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German Pages 204 Year 1865
J e a n Pa u l's
ausgewählte Werke. Vierter Aand.
Jean Paul's
ausgewählte Werke. Zweite Ausgabe.
Vierter Dand.
Berlin. V e r l a g v o n G. R e i m e r . 1865 .
Hesperus oder
fünfnndvierzig Hundspostlage. E i n e Le b e n sbeschreibung.
Zweites H eM n .
Zean Paul's sämmtt. Wnke. V I.
I
Sechzehnter Hundsposttag. Kartoffeln-Formschneider — Hemmketten in S t . Lüne — WachSbossierungen — Schach nach der regula falsi — die Distel der Hoffnung — Begleitung nach Flachsenfingen.
M an sollte wie der alte F ritz gern in Kleidern schlafen, sobald man weiß, daß man, wie zuweilen Viktor und ich, im Hemde von den Vam pyren der mitternächtlichen Melancholie umzingelt und angefallen wird; sie bleiben aus, toemt m an sitzt und alles an hat; besonders erhalten uns Stiefel und Hut das Gefühl des Tages am meisten. — Eine warme Hand hob Viktors bethautes Haupt vom Schlastisch auf und richtete es der ganzen daherschlagenden Flut des Morgens ent gegen. Seine Augen gingen (wie allemal) unbeschreiblich mild und ohne Nachtwolken vor Agathen auf und überstralten sie. Aber sie führte ihn mit seinen Stralen eilig aus der belaubten Schlafkammer hinweg: denn er sollte sich einen Frisierkamm und einen Morgensegen suchen, und zweitens sollte das Tischbett zu einem Theebret für Klotilden werden, die die w a r m e n Getränke gern an k a l t e n Orten nahm. — Und so steht er draußen zwischen Pfarrhaus und Schloß mitten im Morgen — alles schien ihm erst während seiner Reise gemauert und angestrichen zu sein — denn alles, was darin wohnte, schien sich ver ändert zu haben und machte ihn wehmüthig. „Die Eltern drinnen „(sagt’ er zu sich) haben keinen Sohn — mein Freund hat keine Geliebte, „und ich . . . kein ruhiges Herz." D a er nun endlich in die Wohnung trat und wieder ein heller Ehrenbogen des liebenden Familienzirkels wurde; da er mit theilnehmenden und doch belehrten Augen die zärt-
licheu Täuschungen der Ettern, die grundlosen Hoffnungen seines Freundes und das Aufsteigen der gewitterhasten Tage anschauen mußte: so standsein Auge in Einer unverrückten Thräne über die Zukunst und sie wurde nicht kleiner, da seine Adoptiv-Mutter sie durch weiches Anblicken recht fertigen wollte. Zum Theil aber wehete auch dieser Flor über seine Seele blos aus der vorigen Nacht herüber, deren dämmernde Szenen nur durch einen kleinen Zwischenraum aus Schlaf von ihm geschieden waren: denn eine in Empfindungen verwachte Nacht endigt sich allezeit mit einem schwermüthigen Vormittag. Der Kaplan machte gerade Butter-Vignetten; ich meine, er sägte mit keiner andern Aetzwiege als mit einem Federmesser, und in keine andre Kupferplatten als in Kartoffeln Buchdruckerstöcke und Schließ* quadrätchen ein, die auf die Juliusbutter des Schmuckes wegen zu drucken waren. M an hätte denken sollen, Viktor hätte sich dadurch viel geholfen, daß er Witz hatte und anmerkte, die a l t e n Drucke wären zwar langer Bücher darüber und langer allgemeiner deutschen literarischen Rezensionen der Bücher ganz würdig, aber keines menschlichen Gedankens, und wären zehnmal ungenießbarer als diese neuesten Butter-Inkunabeln; denn wenn es etwas elenderes geben könnte als die Weltgeschichte (b. H. die Re gentengeschichte) , deren Inh alt aus Kriegen, wie das Theaterjournal a n d e r e r Marionetten aus Prügeleien bestände, so wär's blos die Ge lehrten- und Buchdruckerhistorie *). Auch das hätt’ ihm zu statten kommen sollen, daß er hinterdrein philosophisch war und verlangte, man sollte den Menschen weder ein lachendes noch v e r n ü n f t i g e s Thier nennen, sondern ein putzendes; zu welcher Anmerkung die Kaplänin nichts setzte, als die Anwendung davon auf ihre Töchter. * ) E r ist zwar nur gegen die ty p o g ra p h is ch e Geschichte gelehrter Werke aufgebracht, und verachtet nur das ängstliche Forschen nach den Geburttagen rc. verstorbener und dummer Bücher mitten in einer Welt voll Wunder; aber auch hier muß er bedenken, daß Köpfe, die über nichts als das Drucken selber drucke» lassen können, doch besser dieses kleine ElwaS thun, daS den Bessern am meiste» wuchert und erspart, als gar nichts, oder etwas über ihre Kraft.
