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German Pages 364 [367] Year 2023
HipHop Studies
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Anna Groß | Marie Jäger (Hrsg.)
It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit
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Anna Groß | Marie Jäger (Hrsg.) It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit
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HipHop Studies Herausgegeben von Marc Dietrich | Martin Seeliger
Seit den 1970er Jahren in den USA hat sich HipHop global zur einflussreichsten Szene und Jugendkultur entwickelt. Zu tun hat dies mit ihrer besonderen Zugänglichkeit (durch die Etablierung von Internet und Social Media sogar noch verstärkt), ihrem interaktiven Charakter (Prinzip der Inklusion und Gemeinschaft einerseits, identitätsstiftende Distinktion andererseits) sowie der kompetitiven Orientierung (Akteur*innen können sich mit relativ wenig Ressourcen mehr oder wenig spielerisch miteinander messen). Diese Aspekte sind zunehmend zum Gegenstand sozial- und kulturwissenschaftlicher Reflexion geworden. Nach der Etablierung der HipHop-Forschung im deutschsprachigen Raum (späte 1990er Jahre) zeichnet sich die Konsolidierung eines Forschungszweiges ab zu dessen Institutionalisierung die Reihe beitragen und dabei möglichst hochwertige Buch-Publikationen präsentieren möchte: Aus einer interdisziplinären Perspektive (vom Blickpunkt der Sozialen Arbeit und Pädagogik über die Soziologie und Geschlechterforschung bis hin zur Kultur- und Musikwissenschaft) stehen eine ganze Reihe von Fragen und Themen im Fokus. Zu ihnen zählen u. a.: Rap und soziale Ungleichheit, politische Implikationen der HipHop-Bildwelten, ethnische Segregation, mediale (Krisen-)Diskurse um (migrantische) Männlichkeit und Geschlecht generell, Glokalität, Sozialisationsaspekte, kulturelle Präfigurationen und Analogien im Fundus symbolischer Repräsentationen der (Populär-)Kultur. Dr. Marc Dietrich arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Musikvideos, Szenemedien und Social Media - zur Aushandlung von Rassismus im deutschsprachigen HipHop“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen (digitale) Jugendkultur, Kultursoziologe, Cultural Studies und (visuelle) qualitative Methoden. Dr. Martin Seeliger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen, Arbeits-, Wirtschafts- und Politische Soziologie sowie Cultural Studies.
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Anna Groß | Marie Jäger (Hrsg.)
It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.
Dieses Buch ist erhältlich als: ISBN 978-3-7799-6776-7 Print ISBN 978-3-7799-6777-4 E-Book (PDF) 1. Auflage 2023 © 2023 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Dr. Anna Grebe Herstellung und Satz: Ulrike Poppel Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Beltz Grafische Betriebe ist ein klimaneutrales Unternehmen (ID 15985-2104-100) Printed in Germany Weitere Informationen zu unseren Autor:innen und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de
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Inhalt
Vorwort Heidi Süß
9
Und wir geben dir auch ein paar Artikel. Warum? Damit du Knowledge kickst. Eine Einleitung Marie Jäger und Anna Groß
13
Warum HipHop in der Jugendarbeit? Stefan Anwander, Anna Groß und Marie Jäger
20
Identitäten und Ideologien im Hiphop „I am the Man!“ – Kontextualisierung von Männlichkeit(-en) im US-amerikanischen HipHop vor der Jahrtausendwende Ash M.O.
36
„Entweder werde ich Gangsta-Rapper oder Müllmann“. Männlichkeit(-en) im Deutsch-Rap Marie Jäger und Anna Groß
51
(Anti-)Rassismus im HipHop Interview mit Sinaya Sanchis, Daniel Vishnya aka Mr. Cherry, Ewgeniy Kasakow und Drob Dynamic
61
Klassismus im HipHop und in der politischen Bildungsund Jugendarbeit Ein Gespräch zwischen Dana Meyer und Sir Mantis, mit einer Einführung von Connie Castein und Anna Groß
74
Die Frau im HipHop, das unbekannte Wesen DJ Freshfluke
94
Antisemitismus im HipHop in den USA, Deutschland und Russland Marie Jäger und Ewgeniy Kasakow
107
„Doch wir war’n vor euch im All.“ HipHop und Ostdeutschland Marie Jäger
126
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Nationalismus, Patriotismus und Rechts-Rap Anna Groß
143
Ansätze und Felder in der HipHop-Jugendarbeit Beyond Movement: Kulturspezifische Vermittlungsmethoden aus der Breaking-Praxis in formellen Bildungsstrukturen Friederike Frost
156
Graffiti in der Jugendarbeit Interview mit Julia Mumme, Stephan Wilke und Pekor
173
Back in the Days – Beatboxing und HipHop, Jugendclubs und Politik Pekor
189
Empowerment-Arbeit und HipHopHistory Lessons Drob Dynamic
194
Rap-Workshop ABC: Austausch, Brückenbau, Connection LMNZ
198
Musik- und Medienproduktion in der Jugendarbeit in Deutschland und Russland Daniel Vishnya aka Mr. Cherry
208
Exkurs: HipHop in Russland – Siegeszug mit Verzögerung Ewgeniy Kasakow
214
Gipsy Mafia: Wenn HipHop zur Notwendigkeit wird Interview mit Gipsy Mafia
221
„Samma uns ehrlich“: HipHop in der Arbeit mit jungen Menschen und in der Offenen Jugendarbeit in Wien Stefan Anwander
231
Luutstarch: Kreativworkshops zum Thema „Armut in der reichen Schweiz“ Rosa-Lynn Rihs, Kay Wieoimmer und Elena Holz 248 Kunst gegen das Vergessen – Sound in the Silence in der Gedenkstättenarbeit Dan Wolf
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Unsere Blockparty. Mädchen*arbeit mit HipHop Sinaya Sanchis
259
Geschlechterreflektierte Mädchen*- und Empowerment-Arbeit mittels Rap Haszcara
265
Release Friday und Open Decks, ein Ansatz der Jungenarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Dennis Just
273
„B*tches Frauen klar machen“ – Workshops zu Rap und Geschlecht im (halb-)offenen Strafvollzug Anna Groß
286
Ein Baukasten-System für (HipHop-)Workshops: Das Flukyversum DJ Freshfluke
301
Methoden Rap-Methode: Four Rap Bars In Unity LMNZ
312
High-5 Cypher und Battle Line: Zwei kulturspezifische Vermittlungsmethoden aus der Breaking-Praxis Friederike Frost
316
Armut thematisieren – Rap. Eine Unterrichts-Einheit vom Projekt Luutstarch Luutstarch
320
Release Friday Dennis Just
328
Open Decks Dennis Just
331
HER*story of Rap Anna Groß
334
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(Musik-)Videoanalyse Anna Groß
344
Bilder-Methode: Welche*r Rapper*in wäre ich? Marie Jäger
350
Graffiti-Methode: Welcher Style passt zu wem? Marie Jäger
353
Bilder-Methode: FLINTA* im Rap – Covercheck DJ Freshfluke
356
DJing-Methode: Say my Name DJ Freshfluke
359
DJing-Methode: Pitch Your Identity DJ Freshfluke
362
DJing-Methode: Geräusche Memory DJ Freshfluke
365
Die Autor*innen
367
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Vorwort
Als Aykut Anhan (Haftbefehl) mitten im Stimmbruch, Barbara Schirin Davidavičius (Shirin David) im Kleinkindalter, Enes Meral (Mero) gerade mal geboren und deutscher Gangsta-Rap noch weit entfernt von den Musikcharts war, begannen sich die ersten Sozialwissenschaftler*innen in Deutschland für HipHop zu interessieren. Auf einige wenige Sammelbände verstreut und in Rekurs auf die Theoretiker*innen der britischen Cultural Studies analysierten sie die HipHopLesarten von „Posern“ und „Reals“ und führten den Gegenstand ersten kulturwissenschaftlichen und soziologischen Begriffen und Konzepten zu. Analog zu den US-amerikanischen hip-hop studies formierte sich so auch in Deutschland ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das gemeinhin unter dem Namen „HipHop-Forschung“ firmiert und dem sich unterschiedliche Akteur*innen aus Wissenschaft und Praxis, (Musik-)Journalismus und Literaturbetrieb, Szene und Aktivismus, Kultur-, Bildungs- und Jugendarbeit auf die ein oder andere Weise verbunden fühlen. Oder eben auch nicht. Denn zwar darf sich die akademische HipHop-Gemeinde mit ihren Standardwerken, Buchreihen, DFG-Projekten,1 Monografien, Tagungen, Seminaren und sogar Promotionen zum Thema langsam als legitimer Teil der scientific community verstehen, inwiefern das hier produzierte Wissen jedoch dort verfängt, wo HipHop gelebt, gehört, praktiziert und in der täglichen Arbeit mit Jugendlichen angewendet und vermittelt wird, ist fraglich. Nach einem stressigen Zehn-Stunden-Tag in der offenen Jugendarbeit wird sich eine alleinerziehende Sozialarbeiterin und Mutter zweier rap-affiner Söhne abends wohl kaum eine genderlinguistische Analyse des Tracks x von Rapper y im neuen Sammelband von z zu Gemüte führen. Tut sie es doch, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie die Lektüre alsbald wieder aus der Hand legen wird: zu abgehoben die Theorie, zu kleinteilig die Analyse, zu elaboriert die Sprache: „Versteht ja kein normaler Mensch“. Viele Erkenntnisse aus mittlerweile 20 Jahren deutscher HipHopForschung sind auf diese Weise erst gar nicht in der Praxis angekommen, während dutzende Fragen, die wiederum Praktiker*innen (und Eltern) umtreiben, bis heute nur unzureichend erforscht sind: „Kann Rapmusik sexistische Einstellungen begünstigen?“ oder „Wird mein Kind rechts, wenn es Rechts-Rap hört?“. Fragen wie diese sind die Klassiker auf fast jeder pädagogischen Fachtagung zum Thema, lassen sich mangels Studien allerdings kaum befriedigend beantworten. Der unterforschte Themenkomplex „Rap und Rezeption“ zeigt beispielhaft, dass HipHop-
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DFG steht für Deutsche Forschungsgemeinschaft, den größten (finanziellen) Förderer für Forschungsprojekte in Deutschland.
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Theorie und -Praxis zuweilen auseinanderklaffen und mitunter wenig Austausch und (auch Wissenschafts-)Kommunikation zwischen den verschiedenen Sphären stattfindet. Während die fortschreitende Akademisierung der HipHop-Studies den Zugang und Nachvollzug vieler Forschungsergebnisse bisweilen erschwert, werden Akteur*innen aus der Jugend-, Sozial- und (politischen) Bildungsarbeit (auch aus Journalismus, Aktivismus usw.) oft auch kaum in die Forschung miteinbezogen bzw. sind dort vor allem als Forschungsobjekt abgebildet. Subjektive Perspektiven und Erfahrungswerte über die Arbeit mit HipHop an Schulen, in Jugendclubs oder im offenen Strafvollzug liegen deshalb genauso wenig vor wie Praxisberichte oder bewährte Methodenkataloge. In diese Literaturlücke stoßen nun Anna Groß und Marie Jäger mit ihrem Band „It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit“. Beide sind auf sehr unterschiedliche Weise mit HipHop groß geworden und dürfen aufgrund ihres langjährigen Engagements als Aktivist*innen, Labelbetreiber*innen, Referent*innen, Workshopleitende und politische Bildner*innen mit Recht als ausgewiesene Expert*innen auf dem Gebiet der Jugend(kultur)arbeit gelten. Sie kennen die Potenziale, aber auch die Fallstricke einer hiphop-szeneorientierten Jugendsozialarbeit, für die es freilich keinerlei formale Ausbildung gibt, wie sie in ihrer Einleitung schreiben. Und so gibt es zwar zahllose Einzelpersonen, Projekte, Vereine und NGOs, die hiphop-kulturelle Praktiken, Bilder oder Diskurse in ihrer Arbeit einsetzen, konkrete pädagogische Richtlinien, einen formalisierten Kanon oder anderweitig orientierungsstiftendes Material, etwa in Form von Literatur, gibt es hingegen nicht. Auch ein Austausch zwischen Akteur*innen unterschiedlicher Institutionen und Kontexte findet laut Groß und Jäger bislang viel zu wenig statt. Die beiden Herausgeber*innen haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die zahlreichen koexistierenden Ansätze, Perspektiven und Methoden aus der Praxis zusammenzutragen und für eine interessierte (Fach-)Öffentlichkeit aufzubereiten. Sie wollen zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten in der Jugendarbeit mit HipHop stecken und welche Potenziale Deutschlands erfolgreichste Jugendkultur für die Arbeit mit Kindern und jungen Menschen bereithält. Lebensweltorientierung, Ideologiekritik und Intersektionalität sind dabei nur einige Prämissen, die ihrer und der Herangehensweise vieler Praktiker*innen an diesen einigermaßen komplexen Gegenstand zugrunde liegen. Dass diese auch in der Arbeit an dem vorliegenden Sammelband handlungsleitend waren, zeigen die reflexiven Überlegungen, die Anna Groß und Marie Jäger dem Band gleich in ihrer Einleitung voranstellen: Mit „It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit“ sollen weder normative Mindeststandards für die Sozialarbeit und (politische) Bildungsarbeit mit HipHop formuliert werden, noch ist der Band als „weitere akademische Abhandlung zu HipHop“ konzipiert. Stattdessen sollen diejenigen zu Wort kommen, die täglich und ganz konkret mit jungen Menschen zusammenarbeiten. Diejenigen, die Workshop-Programme entwickeln und kontextbezogen anwenden und modifizieren, die immer wieder neu ausloten, wie Beatboxing, Rap, Graffiti oder Breaking in der Praxis eingesetzt werden können
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und die innovative Ideen für den Einsatz von HipHop-Elementen, etwa im Strafvollzug oder der Gedenkstättenpädagogik erarbeiten. Inklusiv, auf Augenhöhe und unter Einbezug aller Beteiligten. Gerade in diesem hierachiekritischen und niedrigschwelligen Ansatz, der Akteur*innen unterschiedlicher, gerade auch außeruniversitärer Kontexte miteinbezieht, liegt dann auch das große Verdienst dieses Sammelbandes. Als geradezu überfällige Perspektivensammlung und praktische Handreichung schließt „It’s more than just rap – HipHop in der Jugendarbeit“ eine klaffende Literaturlücke an der Schnittstelle von Aktivismus, Jugendund Sozialarbeit, Pädagogik und (akademischer) HipHop-Forschung. Deswegen, aber auch, weil der Band ein wichtiges Dialogangebot an alle an HipHop-Forschung schon immer beteiligten Personen, Institutionen und Sphären darstellt, reiht er sich nahtlos in diese wissenschaftliche Buchreihe ein und führt im besten Fall zu neuen Kollaborationen, Projekten oder (theoretischen) Reflexionsprozessen auf dem jungen, interdisziplinären Forschungsfeld der deutschsprachigen HipHop-Studies. Heidi Süß Berlin, Anfang Februar 2023
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Und wir geben dir auch ein paar Artikel. Warum? Damit du Knowledge kickst Eine Einleitung Marie Jäger und Anna Groß
HipHop in der Jugendarbeit – eine Geschichte voll Empowerment und Reflexion, Hassliebe und Ablehnung, von „Mach mal endlich diese sexistische Mucke aus“ bis „Lass mal deinen Lieblingsrap-Text als Gedicht analysieren“1, von „Du hast Polizei“2 bis „Modus Mio“, von „Knowledge kicken“3 und Lernprozessen, von zugewandter, lebensweltorientierter Jugendarbeit und Begegnungen auf Augenhöhe, von Zweifeln und Missverständnissen, Begeisterung für HipHop und Entsetzen über menschenfeindliche Sätze, Schimpfwörter und die befürchtete ‚Verrohung der Sprache‘ durch Rap. Wir, die Herausgeber*innen dieses Sammelbandes, arbeiten in Seminaren, Fortbildungen und Workshops mit Lehrer*innen, Sozial- und Jugendarbeiter*innen und anderen Fachkräften aus dem Bildungssektor, aber auch mit HipHop Heads, die gern in der Jugendarbeit oder in der politischen Bildung tätig sein wollen. In diesem Rahmen haben wir festgestellt, dass viele wichtige Ansätze, Methoden und Projekte zur Jugendarbeit mittels HipHop bereits vorhanden, aber kaum bekannt sind. Diese möchten wir in diesem Buch vorstellen und dazu einladen, HipHop-Ansätze in der Jugendarbeit auszuprobieren. Wir – das sind Anna Groß und Marie Jäger: Anna Groß lernte als Teenagerin HipHop über Bands wie Anarchist Academy, Advanced Chemistry, The Roots und Jams4 der Klasse von ’95 im Ruhrgebiet kennen und lieben, sie spielte als Jugendliche Violine in der Duisburger HipHop- und Drum’n‘Bass-Band Touchdown, forschte in ihrem Studium zu Identitätskonzepten in Rap auf isiZulu5 im PostApartheid-Südafrika (Groß 2006) und zu Frauen im Rap, organisiert(e) als Label-
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Beide Zitate stammen von Jugendarbeiter*innen in Jugendclubs, in denen wir gearbeitet haben. Esrap rappen „Du hast Polizei, ich hab‘ Brüder dabei“ (Esrap 2019), in Anlehnung an „Ich hab‘ Polizei“ von POL1Z1STENS0HN aka Jan Böhmermann (2015). Der Titel der Einleitung ist eine Anlehnung an „Und er gibt dir auch ein paar Bücher” (Huss&Hodn 2007). Ein Jam, kurz für HipHop-Jam, bezeichnet eine Party oder Veranstaltung, die sich darum bemüht die verschiedenen Elemente der HipHop-Kultur zu vereinen. „isiZulu” bedeutet die „Sprache Zulu”, eine der meistgesprochenen Sprachen im südlichen Afrika.
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betreiberin von Springstoff viele Konzerte und Parties in Berlin und Leipzig mit einem Fem* Focus und fördert vor allem Frauen, nichtbinäre, genderfluide und queere Personen – also alle, die nicht cis6 männlich sind – in der Musik, sitzt aktuell in der Jury des Musicboard Berlin für die Supporttour-Förderung und arbeitet für die MaLisa Stiftung zu Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche. Anna kam 2002 über Skateboarding und HipHop zur politischen Bildung und arbeitet seit 2001 im Musikbusiness. Für die politische Bildung beschäftigt sie sich unter anderem mit menschenverachtenden Tendenzen in Raptexten und Unterwanderungsversuchen der HipHop-Szene von Rechtsaußen. Marie Jäger kam als Teenagerin über Graffiti mit HipHop in Kontakt, soweit das in der ostdeutschen Provinz überhaupt möglich war. Angeregt durch Raptexte von Public Enemy stieg sie in die Beschäftigung mit Malcolm X, Marcus Garvey und der Nation of Islam ein. Seitdem interessiert sie sich vor allem für die Schnittstelle von Politik und Jugendkulturen und vertiefte dies auch in ihrem Studium. Seit 2011 arbeitet sie für den Verein cultures interactive mit dem Jugendkulturansatz in der politischen Bildung und Extremismusprävention in verschiedenen Projekten und entwickelte Methoden für die Jugendkulturarbeit. Aus unserer Perspektive als forschende Praktiker*innen mit Blick auf HipHop in der Jugendarbeit haben wir in den vergangenen Jahren verschiedene Artikel (Groß 2022; Jäger/Groß/Mendez 2022; Jäger 2022; Groß/Jäger 2021; Groß 2021) zu jugendarbeitsrelevanten Themen im HipHop publiziert und dabei festgestellt, dass die Vielfalt und Multiperspektivität auf und im HipHop die Möglichkeit eröffnet, den Fokus zu vergrößern. Dass wir hier unterschiedliche Akteur*innen des Feldes in verschiedensten Textgattungen zu Wort kommen lassen, ist Methode und der aktivistischen Praxis, aber auch der Logik der HipHop-Kultur zu verdanken. Für diesen Sammelband haben wir Autor*innen und Interviewpartner*innen eingeladen, von denen wir wissen, dass sie beständig nach spannenden, innovativen Ansätzen für HipHop in der Jugendarbeit suchen und bestrebt sind, diese zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
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Geschlecht ist ein Spektrum, keine Binarität. Cis geschlechtlich sind Menschen, deren Geschlecht in der Geburtsurkunde auch dem Geschlecht entspricht, mit dem sich die Menschen identifizieren, trans Menschen identifizieren sich mit einem anderen Geschlecht als in der Geburtsurkunde vermerkt. Inter*Menschen werden mit verschiedenen Geschlechtsmerkmalen geboren, darunter Chromosomen-Muster, Hormonzusammensetzungen oder Genitalien, die nicht den typischen binären Vorstellungen von einem männlichen oder weiblichen Körper entsprechen. Agender Personen fühlen sich gar keinem Geschlecht zugehörig oder empfinden Geschlecht nicht als relevanten Teil ihrer Identität. Nichtbinäre Menschen identifizieren sich nicht als weiblich und auch nicht als männlich, „sondern z. B. dazwischen oder ganz anders” (genderdings.de, Abfrage: 16.1.23).
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Es gibt für die Jugendarbeit und politische Bildung mittels HipHop keine formale Ausbildung7 und dementsprechend keine formalen Standards, getrennt von den pädagogischen Leitlinien. Im deutschsprachigen Raum gibt es jedoch mittlerweile diverse Projekte, Vereine und Einzelpersonen, die mit ganz unterschiedlichen Zugängen HipHop in der Jugendarbeit einsetzen. Darunter fallen NGOs, Lehrer*innen, Street Worker*innen, Jugendclubs und nicht zuletzt Szene-Akteur*innen, die irgendwann angefangen haben, ihre Leidenschaft in Workshops zu vermitteln. Methoden und Ansätze, die in der Jugendarbeit mit HipHop eingesetzt werden, sind zum größten Teil selbst erarbeitet und werden von den Akteur*innen kontinuierlich weiterentwickelt. Darüber hinaus verzahnt die Konzeption von HipHop-Workshops häufig Sozialarbeit, (politische) Bildung, Wissen um Jugendkultur und praktische Fähigkeiten, was sowohl für potenzielle Teamer*innen als auch die Idee einer formalisierten Ausbildung gleichermaßen Herausforderung und Chance darstellt. Viele Akteur*innen des Feldes, das zeigen nicht zuletzt die Beiträge in diesem Sammelband, orientieren ihre pädagogischen Standards stark an dem, was sie als Werte der HipHop-Kultur ausmachen: Das Prinzip ‚Each One Teach One‘ und daraus resultierend flache Hierarchien; diversitätssensibles Arbeiten im Bewusstsein der Entstehungsgeschichte von HipHop und (Selbst)-Empowerment – um nur einige zu nennen.8 Sie sprechen sich dafür aus, HipHop methodisch nicht nur einzusetzen, weil es ‚hip‘ ist, sondern dem Phänomen mit Respekt und Neugier zu begegnen. Klarer Vorteil einer nicht formalisierten Ausbildung ist, dass die Methoden und Ansätze eine große Flexibilität und Aktualität aufweisen. Wir geben dieses Buch heraus, um aufzuzeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten in der Jugendarbeit mit HipHop stecken. Die editoriale Praxis für dieses Buch stellte uns als Herausgeber*innen vor einige Herausforderungen. Da es sich an der Schnittstelle von HipHop, Jugend(kultur)arbeit und politischer Bildung bewegt, ist dieser Sammelband durch eine heterogene Autor*innenschaft gekennzeichnet. Dies bildet sich in den Beiträgen ab, die mal mehr und mal weniger stark an der pädagogischen oder akademischen Terminologie orientiert sind. Auch dies ist ein Ausdruck des Feldes, in dem Jugendarbeit mit und im HipHop stattfindet. Um möglichst viele verschiedene Perspektiven abbilden zu können, haben wir zum Teil Interviews geführt und Akteur*innen um Essays gebeten. Das erforderte intensive Begleitung im Schreibprozess, machte uns aber auch noch einmal be-
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Vermutlich kennen alle in diesem Bereich Aktiven die Situation, ratlos vor einem Formular zu sitzen, in dem angegeben werden soll, welche Qualifikationen eine*n dazu befähigen, einen Rapoder Graffiti-Workshop zu geben. Selbstbewusstsein und Wissen um die HipHop-Geschichte ist es auch, was im HipHop traditionell unter dem eingangs zitierten Knowledge verstanden wird.
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wusst, wer an (akademischen) Debatten um HipHop, aber auch um Ansätze in der Jugendarbeit regelmäßig (nicht) beteiligt wird (vgl. Süß 2021). Es gibt eine Reihe von Projekten und Ansätzen, die wir gern im Sammelband präsentiert hätten, deren Initiator*innen aber aus Zeit- und anderen Gründen absagen mussten. Auf manche wurden wir einfach auch zu spät aufmerksam. Wir möchten an dieser Stelle trotzdem auf sie und ihre spannende Arbeit hinweisen: Olad Aden mit seinem Projekt BerlinBronxConnection; Pyranja; die Heroes Duisburg; die HipHop Soldiers aus Durban/Südafrika; das Projekt Sister Queens; Hannes Loh und Murat Güngör, das Projekt Breath In – Break Out aus Halle sowie den Rapper und Autor Loki/Darren McGarvey, der mit Rap-Workshops in Schottland unterwegs ist u.v.m.. Sicherlich gibt es noch viele weitere Ansätze aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum, die wir hätten sammeln können. Das haben wir uns für den Folgeband vorgenommen.
Was kommt? Über diesen Band Identitäten und Ideologien im HipHop
Im ersten Teil des Buches stellen wir Identitäten und Ideologien vor, die sich in der Gesellschaft wie im HipHop finden lassen – und auch, wie diese in der HipHop-Szene diskutiert oder in Rap-Texten thematisiert werden und wurden. Wir möchten aufzeigen, dass sich die HipHop-Szene in ihrem ganzen Spektrum Themen wie Rassismus, Klassismus, Geschlecht oder Antisemitismus nähert und diese miteinander verhandelt. Ash M.O. beschreibt den rassistischen Kontext, in dem Männlichkeitskonstruktionen US-amerikanischer Rapper und deren Rezeption betrachtet werden sollten und plädiert für einen differenzierteren Blick auf HipHop und Männlichkeit. Anna Groß und Marie Jäger untersuchen Männlichkeit(-en) im DeutschRap an der Schnittstelle von Klassismus, Rassismus und Sexismus und bieten Themen zur Verhandlung von Männlichkeit in der HipHop-Jugendarbeit. Sinaya Sanchis, Daniel Vishnya aka Mr. Cherry, Drob Dynamic und Ewgeniy Kasakow diskutieren miteinander über Rassismus(-erfahrungen), den antirassistischen Gründungsmythos von HipHop und Rap als Ventil für von Rassismus betroffene Menschen. Nach einer Einführung von Connie Castein und Anna Groß verhandeln Sir Mantis und Dana Meyer im Gespräch miteinander verschiedene Ausprägungen und Auswirkungen von Klassismus. Sie skizzieren, was es in einer klassismuskritischen Jugendarbeit mittels HipHop zu beachten gilt und geben konkrete Empfehlungen. DJ Freshfluke liefert einen Blick auf Geschlecht im HipHop und zeigt Barrieren auf für weiblich sozialisierte Personen im HipHop und in der Gesellschaft. Marie Jäger und Ewgeniy Kasakow beschreiben antisemitische Motive im US-amerikanischen, deutschsprachigen und russischsprachigen HipHop und
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den Anschluss an politische Diskurse in der Gesellschaft sowie die Perspektive jüdischer Rapper*innen. In ihrem Beitrag beschreibt Marie Jäger den Diskurs um ostdeutsche Identität und was sich davon im HipHop aus Ostdeutschland wiederfindet – zwischen Selfempowerment, Beschreibungen der ostdeutschen Nachwendegesellschaft und patriotischen Tönen. Anna Groß beobachtet seit Beginn der 2000er Jahre, welche nationalistischen Tendenzen im Mainstream-Rap zu finden sind und zeigt auf, dass Rap durchaus auch von Nazis und anderen Menschenfeind*innen gemacht wird. Der Teil „Identitäten und Ideologien“ möchte vor allem Hinweise und Anregungen für die politische Bildung liefern, welche Themen sich mittels Rap(-texten) besprechen lassen und was mögliche Anknüpfungspunkte sein können.
Ansätze und Felder von HipHop-Jugendarbeit
Im zweiten Teil dieses Bandes werden verschiedene Ansätze in der Jugendarbeit mit HipHop oder mit einzelnen Disziplinen innerhalb von HipHop dargestellt. Frieda Frost zeigt die Potenziale von B-Boying/B-Girling in verschiedenen Lernkontexten auf und betont die Wichtigkeit der Einbettung von Breakdance-Methoden in eine kulturspezifische Vermittlung. Welche (politischen) Themen sich anhand von Graffiti aufgreifen lassen, diskutieren Julia Mumme, Stephan Wilke und Pekor und beschreiben das Empowerment-Potenzial von Graffiti im Kontext Jugendarbeit. Pekor bezieht sich in seiner Arbeit auf seine eigenen Erfahrungen als jugendlicher Teilnehmer von Beatbox- und Graffiti-Angeboten im Jugendclub all eins und zeigt die Möglichkeiten von Beatbox-Workshops für die politische Bildung auf. Drob Dynamic beschreibt, wie junge Menschen anhand der Geschichte um die Entstehung von HipHop empowert werden können und erläutert seinen Ansatz der „HipHopHistory Lessons“. Im Beitrag von LMNZ wird gezeigt, wie Rap-Workshops Jugendlichen die Möglichkeit geben können, mit den eigenen Emotionen in Kontakt zu kommen und diese auszudrücken. Daniel Vishnya aka Mr. Cherry stellt seine Arbeit in Workshops zur Medien- und Musikproduktion mit Jugendlichen vor und versucht einen Vergleich zwischen Jugendarbeit mittels HipHop in Deutschland und Russland. Ewgeniy Kasakow ergänzt dies durch einen Exkurs zu HipHop im russischsprachigen Raum. Gipsy Mafia beschreiben ihren HipHop-Empowerment-Ansatz für Roma-Jugendliche und ihre Informationsformate zur Situation von Rom*nja in Serbien und Deutschland, nicht nur, aber auch im Rahmen ihrer Konzerte. Stefan Anwander bietet in seinem Beitrag für die Leser*innen einen umfassenden Blick auf die HipHop-basierte Jugendarbeit in Wien und formuliert den Bedarf eines Kompetenzzentrums für die HipHop-Jugendarbeit. Luutstarch, ein Projekt, das in der ‚reichen Schweiz‘ zu Klassismus arbeitet, stellt seinen Ansatz der HipHop-Arbeit zum Thema „Armut“ in Zürich näher vor. Der US-amerikanische Rapper, Autor und Multi-Künstler Dan
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Wolf hat mit dem Projekt „Sound in the Silence“ einen neuen Zugang zu Gedenkstättenpädagogik mittels HipHop entworfen. Sinaya Sanchis arbeitet seit vielen Jahren in der Mädchen*-Arbeit mit HipHop. In ihrem Beitrag teilt sie ihre Erfahrungen und lädt alle Sozial- und Jugendarbeiter*innen dazu ein, eine Blockparty zu veranstalten. Haszcara möchte eigentlich keine geschlechtergetrennte Mädchen*-Arbeit machen, erachtet es aber doch für wichtig und beschreibt in ihrem Artikel ihren Ansatz der geschlechtersensiblen EmpowermentArbeit für Mädchen*. Dennis Just zeigt wichtige Aspekte von und Vorüberlegungen zu geschlechterreflektierter Jungs-Arbeit auf und beschreibt seinen Ansatz im Rahmen der offenen Jugendarbeit. Anna Groß stellt einen Rap-Workshop im (halb-)offenen Strafvollzug näher vor und lässt die Lesenden am intensiven Projektalltag im Rahmen der Workshop-Woche teilhaben. Das „Flukyversum“ von DJ Freshfluke ist ein Baukastensystem für (HipHop)Workshops, das Fachkräften die Möglichkeit bieten soll, für verschiedene Workshop-Kontexte gut vorbereitet zu sein.
Methoden für die HipHop-Jugendarbeit
Im dritten Teil befinden sich konkrete Methodenbeschreibungen für die HipHopJugendarbeit. Wir hoffen, Inspirationen für die (weitere) Arbeit mit HipHop in der Jugendarbeit zu bieten. Dabei handelt es sich sowohl um Methoden, die keine Erfahrung in einer der HipHop-Praxen voraussetzen als auch solche, die sich an Szene-Akteur*innen richten, die in der Jugendarbeit tätig sind und sich Methodenideen für ihre Praxis wünschen.
Literatur Groß, Anna (2006): „Rap for abokhokho namadlozi nelokishi nabantu bonke…“ Language choice in hip hop music from KwaZulu-Natal: A sociolinguistic approach. University of KwaZulu-Natal Durban, Südafrika. Groß, Anna (2021): „Wacht auf. Mein Vaterland brennt.“ Wenn menschenverachtende Rapmusik für die Mobilisierung der rechten Szene genutzt wird… In: Rechte Klangwelten. Von Rechtsextremismus bis in die Mitte der Gesellschaft. Aktion Kinder- und Jugendschutz Landesarbeitsstelle Schleswig-Holstein e.V. Kiel. S. 43–49. Groß, Anna/Jäger, Marie (2021): „Das Leben ist ne Bitch, ich pack´ die Schlampe an der Gurgel“. Rap, Geschlecht und Empowerment in der Jugendarbeit. In: Süß, Heidi: Rap und Geschlecht. Inszenierungen von Geschlecht in Deutschlands beliebtester Musikkultur. Weinheim: Beltz Juventa. S. 178–201. Groß, Anna (2022): Goldlöwen, Adler und Fliesentische: Rechtsrap und Nationalismus. In: Hass und Kommerz. Die neonazistische Musikszene in Thüringen. MOBIT. S. 17–23. Jäger, Marie/Groß, Anna/Mendez, Caner (2022): Antisemitismus und Rap in der Jugendarbeit. In: Grimm, Marc/Baier, Jacob: Antisemitismus in Jugendkulturen. Erscheinungsformen und Gegenstrategien, Frankfurt/Main: Wochenschau. S. 34–53.
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Jäger, Marie (2022): „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“ – Der Jugendkulturansatz in der Rechtsextremismusprävention. In: Köttig, Michaela et al.: Soziale Arbeit und Rechtsextremismus. Leverkusen-Opladen: Barbara Budrich. S. 273–286. Süß, Heidi (2021): Rapresent whom? Über Selbstreflexion, situiertes Wissen und Androzentrismus in der deutschsprachigen HipHop-Forschung. Ein Kommentar aus dem (?)Off(?). In: Busch, Nicolai/ Süß, Heidi: Rap. Politisch. Rechts. Ästhetische Konservatismen im Deutschrap. Weinheim – Basel: Beltz Juventa. S. 115–134.
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Warum HipHop in der Jugendarbeit? Stefan Anwander, Anna Groß und Marie Jäger
HipHop ist eine Musik-, Party- und Protest-Kultur, gestartet von jungen Menschen, die aus Ausgrenzungserfahrungen heraus etwas Eigenes begannen und sukzessive eine (Jugend-)Kultur entwickelten. Im Jahr 2023 wird HipHop 50 Jahre alt und Rap ist das erfolgreichste Musikgenre in Deutschland. In Bezug auf die Entstehung hat sich „im HipHop eine Art ‚Ursprungsmythos‘ entwickelt, dessen Kern in der Berufung auf eine gemeinsam geteilte Erfahrung von Marginalisierung besteht“ 1 (Süß 2018, S. 30). Als globales Phänomen gewann HipHop Anfang der 1980er Jahre an Bedeutung und differenzierte sich im Laufe der Zeit immer weiter aus. HipHop ist damit viel mehr als ein bestimmtes Genre der (Populär-)Musik. Es ist eine multi-elementare Kultur, zu der viele – mindestens vier, fünf oder mehr – Elemente zählen: Rap/Sprechgesang, DJing, B-Boying/B-Girling, Graffiti, Beatboxing, aber auch die Idee von ‚Each One Teach One‘ oder Knowledge im Sinne von Wissen und Selbstbewusstsein gleichermaßen (vgl. Gosa 2015). Darüber hinaus ist für die meisten (jungen) Menschen HipHop vor allem Rapmusik, insbesondere „Gangsta“-Rap2, das bis heute kommerziell erfolgreichste Rap-Genre. Aufgrund der vielfältigen Ausdifferenzierung der HipHop-Kultur, empfiehlt es sich in Bezug auf HipHop von HipHop-/Rap-Szenen im Plural zu sprechen (vgl. Süß 2021, S. 83 ff.) und dies auch in der Arbeit mit jungen Menschen aufzugreifen. Dies ist zum einen den verschiedenen Sub-Genres, aber auch auf den verschiedenen Elementen und Ausdrucksmöglichkeiten im Rahmen der HipHop-Kultur geschuldet: „Szeneorientierte Jugendkulturarbeit ist in der Regel musikorientierte Arbeit. Neben musikalischen sind aber auch andere kreative Ausdrucksweisen wie spezifische Formen des Tanzes (z. B. Streetdance und Breakdance), der bildnerischen Gestaltung (z. B. Graffiti und Airbrush), des Sports (z. B. Skaten) oder szenetypi-
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Süß bezieht sich hier auf die legendäre Party von Cindy und Clive Campbell, letzterer wurde dann als DJ Kool Herc weltweit bekannt. So schreibt zum Beispiel der Autor Jeff Chang: „It has become myth, a creation myth, this West Bronx Party at the end of the summer in 1973.“ (Chang 2005, S. 67). Wir setzen in diesem Beitrag das Präfix ‚Gangsta‘ unter Anführungszeichen, da die Bezeichnung nicht unumstritten ist und in der Forschungsliteratur unterschiedliche Begriffe dieser Spielart des Raps wie beispielsweise „street rap“ (also Straßenrap), „reality rap“ oder auch „hardcore rap“ kursieren (vgl. Seeliger 2021, S. 34; Süß 2021, S. 219). Darüber hinaus sind eindeutige Genre-Kategorisierungen heutzutage in keinem Fall mehr möglich bzw. werden vom Großteil der Szenenprotagonist*innen abgelehnt (vgl. Süß 2018, S. 31).
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scher medialer Präsentation (z. B. Flyer) verbreitet.“ (Josties/Menrath 2021, S. 1268 f.; vgl. auch Josties 2008, S. 19). Nicht zuletzt besteht das Potenzial von HipHop in der Repräsentation von Marginalisierungserfahrungen und der Möglichkeit, marginalisierte Gruppen zu empowern. HipHop kann viele verschiedene Gesprächsanlässe liefern, zum Nachahmen anregen, die Kreativität fördern, empowern, eignet sich aber genauso als Einstieg in die politische Bildung und für die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen. Im folgenden Text soll zum einen der Vorteil einer szeneorientierten Jugendkulturarbeit dargestellt werden, zum anderen sollen auch die verschiedenen Potenziale beschrieben werden, die die Jugendkulturarbeit mit HipHop für die Jugend- und Sozialarbeit, politische Bildung, aber auch die Gewalt- und Extremismusprävention bietet.
‚Each One Teach One‘ – Szeneorientierte Jugendkulturarbeit und lebensweltorientierte Ansätze Im Kontext szeneorientierter Jugendkulturarbeit übernehmen HipHop-SzeneAkteur*innen im Sinne des Prinzips ‚Each One Teach One‘ selbst maßgeblich die Vermittlung künstlerisch-gestalterischer Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Josties 2018, S. 70; Josties/Menrath 2021, S. 1268). Dabei geht es jedoch nicht nur um die Vermittlung von Skills, sondern maßgeblich auch um Elemente politischer bzw. sozio-kultureller Bildung sowie Empowerment-Arbeit. Szeneorientierte Jugendkulturarbeiter*innen sollten daher in der Jugendarbeit auch viel mehr repräsentieren als ihre szenespezifische Fertigkeiten wie Breaken, Sprayen oder Rappen. Sie sollten idealerweise über das Wissen bezüglich der Marginalisierungsprozesse verfügen, die mittels HipHop aufgegriffen und thematisiert werden können. Dazu gehört ein Grundwissen über die Geschichte von HipHop ebenso wie über Themen, die aktuell in den Szenen oder in Rap-Texten verhandelt werden. Jugendliche Teilnehmende erleben Anleiter*innen mit Szenehintergrund als authentische Vorbilder und alternative Rollenmodelle neben Eltern und Lehrer*innen, die andere Lebenswelten präsentieren (vgl. Josties 2008, S. 27; Josties 2018, S. 71; Josties/Menrath 2021, S. 1269). Nicht zuletzt erleben in einer gelungenen HipHop-Jugendarbeit die jungen Menschen aber auch sich selbst als Expert*innen ihrer eigenen Kultur. Gerade dieser Zugang ermöglicht die Begegnung auf Augenhöhe. Apropos Augenhöhe: Wenn die respektvolle Begegnung glücken soll, gilt es zu beachten, dass HipHop-Sozialisation nicht gleich HipHop-Sozialisation ist und in Abhängigkeit von Alter und Generationenzugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Körper, Herkunft (hier auch Stadt/Land) und vielerlei Faktoren mehr gedacht werden muss (vgl. Süß 2021, S. 21 f.). Dazu zählt u. a. auch, in welchen HipHop-Sub-Szenen jemand sozialisiert wurde. Genauso wie es also keinen stereotypen Rap-Fan gibt, gibt es auch keine stereotypen Hip-
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Hop-Akteur*innen. So kann eine Betonung des Elements Knowledge oder ein Fokus auf technische Versiertheiten im Rap an den Interessen und der Lebensrealität der Jugendlichen vorbeigehen. Bestimmte Zugänge zur HipHop-Kultur setzen Privilegien voraus: Es ist zum Beispiel nicht allen Menschen möglich, die Welt zu bereisen, um sich als Teil einer internationalen HipHop-Community zu fühlen. Für viele Frauen, nichtbinäre, trans, intersex und agender Personen stellt sich zudem die Frage, wer eigentlich über ihre Zugehörigkeit zur Szene und/oder Kultur entscheidet. Es sollte also darum gehen, den Jugendlichen Raum für ihr Verständnis von HipHop zu geben und die unterschiedlichen Zugänge anzuerkennen. Obwohl die „Bilderwelt HipHop“ (Klein/Friedrich 2003, S. 113 ff.) eine Vielzahl von Themen zu bieten hat, überwiegen häufig in der medialen Wahrnehmung negative Bilder von HipHop, die vor allem mit „Gangsta“-Rap assoziiert werden. Die Bandbreite der Inhalt in Rap-Texten ist allerdings gewaltig und reicht von der „Gangsta“-Rap-Erzählung zu Drogen, Geld und sozialer Aufstieg (vgl. Seeliger 2021) über Sexismus genauso wie Antisexismus (vgl. Süß 2018; 2021), über antisemitische Inhalte (vgl. Baier 2019; 2022) hin zu Alltagsthemen, aber zu auch kritischen politischen Texten. Es empfiehlt sich deshalb HipHop in seiner Vielfalt zu sehen und nicht auf seine destruktiven Ausdrucksformen zu reduzieren. Im Zuge der „Medialisierung des Sozialen“3 hat sich das Verhältnis zwischen Bild und Realität gewandelt: „Bilder repräsentieren Wirklichkeit weniger, als daß sie diese herstellen. […] Bilder machen Wirklichkeit“ (Klein/Friedrich 2003, S. 128). Es stellt sich also die Frage, inwiefern auch die Bilder von HipHop Wirklichkeit schaffen und zum Beispiel die Images von Rapper*innen beeinflussen. Auch in der Jugendarbeit sind diese Bilder von HipHop wirksam, wenn die Auseinandersetzung damit vermieden wird oder vor allem auf eine Problematisierung von HipHop gegenüber den Jugendlichen hinausläuft. Das vor allem im deutschsprachigen Raum weit verbreitete Bild des „Gangsta“-Rappers „als schwulenverachtender (Gewalt)Krimineller mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund, der sich v.a. über seine physische Durchsetzungskraft definiert“ (Seeliger zit. n. Süß 2021, S. 225 f.) schafft ebenfalls Realitäten: „Damit dominiert in der Gesellschaft ein tendenziell rassistischklassistisches Bild von Rap“ (Groß/Jäger 2021, S. 189). Diese weit verbreiteten Bilder rekurrieren fast ausschließlich auf die Spitze der Rapper*innen in den Charts und im Mainstream-Pop, nicht aber auf die gesamte Breite und Szenenvielfalt, weder bei (Deutsch-)Rap noch darüber hinaus, wirken sich aber stark auf die Rezeption junger
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Medialisierung ist ein (Schlüssel-)Begriff der Kommunikationswissenschaft. Michael Meyen versucht unter der Medialisierung des Sozialen „solche Reaktionen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen zu verstehen, die sich entweder auf den Strukturwandel des Mediensystems beziehen oder auf den generellen Bedeutungsgewinn von Massenmedienkommunikation.“ (Meyen 2009, S. 23). Eine der entscheidenden Fragen lautet dabei: „Wie verändern sich das Verhalten und der Alltag, wenn Akteure davon ausgehen, dass Massenmedien wichtig und vor allem nicht wirkungslos sind?“ (ebd., S. 27).
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Menschen von HipHop aus. Der Einsatz von HipHop in der Jugendarbeit und der politischen Bildung bedeutet nicht nur Szeneorientierung, sondern verortet sich auch im lebensweltorientierten Ansatz (vgl. Thiersch 2020). In diesem findet sich die Idee niedrigschwelliger, inklusiver Angebote ebenso wie der Vorschlag, sich in der Arbeit an den Alltagserfahrungen und Interessen der Jugendlichen zu orientieren. Dafür ist es hilfreich, die eigene Position als Vertreter*in der Sozialarbeit und der politischen Bildung auch als Machtposition kritisch zu reflektieren. „Macht wird in der Sozialen Arbeit zur Gewalt, wenn sie in der Selbstverständlichkeit ihrer Position den Anderen in seiner Eigenheit nicht sieht oder übergeht.“ (Thiersch 2020, S.111) Aus unserer Sicht geschieht das auch dann, wenn die Interessen und Betätigungen von Jugendlichen primär als defizitär, oberflächlich, lächerlich oder gar destruktiv abgeurteilt werden. Insofern spiegelt ein abwertender Blick auf HipHop auch häufig einen abwertenden Blick auf Jugendliche. Ziel der Selbstreflexion soll selbstverständlich keine unkritische Haltung gegenüber offensichtlich problematischen Rap-Texten sein. Es geht vielmehr darum die Jugendlichen als Expert*innen ihrer Lebenswelten ernst zu nehmen und ihren Interessen mit Offenheit und ehrlicher Neugier zu begegnen. Dieses Buch will vor allem verdeutlichen, wie sich HipHop und Rapmusik empowernd einsetzen lassen und wie viel Potenzial im Einsatz von Musik, Videos, Tanzen und Kunst steckt, aber auch, welche Gesprächsanlässe sich entlang der im HipHop verhandelten (politischen) Themen bieten. Im Folgenden werden wir auf einige der Potenziale näher eingehen, die prinzipiell in jedem HipHop-Projekt stecken: Musik, Technik, Sprache, politische Bildung, Verbalisierung, Empowerment, Gewaltprävention, Verhandlung von Geschlecht sowie Vielfalt.
HipHop und seine Potenziale in der Arbeit mit jungen Menschen Potenzial: Musik
HipHop als multi-elementare Kultur ist nicht nur, aber vor allem (Populär-)Musik. Leider sehen auch heute noch viele Pädagog*innen die Arbeit mit populärer Musik bzw. musikbezogene/-orientierte Jugendarbeit als trivial an (vgl. Platz 2017; Hill 2004): „Dies führt dann zur Geringschätzung und es wird übersehen, wie wichtig (populäre) Musik für Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag ist und wie gern sie Angebote aufgreifen, sich aktiv mit Musik auseinanderzusetzen“ (Hill 2004, S. 181). In punkto Ganzheitlichkeit ist populäre Musik für Jugendliche und auch für die Jugendarbeit deshalb „ein attraktives Gestaltungsmittel, weil sie nonverbal und gefühlsbetont ausdrücken kann, wofür es keine Worte gibt.“ (Hill/ Josties 2007, S. 21) Des Weiteren kann Musik auch als sozialer Kitt verstanden werden: „Musik wird häufig als universale Sprache, die alle Menschen jenseits von nationalen und ethnischen Unterschieden ergreifen und verbinden kann, empfun-
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den“ (ebd., S. 32). In Bezug auf HipHop wäre noch hinzuzufügen, dass dessen lange Geschichte die Möglichkeit eröffnet, generationsübergreifend und interkulturell zu arbeiten. Die Vermittlung von Rhythmus und Groove, Taktgefühl und Soundempfinden, Musikproduktion und -recording, Sprachgefühl und -rhythmen sowie das Einüben von Bühnenpräsenz und Auftritten vor Gruppen können wichtige Selbsterfahrungen für Jugendliche darstellen. Es lohnt sich also, diese in der Jugendarbeit aufzugreifen.
Potenzial: Technik
DJing ist die Fähigkeit, Musik auszuwählen und sie mittels fließender Übergänge zueinander passend aufzulegen. Im HipHop (und vielen anderen Musikrichtungen wie Techno/Electro, Drum’n‘Bass uvm.) geht es darüber hinaus um noch mehr als das: Es ist die Kunst, neue Rhythmen durch Scratching, Sampling und Wiederholungen entstehen zu lassen. Ursprünglich geschah dies mit Plattenspielern, Mixern und Vinyl-Schallplatten, heute allerdings oft auch mit Controllern und MP3s oder CDJs4. Am Anfang von HipHop waren es die DJs, dann die hauseigenen Bands der Labels wie Sugar Hill oder Enjoy Records, die für den Sound der ersten Rapper*innen sorgten. Ab Anfang der 1980er hielt der große technische Wandel im Musikproduktionsbereich auch im HipHop Einzug. Seitdem ist die Produktion von HipHop- und Rapmusik gleichzusetzen mit dem Erwerb und der Perfektionierung zahlreicher technischer Skills. Deshalb bietet HipHop im Rahmen von DJing sowie der Medien- und Musikproduktion ein enormes Potenzial zur Vermittlung von Technikkompetenzen und zwar anhand der Technik, die es braucht, um Beats zu produzieren, aufzulegen und/oder Rap und Beatbox aufzunehmen. Immer wieder entdecken Jugendliche über die Technikvermittlung mittels HipHop auch ein generelles Interesse an Computertechnik und/oder Software-Skills. Das muss allerdings nicht immer kostenaufwändige Technik bedeuten. Für den Jugendarbeitskontext können auch Musikproduktions- bzw. DJ-Apps fürs Handy und Bluetooth-Boxen für den Sound eingesetzt werden. Das hat den Vorteil, dass die Jugendlichen auch außerhalb der Workshops weiterarbeiten können und nicht auf die Technik des Jugendclubs angewiesen sind.
Potenzial: Sprache
Ein wichtiger Punkt ist die sprachliche Vielfalt im Rap durch Jugendsprache/-slang und Mehrsprachigkeit. Beim Schreiben von Rap-Texten können der Sprachschatz
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CDJs = CD-Spieler, die zum Großteil auch MP3s von USB-Sticks abspielen können.
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und das Vokabular erweitert werden. So kann z. B. die sprachliche Ausdrucksfähigkeit verbessert werden. (Deutsch-)Rap kann auch anders als unter dem Blickwinkel eines häufig diagnostizierten „Sprachverfalls“ interpretiert werden, es ließe sich vielmehr sogar das Gegenteil behaupten: Rap ist DER Ansatz, um junge Menschen überhaupt an Sprachbegeisterung heranzuführen. Wolbring zufolge handelt es sich dabei um „die quantitativ bedeutsamste deutschsprachige Lyrikform der Gegenwart und beim Rapschaffen um die populärste Form ästhetischen Schreibens.“ (Wolbring 2015, S. 55). Der Einsatz unterschiedlichster Slangworte und Spracheinflüsse verschiedenster Muttersprachen der Rapper*innen sorgen auch für eine Selbstverständlichkeit der Multilingualität, wie sie jungen Menschen sonst häufig verwehrt wird. Im HipHop haben Muttersprachen, die nicht deutsch, französisch oder englisch sind, ihren Raum und die Akzeptanz, die ansonsten oft fehlt.
Potenzial: Politische Bildung
Bildung mittels HipHop ist in den USA nichts Neues (vgl. Gosa/Fields 2012, S. 196). Im angloamerikanischen Raum hat sich in den vergangenen Jahren dementsprechend auch ein Feld entwickelt, für das sich aktuell der Überbegriff hiphopbased education (vgl. Porfilio/Viola et al. 2012; Hill et al. 2013) zu etablieren scheint.5 Mit dem in gewissen HipHop-Kreisen verbreiteten Motto ‚Empowerment through Education‛ wurde Wissen bzw. (Street-)Knowledge von manchen zum 5. Element von HipHop erhoben. Insgesamt bergen jugendkulturelle Praxen in vielfältiger Weise Bildungspotenziale für informelles und non-formales Lernen (vgl. Josties 2019, S. 380). In diesem Sinne kann auch HipHop als „alternative Bildungsmethode“ (Aden/Saucedo 2012, S. 104 ff.) verstanden werden, mittels der jugendkulturellen Aktivitäten und Praxen des HipHop. Auch am Wirkungsort Schule ist HipHop sehr vielseitig einsetzbar.6 Darüber hinaus bietet HipHop und Rap auch viele Chancen und Möglichkeiten in der Peer-to-Peer-Education, also der Wissenvermittlung und -aneignung durch Gleichgesinnte und/oder auch Gleichaltrige. Dafür ist es allerdings unabdingbar, Gelegenheiten für informelles und nonformales Lernen zu schaffen, welche nicht vorrangig auf (hoch-)schulische und berufliche Karrierezwecke abzielen. Informelles Lernen nimmt im Alltag von Kin5
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Es kursieren auch andere Begriffe für dieses noch junge Feld wie „hip-hop curricula“, „hip-hop pedagogy“, „critical hip-hop pedagogy“, „culturally relevant hip-hop pedagogy“ oder „rap pedagogy“ (vgl. Gosa/Fields 2012, S. 96 f.). Da HipHop „nicht nur den sprachlichen und musikalischen, sondern auch den körperlichen (Breakdance) und bildlichen (Graffiti) Ausdruck umfasst, bietet sich ein Fächer übergreifendes Lernen und Arbeiten an.“ (Loh 2010, S. 60). Mit HipHop könnten Bereiche wie Kunst, Musik, Sprache, Religion, Sport, Philosophie, Sozialwissenschaften, Geschichte und Politik zum (Unterrichts-)Gegenstand in Schulen werden (ebd.).
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dern und Jugendlichen zugunsten der Ausbreitung formalen und schulischen Lernens im Ganztag zunehmend weniger Zeit und Raum ein (vgl. Josties 2018, S. 69). Dem entgegenzuwirken ist wichtig, da Fähigkeiten und Hobbies Ressourcen darstellen, die Jugendlichen auch dabei helfen können, (emotionale) Krisen zu bewältigen. Für die explizit politische Bildung bieten sich Jugendkulturen generell besonders an: „Jugendkulturen sind ihren Entstehungsgeschichten, ihren Werten und Codes oftmals politisch. Dass lässt sich gut als Ausgangspunkt nutzen, um mit Jugendlichen niedrigschwellig über Politik, Gesellschaft, Vorstellungen und Lebensentwürfe zu reden.“ (Groß/Bruskowski 2016, S. 199 f.). Viele Jugendkulturen entwickelten sich in Abgrenzung zur Welt der Erwachsenen oder bestimmten Normen, reagierten auf Herausforderungen oder Zumutungen gesellschaftlicher Zustände und boten Jugendlichen die Gelegenheit, eigene Vorstellungen vom (Zusammen-)Leben zu entwickeln. In den meisten (noch) aktuellen Jugendkulturen werden Werte und Normen, aber auch (gesellschafts-)politische Themen und Probleme verhandelt, die in der politischen Bildung mit Jugendlichen aufgegriffen werden können. So bilden der Ursprungsmythos von HipHop, problematische Ansichten in der Szene wie Antisemitismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit, ebenso aber die empowernden Ideen und die HipHop-Erzählung „von ganz unten in die Charts“ Ansatzpunkte für die politische Bildung. Weitere Themen sind in diesem Sammelband im Folgenden zu finden.
Potenzial: Verbalisierung
Über HipHop und seine jugendkulturellen Aktivitäten haben sich seit seiner Entstehung viele benachteiligte junge Menschen selbst ermächtigt, „um sich Respekt zu verschaffen und von einem Leben zu erzählen, in dem man von sozialer Ungerechtigkeit, rassistischer Ausgrenzung, Armut, Gewalt und Kriminalität betroffen ist und wenig Chancen auf sozialen Aufstieg hat.“ (Groß/Bruskowski 2016, S. 205). Auch für jene jungen Menschen, „die schon oft enttäuscht worden sind und viel Erfahrung damit haben, was es heißt, nicht ‚gut genug‘ zu sein“ (Aden 2018, S. 155) ist HipHop oft die einzige Möglichkeit, Schlüssel- und Erfolgserlebnisse zu sammeln, Respekt, Anerkennung, Wertschätzung, Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Zusammenhalt und Zugehörigkeit7 zu erleben. Auch „Gangsta“-Rap wurde in den letzten Jahren zwischen Affirmation und Empowerment verortet, denn als „Kernnarrativ des Subgenres kann erneut die Erzählung von Marginalisierung gelten. Um diese Rahmenhandlung gruppieren sich zahlrei7
Denn die „Bildung von Crews, Gangs und Straßenbanden als Akt der Selbstermächtigung im Kontext von Rassismus und sozialer Deprivilegierung ist ein historisch konstitutives Merkmal des Kulturphänomens HipHop“ (Süß 2021, S. 394).
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che anschlussfähige Topoi, die von expliziter Kritik an sozialen Missständen über die detailgetreue Schilderung eines drogen- und partyaffinen Lebensstils bis hin zum alles überragenden Motiv vom sozialen Aufstieg reichen“ (Süß 2018, S. 30). Diese „genrekonstitutive Marginalisierungserzählung wird schließlich durch den Verweis auf eine deprivilegierte Herkunft begründet und gleichsam legitimiert. Diese wird in erster Linie entlang der Dimensionen Ethnizität und Klasse verhandelt und damit letztlich in den Kontext sozialer Ungleichheit gestellt“ (ebd., S. 31). Damit wird erneut deutlich, warum es in der Jugendarbeit dringend rassismusund klassismuskritische Zugänge braucht (vgl. Groß/Jäger 2021). Da HipHop nun bereits 50 Jahre alt ist und weit mehr als andere Musikrichtungen das Medium ist, in welchem Klassismus- und Rassismuserfahrungen artikuliert werden, bietet es sich also auch an, es in der Jugendarbeit einzusetzen, um Themen an- und besprechbar zu machen.
Potenzial: Empowerment
Selbstwirksamkeitserfahrungen sind – insbesondere noch einmal im Jugendalter – zentral für die Entwicklung einer eigenen Identität, aber auch von Zukunftsperspektiven. Die Herausforderung, vor der eine Vielzahl von Jugendlichen steht, ist die, dass sie selten Erfahrungen mit Selbstwirksamkeit machen. Das Schulsystem produziert systematisch „Verlierer*innen“ – im Jahr 2021 hatten 25 % der in Deutschland lebenden Menschen einen Hauptschulabschluss – und (re-)produziert soziale Ungleichheitsverhältnisse (vgl. Wellgraf 2021). Stefan Wellgraf geht sogar noch weiter: „Unser Schulsystem ist nicht nur ungleich, sondern auch ungerecht.“ (Wellgraf 2021, S. 21). Jugendliche wissen in der Regel sehr gut, welche Optionen ihnen mit schlechten Noten und niedrigen Abschlüssen nicht mehr offenstehen. Darüber hinaus verfügen viele Familien nicht über die Mittel, ihren Kindern (teure) Hobbies zu finanzieren oder sie in diesen zu unterstützen. Auch Rassismus-, Sexismus- und Ableismus-Erfahrungen sind nicht dazu geeignet, das Gefühl zu entwickeln, dass die eigenen Bedürfnisse gehört werden und es sich lohnt, die eigenen Träume zu verwirklichen. Anknüpfend an die Beschreibungen im vorangegangenen Absatz: HipHop gibt nicht nur die Möglichkeit, Marginalisierungserfahrungen zu verbalisieren, es eignet sich auch für niedrigschwellige Empowerment-Arbeit, ganz im Sinne des ‚Do-it-yourself‘ (DIY)-Prinzips. Ob ein erstes kleines Graffiti, eine Punchline, ein Beatbox-Skill, neue Tanzmoves: Für Jugendliche kann es eine enorm wichtige Erfahrung sein, sich selbst als kompetent zu erleben und zu sehen, dass sie Ideen umsetzen können ohne zu ‚scheitern‘. Dabei sind die Praxen von HipHop in mehrerlei Hinsicht niedrigschwellig: Sie setzen weder Vorkenntnisse noch (große) finanzielle Mittel voraus. Breaken, Sprayen, Rappen und Beatboxen ist immer ‚Learning by Doing‘, zu welchem Teamer*innen authentisch vermitteln können, dass man damit niemals fertig wird. Zudem ist ein
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großer Vorteil aller HipHop-Praxen, dass sofort Resultate zu sehen sein können und die Selbstwirksamkeit dadurch schneller erfahr- und erlebbar gemacht werden kann.
Potenzial: Gewaltprävention
Gerade im Rap werden wie in keiner anderen Musik Rassismus- und Klassismuserfahrungen thematisiert und in Geschichten verwandelt, in denen der*die Rapper*in am Ende ‚gewinnt‘, es nach oben schafft und der Gesellschaft beweist, dass er*sie mehr drauf hat als ihm*ihr jemals zugetraut wurde. Dennoch wird einigen Rap-Texten von unterschiedlichen Seiten „eine potenziell verrohende, gewaltfördernde Wirkung zugesprochen“ (Kautny/Erwe 2011, S. 166), obwohl diese verrohenden Einflüsse nicht nachgewiesen werden konnten. Gleichsam wird in Bezug auf die Anfänge von HipHop oft argumentiert, seine Entstehung wäre quasi sozialpädagogisch motiviert gewesen8 und habe anstatt auf Gewalt auf Wörter gesetzt, was allerdings ein Mythos ist: „Rocking instead of fighting – the idea would become one of the most enduring myths of hip-hop – but history would once again belie it.“ (Chang 2005, S. 157). Gewalt(-verherrlichung) bzw. der Umgang mit Gewalt(-erfahrungen) ist und war dennoch immer, aber nie ausschließlich, ein Thema im HipHop. Das gilt auch für Drogen: „In der Geschichte des HipHop gibt es zwei wichtige Aspekte, die nichts mit Musik zu tun haben, aber eine entscheidende Rolle spielen: Drogen und Basketball.“ (George 2006, S. 13). Angesichts dessen wäre es schwierig, HipHop und Rap als Königsweg der Gewalt- und Drogenprävention zu inszenieren, aber gerade weil es so präsente Themen im HipHop – aber auch im Alltag von Offener Jugendarbeit – sind, liegt es eigentlich auf der Hand, bei HipHop-Projekten verstärkt mit risiko- und rauschpädagogischen Ansätzen zu arbeiten. HipHop hat nicht automatisch aggressions- und gewaltfördernde Wirkungen. Im Gegenteil, nicht wenige junge Menschen hören Rap zum Aggressionsabbau und manche hören ihn nicht nur, sondern nutzen auch die Praxis des Rappens als Ventil. Diesen Aspekt gilt es in der Jugendarbeit im Blick zu behalten: Wie wird gewaltvolle Sprache von den Rezipient*innen verstanden? Sind Rapper*innen für die Jugendlichen als Kunstfigur erkennbar oder werden sie als authentisch wahrgenommen? Und selbst wenn, führt das zur Nachahmung? In der
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Insbesondere bezieht sich dieser Mythos auf Afrika Bambaataa und die Gründung der Zulu Nation. Afrika Bambaataa sah, als ehemaliges Gang-Mitglied, Rap, Breakdance und Graffiti als Möglichkeit, Konkurrenz und Kämpfe kreativ, statt gewaltförmig auszutragen. Die einzelnen Elemente unter dem Begriff „HipHop“ zu vereinen und das Element Knowledge hinzuzufügen wird auch ihm zugeschrieben (vgl. Gosa 2015).
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Auseinandersetzung mit (verbalen) Aggressionen liegt ein weiteres Potenzial von HipHop in der Arbeit mit jungen Menschen. 9
Potenzial: Verhandlung von Geschlecht
Die Vielfältigkeit von Rapmusik ermöglicht auch die Thematisierung von Geschlecht anhand verschiedener Beispiele und Darstellungen – das gilt nicht nur für die Jugendarbeit im Allgemeinen, sondern auch in genderspezifischen Settings der Mädchen*- und Jungs*arbeit. Allerdings war lange gerade im kommerziell erfolgreichen Rap eine ganz bestimmte hypermaskuline Männlichkeit und eine ganz bestimmte hyperfeminine übersexualisierte Weiblichkeit vorherrschend. Darüber hinaus wurde wenig anderes gezeigt. Dieser Fokus auf eine starke Maskulinität ist zwar „kein Spezifikum der HipHop resp. Rap-Szene. Mit einigen wenigen Ausnahmen […] gelten die meisten Szenen und Jugendkulturen als männlich dominiert“ (Süß 2021, S. 99). Jedoch sind manche Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder besonders präsent in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Rap und auch darin, wie manche jungen Menschen in Anlehnung an ihre Rap-Idole Männlichkeit und Weiblichkeit konstruieren. Hinzu kommen queerfeindliche, heterosexistische und antifeministische Texte und Gebaren in der Musik. Allgemein ist die Jugend von Jungen und jungen Männern „gewissermaßen die ‚gewaltintensive‘ Phase im Lebenslauf“ (Meuser 2013, S. 52) und wie Studien zu männlichen PeerKulturen zeigen, ist ein Großteil der Interaktionen in männlichen Peer Groups durch eine ausgeprägte Wettbewerbsorientierung charakterisiert (vgl. Meuser 2005; 2013; 2018). Dabei reicht der Wettbewerb vom scherzhaften Verbal Duelling10 über Kompetenzvergleiche, berufliche Hierarchiekämpfe und spielerische wie sportliche Wettkämpfe bis hin zu ernsthaften körperlichen Auseinandersetzungen (ebd.). All dieses lässt sich auch im HipHop finden und damit im Kontext
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Innerhalb des letzten Jahrzehnts gewinnt das Thema verbale Aggression im Segment sprachlicher/verbaler Gewalt in den (Sprach-)Wissenschaften zunehmend an Bedeutung (vgl. Bonacchi et al. 2017; Havryliv 2022). Im Gros dieser Forschungsliteratur wird zwischen verbaler Gewalt und verbaler Aggression unterschieden und die produktiven und prosozialen Funktionen von verbaler Aggression hervorgehoben. 10 Monika Sokol hat Rap im Kontext eines jahrhundertealten universellen Sprachspieltypus des Verbal Duelling (kurz: VD) zu verorten gesucht. Ihr zufolge (2004, S. 120 f.) weisen diese Traditionen idealtypisch folgende Züge auf: gesprochene oder gesungene, kompetitive Interaktion (mit oder ohne Musik) in einer darauf fokussierten Situation; die im Rahmen einer Spielkultur verläuft; mit Regeln, die kodifiziert und den Partizipanten verfügbar sind; typischerweise in der Öffentlichkeit vor einem Publikum stattfindet, das eingreift und bewertet und die schließlich damit endet, dass Gewinner und Verlierer feststehen. „Das VD im Rap ist diesem Typus ebenfalls zuzurechnen“ (ebd., S. 125) Auch in anderer Hinsicht kann Rap dem VD zugerechnet werden: „In nahezu allen VD-Traditionen, ob historischen oder zeitgenössischen, ist ein Sprachgebrauch üblich, der sich in Tabuzonen bewegt“ (ebd., S. 118).
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von HipHop in der Jugendarbeit und in der Jungs*arbeit nutzen, um Männlichkeitsbilder und Geschlechterrollen zu thematisieren. Zudem wurden in den letzten Jahren eine steigende Zahl weiblicher MCs populär. Bei diesen finden sich sehr unterschiedliche Weiblichkeits-Performances, die in der Mädchen*arbeit eingesetzt werden können, um zum einen die Vorstellung zu dekonstruieren, es gäbe eine ‚richtige‘ Weiblichkeit. Zum anderen haben wir aber auch die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche im Klassen- oder Jugendclub-Kontext verschiedene Gender-Vorstellungen besonders gern anhand von Rapper*innen miteinander verhandeln.
Potenzial: Vielfalt
Dieses Potenzial wird schon im Hinblick auf die zuvor bereits angedeutete Vielfalt von jugendkulturellen Praxen, Aktivitäten und Ausdrucksmöglichkeiten, die mit HipHop assoziiert werden, deutlich. Zudem lassen sich in der HipHopSzene diverse Sub-Szenen finden, die im Austausch miteinander stehen und sich aufeinander beziehen. Darüber hinaus reicht ein Blick auf die Szene-Akteur*innen, denn es lässt sich für Österreich wie Deutschland (vgl. Kaya 2015) konstatieren, dass in keiner Jugendkultur so viele junge Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte vertreten sind wie im HipHop. Ein großes Potenzial für Diversität liegt in den Akteur*innen der Szene und ihren Geschichten, den Inhalten der diversen Texte, der Selbstverständlichkeit verschiedenster Muttersprachen sowie der Vielfalt der Szene(n) selbst. Ein weiteres Potenzial für gelebte Diversität liegt auch in dem im Producing/Beatmaking weit verbreiteten Sampling: „Wie kaum ein anderes Genre der populären Musik generiert sich Rapmusik durch die Bezugnahme auf andere musikalische, sprachliche oder visuelle Quellen.“ (Kautny 2010, S. 1) und öffnet den Blick auf und die Möglichkeit für verschiedenste Einflüsse aus potenziell allen global existierenden Musikkulturen. Das gilt vor allem für die Instrumentals bzw. Rap- und HipHop-Beats: „Produzenten sammeln für ihre Audiomontagen Ausschnitte existierender Aufnahmen aller erdenklicher Musikgenres […] Aber auch Alltagsgeräusche oder sprachliche Quellen sind beliebte Fundstücke“ (ebd.). Das hat im HipHop eine lange Geschichte, die sich bis zu den ersten DJs zurückverfolgen lässt: „Alte oder bekannte Sounds in einen neuen Kontext zu stellen, war schließlich allerbeste HipHop-Tradition.“ (George 2002/2006, S. 116).
Fazit Die von uns herausgearbeiteten Potenziale haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen vor allem einen ersten groben Eindruck geben, was mit HipHop
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in der Jugendarbeit alles möglich ist. Was davon zum Einsatz kommen kann, hängt wesentlich vom Setting ab: von der Klasse oder Gruppe, mit der gearbeitet wird, ebenso wie von den Themen, die aus dieser Gruppe kommen oder von außen an die Gruppe herangetragen werden. Zudem empfiehlt es sich, für die eigene Praxis die Potenziale zu nutzen und auszuarbeiten, die den eigenen Interessen am nächsten liegen. Einer der höchsten Werte und häufig diskutiertes Thema in der HipHop-Szene ist Authentizität: Rapper*innen werden von Fans und Kolleg*innen darauf ‚abgeklopft‘, ob sie ihrem Image gerecht werden (vgl. Dietrich 2015). Real Talk ist ein beliebtes Rap-Interview-Format und Schlagwort, gern mit der Ergänzung „100%“. Zudem muss sich der Nachwuchs seit Jahrzehnten mit der Frage auseinandersetzen, ob HipHop noch „true“ oder schon komplett „ausverkauft“ ist. Ebenso sind Jugendliche unserer Erfahrung nach sehr kompetent darin zu erkennen, ob ihnen mit ehrlichem Interesse gegenübergetreten wird oder die Bezugsperson sich das Interesse eher ‚abringt‘. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, in der konkreten Arbeit die Elemente aus den Potenzialen von HipHop herauszusuchen, die am besten zu den eigenen Interessen (in der Arbeit mit Jugendlichen) passen, um authentisch zu bleiben.
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Identitäten und Ideologien
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„I am the Man!“ Kontextualisierung von Männlichkeit(-en) im US-amerikanischen HipHop vor der Jahrtausendwende1 Ash M.O. Übersetzt aus dem Englischen, gekürzt und überarbeitet von Anna Groß und Marie Jäger
Intro „Bitches ain’t shit but hoes and tricks//Lick on these nuts and suck the dick//Gets the fuck out after you’re done//And I hops in my ride to make a quick run//I used to know a bitch named Eric Wright//We used to roll around and fuck the hoes at night//Tight than a motherfucker with the gangsta beats//And we was ballin’ on the motherfucking Compton streets“ (Dr. Dre 1992).
Wie der obige Text von Dr. Dre‘s Hit aus dem Jahr 1992 mit dem bezeichnenden Titel „Bitches Ain‘t Shit“ zeigt, existieren Männlichkeitskonstruktionen im USamerikanischen HipHop vor der Jahrtausendwende und ihre performativen Ausdrucksformen wie Hypermaskulinität nicht in einem Vakuum. Im Gegenteil, sie sind eng mit dem schwierigen gesellschaftlichen Kontext verwoben, in den die HipHop-Kultur hineingeboren wurde. Es ist wichtig, diesen Kontext bei der Untersuchung von Geschlechterrollen und Männlichkeit innerhalb der HipHop-Gemeinschaft zu berücksichtigten. So beschreibt Regina N. Bradley HipHop-Männlichkeit als: „Aggressiv, dominant und abgeflacht, während HipHop-Weiblichkeit unterwürfig, (hyper-)sexuell und stumm ist […] Die klanglichen und visuellen Marker der HipHopGeschlechterrollen und die mit diesen Rollen verbundenen Gefühle und Ängste sickern in ein größeres nationales amerikanisches Narrativ der race ein“ (Bradley 2015, S. 182).
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Dieser Beitrag lag den Herausgeber*innen als ein auf Englisch verfasster Text mit dem Titel „I’m the man – masculinity in American Hip Hop music before the turn of the century and its underrated context” vor. Für dieses Buch wurden Thesen aus dem Text von Ash M.O. von den Herausgeber*innen übersetzt und zusammengefasst. Zum besseren Verständnis haben wir an einigen Stellen Fußnoten mit Hintergrundinformationen ergänzt. Wir bedanken uns bei Ash M.O. für diese wichtigen Perspektiven auf Männlichkeit(-en) im US-amerikanischen HipHop.
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Wenn man anschließend an Bradley HipHop als kulturelles Nebenprodukt der Bürgerrechtsbewegung2 betrachtet, ist es unmöglich, den sozio-politischen Hintergrund der Entstehungszeit von HipHop zu ignorieren. Nach dem Höhepunkt des Civil Rights Movement haben sich Schwarze3 Identitätskonzepte in vielen Bereichen zwar weiterentwickelt und an Facetten gewonnen, Identitätsangebote für Schwarze Männer in den USA sind jedoch nach wie vor limitiert und scheinen ‚festzustecken‘ (vgl. Neal 2015). Männlichkeitsinszenierungen im US-amerikanischen HipHop müssen im USamerikanischen Gesamtkontext betrachtet werden. Dieser Beitrag nimmt deshalb eine historisch tradierte, vorurteilsbehaftete Betrachtung von HipHop durch Außenstehende in den Blick und untersucht, wie Männlichkeit in den Anfangsjahren von HipHop in den USA bis zur Jahrtausendwende interpretiert wurde, welche begrenzten Archetypen für Frauen und für Männer darin existierten und wie diese begrenzten und begrenzenden Images die Betrachtung eines gesamtes Musikgenres und der darin Agierenden verzerrt hat. Im Zuge dessen werden Schlüsselfaktoren besprochen, die in der Debatte zu Männlichkeits-Bildern im HipHop häufig übersehen oder nur oberflächlich betrachtet werden: die afroamerikanische Geschichte der Sklaverei, rassistische Stereotype, die sich im Laufe der Geschichte über Afroamerikaner*innen hartnäckig gehalten haben und nicht zuletzt deren Vermarktbarkeit und Rentabilität. Ziel dieses Beitrags ist es, die Perspektive der gemeinsamen gesellschaftliche Verantwortung für Männlichkeit(-en) im HipHop aufzuzeigen: eine Perspektive, die oft genug ignoriert wird, obwohl sie von entscheidender Bedeutung für jede weitere Debatte um eine substanzielle und positive Veränderung von Geschlechterrollen im HipHop ist. Dabei sollen mitnichten die Auswirkungen schädlicher Formen von Männlichkeit und menschenverachtendem Verhalten heruntergespielt oder die Verantwortlichen von ihrer Verantwortung freigesprochen werden, es soll allerdings aufgezeigt werden, welche Faktoren in der Auseinandersetzung mit dem Thema mehr Beachtung erfahren sollten.
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Wie eng HipHop im US-amerikanischen Kontext mit afroamerikanischer Geschichte verknüpft ist, lässt sich unter anderem an dem Bezug etlicher Rapper*innen auf Martin Luther, die Black Panther Party, aber auch die Nation of Islam erkennen. Die komplette Geschichte afroamerikanischer Musik seit dem Blues ist zudem die eines Gegenentwurfs, weil Afro-Amerikaner*innen bis in die 80er von einer Teilhabe an Kultur weitestgehend ausgeschlossen waren. „Schwarz“ und „weiß“ beziehen sich hier nicht auf Hautfarben oder Ethnien, sondern beschreiben politische und soziale Konstruktionen: „Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle ‚Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-sein in diesem Kontext nicht nur, pauschal einer ‚ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden” (Schearer/Haruna 2013).
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Archetypen von Männlichkeit und Weiblichkeit im US-Rap Cheryl Keyes identifizierte vier verschiedene Kategorien weiblicher Rap-Identität: Die „Queen Mother“ ist eine mütterliche und weise Figur, deren Identität und Selbstausdruck in der afrikanischen Tradition und Bildsprache verankert ist. Sie ist mächtig und ihr scheint ihre Gemeinschaft wichtig zu sein. Das „Fly Girl“ drückt sich durch modische Kleidung, Frisuren und Make-up sowie durch den Ausdruck sexueller Unabhängigkeit und Kontrolle aus. Die „Sista with Attitude“ wird als herablassend, trotzig und feindselig angesehen. Sie eignet sich Begriffe wie „Bitch“, eine bestimmte Haltung oder eine aggressivere Form der Erotik neu an. Vor allem Rapperinnen, die der Unterkategorie „Bad Girl“ angehören, müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, aggressiv, obszön und materialistisch zu sein. Schließlich identifiziert Keyes die Kategorie der „Lesben“, die ihre Kategorisierung eher dem Ausdruck ihrer Sexualität als der Bewertung ihrer Rapper*innen-Fähigkeiten und anderer qualitativer Marker verdanken (vgl. Keyes 2000). Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich diese Archetypen nicht gegenseitig ausschließen und Künstler*innen mehr als nur einer Kategorie angehören können. Basierend auf Keyes' Charakterisierung der weiblichen Geschlechterrollen im HipHop markierte Bradley die folgenden vier Archetypen männlicher Geschlechterrollen im HipHop: „Philosophenkönig“ („Philosopher King“), „Playa/Zuhälter“, „Dope Boy/Trap-Star“ und „Hustler“. Der „Philosophenkönig“ steht für Emotionen und Intellekt. Seine Texte sind lyrisch-analytisch und er thematisiert regelmäßig die Welt, in der er lebt, sowie die Rolle, die er in ihr spielt. Er hilft dabei, Identifikationskonzepte für Minderheiten zu erschaffen und zu formen, indem er einen neuen Jargon und neue Symbole prägt, die insbesondere für BIPoC-Jugendliche als Identifikationsangebote dienen. Ein weiteres spezifisches Merkmal des „Philosophenkönigs“ ist seine Fähigkeit, die Anforderungen an Schwarze Männer innerhalb der HipHop-Kultur zu erfüllen und gleichzeitig ein größeres externes Publikum anzusprechen. Er bringt seine Ansichten über Politik und Geschlecht innerhalb des HipHop-Kosmos zum Ausdruck, findet dafür aber auch andere Räume. Bradley nennt Tupac Shakur und KRS-One als Beispiele. Tupac Shakur, auch bekannt als 2Pac, zeigt die zuvor erwähnten analytischen, aber auch für Verhandlungen offenen Charakterzüge in seinem 1998 veröffentlichten Song „Changes“, wenn er zum Beispiel rappt: „Cops give a damn about a negro//Pull the trigger, kill a n***4, he's a hero//Give the crack to the kids who the hell cares//One less hungry mouth on the welfare//First ship 'em dope and let 'em deal the brothers//Give 'em guns, step back, watch 'em kill each
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Im Original ist das N-Wort ausgeschrieben. Die Herausgeber*innen haben sich dafür entschieden, diese rassistische Bezeichnung hier nicht zu wiederholen.
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other//It’s time to fight back that's what Huey said//Two shots in the dark, now Huey's dead//I got love for my brother but we can never go nowhere/Unless we share with each other//We gotta start making changes//Learn to see me as a brother instead of two distant strangers“ (2Pac 1998).
Der „Playa/Zuhälter“ identifiziert sich über seine sexuellen Eroberungen und Fähigkeiten. Er ist nicht bescheiden und das Aushängeschild für eine übertriebene Darbietung von Männlichkeit und Sexualität. Seine Vorstellung und Darstellung von Sexualität sind in hohem Maße ausbeuterisch gegenüber Frauen. Bradley zufolge ist er die moderne Version des „Buck-Archetyps aus der Sklaverei und des Zuhälters aus der „Blaxploitation“-Ära der 1970er Jahre“ (Bradley 2015, S. 186).5 Bradley nennt Kurtis Blow, LL Cool J und Too $hort als Beispiele. LL Cool J stellt diese Merkmale z. B. in seinem 1989 erschienenen Lied „Big Ole Butt“ dar, in dem er die Vergewaltigung sogar beiläufig romantisiert: „I went to the high school about three o’clock//To try to catch a cutie riding my jock//My homeboy’s jeep, the system blasting//Cold forty dogs, smiling and laughing//Girls all over, the kind I adore//I felt like a kid in a candy store//That’s when I seen her//Her name was Brenda//She had the kind of booty that I’d always remember//I said to my man, „Stop the jeep“//She’s only seventeen but, yo, don’t sleep//I kicked the bass like an NFL punter//And scoped the booty like a big game hunter“ (LL Cool J 1989).
Wie der Name schon andeutet, sind die Kennzeichen der „Dope Boys/Trap Stars“ Texte und Symbole, die sich auf die Welt des Drogenkonsums und -handels beziehen. Bradley stellt fest, dass die Heroin- und Crack-Epidemien der 1970er und 1980er Jahre den Grundstein für diese Rap-Persönlichkeit gelegt haben. Die Identität des „TrapStars“6 drückt sich durch durch einen gewalttätigen Nihilismus und Schnelligkeit beim Rappen aus. Mittels der Rap-Texte gibt er sein umfangreiches Wissen zu Drogen weiter. Bradley führt Easy-E als Beispiel an. Die beschriebenen Merkmale treffen aber auch auf Snoop Dogg und Lil‘ Wayne zu. So rappt Snoop Dogg in seinem Track „Gin and Juice“ (1993):
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„Blaxploitation“ (der Begriff ist zusammengesetzt aus Black und Exploitation) beschreibt ein Filmgenre, die in den USA in den frühen 1970ern populär war. In den Filmen, die dem „Blaxploitation“-Kino zugerechnet werden, waren afroamerikanische Schauspieler*innen in Action-Filmen zu sehen. Hollywood wollte sich mit diesen Filmen Afroamerikaner*innen als neuen Absatzmarkt erschließen. Gleichzeitig erfuhren die Filme für ihre klischeebeladene und oftmals rassistische Darstellung von Schwarzen Menschen viel Kritik aus der Bürgerrechtsbewegung (vgl. Novotny 2016). Bradley verweist darauf, dass Trap ein Begriff aus dem amerikanischen Süden ist, der sich auf einen Ort bezieht, an dem Drogen verkauft werden. Bezug genommen wird dabei auch auf die wirtschaftlichen und sozialen Nöte und Ängste, mit denen Schwarze Männer im Süden konfrontiert sind.
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„So we gon’ smoke a ounce to this//G’s up, hoes down, while you motherfuckers bounce to this//Rolling down the street, smoking indo, sipping on gin and juice//Laid back with my mind on my money and my money on my mind […] Later on that day my homie Dr. Dre came through with a gang of Tanqueray//And a fat ass J, of some bubonic chronic that made me choke“ (Snoop Dogg 1993).
Der „Hustler“ schließlich wird als eine Mischung aus mehreren männlichen HipHop-Identitäten beschrieben. Er hat ehrgeizige Ziele, ist klug und nutzt das Ideal des amerikanischen Traums ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘. Damit macht er HipHop zur Arena für seine unternehmerischen Bemühungen. Es gelingt ihm aber auch, seinen Wirkungskreis über die HipHop-Sphäre hinaus zu erweitern und sich in andere Wirtschaftsbereiche vorzuwagen, wobei ihm die Erfahrungen und Fähigkeiten von Nutzen sind, die er durch sein Leben in der Hood7 erworben hat. Wie ein Chamäleon ist der „Hustler“ in der Lage, Authentizität und Legitimität in der Hood, aber auch im Geschäfts- und Bildungsumfeld zu vermitteln. Als Beispiele werden Jay-Z, Puff Daddy und Notorious B.I.G. angeführt. In seinem 1997 veröffentlichten Song „The City Is Mine“ zeigt Jay-Z großen Ehrgeiz und Tatkraft. Er erwähnt nicht nur seinen Hustler-Kollegen Notorious B.I.G., sondern vergleicht seinen Lebensstil auch mit dem von Ludwig dem XIII. und betreibt ein gewitztes Wortspiel mit dem Namen der Industrie- und Bankiersfamilie Rockefeller, der als Synonym für Reichtum und unternehmerischen Erfolg gilt: „I represent the lifestyle of those who thirst cream//A buck fifty a shot, Louis the Thirteenth//Jay-Z, Roc-A-Fella yo, know the name//I ain’t a player get it right, I’m controlling the game//From now until they blow holes in my frame//I’ma stand firm, holding my aim, feel me//I’m the focal, point like Biggie in his prime//on the low though – shhhhh, the city is mine.“ (Jay-Z 1997)
HipHop im Kontext – Schlüsselfaktoren und Zusammenhänge Der gesellschaftliche Kontext, in dem sich negative Darstellungen von Schwarzen Männlichkeit(-en) und Geschlechterrollen im HipHop vor der Jahrhundertwende verbreiten konnten, ist sehr komplex und es greifen viele Faktoren ineinander.
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Das Wort Hood bedeutet zwar wörtlich übersetzt „Nachbarschaft”, im HipHop ist es aber nicht einfach irgendeine Nachbarschaft oder ein Viertel, sondern ein gefährlicher, häufig prekarisierter und von Kriminalität und Armut geprägter Wohnort, entstanden durch rassistische und klassistische gesellschaftliche Ausschlüsse, die die dort lebenden Menschen zu einem Leben in der Hood zwingen und ihnen kaum andere Räume ermöglichen. Auch für die Hood findet im HipHop ein ‚Reclaiming‛ statt, eine empowernde, mit Stolz gefüllte Aneignung der eigenen Hood.
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Der afroamerikanische Struggle – Status, Macht und Dominanz 8
Macht, Status und Dominanz stehen zwar miteinander in Verbindung, sind jedoch nicht dasselbe, folgt man den Definitionen von Burgoon und Dunbar (2006). Sie stellen fest, die wissenschaftlich einheitliche Definition von ‚Macht‘ bedeute zwar die Fähigkeit, ein beabsichtigtes Ergebnis zu erzielen, was insbesondere dazu genutzt werde die Handlungen anderer zu beeinflussen, doch Macht sei ‚multidimensional‘ (ebd.). Weiter erklären sie, dass ‚Dominanz‘ von Biolog*innen und Soziolog*innen beschrieben wird als „ein Muster des Ungleichgewichts in Interaktionen innerhalb einer dyadischen Beziehung“ oder die gesellschaftliche Position die man in einer Hierarchie innehat (ebd., S. 281). ‚Status‘ wiederum ist als eine Position oder Kategorie zu betrachten, zu der jemand gehört und die bestimmt, wie diese Person behandelt wird (Lindsey 2011, S. 2). Nach Lindsey ist ‚Status‘ „eine der wichtigsten sozialen Strukturen, die die soziale Interaktion organisieren“, wobei Geschlecht, race9 und soziale Klasse die wichtigsten Kategorien darstellen (ebd.). Eine Welt, die durch Status/Macht/Dominanz strukturiert ist, lädt dazu ein, den eigenen Status durch eigene Macht und Dominanzbestrebungen zu festigen. Vor diesem Hintergrund kann die Wahrnehmung des eigenen Status, der durch die gesellschaftliche Behandlung geformt und verstärkt wird, als ein treibender Faktor für das Festhalten an ungleichen Geschlechterrollen identifiziert werden. Dies beinhaltet auch die Beharrlichkeit einer dominanten und gewalttätigen Interpretation von Männlichkeit, die viele männliche (US-amerikanische) HipHopKünstler an den Tag legen. Die HipHop-Kultur, die größtenteils von prekarisierten afroamerikanischen Jugendlichen entwickelt und kultiviert wurde, muss daher in den Kontext der afroamerikanischen Erfahrung und Geschichte gestellt werden (vgl. Burgoon/Dunbar 2006).
Rassismus und Sklaverei
Im Gegensatz zur europäisch-amerikanischen Geschichte wurzelt die afroamerikanische Geschichte in dem gewaltsamen Verlust von Status und Macht, von Identität, Mensch-Sein und Handlungsfähigkeit durch den Sklav*innen-Handel. Beschrieben wird zum Beispiel die Indoktrination und ‚Abrichtung‘ („seasoning process“) der zukünftigen Sklav*innen schon während der Überfahrt. Dies bein-
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Der englische Begriff „struggle“ steht hier für das Ringen und den Kampf der Afro-Amerikaner*innen wie im Beitrag weiter ausgeführt. „Der englische race-Begriff wird in internationalen Diskussionen und in der rassismuskritischen Forschung häufig genutzt, um die soziale Konstruktion von race zu beschreiben, die strukturell zu Ungleichheit und Diskriminierung führt” (Quent 2020).
