (Slenczka 2010b). Solche Vorschläge zur Reformulierung des semantischen Gehaltes des metaphysischen Gottesbegriffs aus dem Zentrum religiöser Erfahrung sind in der Christentumsgeschichte immer wieder vorgetragen worden; so ist beispielsweise Luthers Rede vom ›Deus absconditus / verborgenen Gott‹ ebenso wie Schleiermachers ›Woher der schlechthinnigen Abhängigkeit‹ zu lesen als der Versuch, die ursprünglich religiöse Erfahrung zu identifizieren, die dem semantischen Gehalt des metaphysischen Gottesbegriffs entspricht. Damit würde in den semantischen Gehalten des metaphysischen Gottesbegriffs die jedes Weltverhältnis begleitende Erfahrung eines grundlegenden ›Sich-nicht-Gesetzthabens‹ und des ›Bestimmtseins‹ thematisiert. 6.1.2. Luthers Auslegung dieser Grunderfahrung ist darin phänomen- und sachgerechter als die Schleiermachers, dass er unter der Figur des ›Deus absconditus / des verborgenen Gottes‹ darauf aufmerksam macht, dass dieses sich Bestimmtwissen im Blick auf die darin erfahrene Absicht und im Blick auf die Richtung dieses Bestimmens ambivalent und nicht von vornherein positiv ist. Der Begriff des ›Geschicks‹ oder des ›Schicksals‹ bringt die Erfahrung auf den Begriff, dass der Mensch seinen Lebensvollzug diesseits aller Fähigkeit zur Selbstgestaltung als gesetzt und als fremdbestimmt erfährt; im Gottesbegriff erfasst das religiöse Bewusstsein diese Erfahrung des geschickhaften Widerspruchs zu den ­Lebenswünschen des Menschen phänomengerecht, indem es diese Erfahrung zusammenfasst in der Vorstellung eines ­Willens und objektiviert in der Rede von einem Subjekt, das in seiner U ­ nansprechbarkeit, Unberechen­barkeit, ungebundenen und irresistiblen Souveränität von dem jeweiligen Lebenssubjekt und seinen Interessen unterschieden wird (Elert 1924; vgl. auch Hirsch 1978: 1,1, 209–263). Die Momente des metaphysischen Gottesbegriffs, die den Ausgangspunkt der Neubestimmung des Gottesbegriffs in der Christologie darstellen, zeichnen damit eine Existenzfrage vor, die sich mit der Fraglichkeit des Sinnes  – der Richtung  – des eigenen Lebensgeschicks stellt; sie geben das Mittel des Aussprechens des grundlegenden sich – Bestimmt­wissens durch die Rede von einem unbere-

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chenbaren fremden ­Willen an die Hand. Diese Rede von Gott ist genauso plausibel wie diese Selbsterfahrung, und sie gewinnt ihre Plausibilität dadurch, dass sie als Aussprache dieser Selbsterfahrung durchsichtig wird. 6.1.3. Die klassische Zweinaturenlehre setzt diese Erfahrung und diesen Begriff von Gott voraus und bewahrt ihn auf in der Feststellung, dass die beiden Naturen in Christus unvermischt und unverwandelt bleiben. Damit wird ausgesagt, dass diese Erfahrung den Ausgangspunkt einer Neubestimmung der Identität Gottes darstellt, die beständig auf ihren Ausgangspunkt verweist und so im strengen Sinne den Vollzug der Erlösung darstellt, indem angesagt und zugesprochen wird, dass diese unbestimmte Macht ihre Unbestimmtheit im Leben des Jesus von Nazareth als interessiert am Leben des Menschen selbst begrenzt und in diesem Sinne definiert. Der Tod Jesu am Kreuz, der im Schrei der Gottverlassenheit kulminiert, ist in diesem Sinne die jedem Menschen, der sich die Geschickhaftigkeit seines Lebensvollzuges nicht verstellt, zugängliche Darstellung des Leidens unter der Unbestimmtheit und Anonymität der Macht. Diese spricht Jesus von Nazareth aber zugleich als ›mein Gott‹ an, und zwar im Modus der Frage, damit in Erwartung einer Antwort. Damit erweist sich die vertrauensvolle Vateranrede Gottes, die Jesus zu Lebzeiten geübt hat, nicht als eine unangefochtene Überzeugung von der Liebe der lebensbestimmenden Macht, sondern als ein in der Abarbeitung am Widerspruch der Lebenserfahrung kontrafaktisch festgehaltenes Vertrauen darauf, dass die Macht, die den Tod verhängt, das Leben will und auch im unverständlichen Handeln auf das Leben zielt. Die ›theologia crucis / Kreuzestheologie‹, die Paulus (1 Kor 1–3) und in seinem Gefolge Luther (HDDisp; Slenczka 2007a) formulieren, leitet damit an zu einer Deutung des eigenen Lebens als Manifestation dieses Lebensvollzuges Jesu Christi: Die Erfahrung des Leidens und des Todes und die Unansprechbarkeit der verhängenden Macht wird unter dem Vorzeichen des Kreuzes Jesu Christi als Erfahrung dieses Kreuzes und damit kontrafaktisch von der Botschaft der Auferstehung her als Erfahrung der Nähe des Gottes gedeutet, der auch im Kreuz auf das Leben zielt. Die soteriologische Pointe der Neubestimmung der Identität Gottes durch

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das Lebensgeschick Jesu zielt darauf, dass alle Lebenserfahrung des Menschen als Umgang mit dem Gott, der sich in Christus als interessiert am Leben des Menschen erweist, gefasst wird. 6.1.4. Zugleich erschließt sich damit der Sinn der Rede von der Auferstehung Jesu: Genau dort, wo im Deuten des eigenen Lebensvollzuges sich unverfügbar dieser Sinn des Kreuzes als Ort der Gottesnähe einstellt, wird Jesus von Nazareth als gegenwärtig und so als der Auferstandene erfahren. Die Verkündigung der Auferstehung Jesu ist Objektivation der Erfahrung seiner Gegenwart in der Deutung des eigenen Lebens.

6.2.  Anthropodizee: Die Frage nach der Identität des Menschen Traditionell wird allerdings das Leben und der Tod Christi nicht nur als Neubestimmung Gottes, sondern als Ursprung einer Neubestimmung des Menschen gedeutet, zumeist unter dem Vorzeichen der Überwindung der Sünde als einer unvordenklichen, aber bestimmungswidrigen Trennung des Menschen von Gott (zum Folgenden: Slenczka 2011a). 6.2.1. Diese Trennung von Gott wird seit Augustin in dem Sinne als unvordenklich ausgesagt, dass sie jeden Menschen ursprünglich, vom Moment der Empfängnis bestimmt, da sie im Ungehorsam des ersten Elternpaares zugezogen und an die Nachfahren, die in dem Elternpaar bereits als Mithandelnde präsent sind, vererbt ist. Diese ursprüngliche Trennung von Gott ist nach Überzeugung und Lehre der Kirche der Ursprung der heillosen Verkehrung des Verhältnisses des Menschen zu sich selbst (amor sui / Selbstliebe) und des Verhältnisses des Menschen zu seinem Nächsten, und sie ist der Ursprung der Übel, die den Menschen und den Kosmos im Ganzen treffen, im Zentrum des Übels des Todes. Diese grundlegende Verlorenheit manifestiert sich in den Ereignissen und Taten des menschlichen Lebensvollzuges, die der Mensch unabweisbar als Verfehlung des ihm ins Herz geschriebenen Gotteswillens verstehen muss. Die Sphäre der Tatsünden ist es, von denen her sich das

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grundlegende Verfehltsein des menschlichen Lebens erschließt und von der her das in den (letztlich vermeidbaren) Tatsünden nicht aufgehende Verlorensein des Menschen greifbar wird. 6.2.2. Der Tod Jesu, der den Erwartungen der Jünger und möglicherweise dem Selbstverständnis Jesu widerspricht, wird traditionell vor dem Hintergrund einer solchen Sündenlehre gedeutet als von Gott initiierte Heilsveranstaltung, in der der Gottessohn die dem Menschen zugedachte Strafe mit dem Ziel der Versöhnung des Menschen mit Gott trägt und den Menschen wieder in das schöpfungsgemäße Gottesverhältnis einsetzt; diese Deutung setzt praktisch durchgehend die Erwartung eines endzeitlichen Gerichtes voraus, in dem das verfehlte Leben des Menschen bewertet und bestraft wird. Entsprechend wird der Tod Jesu als stellvertretendes Tragen der Strafe des Sünders und die Rechtfertigung des Menschen als Vergebung und Begabung des Sünders mit der Gerechtigkeit Christi – oder der geschaffenen Gnade – gedeutet. Dieser Horizont setzt eine entsprechende – besonders, aber beileibe nicht erst in der neuzeitlichen Theologie als problematisch empfundene – Ambivalenz in Gott voraus, der auf der einen Seite in seiner Gerechtigkeit die Bestrafung des Sünders will und an den widerstrebenden Subjekten auch durchsetzt, auf der anderen Seite in seiner Barmherzigkeit das Leben des Menschen eben durch das Sterben Christi ins Werk setzt. 6.2.3. Eine Erschließung dieser vergegenständlichenden Soteriologie auf ihre existentielle Relevanz, Nachvollziehbarkeit und Wahrheit hin setzt voraus, dass der mitgesetzte Ausgangspunkt, nämlich die Vorstellung eines ›Jüngsten Gerichtes‹, als Beschreibung eines Selbstverständnisses nachvollziehbar wird (Slenczka 2011a; 2012c). In dieser Vorstellung ist ein ›Gericht nach den Werken‹ angelegt, in dem der Lebensvollzug des Menschen und damit seine Identität bestimmt wird, deren Uneindeutigkeit und Strittigkeit vorausgesetzt und die auf Eindeutigkeit hin unwidersprechlich und inappellabel (›Jüngstes‹ Gericht) festgestellt wird und dem beurteilten Subjekt als Wahrheit über sich selbst einleuchtet. Eine phänomengerechte Analyse des menschlichen Identitätsbewusstseins würde nun darauf stoßen, dass diese Vorstellung, verstanden als Vergegenständli-

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chung der Art und Weise, wie sich menschliches Selbstverständnis und Identitätsbewusstsein ausbildet, ein hohes Maß an Plausibilität hat: Ein empirisches Selbstverständnis bildet sich aus in Selbstdeutungen, in denen die Vielfalt des Lebensvollzuges, seiner Erlebnisse und Taten auf eine Einheit hin, und zwar immer schon bewertend, gelesen wird. Diese Einheitsbildung ist unentrinnbar, bleibt aber vorthematisch und vortheoretisch; sie manifestiert sich nicht in der Helle des Bewusstseins, sondern in affektiven Selbstverhältnissen der Scham, des Gewissens, des Stolzes, und sie integriert in genau diesen emotiven Selbstverhältnissen den fremden Blick und die fremde Stimme, die als Bewertungsinstanz des eigenen Lebens jedes Selbstverhältnis durchzieht und beunruhigt. Die Rede vom Jüngsten Gericht bringt die in jedem evaluativen Selbstverhältnis mitgesetzte Strittigkeit, Unabgeschlossenheit und Uneindeutigkeit der Bewertung der eigenen Identität zur Sprache (Slenczka 2011a: 96–98); es handelt sich um die Objektvierung des Selbstverhältnisses und der Frage nach der Wahrheit der individuellen Identität, die in der reflexiven Struktur des menschlichen Lebensvollzuges unentrinnbar gesetzt ist. Entsprechend wird die Rede vom Urteil im Jüngsten Gericht, die Rede von der Hölle als ewiger Qual des Verurteilten nachvollziehbar als Objektivation des Leidens unter sich selbst; die Höllenqual schattet sich – so nicht nur Luther, sondern ein breiter Strom der christlichen Theologie bis hin zu Origenes und Paulus  – ab in der Erfahrung des verurteilenden Gewissens bzw. der quälenden Scham: In diesen zur Generalisierung tendierenden Selbstverhältnissen, die sich ungesucht einstellen und die nicht selbsttätig zum Verschwinden gebracht werden können, wird der Mensch sich selbst zum Gegenstand der Qual, da er unfähig ist, mit sich selbst in versöhnter Einheit zusammenzugehen, und zugleich unfähig, sich von sich selbst endgültig zu unterscheiden. Der Mensch erweist sich als unfähig, mit sich selbst zu Frieden zu kommen. In der Tendenz der zumeist von einem Einzelereignis ausgelösten Scham- und Gewissenserfahrung, sich zur Grundsignatur des Selbstverständnisses zu verallgemeinern, liegt das existentiale Original der Unterscheidung und Zuordnung von Aktualsünde und grundsätzlicher Sündenverfallenheit des Menschen.

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6.2.4. Unter diesem Gesichtspunkt erschließt sich der christliche Glaube und seine Bezugnahme auf die Person und das Werk Christi als Umgang mit der Problematik menschlicher Identität. Die Art und Weise, wie die Person und das Werk Christi auf diese Problematik bezogen wird, ist bereits in den konfessionellen Traditionen höchst unterschiedlich; das ungewöhnlichste Angebot formulieren die reformatorischen Positionen, soweit sie dem Urteil des Jüngsten Gerichtes respektive des je eigenen Gewissens ein Urteil entgegensetzen, das den vollkommenen Lebensvollzug Christi dem Menschen als Grund seiner Identität zuspricht und ihm zumutet, nicht nur im Selbstverhältnis der Scham bzw. des Gewissens sich als verurteilt zu wissen, sondern zugleich sich eins zu wissen mit dem Lebensvollzug Jesu und dessen Leben als das eigene Leben und umgekehrt zu beurteilen; der Zuspruch des vollkommenen Lebens Jesu Christi erhebt den Anspruch, die letzte Wahrheit über den Menschen auf den Begriff zu bringen. Der insbesondere von Luther, aber auch von den anderen Reformatoren nach dem Urbild der christologischen Idiomenkommunikation gestaltete ›fröhliche Wechsel‹ zwischen der Seele und Christus vollzieht sich im Zuspruch des Lebens Christi an den Glaubenden und umgekehrt, so dass der in der liebenden Einheit mit Gott und dem Nächsten auch in der Prüfung des Kreuzes gelungene Lebensvollzug Jesu dem Glaubenden zugesprochen wird und ihm in dem Sinne ›gehört‹, dass sich der Glaubende von diesem Zuspruch her als eins mit diesem Leben Christi weiß, zugleich aber die Wirklichkeit seines Lebens, unter der er leidet, von Jesus Christus als dessen Leben angenommen und getragen weiß. Dies bedeutet, dass der Mensch jeweils mehr ist, als von ihm sichtbar und wahrnehmbar ist; dem gültigen Urteil des Gewissens tritt ein zweites, kontrafaktisches Urteil zur Seite und entgegen, das den Anspruch erhebt, nicht nur in das Selbsturteil des Menschen überzugehen, sondern zugleich den Anspruch erhebt, als Wahrheit über diesen Menschen (Urteil Gottes) im Urteil auch der Mitmenschen zu gelten. Zugleich erschließt dieses als kontrafaktische Wahrheit über den Menschen insgesamt auftretende Urteil den Mitmenschen so, dass auch von ihm gilt, dass er mehr ist, als von ihm sichtbar und erfahrbar ist.

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6.2.5. Diese Neubestimmung der Identität des Menschen hat, so Paulus, ihre Grundlage in der kontrafaktischen Identität Christi: Der im Kreuz verborgenen Hoheit entspricht die unter der Unscheinbarkeit der Sünde und des Leidens verborgene Identität des Christen (2 Kor 5,12–21), der an genau diesem Lebensvollzug Christi teilhat und von ihm geprägt ist. Entsprechend erwartet Paulus von den Korinthern, dass sie ihn nicht nach der Vorfindlichkeit seiner unscheinbaren Existenz, sondern kontrafaktisch entsprechend der ihm zugesprochenen Wirklichkeit Christi als ›neue Kreatur‹ beurteilen und anerkennen (1 Kor 1,14–17). 6.2.6. Zugleich erschließen sich die Lebenssituationen des Lebens des Christen einer kreativen Deutung als Manifestation des Lebens Jesu im Leben des Christen – die Deutung des Leidens des Apostels als Teilnahme am Leiden Christi und als Gegenwart des Leidens Christi (2 Kor 4,10) ist ebenso wie die Deutung des erfahrenen Trostes (2 Kor 1,9 f.; 7,5–16) oder der ethischen Neubestimmung des Lebens als Manifestation des Lebens Christi im eigenen Leben des Apostels (Röm 6,4.11) ein Beispiel für diese kreative Selbstdeutung, in der der empirische Lebensvollzug unter das hermeneutische Vorzeichen der Einheit des Christen mit Christus tritt. Damit ist zugleich die Grundlage wieder berührt, unter der die Deutung des Lebensgeschickes des Christen als Manifestation eines letztlich vom Motiv der Liebe geleiteten weltbestimmenden Willens ermöglicht ist (oben 6.1.).

6.3.  Der Sinn der Prädikation Jesu als ›Gott‹ Wo die Verkündigung von Christus in diesem Sinn zur Grundlage des Verständnisses Gottes, der Welt und des Selbstverständnisses des Menschen wird, da wird diesseits einer dogmatischen Christologie das Lebensverhältnis sichtbar, das sich in der Einsicht ausspricht, dass in der Person Jesu von Nazareth sich mehr zeigt und erfahren wird, als ein Mensch oder alle Kreatur geben und zusprechen kann: Woher sich der Sinn der Wirklichkeit erschließt, und woher das menschliche Leben die Wahrheit seiner Identität gewinnt – das ist wahrhaftig Gott bzw. der Logos, der Leben und

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Welt bestimmende Sinn, der am Anfang war und der eins ist mit Gott. Die Zweinaturenlehre hat ihren religiösen Sinn darin, dass sie auf den Begriff bringt, dass in der Begegnung mit der Verkündigung von der Person Jesu sich am Subjekt mehr vollzieht, als von menschlichen Worten zu erwarten ist.

7.  Der Sinn der objektivierenden Christologie Damit ist im Modus der Skizze der Versuch unternommen, die gegenständlichen Aussagen des christlichen Glaubens über die Person Jesu von Nazareth auf ihren existenzbezogenen Sinn und als Ausdruck eines nachvollziehbaren vorthematischen Selbstverständnisses durchsichtig zu machen. Versteht man, wie hier mehr vorausgesetzt als ausführlich diskutiert wird, nicht nur die Christologie, sondern religiöse Aussagen insgesamt als Selbstausdruck des religiösen Subjektes und betrachtet man es als Aufgabe der Theologie, diesen existentiellen Sinn religiöser Aussagen herauszuarbeiten und somit einer Tendenz der religiösen Rede zur Objektivierung eines religiösen Gehaltes entgegenzuwirken, so stellt die Christologie dem einen deutlich spürbaren Widerstand entgegen. Auch wenn die christologischen Prädikationen untrennbar von einem soteriologischen Interesse getragen sind und eine soteriologische Erfahrung zur Sprache bringen, so machen sie diese doch, wie Käsemann zu Recht notiert hat, am historisch kontingenten Lebensvollzug einer bestimmten Person fest und behaupten eben nicht nur, authentischer Ausdruck subjektiver Erfahrung und nachvollziehbare Aussprache eines Selbstverständnisses zu sein, sondern sie nehmen in Anspruch, die Wahrheit dieser Person auszusagen  – wie auch die Rede von Gott, die der theologischen Reflexion nichts anderes als Reflex des frommen Bewusstseins ist, als solcher Reflex vom frommen Bewusstsein nicht wahrgenommen wird (zum Folgenden Slenczka 2009): Es ist dem Glaubenden wesentlich, sich selbst nicht als Ursprung dessen zu wissen, worauf er sich als auf den Grund seiner selbst bezieht und wovon er sich abhängig weiß. In der Bezugnahme auf Jesus von Nazareth bezieht sich der Glaubende auf diese Person als Grund und Ursprung seiner selbst – genau

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dies spricht er in dem Bekenntnis aus, dass dieser ›der Herr‹ oder ›Gottes Sohn‹ oder ›das Wort‹ oder ›eins mit dem Vater‹ sei. Dieses Bekenntnis kann der Glaubende nicht als Selbstausdruck, sondern nur als Aussprache des Sinnes dieser Person selbst verstehen. Der Glaube ist die Bedingung der Möglichkeit der Christologie; in allen christologischen Aussagen ist er mitgesetzt, weil er sich in ihnen ausspricht. Zugleich aber vergisst der Glaubende in diesen Aussagen sich selbst; er setzt diesen Überschuss an Wirklichkeit, aber er setzt ihn ›sich voraus‹. Diese Selbstvergessenheit als Vergessenheit der eigenen Produktivität ist für den religiösen Vollzug nicht nur im Kontext des Christentums wesentlich und kein – möglicherweise unentrinnbarer – Webfehler in der Selbstverständigung frommer Subjektivität. Das hat seinen Grund: Diese Selbstvergessenheit ­verweist auf die Unableitbarkeit der religiösen Erfahrung, die nicht von einem Subjekt oder einer Gruppe von Subjekten generiert wird, die sich vielmehr einstellt. Dieser Unverfügbarkeit trägt das fromme Subjekt Rechnung, indem es alles, was an ihm selbst ist, als extern konstituiert und als verdankt ausspricht. Insofern ist Religion bzw. der christliche Glaube nicht darin begründet, dass der religiösen Erfahrung voraus der gegenständliche Gehalt der A ­ ussagen über Christus vergewissert wird; wohl aber bezieht sich der christliche Glaube in diesen Aussagen auf Christus als den Grund und Ursprung einer unverfügbaren Neubestimmung seines S­ elbst-, Weltund Gottesverständnisses. Die wissenschaftliche Theologie reflektiert den religiösen Vollzug und wird so der Produktivität des Glaubens am Grunde seiner Passivität ansichtig. Das Selbstverständnis des Glaubens, der seinen Gegenstand ›sich voraus‹ setzt, geht der theologischen Reflexion begründend voraus. Die theologische Reflexion hat nicht zum Ziel, den Selbstvollzug des Glaubens durch die Aufklärung über seine geheime Produktivität zu verstören, wohl aber die Aufgabe, das Selbst- und Weltverständnis, das die religiösen Aussagen trägt und ohne das sie ihren Lebensbezug verlieren und zum Klappern mit toten Begriffen werden, als Zielpunkt der gegenständlichen Aussagen wahrzunehmen und diese Aussagen auf diesen Zielpunkt hin zu erschließen.

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Notger Slenczka  239

Ringleben 2008: Ringleben, Joachim: Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008. Ristow / Matthiae 1961: Ristow, Helmut / Matthiae, Karl (Hrsg.): Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, Berlin 19612. Ritter 1965: Ritter, Adolf Martin: Das Konzil von Konstantinopel und sein Symbol. Studien zur Geschichte und Theologie des II. Ökumenischen Konzils, Göttingen 1965. Ritter 1982: Ritter, Adolf Martin: Dogma und Lehre in der Alten Kirche, in: Carl Andresen (Hrsg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte in 3 Bänden, Band I: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen 1982, 99–283. Schenke 2004: Schenke, Ludger: Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen, Stuttgart 2004. Schmeller 2010: Schmeller, Thomas: Der zweite Brief an die Korinther (2 Kor  1,1–7,4; EKK VIII / 1), Neukirchen-Vluyn / Ostfildern 2010. Schnackenburg 1993: Schnackenburg, Rudolf: Die Person Jesu im Spiegel der vier Evangelien, (HThK Suppl. IV), Freiburg u. a. 1993. Schröter 2002: Schröter, Jens / Brucker, Ralph (Hrsg.): Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW 114), Berlin 2002. Schwarz 1966: Schwarz, Reinhard: Gott ist Mensch, in: ZThK 63 (1966), 289–351. Schweitzer 1984: Schweitzer, Albert: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 19849. Slenczka 2005: Slenczka, Notger: Neubestimmte Wirklichkeit. Zum systematischen Zentrum der Lehre Luthers von der Gegenwart Christi unter Brot und Wein, in: Dietrich Korsch (Hrsg.), Die Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl, Leipzig 2005, 79–98. Slenczka 2007a: Slenczka, Notger: Das Kreuz mit dem Ich. Theologia crucis als Gestalt der Selbstdeutung, in: Klaus Grünwaldt u. a. (Hrsg.), Kreuzestheologie – kontrovers und erhellend, Hannover 2007, 99–116. Slenczka 2007b: Slenczka, Notger: Einleitung, in: Wilfried Härle / Reinhard Preul (Hrsg.), Personalität Gottes (MJTh 19), Marburg 2007, 1–17. Slenczka 2009: Slenczka, Notger: Fides creatrix divinitatis. Zu einer These Luthers und zugleich zum Verhältnis von Theologie und Glaube, in: Johannes von Lüpke / Edgar Thaidigsmann (Hrsg.), Denkraum Katechismus. Festgabe für Oswald Bayer zum 70. Geburtstag, Tübingen 2009, 171–195. Slenczka 2010a: Slenczka, Notger: Christus, in: Albrecht Beutel (Hrsg.), Luther Handbuch, Tübingen 2010, 381–392. Slenczka 2010b: Slenczka, Notger: Gottesbeweis und Gotteserfahrung. Überlegungen zum Sinn des kosmologischen Arguments und zum Ursprung des Gottesbegriffs, in: Edmund Runggaldier / Benedikt Schick (Hrsg.), Letztbegründungen und Gott, Berlin 2010, 6–30.

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Notger Slenczka  241

Thema und Genese der Tübinger Christologie im 17. Jahrhundert, Tübingen 2012. Williams 1983: Williams, Rowan D.: The Logic of Arianism, in: JThS.NS 34 (1983), 56–81. Williams 2001: Williams, Rowan D.: Arius. Heresy and Tradition. Revised edition, Grand Rapids, Mich. 2001. Wolter 2011: Paulus. Ein Grundriß seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Dalferth, Ingolf U.: Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994. Danz, Christian: Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013. Kühn, Ulrich: Christologie, Göttingen 2003. Pannenberg, Wolfgang: Grundzüge der Christologie, Gütersloh 19826. Ringleben, Joachim: Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008. Slenczka, Notger: Problemgeschichte der Christologie, in: Elisabeth GräbSchmidt u. a. (Hrsg.), Christologie (MJTh 23), Marburg 2011, 59–111.