Aber in Menschen seiner Art haben Kummer, S a tire und Philosophie neben einander Platz. E r erzählte dem Kartoffeln - Medaillör und der K a p lä n in , die alle Weiber auf der Erde zu ihren Töchtern zählte und gegen sie ähnliche Strafpredigten hielt, seine Reise m it so vielen S a tire n und R asuren, als für beide Parteien nöthig w aren ; aber als er die Wünsche der Fam ilie hörte, daß der Lord glücklich m it dem geliebren Fürstenkinde zurückkommen möge, und die Nachricht, daß der Regier rath schon alles eingepackt habe, um m it seinem Freunde jede S tu n d e , die er wolle, in die S ta d t zu ziehen: so hatte Viktor nichts zu thun als — die absondernden Thränenwege in seinen Augenhöhlen hinauszu tragen . . . . — Aber in den G arten 1 — D a s w ar unüberlegt. F lam in ging nach, und sie langten m it einander im Laub-Kloset vor den Theetrinkerinnen an. N iem als verschütteten die Zweige desselben ein verlegnereGesicht, weichere A ugen, vollere Blicke und lebhaftere oder schönere T räu m e, als Viktor darunter mitbrachte. E r dachte sich jetzo Klotilde als ein ganz neues W esen, und dachte also — da er nicht w ußte, ob sie ihn liebe — recht d u m m ; der Mensch achtet allezeit, wenn er den Berg überstiegen h a t, den kommenden Hügel für nichts; F lam in w ar sein Berg gewesen, und Klotilde sein Hügel. — I n allen Gespräch-Untiefen, wo m an schon halb im Sitzen oder Sinken ist, gibt's keine herrlichere Schiffpum pe, als eine Historie, die m an zu erzählen hat. M a n gebe m ir Verlegenheit und den größten Zirkel und n u r E in Unglück, nämlich die Anekdote d av o n , die noch keiner weiß als ich, so will ich mich schon retten. Viktor brachte also seinen Schw im m gürtel heraus, nämlich sein Schifftagebuch, a u s dem er für die Laube einen pragmatischen Auszug machte — ich gesteh' e s , ein Zeitungschreiber hätte mehr verfälschen, aber schwerlich mehr weglassen können. E r that sich, glaub' ich, wieder Vorschub bei der K aplänin, und noch mehr Schaden bei Klotilden — so sehr er auch n u r aus Wohlwollen für die Zuhörer u nd au s zu starkem H aß des Hofes gegen KlotildenS S atiren -V erb o t in ihrem Briefe verstieß — dadurch unbezweifelt, daß er
— da überhaupt die Mädchen n u r den S p o t t , nicht die S p ö tter lieben — die Benefizkomödie der Prinzessin nicht von der erhabenen S eite darpellte, wie ich, sondern von der lustigen: Klotilde lächelte, und Agathe lachte. D a aber der Name Em anuel von ihm genannt wurde und sein H au s und sein B e rg : so breitete die Freundschaft und die Vergangenheit auf dem schönsten Auge, worüber noch ein Augenbraunenbogen, a u s einer Schönheitlinie gezogen, floß, einen sanften Schimm er a u s , der jeden Augenblick zur Freudenthräne werden wollte. Doch m ußte er zu einer andern werden, als Viktor der Frage um seine Gesundheit, welche Klotilde hoffend an ihn als Kunstverständigen that, die A ntw ort der leis' umschriebenen Geschichte seines nächtlichen B lutens geben mußte. E r konnte den Schmerz des M itleidens nicht verhehlen, und Klotilde konnt' ihn nicht bezwingen. O ihr zwei guten Seelen 1 welche Quetschwunden wird euer Herz noch von eurem großen Freund empfangen I W ohin anders konnte sie jetzt ihr liebendes und trauerndes Auge a ls gegen ihren guten Bruder F lam in hinkehren, gegen den ihr Betragen durch den doppelten Z w ang, den ihr ihre Verschwiegenheit und seine A u s legungen anlegten, bisher so unbeschreiblich mild geworden w a r? — D a n u n Viktor d as alles m it so ganz andern Augen sah; da er seinem arm en F reund, der m it seinem gegenwärtigen Glück vielleicht die giftige N ahrung seiner künftigen Eifersucht vergrößerte, offen und heftend in das feste A n gesicht fchrnzete, das einst schwere T age zerreißen konnten; da ihn über haupt k ü n f t i g e oder v e r g a n g e n e Leiden des andern mehr angriffen, als g e g e n w ä r t i g e , weil ihn die Phantasie mehr in der Gew alt hatte als die S in n e : so konnt' er einen Augenblick die Herrschaft über seine Augen nicht behaupten, sondern sie legten ihren Blick, von mitleidigen T h rän en umgeben, zärtlich auf seinen Freund. Klotilde wurde über den Ruheplatz seines Blickes verlegen — er auch, weil der Mensch sich der heftigsten Zeichen des Hasses weniger schämt, als der kleinsten der Liebe — Klotilde verstand die kokette Doppelkunst nicht, in Verlegenheit zu scheu oder d araus zu ziehen — und die gute Agathe verwechselte das letzte