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haltete die übergriffigen Körperuntersuchungen sowie die Brandmarkung von Sklav*innen durch Sklavenhändler*innen oder die verantwortlichen Unternehmen, um diese Menschen als Besitztum zu markieren. Der „Seasoning Process“ weist starke Parallelen auf zu der Art und Weise, wie Pferde zum Gehorsam abgerichtet werden (vgl. Chambers o.D.). Dieses Verfahren sollte die neu versklavten Afrikaner*innen auf ihr Leben als „subhuman laborers“ (Ash M.O., engl. Text) vorbereiten. Im Zuge dessen wurden die Sklav*innen mit unzureichenden Essensrationen versorgt und gewaltsam dazu gezwungen, übergriffige Untersuchungen ihres Körpers über sich ergehen zu lassen. Diese und andere Macht- und Dominanzdemonstrationen wurden als Werkzeuge eingesetzt, um die Versklavten dazu zu bringen, ihren niederen Status anzunehmen und zu verinnerlichen (vgl. ebd.). Die weißen Sklavenhalter*innen erachteten dies als notwendig, um die Art von Macht ausüben zu können, die mit der Sklaverei angestrebt wurde. Ziel war das Erlangen von Macht über die Körper einer Gruppe von Menschen, welche die Sklavenhalter*innen unter zermürbenden Bedingungen und mit so wenig Widerstand wie möglich für sich arbeiten ließen. Das Kalkül dahinter war der wirtschaftliche Vorteil von Zwangsarbeit gegenüber Frohn- bzw. Lohnarbeit für die Sklavenhalter*innen. Wenn man Lindseys Ansicht über die soziale Bedeutung von Status folgt, ist es naheliegend anzunehmen, dass dieser historisch niedere Status von Afroamerikaner*innen im Unterschied zu weißen Amerikaner*innen traumatische Auswirkungen hatte und einer Wiedergutmachung bedarf. Dem zum Trotz und auf dem Nährboden des tief verwurzelten Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft wurde die Bürgerrechtsbewegung zur Gleichstellung der Afroamerikaner*innen (Civil Rights Movement) ab den 50er Jahren von breiten Teilen der Gesellschaft als ‚anmaßend‘ rezipiert, womit die Dominanzund Machtansprüche der Weißen fortgeführt wurden. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die jungen Schöpfer*innen der späteren HipHop-Kultur, wie DJ Kool Herc (*1955), Afrika Bambaataa (*1957) und Grandmaster Flash (*1958), um nur einige zu nennen, noch in dieser offen rassistischen und turbulenten Zeit der 1950er und 1960er Jahre aufgewachsen sind. Die Ära des Civil Rights Movement war eine, in der die Neuverhandlung des Status der Schwarzen Amerikaner*innen in der Gesellschaft allgegenwärtig war. Es war eine Zeit diverser Möglichkeiten für Veränderungen, Hoffnungen, ebenso aber auch für weitere Beleidigungen, Erniedrigungen und Enttäuschungen. Wenn Lindseys Annahme stimmt, dass Geschlecht, race und soziale Klasse die wichtigsten Kategorien sind, und wenn man bedenkt, dass HipHop in einem segregierten, männlich dominierten Umfeld entstand, in dem die meisten Menschen dieselbe soziale Klasse und race, aber nicht dasselbe Geschlecht hatten, dann ist es naheliegend, dass die Kategorie Geschlecht in Bezug auf die soziale Hierarchie am einfachsten neu zu verhandeln war. Das gilt insbesondere, da Schwarze Frauen und andere rassifizierte Frauen zusätzlich mit dem Hindernis der intersektionellen Diskriminierung durch Rassismus und Sexismus zu kämpfen hatten – und nach
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wie vor haben. Dies macht den Status von (insbesondere Schwarzen) Frauen noch unbeständiger und zu einem leichteren Ziel als den Status von weißen Menschen (insbesondere Männern). Um selbst nicht am untersten Ende der Hierarchie stehen zu müssen, muss jemand anderes in diese Position gebracht und die eigene Position überhöht werden. Solveig Lüdtke schreibt dazu: „Rapper benutzen Rangfolgebezeichnungen und Titel zur Darstellung von Erfolg, Macht und Sexappeal. Die Präsentation eines starken, unangefochtenen männlichen Selbst ist zum Teil verbunden mit sexueller Prahlerei und dem Streben nach sozialer Kontrolle“ (Lüdtke 2007a, S. 183).
Obwohl es naiv wäre zu behaupten, dass Sexismus in der Schwarzen Kultur und Gesellschaft (wie auch in der weißen Kultur und Gesellschaft) vor dem Aufkommen des HipHops nicht existierte, sind die obengenannten Gründe dafür mitverantwortlich, dass lyrisch aggressive und sexistische Interpretationen von Männlichkeit tief in den Grundstrukturen von HipHop verwurzelt sind und selbst die gewalttätigsten Formen es geschafft haben, sich über die Jahre hinweg durchzusetzen und kommerziell erfolgreich zu bleiben.
Rassistische Stereotypen und ihre Rentabilität
Ein weiterer wichtiger Faktor, der zwar Ausdruck der weißen Dominanz ist, aber dennoch gesondert betrachtet werden sollte, ist die Rolle, die rassistische Stereotypen bei der Entstehung von HipHop-Identitäten gespielt haben. Bradley kommt zu dem Schluss: „Übergreifende Tropen von Frauenfeindlichkeit, Vergewaltigungskultur und Gewalt gegen Frauen präsentieren HipHop als einen hypermaskulinen und vergeschlechtlichten Raum des (Schwarzen) amerikanischen kulturellen Ausdrucks, der profitabel ist. Das Privileg des Vermarktbaren geht mit Hypervisibilität und erhöhter Normalität und umgekehrt“ (Bradley 2015).
Es ist zwar unmöglich, in diesem Beitrag die gesamte Geschichte der Stereotypen, die Schwarzen Menschen in den USA zugeschrieben wurden, zu skizzieren, aber es lohnt sich, einen kurzen Blick auf die gängigsten Stereotypen zu werfen. Laura Green identifiziert sieben vorherrschende, rassistische Stereotypen, die sich hartnäckig bis weit ins 20. Jahrhundert hielten: 1) Der „Sambo“ ist konstruiert als ein dümmlicher, unintelligenter Schwarzer Mann, der die Funktion hatte, das Bild des ‚glücklichen‘ Sklaven in den Köpfen weißer Amerikaner*innen zu verankern und zu erhalten. 2) „Jim Crow“ ist eine Figur, die ebenfalls einfältig ist und in der Regel von weißen Darsteller*innen ver-
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körpert wurde. Diese malten ihre Gesichter schwarz an, dazu karikaturähnliche, große weiße Münder und trugen dunkle, zerlumpte Perücken. 3) „Der Wilde“ ist das Bild eines Mannes, der die antisoziale, gewalttätige Bestie aus Afrika darstellen sollte. 4) „Die Mammy“ ist eine Figur, die nicht als bedrohlich angesehen wurde und von der man sagte, dass sie mehr Zuneigung für die Kinder ihres Herrn, die sie aufzog, empfand als für ihre eigenen. Sie wird als respektvoll gegenüber den Weißen, aber anmaßend gegenüber ihrer eigenen Familie beschrieben, welche sie mit ihrer tyrannischen Art kontrollierte. 5) „Tante Jemimah“ ist das Konstrukt einer Frau, deren Existenz sich auf häusliche Pflichten beschränkte. 6) Die „Sapphire“ galt als eine sehr unabhängige und herrschsüchtige Frau, die ihren einfältigen Ehemann unablässig beschimpfte und mit abfälligen Bemerkungen bekämpfte. 7) Die „Jezebelle“ ist die sexualisierte Darstellung einer schönen afroamerikanischen Frau, die weiße Männer verführte. Das Bild der „Jezebelle“ sollte die Vergewaltigung afroamerikanischer Frauen durch weiße Männer rechtfertigen und entschuldigen. Wie aus dieser Liste hervorgeht, gab es jahrhundertelang vor allem zwei Darstellungen Schwarzer Männlichkeit: die des einfältigen und dummen, unterwürfigen Schwarzen Mannes, der durch die Darstellung Schwarzer Frauen als übermächtig weiter „entmannt“ wird oder die des gefährlichen, wilden, bestienhaften Schwarzen Mannes, der nur darauf aus sei, weiße Menschen zu töten. Venus Opal Reese unterstützt diese Charakterisierungen, wenn sie beschreibt: „Der männliche Sklave […] hat seine Wurzeln in dem sozialen Ethos, dass Männer afrikanischer Abstammung entweder unbedrohliche, fügsame Witzbolde, hypersexuelle Hengste, die die Bevölkerung mit N*****babys10 versorgen oder gewalttätige Rebellen sind, deren einziger Wunsch es war/ist, alle Weißen zu töten“ (Reese 2008, S. 169).
Diese Darstellung eines hypersexuellen, romantisch unfähigen Schwarzen Mannes lässt sich zum Beispiel in der fast transaktionalen, distanzierten Art und Weise, wie Snoop Dogg seine Sexualität in „Gin and Juice“ ausdrückt, wiederentdecken: „I got bitches in the living room getting it on//And, they ain't leaving 'til six in the morning, six in the morning//So what you wanna do, shit//I got a pocket full of rubbers and my homeboys do too//So turn off the lights and close the doors//But—but what? We don't love them hoes“ (Snoop Dogg 1993).
Doch die Reduzierung der afroamerikanischen Identität und Eigenschaften auf unschmeichelhafte, flache Stereotype hat sich in der Vergangenheit für das weiße
10 Im Original ist das N-Wort ausgeschrieben. Die Herausgeber*innen haben sich dafür entschieden, diese rassistische Bezeichnung hier nicht zu wiederholen.
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Amerika als sehr profitabel erwiesen. Diese Darstellungen wurden nicht nur zur Rechtfertigung der Sklaverei verwendet, sie wurden auch zur Ware und dienten als Einkommensquelle und zur kulturellen Unterhaltung für Weiße. Wahrscheinlich gibt es dafür kein deutlicheres Beispiel als die Erfindung des BlackfaceMinstrel im frühen 19. Jahrhundert: Green erklärt, dass der Dramatiker und Schauspieler Thomas Dartmouth Rice, auch bekannt als Daddy Rice, seine berüchtigte Jim-Crow-Figur erfand, indem er sein Gesicht schwarz an- und sich karikaturhafte weiße oder rote Lippen aufmalte. Um die ganze Vorstellung noch grausamer und erniedrigender für Schwarze Menschen zu gestalten, führte er eine charakteristische komödiantische Tanznummer auf, die von einem alten Schwarzen Mann mit Behinderung inspiriert war, den er in zerlumpter Kleidung hatte tanzen sehen. Green schreibt, dass die Aufführung dieser Nummer durch Daddy Rice im Jahr 1830 eine enorme Wirkung hatte und weiße Künstler*innen im ganzen Norden dazu veranlasste, vor und nach dem Bürgerkrieg vor großem Publikum die Jim Crow-Nummer aufzuführen (vgl. Green o. D.). Diese Mentalität verschwand im Unterschied zum Blackface-Minstrel nicht aus den USA. Im Gegenteil, es gelang, dieses Mindset in den Köpfen von Weißen und Schwarzen gleichermaßen zu verankern. In ihrem Buch „The Hip Hop Wars“ erklärt Tricia Rose: „[D]ie Geschichte der Assoziation von Schwarzen mit Ignoranz, sexueller Abweichung, Gewalt und Kriminalität hat nicht nur dazu beigetragen, dass die fiktiven autobiografischen Erzählungen von HipHop-Künstlern bei Fans aus verschiedenen Rassengruppen glaubwürdig sind, sondern auch die übermäßige Angst vor der Popularität und Anziehungskraft dieser Künstler erklärt.“ (Rose 2008, S. 39).
Die Reduzierung der Schwarzen männlichen Identität auf Wiederholungen jahrhundertealter negativer Tropen, auf die die Menschen gesellschaftlich programmiert worden waren, war also nicht nur vom Standpunkt des Marketings aus nützlich, wie die Menge an erfolgreichen männlichen Rapper mit solchen negativen Verhaltensweisen und Mentalitäten zeigt. Diese Verhaltensweisen und Einstellungen wurden darüber hinaus finanziell belohnt, was dazu beitrug, den Erfolg Schwarzer Männer mit diesen negativen Eigenschaften zu verknüpfen – und zwar sowohl in den Köpfen weißer als auch Schwarzer Menschen. In dem Song „Changes“ beschreibt 2Pac die Perfidie einer rassistischen Gesellschaft, in der die Verstrickung in einen gewalttätigen Lebensstil belohnt wird. Gleichzeitig resultiert auch daraus eine systemische Gleichgültigkeit gegenüber Schwarzen Leben in einer weiß dominierten Gesellschaft. In diese Situation werden Schwarze hineingeboren. Dies wird in dem oben zitierten Auszug des Liedes sowie in den folgenden Passagen deutlich:
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„And the only time we chill is when we kill each other//[...] It ain't a secret, don't conceal the fact://The penitentia’ry's packed, and it's filled with blacks//But some things will never change//Try to show another way, but you staying in the dope game […] You gotta operate the easy way//„I made a G today, but you made it in a sleazy way/Selling crack to the kids//„I gotta get paid!"/well hey, but that's the way it is“ (2Pac 1998 ).
All dies wirft die Frage auf, ob diese anhaltenden reduzierenden Stereotypen, denen Schwarze Männer ausgesetzt waren und sind, die Erfahrung der ‚Entmannung‘, des (emotionalen) Missbrauch und der fehlenden Handlungsfähigkeit, aber auch das jahrhundertelange Ausspielen Schwarzer Männer gegen Schwarze Frauen, Generationen von jungen Schwarzen Männern das Gefühl gab, dass sie nur begrenzte Möglichkeiten haben, ihre Männlichkeit auszudrücken – und dass sie etwas beweisen müssen. Heidi Süß schlägt einen Blickwinkel vor, der sich ebenso auf diese Erfahrung bezieht, in welchem diese Verhaltensweisen allerdings in den Kontext der Ermächtigung gestellt werden: „So wirken restriktive Identitätsskripte, wie sie durch die Verweigerung oder Überdeterminierung Schwarzer Sexualität im Kontext der Sklaverei entstanden sind, bis heute nach. Viele hypersexualisierte Geschlechtermodelle US-amerikanischer Rapper_innen wie jenes der ‚Bitch‛, das etwa Lil' Kim verkörpert, oder des ‚Gangsters‛ à la 50 Cent können deshalb auch als empowernde Reaktion gegenüber einer weißen Dominanzkultur interpretiert werden.“ (Süß 2018).
Playing the Dozens
Ein Faktor, der gewöhnlich übersehen wird, wenn man über die oft konfrontative und beleidigende Interpretation von Männlichkeit spricht, die viele männliche Rapper präsentieren, ist die mündliche Tradition der Schwarzen US-Amerikaner*innen. Die Segregation der unterschiedlichsten kulturellen Traditionen und Mentalitäten von Afro- und Euro-Amerikaner*innen in vielen Bereichen und das begrenzte Verständnis Schwarzer Traditionen durch Weiße bietet viel Platz für Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Ohne eine tiefere und differenziertere Auseinandersetzung verfällt man leicht in die Gewohnheit, Schwarze Identität(-en) und kulturelle Ausdrucksformen durch das Prisma der oben genannten rassistischen Stereotypen zu betrachten und zu analysieren. Eine dieser Traditionen ist das Spiel ‚Dozens‛, das Elijah Wald als „Rap's Mama“ bezeichnet hat. Amuzie Chimezie, Gründungsmitglied der Africana Studies an der University of Cincinnati, definiert es als „ein afroamerikanisches Wettbewerbsspiel, bei dem zwei Teilnehmer in Anwesenheit eines aufmunternden Publikums von Gleichaltrigen versuchen, den*die jeweils andere*n, sein*ihr Verhalten oder dessen Verwandte, insbesondere die Mutter, zu verunglimpfen. Solche
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Verleumdungen bestehen sowohl aus nicht-sexuellen als auch aus sexuellen Bemerkungen, wie z. B. scherzhafte Anschuldigungen über Inzest, Promiskuität und den Besitz ungewöhnlicher Geschlechtsorgane oder verwandter Organe“ (Chimezie 1976, S. 401). Wenn ‚Playing the Dozens‛, wie z. B. in dem Artikel „Soul Story“ in der New York Times (vgl. Dove 1968) allerdings als vulgärer Konkurrenzkampf unter Schwarzen Männern beschrieben wird, greift das eindeutig zu kurz und erinnert an die einseitige Berichterstattung über Rap. Zum einen wurde ‚Playing the Dozens‛ auch von Mädchen und Frauen gespielt (vgl. Chimezie 1976), zum anderen erschöpft sich das Spiel nicht in sexualisierten Beleidigungen von Verwandten und der Mutter. Es gibt verschiedene Varianten des Spiels und unterschiedliche thematische Schwerpunktsetzungen (vgl. Abrahams 1962). Die Beleidigungen bei ‚Playing the dozens‛ sollen kein genaues Abbild der Realität sein und weisen typische Charakteristika von bizarrer Übertreibung auf (vgl. Lüdtke 2007). Auch wenn es vielleicht nicht Doves Absicht war, zu verallgemeinern, so ist es doch auffällig, dass er sich anscheinend mit einer Definition für dieses Fragment Schwarzer mündlicher Kultur zufriedengab, die den Erwartungen von antisozialem Verhalten der weißen Gesellschaft an Schwarze entsprach: wild und vulgär. Er hatte allerdings nur einige Variationen und Verhaltensweisen beobachtet. Wie später die Rapmusik, so sind auch die ‚Playing the Dozens‛ von weißen Wissenschaftler*innen und anderen eindimensional interpretiert und beurteilt worden, wobei man sich hauptsächlich auf die vorherrschende Annahme Schwarzer Aggression stützte. Während John Dollard erklärte, er könne die Ursprünge des Spiels nicht bestimmen und die Frage aufwirft, ob dieses kulturelle Gebilde aus Europa stamme und lediglich von Afroamerikaner*innen adaptiert oder doch von Afroamerikaner*innen erfunden worden sei (vgl. Dollard 1939), halten Dove und Abrahams das Spielen der ‚Dozens‛ für ein Schwarzes Phänomen (vgl. Abrahams 1962). Chimezie verweist zudem auf die Existenz eines vergleichbaren Gesellschaftsspiels namens Ikocha Nkocha, das in mehreren afrikanischen Stämmen zu finden ist, um Dollards These eines europäischen Ursprungs des Spiels zu widerlegen (vgl. Chimezie 1976). Ralf Berdie formuliert dies noch direkter, wenn er erklärt, dass er außerhalb von Berufen, denen er eine große Nähe zu Schwarzen zuschreibt (Psycholog*innen, Psychiater*innen, Bewährungshelfer*innen und Gefängnismitarbeiter*innen), keine Weißen getroffen hat, die den Begriff des Spiels kennen(vgl. Berdie 1947). Durch die nonchalante Zuschreibung von Berufen, die alle entweder mit Kriminalität oder Pathologie zu tun haben, beteiligt sich Berdie ungewollt an der zuvor erwähnten Stereotypisierung und falschen Darstellung der Schwarzen Identität durch weiße Amerikaner*innen. Bradley findet deutliche Worte für dieses Phänomen, wenn sie über die Medienberichterstattung anlässlich des Todes von (unter anderem) Trayvon Martin und Jordan Davis (unbewaffnete Schwarze Teenager, die unschuldig erschossen wurden) schreibt. Sie stellt fest, dass „[d]ie Publizität ihrer Körper in doppelter Weise mit einer leicht verdaulichen
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Rhetorik der Schwarzen Pathologie und der Erwartung von Gewalt verbunden ist, die die Existenz Schwarzer Männer umgibt“ (Bradley 2015, S. 182). Wären Wissenschaftler*innen, die über die Dozens schreiben, aufmerksamer, gründlicher und sich ihrer eigenen Voreingenommenheit bewusster gewesen, wären sie wahrscheinlich zu einer ausgewogeneren und nuancierteren Interpretation gekommen. Das gelingt Wald, wenn er schreibt, dass „[d]ie Dozens trickreich, aggressiv, beleidigend, clever, brutal, witzig, einfallsreich, dumm, gewalttätig, frauenfeindlich, psychologisch kompliziert, absichtlich irreführend sein können – oder all das auf einmal, verpackt in einem einzigen Reimpaar“ (Wald 2012, S. 3). Ähnliches lässt sich sicherlich über HipHop formulieren: Ein Beispiel für die snobistische Ablehnung, die auf der generalisierten Annahme der angeborenen Gewalttätigkeit und Vulgarität von HipHop beruht, ist die herablassende Analyse des Boston Globe-Kolumnisten Alex Beam in seinem Artikel „Meet the rap-ademics“, in welchem er sich über den sprachlichen Ausdruck diverser Rapper lustig macht (vgl. Beam 2011). Chimezie widerspricht Abrahams‘ oben erwähnter Aussage, die ‚Playing the dozen‘ als ein reines Spiel von Abwertungen und Beleidigungen betrachtet und fasst das zugrundeliegende Problem der weißen Fehlinterpretation von Schwarzer Kultur und Tradition zusammen: „Roger D. Abrahams' Theorie (1962) ist ein weiteres Beispiel für eine Theorie, die durch einen Mangel an Verständnis für die ‘mentale’ Kultur der Schwarzen, das Ignorieren des afrikanischen Erbes der Schwarzen und die kurzsichtige Konzentration auf die Oberflächenmerkmale der Dozens unhaltbar wird“ (Chimezie 1976, S. 410).
Fazit Es stimmt, dass sich die US-amerikanische HipHop-Männlichkeit vor der Jahrhundertwende oft als entwürdigend, gewalttätig, frauenfeindlich und bigott darstellte. Aber wie jede Geschlechterrolle in jeder Gesellschaft ist sie ein komplexes Konstrukt. Diese spezifische Männlichkeit steht in einer langen Tradition rassistisch aufgeladener Stereotypen und anhaltender negativer Annahmen über Schwarze Menschen, die ein limitiertes und limitierendes Skript darstellen. Dieses Skript steht einer ausgewogenen Wahrnehmung vielfältiger Identitäten Schwarzer Männer (und Frauen) im Weg. Es wäre falsch zu behaupten, dass es keine Anteile in der HipHop-Kultur gibt, in denen Akteur*innen und ihr Publikum schädliche Haltungen und eine extrem eingeschränkte und problematische Sichtweise von Männlichkeit angenommen, entschuldigt, belohnt und toleriert haben. Es wäre jedoch ebenso falsch, die allgemeine Unkenntnis und Ignoranz der US-amerikanischen Gesellschaft dem zugrundeliegenden Kontext gegenüber, sowie die gesellschaftlich schwierige Atmosphäre, in der die HipHop-Kultur entstanden ist, zu
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ignorieren. Dies sollte nicht als Entschuldigung für einzelne Ausprägungen schädlicher Männlichkeit dienen und schützt auch nicht vor Kritik. Doch wenn es um das Genre selbst geht, ist es für die Öffentlichkeit und die Wissenschaft gleichermaßen wichtig, das Gesamtbild anzuerkennen. Jeder Dialog und jeder Versuch, substanzielle Veränderungen zu fordern und herbeizuführen, ist zum Scheitern verurteilt, wenn dabei zugelassen wird, dass Oberflächlichkeit, mangelnde Nuancierung und Unwissenheit über die eigene Position, Privilegien und deren Folgen die eigenen Interpretationen, Argumente und Schlussfolgerungen verzerren. Dies führt nur zu Vorurteilen und einer Einseitigkeit, die der Schwarzen Gemeinschaft schmerzlich vertraut sind. Jede Debatte und jedes Streben nach Veränderung muss ganzheitlich, nuanciert, aufmerksam, selbstbewusst und unapologetisch sein, aber vor allem: fair.
Literatur Abrahams, Roger D. (1962): „Playing the Dozens.“ In: The Journal of American Folklore 75, H. 297, S. 209–211. Berdie, Ralph. F. (1947): Playing the Dozens. In: The Journal of Abnormal and Social Psychology 42, H. 42, S. 120–121. Beam, Alex (2011): Meet the rap-ademics. www.archive.boston.com/ae/music/articles/ 2010/12/14/ the_ivy_league_offers_its_esteemed_interpretation_of_hip_hop_lyrics/ (Abfrage: 27.11.2020). Bradley, Regina (2015): Barbz and kings: Explorations of gender and sexuality in hip-hop. In: Williams, J. (Hrsg.): The Cambridge Companion to Hip-Hop. Cambridge: Cambridge University Press, S. 181–187. Burgoon, Jundee K./Dunbar, Norah E. (2006): Nonverbal Expressions of Dominance and Power in Human Relationships. In: Manusov, Valerie/Patterson, Miles L. (Hrsg.): The Sage handbook of nonverbal communication. Los Angeles: Sage Publications, S. 280–281. Chambers, Glenn (o.D.): The Transatlantic Slave Trade and Origins of the African Diaspora in Texas. www.pvamu.edu/tiphc/research-projects/the-diaspora-coming-to-texas/the-transatlantic-slavetrade-and-origins-of-the-african-diaspora-in-texas/ (Abfrage: 27.11.2020). Chimezie, Amuzie (1976) The Dozens: An African-Heritage Theory. Journal of Black Studies. 6, H. 4, S. 401–420. Dollard, John (1939): The dozens: Dialect of Insult. In: American Imago 1, H.1, S. 4–20. Green, Laura (o.D.): Negative Racial Stereotypes and Their Effect on Attitudes Toward African Americans. www.ferris.edu/htmls/news/jimcrow/links/essays/vcu.htm (Abfrage: 27.11.2020). Hinde, Robert A. (1978): Dominance and role — two concepts with dual meanings, Journal of Social and Biological Structures 1, S. 27–38. Keyes, Cheryl L. (2000): Empowering Self, Making Choices, Creating Spaces: Black Female Identity via Rap Music Performance. In: American Folklore Society 113, H. 449, S. 266–273. Lindsey, Linda L. (2011): Gender roles: a sociological perspective. 5. Ausgabe. Upper Saddle River: Pearson Prentice Hall. Lüdtke, Solveig (2007): Männlichkeit im HipHop-Diskurs. In: Degele, Nina et al. (Hrsg.), Freiburger Geschlechter Studien. 21. Ausgabe. Opladen: Barbara Budrich, S. 175–189. Neal, Mark Anthony (2015): New black man tenth anniversary edition. 2. Ausgabe. New York: Routledge. Novotny, Lawrence (2016): Introduction. In: Novotny, Lawrence/Butters, Gerald R. (Hrsg.): Beyond Blaxploitation. Detroit: Wayne State University Press.
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Quent, Matthias (2020): Warum steht der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz? bpb – Bundeszentrale für politische Bildung. www.bpb.de/themen/politisches-system/abdelkratie/312945/warum-stehtder-begriff-rasse-im-grundgesetz/ (Abfrage: 24.1.23). Reese, Venus Opal (2008): Transatlantic Minstrelsy: Performing Survival Strategies in Slavery and HipHop. In: Oboe, Annalisa/Scacchi, Anna (Hrsg.): Recharting the Black Atlantic. New York: Routledge. S. 190–206. Rose, Tricia (2008): The Hip Hop Wars: What We Talk About When We Talk About Hip Hop-and Why It Matters. 1. Auflage. New York: BasicCivitas. Schearer, Jamie/Harun, Hadija (2013): Über Schwarze Menschen in Deutschland berichten. isdonline.de/uber-schwarze-menschen-in-deutschland-berichten/ (Abfrage: 24.1.23). Süß, Heidi (2018): Sex(ismus) ohne Grund? Zum Zusammenhang von Rap und Geschlecht. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Rap 68, H 9/2018, S. 27–39. Süß, Heidi (2021): Eine Szene im Wandel. Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation. 1. Auflage. Frankfurt/Main – New York: Campus. Wald, Elijya (2012): The Dozens, a history of rap’s mama. Oxford: Oxford University Press, S. 2–10.
Songs 2Pac (1998): Changes. Dr. Dre (1992): Bitches Ain't Shit. Jay-Z (1997): The City Is Mine. LL Cool J (1989): Big Ole Butt. Snoop Dogg (1993): Gin and Juice.
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„Entweder werde ich Gangsta-Rapper oder Müllmann“1 Der Blick auf Männlichkeit(-en) im Deutsch-Rap Marie Jäger und Anna Groß
Intro Nach tausenden sexistischen Rap-Texten und spätestens seit #DeutschRapMeToo2 ist es offensichtlich: HipHop hat ein Sexismus-Problem, die Szene scheint viel sexistischer als der gesellschaftliche Durchschnitt. Feuilletons sprechen von ‚archaischen‘ Männlichkeitsbildern, die sich längst überlebt haben. Aber ist das so? Der vorhergehende Beitrag von Ash M.O. zeigt auf, welche Facetten von Männlichkeit(-en) im US-amerikanischen HipHop vor der Jahrtausendwende repräsentiert, aber auch in welchem Kontext sie rezipiert und kritisiert werden. Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch für den deutschsprachigen Raum machen. Während es im US-amerikanischen Raum um die afroamerikanische Geschichte der Sklaverei ging, halten sich – unter Einbeziehung der Geschichte von Flucht und Migration in Deutschland – hartnäckig rassistische Stereotype über PoCs und BIPoCs. Und wie auch für die USA geht es hier um Wirtschaftlichkeit und Rentabilität rassistischer Bilder. Wenngleich die Situation und Geschichte von Afroamerikaner*innen nicht dieselbe wie die von den Kindern und Enkel*innen von Gastarbeiter*innen und Geflüchteten in Deutschland ist, so gibt es jedoch eine Reihe von Parallelen in Bezug auf Rassismus und Klassismus, auf die im Folgenden eingegangen werden wird.
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Zitat eines Jugendlichen aus einem Rap-Workshop, der am präzisesten formulierte, was viele männliche Jugendliche auf dem Weg zu niedrigen Bildungsabschlüssen (Hauptschulabschluss oder MSA), ob BIPoC oder nicht, bezüglich ihrer Zukunftsperspektiven befürchten. Vorwürfe von sexualisierter Gewalt gegen einen Rapper brachten 2021 eine Welle der Solidarität für die Betroffene ins Rollen. Die Initiative mit der Social Media Kampagne #DeutschRapMeToo sorgte für viele Diskussionen in der Rap-Szene über Sexismus und sexualisierte Gewalt (vgl. Högele/Wilhelm 2021; Herzog 2021).
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Männlichkeit und Rap – Sexism sells Wird Sexismus im Rap medial thematisiert, ist in der Regel Battle-Rap und vor allem – da die Battle-Formate von einem größeren Publikum selten rezipiert werden – Gangsta-Rap gemeint, also dezidiert nicht Rapper wie Amewu, Megaloh, Samy Deluxe oder Trettmann (der aber durchaus mit sexistischen Gangsta-Rappern zusammenarbeitet). Auch nicht gemeint sind die Rap-Größen der 1990er Jahre, obwohl Torch Lines wie „langen Mädels an den Arsch und leeren Glas nach Glas“ rappt, Max Herre seine A.N.N.A. nicht mehr sein lässt als ein dauerlächelndes Fan-Girl und Curse in seinem Feature bei Cora E „Zeig’s mir“ exotisierenden Sexismus formuliert3 und in „Hassliebe“ die ganze Stadt zum Informanten über seine (Ex-)Freundin macht. Es ist auch nicht die Rede von Pop-Rap-Songs wie Cro’s „Easy“ über seine schwangere (Ex-)Freundin, die er erschießen will. Adressiert wird stattdessen eine hypermaskuline Performance, die sich vor allem in RapTexten und Videos artikuliert, in denen es um ‚Alphas‘ und ‚Bosse‘ geht und Frauen neben Ketten, Autos, Geld und Klamotten als Besitztümer und Objekte besprochen werden. Auf die Spitze treiben diesen Bezug Videos und Songs wie „Killa“ von Farid Bang. Häufig wird auf die sexistischen Texte sowie die Männlichkeitsinszenierungen Bezug genommen, seltener auf Interviewaussagen oder Verhalten von GangstaRappern. Kollegahs Buch „Das ist Alpha“ sowie Interviewaussagen und nicht zuletzt seine Homepage zeigen, dass er tatsächlich der Meinung ist, dass Frauen sich einen starken Beschützer wünschen, der sie durchs Leben führt (vgl. Lukic 2019). GZUZ wurde 2022 zu acht Monaten Haft verurteilt, weil er einer jungen Frau ins Gesicht geschlagen hatte (vgl. Sprengel 2022), sein Band-Kollege Bonez MC machte sich 2019 auf Instagram über Opfer häuslicher Gewalt lustig (vgl. Musik Express 2019). Diese Liste ließe sich fortsetzen. Labels und Manager*innen distanzieren sich häufig erst dann von sexistischen Rappern, wenn diese Skandale erzeugen und damit öffentlichen Druck provozieren: So gab zum Beispiel Universal Music 2021 bekannt, den Vertrag mit Samra erst einmal ruhen zu lassen, nachdem Nika Irani gegen Samra den Vorwurf erhoben hatte, sie vergewaltigt zu haben. Die Statements, die in diesem Zusammenhang veröffentlicht wurden, erwecken den Eindruck, eine klare Positionierung vermeiden zu wollen (vgl. Florkowski 2023). Die Images von Gangsta-Rappern funktionieren auch nach Marktlogiken des Musikbusiness, weshalb Manager*innen und Plattenfirmen ein Eigeninteresse daran haben, Rapper mit entsprechenden Images aufzubauen und diese Inszenierungen immer weiter zu überspitzen. Abweichungen davon finden kaum bis keinen
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„Die sinnlichen Lippen verführen mich, während sie nippen//Am Joint ziehen beim kiffen, deine Hüften schreien ‚Ich kann ficken!‛//Plus du hast Rhythmus wie eine Brasilianerin//Halb schwarz, halb Spanierin, du treibst mich langsam in den Wahnsinn” Cora E feat Curse (1998): Zeig´s mir.
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Raum, werden unterbunden, zum Teil im Marketing verschwiegen. Sexismus verkauft sich, im ersten Schritt über die Musikindustrie, dann aber auch medial.
Der Blick von „außen“ So lässt sich in Hinblick auf Deutsch-Rap, insbesondere deutschsprachigen Straßen- und Gangsta-Rap die Frage stellen, ob die eingängigen Stereotypen (Gewalt, Drogen, aggressive Männlichkeit, aber auch: sprachliche Beschränktheit) so festgefahren sind, dass sich kaum jemand die Mühe macht, die eigenen Vorannahmen durch die Lebensgeschichte verschiedener Rapper*innen oder Rap-Texte, die etwa Politik thematisieren, verunsichern zu lassen. Das durchgesetzte Bild vom Gangsta-Rapper scheint das eines dummen, sexistischen, brutalen Typen, oftmals mit Migrationshintergrund. Rapper dienen nicht selten als Projektionsfläche für den Sexismus der gesamten Gesellschaft – was der Szene durchaus auffällt, wie z. B. Rooz in einem YouTube-Video zu #DeutschrapMeToo formuliert (vgl. Rooz 2022). Dieses Bild ist dabei wesentlich geprägt von Rassismus und Klassismus. Unschwer lassen sich Bezüge insbesondere zum (antimuslimischen) Rassismus erkennen, wenn etwa Koljah von der Antilopengang im Song „Drei gegen Einen“ von der Antilopengang rappt: „Das Frauenbild von Rappern ist so fortschrittlich wie Kopftücher.“ Koljah folgt mit diesem Bild (vermutlich unbewusst) einem beliebten Narrativ, welches Sexismus, vielleicht nicht ausschließlich, aber doch schwerpunktmäßig bei ‚muslimischen Männern‘ verorten möchte, wie auch die Debatten um die Silvesternacht 2015 zeigten. Den so Adressierten wird – egal, ob sie in Deutschland geboren und sozialisiert sind, aus Afghanistan oder Syrien, aus Dörfern oder Aleppo kommen, egal, ob sie überhaupt (praktizierende) Muslime sind – unterstellt, Träger einer Kultur zu sein, die sie anfälliger für (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen macht. Bilder des antimuslimischen Rassismus vollziehen ein Othering4 an als muslimisch gelesenen Männern und erinnern dabei an andere Rassismusformen wie dem antislawischen Rassismus (vgl. Wippermann 2007): In
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Das Konzept des Otherings wurde von verschiedenen Theoretiker*innen entlang von Hegels Auseinandersetzung mit dem Selbstbewusstsein in der „Phänomänologie des Geistes“ entwickelt. Dort beschreibt er, dass das Selbstbewusstsein nur als von Anderen anerkanntes wirklich existieren kann (vgl. Hegel 1808/2010, S. 145 ff.). Simone de Beauvoir erklärte in Hinblick auf Frauen als das „andere Geschlecht“, diese würden von Männern, die sich absolut (in Anschluss an Hegels HerrKnecht-Bild: als das Wesentliche) setzen, zum unwesentlichen Geschlecht erklärt – zum „Anderen“, dem man feindlich gegenübertritt, sobald es ein selbstbewusstes Subjekt sein will (vgl. Beauvoir 1951/2005, S. 9 ff.). Edward Said beschrieb, wie Menschen als muslimisch gelesen und dadurch als „Anderes“ konstruiert werden. Diese Konstruktion des Anderen bedeutet eben kein (An)Erkennen auf Augenhöhe, sondern Negativzuschreibung an die andere Gruppe, die als minderwertig betrachtet wird (vgl. Said 1994).
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beiden werden die rassistisch betrachteten Männer als brutal, gewalttätig und sexuell übergriffig imaginiert (vgl. Shooman 2014). Sexistische Exzesse im Rahmen von Männertagen oder dem Oktoberfest erfahren weitaus weniger mediale Aufmerksamkeit. Allgemein lässt sich feststellen, dass sich das Thema „Rap und Sexismus“ im Feuilleton größerer Beliebtheit zu erfreuen scheint als Sexismus in anderen Subkulturen, die in der Regel allerdings nicht weniger männerdominiert und sexistisch sind (vgl. Rohmann 2006) – wenngleich in ihrer Ausdrucksweise vielleicht nicht ganz so deutlich und „vulgär“. Womit wir beim Thema Klassismus wären: Die Figur des „Lumpenproletariats“, mit dem beim besten Willen kein Staat mehr zu machen sei – Marx zufolge auch keine Revolution5 – hat seit Hegel6 eine lange Tradition in Deutschland. Ähnlich wie „der Migrant“ wird „der Arbeiter“ vor allem als potenzielle Dauerbedrohung des bürgerlichen Normalzustandes ins Auge gefasst. Das taugt zur Abschreckung ebenso gut wie zur lustbesetzten Exotisierung (vgl. Aydemir 2014), hat für das (Bildungs-)Bürgertum aber vor allem die Funktion festzuhalten, was es nicht ist, nämlich gewalttätig, kriminell, vulgär und mit einer fragwürdigen Sexualmoral ausgestattet. In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse einer Studie von Markus Sator erwähnenswert, in der die unterschiedliche Rezeption von GangstaRap bei Jugendlichen an unterschiedlichen Schultypen gezeigt wurde.7 Hannes Loh und Murat Güngör bezeichnen Gangsta-Rap in Anschluss daran passenderweise als „Klassensprecher des Lumpenproletariats“ und stellen fest, dass das subversive Potenzial von Gangsta-Rap mindestens darin bestünde, die Gesellschaft zu irritieren (vgl. Güngör et al. 2021).
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Marx portraitierte das „Lumpenproletariat“ an verschiedenen Stellen als reaktionär, unter anderem im Kommunistischen Manifest (vgl. Marx/Engels 1848 2005, S.14) und im ersten Band von „Das Kapital” (vgl. Marx/Engels 1867 2013, S. 673) Daran anschließend formte sich das Selbstbild des Proletariats in Abgrenzung von den „Lumpen” (vgl. Schwartz 1994). Hegel erläutert in seiner Rechtsphilosophie, dass der „Pöbel“ ein notwendiges Ergebnis der Industriegesellschaft sei: Menschen, die so marginalisiert sind, dass sie jegliches Gefühl „(…) des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen (…)“ verlieren (Hegel 1986, S. 389). „Bezüglich der Eigenschaften ‚brutal‘ und ‚frauenfeindlich‘ ist die Zustimmungsrate der Schüler weder von der Schulart abhängig noch davon, ob die Schüler Rap-Anhänger sind oder gar keine Rap-Songs hören. Signifikant abhängig von der Schulart sind vor allem die Eigenschaften ‚ernsthaft‘, ‚dumm‘, ‚ordinär‘ und ‚interessant‘. Für eine ‚ernsthafte‘ Angelegenheit halten insbesondere die Werkrealschüler den Gangsta-Rap, während ihn die Gymnasiasten in großer Anzahl für ‚dumm‘ und ‚ordinär‘ halten. ‚Interessant‘ erscheint er für viele Real- und Werkrealschüler, dagegen nur für wenige Gymnasiasten” (Sator 2017, S. 68).
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Gangsta-Rap als Bedrohungsszenario Die Debatte um Rap – insbesondere natürlich Gangsta-Rap – ist regelmäßig ein Gefahrendiskurs: In einem gewissen Umfang geraten jugendliche Subkulturen oder Szenen regelmäßig in den Verdacht, gefährlich zu sein, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Begriffe „Jugend“ und „Jugendkultur“ seit ihrer Prägung gegen Ende des 19. Jahrhunderts eng mit der Angst vor Jugenddelinquenz verknüpft sind. Anders gesagt: Jugendliche wurden und werden als Jugendliche vor allem als Gefahr in den Blick genommen (vgl. Savage 2021). Innerhalb dieses Zugangs scheint Gangsta-Rap allerdings als besonders gefährlich zu gelten: Die Wortkombination Gangsta-Rap/Gefahr ergibt bei Google doppelt so viele Treffer8 wie die Wortkombination Gaming9/Gefahr.10 Sexismus, Rassismus, Antisemitismus in der Gaming-Szene scheinen bisher viel weniger regelmäßige mediale Aufmerksamkeit zu erfahren und das, obwohl nicht wenige der Rechtsterrorist*innen der letzten Jahre (Anders Breivik, Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt, David Sobolny und Stephan Balliet) passionierte Gamer*innen und in der Gaming-Szene vernetzt waren (Sieber 2020; Speit 2020). Gangsta-Rap wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Bedrohungen zugeschrieben: Er würde zur „Verrohung der Sprache“ beitragen sowie sexistische und homofeindliche Ansichten fördern, hörten wir auf vielen Fortbildungen mit Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen. Zuletzt wurde Gangsta-Rap sogar für die Angriffe auf Polizeibeamt*innen und Rettungsdienste in der Silvesternacht 2022 verantwortlich gemacht: Nicht Polizeigewalt und Racial Profiling seien am schlechten Image der Sicherheitskräfte schuld, sondern „Clan-Kriminalität“, Gangsta-Rap und die Rassismus-Debatte, die die Polizei in Verruf bringe, erklärte die Polizeigewerkschaft Hamburg (vgl. Gewerkschaft der Polizei 2023). Das liest sich für viele wie eine Umkehrung der realen Gewaltverhältnisse (vgl. Aydemir 2023; Ebenger 2023).
Aufsteigermännlichkeit Im HipHop gibt es für die durch Rassismus und/oder Klassismus marginalisierte Männlichkeit die Aussicht, zu Ruhm und Reichtum zu kommen, trotz oder vielmehr durch ihre Erfahrungen. Das ist die in deutschsprachigen Rap-Texten vielfach wiederholte Erfolgsgeschichte: „Von ganz unten in die Charts“. Martin Seeliger be-
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Unter den Treffern finden sich Schlagworte wie Antisemitismus, Sexismus, Brutalität, Homophobie, Drogen etc. 9 Gaming: Bezeichnet entweder Computer-Spiele bzw. Mobile Games oder die Szene derjenigen, die Computerspiele spielen. 10 Hier finden sich vor allem die Schlagworte: Sucht, Kostenfallen, Gewaltverherrlichung etc.
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schreibt die in der Szene beliebte Männlichkeitsidee als „migrantische Aufsteigermännlichkeit“ und verweist dabei, wie auch Heidi Süß, auf das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Connell (vgl. u. a. Seeliger 2013; Süß 2018). GangstaRap hat nicht das Anliegen, Männlichkeit kritisch zu hinterfragen. Der in der BRD hegemonialen Männlichkeit (weiß, akademisch, westdeutsch) wird die eigentlich marginalisierte Männlichkeit als hegemoniale Männlichkeit im HipHop entgegengesetzt und positiv neu besetzt, um letztendlich gesamtgesellschaftlich an Macht und Bedeutung zu gewinnen. Insofern lässt sich, so Süß und Seeliger, Gangsta-Rap auch als Selbstermächtigungsstrategie verstehen. Allerdings stellt sich die Frage, was dabei tatsächlich gewonnen wird, abgesehen von einer verbesserten ökonomischen Position: Das Feuilleton beschreibt Gangsta-Rap vornehmlich als Bedrohung für die Gesellschaft, exotisiert die Rapper*innen oder beteiligt sich daran, ihnen Verbürgerlichung zu verwehren (vgl. Seeliger 2021). Paul Würdig aka Sido beschrieb im Interview mit Aria Nejati (Nejati 2022) unlängst die traurige Kehrseite dieser profitablen Männlichkeitskonstruktion. Er äußerte, dass es Männern ohnehin nicht leichtfalle, Probleme zuzugeben, dass er sich in seiner Kunstfigur Sido irgendwann aber tatsächlich nur noch eingesperrt fühlte. Er habe dieser Kunstfigur eines ständig starken, selbstbewussten Typen immer entsprechen müssen, teilweise sogar im Familien- und Freund*innenkreis, bis er am Druck und dem Gefühl der Einsamkeit und des Unverstandenseins ‚zerbrach‘. Den Gangsta-Rapper als Ausdruck einer bestimmten, ‚authentischen‘ Männlichkeitsperformance zu lesen ist also schlichtweg falsch, was gleichermaßen für den US-amerikanischen (vgl. Rose 2008) und den deutschen Kontext (vgl. Güngör et al. 2021) gilt.
Junge Männer und Gangsta-Rap Darüber hinaus lassen sich die Fans dieses Images offensichtlich nicht nur unter von Rassismus und/oder Klassismus betroffenen Jugendlichen finden. Interessant ist Gangsta-Rap auch für nicht rassifizierte Jugendliche aus bildungsbürgerlichen Familien, unserer Erfahrung nach aus einer ganzen Reihe von Gründen. Zum einen bieten die Images der Rapper*innen einen willkommenen Anlass, die eigenen Eltern zu schockieren und zu provozieren. Rap-Songs können aber auch ein Katalysator für Wut sein (vgl. Groß/Jäger 2021). Des Weiteren würden wir Murat Güngör darin zustimmen, dass die Attraktivität von Gangsta-Rap für cis männliche Jugendliche aus dem Bildungsbürgertum auch in der symbolischen Herabsetzung von Frauen liegt, während diese insbesondere in diesem Milieu konstant an Macht und Selbstbewusstsein gewinnen (vgl. Güngör et al. 2021). Die Frage ist, wie weit Jugendliche tatsächlich von der Haltung ihrer bildungsbürgerlichen Eltern entfernt sind, wenn sie Gangsta-Rap als authentischen Ausdruck einer von Othering betroffenen Männlichkeit in den Blick nehmen. Was sich unterscheidet, ist die Bewertung dieses Bildes. Ähnlich wie im US-Kontext muss das Phänomen also von zwei Seiten aus be-
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trachtet werden: Zum einen verengt der rassistische Blick die Wahrnehmung von Gangsta-Rappern auf das Stereotyp ‚dummer Brutalo‘. Zum anderen stellt dieses Bild ein Angebot an junge Männer dar: Ich kann es zu Geld bringen und Anerkennung erlangen, wenn ich diesem Bild entspreche. Die Attraktivität dieses Weges wird dadurch erhöht, dass es bisher wenige bekannte und anerkannte Erfolgsgeschichten anderer Art für von Rassismus betroffene junge Männer in Deutschland gibt. Die angebotenen Role Models in den Medien erschöpfen sich noch immer weitestgehend in den Figuren Terrorist, (Klein-)Krimineller, Gangsta-Rapper, patriarchaler Vater oder ‚Opfer von Rassismus‘. Nicht selten erleben von Rassismus betroffene Jungs zudem ein Othering durch Bezugspersonen, darunter auch pädagogische Fachkräfte, in ihrem Umfeld, wie es der Twitter-User Can Gülcü (@cangulcu) aus Wien 2019 in einem Thread über „Migraboys“ deutlich zum Ausdruck brachte.11. Die rassistischen Äußerungen fokussieren sich dabei nicht selten Körper und Sexualität: Im Thread dokumentiert werden Kommentare über Körperbehaarung, Bartwuchs, Körpergeruch, Sportlichkeit, Muskelaufbau, Sexualtrieb und Beschneidung. Damit werden junge Männer nicht nur als ‚das Andere‘ definiert, ihnen wird auch verdeutlicht, dass sie vor allem über ihre Körperlichkeit und Sexualität wahrgenommen werden. Zum einen kann eine Fokussierung auf den eigenen Körper und der Arbeit an diesem, wie Gülcü im Thread schreibt, also als Versuch verstanden werden, der Exotisierung auszuweichen. Zum anderen lässt sich hier eine Parallele zum Gangsta-Rapper-Image ziehen, in welchem, wie Murat Güngör beschreibt, der aufgepumpte Körper Ersatz für eine tatsächliche gesellschaftliche Machtposition ist.
Fehlende Anerkennung von Diversität der Themen Zudem hat auch der Großteil der Gesellschaft in Deutschland wenig Lust, die Vielfältigkeit von BIPoC-Rapper*innen anzuerkennen und mehr in ihnen wiederzufinden als Hypermaskulinität bzw. Hypersexualität, Drogenaffinität und Gewaltbereitschaft. Nicht nur deshalb gehen kritische Texte mancher Rapper*innen wie
11 „In welche Körper waren und sind die Idealbilder von „normalen“ Männern verpackt? Welche in jene der Delinquenten und Underdogs? Hattet ihr das Bedürfnis, auch mal als „normal“ anerkannt zu werden? Und habt mit Delinquenz reagiert, als das trotz allen Bemühungen nicht gelang?”//“Hattet ihr dementsprechend jahrelang ein gestörtes Körper- und Selbstbild? Habt eure Unsicherheit und angebliche Minderwertigkeit mit wechselweise Anpassung, Unsichtbarkeit, Mimikry oder Überbetonung der Männlichkeit und gespielter Arroganz „behandelt“?”//“Der bis ins Lächerliche gepflegte braune Männerkörper ist mitnichten eine Kulturerscheinung. Er ist auch eine „Technologie des Selbst“, um Rassismus und Exotisierung auszuweichen.”//“Und ja, sie ist nicht selten ausgrenzend, sexistisch und ableistisch, sie ist gerade antiemanzipatorisch, aber welche männliche „Technologien“ im Patriarchat sind es das nicht?” (sic!)//“Viele haben kaum eine Chance, ein anderes Männerbild zu entwickeln, geschweige denn darin anerkannt zu werden.“ (Can Gülcü 2019).
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jene von Haftbefehl oder Capital Bra unter in der breiten Wahrnehmung, werden Rapper wie der Berliner Megaloh in Talkshows versucht lächerlich zu machen und nutzen Management- und Labelstrukturen das Bild des gewaltbereiten, „stumpfen Migranten“ mit Freude, um Geld zu verdienen. Jenseits von, aber auch im Gangsta-Rap lassen sich jedoch eine Reihe von Songs finden, in denen mehr verhandelt wird als Vorstellungen von Hypermaskulinität, zum Beispiel „Mama war der Mann im Haus“ (2022) und „Schwesterherz“ (2018) von Xatar, „Gutes Herz“ (2018) von Capital Bra, „Mama Ukraina, Papa Russia“ (2022) von Olexesh, „Olabilir“ (2019) von Mero und „Quotentürke“ (2013) von Eko Fresh. Und HipHop wäre nicht HipHop, wenn sich nicht auch gleichzeitig eine große Diversität von Männerbildern entwickelt hätte. Offen queere und gleichzeitig kommerziell sehr erfolgreiche US-Rapper* wie Mykki Blanco oder Charts-Eroberer Lil Nas X fehlen bisher leider im deutschsprachigen Raum. Sir Mantis, Ventura Tha Gay, Ash M.O., und der österreichische trans Rapper Mavi Phoenix legen aber schon viel vor, sodass es hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch hier andere Männlichkeitsbilder ähnliche Verkaufszahlen erlangen wie Kollegah, Samra, Nimo oder Apache 207.
Ausblick Ziel dieses Textes war es, Männlichkeitsbilder im Rap durch eine rassismus- und klassismuskritische Brille zu betrachten und nicht – wie eingangs bereits erklärt – Sexismen im HipHop zu leugnen. Unserer Beobachtung nach sind die Inhalte von Rap-Texten und #DeutschrapMeToo allerdings deutlich bekannter als der Versuch der kritischen Einordnung von Gangsta-Rap in gesellschaftliche Zusammenhänge. In der Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften – ob an Schulen, in Workshops oder Fortbildungen – sind wir zudem häufig dem Phänomen begegnet, dass insbesondere jene Jugendliche besonders heftig für das Hören von Gangsta-Rap kritisiert werden, von denen wir wissen, dass sie die Texte vor allem aus anderen Gründen und nicht (nur) des Sexismus wegen hören. Von Rassismus und/oder Klassismus betroffene Jugendliche entdecken ihre eigene Lebensrealität in Texten wieder, FLINTA*12-Jugendliche nutzen Rap als Vehikel, um ein Gefühl zu unterstreichen, das ihnen häufig nicht zugestanden wird: Wut. Überhaupt ist HipHop ein Angebot, einmal nicht mit ‚kreativen Ideen‘ oder ‚produktiven Verarbeitungsstrategien‘ auf die Zumutungen eines rassistischen, kapitalistischen Alltags reagieren zu müssen.
12 FLINTA* steht hier für Frauen, Lesben, intersex, trans und agender Personen und meint alle Menschen, die nicht cis männlich sind.
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Wir plädieren also abschließend in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen zu Männlichkeitsvorstellungen im Rap dafür, 1. die eigene Position und Haltung kritisch zu hinterfragen, 2. den Jugendlichen mit größtmöglicher Offenheit zu begegnen und mit ehrlichem Interesse der Frage nachzugehen, welche Botschaften und Ideen sie sich aus Songs und Images abholen und 3. bei der Betrachtung von Gangsta-Rap auch Vermarktungslogiken und Verkaufsstrategien des Musikbusiness in den Blick zu nehmen und diese Mechanismen mit Jugendlichen – wenn möglich – zu besprechen.
Literatur Ariya Nejati (2022): Sido über Kokain, Scheidung, Therapie, Entzugsklinik und Vaterkomplexe. Interview mit Aria Nejati. www.youtube.com/watch?v=25S-7hH4bE4 (Abfrage: 3.1.2023). Aydemir, Fatma (2014): Verkaufst du Drogen? taz.de/HipHop-in-Deutschland/!5034826/ (Abfrage: 24.1.2023). Aydemir, Fatma (2023): Wir sind hier nicht bei Paw Patrol. taz.de/Die-Polizei-und-ihr-Image/ !5905401/ (Abfrage: 24.1.2023). Beauvoir, Simone de (1951/2005): Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. 5. Auflage. Hamburg: Rowohlt. Ebenger, Michael (2023): Polizei macht „Gangsta Rap“ für Silvester-Krawalle verantwortlich. hiphop.de/magazin/news/polizei-hamburg-macht-gangsta-rap-fuer-silvester-krawalle-verantwortlich-405494 (Abfrage: 24.1.2023). Florkowski, Claudia (2021): Rapper Samra: Markenexperte überzeugt, dass Universal Glaubwürdigkeit eingebüßt hat – Label will interne Prozesse anpassen. www.watson.de/unterhaltung/exklusiv/240858421-nach-skandal-um-samra-universal-will-ueberpruefung-vor-veroeffentlichungverschaerfen (Abfrage: 24.1.2023). Gewerkschaft der Polizei (2023): Positionspapier Silvester. www.gdp.de/gdp/gdphh.nsf/id/DE_ Positionspaier-Silvester?open&ccm=000 (Abfrage: 24.1.2023). Gülcü, Can (2019): Ohne Titel. twitter.com/CanGulcu/status/1097475366095126528?s=20&t=hOVIPMQQsnIcE7wbcqGGRw (Abfrage: 3.1.2023). Güngör et. al. (2021): Grenzüberschreitungen zwischen Sprache und Körper. Breakdance, GangstaRap und hegemoniale Männlichkeit. In: Süß, Heidi (Hrsg.): Rap und Geschlecht. Inszenierungen von Geschlecht in Deutschlands beliebtester Musikkultur, Weinheim – Basel: Beltz Juventa, S. 199–221. Hegel, Georg W.F. (1807/2010): Phänomenologie des Geistes. 1. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Hegel, G.W.F. (1821/2004): Grundlinien der Philosophie des Rechts. 1. Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Herzog, Michael (2021): 11 Fragen an die Gründerinnen von DeutschRapMeToo. hiphop.de/magazin/interview/11-fragen-deutschrapmetoo (Abfrage 21.1.23). Högele, Tessa/Wilhelm, Till (2021): „Niemand vergisst so schnell wie die Rap-Szene“. #DeutschrapMeToo. zeit.de/zett/2021-06/deutschrap-metoo-vergewaltigungsvorwuerfe-rapper-nava-zarabian (Abfrage 21.1.23). Lukic, Toni (2019): Kollegahs Alpha-Programm: Nur mit Penis zum Erfolg. www.watson.de/unterhaltung/meinung/283345388-so-frauenfeindlich-ist-kollegahs-alpha-programm (Abfrage: 24.1.2023). Marx, Karl (1867/2013): Das Kapital, Band 1, MEW 23, Berlin: Karl Dietz. Marx, Karl/Engels, Friedrich (1848/2005): Manifest der kommunistischen Partei. Frankfurt/Main: S. Fischer.
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Musik Express (2019): Bonez MC verspottet Opfer häuslicher Gewalt. www.musikexpress.de/bonez-mcverspottet-opfer-haeuslicher-gewalt-nach-vorwurf-gegen-gzuz-1276591/ (Abfrage: 24.1.2023). Rohmann, Gabriela (Hrsg.) (2006): Krasse Töchter. Mädchen in Jugendkulturen. 1. Auflage. Berlin: Archiv der Jugendkulturen. Rose, Tricia (2008): The hip hop wars. What we talk about when we talk about hip hop--and why it matters. 1. Auflage. New York: BasicCivitas. Rooz (2022): Nika Irani äußert sich erneut! Rooz reagiert. youtube.com/watch?v=f1gpvnkXN9w&t=637s (Abfrage: 5.12.2022). Savage, Jon (2021): Teenage. The Creation of Youth, 1875 – 1945. London: Bloomsbury House. Said, Edward (1994): Orientalism. New York: Random House. Sator, Markus (2017): Gangsta-Rap – eine Studie zur Rezeption von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. phka.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/81/file/Gangsta-Rap+-+eine+ Studie+zur+Rezeption+von+Sch%c3%bclerinnen+und+Sch%c3%bclern+der+Sekundarstufe+I. pdf (Abfrage: 24.1.2023). Schwartz, Michael (1994): „Proletarier“ und „Lumpen“. Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens. in: Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte 42, H. 4, S. 537–570. Seeliger, Martin (2013): Deutscher GangstaRap. Zwischen Affirmation und Empowerment. 1. Auflage. Berlin: Posth. Seeliger, Martin (2021): Soziologie des Gangstarap: Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte. 1. Auflage. Weinheim – Basel: Beltz Juventa. Shooman, Yasemin (2014): „... weil ihre Kultur so ist“. Narrative des antimuslimischen Rassismus. 1. Auflage. Bielefeld: transcript. Sieber, Roland (2020): Terror als Spiel – Virtuell vernetzter Rechtsterrorismus rund um den Globus in: Speit, Andreas/Baeck, Jean-Philipp (Hrsg.): Rechte Egoshooter – Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Berlin: Ch. Links. S. 44–64. Speit, Andreas (2020): Der Jude und die Weiblichkeit – zwei alte Feindbilder – Hintergründe zur Gedankenwelt von Stephan Balliet in: Speit, Andres/Baeck, Jean-Philipp (Hrsg.): Rechte Egoshooter – Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Berlin: Ch. Links, S 36–52. Sprengel, Bernhard (2022): Rapper Gzuz zu acht Monaten Haft verurteilt. www.welt.de/regionales/hamburg/article237315017/Koerperverletzung-Gericht-verurteilt-Rapper-Gzuz-zu-acht-Monate-Haft.html (Abfrage: 24.1.2023). Süß, Heidi (2021): Eine Szene im Wandel. Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation. Frankfurt/Main - New York: Campus. Wipperman, Wolf (2007): Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland. Darmstadt: Primus.
Songs Azet (2016): Kopf Schrott. Capital Bra (2018): Gutes Herz. Cora E feat. Curse (1998): Zeig´s mir. Crow (2012): Easy. Curse (2000): Hassliebe. Danger Dan (2018): Drei gegen einen. Eko Fresh (2013): Quotentürke. Farid Bang (2014): Killa. Freundeskreis (1997): A.N.N.A. Mero (2019): Olabilir. Olexesh (2022): Mama Ukraina, Papa Russia. Torch (2000): Wir waren mal Stars. Xatar (2022): Mama war der Mann im Haus. Xatar (2018): Schwesterherz.
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(Anti-)Rassismus im HipHop Interview mit Sinaya Sanchis, Daniel Vishnya aka Mr. Cherry, Ewgeniy Kasakow und Drob Dynamic Das Interview führte Marie Jäger.
Der folgende Text ist die Niederschrift eines Interviews zum Thema „Rassismus und HipHop“. Der Fokus liegt auf der Darstellung der politischen Bildungsarbeit zu (Anti-)Rassismus im Kontext HipHop und Jugendarbeit. Das Thema „Rassismus und HipHop“ kann hier dementsprechend nicht in seiner gesamten Komplexität beleuchtet werden, doch soll es einen Einstieg bieten, um sich dem Thema zu öffnen. Wer sich weiter mit dem Thema beschäftigen möchte, findet am Ende des Textes Literaturhinweise. Wie begann eure eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Rap und Rassismus? Sinaya Sanchis: Bei mir begann es mit einer antirassistischen Haltung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen. Rap war für mich schon immer eine Art Ventil, um die eigenen Erfahrungen zu verarbeiten. Später habe ich das auch in die eigene pädagogische Arbeit und in Workshops einfließen lassen. Ich glaube, es gibt immer eine persönliche Vorgeschichte zu antirassistischen Rap-Texten. Daniel Vishnya: Rap und HipHop mache ich schon seit ich 14 bin. Das Thema „Rassismus“ wurde aber erst durch die Künstler*innen gegenwärtig, mit denen ich zusammengearbeitet habe, zum Beispiel Sookee, Refpolk oder Captain Gips. Vorher kannte ich nur HipHop-Artists, die das Thema „Rassismus“ eher selten aufgegriffen haben. Mir war schon immer bewusst, dass HipHop ursprünglich eine Art Protestkultur ist, die auch Themen wie Rassismus bespricht, aber präsent war das in meiner Arbeit eigentlich nicht. Wenn man mit Artists aus der linken oder queerfeministischen Szene arbeitet, kommt man natürlich häufiger in Berührung mit politischen Themen. Ich begreife die HipHop-Kultur immer als antirassistisch, weil sie Menschen über Kulturen und Ländergrenzen hinweg verbindet. Das ist schon ein Statement. Drob Dynamic: Ich bin durch die HipHopHistory auf das Thema gestoßen. Rassismus und Klassismus waren ein Anstoß für die Entwicklung von HipHop, seit es in der (South) Bronx losging. Ab den 1960er Jahren ging es in der Bronx bergab: Weiße Familien zogen in die Vororte und zurück blieben afroamerikanische und
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Latino-Familien, in einem Viertel, das mehr und mehr dem Verfall preisgegeben wurde (vgl. Chang 2005, S. 7 ff.). Diese Entwicklung hatte auf jeden Fall viel mit Rassismus und Klassismus zu tun. Meine Auseinandersetzung mit Rap war also auch eine Auseinandersetzung mit Rassismus. Ewgeniy Kasakow: Ich falle vermutlich aus dem Rahmen: Ich höre selten HipHop und bin eher in der Punk- und Gothic-Szenen sozialisiert. Meine theoretische Beschäftigung mit Rassismus findet vor allem im Kontext meiner Arbeit für das Auswandererhaus Bremerhaven, dem ersten Museum für Migrationsgeschichte in Deutschland, statt. Mit HipHop habe ich mich im Rahmen der Auseinandersetzung mit der russischen Kultur- und Jugendpolitik beschäftigt. Was ist Rassismus aus eurer Perspektive? Sinaya Sanchis: Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen, die tagtäglich Rassismus erleben – in den Schulen, auf der Straße und an vielen anderen Orten. Teilweise auf eine sehr harte und offensive Art, vor allem aber auch subtil, etwa, wenn eine Lehrerin sagt: „90 Prozent der Schüler*innen können eh kein Deutsch.“ Mit solchen Sprüchen wachsen die Mädchen auf, mit denen ich arbeite. Daneben gibt es aber auch Rassismus in Strukturen. Wenn zum Beispiel keine Erzieher*innen mit Kopftuch eingestellt werden und ihnen darüber hinaus aufgrund des Kopftuchs unterstellt wird, mit Akteur*innen des islamisch begründeten Extremismus in Kontakt zu stehen. Ich habe das in einer Runde erlebt, in der auch Politiker*innen saßen, außerdem der Jugendhilfeausschuss. Niemand hat etwas dagegen gesagt. Ich glaube, auch deshalb ist Rap ein Ventil: Wenn Jugendliche mit solchen Erfahrungen aufwachsen, kann Rap als Mittel dienen, die eigenen Ansichten zu formulieren. Wir haben mal Sticker mit Mädchen entworfen zum Thema „Was ist Rassismus für dich?“ Da wurde vieles auch sehr klar benannt, zum Beispiel: „Rassismus ist für mich, wenn ich aufgrund meines Kopftuchs keinen Ausbildungsplatz bekomme.“ Oder „Rassismus ist für mich, wenn jemand einen Satz mit: ‚Ich bin kein Rassist, aber…‘ anfängt.“ Drob Dynamic: Es gibt für mich einen Unterschied zwischen Vorurteilen und Rassismus. Wenn jemand Vorurteile hat, dann werden positiv oder negativ besetzte Unterstellungen gemacht. Das sind im Fall von Antiziganismus vor allem Dinge wie: „Ihr klaut, ihr betrügt Leute, euch kann man nicht trauen!“ aber auch positivrassistische Unterstellungen wie: „Ihr könnt alle super gut tanzen.“ Meine Familie kommt aus einer Roma-Gruppierung, die sich selbst gar nicht als „Roma“ bezeichnet. Sie kennen die Vorurteile gegenüber Roma, wollen sich davon abgrenzen und sagen: „Das trifft alles auf uns nicht zu, deshalb sind wir keine Roma.“ Diese Gruppe spricht auch kein Romanes, sondern Rumänisch oder Serbisch. Das wird als ein weiteres Argument genommen, dass wir keine Roma sind. Aus meiner Sicht
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geht diese Argumentation nicht auf, weil es bei Rassismus eben nicht darum geht, zu welcher Gruppe man tatsächlich gehört und wie man sich verhält oder nicht verhält. Rassismus würde ich auch nochmal unterscheiden: Ich kann von Personen diskriminiert, angefeindet oder sogar angegriffen werden – verbal oder körperlich – aufgrund meiner Herkunft oder Hautfarbe. Es gibt aber auch den strukturellen Rassismus, also die systematische Benachteiligung von bestimmten Menschen in dieser Gesellschaft. Zum Beispiel habe ich aufgrund meines Nachnamens, der Hautfarbe und meiner Kultur schlechtere Chancen in Bezug auf Karriere oder bei der Wohnungssuche. Daniel Vishnya: Ich komme aus Russland. Als ich elf Jahre war, zog meine Familie nach Deutschland. Ich habe dann häufig Rassismus erlebt, wenn zum Beispiel jemand in der Tram zu mir und meinen Freund*innen sagte: „Wir sind hier in Deutschland, hier wird Deutsch gesprochen!“ Ich habe auch eine sehr komische Art von Rassismus in der Schule durch Mitschüler*innen erfahren. Vielleicht wisst ihr das ja schon: Die überwiegende der Mehrheit der Menschen, die in den neunziger Jahren aus den postsowjetischen Staaten nach Deutschland übergesiedelt sind, hatten entweder einen deutschen und/oder jüdischen Hintergrund.1 Da gab es von Anfang an ganz klare Lager und wenn man als ‚nicht deutsch‘ identifiziert wurde, wurde man gemobbt. Ich hatte beides als Background. Es war interessant, von den russischsprachigen Mitschüler*innen zu erfahren, dass ich Jude sei. Mir war das bis dahin gar nicht bewusst, ich wusste auch nicht, warum wir nach Deutschland gezogen sind. Die ersten Jahre in Deutschland habe ich in Bayern gelebt. Da hatte ich immer wieder Probleme mit der Polizei. Ich dachte, die ständigen Polizeikontrollen seien üblich in Deutschland. Erst später wurde mir klar, dass die Polizei mich und meine Freunde deshalb so oft kontrollierte, weil sie uns als „Ausländer“ identifizierten und uns mit Problemen assoziierten. Das ist für mich Rassismus: Wenn man aufgrund von Vorurteilen und Stereotypisierungen anders behandelt oder ausgegrenzt wird. Oder auch, wenn man auf ein Merkmal reduziert wird. Jugendliche in meinen Workshops haben oft Rassismuserfahrungen in Raptexten verarbeitet und auch viele Geschichten mit mir geteilt. Vielleicht auch, weil sie gemerkt haben, dass ich in einer ähnlichen Situation bin. Durch meine Arbeit mit Jugendli-
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Daniel bezieht sich hier auf (post)sowjetische Juden*Jüdinnen, die mittels des Kontingentflüchtlingsgesetz ab 1990 vergleichsweise einfach nach Deutschland emigrieren konnten sowie die sogenannten „Spätaussiedler*innen“. Spätaussiedler*innen „(..) sind nach § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) deutsche Volkszugehörige, die unter einem Kriegsfolgenschicksal gelitten haben und die im BVFG benannten Aussiedlungsgebiete (insbesondere die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, aber auch eine Reihe weiterer Staaten) nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten einen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben.“ (Worbs et al. 2013).
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chen habe ich auch gelernt, was Rassismus für unterschiedliche Gruppen bedeutet, also wie sich zum Beispiel antimuslimischer Rassismus2 ausgestaltet. Sinaya Sanchis: Ich finde interessant, was du gerade in Bezug auf deine eigenen Erfahrungen gesagt hast: Dass du mal als jüdisch und mal als russisch adressiert wurdest. Ich kenne diese Zerrissenheit auch: In Mexiko bin ich die Deutsche, in Deutschland bin ich die Mexikanerin. Diese Zerrissenheit kenne ich auch von Jugendlichen, deren Familien irgendwann aus der Türkei nach Deutschland gezogen sind. Man gehört nirgendwo richtig dazu, man ist nirgendwo zuhause. Diese Zerrissenheit ist schwer. Beim Thema „Rassismus“ wird oft übersehen, welche gravierenden Folgen Rassismuserfahrungen haben, auch langfristig. Das können psychische Probleme wie Depression sein, aber Rassismuserfahrungen machen Jugendliche auch empfänglicher für die Botschaften von Extremist*innen. Es ist wichtig über Rassismus zu reden, auch über die verschiedenen Ausprägungen, aber als Pädagog*innen sollten wir auch unbedingt die Folgen im Blick behalten. Da finde ich Rap-Therapie gut. Rap ist eine Methode der Jugendarbeit, aber es ist auch therapeutisch. Daniel Vishnya: Es ist auch eine Ausdrucksform, die für viele Menschen zugänglich ist. Rap taucht mittlerweile in vielen verschiedenen Musikstilen auf. Es ist eine übergreifende Kultur, die die Möglichkeit bietet, Menschen zusammenzubringen. Jugendliche finden in Rap-Workshops über die Musik und die Kultur schnell Zugang zueinander. Sinaya Sanchis: Auf der anderen Seite kann Rap genau deshalb aber auch von rechten Organisationen wie der Identitären Bewegung eingesetzt werden. Es ist eine Methode, die sich schnell adaptieren lässt. Ewgeniy Kasakow: Häufig wird der Begriff „Rassismus“ synonym für Diskriminierung oder Hierarchisierung verwendet. In der Forschung bezeichnet der Begriff aber bereits die Einteilung von Menschen in Gruppen, die dann unterschiedlich bewertet werden. Ich finde es auch für unsere Diskussion wichtig zu betonen, dass nicht nur die Ungleichbehandlung anhand verschiedener Kategorien rassistisch ist, sondern schon die Schaffung dieser Kategorien. Gemeinsam haben alle Formen von Rassismus die essentialistische Vorstellung, dass Menschen(-gruppen)
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Als antimuslimischer Rassismus wird Rassismus gegenüber Menschen muslimischen Glaubens, aber auch gegenüber Menschen, die als Muslim*innen gelesen/markiert werden, bezeichnet. „Dieser Logik zufolge wird die muslimische Identität – und das ist ein entscheidender Faktor – zu einem Merkmal, das man einem Menschen aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes ablesen kann, und zwar unabhängig davon, ob die Person mit dem islamischen Glauben identifiziert oder nicht.” (Shooman 2014, S. 65).
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soziale Eigenschaften haben, die unveränderbar sind. Anhand dieser Eigenschaften, so die rassistische Vorstellung, lassen sich Prognosen über Fähigkeiten und Verhalten erstellen. Alle Nationalstaaten nehmen in einer oder anderen Form Bezug auf eine angebliche gemeinsame Herkunft und angeblich daraus resultierenden Gemeinsamkeiten. Das Problem liegt nicht einfach bei komischen Vorurteilen, sondern darin, dass die Einteilung der Welt in Nationalstaaten Realität ist. Daher kann das Denken in solchen Kategorien nicht einfach als ein Unfall oder Fehlentwicklung abgetan werden. Es scheint angesichts der Debatten der letzten Jahre ein grundsätzlicher Dissens in Bezug auf die Frage „Was ist Rassismus?“ zu sein: Dass einige mit Rassismus Hierarchisierung meinen und andere Essentialisierung.3 Rassistische Essentialisierungen, also die Darstellung von Eigenschaften als determiniert und unveränderlich, beziehen sich heute seltener auf die Hautfarbe und häufiger auf Kultur und „kulturelle Prägung“. Dahinter steht die Vorstellung, dass Menschen aus ihrer kulturellen Prägung niemals herauskommen. Oft sind Vertreter*innen solcher Thesen überzeugt, sie seien nicht rassistisch, weil sie sich nicht auf Hautfarben oder „Rassen“ beziehen, sondern auf Kultur. Sinaya Sanchis hat die so genannte Identitäre Bewegung ins Gespräch gebracht. Auch diese argumentieren mit verschiedenen Kulturen, die nicht miteinander vereinbar seien. Daniel Vishnya: Ja, man merkt sehr deutlich, dass sich die rechten Bewegungen im Netz harmloser darstellen als sie sind. Das versuchen wir auch in der Arbeit mit Jugendlichen zu berücksichtigen und sie dagegen zu wappnen. Vor allem die Identitäre Bewegung hat nicht nur einen Weg gefunden, ihren Rassismus zu verklausulieren, sie nutzen für die Verbreitung auch popkulturelle Codes, Social Media und natürlich auch Rap. Das tun sie, um für Jugendliche interessanter zu werden. Und zum Teil gelingt ihnen das auch. Ich war wirklich geschockt, als es ein rechter Rapper in die Charts geschafft hatte. Andererseits sind Jugendliche oft sehr gut in der Lage, die eigentliche Message hinter der popkulturellen Maskerade von rechten Gruppen zu erkennen, und viele Jugendliche wissen auch über die einschlägigen rechten Akteur*innen Bescheid. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, die Jugendlichen auf die Strategien von rechten Gruppen hinzuweisen oder ihnen Begriffe wie „Ethnopluralismus“4 zu erklären. Viele Jugendlichen erlebe ich auch als sehr klar in
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Hierarchisierung beschreibt hier die (zum Teil auch juristisch) umgesetzte Besser- bzw. Schlechterstellung von Menschen(-gruppen) innerhalb einer Gesellschaft. Essentialisierung meint die Zuschreibung von Wesenseigenschaften an bestimmte Gruppen (etwa: Männer können gut Auto fahren und Frauen sind liebevoll), die als ‚natürlich‘ behauptet werden. „Ethnopluralismus“ ist ein Begriff der so genannten Neuen Rechten, der vom Rassismus der Vertreter*innen ablenken und harmloser wirken soll. Gemeint ist damit die Vorstellung, es gäbe ver-
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ihrer Positionierung gegen Diskriminierung. Gleichzeitig treffe ich in Workshops mit Jugendlichen auf ein Bedürfnis, Themen wie Diskriminierung und Rassismus viel regelmäßiger im Schulalltag zum Thema zu machen. Ich finde, das sollte im Lehrplan auftauchen und nicht der Initiative von Lehrer*innen überlassen werden. Ihr habt gesagt, dass Rap immer noch ein wichtiges Ausdrucksmittel für Jugendliche ist, die Rassismuserfahrungen machen. Daniel hat seine Verwunderung über rechte Rapper, die es in die Charts schaffen, ausgedrückt. Würdet ihr sagen, die HipHopSzene ist antirassistisch? Drob Dynamic: Ich habe den Eindruck, das Thema „Rassismus“ wird im DeutschRap schon öfter thematisiert, jedoch geht es in der aktuellen Szene eher um Statussymbole, Karriere, Straße, Sex, Romantik, Drogen etc. Das Ziel ist es, durch Spotify so viel Geld wie möglich zu machen, also sich zum Beispiel mit dem eigenen ‚Shishabar-Hit‘ in den relevanten Spotify- Playlists zu platzieren. Viele Songs über Rassismus habe ich nicht in der „Modus-Mio“-Playlist gesehen.5 Es gibt schon immer wieder Rapper*innen, die Rassismus thematisieren – zuletzt zum Beispiel Nura mit „Fair“ oder der Benefiz-Song nach Hanau „Bist du wach?“ Aber der Fokus liegt eindeutig auf Themen wie Karriere, Straße, Drogen, Sex und so weiter. Das überwiegt leider. Dabei ist es immer ein krasses Statement, wenn bekannte Rapper*innen über Rassismus rappen..6 Haftbefehl hat, glaube ich, das letzte Mal einen Song zu Rassismus gemacht als er noch nicht so bekannt war. Sinaya Sanchis: Ich würde schon sagen, dass Rap lange Zeit ein Ausdrucksmittel für Menschen war, die von Rassismus betroffen sind und es viele antirassistische Rap-Texte gab. In Deutschland waren das zum Beispiel Advanced Chemistry, Anarchist Academy und andere. Aber Rap ist natürlich auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn wir in den letzten Jahren deutlich mehr rechte und rechtsextreme Rapper verzeichnen konnten, dann spiegelt das ein Erstarken der Rechten in Deutschland wider. Die ersten rechten Rapper haben wirklich schlecht gerappt. Mittlerweile fällt auf, dass sich da viel getan hat: Der Rap, die Beats, auch die Videoproduktion haben an Qualität gewonnen. Das catcht Jugendliche natürlich. Ich kann da Daniel nur zustimmen: Es ist wichtig, Jugendliche zu befähigen, diese
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schiedene Ethnien mit einer eigenen, unveränderbaren Kultur, die sich bestimmten Gebieten zuordnen ließen. Ethnopluralist*innen vertreten häufig die These, dass alle „Ethnien” und Kulturen in Frieden leben könnten, solange sie sich nicht vermischen – also an ihrem „angestammten Platz” bleiben (vgl. bpb 2010). „Modus Mio” ist eine sehr häufig abonnierte Rap-Song-Playlist des Streaming-Anbieters Spotify, die aktuelle Rapmusik präsentiert. Zum Beispiel „Generation Kanak” feat. Manuellsen (2010).
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Vorgehensweise zu erkennen. Ob sich HipHop immer noch als antirassistische Szene begreift? Es gibt eine klar antirassistische Rap-Szene und es gibt immer noch viele Jugendliche und Erwachsene, die aufgrund von Rassismuserfahrungen zu Rap finden. Es gibt aber auch den Mainstream. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Menschen, die sich klar gegen rassistisches Denken positionieren, ob über Rap oder zum Beispiel YouTube- oder TikTok-Videos, sehr viel Gegenwind in den sozialen Medien erfahren. HipHop als antirassistische Subkultur gehört quasi zum Gründungsmythos der Szene. Würdet ihr sagen, die Szene löst das ein? Verstehen sich Rapper*innen als antirassistisch? Sinaya Sanchis: Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich von Rassismus betroffene Menschen gegen Rassismus im Rap positionieren ist allerdings höher. HipHop startete damit, dass BIPoCs mit Rassismus und Klassismus umgehen mussten, sich auch dagegen gewehrt haben. Aber die Idee, es sei eine bewusste Protestkultur oder im strengen Sinne antirassistische Szene gewesen, kommt eher von weißen Akademiker*innen. Die HipHop-Jugendlichen in den 70ern haben sich gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung gewehrt, beziehungsweise dem etwas entgegengesetzt. Aber der Titel dafür kam nicht von ihnen. Abgesehen davon bedeutet der Entstehungskontext auch nicht, dass bestimmte Werte automatisch weiter tradiert werden und für alle Zeiten gelten. Daniel Vishnya: Ich habe HipHop nie als Szene begriffen. Es gibt viele Menschen, die sich potenziell über ein Thema verbinden können. HipHop ist auf keinen Fall per se antirassistisch. Das wird ja jetzt gerade auch an Kanye West deutlich. Wir sprechen da über einen HipHop-Akteur, der weltweit bekannt ist, selber Rassismuserfahrungen gemacht hat und trotzdem antisemitische und rassistische Positionen einnimmt. Der Entstehungskontext von HipHop mag ein antirassistisches Anliegen gewesen sein, aber HipHop ist keine homogene Szene und Kultur. Die Welt zerfällt auch nicht in homogene Gruppen, die sich klar voneinander abgrenzen. Derzeit kursierende Verschwörungsmythen haben zudem einen großen Einfluss, der sich auch bei Rapper*innen bemerkbar macht. Bestimmt haben viele Menschen eine ganz klare Vorstellung von HipHop oder davon, wie Rapper*innen auftreten. Aber Beispiele wie Kanye West brechen dieses Bild. Ewgeniy Kasakow: Wenn wir HipHop als Subkultur, als Jugendkultur in den Blick nehmen, lässt sich festhalten: Ja, das ist eine Jugend-Subkultur die überdurchschnittlich viele Menschen, die von Rassismus betroffen sind, angezogen hat und noch anzieht. HipHop hat den Ruf, die antirassistischste aller Jugend-/Subkulturen zu sein. Da wären wir wieder beim Entstehungsmythos. Aber ein wichtiger Hinweis: Wenn wir uns Jugend-Subkulturen angucken, lässt sich feststellen, dass
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keine dem Anspruch ihres Selbstbildes gerecht wird. Mythos und Wirklichkeit klaffen immer auseinander. Jugend-Subkulturen können als die Deklaration junger Menschen verstanden werden, was ihnen wichtig ist und was sie gern sein möchten. Die Jugendlichen entsprechen ihren Idealen aber noch nicht, sie sind noch nicht ganz selbstverständlich das, was sie sein wollen. Jugend-Subkulturen sind also eher eine Anmeldung von Absichten, daher ist da immer die Kluft zwischen Anspruch und Realität. Genau das macht es auch so schwierig, über Subkulturen zu schreiben und zu forschen. Entweder wiederholt man einfach das Selbstbild der Subkultur, das wäre nicht sehr wissenschaftlich. Oder man konfrontiert Szene-Vertreter*innen mit der Lücke zwischen Selbstbild und Wirklichkeit, verliert dann aber vielleicht das Vertrauen der Interviewpartner*innen oder Kontakte in die Szene. Der Gründungsmythos von HipHop stößt meiner Meinung nach auch dann an eine Grenze, wenn Leute behaupten: „Ich bin selber von Rassismus betroffen, also kann ich kein Rassist sein.“ Das ist kein gutes Argument, es ist aber weit verbreitet. Ein Gegenbeispiel wären die Konflikte, die Anfang der 1990er Jahre zwischen afroamerikanischen, koreanischen und jüdischen Communities in den USA bestanden.7 Diese Konflikte haben auch in der Musik Spuren hinterlassen. Wenn sich der Mythos daran nicht bricht und weiterhin das Bild der antirassistischen Subkultur erhalten bleibt, dann stolpert man in die Falle zu behaupten: „HipHop ist rassismuskritisch und wer von Rassismus betroffen ist, kann selbst nicht rassistisch sein.“ Eine von Rassismus betroffene Person kann aber durchaus die rassistischen Annahmen über andere Gruppen teilen. Sie kann ebenso die rassistischen Aussagen, die über sie getroffen werden, ins Positive wenden, wenn zum Beispiel Leute sagen: „Natürlich bin ich viel lauter und emotionaler, das ist Teil meiner Kultur. Ich will auch gar nicht leise sein.“ In dieser Aussage wird aus dem vermeintlichen Defizit etwas Positives. Die essentialistische Zuschreibung wird allerdings übernommen. Damit ist es auch keine bloße Fremdzuschreibung mehr und die Diskussion mit Rassist*innen kreist nur noch um die Bewertung des Verhaltens und nicht mehr so sehr um die Frage, wie man eigentlich darauf kommt, Menschen aufgrund ihrer Herkunft bestimmte Eigenschaften zu unterstellen, die unveränderlich sind. Das gibt Rassist*innen auch die Möglichkeit zu sagen: „Offensichtlich ist die Essentialisierung ja geteilt, dann ist die Unterstellung auch kein Rassismus.“
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Anfang der 1990er kam es in mehreren Großstädten der USA zu Boykottaufrufen und Angriffen auf die Läden von koreanischen Kleinunternehmer*innen, die als Teil der Ausbeutung von Afroamerikaner*innen durch Weiße wahrgenommen wurden, welche ihrerseits aber auch rassistische Stereotype reproduzierten (vgl. Weitzer 1997). Auch dem Regisseur Spike Lee wurde mehrfach eine rassistische bzw. antisemitische Darstellung vorgeworfen, insbesondere in Bezug auf die Filme „Mo´ better Blues“ und „Jungle Fever“ (vgl. James 1990).
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An dieser Stelle würde ich gern noch einmal eine grundsätzliche Frage zum Gründungsmythos stellen: Zur Vorstellung von HipHop als Kultur gibt es widersprüchliche Ansichten. Zum einen die, dass der Gründungsmythos einen wahren Kern hat, zum anderen aber auch die, dass insbesondere Afrika Bambaataa lose assoziierten Akteur*innen diesen Gründungsmythos eher aufgedrängt hat. Da wären wir auch schon bei Jugendarbeit, eine seiner Ideen war ja, mit HipHop eine Alternative zu den Gangs zu schaffen. Was sagt ihr dazu? Sinaya Sanchis: Ich weiß zum Beispiel gar nicht, ob Afrika Bambaataa bewusst antirassistische Arbeit gemacht hat. Schon das ist vermutlich eher eine Fremdzuschreibung. Für mich schließt sich das gar nicht unbedingt aus. Ich kenne diese pädagogische Sichtweise auf Afrika Bambaataa: Er habe die Jugendlichen von der Straße holen, ihnen eine Alternative bieten und die Gang-Fights mit dem künstlerischen Battle ersetzen wollen. Das wird von Sozialarbeiter*innen auch gern zitiert. Aber wenn wir aus heutiger Perspektive auf Afrika Bambaataa schauen, gibt es einiges zu kritisieren. Zum Beispiel, dass er in einem Outfit mit Federn aufgetreten ist (vgl. Philby 2008). Das ist nichts anderes als „Cultural Appropriation“, kulturelle Aneignung. Als ich das Bild das erste Mal gesehen habe, hat mich das geschockt. Ich komme selber aus Mexiko und habe indigene Wurzeln und habe mich gefragt, wie das damals bei Jugendlichen ankam, deren Familien aus Mexiko in die USA eingewandert sind. Diese Jugendlichen waren ja auch ein Teil von HipHop. Ich würde sagen, in den 1980er und 1990er Jahren ist ganz viel auch unreflektiert passiert. Mein Eindruck ist, dass sich Gesellschaften seitdem auch entwickelt haben und damit auch die Sensibilisierung für bestimmte Phänomene gestiegen ist. Daniel Vishnya: Ich würde sagen, dass die HipHop-Identität, wenn man davon überhaupt sprechen kann, im Laufe der Zeit sehr von den kapitalistischen Mechanismen überformt wurde. Auch am Beispiel USA würde ich sagen, der Fokus der Szene lag irgendwann nicht mehr auf Inhalten, auch nicht auf politischen Inhalten, sondern auf Verkauf und Marketing. Inhalte scheinen kaum noch eine Rolle zu spielen. HipHop hat insofern viel von der eigenen Credibility8 eingebüßt und ist vor allem zu einem Produkt geworden. Die Szene hat sich daran auch gespalten. Nehmen wir Snoop Dogg und KRS One als Beispiele. Snoop Dogg tritt auf riesigen Bühnen auf, macht eine schlechte Show und interessiert sich nicht für sein Publikum. KRS One tritt auf viel kleineren Bühnen auf, macht aber das, was ich mir von
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Credibility, häufig als Kurzform von Street Credibility genutzt, bedeutet Glaubwürdigkeit. Street Credibility im engeren Sinne bezeichnet die authentische Vermittlung eines intensiven Bezugs zu einem Leben in prekarisierten Gegenden mit hohen Kriminalitätsraten – durch die eigene Herkunft und/oder intensiven Kontakt. Über die Glaubwürdigkeit dieses Bezugs entscheidet nicht zuletzt die Akzeptanz ‚auf der Straße‘.