Praktische Theologie

Helmut Schwier

Wer ist Jesus Christus für uns heute? Praktisch-theologische Wahrnehmungen und Reflexionen »Wer ist Jesus?« – diese Frage durchzieht und strukturiert schon das Markusevangelium (vgl. auch den Beitrag R. v. Bendemanns im vorliegenden Band, Abs. 4; Theißen 2012: 222–226), markiert durch dessen ersten Satz (Mk 1,1), weitergeführt durch die Himmelsstimme in Jesu Taufe (Mk 1,11), dann im Petrusbekenntnis (Mk 8,29) und durch die himmlische Stimme in der Verklärungsgeschichte (Mk 9,7), in den Leidensankündigungen (Mk 8,31; 9,31; 10,33 f.), in der Antwort Jesu vor dem Hohen Rat (Mk 14,61 f.), im Bekenntnis des Centurio unter dem Kreuz (Mk 15,39) und schließlich in der Botschaft des himmlischen Boten im leeren Grab (Mk 16,6 f.): narrativ konturierte Bekenntnisse mit christologischen Titeln (Christus, Sohn Gottes, Menschensohn), Aussagen über die Notwendigkeit des Leidens und Sterbens, teils als Geheimnis geschützt oder erzählend entfaltet, schließlich auf die Praxis der Nachfolge zielend (Mk 8,34) und je eigene Begegnungen mit dem gekreuzigten Auferweckten eröffnend, wenn man den abrupten Schluss dieses Evangeliums so deuten darf. Einem aufmerksamen Bibelleser werden diese Textsignale nicht entgehen und immer neu ins theologische Nachdenken führen und zur praktisch gelebten Christologie in der Nachfolge ermuntern. »Wer ist Jesus Christus für uns heute?« – diese durch Bonhoeffer präzisierte Frage reflektieren systematisch-theologische Entwürfe (vgl. Körtner 2011: V; Welker 2012: 13 ff.), sie drängt aber gleichzei-

244  Praktische Theologie

tig zur praktisch-theologischen Bestandsaufnahme. Denn nicht nur die durch die Frage selbst markierten existentiellen und gegenwärtigen Aspekte, sondern schon die grundlegende christologische Basis prägt direkt und indirekt praktisch-theologische Handlungsfelder und ermöglicht theologische Theoriebildung. Beides wird hier in den jeweiligen Wechselbeziehungen skizziert und beschrieben (vgl. auch Schwier 2012a).

1.  Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums Im traditionskontinuierlichen Gottesdienst, der mit Agende, Bibel und Gesangbuch gefeiert wird und im Namen des dreieinigen Gottes beginnt, begegnet Jesus als der gegenwärtig wirksame Christus. Von ihm handeln die Choräle und Kirchenlieder, er wird als Kyrios / Herr und Agnus Dei / Lamm Gottes angerufen und als Sohn des Vaters im Credo bekannt, sein Evangelium wird gelesen, gehört und gepredigt, sein Gebet spricht die Gemeinde, durch ihn vollzieht sie Fürbitte, Doxologie und Akklamation. Vor allem die beiden Sakramente sind als seine Stiftung im Vollzug der Feier erkennbar und erfahrbar. Die Taufe folgt dem Taufbefehl und seiner Verheißung, das Abendmahl gestaltet als rituellen Kern die Handlungen der verba testamenti / Einsetzungsworte, die ihrerseits im Zentrum der Liturgie aus- und zugesprochen werden. Schon die reformatorischen Änderungen der Abendmahlsliturgie durch die textliche und rituelle Konzentration auf die biblisch bezeugten Bestandteile – in Luthers Deutscher Messe z. B. durch die ungewöhnliche Abfolge von Brotwort und sofortiger Austeilung, Kelchwort und Austeilung, in der reformierten Tradition durch die Verwendung von Brot statt Hostien – und die Kritik am Canon Missae / Messkanon verdankten sich dem starken Impuls, die biblische Ursprungssituation aufzunehmen und den Bezug auf Jesus als den Herrn und Geber des Mahles zu gestalten. Der evangelische Kirchenraum bleibt bei aller Varianz auf das Kreuz und die Bibel ausgerichtet und markiert schon vor dem liturgischen Gebrauch, aber nicht unabhängig von ihm, die Heiligkeit des Raumes, seine Ausrichtung und Bezogenheit auf das Wort

Helmut Schwier  245

Gottes und das Heilsgeschehen (vgl. Schwier 2006 und insgesamt Beyer 2008). Die erstaunlichen Erfahrungen der zahlreichen offenen Kirchen bestätigen die Sehnsucht vieler Menschen nach besonderen Räumen und ihren spirituellen Botschaften. Hieran knüpfen nicht wenige theologische Kirchenführungen an (vgl. Rupp 2006), die gerade in Zeiten, in denen vermehrt Kirchen entwidmet und verkauft werden, besonders notwendig sind. Das Kirchenjahr schließlich ist zur Hälfte Christusjahr. Von Advent bis Pfingsten wiederholt es feiernd die Heilsgeschichte und zielt auf die feiernde Partizipation als Teilhabe und Teilgabe, die der Gemeinde und dem Einzelnen gilt. Die besonders hohe Beteiligung, die Gottesdienste zur Christnacht und zur Osternacht vielerorts aufweisen, sind kaum mit einem Event- oder Happeningcharakter zu erklären; vielmehr begegnet man hier dem Heilsgeschehen, allerdings nicht nur in kognitiver Weise, sondern mit vielen Sinnen (vgl. Schwier 2012b). Auch die großen, im Kirchenjahr verankerten Konzerte und Musikgottesdienste vom Weihnachtsoratorium zu den Passionen, vom Oster- und Himmelfahrtsoratorium zu den Kantaten bieten Raum zur Christusbegegnung, der nicht nur, aber auch jenseits kirchlicher Milieus Zuspruch findet, wenn die ästhetische und die theologische Qualität stimmig sind (vgl. Arnold 2011; Arnold 2012a). Die sog. alternativen Gottesdienste gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen, z. B. in missionarisch-evangelistischer wie in kulturbezogener oder in gemeinschaftsintensiver Ausrichtung (vgl. Friedrichs 2007). In ihren Formen und Gestaltungen haben neue Musik, neue Medien, aber auch neue Rollen, wie z. B. die des Moderators am Bistrotisch, eine wichtige Funktion und legen gleichzeitig ein größeres Gewicht auf Partizipation und Leiblichkeit (vgl. Arnold 2012b: 120–127.151–154). Bei den Gestaltungen alternativer Gottesdienste muss besonders beachtet werden, wie der Christusbezug, den ja die liturgische Tradition auf unterschiedlichen Ebenen verwirklicht hat, in Wort und Feier sich ereignen kann und Form wie Inhalt prägt. Aus dieser kleinen Skizze geht bereits hervor, wie vielfältig im Gottesdienst Jesus als Christus begegnet bzw. kommuniziert und gefeiert wird. Das wechselseitige Kommunikationsgeschehen, das

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Luther in die Kurzformel von Wort und Antwort kondensierte (vgl. WA 49, 588; Spehr 2011: 102 f.), also unser Reden zu ihm als durch sein Reden zu uns ermöglicht darstellt, gewinnt im gottesdienstlichen Geschehen vielfache Darstellung. Deren systematische Pointe ist die Einsicht in die personale Gegenwart Christi (vgl. Schwöbel 2011: 47–49; kritisch: Danz 2013: 191 f.). Als Person und nicht als formales höchstes Prinzip oder als Bewusstseinsinhalt redet er zur Gottesdienstgemeinde in vielfältigen Medien, und sie antwortet ihm. Als Person bleibt er ein unverfügbares, freies und unabhängiges Gegenüber, das »durch seine Gegenwart die Gegenwart Gottes für uns kommunikativ zugänglich« (Schwöbel 2011: 49) macht und trinitarisch erschließt. In der reformierten Lehre vom dreifachen Amt, die in neuester Fortschreibung nicht ein an Begriffen orientiertes Lehrsystem bietet, sondern das Wirken Christi mit den Seinen biblisch, systematisch und praktisch beschreibt, kann das munus sacerdotale Christi / priesterliche Amt Christi (vgl. Welker 2012: 257–269) auch liturgietheologisch fruchtbar werden: In der ständigen Bezogenheit auf das Priestertum aller Getauften und ihr Gottesdienstfeiern  – und nicht auf ein Weihepriestertum von Amtsträgern – zeigt die priesterliche Gegenwart des Auferstandenen ihr Proprium, und zwar gleichzeitig mit inhaltlicher Prägnanz. Personal geprägte Relationalität und inhaltliches Profil sind die beiden Bestandteile christologisch gestalteter Liturgie. Das inhaltliche Profil zeigt sich zunächst in den gottesdienstlichen Grundvollzügen, die die biblische Tradition dem Auferstandenen zuschreibt: Erschließung der Schrift (vgl. Lk 24,25–27), Friedensgruß (Lk 24,36; Joh 20,19.26), Taufe (Mt 28,19b), Abendmahl (Lk 24,30 f. – dies allerdings in bleibender Verbindung mit der Nacht des Verrats) und Sendung zu den Menschen (Mt 28,19 f.) – eine »Polyphonie der gottesdienstlichen Existenz« (Welker 2012: 258), die gleichzeitig die Wirklichkeit des Auferstandenen bewahrt und dynamisch weiterführt. Besonders bei Taufe und Abendmahl ist dann das inhaltliche Profil christologisch begründet und gleichzeitig von enormer praktischer Auswirkung. Die Taufe ist Herrschaftswechsel, Lebensgemeinschaft mit Christus und Inanspruchnahme für das Reich

Helmut Schwier  247

Gottes (vgl. Thomas 2011: 42 f.) und daher seit den Anfängen kirchlicher Praxis das ständige Movens zur Kritik an menschlicher Herrschaft und Gruppenbildung (vgl. auch 1 Kor 1,12 f.), zu Freiheit und Gleichheit (vgl. Gal 3,28), zur Freundschaft mit Christus und zur tätigen Nachfolge (Joh 3,5; 15,12–17). Im Zentrum des Abendmahls steht die Anamnese Christi, also das Gedächtnis an sein Leben, seinen Tod und seine Auferweckung. Dies wird nicht vollzogen als verinnerlichtes, rein kognitives Gedenken, sondern als erneuerte Inkraftsetzung, die durch die Zeiten weiterwirkt und weitergetragen wird (vgl. insgesamt Welker 2012: 270–282 und aus lutherischer Perspektive Slenczka 2012: 177–189). Die Feier des Mahles verbindet das Gedächtnis Christi mit der Doxologie des Schöpfers und der Bitte um das Wirken des Geistes – liturgisch in den Abendmahlsgebeten exemplarisch gestaltet – und lässt die Gemeinde ihre Einheit und Gleichheit als Beschenkte erfahren – liturgisch gestaltet im gemeinsamen Friedensgruß und in der gemeinsamen Kommunion. Dies eröffnet eine Intensivierung sowohl der Christusgemeinschaft als auch der Nächstenliebe und Diakonie: Die Kommunikanten sind im Glauben der Gegenwart Christi gewiss und ihnen wird sein Tod und seine Auferweckung als Wahrheit ihres eigenen Lebens zugesprochen und mit Brot und Wein zugeeignet; als Glieder am Leib Christi sind sie in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit füreinander und miteinander Kirche und zu allen Menschen gesandt. Dieser Zusammenhang kommt in poetischer Weise in vielen Abendmahlsliedern des Evangelischen Gesangbuches zum Ausdruck und prägt und bildet dadurch wiederum gegenwärtige Abendmahlsfrömmigkeit (vgl. EG 214, 3; 215, 8; 216; 221; 224; 225; 226; 227; 229). Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums ist ein ebenso vielfältiges wie bezugsreiches und ein, rezeptionsästhetisch gesehen, offenes Kunstwerk. Es ist christologisch und trinitarisch fundiert und erhält daraus wesentliche inhaltliche Prägungen wie Gestaltungen. Die können auch den Freiraum bieten zur Integration neuer Feierformen und Gebete, deren Sprachgestalt nicht ausgeprägt christologisch ist (kritisch dazu: Schulz 2000), wie es beispielsweise das Evangelische Gottesdienstbuch und andere neuere Agenden vorführen, indem sie neue Texte und Gebete

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gleichberechtigt berücksichtigen (vgl. EGB, 15–19) und somit in allen Gebetsgattungen (Vorbereitungsgebet und Schuldbekenntnisse, Kollekten- und Eingangsgebete, Fürbitten, Abendmahlsgebete mit Präfation, Postsanctusgebet, Epiklese) eine reiche Auswahl aus Tradition und Gegenwart bieten, die der Entdeckung und Gestaltung von Liturgie als Gebet dienen soll (vgl. Deeg 2012: 514– 530; Meyer-Blanck 2011: 114–124.524–529; Meyer-Blanck 2013: 12.121–123.181–192).

2.  Predigt und Homiletik Luthers christozentrisch-soteriologische Zuspitzung der Predigtaufgabe – »nihil nisi Christus praedicandus / nichts anderes als Christus ist zu predigen« (WA 16, 113,7 f.) – grenzt sich einerseits scharf ab, sowohl gegenüber dem Fabulieren mit Heiligenlegenden und ähnlichen Geschichten, als auch gegenüber einem völligen Verzicht auf die Predigt im Gottesdienst (vgl. Preul 1997: 99 f.). Sie berücksichtigt andererseits auch Erfahrungen der Hörenden, die aber mit den grundlegenden biblischen Beispielen (vgl. Rössler 2002: 22 f.) und der neuen Sprache des Evangeliums, die Wirklichkeit neu schafft, aufgegriffen, konfrontiert und verändert werden, so dass es zur »Christusresonanz« (Meyer-Blanck 2011: 189) kommen kann. Dies entspricht Luthers Worttheologie mit seiner Betonung der Relationalität und des Anrede- und Handlungscharakters (vgl. Lienhard 2012: 117–123). Predigende und Hörende werden insgesamt in ein aktives Verhältnis zueinander gesetzt, das als »wechselseitiges Verhältnis der Freiheit« (Grözinger 2008: 57) zu verstehen ist. Homiletisch grundlegend ist die Unterscheidung von Christus als Gabe und Geschenk sowie als Vorbild: »Darum sieh nur recht darauf: Christus als Gabe nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als Vorbild übt dich in Werken. Die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir aus als einem, der schon zuvor zum Christen gemacht ist« (Luther, Unterricht 47). Die elementare Rede von Christus als Gabe und Vorbild, als sacramentum / Geheimnis und exemplum / Beispiel (vgl. auch den Beitrag von M. Ohst im vorliegenden Band, Abs. 5 und

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9), läuft auch hier auf eine systematische Unterscheidung, nicht auf eine Trennung hinaus. Inwiefern sie die evangelische Predigtpraxis seit der Reformation tatsächlich umfassend geprägt hat, ist schon aufgrund der Quellenlage kaum genau festzustellen. Predigtgeschichtliche Studien zur gegenwärtigen Christuspredigt liegen derzeit nicht vor. Nicht-repräsentative Stichproben zu neueren Predigten über Wunder, Gleichnisse und die Lehre Jesu zeigen, dass gerade hier vielfach Kenntnisse über die sozialgeschichtlichen Bedingungen zur Zeit Jesu und insgesamt über den historischen Jesus verwendet werden und eine veranschaulichende und konkretisierende Funktion haben. Der Mensch Jesus wird greifbar, seine Zuwendung zu den Ausgestoßenen, sein Gegenüber zu den Mächtigen, auch seine Passion. Die Verbundenheit Jesu mit dem Judentum wird sichtbar, aber auch seine Konflikte mit den Herrschenden. Es ist naheliegend, dass in der Predigtpraxis – wie in den Unterrichtsentwürfen – die exegetische und theologische Betonung des historischen Jesus samt den Einsichten des third quest for the historical Jesus (vgl. Schröter 2010: 67–78; Söding 2012; Theißen / Merz 2001; Theißen 2012: 162–169) prägend wurden  – zumindest bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, die seit den 1980er und 1990er Jahren studiert oder sich intensiv fortgebildet haben. Hinzu kommt eine vermutlich verbreitete Unsicherheit von Predigenden und Unterrichtenden hinsichtlich der Soteriologie, die nach den innerund außertheologischen Debatten um Opfer und Sühnetod, im Vergleich zu den differenzierten soteriologischen Traditionen (vgl. Frey / Schröter 2007; N. Slenczka im vorliegenden Band, Abs. 4.2, 4.3, 5.3) meist popularisierend und verengt geführt, kaum eine die Praxis prägende Kraft entfaltet, falls sie nicht von vielen ohnehin bereits verabschiedet worden ist (vgl. Jörns 2004). Durch die derzeitige, durchaus plurale Wiederentdeckung der theologisch zentralen Bedeutung der Auferstehung (vgl. Alkier 2009; Dalferth 1994; Dalferth 2002; Feldmeier / Spieckermann 2011: 515–546; Gräb-Schmidt / Preul 2012; Lampe 2006; Lampe 2012; Moltmann 2008: 45–79; Ringleben 1998; Ringleben 2008: 632–651; W. Schoberth 2010; Schwier 2012b; Schwier 2014; Vorholt 2013; Welker 2002; Welker 2012: 99–134; Weyel 1999) wird klarer, dass sie

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auch für die Deutung des Todes Jesu als Heilstod grundlegend bleibt und als Gottes Deutung dieses Todes zu denken ist (vgl. Stoellger 2007: 600 f.), von der sich alle anderen theologischen, metaphorischen oder symbolischen Deutungen als nachrangig abheben. Eine Ostertheologie, die nicht nur theologia crucis / Theologie des Kreuzes und theologia gloriae / Theologie der Herrlichkeit integriert (vgl. als Klassiker Barth 2011: 119–150), sondern auch die Einsichten des third quest berücksichtigt, kann die Grundlage bilden für eine künftig stärker ausgearbeitete konkrete Christologie in den Predigten (vgl. Auel 2011), die zu erwarten und zu erhoffen ist. Auch wenn die Konzentration auf den historischen Jesus einerseits und auf den erinnerten und geglaubten Christus andererseits nicht bruchlos mit den Predigten über Texte aus den synoptischen Evangelien einerseits und den Episteln andererseits einher geht, ist diese Koinzidenz trotz der Christologie der Synoptiker vielfach vorhanden. Auch daher ist bei den derzeitigen Bemühungen um die Revision der Perikopenordnung die Zielrichtung einer stärkeren Durchmischung der Predigttextreihen mehr als wünschenswert (vgl. Perikopenreform 2012). Die gegenwärtige Predigttheorie hat bei ihrer Verarbeitung rhetorischer, psychologischer, sprachtheoretischer, medialer und dramaturgischer Einsichten die theologische Kategorie des Christus praedicandus / verkündigten Christus als Kommunikation des Evangeliums zur Geltung zu bringen. Dabei teilt sie mit den anderen theologischen Disziplinen die Einsicht in den Wortcharakter der Offenbarung (vgl. als Klassiker Barth 2010: 23–33) und kann vor allem durch Exegese und Hermeneutik die »Sache der Texte« neu wahrnehmen (vgl. Schwier 2010; Schwier 2012c) und zu einer Predigt anleiten, die christologisch etwas zu verstehen und zu begreifen gibt: das Christusereignis in seiner personalen und inhaltlichen Ausrichtung als zentrale Deutungskategorie des christlichen Gottes-, Selbst- und Weltverständnisses  – oder in religiöser Sprache formuliert: Christus als Gabe und Vorbild. Im Licht des munus propheticum / prophetischen Amtes als der prophetischen Gegenwart Christi mit den Seinen (vgl. Welker 2012: 283–292) erscheint die Verkündigungsaufgabe als theologisch anspruchsvoll und menschlich riskant: »Prophetische Rede

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in der Nachfolge Jesu Christi ist in erster Linie Gott dienende Rede, die Gott selbst zur Sprache und zur Wirkung kommen lassen will […] Sie ist deshalb auf selbstkritische Prüfung angewiesen« (Welker 2012: 284) und in der Regel mit Anfechtung verbunden. Die Konflikthaftigkeit zwischen Erwartungen individuell tröstlicher Erbauung und gesellschaftlichen Einsprüchen, zwischen spiritueller Erhebung und widersprechender Reich-Gottes-Nachfolge, zwischen liturgisch-kultischer Ästhetik und politischer Predigt sind nicht in einer Synthese des priesterlichen und des prophetischen Amtes einfach aufzuheben, sondern als bleibend kritisches Nebeneinander notwendig. Homiletisch naheliegender als die leicht abstrakt oder ideologisch wirkenden Forderungen nach prophetischer Predigt ist die Aufgabe, als Ausleger der Propheten zu predigen, wozu es immerhin wieder zu entdeckende Vorbilder gibt (vgl. Schwier 2013). Mit der prophetischen Gegenwart Christi ist auch der umfassende Öffentlichkeitscharakter des Evangeliums verbunden, der in der Predigt wie in der diakonischen Praxis nicht nur die konkrete Öffentlichkeit, sondern ebenso als »intendierte Öffentlichkeit« die Gesellschaft und die »kategoriale Öffentlichkeit« coram deo / vor Gott mit einbezieht (vgl. Engemann 2011: 448–454, aber in anderer christologischer Zuordnung).

3.  Bildung und Unterricht In einer 2009 veröffentlichten Untersuchung hat die ungarische Theologin Mónika Solymár alle Ausgaben und Auflagen des zentralen Religionsunterrichtsbuches »Kursbuch Religion« für die Klassen 5–10 der Jahre 1976–2007 auf deren Christologie hin untersucht. Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Bis in die vorletzte Bearbeitungsfolge hinein stand der Mensch Jesus stark im Mittelpunkt der entsprechenden Unterrichtseinheit; Christologie war fast ausschließlich ›Christologie von unten‹ und blieb implizit; erst die »letzte, sechste Bearbeitungsfolge der Kursbücher hat sich hier … programmatisch darum bemüht, möglichst viele, explizit christologische Inhalte im Sinne des Bekenntnisses ›Jesus ist Chris-

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tus, der Sohn Gottes, der erwartete und verheißene Messias‹ zu vermitteln« (Solymár 2009: 118; zur Christologie von unten / von oben vgl. Danz 2013: 181–185). Auch andere Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass Jesus eher als vorbildlicher Mensch und bester Freund denn als Gottessohn und Christus unterrichtet wird (vgl. Ziegler 2006) und vor allem die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung rand- oder gar abständig bleiben (vgl. Albrecht 2007). Woran liegt das? Hier sind zwei Ursachen zu benennen, die miteinander in Beziehung stehen. Einmal hat die Religionspädagogik in diesem Bereich die exegetische Fachwissenschaft und deren Boom des historischen Jesus sehr stark rezipiert und gleichzeitig den historischen Jesus als »didaktisches prae« verstanden und propagiert; zum anderen sind die Unterrichtsbücher nicht einfach freie Angebote auf dem freien Markt, sondern sie folgen dem Lehrplan, der beispielsweise in Baden-Württemberg im untersuchten Zeitraum den Weg Jesu im Sinne einer impliziten Christologie abschreitet: »Es beginnt mit dem Kennenlernen von Jesus und seiner Zeit … und führt über die Auseinandersetzung mit Jesu Botschaft (Gleichnisse, Wunder, Bergpredigt) zu Jesu Kreuzestod und Auferstehung: Damit wird der historische Jesus zum Messias, der Hoffnung bringt und ein neues Leben ermöglicht« (Solymár 2009: 118; vgl. Ziegler 2006: 529–537). Nun zeigen die durchaus vorhandenen neueren empirischen Untersuchungen zur Christologie der Schülerinnen und Schüler keinen einfachen Konsens (vgl. Ziegler 2006: 129–166; Kraft / Roose 2011: 13–51). Auffällig ist aber, dass viele Schüler die Frage nach Jesus als eine christologische Frage sehen: Es geht für sie hier nicht um den historischen Jesus, sondern um die Gottesfrage: »Der SohnGottes Titel und die dahinter stehende Interpretation spielen eine besondere Rolle bei den Christologien von Kindern und Jugendlichen« (Solymár 2009: 229; vgl. Büttner 2002). Eine, auch in empirischen Untersuchungen zur Christologie der Schüler auftauchende Problematik ist der für viele zu abrupte Wechsel zu historisch-kritischen Jesus-Themen in der Sekundarstufe I, besonders im Gymnasium, wogegen inzwischen von Pädagogen mit Recht votiert wird, auch wenn diverse Bildungspläne das noch nicht widerspiegeln (vgl. Solymár 2009: 235–237; Kraft / Roose 2011: 52–73).

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Der Befund ist durchaus überraschend und hinterfragt das genannte »didaktische prae«. Gleichzeitig sind die verschiedenen Entwicklungsstufen der Jugendlichen und deren Fragen an Jesus ernst zu nehmen. Sie stammen vermutlich weniger aus den Titelstorys der üblichen Illustrierten zu Weihnachten und Ostern, sondern aus der Suche und Konstruktion eigener Identität, aus der Freude, andere Weltsichten kennen zu lernen und auszuprobieren, vielleicht auch aus religiöser Neugier. Hier kann Christologie ein kantiges und zur Auseinandersetzung führendes Gegenüber darstellen. In diesem Bereich besteht also sowohl aus Sicht der Theologie als auch aus Sicht der Pädagogik ein nicht geringer Veränderungsbedarf in den Unterrichtsthemen, in den Lehrplänen und in der Wahrnehmung der religiösen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Dabei ist, zugespitzt formuliert, die Grundbewegung von Jesus zu Christus untauglich; angemessener wäre eine Lernbewegung von Christus zu Jesus zu Christus, die das Gottesthema im Zentrum hat und didaktisch vielseitig entdecken lässt. Hierzu liegen inzwischen durchaus verschiedene Vorschläge vor: Bot in den 1990er Jahren der preisgekrönte Spielfilm »Jesus von Montreal« (franz. 1989; deutscher Kinostart 1990) zum Beispiel der Sekundarstufe II kritische Anstöße zur Auseinandersetzung mit historischer-kritischer Jesusforschung und mit Christologie (vgl. Mack / Ramsperger / Volpert 1997), hatte Michael Meyer-Blanck mit Blick auf damals aktuelle Videoclips und Musikvideos früh für eine Religionsdidaktik votiert, die schülergerecht auch Christologie thematisiert (vgl. Meyer-Blanck 1998); Michaela Albrecht votiert auf dem Hintergrund ihrer empirischen Untersuchung dafür, auch die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu im Unterricht erkennbar und klärend zu behandeln (vgl. Albrecht 2007); Ingrid Schoberth u. a. entfalten den Frage- und Wegcharakter christologischer Bildung, die am Weg nach Emmaus orientiert bleibt (vgl. Schoberth / Kowaltschuk 2010); Claudia Gärtner entwirft eine ästhetisch orientierte Christologiedidaktik für die gymnasiale Oberstufe, einschließlich ausgearbeiteter Unterrichtsentwürfe (vgl. Gärtner 2011: 257–435); Friedhelm Kraft und Hanna Roose zeigen, wie Christologie als Abenteuer entdeckt werden kann und entwerfen, die Kompetenzorientierung der Bildungspläne kritisch aufnehmend, Unterrichtsbausteine für die 10.