immer mir dem ersten . . . „frag1 ihn, was ihm fehlt, B ruder!" sagte Agathe zu Flamin . . . Dieser lenkte ihn mit ähnlichem Gutmeinen hinter die nächsten Stachelbeerstauden hinaus und fragte ihn nach seiner festen A rt, die immer Behauptung für Frage hielt: „ D ir ist was Passtert!" — „Komm n u r ! " sagte Viktor und zerrte ihn hinter höhere spanische Wände auö Laub. „Nichts ist m ir" — hob er endlich mit gefüllten Augenhöhlen und lächelnden Zügen an — „weiter passiert, als daß ich ein N arr geworden „seit etwan 26 Jahren — (so alt war er) — Ich weiß, D u bist leider „ein Jurist und vielleicht ein schlechterer Okulist als ich selbst, und hast „wol wenig in H. J a n i n * ) gelesen: nicht?" Nicht blos vom Nein wurde Flam ins Kopf geschüttelt. „Ganz natürlich; aber sonst könntest D u es aus ihm selber oder aus „der Uebersetzung von S e l l e recht schön haben, daß nicht blos die „Thränendrüse unsre Tropfen absondere, sondern auch der gläserne Körper, „die Meibomischen Drüsen, die Thränenkarunkel und — unser gequältes „Herz, fefe' ich d a zu Gleichwol müssen von diesen Wasserkügelchen, „die für die Schmerzen der armen, armen Menschen gemacht sind, sich „in 24 Stunden nicht mehr als (wenn's recht zugeht) 4 Unzen abseihen. „ Aber, D u Lieber, eS geht eben nicht recht zu, besonders bei mir, „und es ärgert mich heute, nicht daß D u in den H. I a n in nicht geguckt, „sondern daß D u meine fatale, verdammte, dumme Weise nicht merkst"... „Welche denn?" — „ J a wol, welche; aber die heutige mein' ich, daß mir „die Augen überlaufen — D u darfst es E hn blos einem zu matten „ T h r ä n e n h e b e r beimefsen, worunter P e t i t alle einsaugende Thränen„wege befaßt — wenn mir z. B. einer Unrecht thut, oder wenn ich nur „etwas stark begehre, oder mir eine nahe Freude oder nur überhaupt eine „starke Empfindung oder das menschliche Leben denke oder das bloße „Weinen selber."------*) Ein bekannter guter Schriftsteller über die Singen.
S ein gutes Auge stand voll Wasser, da er's sagte, und recht fertigte alles. „Lieber Flam in, ich wollte, ich wäre eine Dame geworden, oder „ein Herrnhuter, oder ein Komödiant — wahrlich, wenn ich den Zu„schauern weißmachen wollte, ich wäre darüber (nämlich über dem „Weinen), so wär' es noch dazu auf der Stelle wahr." — Und hier legt' er sich sanft und froh mit Thränen, die entschuldigt flössen, um die geliebte B ru st. . . . Aber zur Vipern- und Eisenkur seiner Männlichkeit hatt' er nichts als ein „ H m !" und einen Zuck des ganzen Körpers vonnöthen: darauf kehrten die Jünglinge als M änner in die Laube zurück. Es war nichts mehr darin; die Mädchen waren in die Wiesen ge schlichen, wo nichts zu meiden w ar, als hohes G ras und bethauter Schatten. Die leere Laube war der beste einsaugende Thränenheber seiner Augen; ja ich schließe aus Berichten des Korrespondenz-Spitzes, daß es ihn verdroß. D a die Schwester spät allein wiederkam: so verdroß es den andern auch. Ueberhaupt, sollte sich etwa der Held — welches für mich und ihn ein Unglück wäre — mit der Zeit gar in Klottlden ver lieben: so wird uns beiden — chm im Agieren, mir im Kopieren — die Heldin warm genug machen, eben weil sie selber nicht warm sein will; weil sie weder überflüssige W ärme, noch überflüssige Kälte, sondern alle zeit die wechselnde Temperatur hat, die sich mit dem Gespräch-Stoff, aber nicht mit dem Redner ändert; weil sie einem zärtlichen Nebenmenschen alle Lust nimmt, sie zu loben, da sie keinen Sackzehend davon entrichtet, oder sie wenigstens zu beleidigen, da sie keine Ablaßbriefe austheilt, und weil man wirklich in der Angst zuletzt annimmt, man könne keine andern Sünden gegen sie begehen, als solche gegen den heiligen Geist. J e a n P a u l , der in solchen Lagen w ar, und oft Jahre lang auf Einem Platz vor solchen B e r g f e s t u n g e n mit seinen Sturmleitern und Labarum's und Trompetern stand, und statt der Besatzung selber ehrenvoll abzog; dieser P a u l , sag' ich, kann sich eine Vorstellung machen, w as hier in Sachen Sebastians oontra Klotilden für Aktenpapier, Zeit und Druck-