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HipHop eigentlich wünsche: Er holt Leute auf die Bühne, lässt das Publikum Teil der Show werden und gibt Menschen dadurch Raum. Das hat mich ursprünglich an HipHop auch begeistert, das war für mich der Charakter von HipHop. Mittlerweile gibt es ganz viele verschiedene Selbstinszenierungen unter dem Titel HipHop und zum Teil auch solche, die aus meiner Sicht mit HipHop gar nichts mehr zu tun haben. Man kann heute nicht mehr von ‚einer‘ HipHop-Kultur sprechen, schon gar nicht von ‚einer‘ HipHop-Szene. Die Gemeinsamkeit sind vielleicht noch bestimmte stilistische Merkmale, aber die Gründe Rap oder HipHop zu machen, sind sehr verschieden. Ich finde das traurig, aber das ist bestimmt auch ein Generationseffekt: dass die Älteren immer den früheren Zeiten hinterhertrauern und der Credibility, die es heute so gar nicht mehr geben kann. Drob Dynamic: Ich denke, die HipHop-Kultur war am Anfang sehr viel einheitlicher, die Szene war auch überschaubar. Umso größer Rap wurde, umso mehr hat es sich aufgefächert in Straßen-Rap, Studenten-Rap, auch Battle-Rap, der ja ein ganz eigener Kosmos ist. Es gibt verschiedene Szenen im Rap. Ich würde sagen: Der Großvater ist HipHop, aber die Enkelkinder heißen anders. Heute haben sich viele Artists von den Grundwerten der HipHop-Kultur distanziert. Viele machen Geld mit Rap, können aber mit der HipHop-Kultur nicht viel anfangen. Rapper wie Samy Deluxe, aber auch Kool Savas hingegen beziehen sich immer noch aktiv auf HipHop. Ewgeniy Kasakow: Gründungsmythen müssen nicht stimmen, sie müssen nur funktionieren. Insofern ist es auch egal, wie HipHop wirklich entstanden ist, solange die Geschichte auch heute noch Leute begeistert. Akteur*innen der Szene und Sozialarbeiter*innen haben ganz unterschiedliche Gründe, diesen Mythos weiter zu tragen: die einen, weil ihnen das Image des Underdogs aus der gefährlichen Gegend gefällt, die anderen, weil sie über den Mythos HipHop Jugendliche erreichen wollen, um ihnen ganz andere Lebenswege aufzuzeigen. Also gerade damit sie nicht Gangster werden! Auch durch diese Einigkeit wird der Mythos weitergetragen. Auch die Zulu Nation hat einen Gründungsmythos, der mit dem von HipHop weitestgehend zusammenfällt. Dasselbe gilt für die Nation of Islam und übrigens auch für Staaten, also tatsächliche Nationen. Um eine Nation zu gründen, braucht es einen Mythos und es ist völlig egal, ob er wahr ist, solange sich Menschen damit identifizieren können. Die Frage ist also, wie Dan schon gesagt hat, wie viele Menschen sich noch mit dem Gründungsmythos von HipHop identifizieren können. Oder ob es schon neue Mythen gibt. Sinaya Sanchis: Das ist ein interessanter Gedanke. Ich würde sagen, dass vor allem viele Sozialarbeiter*innen auf diesen Mythos zurückgreifen, um ihn für ihre Ansätze und ihre Arbeit zu nutzen. Das scheint mir vor allem auch für den deutschen Kontext zutreffend. Insofern wird der Mythos auch über Rap-Workshops weitergetragen und am Leben erhalten.
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Daniel Vishnya: Ich denke nicht, dass diese idealisierte Geschichte so stattgefunden hat. Es gab vermutlich schon immer verschiedene Bilder von HipHop. Alle haben sich das Bild ausgesucht, das am Besten zu ihnen passt. Wenn diese Kultur gar nichts mit Entertainment zu tun hätte und nur politisch wäre, hätte sich das niemals so weit verbreitet. Bestimmt idealisiert die Jugendarbeit HipHop da auch häufig oder interpretiert das hinein, was ohnehin an Jugendliche vermittelt werden soll. Das finde ich schwierig. Besser wäre es, sich mit einzelnen Akteur*innen oder konkreten Aussagen auseinanderzusetzen und sich nicht nur am Mythos entlang zu hangeln. Was ist euch wichtig in der Jugendarbeit mit HipHop zum Thema „Rassismus“? Was würdet ihr Fachkräften gerne mitgeben? Sinaya Sanchis: Ich würde empfehlen, mit einer offenen Haltung in die Workshops zu gehen, die Jugendlichen auch nicht mit der eigenen Attitüde zu überfordern und vor den Kopf zu stoßen. Ich habe das schon erlebt, dass Teamer*innen in Workshops kamen mit der Einstellung: „Ich habe sehr viel Street Credibility und zeige euch, was echter Straßen-Rap ist.“ Oder auch die Variante, dass Sozialarbeiter*innen, die viel linken Rap hören, in eine Gruppe gehen und vermitteln wollen, was ‚korrekter‘ und was ‚falscher‘ Rap ist. Die offene Haltung sollte tatsächlich ernst gemeint sein. Rap ist ein Angebot an die Jugendlichen, das ist der Vorteil. Mit Rap haben wir eine gute Methode, um zum Beispiel Rassismus zu thematisieren, aber vor allem ist es auch ein Angebot. HipHop-Workshops machen Jugendlichen das Angebot, sich mit ihnen auf einem Feld zu treffen, das sie interessiert und auf dem sie sich auch selbstbewusst fühlen können. Dieses Angebot sollte nicht dadurch zerstört werden, dass die Wissenshierarchie und die Deutungshoheit der Teamer*innen postuliert werden. Mittels HipHop kann ich sowohl mit von Rassismus Betroffenen in den Dialog treten als auch mit Jugendlichen, die rassistische Aussagen formulieren. Und ich finde es wichtig, im Dialog zu bleiben. Auch wenn die Jugendlichen rechte Positionen vertreten. Es gilt natürlich die (potenziell) betroffenen Jugendlichen zu schützen. Ich muss auch nicht jedes Gespräch vor der ganzen Klasse führen. Aber wenn ich vorhabe, die Meinung einer Person zu ändern, sollte ich im Gespräch bleiben. Dieses Gespräch sollte mit einer grundsätzlich wertschätzenden Haltung der Person gegenüber stattfinden. Meist ist das für Jugendliche schon eine neue Erfahrung: ernst genommen und respektiert zu werden. Insbesondere in der Präventionsarbeit finde ich es wichtig, im Gespräch zu bleiben. Daniel Vishnya: Für mich ist Rap vor allem eine Möglichkeit, zu Jugendlichen eine Verbindung aufzubauen. Rap schafft damit eine Basis, um überhaupt ins Gespräch und die Diskussion zu kommen. Mit HipHop habe ich einen Themenvorschlag und zwar einen, der die Jugendlichen interessiert. HipHop zu thematisieren mit
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Jugendlichen, die sich für HipHop interessieren, gibt ihnen aber auch das Gefühl, dass ihnen Interesse entgegengebracht wird. Das gilt aber auch getrennt von HipHop: Je mehr man sich für die Themen und Interessen der Jugendlichen interessiert, desto leichter wird es, Themen zu platzieren, die sie vielleicht erst einmal nicht interessieren. Zudem erlebe ich oft, dass HipHop-Workshops Jugendlichen die Gelegenheit geben, Ideen umzusetzen, die sie schon lange hatten. Ein Ziel von Jugendarbeit ist auch Empowerment. Jugendliche sollen ermutigt werden, Neues auszuprobieren, ihren Fähigkeiten zu vertrauen, eigene Vorstellungen umzusetzen. Das gelingt mit HipHop sehr gut. HipHop ist also ein Tool für Jugendarbeiter*innen, ein Gesprächs-Trigger. Darüber kommt man in die Diskussion, in ein Gespräch, baut auch eine Verbindung zu den Jugendlichen auf und kann auf dieser Grundlage Inhalte platzieren. Ewgeniy Kasakow: Ich würde mich hier als jemand aus einem ganz anderen Arbeitsfeld zu einem Thema melden, was mir häufig als Problem auffällt. Ich habe den Eindruck, dass HipHop oft sehr schnell mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ und/oder Armut assoziiert wird. Es ist bestimmt verlockend, das zu verbinden, da wären wir wieder beim Gründungsmythos. Aber ist das nicht auch eine Fremdzuschreibung? Produziert das nicht eine Erwartungshaltung: Als Migrant*in musst du dich in HipHop wiederfinden? Wenn zum Beispiel in Workshops dann die Geschichte von HipHop in den USA erzählt wird, bin ich mir nicht sicher, ob das für Jugendliche anschlussfähig ist. Ich weiß nicht, ob für alle ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ die Identifikation mit Afroamerikaner*innen in den 1970er Jahren so einladend und naheliegend ist. Daniel Vishnya: Ich würde sagen, weder die Jugendlichen noch viele jüngere Leute aus der Szene assoziieren HipHop noch stark mit Afroamerikaner*innen. Für sie ist HipHop eine vielschichtige, diverse Szene, die sie nicht mit einer bestimmten Gruppe identifizieren. Ich weiß auch gar nicht, ob diese Identifizierung, ob zutreffend oder unzutreffend, für Fachkräfte der Jugendarbeit wichtig ist. Der Ansatz, mit HipHop zu arbeiten, umfasst ja viel mehr. Vielleicht ist es ein wichtiger Hinweis für Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen, dass die Arbeit mit HipHop auch dann funktioniert, wenn man nicht selbst rappt, Graffiti malt oder auflegt. Um diese Kompetenzen geht es dabei nicht. Fachkräften aus der Jugendarbeit oder Bildung liegt das vielleicht erst einmal sehr fern, sich einem Thema zu nähern, über das sie nicht bestens Bescheid wissen. Noch einmal zu dem, was ich vorhin schon gesagt habe: Über HipHop – ob Texte, Geschichte, Graffitis – lässt sich ein Dialog mit Jugendlichen entwickeln. Da ist Unwissenheit keine Hürde. Jugendliche nehmen das Angebot, selbst einmal die Expert*innen zu sein, in der Regel sehr dankbar an.
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Drob Dynamic: Es gibt verschiedene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die in Rap-Texten kritisiert, aber eben leider oft auch propagiert werden: Sexismus, Antisemitismus usw. Wie Rassismus funktioniert versuche ich aber schon immer anhand der HipHop-Geschichte aufzuzeigen. Das muss nicht heißen, dass die Jugendlichen sich mit Afroamerikaner*innen identifizieren. Sie können es auch einfach als Geschichte betrachten und dennoch haben sie dann etwas über Rassismus gelernt. Ich möchte den Jugendlichen aber auch eine andere Sichtweise auf Rap nahebringen, die sich nicht so sehr um den „Modus Mio“ dreht.
Literatur bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (2010): Ethnopluralismus. www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500773/ethnopluralismus/ (Abfrage: 27.12.2022). Chang, Jeff (2005): Can´t Stop, Won´t Stop. A History of the Hip-Hop Generation. 1. Auflage. New York: St. Martins Press. James, Caryn (1990): Critic's Notebook; Spike Lee's Jews and the Passage From Benign Cliche Into Bigotry. www.nytimes.com/1990/08/16/movies/critic-s-notebook-spike-lee-s-jews-passage-benign-cliche-into-bigotry.html (Abfrage: 21.12.2022). Philby, Charlotte (2008): How do I look? Afrika Bambaataa, Musician, age 51. www.independent.co.uk/life-style/fashion/features/how-do-i-look-afrika-bambaataa-musician-age-51870598.html (Abfrage 01.01.2023). Shooman, Yasemin (2014): „... weil ihre Kultur so ist“. Narrative des antimuslimischen Rassismus. 1. Auflage. Bielefeld: transcript. Weitzer, Ronald (1997): Racial Prejudice among Korean Merchants in African American Neighborhoods. In: The Sociological Quarterly, Vol. 38, Nr. 4 (Autumn, 1997), S. 587-606. Worbs, Susanne et al. (2013): (Spät-)Aussiedler in Deutschland. Eine Analyse aktueller Daten und Forschungsergebnisse. www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb 20-spaetaussiedler.pdf?__blob=publicationFile&v=14 (Abfrage: 21.12.2022). Weitere Literaturhinweise für die Auseinandersetzung mit Rassismus und HipHop: Amjahid, Mohamed (2021): Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken. 1. Auflage. München: Piper. Aydemir, Fatma/Yaghoobifarah, Hengameh (2019): Eure Heimat ist unser Albtraum. 1. Auflage. Berlin: Ullstein. Foroutan, Naika (2019): Die postmigrantische Gesellschaft: Ein Versprechen der pluralen Demokratie. 1. Auflage. Bielefeld: transcript. Loh, Hannes/Güngör, Murat (2002): Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und NaziRap. 1. Auflage. Innsbruck: Hannibal. Ogbar, Jeffrey O.O. (2018): Rapkultur und Politik. Eine US-amerikanische Geschichte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte: Rap. www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/265111/rap/ (Abfrage: 01.01.2023). Ogette, Tupoka (2017): exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast. Utlu, Deniz (2010): Ins Herz. Versuch einer Geschichte über HipHop und Revolte. denizutlu.de/essays/ins-herz/ (Abfrage: 01.01.2023).
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Klassismus im HipHop und in der politischen Bildungs- und Jugendarbeit Einführung: Was ist „Klassismus“? Connie Castein und Anna Groß
Klassismus („classism“, ein Begriff aus den USA) ist die Einordnung und damit einhergehend die strukturelle Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer ökonomischen und sozialen (Milieu-)Zugehörigkeit, z. B. arme Menschen, reiche Menschen, Intellektuelle, etc. Um in das Thema einzuführen, gilt es aufzuzeigen, welches Verständnis des Begriffes „Klassismus“ diesem Beitrag zugrunde liegt. Hierfür ist es zunächst wichtig, eine begriffliche Differenzierung zwischen Klasse und Klassismus vorzunehmen: So wird unter „Klasse“ das „relative soziale Ranking bezüglich Einkommen, Reichtum, Status und/oder Herrschaft“ verstanden, welches in der Gesellschaft Menschen innehaben, während „Klassismus“ die „strukturelle Diskriminierung und Stereotypisierung [eines Menschen oder einer sozialen Gruppe] aufgrund der Klassenzugehörigkeit“ umfasst (Czollek et al. 2012, S. 132). Strukturelle Diskriminierung findet auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene statt. Das Ineinandergreifen dieser drei Ebenen beschreibt eine Form von Intersektionalität, in denen „Menschen unterschiedliche Werte bezüglich ihrer sozioökonomischen Klasse zugeordnet werden“ (ebd.) und vor diesem Hintergrund Diskriminierung erfahren. Czollek et al. (2012) definieren Diskriminierung auf individueller Ebene als individuelles Handeln einer einzelnen Person, die in der (Mehrheits-)Gesellschaft eine Machtposition gegenüber einer Person innehat, die wiederum einer marginalisierten Gruppe angehört. Die institutionelle Ebene umfasst nach Czollek et al (2012) die Diskriminierung in Institutionen. Beispielhaft kann hier auf die Bildungsinstitution Schule verwiesen werden, so stellt Andreas Kemper im Kontext von Schule fest: „Wir haben ein Bildungssystem in Deutschland, wo die Menschen sehr früh selektiert werden. Hauptschule, Realschule, Gymnasium. Dann gibt's noch Förderschulen. Und danach wird ausgesiebt. Es gibt viele Studien, die sagen, dass das oftmals gar nichts mit Leistung zu tun hat. Ein ganz großer Teil hat mit der sozialen Herkunft zu tun.“ (Hamade 2022). Hingegen bezieht sich die kulturelle Ebene auf die strukturelle Diskriminierung innerhalb der (Mehrheits-)Gesellschaft (vgl. Czollek et al. 2012, S. 44). So werden z. B. in Theaterstücken, Filmen, Musikvideos und Texten soziale Gruppen wie Frauen* u. a. diskriminiert, indem tradierte Stereotype reproduziert werden, die wiederum von Teilen der (Mehrheits-)Gesellschaft übernom-
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men oder von vorneherein geteilt werden. So können Stereotype und sich daraus resultierende Vorurteile über Generationen hinweg fortbestehen. Diese intersektionale Perspektive sollte nach Meinung der Autorinnen des vorliegenden Beitrags sichtbar gemacht und kritisch reflektiert werden, um Stereotype zu dekonstruieren und Vorurteile abzubauen. Denn Klassismus ist auch heute ein tief verwurzeltes gesellschaftliches Problem, das weiterhin massive Auswirkungen auf die Chancen, Beziehungen und das Selbstwertgefühl des*der Betroffenen und ganzer Gruppen haben kann, indem der Zugang zu Chancen und Ressourcen stark eingeschränkt wird. So gehören zum Beispiel Sinti*zze und Rom*nja seit Jahrhunderten europaweit zu einer der Gruppen, welche am stärksten von struktureller Diskriminierung (auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene) betroffen sind (vgl. Weiterdenken, o.D.). Gleichfalls wird Klassismus im gesellschaftlichen Diskurs kaum thematisiert und das, obwohl die Auswirkungen von Klassismus weitreichend bekannt sind und das Leben der Menschen, die von Klassismus betroffen sind, tiefgreifend beeinflussen. Sei es im Hinblick ihres Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und/oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Angehörige marginalisierter Gruppen werden oft von diesen Ressourcen ausgeschlossen und sind massiv von struktureller Diskriminierung betroffen. Für eine klassismuskritische Jugendarbeit empfiehlt es sich aus diesem Grund, sich bewusst zu machen, dass „Klassendiskriminierung […] in Deutschland selten zum Gegenstand der Diskussion [wird]. Es existiert kaum ein Bewusstsein dafür, dass es hier um eine komplexe Diskriminierungsform geht (z. B. keine Erwähnung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz)“ (Czollek et al. 2019, S. 128). bell hooks nennt es deshalb auch einen „notwendigen Schritt“ über Klasse zu „sprechen und [zu] akzeptieren, wo wir stehen […], wenn wir in einer Welt leben wollen, in der Wohlstand und Reichtum geteilt werden können“ (hooks 2020, S. 8 f.). In sehr armen wie auch in sehr wohlhabenden gesellschaftlichen Milieus herrscht jedoch ein besonderes Tabu über Geld, Armut und Wohlstand zu kommunizieren, weil insbesondere dort Geld jeweils eine große Rolle spielt. Während arme Menschen meist ums tägliche Überleben und um ihre (bloße) Akzeptanz in der Gesellschaft kämpfen müssen, möchten reiche Menschen meist nicht Preis geben, wie viel Geld sie haben – weniger aus Scham als aus der Angst heraus, dafür angegriffen zu werden. Im deutschsprachigen Raum geht die soziale Schere seit vielen Jahren immer weiter auseinander. Die Bedeutung von Klasse nimmt dabei stetig zu: „Sei es der Obdachlose, an dem wir vorbeigehen, während wir in den Städten unseren täglichen Pflichten nachkommen, oder das klimpernde Geräusch einiger weniger Mün-
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zen in den Schalen von bettelnden Personen, oder der mittelständische Familienangehörige oder Freund, der aufgrund von Kürzungen und Einsparungen von Arbeitslosigkeit bedroht ist“ (ebd., S. 11).
Die goldenen Jahre in Deutschland sind schon lange vorbei. Aktuell befinden wir uns zudem in einer Inflation, die durch den Krieg in der Ukraine zusätzlich verschärft wurde. Insbesondere für Menschen, die einer marginalisierten Gruppe angehören, stellt die aktuelle wirtschaftliche Situation eine große Bedrohung ihrer sowieso schon erschwerten täglichen Versorgung dar. Klassenunterschiede werden noch sichtbarer und spürbarer für die Betroffenen: „Die Reichen werden immer reicher. Und die Armen bleiben auf der Strecke. Bis weilen hat es den Anschein, dass es niemanden kümmert“ (ebd., S. 11). Mit „niemanden“ bezieht sich hooks in diesem Kontext auf die sogenannte „Mittelschicht“ und die Reichen, die in der (Mehrheits-)Gesellschaft die Diskurse dominieren. hooks zeigt zudem auf, wie Klasse mit anderen Formen der Unterdrückung wie race und Geschlecht zusammenwirken und so intersektionale Systeme von Ungleichheit entstehen, die sich stets weiter manifestieren. Damit einher gehen „Aberkennungsprozesse auf individueller, institutioneller und kultureller Ebene in Bezug auf Klassenzugehörigkeiten bzw. Klassenzuweisungen. Schon die gängigen Bezeichnungen von ‚oben‘ und ‚unten‘ im Hinblick auf die Beschreibung von Klassenzugehörigkeiten zeigen eine stark hierarchisierende und diskriminierende Zuschreibung“ (Czollek et al. 2019, S. 126 f.). Insbesondere die Kategorisierung von „oben“ und „unten“ wird in HipHop-Songs aufgegriffen und thematisiert. So rappt zum Beispiel Milonair in „Chabos wissen wer der Babo ist“ (2012): „Ein Bruder von ganz unten dreht im Benz seine Runden“. Diese Zeile stammt aus einem Remix des gleichnamigen Tracks des Rappers Haftbefehl, der die gleiche Thematik bereits 2010 auf seinem ersten Solo-Album anspricht: „Gestern an der Gallus, heute in den Charts“. Haftbefehl kommt aus Offenbach. In seinen Texten fokussiert Haftbefehl auf das Leben im (klein-)kriminellen Milieu und thematisiert dabei sowohl die Nach- als auch Vorteile eines Lebens in Kriminalität aus seiner Perspektive. Klassismus spielt hierbei eine zentrale Rolle wie beispielsweise im Song „Azzlacks sterben jung“: „Azzlacks sterben jung, meine Welt ist dunkel//Guck am Horizont siehst du selten Sterne funkeln//Hörst du die Bullen//Kannst du sie sehen//Kaschen grad nen Schwarzkopf//Mit nem Kilogramm Schnee//Die Kriminalitätsrate steigt//Die Drogenpreise sinken//Die Polizei findet Kilos bei Kindern//Ob Hasch oder Gras//Scheiß auf die Schule//Nur der Knast macht dich hart//Die Nacht wird zum Tag//Hier gibts keinen Sonnenschein//Der Horizont zeigt uns nur Wolken, die weinen//Nur Beton und Asphalt, matt graue Blocks//Hass und Gewalt in den Plattenbaublocks//Die Last auf den Schultern, Zuhause die weinende Mutter.“ (Haftbefehl 2011).
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Oder in „069“: „Die Banken kratzen an den Wolken//Ich mich am Yarak, wie komm' ich an Euros?//Kiddies auf der Jagd nach Spaß fahr'n im geklauten Golf rum//Hätten sie nur gewusst, dass sie umkomm'n, nachdem sie die Bullen verfolgen“ (Haftbefehl 2015).
Haftbefehl ist im Verlauf seiner Karriere wiederholt wegen antisemitischer Textstellen in die Kritik geraten, zum Beispiel im genannten Song mit Zitaten wie „Rothschild-Theorie, jetzt wird ermordet“ oder auch in Bezug auf das Lied „Psst“ (2014) mit Zeilen wie „ticke Kokain an die Juden von der Börse“. Für eine klassismuskritische politische Bildung mittels HipHop eignen sich Raptexte und Interviews von Haftbefehl aus den genannten Gründen gut, um mit jungen Menschen zu thematisieren, welches Bild der Rapper von sich und einem (klein-)kriminellen Milieu transportiert und welche problematischen Inhalte er mit seinen Texten vermittelt. Diese können wiederum mit den Jugendlichen kritisch reflektiert werden. Der Ursprungsmythos der globalen HipHop-Szene basiert auf gesellschaftlichen Ausschlüssen marginalisierter Gruppen und einem Umgang mit Rassismus. Damit steht HipHop von Beginn an für unterschiedlichste Formen des Ausdrucks von Widerstand und Sozialkritik, was sich bis heute fortgesetzt hat. Schon in frühen HipHop-Songs und alten Rap-Klassikern wie „The Message“ von Grandmaster Flash and the Furious Five (1982) ging es um gesellschaftliche Ausschlüsse aufgrund von Klassenzugehörigkeit und Rassismus. So beschreibt der Rapper wie es in den prekarisierten Stadtteilen New Yorks in den 1980er Jahren aussah und wie man von dort – auch wenn man es wollte – aufgrund der eigenen finanziellen Situation (individuelle Ebene) sowie durch die strukturelle rassistisch-klassistische Diskriminierung in den USA (institutionelle und kulturelle Ebene) nicht einfach wegziehen konnte: „Broken glass everywhere//People pissing on the stairs, you know they just don't care//I can’t take the smell, can’t take the noise//Got no money to move out, I guess I got no choice//Rats in the front room, roaches in the back//Junkies in the alley with a baseball bat//I tried to get away, but I couldn't get far//‘Cause a man with a tow truck repossessed my car.“ (Grandmaster Flash and the Furious Five 1982).
Dass sich diese Themen bis heute im HipHop fortgesetzt haben, zeigen auch aktuelle deutsche Rapper*innen, wie Megaloh, Nura, Disarstar, Trettmann, Kummer, Hanybal, Romano, Azet und Zuna von der KMN Gang, Juju, Amewu, Badmómzjay u.v.m. Die Liste ist unerschöpflich lang und kann deshalb hier nur angerissen werden. Beispielhaft haben wir zwei Künstler*innen herausgegriffen: Die erfolgreiche Rapperin Juju (2019) ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen und wurde 2014 als einer der beiden Rapperinnen des Duos SXTN bekannt, bevor
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sie 2019 ihre Solo-Karriere begann. Im selben Jahr wurde sie zur besten deutschen Künstlerin bei den MTV Europe Music Awards gewählt sowie in den Kategorien beste Künstlerin und beste Single mit der 1-Live-Krone ausgezeichnet. In ihrem Song „Byebye“ spricht sie über die verschiedenen klassistischen Perspektiven vor dem Hintergrund ihrer biografischen Erlebnisse: „Früher Hartz-IV-Modus, heute Modus Mio//Früher Penner, heut bewundern sie mein Modestil […]//Doch ich habe nie vergessen, wer für mich da war//Als ich noch arm war, als ich gar nicht klarkam//Ohne Geld, ohne Abschluss, ohne Vater//Hatte kein' Plan-B, hatte kein' Plan-A//Keine gute Idee, kein gutes Karma//Habe alles versteckt unter mei'm Kajal […]//Was jetzt zählt, ist meine Entscheidung//Gut ausgewählte teure Kleidung//Außerdem Geld und außerdem Cash und außerdem Reichtum“ (Juju 2019).
Auch die Rapperin Badmómzjay berichtet von ihren Armutserfahrungen und betrachtet diese aus der Perspektive ihres Erfolgs in ihrem Song „Nie mehr zurück“: „Fühlt sich an so wie im Traum, hab' alles, was ich brauch'//Und glaub mir, ich will nie, nie mehr zurück//So viele Ups and Downs, […]//Gab so viel Jahre für ein'n Tag//An dem ich sage, ‚Alles gut‛//Kommt mir vor, als wär es grade letzten Monat//Konto in der Krise und sie schalten uns den Strom ab//Sitze nachts zuhause, ganz alleine in 'ner Großstadt//[…] Sagt mir nicht, dass ich mich jetzt verändert hab'//Weil ich auch mit Erfolg damals nicht vergessen hab'“ (Badmómzjay 2022).
Badmómzjay ist in Brandenburg an der Havel aufgewachsen und hat inzwischen zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Sie bekennt sich offen zu ihrer Bisexualität und der LGBT-Community. Für die politische Jugendbildung im Bereich HipHop eignen sich beide Rapper*innen, sowohl im Hinblick auf die obengenannten Texte (Sprache und Inhalt), um kritisch zu reflektieren, welche Inhalte sie transportieren möchten, als auch bezüglich der Frage, welches Bild von Frau (Sprache und äußere Erscheinung) sie performen und wie Jugendliche dieses wahrnehmen. In der Auseinandersetzung mit der Künstlerin Badmómzjay kann zudem der intersektionale Zusammenhang von Gender, sexuelle Orientierung und Klassismus im Kontext von struktureller Diskriminierung thematisiert und reflektiert werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass viele HipHop-Künstler*innen auf systemische Probleme durch Klassismus hinweisen und einen sozialen Wandel fordern. Andere wiederum verherrlichen einen Materialismus, der von Geld, Marken, Konsum und Reichtum erzählt und Jugendliche dazu anregen kann, ähnliche Güter haben zu wollen, wodurch Klassenunterschiede und gesellschaftliche Hierarchien für die Jugendlichen erneut verdeutlicht werden, insbesondere wenn sie selbst kaum Geld haben. Gleichzeitig können die „Aufsteiger*innen“/„Aufstiegs“-
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Geschichten1 im HipHop ermutigen, manche aber auch entmutigen, wenn der Ruhm und Reichtum der Rapper*innen für die Jugendlichen als unerreichbar erlebt wird. Aus den oben genannten Gründen eignen sich sowohl Raptexte, Performances, Musikvideos als auch Lebensgeschichten diverser Rapper*innen für eine klassismuskritische Jugendarbeit mittels HipHop, da die Themen angesprochen werden, mit denen sich Jugendliche im Prozess der Identitätsfindung auseinandersetzen und darüber hinaus auch ein gesellschaftskritisches Bewusstsein entwickeln können. Auch Stereotype und Vorurteile gegenüber marginalisierten Gruppen können thematisiert und dekonstruiert werden und mit den jungen Menschen neue Perspektiven entwickelt werden. Wichtig ist hierbei nach Ansicht der Autor*innen dieses Beitrags, dass diese Prozesse von Fachkräften moderiert und begleitet werden. Denn Stereotype und Vorurteile werden über Generationen hinweg tradiert und lassen sich nicht in einem Gespräch auflösen.
Literatur Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Kaszner, Corinne/Czollek, Max (2019): Praxishandbuch Social Justice und Diversity. 2. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Weinbach, Heike (2011): Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen, 1. Auflage. München – Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Hamade, Houssam (2022): Klassismus. Die verachtete Unterschicht. www.deutschlandfunkkultur.de/ klassismus-die-verachtete-unterschicht-100.html (Abfrage 23.03.2023). hooks, bell (2020): Die Bedeutung von Klasse. 1. Auflage. Münster: Unrast. Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen e.V. (o.D.): Sinti*zze und Rom*nja. weiterdenken.de/de/sintizze-und-romnja (Abfrage: 19.03.2023).
Songs Bozza, Badmómzjay, Kool Savas, Sido (2022): Nie mehr zurück. Grandmaster Flash and the Furious Five (1982): The Message. Haftbefehl (2011): Azzlacks sterben jung. Haftbefehl feat. Milonair (u. a.) (2012): Chabos wissen, wer der Babo ist. Haftbefehl (2010): Gestern Gallus, heute Charts. Haftbefehl (2015): 069. Juju (2019): Byebye.
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Vgl. hierzu auch den Beitrag „‚Entweder werde ich Gangsta-Rapper oder Müllmann‘. Männlichkeit(-en) im Deutsch-Rap“ in diesem Sammelband.
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Ein Gespräch zu Klassismus, HipHop und Jugendarbeit zwischen Dana Meyer und Sir Mantis Initiiert, protokolliert und editiert von Anna Groß
Der folgende Text basiert auf einem Gespräch zu den Themen „Klassismus“, „HipHop“ und „Jugendarbeit“. Der Fokus des Gesprächs liegt auf der Darstellung des Erlebens von Klassismus sowie der Diskussion von Klassismus im Kontext Rap und Jugendarbeit. Das Thema Klassismus kann hier dementsprechend nicht in seiner gesamten Komplexität beleuchtet werden. Um in das Thema weiter einsteigen zu können, sind am Ende des Textes Literatur- und Methodenhinweise zu finden. Ihr engagiert euch beide in eurer Arbeit gegen Klassismus. Wie begann eure Auseinandersetzung mit dem Thema? Was bedeutet Klassismus für euch? Sir Mantis: Ich komme aus einem 800-Einwohner*innen-Dorf zwischen Braunschweig und Hannover und habe sehr früh gemerkt, dass meine Eltern nicht den Status unserer Nachbar*innen hatten. Über meine deutsch-afghanische Verwandtschaft in Nordrhein-Westfalen kam ich zu HipHop. Mein Cousin hat immer Rap gehört, so alles Mögliche von Mobb Deep, Tupac, Biggie, Run DMC. Sein Vater durfte, als er neu in Deutschland war, NRW nicht verlassen.1 In meiner Kindheit bekam ich davon nichts mit, weil immer alle in den Ferien bei uns zu Besuch waren. Davon erfahren habe ich erst als Erwachsener. Meine HipHop-Sozialisation mittels US-amerikanischen Raps hat mich in Bezug auf Klassismus weniger beeinflusst, weil ich die Texte nicht verstand. Mir hat das aber viel mitgegeben. Schwarze Menschen waren durch HipHop von Anfang an Vorbilder für mich, als Musiker*innen. Rap bewirkte, dass ich zu ihnen aufschaute, weil sie etwas konnten, was ich auch können wollte. Bei Deutsch-Rap wiederum fiel es mir leichter, die Texte zu verstehen. Sido und andere erzählten in ihren Songs von Armut und Drogenkonsum. Diese Texte haben etwas in mir ausgelöst, dass ich damals gar nicht bewusst erfasst habe. Heute ist mir klar, dass es diese Geschichten waren: „Yo, ich will diese Sachen haben und ich will diese
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Beschrieben wird hier die Residenzpflicht; Paragraf 56 Asylgesetz (vgl. Informationsverbund Asyl und Migration o.D.).
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Schuhe haben und ich will dies haben und das haben.“ Ich konnte das fühlen. Ich wollte auch immer das haben, was scheinbar alle außer mir hatten. Auch Drogenkonsum ist in meiner Familie immer ein Thema gewesen. Ich denke, Drogenkonsum ist oft das Ergebnis der Erfahrung von Ausbeutung durch Arbeit, Armut, Leid. Je prekärer du in dieser Gesellschaft lebst, umso mehr leidest du, umso wahrscheinlicher willst du das Leid mit Drogen kompensieren. HipHopSongs haben mich nie zum Konsum animiert, eher an Erfahrungen erinnert. Später habe ich festgestellt, dass HipHop eigentlich die Möglichkeit gibt, über zerbrochene Familiengeschichten zu erzählen und dafür Empathie zu erfahren. Ich musste als Erwachsener erstmal eine Menge biografischer Arbeit machen, um Muster zu überwinden, die meiner Meinung nach durch Klassismus entstanden sind. Formuliert habe ich meine Erfahrungen als Kind von Trennungseltern und Heimkind in Liedern wie „Haus am See“. Meinen zweiten tiefen Einschnitt als Musiker hatte ich, als ich mich als trans outete, sich vieles für mich dadurch änderte und ich eine Zeit lang keine Lust auf meine eigene Stimme hatte. In der Zeit entschied ich mich dazu, Beats zu produzieren und Mixing zu machen. Jetzt mache ich gerade eine Ausbildung als Audio Engineer und habe mir für mich ein Geschäftsmodell für die Zukunft überlegt, damit ich aus dieser ‚Lower Class Situation‘ endlich rauskomme. Ich habe keine Lust mehr arm zu sein und würde gern über meinen gut gefüllten Geldbeutel rappen. Und du, Dana? Du arbeitest auf akademischer Ebene zu Klassismus? Dana Meyer: Ich? Nein. Ich arbeite nicht im akademischen Feld. Ich habe zwar studiert, musste und wollte aber nebenbei praktisch arbeiten. Aber klar, ich arbeite in der politischen Bildung zu diesen Themen und lese entsprechende Fachliteratur. Das ist eine akademische Auseinandersetzung mit Klassismus. Dabei interessiert mich jedoch nicht nur das theoretische Reden über Klassismus, sondern die Verknüpfung zu den verschiedenen Lebensrealitäten der Menschen, mit denen ich zu tun habe. Mit denen komme ich in verschiedenen Bildungsformaten in einen Austausch über (die Aufrechterhaltung von) Machtstrukturen, Unterdrückung und Ausbeutung. Zum Beispiel, wenn Jugendliche, die finanziell sehr sorgenfrei leben und Auslandsaufenthalte ein selbstverständlicher Teil ihrer jungen Biografie sind mit anderen Jugendlichen zusammenkommen, die die Stadt, in der sie wohnen, noch nie wirklich verlassen haben und Ferien vor allem daheim verbringen. Genau diese Unterschiede spiegeln sich auch bei politischen Bildner*innen wider. Viele Referent*innen kommen selbst aus sozioökonomisch privilegierten Verhältnissen und und treffen dann häufig auf Kinder und Jugendliche mit anderen Lebensrealitäten. Dies gilt es aus professioneller Perspektive sowohl in Sprache, Bildungsangeboten und eigener Positionierung zu reflektieren. Klassismus ist ein vielschichtiges Phänomen. Für mich selbst hat meine Auseinandersetzung in der Schulzeit begonnen. Hier habe ich erstmals bewusst finanzielle Ungleichheiten in Bezug auf Ferienreisen, Musikunterricht, Freizeitgestal-
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tung, Markenklamotten und Fülle und Wert an Spielzeug/Technik wahrgenommen. Im Studium und auch darüber hinaus habe ich dann auch gemerkt, dass ich einiges anders wahrnehme als Kommiliton*innen aus stabilen sozioökonomischen Verhältnissen, die diese (noch) nicht reflektiert haben. Zum Beispiel habe ich mich immer unwohl bei Diskussionen ums „Containern“2 als ein politisches Mittel der so genannten Konsumkritik3 gefühlt. Denn für einige armutsbetroffene oder -gefährdete Menschen ist das Containern eine wichtige Strategie zur Lebensbewältigung der prekären Situation. Einige andere versuchen genau diese Wege zu vermeiden, da es zu ihrer bereits prekären Situation zusätzlich belastend und beschämend wäre. Viele tragen daher übrigens nicht so gern zerschlissene oder zerrissene Second-Hand-Klamotten, um nicht ungepflegt zu wirken. So oder so zeigt es wie wichtig es ist, die eigenen (politischen) Handlungen immer in Hinblick auf eigene Positionen und Möglichkeiten zu reflektieren. Sir Mantis: An deine Szene-Beschreibung kann ich anknüpfen, vor allem in Bezug auf Kleidung und Containern. Ich habe früher sehr viel Wert darauf gelegt, durch meine Kleidung als Teil der linken Szene erkennbar zu sein. Das hat sich geändert. Weil ich einem gewissen Dogmatismus zu oft begegnet bin. Mittlerweile diskutiere ich nicht mehr darüber, was „Links sein“ oder Feminismus bedeutet. Weder in der linken Szene noch im Musikbusiness bin ich als Transmann sichtbar. Ich werde zwar männlich gelesen, aber strukturelle Nachteile, die cis Frauen betreffen, haben meine Biographie geprägt und einige betreffen mich auch weiterhin noch. Dadurch habe ich auch gemerkt, dass Intersektionalität eher ein Schlagwort ist, ein Konzept, das sich gut vermarkten lässt. Es wird aber nicht umgesetzt oder gelebt. Ich erfahre unterschiedliche Diskriminierung, kann es mir aber nicht leisten, dogmatisch zu sein, weil ich dann nur Feind*innen hätte. In FLINTA*-Projekte wird jetzt Geld reingesteckt, aber ich beobachte da eine neue Binarität: „Männer und FLINTA*“. Trans Männer sind nicht glücklich, sich zwischen Männer und FLINTA* entscheiden zu müssen. Das, was Feminismus verändern will, finde ich gut. Aber die Art und Weise, wie das gerade passiert, finde ich so schrecklich, dass ich bei vielen Projekten nur noch für das Honorar mitmache.
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Containern bezeichnet das Mitnehmen von weggeworfener Ware aus Supermarkt- und Ladenmüllcontainern. Konsumkritik umfasst zum einen die Kritik an der Angewohnheit, sich mit Produkten oder Dienstleistungen zu identifizieren und das eigene Selbstwertgefühl oder Glücksgefühle darüber aufzubauen. Zum anderen ist damit aber auch die Kritik an dem Kauf nicht ‚nachhaltiger‘ oder unter besonders furchtbaren (‚unfairen‘) Bedingungen hergestellter Produkte gemeint. Diverse marxistische und rassismuskritische Gruppen und Einzelpersonen formulierten in den letzten Jahren Kritik an der Konsumkritik (vgl. u. a. Gegen Kapital und Nation 2005; Haupt 2018; Hourmazdi 2019).
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Das ist auch ein Punkt mit Klasse: Es geht auch um Freiräume in der Frage, was du alles mitmachen musst, um an Geld zu kommen. Dana Meyer: In dem, was du beschreibst, zeigt sich noch mal, wie sehr Klassismus in seiner Entstehungsgeschichte verwoben mit Sexismus und Rassismus ist (vgl. hooks 2020; Seng/Rezene/Drücker 2022). Es ist eine Ideologie, die dazu dient, Ausbeutung, Ausgrenzung und kapitalistische Strukturen zu legitimieren. Und genau diese Vorstellungen haben wir als Gesellschaft in hohem Maße verinnerlicht. Wir empfinden es als geradezu normal, dass es Menschen gibt, die reich sind und andere, die arm sind. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen wird fast schon als natürlich hingenommen. Dafür sorgen auch diese ganzen Mythen von Leistung: „Wer viel leistet, kriegt auch viel“, „Aufstieg durch Bildung“ usw. Diese Konstrukte sind in der gesamten Gesellschaft verinnerlicht. Nur diejenigen, die da anecken, kriegen es vielleicht mit, manche von ihnen aber auch nicht. Wieder andere schämen sich, weil sie denken „Oh, ich habe falsche Entscheidungen getroffen“ oder „Ich hab‘ versagt“. Das Gemeine am Klassismus ist, dass er die ganze Zeit stattfinden kann, ohne dass es einen großen Aufschrei gibt. Denn es ist auch tabuisiert über solche Dinge und insbesondere über (nicht vorhandenes) Geld zu sprechen. Das ist mit sehr viel Scham verbunden. Klassismus artikuliert sich zum Teil durch verbale und körperliche Gewalt, z. B. in Form von Mobbing an der Schule, dem Herumkritisieren an den persönlichen Kaufentscheidungen bis hin zu massiver Gewalt an wohnungslosen Menschen. Klassismus wirkt wie so viele Diskriminierungsformen aber auch strukturell und führt durch ein System sozialer Ungleichheit strukturell zur Spaltung der Gesellschaft, indem Klassenunterschiede produziert und reproduziert werden. Ich habe mir zur Vorbereitung heute noch mal alte Zitate von Gerhard Schröder angeschaut, als die Sozialreformen rund um „Hartz IV“ und die „Agenda 2010“ eingeführt wurden: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Diese Bilder über die vermeintlich faulen Erwerbslosen, die andere ausnutzen, sind die ganze Zeit immer noch sehr präsent. Es stimmt mich sehr nachdenklich, wenn ich mir vor Augen führe, wie verinnerlicht das für viele ist – bewusst und unbewusst. Das zeigen auch die Ergebnisse verschiedener Studien wie z. B. der „Mitte Studie“ (vgl. Zick/Küpper 2021). Die Internalisierung von Klassismus ist so normalisiert, dass ich mich als Individuum für mein Scheitern verantwortlich fühle. Dies setzt mich wiederum unter Druck, etwas in diesem System zu leisten, um anerkannt zu werden. Wenn ich es nicht schaffe, ist es meine eigene Schuld. Klassismus bedeutet auch dieses Individualisieren der Aufgabe ‚Klarkommen‘. Und ich kenne das auch bei mir selbst. Ich ertappe mich immer wieder selbst bei internalisierten, klassistischen Glaubenssätzen. Daher freue ich mich, wenn eben immer mehr Menschen dazu ins Gespräch kommen. Im Rap wird das ja schon gemacht, oder?
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Sir Mantis: Ich habe den Eindruck, es gibt diese mögliche Laufbahn im HipHop: In der Szene kannst du von deiner Armut erzählen. Wenn du das tust und damit Menschen erreichst, die auch arm sind, dann wollen diese dein Album. Sie entwickeln Kaufkraft. Du kannst reich werden, weil du von Armut erzählst. Das gilt aber vor allem für cis Männer, oft vor allem auch weiße Männer. Intersektionales Denken, also den Einbezug von Diskriminierungen wie Queerfeindlichkeit oder Ableismus scheint es im Rap nicht zu geben. Ich habe den Eindruck, sogar die Auseinandersetzung mit Rassismus wird wieder aus der Rap-Szene verdrängt. Das LineUp des Splash-Festivals ist zum Beispiel sehr weiß mittlerweile. Ich frage mich, ob Diversität zukünftig auf Parties und Festivals noch gewünscht oder eher als ‚Stimmungskiller‘ betrachtet wird. Aktuell scheint mir so ein ‚Lower Class Atzen Rap‘ angesagt: „Wir sind weiße Atzen, wir reden nicht drüber, dass wir weiß sind, weil wir machen den ganzen Tag Party, ziehen Kokain und haben kein Geld“. So können sich nur wenige Menschen auf Klassismus beziehen und ich finde das auch eine traurige Zukunftsperspektive für die HipHop-Szene. Andererseits ist das Bild von queerem Rap geprägt von Kostümen und Buntheit. Dahinter steckt oft viel Geld für die Outfits, aber auch für Videos. Das Ideal ist der US-amerikanische Queer-Rap. Am präsentesten in den Videos sind feminine Männer und Frauen. Butches oder trans Männer tragen aber meistens keine Kostüme. Das wird dann aber nicht als Queer-Rap gesehen. Die Erwartungshaltung an Queer-Rap ist, dass da glitzernde Kleider und feminine Menschen in aufwändig produzierten Videos auftauchen. Das können sich viele Artists gar nicht leisten. Als ich „sorry, not sorry“ veröffentlicht habe, hat ein bekannter deutscher Journalist über mich geschrieben, ich sei ein Akademiker aus einem Gender Studies-Studiengang und würde eben mit „sorry, not, sorry“ nur Menschen an Universitäten erreichen. Hätte er sich die Mühe gemacht, zu recherchieren, hätte er anhand der zwei Songs, die ich zu dem Zeitpunkt veröffentlicht hatte, erkennen können, dass ich kein Akademiker bin und hätte sich die peinliche Unterstellung erspart. Offensichtlich wird Klassismus besser bei cis Menschen erkannt. Es gibt keine Vorstellung davon, wie arme queere Menschen aussehen. Oder wie sie sprechen. Mir ist klar, dass ich mit meinen Bezügen auf die linke und die queere Bubble Ausschlüsse produziere. Aber das passiert in anderen Rap-Texten auch, durch die Verwendung von Slang. Es gibt einen Unterschied zwischen Sprach-Codes in Szenen und Ausschlüssen durch Akademiker*innen-Sprache. Ich wurde also aufgrund der Kombination – queer, weiß, Mann – als Akademiker gelesen. Das hat mich verletzt. Ich habe noch nie ein Kleidungsstück gekauft, das mehr als 20 Euro gekostet hat. Kleiderkreisel hilft. Das ist eine Angewohnheit aus meiner Zeit im Heim. Ich hatte damals nur 35 Euro für Kleidung zur Verfügung. Viel besser lebe ich mit Hartz IV aber auch nicht. Ich gebe nicht mehr als 20 Euro pro Monat für Kleidung aus. Wenn ich etwas kaufe, dann ist es gute Markenkleidung, die jemand billig verkauft. Ich habe keine Lust, arm auszusehen. Ich sehe auch
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nicht reich aus. Ich habe meine Bühnenkleidung, das ist Markenkleidung von Kappa. Kappa ist aber auch nicht die teuerste Markenkleidung. Dana Meyer: Kappa gibt es bei Kaufland und Real. Deshalb ist es bei einigen sehr beliebt. Es ist auch erreichbar: Eine Marke, die es im nahegelegenen Supermarkt gibt. Bei anderen gilt Kappa aber auch als peinliche Marke. Die Kleiderwahl ist oft mit Scham oder Schuld besetzt. Hier sehen wir die Gleichzeitigkeit der Diskurse: Einerseits findet eine Abwertung von Menschen statt, die bei Primark, KiK oder Takko einkaufen, weil sie mit Billigkleidung assoziiert werden. Für viele Menschen sind diese Läden aber eine echte Chance, sich halbwegs coole Modekleidung zu besorgen, mit der sie weniger auffallen und nicht abgewertet werden. Wenn sich Menschen mit geringem Einkommen aber teure Markenprodukte kaufen, wird ihnen auch das gern vorgeworfen. Ihnen wird dann vermittelt, sie hätten das Geld auch sinnvoller einsetzen können. Dass gerade der mühsam ersparte Kauf von Markenklamotten die Funktion hat, Selbstwert und Selbstbestimmung zu erfahren, wird dabei übersehen. Andererseits gibt es aber eben auch die globale Dimension: Menschen werden weltweit für die Herstellung von Kleidung massiv ausgebeutet. Diese Gleichzeitigkeiten machen die Komplexität deutlich. Sir Mantis: Ich mag an HipHop, dass die Person ein Vorbild ist, die es geschafft hat, ihre eigene Position im System zu verbessern.4 Das kann dann auch eine Motivation für andere sein. Ich finde es auch empathisch, Aufsteiger*innen den Luxus zu gönnen. Allerdings hat das auch eine Kehrseite, wenn Rapper*innen, die jetzt erfolgreich sind, arme Menschen in ihren Texten oder Interviews dissen. Ich frage mich, warum sie das tun, wenn sie selbst von ‚ganz unten‘ kommen. Dennoch finde ich es großartig, dass man durch Geschichten über Armut reich werden kann. Ich finde es gut, wenn Leute die Lücken im System nutzen. Dana Meyer: Das kann für die einzelnen Künstler*innen funktionieren, aber wenn ich den Gesamtzusammenhang betrachte, stellen sich mir Fragen wie: Wer arbeitet in der Musikbranche? Wie sind die Labels und Verlage besetzt? Die Branche funktioniert nach den gleichen Logiken von Whiteness, Klassismus und Sexismus wie alle anderen Branchen auch. Ich finde es sympathisch, wenn du sagst: „Ich kann über Armut rappen und kriege dafür Geld. Das soll so bleiben.“ Dennoch: Du hast vorhin eine Lebensrealität beschrieben, die eigentlich komplett intersektional betrachtet werden muss. Insofern als Frauen*, nichtbinäre Personen, queere Menschen, PoCs, von Ableismus betroffene Menschen häufiger
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Diese Dynamik in der Rap-Szene und die Begeisterung für „Aufsteiger*innengeschichten“ beschreiben auch Martin Seeliger (2021) und Heidi Süß (2021). Süß verweist ebenso darauf, dass es sich hier vorrangig um männliche Karrieren handelt.
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von Armut und Klassismus betroffen sind (vgl. dazu auch Mendivil/Sarbo 2022). Man kann das eine nicht ohne das andere denken und besprechen. Sir Mantis: Ich finde es auffällig, wie sich die Schüler*innenschaft an verschiedenen Schulen zusammensetzt, dass Weiße mehrheitlich auf Gymnasien gehen und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, eher nicht. Es gibt das Vorurteil, dass es diese Verteilung in den USA gibt, in Deutschland aber nicht. Ich kenne das auch aus eigener Beobachtung an meinen Schulen. Ich war mit vielen PoCs auf einer Berufsschule. Meine Mitschüler*innen waren nicht dumm, sie hatten keine kognitiven Einschränkungen. Sie waren einfach Kinder von Gastarbeiter*innen, die in ihren vorherigen Schulen sehr viel Rassismus erfahren haben und darauf mit Opposition reagierten. Auf der berufsbildenden Schule gaben sich die Lehrer*innen Mühe, die Namen richtig auszusprechen. Sie stellten keine dummen Fragen zur Herkunft, machten keine blöden rassistischen Kommentare oder Witze. Sie haben tatsächlich versucht, die Jugendlichen zu erreichen. Das war eine wichtige Erfahrung für mich: Wir waren da als Weiße in der Minderheit, aber weiße Privilegien sind auch in solchen Räumen präsent. Dana Meyer: Leider erleben Jugendliche auch im Kontext Schule häufig Rassismus und Klassismus. Gleichzeitig gibt den Mythos vom „Aufstieg durch Bildung“. Angeblich ist Erfolg an Leistung geknüpft. Das entspricht jedoch nicht der Lebensrealität von so vielen Kindern und Jugendlichen. Zu diesen Themen gibt es hilfreiche Materialien und Fachliteratur.5 Sir Mantis: Eine Statistik, die den Zusammenhang von Einkommen, Bildungsgrad und der Identifikation als nichtbinär untersucht fände ich auch spannend. Meine Vermutung wäre: Je niedriger der gesellschaftliche Status, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Menschen mit dem Konzept der Mehrgeschlechtlichkeit überhaupt in Kontakt kommen. Deshalb identifizieren sich vermutlich viel weniger Menschen, die arm sind als nonbinär. Der Zugang zu diesem Thema ist sehr akademisch. Damit will ich die Existenz von Nichtbinarität gar nicht in Frage stellen: Im Gegenteil, ich glaube, dass sie existiert und würde daher gerne sehen wollen, welches Bewusstsein (sowie Identifikationsmöglichkeiten) es dafür in welchen gesellschaftlichen Schichten gibt. Dana Meyer: Klassismus als Begriff tauchte immer wieder in aktivistischen Kontexten auf. Zum Beispiel bei der Essay-Sammlung der Furies „Class & Feminism“ (Bunch 1974). Und doch erscheint mir auch die politische Bildung selbst oft auf verschiedenen Ebenen klassistisch handelnd. Zum Beispiel beginnt es mit der
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Siehe Literaturverweise am Ende dieses Textes.
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Frage, wer eigentlich in der politischen Bildung arbeitet. Mit einem Bachelor wird man für viele Stellen schlichtweg nicht besetzt. Oder Menschen werden angestellt, weil ihre Fähigkeiten erkannt werden, erhalten dann aber schlechtere Entlohnung auf der Grundlage ihrer Abschlüsse. Es ist schon problematisch, wenn das im Kontext von Antidiskriminierungsarbeit so läuft. Flächendeckende Einheitslöhne wären vielleicht ein spannender Versuch. Auf jeden Fall sollten Menschen in der gleichen Position, mit gleichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten nicht unterschiedliche Löhne bekommen. Eine weitere wichtige Frage ist, wer überhaupt Zugang zum Feld der politischen Bildung hat. Ohne Studienabschluss dürfen Menschen oft weder Teamer*innen sein, noch sich auf Stellen als Bildungsreferent*in bewerben. Die politische Bildungslandschaft schreibt sich Diversität und Antidiskriminierung auf die Fahne, produziert aber selbst Ausschlüsse. Auch der Umgang im Team ist oft fragwürdig. Ich beobachte in Bildungsstätten immer wieder, dass Bildner*innen auf das Reinigungsteam oder das Küchenpersonal herabschauen und sie nicht als gleichsam zum Team zugehörig empfinden. Das passiert meist sogar unbewusst und zeigt sich darin, dass mit ihnen anders umgegangen wird, sie weniger Aufmerksamkeit bekommen, sie in Teamweiterbildungen nicht dazu gehören oder zum Teil richtig unsichtbar für andere sind. Als weitere Ebene stelle ich mir die Frage, wie politische Bildung sich auch inhaltlich klassismuskritisch gestalten kann. Es empfiehlt sich, politische Bildung zum Thema „Nachhaltigkeit“ nicht mit erhobenem Zeigefinger und moralischen Appellen zu gestalten. Statt Sätzen wie: „Kauf auf jeden Fall nicht die billige Kleidung“, sollte man im Rahmen einer klassismuskritischen politischen Bildung die Zielgruppe im Auge behalten. Viele Jugendliche werden von moralischen Appellen gar nicht erreicht oder fühlen sich zusätzlich beschämt: Sie sind arm oder an der Armutsgrenze und nun wird ihnen auch noch der Vorwurf gemacht, verantwortungslos zu sein. Wenn gutsituierte politische Bildner*innen, die schon als Kinder den Luxus hatten viel zu reisen, jetzt diejenigen kritisieren, die mit ihren Familien für Familienbesuche in die Türkei oder den Sudan fliegen, ist das besonders bitter. Häufig mussten die Familien gerade dieser Jugendlichen jahrelang sparen, um die Reise überhaupt antreten zu können. Dabei steigt nachweislich die Umweltbelastung mit einem höheren Einkommen.6 Vielversprechender wäre daher ein Zugang, der Handlungsoptionen für verschiedene sozioökonomische Ausgangslagen aufzeigt. So können sich alle Teilnehmenden entsprechend ihrer eigenen Positionierung Impulse für ihren Alltag mitnehmen. 6
„Wer mehr verdient, lebt meist umweltschädlicher. Das liegt zum Beispiel daran, dass Besserverdienende häufiger mit dem Auto fahren, mehr Flugreisen unternehmen und größere Wohnflächen nutzen.” (Umweltbundesamt 2021; vgl. auch Schmollack 2019).
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Sir Mantis: Je ärmer Menschen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie für ihre Konsumentscheidungen kritisiert werden. Da gibt es verschiedene Varianten: „Warum bist du arm und steckst Geld in so einem Konzern? Du kannst doch gar nicht so arm sein, oder?“ Aber auch: „Wie kannst du nur das billige Zeug kaufen? Das ist doch nicht vertretbar!“ Ich habe das Gefühl, dass Kaufentscheidungen von armen Menschen immer anfechtbar sind. Inzwischen ist mir persönlich das egal, ich höre das von meinen Freund*innen auch nicht. Aber für meine Mutter zum Beispiel ist es immer noch Alltag. Wenn eine arme Person sich ein neues Auto kauft, ist es sofort Gegenstand vom DorfTratsch. Dana Meyer: Francis Seeck hat in einem Interview genau das beschrieben: Arme Menschen haben scheinbar kein Recht auf Glück, auf jeden Fall kein Recht auf Freude über eine Konsum-Entscheidung (vgl. Rahel 2022; Klovert 2022). Viele dieser Entscheidungen werden von Anderen bewertet. Die Rationalität bei Kaufentscheidungen wird vor allem bei Menschen mit wenig Geld in Frage gestellt. Dabei sind Kaufentscheidungen immer subjektiv. Die Bewertungsgrundlage ist immer die eigene Lebensrealität. Was Menschen wichtig ist, ob Kleidung, Autos oder Sport, ist verschieden. Selbst wenn Menschen Fehlentscheidungen treffen, müssen sie letztendlich selbst die Konsequenzen tragen. Prekarisierten Menschen wird dies aber oft abgesprochen und sie werden behandelt, als wenn sie nicht wüssten, was sie tun. Das ist eine Vorstellung von Ungleichwertigkeit. Sir Mantis: Es klingt fast, als würde man Menschen einen Vormund wünschen, der ihre Ausgaben überwacht und kritisiert. Ich kenne das aus meiner Jugendeinrichtung. Da war die Berechnungsgrundlage, dass wir mit fünf Euro pro Tag auskommen sollten. Das ist der Hartz IV-Satz. Ich kenne niemanden, der so mit den eigenen Finanzen umgeht: alle laufenden Kosten abziehen, das tägliche Budget berechnen, notieren, was man konsumieren will und dann gucken, ob es ins Budget passt. Auch auf Hartz IV möchte ich manchmal einfach Cocktails trinken oder Essen gehen und dann ist der Kontostand schon vier Tage vor Monatsende bei Null. Ich habe das Glück, in einer WG zu wohnen, kann dann also trotzdem essen. Oft fehlen Hartz IV-Empfänger*innen wichtige Informationen wie die, dass sie mit einer Ehrenamtspauschale anrechnungsfrei bis zu 250 Euro dazu verdienen dürfen. Mit ca. 650 Euro im Monat lebt es sich deutlich entspannter. Ich habe den Eindruck, die Information wird absichtlich vorenthalten, damit die Leute mehr Druck haben, sich wieder einen Job zu suchen. Als ob das so einfach wäre. Was können Sozial- und Jugendarbeiter*innen von euch lernen für eine klassismussensible Jugendarbeit zum Thema HipHop?
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Dana Meyer: Ich würde dazu raten, eigene privilegierte und de-privilegierte Verflechtungen wahrzunehmen, sich in Bezug zu setzen und Schlussfolgerungen für sich und die eigene Praxis zu ziehen und anerkennen, dass es Klassismus gibt. Es geht darum, sich mit dem eigenen Blick auf die Welt auseinanderzusetzen. Wie man die Welt wahrnimmt, hängt von der eigenen Position und eigenen Erfahrungen ab. Man kann aber versuchen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Für diesen Prozess ist es hilfreich, nicht nur mit Menschen aus der eigenen ‚Bubble‘ zu sprechen, kritische Fragen zu stellen, vielleicht auch einmal ein Jobsharing im Team durchzuführen. Schaut euch an, mit wem ihr zusammenarbeitet. Auch aus Rap-Texten lässt sich viel lernen, wenn man genau hinhört. Diese bieten auch die Gelegenheit, mit Jugendlichen zu Klassismus ins Gespräch zu kommen. Wichtig für das Gelingen finde ich, ein authentisches Interesse und eine Begegnung auf Augenhöhe. Sir Mantis: Die materiellen Voraussetzungen für Workshops sollten betrachtet werden. Ein Tonstudio im Jugendclub mit teurem Equipment ist für die Jugendlichen natürlich eine tolle Erfahrung. Aber teure Technik und Software können auch eine Barriere schaffen. Freeware, also kostenfreie Software, können die Jugendlichen auch zuhause weiter nutzen. Die Auseinandersetzung mit dem Material, das im Workshop zur Verfügung gestellt wird, ist wichtig. Jugendliche, die in den Jugendclub kommen, wollen dieselben Chancen haben wie reiche Jugendliche. Also bieten wir leistungsfähige Rechner, gute Mikrofone und ein gutes Interface an. Es ist aber wichtig, parallel auch die Freeware vorzustellen. Das gibt den Jugendlichen die Unabhängigkeit, auch zuhause an ihren Ideen weiterarbeiten zu können. Sie können in den Jugendclub kommen, müssen aber nicht. Die Hardware ist oft teuer und für die Jugendlichen unerschwinglich, aber neben der Freeware gibt es auch günstig angebotene Software. Oft habe ich das Gefühl, dass die Frage in den Jugendeinrichtungen zu wenig durchdacht wird: Welche Technik verwenden wir zum Beispiel für einen RapWorkshop? Welche Technik ermöglicht den Jugendlichen, auch zuhause einen Beat zu bauen, mit dem sie im Jugendclub weiterarbeiten können? Im Workshop ist das Ziel, Möglichkeiten zu eröffnen, einen Ort zu schaffen und zu gestalten, aber wenn man nicht gut plant, schafft man Abhängigkeiten. Die Ideen sollten sich an den Bedürfnissen der Jugendlichen, auch getrennt vom Jugendclub, orientieren. Manchmal ziehen Jugendliche um oder hören auf, in den Jugendclub zu kommen. Wenn sie nicht gelernt haben, wie sie auch allein arbeiten können, ist das im schlimmsten Fall das Ende für ihr Hobby. Das sollte nicht passieren. Mein Tipp wäre es, Räume nachhaltig zu gestalten. Das bedeutet, dass ein Teil der Technik auch von zu Hause zugänglich ist. So mache ich das auch bei meiner Arbeit im Heizhaus Leipzig (Soziokulturzentrum mit Skatehalle). Wir ha-
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ben das teuerste Equipment, wir haben ein gutes Mikrofon, wir haben ein Universal Audio Interface. Aber die Software, mit der ich arbeite, ist kostenfrei erhältlich. Ich arbeite mit einem Vital-Synthesizer, den man sich einfach herunterladen kann. Ich arbeite z. B. mit Spitfire Labs. Das sind virtuelle, kostenfreie Instrumente, die sich jede*r runterladen kann. Es gibt viele gute Möglichkeiten. Als Musiker*in ist es frustrierend, arm zu sein und noch mehr, wenn der Sound ‚nach Armut‘ klingt. Es ist aber genauso frustrierend, arm zu sein und das Gefühl zu haben, ohne die krasse Technik gar nicht arbeiten zu können. Der Gedanke, dass man nichts Gutes produzieren kann ohne teure Technik, sollte sich bei den Jugendlichen nicht durchsetzen. Also empfehle ich Jugendclubs a) eine sinnvolle Investition, um einen guten Standard zu sichern plus b) die kostenlosen SoftwareSachen, die bereits einen guten Standard erfüllen. Fast jede*r hat einen Rechner oder ein iPad zu Hause und mit kostenfreier Software kann jede*r zu Hause Musik machen. Hardware ist sowieso für Profis. Am wichtigsten ist es, Impulse zu setzen. Wenn in Technik investiert werden kann, dann würde ich das auch tun, um den Jugendlichen diese Erfahrung zu ermöglichen. Aber die Workshops sollten nicht davon abhängig sein. Dana Meyer: Vielen Dank, Sir Mantis, das ist sehr spannend. Noch ein Gedanke: Gerade in der klassismuskritischen Jugendarbeit würde ich mir wünschen, dass nicht einfach davon ausgegangen wird, dass Jugendliche aus armen Familien HipHop-Workshops wollen. Das ist auch ein Klischee: „Alle von Klassismus Betroffenen hören gern Rap.“ Alle Kinder und Jugendlichen sollten gefragt werden, welche Angebote sie sich wünschen. Vielleicht wollen sie sich auch auf anderem Wege künstlerisch-kreativ ausdrücken. Es gibt viele Annahmen über von Klassismus betroffene Menschen. Ich finde es gelungener, Jugendliche als Individuen zu betrachten, mit unterschiedlichen Perspektiven, die ihnen oft abgesprochen werden. Zu fragen, was sie interessiert, heißt wirklich auf Augenhöhe kommunizieren. Es gibt mittlerweile einiges an Fachliteratur und Readern zu Klassismus. Dort lassen sich viele Tipps für pädagogische Fachkräfte finden, Methoden und Übungen, aber auch Anregungen zur Selbstreflektion. Hilfreiche Methoden der klassismuskritischen, antikapitalistischen Bildungsarbeit bieten zum Beispiel Die Falken (2019). Sir Mantis: Thema „Geld“! Arme Menschen haben kein Geld. Im sozialen Studium lernt man Träger kennen, erfährt, wie man Fördergelder bekommt und erlangt auch im Laufe des Berufslebens eine Menge Erfahrung in Bezug auf das Verfassen von Anträgen. Davon sollten die Jugendlichen profitieren. Es kann zum Beispiel versucht werden, die Jugendlichen im Jugendclub finanziell zu unterstützen, wenn sich eine Rap-Crew formiert. Auch sollten Jugendliche, die bei Konzerten im Jugendclub auftreten, honoriert werden. Ich werde oft von Jugendzentren eingeladen als Act. Auf dem Konzert treten die Jugendlichen vor mir auf, bekommen aber
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keine Gage für den Auftritt, selbst dann nicht, wenn es eine gute Förderung gibt. Das ist besonders fatal, wenn zusätzlich zu der Intersektion Klasse auch nur weiße cis Männer auftreten, die die Sozialarbeiter*innen so toll finden, weil sie politisch korrekt sind und dafür Geld bekommen. Während z. B. die BIPoC-Kids aus dem Jugendclub ebenfalls auftreten, zum Teil wirklich gut rappen, aber gar kein Geld bekommen. Ich fände es besser, die Auftritte der Jugendlichen würden auch materiell honoriert. Ein anderer wichtiger Punkt: Jugendliche sollten bei Konzerten im Jugendclub mitentscheiden, welche Acts eingeladen werden. Oft tendieren Sozialarbeiter*innen dazu Rapper*innen mit Vorbildfunktion einzuladen, die politisch korrekt sind. Die sprechen aber die Teamer*innen mehr an als die Jugendlichen. Dana Meyer: Genau, lasst die Jugendlichen mitentscheiden, wen sie einladen wollen. Ich würde empfehlen, den Jugendlichen zu ermöglichen, sich in Entscheidungsprozesse mit einzubringen. Das kann ein toller Lernraum für Aushandlungsprozesse und Entscheidungsfindungen sein. Ich erinnere mich an ein Partizipationsprojekt, das ich in Essen begleitet habe. Da hatten die Jugendlichen ein fixes Budget und haben davon selbstständig ein politisches Festival organisiert und die Bands eingeladen. Am Ende war die Location voller junger Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzten und die Veranstaltung ein großer Erfolg für die Jugendlichen. Sir Mantis: Genau das ist der Punkt. Wenn möglich, sollten Jugendlichen die Gelegenheit bekommen, mit einem eigenen Budget ihre Ideen umzusetzen. Vor allem, wenn sie bereits Kunst machen. Das kann allerdings eine Herausforderung bei der Abrechnung darstellen. So ein von Jugendlichen organisiertes Festival ist aber immer eine Option. Wenn die Jugendlichen wissen wollen, wie Anträge funktionieren, seid transparent. Nehmt sie mit auf die Reise. Handlungsfähigkeit ist einfach das A und O. Es gibt auch Jugendliche, die Spaß an Papierkram haben. Die meisten nicht, aber einige vielleicht doch?!
Literatur Bunch, Charlotte (1974): Class and feminism. A collection of essays from the Furies. Baltimore: Diana Press. Gegen Kapital und Nation (2005): Kritik der Konsumkritik. gegen-kapital-und-nation.org/kritik-derkonsumkritik/ (Abfrage: 28.12.2022). Haupt, Sebastian (2018): Die Schwäche der Konsumkritik. katapult-magazin.de/de/artikel/die-schwaeche-der-konsumkritik (Abfrage: 28.12.2022). hooks, bell (2020): Die Bedeutung von Klasse. 1. Auflage. Münster: Unrast. Hourmazdi, Banafshe (2019): Warum Minimalismus ein Privileg ist. www.funk.net/channel/softie11990/warum-minimalismus-ein-privileg-ist-1624412 (28.12.2022).
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Informationsverbund Asyl und Migration (o.D.): Pflichten von Schutzsuchenden während des Asylverfahrens. www.asyl.net/themen/asylrecht/asylverfahren/pflichten-von-asylsuchenden (Abfrage: 27.12.2022). Klein, Rahel (2022): Sozialwissenschaftler*in Francis Seeck: „Wir waren reich an Wissen und Bildung und arm an Geld". www.deutschlandfunknova.de/beitrag/sozialwissenschaftler-in-francis-seeckwir-waren-reich-an-wissen-und-bildung-und-arm-an-geld (Abfrage: 22.12.2022). Klovert, Heike (2022): Wer arm ist, ist selbst schuld? Habitus und Einkommen: Daran zeigt sich, zu welcher Klasse wir gehören. Was Klassismus mit uns macht und was wir dagegen tun können. www.spiegel.de/psychologie/klassismus-wer-arm-ist-ist-selbst-schuld-soziale-herkunft-undihre-folgen-a-e287983d-c678-4cc4-8332-fc140d7d76be (Abfrage: 22.12.2022). Mendívil, Roldán/Sarbo, Bafta (2022): Die Diversität der Ausbeutung. 1. Auflage. Berlin: Dietz. Seeck, Francis (2022): Zugang verwehrt. Keine Chance in der Klassengesellschaft: wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert. 1. Auflage. Zürich – Hamburg: Artrium. Seeliger, Martin (2021): Soziologie des Gangstarap. Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte. 1. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Seng, Sebastian/Rezene, Dyana/Drücker, Ansgar (2022): Klassismus und Rassismus. Dimensionen einer vielschichtigen Intersektion. www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/2022_Klassismus_Rassismus.pdf (Abfrage: 22.12.2022). Sozialistische Jugend – Die Falken (2019): Antikapitalistische Pädagogik. Methodenordner. www.wirfalken.de/de/e/dct/4760/download (Abfrage: 16.11.2022). Striessnig, Erich/Mair, Nadine Vera/Riepl, Tobias Johannes Silvan (2021): Green Family. Generationengerechtigkeit im Wandel. population-europe.eu/files/documents/dp_14_green-family.pdf (Abfrage: 22.12.22). Schmollack, Simone (2019): Öko ist (k)ein Luxusproblem. Ökobilanz und Einkommen. www.taz.de/Oekobilanz-und-Einkommen/!5624373/ (Abfrage: 22.12.2022). Umweltbundesamt (2021): Mit höherem Einkommen steigt die Umweltbelastung. www.umweltbundesamt.de/themen/hoeherem-einkommen-steigt-die-umweltbelastung (Abfrage: 22.12.2022). Süß, Heidi (2021): Eine Szene im Wandel? Rap-Männlichkeiten zwischen Tradition und Transformation. 1. Auflage. Frankfurt am Main und New York: Campus. Zick, Andreas/Küpper, Beate (2021): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. 1. Auflage. Bonn: J.H.W. Dietz.
Weitere Literaturempfehlungen zum Thema „Klassismus“ Abou, Tanja (2017): Klassismus oder was meine ich eigentlich, wenn ich von Klassismus spreche? Eine Annäherung. www.vielfalt-mediathek.de/material/zusammenleben-in-der-migrationsgesellschaft/klassismus-oder-was-meine-ich-eigentlich-wenn-ich-von-klassismus-spreche-eine-annaeherung (Abfrage: 02.01.2023). Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Derman-Sparks, Louise/Edwards, Julie Olsen (2010): Lernen über sozioökonomischen Status & Gerechtigkeit. In: Derman-Sparks, Louise & Olsen Edwards, Julie (2019): Anti-Bias Education for Young Children and Ourselves. NAEYC: Washington, S.101–111. Kemper, Andreas/Weinbach, Heike (2009): Klassismus. Eine Einführung. Münster: Unrast. Kemper, Andreas (2016): Klassismus. Eine Bestandsaufnahme. library.fes.de/pdf-files/bueros/erfurt/12716.pdf (Abfrage: 02.01.2023). Koné, Gabriele (2019): Armutssensibles Handeln in der Kita. In: Welt des Kindes 1/2019, S. 16–19. Theißl, Brigitte/Seeck, Francis (2022): Solidarisch gegen Klassimus – organisieren, intervenieren, umverteilen. Münster: Unrast. Wagner, Petra (2006): „Warum sagt Aschenputtel denn nichts?“ Soziale Ungleichheit und vorurteilsbewusste Bildung in Kindertageseinrichtungen. kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/kindermit-besonderen-beduerfnissen-integration-vernetzung/sozial-benachteiligte-kinder/1679 (Abfrage: 02.01.2023).
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Reader und Materialien Arzouni, Salma (2018): Faktencheck. Klassismus in Organisationen. deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/03/dplus-faktencheck-klassismus.pdf (Abfrage: 02.01.2023). Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben e. V.: Klassismus in der Arbeitswelt arbeitundleben.de/images/download/Broschuere_Klassismus.pdf (Abfrage: 02.01.2023). Migrazine 2014/2. Let’s talk about: Klassismus. www.migrazine.at/ausgabe/2014/2 (Abfrage: 02.01.2023). Nguyễn, Tú Qùynh-nhu/Schnitzler, Sarah (2021): Klassismuskritische Mädchen*-Arbeit. www.ag-maedchen-freiburg.de/wp-content/uploads/Broschuere_klassismuskrit.maedchenarbeit_AGM_ 2021_web.pdf (Abfrage: 02.01.2023). Plakat zu Klassismus: heimatkunde.boell.de/sites/default/files/plakat_klassismus.pdf (Abfrage: 02.01.2023). Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage: Klassismus. www.schule-ohne-rassismus.org/themen/klassismus/ (Abfrage: 02.01.2023).
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Die Frau im HipHop, das unbekannte Wesen DJ Freshfluke
Für Daphne Oram, die als erste Person die Sounds mit Techniken manipulierte, die wir als DJs immer noch anwenden.
„Immer wieder lesen wir, dass Frauen nichts erfinden konnten, weil sie von Männern unterdrückt wurden. Aber eigentlich ist dieses Bild falsch. Frauen haben immer sehr viel erfunden, aber weil sie unterdrückt wurden, weiß das heute kaum noch jemand.“ (Weidenbach 2022, S. 27 ff.).
Die Geschichte von Geschlecht im HipHop ist eine Geschichte voller Missverständnisse – und als sogenannte*r ‚Szenegänger*in‘ habe ich mich angesichts der medialen Darstellung von HipHop immer wieder gefragt: Warum fragt niemand nach, warum schaut keine*r hin und warum interessiert sich kaum jemand wirklich für die Vielfalt der Angebote von Geschlechterrollen im HipHop? In der stereotypen Darstellung von HipHop findet sich vor allem das Narrativ des genuin sexistischen, homophoben HipHops – und es geht dabei in aller Regel nicht um Differenzierung, gesellschaftliche Zustände, das Patriarchat an sich. Man hat mit HipHop einen willfährigen ‚Bösewicht‘ gefunden, auf den man mit dem Finger zeigen kann, um zu vermeiden, sich und die eigene internalisierte sexistische Haltung zu reflektieren und aktiv zu verlernen. Und meistens ist dann auch nicht mal HipHop als Kultur gemeint, sondern lediglich die Disziplin Rap. Auch das: ein Medienproblem. Eine Anmerkung vorweg: Ich spreche im Folgenden von Frauen. Mit diesem Begriff beschreibe ich die Sozialisation und die gesellschaftliche Rolle, die Menschen zugeschrieben wird, nicht die Vorstellung einer vermeintlich ‚natürlichen‘ oder irgendwie ‚biologischen‘ Weiblichkeit. Ich möchte allerdings darstellen, dass Menschen, die (ob sie das wollen oder nicht) unter ‚Frauen‘ subsumiert werden, noch immer ganz bestimmte gesellschaftliche Erwartungen und Anforderungen zu erfüllen haben, denen sie nur schwer entkommen können. So weit, so schlecht – fangen wir von vorne an.
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Wer hat’s erfunden? Lange Zeit lief es so: Jemand fragte nach den Anfängen von HipHop und es wurden eine Handvoll Männer genannt. Erst langsam rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dass von Anfang an Frauen ihren Anteil an der Entstehung und Entwicklung von HipHop hatten – genau genommen beginnt das schon mit dem Gründungsmythos. HipHop hat tatsächlich einen Geburtstag - zumindest wird ein bestimmtes Datum gerne als „Geburtsstunde von HipHop“ bezeichnet aufgrund eines Flyers, der laut ‚Urban Legend‘ die Zeit überdauert hat. Fest steht jedenfalls, dass am 11.08.1973 eine gewisse Cindy Campbell den Rec Room in der 1520 Sedgwick Avenue anmietete, um dort eine Party mit dem Titel „Back to School Jam“ zu veranstalten (vgl. Hesterbrink 2022). Cindys Initiative, Cindys Party – und Cindys Bruder, den sie bat, dort als DJ aufzulegen. Jener Bruder wartete mit innovativen DJTechniken auf, die die Leute begeisterten. Der Name von Cindy Campbells Bruder wird seither immer wieder im Zusammenhang mit dem Gründungsmythos genannt – aber ohne Cindy hätte es diese Party nicht gegeben. Auch im weiteren Verlauf der Karriere ihres Bruders spielte Cindy eine wichtige Rolle: Sie kümmerte sich um seine Medienauftritte, verhandelte z. B. seine Rolle im Film „Beat Street“ oder die Cover Story im Source Magazin und kümmerte sich auch um seine Show-Outfits. Diese Fakten sind vielen HipHop Heads schon lange bekannt, aber Cindy Campbell bekam als schwarze Frau erst mehr mediale Aufmerksamkeit als sowohl Feminismus (durch die Diskussionen, die seit 2017 durch #MeToo ausgelöst wurden), als auch Antirassismus (durch die Diskussionen, die ab 2020 durch #BlackLivesMatter ausgelöst wurden) gesamtgesellschaftlich wieder an Bedeutung in der öffentlichen Diskussion gewannen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Frauen von Anfang an mitmischten, ist Roxanne Shante, die 1985 – als einzige Frau – und gerade 15 Jahre alt, am MC Battle for Supremacy teilnahm. Zu ihrer Überraschung gab es bei diesem MC Battle for Supremacy keine Eliminierungsrunden (ähnlich den Vorrunden bei FußballTurnieren). Stattdessen musste sie gegen jeden einzelnen der anderen zwölf – ausnahmslos männlichen – MCs battlen. Mutig, selbstbewusst und mit durchgehend hohen Bewertungen stürmte sie geradezu durch die Battles. Schon fast heiser wähnte das Publikum und sie selbst sich auch im finalen Battle in Führung – bis sich ein einzelner Richter aus der vierköpfigen Jury bewusst für eine niedrige Note entschied, um Roxanne Shante den Sieg in voller Absicht zu nehmen. Dass ein 15jähriges Mädchen als beste Rapperin die junge Bewegung ‚anführen‘ könnte, war für einzelne Männer offensichtlich außerhalb des Vorstellbaren und ‚Erlaubten‘ (vgl. ABC News 2021). Das Battle kann man sich heute noch anhören – inklusive der Buh-Rufe des Publikums, nachdem die Judges ihre Bewertung gezeigt haben (vgl. Tape Deck Wreck 2017).
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Ebenfalls 15 Jahre alt war Gangsta Boo, als sie in den frühen 1990er Jahren den neuen und radikalen Sound des „Dirty South“ mitprägte (vgl. Blackburn 2023). Den kommerziellen Erfolg werden ein Jahrzehnt später jedoch wieder Männer einfahren. Sylvia Robinson war Mitgründerin und CEO des Labels Sugarhill Records, das 1980 mit „Rapper‘s Delight“ den ersten HipHop Track veröffentlichte, der die Charts erreichte (vgl. Bayer Mack 2015). Der Bildband „Subway Art“ aus dem Jahre 1984 von Martha Cooper dokumentiert Graffiti in New York in der Entstehungszeit und gilt heute als Standardwerk (vgl. Kapp 2021). Die Mercedes Ladies mit den Mitgliedern Baby D (D’Bora), Sheri-Sher, RD Smiley, Zina-Zee, DJ LaSpank, Eve-a-Def, Sweet P und Sty-Sty gründeten sich 1976 als ‚All Female Crew‘ inklusive DJs und standen in den 1980er Jahren mit allen männlichen Größen des Jahrzehnts auf einer Bühne (vgl. That Historian 2021). Aus dem Nähkästchen: Als ich 2017 in einem Vortrag (vgl. Sample Music Festival 2017) mit dem Titel „Female DJs yesterday, today, tomorrow“ im Rahmen des Sample Music Festivals die Mercedes Ladies als ‚All Female Crew‘ erwähnte, konnten nur wenige Menschen etwas mit dem Crew-Namen anfangen, obwohl sie bereits 2000 den Hip Hop Heritage Award von icast.com erhielten und Crew Mitglied Sheri Sher 2008 ihr Buch „Mercedes Ladies – Her Story“ veröffentlicht hatte (vgl. Sheri Sher 2008). Das ist nur die Spitze des Eisbergs: Eine gute Übersicht über die zahlreichen Rapperinnen in den USA bis 1990 hat u. a. DJ Jee-Nice erstellt (vgl. Jee Nice 2005). Im stilprägenden Film „Beat Street“ (1984) rappt die ‚All Female Crew‘ Us Girls, im ebenfalls stilprägenden Film „Wildstyle“ (1982) sprüht Lady Pink Graffiti (vgl. monstercolors 2010). Eine Frau – Eva Ries – wurde 1993 Managerin des möglicherweise bekanntesten HipHop Clans (vgl. Scheuner 2022). Wir sehen an diesen vergleichsweise prominenten Beispielen: Frauen im HipHop waren in all ihrer Unterschiedlichkeit schon immer aktive Protagonistinnen der HipHop-Kultur – oder um Sha-Rock, eins der Mitglieder der Us Girls, zu zitieren: „Female HipHop MCs were always on the front line“ (ABC News 2021).
Wer. Macht. Kultur? Wer. Macht. Kultur. Nicht? Wir hörten, lasen, sahen jedoch in der Vergangenheit viel mehr männliche Perspektiven und Geschichten im Rap und in den begleitenden Medien und daran ändert sich auch jetzt nur langsam etwas. Um zu verstehen, warum Frauen eine geringere Sichtbarkeit im HipHop haben, müssen wir den Blick zunächst auf den gesellschaftlichen Kontext richten, in dem Kultur entsteht. Frauen verrichten deutlich mehr Care Work als Männer. Das gilt auch für den
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Zeitraum von der Entstehung von HipHop bis heute. Und insbesondere gilt das für den Kontext Familie. Unter Care Work versteht man die ‚Sorgearbeit‘, die geleistet wird: Im familiären und Freund*innen-Kreis gehört dazu die Betreuung von Kindern und/oder weiteren Familienmitgliedern, die Haushaltsführung, aber auch die mentale Belastung, die damit einhergeht, Termine, Sorgen, Bedürfnisse der Kernfamilie und oft auch der erweiterten Familie im Kopf zu behalten. Frauen tragen mehrheitlich die Verantwortung für Ärzt*innentermine, den Inhalt des Kühlschranks, die Sauberkeit im Haushalt - es wird außerdem erwartet, dass Frauen die emotionale Arbeit leisten und das Wohlergehen der Familienmitglieder ständig im Blick haben und unterstützen. Im Freund*innenkreis sind es oft die Frauen, die sich z. B. um Geburtstagsgeschenke kümmern, Anlaufstelle bei Sorgen sind oder erkrankte Freund*innen mental und oft ganz praktisch mitversorgen. Man schätzt, dass Frauen in Deutschland über 50% mehr Zeit auf unbezahlte CareArbeit verwenden als Männer. Das entspricht knapp 1,5 Stunden pro Tag (vgl. BMFSFJ 2019). Care Work kostet also Kraft und vor allem: Zeit, viel Zeit. Zeit, die fehlt, um zu üben. Zeit, die fehlt, um sich um den Social Media Auftritt zu kümmern, Zeit, die fehlt, um Kontakte zu knüpfen, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und sich zu messen und/ oder gegenseitig zu inspirieren. Aber auch: Zeit, um einfach mal zwanglos miteinander abzuhängen, denn Kreativität entfaltet sich selten auf Knopfdruck. Neben der allgegenwärtigen Belastung durch Care Work ist ein weiterer einschränkender Faktor, dass ein nicht unerheblicher Teil der Frauen mit Kindern alleinerziehend ist. Es gibt knapp 20% alleinerziehende Familien in Deutschland, in rund 90% der Fälle betrifft dies Frauen (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2021). Dies stellt eine große Hürde dar: Abendveranstaltungen können nicht besucht werden ohne größeren Organisationsaufwand. Neben Konzerten finden z. B. auch Open Mic Sessions üblicherweise abends statt, die ein Ort des kreativen Austauschs sind und zudem eine Gelegenheit, sich in der Szene zu verankern. Für alleinerziehende Personen, oder solche, die hauptsächlich für die Kindererziehung verantwortlich sind oder gemacht werden, ist eine Teilnahme ohne Unterstützung unmöglich und die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum dadurch erheblich erschwert. Selbst wenn die Möglichkeit besteht, dass andere Personen die Kinder versorgen – und vielen Alleinerziehenden steht diese Option nicht (ohne Weiteres) offen – ist der Preis hoch: Der nächste Morgen kommt bestimmt! Kinder wachen früh auf, müssen früh in den Kindergarten oder zur Schule und es braucht viel Kraft, um neben anstehender Lohnarbeit übermüdet noch eine dritte Schicht – die der Care Work – zu stemmen. All das erschwert den Zugang zusätzlich bzw. führt dazu, dass wenn und falls eine Frau ein Kind bekommt, dies spätestens der Zeitpunkt ist, an dem sie nicht mehr dieselben Chancen auf Teilhabe und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum hat. Dasselbe gilt gleichermaßen für die Personen in der professionellen Infrastruktur um HipHop herum, z. B. Journalist*innen. Wer schreibt über Kultur? Wie sind Redaktionen besetzt? Auch dort finden sich überwiegend männlich gelesene Per-
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sonen, aus ähnlichen Gründen: unregelmäßige Arbeitszeiten, die im Kulturjournalismus eben auch oft in die Abend- und Nachtstunden reichen, vertragen sich schlecht mit Care Arbeit. Wenn über die Sichtbarkeit von Frauen in der Kultur gesprochen wird, denkt man zuerst an die Künstlerinnen auf der Bühne. Daneben gibt es jedoch noch eine ganze Reihe von Menschen, die es den Künstler*innen überhaupt erst möglich machen, auf der Bühne zu stehen: Neben den erwähnten Journalist*innen und weiteren Medienschaffenden braucht es Booker*innen, Tour Manager*innen, Artist Care, Licht- und Ton-Techniker*innen, Fotograf*innen, Flyer-Verteiler*innen usw. All diese Personen sind nicht weniger wichtig, um Kultur ‚am Laufen‘ zu halten. Gerade in Subkulturen arbeiten diese Personen jedoch oft ehrenamtlich. Nicht selten beobachtet man hier junge Frauen mit viel Leidenschaft, denen genau in dem Alter, in dem sich aus der Erfahrung Professionalisierung und Bezahlung ergeben müsste, Familienwunsch und -planung diese Schritte erschwert – während sich Männer häufig nicht zwischen Familie oder Karriere entscheiden müssen. Ihr Leben, ihre Karriere läuft trotz Familiengründung häufig weiter wie gewohnt, da in der Regel andere Menschen ihnen das Gros der Care Work von Schulbroten bis Elternabend abnehmen. Die Anforderung an weiblich sozialisierte Menschen, sich zu kümmern, freundlich zu sein, nicht „Nein“ zu sagen, verhindert effektiv substantielle Gleichstellung (vgl. Genderkompetenzzentrum 2010). Das Fehlen substantieller Gleichstellung betrifft die HipHop-Szene genauso wie jede andere erdenkliche Branche sowie auch andere Jugend- und Subkulturen (vgl. Rohmann 2006). Vor dem Hintergrund einer sexistischen Gesellschaft finde ich die Überraschung und Vehemenz, mit der auf Sexismus im Rap/HipHop geguckt wird, fast schon bizarr. Oder um es mit Sookee zu sagen: „Rap hat Sexismus nicht erfunden – er macht es nur sehr deutlich. Für mich ist so gut wie jede Waschmittelwerbung (fast schon) sexistischer, da sie subtiler ist.“ (hiphop.de 2008).