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Klasse (vgl. Kraft / Roose 2011: 164–186). Kindertheologische Einzelbeiträge zeigen schließlich den Aspektreichtum der christologischen Zugänge von Kindern (vgl. Bucher u. a. 2008) und lösen das Thema damit wiederum aus der Einengung auf die Frage nach dem Religionsunterricht in den oberen Klassen. Das munus propheticum / prophetische Amt umfasst außer der Verkündigungsaufgabe auch die Bildung. Es erfordert nicht nur aus bildungstheoretischen, sondern ebenso aus systematischen Überlegungen die selbstkritische theologische Prüfung, deren Kompetenz nicht nur in Deutschland durch universitäre Ausbildung grundgelegt wird, und eine im interdisziplinären Diskurs sich vollziehende Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit (vgl. Welker 2012: 288–292). Gerade in diesen Kontexten ist es notwendig, nicht mehr nur über historische Aspekte zu debattieren, sondern Christologie in ihrer theologischen wie kulturellen Ausstrahlung zu erkennen und deren kognitiven, emotionalen, sozialen und handlungsmotivierenden Orientierungsleistungen kritisch zu würdigen.

4.  Diakonie, Seelsorge, Beratung Das konkrete Handeln zugunsten des Nächsten hat in der Praxis Jesu, seinen Wundern und Tischgemeinschaften wie seiner ReichGottes-Botschaft (vgl. den Beitrag R. v. Bendemanns im vorliegenden Band, Abs. 2.3), den zentralen biblischen Haftpunkt und wird beispielsweise in der Kreuzestheologie aufgenommen und weitergeführt (vgl. Grethlein 2006: 117–119; Grethlein 2012: 162–170; Lienhard 2010; Lienhard 2012: 108–117.153–181; Lienhard / Bölle 2013). Diakonie, Seelsorge und Beratung sind die institutionalisierten Formen dieses Handelns und dieser Botschaft – auch in den jeweiligen Verästelungen dieser Praxis, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der diakoniewissenschaftlichen und poimenischen Theorien (vgl. Grethlein 2012: 414–429; Karle 2007; Pohl-Patalong 2007; Schneider-Harpprecht 2007). Zwar bieten nicht selten Kreuzestheologie und Leidenschristologie Orientierung für solches Handeln, indem das Leiden und die Ohnmacht des Gekreuzigten als Grundlagen solidarischen

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Helfens und der diakonischen Zuwendung zu den Geringsten und Schwächsten verstanden werden; dadurch sollen nicht zuletzt patriarchale Strukturen und Verhaltensweisen einer solidarischen und partizipationsorientierten Ausrichtung weichen. Jedoch ist eine (zu) schwache Christologie dazu kaum in der Lage und weist ihrerseits spezifische Gefahren auf, wie beispielsweise ein übersteigertes Leidensverständnis im spirituellen oder ein grenzenloses Helferpathos im diakonisch-seelsorglichen Feld. Demgegenüber kann die Rede vom munus regium / königlichen Amt hier die Perspektive weiten, wenn sie die Ausrichtung auf das Leben Jesu, die Reich-Gottes-Botschaft und auf die Auferstehung einbezieht und zugleich die Engführungen auf den nur transzendenten oder den nur ekklesiologischen Bereich überwindet: »Im Licht des vorösterlichen Lebens Jesu gewinnt die Königsherrschaft Christi und der Seinen klare Konturen und entfaltet eine deutliche Botschaft der Freiheit und der diakonischen Liebe. Diese Königsherrschaft im Licht der Ausgießung des Geistes revolutioniert hierarchische und monarchische kirchliche und mittelbar auch politische Herrschafts- und Ordnungsformen. Denn dieser König ist zugleich Bruder und Freund, ja ein Armer und Ausgestoßener« (Welker 2012: 223) und als solcher der von Gott Auferweckte, der in dieser Neuschöpfung die Überwindung von Not, Tod und Unheil anzeigt (vgl. Moltmann 2008: 60–62). Nicht der Imperativ des Helfen-Müssens steht am Anfang, sondern die dankbare, auch weisheitlich geprägte Einsicht, mit und von der freien Selbstbegrenzung und Selbstzurücknahme anderer zu leben (vgl. Huber 1992; Welker 2012: 209–212), die auch Diakonie und Seelsorge prägen soll. In dieser – durch die Christologie eröffneten – Perspektive gewinnt christliches Handeln in kirchlichen und säkularen Kontexten eine weite Ausrichtung und eine ermutigende Motivation: »Nicht nur im Schatten der Not, sondern im Licht der Dankbarkeit sollten wir die gewaltigen diakonischen, pädagogischen, therapeutischen, rechtsstaatlichen, kirchlichen und interkulturellen globalen Herausforderungen ins Auge fassen, die uns veranlassen, um das weitere ›Kommen‹ des Reiches Christi zu bitten und uns dafür einzusetzen. Durch viele, in sich oft unscheinbare Taten der Liebe und Vergebung gewinnen das Reich Gottes und das Reich Christi Gestalt«

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(Welker 2012: 224 f.), so dass auch das königliche Wirken Christi und der Seinen das Engagement für Bildung, Gesundheitsvorsorge, freiheitliche Gesellschaften, Menschenrechte und Menschenwürde orientiert und motiviert (vgl. Welker 2012: 227). Im konkreten diakonischen Handeln vor Ort und als Haltung der Christen sind Demut als Annehmen eigener Schwäche und Gebrechlichkeit, Gemeinschaft als auf Gegenseitigkeit beruhende Unterstützung und Sachlichkeit, die auf die Not des anderen, nicht auf religiöse oder ethische Forderungen, reagiert, wesentliche christologisch begründete Leitlinien (vgl. Lienhard 2010), die gleichzeitig christliche Ethik als verantwortete Freiheit (vgl. Huber 2012: 57–129) und als Ethik des Lebens (vgl. Moltmann 2010: 61–125) erkennbar machen.

5.  Christus und Kultur Unüberschaubar vielfältig und in der Fülle unabweisbar ist Christus auch außerhalb der Kirchen ein Kulturfaktor. In Musik, Malerei, Film, Theater, Literatur ist Christus Thema und Objekt, in unscheinbaren Formen der Alltagskultur, des Brauchtums, der Freizeitgestaltung nicht selten indirekt prägend. Freizeitgestaltung, Brauchtum und Alltagskultur orientieren sich im Jahreszyklus an den Hauptfesten Weihnachten und Ostern und lassen  – unauflösbar verbunden mit Kitsch, Kommerz und Kunst  – in Zeitungen, Illustrierten, Fernsehprogrammen, durch Dekorationsangebote und auf Weihnachtsmärkten christliche Traditionen und Relikte öffentlich erkennbar werden. Dies betrifft selbstverständlich auch das kirchliche Christentum und die einzelnen Christen (vgl. Morgenroth 2002) und zeigt sich relativ immun gegenüber gut gemeinter theologischer Aufklärung; dies ist zumindest insoweit nicht verwunderlich, als die Frage, wem Weihnachten gehöre, historisch schon zu Beginn der kirchlichen Festpraxis auftaucht (vgl. Hermelink 2003) und die seit dem 19. Jahrhundert einsetzende bürgerliche Weihnachtsfestkultur ausgesprochen wirkungskräftig war, wofür Schleiermachers »Weihnachtsfeier« ein theologisches (vgl. Lehmkühler 2010) und Thomas Manns eindrückliche Beschreibung in den »Buddenbrooks« (vgl. Mann 2007:

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528–549 [Teil 8, Kapitel 8]) ein literarisches Beispiel liefern; dabei erreicht »Weihnachten bei den Buddenbrooks« durch separate Publikationen, Lesungen und Hörbücher auch gegenwärtig ein großes Publikum. Dass die christlichen Festinhalte ausschließlich auf Privates, Familiäres und eine bürgerliche Innerlichkeit zielen, wird man aber – zumindest aus theologischer Perspektive (vgl. Cornehl 2011: 202 f.) – gerade nicht behaupten können, es sei denn, man würde den gesellschaftlichen und öffentlichen Charakter dieses Christusfestes ignorieren. Krippe und Kreuz prägen in besonders starker Weise die ikonische Präsenz Christi (vgl. auch Welker 2012: 20–24). Mit der Krippe verbunden ist die faszinierende Aura des neu geborenen Kindes und der »Heiligen Familie«; das Kreuz schließlich ist seit je in unzählbaren Variationen vom Kircheninventar bis zum Modeassecoire verbreitet, jedoch längst nicht mehr überall als Christuszeichen erkannt. In der sog. Hochkultur sind infolge christlicher Kulturprägung seit dem Mittelalter besonders in Musik und Malerei Christusdarstellungen und -dramatisierungen  – letztere auch in Gestalt von theatralen und durchaus populären Passions- und Osterspielen – vielerorts präsent. Die Christusbilder, die nicht zuletzt infolge des Bilderverbots erst seit dem 3. Jahrhundert in Rom zunächst im Umfeld des Totenkultes in symbolisch-typisierter Form erscheinen, sind dann durch die gesamte Kunstgeschichte ein zentrales Motiv christlicher Kunst, in der Gegenwart auch Gegenstand der Auseinandersetzung, Inszenierung und Performance (vgl. Christus in der Kunst 1999; Christus in der Kunst 2000). Durch Ausstellungen in Museen, Kirchen und insgesamt im öffentlichen Raum erzielen sie Wirkung. Bibelausgaben, die seit der Reformation nicht selten illustriert wurden – bereits Luthers Septembertestament von 1522 beinhaltete Holzschnitte von Lucas Cranach –, aber neuerdings durch Aufnahme und Wiedergabe gegenwärtiger Kunst deren Funktion als bloße Illustration überwinden, sind entsprechend kulturprägend. In diesen Kontext gehören auch afrikanische und asiatische christliche Kunst, die zunehmend wahrgenommen und erschlossen werden (vgl. Sundermeier 2007b; Sundermeier 2010) und erstaunliche christologische Akzente ins Bild setzen (vgl. Sundermeier

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2007a). Die geistliche Musik prägt ebenfalls den kulturellen Raum, was exemplarisch an den oratorischen Werken Johann Sebastian Bachs erkennbar ist, die seit Mendelssohns Berliner Aufführung der Matthäuspassion 1829 zunehmend die bürgerlich-städtische Musikkultur samt ihren Abonnementkonzerten zu Weihnachten und in der Passions- und Osterzeit prägten (vgl. Heinemann 2000: 366 f.) und dies nachwievor bis heute tun. Ein ästhetisch wie theologisch maßstabsetzendes Beispiel ist hierfür die Berliner Aufführung der Matthäuspassion im April 2010, wiederholt im Oktober 2013, durch die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle als Performance in der Regie von Peter Sellars, die als DVD erhältlich und in der digital concert hall online verfügbar ist. Sie erhebt und verwirklicht im säkularen Raum den Anspruch eines dramatisierten Gebetes und einer Meditation: »It’s not theatre. It’s a prayer, it is a meditation« (Bach 2012). Diese insgesamt unüberschaubar große kulturelle Präsenz wird man kaum für das kirchliche Christentum reklamieren können, und dass in öffentlichen Räumen (Schulen, Gerichte) christliche Symbole wie das Kruzifix präsent sind, ist bekanntlich heftig umstritten. Andererseits erscheint es nicht notwendig, für die deutsche und die westeuropäischen Gesellschaften die umstrittene These einer »Christophobie« (so Welker 2012: 28–32.237) heranzuziehen, zumal die damit verbundene konservative Kulturkritik weder den postmodernen Brechungen und Transformationen noch den widerstreitenden Positionen und Erwartungen hinsichtlich des Beitrags der Kirchen zur Wertorientierung noch den häufig zugrunde liegenden, jedoch unzureichenden Säkularisierungsannahmen (vgl. Huber 2005: 90–92; Huber 2012: 117–119; Joas 2006: 122–128) gerecht wird. In der theologischen Deutung ist auch hier die Rede vom munus regium / königlichen Amt in seiner bereits skizzierten Weite angemessen, denn sie überschreitet den binnenkirchlichen Raum und erwartet und orientiert das Handeln der Christen, die nicht »ein Ensemble von Statisten oder ein sein [= Christi, H. S.] Leben und Wirken nur begleitender Chor im Hintergrund« (Welker 2012: 223) sind, sondern die tätigen und verantwortlichen Glieder des Leibes des auferweckten und gegenwärtigen und kommenden Christus.

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Ihr kulturelles und gesellschaftliches Handeln und Wirken zielt nicht auf christliche Dominanz oder kirchliche Selbsterhaltung, sondern folgt der Spur Christi zu den Menschen.

6. Ausblick In den pluralisierten Lebenswelten und -stilen trifft man heute in vielfältiger Weise auf Christus: in der Lektüre des Neuen Testaments, in Gottesdienst und Predigt, im kirchlichen und schulischen Unterricht, in Diakonie, Seelsorge und Beratung und schließlich in den kulturellen und gesellschaftlichen Inszenierungen und Diskursen. Aus Sicht der Rezipienten ist dies eine Sache der Wahl innerhalb eines großen Marktes durchaus konkurrierender Entwürfe. Darauf reagieren kirchliche Strategien mit pluralen und differenzierten Angeboten sowie einem wachsenden Qualitätsanspruch. Die Praktische Theologie verdeutlicht gegenüber kirchlicher Praxis wie theologischer Theorie, dass die Christusbegegnung grundlegend auf Kommunikation, Feier und Konvivenz beruht. Die Christusbegegnung als Kommunikation des Evangeliums ist nicht unmittelbar, sondern medial vermittelt und geschieht als Interpretation des Evangeliums innerhalb der Interpretationsgemeinschaft, die weiter reicht als die Kirche und auch den hermeneutischen Streit der Interpretationen sowie eine lebendige und verständliche Sprache braucht. Die Christusbegegnung als Feier des Evangeliums verdeutlicht, dass der ganze Mensch mit all seinen Sinnen und in all seinen Beziehungen, seiner spezifischen Situation und Biographie, als Leib und Seele wahrgenommen wird. Die Dimension der Konvivenz (vgl. Sundermeier 1995: 43–75) lenkt den Blick auf die Lebenswirklichkeiten innerhalb und außerhalb der lokalen und weltweiten Kirchen und motiviert zur gemeinsamen Suche nach Wahrheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Dass Christusbegegnungen sich nicht nur im Raum von Wort und Sakrament ereignen, sondern auch an unerwarteten Orten, mit unbekannten Menschen und einem verborgen bleibenden Christusbezug, ist bereits eine bleibende Erkenntnis des Evangeliums (vgl. Mt 25, 31 ff.) und gleichzeitig eine Folge des Wirkens

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Jesu Christi und des Geistes. Solches Wirken verstärkt die Einsicht in eine universal wirkende, trinitarisch begründete Theologie der Gnade, die die an Christus Glaubenden »demütig und solidarisch mit allen Menschen« (Moltmann 2008: 136) macht.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen Bach 2012: Bach, Johann Sebastian: Matthäuspassion. Recorded live at the Philharmonie Berlin, 11. April 2010. Directed for video by Daniel Finkernagel und Andreas Lück. Edited by Uli Peschke (Berlin Phil Media GmbH), Berlin 2012. EG: Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Baden, pour l’Eglise de la Confession d’Augsburg d’Alsace et de Lorraine, pour l’Eglise Reformée d’Alsace et de Lorraine, Karlsruhe 1995. EGB: Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, hrsg. von der Kirchenleitung der VELKD und i.A. des Rates von der Kirchenkanzlei der EKU, Berlin u. a. 1999. Luther, Unterricht: Luther, Martin: Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll (1522), jetzt in: Ruth Conrad / Martin Weeber (Hrsg.), Protestantische Predigtlehre. Eine Darstellung in Quellen, Tübingen 2012, 44–49.

2. Sekundärliteratur Albrecht 2007: Albrecht, Michaela: Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi aus der Sicht Jugendlicher (ARP 33), Göttingen 2007. Alkier 2009: Alkier, Stefan: Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments (NET 12), Tübingen / Basel 2009. Arnold 2011: Arnold, Jochen: Musik und Gottesdienst – Musik im Gottesdienst, in: Hans-Joachim Eckstein u. a. (Hrsg.), Kompendium Gottesdienst. Der evangelische Gottesdienst in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2011, 224–244. Arnold 2012a: Arnold, Jochen: Die Kantate als Gottesdienst – die Kantate im Gottesdienst. Johann Sebastian Bachs Kantaten als liturgische Gestaltungsaufgabe, in: Peter Bubmann / Birgit Weyel (Hrsg.), Praktische Theologie und Musik (VWGTh 34), Gütersloh 2012, 91–107. Arnold 2012b: Arnold, Jochen (Hrsg. im Auftrag der Liturgischen Konfe-

Helmut Schwier  261

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266  Praktische Theologie Theißen 2012: Theißen, Gerd: Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, Gütersloh 2012. Thomas 2011: Thomas, Günter: Was geschieht in der Taufe? Das Taufgeschehen zwischen Schöpfungsdank und Inanspruchnahme für das Reich Gottes, Neukirchen-Vluyn 2011. Vorholt 2013: Vorholt, Robert: Das Osterevangelium. Erinnerung und Erzählung (HBS 73); Freiburg 2013. Welker 2002: Welker, Michael: Die Wirklichkeit der Auferstehung, in: Hans-Joachim Eckstein / Michael Welker (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002, 311–331. Welker 2012: Welker, Michael: Gottes Offenbarung. Christologie, Neukirchen-Vluyn 2012. Weyel 1999: Weyel, Birgit: Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen. Eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit (APTh 35), Göttingen 1999. Ziegler 2006: Ziegler, Tobias: Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Christologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie, NeukirchenVluyn 2006.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Grethlein, Christian: Praktische Theologie, Berlin / New York 2012. Grethlein, Christian / Schwier, Helmut (Hrsg.): Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte (APTh 33), Leipzig 2007. Lienhard, Fritz / Bölle, Adrian: Zur Sprache befreit – Diakonische Christologie. Theologischer Umgang mit dem Leiden (Theologische Anstöße 5), Neukirchen-Vluyn 2013. Metzger, Paul (Hrsg.): Die Konfession Jesu (BenshH 112), Göttingen 2012. Welker, Michael: Gottes Offenbarung. Christologie, Neukirchen-Vluyn 2012.

Religionswissenschaft / Interkulturelle ­Theologie

Klaus Hock

Jesus Christus und die Religionen – Perspektiven aus Religionswissenschaft und Interkultureller Theologie Nur wenige Gestalten der Religionsgeschichte haben über die Religion hinaus, die sich unmittelbar auf sie beruft, so viel Resonanz in anderen religiösen wie auch nichtreligiösen Traditionen ausgelöst wie Jesus Christus. Entsprechend lässt sich seine Spur durch die gesamte Weltgeschichte verfolgen: »Das Auftreten des Jesus von Nazareth … hat in allen Ecken des Globus eine große Bandbreite an Reaktionen provoziert – und provoziert sie auch weiterhin« (Jongeneel 2009: X). Der niederländische Missionswissenschaftler Jan Jongeneel zeichnet in seinem Opus magnum diese Reaktionen nach, indem er zunächst zwischen zwei Weisen unterscheidet, Zeit und Geschichte zu verstehen: als zyklisch-wiederkehrenden oder als linear-zielgerichteten Prozess. Entsprechend ordnet er sein Material und fragt danach, wie Jesus innerhalb und insbesondere außerhalb der christlichen Traditionsströme gegenwärtig ist und repräsentiert wird: In der Spannung von Anwesenheit und Abwesenheit, Darstellung und Entstellung gewinnt Jesus dabei über die bloße religions- und ideengeschichtliche Beschreibung hinaus für die theologische Reflexion insofern nochmals neue Relevanz, als nun auch aus der Perspektive Interkultureller Theologie nach seiner Bedeutung zu fragen ist. Tatsächlich markiert die Unterscheidung zwischen zyklischwiederkehrendem und linear-zielgerichtetem Geschichtsverständnis zwei Paradigmen, denen sich die großen »westlichen« (Judentum,

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Christentum, Islam, aber auch Mandäer, Bahâ’î und andere) und »östlichen« Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Daoismus, außerdem viele ethnische Religionen oder Shintô) ganz grob zuordnen lassen. Im Folgenden werden der Islam und der Hinduismus exemplarisch für diese beiden Traditionsfamilien herausgegriffen. Dabei steht ebenso beispielhaft einerseits mit dem Islam die Sicht einer Religion im Zentrum, in der Jesus seit Beginn eine exponierte Stellung innehatte, mehr noch: Der Islam ist die einzige Religion außerhalb des Christentums, die eine spezifische Christologie in ihrer heiligen Schrift, dem Koran, verankert hat. Andererseits wird mit dem Hinduismus eine Religion in den Blick genommen, in der von Hause aus Jesus zunächst nicht die geringste Rolle gespielt hat bzw. aus naheliegenden Gründen über viele Jahrhunderte hinweg nicht spielen konnte. Gegenüber dem Islam, der dem Christentum insbesondere hinsichtlich seines geografischen und historischen Entstehungskontextes sehr nahe steht, ist für den Hinduismus trotz früher Kontakte mit einigen wenigen christlichen Traditionen in Gestalt der sog. »Thomaschristen« – also mit jenen indischen Kirchen, die sich auf das Wirken des Apostels Thomas zurückführen –, eine weit­gehende religionsgeschichtliche Distanz zum Christentum zu konstatieren. Dennoch hat für beide Religionen die Gestalt Jesu im Laufe der Jahrhunderte so viel an Bedeutung gewonnen, dass sich nicht nur Vorstellungen über Jesus finden, sondern dass Jesus auf die eine oder andere Art für muslimische Gläubige wie auch für Hindus zu einer gegenwärtigen Wirklichkeit geworden ist. Entsprechend kann tatsächlich von Jesu Präsenz in Islam und Hinduismus die Rede sein.

1.  Jesus im Islam: Leitbild ethischer Vollkommenheit und Zeichen Gottes 1.1.  Jesus im Koran: ‘Îsâ ibn Maryam – Jesus, Sohn der Maria Das nach muslimischem Glauben offenbarte Gotteswort, wie es im Koran festgehalten ist, verweist an mehreren Stellen direkt oder indirekt – in insgesamt auf 15 Suren des Korans verteilten 108 Ver-

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sen – auf die herausragende Bedeutung des Propheten Jesus (‘Îsâ). Sein Name selbst wird 25mal erwähnt und 16mal mit dem Zusatz »Sohn der Maria« (ibn Maryam) versehen. Zumeist in Kombination damit wird Jesus ein in christlichen und jüdischen Ohren bedeutsam klingender Titel zugeeignet: al-masîh, der Messias. Diese von den Christen verwendete Ehrenbezeichnung findet sich erst in den medinensischen, d. h. nach der Übersiedlung Mohammeds und seiner Anhängerschaft aus Mekka nach Medina offenbarten Suren, also in einer recht späten Phase der koranischen Offenbarung. Für Mohammed und die muslimische Gemeinde war aber die ursprüngliche Bedeutung des Titels fremd und unbekannt, so dass er wohl eher für eine Art Eigenname gehalten wurde. Obgleich das Wort für muslimische Gläubige einen gewissen religiösen Anklang gehabt haben mag, darf doch keinesfalls unterstellt werden, im Koran sei damit eine dogmatische oder gar soteriologische Bedeutung verknüpft gewesen. Auch in den überlieferten Deutungen der klassischen muslimischen Korankommentatoren gibt es keine Belege dafür, dass ihnen die christliche Bedeutung des Wortes im Sinne eines Hoheitstitels – Jesus als der Christus – bekannt war. Im Koran finden sich noch weitere Bezeichnungen, die auf Jesus bezogen werden und deren Verwendung auf den ersten Blick Ähnlichkeiten zum christlichen Gebrauch aufzuweisen scheint. Doch bei genauerem Besehen zeigt sich, dass hier kaum Entsprechungen bestehen. Wenn an mehreren Stellen von Jesus als »Wort Gottes« die Rede ist, ergibt bereits eine grammatikalische Sichtung, dass Jesus im Allgemeinen nicht als »das Wort« Gottes, sondern als »ein Wort von Gott« bezeichnet wird. So wie Jesus kann jeder Prophet »ein Wort von Gott« genannt werden, da mit dieser Bezeichnung lediglich ausgesagt wird, dass seine gesamte Persönlichkeit durch das Zeugnis der göttlichen Offenbarung geprägt ist. Im Koran sind also weder der Gedanke einer Präexistenz Christi noch eine LogosTheologie zu finden. Lediglich an einer Stelle (Sure 4: 171) wird Jesus das Wort Gottes genannt, allerdings mit deutlichem Hinweis auf seine Funktion als ein Gesandter unter vielen und seine Erschaffenheit im Leib Marias durch göttlichen Befehl mit dem Wort »sei« (kun), woraus sich dann auch das islamische Verständnis der Jungfrauengeburt ergibt. Wenn es im Islam eine »Wort-Theologie«

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gibt, dann in Bezug auf den Koran, der allerdings nicht als »Wort« (kalima), sondern als »Rede« (kalâm) Gottes bezeichnet wird. In ähnlicher Weise bringt der Koran Jesus mit dem Geist (rûh) in Verbindung. Doch auch hier ergibt eine genauere Analyse einen ähnlichen Befund wie beim Titel des Messias (masîh): Wohl findet sich im Koran die christliche Terminologie, aber der biblische und dann in der Trinitätslehre entfaltete Sinn wird nicht übernommen. Im Zusammenhang mit dem Geistverständnis, das sich auf den prophetischen Verkündigungsauftrag bezieht, steht auch die Bezeichnung Jesu als Prophet (nabî) oder Gesandter (rasûl). Dabei ist nabî ein Terminus, der vornehmlich, aber nicht ausschließlich für die in der biblischen Tradition genannten Verkünder der Gottesbotschaft benutzt wird, während rasûl als Titel für die mit einem konkreten Verkündigungsauftrag an ein bestimmtes Volk beauftragten Boten zur Verwendung kommt. Jesu bedeutsamste Aufgabe als Prophet und Gesandter besteht nach koranischer Sicht darin, die den Juden durch Mose (Mûsâ) offenbarte Tora (tawrat) erneut zu bestätigen, und zwar durch das Evangelium (injîl), eine Offenbarungsschrift, die mit der Tora im Wesentlichen identisch ist. Durch verschiedene »Zeichen« soll – wie auch im Fall anderer Propheten – Jesu Sendung beglaubigt und seine Verkündigung mit besonderem Nachdruck versehen werden. Dazu gehören die Ankündigung Jesu und seine Predigt in der Krippe (Sure 19; 3: 46; 5: 110) oder die durch »Einhauchung« bewirkte Belebung von zuvor aus Ton geformten Vögeln (Sure 3: 49 und 5: 109 f.), während auf Heilungswunder nur sehr allgemein verwiesen wird. Jesus ist also trotz der genannten Besonderheiten offensichtlich zunächst ein Prophet unter vielen, und wie diese ist er Geschöpf Gottes und damit zuvörderst Gottes Diener (‘abd). Eine herausragende Eigentümlichkeit des koranischen Jesus ist dabei jedoch, dass er selbst letztlich zum Zeugen gegen christologische und trinitarische Grundannahmen wird, wie sie sich im christlichen Verständnis herausgebildet haben (Sure 5: 116 f.). In der Deutung des Kreuzestodes tritt zudem nochmals ein Spezifikum des koranischen Verständnisses Jesu zum Vorschein. Demzufolge hat keine Kreuzigung Jesu stattgefunden, sondern entweder schien es den Augenzeugen lediglich so, als sei Jesus am Kreuz gestorben, oder

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ein anderer war an Jesu Stelle hingerichtet worden – je nach Interpretation der entsprechenden Passage, deren strittiges Potential in den meisten Übersetzungen nur noch andeutungsweise erkennbar ist, wenn es in diesen etwa heißt: »Vielmehr waren sie darüber in Zweifel« (Sure 4: 157 f.). Obgleich die Einzelheiten auch unter späteren islamischen Korankommentatoren strittig blieben – zusammen mit der Frage, wie es zu verstehen sei, dass Gott Jesus »abberufen« habe (Sure 5: 55; 5: 117) –, wurde die Ablehnung des Kreuzestodes Christi zum Dreh- und Angelpunkt der Zurückweisung gängiger christlicher Trinitätslehre, Christologie und Soteriologie. Eine herausragende Besonderheit des koranischen Jesus ist dennoch im islamischen Kontext von besonderer Wirkmächtigkeit gewesen: Jesus hat nach dem Zeugnis des Korans nicht nur Zeichen vollbracht, sondern er ist auch selbst ein Zeichen Gottes, in dem insbesondere Gottes Barmherzigkeit zum Ausdruck kommt. »Als solches Zeichen, als treuer und demütiger Rufer zu Gott, der zur Beglaubigung seiner göttlichen Sendung selbst Zeichen wie das Vogelwunder tut, Tote aufwecken, Kranke heilen und Blinde sehend machen darf, ist ›der Messias Jesus, der Sohn der Maria‹, für die Frömmigkeit der Muslime von Bedeutung geworden« (Schumann 1988: 31).