schwärze (von ihm und mir) verthan werden kann, bis wir's nur z ir K rie g s b e fe s tig u n g treiben. Es wird einem M ann überhaupt bei einer ganz v e r n ü n f t i g e n Frau nie recht wohl, sondern bei einer blos feinen, Phantasierenden, heißen, launenhaften ist er erst zu Hause. Durch so eine wie Klotilde kann der beste Mensch vor bloßer Angst und Achtung frostig, dumm und entzückt werden; und meistens schlägt obendrein noch das Unglück dazu, daß der arme matte Schäker, von dem sich ein solcher irdischer Engel, wie der apokalyptische vom Jünger Johannes, durchaus nicht will anbeten lassen, selten noch die Kräfte austreibt, und zum Engel zu sagen — wie etwan zu einem entgegengesetzten Engel mit Weltteichen, der das Anbeten haben w ill: — „hebe dich weg von n u r!" P aul hebt sich allemal selber weg. — Viktor that dieß nicht; er wollte jetzt gar nicht aus dem Hause, d. h. aus dem Dorfe. Die Sommertage schienen ihm im S t. Lüne wie in einem Arkadien zu ruhen, wehend, duftend, selig; und er sollte aus dieser sanft irrenden Gondel hinausgeworfen werden ins Sklavenschiff des Hofs — aus der pfarrherrlichen Milchhütte in die fürstliche Arsenikhütte, aus dem Philanthropistenwäldchen der häuslichen Liebe auf das Eisfeld der höfischen. D as war ihm in der Laube so hart! — und in Tostato's Bude so lieb! — Wenn die Wünsche und die Lagen des Menschen sich mit einander umkehren: so klagt er doch wieder die Lagen, nicht die Wünsche an. „E r wolle sich selber, sagt7 er, auslachen, aber er habe doch hundert Gründe, in S t. Lüne zu zögern, von einem Tage zum andern — es ekle ihn so sehr seine Absicht an, einem Menschen (dem Fürsten) aus andern Beweggründen zu gefallen als aus Liebe — es sei noch unwahrscheinlicher, daß er selber gefalle, als daß es ihm gefalle — er wolle lieber seinen eignen Launen als gekrönten schmeicheln, und er wisse gewiß, im ersten M onat sag’ er dem Minister von Schleunes Satiren ins Gesicht, und im zweiten dem Fürsten — und überhaupt werd' er jetzt mitten im Sommer einen vollständigen Hoffchelm schlecht zu machen wissen, im Winter eher, u. s. w." Außer diesen hundert Gründen hatt' er noch schwächere, die er gar
nicht erwähnte, wie etwan solche: er wollte gern um Klotilden sein, weil er ihr nothwendig, gleichsam um sein Betragen zu rechtfertigen — aber welches denn, mein T rauter, das vergangene oder künftige? — seine Wissenschaft um ihre Blutverwandtschaft mit seinem Freund eröffnen mußte. Z u dieser Eröffnung fehlte, was in P aris das Theuerste ist, der P la tz ; das Exordium auch. Klotilde war nirgends allein zu treffen. Kenner sagen, jedes Geheimniß, das m an einer Schönen sage, sei ein Heftpflaster, das mit ihr zusammenleime und das oft ein zweites Ge heimniß gebäre: sollte Viktor etwan darum Klotilden seine Kenntnisse von ihrer Geschwisterschaft so begierig zu zeigen getrachtet haben? — E r blieb einen Tag um den andern, da ohnehin die Butterwoche der Vermählung erst vorübergehen mußte. — E r hatte schon Vermählmünzen in der Tasche. Aber er sah Klotilde immer nur in Sekunden; und eine halbe Sekunde braucht man nach B o n n e t zu einer klaren Idee, nach H ooke gar eine ganze: eh' er also eine ganze Vorstellung von dieser stillen Göttin zusammengebracht hatte, war sie schon fortgelaufen. Endlich wurden ernsthaftere Anstalten gemacht, nicht zur Abreise, sondern zum Vorsatz derselben. . . Die schönsten M inuten in einem Be suche sind die, die sein Ende wieder verschieben; die allerschönsten, wenn man schon den Stock oder den Fächer in der Hand hat und doch nicht geht. Solche M inuten umgaben unsern Fabius der Liebe jetzt; sanftere Augen sagten ihm: „eile nicht," wärmere Hände zogen ihn zurück, und die mütterliche Thräne fragte ih n : „willst du mir meinen Flamin schon „morgen rau b en ?" „G anz und gar nicht!" antwortet' er und blieb sitzen. Ich frage, steckte nicht seinetwegen die Kaplänin ihr Zungen-Richtschwert in die Scheide, weil er nichts so haßte als laute und stille Verläumdungen eines Geschlechts, das unglücklicher als das männliche sich von zwei Ge schlechtern zugleich gemißhandelt erblickt? — Denn er nahm oft Mädchen bei der Hand und sagte: „die weiblichen Fehler, besonders böse Nachrede, „Launen und Empfindelei find A stlö ch er, die am g r ü n e n Holz bis „in die Flitterwochen als schöne marmorierte K reise gefallen; die aber