Zwischen Battles und Biologismus Schauen wir in die Geschichte, stellen wir fest, dass sich seit dem 18. Jahrhundert und vor allem im Zuge der Nationalstaatenbildung in Westeuropa ein streng binär konstruiertes Geschlechterbild durchsetzte, welches im Zuge der Kolonialisierung weltweite Verbreitung fand (vgl. Appelt 1999; LaGata/Balzer 2018). In diesem Bild stehen sich zwei Geschlechter als Pole gegenüber, in die alle Menschen eingeteilt werden. Diesen beiden Geschlechtern werden körperliche Eigenschaften zugeordnet, so wird z. B. die Breite von Schultern am Geschlecht festgemacht und somit als vermeintlich biologische Eigenschaft für Geschlecht festgeschrieben. Aus diesen Zuschreibungen wurden und werden Menschen Verhaltensweisen, Wünsche
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und Bedürfnisse zugewiesen, die als vermeintlich ‚natürlich‘ verstanden werden und welche sich angeblich auch in Charaktereigenschaften manifestieren (vgl. Schweighofer-Brauer 2016). Bis heute sind diese Zuschreibungen wirkmächtig: Frauen sind demnach passiv und emotional, Männer gelten dagegen als aktiv und rational. Diese vermeintlich biologischen Eigenschaften werden herangezogen, um zu definieren, welche Tätigkeiten, Kleidung und Verhaltensweisen für Frauen und Männer angemessen sind. Daraus werden dann bestimmte (Un-)Fähigkeiten auf anderen Ebenen abgeleitet und Frauen eingeschränkt. Diese Vorstellung, dass Frauen bestimmte Dinge (nicht) können oder wollen, weil sie körperlich (nicht) dazu geschaffen seien, nennt man biologistisch. Diese biologistischen Zuschreibungen führten in der Vergangenheit in der archälogischen Forschung dazu, dass Personen, die mit Waffen beerdigt wurden, automatisch für Männer gehalten wurden (vgl. Patalong 2017). Wir wissen heute, dass dies keineswegs immer der Fall war und eine Gen-Analyse hier so manche Überraschung bieten kann. Solche geschlechtergeschichtlichen Aussagen, die auf einer unreflektierten Projektion heutiger Geschlechterstereotype auf archäologische Funde und Befunde beruhen, sind höchst problematisch (vgl. Röder 2014). Für HipHop sind diese Zuschreibungen gleichermaßen wirkmächtig: Wenn wir über HipHop als Kultur sprechen, sprechen wir gerne auch über eine Kultur des Kampfes. In Battles misst man sich in den Disziplinen DJing, Rap, Breaking, Writing und Beatboxing. Der friedliche Wettstreit, in dem Originalität, Chuzpe und Kreativität zählen, erfordert Mut und Selbstbehauptungswillen. Wo „Kampfgeist“ und „Siegeswillen“ gesellschaftlich klar männlich konnotierte Eigenschaften sind, wird also HipHop, die Kultur der Kämpfenden, unbewusst zu einer männlichen Kultur. Gekämpft wird dabei nicht nur in Battles im Sinne von Veranstaltungen, in denen die Gegner*innen der verschiedenen Disziplinen sich gegenüberstehen, gekämpft wird auch gegen die inneren Dämonen, gegen die Verhältnisse, die eine*n herunterziehen und immer, immer wieder gegen sich selbst. Ein Schleifen, ein Feilen, ein Stählen – was im HipHop Battle stark macht, hilft, in der Welt zu bestehen und einen vielleicht tristen Alltag zu überstehen. Ob mit Humor, Storytelling oder Selbstüberhöhung: Standhaft allen Widrigkeiten zu trotzen ist ein klassisches HipHop-Leitmotiv. Wir bewegen uns nun also im Bezug auf HipHop als Battle-Kultur in einem Spannungsfeld: HipHop ist Kampf – und Kämpfer sind (unbewusst vorausgesetzt) Männer. Die Battle-typische überhöhte Selbstdarstellung, die als „bragging and boasting“ eine lange Geschichte hat (vgl. Remes 1991), finden Szenefremde oft fragwürdig. Frauen als Kämpfende auf dem HipHop-Battlefield wirken jedoch auf viele Menschen geradezu verstörend: Die ‚Stärke‘ von Frauen im HipHop zeigt sich häufig martialisch oder sexualisiert, inklusive der Battle-typischen Selbstüberhöhung - nutzt also nicht die mittlerweile gesellschaftlich (halbwegs) legitimierten Waffen akademischer Weiblichkeit. Frauen, die Dominanz ausstrahlen und Macht
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beanspruchen – und sei es auch nur in Rap-Texten – lösen in unserer sexistischen Welt automatisch Widerstände aus – auch im HipHop.
Wir kommen super übertrieben! Ein paar stereotype Rollenangebote an Frauen finden wir sicherlich in vielen RapTexten wieder. Bewegt man sich von den von Männern verfassten Rap-Texten allerdings weg und hin zu den HipHop-Akteur*innen selbst, fand und findet sich eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Performances von Weiblichkeit: Ob „Fly Girl“, „Sista with Attitude“, „Queen Mother“ oder „Lesbian“ – Rapperinnen performen ganz diverse Weiblichkeit(en) (vgl. Keyes 2000). Der Blick auf die Szene erschöpft sich allerdings leider häufig in der Kritik, HipHop sei als Ganzes sexistisch, weil viele Männer sexistisch über Frauen rappen. So verengt sich die Perspektive: Frauenrollen im HipHop sind nicht eingeschränkt, vielmehr ist der Blick auf Frauen einschränkend. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Kritik oft aus einer weißen, bürgerlichen Perspektive heraus formuliert wird. Rapper*innen irritieren – weil sie anders kämpfen, weil sie nicht dem westlichen Schönheitsideal der ‚ätherischen Elfe‘ entsprechen oder weil sie eine Weiblichkeit präsentieren, die Sex und ihre Körper feiert. Schnell werden Rapper*innen dann aus dieser Perspektive heraus in gut und böse eingeteilt: So wird eine Missy Elliot beispielsweise wohlwollend wahrgenommen, weil sie mit internalisierten westlichen Vorstellungen von Schönheit bricht, dabei aber nicht ganz so (ver-)störend wirkt wie z. B. Foxy Brown oder Lil’ Kim in ihrer Inszenierung von Hypersexualität. Knapp dreißig Jahre später scheint sich die Geschichte zu wiederholen, wenn wir an die Wahrnehmung von Lizzo, Nicki Minaj und Cardi B denken. Jenseits der beschriebenen Selbstinszenierungen wurden und werden Gangster-Rapperinnen wie Gangsta Boo oder La Chat erst gar nicht außerhalb bestimmter Sub-Szenen wahrgenommen. Gleiches gilt für Rapper*innen wie z. B. Jean Grae, deren Selbstinszenierung als intellektuelle Feminist*in mit großem Wortschatz, wenig Schminke, Verzicht auf Hypersexualisierung und als nichtbinäre Person mit she/her-Pronomen wieder eine ganz andere ist. „Feminismus ist kein Stock, mit dem man andere Frauen schlägt“ (Musical 2014) – und das bedeutet eben auch, den verengten, teilweise herablassenden Blick auf Frauen und ihre Selbstdarstellung im HipHop abzulegen und stattdessen die Vielfalt der Rollenangebote als Einstieg in die Diskussion mit jungen Menschen zu nutzen. Dies gilt auch für alle weiteren klassischen HipHop-Disziplinen: Frauen finden sich hier auch ganz selbstverständlich – und gewinnen zunehmend Sichtbarkeit. 2017 hat DJ Perly als erste Frau das nationale DMC DJ Battle der USA für sich entschieden. L.Atipik hat 2019 als erste Frau das französische DMC DJ Battle ge-
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wonnen und Deejay T-Jr hat 2022 als erste Frau das kanadische DMC DJ Battle gewonnen. Den Boden bereitet haben DJs wie Spinderella oder DJ Cocoa Chanelle in den 1980er Jahren oder Shortee, die in den 1990er Jahren das erste TurntablismAlbum einer Frau veröffentlicht hat. Auch hier gibt es noch so viele Namen von weiblichen Turntablists aus verschiedenen Jahrzehnten zu erwähnen: Pam The Funkstress, Killa Jewel, DJ Jazzy Joyce, DJ Eque, Kuttin Kandi, Tyra from Saigon, DJ Kayper, DJ Nikki Duran, DJ Lazy K, DJ Annalyze, DJ Lady Style, DJ Sara, DJ Lisa Bueno, DJ Bela Roze, DJ Eliza May, DJ Doolittle, DJ Praktyczna Pani, KCL, Amira & Kayla, DJ Michelle und viele mehr. Beatboxing als fünftes Element des HipHops galt lange als besonders unzugänglich für Frauen. Ähnlich wie beim Rap wurden Vorurteile bezüglich der Stimmlage von Frauen als vermeintliche Wahrheiten bestimmt. Dennoch finden wir auch in dieser Disziplin in zunehmender Sichtbarkeit Frauen: PE4ENKATA aus Bulgarien ist eine Wucht und so auch eine Reihe ihrer Kolleginnen: Steff La Cheffe, Nicole Paris, Chiwawa, MisFire Usa, Kinny Chinese, Julieta, Prichia oder Lulii Beats. (Illegale) Graffiti Aktionen im öffentlichen Raum erfordern neben den künstlerischen Skills eine gewisse Waghalsigkeit und körperliche Fitness – wieder etwas, was Frauen oft nicht zugetraut wird. Häufig stehen Graffiti Artists (auch aufgrund der illegalen Aktivitäten) weniger als Personen im Rampenlicht, dazu kommt, dass nicht alle weiblichen Graffiti Artists in ihrer Kunst oder anhand ihrer Künstlerinnennamen durchscheinen lassen, dass sie Frauen sind. Und doch waren auch sie immer da. Neben der bereits erwähnten Lady Pink können folgende Namen einen Impuls für weitere Recherchen geben: CLAW, Swoon, HOPE, Miss Van, JERK, Dizy, Lady Aiko, Miss17, Faith47, Lady K-Fever – und es gibt noch so viele mehr! Besonders spannend finde ich, dass Graffiti zum Beispiel in Afghanistan durch Artists wie Shamsia Hassani vermehrt als politisches Instrument verstanden wird (vgl. Burack 2021). Und schließlich: Natürlich waren Frauen von Anfang an dabei, wenn es um Breaking ging. In den Jahrzehnten, die zwischen Artists wie Rokafella bis zu jungen Frauen wie Girl Mainevent liegen, haben unzählige Frauen getanzt, sie waren und sind Teil der Breaking-Szene. Um noch einmal auf das Thema „kämpfende Frauen“ zurückzukommen: Wer einmal ein Krumping Battle1 und die Frauen dort battlen gesehen hat, wird vielleicht für immer begreifen, dass Kämpfen keine Frage des Geschlechts ist. Wenn wir den Blick auf Deutschrap richten, hatten und haben wir mit Cora E, Pyranja, Fiva, addeN, She-Raw, Lady Scar, Kitty Kat, Pilz, Antifuchs, Schwesta
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Krumping = Ein sehr dynamischer, schneller und manchmal aggressiv wirkender HipHop Tanzstil, der in der Schwarzen HipHop-Szene Los Angeles‘ entstanden ist (vgl. LaChappelle 2005).
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Ewa, Sookee, Lumaraa, Lena Stöhrfaktor, Nazz, MC Josh, Nura, Tice, Ebow, Juju, Mariybu, Eunique, Celo Minati, Haiyti, Badmómzjay, Die P, Liz oder Haszcara uvm. ebenfalls eine Fülle verschiedener Weiblichkeits*-Performances und der Schwung, den Feminismus in den letzten Jahren bekommen hat, führt dazu, dass auch weitere HipHop-Pionierinnen im deutschsprachigen Raum wie die Producerin Mel Beatz, die Fotografin Katja Kuhl, die Moderatorin Visa Vie, die Produzentin und Podcasterin Josi Miller, Bookerinnen wie Karin Offenwanger oder die Promoterin/Managerin, aktuell Head of PR bei Sony Music Marina Buzunashvilli endlich mehr Aufmerksamkeit bekommen und auch den Respekt, den sie verdient haben. An ihre Seite gesellen sich fantastische jüngere Frauen wie z. B. die langjährige Chefredakteurin des Splash Magazines und DJ Miriam Davoudvandi aka Cash Miri, die Journalistin & Podcasterin Helen Fares, das Hoe_Mies DJ-Team oder Lina Burghausen, die zusammen mit ihrem Team den Blog 365femaleMCs betreibt - die aktuell umfangreichste Sammlung von Rapper*innen. Dort sind über 1000 Fem* MCs (sowie nichtbinäre und trans Rapper*innen) aufgeführt. Vielleicht wird klar: Die Liste wird länger, je länger man hinschaut – und je länger die Liste wird, desto größer wird die Diversität der Akteur*innen und die Gender Performances. An dieser Stelle kann ich Haszcara nur beipflichten: „Ich find alle diese Girls dope! Aber jede von uns ist’n anderes Girl, Bro“ (Haszcara 2020).
That Girl is a Tomboy? Ich beschränke mich in diesem Text auf cis weibliche Personen, da trans, inter und nichtbinäre Personen allgemein und folglich auch (!) im HipHop lange Zeit kaum Sichtbarkeit bekamen und (auch) dadurch kein Thema waren. Studien zu Geschlechterungerechtigkeit, aber auch Texte zu Geschlecht im HipHop, werden meines Wissens nach noch immer auf Grundlage der Annahme der Zweigeschlechtlichkeit konzipiert. Ich hoffe, das ändert sich in absehbarer Zeit! Dennoch galt auch hier wieder: Es gab schon immer queere Personen im HipHop, aber ähnlich wie in anderen kulturellen Branchen wurde das nicht thematisiert. Queen Latifah hat 1989 ihr Debut Album veröffentlicht - aber erst 2021 im Rahmen der Dankesrede zum Lifetime BET Award outete sie sich mehr oder weniger durch die Blume, indem sie ihrer Partnerin Eboni dankte. Das Rap-Duo Yo Majesty hingegen war immer schon ‚out‘ als lesbisch, thematisiert wurde das jedoch kaum. Auch hier kann man sagen, dass analog zur gesellschaftlichen Entwicklung queere Identitäten zunehmende Sichtbarkeit und Akzeptanz im HipHop erlangen. Das gilt für die USA wie für den deutschsprachigen Raum. Queere Rapper*innen finden sich heute auch in den Charts. Bereits 2019 listete MadameRap.com 40 lesbische Rapperinnen auf. Ebenfalls dort findet sich auch eine internationale Liste
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mit queeren Rapper*innen (vgl. Madamerap 2019). Im deutschsprachigen Raum sehen wir ebenfalls erfolgreiche, queere HipHop Akteur*innen, die offen lesbisch, pan- oder bisexuell, trans oder nichtbinär sind, wie Alice Dee, Nura, JNNRHNDRXX, Badmómzjay, Spoke, Mariybu, B2BCREW, Lila Sovia oder MC Josh.
Empfehlungen für die Auseinandersetzung mit HipHop und Geschlecht Was bedeutet die Unsichtbarkeit von Frauen in der medialen Diskussion um Sexismus im HipHop für die Wahrnehmung der HipHop-Kultur von Menschen, die nicht Teil der Szene sind, aber als Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen oder Pädagog*innen HipHop gerne als jugendkulturellen Zugang nutzen wollen? Es braucht fast Insider*innen-Wissen und noch mehr Recherche, um einen Bias im Blick auf HipHop abzulegen. Die Gefahr, die darin stecken kann: Szenefremden fehlt oft das Wissen um all die Frauen, die zur Szene gehörten, aber die entscheidenden Karriereschritte nicht gehen konnten und somit nur wenigen „Eingeweihten“ bekannt waren. Nicht selten sind sich selbst Szene-Akteur*innen nicht der Her*story of Rap bewusst. Die mediale Darstellung von HipHop verharrt oft genug in Stereotypen und Diversität im HipHop wird medial kaum reflektiert. Deshalb lohnt es für Menschen, die der Szene eher fremd sind, sich mit der Vielfältigkeit der Gender Performances im HipHop auseinanderzusetzen. Auch ist es hilfreich zu beachten, was Anteile von Ironie, Referenz, Klamauk oder Übertreibung sein können, die von Künstler*in zu Künstler*in – manchmal sogar von Track zu Track oder gar innerhalb eines Tracks – schwanken. Nicht jede Äußerung ist wortwörtlich oder gar ernst gemeint. Websites wie genius.com können helfen, ein Gefühl für Nuancen und versteckte Botschaften zu entwickeln. Szene-Akteur*innen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger von Rassismus und/oder Klassismus betroffen. Das eröffnet einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Auch werden diese Marginalisierungserfahrungen bei vielen Rapper*innen ähnlich verarbeitet. Szene-Akteur*innen sind bei weitem nicht sexismusbefreit oder generell frei von diskriminierendem Verhalten. Und dennoch muss in Bezug auf die einseitige mediale Aufbereitung des Themas gesagt werden: Es hat zu allen Zeiten einen szene-internen Diskurs um sexistische, homophobe oder rassistische Begriffe gegeben. Ebenso wie gesellschaftliche Diskurse hat sich dieser in den letzten Jahrzehnten verändert. Leider wurden und werden diese inner-szenischen Auseinandersetzungen von außen oft nicht wahrgenommen. Der häufig herablassende Blick auf HipHop resultiert u. a. aus dieser Wahrnehmungslücke.
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Empfehlungen für die Auseinandersetzung mit Geschlecht Wenn HipHop in der Jugendarbeit thematisiert werden soll, speziell in Verbindung mit der Thematisierung von Sexismus und Geschlechterbildern finde ich es wichtig, dass Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und Pädagog*innen sich den diversen Gender Performances in der HipHop-Kultur gegenüber offen zeigen. Den einseitigen Blick auf Frauen und ihre Selbstdarstellung im HipHop, der medial noch befeuert wird, sollte man mit der tatsächlichen Vielfalt der Rollenangebote ergänzen. Gerade in den letzten Jahren hat die Zahl an weiblich sozialisierten und kommerziell erfolgreicheren Rap-Artists in Deutschland stark zugenommen, auch das kann thematisiert und in den gesellschaftlichen Kontext gesetzt werden. In diesem Text wird aufgezeigt, dass die (wahrgenommene) Unterrepräsentation von Frauen im HipHop nicht nur an HipHop selbst liegt und es sich lohnt, zu diggen, also zu graben und in die Tiefe zu gehen im Hinblick auf Künstler*innen, ihre Texte und Kontexte. Frauen waren von Beginn an da, ihre Geschichte und Geschichten werden aber erst nach und nach einer größeren Menge Menschen zugänglich (gemacht). Man könnte sagen: Diejenigen, die die Geschichte schreiben, schreiben die Geschichte. Oder wie Vera Weidenbach es formuliert: „Geschichte ist auch immer das, von dem jemand wollte, dass es überliefert wird. Jemand will, dass wir auf eine bestimmte Weise über eine Person, über ein Ereignis denken. Namen können bewusst in den Geschichtsbüchern verloren gehen, weil sie das gewünschte Bild stören.“ (Weidenbach 2022, S. 106).
Appendix: Zu alt für den Scheiß? HipHop ist mir begegnet als Utopie einer Kultur, die inklusiv ist und in der jede*r willkommen ist, der*die Skills mitbringt und implizit oder explizit politisch ist. Das und dieser der Kultur inhärente Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen, hat mich fasziniert und in den Bann gezogen - und mich in den letzten 25 Jahren auch nicht wieder losgelassen. Musik als Ventil für Schmerz, Wut, Gewalt, aber auch als Mittel für Storytelling und manchmal auch harmlosen Unfug und Albernheit - das war schon in sich heilsam für mich. Am DJing hat mich die Technik des Samplens, des aus dem Kontext reißens und neu Zusammenfügens musikalischer Versatzstücke begeistert. Die Kunst des Turntablism, bei der Menschen, die oft nie gelernt hatten, Noten zu lesen, musikalisch hochkomplexe Scratch-Techniken erfunden, perfektioniert und immer wieder neu miteinander verwoben haben, hat mich zutiefst fasziniert. Was mich persönlich angeht, hatte ich früh das Gefühl, kein ‚richtiges Mädchen‘ zu sein,
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doch erst seit wenigen Jahren habe ich einen Begriff für das, was ich so lange nicht in Worte fassen konnte: nichtbinär. Pronomen hin oder her – das Label hat mir endlich inneren Frieden gegeben. Im HipHop als Kultur von und für Menschen, die auf die eine oder andere Weise gesellschaftlich randständig sind, fühle ich mich oft angenommen und verstanden in einer Tiefe, in der es keine Worte mehr gibt – Subbass, sozusagen. Ich romantisiere, aber ich lieb’ den Scheiß einfach – und was wäre HipHop ohne eine gute Portion Kitsch?!: „Ich hab mir das nicht ausgesucht, ich mach nur, was ich liebe“ (Haszcara 2019).
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Songs Haszcara (2020): Schon lange. Haszcara (2019): Keiner außer mir.
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Antisemitismus im HipHop in den USA, Deutschland und Russland Marie Jäger und Ewgeniy Kasakow
Intro Der folgende Text versteht sich als kurze und notwendigerweise unvollständige Übersicht über Antisemitismus im HipHop in den USA, Deutschland und Russland. Notwendigerweise unvollständig vor allem deshalb, weil die Darstellung sämtlicher Texte und Aussagen von Rapper*innen, die anschließenden Diskussionen aber auch die der daran anschließenden Debatten um Rassismus, (Post-)Kolonialismus, Nationalismus und Identitätspolitik ein Buch füllen würde. Der Beitrag orientiert sich an den Fragen: Welche antisemitischen Aussagen lassen sich finden? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich in Bezug auf Antisemitismus in der HipHop-Szene und in Rap-Texten in den USA, Deutschland und Russland feststellen? Auf welche Diskurse wird Bezug genommen? Und wie reagieren jüdische Rapper*innen?
Black Nationalism, Antisemitismus und US-Rap In der US-amerikanischen HipHop-Szene finden sich weit mehr jüdische Rapper*innen1 als in Deutschland, doch auch dort ist Antisemitismus seit spätestens den 1990ern präsent. Das jüngste und vielleicht drastischste Beispiel stellt der Rapper Kanye West dar, der insbesondere 2022 mit einer ganzen Reihe von antisemitischen Äußerungen in die Schlagzeilen geriet. Zahlreiche US-Rapper*innen begannen ab Anfang der 1980er Jahre, gerade im Zuge der Politisierung der Szene und der Entstehung von ‚Conscious Rap‘ a la Public Enemy, sich entweder der Nation of Islam oder den Five Percenters2 zuzu-
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So zum Beispiel Drake, Mykki Blanco, die Beastie Boys, Koshar Dillz, der Labelinhaber von DefJam, Rick Rubin, Lil’ Dicky, Mack Miller und Action Bronson. Die Five Percenters, auch Nation of Gods and Earth genannt, wurde 1964 von Clarence 13X gegründet und gilt als Abspaltung der 1930 von Wallace Fard Muhammad gegründeten Nation of Islam. Beide Gruppen beziehen sich auf den Islam als (angeblich) ursprüngliche Religion aller versklavten Afroamerikaner*innen. Auch wenn beide Gruppierungen schon Gegenstand islamwissenschaftlicher Forschung waren, ist unter Islamwissenschaftler*innen und orthodoxen islamischen Strömungen umstritten, ob sie als Teil der Religion gelten können (vgl. Curtis 2002; Jackson,
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wenden, wenn sie nicht bereits vorher Unterstützer*innen gewesen waren. Afrika Bambaataa, der die (frühe) Rap-Szene wesentlich mitprägte, zählt die Nation of Islam zu den für ihn bedeutsamsten Einflüssen. Als er die Zulu Nation gründete, mixte er die von ihm postulierten Elemente von HipHop (DJing, Rap, Breakdance, Graffiti) zusammen mit dem fünften Element, Knowledge, womit er eine Mischung aus Selbst- und politischen Bewusstsein meinte. Das Wissen der Zulu Nation war (und ist) zusammengesetzt aus Fragmenten der Antikriegsbewegung, der Bürgerrechtsbewegung, spirituellen Weisungen und Ideen der Nation of Islam sowie der Five Percenter (vgl. Gosa 2015).3 Zur Begeisterung für diese beiden Spielarten des Black Nationalism in den USA dürften Afrika Bambaataa und die Zulu Nation allerdings weit weniger beigetragen haben, als ihnen mitunter unterstellt wird. Einigen Rapper*innen – als prominentestes Beispiel kann 2Pac gelten – war Black Nationalism schon durch ihre Eltern bekannt. Viele weitere dürften sich für die Ideen begeistert haben, lange bevor sie mit Rap in Berührung kamen. Sicher ist allerdings, dass sowohl die Nation of Islam als auch die Five Percenters HipHop als Sprachrohr entdeckten und nutzten. Dabei lag der Fokus allerdings nicht auf der Verbreitung von Ideen; Rap war vielmehr eine (weitere) Möglichkeit die Credibility und Autorität der Gruppen unter Afroamerikaner*innen zu stärken (vgl. Altschuler/Summers 2010). Ab Anfang der 1990er Jahre gehörte es im US-Rap quasi zum guten Ton, sich auf eine der beiden Gruppen zu beziehen (vgl. Zips/Kämpfer 2001; RZA/Norris 2005; Gosa 2015). Am prominentesten tat dies Public Enemy (vgl. Urban 2015), aber auch KRS One, Ice Cube, Rakim, Big Daddy Kane und Mos Def erwähnten in Songs oder auf Alben die Nation of Islam oder die Five Percenters (vgl. Floyd-Thomas 2003). RZA vom Wu Tang Clan geht sogar so weit zu sagen: „About 80 percent of hip-hop comes from Five Percent […] in a lot of ways, hiphop is Five Percent.“ (RZA/Norris 2005, S. 43) Die Führungsfiguren der Black Panther Party, Nation of Islam und die Five Percenters traten – in sehr unterschiedlichem Maße – mit antisemitischen Äußerungen in Erscheinung. Schon Malcolm X, nach wie vor die zentrale Figur des Black Nationalism, äußerte sich in seiner Autobiographie und in Reden antisemitisch.4 Auch von Vertreter*innen der Black Panther Party und den Five Percenters
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2005). Als Gruppen des Black Nationalism zeichnet beide Gruppen neben dem Bezug auf den Islam eine separatistische Haltung gegenüber der US-Gesellschaft aus (in Ablehnung des integrativen Ansatz der NAACP, der als Anpassung an rassistische Verhältnisse erlebt wird) sowie verschiedene Ideen und Maßnahmen für das Self-Empowerment afroamerikanischer Menschen in den USA. Diese lässt sich im regelmäßig von Mitgliedern der Zulu Nation herausgegebenen „The Green Book“ (2015) nachlesen. So schrieb er zum Beispiel in seiner Autobiografie, er könne „Juden erkennen“ und zwar sowohl an ihrer immer sehr subjektiven Argumentation als auch daran, dass sie immer „überempfindlich“ seien. Zudem würden Juden und Jüd*innen von der Marginalisierung der Afroamerikaner*innen profitieren und würden Afroamerikaner*innen durch ihre Geschäfte in den Ghettos
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wurden antisemitische und antizionistische Aussagen getätigt (vgl. Pollack 2008; 2011; 2015). Offen antisemitisch tritt hingegen die Nation of Islam unter der Führung von Louis Farrakhan auf (vgl. Jackson 2005), insbesondere seit 1990.5 Gleichwohl wäre es falsch zu behaupten, der Black Nationalism sei in Gänze antisemitisch.6 Ebenso wenig zutreffend wäre die Behauptung, US-Rap sei genuin antisemitisch. Auffällig ist allerdings, dass einige der Rapper*innen, die den Five Percenters und der Nation of Islam (besonders) nahe stehen ein offensichtlich geschlossenes antisemitisches Weltbild haben. Das gilt vor allem für Public Enemy, die antisemitische Lines in Songs wie „Terrordome“ droppten, einen Song in Verballhornung von „Schindlers List“ „Swindlers Lust“ nannten und Rapper Professor Griffin, nachdem er nach öffentlichem Druck aufgrund antisemitischer Aussagen die Band verlassen musste, schließlich doch wieder aufnahmen (vgl. Altschuler/Summers 2010; Harrington 1989). Rapper Scarface, Mitglied der Five Percenters, erzählte 2013 in einem Interview, es gäbe eine jüdische Verschwörung im HipHopBusiness gegen Afroamerikaner*innen (vgl. Ackfeldt/Magnusson 2022). Ice Cube kam, nachdem er N.W.A. verlassen hatte, zu dem Schluss, der jüdische Manager hätte die Band ausgebeutet. Seitdem geriet er immer wieder aufgrund antisemitischer Äußerungen und Songs in die Schlagzeilen, zum Beispiel mit jener, Juden*Jüdinnen trügen an der Unterdrückung der Afroamerikaner*innen maßgeblich Schuld, würden aber auch hinter 9/11 und der Covid-Pandemie stecken (vgl. Stern 2020). Sadat X (Brand Nubian) erklärte 2011, dass hinter dem Aufstieg von LBTQI-Rechten Juden*Jüdinnen stecken würden und dass die meisten Sklavenhalter*innen in den USA Juden*Jüdinnen gewesen wären. Mit ähnlichen Äußerungen fielen auch die Rapper Paris, Jay-Z, Afrika Bambaataa und schließlich Kanye West auf, letzterer wurde öffentlich von seinem langjährigen Freund Farrakhan gegen die Vorwürfe verteidigt (vgl. Saponara 2022). Besonders häufig
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ausbeuten, indem sie Waren zu besonders hohen Preisen verkaufen (Malcolm X 1992, S. 325 ff. und 428 ff.). Nach diversen Antisemitismus-Vorwürfen in Bezug auf Reden und die Bücher „The Secret Relationship Between Blacks and Jews” sowie „The Secret Relationship Between Blacks and Jews Volume Two: How Jews Gained Control of the Black American Economy”, veröffentlichte die Nation of Islam das Buch „Defending Farrakhan. The Campaign to Free the Real Children of Israel“ (2012), in welchem (mit der Absicht, die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Elijah Muhammad, Malcolm X und Louis Farrakhan zu entkräften) sämtliche antisemitischen Stereotype wiederholt werden: So wird der Frage nachgegangen „woher die Juden das Geld haben“, der Davidstern wird als „satanisches Symbol“ bezeichnet und Juden*Jüdinnen wird unterstellt, das „Zentrum der Versklavung“ gewesen zu sein. Zudem scheint es in den USA einen ähnlichen Reflex gegenüber Afroamerikaner*innen zu geben (insbesondere jenen, die dem Black Nationalism nahe stehen), der in Deutschland in Bezug auf muslimisch gelesene Menschen zu beobachten ist: Wann immer eine antisemitische Aussage im Umfeld des Black Nationalism fällt, sollen sich Afroamerikaner*innen dazu verhalten(vgl. Johnson/Berlinerblau 2022).
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taucht das Bild „Jüdisch gegen Schwarz“ auf, wenn Juden*Jüdinnen unterstellt wird, das Musikbusiness zu „manipulieren“, Schwarze Bands kaputt zu machen oder ganz generell für die Unterdrückung von Afroamerikaner*innen verantwortlich zu sein. Eben diese Erzählungen finden sich auch in der Nation of Islam. Bedenkenswert ist vor diesem Hintergrund eine uneingeschränkt positive Rezeption von „Conscious Rap“ in den USA und Deutschland: Es ist nicht zu leugnen, dass HipHop, insbesondere „Conscious Rap“, der Ideen des Black Nationalism mit den Beschreibungen der Marginalisierung verbindet, einiges zum Empowerment von Afroamerikaner*innen beigetragen hat und darüber hinaus auch einem weißen Publikum die Möglichkeit bietet, sich mit den eigenen Privilegien, den eigenen Rassismen und der harten Realität des alltäglichen Rassismus zu beschäftigen. In der Auseinandersetzung vieler Autor*innen mit den empowernden und widerständigen Potenzialen der Verbindung von Black Nationalismus und (Conscious) Rap wird Antisemitismus als Thema allerdings häufig außen vorgelassen, auch wenn das Thema spätestens mit dem Namen Farrakhan sehr nahe liegt. Das gilt auch für hier zitierte Artikel und Bücher (vgl. Zips/Kämpfer 2001; Floyd-Thomas 2003; Gosa 2015; Ogbar 2019).
Antisemitismus im Deutsch-Rap und die Reaktion jüdischer Rapper*innen Dass Antisemitismus in der deutschsprachigen HipHop-Szene kein zu vernachlässigendes oder kleines Phänomen ist, wurde von Jakob Baier (2019; 2022) und Malte Goßmann (2016) bereits beschrieben und geht weit über die ‚Causa Kollegah‘ hinaus, welche nicht nur in Deutschland ein beachtliches Medienecho verursachte.7 Baier beschreibt eine Zunahme der antisemitischen Topoi seit 2014, wobei Verschwörungsmythen eine immer prominentere Rolle einnehmen und kommt zu dem Schluss, dass das im Gangsta-Rap propagierte Gesellschaftsbild entlang der Dichotomien ‚oben – unten‘ und ‚gut – böse‘ gut zum Antisemitismus passe (vgl. Baier 2022). Diese Dichotomie sieht auch Goßmann, ergänzt sie aber um den Hinweis auf das auch im Rap ausgetragene Konkurrenzverhältnis zwischen jüdischem und arabischem Leid, welches postkoloniale Theoretiker*innen wie Omar Kamil oder Gilbert Achcar neben der Staatsgründung Israels als Grund für arabischen Antisemitismus ausmachen.8 Der Israel-Palästina-Konflikt, so Goßmann,
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So zum Beispiel in der New York Times (Eddy/Curry 2018) und The Times of Israel (2018). Auch die Website rap.ru bezog sich auf den Eklat, als sie 2019 einen Artikel über Oxxxymirons BattleAnfrage an Kollegah mit „Oxxxymiron wird einen deutschen Antisemiten-Rapper battlen” übertitelte (vgl. rap.ru 2019). Achcars Thesen können in vielerlei Hinsicht als strittig gelten, insbesondere die, dass die Staatsgründung Israels nicht nur im Kontext des europäischen Kolonialismus gelesen werden müsse,
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werde zur globalen Metapher für die Marginalisierung im eigenen Land.9 Rapper*innen würden sich mit Palästina identifizieren und ihr eigenes Image der*des Gangsta-Rapper*in, die*der sich gegen die Reichen und Mächtigen stellt, um diese Facette ergänzen. Was das angeht, lassen sich Parallelen zu den Diskursen im USamerikanischen HipHop erkennen. Auch im deutschen Kontext darf Rap als Ursache für antisemitische Haltungen allerdings bezweifelt werden: Eine Studie der Universität Bielefeld, an der Baier mitwirkte, ergab zwar eine Korrelation zwischen der Zustimmung zu antisemitischen Einstellungen und einer großen Begeisterung für insbesondere Gangsta-Rap. Ein Kausalzusammenhang ließ sich aber nicht feststellen.10 Bekannte jüdische Rapper*innen (bzw. Rapper*innen, die sich als jüdisch geoutet haben) gibt es in Deutschland vergleichsweise wenig. Zu ihnen gehören unter anderen SpongeBozz, Ben Salomo und Arye Sharuz Shalicar. Ihnen ist gemeinsam, dass sie jüdische Identität zum Thema in Songs und/oder Büchern machten. An ihnen lassen sich unterschiedliche Bezüge auf die (eigene) jüdische Identität ebenso bebildern wie sich typische antisemitische Bilder und Reflexe an den Debatten um sie aufzeigen lassen.
Arye Sharuz Shalicar – Vom Wedding nach Jerusalem
Arye Sharuz Shalicar wurde 1977 in Göttingen geboren, nachdem seine Eltern vor dem Antisemitismus im Iran nach Deutschland geflohen waren. Er wuchs in Berlin auf, größtenteils im Stadtteil Wedding. In den bewegten Zeiten Anfang der 1990er Jahre war er aktiv in der HipHop-Szene – er war Mitbegründer der ASP, die später in Berlin Crime (BC) aufging.11 Zu dieser Formation gehörten auch Frauenarzt, MC Bogy und Manny Marc. Er trat sowohl als Sprayer als auch, unter dem Namen BossAro, als Rapper in Erscheinung.12 Darüber hinaus war er in den
sondern nichts anderes als ein koloniales Projekt sei: „With the disappearance of the South African apartheid system in 1994, the Palestinian Question became the last major burning issue of Europaen colonialism.“ (Achcar 2010, S. 32). 9 Opferkonkurrenz-Gedanken und anhängige Palästina-Solidarität sind auch regelmäßig Thema in Workshops mit Jugendlichen (vgl. Jäger/Groß/Ledesma-Mendez 2022). 10 „Aus den vorliegenden Daten können keine Schlüsse bezüglich des Kausalverhältnisses zwischen Gangsta-Rap-Konsum und antisemitischen Einstellungen gezogen werden. Es ist nicht eindeutig, ob das Hören von Gangsta-Rap zu antisemitischen Einstellungen führt, ob Menschen, die generell eher antisemitisch eingestellt sind, lieber Gangsta-Rap hören, oder ob sich diese zwei Faktoren gegenseitig bedingen.“ (ZPI o.D.) 11 BC, Berlin Crime war eine Crew von Breaker*innen, Sprayer*innen und DJs, die in der Berliner Szene vor allem auch für ihr aggressives Auftreten bekannt waren (vgl. Ben Salomo 2019, S. 148 f.). 12 Unter anderem auf den Alben BC und „Der Untergrundkönig“ von Frauenarzt, „Dobermann Demotape Part 1“ von Manny Marc sowie „Berlin bleibt Untergrund“, einem gemeinsamen Album von Frauenarzt und Manny Marc.
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1990ern aber auch Mitglied bei The Black Panthers und Berlin Street Gangsters. Die Gangs, die sich auch darüber definierten, ihre Viertel vor Neo-Nazi-Angriffen zu schützen, waren eng mit der entstehenden HipHop-Szene verbunden (vgl. Utlu 2010). In seinem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ beschreibt Arye Sharuz Shalicar seine Zeit als Sprayer und Mitglied unterschiedlicher Gangs ebenso wie den Antisemitismus, mit dem er in den 1990er Jahren als Jugendlicher vor allem im Wedding konfrontiert war. 13 Der Antisemitismus reichte von Zisch-Geräuschen, die einströmendes Gas imitieren sollten über Vernichtungsfantasien in Bezug auf Israel bis hin zu der Erklärung, mit einem Juden nicht befreundet sein zu können. Der antisemitisch begründete Ausschluss aus Freundschaften, Beziehungen und Cliquen traf ihn besonders hart. Seine Eltern besprachen das Thema „Antisemitismus“ mit ihm erst, als er im Alter von 13 Jahren aufgrund einer Davidsternkette das erste Mal mit Gewalt konfrontiert war. Da sie den jüdischen Glauben nicht praktizierten, sahen sie vorher keine Veranlassung dazu, darüber hinaus wollten sie ihren Sohn schützen. Der Einstiegssatz seines Vaters in das Gespräch blieb Shalicar im Gedächtnis: „So ungefähr hatte ich mir das schon vorgestellt. […] [Du] musst eins dein ganzes Leben im Hinterkopf behalten: Du bist ein Jude und die ganze Welt hasst dich!“ (Shalicar 2010, S. 40) Shalicar hat die Szene rund um HipHop und die Gangs der 1990er Jahre herausgefordert. Er passte nicht in die Identitätsschablonen, in denen ‚arabisch‘, ‚iranisch‘ und ‚jüdisch‘ sich ausschließen. Er beschreibt, wie er in der jüdischen Gemeinde Rassismus erfuhr, Antisemitismus von seinen Freunden in den Gangs und sowohl Rassismus als auch Antisemitismus von Lehrer*innen und später in seiner Funktion als Pressesprecher der IDF im Kontakt mit nicht von Rassismus betroffenen Deutschen. Erst der Umzug nach Israel ermöglichte ihm das erste Mal in seinem Leben die Erfahrung machen zu können, nicht ständig auf den vermeintlichen Widerspruch seiner Identität angesprochen zu werden. Er erlebte, was auch jüdische Afroamerikaner*innen beschreiben: ‚Iranisch‘ und ‚jüdisch‘ wurden ihm als sich ausschließende, quasi diametral entgegengesetzte Kategorien präsentiert. Das ist die Tücke an Identitäten: Selbst wenn sie erst einmal zum Empowerment herangezogen werden, können sie Ausschlüsse produzieren und Essentialisierungen unterstützen.
Ben Salomo – Abrechnung mit der Szene
Ben Salomo wurde 1977 in Israel geboren, seine Familie zog 1981 nach Berlin, wo die Eltern seiner Mutter bereits lebten. Ben Salomo begann als Jugendlicher, sich
13 Der Titel ist ein iranisches Sprichwort, das ausdrücken soll, dass Juden*Jüdinnen verachtenswerter seien als Hunde, die neben Schweinen als unreine Tiere gelten.
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für Rap zu interessieren und startete bereits Ende der 1990er Jahre mit eigenen Produktionen unter dem Namen Joka. Über die Berliner Szene kam er in Kontakt mit Frauenarzt, Manny Marc und MC Bogy, die das Independent-Label Bassbox betrieben. Dass der ebenfalls zur Gang gehörende Boss Aro auch jüdisch ist, wurde Ben Salomo erst später klar – seiner Meinung nach spielte im Kontext der HipHopSzene der frühen 1990er Jahre Religion und Herkunft noch keine so große Rolle wie ab den 2000er Jahren (vgl. Ben Salomo 2019, S. 148). Ab 2010 organisierte Ben Salomo das beliebte Battle-Rap-Format Rap am Mittwoch und war daneben weiter als Rapper aktiv, 2016 veröffentlichte er sein erstes Solo-Album „Es gibt nur Einen“. Nach über 20 aktiven Jahren in der (Berliner) HipHop-Szene gab Ben Salomo 2018 das Ende von Rap am Mittwoch bekannt und veröffentlichte 2019 das Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“, in dem er seine Erfahrungen mit Antisemitismus in der Szene schildert und anhand von Rap-Texten sowie Social Media-Aussagen verschiedener Rapper*innen das ‚judenfeindliche Grundrauschen‘ darstellt.14 Ben Salomos Abschied von Rap am Mittwoch fiel zeitlich zusammen mit dem Eklat um die Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang und die umstrittene Zeile: „Mein Körper definierter als der von Auschwitzinsassen“ in ihrem Song „0815“. Im Zuge dessen gerieten nicht nur Kollegahs Texte und Videoästhetiken in die Kritik (vgl. Deutsche Welle 2018). Die gesamte Szene erfuhr gesteigerte Aufmerksamkeit in Hinblick auf die Frage: Wie antisemitisch ist HipHop? Es wäre falsch zu behaupten, Abwehr der Kritik wäre die durchgesetzte Reaktion gewesen. Teile der Szene zeigten sich einsichtig oder gar kritisch, etwa Nico von Backspin im Interview mit Kollegah (Niko 2018), Aria und Toxik von HipHop.de (2018) sowie Ex-Rap.de-Chef Oliver Marquardt (vgl. Marquardt 2019a; 2019b). Das Szene-Medium HipHop.de berichtete in den letzten Jahren zunehmend und zunehmend differenzierter über Antisemitismus in der Szene, so zum Beispiel über die Vorwürfe des Rappers Asche gegen den Rapper Mois (vgl. Hesterbrink 2019). Ben Salomo allerdings sah sich mit einer, fast schon klassisch zu nennenden, Abwehrreaktion konfrontiert: Er habe sich die meisten Vorfälle nur ausgedacht und den Rest übertrieben. Insbesondere in der Berliner Szene verfolgten B-Lash, Tierstar und MC Bogy mit Elan das Projekt, Ben Salomo der Lüge zu überführen. Im Zuge dessen fokussierten sie sich auf eine geringe Anzahl von Geschichten, ohne jemals ein Wort zu den unzähligen anderen Vorfällen und den im Buch zi-
14 Zu den Rapper*innen, die vor allem mit israelbezogenen Antisemitismus aufwarten, zählt er Massiv, Bushido, Bözemann und Karub. Antisemitische Verschwörungsideologen sieht er vor allem bei Haftbefehl und Kollegah. Zu den Rapper*innen, die er nicht (näher) beschreibt, die ebenso schon mit Verschwörungsmythen in Erscheinung getreten sind gehören des Weiteren: Juju, Remo, PA Sports und der YouTuber Leon Lovelock, der in einem Großteil seiner „Interviews“ irgendwann auf das Thema „Verschwörungstheorien“ zu sprechen kommt.
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tierten antisemitischen Äußerungen von Rapper*innen zu verlieren. 15 Ziel war es, den Nachweis zu erbringen, dass Ben Salomo „immer lügt“ und Rap am Mittwoch aus ganz anderen Gründen absetzte.16 Darüber werden aber auch eigene Haltungen erkennbar: So äußerte MC Bogy in einem Realtalk, die Geschichte des Nationalsozialismus werde ihm immer zu einseitig dargestellt und B-Lash erklärte, Antisemitismus sei vor allem „ein Kampfbegriff“ (B-Lash 2019). Stichwort Realtalk: Ausgerechnet Arafat Abou Chaker fühlte sich 2021 bemüßigt, angesichts eines weiteren Lügen-Vorwurfs in Richtung eines jüdischen Rappers17, Klartext zu reden: „Dieser Typ, wie der auch immer heißt: Der ist halb Jude und halb Bruder. Du musst dir vorstellen, gerade im Rap-Business, brauchen wir uns nicht anlügen – wenn er jetzt ankommt und sagt: ich bin Jude, ist er schon fast unten durch. Stimmt‘s? Reden wir Tacheles – er ist unten durch.“ (Arafat 2021). Ben Salomo nahm das zum Anlass für seinen Song „DeutschRap Realtalk“. Seit zwei Jahren gibt er regelmäßig Workshops zu Antisemitismus im HipHop an Schulen und in Jugendeinrichtungen. Was sich an der Debatte um ihn besonders gut nachzeichnen lässt, ist die für den Antisemitismus typische Behauptung, beleidigt und bedroht würde die andere Person nicht, weil sie jüdisch, sondern weil sie böse, intrigant und verlogen sei – klassische Attribute, die Antisemit*innen Juden*Jüdinnen zuschreiben.
SpongeBozz – „Spongy ist der einzig wahre Ghetto Star, Davidstern!“
… rappt SpongeBozz im Song „Yellow Bar Mitzvah“ (2017a). SpongeBozz aka Sun Diego, mit bürgerlichem Namen Dmitri Schpakow wurde 1989 in Czernowitz in der Ukraine geboren. 1992 kam er mit seiner Mutter nach Deutschland und wuchs in Osnabrück auf. Seine Kindheit war geprägt von der Beziehungsgewalt zwischen seiner Mutter und dem Stiefvater, der sich unter anderem als Drogendealer betätigte. SpongeBozz brach früh die Schule ab und beging mehrfach mit einer Gruppe
15 Ben Salomo beschreibt in seinem Buch, wie einmal eine jüdische Bekannte von ihm, die zeitweise für Rap am Mittwoch an der Kasse arbeitete, von B-Lash und dessen Freunden aggressiv und respektlos behandelt wurde, weil sie eine Kette mit Davidstern um den Hals trug. Am nächsten Tag hätten Teile der Gruppe auf Facebook gepostet, RAM sei eine „Judenveranstaltung“ (vgl. Ben Salomo, 2019, S.219). B-Lash reagierte empört und erklärte, das sei alles nie passiert. Nach ungezählten Interviews gelang es Tierstar angeblich die Frau, die damals an der Kasse saß, wiederzufinden. Sie erklärte in einem Video, dass sie an der Kasse von RAM niemals eine Kette mit Davidstern getragen habe, noch sei sie Jüdin – womit für Tierstar und B-Lash der Beweis erbracht war, dass alles nur Lüge sei (vgl. Tierstar 2021a). 16 Vgl Tierstar über den Konflikt zwischen Ben Salomo und B-lash (vgl. Tierstar 2021b) und Tierstar über die vermeintliche Wandlung von Ben Salomo (vgl. Tierstar 2021c). 17 Sadiq warf Asche vor, die Szene über seine Identität getäuscht zu haben: Alle hätten ihn für einen Tschetschenen gehalten, dabei sei er Pole und Jude.
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von Freund*innen Handybetrug. Mit 15 Jahren begann er zu rappen. Bekannt wurde er vor allem als Battle-Rapper in Formaten wie der Reimliga Battle Arena und JuliensBlogBattle. Bevor er 2015 sein erstes eigenes Album veröffentlichte, war er 2009 als Feature-Gast auf Kollegahs Album „Chronik 2“ dabei. 2017 veröffentlichte er den Song Yellow Bar Mitzvah, in welchem er sich als jüdisch outete. Ben Salomo wirft in seinem Buch die Frage auf, ob SpongeBozz/SunDiego als Rapper jemals so bekannt und beliebt geworden wäre, wenn er sich von Anfang an in der Szene als jüdisch geoutet hätte.18 Er vermutet hinter der Akzeptanz, die SpongeBozz nach „Yellow Bar Mitzvah“ erfuhr, stecke die Tatsache, dass SpongeBozz sich vorher bereits ein Standing in der Szene erarbeitet habe. Tatsächlich galt SpongeBozz zum Zeitpunkt des Release bereits als eine*r der talentiertesten Rapper*innen Deutschlands und hatte sowohl durch seine Battle-Qualitäten als auch die Double- und Tripletime-Songs Bekanntheit erlangt. „Yellow Bar Mitzvah“ ist hinsichtlich der Lyrics und des dazugehörigen Videos aber weit mehr als ein Outing. Mit Zeilen wie „Gangsta-Rapper machen ein auf Kokain-Dealer, doch waren niemals im Ghetto wie meine Oma Sofia“ und der riesigen Flammenwerfer-Menora hinter einem ebenso großen Davidstern aus Neonröhren inszeniert SpongeBozz sein Outing auf eine Art und Weise, die an die Selbstrepräsentation der zionistischen Sportvereine zu Beginn des 20. Jahrhunderts erinnert. Eine Konstruktion des Antisemitismus ist die des jüdischen Mannes als schwächlich, intellektuell, verweichlicht, nahezu verweiblicht (vgl. Mosse 1996; Boyarin/Itzkovitz/Pelligrini 2003). SpongeBozz bricht dieses Bild, nicht nur in besagtem Video. Er rappt hart und schnell, verfasst regelmäßig lange Diss-Tracks und präsentiert sich in vielen Songs, Videos und schließlich auch seiner Autobiographie als knallharten Gangster, den „[…] noch nie etwas gefickt [hat] außer die Hirnhautentzündung“, wie er in „Yellow Bar Mitzvah“ rappt. Laut eigener Aussagen hat er begeisterten Zuspruch für diese Machtdemonstration erfahren: „Viele Menschen sagen, korrekt, dass du nicht rumheulst, dass du zeigst, dass man auch stark sein kann.“ (Liebert 2018). Das Bild des (gottesfürchtigen) Gangsters zeichnet er auch im Song „Eloah“ (2018): „Linke Hand die Tora – rechte Hand die Neuner“. Ob bewusst oder unbewusst steht SpongeBozz damit in der Tradition der zionistischen Theoretiker*innen und Sportvereine Anfang des 20. Jahrhunderts, die das (Selbst)Bild des jüdischen Mannes radikal transformieren wollten: Zum einen wurde mit den jüdischen Turnvereinen der Plan verfolgt, die Zionist*innen auf das (harte) Leben in Palästina und den Kampf um die Staatsgründung vorzubereiten, aber zugleich betonte etwa Max Nordau, in Reaktion auf die antisemitischen Stereotype, dass Juden*Jüdinnen außerordentlich sportlich seien.19 Wenn in Rap-
18 „Hätte er aber von Anfang an klar gemacht, dass er Jude ist, hätte er gar keine Chance bekommen. Die Leute hätten in ihm immer den Juden gesehen.“ (Ben Salomo 2019, S. 221). 19 „Es gibt aber bei der Betrachtung des Turnens der Juden einen Gesichtspunkt, bei dem man meines Erachtens nicht genug verweilt hat, und das ist unsere ungewöhnliche Eignung zu Leibesübun-
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Texten jüdische Männer als hinterhältige Verschwörer oder Synonym für ‚Opfer‘ präsentiert werden, lässt sich SpongeBozz´ martialisch inszenierte jüdische Männlichkeit also als Gegenentwurf verstehen. Hinterfragt sind damit natürlich weder Männlichkeit noch antisemitische Stereotype, die sich auf Männlichkeit beziehen. SpongeBozz unterscheidet sich auch deutlich in seiner Positionierung zu Israel von Shalicar und Ben Salomo: Sowohl in Interviews als auch in seinen Songtexten zeigt er sich sehr kritisch gegenüber Israel, was in der Textzeile „Karma clean, kein Zionist“ (2017b) gipfelt. In dem Interview mit Salah Saado und WELT-Redakteur Thore Barfuss stimmt er Saado bei der Aussage zu, Antisemitismus in Deutschland würde im Zusammenhang mit der israelischen Politik stehen (vgl. Barfuss 2018). Mit seinem Auftreten als ‚echter Gangsta‘ und den zitierten Aussagen und Textzeilen passt er also gut in die HipHop-Erzählung und bleibt trotz seines Outings für Gangsta-Rapper*innen und ihre Fans verständlich. Was den Antisemitismus in der Szene betrifft, wird er sowohl in seinem Buch als auch in Interviews wenig explizit, auch wenn er nicht bestreitet, dass es ihn gibt (vgl. Barfuss 2018). Das unterscheidet ihn wesentlich von Ben Salomo und Arye Sharuz Shalicar. Sie kommen allerdings alle zu dem Schluss, dass das Problem sich nicht auf bestimmte Communities reduzieren ließe (vgl. Barfuss 2018; Noll 2018; Salomo 2019). Zurück zum Anfang: Wo Goßmann (2016) Opferkonkurrenzen beobachtet, sieht Marcus Staiger (2018) eine Debatte, in der antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus verworren durcheinander und gegeneinander verhandelt werden. Staiger erkennt in der Debatte um Antisemitismus im deutschen HipHop auch das Bedürfnis, Antisemitismus zu othern und als rein muslimisches Problem zu behaupten, ebenso aber bei der so beschuldigten Szene die Tendenz, Selbstentlastungen zu formulieren.20 Die von Staiger konstatierte Dauerdebatte um Antisemitismus im Rap scheint zumindest einzigartig für den deutschen Kontext.
gen aller Art. […] Wir haben nur allzu sehr die Gewohnheit, uns selbst unbewusst mit den Augen der Antisemiten anzusehen und mit sträflicher Blindgläubigkeit zu wiederholen, was sie uns nachsagen. So ist es auch für viele, selbst stolze Juden eine keines Beweises bedürfende Tatsache, dass der Jude körperlich unbeholfen, kläglich ungeschickt, bejammernswert schwächlich ist, […] Das behaupten die Antisemiten und das sagen wir ihnen nach." (Nordau 2018, S. 229). Zwischen dem frühen Zionismus und dem Black Nationalism gibt es erkennbare Parallelen: Die Forderung nach einer eigenen Nation für die marginalisierte Gruppe einerseits, ebenso aber auch die Umkehrung und/oder positive Neubesetzung von Zuschreibungen, mit denen man konfrontiert ist. 20 „Da wird der Einwand, mit der deutsch-jüdischen Geschichte nichts zu tun zu haben, mit einem Freifahrtschein für Vorurteile und Ressentiments verwechselt, was dazu führt, dass jüdische Menschen weltweit zur Verantwortung für die Politik eines kleinen Landes im Nahen Osten gezogen werden. Da wird von dunklen Hintermännern des Zinsgeldsystems gesprochen, von Zionisten, die auch für die Bankenkrise, diverse Kriege und den Bau einer Sperranlage zwischen Israel und dem Westjordanland verantwortlich sind. Da wird Kritik an der israelischen Besatzungspolitik durch die Unterstellung torpediert, die Israelis würden aus purer Bosheit und reiner Lust am Töten handeln. Und schließlich wird die Kritik an dieser Art von Kritik als Beleg dafür genommen, dass man
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„Wir haben auch früher nicht ‚Schlagt die Schiden21‘ gesungen“22 – Antisemitismus und Umgang mit jüdischer Identität im Kontext des russischen HipHop In Bezug auf den Umgang mit der Herkunft und ethnisch-nationalen Identitäten scheint sich die russische HipHop-Szene sowohl von der in den USA als auch der in Deutschland zu unterscheiden. Auch wenn die afroamerikanischen Wurzeln von HipHop sowohl den Anhänger*innen als auch den rassistisch motivierten Feind*innen der Subkultur bewusst waren, scheint der Diskurs im und um HipHop hier nicht so stark mit dem Thema „Rassismus“ verknüpft. Dafür finden sich wiederum verschiedene Ausprägungen von Rap mit antisemitischen Texten, wie weiter unten ausgeführt werden soll. Einige der bekanntesten Artists, die Minderheiten angehören, machen aus ihrer Herkunft kein Geheimnis, thematisieren diese in ihren Texten jedoch eher selten. Kristina Si kommt aus einer armenischen, Dezl und Oxxxymiron aus einer jüdischen, Timati und Guf aus einer jüdisch-tatarischen, Morgenshtern aus einer jüdisch-baschkirischen und Ptacha aus einer armenisch-aserischen Familie. Das ist durchaus bekannt, doch sind Bezüge darauf in deren Texten seltener zu finden als zum Beispiel in denen von deutschen Rapper*innen wie Eko Fresh, Nura oder Torch. Was man im russischen Rap durchaus finden kann, ist das aus dem USamerikanischen HipHop bekannte Reclaiming, also die Aneignung eines rassistisch intendierten Begriffs als Eigenbezeichnung. So ist der Titel des 2011 erschienen Debütalbums eines der erfolgreichsten Rappers Russlands, Oxxxymiron „Wetschnyj Schid“ (Ewiger Schid) eine Provokation, nutzt aber gleichzeitig das Reclaiming einer antisemitisch-rassistischen Bezeichnung und stellt hier ein selbstgewähltes Outing des Rappers dar.23 Auf dem gleichnamigen Track des Albums heißt es: „Jakobs Kinder sind mir nicht näher, ich bin überall ein Verstoßener, hasse alle gleich“. Oxxxymiron ist sich der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person als Jude bewusst, erteilte identitätspolitischen Vereinnahmungsversuchen via Twitter im Mai 2015 aber eine klare Abfuhr: „Mich amüsieren diejenigen Ju-
sowieso nicht offen über solche Sachen sprechen dürfe in diesem Land, weil die Macht der Zionisten beziehungsweise Juden so groß sei, woraufhin auch hier ein Zirkelschluss entsteht.” (Staiger 2018, S. 40). 21 „Schid” lässt sich insofern nicht mit Jude*Jüdin übersetzen, weil der Ausdruck im Kontext Russland abwertend gemeint ist. Als neutrale Bezeichnung gilt „Evrei”. 22 So äußerte sich die Band 25/17 in einem Interview (vgl. Barabanow 2014). 23 „Für mich ist die Erwähnung meines Jüdischseins eher ein Hip-Hop-Ding, ähnlich der Art und Weise, wie amerikanische Schwarze ihre Herkunft präsentieren, daher auch der Albumtitel „Wetschnyi Schid" und all das. Battle Rap ist der Zwillingsbruder des Wrestling: In beiden hat jeder Charakter eine andere Persönlichkeit (einer ist Puertoricaner, einer ist ein Zwerg und einer ist ein Kommunist), also bin ich im Rap bei meinem koscheren Thema.” (Sandalov 2015).
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den, die überzeugt sind, dass wir automatisch connected sind: ‚Stell dir vor, ich bin auch Jude!‘ […], ja schön für dich. Und weiter?“ (vgl. Sandalov 2015).
Antisemitismus als Kritik an prowestlichen Eliten – die sowjetnostalgische Variante Babangida/Lenina Paket
Der erste prominente Fall von offen deklariertem Antisemitismus kam von einem Rapper, der sich nicht rechts, sondern links verortet. Babangida, seit 1998 als Rapper aktiv, machte antisemitische und homophobe Äußerungen zu seinem Markenzeichen. Berühmt wurde sein Beef mit Oxxxymiron 2009 (vgl. Istorija bifov 2015). Beide Rapper nahmen am „14. Unabhängigen Battle“ teil. In fast jedem der sieben Disstracks, die Babangida aufnahm, wurde sein Kontrahent aufgrund seines jüdischen Backgrounds beleidigt, nicht selten als „Schid“. Oxxxymirons souveräne Antworten dürften zur Bekanntheit des damaligen Newcomers massiv beigetragen haben. Antisemitische und homophobe Äußerungen als Markenzeichen finden sich auch bei der 2006 gegründeten Band Lenina Paket, bei der Babangida mitwirkte.24 Babangida trauert, wie man seinen Texten entnimmt, der Sowjetunion hinterher und sein Hass gilt denjenigen, die ihren Zerfall begrüßten. Das meint in erster Linie die prowestlich-liberalen Vertreter*innen der Kultur- und Wirtschaftseliten, also diejenigen, die in Russland vor allem ein Land sehen, welches die Werte von Marktwirtschaft und Demokratie noch nicht verinnerlicht hat, aber unbedingt sollte. Babangida/Lenina Paket befinden sich durchaus im Einklang mit der Ideologie der Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation (KPRF) und anderen Gruppen der „volkspatriotischen Opposition“, die in den Marktreformen der Jelzin-Zeit eine westliche Kolonialisierung Russlands sehen und Sowjetnostalgie mit russischem Nationalismus verbinden, den sie als einen Ausdruck der antikolonial-antiimperialistischen Befreiungskampfes deuten. Die antisemitischen, homophoben, antiwestlichen Ressentiments dieses politischen Lagers finden sich bereits in den Diskursen der Sowjetzeit. Das Bild von Juden*Jüdinnen als arbeitsscheue Intellektuelle, eigennützige Individualist*innen, Verbreiter*innen von schädlichen kulturellen und sittlichen Tendenzen25 und heimliche Agent*innen
24 „Das ist ein Judenpogrom [...] Russisches Volk steht für den Schnurrbärtigen [Stalin] auf … In Ungnade sind nun Präsident Putsman und Premier Mendel# […] Unser Führer hat Koscheres nicht gemocht und nun verunglimpfen die Schidki ihn.“ Track „Stalin-Funk“, Album „Makarewitsch“ von Babangida, 2012. 25 Man muss nicht die These Gerhard Henschels übernehmen, der Antisemitismus vor allem auf sexuellen Neid zurückführt, um zu erkennen, dass die Motive der Promiskuität und der Perversion in der antisemitischen Mythologie omnipräsent sind, wie auch schon in Bezug auf SpongeBozz erläutert wurde (vgl. Mayer 1975; Mosse 1996; Henschel 2008; Razuvalova 2015). Auch in Babangidas Fall ist die sich „antielitär“ gebärdende Homophobie eng mit Antisemitismus verflochten.
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des Westens hatte für die nationalistischen Kreise konstituierenden Charakter (vgl. Mitrochin 2015).
Antisemitismus als Provokation? Buchenwald Flava
„Niemand hat soviel zum Zerfall des Faschismus in Russland beigetragen, wie die Band Buchenwald Flava“ prahlte drei Jahre vor seinem frühen Tod der Rapper der besagten Band Sascha Skul in einem Interview (Red’kin 2019). Allerdings lässt sich die These des Rappers, dass Buchenwald Flava ein Kunstprojekt wäre, das potenzielle Rechtsradikale vom Aktivismus ablenken sollte, angesichts der Texte der Bands kaum halten. Zeilen wie „Schneide deine inneren Schläfenlocken ab, vertreib den jüdischen Teufel aus dir“ oder Aufrufe wie der, Emos, Punks und Goths in die Gaskammern zu schicken, lassen daran große Zweifel, ist diese Offenheit des mordlustigen Antisemitismus doch sogar für deutsche bekennende NSRapper*innen (bisher) völlig unvorstellbar. Auch wenn Buchenwald Flava Rap mit neo-nazistischen Inhalten als etwas Witzig-Ironisches betrachten und häufig von anderen Rapper*innen als „Satire“ bezeichnet werden, wurde das von einigen Fans der Band ganz anders verstanden. Die Musik der zwischen 2009 und 2014 aktiven Band fand viele Zuhörer*innen unter Fußballhooligans und Ultras, aktiven Rechtsradikalen und dem entsprechenden Umfeld, was Sascha Skul im selben Interview offen zugibt. Ein Anzeichen dafür, dass Buchenwald Flava breite Bekanntheit genießt, war die Teilnahme an dem angesehenen Battle-Format „Versus“ 2014.
Rechts-Rap mit kommerziellem Erfolg? Der Fall von 25/17
Während die bereits behandelten Artists eher auf kleineren Bühnen auftreten, handelt es sich bei dem Duo 25/17 (zuvor: Ieseekil 25:1726) um ein kommerziell erfolgreiches, landesweit bekanntes und in der alternativen Sparte des Showbusiness etabliertes Musikprojekt. Bis heute haben Bledny und sein Mitstreiter Ant den Ruf als Pioniere des Rechts-Rap in Russland. Das von ihnen gegründete Label Zasada Productions arbeitete mit vielen bekannten rechten Rapper*innen Russlands zusammen. Russischer Nationalismus in seiner christlich-konservativen und antisowjetischen Variante gehört fest zum Image von 25/17. Sowohl in den Texten, als auch in den Ansprachen an das Konzertpublikum wiederholt sich die
26 Das bezieht sich auf das Buch Ezekiel, Kapitel 25, Vers 17: „und will große Rache an ihnen üben und mit Grimm sie strafen, daß sie erfahren sollen, ich sei der HERR, wenn ich meine Rache an ihnen geübt habe.“ Zudem verweist die Band mit diesem Namen auch auf den vermeintlichen Bibelvers „Hezekiel 25 27“ im Film „Pulp Fiction“.
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Forderung „Weiß zu bleiben“ und „Weiße Kinder zu zeugen“, Bledny schwärmt im Track „Oblako“ von seinem zukünftigen Sohn, „einem weißen Kind, das nach Weißbrot riecht und uns mit dem kornblumenblauen Himmel seiner Augen anschaut“, während er an anderer Stelle davon rappt, dass „Schwuchteln“ und „Tolerasten“ ihn nicht davon abbringen werden, viele Kinder zu zeugen. Um die Zukunft der (trotz des angeblich heftigen Widerstandes der Homosexuellen gezeugten) „Weißbrotkinder“ macht er sich im Song „Owotschi“ zusammen mit der gleichgesinnten Band Idefiks Sorgen, da sie angeblich zu „ausgestoßene Gojim im eigenen Land werden“ könnten. 25/17 imaginiert immer wieder eine anonyme Macht, die all die für Russland schädlichen Prozesse in Gang setzt. Die Hinweise, wer es sein könnte, sind so explizit wie in dem holprigen Text über Gojim, verbergen sich aber auch in codierten Hinweisen wie „sie würden Öl wie Blut aussaugen“. Die Band ist sich darüber bewusst, welche Kritik sie angesichts ihrer Texte zu erwarten haben. Dem meinen sie schon im Vorfeld effektiv mit Aussagen wie der folgenden zu begegnen: „Wir transportieren immer noch dieselben Werte, wir sangen früher nicht ‚Schlagt die Schiden – Rettet Russland‘, wir singen es auch heute nicht“ (Barabanow 2014).
Rechts-Rap als eigene Subszene
Ab 2009/2010 entwickelte sich in Russland eine sich selbst so bezeichnende „Rechts-Rap“-Szene, die sich sowohl im Habitus, im Selbstverständnis, als auch bezüglich der Zielgruppe stark von der kommerziellen Rap-Szene unterscheidet: Misha Mavashi postulierte ein Leitbild vom engagierten nationalistischen Rapper. Er propagierte ein drogenfreies Leben, regelmäßiges Kampfsport-Training, eine Solidargemeinschaft nach dem Herkunftsprinzip und Persönlichkeitsentwicklung durch Religion und Theoriearbeit. Anhänger*innen fanden sich überwiegend in der Fußballszene. Bands wie GROT, Projekt Uwetschije, Idefiks oder Artists wie Danila Gradow, SharOn und Luperkal haben primär Migrant*innen und Kaukasier*innen als Feindbild, ihre antiwestliche Rhetorik ist weniger ausgeprägt. Uneinigkeit gibt es in Religionsfragen: Während Misha Mavashi für orthodoxes Christentum plädierte, sind GROT Anhänger*innen des Neuheidentums. Antisemitismus war jedoch von Anfang an Teil des Weltbildes der Rechts-Rap-Szene. Aktuell scheint es um diese Szene etwas stiller geworden zu sein.27 Misha Mavashi, dessen YouTube-Kanal rund 98.000 und dessen Telegram-Kanal 170.773 Abos aufweist, baut seine eigene rechte Bewegung „Nördlicher Mensch“ auf. Zum Konflikt um die Ukraine empfahl er kriegskritischen Künstler*innen, sie sollen „in Is-
27 Viele Artists des Spektrums sind von der Bildfläche verschwunden, der VK-Fangruppe von Grot folgen rund 350 000 Follower.
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rael für Schekels singen“, den Krieg selber bezeichnet er als durch „die Rothschilds und zwei weiteren Familien“ angezettelten „Gojim-Krieg“. Ähnlich wie im deutschen Rechts-Rap sind Vertreter*innen des russischen Rechts-Rap ausschließlich für ein rechtes und rassistisches Publikum interessant.28 Die Subszene grenzt sich auch von der übrigen HipHop-Szene ab. In der VK29-Gruppe Ultras Action wurde 2014 der Unterschied folgendermaßen erläutert: „Russischer Rap […] teilt sich für viele unserer Gruppenmitglieder in zwei Lager: rechter Rap über die gesunde Lebensweise (25/17, GROT, Misha Mavashi usw.) und jüdisch-znarefische30 Mafia verkörpert durch Guf, Centr und andere.“ Eine weitere Parallele ist, dass es russischen Rechts-Rap maßgeblich um die Propaganda seiner politischen Werte geht (vgl. den Beitrag von Anna Groß zu deutschem Rechts-Rap in diesem Band). In der russischen HipHop-Szene gibt es durchaus Kritik an den rechten und nationalistischen Tendenzen (vgl. Slovo 2010). Rassismus und Antisemitismus frontal mit Disstracks zu begegnen ist, abgesehen vom oben skizzierten Fall von Oxxxymiron vs. Babangida, eher unüblich. War Anfang der 2000er Jahre Dezl noch in Talkshows mit rassistischen Parolen aufgrund seiner „Schwarzen“ Frisur und Musik konfrontiert, begegnete er dem souverän mit Verweisen auf die Weltoffenheit von HipHop.31 Heute vermeiden offen rechte Artists direkte Beleidigungen gegen bekannte Szenegrößen in ihren Tracks. Es gibt auch keine klare Abgrenzung von der anderen Seite, so nahm zum Beispiel Oxxxymiron bereits Tracks mit Luperkal und 25/17 auf.
Nationalistische Eliten-Kritik als gemeinsamer Nenner
„Wir machen Drecksarbeit an eurer Statt, ohne Cognakpause, ohne Samstagsruhe“ tönte es am 30. September 2022 über den Roten Platz (vgl. Postnikova 2022). Anlass war ein Konzert zur Feier der Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland. Rapper Ritsch, der auf diese Weise die „Drückeberger“ in der Hauptstadt im Namen der Frontkämpfer*innen anprangert, ist für seine Freundschaft zum Schriftsteller und Politiker Sachar Prilepin bekannt. Dieser distanziert sich zwar häufig vom Antisemitismus im Namen einer multiethnisch-imperialen Russlandkonzeption, doch zeigt sich der ehemalige Nationalbolschewist und
28 2011 erhielt ein YouTube-Video von Mischa Mawaschi eine Million Klicks im ersten Monat und weitere zwei Millionen in den darauffolgenden Monaten – ein Erfolg, der, selbst für bekanntesten Artists wie Basta oder Guf nicht immer erreichbar ist. Es blieb jedoch eine Ausnahme. 29 Es handelt sich hier um das russische Soziale Netzwerk VK, was im Deutschen für V-Kontakte steht. 30 Dieser Ausdruck ist im Russischen pejorativ für: kaukasisch. Es handelt sich dabei um ein relativ neues Schimpfwort. 31 Sein Szenekollege Basta beschimpfte ihn daraufhin als „Hermaphrodit” – allerdings nicht in RapSongs, sondern in sozialen Netzwerken (vgl. Vaya con Dios 2017).
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Kriegsfreiwillige stets um die Wehrhaftigkeit Russlands besorgt und sieht es durch Dekadenz, Verweichlichung und Verrat der kosmopolitischen Eliten bedroht. Antisemitismus, ob aus der sowjetnostalgischen oder traditionalistischen Ecke, tritt in Russland – auch in der dortigen HipHop-Szene – als nationalistische Suche nach den Verrätern in den Reihen der Eliten auf. Antisemitische Rapper*innen können Putin unterstützen oder in harter Opposition zu ihm stehen, aber die Angst vor dem Verfall der Nation, vor Schaden am Volk durch fremden Einfluss und dem Niedergang des Staates, teilen sie mit ihm allemal.
Fazit Antisemitismus präsentiert sich in den drei dargestellten HipHop-Szenen in den USA, Deutschland und Russland auf jeweils spezifische Weise, was nicht nur in der Geschichte der Länder und der jeweiligen aktuellen politischen Situation begründet liegt, sondern auch in der damit verbundenen spezifischen Geschichte der HipHop-Szene. Und dennoch lassen sich Überschneidungen herausarbeiten: Für alle drei Kontexte lässt sich sagen, dass sich viele Rap-Texte finden lassen, in denen Antisemitismus, insbesondere in der Form von antisemitischen Verschwörungserzählungen, als (postkolonialer) Befreiungskampf verbrämt wird. Das gilt für die Vorstellung eines „jüdisch dominierten“ Sklavenhandels bzw. Ausbeutung (USA), für eine „Israelkritik“, die vielmehr mit antisemitischen Bildern aufgeladenes Ressentiment darstellt (Deutschland) (vgl. Salzborn 2013) und ebenso für die Imagination einer Zerstörung der Nation durch Juden*Jüdinnen, die westliche Werte propagieren (Russland). Diese geteilte, spezifische Vorstellung des postkolonialen Kampfes gegen ‚den Westen‘ geht mit Verschwörungsideologien einher. Juden*Jüdinnen werden besondere Merkmale wie Macht, Reichtum und ein elitärer Habitus angedichtet. Gerade diese Zuschreibungen erlauben es, Antisemitismus als eine Art Sozialkritik erscheinen zu lassen. Die Situation in Russland underscheidet sich von der in der USA und am auffälligsten von der in der Bundesrepublik, durch scheinbar größere öffentliche Gleichgültigkeit und höhere öffentliche Toleranz gegenüber offen rassistischen und antisemitischen Aussagen. Auch wenn etliche Tracks von im entsprechenden Abschnitt erwähnten Artists in das „Föderale Verzeichnis extremistischer Materialien“ aufgenommen wurden, löste das keine Debatte jenseits der Szene aus. Im US-amerikanischen Kontext sowie im deutschen Kontext scheint das Thema „Opferkonkurrenz“ eine große Rolle zu spielen: Das Leiden von Afroamerikaner*innen oder Betroffenen von antimuslimischem Rassismus wird in ein Konkurrenzverhältnis zu jüdischem Leid und Betroffenheit von Antisemitismus gebracht. Das gilt durchaus nicht nur für die jeweilige HipHop-Szene. Fachkräften aus der Jugendarbeit dürften Sätze wie „Es geht immer nur um die Juden!“ vertraut sein (vgl. Jäger/Groß/Ledesma-Mendez 2022). Dem Eindruck, dass bestimmte Be-
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troffenheiten mehr Aufmerksamkeit erfahren, sollte in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen Rechnung getragen werden, sie sollten aber unbedingt für falsche Erklärungsansätze kritisiert werden. Es ist zudem wichtig zu betonen, dass die eigenen Diskriminierungserfahrungen nicht automatisch für andere Ausschlussmechanismen sensibilisieren.
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„Doch wir war‘n vor euch im All.“1 HipHop und Ostdeutschland Marie Jäger
Ostdeutschland2 und ostdeutsche Identität im HipHop ist ein Thema, dessen Bearbeitung bisher auf vereinzelte Zeitungsartikel3 und das YouTube-Format Germania Ost beschränkt blieb. Es ist dennoch von einiger Relevanz: Zum einen gibt es eine Fülle von Rap-Songs, die sich mit dem Osten befassen und Rapper*innen, die ihre Bühnenfigur um ihre ostdeutsche Identität herum aufbauen. Zum anderen steht zu erwarten, dass der Diskurs um spezifisch ostdeutsche Erfahrungen in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen wird und dadurch Bedeutung für die politische Bildung gewinnt. Was dieser Text – zumal angesichts der beschränkten Seitenzahl – nicht leisten kann, ist eine umfassende Bestandsaufnahme der ostdeutschen Rap-Szene. Ebenso wenig kann an dieser Stelle eine tiefgreifende kulturwissenschaftliche Analyse der Texte erfolgen. Auch die Rezeption von Rap mit Bezug auf Ostdeutschland, insbesondere unter Jugendlichen, kann und soll hier nicht untersucht werden. Was dieser Beitrag allerdings leisten wird, ist ein Überblick, wie HipHop sich in der DDR und später Ostdeutschland entwickelte, welche Themen und Motive in Rap über Ostdeutschland regelmäßig auftauchen, wie diese an andere Debatten um ostdeutsche Identität anknüpfen und auch, warum es sinnvoll scheint, darüber mit Jugendlichen in die Diskussion zu kommen.
Ostdeutsche Identität? Gibt es eine ostdeutsche Identität? Und wenn ja, was macht sie aus? Verschiedene Autor*innen und Akteur*innen haben sich – vor allem in den vergangenen Jahren – an einer Standortbestimmung ostdeutscher Identität versucht, allen voran Jana
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Marteria (2022): „Scheiss Ossis“. Ist in diesem Artikel von „Ostdeutschland“ die Rede, sind die „neuen Bundesländer“ gemeint. Der Begriff bezeichnete ursprünglich bis 1945 die Gebiete Deutschlands östlich der Elbe. Er wurde und wird, insbesondere von Vertriebenenverbänden und Teilen der rechten Szene, zum Teil noch heute so genutzt. Der Begriff „neue Bundesländer“ wird mittlerweile auch in Wissenschaft und Medien nur noch sehr selten verwendet. Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder wurde 2002 in „Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland“ umbenannt. So zum Beispiel Interviews mit Pöbel MC und Hendrik Bolz von Zugezogen Maskulin.
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Hensel (vgl. Hensel 2019; Hensel/Foroutan 2020), aber auch Wolfgang Engler (vgl. Hensel/Engler 2018), Ilko Kowalczuk (2019), Johannes Nichelmann (2019) und nicht zuletzt das Netzwerk „Dritte Generation Ost“ (vgl. Hacker et. al 2012) – um nur einige zu nennen. Daneben lassen sich zahlreiche Studien und wissenschaftliche Abhandlungen zu den Transformationsprozessen in Ostdeutschland ab 1990 finden (vgl. u. a. Kollmorgen 2005; Mau 2019; Enders/Kollmorgen/Kowalczuk 2021). Zentraler Moment ist dabei regelmäßig das Thema der deutsch-deutschen „Wiedervereinigung“, ein Prozess, für den Kowalczuk den Begriff „Übernahme“ für weitaus treffender hält (vgl. Kowalczuk 2019). Schon in diesem Begriff drückt sich aus, dass die Prozesse aus ostdeutscher Sicht geschildert werden sollen. Ein Blick auf die Transformationsprozesse auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ab 1989 jenseits von Ostalgie, aber ebenso fern von (oft westdeutschen) Theorien über „diktaturgeprägte Ossis“.4 Identitätsbestimmung und Identitätspolitik drückt sich hier – analog zu anderen identitätspolitischen Bewegungen – zum einen in der Darstellung einer gemeinsamen Betroffenheit aus, zum anderen aber auch in Versuchen positiver (Neu-)Besetzung der Ost-Identität. Letztlich kann das eine ohne das andere nicht gedacht werden: Erst die Abwertung legt den Versuch einer positiven Neubesetzung der vermeintlichen Gruppenidentität überhaupt nahe. In dieser Neubesetzung steckt allerdings nicht selten schon die Affirmation der unterstellten Identität. Diese greift auf die formulierten Klischees zurück und lädt die Unterstellungen schlichtweg mit positiver Bewertung auf.5 Alternativ kann auch das Gegenteil der Klischees als Identität postuliert werden, was dann zu einem regelrechten Abarbeiten an den Unterstellungen führt. Betroffenheit bedeutet Betroffenheit von etwas sehr Konkretem, nämlich Ausschluss und Abwertung. Darunter fällt die häufig mit dem Begriff „Treuhand“ paraphrasierte Abwicklung eines Großteils der Produktionsstätten in Ostdeutschland und die daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit in den 1990er Jahren. Darunter fällt die geringe Anzahl von Ostdeutschen in leitenden Positionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Dazu zählt aber auch der abwertende Blick auf die neuen Bundesländer, der sich in Begriffen wie „Jammerossi“ oder „Dunkel-
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Diese Theorie taucht insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsextremismus in Ostdeutschland regelmäßig auf. So erklärte sich schon Ende der 1990er der Kriminologe Christian Pfeifer die höhere Dichte rechter Gewalttaten in Ostdeutschland mit der fortwirkenden DDR-Erziehung zu Gehorsam, die lauter demokratisch desorientierte Jugendliche produziere, die sich nur in der Gruppe stark fühlen, aus welcher heraus sie dann auch Straftaten begehen. Dies gipfelte bei ihm schließlich in der viel zitierten Theorie, die starren Toilettenregeln in DDR-Kitas seien Wegbereiter des Rechtsextremismus in Ostdeutschland gewesen (vgl. Decker 1999). 2021 geriet der damalige Ostbeauftragte Wanderwitz für ähnliche Thesen in die Kritik (vgl. Rennefanz 2021). Ein Beispiel dafür ist der Rapper FiNCH, der die DDR-Ästhetik der 1980er in seinen Videos verarbeitet und sich selbst als stolzen Ostdeutschen mit Vokuhila und Jogginganzug präsentiert.
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deutschland“ ausdrückt.6 Naika Foroutan stellte in der Studie „Ost-Migrantische Analogien“ 2019 die These auf, dass Ostdeutsche mit ähnlichen Stereotypen wie Migrant*innen konfrontiert seien, etwa dem Vorwurf, per se anfälliger für Extremismus zu sein oder dem, sich permanent als Opfer zu stilisieren. Sie ermittelte außerdem, dass sich über ein Drittel der Ostdeutschen als „Bürger zweiter Klasse“ fühlen, ähnlich wie Menschen mit Migrationshintergrund. Obwohl nicht alle Ostdeutschen gleichermaßen negativ von den nicht nur wirtschaftlichen Auswirkungen der „Übernahme“ betroffen waren7, waren doch alle von den Umwälzungen mindestens tangiert und erlebten diese Zeit als prägend (vgl. Faus/Hartl/Unzicker 2020). Die Lebensumstände veränderten sich und diese Veränderungen wirken bis heute fort, sie wirken auch noch auf die heute Elf- bis Zwanzigjährigen in Ostdeutschland, die aktuelle Zielgruppe der Jugendarbeit. Diese Jugendlichen bekommen mit, wie ihre Eltern und Großeltern über die DDR, die 1990er, die „Übernahme“ und „die Wessis“ sprechen. Sie bekommen auch mit, welches Bild von Ostdeutschland in den Medien entworfen wird.8 Und sie wachsen zu einem nicht geringen Teil in strukturschwachen Gegenden oder aber in ‚Problemvierteln‘ wie Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau oder Halle-Neustadt auf. Der positive Bezug auf Ostdeutschland, also der Versuch, ostdeutsche Identität positiv zu bestimmen, wirkt regelmäßig befremdlich, teilen die Menschen konkret ja tatsächlich wenig, abgesehen von der Erfahrung eines Lebens in der Transformationsgesellschaft und der oben genannten Betroffenheit von Abwertung und Negativ-Zuschreibungen. Sie sehen sich, im Unterschied zu anderen subalternen Identitäten, auch nicht mit politischen Bewegungen konfrontiert, die eine Feindschaft Ostdeutschen gegenüber zum Programm haben. Als Ausgangspunkt für Positivbestimmungen kann Ostalgie zum Einsatz kommen, etwa der ostentative Vorzug ostdeutscher Produkte, seien es Lebensmittel, Bücher oder Technik. So haben sich in den letzten Jahren zum Beispiel immer mehr Jugendliche in Simson-Cliquen zusammengeschlossen, um die Moped-Legende Simson mit großem Eifer zu finden, zu restaurieren und zu fahren und ha-
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Die Beschreibungen „Jammer-Ossi“, „Dunkeldeutschland“ oder „diktaturgeschädigter Ossi“ scheinen vor allem in Krisen Konjunktur zu haben. So wurden die Pegida-Demonstrationen oder auch Corona-Proteste als fast ausschließlich ostdeutsche Phänomene beschrieben und mit der Frage der Demokratietauglichkeit der Bevölkerung Ostdeutschlands verknüpft. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium der ostdeutschen Gesellschaft Anfang der 1990er Jahre war die Einteilung in „Wendegewinner*innen“ und „Wendeverlierer*innen“. Mehrfach hörten wir im Rahmen von Schulprojekttagen von Schüler*innen, vor allem im ländlichen Raum Ostdeutschlands, dass es sie betroffen und wütend macht, dass ihre Orte „immer nur als braune Hochburgen oder „No Go Areas“ betitelt werden.
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ben damit einen Hype ausgelöst.9 Ebenso scheinen als positiver Bezug vermeintlich ostdeutsche, je nach Ansicht auch in der DDR und darüber hinaus, tradierte Werte wie nachbarschaftliche Hilfe, Ehrlichkeit und Bodenständigkeit auf. Daneben haben die eingangs genannten Autor*innen, vor allem Hensel, Engler und Decker neue Bezugspunkte zu etablieren versucht, die vor allem der vielfach wiederholten These vom „diktaturgeschädigtem Ossi“ entgegensteht: Sie nehmen die Oppositionsbewegungen der 1980er Jahre in der DDR sowie die Montagsdemos 1989 zum Ausgangspunkt für ein positives Bild der widerständigen, interessierten und kreativen Ostdeutschen. Ein Widerstandspotenzial sieht und instrumentalisiert allerdings auch die politische Rechte: Martin Sellner, Ellen Kositza, Phillip Stein vom rechten jungeuropa-Verlag sowie Vertreter*innen der AfD feiern den ostdeutschen Widerstandsgeist, allerdings vor allem für seine antikommunistische Ausrichtung (vgl. u. a. Stein 2019; Lau 2019). Etliche Versuche – und auch da lässt sich eine Anschlussfähigkeit an die rechte Szene konstatieren – eine ostdeutsche Identität zu entwerfen, scheinen zudem zentral um den ostdeutschen cis Mann zu kreisen (vgl. Pleger 2022). Viele dieser Beschreibungen von Transformation, Umbruch und Positivbezug auf Ostdeutschland finden sich auch im ostdeutschen Rap des letzten Jahrzehnts. Zudem gehörte HipHop in der DDR als Jugendkultur zum zumindest potenziell oppositionellen Milieu. Beginnen wir also in den 1980ern.
HipHop in der DDR HipHop erreichte die DDR Anfang der 1980er Jahre. Im Gegensatz zur BRD, in welcher die Kultur neben Medien auch durch den Kontakt mit afroamerikanischen GIs Verbreitung fand, kamen Jugendliche in der DDR tatsächlich ausschließlich durch die Filme „Beatstreet“ und „Wildstyle“ mit HipHop in Berührung. „Beatstreet“ wurde nur deshalb in den Kinos gezeigt, weil sich Harry Belafonte für die Produktion verantwortlich zeichnete, der sich in den USA in der Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnamkrieg engagierte und erklärter Sozialist war. „Beatstreet“ wurde von der SED nicht als Ausdruck dekadenter westlicher Jugendkultur gesehen, sondern als Darstellung eines antikapitalistischen, internationalistischen Protests (vgl. Schmieding 2014; 2015). Dieser Blick fiel im Folgenden auf das gesamte Phänomen „HipHop in der DDR“, womit dieser Jugendkultur eine Sonderrolle zufiel: Wurden Anhänger*innen anderer Jugendkulturen, wie etwa Grufties, Blueser („Penner“ oder „Tramper“ im Stasi-Jargon) und insbesondere Punks als „negativ-dekadente Jugendliche“ bezeichnet und gerieten
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Vgl. u. a. die Doku „Simson – Vom DDR-Moped zum Retrokult” (2023) und die Doku „Jung, männlich, ostdeutsch – Wo der Westen weit weg ist”.
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ins Visier der Staatssicherheit, wurde die HipHop-Szene nahezu hofiert. Rapper*innen und DJs konnten ihr Können in Jugendclubs demonstrieren.10 Breakdancer*innen-Battles wurden von der FDJ – unter dem Label „akrobatischer Showtanz“ – mitorganisiert. Die Rap-Combo Electric Beat Crew unterzeichnete 1989, kurz vor dem Mauerfall, sogar einen Plattenvertrag mit AMIGA.11 Einzig die Sprayer*innen fanden weniger ideale Startbedingungen vor: Nachdem die ersten DDR-Punks bereits in den 1970er Jahren Parolen wie „Macht aus diesem Staat Gurkensalat!“ an Hauswände sprühten, waren Dosen nicht mehr frei im Handel erhältlich. Die Szene behalf sich mit Versuchen eigene Dosen zu basteln, mit Wandfarbe sowie der Gestaltung von Graffiti-Styles auf Kleidung, welche auf HipHop-Parties spazieren getragen wurden (vgl. Falk 1995). Trotz ihrer politischen Vereinnahmung durch staatliche Akteur*innen verstand sich die HipHopSzene der DDR als Untergrundphänomen. Erklärter Widerstand gegen den Staat – wie bei den DDR-Punks – war allerdings nicht ihr Programm. Vielmehr nutzten die Jugendlichen die Szene-Aktivitäten als Ventil, um sich Freiräume jenseits der FDJ zu eröffnen und ihre Interessen umzusetzen – etwa, indem sie auf Englisch rappten, den öffentlichen Raum durch Tanz eroberten oder ihre Kleidung mit Graffiti-Schriftzügen oder selbst aufgemalten Nike-Logos umstylten. Während die SED HipHop als sinnvolle Freizeitbeschäftigung sozialistischer Jugendlicher zu inszenieren suchte, war HipHop für viele dieser Jugendlichen ein Fenster in den Westen. Das führte mitunter zu Spannungen: Zum Beispiel war Breakdance auf der Straße weniger gern gesehen als auf offiziell organisierten Parties. Auch die Menge an englischsprachigen Songs auf der Bühne oder beim DJing durfte ein gewisses Maß nicht übersteigen. Mit dem Mauerfall änderte sich die HipHop-Szene – während die GraffitiSzene in Ostdeutschland und insbesondere Ostberlin nahezu explodierte (vgl. dazu das Interview „Graffiti in der Jugendarbeit“ in diesem Band), verschwand Rap aus Ostberlin, Leipzig und Chemnitz erst einmal komplett von der Landkarte. Ähnlich wie die DDR-Wirtschaft schien die HipHop-Szene im vereinten Deutschland nicht konkurrenzfähig – oder nicht konkurrenzwillig.