1.2.  Jesus in islamischer Gelehrtentradition und frühem neuzeitlichen Reformdenken Die islamische Gelehrtentradition war recht zurückhaltend mit weitergehenden Annahmen über die Gestalt Jesu. Vielmehr hat sie sich – ausgehend von den koranischen Vorgaben und mit Blick auf das Verständnis Jesu im Gegenüber zur christlichen Sicht – eher darauf verlegt, in kritischer Bezugnahme auf die im Christentum vertretenen christologischen Dogmen die eigenen Positionen schärfer zu akzentuierten. Ein Vorwurf lautete, dass die christliche Inkarnationslehre Schöpfer und Schöpfung miteinander vermischt, ja sogar gleichgesetzt habe, wodurch der Glaube an Gott als souveränem Anderen unterminiert würde. Die aus dem Hauptstrom islamischer Tradition im Laufe der islamischen Geschichte ausgegrenzte Schule der Mu’taziliten richtete, ähnlich wie die frühe schiitische Theolo-

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gie, ihr Hauptaugenmerk darauf, die christliche Christologie des Anthropomorphismus und damit der Infragestellung der Einheit Gottes zu beschuldigen. In der späteren mittelalterlichen Kritik muslimischer Gelehrter rückte dann unter anderem die Attributenlehre in den Mittelpunkt, und insbesondere die Ablehnung des Kreuzestodes Jesu wurde zum Zentralpunkt islamischer Christologie. Muhammad al-Ghazâlî (1058–1111), der große Vermittler zwischen Mystik und islamischer »Orthodoxie«, hatte zwar auf der Grundlage islamischer Attributenlehre eine Art spekulative »Trinitätslehre« entworfen, er blieb jedoch mit der Ablehnung der Inkarnation auf dem Boden traditioneller islamischer Christologie. Aussagen wie die, dass Jesus aufgrund seines vollkommenen Gehorsams gegenüber Gott habe verkünden können, mit Gott eins zu sein, oder dass in Christus, der die ethische Vollkommenheit des Menschen repräsentiere, die Herrlichkeit Gottes sichtbar geworden sei, verdanken sich wohl vornehmlich dem mystisch geprägten Prophetenbild al-Ghazâlîs, in dem Jesus eine zwar herausragende, aber nicht einzigartige Rolle gegenüber anderen Propheten einnimmt. In der Auseinandersetzung mit dem christlichen Jesusverständnis konzentrierte sich das islamische Reformdenken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts  – hier vornehmlich in Gestalt der Manâr-Schule, so benannt nach der von Rashîd Ridâ‘ (1865– 1935), einem Schüler des bedeutenden Reformdenkers Muhammad ‘Abduh (1849–1905), herausgegebenen Zeitschrift al-manâr, der Leuchtturm – weiterhin auf die Kritik an der kirchlichen Christologie, und nicht etwa auf die Beschäftigung mit der Gestalt Jesu selbst. Bei Muhammad ‘Abduh erscheint vor allem Jesus als Prophet, der den Primat der Vernunft verkündet und damit den Weg der Gotteserkenntnis in Gestalt der einen Religion, des Islam, aufgezeigt habe. Demgegenüber seien in der kirchlichen Tradition die Worte Jesu in großen Teilen nicht mehr verstanden und der Vernunft widersprechende Annahmen eingeführt sowie in Gestalt des christologischen Dogmas festgeschrieben worden. Dem hätten sich alle nachfolgenden Generationen in blindem Gehorsam gegenüber der religiösen Autorität unterwerfen müssen. Einige seiner radikalen Schüler wie Rashîd Ridâ’ oder Muhammad Taufîq Sidqî (1891–1920) gehen in der kritischen Ausein-

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andersetzung mit der kirchlichen Christologie einen Schritt weiter, hin zu einer Art »Neo-Orthodoxie«, in der – oftmals unter eklektischer Verwendung literarkritischer und religionsgeschichtlicher Erkenntnisse europäischer Religions- und Bibelforschung  – die traditionelle islamische Christologie apologetisch aufgerüstet und polemisch gegen das Christentum gewandt wird.

1.3.  Jesus in Mystik und volksreligiösen Traditionen Im Sufismus, der islamischen Mystik, lassen sich ganz grob zwei Traditionslinien unterscheiden, die auch hinsichtlich der Rezeption Jesu von Bedeutung sind: ein ethisch orientierter Überlieferungsstrang, der eher an Fragen der praktischen Lebensführung Interesse hat, und eine philosophisch ausgerichtete Tradition, die stärker mit Fragen der Erkenntnis (ma’rifa) des Göttlichen befasst ist. In der spekulativ-mystischen Kosmologie von Ibn ‘Arabî (1165–1240) kommt der letztgenannte Aspekt zum Tragen. Sein vom Neuplatonismus beeinflusstes pantheistisches Denksystem verortet Jesus innerhalb der Prophetenlehre so, dass die koranische Würdigung Jesu als »Geist« und »Wort«, die sich dem besonderen Umstand der »Zeugung« Jesu durch das Gotteswort verdankt, wiederum in den Mittelpunkt rückt: »Er ist also das Wort Gottes und der Geist Gottes und auch der Diener Gottes. Bei einem anderen als Jesus aber gibt es diese verschiedenen Aspekte … nicht« (zit. nach Schumann 1988: 83). Die vornehmste Aufgabe Jesu besteht in diesem Zusammenhang laut Ibn ‘Arabî darin, dass er die Kluft zwischen Gott und den »von Gott Abwesenden«, also den sündigen und von Gott getrennten Menschen, kraft seiner Funktion als Wort und Geist Gottes überwinden kann und damit die Möglichkeit einer neuen Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf eröffnet  – wobei jedoch zu bedenken ist, dass Ibn ‘Arabî diesen Vorgang eher als allegorisches denn als manifestes Geschehen begreift. Der Hauptstrom der ethisch orientierten Mystik hingegen hat vornehmlich am koranischen Verständnis Jesu als Zeichen Gottes und der in Jesus zum Ausdruck kommenden Barmherzigkeit Gottes angeknüpft: In sufischer Tradition gewinnt Jesus, das Sinnbild asketischer Gottesliebe, als »Siegel der Heiligkeit« selbst gegenüber Mohammed, dem »Siegel

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der Propheten«, an Bedeutung. Während Mohammed nach dieser Lesart die wichtigste Autorität im Bereich der gesetzlichen Überlieferungen bleibt, avanciert Jesus zum Inbegriff selbstloser Hingabe und verantwortlichen Handelns gegenüber den Mitmenschen sowie der Barmherzigkeit gegenüber den Armen und Ausgestoßenen. Wie schon in der Hadîth-Literatur – also jene Überlieferungen, in denen Taten und Worte des Propheten Mohammed aufgezeichnet sind – finden sich auch in mystischen und volksreligiösen Traditionen Berichte über die eschatologische Aufgabe Jesu: Der von Gott »Abberufene«  – und das heißt hier: Entrückte  – werde am Ende der Zeiten wieder zur Erde herabsteigen, den als Meister der Drangsal für 40 Jahre herrschenden »Antichristen« (dajjâl) vernichten, alle Schweine töten und die Kreuze zerbrechen, eine arabische Muslima heiraten, als gerechter Richter die Integrität des Islam und die Einheit der islamischen Gemeinschaft wieder herstellen, schließlich nach vierzig Jahren gerechter Herrschaft sterben und neben Mohammed begraben werden. Volksreligiöse Überlieferungen haben zudem die Hoffnung auf die auch in dogmatischen Gelehrtentraditionen akzeptierte Vorstellung popularisiert, Jesu werde am Tag des Jüngsten Gerichts durch seine Fürsprache zugunsten der gläubigen Sünder eintreten – allerdings nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis Gottes.

1.4.  Jesus »am Rande des Islam«: muslimische Sondergruppen Angesichts der Tatsache, dass der Koran sich über den Zeitpunkt des Todes Jesu ausschweigt, ist es im Zusammenhang mit der Debatte um den Kreuzestod Jesu im 20. Jahrhundert innerhalb des Islam nochmals zu einer grundsätzlichen Kontroverse um die Frage der Wiederkunft Christi gekommen: Nach Meinung der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Pakistan gegründeten Gemeinschaft der Ahmadiyya hat Jesus die Kreuzigung überlebt bzw. ist der Kreuzigung entkommen, anschließend nach Kaschmir geflohen und nach längerem Wirken in der Stadt Srinagar verstorben, wo heute noch ein Grabmal an ihn erinnere. Wenn aber Jesus tot war und mit seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten nicht zu rechnen ist, konnte der Begründer dieser Sondergruppe, Mîrza Ghulâm Ahmad aus

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Qadîân, die in einigen islamischen Überlieferungen bislang Jesus zugeschriebene endzeitliche Aufgabe, die Einheit der islamischen Gemeinschaft wieder herzustellen, nun für sich selbst in Anspruch nehmen, und so erklärte er sich zum neuen Propheten. Damit jedoch drohte nun auch die Stellung Mohammeds als »Siegel der Propheten« unterminiert zu werden. Die Problematik verschärfte sich dadurch, dass ein an der Azhar erstelltes Rechtsgutachten (fatwâ) im Zusammenhang mit der Frage, wie die koranische Aussage zu verstehen sei, dass Gott Jesus »abberufen« habe, zugleich die Frage, ob Jesus gestorben oder entrückt worden sei, für weitgehend irrelevant erklärt hatte und somit die Entscheidung darüber ins Belieben der Gläubigen gestellt ließ. Die Ahmadiyya interpretierte dies als quasi offizielle Anerkennung ihrer Lesart und als Bestätigung des Anspruchs ihres Gründers. Ein Gegengutachten jedoch kam zu dem Schluss, dass die Traditionen über Jesu endzeitliche Rolle zu den fundamentalen muslimischen Glaubensgrundsätzen gehörten, womit die Sichtweise der Ahmadiyya als unvereinbar mit muslimischer Rechtgläubigkeit zurückgewiesen wurde. Das Beispiel zeigt, wie anders als im Christentum Debatten über die Rolle Jesu im islamischen Kontext verlaufen können. Ein besonderes Phänomen sind muslimische Sondergruppen, die  – durch Aufnahme volksreligiöser oder mystischer Traditionen – Jesus in der Reihe der islamischen Propheten eine Sonderrolle zusprechen, mehr noch: ihn in das Zentrum ihres Glaubens rücken. Ein Beispiel hierfür wäre die Gemeinschaft der sog. Isra’ilawa bzw. Banu Isra‘ila (»Israeliten«) oder Isawa (»Jesus-Anhänger«) in Nordnigeria, die Jesus noch vor Mohammed besondere Heiligkeit zuschreiben, da er ihrer Meinung nach der einzige wirklich sündlose Prophet war. Alle anderen Propheten, selbst Mohammed, seien in Versuchung geführt worden und hätten deshalb um Vergebung bitten müssen (Nguvugher 2010: 400). Daraus ergeben sich weitere Besonderheiten ihres Verständnisses von Jesus, so etwa in der Interpretation des koranischen Titels »Geist Gottes«, den sie als Hinweis darauf deuten, dass Jesus Macht über Leben und Tod hat. Damit rückt ihr Jesusbild tendenziell in einen theologischen Zwischenbereich, in dem die Grenzen zwischen islamischem und christlichem Verständnis verschwimmen.

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1.5.  Jesus in modernen islamischen Diskursen Die Gestalt Jesu hat immer wieder auch eine Vielzahl moderner muslimischer Denker fasziniert und zum Nachdenken angeregt. Der ägyptische Literat und Kulturkritiker ‘Abbâs Mahmûd al‘Aqqâd (1889–1964) etwa bemüht sich um eine neue Würdigung Jesu, indem er hervorhebt, dass Jesus die Gewissensverantwortung ins Zentrum seiner Ethik gerückt habe, die sowohl dem Individuum als auch der Gesellschaft als Ganzer ihre innere »Gebetsrichtung« (qibla) gebe. Dies unterstreiche den universalen Charakter der Botschaft Jesu, die damit auch für muslimische Gläubige zur existenziellen Richtschnur werde. In ähnlicher Weise sieht der ägyptische Intellektuelle Fathî ‘Uthmân (1928–2010) in Jesus eine Ethik verkörpert, die in tätiger Liebe und im Einsatz für Gerechtigkeit zum Ausdruck kommt, wodurch Jesus für die islamische Gemeinschaft ebenfalls herausragenden Vorbildcharakter hat. Dabei benennt ‘Uthmân mit Blick auf Christologie, Trinitätslehre, Prophetenverständnis, Kreuzestod und Erlösungslehre deutlich die Unterschiede zwischen christlichem und islamischem Verständnis von Jesus, er betrachtet sie allerdings nicht mehr als unüberwindbares Hindernis für einen konstruktiven theologischen Dialog und fruchtbare interreligiöse Zusammenarbeit. Bis an die Grenzen dessen, was aus islamischer Perspektive über Jesu Kreuzestod ausgesagt werden kann, ist der ägyptische Mediziner und Humanist Muhammad Kâmil Husayn (1901–1977) in seinem 1954 veröffentlichten Buch »Stadt des Bösen« gegangen: Die Frage, ob Jesus gekreuzigt worden ist oder nicht, tritt in den Hintergrund angesichts der Tatsache, dass die Menschen die Absicht hatten, den Propheten Gottes zu töten – worin die Tiefe und Schwere der Sünde zu erkennen ist, die den Menschen existenziell zeichnet (Hussein 1994). Diese wenigen Beispiele sollen darauf hinweisen, dass sich das islamische Jesusbild im Verlauf der letzten Jahrzehnte nochmals diversifiziert hat und in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Verständnis durchaus auch manche traditionellen Polemiken überwunden werden konnten.

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1.6.  Zwischenbilanz: Der muslimische Jesus – Vielfalt innerhalb des islamischen Designs Mit der Verankerung der Gestalt Jesu im Koran war der Grund dafür gelegt, dass Jesus bei muslimischen Gläubigen nicht nur außerordentlich hohe Wertschätzung genießt, sondern als verpflichtender Grundbestand ihres Glaubens sogar zum integralen Bestandteil des eigenen, muslimischen Weges wurde, aus dessen Heilsperspektive er nicht mehr wegzudenken ist. Das theologische Verständnis und die innere Haltung gegenüber Jesus können dabei stark variieren, wenngleich – abgesehen von wenigen Ausnahmen in einigen von Mystik oder Volksreligiosität geprägten Traditionen  – die Wahrnehmung der Gestalt Jesu im Islam durch koranische Vorgaben geprägt ist und sich in die Grundorientierung des islamischen Glaubens einordnet. Daraus ergibt sich, dass muslimische Gläubige eine andere Beziehung zu Jesus pflegen und einen anderen Glauben an ihn praktizieren als christliche Gläubige. Gemeinsam können beide Jesus als ethisches Vorbild ehren, das die Menschen zum Glauben an Gott ruft. Der christliche Glaube geht dabei jedoch noch einen Schritt weiter, indem er in der Gestalt Jesu die Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf von Gott her überwunden und die Möglichkeit der Gemeinschaft des Menschen mit Gott eröffnet sieht – zwei Perspektiven, die der Konfiguration islamischen Glaubens signifikant entgegenstehen, da dieser daran festhält, dass die Grenze zwischen Schöpfung und Schöpfer unüberschreitbar ist.

2.  Jesus im Hinduismus: Realisierte Gottmenschlichkeit und spirituelles Prinzip Die oben gemachte Feststellung, dass Jesus im Hinduismus über viele Jahrhunderte aus naheliegenden Gründen keine herausragende Rolle spielen konnte – ganz einfach deshalb, weil er außerhalb des religionsgeschichtlichen Kontextes Indiens gewirkt hat –, wird von einigen Hindus durchaus bestritten. Denn die bereits erwähnte Tradition, auf die sich die Ahmadiyya beruft – dass Jesus nach seiner wie auch immer erfolgten Errettung vor dem Kreuzestod nach

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Nordindien ausgewandert sei und dort weiter gelehrt habe –, hat auch in Hindu-Kreisen positive Aufnahme gefunden. Als zusätzlicher Beleg wird in diesem Zusammenhang zudem oft das Bhavishya Purâna angeführt  – eines der 18 wichtigsten Purânas (wörtlich: »alte Geschichten«; nachvedische Schriften) des Hinduismus mit Sammlungen von Prophezeiungen über künftige Ereignisse (Bhavishya) –, das in einigen Versen Hinweise auf Jesus enthalten soll. Selbst der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indien, Jawaharlal Nehru, nahm in einem Brief an seine Tochter auf diese Überlieferung Bezug. Dies alles spiegelt wider, dass die Gestalt Jesu in vielen hinduistischen Traditionen inzwischen ein wichtiger Bestandteil geworden ist, was mit dem Hinweis auf den in Nordindien wirkenden Jesus nun auch noch historisch legitimiert werden soll. Wie sich jedoch mit einiger Sicherheit feststellen lässt, hat die Auseinandersetzung mit Jesus im indischen Kontext erst recht spät begonnen. Denn abgesehen von den kleinen Enklaven der sog. Thomaschristen ist das Christentum in Indien erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts im Zuge der europäischen Expansion von größeren Teilen der Bevölkerung als eigenständige Größe wahrgenommen worden. Dies führte allerdings dazu, dass Jesus zunächst vornehmlich mit einer fremden Religion in Gestalt europäischer Formen des Christentums in Verbindung gebracht wurde – er erschien gewissermaßen als Gottheit, die vornehmlich importierte Sitten, Denk- und Lebensweisen repräsentiert.

2.1.  Frühe neuhinduistische Ansätze Zu einer ersten umfassenderen Rezeption Jesu im Hinduismus kam es ab dem 19. Jahrhundert. Dabei fällt auf, dass die indischen Denker, die in ihrem Lehren und Handeln auf Jesus Bezug nahmen, zumeist durch christliche Bildungseinrichtungen gegangen waren. Die Auseinandersetzung mit der Gestalt Jesu ist zudem im Zusammenhang ihres Engagements gegen koloniale und religiöse Fremdbestimmung zu sehen. Ram Mohan Roy (1773–1833), der hinduistische Reformer und Begründer der für den Neuhinduismus wie für das moderne Indien

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so bedeutsamen Reformbewegung des Brahmo Samaj (wörtlich: »Gemeinschaft der Brahma-Verehrer«), sah in Jesus eine Leitfigur, deren ethische Botschaft und moralisches Handeln auch für Indien Vorbildcharakter haben konnte – ging es Roy doch darum, die indische Kultur wiederzubeleben und den Hinduismus durch umfangreiche Reformen zu modernisieren. Trotz – oder aufgrund – seines programmatischen Anliegens, die wahre Urreligion des Veda wiederherzustellen, sah er eine innere Verwandtschaft zwischen dem Monotheismus des Christentums und der in den vedischen Schriften überlieferten bilderfreien Gottesverehrung. Jesus jedoch spielte dabei lediglich als Repräsentant einer universalen Ethik eine Rolle. Noch einen Schritt weiter in seiner Annäherung an das Christentum ging Keshab Chandra Sen (1838–1884), Sozialreformer und aktives Mitglied des Brahmo Samaj, bevor er 1866 eine eigene Organisation gründete – den »Brahmo Samaj von Indien«, der in den folgenden Jahrzehnten weitere Abspaltungen und Neugründungen erlebte. Angezogen von der johanneischen Logoslehre sah er in Jesus eine von Gott durchdrungene Gestalt, die seiner Vision einer Transformation des Hinduismus Vorbild sein konnte – eines ganz neuen Hinduismus, der den Yoga und die Tradition der bhakti (der hingebenden Gottesliebe) sowie eine veränderte Form des Christentums als Mischung aus apostolischer Glaubenspraxis, moderner Zivilisation und Wissenschaft miteinander kombinieren sollte. Sein Schüler Protap Chunder Mozoomdar (1840–1905) knüpfte in seinem 1869 veröffentlichten Buch »The Oriental Christ« hieran an und stellte den Gedanken ins Zentrum, dass Jesus aufgrund seiner Selbstaufopferung zur Persönlichkeit geworden sei, in der das Göttliche Einzug gehalten habe. In allen skizzierten Modellen kommt ein typischer Grundzug (neu)hinduistischen Denkens zum Tragen: die Vorstellung, dass sich das Göttliche in menschlicher Form manifestiert und dass entsprechend eine Person wie Jesus als Manifestation des Göttlichen anerkannt werden kann. Doch im Kontext früher neuhinduistischer Ansätze gab es auch äußerst negative Reaktionen auf die Gestalt Jesu. Dayananda Sarasvati (1824–1883), der Begründer des Arya Samaj (wörtlich:

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»Gemeinschaft der Edlen«), einer am Ideal der Veden orientierten sozial-religiösen Reformbewegung, formulierte seine Sicht aus der Perspektive der Überzeugung von der Überlegenheit Indiens und des vedischen Hinduismus gegenüber der »irrationalen« Religion des Christentums, das er vornehmlich als Instrument des europäischen Kolonialismus betrachtet. Jesus selbst wird ausschließlich mit polemischen Äußerungen bedacht.

2.2.  Jesus in der Ramakrishna-Tradition Eine besonders wirkmächtige Tradition der hinduistischen Sicht auf Jesus geht auf eine der bedeutendsten Figuren des Neuhinduismus zurück, Sri Ramakrishna (1834–1886), einen Priester der HinduGöttin Kali, der im religionspluralen Bengalen lebte, wo er sich in verschiedene religiöse Traditionen einschließlich des Islams und des Christentums einführen ließ. Während der Meditation über eine Christusdarstellung hatte er die Erfahrung einer mystischen Verschmelzung mit Jesus gemacht, was der deutsche Künstler und Vedanta-Kenner Hans Torwesten so interpretiert: »Sein Erlebnis war … die Vision eines Hindu, der Christus auch gleich nach Hindu-Art in eine der zahlreichen Nischen stellte und als einen Avatar [avatâra; wörtlich: »Abstieg« – ein Gott, der die Gestalt eines Menschen oder Tieres annimmt; K.H.] verehrte – neben vielen anderen« (Torwesten 1993: 88). Die Besonderheit der Rezeption Jesu durch Ramakrishna ist darin zu sehen, dass er sich durch einen Hindu in das Christentum einführen ließ und – im Gegensatz etwa zu Ram Mohan Roy oder Keshub Chandra Sen – Jesus in ausschließlich hinduistischen Kategorien interpretierte. Wie die Begegnung Ramakrishnas mit Jesus in Form einer mystisch-visionären Verschmelzung vermuten lässt, handelt es sich bei dieser Begebenheit um eine Erfahrung in der Tradition hinduistischer bhakti-Frömmigkeit, bei der die höchste Stufe der Gottesliebe realisiert wird – in visionärer Schau wie im inneren Erleben. Der bedeutendste Schüler Ramakrishnas, Swami Vivekananda (1863–1902), führte die durch Ramakrishna begründete Tradition erfolgreich weiter. Bekannt wurde er im Westen durch seine Rede vor dem »Weltparlament der Religionen« anlässlich der Weltaus-

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stellung 1893 in Chicago sowie die nachfolgende Vortragsreise, auf der er die Relevanz der spirituellen Botschaft Indiens für die gesamte Welt verkündete. Diese Botschaft bezog sich in ihrem innersten Kern auf den hinduistische Vedanta (wörtlich: »Ende des Veda«), eine der bedeutsamsten und heute populärsten indischen religionsphilosophischen Traditionen, die von der Identität des individuellen »Selbst«  – âtman  – mit dem überindividuell Absoluten – brahman – ausgeht). Nachdem Vivekananda in New York die erste »Vedanta-Gesellschaft« ins Leben gerufen hatte, gründete er 1897 die Ramakrishna-Mission, die sich einerseits der Sozialarbeit in Indien, andererseits der religiösen Bildungsarbeit und der Verbreitung hinduistischer Spiritualität im Westen widmete. Vivekanandas synthetischer Gesamtentwurf, in dem er die (indische) Vorstellung einer inneren harmonischen Einheit aller Religionen mit dem (abendländischen) Gedanken einer evolutionären Religionsgeschichte sowie (östliche) Spiritualität und (westliches) Fortschrittsdenken miteinander zu verbinden suchte, stieß weit über Indien hinaus auf positive Resonanz, hat jedoch insbesondere das Bewusstsein gebildeter Kreise auf dem indischen Subkontinent geprägt. Jesus selbst kommt in diesem Zusammenhang insofern Bedeutung zu, als er als Mensch begriffen wird, der seine Bestimmung erlangt hat, indem das Göttliche in ihm präsent geworden ist. Diese Präsenz ist allerdings weder einmalig noch ausschließlich  – hier bleibt Vivekananda völlig im Horizont hinduistischer Vorstellungen –, da es nicht nur einen »Herabstieg« der Gottheit gibt; wenn Jesus ein avatâra ist, dann kann er nur einer von vielen sein. Auch andere Denker in der Tradition der Ramakrishna-Mission haben sich entsprechend über Jesus geäußert und ihn gewürdigt – stets im Rahmen der von Vivekananda konzipierten Gesamtschau. So bekennt sich etwa Swami Abhedananda (1866–1939), der ab 1897 für 25 Jahre der Vedanta-Gesellschaft in New York vorstand und ausgedehnte Vortragsreisen in westlichen Ländern unternahm, zu Jesus als Inkarnation Gottes, identifiziert allerdings das »Kirchentum« (churchianity), wie er es nennt, mit Alkoholhandel, Dogmatismus und westlicher Arroganz. Der Titel des »Christus« repräsentiert für ihn dabei »den höchsten Zustand des Gottesbewusstseins, der für jeden Menschen erreichbar ist … Ziel ist es also

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nicht, ein Christ, sondern ein Christus zu werden. Der Begriff der Inkarnation wird vom religiösen Evolutionismus gefüllt« (Hummel 2004: 122). Swami Ranganathananda (1908–2005), von 1998 bis zu seinem Tod Präsident der Ramakrishna-Mission, hat sich bereits 1960 in einer Veröffentlichung mit der Gestalt Jesu beschäftigt und wie schon seine Vorgänger die Gottesnähe Jesu in den Mittelpunkt seiner Betrachtung gestellt. Doch bei ihm wird ebenfalls deutlich, dass Jesus entsprechend hinduistischer Kategorien zur Darstellung kommt; auch sein Verständnis Jesu rekurriert letztlich auf den Gedanken der Identität von âtman und brahman.