„ a m d ü r r e n , am ehelichen H ausrath, wenn der Zapfen ausgedörret ist, „ a ls fatale Löcher aufklaffen." — Agathe schraubte jetzt ihr Nähkissen an seinen Schreibtisch und küßte ih n , er mochte zu lustig oder zu mürrisch aussehen. Selber der K aplan suchte ih m , wenn nicht die letzten T a g e , die er bei ihm verträumte, süß zu machen, doch die letzten N ä c h t e , wozu nichts nöthig w ar als eine Trom m el und ein Fuß. D ie feurigsten nächt lichen Hexentänze der M äuse untersagte der K aplan m it seinem F uß, da m it sie den Gast nicht aufweckten; er that nämlich dam it an das untere Bettbret von Zeit zu Zeit einen mäßigen Kanonenstoß, der um so mehr in s Hörrohr der T änzer einknallte, da er schon die O hren der Menschen erschreckte. Gegen den Eulerschen R ö s s e l s p r u n g der R atten zog er n u r m it einem Schlägel zu Felde, womit er, wie ein jüngster T ag in ihre Lust- und Jag d p artien einbrechend, blos ein oder zweimal auf eine a n s Bett-Tuch gestellte. Trom m el Puffte. M atthieu w ar unsichtbar und feierte, da Höflinge den Fürsten alles nachäffen, die Hochzeittage des seinigen wenigstens in kleinen Hochzeit stunden nach. D a s Pulver, das au s Kanonen und aus Feuerwerker-Düten fu h r, das V iv a t, das aus Kanzeln gebetet und au s Schenken geschrieen wurde, und die Schulden, die m an dabei machte, waren, denk' ich, so an sehnlich, daß der größte Fürst sich nicht schämen durfte, dam it seine V er m ählung und — Langweile anzuzeigen. — D ie Kälte hat ewig ein S p r a c h r o h r und die Em pfindung ein H ö r r o h r . D ie Ankunft einer ungeliebten fürstlichen Leiche oder dergleichen B ra u t hört m an an den P olarzirkeln; hingegen wenn w ir Niedere unsre G räber oder unsre Arme m it Geliebten füllen: so fallen blos einige ungehörte T h rä n e n , trostlose oder selige. F lam in lechzete nach dem Sessiontisch, dessen Arbeiten jetzo bald an gingen , und begriff das Zögern nicht . . . . Endlich w ürd' einmal im ganzen Ernste der Abschiedtag festgesetzt, auf den lOten A ugust; und ich bin gewiß, Viktor wäre am U te n nicht mehr in S t . Lüne gewesen, hätte nicht der Henker am 8ten einen Tyroler hingeführt. E s ist der nämliche, der vorgestern bei u n s Scheerauern mit einer
wächsernen Dienerschaft, die er halb aus Reichsständen, halb aus Ge lehrten zusammengesetzt hatte, seinen Einzug hielt und mit den WachShänden dieser Zwillingbrüder des Menschen uns die Gelder aus dem Beutel zog. E s ist dumm, daß mir der Spitz den heutigen Hundstag nicht vorgestern gebracht: ich hätte den Kerl, der in S t. Lüne Viktor und den Kaplan in Wachs bossterte, selber ausgefragt, wie Viktor heiße und Eymann und S t. Lüne selbst. Am Ende reif’ ich aus erlaubter und biographischer Neugierde diesem Menschen-Zimmermeister, der uns mit schauerlichen Wiederscheinen unsers kleinen Wesens umringt, noch nach. — Viktor mußte also wieder verharren, denn er ließ sich und den Kaplan in Wachs nachbacken, um erstlich diesem, der alle Abgüsse, Puppen und Marionetten kindisch liebte, und zweitens um der Fam ilie, die gern in sein erledigtes Zimmer den wächsernen Nach-Viktor einquartieren wollte, einen größern Gefallen zu thun als sich selbst. Denn ihn schauerte vor diesem fleischfarbnen Schatten seines Ich. Schon in der Kindheit streiften unter allen Gespenstergeschichten solche von Leuten, die sich selber gesehen, mit der kältesten Hand über seine Brust. Ost besah er Abends vor dem Bettegehen seinen bebenden Körper so lange, daß er ihn von sich abtrennte und ihn als eine fremde Gestalt so allein neben seinem Ich stehen und gestikulieren sah: dann legte er sich zitternd mit dieser ftemden Gestalt in die Gruft des Schlafes hinein, und die verdunkelte Seele fühlte sich wie eine Hamadryade von der biegsamen Fleischrinde überwachsen. Daher empfand er die Verschiedenheit und den langen Zwischenraum zwischen seinem Ich und dessen Rinde tief, wenn er lange einen fremden Körper, und noch tiefer, wenn er seinen eignen anblickte. E r saß dem Bossierstuhl und den Bossiergriffeln gegenüber, aber seine Augen heftete er wieder in ein Buch, um die Körpergestalt, in der er sich selber herumtrug, nicht entfernt und verdoppelt zu sehen. Die Ursache, warum er aber doch die weggestellte Verdoppelung seines Gesichts im Spiegel aushielt, kann nur die sein, weil er entweder den Figuranten im Spiegel blos für ein Porträt ohne Kubikinhalt oder für das einzige Urbild ansah, mit dem wir andre Doubletten unsers Wesens zusammenhat-
tcn— reden.