Rap in Ostdeutschland Ostdeutscher Rap ist generationsübergreifend: Da sind die Vertreter*innen der sogenannten „Dritten Generation Ost“12, zu denen z. B. die Rapper*innen Trettmann, Marteria, Romano und Pyranja gehören, welche den Zusammenbruch der 10 Sehr eindrücklich dargestellt in der MDR Doku von 2019 „Back in the Days – HipHop in der DDR“. 11 AMIGA war das Plattenlabel für populäre Musik in der DDR und dem Ministerium für Kultur nachgeordnet (vgl. Bratfisch 2005, S. 291). 12 Oft auch „Wendekinder” oder nach dem Buch von Sabine Rennefanz „Eisenkinder” genannt.
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DDR und die #Baseballschlägerjahre13, zum Teil aber auch noch die HipHopSzene in der DDR sehr bewusst mitbekommen haben. Daneben gibt es die Generation der Nachwendekinder, für die vor allem die Nuller Jahre in Ostdeutschland prägend waren.14 Das spiegelt sich in den Songs: Die vor 1980 Geborenen machen die Wiedervereinigung zum Thema, während im Zentrum der Songs jüngerer Vertreter*innen eher die Auseinandersetzung mit ostdeutscher Identität und Bildern von Ostdeutschland steht. Auch der Bezug auf eben jene ostdeutsche Identität ist bei den Rapper*innen nicht durchgesetzt: Während z. B. Trettmann, Romano, Joe Rilla, Kummer, zunehmend auch Marteria15 und allen voran FiNCH Asozial häufig auf Ostdeutschland Bezug nehmen, sich gar als „Ossi“ inszenieren (FiNCH 2020), ist dies bei Rapper*innen wie z. B. Morlock Dilemma, Pyranja oder Hiob seltener der Fall. Überraschend outete sich auch Sido als Ostdeutscher und brachte drei Songs zu der Thematik raus („Kanacks & Hools“ [2008] und „Ostwest“ mit Joe Rilla [2005] sowie „Hey du!“ [2009]). Die Menge an Songs über den Osten nimmt seit etwa 2017 kontinuierlich zu. Versuche, dezidiert ostdeutsche Rap-Kollektive aufzubauen, startete vor allem Joe Rilla mit Ostblokk und dem Label Plattenbau Ost.
„Wir ziehen Freiheit auf Lunge“ – Ost-Rap über die Übernahme Trettmann mit „Grauer Beton“ (2017), Pyranja mit „Kennzeichen D“ (2009), Marteria mit „Neonwest“ (2021) und Romano mit „König der Hunde“ (2017) machen die Umbruchserfahrung 1989/1990 zum Thema und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Pyranja, 1978 in Rostock geboren, beschreibt in ihrem Song die DDR als Käfig und Ort der Beschränkungen, denen kaum zu entkommen war, bis die Mauer fiel. Andererseits wird auch die Zeit ab 1989 nicht bruchlos positiv erlebt: „In Zwangshaft waren alle eins und keiner zu beneiden//jetzt plötzlich Ellenbogen zeigen und sich von anderen unterscheiden//es ist nicht alles Gold was glänzt erfuhr ich
13 Der Hashtag #Baseballschlägerjahre wurde vom Autor Christian Bangel auf Twitter gestartet, nachdem dieser 2019 den Artikel „Sieg-Heil-Rufe wiegten mich in den Schlaf“ von Hendrik Bolz/Testo gelesen hatte. Der Hashtag verband sich mit dem Aufruf, eigene Erfahrungen aus der Zeit ab 1990 zu teilen. 14 Der Rapper und Autor Hendrik Bolz aka Testo gab seinem unlängst erschienen ersten Roman den Titel „Nullerjahre” (2022). 15 Marteria erklärte in einem Interview von 2022, dass er einige Zeit gebraucht habe, sich dem Thema zu nähern und es benennen zu können, während es für die Generation nach ihm – etwa Kummer und Testo – viel leichter scheine. 2022 brachte er mit „Neonwest”, „Wendekind” und „Scheiss Ossis” gleich drei Songs zum Thema heraus.
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als ich klein war//und verlieren ist nicht fair, doch leider niemals vermeidbar.“ (Pyranja 2009).
Trettmann, geboren 1974 in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, beschreibt die frühen 1990er Jahre in einem düsteren Bild, das durch das in Schwarz-Weiß gehaltene Video, gefilmt im verwaisten Plattenbau, noch unterstrichen wird. Für Trettmann, 1990 Jugendlicher im Neubaugebiet in Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt, scheint die Erfahrung des Abgehängt-Seins und fehlender Perspektiven am prominentesten gewesen zu sein: “In meinem Hauseingang kaum Gutes los//Freunde werden stumpf, werden skrupellos [...]//Seelenfänger schleichen um den Block und//Machen Geschäft mit der Hoffnung//Fast jeder hinter Tür lauert n Abgrund//nur damit du weißt, wo ich herkomm [...]//Man hat uns vergessen dort, Anfang der Neunziger Jahre//Desolate Lage, jeden Tag mit der Bagage [...]//Neue bunte Scheine sprechen eine eigene Sprache//Neue bunte Welt erstrahlt in der Leuchtreklame[…]“ (Trettmann 2019).
Neonlicht und Reklame thematisiert auch Marteria im Song „Neonwest“ (2021), der seine erste Reise nach West-Berlin kurz nach dem Fall der Mauer beschreibt. Neben vielen neuen Begriffen („Maracuja und Shimano“) stolpert er aber auch über einiges, was es in der DDR nicht gab oder ihm dort nicht ins Auge fiel: zum Beispiel Obdachlose, Kirchen und Drogenabhängige. Während Jugendliche Anfang der 1990er in der ostdeutschen Provinz oft den Eindruck haben mussten, umgeben von Nazis vom Rand der Welt gefallen zu sein, stellte sich das Leben in der frisch vereinten Noch-nicht-wieder-Hauptstadt ganz anders dar, wie Romanos „König der Hunde“ (2017) zeigt. Zentrum ist „das wilde Ostberlin“, das gleichzeitig Abenteuerspielplatz und Gefahrenzone ist: Romano gelingt es, mit nur scheinbar wahllos zusammengewürfelten Begriffen – „Witboy“, „CD-Kleptomanie“, „Quelle-Katalog“, „Kellerlochparties“, „Grufties, Punks, Skinheads, Nazis“, „Umschulung“ bei (ostdeutschen) Hörer*innen Kaskaden von Bildern und Assoziationen auszulösen, welche direkt in die 1990er zurück transportieren. Und er fasst so schließlich das Ost-Berlin-Gefühl dieser Jahre zusammen: “Wir ziehen Freiheit auf Lunge//Von null auf hundert – eine Sekunde//Komm wir dreh´n noch ne Runde//Dickes Fell kleiner Junge//Nackt unter Wölfen im Großstadtdschungel//König der Hunde“ (Romano 2017).
Was allen Texten gemeinsam ist: Sie beschreiben die Möglichkeiten ebenso wie die Unsicherheiten, die die Übernahme auslöste.
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„Alles beim Alten, hier wo sie mich mögen“ – Heimat und Identität im Ost-Rap Auch im Ost-Rap stellt sich die Frage: Was ist eigentlich ostdeutsche Identität? Oder wenn Identität gar nicht das Thema sein soll: Was ist dieses Zuhause? Was ist der Osten? Dabei kommen sehr viel häufiger Erfahrungen mit der Transformationsgesellschaft ab 1990 zur Sprache als DDR-bezogene Nostalgie. Nicht selten sind das Schlagworte, die auch als Marker für Klassismus funktionieren würden: Filterkaffee, Bärchenwurst, Sauftouren, Jogginghosen; „beim Griechen isst man Schnitzel und Tiramisu“ textet Mortis im Song „Zuhause“ 16 und Marteria rappt in „Scheiss Ossis“: „[...] Wir versauen euch den Tag [...] Heute zieh´n wir blank am FKK.“ Unbedingt gehören aber auch Plattenbauten, verwaiste Gegenden, leerstehende Gebäude, Nazis an der Tankstelle (überhaupt: Tankstellen und Bushaltestellen als Treffpunkte für die Jugend) zu diesem Zuhause. Landflucht ist immer wieder ein Thema. Zuhause ist oft eine bestimmte, aber sehr ostdeutsche Stadt wie die eher lokalpatriotischen Songs „Bitterfeld“ (Gossenboss mit Zett 2016), „Köpenick“ (Romano 2015), „Mein Rostock“ (Marteria 2015) und „Ostberlin“ (Joe Rilla 2010) zeigen. In einigen Songs kommt ein eher melancholisch-resigniert wirkendes Heimatgefühl zum Tragen, das sehr düster inszeniert wird. Zum Beispiel in Kummers „Schiff“ (2019): „Wir verrotten hier im Zwischendeck//zwischen wütenden Kartoffeln und einem Haufen Crystal Meth“, ebenso auch in „Plattenbau O.S.T“: „Ist bei dir zuhause alles scheiße//Jeden Tag bis in die Nacht Fußballplatz alleine//mach dir nix draus, uns geht´s hier allen gleich//wenn du ein Bier exen kannst dann haben wir ein Platz frei“ (Zugezogen Maskulin 2015) und im Song „3. Oktober“: „Liegestütze auf Beton//scheißegal was dann noch kommt//ob KarlMarx-Stadt oder New York//Freiheit ist nur ein leeres Wort“ (Hinterlandgang 2022). Daneben gibt es aber eine ganze Reihe von Songs, die sich, häufig begleitet von Ironie, mit stolzem Selbstbewusstsein und optimistischem Grund-Vibe auf die ostdeutsche Heimat beziehen. In diesen Songs ist der Osten ein besserer Ort: Schönere Frauen, billigeres Bier, traumhafte Landschaften und echte Männerfreundschaften prägen den Alltag. Im Anschluss an das Kapitel zur ostdeutschen Identität lässt sich also feststellen: Auch Rap-Texte zu Ostdeutschland bewegen sich zwischen Beschreibungen von Betroffenheit und dem Versuch, eine positiv besetzte Identität herzustellen. Eine Synergie versucht der Song „Wendekind“ von Marteria, FiNCH und Silber-
16 Auch die Zeile im Titel – „Alles beim Alten, hier wo sie mich mögen” – rappt Mortis in „Zuhause“ (Mortis 2013).
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mond mit Zeilen wie „Abgestürzt wie Lemminge, doch auferstanden aus Ruinen“ (2022).
„Patchworkwendekids – Respekt ist bei uns Ruhm“17 – Ost-Rap als Gegenentwurf zum Gangsta-Rap? Es spricht einiges dafür, dass sich viele Ost-Rapper als Gegenentwurf zum Gangsta-Rap inszenieren. Bewusst wurde im letzten Satz das Maskulinum gewählt: Auch im Rap provoziert der Begriff „ostdeutsche Identität“ zuerst das Bild eines cis Mannes. Dieser Gegenentwurf drückt sich in der Betonung grundsätzlich verschiedener Werte aus, einmal quer durch alle politischen Lager und durchaus nicht nur in den Texten: Rapper wie Romano, FiNCH Asozial und Joe Rilla unterscheiden sich schon optisch deutlich vom Auftritt der meisten Rapper; Hiob und Morlockk Dilemma fielen bereits zu Beginn ihrer Rap-Karriere mit einem eigenwilligen Rap-Stil auf (vgl. Liebl 2011). Gangsta-Rap, das umschreibt ein bestimmtes Auftreten, aber ebenso auch die dazugehörige Erzählung es „von ganz unten geschafft zu haben“ – und zwar zu ‚Fame‘ und Reichtum. Zu diesem Image gehört auch eine bestimmte Männlichkeitsperformance (vgl. Seeliger 2020; Süß 2021). Dieser scheinen ostdeutsche Rapper entgegenzuhalten: „Also haltet die Fressen und zeigt eure Ketten//doch ich hab noch nie eine dieser Ketten besessen//und während sie ihr peinliches Verhalten vergessen//Fress ich Linseneintopf mit meinen Alten zum Essen.“ (Gossenboss mit Zett 2013).
Vergleichbare Textstellen und Selbstdarstellungen lassen sich in diversen Songs finden.18 Wenn es eine Klammer gibt, dann die: Erfolg ist zweitrangig, ‚Fame‘ überschätzt, man möchte nicht mitmachen bei der Konkurrenz ums Gewinnen und lehnt das Zurschaustellen von Erfolg ab. Vielleicht liegt das auch an der Vorgeschichte: Lange Zeit war Ostdeutschland überhaupt nicht auf der deutschen Rap-Landkarte und Songs oder Alben von Rapper*innen aus dem Osten nicht besonders erfolgreich (vgl. Barbian 2020). Daneben mag aber auch der bereits mehrfach erwähnte Versuch einer Positivbestimmung ostdeutscher Identität eine Rolle spielen; dessen zentrale Begriffe („ehrliche Arbeit“, „Bescheidenheit“, „Widerständigkeit“ usw.) tauchen hier wieder auf, werden nun aber nicht nur gegen die bun-
17 „Patchworkwendekids“ (Pöbel MC 2020). 18 Dazu gehören z. B. die folgenden Songs: Pöbel MC (2018): „Abgesang“, Pie Kei (2019): „Das ist der Osten“, Romano (2016): „Immun“, S.3000 & MC Bomber (2021): „Ostcoast“, FiNCH (2016): „Ostdeutschland“, Joe Rilla (2007): „Der Osten rollt“.
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desdeutsche Mehrheitsgesellschaft, sondern die deutsche (Gangsta-)Rap-Szene in Anschlag gebracht. Brandes (2002) beschreibt die westdeutsche Männlichkeit als hegemonial in der BRD und konstatiert, dass über die DDR hinaus im Osten eine andere Männlichkeit tradiert wurde, also für diesen Raum hegemonial ist. In Anschluss an Brandes, Seeliger und Süß ließe sich also die Frage stellen, ob die Konstruktion von Männlichkeit im ostdeutschen Rap sich sowohl von der hegemonialen westdeutschen als auch der im Gangsta-Rap hegemonialen Männlichkeit abgrenzt. Und noch ein Vergleich fällt auf: In diversen Songs wird der Osten als besonders düster und gefährlich beschrieben, gefährlicher als jeder großstädtische ‚Brennpunkt‘-Kiez: „Das ist der Osten, niemand pumpt hier eure Hits//alles so grau, guck doch wie wundervoll es ist“ textet FiNCH (2021) und Joe Rilla rappt: „Was könn´ eure Parts mir schon antun//fragen meine Hooligans mit Quarzsandhandschuhen“ (2014). In den Texten schwingt ein gewisser Stolz mit, aus ‚wirklich gefährlichen‘ Gegenden zu kommen. Was die Gefahr ausmacht, wird ebenso deutlich: die Omnipräsenz rechter Strukturen.
„Und aus der blühenden Landschaft wurde Dunkeldeutschland“19 – Rechtsextreme im Ost-Rap, nationalistischer und NS-Ost-Rap Die #Baseballschlägerjahre und Rechtsextremismus sind als prägender Bestandteil der Jugend vieler Rapper*innen aus Ostdeutschland in fast allen Songs, die sich explizit mit Ostdeutschland befassen, ein Thema – meist jedoch mehr als Floskel am Rande. In den Songs „9010“ von Kummer (2019) und „Cottbus“ von Audio 88 und Yassin (2021) wird die eigene Erfahrung mit rechter Gewalt allerdings sehr plastisch dargestellt und die Angst, Hilflosigkeit und Wut angesichts der rechtsextremistischen Bedrohung nicht zugunsten der eigenen Männlichkeitsinszenierung verschwiegen. In „Onkelz Poster“ von FiNCH Asozial und Tarek (K.I.Z.) (2020) hingegen wird der rechte Mob mithilfe der bekannten Klischees lächerlich gemacht.20 Der Lächerlichkeit preisgegeben wird dabei aber auch ein bestimmtes OstdeutschlandBild, das Rechte von AfD bis Identitäre Bewegung nutzen. Dass sich die rechte Szene in Ostdeutschland sammelt und ostdeutsche Identität als Aufhänger für ihre Propaganda nutzt, macht sich auch im Ost-Rap bemerkbar: Die Übergänge von Ost-Patriotismus zu Nationalismus beziehungsweise
19 „Dunkeldeutschland“ (East German Beauties 2020). 20 „Und ich saufe mich ins Koma//an der Wand hängt mein Onkelz Poster//Anfang 20 – Leberzirrhose//Schuld an allem sind die da oben//wir hassen euch – und ihr hasst uns//häng auf der Parkbank mit mein´Jungs//wir sind blau wie unsere Knasttattoos//in unseren Kehlen brennt der Absolut.“ (FiNCH Asozial und Tarek 2020)
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Rechtsextremismus sind hier fließend. Das gilt zum Beispiel für den Rapper Dissziplin: Zu Beginn erhielt er Aufmerksamkeit als ‚Ost-Rapper‘, der die Herausforderungen der Transformationsgesellschaft in Versform verarbeitet (vgl. Hamann 2008). Schnell wurde anhand seiner Texte immer deutlicher, wie weit politisch rechts er tatsächlich steht. 2015 bewarb ihn die Identitäre Bewegung auf ihrer Facebook-Seite (vgl. Montag 2016). Zu den musikalischen Kooperationspartner*innen von Dissziplin gehört neben dem Dresdner Aaron Scotch auch Hollywood Hank. Der möchte Lyrics wie „Bitch was los, ich bin Hitlers Sohn“ (2006a) und „Aus Langeweile geh ich meine Gasmaske holen, renn durch Buchenwald und singe dabei Naziparolen“ (2006b) aber ironisch verstanden wissen. Als der bekannte NS-Rapper Chris Ares 2020 versuchte, in der sächsischen Kleinstadt Bischofswerda ein rechtes Jugendzentrum aufzubauen, stellte sich heraus, dass er auch mit dem Bautzner Rapper Pie Kei in Verbindung steht (vgl. Rechercheplattform zur Identitären Bewegung 2020). Pie Kei hat ähnlich wie Dissziplin ca. 10.000 monatliche Hörer*innen auf Spotify und auch in den Themen lassen sich Überschneidungen erkennen: Beschrieben werden „echte Kerle“, die fleißig arbeiten, sich gegenseitig helfen, loyal sind und genuin ostdeutschen Widerstandsgeist beweisen – was Rechte wie Philip Stein sehr zu schätzen wissen (vgl. Stein 2019). Einen kritischen Blick auf die mediale Besprechung rechter Gewalt in Ostdeutschland werfen die East German Beauties mit „Dunkeldeutschland“: „Es fing auf einmal an//wer konnte das erahnen//bis 2014 war doch alles ganz normal//Sie kamen aus dem Nichts, der Osten wurde überrannt und aus der blühenden Landschaft wurde Dunkeldeutschland – Solischnorrer, Jammerossis, Säxit21 jetzt//das wieder gut gewordene Deutschland ist entsetzt//unheimliche Dinge nehmen da ihren Lauf//Das ist nicht unser Stil baut die Mauer wieder auf!“,
aber auch die Hinterlandgang: „Die TAZ ist so schockiert//und Springer fasziniert//Die Tagesschau ist interessiert, doch nur wenn ein Asylheim brennt//und Neonazis grölend durch die Straßen rennen“ (East German Beauties 2020).
Was sie kritisieren, ist nicht nur die Naivität gegenüber politischen Kontinuitäten in Ostdeutschland, sondern auch, dass die Region regelmäßig Schlagzeilen mit rechter Gewalt macht, während gleichzeitig kein tieferes und langfristiges Interesse daran besteht, die multiplen Problemlagen vor Ort zu besprechen oder gar zu lösen.
21 „Säxit” ist eine Anspielung auf den Begriff „Brexit”. Die Textzeile spielt auf die Idee der Freien Sachsen an, sich notfalls von der BRD loszusagen (vgl. Lasch 2021).
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„Hab‘s vergeblich versucht, doch ich gehörte nicht zu Ander‘n“22 – Diversität im Ost-Rap Angesichts der Menge an Büchern junger, weißer, able-bodied cis Männer, die in den vergangenen Jahren über ihre Jugend im Ostdeutschland der 1990er und 2000er Jahre schrieben (Müllensiefen 2022; Bolz 2022; Schulz 2022), stellt sich die Frage, ob die Vorstellung ostdeutscher Identität sich aktuell eher auf ein Bild zusammenkürzt, das sich so auch bei Vertreter*innen von AfD und der so genannten Identitären Bewegung finden lässt. Diese Vorstellung von ostdeutscher Identität fand durchaus auch Kritik (vgl. Pleger 2022). Es fällt auf, dass in den genannten Büchern und vielen Rap-Texten zum Thema „Ostdeutschland“ die Geschichten von Juden*Jüdinnen, BIPoCs, weiblichen, queeren und nicht able-bodied Personen aus dem Osten fast vollständig fehlen. Auch sind diese auffallend selten in der ostdeutschen Rap-Landschaft zu finden. Gleichwohl gibt es sie: Zu nennen wären da unter anderem die queere Rapper*in Sookee (die nach der Flucht ihrer Familie aus Mecklenburg-Vorpommern in West-Berlin aufwuchs), die Rostockerin Pyranja, Kollege Hartmann, Dude & Phaeb, Lyriquent, Badmómzjay und Sonne Ra. Diese sehen ihr Ostdeutsch-Sein entweder nicht als wichtigsten Identitätsmarker oder weisen, ähnlich wie die Soziologin und Literaturwissenschaftlerin Katharina Warda (vgl. Poutrus/Warda 2022) oder der Künstler Tucké Royale (vgl. Hayner 2020) darauf hin, dass sie gleichzeitig von einem bestimmten Blick auf Ostdeutsche und weiteren -ismen betroffen sind, die ihnen einen rein positiven Bezug auf ihre ostdeutsche Identität nicht unbedingt nahelegen. Ihr Blick auf Ostdeutschland kann gar nicht derselbe sein wie der des Rappers Testo (Hendrik Bolz). Testo erklärte, dass er (unter anderem in seinem Buch) versucht habe darzustellen, was die „Probleme vieler junger Männer in den Nuller Jahren“ gewesen seien (vgl. Hildebrand 2022). Bei diesen Beschreibungen sind Geschichten von jungen Männern wie Kollege Hartmann, Sonne Ra oder Felix Kummer allerdings offensichtlich nicht mitgedacht – diese fürchteten sich eher vor der martialischen und rechtsoffenen Männlichkeitsperformance. Insgesamt ist der Topos auch alles andere als neu: Über die 1990er Jahre haben bereits Christian Bangel (2017), Clemens Meyer (2006) und Peter Richter (2015) Romane geschrieben, in denen sowohl Transformationsfolgen und Männlichkeitsanforderungen ausführlich und differenziert bebildert werden. Das Buch „Nullerjahre“ hingegen scheint symptomatisch für „den Ossi“ nicht nur der ostdeutschen Rap-Szene: Er reflektiert seine Position in der Transformationsgesellschaft wenig und gefällt sich ganz gut darin, die ausgetretenen Pfade ostdeutscher Identitätssuche zu beschreiten und für eigenes Fehlverhalten Mitleid und Verständnis zu erheischen. Wenn Testo sagt, „[...] dass unzählige Menschen
22 Kollege Hartmann (2020): „Home Sweet Home”.
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wie ich dieses Gebiet verlassen haben und nicht mehr wiederkehren werden.“, beschreibt er einen Wegzug aufgrund mangelnder Zukunftsperspektiven (vgl. Hildebrand 2022). Für unzählige FLINTA* und BIPoC-Personen fühlte sich der Wegzug hingegen wie eine Flucht an. Das gilt insbesondere für die 1990er und 2000er Jahre. Was Rapper*innen wie Sonne Ra, Kollege Hartmann und Pyranja beschreiben – teils in ihren Texten, teils in Interviews – ist die Erfahrung mit Rassismus, Sexismus und Ableismus, die sie vor allem in ihrer Herkunftsregion, aber auch in ganz Deutschland und in der Rap-Szene machen. ‚Zuhause‛ ist für sie ambivalent: Kollege Hartmann textet: „Bin dann wohl zum Wegziehen geboren//hab dort überhaupt nichts verloren“ (Kollege Hartmann 2020) und Sonne Ra beschreibt seine Beziehung zu Erfurt sehr eindringlich als Hassliebe: „Doch es gibt in Erfurt viel zu tun, für die Kinder hier, Präsenz zu zeigen, mehr als in Berlin oder Frankfurt und hier ist meine Familie, meine Kinder, meine Mama. Erfurt ist meine Stadt und hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich hasse Erfurt. Nur bei Nacht, wenn alles schläft und nur das Straßenlicht wach ist, fühle ich mich kurz zu Hause“ (Regner 2020). Der Rapper KC Rebell lebte als Kind sieben Jahre in Magdeburg und wurde dort Opfer rechter Gewalt. Diese Erfahrung beschreibt er in dem Song „Leer“ (2016), im Interview mit Nico vom Magazin Backspin erzählt er: „[...] Ich habe gelebt wie ein Roboter. Ich konnte nicht so einfach raus. Da war es sehr schwierig für mich, einen Freundeskreis aufzubauen und sehr schwierig auch, mich dort durchzusetzen. Die Narbe hier habe ich aus Magdeburg [...].“ (KC Rebell 2014).
Das sind die Erfahrungen, die in der Menge an Songs über Komasaufen, Landflucht und Plattenbauten nahezu untergehen, zu einer wie auch immer ausbuchstabierten „ostdeutschen Identität“ aber unbedingt dazugehören.
Ost-Rap und Jugendarbeit – ein Fazit Nach aktuellem Stand gibt es wenig Ansätze und Methoden in der politischen Bildung, welche die Thematik der Transformationsgesellschaft bearbeiten oder gezielt die Thematik „Ostdeutschland“ aufgreifen, auch wenn sich dies künftig mit der neuen Geschäftsstelle der Bundeszentrale für politische Bildung in Ostdeutschland ändern könnte. Die Ost-Rapper*innen, die einer größeren Anzahl Jugendlicher bekannt sein dürften, sind hinsichtlich der Streaming-Zahlen vor allem FiNCH Asozial, Marteria und Joe Rilla. FiNCH Asozial ist auch häufiger auf Schulhöfen zu hören – oder bei „Tankstellentreffen“. Andererseits gibt es lokale Phänomene: Rap-affinen Jugendlichen in Bautzen sind Pie Kei und die rechte Rapperin Runa ein Begriff. Eine
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Rap-Teamerin berichtete von einer Teilnehmer*in, die Runa als ‚starke Frau‘ zum Vorbild nahm und dafür großzügig über deren rechte Inhalte hinwegsah. In jedem Fall sind Rap-Songs über ostdeutsche Identität eine gute Gelegenheit, mit Jugendlichen zu diesem Thema ins Gespräch zu kommen. Das gilt insbesondere für Jugendliche in Ostdeutschland, denn ihnen sind vermutlich bereits einige Songs bekannt. In diversen Songs werden Erfahrungen und Situationen besprochen, die ihnen vertraut sein dürften, für deren Thematisierung es bisher aber vielleicht noch keinen Raum gab. Zudem bietet es sich an, zum Beispiel über den Vergleich verschiedener Songs zu den problematischen Elementen einer ostdeutschen Identitätskonstruktion ins Gespräch zu kommen. Hier sei noch einmal an den Anfang des Artikels erinnert: In der Konstruktion ostdeutscher Identität sind Betroffenheit und der Versuch einer Positivbestimmung der eigenen Identität oft verklammert. Letztere greift häufig auf Phrasen („Nachbarschaftshilfe“, „Widerstand“) zurück, leuchtet vor allem eine sehr spezifische cis männliche Ost-Identität aus, tritt in Konkurrenz zu Rassismuserfahrungen oder macht gleich den Übergang ins (Lokal-)Patriotische. Da an dieser Vorstellung von Ostdeutschland und ostdeutscher Identität auch diverse rechte und rechtsextreme Gruppierungen andocken, erscheint die Thematisierung – zum Beispiel mittels HipHop – dringend geboten.
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Schmieding, Leonard (2015): Die HipHop-Szene in der DDR. In: rock‘n‘popmuseum/Mania, Thomas /Rappe, Michael /Kautny, Oliver: Styles: HipHop in Deutschland, Münster: Telos, S. 88–103. Schulz, Daniel (2022): Wir waren wie Brüder. 1. Auflage. Berlin: Hanser. Stein, Philip (2019): Im Osten steht unser Morgen. Von rechts gelesen – Podcast. podcast.jungeuropa.de/im-osten-steht-unser-morgen/ (Abfrage: 11.10.2022). Sub Mission (2019): Back in the days - Hip Hop und die DDR - Doku im MDR 2019. www.you tube.com/watch?v=dSc-Sq51Cxo (Abfrage: 11.10.2022). ZDF (2020): Jung, männlich, ostdeutsch – Wo der Westen weit weg ist. www.youtube.com/ watch?v=LQm4I_KZmog (Abfrage 11.10.2022).
Songs Audio 88 und Yassin (2021): Cottbus. East German Beauties (2020): Dunkeldeutschland. FiNCH (2021): Dunkeldeutschland Drip. FiNCH (2018): Ostdeutschland. FiNCH, Marteria, Silbermond (2022): Wendekind. FiNCH feat Tarek K.I.Z. (2020): Onkelz Poster. Gossenboss mit Zett (2016): Bitterfeld. Gossenboss mit Zett (2013): Scheißstyle. Hollywood Hank (2006): Introvertiert. Hollywood Hank (2006): Schöner Wohnen. Hinterlandgang (2022): 3. Oktober. Joe Rilla (2007): Der Osten rollt. Joe Rilla (2010): Ostberlin. KC Rebell (2016): Leer. Kollege Hartmann (2020): Home Sweet Home. Kummer (2019): 9010. Kummer (2019): Schiff. Lyrinquent (2022): Dunkeldeutsch. Marteria (2014): Mein Rostock. Marteria (2021): Neonwest. Marteria (2022): Scheiß Ossis. MDHD, DrDmg (2018): Landflucht. Morlockk Dilemma (2019): Keine Liebe. Pie Kei (2019): Das ist der Osten. Pöbel MC und Millie Dance (2018): Abgesang. Pöbel MC (2020): Patchworkwendekids. Pyranja (2009): Kennzeichen D. Romano (2015): Köpenick. Romano (2016): Immun. Romano (2017): König der Hunde. S.3000 & MC Bomber (2021): Ostcoast. Sido feat. Joe Rilla (2014): Kanacks & Hools. Trettmann (2017): Grauer Beton. Zugezogen Maskulin (2015): Plattenbau O.S.T.
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Nationalismus, Patriotismus und Rechts-Rap Anna Groß
Intro Wenn rassifizierte1 Rapper*innen in Deutschland über die Hood, die Nachbarschaft oder Deutschland rappen, dann hat das oft mit Rebellion und Empowerment zu tun. Es ist eine Art des Zu-sich-Kommens: sich den Stimmen zu widersetzen, die behaupten, man gehöre nicht dorthin, wo man aufgewachsen sei, so zum Beispiel bei Manuellsen und Haftbefehl in „Generation Kanak“, einem Song, der vor allem Partizipation, Teilhabe und Anerkennung in einer weißen rassistischen Gesellschaft thematisiert – oder auch bei Nuras „Fair“, in dem sie Rassismus, Sexismus und das Bagatellisieren rechter Strukturen anprangert. Der Verweis auf den deutschen Pass wie bei „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry und eine Identifikation, die Deutschland als Heimat markiert, wird hier zur Selbststatt Fremdbestimmung und zum Protest, nicht Patriotismus2. Wenn jedoch Deutschsein in den Vordergrund gerückt wird, um sich damit zu profilieren und von rassifizierten Personen abzuheben, wird Rapmusik über Deutschland nationalistisch und rassistisch: Schon Anfang der 1990er Jahre entsteht ein Sampler namens „Krauts With Attitude“3 (vgl. Loh/Güngör 2002) und
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Rassifizierte Menschen sind Menschen, die von Rassismus betroffen sind; Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer Muttersprache, ihrer ethnischen oder kulturellen Herkunft diskriminiert werden. „Patriotismus [aus dem Französischen für Vaterlandsliebe] bezeichnet eine besondere Wertschätzung der Traditionen, der kulturellen und historischen Werte und Leistungen des eigenen Volkes. In einem negativen Sinne kann Patriotismus zu nationaler Arroganz, Chauvinismus und übersteigertem Nationalismus führen.” (Schubert/Klein 2020). „Nationalismus bezeichnet eine Ideologie, die die Merkmale der eigenen ethnischen Gemeinschaft (z. B. Sprache, Kultur, Geschichte) überhöht, als etwas Absolutes setzt und in dem übersteigerten (i. d. R. aggressiven) Verlangen nach Einheit von Volk und Raum mündet” (Schubert/Klein 2020). Wenn hier im Artikel von Nationalismus die Rede ist, liegt der Fokus auf deutschem Nationalismus. Es soll damit nicht ausgeblendet werden, dass es auch türkischen und (Ultra-)Nationalismus und albanischen Nationalismus im Rap in Deutschland gibt und als Gefahr zu markieren ist. Es handelt sich dabei um einen Sampler für Rap aus Deutschland auf Deutsch mit einem Cover in Schwarz-Rot-Gold. Im Booklet schreibt Michael Reinboth, der den Sampler zusammenstellte: „[...] Es war schwer genug, als Nicht-Amerikaner und Bleichgesicht im HipHop akzeptiert zu werden. Ich glaube, hier liegt die Schuld deutlich bei den großen Plattenfirmen, die vorzugeben meinen, ohne einen N*** kein HipHop verkaufen zu können. 'Snap', 'Splash' und so, das funktioniert nur
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mit dem Aufstieg des Gangsta-Raps in Deutschland ab den frühen 2000er Jahre gibt es dann auch weißdeutschen Patriotismus mit Charterfolgen.
Nationalismus und Verschwörungsmythen im Gangsta-Rap Zu Beginn ist es vor allem der Rapper Fler, der sein bisher erfolgreichstes Album auf dem Image des „stabilen Deutschen“ aufbaut. Seine Texte kreisen um Männlichkeit bis zur Hypermaskulinität, Themen wie Stärke und Erfolg und ab 2005 auch um Deutschland als Nation und Deutschsein als ein Symbol für Stärke: Wenn das Thema „Mann“ zur stolzgeschwellten Selbstbeschreibung allein nicht mehr ausreicht, wird gern zur „Nation“ gegriffen. Er veröffentlicht Songs wie „Ich bin Deutscha“ und „Deutscher Bad Boy“ (2008), „Das alles ist Deutschland“ (2010) und „Stabiler Deutscher“ (2014), die alle das von ihm betonte „Deutschsein“, seine blauen Augen, seine deutsche Mutter und seine Herkunft in den Vordergrund rücken. Während andere Akteur*innen ihre verschiedenen Zugehörigkeiten und deren vermeintliche Widersprüche thematisieren, setzt Fler deutlich auf nationalistische Töne. Er ist „Deutschlands Retter mit dem Herz aus Gold, dem Verstand aus Stahl [...] Weil ich das ganze Land, wie ein deutscher Panzer ramm'„ (Fler 2005). Flers Album „Neue Deutsche Welle“ hält sich 2005 für 16 Wochen in den Charts und schafft es bis auf Platz 5. Auch in Österreich ist „Neue Deutsche Welle" das erfolgreichste Album von Fler. Seitdem versucht Fler immer wieder, an seine Erfolge von damals anzuknüpfen, verwendet ähnliche Titel, ähnliche Themen und baut deutschen Patriotismus und Hypermaskulinität als sein Image aus: Sein Mode- und Musiklabel nennt er „Maskulin“ und inszeniert sich als stolzer deutscher Outlaw in einer migrantisch geprägten Rap-Szene. Fler vertritt zwar keine Positionen, die direkt den Nationalsozialismus verherrlichen oder relativieren, doch werden seine Texte von Rechten gefeiert und zitiert. Einerseits distanziert er sich von einer Vereinnahmung durch die rechtsextreme Szene, andererseits beweisen seine Äußerungen und Social Media-Posts, dass er sich nicht nur inhaltlich der Rechten stark annähert. So bezeichnet Fler 2015 den marokkanisch-deutschen Farid Bang in einer Facebook-Diskussion als „Gast“ (vgl. Lindemann 2014), verweist per Twitter und Facebook auf den rechten und mit Verschwörungsmythen arbeitenden Internetsender CompactTV und tritt auf den gleichen Bühnen wie rechtsoffene bis rechtsextreme Bands auf. Die Anknüpfungspunkte zu gewaltbereiten Szenen liegen allerdings nicht nur im Patriotismus und Nationalismus, sondern auch in einer bestimmten Männlich-
mit einem Blackie als Aushängeschild, meinen sie. Hoffen wir, dass Die Fantastischen Vier, LSD oder andere das Eis brechen. Auch was deutschsprachigen Rap betrifft.“
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keitsperformance im Gangsta-Rap und der Verwendung gewaltvoller Bilder in Texten und Videos. Zudem sind antisemitische Verschwörungsideologien und Antizionismus in manchen Teilen der Deutsch-Rap-Szene fast schon Konsens. So symbolisieren Kollegahs Texte eine starke Hypermaskulinität, seine Videos provozieren mit NS-Ästhetik, er nennt sich selbst den „König“, den „Kaiser“, den „Imperator“, den „Diktator“ uvm. Er vermarktet eine eigene Fitness-Serie („Bosstransformation“) und veröffentlicht Bücher über „Alpha“.4 In den Texten Kollegahs geht es oft um Verschwörungsmythen: Er spielt mit antisemitischen Symbolen und Andeutungen wie zum Beispiel im Song „TelVision“ mit KC Rebell, Kianush und PA Sports. Es sind auch die Verschwörungsmythen der erfolgreichen Rapper*innen, die junge Menschen anregen, sich mit eben jenen zu beschäftigen und Videos wie die von Leon Lovelock können so einen Einstieg in antisemitische Weltbilder und Verschwörungsglauben darstellen. Eine wichtige Rolle spielt hier auch der Verschwörungsideologe und erfolgreiche RnB-Sänger Xavier Naidoo. Naidoo äußert sich schon lange in seinen Texten heterosexistisch und menschenfeindlich, wünscht sich einen Führer zurück (Xavas 2012), nennt Deutschland ein „besetztes Land“ (Gantenbrink/Roß 2015) und tritt bei Veranstaltungen von Reichsbürger*innen auf. In seinem Song „Raus aus dem Reichstag“ von 2009 greift er mit „Baron Totschild“ (in deutlicher Anspielung auf „die Rothschilds“ als antisemitische Chiffre5) eine Figur aus Verschwörungsmythen auf: „Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken. Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken. Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock ist‘n Fuchs und ihr seid nur Trottel. Noch dümmer als Bernanke, Trichet und King“. In seinen Texten und Interviews finden sich viele weitere Beispiele. 2015 ist Naidoo als Vertreter Deutschlands für den „Eurovision Song Contest“ vorgesehen, wird aber nach Protesten wieder ausgeladen. Weitere 5 Jahre später, im Jahr 2020, wird Xavier Naidoo endlich von RTL aus der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ verbannt, als er einen weiteren verschwörungsideologischen Track veröffentlicht. Tief in der Szene der COVID-19-Leugner*innen versunken und diese befeuernd, verbreitet er viele Thesen der rechtsextremen Gruppierung QAnon. Naidoo ist während der Corona-Pandemie eine treibende Kraft hinter der Radikalisierung der Corona-Leugner*innen.
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„Ein Alpha ist für [Kollegah] ein selbstbewusstes Individuum, das die Anlagen hat, nach oben zu kommen. Ein Boss ist nur derjenige, der diese Anlagen auch entfaltet. […] In Kollegahs Welt können nur heterosexuelle Männer Alphas und Bosse sein.” (Liebert 2018). „Der Name der Familie Rothschild erfüllt bis heute die Funktion, eine vermeintlich jüdische Allmacht über das weltweite Finanzwesen zu konstruieren.” (Wetzel o.D.).
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Laut eigener Aussage durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst, veröffentlicht Naidoo im April 2022 auf seinem YouTube-Kanal ein Statement, dass er sich in Verschwörungsmythen verrannt habe und sich davon nun lossagen würde. Er erklärt, er habe Fehler gemacht und würde diese nun angesichts des Krieges in der Ukraine einsehen und seine Haltung ändern. Ob das wirklich stimmt und wie ernst dieses Statement gemeint war, muss sich erst noch zeigen. Seine Songs sind weiterhin verfügbar und erreichen viele Hörer*innen.
Nationalismus, Patriotismus und Rassismus Fler und Kollegah machen es vor und es gibt einige, die nachfolgen: 2013 sind es z. B. Pedaz feat. Blut&Kasse aus dem Ruhrgebiet mit „Ich bin deutsch“ und ihrer Textzeile „Ich bin deutsch, auch wenn es diesen Hitler einmal gab“, im gleichen Jahr bringt Liquit Walker mit „Deutschrapkanake“ einen Song heraus, der die Erfahrung beschreibt, als Deutsche*r in einer Gruppe die Minderheit zu sein. 2020 versucht der Rapper Cashmo mit ganz ähnlichen Inhalten wie Fler 2005 zu provozieren und Aufmerksamkeit zu generieren. Sein Song „Alman“6, in dem er von „Cancel Culture“ über „Deutschenfeindlichkeit“ bis zur Verharmlosung des Nationalsozialismus zahlreiche nationalistische Topoi unterbringt, wird viel diskutiert und in allen einschlägigen HipHop-Portalen aufgegriffen. Im Video zeigt er – ähnlich wie Fler in seinen Videos – einschlägige Symbole, die für Deutschland stehen sollen: weiße7 Menschen, Autos der Marke Mercedes, Schäferhunde. Und Cashmo provoziert: Das Video zeigt weiße Menschen, deren Münder mit schwarzen Kreuzen verklebt wurden. Hier greift Cashmo die von Rechten oft angeführte „Cancel Culture“8 auf, also soziale Ächtungsmechanismen,
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„Doch ich war nur der Alman für dich in deiner Hood.//Wie viele meiner Landsleute leben in Gefahr?//Aber wirklich drüber reden, ist was keiner von uns darf [...] Wenn man dich nicht akzeptiеrt, weil du deutsch bist [...] Ich sag' nur wie es ist, das Erbe meiner History Blut.//Aber Bro, sag mir, was hab' ich mit Hitler zu tun?” (Cashmo 2020). „Schwarz“ und „weiß“ beziehen sich hier nicht auf Hautfarben oder Ethnien, sondern beschreiben politische und soziale Konstruktionen: „Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle ‚Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist […]” (Schearer/Haruna 2013). Weiß wird– dem aktuellen akademischen Diskurs folgend – in diesem Sammelband klein und kursiv geschrieben und verdeutlicht die sozialen, (gesellschafts-)politischen und kulturellen Privilegien von Menschen, die nicht rassifiziert werden. Der Begriff „Cancel Culture” wird von Konservativen und rechten Stimmen genutzt, um auf eine vermeintliche (Selbst-)Zensur und eine Einschränkung der Meinungsvielfalt hinzuweisen. Der Begriff wird allerdings meist dann als Abwehr einer Kritik verwendet, wenn rassistische oder andere diskriminierende Äußerungen kritisiert werden. „Der Begriff ‚Cancel Culture‘ ist im Grunde nur ein Rebranding (Umbenennung) von ‚man darf ja wohl gar nichts mehr sagen‘, faktisch aber gefährlicher, weil ein gewaltbereiter, mächtiger Mob fantasiert wird.” (Stokowski 2020).
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die laut Rechtspopulist*innen dazu führen, dass es nicht mehr möglich sei, frei zu sprechen. Was vom rechten Milieu damit eigentlich zum Ausdruck gebracht wird: Sie möchten weiterhin rassistische, ableistische9 und andere diskriminierende Begriffe und Redewendungen verwenden und es ist ihnen nicht recht, dass sie dafür Kritik und gegebenenfalls Ausschluss erfahren. Cashmo erhält für den Song viel Gegenwind, doch beweist sich seine Provokation als gelungen: „Alman“ wird sein mit Abstand erfolgreichster Song, erhält zum Teil doppelt so viele Klicks wie alle anderen Songs, die der Rapper aus Duisburg veröffentlicht. Wie schon bei Fler, Pedaz und Blut&Kasse wird auch bei Cashmo deutlich: Selbst wenn es für den Einzelnen Mobbing-Erfahrungen als Minderheit innerhalb einer Gruppe gegeben haben mag, wird in der Aufbereitung als Song jedoch der gesellschaftliche Rahmen aus den Augen verloren. Wenn sich die weiß-deutschen Rapper aus der diskriminierenden Gruppe herausbewegen, sich um eine Wohnung, einen Job und Anerkennung bemühen, sind sie nicht von rassistischer Diskriminierung betroffen. In einer Klasse oder Gruppensituation, in der Jugendliche diese Themen in der (politischen) Bildungsarbeit ansprechen, kann auf die individuellen Erfahrungen eingegangen werden und sich im Gespräch den Themen Mobbing und Rassismus genähert werden. Auf der großen Rap-Bühne wird eine solche Mobbingerfahrung den Rassismuserfahrungen ihrer Rap-Kolleg*innen gegenüber aufgewertet und überbetont. Gesamtgesellschaftlich ist Mobbing von Weißen kein verbreitetes Phänomen und schränkt diese auch nicht strukturell ein. Die Erzählung von „marginalisierten weißen Deutschen“ bedeutet vor allem für rechte Gruppierungen Aufschwung, wie zum Beispiel die so genannte Identitäre Bewegung. Dass rassifizierte Rapper*innen zum Teil aus Trotz gegen Rassismus ihre Verbundenheit zu Deutschland thematisieren, spielt bei Fler, Cashmo oder Kollegah keine Rolle. Die Positionen der beiden Gruppen sind grundverschieden. Während den einen ihre Zugehörigkeit zu Deutschland abgesprochen wird, wissen Fler und Cashmo sich als deutsch gelesen: Die Deutschland-Bezüge in den Songs wie „Quotentürke“ von Eko Fresh oder „Deutschtürke“ von Cengiz sind ganz andere als in Flers „Das alles ist Deutschland“. Bei den Erstgenannten geht es um Trotz gegen Rassismus, bei Fler um die Deutschtümelei mit Rassismus. Nationalismus verkauft sich eben besonders gut.
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„Ableismus“ ist ursprünglich ein Begriff aus dem Disability Rights Movement der USA und bezeichnet die Diskriminierung in Bezug auf Behinderung, Fähigkeiten und/oder vermeintlich fehlende Intelligenz (vgl. Aktion Mensch o.D.).
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Rap von Rechtsaußen Rechte Gruppierungen und rechtsextreme Akteur*innen nutzen Rapmusik als Mittel zum politischen Erfolg. Sie haben verstanden, dass Deutsch-Rap unter jungen Menschen die einflussreichste Musikrichtung ist und versuchen diese Musik zu nutzen, um für ihre Ideologien zu werben. Zudem gibt es immer mehr rechte Akteur*innen, die selbst mit Rapmusik groß geworden sind. Dabei sind die maskulinistischen, patriotischen, antisemitischen und frauenverachtenden Tendenzen in deutscher Rapmusik für Rechtsextreme durchaus anschlussfähig. Während allerdings im Mainstream-Rap rechte Töne eher sporadisch auftreten und nur bei einzelnen Akteur*innen zu finden sind10, produzieren die RechtsRapper*innen ihre Musik als Strategie für die Szene. 2009 nennt sich der Dresdner Rapper Dissziplin „Patriot“ und betont dabei, kein Nazi zu sein. Sein Song wird über AggroTV verbreitet, findet zunächst sogar Anklang in Teilen der deutschen Rap-Szene. Sein Trick ist das erfolgreiche Chiffrieren seines Patriotismus: Er sei stolz auf Ostdeutschland und wolle den Osten in den Rap tragen, gar eine ostdeutsche Rap-Szene aufbauen. Damit gelangt er sogar in einschlägige Feuilletons.11 Doch in Songs wie „Ich bin Deutschland" heißt es: „Ich bin die Wahrheit, erzähl' mir nix von Sorgenfrei. Was sind wir geworden – ein gebücktes Volk. Müssen schweigen, das Land zeigt kein Stückchen Stolz. Wir sind geknebelt von Medien und Politik, unser Land steht so kurz vor dem Suizid. [...] Ich bin Deutscher, guckt da wie die Fahne weht. Das ist Schwarz-Rot-Gold, das ist mein Blut, mein Stolz, mein Volk, ich zeig euch wie es sein soll.“ (2009). Dissziplin warnt vor dem „Volkstod“ und spricht von einer Knebelung Deutschlands durch die Medien. Ihm geht es um die Schaffung einer neuen Volksgemeinschaft, die nicht nur durch eine gemeinsame Fahne, sondern auch durch Blut und Stolz miteinander verbunden sein soll. Der Rechts-Rapper Prototyp erzählt dem Undercover-Forscher Tobias Ginsburg bei seinen Recherchen: „Musik ist halt der geilste Botschaftsträger [...] Jede Bewegung braucht ihre Lieder, und womit kannste die Jugend schon besser erreichen?“ (Ginsburg 2021, S. 136). Die Themen sind typische Bezugspunkte der neuen Rechten und extremen Rechten: Die im Rap ohnehin vorhandenen Themen wie Antifeminismus, Antisemitismus und die Verschwörungsmythen der Rap-Szene werden ergänzt um antimuslimischen Rassismus, völkische Ideologien, deutsche
10 z. B. Holocaust-Vergleiche im Battle-Rap wie bei Kollegah und Farid Bang oder Verharmlosung der NS-Zeit: „Ich bin deutsch, auch wenn es diesen Hitler einmal gab” (Pedaz feat. Blut und Kasse 2013), „Das Erbe meiner History Blut. Aber Bro, sag mir, was hab' ich mit Hitler zu tun?” (Cashmo 2020). 11 Siehe auch „Doch wir war‘n vor euch im All11. HipHop und Ostdeutschland” in diesem Sammelband sowie Hamann 2008.
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Stärke, (Hetero-)Sexismus und Verschwörungsideologien. Das alles wird regelmäßig verpackt in einer „Wir-gegen-die-Anderen“-Erzählung, dem ‚Eigenen‘ wird das ‚Fremde‘ gegenübergestellt. Rechte Musik wird als Köder eingesetzt, um für die Szene zu werben und diese zu befeuern. 2016 performen Chris Ares und Komplott ihre Rap-Songs mit Titeln wie „Heimat“, „Generation Deutschland“ oder „Europa“ u. a. auf rechten Demonstrationen und Bock, der sich 2011 in der Zusammenarbeit mit Makss Damage noch King Bock nennt, schreibt den rap-technisch sehr holprigen Wehrmachts-FanSong „Steiner“. Darüber hinaus gibt es seit etwa 2015 immer wieder Versuche, reine Rechts-Rap-Konzerte zu veranstalten. Doch auch schon vorher gibt es Rechte, die rappen: Musiker wie der Rechtsrocker Henry8 von N’Socialist Soundsystem mit den einschlägigen Buchstaben (HH für „Heil Hitler“) oder Julian Fritsche aka Makss Damage, der 2011 in einem öffentlichen Interview der rechten Szene beitritt. Im Unterschied zu Makss Damage sind Bock – wie auch schon manche Rechtsrocker, die es mit Rap versuchten, um Menschen für die Szene zu ködern weit davon entfernt wirklich zu rappen. Makss Damage hingegen veröffentlicht diverse Songs als NS-Rapper, nennt sich selbst „Nazi-MC“ („ENAZETI“). Sein Album „2033“ muss er 2014 selbst veröffentlichen, er findet laut eigener Aussage kein Presswerk. Seine Texte sind eindeutig neonazistisch: „Mich bindet an diese Regel nichts, denn ich bin freilich rechts. Will kein Gefangener im eigenen Land sein, wie Hess! Vergiss die Baumwollplantagenmusik! Man, ich befreie keine Sklaven, das hier ist weißer Rap. Und an all' die lieben Leute, die gerne mal Deutsche jagen: Es kommt der Tag, da habt ihr alle ein brennendes Kreuz im Garten. […] Das halbe Land hat meine Tracks auf dem Handy. Ich erziehe die Kinder von Hippies zu Patrioten, Wenn sie fragen nenn mich: N-A-Z-I MC!“ (Makss Damage 2014).
Mehr Anschluss an die reguläre Rap-Szene versuchen die Rapper*innen aus dem Umfeld der so genannten Identitären Bewegung und ihren Nachfolge-Organisationen zu erlangen und Rechts-Rap zu einem eigenen Genre auszubauen. Sie prägen die Rechts-Rap-Szene ab 2015: zunächst Chris Ares, der mit bürgerlichem Namen Christoph Aljoscha Zloch heißt, Kai Naggert, der sich als Rechts-Rapper Prototyp nennt, aber auch Andre Laaf aka Primus und Tino Datzer aka Menx (vgl. Identitäre in Bochum 2020). Alle genannten Rapper siedeln entweder selbst nach Sachsen in die Region um Bautzen um oder sind zumindest dort sehr aktiv, um dort die rechten Strukturen zu stärken und für sich zu nutzen. Nach dem deutlichen „NS-Rap“ von Makss Damage werden die rechten Inhalte in den Texten der Rechts-Rapper rund um NDS Records (Neuer Deutscher Standard) zunächst etwas
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mehr versteckt, doch die Akteur*innen bleiben eindeutig rechts. Die gerade genannten Rechts-Rapper und die Rechts-Rapperin Mona Naggert aka Runa, mittlerweile Ex-Frau von Prototyp, veröffentlichen zunächst ihre Musik unter Arcadi Records, bevor sie NDS Records gründen. Ab 2015 lässt sich auch eine zunehmende Professionalisierung rechter Rapper (vor allem der Männer) beobachten. Die Videos, Sounds und Aufnahmen werden professioneller, ebenso die Social Media-Aktivitäten und Vlogs. Nach dem selbst erklärten „Nazi-MC“ Makss Damage wird zunächst Chris Ares die treibende Kraft. Aktiv in der Identitären Bewegung und AfD erreichen Chris Ares und Prototyp 2019 zusammen den ersten Charterfolg der Rechts-Rapper in den Amazon- und Apple-Charts. Der wird erst gestoppt als die Streaming-Plattformen aufgrund erfolgreichen Protests aus der Zivilgesellschaft die Löschung der Songs veranlassen. 2020 soll auf Wunsch von Chris Ares eigentlich das „Jahr des Heimatrap“ werden, diese Pläne scheitern jedoch kläglich: Musik und Profile diverser Rechts-Rapper auf einschlägigen Social Media- und Streaming-Plattformen werden gelöscht. Die Anhänger*innen von Rechts-Rap sind vor allem online immer wieder sehr aktiv. Es gibt koordinierte Versuche von Akteur*innen, Deutsch-Rap-Gruppen auf Facebook gezielt zu unterwandern und rechten Rap zu verbreiten, so 2020 beobachtet von HipHop-Szene-Kenner*innen wie DJ Freshfluke. Diese Versuche werden durch vehemente Reaktionen der Deutsch-Rap-Community und beherztes Moderieren der Gruppendiskussionen schnell unterbunden. Ob das immer wieder so gelingt, bleibt zu hoffen. Nach der umfassenden Löschung seiner Profile auf fast allen Social Media- und Musik-Plattformkanälen erklärt Chris Ares im Herbst 2020 seine Rechts-Rap-Karriere für beendet und zieht sich zurück (vgl. Juri 2020). Im Sommer 2022 tauchen jedoch mehrere Instagram-Posts von Chris Ares auf, die jedoch schnell wieder gelöscht werden. Auch das Profil ist nur kurzzeitig zu sehen. Angeblich habe er sich nie vom Rechtsrap verabschiedet, nur „andere Wege“ gewählt. Im Herbst 2022 veröffentlicht Chris Ares auf einem neuen Youtube-Profil weitere Songs (Anita F. 2023), erreicht aber nur wenige Klicks. Auch dieser Kanal ist im März 2023 wieder gelöscht. Auch andere große Pläne der rechten Akteur*innen scheitern: Es gelingt glücklicherweise nicht, eine richtige Rechts-Rap-Szene und eine umfassende rechte Infrastruktur von Tattoostudio über Fitness-Studio bis zum Jugendtreff in der Region um Bautzen aufzubauen. Die Rechts-Rapper*innen haben bei der Planung nicht mit der aktiven Gegenwehr der örtlichen Strukturen gerechnet, die den Aufbau verhindern. Das ist es, was gegen rechten Rap hilft: Das konsequente Löschen durch Betreiber*innen der Plattformen, auf denen rechte Musiker*innen versuchen, ihre Musik zu platzieren, das aktive Blockieren von rechten Plänen und Aktivitäten vor Ort und das Verhindern von Konzerten als Treffpunkt und Marktplatz für Menschen mit rechten Haltungen. So wird unterbunden, dass die Musik verbreitet o-
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der gar Geld für die rechte Szene generiert werden kann. Genauso wichtig ist aber die Aufklärung über die Umtriebe dieser Musiker*innen, denn sie versuchen immer wieder, Veranstaltungen durchzuführen und ihre Videos hochzuladen. Viele der zunächst gelöschten Videos sind trotzdem weiter zu finden, von anderen Kanälen erneut hochgeladen und so den User*innen zur Verfügung gestellt. Der zunächst von Chris Ares, Prototyp und Primus und nun ohne Chris Ares weiter geführte Kanal NDS Records ist zur Entstehung dieses Artikels wieder online und hat über 25.200 Abonnent*innen. Hier verbreiten die Rechts-Rapper*innen rund um Prototyp weiter ihre Songs und die von anderen Akteur*innen der rechten Szene. Allerdings kann man im Frühling 2022 beobachten, wie sich die RechtsRapper Menx und Primus wohl von NDS Records lossagen. Anlass ist ein RechtsRap-Konzert in einer Kneipe, die sie angeblich zu ‚extrem‘ finden. Das Konzert findet stattdessen mit einigen wenigen Zuschauer*innen unter einer Brücke in Naumburg statt. Was wirklich dahintersteckt, ist während der Entstehung dieses Beitrags nicht bekannt. Scheint es für Akteur*innen einfacher am Rechtsrock anzudocken als eine eigene Rechts-Rap-Szene aufzubauen? Die Umtriebe der Rechts-Rapper*innen sollte man im Blick behalten. Immer wieder versuchen sie auch für die AfD oder andere rechte Parteien zu werben. Aktuelle Informationen sind zum Beispiel bei den Mobilen Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus in den verschiedenen Bundesländern, den Landeszentralen oder der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich. Dennoch sollten diese Ausführungen nicht missverstanden werden: Rechts-Rap ist keine „‚Einstiegsdroge für Rechtsextremismus“. Neben meinen eigenen Erfahrungen mit jungen Menschen aus mehr als 20 Jahren politischer Bildungsarbeit und Radikalisierungsprävention bestätigen dies auch Kolleg*innen aus der Präventionsarbeit und Forschung wie beispielsweise der Musikwissenschaftler und Rechtsrock-Forscher Thorsten Hindrichs von der Universität Mainz. Wer über Rechts-Rap oder Rechtsrock zur rechten Szene findet, interessiert sich sowieso schon für rechte Inhalte und Meinungen und zeigt hierfür eine Offenheit. Das macht es nicht weniger gefährlich gerade für diese Menschen, aber Menschen, die kein Interesse an der rechten Szene haben, finden auch nicht über rechte Rapmusik ihren Zugang dazu.
Rechts-Rap und Jugendarbeit Rechts-Rapmusik kann jedoch ein Türöffner für Jugendliche sein, die sich bereits für rechte Inhalte begeistern können und gern Rapmusik hören. Vor allem kann sie identitätsstiftend und szenefördernd wirken sowie zur Informationsvermitt-
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lung für schon Interessierte dienen. So erklärt es Chris Ares in einem Interview am Rande einer Veranstaltung der Identitären Bewegung im Jahr 2018: „Das ist ja das Tolle an diesen Events. Zum einen ist ja das, was wir Werte nennen. Das wird hier gelebt. Diese Gemeinschaft, dieses Miteinander. Bedeutet, hier hat man die Möglichkeit der Vernetzung“ (Rap gegen Links 2018). Zudem spielt rechte Musik eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der rechten Szene: Zu ungefähr einem Drittel finanziert sich die rechte Szene Deutschlands aus rechter Musik und dem dazugehörigen Merchandise. Darin spielt Rechts-Rap zwar bisher nur eine kleine Rolle, aber es deckt ein bestimmtes Segment der rechten Musik ab, welches durchaus auch Nachahmer*innen mit sich ziehen kann und deshalb beobachtet werden muss. Rechte Musikveranstaltungen dienen als Treffpunkte der Szene und schweißen zusammen. Gefährlich werden solche Veranstaltungen an Orten, an denen es zu wenige Gegenstimmen gibt oder keine strukturell geförderte Jugendarbeit stattfindet. Wenn die einzigen Aktivitäten für junge Menschen von rechten Kräften organisiert werden, hat es eine weltoffene, plurale Gesellschaft schwer, dagegen anzukommen. Gerade an diesen Orten ist es umso wichtiger, Jugendarbeit zu gestalten, um die Jugendarbeit nicht den rechten und rechtsextremen Strukturen zu überlassen. Bei rechtsoffenen jungen Menschen können auch die antisemitischen, homofeindlichen und frauenverachtenden Textzeilen mancher Rapper*innen für einen fließenden Übergang zum Rechts-Rap sorgen oder wie im Fall Kollegah mit seinem Germanen- und inszenierten Alpha-/Führerkult gar inspirieren. So erzählt Prototyp dem Undercover-Beobachter Ginsburg auch, dass Kollegah und Fler seine RapIdole seien: „Kai hatte bei unserem Treffen im Weseler Café Extrablatt keinen großen Hehl daraus gemacht, dass Kollegah ein großer Einfluss für ihn war. Als Jugendlicher hörte Kai viel Gangsta-Rap [...] Ganz besonders gut gefielen ihm damals Fler und Kollegah“ (Ginsburg 2021, S. 167), so gut sogar, dass Prototyp das Fitness-Coaching von Kollegah, seine so genannte „Bosstransformation“ („Werde in 10 Wochen zum Boss“), aufgreift und zur „Germanenherausforderung“ aufruft (vgl. Ginsburg 2021, S. 141). Bei Rechts-Rap, generell rechter Musik und diskriminierenden Haltungen heißt es also dranbleiben, aufklären und sich informieren. Die Löschung der Rechts-Rapper*innen bei den Streaming-Diensten sind ein Erfolg breiter Proteste. Dass es in Bautzen kein etabliertes rechtes Jugendzentrum gibt, ist ebenso den Protesten vor Ort zu verdanken. Um es mit den Worten von Daniel Schieferdecker in seiner Recherche über Rechts-Rap für die ZEIT zu sagen: „Ein großes, öffentliches und gemeinsames Dagegen ist wichtig. Denn der Neue Deutsche Standard darf kein neuer deutscher Standard werden.“ (Schieferdecker 2020).
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Ansätze und Felder der HipHop-Jugendarbeit
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Beyond Movement: Kulturspezifische Vermittlungsmethoden aus der BreakingPraxis in formellen Bildungsstrukturen Friederike Frost
1 Breaking: eine Inspiration für Vermittlungsansätze? Die verschiedenen performativen Elemente der HipHop-Kultur1 wie Rap, Graffiti oder Breaking2 finden seit vielen Jahren Eingang in die Sozial- und Jugendarbeit, in Jugendzentren oder Schulen. HipHop-Akteur*innen selbst sind in den Institutionen präsent, konzipieren oder setzen die Angebote um, organisieren lokale Events oder fungieren als Workshopdozent*innen und Berater*innen. Das pädagogische Potenzial der HipHop-Kultur wurde früh erkannt, und heute sind die künstlerischen Praktiken Gegenstand von Lehre, Forschung oder Hochschulsport an verschiedenen Universitäten. Neben Rap findet Breaking als originärer Tanz der HipHop-Kultur und Teil der urbanen Tänze3 seit rund zehn Jahren vermehrt Aufmerksamkeit im internationalen Forschungsdiskurs der HipHop-Studies. Breaking ist eine subversive, postkoloniale, afrodiasporische und hybride Tanzkultur, die künstlerische, gesellschaftliche und pädagogische Werte in sich trägt. Sie hat, wie auch alle anderen Elemente der HipHop-Kultur, das Potenzial, soziale Fähigkeiten und Kompetenzen zu schulen. Breaking kann ermöglichen, Erfahrungen, Krisen, Erfolge, Lebensumstände und aufgestaute Energie körperlich-künstlerischen Ausdruck zu verleihen, auch im Sinne der Repräsentation und der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität (vgl. Langnes/Fasting 2014) sowie für marginalisierte Personen in hegemonialen Strukturen (vgl. Petchauer 2010). Durch seine kulturhistorische Einordnung und Herkunftsgeschichte kann Brea-
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Unter dem Begriff der HipHop-Kultur verstehe ich eine transnationale Kultur, die aus verschiedenen performativen Praktiken besteht – dazu gehören unter anderem Rap, Breaking, DJing, Graffiti/Writing, HipHop-Tanz oder Beatmaking. Breaking ist neben B-Girling und B-Boying einer der szeneinternen Begriffe für die im allgemeinen Sprachgebrauch als ‚Breakdance‘ bekannte Tanzkultur. Als urbane Tänze werden verschiedene Tanzkulturen bezeichnet, die im US-amerikanischen urbanen Raum wie in New York oder Los Angeles entstanden. Dazu gehören u. a. Breaking, HipHop-Tanz, Locking oder House. Sie teilen ein afrodiasporisches Kulturerbe, haben je ein zugehöriges Musikgenre, auf das sie entstanden und spezifische Grundlagenbewegungen, siehe Frost und Nitzsche (2022).
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king Themen wie Rassismus, Postkolonialismus oder gesellschaftliche Missstände aktuell und spannend aus praktisch-künstlerischen sowie theoretisch-diskursiven Perspektiven verhandeln und aus der Praxis Transfers in verschiedenste Bildungsfächer schaffen (vgl. Ismaiel-Wendt 2022; Wassilenko 2022). Breaking wird in der Subkultur selbst hauptsächlich über Imitation und Peer Group-Learning erlernt. Die Akteur*innen dieser Tanzkultur haben in der körperlichen Bewegungspraktik einige kulturelle Lehr- und Lernprinzipien und -orte entwickelt, die eine Grundlage für pädagogische Vermittlungsansätze und Vermittlungsmethoden bieten können. Dazu zählen zum Beispiel der Cypher, das Battle sowie das Konzept des ‚Each One Teach One‘. Einige dieser kulturellen Prinzipien und Lernfelder werden in diesem Beitrag aufgegriffen, um darzustellen, wie ein kulturspezifisches Vermitteln der Tanzkultur Werte und Normen in formelle Lehr- und Lernsettings transferieren kann. Eine kulturelle Perspektive auf Breaking und diese Perspektive in die Vermittlung einzubringen, ist für mich als Breaker,4 Tanzpädagogin und -forscherin wichtig – denn oft werden die Bewegungen abgetrennt von der Tanzkultur und damit von ihrem kulturhistorischen Kontext vermittelt. In diesem Beitrag formuliere ich Handlungsperspektiven, wie Breaking als Tanzkultur in formelle Bildungskontexte eingebracht werden kann. Es wird aufgezeigt, wie aus kulturellen Prinzipien Lehrmethoden und -inspirationen für verschiedene Lehrkontexte geschaffen werden können – für Breaking-Kurse in Schulen, Jugendhäusern, Universitäten und darüber hinaus.
2 Erfahrungen und Kontextualisierung meines Knowledge Schon vor dem Beginn meines Studiums der Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln begann ich, Breaking in verschiedenen schulischen und außerschulischen Kontexten zu unterrichten – wie z. B. in Jugendhäusern, in TanzAGs oder im Offenen Ganztag an Schulen. Auch wenn die Schulen unterschiedlich waren, hatten sie stets eines gemeinsam: Es waren Haupt-, Real-, Gesamt- oder Sonderschulen. Nie aber kam eine Anfrage von einem Gymnasium und nie war es eine höhere Klassenstufe als die 6. oder 7. Klasse. Allein darin wird sichtbar, wie sehr Breaking in deutschen Bildungseinrichtungen in einen spezifischen Kontext gesetzt wird: niedriges Bildungsniveau und eine junge Zielgruppe.
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Die Tänzer*innen im Breaking werden B-Girls, B-Boys oder Breaker genannt. Non-binäre Tänzer*innen verwenden „Breaker“ als genderneutrale und non-binäre Form. Da die Bezeichnungen B-Girl und B-Boy eine binäre Kategorisierung vornehmen, folge ich in meinem Beitrag der Empfehlung non-binärer Tänzer*innen und verwende den Begriff „Breaker“ als genderneutrale Form.
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Später, als ich mein Studium abschloss, erhielt ich einen Lehrauftrag an der Deutschen Sporthochschule Köln, um im Lehramtsstudiengang einen BreakingKurs zu etablieren. Rund zehn Jahre lang unterrichtete ich den Kurs „Breaking für die Schule“ für Sportstudierende. Eine Pionierarbeit, für welche ich das Lehrkonzept konzipierte und stetig weiterentwickelte. Ich begann den Kurs zunächst mit rund acht interessierten Studierenden, nach einigen Semestern war mein Angebot mit 20 Teilnehmer*innen komplett ausgebucht, inklusive weiterer Anfragen von interessierten Studierenden. Das große Interesse zeigte, dass Breaking als Tanzkultur neben dem Bereich der Sozial- und Jugendarbeit auch einen Platz im Sportunterricht einnehmen kann – wie zum Beispiel im Bereich „Gestalten, Tanzen, Darstellen“ des Sportlehrplans in Nordrhein-Westfalen, in welchem durch „Bewegung, Rhythmus und Musik“ (Schulsport NRW 2022) ein Bewegungsmedium erschlossen werden kann. Meiner Meinung nach wird das Interesse an Breaking weiter steigen, denn die Tanzkultur wird Teil der Olympischen Spiele in Paris 2024 sein (Breaking for Gold 2020). Umso wichtiger ist es, den Tanz als Kultur und nicht als eine rein sportliche Bewegungsdisziplin zu vermitteln: Ein kulturspezifisches Vermitteln, das sich aus der Tanzkultur selbst inspiriert, ist mein Ansatz. In diesem Beitrag greife ich auf meine Erfahrungen als B-Girl in der deutschen und internationalen Breaking-Szene zurück, auf meine langjährige Tätigkeit als Tanzvermittlerin an Schulen, Jugendhäusern, in Jugendprojekten und -seminaren, auf meine Expertise als Sport- und Tanzwissenschaftlerin und als Lehrbeauftragte verschiedener Universitäten. Dabei bin ich keine Spezialistin im Bereich der Pädagogik oder Erziehungswissenschaften. Ich ziehe meine Expertise aus meinen praktischen Erfahrungen als Tanzvermittlerin, sowie aus meiner Forschung in den Kultur- und Tanzwissenschaften und den HipHop-Studies.5 Ich vertrete die Ansicht, dass Breaking kulturspezifisch unterrichtet werden sollte – was nichts anderes bedeutet als die Bewegungen im Kontext und nicht losgelöst von ihrer Kultur zu vermitteln. Mein Vermittlungsansatz im Breaking beruht neben trainingswissenschaftlichen und sportpädagogischen Grundlagen auf der Idee, aus den im Breaking innewohnenden kulturellen Prinzipien Vermittlungsmethoden zu kreieren und diese im Unterricht einzusetzen. Als Lernziel verstehe ich, dass die Teilnehmer*innen nicht nur die Bewegungen, sondern ebenso den soziokulturellen und geschichtlichen Kontext des Breaking (kennen-)lernen. Es geht also nicht darum, möglichst viele und spektakuläre Moves zu vermitteln, sondern darum, die Tanzkultur, ihre Bewegungen, Geschichte, Konflikte und
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Die HipHop-Studies haben sich als Forschungsfeld in den 1990er Jahren erst in den USA und dann in Großbritannien entwickelt. Das „European HipHop Studies Network“ hat sich als Ziel gesetzt, die Forschung zu HipHop im europäischen Kontext sichtbar zu machen und das „Global HipHop Studies“ Journal wird seit 2020 als erstes peer-review Journal des Forschungsfelds der HipHop-Studies publiziert.
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Weiterentwicklung bis heute zu entdecken. Damit ist jedes Unterrichten von Breaking verknüpft mit der Auseinandersetzung mit Postkolonialismus, Rassismus und der afrikanischen Diaspora sowie mit Fragen der Repräsentation von Gender (was sich innerhalb von Breaking nicht viel anders darstellt als in den meisten patriarchalen Strukturen, aber interessante Auseinandersetzungen mit Gender-Stereotypen und dem Infragestellen dieser bereithält).6 Die Auseinandersetzung mit und Reflektion der eigenen Position schwingt dabei stets mit, was ich als weißes BGirl, in einer afrodiasporischen Bewegungskultur aktiv und im Kontext von weißen, westlichen Bildungsstrukturen als hoch relevant ansehe.7
3 Breaking: eine gesampelte Tanzkultur Breaking entstand im Rahmen der HipHop-Kultur im New York der frühen 1970er Jahre in den Stadtvierteln Bronx und Brooklyn in hauptsächlich afroamerikanischen und puertoricanischen Communities. Die Tanzkultur beinhaltet nicht nur die Werte und Normen der HipHop-Kultur, wie das knowledge of self, realness und Authentizität oder den Anspruch, einen eigenen Stil zu entwickeln. Breaking sampelte von Beginn an Bewegungen aus verschiedensten Kontexten, wie aus African American Social Dances, Bewegungspraktiken wie Martial Arts oder Capoeira, von neuesten popkulturellen Trends oder von Idolen wie Muhammed Ali oder Bruce Lee (vgl. Rappe 2011; Rappe/Stöger 2022; Rose 1994b). Diese Bewegungen wurden und werden aufgenommen und in den Breaking-eigenen Kontext gesetzt, von den Breakern weltweit transformiert und modifiziert und finden so Eingang in die globale Breaking Community. Im Breaking ist die Bewegung eng mit der Musik verknüpft auf die sie entstand: Funk- und Soulbeats der 1960er und 1970er Jahre, Breakbeats und OldschoolHipHop (Schloss 2006; 2009). Breaking wird immer zu einem gewissen Grad improvisatorisch (freestyle) getanzt und verbindet die verschiedenen Raumebenen mit seinen verschiedenen Bewegungselementen wie Toprocks (das Tanzen in der Standebene), Downrocks (Bewegungen am Boden wie Footworks oder akrobati-
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Güngör et al. (2021) setzen sich u. a. mit Genderdiskursen im Breaking auseinander; Johnson (2014, 2022) erforscht die verschiedenen Genderrollen, die von Frauen* im Breaking eingenommen werden (können) und Gunn (2016; 2021) untersucht die Stereotypisierung und Sichtbarkeit von B-Girls in der Breaking-Szene. Eine Auseinandersetzung mit meiner Rolle/Position als weißes, europäisches B-Girl in der Breaking-Kultur verhandle ich in „Breaking the limits? Exploring the breaking scene in Havana, Cuba and belonging in a global (imagined) breaking community“ (Frost 2022a) und die Einbindung von HipHop in weiße Kultur- und Bildungsinstitutionen in „HipHop in NRW“ (Frost/Nitzsche 2022). In Anlehnung an den aktuellen deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs zur Kenntlichmachung und Reflexion rassistischer Kategorisierungen und Strukturen schreibe ich weiß klein und kursiv, siehe Hornscheidt/Nduka-Agwu (2013, S. 32 f.).
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sche Bewegungen in Rotation wie Powermoves) und Freezes (gehaltene, oft akrobatische Posen). Heute ist Breaking eine ausdifferenzierte Tanzkultur, die global verbreitet und, je nach Land, oft semi-/professionell organisiert ist – mit internationalen Wettkämpfen wie dem Battle of the Year, nationalen Ranking-Events wie der Netherlands Breaking League oder selbst organisierten lokalen Battles wie dem KOMMUnity Battle oder dem Cologne Circle. Im Rahmen des Qualifikationsprozesses für die Olympischen Spiele 2024 entstehen und entstanden aktuell Breaking-Kader in verschiedensten Ländern, ein neues Bewertungssystem und regelmäßige nationale und internationale Qualifikationsevents (vgl. Breaking for Gold 2020). Breaking war und ist oft besonders für Jugendliche und junge Erwachsene von großem Interesse: Die Verbindung mit der Musik und die akrobatischen Elemente, die sozialen Aspekte der Crew als „extended families“ (vgl. Fogarty 2013, S. 57), des Miteinanders und der Möglichkeit, sich individuell, kreativ-künstlerisch auszudrücken, ziehen viele Bewegungsbegeisterte an. Als selbstorganisierte Tanzkultur eröffnet Breaking zudem einen „Third Space“8 als hybriden Begegnungsraum, in dem sich mit bestehendem identifiziert wird (vgl. Rutherford 1990, S. 211), sich „binäre kulturelle Codes verändern können und etwas Neues entstehen kann“ (Klein 2014, S. 213). Dieser geteilte Ort von Bewegungsaustausch kann durch intrinsische Motivation von den Jugendlichen besetzt, verhandelt und für sich angeeignet werden. Im Breaking können mehrere Fähigkeiten und Kompetenzen erlernt werden, die den Tanz für verschiedenste Bildungsinstitutionen interessant machen. Hierzu gehören zum Beispiel die Selbstkompetenz und Lebensgestaltungskompetenz, welche die Sportwissenschaftlerin Christiane Pavicic (2009) für den HipHop-Tanz formuliert und die sich aufs Breaking übertragen lassen. Durch das Erforschen von Kreativität und freiem Schaffen und der Präsentation im Cypher oder Battle sowie dem Zuspruch von außen erhalten die Jugendlichen ein direktes Feedback zu ihrer eigenen Leistung, was zu Anerkennung, Selbstbewusstsein und Empowerment führen kann. Breaking hilft, die Individualität in der eigenen Bewegung zu entdecken und fördert Skills wie Musikalität, Bewegungsfreude, Teamfähigkeit, Disziplin, oder Konkurrenzfähigkeit. Jugendliche können durch Breaking zum Beispiel ein soziales Miteinander lernen, intrinsische Motivation und ein Sich-selbst-fordern ausbilden – und durch das Erlernen schwieriger Bewegungen, die Stück für Stück erarbeitet werden müssen, eine höhere Frustrationstoleranz entwickeln.
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Der „Third Space“ beschreibt nach Homie K. Bhahba (1994) einen Begegnungsraum, in welchem Binaritäten aufgehoben und sich trotz bestehender (kolonialer) Hierarchien und Zuschreibungen auf Augenhöhe ausgetauscht werden kann. Bestehende Deutungshoheiten und essentialistische Strukturen können hier dekonstruiert werden, siehe Rutherford (1990) und Klein (2014).
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Was Breaking in jedem Fall besonders macht, sind seine ethischen Lern- und Lehrprinzipien und die Orte, an denen der Tanz sichtbar wird: im Cypher und Battle.
4 Der Cypher als Ort der Kommunikation und des Austauschs
Breaking Cypher. Illustration: Bo van Hoorn.
Der Cypher im Breaking ist ein partizipativer Raum, ein Tanzkreis, in dessen Mitte Breaker ihr Können zeigen. In einem Breaking-Cypher wird nur einzeln und nacheinander getanzt. Er entsteht organisch, im Training, auf Breaking-Events oder (After-)Parties, wenn Tanzende beginnen, in einen Dialog mit der Musik oder anderen Tanzenden zu treten. In einem Cypher ist ständige Aktivität gefragt, denn die Kreismitte darf nie leer bleiben – sonst zerfällt der Cypher (vgl. Robitzky 2015, S. 25). Dies lässt einen intensiven, kommunikativen Raum entstehen, der zum Zuschauen und Partizipieren einlädt (vgl. Frost 2022b; Johnson 2009). Der Cypher kreiert eine Form von Zusammenhalt und eine Verbindung zur Tanzkultur selbst. Er wird in der HipHop-Kultur als Ort der Aushandlung von Wissen, Bildung und Teilhabe betrachtet (vgl. Alim/Meghelli/Spady 2012, S. 57 f.), ist Lehr- und Lernfeld gleichermaßen und kann als ein fluider Raum des Austauschs, des Lernens und des Feedbacks beschrieben werden (Rappe/Stöger 2015, S. 21 f.; 2016, S. 122). In meinem Unterricht beobachte ich, dass der Cypher ein Lernfeld kreieren kann, das eine hohe Energie, Anziehungskraft und Motivation ausübt. Gleichzeitig kann ein Cypher einschüchternd wirken und Druck ausüben, denn es geht darum, sein Können in der Mitte eines Kreises vor allen anderen zu zeigen. Trotzdem
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beobachte ich immer wieder, wie durch das Wagnis des Cyphern eine Selbstwirksamkeit entsteht, weil sich die Teilnehmenden getraut haben, in der Mitte zu tanzen. Das bejahende Feedback der Gruppe und die Erleichterung und der Stolz, sich in den Kreis getraut zu haben, überwiegen die anfänglichen Zweifel. Es benötigt aber einige pädagogische Twists, um aus dem Cypher einen Raum für ein weitgehend wertfreies Lernfeld zu schaffen, das die Improvisation, die Individualität und das Miteinander ins Zentrum rückt. Dann ist es möglich, den Cypher sowohl zum freien Üben zu nutzen als auch zu einem Raum der Inspiration und der Präsentation werden zu lassen. Dafür müssen zunächst aber der Druck und die Idee des Sich-zeigen-müssens in eine Leichtigkeit und ein Sich-zeigen-wollen „geflippt“, also modifiziert und transformiert, werden (vgl. Rappe/Stöger 2022, S. 355).
4.1 Methode 1: Der High-5 Cypher
High-5 Cypher. Illustration: Bo van Hoorn.
Hierfür entdeckte und kreierte ich eine effektive und sehr simple Methode: Den High-5 Cypher. Im High-5 Cypher lernen die Teilnehmer*innen, (erstmals) in den Cypher zu treten und erste Moves zu zeigen, mit den anderen Teilnehmenden nonverbal zu kommunizieren und durch ein High-5 als Kommunikationstool einen Cypher aufrecht zu erhalten – das High-5 dient als Aufforderung, in den Cypher zu treten. Durch das Cyphern lernen sie die besondere Energie eines Cyphers kennen, lernen mit einer räumlichen Ausrichtung von 360° zu tanzen, auf die Musik zu
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hören, können verschiedene Bewegungsaufgaben umzusetzen und nach einiger Zeit vielleicht sogar im Cypher ganz ohne Vorgaben der Lehrperson zu freestylen. Der High-5 Cypher kann für verschiedene tänzerische und spielerische Kontexte (HipHop-Tanz, Rap…) genutzt werden, es müssen nicht unbedingt Breaking-Moves gezeigt werden. Die Methode kann Teilnehmer*innen einen Raum zum Präsentieren ihres Könnens geben und damit eine Eigenwirksamkeit schaffen oder der High5 Cypher kann dazu dienen, einen Cypher organisch in Gang zu bringen, der durch stetige Wechsel lebt, aber ohne verbale Ansagen auskommt. Die genaue Umsetzung der Methode befindet sich im Methodenteil dieses Sammelbandes.
5 Das Battle als kompetitiver Raum des Miteinanders
Crew Battle. Illustration: Bo van Hoorn.
Im Gegensatz zu einem Cypher wird im Battle gegeneinander getanzt, es erfolgt ein direkter Leistungsvergleich. Der Musikethnologe und HipHop-Scholar Joseph Schloss beschreibt das Battle als das „primary expressive environment“ (Schloss 2009, S. 11) des Breaking, denn es ist zentraler (inter-)nationaler und lokaler Ort des Treffens und Austauschs und fordert von den Breakern stetige Innovation und Weiterentwicklung, um gegen die anderen Mitstreiter*innen bestehen zu können. Heutzutage sind Battles meist formalisierte Events mit einer ausgewählten Jury, die bewertet, welche Breaker das jeweilige Battle gewonnen haben und in die nächste Runde vorrücken. Auch wenn es in einem Battle, wie in einem sportlichen Wettkampf um Sieg oder Niederlage geht, bleibt der tänzerische Austausch bestehen. Wie im Cypher geht es um die Kommunikation zwischen den Tänzer*innen, das Tanzen auf die Musik und die Reaktion im Moment. Ebenso geht es um Teamarbeit, gegenseitige
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Unterstützung und ein tänzerisches Miteinander: Wenn zum Beispiel eine Crew gegen eine andere antritt, oder ein Crewmitglied ein 1vs 1 Battle bestreitet, dann steht die ganze Crew hinter ihr/ihm. Es geht trotz des Wettstreits um ein Miteinander, ein gegenseitiges Anfeuern, Empowern und Mutmachen – aber eben in Abgrenzung zu den anderen Kontrahent*innen und Crews. Für viele Breaker sind Battles eine nervenaufreibende, aber gleichzeitig auch stärkende Erfahrung des eigenen Könnens, des kollektiven Miteinanders und des Feedbacks. Das Battle als Ort des Wettstreits kann pädagogisch spannende Fragestellungen anbieten: Wie transformiere ich einen kompetitiven Raum in ein Miteinander? Welche Aspekte hebe ich hervor? Die wichtigste Frage aber ist: Passt ein kompetitiver Raum zu meiner Zielgruppe?
5.1 Methode 2: Die Battle Line
Die Methode der Battle Line kann Motivation, Miteinander und konstruktives Gegeneinander vermitteln. Sie ist inspiriert von der sogenannten Apache Line, welche für Aufnahme- und Exit-Rituale lokaler Straßengangs in New York genutzt wurde (vgl. Pabon/Rodriguez 2009, 2:01). Sie fand als Raumform Eingang in die Tanzkultur des Rocking, das sich in den 1960er Jahren in der Bronx und Brooklyn, vermutlich durch hispanische Gangmitglieder, entwickelte. Im Rocking wird gleichzeitig und mit einem Gegenüber in einer Linienaufstellung, der Apache Line, getanzt. Zentrale Tanzschritte und Bewegungen sind sogenannte Jerks und Burns, Bewegungen, die nonverbal den Gegner abwehren, ‚bekämpfen‘ oder mit Gesten übertrumpfen wollen. Einige der Bewegungen des Rockings, insbesondere Toprocks und Godowns, wurden später ins Breaking übernommen (vgl. Pabon 2012, S. 59). Die Apache Line wird im Breaking nicht als Raumform oder Präsentationspraxis angewandt. Als pädagogische Methode habe ich sie durch das USamerikanischen Kollektiv Urban Artistry aus Washington, D.C. kennengelernt und dann für meinen Unterricht mit pädagogischen Twists in die Battle Line modifiziert. In der Battle Line stehen sich immer zwei Teilnehmer*innen in zwei Reihen gegenüber und haben somit je eine*n ‚Mitspieler*in‘ bzw. eine*n ‚Gegner*in‘ mit bzw. gegen welche*n sie tanzen. Das Tanzen erfolgt abwechselnd, es tanzt immer eine Reihe und dann die andere. Durch eine stetige Rotation, die immer neue Teams hervorbringt, treten immer unterschiedliche Tänzer*innen und Levels gegeneinander an. Durch schnelle Partner*innen-Wechsel wird fast non-stop getanzt, so können bereits erlernte Bewegungen wiederholt, geübt und automatisiert werden. Dadurch können einerseits Moves geübt, sich gegenseitig motiviert und andererseits ein erster Einblick in einen kompetitiven Wettstreit erhalten werden.
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Apache Line. Die Tänzer*innen tanzen gleichzeitig gegeneinander. Illustration: Bo van Hoorn.
Battle Line. In dieser Vermittlungs-Methode tanzen die Tänzer*innen nacheinander. Illustration: Bo van Hoorn.
Mit der Methode der Battle Line können die Teilnehmer*innen lernen, wie viel Energie und Mut für ein Battle nötig sind. Außerdem erfolgt keine Beobachtung der anderen, denn alle sind beschäftigt und auf ihre*n Partner*in konzentriert. Die Lehrperson fungiert hier als Coach, der* die einordnet, ob es sich um ein Mit- oder Gegeneinander handelt, die Anweisungen zu Beginn, Ende und Wechsel gibt, die
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Tänzer*innen motiviert und hin und wieder auch Feedback an einzelne Tanzende geben kann. Auch hier befindet sich die genaue Umsetzung der Methode im Methodenteil dieses Sammelbandes.
6 Breaking Moves als Grundlage Für den High-5 Cypher und die Battle Line ist es eine Voraussetzung, dass die Teilnehmer*innen sich eigenständig bewegen bzw. tanzen können. Sie brauchen nicht viele Schritte, müssen diese aber selbstständig auf die Musik umsetzen können. Eine Voraussetzung ist ebenso, dass die Lehrperson selbst Bewegungen aus der Tanzpraxis kann und in der Lage ist, diese zu vermitteln. Das Erlernen der Breaking-Bewegungen selbst kann in der großen Gruppe, in Teams und individuell anhand kulturspezifischer Lehrkonzepte umgesetzt werden. Die Rolle der Lehrperson kann als Coach angesehen werden, der/die den Teilnehmenden Bewegungen beibringt, sie motiviert und Feedback gibt. Es geht hier aber weniger darum, eine Gleichheit zu schaffen, denn Breaking-Bewegungen sollen mit dem eigenen Körper und damit auch immer individuell umgesetzt werden. Jeder Körper ist anders und so sieht auch jede Tanzbewegung individuell aus – dennoch immer mit der richtigen Technik, Dynamik und Musik vom Breaking. Im Laufe der Zeit entwickelt jede*r Teilnehmer*in aufgrund ihrer eigenen Bewegungsqualitäten und -möglichkeiten eine Art eigenen Stil in der Bewegung, was im Breaking als eine wichtige Grundlage gilt (Rappe/Stöger 2015; Rose 1994a).