2.3.  Jesus als Satguru und Krishna-Jesus Eine ähnliche, aber auf ältere Traditionen zurückgehende Sicht Jesu findet sich in der Repräsentation Jesu als Satguru – als wahrer Lehrer, der mehr ist als bloß ein spiritueller Führer, sondern der als perfekter Meister in seiner Person gleichermaßen sein wahres Selbst und die allgegenwärtige Gottheit realisiert. Diese Überlieferung lässt sich bis ins 15. / 16. Jahrhundert auf Gestalten wie den hindumuslimischen Mystiker Kabir (1440–1518) oder den bengalischen Mystiker der ekstatischen Gottesliebe, Chaitanya (1486–1533), zurückführen. Neuhinduistischen Entwürfe, wie sie insbesondere in der Tradition der Reformbewegung der Sant Mat (»Pfad der Meister«) entwickelt wurden, haben dann das Konzept des Satguru auf Jesus übertragen, allerdings mit einer gewissen Einschränkung versehen: Jesus sei wohl als Satguru seines Zeitalters anzusehen, aber für die Suchenden unserer Zeit bedürfe es des spirituellen Zusammentreffens (satsang) mit einem erleuchteten Meister der Gegenwart und der durch ihn vollzogenen Initiation. Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei anderen neuhinduistischen Gruppierungen. Sathya Sai Baba (1926–2011) etwa sah sich selbst als vollwertigen avatâra und beanspruchte, Jesu Reinkarnation zu sein, betrachtete diesen aber lediglich als Teil-avatâra. Swami Prabhupada (1896–1977) wiederum, der Gründer der sog. Hare-Krishna-Bewegung (»Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein«), betrachtet Jesus – wie auch Mohammed oder Mose – als Repräsentation Gottes und identifiziert ihn sogar mit der Gestalt Krishnas:

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»Eigentlich macht es keinen Unterschied – Krishna oder Christus – der Name ist derselbe« (zit. nach Schmidt 2002: 133). Die Identifikation Jesu mit Krishna ist jedoch weit über die Hare-Krishna-Bewegung hinaus verbreitet. Ähnlichkeiten in den Geburts- und Kindheitslegenden und zwischen anderen legendarischen Elementen aus den Biographien beider Gestalten haben Spekulationen über die Beziehung zwischen Jesus und Krishna immer wieder neue Nahrung gegeben, und entsprechende Vorstellungen konnten auch in viele neuhinduistische Traditionen Eingang finden. Sei es, dass Jesus dabei als Krishnas Sohn, als Geschwisteravatâra oder als Christus-Krishna betrachtet wird – stets bleibt der Referenzrahmen die Vorstellung, dass Jesus als ein avatâra unter vielen die eine Botschaft – die Identität von âtman und brahman – verkündigt und in hingebender Gottesliebe (bhakti) in seiner Person selbst verwirklicht hat, wodurch er denen, die sich auf ihn beziehen, die Möglichkeit eröffnet, diese Identität mit dem Göttlichen in sich selbst zu erkennen. Entsprechend spielen bei dieser Sicht Jesu allerdings Themen wie Leiden und Kreuzestod keine Rolle – Jesus selbst war nach hinduistischer Sicht jederzeit allem physischen Leiden enthoben. So meinte Maharishi Mahesh Yogi (1918–2008), der Begründer der »Transzendentalen Meditation«: »Ich glaube nicht, dass Christus je gelitten hat oder überhaupt leiden konnte« (zit. nach Yamamoto 1998: 48).

2.4  Jesus zwischen universaler Humanität und politischer Ethik Der Philosoph, Dichter und Literaturnobelpreisträger Rabindranath Thakur (Tagore; 1861–1941) hat in seinem literarischen Gesamtwerk immer wieder große Wertschätzung für Jesus geäußert. Er sah in Jesus ein Vorbild, das nicht nur die von ihm verkündete Wahrheit selbst gelebt, sondern damit gleichermaßen die Göttlichkeit des Menschen wie auch die Menschlichkeit Gottes verkörpert habe, weshalb er so etwas wie eine alldurchdringende Seele repräsentiere  – ein Gedanke, der erkennen lässt, wie sehr auch Thakurs humanistisches Jesus-Verständnis der hinduistischen Tradition verpflichtet bleibt.

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Noch intensiver hat sich Mahatma Gandhi (1869–1948) in vielen seiner Ansprachen und Schreiben wiederholt auf Jesus bezogen. Dessen Leben und Lehre erscheint ihm als Ausdruck des göttlichen Geistes, so dass er ihn in diesem Sinne sogar als »Sohn Gottes« bezeichnen kann. Aufgrund der Beziehung Jesu zur Transzendenz geht seiner Meinung nach die Bedeutung Jesu weit über das Christentum hinaus: Jesus gehört der ganzen Menschheit. Den Kreuzestod Jesu würdigt Gandhi mit dem Hinweis darauf, dass Jesus durch seine Bereitschaft, alles – sogar sein eigenes Leben – hinzugeben, ohne eine Gegengabe zu erwarten, zum höchsten Vorbild geworden sei. Beeindruckt von der Bergpredigt  – die ihm neben der Bhagavadgîtâ (wörtlich: »Gesang des Erhabenen«, eine der zentralen Schriften des Hinduismus) zum persönlich bedeutsamsten religiösen Text wurde – hat er in Jesus zudem die Verwirklichung der satyâgraha gesehen, des von ihm entwickelten Prinzips der durch Gewaltlosigkeit und Vernunft verwirklichten »Kraft der Wahrheit«. Wenngleich Gandhi der Gestalt Jesu in seinem Denken und Leben einen bedeutsamen Stellenwert einräumt und in vielen seiner Äußerungen weiter geht als andere hinduistische Denker, bleibt er doch insgesamt mit seiner Sicht Jesu innerhalb des Rahmens des Neuhinduismus. Jesus ist vornehmlich das große ethische Vorbild für die gesamte Menschheit, und entsprechend würdigt er ihn als Persönlichkeit, die das Leben aller Menschen berühren und verwandeln kann, weil durch ihre Worte und Taten Gottes Geist wirkt. Bei genauerem Besehen wird zudem deutlich, auf welche Weise Jesus für Gandhi als spirituelle Quelle politischer Ethik bedeutsam wird: Was Jesus in der Bergpredigt verkündigt und zugleich in seiner Person verkörpert, steht im Einklang mit den spirituellen Werten des Hinduismus, da es in demselben übergeschichtlichen Prinzip wurzelt – der satyâgraha –, aus dem sich alles ethisch verantwortbare Handeln speist. Gandhis Verständnis von Jesus war trotz großer Wertschätzung nicht völlig frei von Ambivalenzen – immerhin waren seine politischen Gegner im Kampf um die Unabhängigkeit Christen, und das vorfindliche, konkrete Christentum, das er vornehmlich mit den Schattenseiten der europäischen Zivilisation identifizierte, berief sich auf Jesus. Noch stärker kommen diese Ambivalenzen zum Tra-

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gen bei Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975), Religionsphilosoph und von 1962 bis 1967 Präsident Indiens. Angriffe auf das Christentum, das seiner Meinung nach den unverfälschten Glauben Jesu in ein starres Dogma verkehrt habe, bei dem es nur auf die Bekehrung anderer ankäme, stehen Aussagen gegenüber, die Jesus aufs Höchste als den reinsten Quell göttlicher Ressourcen preisen. Die Auferstehung deutet Radhakrishnan als Transformation des Menschen Jesu zum universalen göttlichen Geist, womit Jesus allen Menschen als prototypisches Leitbild den spirituellen Weg gewiesen habe: Jeder Mensch kann zum Christus werden. So sehr Gandhi und Radhakrishnan in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit das hinduistische Jesusbild vornehmlich der hinduistischen Gebildetenschicht mit bestimmt haben mögen, so wenig dürfte es heute in Indien selbst noch prägend sein, wenngleich sich einige Züge davon beispielsweise auch im Bereich der hinduistischen politischen Ideologie finden. Mit der Verbreitung des politischen Hinduismus in Gestalt des Hindu-Nationalismus der Hindutva-Bewegung ist es in den letzten Jahren immer wieder zu Übergriffen auf die christliche Minderheit in Indien gekommen, wenngleich die führenden Vertreter dieser Bewegung wiederholt beteuert haben, dass auch Nichthindus in Indien ihren Glauben frei leben dürften, solange sie ihrer Verpflichtung gegenüber der Nation, der Gesellschaft und der Tradition nachkommen – mehr noch: Schon jetzt, so wird argumentiert, gebe es »christliche Hindus«, also Hindus, die an Christus glauben und ein christliches Leben führen, sich aber bei der Ausübung ihrer nationalen Pflichten an hinduistischen Werten orientieren. Unabhängig davon, dass diese liberalen Äußerungen in einer Spannung zu der oftmals rigiden politischen Praxis stehen, kommt darin eine durchaus charakteristische hinduistische Vorstellung zum Ausdruck, nämlich die von der individuellen Wahlfreiheit der Verehrung einer persönlichen Gottheit (ishtadevatâ) bei gleichzeitiger Ausrichtung der gesamten Lebenspraxis auf die Normen und Erwartungen der hinduistischen Umwelt. Die hinduistische Lebensform zu praktizieren – den »Hindu way of Life«, wie es Radhakrishnan genannt hat –, schließt nach diesem Verständnis den Glauben an Christus nicht aus.

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2.5  Zwischenbilanz: Der hinduistische Jesus – âchârya und jîvanmukta Der hinduistische Jesus scheint so vielfältig und komplex wie der Hinduismus selbst. Dennoch lassen sich einige übergreifende Charakteristika herausdestillierten, die deutlich machen, dass die Rezeption bzw. Integration Jesu nach den Mechanismen eines dem Hinduismus ganz eigentümlichen Prinzips verläuft, das als Inklusivismus beschrieben worden ist (Oberhammer 1983). Dabei bleiben allerdings wesentliche hinduistische Grundannahmen erhalten  – so etwa die Vorstellung, dass Jesus als eine Erscheinungsform des Göttlichen (von vielen möglichen) »herabgestiegen« ist (avatâra) und in der Welt als spiritueller Meister (âchârya) die hingebende Gottesliebe (bhakti) personalisiert. Als jîvanmukta verkörpert Jesus zudem innerhalb der Tradition des Advaita-Vedanta (wörtlich: »Vedanta der Nicht-Dualität«) denjenigen, der bereits jetzt durch die Erkenntnis der Identität seines individuellen Selbst mit dem Absoluten bzw. des Menschlichen mit dem Göttlichen – also des âtman mit dem brahman – die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten verwirklicht hat. Als religiöse Leitfigur repräsentiert er in diesem Sinne das Ziel des Menschen, selbst Christus zu werden. Seine Vorbildfunktion für die praktische Lebensführung wiederum erlangt Jesus im Hinduismus dadurch, dass er auf der Grundlage dieser spirituellen Autorität, in der Lehre und Person eins sind, zum personifizierten Prinzip ethischen Handelns wird. Konstitutive Elemente des christlichen Jesusverständnisses wie Leiden oder Kreuzestod bleiben ausgespart oder werden umgedeutet; zu krass stehen sie in Widerspruch zur für den Hinduismus so charakteristischen Denkform des »identifikatorischen Habitus«, die von der grundlegenden Einheit des Anderen mit dem Eigenen ausgeht  – der »Festlegung einer Identität durch ihre Gleichsetzung mit etwas anderem« (Michaels 2012: 21).

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3.  Kontextuelle Jesusdeutungen aus der Perspektive Interkultureller Theologie 3.1.  Vom Jesus der Religionen zu kontextuellen Christologien Ein fortgesetzter Streifzug durch die weitere Religionswelt könnte in vielen Facetten vor Augen führen, was hier in aller gebotenen Kürze exemplarisch skizziert wurde: wie Jesus in unterschiedlichen Religionen präsent ist und repräsentiert wird. Für das Judentum etwa kommt Jesus vornehmlich in seiner historischen Gestalt als Jude in den Blick, und entsprechend werden alle Aussagen über Jesus, die als spätere Gemeindebildungen erkennbar sind und den (christlich) »geglaubten« Christus konstituieren, zurückgestellt. Nach jüdischem Verständnis hat Jesus nichts über die Heilsbedeutung von Kreuzestod und Auferstehung verkündet; Jesus ist Mensch und Mit-Bruder, nicht Messias. Gewissermaßen auf der anderen Seite des Spektrums der Religionswelt blickt etwa der Buddhismus als eine der am zyklisch-wiederkehrenden Geschichtsverständnis orientierten Großtraditionen aus ähnlichen Perspektiven wie der Hinduismus auf Jesus und ist wohl deshalb auch ebenso wenig am historischen Jesus interessiert. Jesus wird im Buddhismus am ehesten noch als bodhisattva greifbar, als Gestalt, die aus Mitleid mit den unerlösten Wesen, die weiterhin dem ewigen Kreislauf des Entstehens und Vergehens (samsâra) unterworfen sind, auf den Eingang ins nirvâna – den Zustand des Austritts aus dem samsâra – verzichtet. Auch gibt es eine gewisse Sympathie für paulinische oder johanneische christologische Konzepte – so etwa mit Blick auf Aussagen wie die des Paulus, dass nun nicht mehr »ich« lebe, sondern dass Christus in mir lebt (Gal 2,20), oder in Bezug auf Aussagen der »Entäußerung« Christi wie im Christushymnus aus dem Philipperbrief (Phil 2,6–11). Die entsprechenden Vorstellungen lassen sich nämlich gut mit zentralen buddhistischen Entwürfen in Beziehung setzen – so beispielsweise mit dem des insbesondere im Zen-Buddhismus ausgearbeiteten Gedankens der Nicht-Dualität und ihrer Erfahrung oder mit der Lehre von der Leerheit (shûnyatâ) im Mahâyâna-Buddhismus und den von ihm beeinflussten Richtungen. In den philosophischen

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Traditionen des Buddhismus war insbesondere die sog. KyotoSchule bemüht, die Kenosis-Christologie aus der Perspektive der anâtman- oder »Nichtselbst«-Lehre zu deuten – der Theorie, dass der empirischen Person, wie letztlich allen Dingen, kein »Wesenskern« eignet, sondern dass alles aus vergänglichen Daseinsfaktoren zusammengesetzt ist. Diese kurzen Schlaglichter lassen zumindest schemenhaft erkennen, was eine Beschäftigung mit Vorstellungen über Jesus in anderen Religionen weiter illustrieren würde: dass sich das Jesusbild stets an den je vorgegebenen Parametern der eigenen Religion orientiert und dass im Zuge seiner Rezeption Jesus so präsent wird – und repräsentiert wird –, wie es der jeweiligen Grundkonfiguration entspricht – sei es durch selektive Integration und Ausgrenzung wie im Falle des Islam, sei es durch Inklusivismus und Identifikation wie im Falle des Hinduismus. Dabei steht außer Frage, dass Jesus wohl mehr als jede andere Figur auch außerhalb des Christentums integraler Teil der Religions- und Weltgeschichte geworden ist. Ob die Anhänger außerchristlicher Religionen und Kulturen der These einer »axialen Signifikanz« Jesu (Jongeneel 2009: 379 ff.) uneingeschränkt zustimmen würden, kann allerdings bezweifelt werden. Aus ihrer Perspektive heraus wäre die axiale Signifikanz vermutlich zunächst an anderer Stelle zu identifizieren: als das Ereignis der Mitteilung des Gotteswortes, des Koran (qur’ân), im Islam, als das In-Bewegung-Setzen des Rades der Lehre, des vom Buddha verkündeten dharma, im Buddhismus, oder als der in den Veden bezeugte Aufstieg des kosmischen Urlautes (om), der die ewige Ordnung, den sanâtana dharma, aus sich heraus setzt, im vedisch orientierten Hinduismus. Für das Christentum jedenfalls steht die Zentralität Jesu Christi außer Frage, selbst wenn in den letzten Jahrzehnten durch das globale Erstarken der Pfingstbewegung die Erfahrung des Geistes stärker in den Vordergrund gerückt zu sein scheint. Wie genau jedoch die Gestalt Jesu Christi zu deuten ist, war in der Christentumsgeschichte schon immer strittig. Das Ringen um diese Deutung ist im Zuge der neuzeitlichen Missionsgeschichte durch die Begegnung des Christentums mit anderen Religionen und Kulturen nochmals um zusätzliche Dimensionen erweitert worden. Denn die

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Kirchen haben in ihren unterschiedlichen kulturellen und religiösen Kontexten die Gestalt Jesu Christi auf je neue Weise begreifen und erfahren gelernt. Sie mussten nämlich einerseits die Bedeutung Jesu in diese zunächst fremden Umgebungen hinein interpretieren und sich andererseits mit nichtchristlichen Jesus-Deutungen auseinandersetzen. So sind »kontextuelle Christologien« entstanden, die ihre Evidenz häufig erst dadurch gewannen, dass sie aus je konkreten Lebenswelten heraus entwickelt wurden und sich nur auf der Grundlage einer ganz spezifischen Aneignung der Gestalt Jesu ausbilden konnten.

3.2.  Kontinuität – Diskontinuität: Aneignungsprozesse am Beispiel des afrikanischen Jesus Wie im Falle von Buddhismus oder Hinduismus ist die Rezeption Jesu in den meisten Religionen und Kulturen erst vergleichsweise spät und häufig im Kontext der kolonialen Expansion Europas sowie der Begegnung mit der neuzeitlichen Missionsbewegung erfolgt. In diesem Zusammenhang bestand (und besteht zumeist immer noch) für die Mitglieder der neu gegründeten christlichen Kirchen die Aufgabe darin, sich die zunächst fremde – und zumindest anfangs durch und durch europäisch geprägte – Gestalt Jesu so anzueignen, dass sie nicht weiterhin fremd-europäisch bleibt, sondern für Glaube, Leben und Alltag relevant werden kann. Für das Christentum in Afrika ergibt sich diesbezüglich die besondere Herausforderung, dass Jesus keine genealogische Verwurzelung in Afrika hat, was es afrikanischen Christinnen und Christen zunächst schwierig macht, ihn ohne Weiteres als einen der Ihren anzuerkennen. Während es in der Frage der Gotteslehre vergleichsweise problemlos möglich war und ist, theologisch zwischen afrikanischen religiösen Traditionen und christlichem Glauben Kontinuitäten zu identifizieren und beispielsweise schöpfungstheologisch zu begründen, stellt sich dies mit Blick auf die Bedeutung Christi weitaus schwieriger dar. Zwar wurde immer wieder auch und gerade von afrikanischen Theologen betont, dass jede Theologie von der Christologie her zu entwerfen sei, da Gott den Menschen in Jesus Christus begegne und ihnen durch diese Begegnung eine neue Beziehung zu sich und ihren

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Mitmenschen eröffne. Doch trotz dieser Bekräftigung finden sich profilierte christologische Entwürfe recht selten, sind oftmals wenig markant ausgearbeitet und nehmen innerhalb der afrikanischen Theologie insgesamt keine zentrale Stellung ein. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zu dem erwähnten Fehlen einer genealogischen Verbindung zu Jesus, woraus das Problem erwächst, dass er im Vergleich zu den Ahnen und traditionellen Göttern nicht über organisch gewachsene spirituelle Autorität verfügt, kommen weitere Herausforderungen. So gibt es in den traditionellen afrikanischen Kulturen und Religionen in der Regel kein Geschichtsverständnis in linear-teleologischem Sinne, was es schwierig macht, den historischen Charakter der Gestalt Jesu und der darauf basierenden Christologie in diesem Kontext zu verankern. Zudem ist der Gedanke der Inkarnation im Allgemeinen ebenso unbekannt wie die Vorstellung eines Religionsgründers. Dies alles hat dazu geführt, dass nicht nach Kontinuitäten zwischen afrikanischen Kulturen oder Religionen und der Gestalt Jesu gesucht wird, sondern nach Analogien und funktionalen Äquivalenzen. Entsprechende Bemühungen gehen beispielsweise dahin, die Bedeutung Jesu mit Blick auf politische Führungsfunktionen mittels traditionell-afrikanischer Ämterbezeichnungen oder Titel aufzuschließen – als »Häuptling«, König, Sprecher des Königs etc. Doch einerseits drohen dabei wesentliche Aspekte wie der des Kreuzestodes zugunsten eines triumphalistischen Herrscherverständnisses ausgeblendet zu werden, andererseits entspricht die stets nur relative Macht dieser Amtsinhaber mitnichten dem neutestamentlichen Kyrios-Titel. Ein weiterer Versuch zielt darauf, Jesus in der Funktion eines »Initiationsmeisters« zu begreifen. Dabei muss jedoch vom konkreten Initiationsgeschehen und seinen Inhalten weitgehend abstrahiert werden, und die Gestalt Jesu bleibt dem Vorgang selbst gegenüber äußerlich. Wenn Jesus wiederum analog der Funktion eines Heilers erfasst werden soll, droht die Gefahr, dass er lediglich als mirakulöser Wunderdoktor in den Blick kommt. Theologische Ansätze, die vornehmlich funktional-existenzielle Äquivalenzen in den Mittelpunkt stellen, haben demgegenüber den Vorteil, dass sie mehr auf Situationen der konkreten Lebenspraxis Bezug nehmen als auf theoretisch-dogmatische Überlegungen.

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Wenn Jesus entsprechend als Mit-Bruder erscheint, der dem Menschen konkret begegnet und zur Seite steht, bleibt jedoch nach wie vor die Frage unbeantwortet, wie er trotz fehlender genealogischer Verbindungen Teil der eigenen Gemeinschaft werden kann. Der katholische Theologe Bénézét Bujo hat in Reaktion auf diese Aporie ein theologisches Konzept entwickelt, das Jesus Christus als »ProtoAhn« begreift: Einerseits wird die historische Gestalt Jesu in die Ahnenreihe integriert, andererseits jedoch transzendiert Jesus als geglaubter Christus diese Ahnenreihe. Auf diesem Wege hofft Bujo, den Jesus der Geschichte und den Christus des Glaubens organisch mit der Ahnenwelt in Beziehung setzen und so im afrikanischen Kontext inkarnieren zu können. Doch auch dieser große theologische Entwurf bleibt nicht unproblematisch, wie an nur zwei Aspekten beispielhaft beleuchtet werden kann: Die Rolle der Ahnen etwa ist im afrikanischen Kontext durchaus mehrdeutig; sie sind nicht einfach »von Natur aus« gut und agieren entsprechend als moralisch ambivalente Akteure, und so fragt sich, wie Jesus Christus als »Proto-Ahn« dieser Ambivalenz entzogen sein könnte. Zudem ist Jesus mit der Kreuzigung im doppelten Sinne einen »bösen Tod« gestorben, wobei besonders schwer wiegt – mehr noch als die im jungen Alter erfolgte Hinrichtung –, dass er keine Nachkommenschaft hinterlassen hat; wie kann er da zum Idealtyp eines Ahnen werden, der seine herausragende Stellung doch einem langen, erfüllten Leben und reichem Kindersegen verdankt? Christologien »von unten«, die auf einem Verständnis von Jesus aufbauen, das sich gewissermaßen induktiv aus den Alltagserfahrungen afrikanischer christlicher Gemeinden heraus entwickelt, scheinen gegenüber theologischen Entwürfen wie dem eben skizzierten auf treffendere Weise funktionale Äquivalenzen identifizieren zu können. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, wie folgendes Beispiel zeigt: Während sich dem Hirtenvolk der Maasai auf den ersten Blick die Verwendung der Bezeichnung »Guter Hirte« als christologischer Titel nahelegt, um durch eine funktionale Analogisierung die Gestalt Jesu im Zentrum der nomadischen Lebenswelt zu verankern und so eine authentische Aneignung Jesu in einem vertrauten kulturellen Kontext zu ermöglichen, ist dieser Titel für einen solchen Zweck gerade nicht tauglich, da er lediglich auf eine

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Alltagstätigkeit verweist und folglich nicht mit der Vorstellung religiöser Autorität konnotiert ist. Besser geeignet sind Titel wie der des Altersgruppenherolds, der auf analoge Funktionen Jesu als Lehrer, Fürsprecher und Mittler zu Gott verweist, oder der des »Erstgeborenen Erben des Vaters«: »Er ist … der direkte Repräsentant des Vaters gegenüber den Nachkommen… In ihm wird der Vater selbst als gegenwärtig angesehen« (Richebächer 2003: 335). Die Stärke der zuletzt genannten Beispiele – die Aneignung Jesu durch seine Verankerung in einer spezifischen kulturellen Lebenswelt – ist zugleich ihre Schwäche. Wenn nämlich eine Jesusdeutung und eine darauf aufbauende Christologie nicht nur ausschließlich für einen ganz spezifischen Kontext gültig sein sollen, wie in diesem Falle für die Hirtenkultur der nomadisierenden Maasai, stellt sich die Frage, welche Kriterien und Bedingungen erfüllt sein müssen, damit dieses Verständnis Jesu auch den je konkreten kulturellen Kontext transzendieren kann, um ebenfalls jenseits partikularer Aneignungsprozesse übergreifende Relevanz zu erlangen. Dabei ist zugleich darauf zu achten, nicht in das andere Extrem zu verfallen, eine bestimmte Jesusdeutung zur dogmatischen Grundlage einer kontextunabhängigen Leitchristologie zu deklarieren und sie damit in den Modus dekulturierter Allgemeingültigkeit jenseits kultureller Ausdrucksformen einrasten zu lassen. Bei der Suche nach Kriterien und Bedingungen für solche transkontextuell relevante Jesusdeutungen ist jedoch zusätzlich zu fragen, ob es sinnvoll ist, diese in Gestalt eines starren Rasters generischer, also in einem allgemeingültigen Sinne verwendeter Charakteristika kulturübergreifender Jesusdeutungen und Christologien festzulegen. Die Problematik eines solchen Vorhabens zeigt sich unter anderem schon bei der Frage, wem es eigentlich zustehen soll, ein solches Raster verbindlich festzulegen, also der Frage nach den Autorinnen oder Autoren bzw. den Subjekten transkontextueller Jesusdeutungen. Bereits zuvor dürfte außerdem von entscheidender Bedeutung sein, wer innerhalb einer gegebenen Kultur darüber verfügt, welches kontextualisierte Verständnis der Gestalt Jesu im Rahmen kultureller Aneignungsprozesse Gültigkeit beanspruchen darf – und was diesen Kontext selbst letztlich ausmacht.