Ueber diese Punkte kann ich selber nie ohne ein gewisses Beben
Dem Wachsabdruck Viktors wurde nach seiner Volljährigkeit eine
toga virilis, ein Ueberrock, den das Urbild abgelegt hatte, umgethan, des gleichen das Zimmer eingeräum t, w oraus der lebendige zog. Der K aplan wollte diese wohlseile Ausgabe von Horion so an s Fenster lagern, wenn die bessere fort wäre, daß die ganze S chuljugend, die vom K antor S itte n und mores lernte, die Hüte abrisse, wenn sie au s dem Schulhause heimtobte. — Endlich! — D enn Matz kam. D es letzten ausgekelterte W angen und sein ganzer Körper, der unter den .Zitronendrückern der Nachtseste gewesen w ar, bewiesen, daß er nicht lo g , da er sagte, der fürstliche B rä u tigam sehe noch achtmal elender au s und liege darnieder am Podagra. Er setzte in seiner bittern W eise, die Viktor wenig liebte, hinzu: die bleichen Großen haben überhaupt kein B lu t, das wenige ausgenomm en, w as sie den Unterthanen abschröpfen oder w as ihnen an den Händen klebt, wie die Insekten kein rothes B lu t bei sich führen, als das den andern Thieren abgesogne. Dieses erinnerte Viktor an seine medizinischen Pflichten gegen den Fürsten. Entweder M atzens verwüstete Gestalt — denn unm orali sches Nachtleben macht Züge und Farbe noch widerlicher als das längste Krankenlager — oder die E rinnerung an des Lords W a rn u n g e n , oder Leides machte ihn unserem Hofmedikus eben so verhaßt als dieser wieder jenem durch das Hofphysikat geworden w a r; dieses verhehlte G ift M atthäi aber offenbarte sich nicht durch kleinere, sondern durch größere fast i r o n is c h e Höflichkeit. Hingegen Matz und F lam in schienen vertrau licher als je zusammen zu sein. V orm ittags nach dem Rasieren sprang, ohne sich noch einm al zu überwaschen, Viktor auf und packte sogleich den Stiefelknecht ein, und riß die Hangriemen der Kleider entzwei, und bestellte Meßhelser, dam it sie seinen Lebens-Ballast — ausschifften (wegen seiner elenden Packerei) und d an n einschifften. D en n er überließ die ganze Kuratel des Gerüm pels Anserer kleinlichen LebenSgeräthschaften immer ftemden Händen, und das
mit einer solchen Verachtung dieses Gerümpels und mit einer solchen sorglosen Verschwendung — ich werde zwar meinen Helden nie verläumden; aber es ist doch durch den Spitz erwiesen, daß er nie das Äurrentgeld eines versilberten Goldstücks kollazionierte, und nie einem Juden, Römer und Herrnhuter etwas im Handel abbrach — so sehr, sag' ich, daß die ganze weibliche Hanse in S t. Lüne schrie: ei der N arr! und daß die Kaplänin sich immer an seine Stelle aus den Handelplatz einschob. E r war aber nicht zu bessern, weil er die Lebensreise und also den Reisebündel mit so philosophischen Augen verkleinerte, und weil er vor nichts so erröthete als vor jedem Scheine des Eigennutzes: er lief vor allen Anstalten, Vorreitern und Probekomödien davon, wenn sie seinetwegen auftraten — er schämte sich jeder Freude, die nicht wenigstens in zwei Bissen, in einen für einen Mitesser, zu theilen war — er sagte, die Stirne eines Hospodars müßte die Härte seiner Krone angenommen haben, weil's sonst ein solcher Mensch unmöglich ertrüge, was oft blos seinetwegen gemacht würde von einem ganzen Lande, die Musik — die Ehrenbogen — die Carmina — das Freudengeschrei in Prose und die entsetzlichen Kano naden. ------E r hatte jetzt in S t. Lüne nichts mehr abzuthun, als eine bloße Platte — Höflichkeit; denn so viel darf ich wol ohne Eitelkeit behaupten, daß ein Held, den ich zu meinem erkiese, schon hoffentlich so viel Lebensart habe, daß er hingeht zum Kammerherrn Le B au t und sagt: ä revoir! — An solche Staatsvistten muß er sich ohnehin jetzt gewöhnen. Matz saß auch drüben, dieser mit struppichten abgezauseten hängenden Flügeln hingeworfene Amor der Kammerherrin —- letzte scherzte über die eitlen Blicke mit ihm, die den nachlassenden Puls seiner Liebe bekannten — Le B aut spielte Schach mit Matzen — Kloülde saß an ihrem Arbeittischchen voll seidner B lum en, mitten unter diesen edlen Drillingen-----I h r armen Töchter! was für Leute müsset ihr nicht oft bewillkommen und aushören! — Doch für Kloülde w ar dieser Hauöfteund nichts als eine ausgepolsterte Mumie, und sie wußte nicht, kam er oder ging er. Sebaüian wurde als Adoptivsohn des Glücks, als Erbe des Väter-