7 Lehr- und Lernformen im Breaking Wie eingangs erwähnt, wird Breaking hauptsächlich über Imitation, aktive Rezeption und Beobachtung, kurz autodidaktisches Lernen, in homogenen und heterogenen Peer Groups gelernt (vgl. Rappe/Stöger 2016). Ebenso gibt es Mentor*innen und Coaches, die ihren Nachwuchs auf die nächsten Battles vorbereiten. Eine wichtige Ressource ist aber das Internet als Informations- und Inspirationsquelle (vgl. Frost 2022a). Hier stellen Online-Plattformen wie das B-Girl B-Boy Dojo didaktisch aufbereitete Lernvideos bereit oder es werden in YouTube-Video-Tutorials Moves erklärt, in Interviews über die Geschichte des Breaking erzählt oder internationale Battles live-gestreamt. Da die face-to-face-Interaktion trotzdem die wichtigste Form des Austauschs und des Lernens ist, bleibt der lokale Trainingsspot, das Reisen zu Szeneevents oder Tanzcamps, um andere Tänzer*innen kennen zu lernen oder von den Pionieren der Tanzform zu lernen, eine wichtige Lernund Austauschquelle (Fogarty 2011). Trotz aller Professionalisierung hat Breaking keine vorgegebenen Lernschritte oder Lehr-Richtlinien (vgl. Foley 2016, S. 62).
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Das Erlernen der Bewegungen und des kulturellen Wissens (auch als Element des Knowledge bekannt) folgt ethischen Prinzipien wie dem ‚Each One Teach One‘ und der Philosophie der Foundation (vgl. Schloss 2009, S. 12).
7.1 ‚Each One Teach One‘
Das ‚Each One Teach One‘ ist eine ethische Philosophie im Breaking, die besagt, dass jede*r zeitgleich Lehrer*in und Schüler*in bzw. Lehrender und Lernender ist (Rappe/Stöger 2022, S. 355). Durch das Prinzip des ‚Each One Teach One‘ kann die Sozialkompetenz gefördert und Teilnehmende empowert werden, da das gemeinsame Lernen, der Austausch miteinander und die gegenseitige Unterstützung zentral sind. Jede*r kann etwas beibringen, und damit kann auch jede*r etwas lernen – egal in welcher Lernstufe. Dadurch fordert dieses Lernprinzip eine flache Hierarchie und ein soziales, dynamisches und positives Gruppengefüge – eine Gruppe, die miteinander lernen will und sich gegenseitig stärkt, in welcher die einzelnen Personen sich und die anderen weiterbringen möchten. Miteinander kommunizieren, Bewegungen erklären und zeigen, faires Feedback geben, Kritikfähigkeit sowie Reflexionsfähigkeit sind Voraussetzungen für ‚Each One Teach One‘, was zugleich eine Lernchance des miteinander Lernens in formellen Strukturen bietet. Crews und Peer Groups sind ein zentrales soziales Gefüge, in dem gemeinsam gelernt wird. Je heterogener hinsichtlich Alter, Können und Erfahrung, desto besser – nur so kann ein Maximum an Wissen zugegen sein (vgl. Fogarty 2013).
7.2 Foundation
Im Gegensatz zu ‚Each One Teach One‘ beinhaltet das Prinzip der Foundation eine Beschreibung des Kultur- und Bewegungswissens, das Breaker erlernen sollten. Es beinhaltet zum Beispiel spezifische Bewegungen, die als Grundlagen für das Erlernen von Breaking angesehen werden wie zum Beispiel der Sixstep, verschiedene Toprocks oder Freezes, bestimmte Musiktracks, die Erzählung über die BreakingGeschichte und Wissen über die Bewegungsästhetik und zieht damit eine direkte Referenzlinie zum Ursprung der Praktik in New York (Rappe/Stöger 2015, S. 22; Schloss 2009, S. 12). Foundation setzt ästhetische Vorgaben, Grundlagen und Grenzen für die Innovation und Weiterentwicklung von Breaking. ‚Besitzt‘ ein Breaker Foundation, kann sie*er von hier aus den eigenen Stil und eigene Ideen entwickeln, die stetig mit der Ästhetik des Breaking korrespondieren und so die Bewegungen in den globalen Breaking-Diskurs einbringen (vgl. Schloss 2009, S. 51). Durch Foundation bleibt die Ästhetik der Praktik auch im Sinne eines Kulturerhalts bestehen, obwohl Breaker auf der ganzen Welt die Tanzpraktik durch Kreativität und Innovation weiterentwickeln.
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Foundation gibt eine Idee vor, was gelernt werden sollte, und ‚Each One Teach One‘, wie gelernt werden kann. Beide Konzepte ermöglichen, dass das Wissen über die Tanzkultur auch ohne Lehrplan und Lehrbücher weitergegeben wird und in der Community zirkuliert.
7.3
Übertragung von Breaking-Prinzipien in die Vermittlung
Neben der Entwicklung von Methoden aus den Lernfeldern und Lehrprinzipien des Breaking gibt es die Möglichkeit, diese Prinzipien als einen pädagogischen Ansatz zu vermitteln. Aus dem Prinzip des ‚Each One Teach One‘ kann zum Beispiel die Idee einer flachen Hierarchie (Coach oder Mentor*in anstatt Lehrdozent*in) in den Bildungsraum übertragen werden. ‚Each One Teach One‘ als die Idee, dass jede*r Schüler*in und Lehrer*in gleichermaßen und zu jeder Zeit sein kann und zwar unabhängig von ihrem tänzerischen Level, kann übertragen in eine Lernsituation den Teilnehmer*innen früh ermöglichen, ihr gelerntes Bewegungskönnen an die Anderen im Kurs weiterzugeben. So kann Verantwortung für die anderen Lernenden und deren Lernerfolg übernommen werden, was für Teilnehmende eine bestärkende Erfahrung in formellen Bildungsstrukturen sein kann. Diese Perspektiven können im Kurs wie auch in formellen Bildungskontexten für eine heterogene Lerngruppe positiv und förderlich sein. Der Cypher als Lernfeld kann die pädagogische Vermittlung als Raumform inspirieren: weniger frontal, mehr zirkulär. Er kann als energetisch aufgeladener Raum das gemeinsame Lernen stärken, am Beginn und Ende einer Lehreinheit stehen und so relativ schnell ein bekanntes Format werden, das Struktur und Sicherheit gibt (vgl. Rappe/Stöger 2022). Der Cypher fördert die Kommunikation, vor der sich niemand drücken kann – denn alle stehen im gemeinsamen Kreis und sind dadurch sichtbar; und alle werden gebraucht, um die Energie im Cypher aufrechtzuerhalten.
8 Breaking im Rahmen von formellen Bildungsstrukturen Wenn Breaking in einem formellen Kontext – also außerhalb seiner Subkultur – eingebracht werden soll, ist es meiner Ansicht nach wichtig, nicht nur die oft für Jugendliche spannenden Bewegungen zu unterrichten, sondern gleichzeitig die Tanzkultur mit ihren, in diesem Beitrag aufgegriffenen Lehr- und Lernorten des Cyphers und Battles, ihren Lehr- und Lernprinzipien des ‚Each One Teach One‘ und der Foundation, als auch ihrer Musik und Geschichte, erfahrbar zu machen. Dafür habe ich verschiedene kulturspezifische Lehrmethoden entwickelt, die genau das ermöglichen: Zwei dieser Methoden, den High-5 Cypher und die Battle Line habe ich hier vorgestellt.
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Mit seinen Lehr- und Lernprinzipien kann Breaking und die HipHop-Kultur außerdem Lehrende dazu inspirieren, mehr Partizipation, Miteinander und Individualität zuzulassen. Es kann Transfers schaffen, sich anhand einer körperlichen Praktik mit Themen wie Identitätskonstruktion, Individualität, Marginalisierung, (Post-)Kolonialismus oder Genderfragen auseinander zu setzen und so in formellen Strukturen einen Raum für kritische Diskurse schaffen. Dabei ist stets zu reflektieren, in welchem Kontext die afrodiasporische Tanzkultur, die von marginalisierten People of Colour9 im New York der 1970er Jahre kreiert wurde, eingebracht wird, damit ihr subversives Potenzial und ihre Eigenständigkeit nicht starren formellen Strukturen unterworfen wird (vgl. Frost/Nitzsche 2022). Die kulturhistorische Geschichte und Entstehungskontexte des Breaking und die noch immer in den weißen, westlichen Gesellschaften vorhandenen diskriminierenden, marginalisierenden und teils rassistischen Strukturen verpflichten die Lehrperson außerdem, sich mit der eigenen Position und den eigenen Privilegien auseinander zu setzen und diese im Rahmen der Verhandlung der Tanzkultur zu reflektieren. Auch das eigene tanzpädagogische Können für eine kompetente Vermittlung von Breaking sollte von der Lehrperson realistisch eingeschätzt werden. Gemeinsame Lehrkonzepte mit oder Workshops von lokalen Breakern können hier nicht nur Expertise einbringen, sondern auch Brücken zur lokalen Tanzszene bauen. Denn das ist ein wirklicher pädagogischer Erfolg: Wenn die Teilnehmenden außerhalb formeller Strukturen eigenständig beginnen, sich mit den künstlerischen Praktiken der HipHop-Kultur auseinanderzusetzen und hier ihren Third Space finden.
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9
People of Colour ist eine positiv umgedeutete Selbstbezeichnung von Personen, die in weißen Deutungssystemen Marginalisierung und Rassismus erfahren, vgl. Webseite: Diversity Arts Culture (o.D.).
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Graffiti in der Jugendarbeit Interview mit Julia Mumme, Stephan Wilke und Pekor Das Interview führte Marie Jäger.
Zu Graffiti gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen: Zum Teil wird selbst eine bestimmte Form von Streetart darunter gefasst, zum Teil gelten nur illegale Bilder als das Wahre. Was ist für euch Graffiti und was war eure Vorstellung von Graffiti, als ihr angefangen habt zu malen? Julia Mumme: Ich fand die Frage richtig gut und musste lange darüber nachdenken. Ich würde sagen, Graffiti ist alles, was im öffentlichen Raum stattfindet und nicht das, was in Galerien gezeigt wird. Das gefällt mir tatsächlich auch weniger. Ich bin selbst erst in den 2000er Jahren zum Graffiti gekommen und habe lange gebraucht, bevor ich selbstbewusst sagen konnte: Das, was ich mache, ist Graffiti. Ich bin über politischen Aktivismus in Kontakt mit Graffiti und der Szene gekommen. Am Anfang habe ich politische Botschaften auf Transparente und Plakate für Demonstrationen gemalt oder eben auf Wände. Das sollte aber möglichst gut aussehen. Während ich mein Abitur machte, habe ich viel Zeit in einem besetzten Haus verbracht. Da gab es auch Flächen, auf denen gemalt wurde. Dort waren aber hauptsächlich Männer und die Atmosphäre war eher abweisend. So nach dem Motto: „Graffiti ist nur krass und macht gar keinen Spaß!“. In meiner Schule gab es ein Mädchen, das Graffiti gemacht hat, aber nur Character1 und vor allem Barbie-Figuren. Sie hatte ein Standing in der Szene, aber so wollte ich Graffiti nicht machen. Ich dachte wirklich lange, dass das, was ich mache, nichts mit Graffiti zu tun hat. Bis ich dann mal bei einem Graffiti-Workshop mitgemacht habe und ein Freund, der mit mir da war, meinte: „Hey, das ist ja voll cool, was du machst“. Ab diesem Moment gab es eine Art Parallelentwicklung: Ich habe schon GraffitiWorkshops gegeben und war gleichzeitig noch mitten in der Entwicklung meines Stils. Mein Hintergrund ist auch eher Punk und Riot Girl als Rap, das hat meinen Stil geprägt. Ich baue immer noch Punkelemente in meine Bilder ein. Als ich nach Berlin gezogen bin, fand ich es schwierig, Leute zum Malen zu finden. Mir wurde im Studi-Cafe einmal jemand vorgestellt. Der hat mich dann so einer Art Interview unterzogen, wollte schließlich mein Blackbook (Skizzenbuch) sehen und meinte:
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Character = Figürliche, häufig comicartige Darstellungen in Graffitis wie etwa Häuser, Tiere, Menschen, Sprühdosen.
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„Ja, ich find das ja auch immer schwierig, wenn Frauen malen und dann wollen die so Blümchen malen.“ Mittlerweile hat sich da viel verändert. Wenn ich heute durch die Straßen gehe, finde ich es spannend, dass viele Bilder von Mädchen und Frauen zu sehen sind. Pekor: Für mich ist Graffiti Stylewriting2. Die Form ist entscheidend, noch mehr als die Farbwahl. Zusammengefasst würde ich sagen: Graffiti ist eine Kunstform, die von jungen Menschen ins Leben gerufen wurde. Das begann in den USA und wurde in Europa adaptiert. Eine Kunstform, die für mich ganz klar in den öffentlichen Raum gehört und nicht in eine Galerie. Graffiti hat aus meiner Sicht den Anspruch, unkommerziell und auch ein bisschen antikapitalistisch zu sein. Als ich angefangen habe zu malen, war das eine Gelegenheit über meinen Kiez hinaus aktiv zu werden, mit anderen Leuten in einen produktiven Wettbewerb zu gehen, neue Leute kennenzulernen. So habe ich zum Beispiel auch Stephan kennengelernt. Als ich mit Sprayen begonnen habe, war Graffiti noch nicht so omnipräsent wie jetzt. In der Schülerzeitung meiner Schwester gab es aber eine Werbeannonce für einen Graffiti-Workshop. Nachdem ich schon ein paar Pieces (Bilder) gemalt hatte, bin ich dann zu diesem Workshop ins Jugendzentrum gegangen. Stephan Wilke: Bei mir war es ähnlich. In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, gab es kein Graffiti. Es gab da auch keine Flächen, die sich dafür angeboten hätten. Graffiti habe ich gesehen, wenn wir mit der Schulklasse zum Schwimmunterricht gefahren sind. Es gab häufig neue Bilder an Brückenpfeilern entlang der S-Bahn-Strecke. Das fand ich als Kind unheimlich krass. Ich konnte die Schriftzüge nicht lesen, ich habe nicht mal verstanden, dass es Buchstaben sein sollten. Es sah vor allem bunt aus. Für mich war das so geheimnisvoll, fast mystisch oder magisch. Und dann habe ich mich gefragt: Wie kommt das dahin? Wer macht sowas? Und was bedeutet das? So habe ich angefangen, mich für Graffiti zu interessieren. An meiner Schule gab es 1994 eine Schulprojektwoche, im Rahmen derer haben Jugendliche aus dem 9. Jahrgang die Sporthalle besprüht. Wir Sechstklässler haben zugeschaut, aber uns nicht getraut, die Teilnehmenden anzusprechen. Die sahen gefährlich aus – keine Haare, Bomberjacke – wir hatten Angst, die schlagen uns. Später habe ich herausgefunden, dass das ESC-Leute waren und ein paar von LOFD3, die zu dieser Zeit tonangebend in der Ostberliner Graffiti-Szene waren. Für mich ist Graffiti Ausdrucksmöglichkeit. Mit Graffiti kann man sich kreativ betätigen, egal ob legal oder illegal. Ich stimme Pekor zu, Graffiti ist Stylewriting.
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Stylewriting bezeichnet das Malen von Schriftzügen, wobei es darum geht, die Buchstaben möglichst künstlerisch zu gestalten, zu ändern, teilweise auch zu verfremden. ESC oder ESK ist eine der ältesten Ostberliner Graffiti-Crews. LOFD, Lords of Doom, ist ebenfalls eine Ostberliner Crew, die ab 1994 an Bedeutung gewann.
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Graffiti als Kunstform zu begreifen, damit habe ich mich lange schwergetan. Natürlich haben die Bilder einen künstlerischen Anspruch. Aber Graffiti ist gleichzeitig etwas ganz anderes als alles, was in Galerien hängt. Dennoch würde ich mittlerweile sagen: Graffiti ist ein gleichberechtigter Zweig neben anderen Kunstformen. Pekor: Das ist ein interessanter Punkt. Ich würde tatsächlich sagen: Für mich hört Graffiti da auf, wo es nicht mehr auf der Straße stattfindet. Wenn es in der Galerie hängt, ist es Urban Art. Stephan Wilke: Ich meine, man erkennt tatsächlich, was auf der Straße entstanden ist. Ich glaube nicht, dass es für Kunststudierende möglich ist, sich einen GraffitiStil anzueignen und gelungen umzusetzen. Aus meiner Sicht braucht es für Graffiti das Gefühl, draußen unterwegs zu sein, so eine Art „Straßenenergie“. Diese Energie auch auf ein Bild in einer Galerie zu bringen, ist extrem schwer, das können vielleicht einhundert Leute weltweit. Pekor: Es gibt viele, die beides machen: draußen sprühen und Bilder für Galerien malen. In der Kunst, die von ihnen in Galerien hängt, erkennt man vielleicht noch eine Spur von Graffiti. Aber der Stil, die Motive, die Technik der Galerie-Bilder unterscheiden sich doch sehr von denen draußen. Stephan Wilke: Ich denke, so ein Buchstaben-Panel4 funktioniert auch einfach nicht in der Galerie, im White Cube5, das muss man dann adaptieren und dem Kontext anpassen und das heißt auch dem kommerziellen Zweck. Das hat dann nicht mehr viel mit Graffiti zu tun. Ich habe noch nie Geld bekommen für ein Bild in dem Style6, den ich male. Ich finde allerdings den Kommerzvorwurf an jeden, der schon einmal eine Cola-Dose für die Werbung gemalt hat, auch ungerechtfertigt. Wenn ich mir die älteren Leute in der Graffiti-Szene anschaue, dann gibt es da viele, die die Schule oder ihre Ausbildung nicht beendet haben. Die haben sich ganz auf das Malen konzentriert und dann irgendwann gemerkt, dass auch sie Geld brauchen, weil sie doch nicht mehr im besetzten Haus wohnen und Miete
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Panel, Szenesprache aus dem US-amerikanischen Englisch, bezeichnete ursprünglich eine besprühte Fläche auf der Außenseite der New Yorker Subway Waggons, zwischen den Türen, unterhalb der Fenster. Jetzt ist es die Bezeichnung eines Graffiti-Bildes, das auf Zügen aufgesprüht wurde und nicht bis zur Dachkante reicht oder die gesamte Fläche des Waggons einnimmt. Mit White Cube wird das Ausstellungskonzept bezeichnet, Kunst in weißen Räumen zu präsentieren. Die Idee dahinter ist, das Kunstwerk in den Vordergrund der Wahrnehmung zu rücken, da es nicht bzw. deutlich weniger mit der Gestaltung der Umgebung konkurriert. Somit kontrastiert im White Cube ausgestelltes Graffiti deutlich die Orte, an denen sich Graffiti sonst finden lässt. Style bezeichnet den persönlichen Gestaltungsstil in Bezug auf Buchstaben. Die Entwicklung eines persönlichen Styles ist eines der wichtigsten Ziele im Graffiti/Stylewriting.
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zahlen müssen oder weil sie ein Kind haben. Auch die beginnen dann mit Auftragsarbeiten und bemalen zum Beispiel Kaufhallen. Da stellt sich die Frage: Wo fängt Kommerz an? Julia Mumme: Ich würde das Ganze gern noch einmal unter dem Gender-Aspekt betrachten und die Frage aufwerfen, wer sich überhaupt auf das Malen konzentrieren kann, wer sich Raum in der Szene nehmen kann und für wen Züge malen und Bombing7 attraktiv ist. Ich hatte gar nicht auf dem Schirm, schon gar nicht als Jugendliche, dass mein Name auf der Straße Platz haben könnte. Historisch betrachtet ist der öffentliche Raum eine Männer-Domäne. Ich denke, auch wenn sich das langsam ändert und viele FLINTA* sich in der Szene durchgekämpft haben, dass die Graffiti-Szene mit ihrer Männlichkeitsperformance sehr abschreckend auf FLINTA* wirkt. Zudem hat mir auch oft Zeit gefehlt malen zu gehen, weil ich mit Care-Arbeit beschäftigt war. Wenn ich gemalt habe, dann politische Graffiti, das kam mir lohnenswerter vor als Bombing. Oft erscheint mir die Frage, was Graffiti ist, auch eher auf eine Message an FLINTA* hinauszulaufen, dass sie nicht Graffiti sind. Oder zumindest nicht genug. Jule, weil du gerade ja auch meintest, du kommst eher aus der Punk-Szene: Was hat denn Graffiti mit HipHop zu tun? Pekor und Stephan Wilke: Nichts! Julia Mumme: Es gibt da ganz unterschiedliche Perspektiven, würde ich sagen. Das hängt tatsächlich vom Blickwinkel ab. Stephan Wilke: Als ich angefangen habe, mich für Graffiti zu interessieren, habe ich von Rap gar nichts mitbekommen außer die Fantastischen Vier im Radio, und das hat mich wirklich gar nicht interessiert. Ich habe eher Techno gehört und ich fand immer, dass Graffiti die Formsprache von Techno ist und gar nicht zu Rap und den lustigen HipHop-Typen passt. Das hat zugenommen, umso mehr ich mich mit der Formsprache von Graffiti beschäftigt habe. Das Düstere, Dystopische der Städte, insbesondere Berlin Mitte/Ende der 1990er, passte besser zu Techno und Graffiti als zu HipHop. In Berlin waren damals viele Häuser kaputt, die Techno-Parties fanden oft in leerstehenden Fabrikgebäuden statt. Das hat gut zu Graffiti gepasst.
7
Bombing bezeichnet großflächige, illegal und insbesondere auch in großer Zahl in einem bestimmten (Stadt-)Gebiet angebrachte Graffitibilder.
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Pekor: Harry Belafonte hat mehr mit HipHop zu tun als Graffiti. Stephan hat es ja gerade schon angesprochen: Wir sind Ossis, richtige Zonenkinder, im Osten von Berlin aufgewachsen. Ich habe es persönlich nicht miterlebt, als in der DDR „Beatstreet“8 in die Kinos kam. Die Leute allerdings, bei denen wir sozusagen ‚in die Schule gegangen sind‘, haben erzählt, dass es für sie sehr eindrücklich war, etwas Neues und Impulsives. Es war auch eindrücklich für sie, dass HipHop in der DDR stattfinden durfte, weil die SED-Kader das antikapitalistisch fanden.9 Stephan Wilke: Das galt als die Kunstform der kurzgehaltenen, unterprivilegierten Jugend. Pekor: Für mich ist die HipHop-Jugendkultur etwas Konstruiertes. Das wurde den Akteur*innen übergestülpt. Es gab eine parallele Entwicklung von Rap, DJing, Breakdance und Graffiti. Als Afrika Bambataa einmal in einem Interview dazu befragt wurde, was das alles sei, meinte er: HipHop. Mit dieser Aussage nahm er Bezug auf eine Zeile aus einem seiner Songs und sein Lebensgefühl. Graffiti passt natürlich gut zu einer Jugendkultur, es geht dabei um Spaß, Kommunikation und Reisen; Graffiti ist zudem auch eine universelle Sprache. Aber die Urheber*innen dieser Sprache hören nicht alle dieselbe Musik und ich finde, das lässt sich auch in ihren Styles erkennen. Stephan Wilke: Wie Jule schon sagte: Es ist vielleicht auch die Frage, aus welchem Blickwinkel man sich Graffiti anguckt. Graffiti als Idee, als Kommunikation über Wände ist schon uralt und auch Spray-Graffiti wurde schon von Punks eingesetzt, welche zum Beispiel auch schon Bubble-Styles gemalt haben. Auch der BombingGedanke ist schon sehr alt, wenn man mal an das omnipräsente Killroy denkt.10 HipHop gab es noch gar nicht, als es schon Graffiti gab. Darauf hat BLADE TC511 auch mal in einem Interview hingewiesen.
8
„Beatstreet“ ist ein HipHop-Kultfilm von 1984, der von Harry Belafonte produziert wurde und wesentlich dazu beitrug, dass Rap, DJing, Graffiti und Breakdance auch unter europäischen Jugendlichen populär wurde. 9 HipHop war die einzige Jugendkultur in der DDR, der staatlicherseits nicht mit Misstrauen und Abwehr begegnet wurde. Im Gegenteil wurde sie als Ausdruck des anti-imperialistischen Kampfes der Afroamerikaner*innen betrachtet und als Jugendkultur in der DDR sogar gezielt gefördert, vgl. den Beitrag „‚Doch wir war‘n vor euch im All.‘ HipHop und Ostdeutschland“ in diesem Band. 10 „Killroy was here“ ist ein Slogan, der in den 1940er und 1950er von US-Marines als Graffito genutzt wurde, das Motiv wurde vor allem im Laufe des Zweiten Weltkrieges entwickelt und verbreitet. Der Slogan wurde häufig kombiniert mit einem Gesicht mit langer Nase und großen runden Augen (vgl. Grothe 2013). 11 Sprayer aus New York, der in den 1970er und 1980er Jahre vor allem Züge bemalte.
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Pekor: Aber auch seine Bilder wurden dann vom HipHop eingemeindet. Er wurde als HipHop betrachtet, ohne sich dieser Kultur je zugehörig zu fühlen. Stephan Wilke: HipHop ist ein Marketing-Produkt. Und auch ein Versuch von Afrika Bambataa, der Gewalt unter Jugendlichen etwas entgegenzusetzen, eine Alternative zu bieten. Damals sind häufig auch Jugendliche in Kämpfen zwischen Gangs auf der Straße gestorben. HipHop war der Versuch, die Gewalt, die Gangs und den Drogenhandel zu stoppen, indem man zum Beispiel die Gang-Graffiti, mit denen Reviere markiert wurden, zum eigentlich zentralen Battle erklärt hat. Künstlerischer Wettbewerb statt Kampf. Das hat allerdings in den 1990ern in Berlin nicht geklappt. Pekor: Das heißt, man hat das Phänomen „Gang-Graffiti“ und Stylewriting und nimmt das als Werkzeug … Stephan Wilke: … genau, der Streit sollte an der Wand ausgetragen werden. Julia Mumme: Für mich persönlich hat Graffiti wenig mit HipHop zu tun, aber ich glaube, das ist auch eine sehr eigene Perspektive, weil ich anders zu Graffiti gekommen bin und wenig HipHop höre. Ich habe „Beatstreet“ erst mit Anfang 20 geguckt, und mich hat vor allem der Crew-Gedanke begeistert. Das finde ich zentral für Graffiti und auch für die Workshops. Pekor: Es ist kontrovers. HipHop war am Anfang eine sehr politische Bewegung, mittlerweile ist es Pop, der viele problematische Bilder transportiert. Das ist ganz anders als das, was wir wollten, als wir angefangen haben. Das Bild, das Jugendliche heute von Rap haben, ist ein ganz anderes als unser Bild damals. Ich habe auch den Eindruck, dass eher die stillen Jugendlichen in den Graffiti-Workshops sitzen, die lauten Kids gehen zu Rap. Julia Mumme: Ja, es gibt mittlerweile einen riesigen Mainstream-HipHop und parallel dazu aber immer noch viel Underground. Das wird oft vergessen. Stephan Wilke: Und eigentlich ist der Underground ja der wirkliche HipHop. Wie im Graffiti. Die Sonntagsmaler zählen in der Szene ja auch nicht als echte Writer*innen.12 Es gibt da schon auch krasse Dogmen. Manchmal völlig absurd: „Graffiti ist kein Graffiti mehr, wenn es nicht auf einer New Yorker U-Bahn ist.“
12 Writer*innen: Sprayer*innen, Graffiti-Sprüher*innen, Style-Writer*innen.
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Pekor: Vielleicht funktioniert der menschliche Verstand auch so, dass er immer ein Baukasten-Set braucht: Das gehört zu HipHop, das nicht. Julia Mumme: Ich sehe die Gruppen in den Workshops auch immer als Crew. Natürlich kommen dieselben Jugendlichen auch als Klasse zusammen, aber in der Klasse geht es um Konkurrenz. Im Workshop sollen sie idealerweise die Erfahrung von produktiver Zusammenarbeit machen. Graffiti-Workshops sind für mich ein cooler Teambuilding-Prozess. Insofern gehe ich genauso an Workshopgruppen heran wie Afrika Bambaataa an die Gang-Jugendlichen: Ich trage ein Gruppenideal von außen heran, welches die Jugendlichen von sich aus gar nicht hätten. Der Trick ist: Es wirkt trotzdem. Wenn sich die Jugendlichen auf die Idee einlassen können, machen sie eine ganz wichtige Erfahrung. Wenn es gut läuft, trägt diese über den Workshop hinaus. Aber die Vorstellung, was alles zu HipHop gehört, haben schon viele vertreten und die hat sich auch lange gehalten, vor allem der DIY-Gedanke und auch der politische Gedanke – wofür HipHop steht. So wurden z. B. Leute gedisst, die Baggypants getragen haben und nicht wussten, wofür Baggypants stehen.13 Stephan Wilke: Mit Baggypants kommt man halt echt schlecht über Zäune. Wenn man sich aufs Sprühen konzentriert hat, hatte man die eigentlich nie an. Pekor: Bei mir im Viertel konnte es passieren, dass du mit einer Gaspistole bedroht wurdest, wenn du Baggypants anhattest. Stephan Wilke: In Westdeutschland war das anders. Da gab es niemanden, der nur eins der Elemente der HipHop-Kultur gemacht hat, die haben meistens alles gemacht, parallel: Rap, Breakdance, Graffiti, DJing. Die waren da auch richtig dogmatisch, das gehörte für sie zusammen. Pekor: Der Jugendklub war bei uns die Klammer – ins all eins14 sind Leute aus ganz Berlin gekommen, aus Hellersdorf, Köpenick, Weißensee, Pankow. Da gab es dienstags Graffiti-Workshops, mittwochs Breakdance und donnerstags Rap. So kam es, dass wir schon auch mit den Breaker*innen und Rapper*innen rumgehan-
13 Das Tragen von Baggypants wurde in den 1980er und 1990er Jahren vor allem in den USA als Solidaritätsbekundung mit Inhaftierten verstanden. Denen wurde bei Eintritt ins Gefängnis der Gürtel abgenommen, um Gewalt- und Suizidraten zu minimieren. Da die Gefängniskleidung oft nicht passte, rutschten vielen Inhaftierten beim Laufen die Hosen herunter. 14 Der all eins e.V. ist ein Träger in Berlin-Köpenick, der gemeinsam mit dem Sportverein Mellowpark e.V. den Mellowpark, einen Jugend-, Sport- und Freizeitpark im Berliner Bezirk TreptowKöpenick und den dazugehörigen all eins Club betreibt.
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gen haben. Da gab es schon einen Community-Gedanken. Wir sind als Sprayer auch zu Breakdance-Battles mitgefahren, nach Bautzen zum Beispiel. Julia Mumme: Ja, das meinte ich. Der Crewgedanke ist schon sehr zentral für Graffiti und HipHop, ob die Szenen nun zusammengehören oder nicht. Man gibt alles für die Crew. Stephan Wilke: Im Jugendklub haben auch die Älteren den Jüngeren rappen, breaken und malen beigebracht. Die Skills, aber auch die politischen Messages wurden weitergegeben. Pekor: Die richtige Schule fing 14 Uhr an, wenn man von der Schule ins JUZ [Jugendzentrum] gefahren ist und dann bis 20 Uhr alles Wichtige gelernt hat. Genau, wie seid ihr dazu gekommen, Graffiti-Workshops zu machen? Und was möchtet ihr den Jugendlichen oder Kindern in den Workshops vor allem vermitteln? Stephan Wilke: Ich bin dazu gekommen, weil mal ein Übungsleiter für einen Workshop ausgefallen ist. Aber auch wenn er da war, habe ich geholfen. Ich war schon ein bisschen älter, hatte schon ein paar Skills und habe assistiert. Später hat mal jemand einen Workshop für ein anderes Jugendzentrum bei mir angefragt. Zu der Zeit habe ich wenig skizziert, war in einer künstlerischen Sackgasse und habe mir von der Arbeit als Workshopleiter auch versprochen, mich weiterzuentwickeln durch den Kontakt mit anderen Styles und Buchstabenfolgen. Also habe ich drei Monate einen Workshop gegeben. Und dann kamen ganz sporadisch Anfragen, damals ging es in den Workshops auch nur darum, Graffiti zu vermitteln. Julia Mumme: Ich bin da eher reingerutscht. Ich wollte eigentlich politische Bildung machen und habe bei dem Verein cultures interactive e.V. angefangen. Zu der Zeit gab es einen Mangel an Graffiti-Teamer*innen. Ich wurde gefragt, ob ich mir das auch vorstellen kann, habe mir das zugetraut und dann auch gemacht. Tatsächlich war ich zu dieser Zeit noch sehr damit beschäftigt, meinen eigenen Stil zu finden. Pekor: Ich bin über den Mellowpark und das all eins dazu gekommen. Erst habe ich an Workshops teilgenommen und dann, als ich Fach-Abitur Richtung Sozialwesen gemacht habe, brauchte ich Praktika und die habe ich dann im Jugendzentrum gemacht. In diesem Rahmen habe ich die ersten Graffiti-Workshops gemacht, kurz danach habe ich dann auch andere Kurse übernommen, im Jugendklub Ikarus und in der JFE Willi Sänger in Lichtenberg. 2009 habe ich Sookee kennengelernt und sie hat mich gefragt, ob ich nicht auch mal einen Workshop für cultures
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interactive e.V. machen will. Meinen ersten Workshop habe ich fast verpeilt, da war ich gerade malen im Yaam. Stephan Wilke: Ich bin über Pekor zu cultures interactive e.V. gekommen, in meinem ersten Workshop war ich, meine ich, die Vertretung für Pekor. Kurz danach hatte ich auch schon die erste Anfrage von Schule ohne Rassismus. Sie wollten von mir wissen, wie man mit Graffiti in der politischen Bildung arbeiten kann und ich dachte nur: „Keine Ahnung“. Ich wurde zu einem Expertengespräch eingeladen und alle waren total interessiert daran, wie ich so einen Graffiti-Workshop mache. Und dass, obwohl ich eigentlich keine Ahnung von Pädagogik habe. Aber Graffiti in der Jugendarbeit, das schien irgendwie einen Nerv zu treffen. Was wollt ihr vermitteln, wenn ihr so einen Workshop macht? Stephan Wilke: Vor allem ist es mir wichtig, den Jugendlichen eine Kreativtechnik zu vermitteln, mit der sie sich ausdrücken können. Ich möchte, dass sich Möglichkeiten für sie eröffnen, sich künstlerisch zu betätigen. Dazu kommt der Demokratiegedanke: Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass Diskriminierung blöd ist und einfach nicht logisch. Julia Mumme: Empowerment ist mir vor allem wichtig. Ganz oft sitzen in den Workshops eher die Unsicheren, die so etwas sagen wie: „Ich kann gar nicht malen und schon gar nicht schön.“ Da setze ich an, versuche sie zu motivieren, zu unterstützen und ihnen Ängste zu nehmen. Es ist wichtig zu sagen: „Fang erstmal an. Es gibt kein Schön und kein Hässlich hier, leg einfach los und guck, wie es sich entwickelt, und wie du es weiterentwickeln willst.“ Pekor: Man muss sich vor Augen halten, dass wir in einer völlig professionalisierten Gesellschaft leben. Was macht das mit Kindern? Viele Jugendliche stehen unter enormen Druck, haben viele Ängste und denken, sie müssten im Workshop wie ein Profi performen. Deshalb ist mir wichtig zu starten mit: „Du bist gut so, wie du bist!“ Praktisches Ausprobieren finde ich zentral, aber auch, den Jugendlichen Sicherheit geben und die Möglichkeit, sich kreativ auszuleben. Ich mochte deshalb auch die inklusiven Graffiti-Methoden sehr.15 Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man an Graffiti rangehen kann, man kann alle mitnehmen und das für alle zugänglich machen. Es geht auch immer um den Gruppenprozess. Mit den einmaligen Workshops setzen wir eher Impulse, da versuche ich vor allem, neue
15 Gemeint sind die beim Verein cultures interactive e.V. im Projekt IN_cultures entstandenen Methoden für die inklusive Jugendkulturbildung (vgl. cultures interactive e.V. 2019).
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Räume und Möglichkeiten zu eröffnen. Ich möchte, dass die Jugendlichen die Erfahrung aus dem Workshop mitnehmen können. Könnt ihr von ein paar Highlights und Lowlights aus den Workshops erzählen? Julia Mumme: Wir waren mit cultures interactive e.V. vor ein paar Jahren für einen Workshop über Weihnachten in Thüringen und haben mit einer Gruppe unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter gearbeitet. Die waren furchtbar untergebracht, im Gästehaus des Schießvereins, die ganze Zeit hat man Schüsse gehört. Es gab nicht mal Sprachmittlung. Wir hatten als Workshops alle Elemente von HipHop: Breakdance, Graffiti, Rap, DJing. Die Jugendlichen haben alles ausprobiert und sind immer durch die Workshops gewechselt. Irgendwann haben sie dann beschlossen, dass sie jetzt eine HipHop-Crew sind und haben angefangen, ihren Farsi-Crew-Namen mit Kreide-Edding überall hinzuschreiben. Für die Jugendlichen war dieser Workshop unglaublich wichtig. Als wir gefahren sind, haben viele von ihnen geweint, das war ein sehr trauriger Abschied. Ich erinnere mich auch an einen Workshop mit schuldistanzierten Mädchen. Es waren letztendlich nur vier Mädchen da, da bei einigen die Verweigerungshaltung schon sehr durchgesetzt war. Aber die, die gekommen und dabeigeblieben sind, waren voll dabei und – ähnlich wie in Thüringen – irgendwann eine richtige Crew, es gab ein starkes Gruppengefühl. Das war sehr schön. Pekor: Wir waren einmal im ländlichen Raum Ostdeutschland in einem selbstorganisierten Jugendklub. Da kommt ab und zu ein*e Sozialarbeiter*in vorbei und guckt, ob es läuft. Erst haben wir vor dem Jugendklub ewig auf die Jugendlichen gewartet. Schließlich kamen zwei Jungs, in Schürzen, blutverschmiert. Sie mussten vorher noch auf dem Hof beim Schlachten helfen, deshalb konnten sie nicht früher kommen. Das war für mich als Stadtmensch erstmal sehr befremdlich. Etwas später kam noch ein sehr ruhiges Mädchen dazu, das auch kaum etwas machen wollte. Und dann kam ihr Freund: sie war 15, er Mitte 20 und er hatte einen krassen Besitzanspruch auf sie. Wir haben versucht, ihn loszuwerden, aber er wollte einfach nicht gehen. Die Sozialarbeiter*innen wussten schon von der Geschichte und hatten das im Blick, aber ich war trotzdem sehr geschockt und fand das eine unglaubliche Gefährdung für das Mädchen. Ich war total überfordert: Von dieser Beziehung, aber auch generell von dieser ganz anderen Lebensrealität. Gerade damit musste ich im Laufe der Zeit erst umgehen lernen: In den unterschiedlichsten Settings arbeiten, Vorannahmen überdenken. Es gab auch einmal eine Schlägerei in einem Workshop. Häufig sind auch rassistische Aussagen oder so Sätze wie „Mein Lehrer wählt die NPD“. Und daneben auch viel Schönes: Wenn man zum Beispiel einem Jugendlichen eine Dose gibt und der richtig im Sprayen versinkt. Oder, in Rap-Workshops, wenn jemand sich traut und dann den Auftritt seines Lebens vor der Klasse hat. Das ist richtig toll.
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Sowas sind eigentlich die schönsten Momente, wenn du merkst: Du gibst den Kids wirklich etwas. Stephan Wilke: Es gibt immer wieder Workshops, in denen nichts funktioniert. Meistens liegt es daran, dass die Teilnehmenden einfach keine Lust auf Graffiti hatten oder nur in den Workshop gesteckt wurden, weil irgendwer dachte, das könnte passen. Dann sind die Jugendlichen natürlich sehr unmotiviert, sie machen widerwillig mit und die Ergebnisse sind auch deprimierend. Tolle Momente sind gerade die, in denen Jugendliche sich selbst überraschen. Wenn sie zum Beispiel am Anfang denken, sie könnten das nicht, aber über sich selbst hinauswachsen. Es ist ja tatsächlich schwer – das erste Mal eine Dose in der Hand, das erste Mal Umgang mit dem Cutter-Messer beim Stencil, Buchstabenaufbau lernen. Wenn sie sich da durchackern und am Ende des Tages etwas in der Hand haben und voller Stolz sagen: „Krass, das hab‘ ich gemacht und es sieht auch noch gut aus!“ und andere loben sie dafür – das sind für mich die Highlights. Gerade dieser Prozess, dranzubleiben, auch wenn es schwierig wird und dann am Ende zufrieden zu sein – das macht es spannend. Wichtig sind auch die Momente, in denen man es mit Jugendlichen zu tun hat, die sehr laut sind und vielleicht auch schon das Label „verhaltensauffällig“ haben, die sich dann aber doch öffnen können und erklären, warum sie sich so verhalten. Dann versteht man, dass Jugendliche nicht aus Bosheit laut und aggressiv sind, sondern einfach auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen wollen. Manchmal kann Graffiti dafür ein Ventil sein, manchmal ist es aber auch etwas anderes. Pekor: Manchmal ist das Angebot einfach auch schlecht konzipiert – wenn der Graffiti-Workshop zum Beispiel im Mittagsband16 liegt, die Jugendlichen vielleicht sogar danach nochmal Unterricht haben. Die möchten dann eigentlich nur ihre Ruhe und Mittagessen, die Konzentration ist auch weg. In so einem Setting können Jugendliche mit dem Graffiti-Angebot gar nichts anfangen. Stephan Wilke: Die Arbeit mit Schuldistanzierten fand ich auch ganz interessant – und sehr intensiv. Ebenso ging es mir in Workshops mit Jugendlichen mit sogenannten „Lernbehinderungen“. Ich fand es spannend, das Angebot an sie und ihre Bedürfnisse anzupassen. Da steht die Methodik im Vordergrund, nicht das Ergebnis. Pekor: Was mir ganz grundsätzlich ein Dorn im Auge ist, ist die Diskrepanz zwischen den Erwartungen von Erwachsenen und denen der Jugendlichen. Oft wollen
16 Mittagsband bezeichnet das Freizeitprogramm der integrierten Sekundarstufe. Für die Schüler*innen besteht Anwesenheitspflicht.
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die Erwachsenen präsentable Ergebnisse und treten als Judges auf, also bewerten diese Ergebnisse. Gleichzeitig weiß man ganz genau: Die Jugendlichen wollen einen offenen Raum, und das heißt auch: ergebnisoffen. Um im Graffiti Skills zu erwerben, braucht es Jahre. Mit den Jugendlichen ein Bild zu malen, das präsentabel ist, aber gar nicht ihre aktuellen Fähigkeiten widerspiegelt, das finde ich pädagogisch nicht sinnvoll. Julia Mumme: Das macht den Jugendlichen auch keinen Spaß. Ich finde, man sollte in der pädagogischen Arbeit Graffiti als ein Medium betrachten, eine Methode, die etwas bewirken oder Gesprächsanlässe bieten kann. Aber wenn ich merke, dass die Jugendlichen gar keine Lust darauf haben, dann mache ich eben etwas anderes. Manchmal kommen Jugendliche auch in den Workshop und wollen einen ganz anderen Input. Stephan Wilke: Oft gibt es bei Schulprojekttagen auch die Situation, dass Jugendliche deutlich machen, dass sie sich das erste Mal von Erwachsenen ernst genommen fühlen. Das finde ich immer sehr erstaunlich. Sie erklären, dass sie mit ihren Lehrer*innen und Eltern nicht reden können und dass sie es gut finden, endlich mal erzählen zu können. Oft ist ihnen auch neu, dass ihre Probleme ernst genommen werden. Julia Mumme: Die Jugendlichen sind gerade auf Schulprojekttagen auch jedes Mal geflasht von den Teamer*innen, vielleicht von dem eher jugendlichen Style und damit von Anfang an neugierig: Was kommt jetzt? Ein Vorteil von der Arbeit mit Graffiti, mit dem Jugendkulturansatz insgesamt ist der, dass den Jugendlichen Erwachsene präsentiert werden, in denen sie sich selbst eher wieder entdecken. Was würdet ihr sagen, was kann insbesondere in der politischen Bildung durch Graffiti vermittelt werden? Was ist politisch an Graffiti? Stephan Wilke: Das ist eine Frage, die ich für mich nicht abschließend geklärt habe, zu der es auch verschiedene Positionen gibt. Für mich ist Graffiti erstmal unpolitisch, ich kann da ‚mein Ding machen‘, ich male meine Styles, so wie ich will. Vielleicht ist das Politische, bei illegalen Bildern vor allem, aber die Ortswahl: Wo male ich ein Bild hin? Das ist auch eine Selbstermächtigung, selbst zu entscheiden, wohin man malt. Ich habe nie Parolen gesprüht oder Werbung für Parteien gemacht, ich transportiere keine Meinungen. Aber dadurch, dass man es heimlich macht, umgeht man natürlich auch Strukturen in der Gesellschaft. Ich würde sagen: Die Methode ist politisch. Die Szene ist auch politisch, weil sie international ist: Da geht es nicht darum, wer man persönlich ist, woher man kommt, was man für Kleidung trägt, sondern nur darum, dass man gut malen kann, krasser malen kann als Andere – oder einfach an krasseren Stellen. Viele Ausschlussmechanismen der
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Gesellschaft werden in der Szene ausgehebelt. Das kann man sich zunutze machen, um Diversität in der Gruppenarbeit sichtbar zu machen und auch anzuerkennen. Julia Mumme: Pädagogisch oder in der Szene? Stephan Wilke: In der Pädagogik. Man kann es natürlich auch in der Szene machen, aber da ist man ja vor allem mit der eigenen Crew und vielleicht noch vier, fünf anderen verbunden und nicht mit allen. Es gibt auch Leute in der Szene, mit denen man lieber nicht reden will. Mit denen arbeitet man eher nicht politisch. Pekor: Ich finde, viel ist politisch im Workshop, ohne dass es konkret politische Bildung ist. Wir haben eine Gruppe von Jugendlichen mit ganz unterschiedlichen Ansichten und begleiten den Gruppenprozess, mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen. In diesem Prozess passiert schon ganz viel. Stephan Wilke: Es geht um Sensibilisierung. Den Status Quo nicht hinzunehmen, sondern zu hinterfragen. Positives zu erkennen an Stellen, an denen es die Jugendlichen vielleicht gar nicht vermutet hätten. Aber auch, dass die Jugendlichen herausfinden, was sie eigentlich alles können. Julia Mumme: Ich habe das ja vorhin schon gesagt, dass Graffiti für mich politisch ist, ich bin über politisches Graffiti eingestiegen. Es geht bei Graffiti meiner Meinung nach auch um zivilen Ungehorsam, unter anderem natürlich entlang der Frage illegales oder legales Graffiti. Es geht aber auch um die Auseinandersetzung mit Eigentumsverhältnissen. Ich habe mit Jugendlichen oft thematisiert, dass Graffiti eine Möglichkeit ist, sich in den Diskurs einzubringen, Raum zu nehmen und die Stadt mitzugestalten. Das ist ja auch der Ursprung von Graffiti. Jugendliche haben in der Regel wenig Gestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherecht, sie können zum Beispiel nicht wählen gehen. Auf der Grundlage des Prinzips, dass wir in der Pädagogik eine menschenrechtsorientierte Haltung haben, sind solche Gespräche auch politisch. Politische Bildung bedeutet mehr als Parteipolitik oder die Erklärung des Bundestags. Es geht vor allem um Werte und Haltungen. Die Workshops sind eine Mischung aus Pädagogik, politischer Bildung und sozialem Lernen und das alles anhand von Graffiti. Das funktioniert sogar in den Ein-Tages-Workshops, wo es erstmal nur darum geht, Impulse zu setzen. Pekor: Viele Menschen beklagen sich über Politik, Politiker, die Zustände, sie wollen aber gar nicht aktiv gestaltend eingreifen. Sie halten aus und meckern am Stammtisch. Sie gehen nicht gern raus – nicht aus sich raus oder aus ihrer Komfortzone. Graffiti ist der Gegenentwurf. Das verstehen viele auch nicht: Warum man raus geht, ein Bild malt und nicht mal Geld dafür kriegt. Das halten viele für Zeitverschwendung. Graffiti ist für mich die Rückkehr zu mir selbst. Graffiti kann
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auch heißen, dass sich Menschen das erste Mal in der Welt verorten und positionieren. Eben zum Beispiel auch zum Thema „Eigentumsverhältnisse“. Graffiti ist auch Rebellion. Viele Jugendliche im Workshop sind aber gar nicht rebellisch. Julia Mumme: Ja, tatsächlich fragen viele Jugendliche in Workshops oft so etwas: Darf ich jetzt den Strich hier hinmalen? Darf ich diese Farbe benutzen? Wenn dann die Teamer*innen sagen: „Mach einfach. Mach, wie du dir das vorstellst.“ sorgt das für Irritation. Aber eine wichtige Irritation. Stephan Wilke: Der rebellische Moment von Graffiti ist vielen Jugendlichen nicht klar, sie kennen das vielleicht eher aus YouTube-Videos und sind erst einmal fasziniert. Das gehört auch zu einem Graffiti-Workshop, die Geschichte von Graffiti zu erzählen und die Idee dahinter zu erklären. Auch nochmal zum Thema „Eigentumsverhältnisse“: Graffiti zielt ja nicht auf persönliches Eigentum. Es geht um den öffentlichen Raum und die Frage, wem dieser Raum eigentlich gehört. Und wer bestimmt, wie der auszusehen hat. Was würdet ihr sagen, wie inklusiv ist Graffiti – einmal als Szene, vor allem aber als Format der politischen Bildung? Pekor: Ich habe schon in Inklusions-Workshops mit Graffiti gearbeitet. Das hat ganz gut funktioniert. Da waren sehr verschiedene Jugendliche, die selbstständig gekommen sind und für die der Graffiti-Workshop vor allem auch der Türöffner war, um das erste Mal in ihrem Leben in einen Jugendklub zu kommen. Es gibt auch Menschen in der Szene, die von Ableism betroffen sind. Ich glaube, die Szene ist da gespalten. Es gibt Leute, die alles ablehnen, was nicht in ihre Gender-, Körper- oder Sexualitätsvorstellungen passt. Andererseits könnte man sagen, dass die Graffiti-Szene sozusagen umgedreht inklusiv ist: In dem Sinne, dass der aufgeklärte und respektvolle Teil der Szene positiv einwirken kann auf zum Beispiel homophobe Menschen in der Szene. Die Bandbreite in der Szene ist auf jeden Fall riesig, sowohl was Ansichten angeht als auch in Bezug auf den Hintergrund. Es gibt Leute mit Doktor-Titel in der Szene und Leute, die als Maler*innen arbeiten. Das kann man auch nutzen, um voneinander zu lernen. Stephan Wilke: Ja, aber man muss trotzdem ganz klar sagen, dass die Szene in Deutschland eine von weißen cis Männern dominierte Szene ist. Die teilen sich auf in „Intellektuelle“ und „Umklopper“ und alles mögliche dazwischen, aber bestimmte Teile der Szene reagieren ja schon auf weibliche Sprayer*innen abwehrend. Ich habe da teilweise den Eindruck, die verhalten sich dann im Szene-Kontext auch viel abwertender und aggressiver gegenüber Frauen, als sie sich das in ihrem Alltag, im Job zum Beispiel, jemals trauen würden.
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Julia Mumme: Ich weiß schonmal gar nicht, ob ich zur Szene dazu gehöre. Und wenn ich mir die Frage schon so stelle, ist das ein Zeichen, dass die Szene nicht wirklich inklusiv ist. Es kann nicht jede*r mitmachen, der*die Lust hat. Da geht es auch um Fragen wie: Welche Pieces darf man eigentlich übermalen? Was sind die richtigen Begriffe? Welche Codes muss man kennen? Man kann also nicht sagen, dass es eine sehr offene Szene ist und mir erscheint es auch so, als müsste man schon viel wissen und können, bevor man sich ihr überhaupt nähern darf. Ich bin immer noch sehr aufgeregt, wenn ich malen gehe. Weil ich nicht weiß, wen ich da treffe und wie die Typen reagieren. Pekor: Es kann aber auch ganz anders laufen. Zum Beispiel, dass man irgendwo vorbeikommt und zum Malen eingeladen wird, weil gerade noch ein Stück Wand frei ist. Aber ja, es geht schon sehr elitär in der Szene zu. Um noch einmal auf die Methoden zurückzukommen: Es gibt schon sehr gute, inklusive Graffiti-Methoden, zum Beispiel das Streetart-Memory oder den Graffiti-Kiez-Spaziergang. Julia Mumme: Der Typ, von dem ich vorhin erzählt habe, der mein Blackbook sehen wollte – der war dann sehr beeindruckt, dass ich dich kenne, Pekor. Das hat mich auch wieder genervt. Stephan Wilke: Ja, das ist schon ein sehr albernes Verhalten. Aber so ist die Szene. Das ist dann vielleicht auch die Kehrseite des Empowerments durch Graffiti: Alles wichtiger zu nehmen, als es tatsächlich ist. Auf der anderen Seite mag ich es auch nicht, wenn Leute mitmachen wollen und die Codes und Regeln gar nicht ernst nehmen, auch nicht kennenlernen wollen und einfach irgendwelche Bilder crossen17. Die Subkultur hat nun einmal bestimmte Regeln. Pekor: Das ist auch ein komisches Spiel: Graffiti hat bestimmte Flächen reclaimed. Dann übermalen einige Bilder, was ja auch nichts anderes ist als reclaimen. Und eigentlich spielen alle im selben Team, nur gibt es innerhalb des Teams keinen Respekt. Stephan Wilke: Genau, es hat etwas mit Respekt zu tun. Auch mit Positionen und Gegenpositionen. Das kann Bonbon-Farben gegen Chrome-Graffiti sein, das kann dann aber auch Crew gegen Crew sein. Zum Beispiel SBM (“Sprühen bleibt Männersache“) gegen die Frauen-Crew PMS.
17 Crossen bezeichnet das Übermalen von Graffiti-Bildern und wird in der Szene als ultimative Beleidigung und Ausdruck von mangelndem Respekt verstanden.
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Julia Mumme: Aber auch das lässt sich ja wieder in den Workshops aufgreifen: Warum gibt es welche Regeln? Sind alle Regeln zum Brechen da? Was bedeutet Respekt? Wer kriegt überhaupt Respekt? Stephan Wilke: Manchmal wollen die Kids im Workshop auch gar nicht malen, sondern reden. Julia Mumme: Aber das ist doch gut. Wenn das ihr Safer Space ist, wo sie reden können. Oft funktioniert es auch sehr gut, beim Malen miteinander ins Gespräch zu kommen.
Literatur cultures interactive e.V. (2017): Best-Practice-Methoden für die inklusive Jugendkulturarbeit. Cultures-interactive.de/files/publikationen/Flyer%20Broschueren%20Dokumentationen/2017_Best-practice-Methoden%20fuer%20die%20inklusive%20Jugendkulturarbeit.pdf (Abfrage: 10.10.22). Grothe, Solveig (2013): Wer zur Hölle ist Killroy? www.spiegel.de/geschichte/legendaerer-weltkriegsslogan-kilroy-was-here-a-951307.html (Abfrage: 21.12.2022).
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Back in the Days – Beatboxing und HipHop, Jugendclubs und Politik Pekor
Back in the Days Für die Frage, wie ich einen gelungenen Beatbox-Workshop – oder überhaupt einen Workshop – gestalte, ist es wichtig zu verstehen, wie meine eigene HipHopSozialisation startete. Und wo sie startete. Es fing alles im Jugendclub all eins im Mellowpark in Köpenick an. Dort war ich als Jugendlicher regelmäßig. Dort habe ich begonnen, mich mit Graffiti, Rap und Beatboxen zu beschäftigen. Ich kannte Beatbox-Elemente aus Filmen und wollte das gern ausprobieren. Also nahmen ein Cousin und ich mit dem Diktiergerät meines Onkels verschiedene Sounds auf. Scratch1-Sounds produzierten wir, indem wir mit dem Fingernagel auf der Hülle des Diktiergeräts kratzten. Im all eins wurden auch Beatbox-Workshops angeboten, an denen wir teilnahmen. Diese wurden von DJ Mesia und Maxim2 veranstaltet. Sie waren beide aus West-Berlin, wir fanden es sehr beeindruckend, dass sie zu uns in den Osten der Stadt kamen. Das war ungewöhnlich. Sehr bald waren wir dort zehn, fünfzehn Jugendliche, die sich regelmäßig zum Beatboxen trafen. Für uns war damals schon Beatbox ganz klar das fünfte Element von HipHop. Mesia und Maxim haben zu der Zeit dann OSM (Oralic Sound Machine) gegründet.
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Scratching ist die Technik für den Sound, den die Nadel des Plattenspielers produziert, wenn man die Schallplatte hin- und her bewegt: Man ‚kratzt‘ die Platte in einem bestimmten Rhythmus und erzeugt perkussive bzw. rhythmische Geräusche, die zum Sound des Beats beitragen. Bereits zu Beginn der HipHop-Kultur entstand mit Scratching eine eigene Rhythmus-Technik, die im Beatboxing als Scratch-Geräusch übernommen wurde und in viele andere Musikrichtungen übertragen wurde. Schon lange ist HipHop-DJing ohne Scratching kaum mehr vorstellbar. Attila Murat Aydın (Maxim) wurde 1970 in Heidelberg geboren, wuchs aber in Berlin-Lichterfelde auf. Er verließ die Schule mit 17 Jahren ohne Abschluss, da er sich, nachdem er mit 13 Jahren mit der HipHop-Kultur in Kontakt kam, vorwiegend darauf konzentrierte. Maxim war (Mit-)Begründer verschiedener Writer-, DJ-, Breakdance-, Rap- und Beatbox-Crews, darunter auch die 36Boys, die Anfang der 1990er wesentlich daran beteiligt waren, Neo-Nazi-Angriffe auf Kreuzberger Jugendliche abzuwehren sowie die Band Islamic Force. Maxim galt in der Berliner Szene als jemand, der viel zur Organisation und zum Gemeinschaftsgefühl der Szene beitrug (Vgl. Aussage MC Bogy in Wehn/Bortot 2019 sowie Kögel 2003).
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Maxim ist schließlich nach Köpenick umgezogen. Und dann ist etwas passiert, was uns alle sehr erschüttert und vor allem mich in meiner politischen Sozialisation sehr geprägt hat: Maxim wurde genau dort, in Köpenick, 2003 getötet. Das geschah ausgerechnet an dem Tag, an dem er Geburtstag hatte, die erste oder zweite Mellow Park Jam stand kurz vor der Tür. Wir hatten uns alle darauf gefreut, die Show von Mesia und Maxim zu sehen. Maxims Frau wurde beim Einkaufen von einem älteren Mann des Stehlens bezichtigt. Darüber geriet Maxim mit diesem in Streit. Der Streit eskalierte, der Mann zog ein Messer. Über die Frage, ob er Maxim erstochen hat oder der in sein Messer lief; ob es Notwehr war oder er Maxim attackiert hat, ob es gar politische Motive gab, wurde in der Verhandlung lange debattiert. Die meisten in der Berliner Szene haben es aber als Totschlag gesehen. Für uns, den jungen Beatbox-Nachwuchs, war das ein schwerer Schlag: Unser Lehrer und Mentor war tot. Wir beschlossen trotzdem, OSM weiterzuführen. Bald war Beatbox auch auf Graffiti-Jams präsent, die Internetseite „Beatbox Battle“ wurde aufgebaut und die Szene wurde innerhalb weniger Jahre immer größer. Beatboxer*innen wurden schließlich sogar zu Stefan Raab3 und auf die EXPO (Weltausstellung) eingeladen.
Die Bedeutung von guter Jugendarbeit Das, was das all eins für uns bedeutete, nämlich verschiedene Angebote und Menschen zu vereinigen, die für mich wichtig waren: Genau das kann ein Jugendclub auch heute noch für Jugendliche sein. Ich selbst bin mit Beatboxen durch den Jugendclub und die dortigen Workshops in Kontakt gekommen und habe miterlebt, wie junge Menschen sich selbst Strukturen aufbauten. Der Jugendclub war nicht nur der Ort, an dem all die interessanten Workshops stattfanden. Die Jugendclubs in Köpenick – das all eins, das Café, das Horn waren auch untereinander vernetzt und konnten dieses Netzwerk für politische Aktionen aktivieren, wenn zum Beispiel NPD-Demonstrationen in Köpenick angekündigt wurden. Ich habe das all eins als Ort empfunden, der vollständig zu mir gepasst hat, über den ich mit verschiedensten Leuten in Kontakt kam. Ich denke, genau das macht Jugendarbeit bis heute aus.
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Stefan Raab ist ein deutscher Fernseh-Showmaster, der u. a. durch die Shows „TV Total” und „Schlag den Raab” bekannt wurde.
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Beatbox-Workshops Politische Bildung oder soziales Lernen anhand von Beatbox zu gestalten, wirkt erst einmal nicht so naheliegend wie in Graffiti- oder Rap-Workshops. In RapWorkshops können Jugendliche Texte schreiben oder aufnehmen, in denen sie ihre Erfahrungen verarbeiten. In Graffiti-Workshops gibt es die Möglichkeit, Aussagen künstlerisch zu gestalten oder Gefühle in einem Bild auszudrücken. Beatbox ist erst einmal ‚nur‘ Rhythmus. Damit gibt Beatbox Jugendlichen aber eine Möglichkeit, sich auszudrücken, auch wenn sie nicht gern texten oder malen. Beatboxen funktioniert gut als Gruppe, die Jugendlichen stehen nicht, wie in Rap- oder Graffiti-Workshops, vor der Herausforderung, in den Vordergrund treten zu müssen. Sie können einfach in der Gruppe ‚mitschwingen‘ und lustige Geräusche machen. Auch wenn die Jugendlichen mit Beatbox auftreten, geschieht das als Gruppe. Das gibt unsicheren Jugendlichen die Möglichkeit, sich auszuprobieren und zu präsentieren, ohne dabei allein im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen. Niedrigschwelliges Empowerment ist das große Potenzial von Beatbox-Workshops. In Bezug auf die politische Bildung lässt sich bei der Geschichte von Beatboxing oder auch der Geschichte des Rhythmus ansetzen. Beatboxing bedient sich internationaler Instrumente oder imitiert diese. Aus meiner Sicht ist die Geschichte von Beatboxing älter als die Geschichte des HipHops. Die Geschichte des Rhythmus ist Teil der Menschheitsgeschichte. Beatbox-Elemente haben ihren Ursprung in vielen verschiedenen Kulturen. Vocal Percussions gibt es auf jedem Kontinent, die werden und wurden auch dann für den Rhythmus eingesetzt, wenn Musik ohne Trommeln gemacht wird. In einigen Sprachen unterstützen Vocal Percussions sogar den Sprachausdruck. Ein Beatbox-Workshop kann also Anlass sein, mit Jugendlichen zu recherchieren, wann und wo in der Geschichte zum Beispiel die ersten Trommeln auftauchen, aber auch, um über die Gemeinsamkeiten verschiedener Kulturen zu sprechen. Beatbox-Workshops bieten durch ihre Niedrigschwelligkeit auch einen sehr inklusiven Ansatz. Beatbox funktioniert auch in Gruppen, die sich gar nicht kennen und in denen es nicht einmal eine gemeinsame Sprache gibt. Jede*r macht ein Geräusch, das die Gruppe wiederholt. Dann werden alle einzelnen Geräusche der Reihe nach von der Gruppe wiederholt. Die Aufgabe ist auch ohne Sprache verständlich und die Jugendlichen machen dennoch eine gemeinsame Erfahrung. Beatbox ist in diesem Setting die gemeinsame Sprache, über die die Kommunikation startet. Auch die Geschichte des Beatboxing im Kontext von HipHop ist für die Workshopgestaltung interessant: Die Jugendlichen in der Bronx in den 1970er Jahren hatten kein Geld für technische Ausstattung. Beatboxing und Body Percussions waren die rhythmische Untermalung der Rap-Songs. Sie mussten sich etwas einfallen
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lassen, um das fehlende Material zu ersetzen. Dadurch stieg die Bedeutung von Beatbox. Der Vorteil war: Sie hatten ihre ‚Instrumente‘ immer dabei. Aus meiner Sicht ist der Anspruch der HipHop-Kultur mit wenigen Mitteln Großartiges zu schaffen. Wichtig ist vor allem die eigene Kreativität. Das sollte durchaus in der Konzeption von Workshops und Angeboten im Jugendclub mitbedacht werden. Ich finde, die besten Projekte und Workshops kommen mit wenig Technik aus. Alles, was ein Jugendclub stellt, oder was Teamer*innen zu Workshops mitbringen, steht den Jugendlichen zuhause nicht zur Verfügung. Natürlich macht teure Technik auf die Jugendlichen Eindruck und sie freuen sich, diese ausprobieren zu können. Allerdings ist dieser Ansatz aus meiner Sicht nicht wirklich nachhaltig. Es sollte Anliegen des Workshops sein, die Jugendlichen zu befähigen, auch nach dem Ende des Workshops weiterarbeiten zu können, wenn sie das möchten. Um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Auch die eigenen Erfahrungen, in meinem Fall die HipHop-Sozialisation im all eins und die Geschichte, wie Maxim getötet wurde, können Ansatzpunkte für die politische Bildung im (Beatbox-)Workshop sein.
Fazit Zusammengefasst lässt sich also sagen, soziales Lernen knüpft im Beatbox an die Idee von Rhythmus an: der Rhythmus der Einzelnen und der Rhythmus in der Gruppe. Jugendliche können zudem unmittelbar und ohne Sprache in den Austausch miteinander treten. Politische Bildung kann an die Werte der HipHop-Kultur, die lange Tradition der Vocal Percussions, aber auch die Geschichte von Rap und Beatboxing in Deutschland anknüpfen. Daneben bieten Beatbox-Workshops sehr niedrigschwellige EmpowermentErfahrungen: Die Jugendlichen können sich Fähigkeiten aneignen, für deren Vertiefung sie im Anschluss keine kostspielige Technik benötigen. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, politische Bildung und Beatbox zu kombinieren: Die eine Möglichkeit ist, mit dem Thema „Beatboxing“ zu starten und über die Geschichte und Kultur der Szene, oder auch über die alte Tradition der Vocal Percussions auf verschiedene Kulturen, Geschichte, soziale Probleme zu sprechen zu kommen. Das war mein Ansatz, als ich begonnen habe, Workshops zu geben. Ich startete mit Rhythmus-Übungen, stellte Beats vor und übte mit der Gruppe, um anschließend über die Geschichte des Beatboxing zu sprechen. Doch der Fokus der Workshops liegt dabei sehr auf der Vermittlung von Tricks. Es kann jedoch genauso sinnvoll sein, erst einmal mit der Gruppe in den Austausch zu kommen. Oft haben Jugendliche Anliegen oder wollen politische Diskussionen führen. Nicht selten sprechen sie im Zuge dessen über Themen, die sie selbst viel-
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leicht gar nicht als politisch begreifen. Wenn dann Themen und Anliegen formuliert wurden, frage ich die Jugendlichen, wie sie diese musikalisch verarbeiten und darstellen wollen. In diesem Prozess lernen sie dann natürlich auch verschiedene Tricks, aber das erscheint mir mittlerweile gehaltvoller. Die Themen, die die Jugendlichen bewegen, fließen in den Prozess mit ein. Optimal ist es außerdem, wenn es gelingt, im Workshop oder Workshop übergreifend, Rap, Beatbox, DJing und vielleicht sogar Graffiti zu verknüpfen.
Literatur Kögel, Anette (2003): Berlin: Geb. 1970 – Attila Murat Aydin. In: Tagesspiegel Berlin. www.tagesspiegel.de/berlin/geb-1970-1036642.html (Abfrage: 21.12.2022). Wehn, Jan/Bortot, Davide (2020): Könnt ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap. 1. Auflage. Berlin: Ullstein.
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Empowerment-Arbeit und HipHopHistory Lessons Drob Dynamic
Jugendclubs und Battle Rap Ich bin selbst über einen Jugendclub in Kontakt mit HipHop gekommen: Die Naunynritze. Die Naunyritze gilt als einer der Geburtsorte des Berliner HipHop. Hier fanden schon in den 1980er Jahren die ersten HipHop-Parties statt. Die HipHop-Kombos dieser Jahre wurden häufig als „gefährliche Gangs“ wahrgenommen. Das beruht darauf, dass sich die Szene Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zunehmend gegen Neo-Nazi-Angriffe wehren musste, die ab 1989 vor allem von Ost-Berlin ausgingen (vgl. Farin/Seidel 2011). Sozialarbeiter*innen in der Naunynritze hat die Darstellung der sogenannten „Jugendgangs“ in den Medien schon immer geärgert. Die Naunyritze war ein wichtiger Ort für Jugendliche in Kreuzberg, aber auch für die entstehende Berliner HipHop-Szene (vgl. Utlu 2010). Die Naunynritze war das Zentrum der 36Boys. In der Naunynritze sind die verschiedensten Rapper*innen aufgetreten und hier haben auch einige Rap-Karrieren angefangen. Auch Kool Savas sagt, dass er ohne die Unterstützung der Naunynritze nicht da wäre, wo er heute ist (vgl. Buschenhagen 2022). Ich selbst war mit acht Jahren das erste Mal in der Naunynritze und in den folgenden Jahren wurde ich zum regelmäßigen Besucher. Als ich elf Jahre alt war, begann ich dort an den Rap-Workshops teilzunehmen. Die Naunynritze war für meine Entwicklung als Rapper sehr wichtig und ich denke, diese Erfahrung haben auch andere Rapper*innen gemacht. Für die Workshops mache ich mir aber auch meine jahrelange Erfahrung mit Battle-Rap im Rahmen von Rap am Mittwoch zunutze. Battle-Rap ist für Außenstehende sicher verstörend, ich finde es allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um ein Rap-Format handelt und nicht um eine grundsätzliche Einstellung zum Leben und zu Menschen. Ich habe Menschen in der Battle-RapSzene überwiegend als friedlich und umgänglich erlebt. Alle wissen, worauf sie sich einlassen: Ziel ist es, die kreativsten und auch stärksten Beleidigungen zu finden. Die werden aber nach dem Ende des Battles nicht fortgesetzt. Das heißt, ich kann mit einem Kontrahenten nach all den verbalen Attacken ganz entspannt zusammensitzen und mich mit ihm austauschen. Meiner Erfahrung nach eskalieren Battles zwischen Leuten vor allem dann, wenn sich die zwei schon vorher über-
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haupt nicht leiden konnten oder eh schon in einen Streit verwickelt waren. Diesen Unterschied entdecke ich auch in Workshops mit Jugendlichen: Es kann vorkommen, dass sich Jugendliche in einer Art Wettstreit alle möglichen Beleidigungen an den Kopf werfen, daran aber Spaß haben. In diesem Wettstreit befinden sich die Jugendlichen auf Augenhöhe, das ist etwas ganz anderes als Beleidigungen, die tatsächlich auf die Demütigung einer Person abzielen. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, genau diesen Unterschied mit Jugendlichen zu thematisieren.
HipHopHistory Lessons Mit den HipHopHistory Lessons möchte ich Jugendlichen die Geschichte von HipHop nahebringen und auch deutlich machen, was die Unterschiede zwischen Rap und HipHop sind. In der Regel sehen die Jugendlichen mich erst einmal nur als Rapper und erwarten, dass ich ihnen texten und rappen beibringe. Für mich gehören die Geschichte und die Werte der HipHop-Kultur aber unbedingt auch zu einem Workshop und genau da setzt aus meiner Sicht die politische Bildung an. HipHop ist als Reaktion auf Rassismus und Armut in der Bronx entstanden. Die ersten Rapper*innen waren nicht nur insofern von Rassismus betroffen, dass sie von ‚weißen Parties‘ ausgeschlossen waren, sondern auch durch den städtepolitischen Umgang mit Vierteln wie der South Bronx in den 1960er und 1970er Jahren. Sie wurden mehr oder weniger dem Verfall und sogenannten „Slumlords“ überlassen (vgl. Chang 2005). Insofern bietet sich die Geschichte auch an, um anschließend tiefer in Themen wie Rassismus und soziale Ungleichheit einzusteigen und am Beispiel der South Bronx Begriffe wie strukturellen Rassismus zu erklären. Wichtig ist mir aber auch, die Werte der HipHop-Kultur zu vermitteln. ‚Love, Peace and Unity‘ verweist aus meiner Sicht auf eine international vernetzte, aber auch um Verständigung bemühte Kultur. Das Prinzip des ‚Each One Teach One‘ geht auf die Zeiten der Sklaverei in den USA zurück, als Afroamerikaner*innen die Möglichkeit von Bildung, inklusive des Lesens, verwehrt wurde. Wenn eine Person also zum Beispiel doch Lesen lernte, machte sie es sich zur Aufgabe und Pflicht, es anderen beizubringen. In den frühen Tagen der HipHop-Kultur lebte dieses Prinzip wieder auf: Wenn zum Beispiel jemand rappen, breaken oder beatboxen konnte, brachte er*sie es anderen selbstverständlich bei. So wuchs HipHop als Kultur immer weiter. Es gab damals auch seltener die Bezugnahme auf Songs als ‚Eigentum‘ einer Person. Ein Song, den eine Person geschrieben hatte, wurde von vielen anderen gerappt. Jugendliche, die heute Rap hören, wissen das nicht und können sich das kaum vorstellen. Mir ist es wichtig, diese Geschichte zu erzählen. ‚Each One Teach One‘ eröffnet den Jugendlichen im Workshop aber auch die Möglichkeit, ihr eigenes Können zu präsentieren und den Workshop mitzugestalten.
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Meine Erfahrung mit den HipHopHistory Lessons in Workshops ist, dass die Jugendlichen diesen Wissenserwerb als Bereicherung empfinden. Wichtig ist es bei der Vermittlung die Aufmerksamkeitsspanne der Jugendlichen im Blick zu haben und auch verschiedene Medien – Texte, Songs, Videos – einzubauen. Ich versuche, die wichtigsten Punkte zu vermitteln, aber die HipHopHistory Lessons nicht zu langatmig werden zu lassen. Ich möchte den Jugendlichen eine andere Sichtweise auf HipHop nahebringen. Idealerweise hören sie im Anschluss Rap auch bewusster, setzen sich kritischer mit Texten auseinander und auch mit Entwicklungen in der Szene.
Empowerment Teil der HipHopHistory Lessons ist das Empowerment der Jugendlichen. Auch da kann man an der Geschichte von HipHop ansetzen. Wie gerade beschrieben waren die jungen Menschen, die Hip Hop aufgebaut haben, mit Rassismus und Armut konfrontiert. Sie haben aber Wege gefunden, sich auszudrücken und sich etwas Eigenes aufzubauen. All die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren, haben sie nicht dazu gebracht aufzugeben, sondern ihre Kreativität einzusetzen. Ihre selbstorganisierten Parties waren cooler und interessanter als alles, was in den Clubs passierte, in die sie nicht reinkamen. Was sie erschaffen haben, ist mittlerweile die größte und beliebteste Subkultur und Musik der Welt. Das ist etwas, was ich Jugendlichen gern vermitteln möchte: dass ihre Erfahrungen mit verschiedenen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sie nicht davon abhalten müssen, ihre Träume zu verwirklichen und etwas zu erreichen. Natürlich haben es viele Jugendliche schwerer als andere, eben durch diese Erfahrungen. Das kann und sollte auch in einem Rap-Workshop thematisiert werden. Rap kann auch eine Möglichkeit sein, diese Erfahrungen auszudrücken und sich Gehör zu verschaffen. Aber die Diskriminierungserfahrungen sollten im Workshop nicht den Schwerpunkt bilden. Es kann im Gegenteil eher blockierend wirken, sich auf das Negative zu konzentrieren. Mein Ansatz ist es, den Jugendlichen mittels der Erfolgsgeschichte von HipHop und anhand ihrer Erfolge im Rap-Workshop ein Gefühl für ihre Stärken zu geben. Dafür ist ein empathischer Zugang wichtig: Es geht nicht darum, den Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass ihre Erfahrungen mit Diskriminierung nicht ernst genommen oder klein geredet werden. Dem muss man im Workshop Raum geben. Ich halte es aber auch wichtig, von dort aus weiter zu denken und einen Umgang mit der Situation zu finden. Das kann auch bedeuten, herauszufinden, was die Jugendlichen – einzeln und in der Gruppe – zum Beispiel gegen Rassismus tun können. Das kann ebenso bedeuten, sich bestimmter Stärken bewusst zu werden, die zum Beispiel ein Migrationshintergrund mit sich bringt: aus meiner Sicht Mehrsprachigkeit, aber auch häufig soziale Kompetenzen, die daraus erwachsen,
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dass man sich in verschiedenen Kontexten bewegt und in verschiedenen Kulturen unterwegs ist. Interkulturelle Kompetenz wäre auch noch zu nennen ebenso wie Kreativität. Ich versuche in jedem Workshop den Jugendlichen das Selbstvertrauen zu geben, ihre eigenen Ziele zu verfolgen, auch wenn andere ihnen die Zukunftsperspektiven absprechen. Oder, um es mit dem Rap-Text eines Mädchens in einem meiner letzten Workshops zu sagen: „Alle halten mich für dumm, aber nächstes Jahr siehst du mich auf dem Gymnasium.“
Literatur Buschenhagen, Lotte (2022): Empowern am Kotti in Berlin: „Wir helfen einander, darauf kommt es an“. www.tagesspiegel.de/berlin/empowern-am-kotti-wir-helfen-einander-darauf-kommt-es-an8955502.html (Abfrage: 23.12.2022). Chang, Jeff (2005): A History of the Hip-Hop Generation. 1. Auflage. New York: St. Martin’s Press. Farin, Klaus/Seidel, Eberhard (2011): Krieg in den Städten. Jugendgangs in Deutschland. 2. Auflage. Berlin: Archiv der Jugendkulturen. Utlu, Deniz (2010): Ins Herz – Versuch einer Jungs-Geschichte über HipHop und Revolte denizutlu.de/essays/ins-herz/ (Abfrage: 23.12.22).
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Rap-Workshop ABC: Austausch, Brückenbau, Connection LMNZ
1 Einleitung 1.1 Mein eigener Zugang zu Rap-Workshops
HipHop ist seit den 1970ern in knapp 50 Jahren von einer kleinen Subkultur zu einer den kompletten Globus umspannenden Kultur herangewachsen. Ich habe versucht, diese globale Kultur auf meinem Album „Worldwide Rap" (2011) widerzuspiegeln, in dem ich 76 Artists zusammenbrachte, die auf 29 Sprachen rappen und singen. Durch die Entstehung des Albums und meinen darauf aufbauenden Karriereweg habe ich einige Plätze dieser Welt sehen und viele Kontakte schließen dürfen. Seit 2014 habe ich über 1100 Rap-Workshops gegeben. Die Orte hätten unterschiedlicher nicht sein können: Kitas, Schulen, Kultur- und Jugendzentren, Ferienlager, Theater, Unterkünfte für Geflüchtete, Jugendstrafanstalten, Justizvollzugsanstalten, Mahn- und Gedenkstätten; sogenannte ‚Problembezirke‘ und als idyllisch wahrgenommene Vorstädte in Deutschland ebenso wie Slums und edle Villen in verschiedenen anderen Ländern der Welt. Die Kontraste waren immens. Die Teilnehmer*innen befanden sich an den unterschiedlichsten Stationen ihres Lebens und waren unter sehr verschiedenen Umständen aufgewachsen. Was sie verband, war ihre Begeisterung und ihr Interesse für Rap – aus ganz verschiedenen Gründen. Rap ist sowohl textlich als auch musikalisch so vielfältig wie die Menschheit selbst, obwohl das durch die Kommerzialisierung des Genres oft nicht so erscheint. Meist dominiert ein bestimmter Stil, bis er vom nächsten Trend abgelöst wird. Auch nach über 1100 Workshops ist mir noch nicht langweilig geworden, denn es sitzen jedes Mal neue interessante Individuen vor mir, es gibt spezielle Gruppendynamiken und ganz eigene Herausforderungen zu meistern. Es gilt jeweils eine Atmosphäre zu erschaffen, in der sich möglichst alle wohl genug fühlen, um im besten Fall wirklich persönliche und einzigartige Texte zu verfassen. Mein Schwerpunkt in der Arbeit liegt auf der Produktion dieser Texte und dem Weg dorthin.
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1.2 Werte, Geschichte und Vorteile des Arbeitens mit Rapmusik
Auf diesem Weg versuche ich vor allem die Werte Empathie, Offenheit, Respekt, Mut, Authentizität, Ehrlichkeit, Geduld, Disziplin, Kreativität, Intuition und natürlich Spaß an der Sache zu vermitteln. Aus meiner Sicht werden durch RapWorkshops auch das Selbstvertrauen und der Gruppenzusammenhalt gestärkt und die Selbstwirksamkeit gesteigert. Wie das geschieht, werde ich im Verlauf dieses Artikels noch genauer erläutern. Ein Vorteil an Rap, der auch in den Workshops zum Tragen kommt, ist seine Inklusivität und Niedrigschwelligkeit. Es müssen keine teuren Geräte oder Instrumente gekauft werden. Jede Person kann gratis auf ihre Stimme und Kreativität zurückgreifen und sich dadurch der Umwelt mitteilen. Ein tradiertes Ideal in der Rap-Szene ist, dass vor allem die Fähigkeiten zählen und die Herkunft dahinter zurücktritt. Historisch betrachtet, entstand Rap als Sprachrohr und Ausdrucksform unterdrückter und/oder ausgegrenzter Minderheiten als Reaktion auf Rassismus und Klassismus. Eben jene Minderheiten konnten und können mittels Rap auf ihre Lage, Gefühle und Gedanken aufmerksam machen. Gleichzeitig gilt Rap für Millionen von Menschen als Instrument zur Identitätsbildung und -findung. Oft finden Jugendliche in Rapper*innen mit derselben Herkunft oder ähnlichem Lebensweg Vorbilder, die ihnen sonst wenig präsentiert werden. Identitätsfiguren für rassifizierte und/oder von Klassismus betroffene Jugendliche sind eher in der HipHop-Szene zu finden als an Universitäten oder in Feuilleton-Artikeln. Über Rap als Spiel mit dem Wortschatz können Jugendliche auch für die Sprache an sich begeistert werden, was beispielsweise beim Lernen von Deutsch als Fremdsprache oder auch Deutsch als Schulfach enorm motivieren kann. Rap ist international. Meine Methoden funktionieren in jeder Sprache. Auch die Songs können multilingual entstehen. Um einen flüssigen Ablauf des Workshops zu garantieren, sollten grundsätzliche Sprachkenntnisse vorhanden sein in der Sprache, in der der Workshop gehalten wird. Während des Schreibens in eine andere Sprache zu wechseln, sollte bei Interesse aber unbedingt gefördert werden. Es geht letztendlich darum, die eigenen Gefühle möglichst treffend ausdrücken zu können. Das gelingt oft in der Muttersprache am leichtesten.
2 Vorüberlegungen 2.1 Der bedürfnisbezogene Ansatz
Im Workshop selbst arbeite ich bedürfnisbezogen. Doch um welche Bedürfnisse geht es?
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In der Praxis treffen bereits im Vorfeld mehrere Interessengruppen aufeinander, die gar nicht am Workshop selbst teilnehmen: Es gibt Interessen und Bedürfnisse von Geldgeber*innen an bestimmten Ergebnissen, die Interessen beteiligter Organisationen – z. B. die Schule oder ein Verein, über den man gebucht ist, evtl. noch persönliche Präferenzen von weiteren beteiligten Bezugspersonen wie Lehrkräften oder Sozialarbeiter*innen – sowie die individuellen Wünsche der Teilnehmenden selbst. Letztlich hat auch die teamende Person Bedürfnisse und Wünsche, die Gestaltung des Workshops betreffend. Die Bedürfnisse, die ich zentral für einen gelungenen Workshop halte, sind jedoch vor allem jene der Jugendlichen. Sie sollen die Gelegenheit erhalten, eine neue Ausdrucksform auszuprobieren. Deshalb würde ich immer die Priorität auf die Bedürfnisse der jungen Menschen legen und diesen Ansatz vorher mit anderen Beteiligten thematisieren. Wenn das Thema der Schulprojektwoche „Rassismus“ ist, ist es natürlich sinnvoll, sich daran auch inhaltlich zu orientieren. Das umfasst auch den Versuch, falls kein intrinsisches Interesse am Workshop-Thema bei den Anwesenden vorhanden ist, dieses Interesse durch Einfühlen in ihre Lebensrealität und durch den Versuch des Brücken-Bauens zu wecken. Rassismuskritische Songs, die unter Zwang entstehen, drücken allerdings nicht die tatsächlichen Gedanken und Gefühle der Teilnehmenden aus. Das Ergebnis ist die Performance von sozial erwünschtem Verhalten. Besser erscheint es mir, unzensierte Songs als Möglichkeit zur Diskussion und als Startpunkt einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit den eigenen Ansichten zu nutzen und mit den Jugendlichen in den Austausch über Rassismus zu kommen. Ob am Ende auch ein rassismuskritischer Song entsteht oder ganz andere Themen durch das Gespräch über Rassismus entstanden sind, wird durch die Bedürfnisse der Teilnehmenden bestimmt.
2.2 Bekannte Bezugspersonen
Meiner Erfahrung nach ist es günstiger für ein gutes Gelingen des Rap-Workshops, wenn ich mit den Gruppen arbeiten kann, ohne dass den Jugendlichen schon bekannte Bezugspersonen wie Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen anwesend sind. Ich habe es oft erlebt, dass die Anwesenheit insbesondere von Lehrer*innen zu einer starken Einschränkung der Authentizität und Offenheit der Teilnehmenden führen kann, was sich letztendlich in den Diskussionen und den Inhalten der Raptexte widerspiegelt. Der Vorteil der Rap-Workshops ist die fehlende Bewertungsmatrix. Während Jugendliche im Kontext Schule immer wieder bewertet werden und dieses Bewertungssystem auch mit der anwesenden Lehrperson verbinden, gelingt eine bewertungsfreie Atmosphäre schneller, wenn diese Personen nicht im Workshop präsent sind. Zudem fällt meiner Beobachtung nach
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eine Performance von sozial erwünschtem Verhalten weg, wenn der Workshop ohne diese Bezugspersonen stattfinden kann.
2.3 Musik als Ventil und Geschlechterrollen
Musik ist für mich ein Weg, um Emotionen auszudrücken. Musik ist ein Ventil; es kann sogar zu einer Art Therapie werden. Rap als Ausdrucksmittel ist auch unweigerlich mit der Frage nach Geschlechterrollen verbunden: Welche Gefühle dürfen Menschen in welcher Rolle öffentlich zeigen, was zieht das für Konsequenzen nach sich und wie zeigt sich das unbewusst auch in vielen Songinhalten und texten? Worüber würden Teilnehmende schreiben, wenn sie losgelöst von diesen einengenden Schubladen Kunst kreieren könnten? Es ist daher sinnvoll, einen Diskussionsblock zu Geschlechterrollen in den Workshop einzubauen. Mein Ansatz ist hier aber nicht der erhobene Zeigefinger und die Be- beziehungsweise Entwertung der Ansichten der Jugendlichen. Vielmehr versuche ich sie mit neugierigen Fragen zum Nachdenken und Infragestellen anzuregen und Raum für Diskussionen zu geben. Über diese Methode können die Jugendlichen die Schubladen eventuell ein Stück weit hinter sich lassen. Unter Umständen wird sogar eine langfristige Auseinandersetzung angestoßen oder – zumindest für die Zukunft – ein Reifeprozess.
2.4 Aufmerksamkeitsspanne und Abwechslung
Je jünger die Anwesenden, desto kürzer sollten einzelne Blöcke gehalten werden. Ich versuche aber grundsätzlich möglichst viel Abwechslung in den Workshop zu bringen, da die Aufmerksamkeitsspanne bei Jugendlichen oft sehr kurz ist und durch bestimmte Social Media-Formate und Apps nicht gerade verbessert wird. Es empfiehlt sich also ein Mix aus theoretischem Input, interaktiven Spielen, Songs, Videos usw. Dies sorgt dafür, dass sich keine Langeweile einstellt, die Aufmerksamkeit auf einem hohen Level bleibt und trotzdem viel Input in kurzer Zeit gegeben werden kann.
3 Der Workshop 3.1 Kennenlernrunde
Um Bedürfnisse zu erfahren, muss ich das als Leiter des Workshops klar kommunizieren. Am Anfang sage ich deutlich, worum es im Workshop geht und was meine Wünsche und Anliegen – wie oben beschrieben – sind. In der folgenden
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Vorstellungsrunde frage ich die Motivation und Gründe der Teilnehmer*innen ab, am Rap-Workshop teilzunehmen und bitte um Ehrlichkeit. So dürfen sie ruhig sagen, dass der Workshop in ihren Augen das kleinste Übel in einer Auswahl unterschiedlicher Workshop-Angebote war. Oft finden die Workshops nämlich in Settings statt, in denen mehrere jugendkulturelle Angebote zur Auswahl stehen und die Interessent*innen aufgrund von Gruppengrößen nur ihre Zweit- oder Drittwahl erhalten. Ich frage nach den Gründen, warum sie Rap hören und wer ihre Lieblingsartists sind. Wichtig sind auch ihre eigenen Praxis-Erfahrungen mit dieser Kunstform, ihre Fragen und spezifischen Wünsche an den Workshop. Im Zuge dessen halte ich zwei Dinge für wichtig: Humor und Augenhöhe. Das kann gelingen, indem man nicht in eine moralische Pose fällt, sich selbst nicht zu ernst nimmt und auch eigene Schwächen, Fehler und Nicht-Wissen zugibt. Am Ende der Vorstellungsrunde stelle ich mich dann noch selbst vor und je nach Stimmung in der Gruppe rappe ich entweder live etwas oder zeige ein eigenes Musikvideo. Der Workshop selbst wird maßgeblich durch die Wirkung und die Präsenz der Workshopleitung geprägt. Zeigt diese sich begeistert von Rap, ist die Chance größer, die Jugendlichen mit dieser Begeisterung anzustecken. Je mehr meine Kunst und ich respektiert werden, desto eher öffnen sich die Teilnehmenden.
3.2 HipHop-Geschichte
Nach der Vorstellungsrunde zeige ich gerne kurze Ausschnitte aus verschiedenen alten HipHop-Filmen – bspw. „Beatstreet“ – und lasse die Teilnehmenden anhand dessen durch gezielte Fragen folgende Punkte selber herausfinden: Wo ist die Geburtsstätte von HipHop? Wann entstand HipHop? Was sind die Werte und Elemente der HipHop-Kultur? Wer waren die Protagonist*innen und welchen sozialen Hintergrund hatten sie? Was prägte ihr Leben? Wie drückten sie sich künstlerisch aus? Dieses interaktive Vorgehen hat sich im Vergleich zu einem reinen Vortrag über die Geschichte der Kultur als spannender und kurzweiliger erwiesen.