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3.3.  Kontextkritische Jesusdeutungen zwischen Kulturalismus und Dekulturation Im Zuge interkultureller »Übersetzungen« der Gestalt Jesu im Medium außerchristlicher Religionen und Kulturen sind insbesondere in der außereuropäischen Christenheit – aber nicht nur dort! – »inkulturierte« Jesusdeutungen und kontextuelle Christologien entstanden, die nicht bloß zu überkommenen Erfahrungen und »Lesarten« in Spannung stehen, sondern sich auch gegenseitig hinterfragen. Christliche Dalits etwa – indische »Kastenlose« – artikulieren deutlichen Widerspruch gegen solche »inkulturierten« Jesusdeutungen, die indirekt auf eine Billigung des brahmanisch-hinduistischen Gesamtsystems hinauslaufen könnten. Entsprechend wehren sie sich ausdrücklich gegen »sanskritisierende« Interpretationen von Jesus als avatâra oder als Realisierung der gottmenschlichen Einheit in der Tradition des Advaita-Vedanta und rücken stattdessen mit der Betonung auf Leiden und Kreuzestod Jesu solche Aspekte ins Zentrum, die einem hinduistisch inkulturierten Jesus-Verständnis diametral entgegenlaufen. Kulturalistische Jesusdeutungen und Christologien können also in unauflösbare Aporien führen. Offensichtlich kommt es entscheidend darauf an, wer von welchem gesellschaftlichen Ort aus die Diskurse über die Deutung der Gestalt Jesu innerhalb konkreter kultureller Lebenswelten bestimmt. Neben die Frage der soziokulturellen und politischen Verortung der Produzenten dieser Jesusdeutungen – ob es sich also um Angehörige der Eliten oder Subalterne handelt oder ob sie Mitglieder der kirchlicher Hierarchie oder kritische religiöse Außenseiter sind – tritt die Frage der Geschlechterzugehörigkeit. Diesbezüglich ist in der Regel festzustellen, dass Frauen, aber auch sozial Benachteiligte oder kulturell Marginalisierte häufiger solche Jesusdeutungen priorisieren, die eine Dynamisierung bestehender Ordnungen implizieren, während Männer und Etablierte christologische Entwürfe favorisieren, die stärker auf die Wahrung und Stabilisierung bestehender Verhältnisse abheben – selbst dann, wenn sie in denselben kulturellen Kontexten leben. Eine verantwortliche Auseinandersetzung mit der Herausforderung der Bedeutung Jesu im Horizont Interkultureller Theologie

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kann sich also nicht darauf beschränken, das Vorliegen inkulturierter Jesusdeutungen und Christologien als Abschluss der Debatte um die Aneignung Jesu in den jeweiligen kulturellen Kontexten zu akzeptieren. Vielmehr ist die Frage offenzuhalten, was in der »axialen Signifikanz Jesu« für das Christentum jenseits kontextuellkultureller Varianten als Gemeinsames identifiziert werden kann – vielleicht sogar in manchmal notwendigerweise kontextkritischer Stoßrichtung –, und wie dies geschehen soll. Darauf wird es keine einfachen, schnellen Antworten geben können. Auf jeden Fall sollte deutlich geworden sein, dass Jesusdeutungen und Christologien innerhalb eines bestimmten kulturellen Kontextes nicht einfach a priori entsprechend einer bestimmten unbestreitbaren kulturalistischen Prägung festgelegt sind, sondern erst diskursiv zwischen unterschiedlichen Akteuren ausgehandelt werden  – und durchaus strittig bleiben können. Weitere Aushandlungsprozesse finden zudem beispielsweise auch an den Schnittstellen von lokalen und globalen Diskursen über Jesusdeutungen statt. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass es im Gespräch zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Kulturen zur Ausformung »transkultureller« Jesusdeutungen und Christologien kommen kann – wobei »transkulturell« nicht im Sinne einer »Einheit der multikulturellen Christologien« (Ohlig 1991) jenseits kultureller und historischer Kontextualitäten zu verstehen ist, sondern als vielseitiger und durchaus widersprüchlicher dynamisch-diskursiver Aushandlungsprozess, dessen Ausgang zunächst offen bleibt. Dabei kann es durchaus auch zur Entfaltung »hybrider« Jesusdeutungen und Christologien sowie an Jesus Christus ausgerichteter und auf ihn bezogener »synkretistischer« Praktiken und Lebensformen kommen, die über die vermeintlich eng gezogenen Grenzen des Christlichen hinausweisen. So findet sich etwa auf dem indischen Subkontinent eine Reihe von Beispielen dafür, dass manche Menschen, für die Jesus im Mittelpunkt ihres Lebens steht, die Verehrung Christi in Gestalten hinduistischer oder islamischer Frömmigkeit und Religiosität zum Ausdruck bringen. Dies verweist »jenseits zeitgenössischer systematisch-theologischer Modelle interreligiöser Beziehungen in Richtung auf einen ›christozentrischen Pluralismus‹, der … für die Christenheit im Zeitalter

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der Globalisierung charakteristisch werden könnte« (Joergensen 2008: 8). Ungeachtet dessen gehört aus der Perspektive Interkultureller Theologie aber auch und gerade die Kontroverse um konkurrierende Jesusdeutungen zur Signatur gegenwärtigen Christentums im Kontext postkolonial beschleunigter Globalisierungsprozesse. Da Jesus Christus zudem in anderen Religionen und Kulturen auf unterschiedliche und mannigfaltige Weise präsent ist und repräsentiert wird, erstreckt sich die Debatte überdies auf die Frage der Jesusdeutungen außerhalb der Christentumsgeschichte im engeren Sinne. Dabei dürfte auch in Zukunft strittig bleiben, wie diese einzuschätzen und zu bewerten sind.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1.  Quellen und Übersetzungen Abbas Mahmud al-‘Aqqad: The Genius of Christ. A modern Muslim assessment of Jesus. A translation and Analysis of Abbas Mahmud al-‘Aqqad’s The Genius of Christ by F. Peter Ford, Binghampton 2001. (Swami) Abhedananda: Why a Hindu accepts Christ and rejects Churchianity, Calcutta 196511. (Swami) Akhilananda: Hindu View of Christ, Boston 1973. Barker, Gregory A. / Gregg, Stephen E. (Hrsg.): Jesus Beyond Christianity – the Classic Texts, Oxford u. a. 2010. Barker, Gregory A.: Jesus in the World’s Faith. Leading Thinkers from Five Religions Reflect on His Meaning, Maryknoll 2005. Griffith, Paul J. (Hrsg.): Christianity Through non-Christian Eyes, Maryknoll 1990. Khalidi, Tarif: Der muslimische Jesus. Aussprüche Jesu in der arabischen Literatur, Düsseldorf 2002. Loth, Heinz-Jürgen / Mildenberger, Michael / Tworuschka, Udo (Hrsg.): Christentum im Spiegel der Weltreligionen. Kritische Texte und Kommentare, Stuttgart 1986³. Mozoomdar, Protap Chunder: The Oriental Christ, Boston 1883. Nurbakhsh, Javad: Jesus in den Augen der Sufis, Köln 1995. Tagore, Rabindranath: Jesus, die große Seele, München u. a. 1995.

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2. Sekundärliteratur Hummel 2004: Hummel, Reinhart: »Wir Hindus verstehen Christus besser als ihr Christen«. Jesus im Hinduismus, in: Werner Zager (Hrsg.), Jesus in den Weltreligionen, Neukirchen-Vluyn 2004, 115–133. Hussein 1994: Hussein, M. Kamel: City of Wrong, Oxford 1994. Joergensen 2008: Joergensen, Jonas Adelin: Jesus Imandars and Christ Bhaktas. Two Case Studies of Interreligious Hermeneutics and Identity in Global Christianity, Frankfurt a. M. 2008. Jongeneel 2009: Jongeneel, Jan A.B.: Jesus Christ in World History. His Presence and Representation in Cyclical and Linear Settings, Frankfurt a. M. u. a. 2009. Michaels 2012: Michaels, Axel: Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 2012². Nguvugher 2010: Nguvugher, Chentu Dauda: Conflicting Christologies in a Context of Conflicts. Jesus, the Īsāwā and Christian-Muslim Relations in Nigeria, Bukuru 2010. Oberhammer 1983: Oberhammer, Gerhard (Hrsg.): Inklusivismus – eine indische Denkform, Wien 1983. Ohlig 1991: Ohlig, Karl-Heinz: Gibt es eine Einheit der multikulturellen Christologien? Transkulturelle Christologie als Herausforderung, in: Hermann Dembowski / Wolfgang Greive (Hrsg.), Der andere Christus. Christologie in Zeugnissen aus aller Welt, Erlangen 1991, 186–205. Richebächer 2003: Richebächer, Wilhelm: Religionswechsel und Christologie. Christliche Theologie in Ostafrika vor dem Hintergrund religiöser Syntheseprozesse, Neuendettelsau 2003. Schmidt 2002: Schmidt, Peter: Krishna Meets Jesus. A. C. Bhaktivedanta Swami Srila Prabhupada’s Interpretations and Conclusions about Christianity, Frankfurt a. M. 2002. Schumann 1988: Schumann, Olaf: Der Christus der Muslime, Köln u. a. 1988². Torwesten 1993: Torwesten, Hans: Ramakrishna und Christus oder Das Paradox der Inkarnation, Planegg 1993². Yamamoto 1998: Yamamoto, J. Isamu: Hinduism, TM and Hare Krishna, Grand Rapids 1998.

3.  Literaturhinweise zum vertiefenden Studium Bauschke, Martin: Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2013. Clarke Clifton R.: African Christology. Jesus in Post-Missionary African Christianity, Eugene 2011. Parratt, John: The Other Jesus. Christology in Asian Perspective, Frankfurt am Main u. a. 2012.

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Schmidt-Leukel, Perry: Buddhist perceptions of Jesus. Papers of the Third Conference of the European Network of Buddhist-Christian Studies, St. Ottilien 2001. Schouten, Peter: Jesus as Guru. The Image of Christ among Hindus and Christians in India, Amsterdam u. a. 2008. Stahl, Neta (Hrsg.): Jesus among the Jews. Representation and Thought, London 2012.

Zusammenschau

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Wahrer Mensch und wahrer Gott. Historischkritische Jesusforschung und christliches Bekenntnis Die Vielfalt der in den voranstehenden Beiträgen entworfenen Perspektiven auf Jesus Christus in Geschichte und Gegenwart führt eindrücklich die Weite der mit seiner Person verbundenen historischen, theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekte vor Augen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Wirken und Geschick des galiläischen Juden Jesus von Nazareth eine derartige Bedeutung haben gewinnen können, dass seither unzählige Menschen darin die Zuwendung Gottes zu den Menschen erkennen, die sich in dem Bekenntnis verdichtet, in dem Menschen Jesus sei Gott selbst unmittelbar erfahrbar geworden. Das Bekenntnis zur zugleich göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi formuliert darum das Paradox, das christliche Theologie immer wieder neu zu durchdenken und im Horizont der jeweiligen erkenntnistheoretischen, kulturellen und religiös-weltanschaulichen Voraussetzungen zur Sprache zu bringen hat. Der Ausgangspunkt liegt dabei in den ältesten Schriften des Christentums, die als »Neues Testament« Teil der christlichen Bibel wurden. Diese Schriften – Reinhard von Bendemann hat in seinem Beitrag einige repräsentative Christusdeutungen aus ihnen vorgestellt – lassen keinen Zweifel daran, dass Jesus tatsächlich ein Mensch gewesen ist, der im ländlichen Galiläa aufwuchs, seine Familie später verließ und als Wanderprediger wirkte, in Bedrängnis geriet und am Kreuz in Todesangst nach Gott rief, von dem er sich verlassen glaubte. Die Passionsdarstellungen der Evangelien weichen dabei auch nicht vor der Beschreibung zurück, dass Jesus verurteilt, verspottet und hin-

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gerichtet wurde. Für Paulus ergibt sich aus der Tatsache, dass dieser Tod ein Kreuzestod war, ein spezifischer Zugang zum Verständnis dieses Geschehens: Das »Wort vom Kreuz« besagt, dass die Kategorien weltlicher Weisheit und Torheit in ihr Gegenteil verkehrt wurden, weil Gott das vor der Welt Schwache und Törichte erwählt hat (1 Kor 1,18–25). Das wirkt sich auch auf die zu Christus Gehörenden aus: Sie sind »mitgekreuzigt«, haben darum die Herrschaft der Sünde überwunden und leben in der neuen, vom Geist bestimmten Weise (Gal 2,19 f.; Röm 6,3–11). Der Hebräerbrief geht noch einen Schritt weiter und deutet den Tod Jesu im Horizont des Opfers, das der Hohepriester in Israel am Versöhnungstag darbringt, um das Volk von Sünden zu reinigen und das nun durch den »Hohenpriester Jesus«, der sich als ein für allemal gültiges Opfer selbst dargebracht hat, endgültig erfüllt wurde. Der Hebräerbrief erwähnt dabei ausdrücklich, dass Jesus während der Zeit seines irdischen Wirkens versucht wurde, gelitten hat und unter Schreien und Tränen zu Gott um Rettung vor dem Tod flehte (Hebr 2,14–18; 5,7 f.). Die Schriften des Neuen Testaments machen zugleich deutlich, dass Jesus kein Mensch wie alle anderen war. Sie bezeugen ihn als den in die Welt gesandten Sohn Gottes, als von Gott auferweckten und zu ihm erhöhten Herrn, als Bild Gottes oder als »Wort«, das selbst Gott ist und bereits vor der Erschaffung der Welt bei Gott war. Die Betonung von Niedrigkeit, Leiden und Tod einerseits, Hoheit und Göttlichkeit andererseits, verteilen sich dabei nicht auf verschiedene Schriften, sondern können unmittelbar nebeneinander begegnen. Der eben bereits genannte Hebräerbrief beschreibt Jesus als präexistenten »Sohn«, der als »Abglanz der Herrlichkeit« Gottes und »Abdruck seines Wesens« von Gott in die Welt eingeführt wurde (Hebr 1,3–6), und zugleich als den mitleidenden, unter Tränen zu Gott flehenden und sich selbst als Opfer für die Sünden darbringenden Hohenpriester. Ein spannungsvolles Nebeneinander von Hoheits- und Niedrigkeitsaussagen findet sich auch im Johannesevangelium. Jesus Christus wird als das Fleisch gewordene Wort Gottes beschrieben, das die göttliche Herrlichkeit in die Welt bringt, so dass die Glaubenden bekennen: »Das Wort wurde Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit« (Joh 1,14). Das JohEv erzählt aber auch davon, dass Jesus von den römischen Soldaten als »König der

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Juden« verspottet und hingerichtet wurde. Der Kolosserhymnus (Kol 1,15–20) stellt das Bekenntnis zu Jesus Christus als »Bild Gottes« und »Erstgeborenen aller Schöpfung« unmittelbar neben die Aussage über sein »Kreuzesblut«, durch das er universalen Frieden in der Welt geschaffen hat. Das Nebeneinander von Aussagen über Jesu göttliche und menschliche Natur, über seine Gottgleichheit und sein Leiden und Sterben, ist demnach ein Charakteristikum der neutestamentlichen Schriften, das in einigen Texten besonders markant hervortritt. Bei der Entstehung der frühchristlichen Christologie sind verschiedene Wege beschritten worden, die darin liegende Spannung in Form von Bekenntnisaussagen zu erfassen. Damit wurde der Versuch unternommen, das in der Grundüberzeugung des christlichen Glaubens – in dem Menschen Jesus von Nazareth, seinem Leben, seinem Wirken und auch seinem Tod am Kreuz sei Gott selbst erfahrbar geworden – liegende Paradox zur Sprache zu bringen: Wie kann zugleich gelten, dass Jesus die höchste göttliche Würde zukommt, dass er selbst göttlicher Natur ist, und dass er die tiefste menschliche Erniedrigung, den Tod am Kreuz, erlitten hat? Wird dadurch nicht die Autorität und Würde Gottes verletzt? Ist die Anbetung eines am Kreuz Hingerichteten nicht unglaubwürdig und lächerlich? Diese Einwände wurden bereits in der Antike geltend gemacht. Gebildete, wie der Philosoph Celsus oder Satiriker, wie Lukian von Samosata, spotteten darüber, dass die Christen einen Gekreuzigten als göttlich verehrten, denn der Kontrast dieses Bekenntnisses zur antiken Vorstellung darüber, was einen Gott auszeichnet und ihn von sterblichen Menschen unterscheidet, könnte nicht größer sein. Aber auch innerhalb des Christentums wurde nach Lösungen gesucht, die als unerträglich oder unverständlich empfundene Spannung zu lindern. So wurde etwa die Härte des Leidens und Sterbens Jesu durch die Aussage abgeschwächt, Jesus habe nicht tatsächlich, sondern nur scheinbar gelitten. Es wurde auch formuliert, ein anderer sei an der Stelle Jesu gekreuzigt worden, er selbst sei seinen Widersachern dagegen rechtzeitig entkommen und in die göttliche Welt zurückgekehrt. In den christologischen Kontroversen des antiken Christentums – Notger Slenczka hat darauf hingewiesen – wurde auch danach gefragt, wie sich göttliche und

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menschliche Natur Jesu Christi im Blick auf sein Leiden zueinander verhalten. Kann tatsächlich behauptet werden, Jesus habe auch seiner göttlichen Natur nach gelitten – oder wäre die Auffassung nicht plausibler, nur seine menschliche Natur habe gelitten, die göttliche sei dagegen von Leiden und Tod unberührt geblieben? Die christologische Bekenntnisbildung des antiken Christentums hat sich mit dieser Frage intensiv befasst – und sie letztlich auf dem Konzil von Chalcedon 451 durch eine Kompromissformel entschieden: Jesus Christus besitzt zugleich göttliche und menschliche Natur, beide sind unvermischt, ungewandelt, ungetrennt, ungeschieden. Damit war das zugrunde liegende Problem freilich nicht gelöst – es lässt sich wohl auch nicht im strengen Sinn »lösen« –, immerhin war aber ein Deutungsrahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die christliche Kirche fortan bewegen sollte. Dieser Rahmen besagt: Es dürfen weder an der göttlichen noch an der menschlichen Seite Jesu Christi Abstriche gemacht, es darf auch nicht die eine Natur gegen die andere ausgespielt werden. Jesus Christus ist vielmehr zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott, auch wenn sich das letztlich nur als Bekenntnis aussagen und nicht durch philosophische oder anderweitige Überlegungen »erweisen« lässt. Dieser Kompromiss vermochte es, die in den Deutungen von Person und Wirken Jesu Christi seit ihren Anfängen angelegte Spannung zu bewahren. In der Neuzeit ist das Bekenntnis zu Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen von anderer Seite her problematisch geworden. Unter den Bedingungen der aufgeklärten Vernunft wurde nunmehr gefragt, ob Jesus tatsächlich mehr als ein Mensch gewesen sein könne. Ist das Bekenntnis zu seiner Göttlichkeit nicht eine maßlose Übertreibung – vielleicht sogar nur eine Erfindung? Zur Grundlage für Jesusbilder wurden darum nunmehr solche Aussagen, die mit Hilfe der kritischen Vernunft nachvollziehbar sind. Bekenntnisse zu seiner göttlichen Natur oder seiner Erhöhung zur Rechten Gottes wurden davon unterschieden und als mit Hilfe der Vernunft nicht überprüfbar betrachtet. Damit wurde zugleich deutlich, dass die biblischen Texte nicht als Belege für christliche Bekenntnisaussagen zu verwenden sind, sondern gerade umgekehrt zu prüfen ist, ob das christliche Bekenntnis den Aussagen der biblischen Texte entspricht. Die reformatorische Orientierung an der

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Schrift als »einige Regel und Richtschnur« christlicher Lehre (FC, Epitome; BSLK 767) hat dazu ebenso beigetragen, wie die Verhältnisbestimmung von Schrift und Bekenntnis als norma normans und norma normata. Auf dieser Grundlage entstand im 18. Jahrhundert im Kontext der kritischen Geschichtswissenschaft die Frage nach dem »historischen Jesus«. Sie wertet die Quellen über Jesus und seine Zeit kritisch aus und entwirft auf dieser Grundlage Bilder, die Person und Wirken Jesu in der jeweiligen Gegenwart zugänglich machen. Die historisch-kritische Jesusforschung hat dabei wichtige Erkenntnisse über den historischen Kontext des galiläischen Juden Jesus, über Konturen seines Wirkens und Impulse, die von ihm ausgegangen sind, herausgearbeitet. Im Detail bleibt dabei vieles umstritten. Das liegt zum einen daran, dass die Quellen mehrere Deutungen zulassen, zur historischen Arbeit darum immer auch historische Einbildungskraft gehört, die aus den Überresten ein lebendiges Bild der Vergangenheit entstehen lässt. Jede Rekonstruktion vergangener Wirklichkeit ist darum auch eine Konstruktion aus der Perspektive der jeweiligen Gegenwart. Es liegt zum anderen daran, dass schon die ältesten christlichen Quellen die Geschichte Jesu in das Licht ihrer Glaubensüberzeugungen stellen und sie so erzählen, dass sie transparent für ihre eigene Gegenwart wird. Dessen ungeachtet lassen sich Konturen des Wirkens und Geschicks Jesu nachzeichnen. Dazu gehören: seine Wirksamkeit in Galiläa und Jerusalem, die er als Beginn der Erneuerung Israels verstand; sein Selbstverständnis als Repräsentant Gottes, dessen Wirken den Beginn der Herrschaft Gottes auf der Erde bedeutet; die Gründung eines Kreises von zwölf Nachfolgern als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels; die Vermittlung der Nähe Gottes in Worten und Gleichnissen sowie in Mahlgemeinschaften; die Hinwendung zu Ausgegrenzten, Sündern und Unreinen; die Heilung von Kranken und Besessenen; der Konflikt mit den jüdischen Autoritäten Jerusalems über seinen Hoheitsanspruch; die Hinrichtung am Kreuz durch die römische Besatzungsmacht in der Nähe Jerusalems. Die historische Jesusforschung konnte auf diese Weise charakteristische Merkmale des Menschen Jesus herausarbeiten. Diese

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Seite ist  – Martin Ohst hat es gezeigt  – für die Orientierung an seiner Person als Nachfolge oder imitatio seit jeher von herausragender Bedeutung. Die historisch-kritische Jesusforschung hat weiter gezeigt, dass Jesus im Judentum – genauer: im galiläischen Judentum – seiner Zeit verstanden werden muss. Jesus lebte in den jüdischen Traditionen und Überzeugungen, die er auf eigene Weise akzentuierte – etwa bei seiner Auslegung der Tora, bei seiner Sicht auf die Dynamik von Gegenwart und Zukunft der Gottesherrschaft sowie bei seiner eigenen Rolle als irdischer Repräsentant Gottes. Durch die Herausarbeitung dieser Facetten des irdischen Wirkens Jesu und seines Selbstverständnisses wurde auch die Entstehung des christlichen Bekenntnisses nachvollziehbar. Voraussetzung dafür ist die Unterscheidung zwischen Impulsen, die sich auf Jesus selbst zurückführen lassen, und Überzeugungen, die von seinen Anhängern auf ihn übertragen wurden, mithin zwischen »historischem Jesus« und »geglaubtem Christus« oder zwischen Jesus und den Anfängen der Christologie. Bei alledem ist zu beachten: Die historisch-kritische Jesusforschung zeigt uns nicht, wie es »wirklich« war. Manche Forscher / innen sind zwar von ihren eigenen Jesusbildern so überzeugt, dass sie sie für die vergangene Wirklichkeit selbst halten. Bei Jesusbildern, bei historisch-kritischen ebenso wie bei vorkritischen, handelt es sich jedoch stets um Fragmente, die auf den Quellenkenntnissen, der Sozialisation sowie den erkenntnistheoretischen und hermeneutischen Voraussetzungen ihrer Verfasser beruhen. Jesusbilder sind darum stets zeitbedingt; sie setzen unterschiedliche Akzente und beurteilen die Quellen auf verschiedene Weise. Das Bekenntnis zu Jesus Christus bezieht sich dabei auf eine historische Person, die seit ihrem irdischen Auftreten als Gottes Repräsentant, als Sohn Gottes und als Christus bekannt wird. Ein unwandelbares, den Relativitäten menschlicher Erkenntnis und historischer Forschung enthobenes Bild vom Wirken, Leiden und Sterben dieser Person kann es dagegen nicht geben. Diese Einsicht schmälert die Bedeutung der historisch-kritischen Jesusforschung in keiner Weise, sondern stellt ihre Funktion innerhalb eines rational und ethisch verantworteten Diskurses über die Person Jesu in Vergangenheit und Gegenwart erst heraus. Dazu