lichen Günstling - Postens, heute von der Kammerherrschast ungemein verbindlich empfangen. Wahrhaftig, wenn der Hofmann Unglückliche flieht, weil ihm das Mitleiden zu heftig zusetzt, so drängt er sich gern um Glückliche, weil er Mitsteude genießen will. Der Kammerherr, der sich noch vor deul verbeugte, der in seinem Sturze vom Thron mitten in der Lust hing, bückte sich natürlicherweise vor dem noch tiefer nieder, der in der entgegengesetzten Fahrt begriffen war. Viktor stellte sich zu den Weibern, aber mit einem aufs Schachbretchen irrenden Auge, um, wenn er verlegen wäre, sogleich einen Vor wand der veränderten Aufmerksamkeit oder des Wegtretend bei der Hand zu haben. E s war gescheidt; denn jedes Wort, das er und die Weiber sprachen, war ein Schachzug; er mußte gegen die Le B aut — was wußte diese, daß einer M utter nichts schöner stehe als eine vollkommene Tochter? — d. H. gegen die Stiefmutter seine K ä l t e und gegen die Stieftochter seine W ä r m e verdecken. Der Leser frage nicht: was konnte denn die alte Stiefmutter für Wärme begehren? Denn in den höhern Ständen werden die Ansprüche durch Blutverwandtschaft und Alter nicht geändert; — blos in niedern werden sie es — daher befürcht' ich allemal, das, was ich der Tochter vortrage, langweile die Mutter, und ich fange mit Recht, wenn diese kömmt, nach einem bessern Redefaden. — Viktor verbarg seine K ä l t e leicht aus jener Menschenliebe, die bei ihm so oft in zu gut herzige Schmeichelei unmoralischer Hoffnungen ausartete; und wenn eine haben wollte, er sollte sich in sie verlieben, so sagte er: „ich kann doch „wahrlich zmn guten Lämmchen nicht sagen: ich mag nicht." — Die W ä r m e gegen Klotilde verbarg er — schlecht, nicht weil sie zu stark, son dern gerade weil sie es noch nicht genug wgx. E s ist natürlich: ein Jüngling von Erziehung kann, wenn er will, seine e r w i e d e r t e Liebe ohne Kanzelabkündigung verhüllen und verschweigen, aber eine u n e r w i e d e r t e , eine, die er selber blos erst Achtung nennt, läßt er aus sich ohne Hüllen lodern. — UebrigenS bitt' ich die Welt, sich hinzusetzen und zu bedenken, daß mein Held nicht den Teufel im Leibe oder sechszehn Jahre habe, sondern daß er unmöglich eine Liebe für eine Person empfin-
den könne, die über ihre Gesinnungen wie über ihre Reize eine MosiSDecke hängt. Liebe beginnt und steigt durchaus n u r an der Gegenliebe und m it ihrem wechselseitigen E rrathen. Achtung hat er blos, aber recht viele, aber eine recht wachsende und bange, kurz seine Achtung ist jener kalte hüpfende Punkt im D otter des H erzens, dem die kleinste fremde W ärm e oft nach Ja h re n — die M etapher ist aus einem E i geschlagen — wachsendes Leben und Am ors-Flügel zutheilt. E r untersuchte jetzt am Arbeittisch Klotildens W ärm e m it dem Feuermesser; aber ich kann weiter nicht außer m ir vor Freude sein, daß er die W ärm e an der in s Kleinste abgetheilten S kala wenigstens um V in Linie gestiegen fand. D en n er schießet wol fehl; ich will lieber auf den Stirnm esser Lavaters bau en , als auf den H e r z - und W ä r m e m e s s e r eines Liebe suchenden Menschen, der seine Auslegungen mit seinen Beobachtungen vermengt und Zufälle m it Absichten. S e in Feuer messer kann aber auch Recht haben; denn gegen gute Menschen ist m an im Beisein der schlimmen (m an bedenke n u r Matzen) wärm er als sonst. M a n verdenk' es H errn L eB aut und F ra u L eB aut nicht, daß sie mei nem Helden zum Glücke gratulierten, an einen solchen Hof, zu tinent solchen Fürsten — es ist der größte in Deutschland, sagte er — zu einer solchen Fürstin — sie ist die beste in Deutschland, sagte sie — abzureisen. Matz lächelte zwischen J a und Nein. D erA lte setzte das Schach fort, die Alte daS Lob. Viktor sah m it Verachtung, wie wenig zwei solchen Seelen, die die Thronstufen für eine Wesenleiter und den T h ro n -E isb e rg für einen O lym p und ein Empyreum hielten, und die nirgends als an dieser Höhe ihr Glück zu machen w u ß te n , bessere Begriffe vom Glück und schlechtere von der Höhe beizubringen wären. Gleichwol m ußt' er vor Klotilden, die auf ihrem Gesichte mehr als E in Nein gegen die Lobrede hatte, offen baren , daß er eben so edel verneme wie sie. E r knätete also Lob und T adel nach einer h o r a z i s c h e n Mischung untereinander, um weder sati rische, noch schmeichlerische Anspielungen auf zwei abgedankte Hofleute zu machen: „m ir gefällt's nicht, sagt' er, daß es da n u r Vergnügungen und „keine Arbeiten gibt — lauter Konfektkörbchen und keinen einzigen Arbeit-