3.3 Praktische Einführung
Daraufhin frage ich die Gruppenmitglieder, wie sie sich dabei fühlen, gleich rappen zu dürfen. Sind sie aufgeregt oder nervös? Haben sie Angst vor der Bewertung ihrer Darbietung durch die anderen Teilnehmenden?
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Ich habe auf Grundlage der Werte „Peace, Love, Unity and Having Fun“ der HipHop-Kultur ein Rap-Spiel entwickelt, welches sich sehr gut für den praktischen Einstieg eignet. Die von mir entwickelte Praktik beschreibe ich im Methodenbereich dieses Buches unter „Four Rap Bars In Unity“. Sie dient zum einen dem Vermitteln von wichtigen Rap-Fähigkeiten und einem Grundverständnis der Musikform. Darüber hinaus eignet sie sich aber auch dazu, den Herausforderungen zu begegnen, die sich für die Jugendlichen angesichts einer Präsentation in der Gruppe stellen. Das Rappen vor anderen ist meist mit Angst vor Mobbing und sozialer Abstufung in der Hierarchie der Gruppe verbunden. Jugendliche befürchten häufig, nicht als cool wahrgenommen zu werden, sich zu blamieren oder an Status in der Klasse zu verlieren. Ich halte es für wichtig, dies von Anfang an anzugehen und ein WirGefühl zu erzeugen.
3.4 Musikvideos, Diskriminierung, Vorurteile und Geschlechterrollen
In diesem Teil bietet es sich an, die zuvor genannte Brücke zu Geschlechterrollen oder eigenen Diskriminierungserfahrungen zu schlagen. Gerne lasse ich die Jugendlichen im Laufe des Workshops Musikvideos zeigen, die ihnen gefallen. Anschließend sprechen wir über die Kunstwerke. Ich bewerte nicht, was sie hören. Wenn ich merke, dass eine bestimmte Form des Rap in der Gruppe dominiert, versuche ich alternative Formen von Rap mit anderen Inhalten zu präsentieren. Ziel dessen ist, dass die Jugendlichen Rap als Ausdrucksmittel kennenlernen, in dem die verschiedensten Themen und Gefühle ausgedrückt werden können. Darunter fallen allerdings nicht menschenverachtende und diskriminierende Inhalte oder Aussagen von Teilnehmenden. Wenn diese auftauchen, suche ich das Gespräch. Hier versuche ich je nach Situation, Gruppenzusammensetzung und Art der Teilnehmenden eine individuell angemessene Strategie zu finden und bspw. einen Exkurs zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu machen. Oft hat es geholfen, über eigene Diskriminierungserfahrungen und die dazugehörigen Gefühle zu sprechen und dann eine Brücke zu schlagen zu den Diskriminierungen, die gerade im Raum vorgefallen waren und auch da auf Gefühle und Gründe einzugehen. Wichtig ist mir außerdem zu zeigen, dass Rap nicht nur Männersache ist. Das thematisiere ich unter anderem mit dem Internetportal 365 Female MCs, welches über 1200 nicht cis männliche Rapper*innen weltweit porträtiert und von der Promoterin Lina Burghausen und anderen Aktivist*innen betrieben wird.
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3.5 Eigenschaften guter Rap-Artists
Beim Erlernen von Rap hilft es, sich anzuschauen, was gute Rap-Artists ausmachen. Das gebe ich wiederum als Frage in die Runde, um den Jugendlichen zu ermöglichen, sich das Thema interaktiv zu erarbeiten. Folgende Eigenschaften würde ich als wichtig erachten, nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge: Stimme – Gefühl und Energie – Text, Inhalt und Aussage – Flow – Rhythmusgefühl – eigener Stil – Reimtechnik – Kreativität, zum Beispiel in Form von Ideen und Wortspielen – Umfang des Wortschatzes – Sprachen – Artikulation – Facettenreichtum – Authentizität – Atemtechnik – Charisma und Performance – Improvisationstalent. Oft werden von Teilnehmenden Dinge wie „Beats“, „Swag“, „Outfit“, „Fame“, „Anzahl der Likes“ und „Follower“ etc. genannt. Diese gehören allerdings zum Produkt „Rapper*in“. Für Rap als Produkt ist sicherlich wichtig, wie vermarktbar eine Person ist und wie beliebt. Aus meiner Sicht hat jedoch die Kunstform Rap erst einmal wenig mit Rap als Business zu tun. Ich versuche den Jugendlichen zu vermitteln, dass Kunstform und Geschäft getrennt betrachtet werden müssen. Ein Rap-Artist muss nicht tolle Beats produzieren können, um ein guter Rap-Artist zu sein, auch wenn der Erfolg der Artists oft davon abhängig ist, auf welche Beats gerappt wird. Die technisch besten Rapper*innen sind nicht unbedingt die Erfolgreichsten.
3.6 Weitere praktische Übungen zu den genannten Eigenschaften
Zu jedem dieser Punkte kann man vertiefend in die Diskussion einsteigen, aber auch praktische Übungen machen. Aus Zeitgründen beschränke ich mich oft auf Rhythmusgefühl/Flow, Reimtechnik, Atemtechnik und Gefühl/Energie. Text/ Inhalt/ Aussage thematisiere ich, nachdem die Gruppe sich ein Thema für den Song ausgesucht hat. Nach den Übungen sind die Teilnehmenden in der Lage, relativ eigenständig zu schreiben.
3.7 Beat- und Themenwahl, Gruppeneinteilung
Um authentische Musik machen zu können, sollten darin möglichst Themen behandelt werden, die die textenden Personen wirklich emotional beschäftigen. Im besten Fall gibt man den Teilnehmer*innen also die Möglichkeit, ein Songthema frei und demokratisch in der Gruppe zu wählen. Wenn man als Teamer*in bisher aufmerksam war, hat man schon einige emotionale Momente – z. B. bei der Vorstellung der Musikvideos – erlebt und kann diese einfühlsam in den Raum werfen. Weitere Vorschläge der Jugendlichen werden schriftlich festgehalten und dann
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demokratisch abgestimmt, um sich auf einen gemeinsamen Inhalt festzulegen. Der Beat muss stimmungstechnisch zur gewählten Thematik passen und sollte ausgesucht werden, sobald die Stimmung der Jugendlichen zum Thema erfasst wurde. Je offener und breiter die Thematik ist, desto einfacher lassen sich die vielen Ideen unter einem gemeinsamen Begriff vereinen. Beispielsweise lassen sich Basketball, Fußball und Tennis natürlich unter dem Oberbegriff „Sport“ zusammenfassen. Sagen jetzt noch einige „Gerechtigkeit“ und „Sexismus“, könnte man als Leitung vorschlagen, diese drei Oberbegriffe in einem Song zusammenzuführen. Auch hier ergeben sich oft noch einmal spannende Diskussionen mit den Teilnehmenden. Entweder teilt man die Themen nach Strophen auf – bei bspw. 12 Teilnehmenden drei Strophen à vier Personen à vier Takte – oder man entwickelt in der Gruppe erstmal eine spannende Storyline entlang des Themas und verteilt danach die Rollen.
3.8 Die Schreibphase
Ein kurzer Exkurs zu Storytelling, Spannungskurven, Handlungsverlauf, Held*innenreise etc. kann hier von Vorteil sein, um den Jugendlichen eine Hilfestellung zu geben. Das Entscheidende ist nun, dass jede Person in Stichpunkten aufschreibt, was sie zu dem Thema an Ideen und Gefühlen hat, um anschließend zu überlegen, was davon das Wichtigste ist und was unbedingt in einem kurzen Rap ausgedrückt werden soll. Wenn die Teilnehmenden diesen Schritt überspringen und einfach drauflosschreiben, werden sie wahrscheinlich nicht erfolgreich ans Ziel kommen. Hier fehlt vielen die Geduld und es bedarf einiger Motivation und auch Begründung, warum dieses Vorgehen sinnvoll ist. Sind die Teilnehmenden sehr jung (unter 10 Jahre alt) können sie evtl. auch ihre Gedanken malen. Anschließend kann dann gemeinsam mit der Workshopleitung überlegt werden, was am wichtigsten ist. Jüngere Teilnehmende brauchen auf jeden Fall mehr Unterstützung. Wenn die wichtigsten Aussagen von allen stehen, werden diese in eine Reihenfolge gebracht. Der Refrain wird idealerweise gemeinsam verfasst. Das gibt auch Gelegenheit, die im Vorfeld geübten Techniken noch einmal gemeinsam auszuprobieren. Dadurch fällt allen dann auch das Schreiben leichter. Während dieser Schreibphase kann der ausgesuchte Beat im Loop laufen, die Teamer*innen sollten bei Bedarf Unterstützung anbieten. Geht man von vier Takten pro Person aus, sollte kurz gesagt in der ersten Zeile ein Intro stehen, der Inhalt in Zeile zwei und drei und die Punchline – also die stärkste Zeile im Song/der wichtigste Gedanke – in Zeile 4. Diese Zeile bleibt den Leuten am meisten im Kopf, da sie am Ende steht.
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Die nächste Person kann dann in Zeile 1 einen Übergang schreiben, in dem sie evtl. Bezug auf das Gesagte nimmt und die restlichen Zeilen nach dem obigen Muster schreibt. Wird eine Storyline gemeinsam geschrieben, müssen Eckpfeiler gelegt werden, zu welchem Zeitpunkt etwas genau gesagt werden muss. Der Inhalt geht vor allem bei gemeinsam geschriebenen Gruppensongs immer vor, damit es funktioniert. Hat man die erste Zeile geschrieben, kann man auf beliebig viele Endsilben der Zeile in einer separat angelegten Tabelle Reime suchen. Je mehr Zeit man hierauf verwendet, desto bessere Wortkombinationen findet man und desto wahrscheinlicher wird, dass man eine gut klingende und sinnvolle zweite Zeile schreibt. Je mehr Silben sich reimen, desto professioneller und besser klingt es meist, solange der Inhalt nicht unter Zweckreimen leidet. Da die Punchline das Wichtigste ist, bietet es sich an, nach den ersten zwei Zeilen die vierte Zeile wie gewünscht zu schreiben und dann erst die dritte Zeile passend darauf zu suchen; auch wieder in einer separat angelegten Reimtabelle.
3.9 Liveauftritt und Aufnahme
Wenn ein Liveauftritt im Workshop ansteht, kann man die fertigen Texte gemeinsam üben. Zunächst üben alle allein im Loop, bis alles rund klingt. Hierbei kann man immer wieder Hilfestellung geben, indem man bspw. zunächst nur die erste Zeile immer wieder rappt und, sobald es passt, eine weitere Zeile dazu nimmt, bis alle Zeilen sitzen. Auch generelle Tipps zu Ausstrahlung, Wirkung von verschiedenen Kleidungsfarben, Umgang mit und Bedienung des Mikrofons, Gefahr von Feedback bei der Einstellung des Sounds oder Fehlhaltungen mit dem Mikrofon, die eigene Positionierung auf der Bühne und gelungene Interaktion mit dem Publikum lassen sich im Zuge dessen gemeinsam praktisch auszuprobieren. Falls kein Auftritt folgt, sondern eine Aufnahme, kann man auf das Üben in der Gruppe gegebenenfalls – z. B. aus Zeitgründen – verzichten. In diesem Fall können alle Personen für sich üben und bei der Aufnahme mit weiteren konkreten Tipps unterstützt werden. Für viele Jugendliche ist es ohnehin aufregend und schwer genug, vor sich und der Workshopleitung zu rappen. Ist genug Zeit vorhanden, lohnt es sich auf jeden Fall in der Gruppe zu proben. Bei der Aufnahme werden dann mehrere Takes von allen einzeln aufgenommen. So ergibt sich die Möglichkeit in der Postproduktion kleine Fehler zu korrigieren. Es hat sich bewährt, die Jugendlichen einzeln aufzunehmen und die anderen Workshopteilnehmenden in dieser Zeit mit Methoden, dem Fertigstellen der Texte oder dem Einüben des Gelernten zu beschäftigen. Im Idealfall gibt es zwei weitere Räume, in denen sich die anderen Teilnehmenden aufhalten können. So entsteht kein Leerlauf und es bleibt mehr Zeit, um gute Aufnahmen in einer stress-
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freien Situation zu erarbeiten. Natürlich ist es immer eine Option, dass mehrere Personen bei der Aufnahme dabei sind. Dies muss nur mit der aufnehmenden Person abgesprochen sein und die anderen sollten angehalten werden, sich ruhig verhalten.
4 Abschließende Worte Rap-Workshops nehmen einen großen Teil meines professionellen Schaffens ein. Ich habe durch die Tätigkeit und den Austausch mit allen Beteiligten viel über das Leben in all seinen Facetten lernen dürfen, mir oft den Kopf an neuen Herausforderungen zerbrochen und wachse in jedem Workshop ein Stück als Mensch. Rap als mittlerweile sehr angesagte Ausdrucksform bietet ein großes Potenzial, um sich anderen Menschen ehrlich mitzuteilen und dadurch mit ihnen eine Verbindung einzugehen. Und Verbundenheit ist letztlich das, was wir alle in unserer Existenz als Mensch spüren wollen und müssen. Musik kann genutzt werden, um Brücken zu bauen. Let's build.
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Musik- und Medienproduktion in der Jugendarbeit in Deutschland und Russland Daniel Vishnya aka Mr. Cherry
Das Setting des Workshops ist wichtig – die Kreation des ‚Studios‘ Der Jugendclub Manege1 kann als Good-Practice-Beispiel gelten dafür, wie Jugendarbeit in einem Bezirk wie Berlin-Neukölln funktionieren kann. In der Manege habe ich mit Jugendlichen Songs produziert und sie bei Auftritten begleitet, als sich eine Band formierte. Wir haben die Songs der Jugendlichen auch (als CD und auf YouTube) veröffentlicht.2 Für jeden Workshop ist das Setting wichtig. Für Musik-Workshops zum Beispiel ist es hilfreich, wenn der Ort, an dem der Workshop stattfindet, über ein Tonstudio verfügt. Das muss nicht notwendigerweise ein ausgebautes Studio sein, schon mit einem Mikrofon und Laptop lässt sich auch eine Art Studio kreieren. Der Vorteil einer Studioatmosphäre ist, dass sie gute Voraussetzungen für konzentriertes Arbeiten schafft. In der offenen Jugendarbeit formuliere ich oft die Bitte an diejenigen Jugendlichen, die nicht ernsthaft mitarbeiten wollen, den Interessierten den Raum zu überlassen. Es geht darum, ein Gefühl für konzentriertes Arbeiten zu vermitteln und deutlich zu machen: Ein Tonstudio hat eine bestimmte Funktion. Ebenso haben andere Aktivitäten wie Basteln oder Film ihren eigenen Raum. Ich versuche den Respekt, den ich selbst vor der Kunstform und dazugehörigen Technik habe, an die Teilnehmenden zu vermitteln. Respekt vor der Technik ist eine zentrale Gelingensbedingung für die Arbeit. Im besten Fall haben alle Teilnehmenden ein gemeinsames Ziel, das eröffnet allen den Raum, seine*ihre eigene Rolle im Prozess zu finden. Daneben ist die Produktion von Filmen und Musik für mich immer eine Teamarbeit. Es ist mir wichtig, den Jugendlichen im Workshop zu vermitteln, dass qualitativ hochwertige Produkte das Ergebnis von Teamarbeit sind und am Ende eines Prozesses stehen, in dem verschiedene Expert*innen gut zusammenarbeiten. Diese Arbeitsteilung lässt sich an Workshops im Bereich Medien- und Musikproduktion besonders gut darstellen.
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Nach den Skandalen um die Rütli-Schule 2006, wechselte auch der Träger und das Team des anliegenden Jugendclubs Die Manege, heute ein Beispiel für besonders gelungene rassismuskritische Jugendarbeit: campusruetli.de/manege (Abfrage: 3.1.23). Wir haben eine CD produziert und einige Lieder auf YouTube hochgeladen. Ein Beispiel ist der Song „Alles kaputt“ von 2017.
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Workshops bedeuten einerseits für mich die Vermittlung meiner eigenen Leidenschaft für Musik und Medien, andererseits bedeuten sie aber auch situationsund prozessorientiertes Arbeiten und Begleiten der Teilnehmenden. Je nach Auftrag kann am Ende auch ein Produkt stehen, aber das muss immer dem Prozess der Teilnehmenden angepasst sein.
Produktorientiertes vs. prozesshaftes Arbeiten Die Begeisterung für die jeweilige Kunstform ist in den Workshops zentral, sowohl meine eigene als auch die der Teilnehmenden. Die meisten Jugendlichen haben meiner Beobachtung nach ein Grundinteresse an Medienarbeit, aber auch an Musikproduktion und sind deshalb schnell dafür zu begeistern. Wichtig ist mir dabei, den Jugendlichen erst einmal die Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren. Aber auch für die Präsentation bereits vorhandener Fähigkeiten sollte Raum sein. In den Workshops steht der Prozess der Jugendlichen im Fokus, den sie maßgeblich selbst gestalten. Es liegt an ihnen, wie viel Neues sie lernen wollen und was sie lernen wollen. So haben einige Jugendliche vielleicht mehr Interesse an Musikproduktion, andere an Software, wieder andere an Rap. Die verschiedenen Interessen können außerdem genutzt werden, um die Jugendlichen in eine empowernde Expert*innenrolle zu bringen, indem sie zum Beispiel aufgefordert werden, den anderen Teilnehmenden zu erklären, wie etwas funktioniert. Meine eigenen Kompetenzen in der Musik- und Medienproduktion formuliere ich dabei klar als Angebot: Die Jugendlichen können darauf zurückgreifen, wenn sie das möchten. Dabei arbeite ich immer mit einem Fokus auf die Ziele, Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen. Ich finde es wichtig, dass die Jugendlichen mit kleinen Hilfestellungen vieles selbst entdecken und entwickeln, da dies ihre Erfahrung von Selbstwirksamkeit erhöht. Meine Workshops sollen einen Raum darstellen, in dem sich Jugendliche ausprobieren können, indem sie aber auch spielerisch und möglichst frei ihre eigenen Stärken kennenlernen können. Ich unterstütze und gebe Hilfestellungen, wenn die Jugendlichen unsicher sind. Das Entscheidende aus meiner Sicht sind aber die Phasen, in denen die Jugendlichen ganz in ihrer Arbeit versunken sind. Meinen prozessorientierten Ansatz versuche ich auch dann zu gestalten, wenn in einem Setting zum Beispiel Thema und Methode schon vorgegeben sind. Im Vorfeld der Workshops frage ich immer ab, ob es das Setting zulässt, den Jugendlichen ein Maximum an Spielraum zu geben oder ob das anvisierte Endprodukt Vorrang hat. Auch wenn es Vorgaben gibt, versuche ich, diese der jeweiligen Gruppe und ihrem Prozess anzupassen – nicht umgekehrt. Aus meiner Sicht gilt für jeden Ansatz und jede Methode, dass sie sich der jeweiligen Situation anpassen müssen und nicht umgekehrt die Jugendlichen an die Methode angepasst werden sollen.
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Medienkompetenz Medienkompetenz ist ein weiter und mitunter schwammiger Begriff. Für mich bedeutet Medienkompetenz, zu wissen, wie bestimmte Tools funktionieren und wie sie eingesetzt werden können, um ein bestimmtes Produkt zu erhalten. Ein Hinzugewinn an (technischer) Medienkompetenz eröffnet den Raum, eigene Ideen umzusetzen. Dies funktioniert auch deshalb besonders gut, weil ich selbst schon sehr lange in der Medienproduktion arbeite. Das ermöglicht mir viel Flexibilität für die Anforderungen unterschiedlicher Gruppen, insbesondere eine große Methodenvielfalt. So ist zum Beispiel die Analyse von Medien und Musik beim Einstieg in einen Workshop ein wichtiger reflexiver Prozess, der gute Gesprächsanlässe bietet. Außerdem geht es darum, die vorhandenen Medienprodukte kritisch zu hinterfragen und eigene Position zu beziehen. Wenn wir uns gemeinsam Songs anhören und auseinandernehmen, können wir Prozesse der Musikproduktion besser begreifen. Jugendliche lernen (auch) aus Fehlern. Songs, die nicht gut klingen, bieten die Möglichkeit, sich auf die Suche nach dem Grund zu begeben. Jugendliche können Probleme aufdecken, herausfinden, warum etwas nicht so funktioniert, wie sie es sich vorgestellt haben und welche Lösungen sich stattdessen auftun. Am Ende steht ein Medium, das für sich selbst sprechen sollte – ob Film oder Song oder Magazin. Alles ist dazu da, eine (eigene) Botschaft zu übermitteln. Um an den Punkt zu kommen, etwas selbst umsetzen zu können, hilft es, Beispiele zu verstehen und ein bisschen Zeit mit Analyse verbracht zu haben. Im WorkshopSetting unterbreite ich den Jugendlichen gern Vorschläge oder Ideen, woran sie arbeiten könnten und entscheide dann situativ, wie viel Hilfestellung die Gruppe braucht und wie weit sie allein kommt.
HipHop und Jugendarbeit im russischsprachigen Raum HipHop ist in Russland und im gesamten postsowjetischen Raum genauso präsent wie in Deutschland und eine verbreitete Jugendkultur (vgl. auch den anschließenden Exkurs zu Rap in Russland). Auch lassen sich mittlerweile viele Künstler*innen finden, deren Musik von HipHop mitgeprägt wurde, das gilt für die Trap-Szene ebenso wie für RnB. Bis zum Beginn des Krieges war es durchaus üblich, dass ukrainische Künstler*innen vor allem in Russland populär waren und umgekehrt. Es spielte kaum eine Rolle für die Rap-Szene, aus welchem Land der*die Künstler*in kam. Seit Kriegsbeginn werden Grenzen und Nationalitäten immer deutlicher: Wer positioniert sich für welche Seite, wer positioniert sich lieber überhaupt nicht? Seitdem werden im russischsprachigen Rap Nationalitäten sichtbarer, als sie vorher waren. Es ist jedoch wichtig, sich klarzumachen, dass in den genannten Ländern nur sehr wenige Menschen die Ressourcen haben, Musik zu machen. Die HipHop-Szene ist sehr prä-
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sent, überall ist HipHop zu hören – im Radio, auf Plattformen wie Spotify oder Soundcloud. Allerdings sind diese Streaming-Plattformen aktuell nicht mehr, beziehungsweise nur noch via VPN verfügbar. Neben Leuten, die mit Rap ihre Karriere gestartet haben, gibt es auch solche, die eigentlich über Social Media berühmt wurden und dann zum Rap kamen – ähnlich wie Katja Krasavice und Shirin David in Deutschland. So zum Beispiel Instasamka: Sie präsentiert ihr Leben im Rap und auf Social Media mit einer sehr selbstsicheren Attitüde, die mit tradierten Vorstellungen von Weiblichkeit bricht. Im Gegensatz zur Außen- und Sicherheitspolitik ist die Sozialpolitik Russlands wenig untersucht und analysiert wurden (vgl. Hoffmann 2021). Die Jugendarbeit in Russland unterscheidet sich wesentlich von der in Deutschland. In Deutschland wird die Jugendarbeit maßgeblich von NGOs, verschiedenen Institutionen und Vereinen getragen. Sie erscheint mir dadurch unabhängiger und stärker an ihren eigenen pädagogischen Standards orientiert. Das eröffnet in Workshops, zum Beispiel in Jugendclubs, aber auch Schulen, viel Raum zum Ausprobieren. In Russland ist es so, dass ähnlich wie in Deutschland viele NGOs direkt vom Staat finanziert werden, es gibt aber sehr klare Vorstellungen, wie Jugendarbeit umgesetzt werden soll und welche Werte transportiert werden. 2018 hat das Ministerium für Bildung das „Nationale Projekt Bildung“ aufgelegt, welches durch Stärkung der formalen und nonformalen Bildung die Wettbewerbsfähigkeit Russlands sichern soll und zur Förderung der Persönlichkeit auf Basis der russischen Werte und nationalen Tradition beitragen soll (vgl. Hoffmann 2021). Die Institutionen, die sich privat finanzieren, scheinen sich an diesem Programm zu orientieren. Ich habe mir von Menschen, die in Russland in der Sozialarbeit aktiv sind, erzählen lassen, dass in den staatlich geförderten Institutionen Kurse angeboten werden können, zum Beispiel Rap oder Breakdance. Vorher muss jedoch ein Konzept vorliegen, welches dann – auch in Hinblick auf die Vermittlung von politischen Werten – geprüft wird. Im Rahmen dieser Prüfung fallen vermutlich schon viele Workshop-Angebote durch. Zudem gibt es die Auflage, dass an einem Kurs regelmäßig mindestens 15 Kinder oder Jugendliche teilnehmen müssen. Die Workshops laufen auch nicht unter dem Titel „Freizeitgestaltung“, sondern „weiterführende Bildung“. Das gilt häufig auch für Träger, die sich privat finanzieren, meist über Spenden von Eltern der Jugendlichen. Werden Angebote über Elternfinanzierung organisiert, müssen sie also den Eltern gefallen. Insofern gibt es eigentlich keine Jugendclubs, die tatsächlich ‚offene Räume‘ darstellen – also Räume, in denen Jugendliche sich spontan entscheiden können, worauf sie gerade Lust haben. Ein Kurs kann zum Beispiel „Kritisches Denken“ heißen – der findet verbindlich jede Woche statt. Die Idee dahinter ist nicht Austausch und Interaktion mit Jugendlichen, sondern pure Wissensvermittlung in Form von Vorträgen. Im Vordergrund scheint also wie im verabschiedeten Gesetz der Erwerb von ‚nützlicher‘ Bildung und Werten zu stehen.
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Die wichtigste Institution ist immer noch die Schule, ländliche Räume haben oft gar keine Angebote wie Jugendclubs oder eine gut ausgebaute Jugendsozialarbeit und insgesamt wenig attraktive Angebote für Jugendliche (vgl. Bidder 2017). Nicht wenige Schulen und Orte, an denen Jugendliche sich begegnen, werden zudem mittlerweile bewusst für Propaganda und Hass gegen Minderheiten instrumentalisiert. 2013 wurde in Russland das „Gesetz gegen LGBTI-Propaganda“ eingeführt, das besagt, dass die positive Darstellung queerer Beziehungen gegenüber Minderjährigen strafbar ist. Dieses Gesetz wurde 2022 noch einmal verschärft, nun ist es prinzipiell verboten, LGBTQIA* positiv zu porträtieren (vgl. Tagesschau 2022). Diese Richtung in der politischen Agenda hinter der Jugendarbeit verschärft sich kontinuierlich. Nach den früheren, zeitweise zahlenmäßig sehr starken, Jugendorganisationen Naschi, Junge Garde und Gemeinsamer Weg, die der Partei Einiges Russland nahestanden, erwägt Putin nun eine neue Pionierorganisation mit aufzubauen, die Kindern und Jugendlichen patriotische Werte vermitteln soll (vgl. Hartwich 2022). Frei ist aus meiner Sicht eigentlich keiner der Träger, die offizielle Gelder erhalten. Sie unterliegen regelmäßigen Kontrollen, die eine eigene Interpretation von Jugendarbeit zusätzlich erschweren. Deshalb gibt es selbstbestimmte Jugendarbeit in Russland derzeit nur in Form selbstorganisierter Projekte, wie zum Beispiel das Comic-Projekt Respect Comix3, die mit Jugendlichen verschiedene Comics erstellt haben, unter anderem auch einen zur Geschichte von HipHop. Aus meiner Sicht liegt es auch in der Geschichte der HipHop-Kultur begründet, dass es dieser immer wieder gelingt, sich Räume zu erschließen, selbst unter widrigsten Umständen. So wurde zum Beispiel aus einer Bar, die ein Freund von mir eröffnete, ein Kunst- und Kulturzentrum für alle, die Interesse an HipHop, Musik und Kunst hatten. Es gab dort Parties, Rap-Präsentationen und die Möglichkeit, Graffiti zu sprühen.4 Das Kulturzentrum lebte von den Einnahmen aus dem Bar-Betrieb und den Parties. Dadurch finanzierte sich das Kulturzentrum und gab jungen Menschen die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Daneben gab es auch regelmäßig Kooperationen mit Museen oder anderen Kulturzentren. Dieses Kulturzentrum schaffte auch Jobs, bot jungen Menschen vor allem aber die Möglichkeit sich auszuprobieren – ohne die erdrückenden Vorgaben, die sie aus ihrem Alltag kannten. Leider wurde dieses Kulturzentrum wieder geschlossen. Mein Eindruck ist, dass es im Arbeitsalltag in Russland meist viel mehr Beschränkung gibt als zum Beispiel in Deutschland. Diese strengen Hierarchien sind problematisch und verhindern, dass Menschen neue Ansätze einsetzen und testen können. Also werden immer die gleichen, alten Wege beschritten. Aber dennoch gibt es Orte und Gelegenheiten für Leute, die Neues ausprobieren wollen. Zum
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www.respect.com.mx (Abfrage: 25.01.2023). Kokoshka Bar in St. Petersburg www.youtube.com/watch?v=9UZpbS0UmM0 (Abfrage: 10.1.23).
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Beispiel hat ein Freund von mir, ein audiovisueller Künstler, schon häufig Auftragsarbeiten für staatliche Firmen wie zum Beispiel Gazprom übernommen. Innerhalb dieser Aufträge hatte er relativ große künstlerische Freiheit. Die Freiheit endet allerdings bei offener Kritik durch Künstler*innen oder auch provokanten Aussagen. Das kann sowohl die Absage von Auftritten als auch eine Verhaftung zur Folge haben. Das begrenzt die Kunstfreiheit auf den ästhetischen Bereich: Künstler*innen können sich da ‚austoben‘, sollten aber politische Aussagen vermeiden. Nach dem Motto: „Kenne deinen Platz, lehn dich mal nicht zu weit aus dem Fenster.“ Im Jahr 2022 hat sich die Situation, wie mir berichtet wurde, verschärft. Das Narrativ „Wir befinden uns im Krieg gegen den Westen“ schlägt sich natürlich auch in den Möglichkeiten für Künstler*innen und in der Jugendarbeit nieder. So werden jetzt schon 16-Jährige aufgefordert, sich für das Militär zu registrieren. Auch in den Schulen wird die Erzählung vom feindlichen Westen verbreitet. Ich würde sagen, die Leidtragenden der Situation sind insbesondere Kinder und Jugendliche. Sie wachsen jetzt auf mit dem Gefühl „Alle sind gegen uns“. Das ist sehr herausfordernd und viele fühlen sich desorientiert.
Literatur Bidder, Benjamin (2017): Generation Putin. 1. Auflage. Bonn: bpb – Bundeszentrale für politische Bildung. Hartwich, Inna (2022): Putin wird wieder Jungpionier. Berlin: TAZ. taz.de/Neue-Jugendorganisationin-Russland/!5854835/ (Abfrage: 15.12.2022). Hoffmann, Thomas (2021): Die Jugend ist die Zukunft – Russland mit wichtigen Schritten in Bildungsund Jugendpolitik. jugendhilfeportal.de/artikel/die-jugend-ist-die-zukunft-russland-mit-wichtigen-schritten-in-bildungs-und-jugendpolitik (Abfrage: 15.12.2022). Manege (2017): Alles kaputt. www.youtube.com/watch?v=pWDViGM3DbE&t=16s (Abfrage: 10.01.2023). Tagesschau (2022): Duma will LGBTQ-Rechte weiter einschränken. www.tagesschau.de/ausland/russland-lgbtq-gesetze-101.html (Abfrage: 15.12.2022).
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Exkurs: HipHop in Russland – Siegeszug mit Verzögerung Ewgeniy Kasakow
„Rap ist der neue Rock“ lautet ein verbreiteter Satz in Russland. Damit wird meist ausgedrückt, dass Rap als Stil, beziehungsweise HipHop als Subkultur, den Rock in allen seinen Varianten als Hauptausdruckmittel der jugendlichen Trotzhaltung abgelöst habe (vgl. Volodin 2012). Dabei kam die HipHop-Kultur erst mit langer Verzögerung in Russland an. Das erste russischsprachige Rap-Album hieß schlicht „Rap“ und wurde 1984 von DJ Alexander Astrow und der Band Tschas Pik in Kuibyschew (heute: Samara) aufgenommen (vgl. Kušnir 1999, S. 173). Zu diesem Zeitpunkt ließ sich noch nicht von einer eigenen Szene sprechen. Doch im Herbst desselben Jahres gelangten Videokassetten mit den US-amerikanischen Spielfilmen „Beat Street“, „Breakin´“ und „Breakin´ 2: Electric Boogaloo“ (alle 1984 gedreht) illegal auf das Gebiet der für ihre vergleichsweise lockere Kulturpolitik bekannten baltischen Republiken Estland, Lettland, Litauen. Der dort porträtierte Breakdance fand schnell Nachahmer*innen unter den Jugendlichen. Sicherlich ist es kein Zufall, dass auch die ersten sowjetischen DJs, die Pitch-Control und Scratchen nutzten, aus dem Baltikum kamen (vgl. Voronin 2016). Während der PerestroikaZeit existierte bereits eine landesweite Breakdance-Szene in der UdSSR.1 Erst kurz vor Zerfall der Sowjetunion gab es Kollektive und Sänger*innen, die sich auf Rap als Stil festlegten. Im April 1991 fand in Leningrad das erste unionweite Rap-Festival statt. Als Pioniere des Genres, die Rap, Breakdance und szenetypische Kleidung kombinierten, gelten: D.M.J., Bad Balance, Maltschischnik, Dubowy gai. Einige Akteur*innen spielten in den folgenden Jahren eine wichtige organisatorische Rolle für die Szene als Produzent*innen, DJs, Choreograph*innen und Labelgründer*innen. Dazu zählen Bogdan Titomir (Mitglied des Duos Car-Man), Dolphin (Mitglied bei Dubowyj gai und Maltschischnik) sowie die als erste Rapperin im postsowjetischen Raum geltende Lika Star. Das Leningrader Duo Tschernoje i Beloje, bestehend aus Rodion Tschistjakow und Igor Golubjew, dem ersten russischsprachigen Rapper mit afrikanischer Familiengeschichte, schaffte es 1990 unter dem Namen Red Arrow in Hamburger Boogie Park Studio die Maxi-Single Tschaikowsky’s Revenge aufzunehmen. Insgesamt lässt sich sagen, dass HipHop zu den ‚verspäteten‘ Subkulturen in
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Die erste nachgewiesene Erwähnung des Begriffes „HipHop“ findet sich 1988 in einer Jugendzeitung aus Lipezk (vgl. Kolston 1988).
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Russland gehört. Während zum Beispiel Punk und Metal bereits Ende der 1970er/Anfang 1980er in der UdSSR Fuß fassten (vgl. Werkmeister 2020), wurden HipHopper*innen, Skinheads, Gothics erst in der zweiten Hälfte der 1990er auf den Straßen der russischen Städte sichtbar.
Anpassung an die westlichen Vorbilder, Subkultur und Kommerzialisierung Nach dem Ende der Sowjetunion gab es erste Auftritte von westlichen Rapper*innen in Russland. So traten zum Beispiel 1993 in Sankt-Petersburg im Rahmen eines Festivals Vanilla Ice, Salt-N-Pepa, Doctor Dre, Ed Lover und T-Money auf (vgl. Zaikin 1993). Damit wurden die russischen Rapper*innen direkt mit der USamerikanischen Subkultur konfrontiert. Bis zu diesem Zeitpunkt schienen nur wenige Akteur*innen der Jugendmusikszene sich der Bezüge des HipHop zu einer wie auch immer definierten ‚blackness‘ bewusst zu sein, darunter zum Beispiel auch der Musikjournalist Artemi Troickij (vgl. Troickij 1990, S. 63, 91) oder der oben erwähnte Bogdan Titomir, der als Austauschstudent in New York 1988 HipHop für sich entdeckte (vgl. Titomir 2011). Nun aber kamen nicht nur Rap, Breakdance, Graffiti oder Beatboxen in Russland an, sondern auch das Image von HipHop als einer Subkultur der nichtweißen „Problembezirke“. Daraus resultieren Konflikte mit den anderen Sub- und Jugendkulturen. Daran, dass der HipHop weltweit als irgendwie „nicht weiß“ gilt, wurden die russischen HipHopper*innen schmerzhaft von den Angehörigen einer weiteren, sich mit Verzögerung in Russland verbreitenden, Subkultur erinnert. Die rechten Skinheads, die in der 1990er Jahre in Russland regen Zulauf hatten, attackierten sowohl auffällig gekleidete HipHop-Jugendliche als auch Konzerte und Veranstaltungsorte (vgl. Tarasov 2000; Omel‘chenko/Pilkington/ Garifzianova 2010). Auch die Angehörigen von Metal-, Punk- und Fußballhool-Subkulturen fingen mit den HipHopper*innen häufig gewalttätige Auseinandersetzungen an, von den prinzipiell allen ‚Auffälligaussehenden‘ feindlich gesinnten „Gopniks“ ganz zu schweigen (vgl. Riordan 1989, S. 126.). Schon bald entstand eine neue Organisationsform der HipHopper*innen, die so genannten „Clans“, die Veranstaltungen schützten und die Auseinandersetzung mit den potenziellen Angreifer*innen suchten: Night Soldierz, South-West Clan, FLASH GUYZ und vor allem White Smoke Clan. Die vorsichtige Politisierung2 des russischen HipHop ging jedoch mit einer rasanten Kommerzialisierung einher. HipHop wurde zu einem wichtigen Segment 2
Bad Balance bzw. Wlad Walow begannen ihre Musik als Sound des „weißen Ghettos“ zu postulieren. Bad Balance ahmte in ihrem Outfit Public Enemy nach und es wurde eine wenig reflektierte Gleichsetzung der eigenen Lage mit der der Afroamerikaner*innen demonstriert.
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des Musikmarktes. Ab Herbst 1994 gab es im Radio speziell dem Rap gewidmete Sendungen, womit ‚in die Rotation zu kommen‘ zu einem wichtigen Schritt zu Bekanntheit für die russischen Rapper*innen wurde. Jugend- und Musikzeitschriften berichteten zunehmend über den einheimischen HipHop. Der 1998 gestartete Musiksender MTV Rossija trug zur Popularisierung von russischen und internationalen HipHop bei. Es entstanden die ersten russischsprachigen Print- und Onlinemedien, die auch für russophone Jugendliche in den postsowjetischen Ländern Relevanz hatten.3 Eine weitere Institution der Szene wurden die „Vereinigungen“ oder „Familien“ genannte Konglomerate mehrerer Künstler*innen, die sowohl gemeinsame, als auch Soloalben aufnahmen:: D.O.B. Community (Moskau,) um Alexei Pereminow (Grundig) , Bad B. Allianz um Wladislaw Walow aka Scheff von Bad Balance (vgl. Iossarian, 2007), der Rapper und Beatmaker Ligalize (Andrei Menschikow), der sowohl bei D.O.B., als auch bei der Bad B. Allianz mitwirkte4 sowie die 2000 von Rostower Crew Kasta gegründete Respect Productions5. Etliche bekannte Rapper*innen waren Kinder reicher Eltern, die deren Karrieren förderten. So wurde der Sohn des Musikproduzenten Alexander Tolmazki, Dmitri Tolmazki alias Dezl zum einem gerade beim jungen Publikum gefragten Musiker. Auch die Karriere von Timati wäre ohne seinen Vater, dem Millionär Ildasch Junusow, wohl schwer denkbar. Dennoch waren die Trennlinien zwischen dem als rein unterhaltsam geltenden „Pop-Rap“ und als „authentisch“ geltendem Straßen-HipHop nicht scharf. Bad. B. Allianz entstand aus der Kooperation des sein Ghetto-Image pflegenden Bad Balance mit dem primär am kommerziellen Erfolg seines Sohnes interessierten Alexander Tolmazki. Deutlich wurde die zunehmende Tendenz, sich ein möglichst gefährliches Image als Rapper*in zu verpassen. Die Hinwendung zu den Rollenvorbildern des Gangsta-Raps bedeutete aber paradoxerweise auch die Emanzipation von den US-amerikanischen Vorbildern, denn es ging darum zu zeigen, dass postsowjetische „Schlafbezirke“6 und heruntergekommene Industriestädte inzwischen gefährlicher geworden waren als die Bronx und Harlem. Der Stil der Band Mnogototschije wurde zeitweilig „Gop[nik]-Hip-Hop“ genannt, was zeigt, dass zumindest Teile der Szene durchaus Parallelen zwischen den Kulturen der USamerikanischen und russischen kriminellen Welten sahen. Die Romantisierung
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Dazu zählten Zeitschriften wie Hip-Hop Info (1998), RAP-Press (1998-2002), 100% (2002), Invox (2004), Slovo (2008-2012) sowie die in der Ukraine erscheinende, aber auch in Russland rezipierte „X3M“ (2004-2005). Im Internet gewannen vor allem Sites wie Rap.ru, die von dieser abgespaltene Seite The Flow sowie das Forum Hip-Hop.ru als Diskussionsplattformen an Bedeutung. Ligalize begann auf Englisch zu rappen und reiste 1996 für ein Jahr nach Kongo-Brazzaville, um sich der dortigen Band AERO Skwadra anzuschließen. Respect Production scharte vor allem an den ‚Straßenthemen‛ orientierte Künstler*innen um sich. „spalny rajon“ sind Bezirke mit mehrstöckigen Wohnhäusern (Fünf-Etagen-Häuser oder Plattenbau), in denen es wenig Infrastruktur und kaum Straßenbeleuchtung gibt und die nachts als besonders gefährlich gelten.
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der Kriminalität, Vorstellungen von Männlichkeit, Ehre, Loyalität und Identifikation mit dem eigenen Stadtteil, der Straße usw. waren bei den Gangsta-Rapper*innen und Gopniks kompatibel. In den Texten der Rapper*innen tauchten verstärkt Themen wie ein rauer Alltag, „Unterweltromantik“ und Elemente des russischen Chanson7 auf.
Rasanter Aufstieg in den Putinjahren In den 2000er Jahren erlebte Rap als Musikrichtung und (wenn auch nicht im selben Maße) HipHop als Subkultur einen rasanten Aufstieg in Russland und bei der russischsprachigen Jugend der postsowjetischen Länder. Die Vielfalt von HipHop, die sehr unterschiedlichen Gruppen eine Ausdrucksmöglichkeit gab, wurde dem Publikum zunehmend bewusst. HipHop war nicht länger eine bestimmte Nische, sondern ein Mittel, sich eine eigene Nische zu schaffen. HipHop sprach nicht nur unterschiedliche soziale Gruppen, sondern auch unterschiedliche politische Lager an. So zählt Noize MC zu den wichtigsten Künstler*innen des liberal-oppositionellen Lagers. Der unter dem Bühnenamen Babangida auftretende Alexander Bakulin und die Obninsker Band Lenina Paket deklarierten dagegen Sowjetpatriotismus, Stalinverehrung, Homophobie und Antisemitismus. Gleichzeitig waren ihre Texte von der Kritik an der Romantisierung der Ghetto-Armut durch die anderen Rapper*innen geprägt. Die Message lautete: Kapitalismus bringt Elend mit sich und für die Mehrheit hat das nichts mit Coolness zu tun. Dass man mit politisch inkorrekten Aussagen schnell Aufmerksamkeit gewinnt, wusste die russische Jugendmusikszene bereits seit dem „Sibirischen Punk“ (vgl. Kasakow 2014). Das Duo Buchenwald Flava, das als „ironischen Gag“ einen Song namens „Nazi-Rap“ veröffentlichte, hatte einen unverhofften Erfolg beim Publikum, welches die Message durchaus ernstnahm. Überhaupt ist das Schlüpfen in eine Rolle und das Rappen aus einer fremden Perspektive durchaus ein verbreitetes Phänomen der neuen russischen Rapmusik. Wenn die Band Krowostok die Welt aus der Perspektive eines hyperaggressiven und gefährlichen Prolls schildert, dann hat das keinen Anspruch auf Authentizität. Ziel ist ein sprachlich virtuoses Verspotten der „Unterschicht“. Dominiert wird das öffentliche Bild der HipHopSzene jedoch nicht durch mehr oder weniger ästhetisierte politische Provokationen, sondern durch kommerziell erfolgreiche Künstler*innen, die längst eigene Unternehmen aufgebaut haben. So ist das von dem ehemaligen Kasta-Mitglied Basta 2005 aufgebaute Label Gazgolder inzwischen zu einem Business-Imperium mit eigenen Ketten an Sport-
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Russischer Chanson ist ein Genre, das in Russland den Ruf einer „Kriminellenmusik“ hat.
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bars, Tea Rooms, Merch- und Vape-Shops und sogar Juwelierläden geworden. Die von Timatis 2006 gegründete Black Star inc steht nicht nur für Musik, sondern auch für eine Fast-Food-Kette, Kleidung, Tattoo-Salons und Barber Shops. Centr hat mit dem 2006 gegründeten ZAO Records ein Musikunternehmen geschaffen, welches das Musikkollektiv selbst überlebte. Doch nichts demonstriert die Etablierung des Rap in Russland so deutlich, wie die Aufmerksamkeit, die Rap-Battles bekamen. Der erste Beef der Szene mit Aufnahmen der Diss-Tracks und anschließender langjähriger, in gewalttätigen Auseinandersetzungen gipfelnder Feindschaft, fand 2002 zwischen Ligalize und seinem Mentor Wladislaw Walow (Scheff) von Bad Balance statt. Seitdem wurden DissTracks und Battles immer mehr zu kulturellen Großereignissen stilisiert. Im Rahmen der Internetshow „Versus Battle“ (2013-2021), welche der als Restorator bekannte Alexander Timartzew moderierte, fanden Rap-Duelle statt, die es nicht nur ins Feuilleton aller wichtigen oppositionellen Medien, sondern auch ins staatliche Fernsehen schafften. Ex-Centr-Frontman Ptacha, der als postmodern-uneindeutiger Provokateur geltende Slawa KPSS aka Gnoiny, der nach Russland remigrierte „Kontingentflüchtling“8 und Oxford-Absolvent Oxxxymiron9, der aus der nationalistischen Fußballfan-Szene kommende Face, sowie ‚TrashStreamer‛ Juri Chowanski genossen die Aufmerksamkeit eines Millionenpublikums. Ihre Battles wurden als kulturelles Großereignis gefeiert und sie selbst dabei mehr als Dichter*innen und weniger als Musiker*innen wahrgenommen (vgl. Rondarev 2017; Kukulin 2020). Im bis heute männlich dominierten HipHop konnten sich in der 2010er Jahren einige Frauen fest etablieren, am bekanntesten ist Kristina Si. In der Battle-Szene machte Zeit lang Miracle von sich reden. Instasamka hat ihren Erfolg vor allem sozialen Medien zu verdanken. Das Internet bietet auch jenen die Möglichkeit, als Rapper*innen aufzutreten, die in der HipHop-Community massive Diskriminierungen zu befürchten hätten, so der queere Rapper Andrei Petrow (vgl. Nilov/Petrov 2019). Eine wichtige Rolle im HipHop spielen russischsprachige Künstler*innen aus den postsowjetischen Ländern: Neben Künstler*innen, die aus der Ukraine, Belarus und Aserbaidschan stammen, gewann in den 2010er Jahren vor allem Kasachstan an Bedeutung. Auf Russisch rappende ethnische Kasach*innen wie Skriptonite oder Nazima haben im gesamten russischsprachigen Segment des
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Siehe auch Fußnote zum Begriff „Kontingentflüchtling“ im Beitrag „(Anti-)Rassismus im HipHop“ in diesem Beitrag. Die Migration aus der ehemaligen UdSSR sorgte für etliche transnationale HipHop-Karrieren, erwähnt an diese Stelle sollten der aus Charkiw stammende Drago (Wladimir Babajew, geb. 1982) der auf Deutsch und Russisch rappt oder der in Karaganda geborene Dessar (Max Jakobi, geb. 1985) der inzwischen aus Deutschland nach Kasachstan zurückkehrte und dort mit seinen russischsprachigen Texten in linksradikalen Kreisen Popularität genießt.
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postsowjetischen Raums eine große Fan-Community. Die Entscheidung für Russisch als Sprache vergrößert den Absatzmarkt massiv. In Russland selbst wiederum ist nicht-russischsprachiger Rap ein wichtiges Mittel der Steigerung des nationalen Selbstbewusstseins für viele Nationalitäten, die sich vor der zunehmenden Russifizierung fürchten. War zur Sowjetzeit die Förderung der Literatur und Kultur in den Sprachen der autonomen Republiken und Bezirke Staatsprogramm, so blieben in einigen Regionen lediglich Folkloregruppen übrig. Rap in den Minderheitssprachen wird daher als ein Anzeichen für die Weiterentwicklung der urbanen nationalen Identität gesehen. In den letzten Jahren machten zum Beispiel tatarische (vgl. Pliakov/Omelchenko/Garifzyynova 2020), udmurtische (Shoozymade), burjatische (Hathur zoo) Rapper*innen von sich reden. Eine besondere Subgenre bildet „Kaljannyi Rap“ („Shisha-Rap“), der häufig abwertend als „Hatsch-Rap“10 bezeichnet wird: meist russischsprachig, aber von Artists aus dem Kaukasus oder Zentralasien produzierter Rap mit Einflüssen orientalischer Musik. Dass HipHop als solcher von kulturkonservativen Kreisen als Gefahr für die Jugend und „kulturfremdes“ Element gesehen wird, hat die Konzertverbotskampagne im Herbst 2018 gezeigt (vgl. Kazakov 2019). Am Ende einer mehrmonatigen Debatte, in welcher einige Stimmen gar das Verbot von Rap forderten, stand das Verdikt von Präsident Wladimir Putin. Er erklärte, eine Tendenz, die man nicht verhindern könne, sollte man anführen. Seitdem bemüht sich der Staat um die Etablierung „positiver Werte“ wie Patriotismus, Sport und Familie in der Gesellschaft, auch mithilfe des Engagements von bekannten HipHopper*innen. Eine per se rebellische Haltung kann der russischen Rap-Szene keinesfalls unterstellt werden. So engagieren sich Timati und Ptacha seit längerem für Pro-Putin-Projekte. Bezeichnenderweise ging der Rapper Hasky, der 2018 als erster von den Repressionen betroffen war, 2022 freiwillig an die Front. Ebenfalls stark im ProKrieg-Lager engagiert sind Rich und Akim Apachew. Bekannt für seine Pro-Volksrepubliken-Position ist auch aus Donezk stammende Wlad Walow. Damit sind sie allerdings in der Minderheit, denn wie Haskys und Richs Freund, der Schriftsteller, Politiker und Gelegenheitsrapper Sachar Prilepin, gern beklagt, haben die meisten bekannten Rapper*innen sich eindeutig gegen die „Spezialoperation“ positioniert (vgl. Prilepin 2022).
Literatur Iossarian, Ivan (2007): Lekcii po istorii rossjskogo chip-chopa: Vlad Valov. In: Billboard. 1. S. 50–52. Kasakow, Ewgeniy (2017): ‚Under Any Form of Government, I Am Partisan’: The Siberian Underground from Anti-Soviet to National-Bolshevist Provocation. In: Fürst, Juliane/McLellan, Josie
10 „Hatsch“ ist eine rassistische Bezeichnung für Menschen aus dem Kaukasus.
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(Hrsg.): Dropping Out of Socialism: The Creation of Alternative Spheres in the Soviet Bloc. Lanham, MD, London: Lexington Books, S. 179–206. Kazakov, Evgenij [Kasakow, Ewgeniy] (2019): Wider den „Niedergang der Nation“. Die Kampagne gegen Musiker in Russlands Regionen. In: Osteuropa 69, H.5, S. 107–122. Kolston, Pol [Colston, Paul] (1989): Hit-parad. London-87. In: Leninec, H. 11–14, S. 6. Kukulin, Ilya (2020): Playing the Revolt: The Cultural Valorization of Russian Rap and Covert Change in Russian Society of the 2010s. In: Russian Literature.1, 118). S. 79–105. Kušnir, Aleksandr (1999): 100 magnital’bomov sovetskogo roka. 15 let podpol’noj zvukozapisi. Moskva: Agraf. Nilov Stepan/Petrov, Andrej (2019): „Uslyšal, kak menja obzyvajut tim slovom, i mne stalo veselo. www.meduza.io/feature/2019/12/25/uslyshal-kak-menya-obzyvayut-etim-slovom-i-mne-staloveselo (Abfrage: 15.12.2022). Omelchenko, Elena/Pilkington, Hilary/Garifzianova, Albina (Hrsg.) (2010): Russia‘s Skinheads: Exploring and Rethinking Subcultural Lives. London/New York: Routledge. Poliakov Sviatoslav/Omelchenko Elena/Garifzyanova Albina (2020): Holding onto your roots: Tatarlanguage rap in post-soviet Kazan. In: Popular Music and Society. 43. H4. S. 401–413. Prilepin, Zachar (2022): Ohne Titel. www.prilepin.livejournal.com/tag/%D0%A5%D0%B0%D1%81%D0%BA%D0%B8 (Abfrage: 15.12.2022). Riordan, Jim (1989): Teenage Gangs, ‚Afgantsy’ and Neofascists. In: Riordan, Jim (1989): Soviet Youth Culture. London: Macmillan, S.122–142. Rondarev, Atrëm (2017): „Naš veikij poėt Oksimiron“. www.the-village.ru/city/2017/296122-oxybog?from=infinite_scroll (Abfrage: 15.12.2022). Tarasov, Aleksandr (2000): Britogolovye. Novaja fašistskaja subkul#tura v Rossii. In: Družba narodov, 2, S. 130–150. Titomir, Bogdan (2011): Rėp pobedil šanson. RnD www.web.archive.org/web/20220120074624/www.sobaka.ru/rnd/oldmagazine/glavnoe/9269 (Abfrage: 15.12.2022). Troickij, Artemij (1990): Pop-leksikon. Novosibirsk: ASK-Interprint. Werkmeister, Christian (2020): Jugendkultur im „punkigsten Land der Welt". Inoffizielle Musikszenen und staatliche Kulturpolitik in der späten Sowjetunion, 1975-1991 [Forschungen zur osteuropäischen Geschichte; Bd. 88]. Wiesbaden: Harrasowitz. Volodin, Aleksej (2012): Vspominaem i molimsja. www.gazeta.ru/culture/2012/03/27/a_4107917.shtml (Abfrage: 15.12.2022). Voronin, Il’ja/Codikov, Oleg (2016): Didžej Janis o sovetskich disk-žkoejach. web.archive.org/web/20161216191836/http://mixmag.io/article/63254 (Abfrage: 15.12.2022). Zaikin, Aleksandr (1993): Festivali: Zvezdy belych nočej. In: TV Rev’ju. H. 22, S. 9.
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Gipsy Mafia: Wenn HipHop zur Notwendigkeit wird Interview der Herausgeber*innen mit Ferid und Emrah Ajeti
„Sicheres Herkunftsland“ – Gipsy Mafia (2016) Sicheres Herkunftsland, ja da komm ich her Als Z*1 bist du sicher wie Flüchtlinge auf dem Meer […] Balkan Staat, abgeschoben. Das ist die Parole jetzt Denn „Z* nicht Willkommen" wäre einfach zu viel Stress Asylpaket Nr. 2 – Deutschland darf jetzt wieder jubeln Parallel dazu wird schon wieder ein Bruder totgeprügelt Mein Land ist sicher – das beweisen Ghettos uns so sehr Aber sehe immer noch im Kosovo die Bundeswehr 32 Milliarden werden für Waffen ausgegeben Doch nur ein Bruchteil könnte tausende Menschen retten Mein sicheres Herkunftsland, wo Z* darauf achten, wo sie sind Denn schon die falsche Straße bringt den Knüppel ins Gesicht Das sichere Herkunftsland, wo dich niemand haben will Abgeschoben heißt in die Dunkelheit aus dem Licht […] Das sichere Herkunftsland mit fast 600 Slums Doch die Zahl geht runter, denn sie werden abgebrannt […] Mein Herkunftsland, woher komme ich überhaupt Ich will 'ne Reise um die Erde aber komme hier nicht raus. Ich will die ganze Welt sehen und da sein, wo es anders ist.
Gipsy Mafia ist eine HipHop-Band aus Serbien und Deutschland, die sich über ihre Musik hinaus für die Situation von Rom*nja2 in Deutschland und Serbien
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Die rassistische Bezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja wird von der Gipsy Mafia in diesem Song ausgesprochen. Die Herausgeber*innen haben sich für die gekürzte Schreibweise entschieden. Rom*nja ist sowohl Selbstbezeichnung als auch allgemeiner Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe von Menschen, die vor gut 1000 Jahren aus Indien und dem heutigen Pakistan nach Europa gekommen sind. Sie bilden die größte ethnische Minderheit in Europa. Expert*innen sprechen häufig von Roma-Gruppen oder Angehörigen der Roma-Minderheiten, da es zahlreiche verschiedene Untergruppen gibt, die sich in Sprachen, Religionen und Gewohnheiten voneinander
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einsetzt, mittels Aufklärungsarbeit, politischer Bildung und Empowermentarbeit. Gemeinsam mit Kostana Ajeti, Ferids Frau (DJ Koki), bilden die Brüder Ferid (Skill) und Emrah Ajeti (Buddy O.G.) die Band Gipsy Mafia. Gipsy Mafia arbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen, je nach Kontext: In Deutschland geht es ihnen vor allem um Information und Sensibilisierung für die Situation der Rom*nja in Deutschland und Europa. Zu diesen Themen bieten sie auch Workshops auf ihren Konzerten an. In Serbien macht die Gipsy Mafia auch Empowermentarbeit für Rom*nja-Jugendliche. Als Band seid ihr mit Konzerten auf Tour, aber bietet auch Workshops und Infoabende zur Situation von Rom*nja in Deutschland und Serbien an. Verbindet ihr eure Infoabende und Workshops mit euren Konzerten? Ferid Ajeti: Früher waren uns die zusätzlichen Info-Workshops vor allem wichtig, weil wir zunächst nur auf Serbisch rappten und die meisten unserer Songs noch auf Serbisch waren. Wenn wir nur auf der Bühne stehen, verstehen viele unsere Texte nicht ohne Übersetzung. Wir wollten den Leuten in Deutschland mit Videos und Dokumentationsmaterial von Orten, in denen vor allem Roma leben, zeigen, wie die Situation vor Ort ist. Viele im Publikum hören das erste Mal davon. Mittlerweile wissen die Menschen, die uns einladen, wofür wir stehen. Wir würden das sehr gern regelmäßig machen, aber es passt auch nicht in jeden Rahmen. Wir werden auch auf HipHop-Parties eingeladen, auf denen Leute einfach mit dem Kopf nicken wollen. Wir drängen nicht darauf, wenn wir allerdings gefragt werden und die Möglichkeit für Workshops besteht, machen wir es immer gern. Emrah Ajeti: In Serbien haben wir auch schon mit Roma-Jugendlichen Workshops gemacht und ein gemeinsames Konzert gespielt. Sie reisten aus einer Mahala3 an, waren alle etwa 13 oder 14 Jahre alt. Das war natürlich in dem Fall kein
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unterscheiden, bspw. Kalderasch/Kalderaš/Kalderara, Kalé/Kale/Cale oder Lovara/Lowara. Im weiblichen Singular spricht man von Romni (Plural: Romnja), im männlichen von Rom (Plural: Roma) (vgl. Neue deutsche Medienmacher*innen o.D.). Roma-Mahalas bezeichnet in Südosteuropa meist selbstorganisierte Siedlungen nahe größeren Städten, in denen hauptsächlich Rom*nja leben. Roma-Mahalas sind teilweise von den Gemeinden nicht legalisiert, werden vernachlässigt und verfügen nicht über Strom und Wasseranschlüsse (vgl. Heuß 2008). Mahalas sind daher auch eine gesellschaftlich-wirtschaftliche Ausgrenzung, Bewohner*innen haben geringere Bildungschancen, unstetige Arbeit, sind höheren Gesundheitsgefahren ausgesetzt und leben unter dem Risiko der Zerstörung und Plünderung ihrer Wohnviertel durch nationalistische Gruppierungen (vgl. Auer 2019; Gökçen 2012). Nach einer Analyse von Ladányi und Szelényi zu postsozialistischen Mustern sozialer Ausgrenzung argumentieren Harper et al. (2009), dass im Fall von Roma in Zentral- und Osteuropa die von Roma mit niedrigem Einkommen bewohnten Räume während der postsozialistischen Ära ‚rassifiziert‘ wurden und sich Muster der Umweltausgrenzung entlang ethnischer Grenzen intensivierten. Zunehmende Privatisierung von Strom- und Wasserversorgung bedeutet, dass gesell-
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Info-Workshop über Roma, wie wir ihn hier in Deutschland machen würden. Es war ein Workshop für die Roma-Jugendlichen: Es ging um HipHop. Sie lernten von uns die Skills, um von ihrer Situation zu erzählen. Wir haben zunächst vier Gruppen gebildet mit jeweils vier Jugendlichen und alle zusammen an Parts4 gearbeitet. Jede*r sollte etwas schreiben oder reimen und wir probierten anschließend, die Texte mit ihnen auf einen Beat zu rappen. Das Ziel war, Songs für Auftritte zu schreiben, die wir mit den Jugendlichen gemeinsam machen. Am Ende des Projekts gab es vier Auftritte, auf denen alle Jugendlichen einen eigenen Part rappen konnten. Viele von ihnen konnten richtig aus sich herausgehen. Ich denke, das hat ihnen viel Mut und Stärke gegeben. Ferid Ajeti: Am Anfang unserer Workshops gehen wir auf die Geschichte des HipHops ein. Jugendliche heute haben ein ganz anderes Bild von HipHop als wir. Uns ist wichtig, nicht nur zu vermitteln, wie HipHop entstanden ist – also Rap, Beats, Tanz, die Techniken usw., sondern auch weswegen HipHop entstanden ist. Wir gehen auf die Umstände damals ein, beschreiben das Leben in der Bronx in den 1970er Jahren, erzählen von den wichtigsten Akteur*innen, zum Beispiel von Grandmaster Flash. Ein wichtiger Track von damals, für die gesamte HipHop-Geschichte, ist sein Song „The Message“.5 „It's like a jungle sometimes//It makes me wonder how I keep from goin' under//Broken glass everywhere//People pissin' on the stairs, you know they just don't care//I can't take the smell, can't take the noise//Got no money to move out, I guess I got no choice//Rats in the front room, roaches in the back//Junkies in the alley with a baseball bat//I tried to get away but I couldn't get far//Cause a man with a tow truck repossessed my car// Don't push me cause I'm close to the edge//I'm trying not to lose my head//It's like a jungle sometimes//It makes me wonder how I keep from goin' under“ (Grandmaster Flash & The Furious Five 1982).
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schaftliche Verantwortung für die Versorgung von Grundbedürfnissen an private Anbieter ausgegliedert wird. Diese haben rein wirtschaftlich wenig Interesse an der Versorgung rechtlich und wirtschaftlich prekärer Siedlungen. Dieses Zusammenspiel von Rassismus, der Segregation der Roma und von neoliberalem Kapitalismus ist zentrales Thema für Gipsy Mafia. Parts: Textteile innerhalb eines Rap-Songs, z. B. einzelne Verse, Strophen oder ein Chorus. „The Message“ performt von Grandmaster Flash and the Furious Five, geschrieben von Duke Bootee, veröffentlicht 1982, beschreibt als sozialer Kommentar eine urbane Armutssituation mit Verwahrlosung, Kriminalität und Perspektivlosigkeit für Jugendliche. Der Song gilt als die Blaupause der Rapmusik, welche den inhaltlichen Ausdruck von HipHop Songs wandelte. Lag der Fokus zuvor auf DJ Mixing, Beats und Breaking, wandelte sich HipHop von einer Partymusik zu einer sozialen Plattform, welche die Inhalte, Lyrics und Gedanken der Rapper*innen in den Vordergrund rückte (vgl. Kreps 2021).
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Ferid Ajeti: Ich finde, diesen Track sollten die Jugendlichen einfach kennen. Wenn sie die Hintergründe der Lyrics verstehen und sich hineinfühlen können, verläuft der Workshop auch anders. Man hört dann nicht: „Mein Onkel hat ein geiles Auto, lass mal darüber schreiben.“ Der Workshop bekommt mit der geschichtlichen Einordnung eine andere Richtung. Anders als beispielsweise bei Workshops mit Jugendlichen in Frankfurt, haben wir in Serbien keinerlei Technik, keine Mikrofone, keinen Mixer, keinen bereitgestellten Laptop. Da es wenig Equipment gibt, nimmt das Erzählen und Diskutieren im Workshop viel mehr Raum ein und wir reden dann viel mehr über HipHop. Daraus entstehen spannende Diskussionen mit den Jugendlichen. Rap hat heute einen ganz anderen Stil als in den 1980er oder 1990er Jahren und sie nehmen HipHop oft ganz anders wahr als wir. Die alten Stile sind aber oft die, die wir im Workshop präsentieren. Wie unterscheiden sich eure Workshops mit Jugendlichen in Deutschland und Jugendlichen in Serbien? Ferid Ajeti: Auch in Frankfurt haben wir mit marginalisierten Jugendlichen gearbeitet. Sie kamen aus Vierteln mit Bewohner*innen, die mehrheitlich als „Ausländer*innen“ gelesen werden. Die Jugendlichen bezeichneten ihr Viertel selbst als „Ghetto“. Auch hier haben wir als Input Geschichten von den Ursprüngen der HipHop-Szene und alte Rap-Songs genutzt. Zum Beispiel erzählen wir von Kool G Rap6. Er gilt als einer der Begründer des Straßenrap. Seine Texte thematisieren Gewalt, Drogen, Armut, Perspektivlosigkeit und Kriminalität, Männlichkeitsvorstellungen und Sexismus. Kool G Rap „Streets of New York“ “I'll explain the man sleeping in the rain//His whole life remains inside a bottle of Night Train//Another man got his clothes in a sack//'Cause he spent every dime of his rent playing blackjack//And there's the poor little sister//She has a little baby daughter//Named Sonya, and Sonya has pneumonia//So why's her mother in a club unzipped though?//Yo, that's her job, Sonya's mommy is a bar stripper//Drug dealers drive around looking hard//Knowing they're sending their brothers and sisters to the graveyard//Every day is a main event, some old lady limps//The pushers and pimps eat shrimps//It gets tiring, the sight of a gun firing//They must desire for the sound of a siren//A bag lady dies in an alleyway//She's seen the last of her days inside the subways“ (Kool G Rap 1990).
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Kool G Rap ist ein US-amerikanischer Rapper aus Queens, New York, der als einer der einflussreichsten und reimtechnisch versiertesten Rapper der HipHop Geschichte sowie als Pionier des Straßen-Raps gilt und über Gang- und Mafiakultur rappte (vgl. Cobb 2007).
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Emrah Ajeti: In Serbien haben die Roma-Jugendlichen eine ganz andere Ausgangssituation im Workshop: Für sie ist es häufig eine einmalige Gelegenheit, bei einem HipHop-Workshop dabei zu sein. Das verändert auch unseren Zugang. Die Jugendlichen sind aufgeregt und freuen sich, dass sie die Chance haben, Rappen zu lernen. Wir setzen dann weniger auf die Vermittlung von Werten, die unserer Meinung nach für die HipHop-Szene relevant sind. Stattdessen hören wir zu, stellen Fragen, geben ihnen die Möglichkeit zu erzählen und Texte zu schreiben. Die Workshops sind leider sehr kurz und wir wollen den Jugendlichen so viel Raum wie möglich geben. In den Mahalas läuft viel HipHop. Die Jugendlichen hören alle Rap. Das Image von HipHop ist dort nach wie vor geprägt von Gewalt. Deswegen hören die Jugendlichen auch deshalb Rap. Sie haben es nicht leicht im Leben, sie können sich mit den Geschichten in Rap-Texten und dem Image der Rapper*innen identifizieren. Deshalb ist Rap für sie auch ein Anlass, um von sich zu erzählen. Könnt ihr die Situation beschreiben, in der sich die Roma-Jugendlichen in Serbien befinden? Ferid Ajeti: Das Hauptproblem in Serbien ist, dass Rassismus gegen Roma so ‚normal‘ist. Das wissen die Roma, und das wissen ebenso die anderen Leute in Serbien. Arzttermine, Behördengänge, Bildung – den Roma wird alles erschwert. Wirst du als Roma auf der Straße beleidigt, wird niemand einschreiten. Medien und Gesellschaft verschweigen das Problem. Das Hauptproblem ist also: Es ist Normalität geworden. Emrah Ajeti: Da hat sich auch in den letzten Jahrzehnten nichts getan. Es ist schwierig, irgendetwas zu verändern, denn auch Organisationen für Menschenrechte, ob Roma- oder serbische Organisationen, schaffen es nicht, die Lage für Roma zu verbessern. Wenn man in Serbien jemanden aufgrund von Rassismus anzeigt, dann sind die Erfolgsaussichten für die Klage gleich null. Es gibt kein Verständnis dafür, dass diese Klage berechtigt ist. Ferid Ajeti: Vorfälle werden komplett ignoriert. Sie werden erst gar nicht als Rassismus benannt. Sie sind Alltag, normal. Emrah Ajeti: Es gibt nicht einmal ein Wort dafür für diesen Rassismus. Es gibt keine Entsprechung für den Begriff „Antiziganismus“ im Serbischen. Ferid Ajeti: Selbst Morde an Roma werden nicht thematisiert. Man erfährt davon nicht, es sei denn, man ist Rom oder Teil der Community. Wenn es zu Gewalt zwischen Roma kommt, dann werden diese in der Öffentlichkeit kommentiert. So nach dem Motto: „In der Mahala geht’s ab.“ In Belgrad wurde 1997 ein 13-Jähriger
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Roma von vier serbischen Teenagern und jungen Männern auf offener Straße totgeschlagen, in der Hauptstadt, am helllichten Tag.7 Die Täter wurden nach kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen. Obwohl sie jemanden ermordet hatten, kam es bei einigen nicht zur Verurteilung. Wie seht ihr die Situation für Roma in Deutschland? Emrah Ajeti: Hier ist die Diskriminierung im Alltag, zum Beispiel auf der Arbeit, auch präsent, aber sehr subtil. Manchmal ist es nicht sofort als Diskriminierung zu erkennen. In Serbien ist der Rassismus gegen Roma offen und gewaltvoll. In Deutschland findet er eher versteckt statt, beispielsweise wenn Roma in Bewerbungsverfahren benachteiligt werden und es nicht einmal in die Vorauswahl schaffen. Ferid Ajeti: Es macht den Eindruck, als sei Rassismus gegen Roma kein relevantes Problem, man liest auch wenig darüber in den Zeitungen. Ich würde sagen, das liegt auch daran, dass zu wenige Roma auf das Problem aufmerksam machen. Sie verschließen die Augen vor dem Problem und wollen Vorfälle nicht melden. Es gibt dazu auch keine Schlagzeile in den Nachrichten. Da nehme ich persönlich auch Roma in die Verantwortung. Denn auch sie machen die Augen zu, wollen selber nichts melden, schaffen keine Aufmerksamkeit dafür. Daher glauben Menschen, dass sie mit Antiziganismus durchkommen. Gibt es in Deutschland ein Bewusstsein für Rassismus gegenüber Sinti und Roma und rassistische Vorfälle gegen Sinti*zze und Rom*nja? Emrah Ajeti: Wir leben in Baden-Württemberg. Häufig wissen Menschen nicht, was mit dem Wort „Roma“ gemeint ist. Dann folgen häufig Fragen wie: „Kommst du aus Rumänien oder aus Italien?“. Das Z-Wort8 jedoch kennen alle. Es gibt noch immer kein Bewusstsein für die negative und rassistische Konnotation des Wortes. Das erschreckt mich. Vielleicht ist das in anderen Bundesländern anders.
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Der Mord an Dušan Jovanović wurde seitdem zum Symbol für rassistische Gewalt gegen Roma. Nur zwei von vier Tätern wurden verurteilt, jeweils zu 10 Jahren Haft, aber bereits nach sechs Jahren entlassen. Der Hauptangeklagte sagte im Gerichtssaal, dass er die Tat nicht bereue. Die anderen beiden Täter entgingen der Anklage. Zeugen und vorbeikommende Passanten schritten nicht ein. Die Mutter des Jungen verkraftete den Tod ihres Sohnes nicht und verstarb 2015 an Suizid; kurze Zeit später verstarb auch der Vater (vgl. Ryšavý/Albert 2022). Ferid und Emrah haben im Interview die rassistische Bezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja ausgesprochen, die Herausgeber*innen haben beschlossen, dies in der Publikation nicht auszuschreiben.
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Ferid Ajeti: Menschen beleidigen sich aber auch mit dem Z-Wort, von daher gehe ich davon aus, dass sie die Bedeutung kennen und auch wissen, dass es nicht positiv besetzt ist. Leider machen das manchmal auch Roma untereinander. Wie seht ihr mit Blick auf eure eigene Identität einen Song wie „Geuner“ von Sido? Emrah Ajeti: Als der Song rauskam, war das für mich der erste deutsche HipHopTrack, in dem es um Roma ging. Ich war erstmal beeindruckt und fand es einfach krass: Man redet über uns! Ein paar Jahre später waren mir die Klischees im Song viel bewusster. Ich hatte inzwischen dazu gelernt, wie Antiziganismus in Deutschland aussieht und welche Vorurteile gegenüber Roma es hier gibt. Sido ist selber Sinto. Im Video zum Song wird eine Roma-Community gezeigt, die sich als Gangster und Kriminelle präsentieren. Das ist das Gegenteil von Aufklärungsarbeit. Ich würde mir den Song nicht mit Jugendlichen anschauen, egal, ob sie Roma sind oder nicht. Ferid Ajeti: Ich habe den Song anfangs auch gefeiert. Vor allem aus dem Grund, dass Sido diesen Track nicht hätte machen müssen. Er hätte nicht sagen müssen, dass er Sinto ist. Dass er sich geoutet hat, hat mir wirklich gefallen. Aber als erfolgreicher Musiker hat er viel Macht. Unendlich viele Leute hören ihm zu. Er hätte das viel besser machen können. Im Song werden gängige antiziganistische Klischees wie Diebstahl und Tanzen reproduziert, gefolgt von der Zeile: „Mein Onkel sagt, so ist das bei uns.“ Die Zeile „So ist das bei uns“ wird mehrere Male wiederholt. Da wird nichts erklärt oder aufgeklärt. Das ist mir zu simpel. Stellt ihr euch zu Beginn eurer Workshops als Roma vor oder wartet ihr eher ab, ob das Thema eingebracht wird? Und wie geht ihr damit im Rahmen eines Workshops um, wenn Jugendliche diskriminierende Begriffe verwenden? Emrah Ajeti: Wir versuchen schon, uns am Anfang des Workshops als Roma vorzustellen, auch um einen positiven Einstieg ins Thema zu finden. Uns ist auch wichtig, dass politische Themen, Rassismus und Diskriminierung im Workshop thematisiert werden können. Aber die Vorstellung soll erst einmal unabhängig davon sein und nicht direkt zu den schweren Themen führen. Ferid Ajeti: Natürlich wollen wir mit der Vorstellung dem Workshop auch eine Richtung geben. Nicht alle HipHop-Workshops sind gleich. In einem Workshop, der vor allem Rap und Autotune zum Thema hat, wird vermutlich eher eine Reihe sehr ähnlicher Rap-Songs von Jugendlichen produzieren. Wenn man sich am Anfang positioniert, dann können sich die Jugendlichen selbst ein Bild machen und werden direkt zum Nachdenken angeregt. Durch unsere Informationen bekom-
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men sie eine genauere Vorstellung von Rassismus gegen Roma. Das hoffen wir zumindest. Ich bezeichne mich immer als Roma, stelle mich auch so vor und versuche das Z-Wort zu vermeiden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Jugendliche das als Erlaubnis auffassen, es ebenso zu benutzen. Die negativen Bilder über Roma sind in erster Linie mit dem Z-Wort verknüpft. Wir kämpfen gegen diese Vorstellungen, indem wir die Konsequenzen der Marginalisierung aufzeigen: die Lage, in der Roma leben müssen, die Mahalas, die Übergriffe. Segregation und Ghettoisierung begünstigen in Serbien die Ignoranz gegenüber der schlechten Lage von Roma. Wir versuchen diesen normalisierten Rassismus in Frage zu stellen und zu brechen. Das ist ein endloser Kampf. Wir stehen auf der Bühne und können darüber berichten. Wir sind die Reporter und hoffen, dass wir die Bilder verändern, in dem wir einfach sind, wer wir sind. Da wir als Pioniere von politischem Roma-Rap gelten, werden wir oft porträtiert. Das Goethe-Institut Belgrad produzierte mit uns den Film „I am what I am“, der derzeit noch auf Festivals läuft, aber auch von uns bei Veranstaltungen gezeigt wird.9 Es gab kürzlich eine TV-Doku über das Leben der Roma, dazu ebenso einen Podcast. Wir kämpfen für die Rechte der Roma und wollen nicht einfach nur mit unserer Musik berühmt werden. Es geht nicht um finanziellen Erfolg, wenn wir noch so viel verändern müssen. Ferid Ajeti: Wichtig ist uns, dass die Menschen die Texte checken. Es geht nicht um uns als Person, es geht auch nicht darum, wie wir aussehen. Es geht uns darum, dass wir mit Rap die Leute erreichen und dass wir was zu sagen haben. Das ist unser Verständnis von HipHop. Haben Jugendliche dasselbe Verständnis von Rap? Ferid Ajeti: Kapitalismus gab es schon vor HipHop, materialistisches Denken gibt es auch im HipHop. Aber heute scheinen Jugendliche Rap vor allem mit Reichtum und Macht zu verbinden. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Old SchoolRap und aktuellen Rap und das versuchen wir Jugendlichen zu vermitteln, zum Beispiel durch die Methode des Songvergleichs. Wir haben das erst vor Kurzem eingesetzt: Wir haben den Song „My Adidas“ von Run DMC mit dem Song „Gucci Gang“ von Lil Pump verglichen. Der Song „My Adidas“ dreht sich nicht darum,
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2019 wurde vom Goethe-Institut Belgrad und der Regisseurin Andrijana Stojkovic der Film „I Am What I Am – The Story of Gipsy Mafia“ produziert. Der Film begleitet die Band auf einer Tour durch Europa, in Interviews erzählen Ferid und Emrah ihre Geschichte. Der Film lief europaweit auf Filmfestivals. Derzeit ist er noch nicht online verfügbar, kann aber über Gipsy Mafia angefragt werden.
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dass der Schuh Tausende von Dollar kostet und sich zum Angeben eignet.10 Vielmehr thematisiert „My Adidas“ den HipHop-Lifestyle, eine eigene Lebensperspektive. Beide Songs haben also eine Marke zum Thema, sind aber komplett verschieden. “My Adidas//Walk through concert doors//And roam all over coliseum floors// I stepped on stage, at Live Aid//All the people gave and the poor got paid//And out of speakers I did speak//I wore my sneakers but I'm not a sneak//My Adidas touch the sand of a foreign land//With mic in hand, I cold took command//My Adidas and me close as can be//We make a mean team, my Adidas and me//We get around together, we down forever//And we won't be mad when caught in bad weather//[…]//Me and my Adidas do the illest things//We like to stomp out pimps with diamond rings//We slay all suckers who perpetrate//And lay down law from state to state//We travel on gravel, dirt road or street//I wear my Adidas when I rock the beat//[…]// We started in the alley, now we chill in Cali//And I won't trade my Adidas for no beat up Bally's//My Adidas“ (Run DMC 1986).
Der Lifestyle und die Liebe für den adidas Superstar stehen symbolisch für alles, was man sich erkämpft hat im Leben. Sie stehen für den eigenen Platz in der Gesellschaft. Es geht nicht einfach um Materialismus, es geht um den eigenen Lebensweg, um Gewalterfahrungen ebenso wie darum, endlich sichtbar und erfolgreich zu sein. Der Song „Gucci Gang“ hingegen ist die übliche, banale Mischung aus Sexismus und Markenfetisch (Lil Pump 2017). Es wird betont, dass Gucci eine teure Marke ist, die sich nicht jeder leisten kann. Uns ist wichtig, dem etwas entgegenzustellen. Jugendliche werden von einem Luxus-Lifestyle angezogen, da er Macht bedeutet. Run DMC wollten HipHop und die Breaking-Kultur der 1980er Jahre präsentieren. Es ging dabei nicht um Macht, sondern um Selbstermächtigung. Die eigene Einzigartigkeit sollte dargestellt werden: „Ich trage vielleicht den gleichen Schuh, die gleiche Jacke – aber ich trage sie anders.“
Literatur Auer, Dirk (2019): „Vertrieben, vergessen und vergiftet“. Die Roma sind die vergessenen Opfer des Kosovo-Konflikts. www.rosalux.de/publikation/id/40515/vertrieben-vergiftet-und-vergessen (Abfrage: 23.11.2022). Cobb, William Jelani (2007): To The Break of Dawn: A Freestyle On The Hip Hop Aesthetic. New York: New York University Press. Gökçen, Sinan (2012): „Evicted Roma face attacks in new Belgrade settlement“. www.errc.org/pressreleases/evicted-roma-face-attacks-in-new-belgrade-settlement (Abfrage: 23.11.2022).
10 Das hier beschriebene Modell adidas Superstar kostete in den 1980er Jahren um die 20 Dollar, weshalb er auch so beliebt unter Jugendlichen (nicht nur) in der HipHop-Szene war.
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Harper, Krista M./Steger, Tamara/Filčák, Richard (2009): „Environmental Justice and Roma Communities in Central and Eastern Europe“. In: Environmental Policy and Governance. 19. 251–268. Heuß, Herbert (2008): Civil Society, Desegregation, Antiziganismus, in: Uerlings, Herbert/Patrut, Iulia-Karin (Hrsg.): „Zigeuner“ und Nation. Repräsentation – Inklusion – Exklusion. Frankfurt/Main: Peter Lang, S. 469–481. Kreps, Daniel (2021): Duke Bootee, Rapper and Co-Writer of Hip-Hop Classic ‘The Message,’ Dead at 69. www.rollingstone.com/music/music-news/duke-bootee-dead-1115217/ (Abfrage 27.01.2023). Neue deutsche Medienmacher*innen – Glossar: Rom*nja. glossar.neuemedienmacher.de/glossar/roma-2/ (Abfrage: 27.01.2023). Ryšavý, Zdeněk; Albert, Gwendolyn: „Serbia: 25th anniversary of brutal racist murder of 13-year-old Romani boy“, romea.cz/en/world/serbia-25th-anniversary-of-brutal-racist-murder-of-13-yearold-romani-boy (Abfrage: 23.11.2022).
Songs Gipsy Mafia (2016): Sicheres Herkunftsland. Grandmaster Flash & The Furious Five (1982): The Message. Kool G Rap (1990): „Streets of New York“. Lil Pump (2017): Gucci Gang. Run DMC (1986): My Adidas.
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„Samma uns ehrlich“: HipHop in der Arbeit mit jungen Menschen und in der Offenen Jugendarbeit in Wien Text und Interviews von Stefan Anwander
Wie lässt sich die HipHop- und Angebotslandschaft der (Offenen) Jugendarbeit in Wien skizzieren? Samma uns ehrlich1: Mehr als ein Bildausschnitt oder eben eine Skizze zum Verhältnis von HipHop und Jugendarbeit in der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt wird mir in dem hier vorgesehenen Rahmen nicht gelingen. Um ein multiperspektivisches und aussagekräftiges Gesamtbild nachzeichnen zu können, braucht es mehr als diesen Beitrag und weit mehr Austausch unter Expert*innen der Arbeit in Wien zu diesem kaum bearbeiteten Themenkomplex. Die Grundlage für den folgenden Beitrag sind meine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen als HipHop-sozialisierter Jugendarbeiter bzw. als ‚Grenzgänger‘, der in den letzten Jahren zwischen Offener Jugendarbeit (in weiterer Folge: OJA2), HipHop-Journalismus/-Szene(n) und Universität oszillierte. Weiter basieren folgende Ausführungen auf anonymisierten Expert*innen-Interviews3 und ergänzenden Zitaten aus Fachliteratur. In diesem Beitrag möchte ich zunächst Einblicke in die Wiener OJA und HipHop-/Rap-Landschaft wie auch die hiesige Angebotslandschaft an der Schnittstelle von HipHop und Jugendarbeit geben. Anschließend folgen Ideen zu Lösungsansätzen bezüglich eines infrastrukturellen Aus- und Aufbaus der Wiener Angebotslandschaft. Abschließend werde ich meinen Zugang in Umrissen vorstellen und die Potenziale und Stärken von HipHop und Rap in der Arbeit mit jungen Menschen und besonders in der Offenen Jugendarbeit anhand eigener Projekterfahrungen reflektieren.
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Der Titel eines Songs eines bekannten Wiener Dialektrappers, A. Geh. Wirklich, vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2007. „Samma uns ehrlich“ steht im Wienerischen für Klartext reden oder mit offenen Karten spielen, im HipHop-Jargon würde man Real Talk dazu sagen. Vielfach wird dieser Bereich der Sozialen Arbeit auch als OKJA, also Offene Kinder- und Jugendarbeit, bezeichnet. Unter durch Pandemie-erschwerten Umständen haben sich dankenswerterweise sechs Expert*innen zur Verfügung gestellt, mit denen zwischen 13.12.2021 und 03.02.2022 Interviews geführt wurden. Die Namen sowie Personen- und (Arbeits-)Ortsangaben der Interviewten sind anonymisiert. Sie alle haben ihren Lebensmittelpunkt in Wien, sind zwischen Anfang 20 und Anfang 50 und (teils jahrzehnte-)lang in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und/oder in der Offenen Jugendarbeit tätig (gewesen).
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Ich bin seit Anfang der 1990er HipHop-Fan, seit 2014 in der Offenen Jugendarbeit Wiens tätig und konnte dort Erfahrungen mit HipHop-/Rap-Projekten in der Arbeit mit jungen Menschen sammeln. Darüber hinaus war ich seit 2000 – mit Unterbrechungen – als Journalist für das (Online-)HipHop-Magazin The Message tätig. Daneben hatte ich auch als Lehrbeauftragter an der Universität Wien Mitte der 2010er die Gelegenheit, die HipHop Studies näher kennenzulernen. Meine Leidenschaft im HipHop galt und gilt bis heute dem DJing, vor allem dem Vinyl. Kurzum: Der Funke, der in den 1990ern übersprang, wurde zur Flamme, die bis heute nicht zum Erlöschen kam.
1 Die HipHop- und Rap-Landschaft in Wien Ein (Haupt-)Grund für das in Wien (bzw. Österreich) kaum ausgeprägte Interesse an einem HipHop-Ansatz in der Arbeit mit jungen Menschen lässt sich im gesellschaftlichen Umgang mit HipHop und vor allem Rap finden. Bis heute kursieren dazu überwiegend negative Bilder in der Öffentlichkeit. Zwar ist das Bild von Wien als Musikstadt weit verbreitet, das gilt aber nicht für Wien als Stadt von HipHop- und Rapmusik. Dabei ist die Wiener HipHop-/Rap-Landschaft durch eine lange Geschichte (vgl. Gröbchen et al. 2013; Trischler 2013; 2021; Dörfler-Trummer 2021) und – mittlerweile – große Szenenvielfalt geprägt, die weit über die in Deutschland bekannten Rapper*innen mit Wien-Bezug wie RAF Camora, Yung Hurn, MoneyBoy oder Nazar hinausreicht. Ganz angekommen in der breiten Öffentlichkeit sind HipHop und Rap(-Protagonist*innen) in Wien aber nie. Auch deshalb ist die (populär-)wissenschaftliche Fachliteratur zu HipHop und Rap in Wien dünn.4 Die wichtigsten Informationsquellen, wenn es um aktuelle Entwicklungen geht, sind bis heute szenenahe Medien wie die Radiosendung FM4 Tribe Vibes (ehemals Tribe Vibes & Dope Beats) oder das (Online-)Magazin The Message und in den letzten Jahren der Podcast Wenn nicht mit Rap (WNMR). Es gibt auch eine vielfältige Wiener HipHop- und Rap-HERstory, die sich mit Katharina Weingartner beginnen ließe, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er als treibende Kraft der schon erwähnten Radiosendung „Tribe Vibes & Dope Beats“ ganz wesentlich an der Entstehung einer Wiener HipHop-Szene beteiligt war. Speedy B. von der Crew Die Anderen war Mitte der 1990er die erste weibliche Rapperin aus Wien auf einem Tonträger (vgl. Dörfler-Trummer 2021,
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Bis heute gibt es keine eigene Publikation zur Geschichte, Entwicklung, zentralen Protagonist*innen, Orten (und vielem mehr) von HipHop und Rap in Wien. Bis auf das erst kürzlich erschienene Buch von Frederik Dörfler-Trummer (2021) zu HipHop in Österreich, in dem auch Wien behandelt wird, widmen sich noch ein Kapitel im „WienPop-Buch“ (Gröbchen et al. 2013) und einige Online-Beiträge (bspw. Reitsamer 2018; Schwarz 2018; Trischler 2013; 2021) dem Thema.
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S. 55). Ab da wurde die Wiener Rap-HERStory von einer Reihe weiblicher Künstlerinnen fortgeschrieben (vgl. dazu Braune 2021, S. 76 ff.; Dörfler-Trummer 2021, S.95 ff.). In den letzten Jahren sind auch immer mehr LGBTQIA*- bzw. FLINTA*Künstler*innen mit Rap- und HipHop-Bezug wie Kerosin95 oder Kitana5 in Wien aktiv. T-Ser, Wahlwiener und einer der wenigen BIPoC-Künstler der hiesigen RapLandschaft6, spricht ein Grundproblem an, das auch für die Jugendarbeit relevant ist: „Wenn man in Deutschland ist, spürt man schon, dass es so Leute gibt wie Sido, Kool Savas oder Samy Deluxe, die auch schon seit mittlerweile zehn Jahren Mentoren für andere Leute sind und Talente fördern. Das hattest du in Österreich nie.“ (T-Ser zit. n. Schwarz 2018). Trotzdem wird das Commitment der Wiener Rap-Szene, sich nach dem Prinzip ‚Each One Teach One‘ als Mentor*innen und Vorbilder in der Arbeit mit jungen Menschen und dem Rap-Nachwuchs zu engagieren, von einer Szene-Kennerin als prinzipiell sehr hoch eingeschätzt (vgl. IP6). Allerdings ist laut interviewten Expert*innen nur ein kleiner Kreis von Rapper*innen in der Jugendarbeit tätig. Am häufigsten fiel in diesem Zusammenhang der Name Esra von Esrap, die in den Einrichtungen und Tonstudios der OJA groß wurde(n) und heute zu etablierten Größen der Wiener Rap- und Musikszene zählt. Eine der Expert*innen sieht angesichts dieses kleinen Pools auch einen großen Bedarf beim Empowerment von Szene-Akteur*innen (vgl. IP4).