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gehört nicht zuletzt die Reflexion über die Bedeutung prophetischer Aussagen des Alten Testaments in der christlichen Theologie. In Konsequenz der oben genannten Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition untersucht die kritische Bibelwissenschaft die Schriften des Alten und Neuen Testaments in ihren jeweiligen historischen und religiösen Kontexten. Die Schriften Israels und des Judentums traten dabei als Zeugnisse in den Blick, die als Tora, Propheten und übrige Schriften in der Geschichte des antiken Judentums grundlegende Bedeutung erlangten. Im Urchristentum wurden sie im Horizont der Offenbarung des Gottes Israels in Jesus Christus gelesen und gewannen dadurch eine neue Bedeutung. Eine historische Lektüre dieser Schriften muss dessen ungeachtet zur Kenntnis nehmen, dass die prophetischen Weissagungen des »Alten Testaments« nicht auf Jesus von Nazareth gemünzt waren und sich die Verheißungen an Abraham oder die Zusagen an den König Israels in historischer Hinsicht nicht auf Jesus Christus beziehen lassen. Vielmehr stellt die »interpretatio Christiana« des Alten Testaments eine spezielle Lektüre der hier versammelten Schriften dar, die sie im Licht des Glaubens an Jesus Christus deutet und ihnen dadurch einen eigenen Sinn abgewinnt. Eine christliche Interpretation des Alten Testaments kann jedoch weder dabei stehenbleiben, dass der historische Befund von der christlichen Interpretation zu unterscheiden ist, noch kann eine christliche Lektüre dieser Schriften auf die im Neuen Testament zitierten Schriftstellen und auf Jesus Christus bezogenen Texte beschränkt werden. Vielmehr können die Schriften Israels und des Judentums – wie Markus Witte dargelegt hat – als Erfahrungsraum oder »Vorwort« für die Geschichte Jesu Christi gelesen werden. Für Entstehung und Gehalt des christlichen Glaubens ist dieser Deutungshorizont unverzichtbar. Die christliche Kirche hat sich darum von früher Zeit an den Versuchen widersetzt, Wirken und Geschick Jesu Christi von diesem Kontext abzutrennen. Für die historisch-kritische Bibelwissenschaft ergibt sich daraus die Aufgabe, Altes und Neues Testament so aufeinander zu beziehen, dass sowohl dem historischen Befund der Schriften Israels und des Judentums als auch der Tatsache, dass der Christusglaube nur im Horizont dieser Schriften angemessen zu verstehen ist, Rechnung getragen wird. Dies wäre zugleich die Basis einer »bi-

306  Zusammenschau

blischen Theologie«, die sowohl das Eigenrecht der Schriften Israels und des Judentums zu wahren als auch den spezifisch christlichen Zugang zu diesen Schriften zur Geltung zu bringen hat. Für den christlichen Glauben ist es demnach grundlegend und unverzichtbar, die in dem Bekenntnis »Jesus ist der Christus« – das sich auch paraphrasieren lässt als »im Wirken und Geschick des galiläischen Juden Jesus von Nazareth ist Gott selbst erfahrbar geworden« – liegende Dynamik zu bewahren. Für die Auslegung dieses Bekenntnisses ist es deshalb grundlegend, nicht den Menschen Jesus auf Kosten des göttlichen Offenbarers in den Hintergrund treten zu lassen. Genauso wichtig ist es freilich – und dies ist gegenwärtig besonders zu betonen  –, durch die Konzentration auf den Menschen Jesus nicht die in seinem Wirken zum Ausdruck kommende Selbstdefinition Gottes zu kurz kommen zu lassen. Für Predigt und Unterricht, Seelsorge und Diakonie ist es vielmehr von substantieller Bedeutung – Helmut Schwier hat es deutlich gemacht –, die im Wirken Jesu erfahrbar gewordene heilvolle Nähe Gottes zur Sprache zu bringen. Die Kraft, die die Geschichte Jesu Christi in sich birgt, der in dieser Geschichte liegende Trost und die Hoffnung, die sie zu wecken vermag, leben aus der Überzeugung, dass Gott selbst sich in dieser Geschichte den Menschen zugewandt hat. Darin liegt zugleich – Klaus Hock hat darauf hingewiesen – der entscheidende Unterschied zwischen dem Christusbekenntnis des christlichen Glaubens und der Rolle, die Jesus in anderen Religionen spielt. Für den christlichen Glauben ist Jesus mehr als ein Prophet, mehr als ein Weisheitslehrer, mehr auch als eine Manifestation des Göttlichen unter anderen. Für den christlichen Glauben erschließt sich die Wirklichkeit  – einschließlich der Geschichte Israels und des Judentums – vielmehr nur vom Bekenntnis zu Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen her. Dieser Glaube gründet in einem konkreten historischen Geschehen, das sich zu bestimmter Zeit in einer bestimmten Region zugetragen hat. Die Reflexion darüber, wie sich dieses Geschehen als Offenbarung Gottes zum Heil aller Menschen verstehen und aussagen lässt, ist die bleibende Aufgabe christlicher Theologie.

Jens Schröter  307

Literatur Die historische Rückfrage nach Jesus, MThZ 64 / 2, St. Ottilien 2013. Keith, Chris / Le Donne, Anthony (Hrsg.): Jesus, Criteria, and the Demise of Authenticity, London / New York 2012. Schröter, Jens: Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt (BG 15), Leipzig 20124. Schröter, Jens: Jesus im Kontext. Die hermeneutische Relevanz der Frage nach dem historischen Jesus in der gegenwärtigen Diskussion, in: ThLZ 134 (2009), 905–928. Thate, Michael J.: Remembrance of Things Past? Albert Schweitzer, the Anxiety of Influence, and the Untidy of Markan Memory (WUNT II / 351), Tübingen 2013.

Autoren Hock, Klaus, geb. 1955, ist Professor für Religionsgeschichte – Religion und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Ohst, Martin, geb. 1957, ist Professor für Kirchengeschichte und Systematische Theologie am Fachbereich Evangelische Theologie der Bergischen Universität Wuppertal. Schröter, Jens, geb. 1961, ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie die neutestamentlichen Apokryphen an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Schwier, Helmut, ist Professor für Neutestamentliche und Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg. Slenczka, Notger, geb. 1960, ist Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. von Bendemann, Reinhard, geb. 1961, ist Professor für Neues Testament und Judentumskunde an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Witte, Markus, geb. 1964, ist Professor für Exegese und Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Ich danke den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen meines Lehrstuhls, insbesondere Clarissa Paul und Konrad Schwarz, für vielfältige Hilfe bei der Erstellung des Manuskriptes des vorliegenden Bandes. Berlin, Frühjahr 2014

Jens Schröter

Stellenregister 1.  Altes Testament (einschließlich Apokryphen) Genesis 1 1,1 1,1 – 2,3 1,26 2 – 3 2,1 2,5 – 4,26 3 3,15 3,22 3,24 4 4,25 f. 5,1 f. 5,22 – 24 6,5 6 – 9 6,13 9,4 – 6 8,21 11,27 – 50,26 12,1 – 3 14 14,18 – 22 15 15,1 15,6 15,7 15,13 – 21 15,14 16 17

33 126 32 f. 33 f., 47 17, 34 27 33 33 56 33 62 33 33 33 61 43 36 33 33 43 35, 38 35, 37 35 17, 106 35, 37, 43, 108 35 36 f., 106 35 36 36 16, 37 35, 38, 43

17,8 18,10 18,20 – 33 18,21 18,23 – 33 18,24.28 18,25 18,27 18,32 20,7 21 21,33 22 22,1 f. 28,10 – 22 28,12 28,13 28,19 29 f. 32,26 46,4 49,8 – 12 49,24

35 35 35 f. 16 37 37 37 36 f. 36 54 16, 35, 37 52 16 37 48 129 31 37 37 37 35 18, 56 f. 26

Exodus 1 – 15 3,11 3,13 – 15 3,14 4,22 6,2 6,6 f.

38 40 22 23, 104 29 30 31

312  Stellenregister 7,13.22 7,16 f. 7,23 8,11.28 8,15 8,26 9,12 12 14,1 – 4. 21. 27 14,13 f. 15,3 15,11 15,21b 16 – 18 17,2 17,6 19 19 – Num 10 19 – Num 10,10 19,4 19,6 20,4 20,5 f. 20,8 – 11 20,24 22,19 22,20 – 26 24 24,1 f.9 – 11 24,4b – 5 24,6.8a 24,8 25 – 31 25 – 40 25,9.40 28,41 29,1 – 3 29,7 30,30 31,13 – 17 32,32

41 40 41 41 41 40 41 51 41 41 41 24 41 39 43 17 16 44 39 30 47 44 46 34 45 44 44 43 43 43 43 43, 97 43, 47 32 108 54, 106 54 106 106 34, 61 40

34 – 40 34,14 40,34 f.

43, 47 46 48

Leviticus 4 f. 4,3 4,5 6,15 8,1 – 13 8,12 16 16,8. 10. 20 – 22 21 21,10 23,6 – 10

92 54, 106 106 54, 106 49 106 92 51 49 106 51

Numeri 1 – 10 6,24 – 26 7,1 10,11 – 36,13 11,11 – 17 11,12 11,24 f. 12,3 12,5 12,7 LXX 20,1 – 12.22 – 29 21,4 – 9 24,15 – 24 25,11 – 13 35,25

43, 47 48 106 39 40 30 40 57 36 107 40 17 18, 56 f. 46 54, 106

Stellenregister  313

Deuteronomium 1 – 34 1,31 4,24 4,39 5,8 5,9 6,4 6,4 f. 6,15 7,6 7,6 f. 7,6 – 8 9,26 LXX 11,4 16,1 18,15 18,15.18 21,8 21,23 28,69 30,15 – 20 30,16 32,6 32,11 f. 32,39 34,10

39 30 46 45 44 46 195 45 46 47 57 57 26 42 51 40 40, 59 51 88 43 43 61 30 30 31, 104 40

Josua 4,21 – 23 24,6 – 7

41 41

1. Samuel 2,1 – 10 2,10 2,35 2,35 LXX

3,20 10,1 16,1 – 13 16,8 – 12 16,13 17,45 24,7 26,6

36 54 54 29 54 27 54 29

2. Samuel 2,4 7 7,14 15,7

54 55 96 45

1. Könige 1,34 17,11 – 24 18 19,16 23,5

54 59 46 54 55

2. Könige 1,2 – 17 2,3.5 3,27 5,1 – 14 11,12

46 61 50 59 54

1. Chronik 18 36 36 59

16,16 – 22 17

54 55

314  Stellenregister

2. Chronik 13,20 – 21 30,18 f.

Psalmen 29 51

Nehemia 9,6 9,8 9,9 – 11

27 36 41

Esther 4,17a LXX 14,12 LXX

24 26

Hiob 1,6 1,6 – 12 1,8 f. 3 5,17 9 15,7 16 19,25 25,4 – 6 30,19 31 31,15 33 33,23 41,26 42,6 42,8 42,17 LXX

26 46 63 63 63 63 34 63 31 43 37 20 45 63 46 142 37 37 61

1 2 2,7 2,9 3,4 7,9 8 8,5 8,7 13,2 16,8 – 11 19 20 20,7 21 22 22,2 22,8 22,19 22,27 23,1 24 27,1 29 33,20 35 36,9 – 10 36,10 37 37,11 45 46 47 47,3 – 9 49,16 51,7 – 10 66,6 69 69,33 72

49 56 f. 29 112 35 36 33 18 84 63 19 49 56 54, 57 56 74, 98, 115 63, 98 98 98 57 26 27 48 26 35 63 61 48 18 57 53, 56 27 80 26 61 43 42 63, 74, 98, 115 57 53, 56 f.

Stellenregister  315

73 73,24 74,13 – 15 78,20 80,2 82,1.6 89 89,4 f. 89,7 – 9 89,21 89,27 89,51 f. 92 93 93,1 f. 95,6 96 – 99 96,13 97,9 98,2 98,6 99,5 101 103,13 103,14 103,19 103,21 105 105,9 106 106,7 – 10.22 110 110 LXX 110,1 110,4 114,3 – 5 118 118,18 119,68 119,135 132 132,11 f.

49, 63 61 41 55 26 26 56 f. 55 27 54 29 57 61 80 26 48 18, 80 37 26 92 25 48 56 29 36 26 27 40 54 40 41 53, 56, 74 56 5, 24, 58, 84 17, 106 42 74, 126 63 46 48 56 55

132,17 144 145 f. 145,9 146 149

56 56 18 46 26 57

Proverbien 2 3,12 3,18 3,34 LXX 8,22 8,22 – 24 8,22 – 31 8,25 16,6

18 29 62 123 126 192 30, 34 192 50

Prediger 7

62

Jesaja 1,2 1,3 2,2 f. 3,13 5,1 – 7 6,1 6,5 7 7,10 – 17 7,14 7,14 LXX 8,23 – 9,1 9 9,1 – 6

30 156 45 36 15 26, 48 25, 47 57 55 56, 58, 99 58 78 57 55

316  Stellenregister 9,5 f. 11 11,1 11,1 – 9 11,5 13,6 16,4b – 5 20,1 – 6 24 – 27 24,23 25,8 26,19 29,18 f. 32,1 – 8 32,15 – 18 32,15 – 20 35,5 f. 40,10 40,18 40,18 – 20 40,28 41,4 41,10 – 16 42,1 – 4 42,7 42,7.18 42,8 42,13 42,14 43,1 43,6 43,10 f. 43,16 – 18 43,25 44,9 – 11 45 45,1 45,10 45,12 46,4 46,5 – 8

56 57 56, 72 55 f. 56 22 55 f. 60 53 18 61 61, 79 79 55 57 57 61, 79 41 45 46 52 31, 104 35 60 61 79 23 41 30 31 52 45, 104 51 104 46 57 54 29 27 104 46

48,12 49,1 – 6 49,15 49,26 50,4 – 9 51,2 51,10 f. 52,13 – 53 52,13 – 53,12 53 53,1 ff. 53,4 f. 53,7 f. 55,1 – 5 56,1 61 61,1 61,1 f. 61,1 – 3 63,16 64,7 66,13

31, 104, 113 60 30 31 60 38 41 36 50, 60 f. 5, 74, 115, 122 122 19 19 57 92 57 54, 59 58, 79 57, 61 29, 37 f. 30 30

Jeremia 11 – 20 13,1 – 11 13,22 17,9 23,5 f. 23,6 30,8 – 9 31 31,9 31,31 – 34 33,15 f. 46,18

46, 60 60 43 43 55 f. 56 55 20 30 43 55, 57 25

Stellenregister  317

Klagelieder 2,1 3,25 4,20

Joel 48 46 53 f.

1,15

22

Amos 9,11 f.

Ezechiel 2,1 4,1 – 6,14 17,22 17,22 – 24 34 37,1 – 14 37,24 37,24 f. 40 – 48 43,7 43,23

18 60 56 55 15 61 55 56 49 48 55

7 7 – 12 7,13 7,27 9,25 f. 12,1 – 3

215 53 18 18 54 61

4,7 5,1 5,1.3 5,1 – 5 7,15

18 19 58, 99 55 f. 52

Nahum 42 46

Habakuk 2,4 3,13

36 57

Haggai

Hosea 2,17 3,5 6,2 11,1 11,1 – 4 12,10

Micha

1,4 1,7

Daniel

56

52 55 f. 19 17, 30 30 52

2,10 – 23 2,23

56 55

Sacharja 3,8 4 4,1 – 14

55 59 55

318  Stellenregister 4,12 6,9 – 15 6,12 8,20 – 23 9,1 – 10 LXX 9,9 f. 13,7 14,9 14,16 14,17

106 55, 59 56 57 56 55 f., 58 27 45 45 18

Maleachi 1,6 1,11 3,23 f.

29 45 95

Judit 9,7 – 9

24

Weisheit Salomos 2 f. 2,18 3,1 5,5 7 7,21 – 30 7,24 – 26 9,9 10 – 19 10,15 – 11,1 11,26 13 – 15

63 61, 96 61 61 30 34 47 34 63 40 63 47

Tobit 3,16 12,9 12,12.15 12,14 – 18

45 f. 50 45 f. 104

Sirach 3,30 4,10 17,7 17,11[G] 23,1.4 24 24,23 33,7 – 15 36,22[HB] 44 – 49 44,20 45,1 – 5 45,5 45,6 – 22 45,25[H] 50,1 – 21 50,5 – 21 51,1 – 11[HB] 51,12n[HB] 51,13 – 30

50 29 34 63 28 30, 34, 62 f. 61 63 52 63 36 40 63 49 46 49 50 29 26 30

Baruch 6

47

1. Makkabäer 3,48 5,15 14,41

47 78 59

Stellenregister  319

2. Makkabäer 7 7,8

81, 92 61

2.  Weitere frühjüdische Schriften Qumran 1QHa XI,22 1QHa XII,29 – 31 1QHa XII,37 1QH XIV 15 f. 1QpHab 1QS VIII,5 1QS IX,6 1QS IX,11 1QSa II,11 – 21 1QSb III,25 – 26 1QSb V,20 – 23 1Q26 4Q171 4Q174 Frag. 1 I,21,2,6 4Q174 Frag. 1 I,21,2,10 – 13 4Q175 5 – 8 4Q246 4Q252 V,3 4Q372 Frag. 1,16 4Q400 – 407 4Q415 – 418 4Q504 Frag. 8r 4 – 7 4Q521 Frag. 2 II,1

27 43 51 92 18 49 49 58, 106 58 49 58 20 18 49 58 59 58 58 29 46 20 34 59

11Q13 11Q13 II,18 CD-A XII,23 – XIII,2 CD-A XIV,18 – 19 CD-B XIX,7 – 11

17, 106 59 58 58 59

Psalmen Salomos 3,18 17 f. 17,36

50 58 50, 58

4. Makkabäer 6 6,29 17,22

92 61 61

Jubiläen Zu Gen 22

46

1. Henoch 6,9

45

320  Stellenregister 37 – 71 42 46,1 – 6 48,2 52,4 58,10

58 34 18 59 58 58

4. Esra 7,28 f. 13,3 – 4

58 18

Testament Simeons 7

59

13,41 14,27 19 21,5 21,31 21,40 – 44 22,16 22,32 24 f. 25,31 ff. 25,35 f. 26,17 – 30 28,16 – 20 28,18 28,19b 28,19 f. 28,20

46 31 125 58 30 100 80 31 100 259 150 51 82 197, 200 246 246 100

3.  Neues Testament Matthäus 1,1 1,1 – 17 1,20 1,22 f. 1,23 2,5 f. 2,6 2,15 3,9 4,15 f. 5 – 7 5,3 – 11 5,4 5,17 – 20 5,21 – 48 5,32 5,45b 6,9 6,24 11,5 f. 11,27 11,28 – 30 11,29 13,24 ff. 13,30.47 – 50

38, 58 99 100 99 58, 100 19 58, 99 17 38 78 40 80 123 100 80 81 80 23, 28 44 79 28 30, 64 127, 133 155 100

Markus 1,1 1,2 f.7 f. 1,4 1,9 – 11 1,11

84, 95 f., 98, 243 78 78 78, 84 29, 243

Stellenregister  321

1,12 f. 1,13 1,14 f. 1,16 – 20 1,27 1,40 – 45 2,7.9.18 f. 2,10.28 2,23 – 3,6 3,6 3,11 3,22 – 30 4,30 – 32 4,35 – 41 4,38 4,40 f. 5,35 6,14 – 16 6,15 6,45 – 52 7,31 – 37 8,13 – 21 8,17 – 21.27 – 29 8,22 – 26 8,28 8,29 8,29 – 33 8,31 8,31 – 33 8,34 8,34 – 37 8,38 9,5 9,7 9,9.12b.31 9,11 – 13 9,17.38 9,31 9,41 9,7 9,35 10,1 – 9

42 46 78 f. 78 95 81 95 97 34 80 96 79 84 41, 79 95 95 95 80 95 41, 79 79 95 95 79 95 95 f., 188, 243 95 83, 97, 243 182, 189 243 97 97 95 84 97 95 95 243 95 96 97 81

10,1 – 12 10,18 10,33 10,33 f. 10,38 – 45 10,45 10,47 10,51 11,1 – 11 11,15 f. 11,15 – 17 11,15 – 19 11,21 12,13 12,19 12,35 12,35 – 37 13 13,6 13,21 13,21 – 23 13,25 f. 13,26 14,12 – 26 14,21.41 14,24 14,27 14,36 14,45 14,53 – 65 14,58 14,61 14,61 f. 14,62 15,1 – 5 15,24 15,29 15,29a 15,32 15,34 15,34 f. 15,39

40 46 97 243 97, 189 83, 97, 215 58 95 96 81 102 46 95 80 40 95 96 98 31, 98 f. 95 98 f. 98 97 51 97 97 27 28, 37 95 81 49, 81 95 243 97 81 98 81 98 95 98, 182, 200 95 96, 189, 243

322  Stellenregister 16,1 – 8 16,1 – 18 16,6 16,6 f. 16,8

82 98 98 243 82

Lukas 1,35 2,4 2,11 3,3 3,7 – 9.16 f. 3,23 – 38 4,18 – 19 6,20 f. 6,43 – 45 7,1 – 10 7,34 f. 9,57 – 62 10,16 10,18 10,30 – 37 11,2b 11,19 f. 13,6b – 9 13,18 – 21 13,31 – 33 13,31 – 34 13,34 14,1 – 6 15,1 – 3 16,29.31 17,11 – 17 17,20 f. 17,23 – 37 18,9 ff. 18,19 19,41 22,7 – 23 22,20

100 99 100 78 78 99 58 80 78 102 64 78 83 78 137 83 79 78 84 80 60 30, 46 81 81 40 81 79 78 134 46 36 51 44

22,30 22,39 – 46 24,25 – 27 24,26 24,27 24,30 f. 24,34 24,36 24,36 – 49 24,50 – 53

80 37 246 83 19, 40 246 82 246 82 100

Johannes 1 1,1 1,1 – 18 1,1 f. 1,3 1,4 f.11 – 13 1,12 f. 1,14 1,17 1,18 1,19 1,21 1,29 1,45 2,11 2,13 – 22 2,18.23 3,1 f. 3,2 3,5 3,13 3,13 – 16 3,14 – 16 3,15 3,17 3,22 – 24 3,31 3,31 – 36

34 190 101, 107 136 102 190 190 101, 190, 200 19 64, 102, 105 102 40 150 104 101 f. 102 102 104 102 247 104 102 17 61 104 78 103 289

Stellenregister  323

3,35 f. 4,1 4,22 4,34 4,46 – 54 5,4 5,18 5,23 5,23 f. 5,24 5,28 f. 5,30 5,36 5,37 6,14 6,35 6,38 6,38 f.42 – 44 6,39 f. 6,42 6,44.54 6,48 6,51 6,62 6,64 7,23 7,30 7,40 8,12 8,17 f. 8,20 8,21 – 29 8,28 8,31 8,39 8,52 – 59 8,56 9,1 – 7 9,17 9,22 10,1 – 18 10,7

103 78 57, 104 103 102 46 105 105 103 104 104 103, 126 103 103 40 104 138 103 104 105 104 31, 104 104 104 157 f. 19 102 40 48, 104 19 102 189 102 f. 104 37 189 38 79 60 105 15 31

10,9 10,11 10,29 10,30 – 33 10,31 10,34 – 36 11,25 11,45 12 12,11 12,32 12,34 12,42 12,48 13,1 14,6 14,16 f.26 15,1 15,12 – 17 15,18 – 16,4 15,26 16,2 16,8.13 16,20 – 33 17 17,1 17,5 20,19 – 23 20,19.26 20,28 20,30 21,22

104 27, 104 105 105 200 19 62, 104 104 102 104 103 102 f. 105 104 102 31, 104, 126, 137 103 104 247 189 103 105 103 30 37 102 101, 105 82 246 44, 105 102 127

Apostelgeschichte 1 f. 3,22 5,31 7,37 7,55 f.

100 40 100 40 58

324  Stellenregister 8,26 – 40 8,30 – 36 11,26 13,30 17,31 23,6

19 19 83 100 36 f. 89

10,4 10,9 11,33 – 36 16,20

90 24, 82, 84 64 56

1. Korinther Römer 1,3 f. 1,4 1,16 f. 1,17 1,18 – 3,20 3,5 3,21 3,21 f. 3,25 3,25 f. 3,28 3,29 f. 3,31 4 4,17 4,24 5 – 8 5,1 – 11 5,12 – 21 5,14 5,20 f. 6,3 f. 6,4.11 6,5 – 11 8,11a.b. 8,14 8,17 8,31 – 39 8,34 9,7 10,3

61, 77, 84, 100, 115 84 36 91 92 91 90 19, 91 51 91 90 44 90 38 61 82 87 93 34 17 90 187 231 187 82 130 61, 187 87 58, 87 16 91

1 – 3 1,10 – 4,21 1,12 f. 1,14 – 17 1,18 – 25 1,30 2,8 4,9 – 13 5,7 6,14 6,20 7,22 f. 8,6 10,1 – 4 10,4 11,1 11,25 12,3 15 15,3 f. 15,3 – 5 15,15 15,21 f. 15,23 15,25 15,25 – 28 15,26 15,28 15,56 16,22

185, 226 88 247 231 89 64 197, 200 187 51 82 92 92 24, 64, 84, 86, 94, 102, 114 17 86, 102 142 43 f. 186 82 19 72, 82 82 31, 34 34 84 87 61 44 90 87

Stellenregister  325

2. Korinther 1,9 f. 1,18 – 2,16 3,6 3,12 – 18 3,12 – 4,6 4,6 4,7 – 18 4,10 4,14 5,12 – 21 5,16 5,17 – 21 5,19 5,19a 5,20 5,21 6,9 f. 6,16 7,5 – 16 11,5 11,11 – 2,10 12,9 – 11 13,4

231 188 44 19 188 48 187 88, 231 82 187, 231 77, 156, 171 f. 93 200 93 104 91 f. 187 49 231 88 187 88 88

Galater 1,1 2,16 2,19 f. 2,19 – 21 2,20 2,21 3,1 3,13 3,13 f. 3,19 f. 3,28 4 4,4

82 90 84 187 287 19 88 92, 142 88 90 247 38 84

4,4 f. 4,5 4,21 4,21 – 31 5,11 12,9

115 92 90 15 88 35

Epheser 1,20.22 2,14 – 18 2,16 4 – 5 4,1 – 16

84 94 93 94 113

Philipper 2,5b – 11 2,6 2,6 – 11 2,7 f. 2,9 2,9 f. 2,9 – 11 2,10 f. 2,11b 3,5 f. 3,9 3,20

6, 184 102 71, 86, 121 f., 287 115, 185 84 23 114 186 187 89 91 87

Kolosser 1 1,15 1,15 f. 1,15 – 20 1,20.22 2,12

34 34 47 94, 102, 107 93 82

326  Stellenregister

1. Thessalonicher 1,10

84, 87

2. Thessalonicher 2,16

30

1. Timotheus 3,16 6,15

71, 115 26

1. Petrus 1,2.19 1,20 1,22 2 2,21 2,21 – 24 2,22 2,22 – 25 3,18 3,22 5,5 5,9

112 102 133 5 142, 148 50, 122 142 36 115 58 123 6

2. Petrus 2,1 2,22

163 155

1. Johannes 1,1 – 5.14 2,2

181 51

Hebräer 1,1 – 3 1,1 – 4 1,13 1,13 f. 2,1 – 4 2,5 – 18 2,9 2,10 2,14 2,17 3,1 – 6 4,14 – 5,10 4,15 5,1 – 10 5,4 f. 5,6.10 5,9 5,11 – 6,20 6,20 7 7,3 7,11. 17. 21 7,13 f. 7,18 f. 7,26 7,26 f. 7,27 8,1 – 6 8,5 8,6 – 13 8,8 – 10 9 9,11 9,12 9,14 9,20 9,23 9,24 9,26b – 28 9,28

102 107 47, 84 58 106 107 71 5, 109, 161 56 17, 51, 109 19, 106 f. 108 109 109 106 106 110, 161 106 51 17 106 106 107 107 50, 109 109 109, 115 17, 106 108 109 44 108 17, 106, 109 109, 115 50 43 108 109 115 109

Stellenregister  327

10,1 10,10 10,12 – 18 10,19 – 22 10,29 11,3.13 11,6 11,10 11,18 12,2 12,18 – 24 12,22 – 29 12,24 13,14 13,20 13,22

108 109, 115 109 110 109 108 23 108 16 109 110 108 109 108 27 106

Jakobus 1,17 2,24 4,6 5,10 f.