Beutel, geschweige einen Arbeittisch wie dieser da." — „Glauben S ie ," ftagte Klotilde mit auffallender Innigkeit, „daß alle Hoffeste einen ein z ig e n Hofdienst bezahlen?" — „Nein, sagt' er, denn für die Feste selber sollte man bezahlet werden — ich behaupte, eS gibt dort lauter Arbeit „und lern Vergnügen — alle ihre Lustbarkeiten sind nur die Beleuchtung, „die Zwischenmusik und die Dekorazion, die dem Schauspieler, der an „ferne Rolle denkt, weniger gefallen als dem Zuschauer." — „ E s ist alle„mal gut, dagewesen zu sein," sagte die Alte. — „Gewiß (sagte er); „denn es ist gut, nicht immer dazubleiben." — „Aber es gibt Personen „(sagte Klotilde), die dort ihr Glück nicht machen können, blos weitste „nicht gern dort sind." D as war sehr fein und schonend, aber blos für Viktors Herz verständlich: „einem schönen Schwärmet" (sagt' er, und fragte wie allemal nach dem scheinbaren Widerspruch zwischen Viktors L eb en und Viktors M e i n u n g e n nichts) „oder einem feurigen Dichter „würd' ich rathen, zu Hause zu bleiben — beider F l u g statt der Pag „wäre im Hofleben, was ein Hexameter in der Prose ist, den die Kunst„richter nicht leiden können — und zur Seele mit dem weichsten gefühl vollsten Herzen würd' ich sagen: entfliehe damit, das H e rz wird dort „als Ueberbein genommen, wie in der sechsfingerigen Familie in Anjou „der sechste F i n g e r ." . . . . Die Alte schüttelte den Kopf schnell links. „Und doch, fuhr er fort, würd' ich sie alle drei auf einen M onat an den „Hof ziehen und sie unglücklich machen, um sie weise zu machen." Die Kammerherrschaft konnte sich in Viktor nicht so gut wie mein Leser schicken, der zu meinem größten Vergnügen Laune und das T alent, alle Seiten einer Sache zu beschauen, so geschickt von Schmeichelei und SkepttzismuS unterscheidet. Klottlde hatte langsam den Kopf zum letzten Satze ge schüttelt. Ueberhaupt stritten heute alle f ü r und w i d e r ihn in jenem teilnehmenden Tone, den Weiber und Verwandte allemal gegen einen Fremden annehmen, wenn sie eine Stunde vorher den nämlichen Proceß, aber zu praktischer Anwendung, mit den Ihrigen geführet hatten. Viktor, der schon lange besorgte, verlegen zu werden, ging endlich dahin, wohin er bisher so oft geschauet hatte — zum Schach, das man J e a n P aul'S säm m tl. Werke.
VI.
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mit der größten Begierde, zu — verlieren, spielte. 'Der Kammerherr — wir wissen alle, wie er w ar, er schrieb nichts als Belobschreiben für die ganze W elt, und der Abendmahlkelch wäre mehr für seinen Geschmack gewesen, hätt* er daraus auf eines wichtigen ManneS Gesundheit to a s te n können — dieser beförderte, so gut er konnte, mit den dürren Schachstatuen blos das fremde Wohl auf Kosten des eignen: gern verlor er, falls nur Matthieu gewann. 9ioch dazu glich er jenen verschämten Seelen, die ihre Wohlthaten gern verborgen geben, und er sonnt’ es nicht über sich erhalten, es seinem Schach-Gegner zu sagen, daß er ihm dm Sieg zuschanze; er hatte fast größere Mühe, sich zu verbergen wie ein Hofm ann, als sich s e lb e r zu b esieg e n wie ein Christ. Eine solche Liebe hätte, wie es scheint, wärmer vergolten werden sollen als durch offenbare Bosheit; aber Matz hatte das Nämliche vor und wich dem S iege, den jener ihm nachtrug, wie ein wahrer Spitzbube aus. Le B aut ersann sich vergeblich die besten Züge, womit man sich selber matt macht — Matz setzte noch bessere entgegen und drohte jede Minute auch zu er matten. Uns alle dauert der auf dem Schachboden herumgehetzte Kam merherr, der wie eine Kokette besorgt, nicht besiegt zu werden. E s war für ein weiches Auge, das doch dem Schwachen lieber als dem Schelm vergibt, nicht mehr auszuhalten: Viktor trat unter tausend Entschul digungen gegen den Schwachen und voll Bosheit gegen den Boshaften in die Heckjagd ein, und nöthigte den Hofjunker, seinen Rath und seine Charitalivsubsidien anzunehmen und zu vorgeschlagenen Kriegsoperazionen von solchem Werth zu greifen, daß der M ann mit dem Amte der kammerherrlichen Schlüssel endlich trotz seinen Befürchtungen und trotz den schlimmsten Aussichten — verlor. Alle Anwesende erriethen alle Anwesende, wie Fürsten einander in ihren öffentlichen Komödienzettelu. E r hatte endlich die Abschiedaudienz, aber geringen Trost. Die Gestalt, unter der alle seine Schönheitideale nur als Schildhalter und Karyatiden standen, war noch kälter als bei dem Empfange und immer blos das Echo der elterlichen Höflichkeit. D as einzige, was ihn noch aufrecht erhielt und beruhigte, war eine — Distel, nämlich eine optische