134 91 123 60

Offenbarung 1,1 1,4 1,5b.6 1,8 1,17 1,18 2,8 2,16 3,5 3,11 5,5 f. 5,6

110 23 112 104, 113 31 113 113 111 113 111 112 111

5,6 f.13 5,9 5,9 f. 5,12 6,16 7,10 7,10 – 12 7,14 11,15 – 18 12,5 12,10 – 12 12,18 – 13,10 13,8 13,11 – 17 14,4 f. 15,3 15,3 f. 16,13 f. 17,8 17,14 18,4 f. 19,1 – 8 19,11 19,13 19,15 19,20 20,6 20,12 21 21,6 22,7. 12. 20 22,13 22,16

113 111 112 111 113 113 111 26, 111 111 112 111 112 111 112 112 52, 113 111 112 111 26 36 111 37, 112 34 112 112 112 111 49 104, 113 111 113 110

328  Stellenregister

4.  Apostolische Väter 1. Clemens 16 16,1 16,2 16,17 21,8 30,1 – 3 33,8 36,1 38,2 48,6 54,1 f. 61,3 64,1

5 122 122 122 122 122 122 107 122 122 122 107 107

Namensregister

’Abduh, M. 272 Abhedananda, S. 281 Abraham 15, 19, 31, 35 – 38, 52, 102, 106, 108, 305 Ahmad, M. G. 274 Alexander der Große 28 Ambrosius von Mailand 126 – 128, 130, 135 Anselm 213 al-’Aqqâd, ’A. M. 276 Arius 7, 192 – 196 Augustin 6, 129 f., 133 – 138, 152, 155 f., 161, 164 – 166, 195, 227 Bach, J. S. 258 Barth, K. 212 f. Basilius von Caesarea 195 Benedikt 140 Bernhard von Clairvaux 146, 154 – 158, 161, 164 Bonhoeffer, D. 213, 243 Buddha 288 Bujo, B. 291 Bultmann, R. 6, 76 f., 172, 216 Chaitanya 282 Chemnitz, M. 205, 207 Christus s. Jesus Celsus 301 Cyprian 6, 124 f., 128, 135 David 16, 54 f., 58, 72, 96, 112

Elia 16, 46, 54, 59, 95 Elisa 54, 95 Elisabeth von Thüringen 150 Erasmus von Rotterdam 159 Everwin von Steinfelden 146 Ezechiel 18, 49, 52, 59 Flavian von Konstantinopel 137 Franziskus von Assisi 147 – 150 Gandhi, M. 10, 284 f. Grotius, H. 160 Gregor der Große 138 Gregor IX. 147 Gregor von Nazianz 195 Gregor von Nyssa 195 Gregor von Tours 138 Harnack, A. v. 120, 138, 155, 163, 170, 193, 200, 208 Heidegger, M. 172 Hegel, G. W. F. 224 Heinrich von Lausanne (der Mönch) 145 f., 154 f. Henoch 16, 34, 45, 53, 58 f. Herder, J. G. 168 Herodes Antipas 80 Herrmann, W. 170 Hieronymus 6, 109, 128 – 130 Hildebert von Lavardin 145 Hiob 31, 37, 62 f. Hirsch, E. 6, 167, 171 f. Holtzmann, H. J. 170 Honorius III. 147

330  Namensregister Husayn, M. K. 276

Kyros II. 54

Ibn ’Arabî 273 Ignatius von Loyola 158 Innocenz III. 147

Leo I. 137 Lessing, G. E. 167 Ludolf von Sachsen 158 Lukas 19, 73, 99 f. Lukian von Samosata 301 Luther, M. 6, 20, 27, 86, 153, 161 – 167, 204 f.

Jakob 37, 52, 102 Jeremia 46, 52, 59, 63 Jesaja 52, 59 Jesus – al-masîh 10, 269 f. – Christus humilis 5, 135 – Christus-Krishna 283 – geglaubter Christus 291 – geschichtlicher J. 120 f., 129, 131, 136, 152, 161, 166 – 170 – historischer J. 2, 6, 8, 76, 119 f., 167, 171 f., 214, 216 – 220, 249 f., 252, 287, 304 – irdischer J. 5 f., 76 f., 83, 85, 115, 122, 128, 139, 141, 154, 163, 216 – ’Îsâ ibn Maryam 268 f. – Jesus von Nazareth 1, 2, 7 f., 14, 58, 76, 168, 181 – 183, 185 – 188, 190, 192 – 195, 197 f., 203, 208, 210 f., 216, 219, 221 f., 226 f., 231 f., 267, 299, 301, 305 f. – Krishna-J. 282 – Satguru 10, 282 – Third Quest 6, 77, 217, 249 f. – vorösterlicher J. 171 Johannes Damascenus 197, 199 Johannes der Täufer 78 f., 95, 102 f. Johannes von Paltz 154 Josephus 78, 81 Kabir 282 Kähler, M. 171 f., 220 Käsemann, E. 216 – 219, 232 Kierkegaard, S. 166 Krishna 10, 282 f. Kyrill von Alexandria 196 – 198

Mann, T. 256 Map, W. 147 Maria 152, 196, 268 f., 271 Markus 80, 94 – 99, 188 f. Martin von Tours 139 Matthäus 99 f. Melanchthon, P. 71, 167, 200, 206 f. Mendelssohn Bartholdy, F. 158 Mohammed 269, 273 – 275, 282 Mose 16 f., 19 f., 36, 38 – 43, 59, 102, 107 f., 270, 282 Mûsâ 270 Mozoomdar, P. Ch. 279 Muhammad al-Ghazâlî 272 Nehru, J. 278 Nestorius 196 – 198 Nietzsche, F. 224 Noah 59 Norbert von Xanten 144 Origenes 192, 194, 229 Paulus 5, 15 f., 36, 51, 73, 75, 77, 82, 84 – 94, 97, 100, 106 f., 115, 163, 184 – 189, 197, 229, 231, 287, 300 Peter von Amiens 143 f. Petrus 82 f., 95 f., 127, 133, 139 – 143, 146, 156, 188 f., 200, 243

Namensregister  331

Petrus Damiani 139 – 143 Petrus Waldes 146 f. Pontius Pilatus 81, 202 Prabhupada, S. 282 Radhakrishnan, S. 285 Ramakrishna, S. 10, 280 Ranganathananda, S. 282 Ridâ’, R. 272 Reimarus, H. S. 209 Robert von Arbrissel 144 Romuald 141 Roy, R. M. 278 – 280 Sai Baba, S. 282 Sanders, E. P. 89 Sarasvati, D. 279 Scheel, O. 120, 137, 153 Schleiermacher, F. 6 f., 168 f. Schweitzer, A. 8, 80, 119, 218 Sen, K. C. 279 Serubbabel 55 Sidqî, M. T. 272 Strauß, D. F. 171, 219

Thakur, R. 10, 283 Tertullian 5, 123 f., 142, 195 Thomas 105, 268 Thomas Hemerke von Kempen 158 Theodor Thumm 206, 208 Thomas von Celano 149 f. Tillich, P. 223 Torwesten, H. 280 Urban II. 143 ’Uthmân, F. 276 Venantius Fortunatus 138 Vivekananda, S. 280 f. Weiß, J. 80 Wrede, W. 98 f. Yogi, M. M. 283 Zinzendorf, N. L. 157, 168 Zwingli, H. 200 f.

Sachregister

Abendmahl 7, 139, 163, 166, 200 – 202, 244, 246, 248, s. a. Leib Christi, Mahlgemeinschaft Achtzehn-Bitten-Gebet 105 Alleinverehrung 40, 44, 46, 59 Allmächtiger 25, 27 Apokalypsen 26, 53, 58 apokalyptisch 18, 53, 76, 80, 92, 97, 108, 110 f. Apostolicum 204 Auferstehung 5, 9, 13, 17, 19, 61, 64, 85, 87, 97 f., 103, 112, 132, 160, 162, 165, 189, 216, 226 f., 246, 249, 252, 255, 287 Auferweckung 61, 81 f., 86 f., 89, 100, 105, 112 – 115, 247, 255, 258, 300 Barmherzigkeit 29, 125, 153, 259, 274 Befreiung 17, 38 f., 42, 51 f., 64, 126 f., 129 f., 166, 216, 222, 286 Bekenntnis 1 – 3, 5, 7, 9, 11, 24, 29, 32, 36 f., 39, 42, 96 f., 99, 107, 113, 137, 181, 185 – 187, 189, 193 – 195, 233, 244, 251, 299, 301 – 304, 306 – Bekenntnisaussagen 72, 301 f. – Bekenntnisbildung 5, 7 – 9, 302 – christologisches Bekenntnis 5, 7 – Osterbekenntnis 82 – Petrusbekenntnis 188, 243 – Schuldbekenntnis 42, 248 – trinitarisches Bekenntnis 7 Bergpredigt 252, 284 Beschneidung 38, 88, 90

Bund 35, 43, 89, 109, 212 – Alter/Neuer Bund 107, 109 Christologie – christozentrisch 20 – Christus s. Gesalbter, Messias – Demutschristologie 120 – kontextuelle Christologie 11, 287, 289, 293 – Leidenschristologie 254 Demut 5, 11, 122 f., 125, 127 – 130, 132 – 135, 137 f., 141 f., 148, 151, 157, 164, 256 Endzeit 17 – 19, 40, 55, s. a. Apokalypse, Eschatologie – endzeitlich 13, 18, 36, 51, 56 – 59, 72, 80, 84, 111, 113, 228, 275 Endzeitrede 98, 100 Epiphanie 30, 82, 121 Erhöhter 100, 104, 121, 125, 166, 187 Erhöhung 5, 7, 75, 86, 100, 102 f., 107, 109, 114 f., 121, 170, 185, 190, 203, 208, 302 Erlösung 31, 35, 52, 59, 121 – 125, 127, 129 f., 132, 136, 138, 142, 151, 156, 159, 164, 168 f., 182, 211 f., 222, 226, 276 Erniedrigung 7, 33, 123, 142, 182, 185, 187, 206, 208, 301 – Selbsterniedrigung 126, 184, 186, 203 Erwählung 2, 6, 29, 35, 37, 39, 52,

334  Sachregister 55, 57, 59 f., 64, 90, 131, 135, 152, 300 – die Erwählten 132 f. Eschatologie 14, 17 – 20, 26, 53, 55 – 58, 63, 80, 83, 87, 92 f., 97, 101, 106 f., 111, 153, 274 Ethik 3, 10, 122 f., 127, 256, 276, 279, 283 f. Evangelium 9, 75, 85, 88, 95 f., 98 – 105, 114, 126, 155, 162, 165, 167, 170, 184, 213, 216, 244, 247 f., 251, 259, 270 Fürbitte 124, 208, 244, 248 – Jesu Fürbitte 37, 40, 42 Gebet 17, 29, 33, 48, 79, 125 f., 134, 152, 193, 244, 247 f., 258 – Abendmahlsgebet 247 f. – Bittgebet 17 – Gebetsrichtung 276 – Klagegebet 17, 25 – Lobgebet 25 Gebot 39, 44, 58, 81, 91, 107, 114, 124, 127, 134, 140, 213 – Alleinverehrungsgebot 46 – Sabbatgebot 90 Geist 10, 54, 100, 103, 116, 122, 130, 136, 140, 157, 159, 163, 169, 186, 202, 207, 247, 255, 260, 270, 273, 275, 284 f., 288, 300 – Geistbegabung 56 – Geistverleihung 84 – Geistwesen 115 Gerechter 36 f., 50, 61 – 63, 132 – leidender Gerechter 60, 63 f., 81, 98 Gerechtigkeit 29, 36, 53, 56, 63 f., 86, 91 f., 100, 125, 228, 254, 259, 276 – Glaubensgerechtigkeit 90 – Gerechtigkeit Gottes s. Gott

Gericht 18, 36, 60, 78, 80, 89, 91 f., 97, 100, 111, 125, 139, 142, 151, 153, 228, 258 – Jüngstes Gericht 154, 212, 228 – 230, 274 – Weltgericht 36, 112 Gesalbter 1, 23, 54, 83, 96, 105, 181 Gesetz 2, 16, 38 f., 43, 47, 63, 86, 88 – 91, 107, 165, 213, 224 – Freiheit vom Gesetz 16 – Gesetzesgehorsam 212 f. – Gesetzgeber 42, 167 – Sinaigesetz 106 – Werke des Gesetzes 91 Gleichnis 4, 62 f., 84, 100, 249, 252, 303 Gnade 6, 71, 86, 89, 122, 130 – 132, 135 – 137, 140, 142, 151, 153, 156, 160, 165 f., 207, 210, 212, 228, 260 Gott – Barmherzigkeit 271, 273 – Bild G. 34, 38, 47, 300 f. – Ebenbild G. 33, 47 – Einzigkeit 3 – Einzigartigkeit G. 45 f. – Gerechtigkeit G. 5, 29, 36, 41, 60 f., 87, 89 – 92 – Göttersöhne 26, 96 – Handeln G. 7, 16 f., 19, 39 – Heiligkeit G. 46, 50 – Heilshandeln G. 19, 41, 50, 107, 111, 161 – Heilswille G. 84, 125, 161 – Liebe G. 46, 85, 87, 204 – Richtergott 33 – Schöpfer 3, 27, 32 – 34, 42, 45, 52, 62 f., 80, 84, 102, 113, 116, 133, 159, 189, 195, 202 – 204, 247, 271, 273, 277 – Sohn G. s. Sohn – Wort G. 10, 32 – Zeichen G. 10

Sachregister  335

Gottgleichheit 7, 185 – 187, 301 Heil 1 f., 7 – 10, 16, 18 f., 48, 56 f., 60, 79 f., 86 f., 89, 92, 97, 109, 115, 124, 126, 129, 132, 136, 148, 151 f., 155 – 157, 161 f., 165, 194, 208, 210, 212 f., 221, 306 Heiland 31, 100, 218 Heiligkeit 4, 46 f., 49, 105, 273, 275, 303 Heilsbedeutung 88, 121, 185, 207, 252 f., 287 Heilsfigur 13, 19, 56, 58 Heilsgabe (sacramentum) 136, 156, 163 – 166 Heilsgeschehen 87, 94, 244 Heilsgeschichte 187, 244 Heilsimperativ 42 Heilstat 36, 71, 156, 165 Heilstod s. Tod Heilswerk 119, 135, 148, 152, 157, 162 – 165, 194, 199, 205 f., 208, 213 Heilung 4, 79, 132, 169, 189, 271, 290 Herr 4, 23 f., 26 f., 30, 32, 45, 52, 61 f., 64, 71 f., 84 – 86, 105, 114, 121 – 127, 130, 133, 138 f., 142, 148 – 150, 155, 163, 167, 185 – 187, 197, 202, 216, 233, 244, 300, s. a. Kyrios Herrlichkeit 47 f., 87, 101, 112, 141 f., 197, 202, 204, 250, 272, 300 Herrschaft 24 – 26, 28, 56, 60 f., 84, 87, 112 f., 121, 162 f., 208, 247, 274, 300 – Herrschaftsform 255 – Herrschaftswechsel 246 Herrscher 4, 53 f., 56 f., 84, 138, 143, 290 – Alleinherrscher 28 – Allherrscher 27 – Herrscherkult 28, 56 – Herrscherverheißungen 55, 57

Hirte 4, 25 – 27, 51, 126 – guter Hirte 11, 64, 291 historischer Jesus s. Jesus Hoffnung 2, 33 f., 43, 51, 55, 61, 87, 109, 130, 134, 148, 158, 274, 306 Hoheitsaussagen 5, 221 f., 300 Hoherpriester 17, 49, 51, 54, 75, 106 f., 109, 300 Inkarnation 10, 63, 123, 138, 207, 210, 214, 272, 281 f., 290 Jünger 78, 81 – 83, 85, 94 f., 97, 100, 102 f., 144, 147 f., 150, 189, 202, 220, 228 Kerygma 6 f., 172, 216 König 4, 18, 24 – 26, 28 f., 32 f., 35, 45, 53 – 56, 58 f., 64, 72, 79 f., 83 f., 96, 105 f., 112, 203, 207, 255 f., 258, 290, 300, 304 – Königssalbung 54 – Königstitel 23, 26 – Königtum 18, 29, 45, 53 – 57 Königsherrschaft Gottes 4, 9, 18, 26 – 28, 54, 56, 59 f., 64, 79 f., 84, 121, 127, 215 – 217, 246 f., 251, 254 f., 302, 304 Kreuz 7, 19, 35, 86 – 89, 95 – 98, 103, 115, 122, 128 f., 148, 153, 185, 189, 198, 201 f., 212, 226 f., 230 f., 243 f., 250, 252, 254, 257, 270, 274, 299, 301, 303 Kreuzigung 8, 81, 85 – 88, 97, 139, 153, 186, 197, 202, 243, 254, 270, 274, 276, 291, 301 – mitgekreuzigt 300 Kyrios 7, 23 – 25, 30, 72, 84 – 87, 114, 185 f., 244, 290, s. a. Herr

336  Sachregister Lamm 5, 18, 51, 111 f., 134, 149 f., 244 Leben, ewiges 33 f., 102, 104, 131 f., 148, 160 Leib Christi 7, 115, 124 f., 127, 149, 200, 205, 247, 258 Leiden 5, 7, 34, 43, 60 f., 63 f., 81, 92, 94 – 98, 115, 122, 124 – 127, 139, 141, 149 – 153, 161, 163 – 165, 182, 188 f., 193, 195, 201 f., 204 f., 226, 229, 231, 243, 254, 283, 286, 293, 300 – 302, 304 Leidensankündigung 243 Leidensaussage 83 Leidensbereitschaft 5, 11, 152 Lehrer 5, 10, 38 f., 42, 52, 62 – 64, 95, 100, 121, 124, 130, 133, 135, 138, 159 f., 165, 168, 218, 282, 292, 306 Liebe 10, 30, 46, 101, 130, 134, 152, 157, 162, 204, 224, 226, 231, 255, 276 – Feindesliebe 80 – Gottesliebe 273, 279 f., 282 f., 286 – Nächstenliebe 247 – Selbstliebe 227 Logos 32, 34, 101 f., 126, 157, 181, 192, 196 f., 208, 214, 231, 269, 279 Mahlgemeinschaft 9, 43, 254, 303 Martyrium 6, 125 Menschensohn 18, 59, 64, 72, 85, 94 – 98, 102, 134, 182, 215, 243 Messias 1, 10, 14, 22 f., 31 f., 52, 54, 56 – 59, 64, 99 f., 106, 121, 181 f., 215 – 217, 252, 269 – 271, 287 – messianische Weissagung 3,32 – Messiasgeheimnis 98 f., 188 Mittler 34, 39, 109, 130, 132, 292 – Mittlerwesen 46

Nachfolge 95, 125, 127 – 129, 133 f., 136, 141 – 144, 148, 158, 164, 182, 189, 210, 213, 237, 243, 251, 304 – Leidensnachfolge 6, 125 Naturen Christi 7 f., 71, 119, 196, 198 f., 201 – 203, 205 – 207, 226, 302 – göttliche Natur 136, 148, 158, 165, 194, 205 f., 299, 301 f. – menschliche Natur 34, 130 f., 136, 148, 166, 169, 196, 199, 205, 208, 299, 301 f. – Zwei-Naturen-Lehre 137, 160, 166 f., 203, 211, 226, 232 Niedrigkeit 5, 97, 102, 111, 113, 187 f., 201, 203, 205 f., 300 Offenbarung 1, 13 f., 19, 30 f., 35, 39, 42 f., 57, 102, 104, 110 – 112, 123, 168, 250, 269 f., 305 f. Opfer 17, 43, 48 – 50, 93, 108 f., 121, 130, 132, 134, 148, 208, 249, 279, 300 – Kreuzesopfer 136, 156 – Opferung Isaaks 37 – Sühnopfer 109 – Versöhnungsopfer 50 Passion 51, 102, 139, 154, 157, 245, 249, 257 f., 299 – Passionsgeschichte 60, 81, 97 f., 154 Präexistenz 5, 64, 75, 86, 94, 102 – 104, 106 f., 114, 121 f., 186, 269, 300 Prediger 7, 141, 144 – 146, 154, 299 Priester 10, 17, 42, 44, 48 – 51, 53 f., 56, 58 f., 72, 105 – 109, 112, 140, 146, 149, 207, 246, 251, 280 Prophetie 17 – 20, 35 f., 40, 46, 52 – 55, 58 – 60, 64, 78 f., 90, 95,

Sachregister  337

99, 125, 207, 250 f., 254, 269 f., 272, 274 – 276, 305 – Christus als Prophet 10, 46, 72, 95, 250 f., 269 f., 272, 275, 306 – Prophetenbücher 18, 52 f., 55, 57, 59 f. Rechtfertigung 86, 89 – 92, 213, 228 Reich Gottes s. Königsherrschaft Gottes Repräsentant 2, 7, 39, 50, 53, 84, 215, 279, 292, 303 – Repräsentant Gottes 2, 28, 39, 187, 303 f. Retter 13, 18, 31, 58, 100, 106 Richter 27, 36 f., 52, 126, 142, 153, 274 Sabbat 32, 34, 61, 90 Salbung 54, 58, 105, 207 f., s. a. Gesalbter – Königssalbung s. König – Priestersalbung 76 Schöpfer s. Gott Schöpfung 4, 32 – 34, 61, 64, 74, 80 f., 93 f., 98, 151, 181, 192 – 194, 203, 212, 228, 271, 277, 289, 301 – Neuschöpfung 61, 98, 255 – Schöpfungsmittlerschaft 34, 102, 107, 114, 192 – Schöpfungsmythos 41 – Schöpfungsordnung 63 Schuld 40, 52, 89, 91, 142 Segen 33, 35, 37 f., 47 f., 52, 124, 146, 291 Sendung 93, 101, 103 f., 246, 269 – 271 Sohn 5 f., 9, 16, 28 f., 33, 35, 37, 53 f., 58, 61, 64, 72, 84, 95 f., 98 f., 101 f., 104 f., 114, 121, 130 f., 133 f., 148, 152 f., 182, 188 f., 192 – 194, 197, 202, 210, 215, 228,

233, 243 f., 252, 268 f., 271, 284 f., 300, 304 – einziggeborener Sohn 101 f. Soteriologie 8, 39, 71, 104, 107, 109, 122 f., 169, 184, 193, 203, 206 – 212, 219, 221 f., 232, 248 f., 269, 271 Stellvertreter 29, 40, 84 Sterben 13, 83, 87 f., 92, 97, 115, 228, 243, 301, 304 Sühne 17, 36, 44, 48, 50 f., 83, 92, 111, 157, 198, 249 Sünde 17, 47, 50 f., 86, 88, 90 – 92, 107, 109, 112, 130, 132, 135, 142, 148 f., 151, 227 – 229, 231, 276, 300, s. a. Vergebung – Adamssünde 135 – Aktualsünde 229 – Erbsünde 130, 156 – Sündenfall 108 – Sündlosigkeit Christi 40, 50, 58, 109, 135, 137, 275 – Tatsünde 227 f. Sündenbock 51 Sünder 6, 81, 86, 132, 134, 136, 151 – 153, 203, 228, 274, 303 Tempel 17, 44 f., 49 – 51, 54 f., 61, 73, 81, 102, 108 Tetragramm 18 f., 22 – 32, 35 – 54, 56 f., 59 – 61, 77, 80 Third Quest s. Jesus Tischgemeinschaft 9, 43, 254, 303 Tod – Heilstod 250 – Kreuzestod 35, 50, 94, 109, 123, 252 f., 270 – 272, 274, 276, 283 f., 286 f., 290, 293, 300 – Schandtod 185 – Sühnetod 36, 249 – Todesangst 299 Tora 2, 16, 19 f., 40, 46 f., 49, 52, 59, 61, 63, 80 f., 86, 88 – 92, 100, 270, 304 f.

338  Sachregister Trinität 7, 44, 121, 191 f., 194, 246 f., 260, 270 – Trinitätslehre 1, 119, 196, 198, 206, 208, 270 – 272, 276 Umkehr 6, 20, 78 Unsterblichkeit 33, 61, 63, 124 Vater 7, 28 – 30, 64, 101 – 103, 105, 114, 124 – 126, 134, 140, 148, 162, 187, 190, 192 – 195, 203 f., 226, 233, 244, 292 Vaterunser 23 Vergebung 78, 161, 228, 275 Verheißung 16, 35, 43, 128 f., 160, 244, 305 Versöhnung 51, 92 f., 95, 130, 132, 136, 160, 169, 208, 212, 215, 228 f. Versöhnungstag 50 f., 300 Vollmacht 5, 97, 102, 165, 216

Weisheit 4, 17 f., 20, 29, 33 f., 47, 53, 56, 61 – 64, 81, 89, 99, 126, 192, 300 – Göttliche Weisheit 29 f., 64, 192 Wort – Ich-bin-Worte 5, 30 f., 104 – Schöpferwort s. Gott – Wort Gottes s. Gott – Wort vom Kreuz 88 f., 300 Wunder 9, 41, 59, 97, 100, 102, 153, 160, 249, 252, 254, 271, 290 – Erzwingungswunder 41 – Heilungswunder 270 – Legitimationswunder 41 – Wundererzählung 79, 95 – Wundertäter 5, 79, 97 Zebaoth 25, 27 Zwei-Naturen-Lehre s. Naturen Christi