2 Offene Jugendarbeit in Wien und Österreich7 Einrichtungen der OJA, d. h. die Jugendhäuser/-zentren, und damit physische Orte waren in der Entstehungsgeschichte von HipHop in Deutschland und Österreich von zentraler Bedeutung (vgl. für Deutschland Mager 2007; Wolbring 2015). Mittlerweile hat sich das verändert: „Die ‚typischen Orte‘, an denen sich die Szene formiert und reproduziert (zu denken ist an physische Orte: Clubs, Plattenläden, Jugendzentren), mögen sicher noch Bestand haben. Ein Großteil szenischer Vergemeinschaftung funktioniert mittlerweile aber wohl virtuell – im Netz.“ (Dietrich 2016, S. 14). Dennoch stellen die interviewten Szenekenner*innen fest: Als Infra-
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So rappt sie auf „Grau“: „[…] ich hab‘ ne Miss in meinem Raum, ich fick halt gern mit Frauen, ja, ich fick halt gern mit Frauen […]“ (Kitana 2021). Für T-Ser blieb Rassismus in seinen Texten immer Thema, so bspw. auch nach einer aggressiven Polizeikontrolle in einem Wiener Park, die 2018 stattfand und für einen medialen Aufschrei sorgte, weil T-Ser und seine Akashic Recordz-Labelkollegen den Vorfall mitfilmten (vgl. Trischler 2021, o.S.). Bei den „Black Lives Matter“-Protesten in Wien war T-Ser ebenfalls maßgeblich beteiligt (ebd.). Die vier Säulen der österreichischen Jugendpolitik bzw. der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit umfassen neben der Offenen Jugendarbeit, die verbandliche Jugendarbeit, den Bereich der internationalen Jugendarbeit und die Jugendinformation (vgl. bOJA 2021, S. 11 ff.).
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struktur, als Ort, um sich auszuprobieren und die ersten Ergebnisse zu präsentieren, haben insbesondere Jugendzentren nach wie vor große Bedeutung (vgl. IP2; IP3). Das gilt ebenso für den Face-to-Face-Austausch und das ‚Communitybuilding‘ (vgl. IP4). Ein Experte sah in den Jugendzentren gar einen der wenigen Räume für den HipHop-Nachwuchs, der noch nicht kommerzialisiert wurde (vgl. IP3). Aktuell gibt es in Wien über 110 Einrichtungen (vgl. Kern-Stoiber 2021, S. 1933) von knapp 20 kleinen, mittelgroßen und großen Trägervereinen, an denen auch die mobile Jugendarbeit angedockt ist.8 Die 12- bis 18-jährigen bilden die Mehrheit der Nutzer*innen der Angebote der OJA in Wien, mehr als zwei Drittel davon sind männlich (vgl. für Gesamtösterreich bOJA 2021, S. 34; Gspurning/Heimgartner 2016, S. 60; für Wien Güngör/Nik Nafs 2016, S. 15). Die offene Jugendarbeit wird von der Stadt Wien finanziert. Ähnlich wie in Deutschland ist auch in Österreich die Jugendarbeit in den Städten besser ausfinanziert und breiter aufgestellt als auf dem Land. Die Prinzipien der OJA variieren zwischen den veröffentlichenden Fachstellen und Autor*innen 9. Jene Prinzipien, die mir für die Arbeit mit jungen Menschen im Allgemeinen – und auch in der Jugendarbeit mittels HipHop – hilfreich erscheinen, sind: Potenzial- und Ressourcenorientierung, Empowerment, Partizipation, Lebensweltorientierung, Bedürfnisorientierung, Niederschwelligkeit, diversitätssensibles Arbeiten, Fehlerfreundlichkeit, Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Offenheit, Bildung, Sozialraumorientierung, Beziehungsorientiertes Arbeiten, ein genderreflektierter Zugang, interkulturelle Sensibilität. Das Methodenrepertoire der OJA ist vielfältig und bezieht sich auf unterschiedliche (Methoden-)Traditionen Sozialer Arbeit wie etwa die lebensweltorientierte Einzel- und Gruppenarbeit, Gemeinwesen- und Sozialraumarbeit, Straßensozialarbeit, Jugendkulturarbeit, soziokulturelle Animation oder Freizeit-, Erlebnis- und Medienpädagogik (vgl. Diebäcker/Hofer 2018, S. 183; bOJA 2021, S. 62). Die Angebote der OJA werden gegliedert in den Offenen Bereich, Workshops/Projektarbeit, Jugend- und Subkultur, Partys, Disco und Events, Ausflüge, Lernen sowie Beratung und Sozialarbeit, quer dazu liegen gender- und migrationsspezifische Angebote (vgl. Gspurning/ Heimgartner 2016, S. 30 ff.). Der Großteil der hier genannten Prinzipien, Methoden und Angebote eignet sich zum Umsetzen von HipHop-basierter Jugendarbeit. Laut den Ergebnissen qualitativer Interviews gibt es in den Einrichtungen der OJA Österreichs nur ganz selten spezifische Angebote für Jungs* (ebd., S. 38). Dabei gibt es – nicht nur hierzulande und nicht nur in der OJA – einen wachsenden
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In Wien sind wie in Österreich die beiden zentralen Ausprägungsformen Offener Jugendarbeit die standortbezogene und die mobile Jugendarbeit (vgl. bOJA 2021, S. 17). Ebenfalls je nach Fachstelle und Autor*in unterschiedlich werden diese Prinzipien mal als Grundund Arbeitsprinzipien (vgl. DOJ 2018), mal als Arbeitsprinzipien und fachliche Orientierungen (vgl. bOJA 2021), mal als Arbeits-, Grund- und Handlungsprinzipien (vgl. BKA 2019) gefasst.
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Bedarf nach Jungenarbeit. Diese sollte Männlichkeit(-en) als „Experimentierfeld“ (Meuser 2021, S. 390 ff.) eröffnen helfen, Orientierung jenseits tradierter Männlichkeitsbilder geben und vor allem mehr sein „als eine ‚Feuerwehr-Pädagogik‘ […], die dann zum Einsatz kommt, wenn Jungen Probleme machen.“ (Meuser 2013, S. 56) Wie HipHop in der Jungenarbeit eingesetzt werden kann, zeigt zum Beispiel Dennis Just in diesem Sammelband.
3 Angebotslandschaft an der Schnittstelle von HipHop und Offener Jugendarbeit in Wien HipHop und Rap und der Umgang damit in der Jugendarbeit – vom Verbot bis hin zum Angebot – sind laut zwei Expert*innen (vgl. IP1; IP3), die seit der Jahrtausendwende in diesem Bereich tätig sind, schon lange und immer wieder ein Thema der OJA Wiens gewesen. Im Zuge der Entwicklung spezifischer HipHopund Rap-Angebote in der Wiener OJA sind in den letzten Jahren auch Infrastrukturen für junge HipHop- und Rap-Fans geschaffen worden, die teils bis heute Bestand haben. Wie zwei Expert*innen bestätigen, brachen zwar mit und während der Pandemie diese Infrastrukturen für hiphop-/rap-affine Jugendliche aus ihren Reihen fast völlig weg (vgl. IP3; IP4). Aber wie bereits angedeutet gab es schon vor der Pandemie Angebote an der Schnittstelle von Jugendarbeit (im weitesten Sinne) und HipHop in Wien, die sich in den letzten Jahren etabliert haben10. Die folgende Auswahl hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weil mit diesem Überblick zur Angebotslandschaft Wiens Neuland betreten wird. Hinsichtlich der Machbarkeit einer überblicksmäßigen Landkarte sei auch noch vorausgeschickt, dass es dafür wenige Anhaltspunkte und kaum entsprechende Literatur gibt, schon gar keine umfassenderen Projektberichte oder extern und wissenschaftlich begleitete Evaluationen. Erschwerend kommt diesbezüglich noch hinzu: Viele Angebote erfahren, wie eine*r der Expert*innen anmerkte, wenig Sichtbarkeit (vgl. IP2). Das vielleicht unter Wiener Jugendarbeiter*innen bekannteste und breitenwirksamste Angebot an der Schnittstelle von HipHop und Jugendarbeit ist das Event Heast! HipHop Openstage (in weiterer Folge nur Heast), eines von mehreren
10 Weil hier langjährige Angebote im Fokus stehen, sei in dieser Fußnote noch auf die 2021 erst- und bisher einmalig organisierte Eventreihe Essentials Tour hingewiesen, die von zwei Wiener SzeneAkteur*innen – Philiam Shakesbeat und Ines Kolleritsch a.k.a. Kerosin 95 vom Verein Bummtschacksocialclub – innerhalb eines Monats umgesetzt wurde. Die Tour fand in Parks und Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit statt und neben Tanz- und Graffiti-Workshops gab es auch LivePerformances von Rapper*innen und DJ*s (Nowak 2021).
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Angeboten von wienXtra11 bzw. der wienXtra-Soundbase12. Seit Mitte der 2010er gibt es monatlich diese offene Bühne für aufstrebende Rapper*innen, Beatboxer*innen und Producer*innen in einer professionellen Location (B72) für alle jungen Menschen bis 26. Einer Expert*in zufolge ist das Gros der Teilnehmer*innen zwischen 17 und 20 Jahren alt (vgl. IP5). Laut Expert*innen ist das Heast allerdings stark (zu ca. 80 Prozent) von männlichen Teilnehmern dominiert (vgl. IP4; IP6). Im Sommer gibt es seit einiger Zeit auch die mobile Version davon, das HOT (Heast On Tour). Es gibt eine klare Policy13 beim Heast, um einen Safer Space für die Teilnehmer*innen zu schaffen, was laut einer Interviewpartnerin auch das Alleinstellungsmerkmal des Heast ist (vgl. IP4). Ein multiprofessionelles Team aus Moderation und Mitgestalter*innen übernimmt die pädagogische Begleitung bei den Events. Außerdem veranstaltet die wienXtra-Soundbase auch immer wieder Rap- und Producer*innen-Workshops mit Szene-Akteur*innen als Anleiter*innen14. Daneben bietet das KUS Soundproject als Teil der Kultur-Schiene des KUSNetzwerk für Berufsschüler*innen und Lehrlinge Wiens und Umgebung regelmäßig Rap- und Producer-Workshops an, die von anerkannten Szene-Akteur*innen durchgeführt werden. Auch das Soundproject veranstaltet immer wieder Events, bei denen Nachwuchskünstler*innen erste Liveauftrittserfahrungen sammeln können, allerdings nicht in der Regelmäßigkeit und ohne den HipHop-Fokus des Heast. Für junge Breaker*innen existiert seit Ende der 90er der Breaker*innenclub, der im Programm von JUVIVO 09 stattfindet, einer von mehreren Einrichtungen des mittelgroßen Trägers JUVIVO. Der Breaker*innenclub läuft nach Angaben eines Begleiters des Angebots seit langer Zeit selbst organisiert, seine Einrichtung ist vor allem im Hintergrund tätig, z. B. bei Förderungen und anlässlich der Vereinsgründung. Ihm zufolge wäre der Breaker*innenclub heute aufgrund der langen Laufzeit, Konstanz und Kontinuität ein Treffpunkt verschiedener Generationen (vgl. IP3).
11 Genau genommen sind (fast) alle Angebote von wienXtra nach Stoik/Kellner (2013, S. 5 f.) der ÜKJA, d. h. der überregionalen Kinder- und Jugendarbeit, zuzuordnen: „Der Ausgangspunkt der Angebote sind weniger nur lokale, sozialräumliche Bezüge, sondern auch Lebens- und Ausdrucksformen von Kindern und Jugendlichen als (medien-)gesellschaftliche Entwicklungen, die sich auch in anderen internationalen Großstädten bzw. im Kontext virtueller Welten zeigen. […] Die Angebote befinden sich an der Schnittstelle zwischen der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und den städtischen Institutionen.“ (Stoik/Kellner 2013, S. 6). 12 Die WienXtra-Soundbase ist die Musikschiene von WienXtra und eine von mehreren Einrichtungen dieser Organisation. 13 So steht auf der Homepage zu dem Event: „Wir weisen darauf hin nur respektvolle Texte zu verwenden – keine diskriminierenden, sexistischen und homophoben Inhalte.“ (Abfrage: 03.01.2023). 14 Eine andere Einrichtung von WienXtra, das Institut für Freizeitpädagogik, ist die zentrale Weiterbildungsstelle für Jugendarbeiter*innen Wiens. Gelegentlich gibt es auch dort (Fort- und Weiterbildungs-)Angebote für Multiplikator*innen zu HipHop und Rap.
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Eine zentrale Infrastruktur sind Tonstudios in Einrichtungen der OJA und davon scheint es in Wien tendenziell mehr zu geben als im Bundesvergleich. Allerdings bestehen m.E. große Qualitätsunterschiede – hinsichtlich beispielsweise Equipment, Leitung/Betreuung oder Raumgröße – unter den Tonstudios. Als ‚Vorzeigeprojekt‘ der Offenen Jugendarbeit in Sachen Tonstudios wird immer wieder das Back on Stage 16/17 -vom größten Träger der OJA Wiens, dem Verein Wiener Jugendzentren – genannt. Das Tonstudio wird seit Ende der 2000er von Shino betrieben, ehemals Produzent von Sua Kaan, die zu den ersten Vertreter*innen der Wiener Straßenrap-Szene zählten. Mittlerweile ist Shino auch Leiter der Einrichtung. Die Wiener Wand ist ein Projekt, das Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, legales Graffiti-Sprayen ermöglichen soll. Mittlerweile existieren über ganz Wien verteilt über 20 solcher legalen Wände. Die Wiener Wand hat eine lange Vorgeschichte und zwar in der Gestalt des Vereins Wiener Graffiti Union (WGU), der Anfang der 1990er gegründet wurde, und dem u. a. Wiener Graffiti-Szenegrößen wie Sand angehörten (vgl. Sand 2006, S. 18). Die WGU sollte als Verein eine Plattform für Aufträge im Rahmen der Jugendarbeit von Backstage, später Back on Stage 10, sein und auch Drehscheibe für selbstorganisierte Graffiti-Veranstaltungen (vgl. ebd.; Etl 2015). Es gibt weitere aktuelle Formate und Vereine, die Jugendarbeit im weitesten Sinne leisten: So nannten Expert*innen in diesem Zusammenhang den Podcast WNMR mit seinen Newcomer*innen-Fokus und -Contests (vgl. IP6) oder im Beatboxing-Bereich den Verein Mundakrobaten (vgl. IP5) Eine Expertin bezeichnete auch Newcomer*innen-Arbeit von Independent-Labels wie Duzz Down San, Honigdachs oder Heiße Luft als Jugendarbeit im weitesten Sinne (vgl. IP6). Die Frage, die sich angesichts dieser Schnittstellen von HipHop und Jugendarbeit stellt, ist, inwiefern diese den im vorangegangenen Kapitel genannten Prinzipien der OJA genügen. Das beginnt schon damit, ob bzw. inwieweit mit diesen Angeboten die vielen unterschiedlichen Jugendlichen bzw. potenziellen Zielgruppen der OJA überhaupt erreicht und abgeholt werden. Die Angebote sind zielgruppenspezifisch weder in die Breite noch in die Tiefe ausdifferenziert, beispielsweise bezüglich Alter, Gender, Herkunft oder Sprache der Jugendlichen und jungen Menschen, die sie nutzen (sollen). Die Angebote sind potenzial- und ressourcenorientiert, bieten Sozialraumorientierung, Empowerment, Partizipationsmöglichkeiten und Offenheit, andererseits ist unklar, für wen sie tatsächlich niedrigschwellig, inklusiv oder lebenswelt- und bedürfnisorientiert sind und wie diversitätssensibel sie konzipiert sind. Als Konstante zieht sich – von der Gründung der WGU in den 1990ern bis heute – durch alle Angebote (methodisch) eine Jugend(kultur)arbeit, die als „Szeneorientierte Jugendkulturarbeit“ (Josties 2008) bezeichnet werden kann, denn im Auf- und Ausbau der HipHop- und Rap-Angebote der (Offenen) Jugendarbeit Wiens waren und sind bis heute – teils federführend – (ehemalige) Szenenak-
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teur*innen oder Szenekenner*innen an der Gestaltung und Umsetzung beteiligt. Vor allem jene Angebote, die Szene-Akteur*innen neben der Musik-/Medienproduktion auch langfristig in die Alltags- und Beziehungsarbeit einbinden – wie bspw. im Falle von Shino bei Back On Stage 16/17 – sollten nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel in der Offenen Jugendarbeit sein. Was sowohl in den Interviews als auch im Rahmen der Recherchen deutlich wurde: Es gibt bis auf wenige Ausnahmen keine genderspezifischen HipHop- und Rap-Angebote in Wien, weder für Mädchen* noch für Jungen*. Gerade in der Jugendarbeit mit HipHop böten sich Jungs*Workshops an: In Rap-Songs ist Männlichkeit regelmäßig ein zentrales Thema und viele Jungs* holen sich dort ihre (Männlichkeits-)Bilder ab. Diese Jungen*arbeit sollte theoriegestützt arbeiten. Eine der größten Herausforderungen in der Jungen*arbeit ist der Umgang mit dem Leitbild von Männlichkeit, der sogenannten „hegemonialen Männlichkeit“ (vgl. Connell 1999/2015). Das Gros der Literatur sieht in der Figur des GangstaRappers die Verkörperung hegemonialer Männlichkeit für die HipHop-Szenen, präziser eine (lokale) Variante der „transnational business masculinity“, nämlich die „rap business masculinity“ (vgl. Süß 2021). Dabei bleibt in der Praxis – wie das Ideal hegemonialer Männlichkeit insgesamt – die hegemoniale Männlichkeit der „rap business masculinity“ für die meisten männlichen Jugendlichen ein kaum erreichbares Ideal. Ob das ‚doing‘ und ‚performing‘ dieser oder anderer hegemonialer Männlichkeiten für Jungen und junge Männer wirklich Vor- bzw. Leitbilder sein sollten, die es zu verfolgen oder zu erfüllen gilt, sollte in der Jungen*arbeit genauso Thema sein wie die Kehr- und Care15-Seiten davon. In den Interviews wurde kein einziges konkretes HipHop- und/oder Rap-Angebot an einem Wirkungsort außerhalb der OJA – wie z. B. Schulen, Haftanstalten – genannt. Vorschläge diesbezüglich blieben allgemein und sehr vage und umfassten Rap-Workshops in JVAs (vgl. IP1) und an Schulen (vgl. IP1; IP3). Neben den Berufsschulen, die durch das KUS-Soundproject abgedeckt sind, wären m.E. als weitere potenzielle Wirkungsorte für HipHop- und Rap-Projekte auch andere Orte der Angebotslandschaft am Übergang von Schule und Beruf (z. B. BFI, NEBA, Jugend am Werk) anzudenken, die mit ähnlichen Jugendlichen zusammenarbeiten wie die OJA. Ich werde hier zum Abschluss wieder ein Bild bemühen, um meinen Gesamteindruck bezüglich der Wiener Angebotslandschaft zu skizzieren: Es gibt einzelne wichtige infrastrukturelle Brückenpfeiler (Heast!, KUS-Soundproject, Workshops, Tonstudios), aber sie wirken ‚disconnected‘ und es fehlt vor allem die Hauptstraße, wo alles oder vieles zusammen läuft. Das widerspricht aber dem Begriff der Infra-
15 Begriffe wie der der „caring masculinity“ oder „inclusive masculinity“ „sind neben dem der hegemonialen Männlichkeit die gegenwärtig am meisten diskutierten Männlichkeitstypen.“ (Meuser 2021, S. 390) Meuser zufolge sind vor allem diese beiden unterschiedlichen Männlichkeitsbegriffe Indikatoren dafür, „dass Männlichkeit zu einem Experimentierfeld geworden ist“ (ebd., S. 392).
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strukturen an sich, denn der „setzt sich aus den beiden lateinischen wörtern ‚infra‘ (unterhalb) und ‚structura‘ (Zusammenführung) zusammen und bezieht sich auf die Verbindung, Verknüpfung und Vernetzung unterschiedlicher gesellschaftlicher Handlungsräume“ (Bieling/Futterer 2021, S. 19). Über die Wirkungsorte der OJA hinaus fehlen überhaupt jegliche Infrastrukturen, die eines solchen Verständnisses gerecht werden würden. Zudem ist fraglich, welche Prinzipien der OJA in den konkreten Angeboten außerhalb der OJA tatsächlich umgesetzt werden (können). Ich würde als langfristigen Lösungsansatz die Bildung eines „Kompetenznetzwerks für HipHop in der Jugendarbeit“ anregen wollen. Dieses Kompetenznetzwerk wäre die erste Anlaufstelle für alle, die in Wien und darüber hinaus, mit jungen Menschen HipHop-Angebote umsetzen wollen. Daneben würde das Netzwerk aber auch Angebote und Methoden für die unterschiedlichen Wirkungsorte entwickeln. Hier könnten folglich Konzepte der Jugendarbeit mit HipHop entstehen, die über das Angebot „Ihr könnt dabei sein“ hinausgehen und somit den Raum für mehr Diversität ebenso öffnen wie für (politische) Bildung mit HipHop. Apropos Bildung: Auch Schulungen, Workshops, Fort- und Weiterbildungen für Multiplikator*innen, Peers und Künstler*innen sollten fester Bestandteil der Arbeit des Netzwerks sein. Im Sinne der Begriffsbedeutung von Infrastrukturen – also Verbindung, Vernetzung und Verknüpfung unterschiedlicher Handlungsräume – könnte das Netzwerk auch als eine Art Dokumentationsstelle fungieren, die HipHop- und Rap-Jugendprojekte aus Wien bzw. Österreich – z. B. mittels einer Datenbank- dokumentiert und erfasst. Diese Dokumentationsstelle wäre auch in punkto Sichtbarkeit und Wertschätzung der vielen Projekte anzustreben, welche für eine breitere (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich würden. Ebenfalls in diesem Sinne wäre der Auf- und Ausbau eines Expert*innenpools aus Szene-Akteur*innen eine der (Haupt-)Aufgaben eines Kompetenznetzwerks. Weitere Aufgaben- und Arbeitsfelder des Netzwerks könnten die externe Begleitung bis hin zur Evaluation von HipHop- und Rap-Projekten oder auch die Erarbeitung von Qualitätsstandards für einen HipHop-Ansatz in der Arbeit mit jungen Menschen sein. Schließlich sollte das Kompetenznetzwerk das Bewusstsein sowohl in der Gesellschaft als auch seitens der Entscheidungsträger*innen schärfen und Aufklärungs- und Übersetzungsarbeit leisten. Das bedeutet, den polarisierenden Debatten um HipHop etwas entgegen zu setzen und immer wieder darauf hinzuweisen, dass HipHop und gerade auch Rap nicht jenseits der gesellschaftlichen Debatten und Entwicklungen stehen: „Rap steht […] nicht außerhalb, geschweige denn wie ein Spiegel, in dem man sich spiegelt, gegenüber der Gesellschaft, sondern ist ein gesellschaftliches Phänomen.“ (Seeliger 2021, S. 11). Vielmehr hängen HipHop/ Rap als soziales Phänomen und Verhältnis „davon ab, wie die Gesellschaft beschaffen ist und wirkt eben auf diese Beschaffenheit zurück. Beide existieren nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen einander“ (ebd.). Und somit war und ist HipHop „eine Arena, die Akteure unterschiedlichster Art dazu einlädt, sich
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zwischen den Stühlen zu positionieren“ (Androutsopoulos 2003, S. 10). An diesem Dialog sollten sich alle Seiten beteiligen können, vor allem auch jene, über die am meisten gesprochen wird. Es sollte dringend ein kritisch-reflektierender, aber durchaus offener Dialog mit den Akteur*innen gesucht werden.
4 Mein Ansatz anhand eigener Erfahrungen mit HipHop- und Rap-Projekten Die Akzeptanz von HipHop-Projekten hängt – und das wahrscheinlich nicht nur in Wien – noch immer stark von Vorzeigeprojekten und einzelnen Protagonist*innen ab. Meine Erfahrungen mit Projekten an der Schnittstelle von OJA und HipHop sind ähnlich wie mit musikbezogener Jugendarbeit im Allgemeinen: Sie sind wesentlich prozesshaft und selten langfristig. Wie auch Josties schreibt: „Musikbezogene Jugendarbeit entwickelt sich prozessual, oft hängt es von personellen Zufallskonstellationen (besonderes Musikinteresse von Jugendlichen und Mitarbeiter*innen) und günstigen Rahmenbedingungen (z. B. geeignete Räume und Fördermöglichkeiten) ab, ob dieser Bereich sich zum Schwerpunkt der Arbeit einer Jugendeinrichtung oder z. B. von Streetwork entwickelt“ (Josties 2019, S. 395).
HipHop hat sich in der Geschichte meiner Tätigkeit in der OJA niemals zu einem Schwerpunkt entwickelt. Das lag nicht an mangelndem Interesse meinerseits – es waren immer punktuelle Projekte, die eben stark von gerade vorhandenen Ressourcen, vom Zufall oder günstigen Rahmenbedingungen abhängig waren und nach meinem Verlassen der jeweiligen Einrichtung nicht weitergeführt wurden. Vor diesem Hintergrund will ich im folgenden Kapitel meinen Ansatz skizzieren und zwar anhand einiger Projekte, die ich in den letzten Jahren haupt- oder allein verantwortlich entwickelte und umsetzen durfte: ein Ansatz, der sich ‚in the making‘ und als ‚work in progress‘ begreift. Als roter Faden zieht sich durch alle meine bisherigen Projekte die Bezugnahme auf zentrale Prinzipien der Jugend(kultur)arbeit und auf die Szeneorientierte Jugendkulturarbeit, die ja – mehr implizit als explizit – auch in den zuvor vorgestellten Projekten zu finden ist (siehe Kapitel 3). In der Arbeit mit jungen Menschen empfiehlt es sich, methodisch vorzugehen: „Szeneorientierte Jugendkulturarbeit ist in der Regel musikorientierte Arbeit. Neben musikalischen sind aber auch andere kreative Ausdrucksweisen wie spezifische Formen des Tanzes (z. B. Streetdance und Breakdance), der bildnerischen Gestaltung (z. B. Graffiti und Airbrush), des Sports (z. B. Skaten) oder szenetypischer medialer Präsentation (z. B. Flyer) verbreitet.“ (Josties/Menrath 2021, S. 1268 f.; vgl. auch Josties 2008, S. 19).
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Im Kontext szeneorientierter Jugendkulturarbeit übernehmen Szene-Akteur*innen im Sinne des Prinzips ‚Each One Teach One‘ selbst maßgeblich die Vermittlung künstlerisch-gestalterischer Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Josties 2018, S. 70; Josties/Menrath 2021, S. 1268), Jugendliche erleben Anleiter*innen mit Szenehintergrund als authentische Vorbilder und alternative Rollenmodelle des Erwachsen-Seins – neben Eltern und Lehrer*innen, die andere Lebenswelten präsentieren (vgl. ebd.). Szeneorientierte Jugendkulturarbeit sieht sich – egal wie erfolgreich aus der Sicht der Jugendlichen – immer wieder unter Legitimationsdruck, weil sie nur in wenigen Fällen durch eine dauerhafte Grundfinanzierung abgesichert ist (vgl. Josties/Menrath 2021, S. 1272; Josties 2008, S. 29). Macht Euren HipHop16 war ein Projekt an der Schnittstelle von (jugend-)kultureller Bildung und musikbezogener Gruppenarbeit, das ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Jugendarbeiter entwickelt und umgesetzt habe. Wie schon dem Titel zu entnehmen ist, war das DIY-Prinzip ein Leitmotiv dieser Veranstaltung. Hier arbeitete ich mit dem Ansatz der Szeneorientierten Jugendkulturarbeit, was vor allem bedeutete, den Jugendlichen bekannte Szene-Akteur*innen in die Arbeit einzubeziehen. Ich konnte mit Average (der auch Trainer der Rap-Workshops beim KUS-Soundproject ist) und PMC Eastblok zwei anerkannte Szene-Akteur*innen als Anleiter gewinnen. Hier war besonders wichtig, Expert*innen an Bord zu haben, die auch als Vorbilder und Identitätsfiguren für die jugendlichen Teilnehmenden fungierten, was einen wesentlichen Bestandteil der Methodik darstellte. Mit einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe – es gab auch zwei Mädchen, die von Anfang bis Ende dabeiblieben – wurde nach einem Intro17 direkt in die Praxis mit Crashkursen und der Erarbeitung eines gemeinsamen Songs übergegangen. Im Verlauf des Workshops bestätigte sich dann auch, wie gut sich Musik (bzw. die Produktion eines gemeinsamen Musikstücks) als Medium der Gruppenkohäsion und -arbeit eignet, vor allem weil die Gruppe sehr heterogen war und sich anfäng-
16 Dieses Projekt war nicht nur vom Titel, sondern auch sonst stark von einem Best-Practice-Beispiel aus Deutschland inspiriert. Der Rahmen dafür war durch den Ablauf des Lehrgangs sehr stark vorstrukturiert, weil das Projekt innerhalb eines bestimmten Zeitraums begonnen bzw. beendet und ein Bericht dazu verfasst werden musste. Es waren schlussendlich sechs Termine zwischen zwei und sechs Stunden (insgesamt über 20 Stunden) in drei Wochen mit der Zielgruppe, darüber hinaus flossen noch unzählige Stunden in die Vor- und Nachbereitung. 17 Am Beginn dieses Intros stand eine adaptierte Variante der „Nadelmethode“, die ich angelehnt an ein bekanntes HipHop-Motto „Put it on the map“ nannte. Die „Nadelmethode“ stammt aus dem Methodenkoffer der sozialräumlich-orientierten Jugendarbeit, sie „ist wahrscheinlich das bekannteste Verfahren im Kontext von sozialräumlichen Methoden oder Sozialraumanalysen." (Krisch 2009, S. 79). Mit der Methode können mit (Steck-/Pinn-)Nadeln charakteristische Orte auf einem Stadtplan markiert werden. Im Fall von „Put it on the map“ sollte mit dieser Methode als (aktivierend-animierender) Eisbrecher ein erstes Kennenlernen ermöglicht werden, da sich die Teilnehmer*innen auf einem Stadtplan Wiens mit Wohnort und ihren Lieblingsort, an dem sie Rapmusik hören, sozusagen erstmalig „verorten“ konnten. Ein weiterer Block dieses Intros widmete sich der Begriffsarbeit und Definitionen von HipHop samt einer Video- und Textanalyse.
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lich untereinander kaum bzw. nicht kannten. Ein Anzeichen dafür waren die – vor allem dann zum Ende des Workshops hin beobachtbaren – unterschiedlichen Formen der Peer-to-Peer-Education unter den jugendlichen Teilnehmer*innen, die keiner besonderen sozialpädagogischen Intervention bedurften und sich quasi von selbst ergaben. Einige zentrale Prinzipien der Jugend(kultur)arbeit, die bei diesem Angebot zum Tragen kamen, waren die Lebenswelt-, Potenzial- und Ressourcenorientierung, Bedürfnisorientierung, Empowerment, (jugend-)kulturelle Bildung, Partizipation, Diversität, Freiwilligkeit, ein genderreflektierter Zugang und Fehlerfreundlichkeit. Selbstkritisch wäre noch hinzuzufügen, dass dieses Angebot recht hochschwellig war (z. B. auch bezüglich der Locations, in denen die einzelnen Workshop-Teile stattfanden) und ich heute viele Teile auch partizipativer und interaktiver gestalten würde, z. B. die Erarbeitung der Geschichte und Entwicklung von HipHop mittels der Methode „Timeline/Zeitleiste“. Das Veranstaltungsformat HipHop im Park wurde während meines Engagements bei einem mittelgroßen Trägerverein der OJA umgesetzt und war ganz in der Tradition der klassischen Jams angelegt. Solche Jams bieten jungen Menschen als Experimentier- und Probierfeld oft eine einzigartige Möglichkeit, sich in kürzester Zeit verschiedenen mit HipHop assoziierten Praxen erstmalig anzunähern sowie die gesamte Vielfalt und Bandbreite von HipHop für junge Menschen bzw. angehende Rap- und HipHop-Fans erlebbar zu machen. Im Währinger Park im 18. Bezirk wurde fast das gesamte Repertoire der Szeneorientierten Jugendkulturarbeit ausgeschöpft.18 Auch hier war es wieder hilfreich für die erfolgreiche Umsetzung, dass sich mehrere Szene-Akteur*innen und hiphop-affine/-sozialisierte Kolleg*innen bei dem Träger zu diesem bestimmten Zeitpunkt im Sommer 2016 zusammenfanden. Mein persönliches Highlight an diesem Tag war die Reunion jener Gruppe junger Menschen, mit denen wir im Rahmen des Workshops Macht euren HipHop bereits zusammengearbeitet hatten und die bei HipHop im Park ihren Song erstmals live vor einem größeren Publikum präsentierten. Schon im Vorfeld der Veranstaltung fanden die Jugendlichen bei den Proben schnell wieder zusammen, vor allem aufgrund der positiven gruppendynamischen Erfahrungen aus dem vorangegangenen Workshop. Die Stimmung und Atmosphäre in der Gruppe waren so gut, dass es nicht so wirkte, als hätten sich die Teilnehmer*innen monatelang nicht gesehen. Zentrale Prinzipien der OJA, entlang derer HipHop im Park konzipiert und umgesetzt wurde, waren u. a. neben dem beziehungsorientierten Arbeiten mit der konkreten Jugendgruppe auch die Lebenswelt-, Potenzial- und Ressourcenorientierung, Empowerment (z. B. durch Entdecken von eigenen neuen Talenten), (jugend-)kulturelle Bildung und Offenheit. Hier wäre u. a. selbstkritisch anzumerken, dass solch ein Jam-Format als einmaliger Event nur an 18 Bei HipHop im Park gab es für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich im HipHop-Tanz, als DJ, als Graffiti-Sprüher auszuprobieren. Dazu gab es auch Beatbox-, Rap- und DJ-Showcases von etablierten Szene-Akteuren. Außerdem fand auch noch ein Futsal-Turnier statt.
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der Oberfläche kratzt, und auch hinsichtlich Nachhaltigkeit unmittelbar nach einem solchen Jam mehrere Vertiefungsworkshops in den unterschiedlichen Praxen des HipHop stattfinden müssten, um mit dem eben geweckten Interesse und der Motivation von angehenden jugendlichen HipHop-Fans schnellstmöglich weiterzuarbeiten. Bei meiner letzten Stelle in der (Mobilen) OJA konnte ich über einen längeren Zeitraum einen jungen Erwachsenen rund um ein Cash for Culture-Projekt19 (im weiteren CfC) begleiten, bei dem es um die Produktion einer Rap-EP ging. Während ich davor ausschließlich in der Gruppenarbeit erste Erfahrungen mit HipHop/Rap-Projekten sammeln konnte, war hier erstmalig Einzelarbeit das methodische Setting, in dem ich mit einem Jugendlichen rund um das Thema „Rap“ zusammenarbeiten durfte. Bei diesem Projekt konnte ich auf die Vorarbeit aus dem Vorgänger-Team aufbauen, die bereits intensiv und langjährig mit dem Jugendlichen und seinen Rap-Texten gearbeitet hatten. Zeitweise war diese Zusammenarbeit eine umfassende Einzelbetreuung. Das reichte von der Vermittlung eines Produzenten(-studios), der Kommunikation mit CfC über Konzertvorbereitungen, Covergestaltung, bis hin zur gemeinsamen Suche nach einem neuen Künstlernamen.20 Dabei konnten in der gemeinsamen Arbeit viele Themen wie Traumata, Verlust, Familie, Freundschaften, Sucht, Gewalt u.v.m. aufgegriffen und verarbeitet werden. Zentrale Prinzipien dieser Einzelarbeit waren neben der schon mehrfach erwähnten Lebenswelt-, Potenzial- und Bedürfnisorientierung vor allem beziehungsorientiertes Arbeiten/Beziehungsarbeit und Ganzheitlichkeit. Selbstkritisch wäre hier vor allem noch das Thema „Abgrenzung“ anzusprechen, da das bei einer derart intensiven Zusammenarbeit rund um eine gemeinsame Leidenschaft nicht immer gut gelingt. Die knappen, eigenen Ressourcen von Jugendarbeiter*innen sollten möglichst gleichmäßig auch auf die vielen anderen Jugendlichen, mit denen abseits von (Rap-)Musik zusammengearbeitet wird, verteilt werden. Fazit: Die hier skizzierten unterschiedlichen Projekterfahrungen sollen zeigen, dass in unterschiedlichen Settings und Angebotsformaten in unterschiedlichen Bereichen in der Arbeit mit jungen Menschen zu HipHop und Rap vieles möglich wird. Dafür braucht es aber mehr finanzielle Unterstützung und vor allem auf Langfristigkeit und Kontinuität in der Beziehungsarbeit angelegte Projekte für eine erfolgreiche HipHop-Jugendarbeit in Wien.
19 Cash for Culture ist ein Programm der Stadt Wien für Jugendliche unter 23, wird von Basis.Kultur.Wien durchgeführt und fördert Kunst- und Kulturprojekte junger Menschen mit maximal 1.000,- €. Sie werden dabei bei der Umsetzung ihrer Projekte von ausgewählten Coaches begleitet. 20 Nach langen Überlegungen und Diskussionen kamen wir dann schlussendlich zum Namen Gruz, was in der Muttersprache des Jugendlichen so viel wie Bürde bzw. Last bedeutet.
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5 Ein (vorläufig) letztes Samma uns ehrlich Samma uns ehrlich (und das gilt für alle hier vorgestellten Projekte an der Schnittstelle von HipHop und Jugendarbeit): Es gibt für Wien bzw. die Wiener Angebotslandschaft infrastrukturell noch viel Luft und Potenzial nach oben bzw. in die Tiefe und Breite. Zwar gibt es einige ‚infrastrukturelle Brückenpfeiler‘, allerdings reichen diese über die OJA als Wirkungsort nicht hinaus und sind wenig zielgruppenspezifisch (aus-)differenziert. Das gilt besonders im Hinblick auf genderspezifische Angebote, hier gibt es – aber nicht nur in Wien – einen großen Bedarf am Auf- und Ausbau von (theoriegestützter) Jungs*arbeit zum Thema „HipHop und Rap“, holen sich doch viele Jungs* ihre Männlichkeitsbilder bei der so genannten „rap business masculinity“ ab. Ein (Haupt-)Anliegen des Beitrags war es zu zeigen, dass die OJA mit ihren Prinzipien (z. B. Potenzial-, Bedürfnis- und Lebensweltorientierung, Empowerment, Partizipation, Bildung, Beziehungsarbeit), Angeboten (z. B. Offener Betrieb, Workshops, Projektarbeit) und Methoden (z. B. Einzel- und Gruppenarbeit, Jugendkulturarbeit) ein mehr als geeignetes Fundament bietet, von dem aus ein erfolgsversprechender HipHop-Ansatz in der Arbeit mit jungen Menschen entwickelt werden kann. Ebenso wurde dort schon seit Jahren mit der Szeneorientierten Jugendkulturarbeit ein (Erfolgs-)Weg eingeschlagen, der aber auch über die OJA hinaus Fuß fassen (und auch ‚Schule machen‘) muss. Ein weiteres Leitmotiv des Beitrags ist jenes des gegenseitigen Respekts bzw. die Begegnung auf Augenhöhe. Denn m.E. braucht die Offene Jugendarbeit HipHop als größte und bedeutendste Jugendkultur der Welt mehr als umgekehrt, deswegen geht es im Sinne eines ‚Empowerment through Education‛ nicht nur um junge Menschen, sondern um verschiedenste Akteur*innen wie (szeneferne) Fachkräfte und die Szene-Akteur*innen selbst. Nicht nur in diesem, sondern dann auch im Gesamtzusammenhang wurde als langfristig gedachter Lösungsansatz die Bildung eines „Kompetenznetzwerkes für HipHop in der Jugendarbeit“ angeregt. Dieses Netzwerk soll Anlaufstelle, Angebots- und Methodenentwickler, (Aus-)Bildungsstätte, Dokumentationsstelle u.v.m. zugleich sein und im Zuge von Aufklärungsund Übersetzungsarbeit auch stets Dialogräume schaffen und öffnen, die unterschiedlichste gesellschaftliche Akteur*innen dazu einlädt und auffordert „sich zwischen den Stühlen zu positionieren“ (Androutsopoulos 2003, S. 10). Die Botschaft sollte dabei aber immer auch folgende sein: HipHop und Rap stehen nicht außerhalb oder gegenüber der Gesellschaft, sondern sind selbst ein soziales Phänomen und Verhältnis. Zum Abschluss möchte ich allen HipHop-sozialisierten/affinen Menschen (und jenen, die es noch werden wollen) noch mit auf den Weg geben bzw. sie vielmehr dazu ermutigen: Es macht Spaß, die eigene Faszination zu teilen und die eigene Begeisterung und Leidenschaft weiterzugeben. Denn samma uns ehrlich: Da HipHop ist ned g’fährlich, sondern herrlich – vor allem und gerade in der Arbeit mit jungen Menschen und in der Offenen Jugendarbeit.
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Luutstarch: Kreativworkshops zum Thema „Armut in der reichen Schweiz“ Rosa-Lynn Rihs, Kay Wieoimmer und Elena Holz
Gibt es Armut in der reichen Schweiz? Und wie kann auf künstlerische Art und Weise mit Jugendlichen das Thema „Armut“ aufgegriffen werden? Ein Projekt, das in der Schweiz HipHop zur Thematisierung von Armut einsetzt, sind die Luutstarch-Kreativworkshops der youngCaritas Zürich. In diesem Beitrag beginnen wir mit dem Kontext der Luutstarch-Workshops und stellen sowohl Caritas Zürich als auch youngCaritas Zürich vor. Im zweiten Teil des Beitrags erläutert der Rapper und Luutstarch-Künstler Kay Wieoimmer seinen Ansatz der HipHop-Jugendarbeit und beschreibt seine Beweggründe für die Arbeit sowie den Ablauf eines Luutstarch-Workshop. Im Methodenteil dieses Sammelbandes stellen wir eine Unterrichtseinheit unserer Projektarbeit vor.
1 Hintergrund der Luutstarch-Kreativworkshops 1.1 Armut in der Schweiz
Dass es in der für ihren Reichtum bekannten Schweiz auch Armut geben soll, ist für viele schwer zu glauben. Tatsächlich ist aber nahezu jede sechste in der Schweiz wohnende Person von Armut betroffen oder bedroht (Bundesamt für Statistik 2022). Dies betrifft die relative Armut, beziehungsweise die Armutsgefährdung. Menschen, die in relativer Armut leben, sind arm im Vergleich zur Gesellschaft, in der sie leben. In der Schweiz – ähnlich wie auch in Deutschland – bedeutet das unter anderem, dass ein erhöhtes Risiko der sozialen Ausgrenzung besteht. Schulveranstaltungen, Freizeitaktivitäten oder Nachhilfeunterricht sind bei einem knappen Familien-Budget für die Kinder kaum zu ermöglichen. Gespart wird außerdem häufig auf Kosten der Gesundheit. So leiden von Armut betroffene Menschen häufiger unter verschiedenen körperlichen, psychischen und psychosomatischen Beschwerden. Diese reichen von Essstörungen über Konzentrationsstörungen hin zu mangelndem Selbstwertgefühl. Je nach Grundversicherung1
1
Beim Abschluss einer Krankenversicherung in der Schweiz kann über die Höhe des Beitrages entschieden werden. Je nach Beitragshöhe sinkt bzw. steigt die „Franchise“, also der Betrag, der im Versicherungsfall zugezahlt werden muss (vgl BAG 2022). Gerade junge Menschen mit beschränk-
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können Behandlungskosten in der Schweiz hoch ausfallen. Insbesondere Psychotherapie muss meistens selbst finanziert werden, was dazu führt, dass häufig auf Behandlungen verzichtet wird. Von Armut betroffene Kinder tragen zudem ein erhöhtes Risiko, auch als Erwachsene von Armut betroffen zu sein. Die Chancengleichheit im Bildungswesen ist bis heute nicht gewährleistet. So zeigen Tests aus der PISA-Studie, dass der schulische Erfolg stark durch die soziale Herkunft der Kinder bestimmt wird. Sie entscheidet wesentlich mit, ob ein Kind die Schule erfolgreich durchlaufen kann, eine Lehrstelle und später einen befriedigenden Arbeitsplatz findet.
1.2 Caritas Zürich
Caritas Zürich ist ein eigenständiges katholisches Hilfswerk und eine von 16 regionalen Caritas-Organisationen in der Schweiz. Seit 1926 setzt es sich für von Armut betroffene Menschen im Kanton Zürich ein. Für den Kanton Zürich gibt es keine offizielle Armutsstatistik. Der Bezug von bedarfsabhängigen Sozialleistungen von 2020 zeigt aber, wie viele Personen staatliche Unterstützung erhielten, weil ihr Einkommen unter dem Existenzminimum liegt. 7,1 % der Bevölkerung, das entspricht 108.791 Personen, die im Kanton Zürich wohnen, erhielten eine oder mehrere der folgenden Leistungen: Sozialhilfe, Zusatzleistungen zur Altersvorsorge und Unfallversicherung oder Alimentenbevorschussung. Aus Studien ist aber bekannt, dass deutlich mehr Menschen unter dem Existenzminimum leben und somit als arm gelten. Schätzungen gehen davon aus, dass 30-50% der bezugsberechtigten Personen keine Sozialhilfe beziehen. Die Zahl der von Armut betroffenen Menschen im Kanton Zürich ist demnach wesentlich höher einzuschätzen (vgl. Caritas Zürich 2022).
1.3 youngCaritas Zürich
youngCaritas Zürich ist der Jugendbereich von Caritas Zürich. Ein großer Teil der Arbeit liegt im Bildungsbereich. Dabei steht die Sensibilisierung rund um das Thema „Armut in der Schweiz“ im Mittelpunkt. youngCaritas Zürich versteht sich als außerschulische Akteurin, die mit spezifischem Fachwissen Lehrpersonen, Jugendarbeiter*innen sowie Akteur*innen aus dem kirchlichen Bereich in ihrem Bildungsauftrag unterstützt. Damit sich Menschen als politisch kompetente Bürten finanziellen Mitteln entscheiden sich oft für niedrige Beiträge, wodurch dann unter anderem im Fall von Zahnbehandlungen oder Psychotherapien hohe Kosten anfallen (Anmerkung der Herausgeber*innen).
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ger*innen in eine Gemeinschaft einbringen, diese kritisch hinterfragen, aber auch aktiv mitgestalten können, ist ein funktionierendes, nachhaltiges Bildungssystem unabdingbar. Dazu gehört auch die Bildung zum Thema „Armut“. youngCaritas Zürich hat sich zum Ziel gesetzt, für das Thema „Armut“ zu sensibilisieren und einer Stigmatisierung von Betroffenen entgegenzuwirken sowie Vorurteile abzubauen. Das bedeutet für uns zum einen von Armut betroffene Personen zu empowern und zum anderen bei Jugendlichen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, ab wann Ausgrenzung aufgrund von Armut beginnt. Neben der Sensibilisierung junger Menschen für sozialpolitische Herausforderungen sollen Jugendliche zu eigenständigem Handeln ermutigt werden.
2 Luutstarch-Kreativworkshops Ein Angebot aus dem Bildungsbereich von youngCaritas ist Luutstarch. Luutstarch ist ein kostenloses Projektangebot für die Schule oder die Jugendarbeit ab dem 2. Zyklus (3. bis 6. Klasse), bei welchem Kinder und Jugendliche ihre Wertvorstellungen zu Armut und sozialer Ausgrenzung reflektieren. Nach einer vorgängigen theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema können die Teilnehmenden ihre erworbenen Kenntnisse vertiefen. Dabei bringen sie ihre Sichtweisen durch Rap, Fotografie, Poetry Slam oder Druck- und Collagetechniken zum Ausdruck. Künstler*innen unterstützen die Kinder und Jugendlichen nach dem Reflektionsprozess bei der Erarbeitung ihrer Haltung zu sozialpolitischen Themen. Die Luutstarch-Kreativworkshops eignen sich ideal als Teil des Projektunterrichts. Zur Einführung ins Thema und zur Vorbereitung auf die Workshops bietet youngCaritas kostenlose, auf die jeweilige Kunstform zugeschnittene Unterrichtsmaterialien für den 1. bis 3. Zyklus (1. bis 9. Klasse) sowie für Berufsfachschulen und Gymnasien an. Die Unterrichts- und Informationsmaterialien enthalten neben grundlegendem Fachwissen rund um die Themen Armut und soziale Ausgrenzung auch praktische Übungen und Handouts. Die Unterlagen wurden durch éducation212 geprüft und für pädagogisch wertvoll erklärt.
2.1 Rap-Künstler Kay Wieoimmer 2.1.1 Rap ist überall
Ich blicke auf über zehn Jahre Erfahrung im Rap, aber auch auf ein unvollständiges Studium der Sozialen Arbeit zurück und leite regelmäßig Workshops, in denen ich
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éducation21 ist das nationale Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Schweiz.
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Jugendlichen kreatives Schreiben und künstlerische Arbeit näherbringe. Bei diesen Workshops ist Rap für mich eines der wichtigsten Hilfsmittel, um gleichzeitig mit den Jugendlichen eine Ausdrucksweise zu finden, aber auch über ihre Vorstellungen, Wünsche und Probleme ins Gespräch zu kommen. Erstens: Rap ist überall. Er ist populär und vielseitig. Dadurch, dass Rap so allgegenwärtig ist, haben alle Jugendlichen unmittelbaren Zugang zu der Thematik. Viele Jugendliche hören selbst viel Rap. Bemerkenswert ist, dass bei den von den Jugendlichen genannten Rap-Songs eine große Diversität festzustellen ist: Es kann der neueste Hit von US-Stars genauso wie ein Untergrundbanger aus Deutschland sein. Von Songs von Lokalmatador*innen zum neuesten Style aus Westafrika wurde mir alles schon genannt. Dazu gesellen sich auch oft Klassiker, die schon nicht mehr neu waren, als ich jung war. Ich nenne hier absichtlich keine Titel oder Interpret*innen, da eine Liste immer unvollständig bleiben und die Geschmäcker der Jugendlichen nur schlecht skizzieren würde. Mit den Rap-Releases auf den Streaming-Portalen gibt es mittlerweile einen weitreichenden Zugang zu den neuen Releases jeden Freitag3, sodass eine Aufzählung konkreter Namen bereits in einem halben Jahr wie aus der Zeit gefallen wirken könnte. Gerade weil es so populär ist, gibt es auch unübersichtlich viele Menschen, die Rap machen. Nicht selten treffe ich in meinen Workshops junge Menschen, die bereits rappen. Eben: Rap ist überall. Neben der Popularität und Vielseitigkeit von Rap profitiert meine Arbeit auch von einem zweiten Aspekt: Rap ist (oft auch) Aktivismus. 2.1.2 Rap ist Aktivismus
Rapmusik entstand als eines der vier Elemente – so der Gründungsmythos – des HipHop in der Bronx, einem New Yorker Stadtteil. Allein schon durch seine Entstehung ist Rap untrennbar mit Antirassismus und Klassenkampf verknüpft. Die Grundidee des HipHop ist die der Verbesserung der Umstände in der gesamten Gemeinschaft durch die Kreativität und Coolness der einzelnen Individuen. Ebenso geht es im Hip-Hop um die Idee des sozialen Aufstiegs (vgl. Seeliger 2021). Rap erfüllt schon seit Beginn eine wichtige Funktion: Er ist das Sprachrohr der Unterprivilegierten. Rap repräsentiert direkt und ungefiltert die Welt, in der er entstanden ist, was nicht heißt, dass Rap nur für den Ausdruck von einkommensschwachen Realitäten genutzt werden kann. Rap kann unzählige Blickwinkel abbilden.
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Siehe auch Beitrag „Release Friday und Open Decks, ein Ansatz der Jungenarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit” in diesem Band.
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Da wir mit der Gleichstellung von Frauen und queeren Menschen im Rap noch lange nicht am Ziel sind, sollten wir mit den Jugendlichen ebenfalls darüber sprechen. Gerade in dieser Phase ihres Lebens, in der es um die Entdeckung der Sexualität und Identitätsfindung geht, sollten wir sie mit diesen Themen nicht alleine lassen. Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass wir vorgeben, welchen Rap sie hören oder machen sollen. Das würde sowieso nicht funktionieren. Vielmehr mache ich in Workshops gerne darauf aufmerksam, dass Rap eine männlich dominierte Kultur ist und dass es sich lohnt, darauf zu achten, dass Rap eine Spielwiese für alle werden sollte oder auch um auf die bereits erwähnten queeren Rapper*innen hinzuweisen. Dies gelingt zum Beispiel mit dem Auslassen oder Ersetzen von gewissen Beleidigungen. Denn ich bin überzeugt, dass es cooler gelingen kann, originell zu dissen, also zu beleidigen, ohne sich sexistisch oder queerfeindlich zu äußern. 2.1.3 Rap im Workshop
Das Projekt Luutstarch von youngCaritas Zürich war früher ein Kreativwettbewerb, zu dem Beiträge in Form von Musik oder Fotografie eingesendet werden konnten. Ich bin als Teilnehmer zum Projekt gekommen und saß bei der nächsten Durchführung in der Jury. In der für mich dritten Durchführung wurde der Wettbewerb durch (Rap-)Workshops an Schulen ersetzt. Für mich war klar, dass Rap als Kunstform und dessen Vermittlung gut zum Thema Armut passen, da Rap und HipHop eine Perspektive bieten und für einige den Weg aus der Armut darstellen. Ich komme aus einer armutsbetroffenen Familie. Wenn armutsbetroffene Jugendliche im Workshop sitzen, dann sind sie selbst oft Expert*innen in Hinblick auf diese Erfahrung. Ihnen will ich zeigen, dass von Armut Betroffene nicht allein sind und dass es Perspektiven gibt. Sind die Teilnehmenden nicht betroffen oder sogar reich, geht es für mich vor allem um Sensibilisierung. Armut soll als Problem verstanden und nicht weiter stigmatisiert werden und wenn ich aufzeigen kann, dass das Leben teuer ist und nicht alle Eltern haben, die ihnen alles Notwendige oder Luxuriöse kaufen können, dann sehe ich das schon als Erfolg. Ich möchte Bewusstsein für die Folgen von Armut schaffen und den Teilnehmenden zeigen, dass Armut nicht das Ergebnis privater Fehlentscheidungen ist. Bei meinen Workshops suche ich den Dialog. Im HipHop gibt es das Prinzip ‚Each OneTeach One‘, was frei übersetzt soviel heißt wie „alle können und sollen etwas zum gemeinsamen Wissen beitragen“. Deshalb wähle ich in meinen Workshops bewusst Methoden, welche es mir erlauben, mit den Teilnehmenden auf Augenhöhe zu arbeiten. Ich lasse mich auch im Schulkontext – wenn möglich – duzen, bleibe jederzeit offen für Fragen und höre mir zuerst einmal an, was die Teilnehmenden über Rap wissen und welchen sie hören. Dann geht es an die technischen Basics: Was ist ein Beat? Wie geht Taktgefühl? Was sind Kick und Snare? Wie zähle ich auf vier? Wie schreibe ich Rhymes? Wie mache ich daraus ganze Zeilen? Und schließlich: Wie geht Flow?
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Das Schöne und gleichzeitig Herausfordernde an diesen Fragen ist, dass sie nicht abschließend geklärt werden können. Auch, wenn ich in 99 Fällen weiß, wie es funktioniert, ist die Hundertste eine Person, die alles fresher und cooler macht als ich das könnte. Deshalb ermutige ich die Teilnehmenden in meinen Workshops auch dazu, meine Regeln zu brechen und zu ignorieren, da Kunst nicht nur von Reproduktion, sondern auch wesentlich von Innovation lebt. Die restliche Zeit meiner Workshops fülle ich gerne mit freiem Arbeiten und persönlichen Gesprächen. Gerade im schulischen Kontext fällt es manchmal schwerer, Kunst und Musik zu kreieren, da der Schaffungsprozess auch Leerlauf und Freiheit braucht, für welche in anderen Lektionen oft kein Platz ist. Ebenfalls müssen alle einschließlich mir damit klarkommen, dass es nicht ein Resultat geben wird, das alle zusammen erreichen, sondern dass jede Person mit den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten am Song arbeitet. Einige schreiben eine ganze Strophe, andere in derselben Zeit zwei Zeilen, und das ist gut so. Am Ende des Workshops geht es nicht darum, den perfekten Rap-Song produziert zu haben, sondern darum, etwas ausprobiert zu haben. Ganz zum Schluss kommen alle Teilnehmenden noch einmal zusammen zu einem letzten Gespräch. Dabei geht es mir darum, die Chancen des Rap hervorzuheben: dass er Copingstrategien und Aufstiegschancen für Einzelne bieten, aber auch zum Wandel in der Gemeinschaft beitragen kann. Abschließend in Workshops und auch für diesen Text erwähne ich noch einen Punkt und der ist vermutlich der Wichtigste: Rap macht richtig viel Spaß.
Literatur Bundesamt für Gesundheit BAG (2022): Die obligatorische Krankenversicherung. Ratgeber. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/broschueren/publikationenva/publikation-sie-fragen-wir-antworten-oblig-kv.html (Abfrage: 01.01.2023). Caritas Zürich (2022): Zahlen und Fakten zur Armut bei uns. Factsheet Armut im Kanton Zürich. www.caritas-zuerich.ch/was-wir-sagen/zahlen-und-fakten-zur-armut-bei-uns (Abfrage: 08.02.2022). Éducation21. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). (Abfrage: 7.1.23). Seeliger, Martin (2021): Soziologie des Gangstarap. Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte. 1. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. youngCaritas (2022): Armut kreativ thematisieren – Rap. (Abfrage: 08.02.2022). youngCaritas (2022): Armut kreativ thematisieren – Rap-Workshop. www.youngcaritas.ch/schule-jugendarbeit/schulbesuche-und-workshops/luutstarch-kreativworkshops/rap-workshop (Abfrage: 08.02.2022).
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Kunst gegen das Vergessen – Sound in the Silence in der Gedenkstättenarbeit Text der Herausgeber*innen nach Gesprächen mit Dan Wolf
Das Projekt Sound in the Silence ist ein künstlerischer Zugang zur politischen Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten. Sound in the Silence wurde vom US-amerikanischen Rapper und Theaterschauspieler Dan Wolf aus San Francisco ins Leben gerufen, nachdem er das erste Mal die Gedenkstätte Ravensbrück zusammen mit einer Gruppe HipHopper*innen besucht hatte. Die Gruppe hatte sich die dortige Ausstellung gemeinsam angesehen und war nach dem Rundgang zunächst sprachlos. Plötzlich begann einer der Beatboxer einen Beat zu performen. Einer der Rapper begann zu rappen und so kam die Gruppe dazu, in den spontan entstehenden Texten ihre Eindrücke aus der Gedenkstätte zu verarbeiten. Den weiteren Impuls zu dem Projekt gab Dans Beschäftigung mit seiner eigenen Familiengeschichte, einer deutsch-jüdischen Vergangenheit, die in seiner Familie lange nicht thematisiert wurde. Das Projekt Sound in the Silence ist ein Versuch dem Schweigen innerhalb der Familien von Überlebenden, aber auch dem (Ver-)Schweigen in den Familien der Täter*innen etwas entgegenzusetzen.
Von der Reeperbahn-Revue in die amerikanische HipHop-Szene – eine jüdische Familiengeschichte Dan Wolf ist Rapper, Theaterproduzent, Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur in San Francisco. Zunächst unwissentlich führte er ein Leben auf der Bühne fort, welches sein Urgroßvater Leopold Wolf einst begann: Anfang des 20. Jahrhunderts waren Leopold und seine Brüder James und Ludwig Stars in Revuetheatern rund um die Hamburger Reeperbahn und als Schauspieler und Autoren aktiv. Ludwig und Leopold schrieben um 1911 Hamburgs inoffizielle Hymne „Een echt Hamborger Jung!“, auch bekannt unter dem Namen „An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüddelband“. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen 1933 wurde den jüdischen Gebrüdern Wolf ein Auftrittsverbot erteilt (vgl. Möller 2008). Ihre Lieder wurden zwar weiterhin gesungen, doch die Familie Wolf selbst geriet dadurch nahezu in Vergessenheit. Leopolds Söhne James, Iwan und Donat (Dans Großvater) emigrierten über Shanghai nach New York. Leopolds Bruder James gelang dies nicht mehr, er
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wurde nach Theresienstadt deportiert und wie viele weitere Mitglieder der Familie Wolf, unter ihnen Donats Frau und ihr erster Sohn Dan, ermordet (vgl. Möller 2008). Wolf war eigentlich nur der Künstlername der Brüder, doch 1924 wählte die Familie, die ursprünglich Isaac hieß, ihn als Familiennamen. Dieser Name begleitete Dan Wolf nun zurück nach Hamburg zur Geschichte seiner Vorfahren: Als Dan sein erstes Konzert in Hamburg spielte, belebte er mehr als nur eine Familientradition. Von dieser erfuhr er erst durch einen Brief seines Großvaters, der ihm nach dessen Tod übergeben wurde. Ein weiterer Impuls waren die Recherchen von Jens Huckeriede. Der Hamburger Filmemacher war fasziniert von der Geschichte der Gebrüder Wolf und ihrer Lieder. Im Zuge seiner Recherchen tauchte er eines Tages vor Dans Tür in San Francisco auf und überrumpelte den damals noch ahnungslosen Dan Wolf mit vielen Details seiner Hamburger Familie. Die beiden wurden zu Freunden und arbeiteten intensiv zusammen an Musikprojekten ebenso wie an Projekten mit Jugendlichen in Gedenkstätten – bis zu Jens’ Tod 2013. Gemeinsam versuchten sie, neue Formen des Gedenkens zu ergründen. Diese Arbeit führt Dan Wolf weiter fort. Eine Geschichte aus Jens Huckeriedes Recherche im Gedenken an die Gebrüder Wolf: Die Nazis hatten dafür gesorgt, dass die Autoren des Tüddelband-Liedes unbekannt waren, sodass die Hintergründe des Liedes nicht einfach zu recherchieren waren. Jens arbeite in den 1990er Jahren im Vorstand von Sternipark1, der 1996 ein Haus in der Wohlers Allee 58 in Hamburg Altona erwarb, das bis 1936 jüdisches Volksheim war. Später, so fand der Verein heraus, war das Haus ein Deportationszentrum, in dem viel Juden*Jüdinnen aus Altona bis zu ihrer Deportation lebten, so auch einer der Gebrüder Wolf. Im Rahmen einer Kunstaktion zur Erinnerung an jüdisches Leben in Altona malte Jens Huckeriede mit Schablone und Farbe die Zeilen von „An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüddelband“ auf die Straßen in Altona. Die Liedzeilen wiesen auf Wohnorte jüdischer Bewohner*innen vor ihrer Deportation, Ermordung oder Emigration. Diese Aktion brachte ihm die entscheidende Spur zu den Hintergründen des Liedes, denn ein Bewohner des Quartiers wurde darauf aufmerksam und berichtete Jens Huckeriede, dass die Familie, die das Lied geschrieben hatte, in der gleichen Straße gewohnt hatte. Auch diese Erfahrung bestärkte Dan Wolf und Jens Huckeriede in ihrer Entscheidung, andere Formen des Gedenkens auszuloten. Dan Wolfs erste Reise in die Vergangenheit seiner Familie beschränkte sich nicht nur auf Hamburg und die dortige Musikszene. Er besuchte Gedenkstätten und lernte dort, wie in Deutschland Erinnerungskultur gelebt wird. Ihm erschienen die Ausstellungen und pädagogischen Programme sowie das vermittelte historische Wissen als unvollständig. Er wollte die jüdische Geschichte seiner Familie verstehen
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SterniPark ist ein KiTa-Träger in Hamburg, der historisch-politische Bildung schon für (Klein-)Kinder anbietet.
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und verarbeiten, aber auch das Erfahrene in der Gegenwart bewusst einsetzen. In der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme machte er Filmund Tonaufnahmen, nahm mit einem Recorder Sounds wie wehenden Wind und rauschende Bäume auf und schrieb zu den Aufnahmen Rap-Texte.
Gelebte und sichtbare Kunst wird zu lebendiger Erinnerung Dan Wolf macht Kunst als lebendige Erinnerung an die Vergessenen und gegen das Vergessen und erarbeitet seine Ansätze als multidisziplinärer Künstler. Er führt seit 2011 Kunst-, Theater- und HipHop-Projekte in Gedenkstätten durch und sucht stets nach neuen Formen des Gedenkens und der Bildungsarbeit mit Jugendlichen. Seine Bühnenstücke kreisen um die Themen, Sprache, Geschichte, Ästhetik und Musik der HipHop-Kultur. Er bringt dabei auch, wie beispielsweise im Stück „Stateless – A HipHop Vaudeville“, komplexe Erfahrungen der Betroffenheit von Rassismus und Ausgrenzung auf die Bühne, auch gezielt für Schulvorstellungen.
Batsheva Dagan Sein Ansatz basiert auf dem Ansatz der Schoah-Überlebenden Batsheva Dagan, den Dan Wolf bei seinen Gedenkstättenbesuchen entdeckte: „Das Kind entscheidet mit, was es schon lernen kann und möchte und es wählt, wie es sich die Geschichte aneignen möchte“ (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2012). Dagan selbst schrieb Gedichte in und nach Auschwitz. Sie beschreibt die Bedeutung von Gedichten für sie in einem Interview 2020: „Ich habe in Auschwitz Gedichte auswendig gelernt, ich habe dort Französisch gelernt, ohne Buch, ohne Bleistift, ohne Papier. Das war mein geistiger Widerstand. Dass ich das machte, was ich mir selbst aussuchte, trotz der Qualen. Es gab ein Gedicht von Kristina Jewulska. Es war ein Rachegedicht, und es war unser Gebet.“ (Poppe 2020).
2005 veröffentlichte Dagan ihre eigenen und die in Auschwitz gelernten Gedichte unter dem Titel „Gesegnet sei die Phantasie – verflucht sei sie! Erinnerungen an ‚Dort‘“. Dagan entwickelte in Israel psychologische und pädagogische Methoden, um mit Kindern und jungen Erwachsenen über die Schoah zu sprechen und schrieb das Buch „What happened during the Shoah. A story in rhymes for children who want to know“. Batsheva Dagan möchte mit ihrem Buch und ihren Methoden dem Verleugnen der Schoah ebenso entgegenwirken wie der Verdrängung von Erinnerung(-en). In ihren Büchern nutzt sie Gedicht- und Märchenformen, in deren Ge-
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schichten die Protagonist*innen die Schoah überleben. Für diesen Happy-End-Ansatz erntete sie auch Kritik (vgl. Jaiser 2007). Für Dan Wolf steht allerdings fest: Kunst schafft einen Zugang zur eigenen Gefühlswelt, den die bloßen geschichtlichen Fakten nicht erreichen. Diese Herangehensweise sieht er als großes Potenzial in der Gedenkstättenarbeit mit Künstler*innen und Jugendlichen.
Sound in the Silence – jugendkulturelle HipHop-Methoden in der Gedenkstättenarbeit 2011 organisierten Dan Wolf und Jens Huckeriede das erste Projekt für die Gedenkstätte im ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Neuengamme2 in Hamburg in Kooperation mit dem Hamburger Kulturzentrum Motte e.V.. Jeweils 15 Schüler*innen im Alter von 14 bis 17 Jahren aus Gymnasien in Polen und Deutschland nahmen teil. Eine Woche lang erforschten und erlebten die Jugendlichen die Gedenkstätte über das Angebot zahlreicher HipHop-Workshops zum kreativen Texten, Tanz und Musik, die gleichzeitig eine Reflexion ermöglichen sollten. Es folgten seitdem jährlich Projekte in Kooperation mit ENRS u. a. in Borne Solinowo, Gdansk, Auschwitz, Ravensbrück und Warszawa 3. Die Teilnehmer*innen erarbeiten sich ihren Zugang zum Gedenken auf dem Gelände der Gedenkstätte über Musik, Tanz, kreatives Schreiben, Sound-Montagen und Beatproduktion, Theater, Filmcollagen und Performance. Dan möchte mit seinen Projekten einen Umstand ändern, der ihm in der Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit besonders auffiel: die Stille. Damit ist für Dan Wolf einerseits die Stille gemeint, die entsteht, wenn in der Gedenkstätte an die Schoah erinnert wird und die Besucher*innen mit ihren Emotionen nicht umzugehen wissen, abwehren, was sie fühlen, und verstummen. Er meint ebenso aber auch die Stille, die in den Familien der Opfer der Schoah herrscht, die Unfähigkeit über das Erlebte miteinander zu sprechen. Und nicht zuletzt meint er auch die Stille in den Familien der Täter*innen, in denen die begangenen Gewalttaten seit 1945 fortgesetzt, verdrängt, verschwiegen oder gar geleugnet werden (vgl. Welzer/Moller/Tschuggnall 2014). Er empfindet Stille als einen Zustand, der den eigenen Ausdruck im Umgang mit dem Gelernten verhindert und möchte Möglichkeiten schaffen, den Zugang zu Emotionen zu eröffnen – mittels Kunst und HipHop. Dabei sucht er nach Ausdrucksmöglichkeiten für das eigene Erleben der
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Im KZ Neuengamme wurden zwischen 1938 und 1945 über 100 000 Menschen inhaftiert. Mindestens 50 000 starben aufgrund der Lebens- und Arbeitsbedingungen, durch Morde und auf Todesmärschen im Zuge der Lagerräumung. Es gilt als das tödlichste Arbeitslager (Schwarberg 1998). Video-Dokumentationen zum Projekt in Auschwitz 2016, Ravensbrück 2017 und Warszawa 2018 sind auf der Seite enrs.eu aufrufbar.
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Gedenkstätte, bei gleichzeitigem Respekt vor der Geschichte des Ortes. Eine persönliche Reflexion soll durch Kunst und HipHop als Ausdrucksform ermöglicht und zugelassen werden. Der künstlerische Ausdruck muss dabei nicht nur leise oder still sein, um dennoch respektvoll zu sein. Viele junge Menschen sind bei ihrem ersten Besuch in einer Gedenkstätte überwältigt und überfordert. Dan Wolf beobachtet es so: „Wir erleben an diesem Ort das Trauma der Schoah. Junge Menschen wissen nicht, wie und wer sie hier sein können. Also verkrampfen sie.“ Der Weg aus dieser Starre soll im Projekt Sound in the Silence durch die Zusammenarbeit mit Künstler*innen ermöglicht werden, welche in Workshops Impulse setzen. Die beschriebene Starre ist oft mehr eine Betroffenheitsgeste angesichts eines (schulischen) Pflichtbesuches, und weniger eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Schoah. Deshalb soll diese Starre aufgebrochen werden. Aber auch der Starre, die angesichts der Verbrechen von Familienmitgliedern und dem (Ver-)Schweigen in der eigenen Familiengeschichte entsteht, soll mit dem künstlerischen Zugang etwas entgegengesetzt werden. Begleitet wird dieser Zugang durch Biografiearbeit, Wissensvermittlung zur Geschichte, durch Führungen und Vorträge sowie durch die immer seltener stattfindenden Begegnungen mit Überlebenden. Sound in the Silence verbindet deutsche und europäische Geschichte mit (HipHop)-Kunst und sucht nach Wegen, die Stille zu durchbrechen. Es geht nicht darum, auf dem Gedenkstättengelände Lärm zu veranstalten, sondern andere Ausdrucksformen zu finden als das unheimliche „Wir schweigen alle betroffen und verhalten uns gar nicht“.
Education, Experience, Expression Dan Wolf setzt dabei auf ein Modell, dass er beschreibt als „die drei E“: „Education“, „Experience“, „Expression“, also – Bildung, Erleben und Ausdruck. In seinen Projekten lassen diese drei Ebenen die Teilnehmenden reflektieren, was sie über einen Ort denken, fühlen und ausdrücken möchten. Dan Wolf beschreibt diesen Zugang als sensibel und zugleich holistisch: „Was passiert mit dir, wenn du ein Haus im Lager betrittst? Wie ist der Geruch? Wie fühlt sich der Wind an?“ Neben dem kognitiven Lernen soll Empathie geweckt werden, indem die Jugendlichen sich den eigenen Gefühlen an diesem Ort stellen. Teilnehmende können zu Beginn des Projekts beispielsweise zu zweit das Gelände erlaufen, wobei ein*e Teilnehmende mit verbundenen Augen von der zweiten Person geleitet wird und dabei auf andere Eindrücke und Sinneswahrnehmungen achten kann.4 4
Diese Übung wurde von Christian W. Find kreiert. Find arbeitet u. a. für den Radiosender Radio Eins. Weitere Übungen wurden von der Tänzerin Kat Rampackova (Slovakia/Barcelona) und dem Sänger Sean Palmer (UK/Warsaw) entwickelt und beigetragen.
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Sound in the Silence setzt bewusst auf ein hybrides, interdisziplinäres Konzept, in welchem sich die Teilnehmenden auch gegenseitig in ihrem Ausdruck begegnen. 2017 wurden beispielsweise in einem Projekt in der Gedenkstätte Ravensbrück Teilnehmende mit Kopfhörern ausgestattet, über die sie die live vorgetragenen Rap-Texte und Gedichte anderer Teilnehmender hören konnten, während sie sich selbst auf dem Gelände der Gedenkstätte bewegten. An einem Ort konnten sie eine spontane Tanzperformance anderer Jugendlicher sehen, an einem anderen Ort auf dem Gelände zum Beispiel den Klang ihrer Schritte auf dem Boden aufzeichnen und später in einer Soundcollage verwenden. Innerhalb einer TheaterPerformance wurde Zwangsarbeit durch einen sich steigernden, nichtsprachlichen Rhythmus dargestellt. Alle Teilnehmenden waren zugleich Performende und Publikum. Ihre unterschiedlichen Eindrücke, Gedanken und Gefühle befanden sich im ständigen Austausch. Die Projekttage bei Sound in the Silence, die meist eine Woche dauern, widmen sich jeweils einem Thema, beispielsweise dem Widerstand. In den Workshops wird erarbeitet, welche Assoziationen die Teilnehmenden damit verbinden, sei es Schuld, Opferstatus und Märtyrer*innen-Mythen, Hoffnung, Mut, Kampf, Mittel des Widerstandes oder Hoffnungslosigkeit.
Ausblick Dan Wolf arbeitet derzeit an einem Buch über den Ansatz des Projekts und diese Art der Gedenkstättenarbeit namens „End of the Silence“. Die Projektarbeit von Sound in the Silence in Europa wird fortgeführt, so wird es z. B. 2023 im Haus der Wannsee-Konferenz sowie am Jasenovic Memorial in Kroatien weitere Projektdurchläufe geben. Dan Wolf ist sehr daran interessiert, weitere Partner*innen in ganz Europa für diese Art der Arbeit zu finden und würde im Zuge dessen seinen Ansatz an die jeweiligen Orte und Kooperationspartner*innen anpassen. Darüber hinaus gibt es Ideen, wie das Projekt auch in den USA umgesetzt werden könnte, z. B. mit jüdischen Studierenden, japanischen Nachfahren der Einwanderer*innen der „Executive Order 9066“ und anderen Communities in den USA.
Literatur Dagan, Batsheva (2018): „Gesegnet sei die Phantasie – verflucht sei sie! Erinnerungen an ‚Dort‘“. 4. Auflage. Berlin: Metropol. Frick, Lothar (Hrsg.): „Gespaltene Erinnerung? Diktatur und Demokratie an Gedenkorten und Museen in Baden-Württemberg“, Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg. www.gedenkstaetten-bw.de/publikationen0.html (Abfrage: 02.12.22). Jaiser, Constanze (2007): Triumph des Guten. www.juedische-allgemeine.de/allgemein/triumph-desguten/ (Abfrage: 02.12.2022).
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Möller, Johann-Hinrich (2008): „Gebrüder Wolf – Ihre Geschichte“. www.gebruederwolf.de/de/gebruederwolf.html (Abfrage: 07.07.2022). Poppe, Judith (2020): „Verse als Seelenfutter“. taz.de/Portraet-ueber-Kinderbuchautorin/!5656088/ (Abfrage: 09.12.2022). Schwarberg, Günther (1998): Angriffsziel „Cap Arcona“. 2. Auflage. Göttingen: Steidl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern (2012): „Ich lebe. Das ist mein Sieg!“ Die Holocaust-Überlebende Batsheva Dagan berichtet über ihr Schicksal und ihren Kampf für eine Gesellschaft ohne Hass und Ausgrenzung. (Abfrage: 07.07.2022). Welzer, Harald/Moller, Sabine/Tschuggnall, Karoline (2014): Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. 6. Auflage. Frankfurt am Main.: S. Fischer.
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Unsere Blockparty. Mädchen*arbeit mit HipHop Sinaya Sanchis
In der Mädchen*-Arbeit ist HipHop ein Türöffner mit Wechselwirkung. Einerseits versuche ich Angebote zu schaffen, die nah an der Lebenswelt der Mädchen* sind, andererseits bringe ich selbst etwas mit, setze Impulse mit den eigenen Ideen. HipHop ist nichts Fremdes für die Mädchen*, sondern das Feld, auf dem wir uns begegnen. Sie kennen die HipHop-Kultur schon unabhängig vom Mädchen*treff oder HipHop-Workshops. Ich gebe Impulse und wenn die Mädchen* mir Interesse signalisieren, beginnt die Arbeit, in der auch soziales Lernen und politische Bildung einen Platz haben. Ich mache Angebote, schaffe Möglichkeiten, sich selbst auszuprobieren, gebe den Teilnehmenden auch eine Bühne. Die Mädchen* nehmen dies so gut wie immer an. Auch in Projekten für inklusive Jugendgruppen ist der HipHop-Ansatz – jede*r macht es so, wie er*sie es kann – extrem hilfreich. Jede*r findet einen eigenen Zugang, kann sich Fähigkeiten auf eigene Weise aneignen. Es geht im HipHop darum, einen eigenen Stil zu entwickeln, die eigene Stimme zu finden. Auch mit körperlichen Behinderungen kann man tanzen. Der Einstieg in die HipHop Kultur ist sehr niedrigschwellig, egal ob Rap-Texte erfinden, Tanzen, Graffiti-Sessions oder Musikvideodrehs.1
HipHop-Mädchen*-Arbeit hat meinen eigenen Werdegang stark geprägt Als 14-/15-Jährige ließ mich die Sozialarbeiterin in meinem Jugendclub in BerlinSpandau meine ersten Tanz-Workshops leiten und unterstützte mich damit in meinem Training als Tänzerin. Später gab ich auch in anderen Jugendclubs TanzKurse und auch Rap-Workshops, unterrichtete an Tanzschulen und studierte nebenher. Ich studierte Medien- und Künstlermanagement, später noch Sozialmanagement und arbeitete nach dem Medien-Studium erst bei Universal Music. Wenn der Mädchen*treff Schilleria2 mich nicht bei Universal Music abgeworben hätte, wäre ich vermutlich nicht mit meiner gesamten Arbeitszeit und -kraft in die Mädchen*arbeit gegangen. Obwohl ich eigentlich auf einem festen Weg in der Me-
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Mehr dazu findet sich auf der Seite des Projekts IN_cultures von cultures interactive e.V. Der Mädchen*treff Schilleria ist ein Jugendzentrum in Berlin-Neukölln.
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dienbranche war, entschied ich mich um – letztendlich eine Entscheidung für die Arbeit mit den Mädchen*, die ich rückblickend nicht bereue.
Learning by doing im Kontrast zu formaler Ausbildung Das Problem, das viele Künstler*innen und Quereinsteiger*innen aus der Kunstbranche in der Jugendarbeit haben, ist, dass sie keine klassischen Sozialarbeiter*innen sind. So ging es auch mir am Anfang. Das heißt, man ist vor allem mit seinen Fähigkeiten als Künstler*in in der Jugendarbeit tätig, bräuchte darüber hinaus aber eigentlich auch noch mehr pädagogisches Wissen. Aus meiner Sicht besteht Bedarf an Fortbildungen insbesondere in der Jugendarbeit. Das Wissen habe ich mir letztendlich ‚learning by doing‘ angeeignet – angefangen als ehrenamtliche Gruppenleiter*in. Ich glaube allerdings, dass mein Know-how aus dem Management und der Medienarbeit Vorteile in der Leitung des Mädchen*-Treffs brachte und sehe dies als Privileg, aber auch als Verantwortung. Wie man sicher feststellen kann, identifiziere ich mich mit der Mädchen*arbeit. Und natürlich bringe ich selbst immer wieder gerne HipHop ein, denn das ist nach wie vor ein Teil meiner Identität. Dies mache ich sowohl in der offenen Kinder- und Jugendarbeit als Durchführende, als auch wenn ich regelmäßig stattfindende Workshops als Leiterin eines Mädchen*clubs organisiere. Ab und zu gebe ich auch noch als freie Mitarbeiterin Workshops. Ich habe recht schnell gelernt, dass es nicht ausreicht, eine tolle Rapperin oder Tänzerin zu sein, mit einem super Methodenkoffer – vielmehr muss man verstehen, dass es nötig ist, sein eigenes Künstler*innen-Ego3 als Teamer*in in der jugendkulturell-politischen Bildung ebenso wie als Pädagog*in aus der (offenen) Jugendarbeit herauszuhalten. Dies ist für die Qualität der pädagogischen Prozesse wichtig. Dazu braucht es eher praktische Übung als Theorie. In der Jugendarbeit geht es um die Teilnehmenden, nicht das eigene Ego. Das scheint vielen Künstler*innen, aber mitunter auch Pädagog*innen, schwer zu fallen. Aus meiner Erfahrung gibt es auch einige Personen, die politische Bildung und Sozialarbeit als Ego-Booster nutzen, Methoden mit einem Copyright versehen, Jugendlichen verübeln, wenn sie die Ideen der Teamer*innen ablehnen oder politisch unkorrekten Rap hören.
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In Workshops der jugendkulturell-politischen Bildung wie bspw. von cultures interactive e.V. begleiten meist ein*e Jugendkultur-Expert*in und ein*e politische Bildner*in den jeweiligen Workshop.
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Ergebnis- und prozessorientierte Mädchen*arbeit: HipHop als Projekt oder als Teil der offenen Jugendarbeit Ich glaube, der Unterschied zwischen kurzfristiger Projektarbeit mit HipHop und HipHop eingebettet in der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist die Nachhaltigkeit. In eintägigen Workshops gelingt oft nicht mehr, als die Präsentation des eigenen Könnens und die Vermittlung einiger Skills. Prozesse können allenfalls angestoßen, aber nicht begleitet werden. Dies muss in der Konzeption bedacht werden. Ich kann zum Beispiel keinen tiefgründigen oder sehr persönlichen RapText mit einem Mädchen* schreiben, wenn ich nicht weiß, ob ich diesen Prozess weiter begleiten kann oder den Prozess zumindest gut übergeben kann. In einem dreistündigen Workshop kann ich nicht auffangen, wenn z. B. ein Mädchen* über eine alte Missbrauchserfahrung rappen möchte. In so einem Moment würde mein Künstler*innen-Ego vielleicht sagen: „Ja mach es, so was muss doch wie die #metoo Kampagne an die Öffentlichkeit!“ Die Pädagogin in mir sagt: „Nein, das muss professionell aufgearbeitet werden und dafür braucht man Zeit!“ Ob das Mädchen* am Ende mit ihrem Song trotzdem an die Öffentlichkeit gehen möchte, ist eine andere Sache. In einem Mädchen*treff begleitest du die Prozesse viel enger als in der Kurzzeitpädagogik. Es geht hier um die Mädchen*, es geht nur sekundär um den RapSong oder darum, ob man diese Zeile noch schöner schreiben könnte. Und es geht vor allem nicht um mich!
Prozessorientierte Empowermentarbeit mittels HipHop Ich habe natürlich viele eigene Methoden entwickelt. Aber wenn man einen Mädchen*treff in einem Bezirk wie Neukölln leitet, dann ist die Arbeit wie ein Pulverfass: Es kann jederzeit etwas passieren, negatives und positives. Der Beat ist sehr schnell. Das heißt, dass die Methoden aus dem Studium oder der politischen Bildung oft einfach nicht passen. Es geht darum, spontan zu reagieren und vor allem niedrigschwellig zu arbeiten. So ist zumindest unser Ansatz in der Arbeit. Ich würde ihn als prozessorientierte Empowermentarbeit mittels HipHop bezeichnen. Die Schilleria in Neukölln ist auch als ‚Streber*innen-Jugendclub‘ bekannt, weil wir ständig neue Ideen, Projekte und Methoden entwickeln. Als wir einen zweiten Mädchen*treff in Süd-Neukölln gründeten und diesen Schilleria 2 nannten, wurden wir dafür kritisiert, denn ein Mädchen*treff sollte keine Marke sein. Aber unser Gedanke dabei war genau dies: zu signalisieren, dass wir auch hier einen Laden schaffen, der immer wieder Neues ausprobiert, der neue Wege geht, neue Methoden entwickelt, mit derselben Vision, mit unserem Leitfaden und derselben Qualität. So führe ich meine Arbeit auch in Spandau im BDP Mädchen*laden fort. Ich möchte gute Mädchen*-Arbeit machen, also die Mädchen* begleiten und
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stärken. Das bedeutet auch, flexibel zu bleiben: Braucht es gerade vor allem einen Schutzraum, möchten die Mädchen vielleicht auch einmal ergebnisorientiert arbeiten, um die maximale Selbstwirksamkeitserfahrung zu machen oder liegt der Fokus auf Prozessorientierung? Das hängt jeweils von den aktuellen Bedürfnissen der Mädchen ab. Die Mädchen* können an einem Tag über Liebe schreiben wollen und am nächsten Tag darüber, dass der Vater wieder depressiv oder betrunken ist. Dies wird in den Texten verarbeitet. Rap-Texte schreiben hat immer etwas von Selbsttherapie. Das bedeutet auch, dass bei jedem Treffen neue Themen auftauchen können. Einerseits ist hier also ein prozessorientiertes Arbeiten wichtig, was bedeutet, nicht darauf zu beharren, das Thema aus der letzten Woche wieder aufzugreifen. Andererseits ist es aber ebenso wichtig, die Mädchen darin zu ermutigen, die Lieder fertig zu schreiben. Ein fertiger Song ist eine wichtige Selbstwirksamkeitserfahrung. In diesen Prozess fließen ganz viele Methoden und Techniken ein: Song-Analysen, Gespräche über Rollenbilder, auch im Rap, Reim-Schemen lernen, kleine Reim-Battles und vieles mehr. Das sind alles kleine Tools, die gerahmt werden von der konstanten, empowernden Begleitung des Prozesses durch die Teamer*innen.
Kontinuität und Flexibilität – beides ist wichtig In der offenen Arbeit warte ich, bis die Mädchen* Lust haben, etwas zu schreiben. Bei Schulprojekttagen oder kurzen Workshopangeboten wissen die Jugendlichen in der Regel, dass es auch darum geht, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Es kann auch in der offenen Arbeit hilfreich sein, einen festen Termin zu vereinbaren, aber es passiert viel im Leben der Mädchen, worauf wir im Mädchen*treff erstmal eingehen müssen. Themen unserer Rap-Workshops sind oft Liebe und Sexualität. Darüber findet ebenso sexuelle Aufklärung statt. In diesem Rahmen sprechen wir auch darüber, was Missbrauch und sexuelle Gewalt ist und leisten so einen Beitrag zur Gewaltprävention. Das heißt nicht, dass wir die Mädchen Rap-Texte darüber schreiben lassen. Sie schreiben Rap-Texte über ihre Themen, zum Beispiel ihre aktuelle Verliebtheit. Im Prozess der Songentstehung finden dann die Gespräche und Auseinandersetzungen rund um das Thema „Beziehungen“ statt, inklusive negativer Erfahrungen und der Ängste der Mädchen.
Umgang mit Frauen*bildern, sexistischen und anderen gewaltvollen Inhalten in Rap-Texten Die Reaktion der sozialen Arbeit war früher oft abwertend: Sozialarbeiter*innen zum Beispiel forderten sehr schnell, dass Songs, die als problematisch wahrgenommen wurden, im Jugendclub ausgeschaltet werden. Das hat sich meiner Beobach-
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tung nach in der Sozialen Arbeit und politischen Bildung verändert. Es wird mehr Wert darauf gelegt, im Dialog zu bleiben. Das wünsche ich mir auch von der Jugendarbeit. Dies gilt vor allem in der (sekundären) Präventionsarbeit, zum Beispiel gegen Rechtsextremismus. Auch hier entwickelt sich der Umgang weiter. Sozialarbeiter*innen greifen jetzt eher die Inhalte der Songs auf, nutzen diese zum Einstieg in Diskussionen und können in einem weiteren Schritt Alternativen aufzeigen. In meiner Arbeit im spezifischen Kontext der Mädchen*-Arbeit bedarf es meiner Meinung nach einer Kombination verschiedener Strategien. Wenn ein Mädchen* einen Song abspielt, der klar gewaltverherrlichend ist, vor allem Frauen gegenüber, dann bin ich im ersten Schritt für einen Stopp. Im Setting der Mädchen*arbeit, vor allem in einem Mädchen*treff, sollte ein Safer Space geboten werden. Im zweiten Schritt gehe ich sofort in den Dialog: „Warum habe ich jetzt Stopp gesagt? Lass uns vielleicht noch einmal den Song gemeinsam hören. Was wird ganz genau gerappt?“ Die Mädchen* hören die Songs oft gar nicht so bewusst. Bestimmte sexualisierte Bilder und sexistische Phrasen sind ihnen so geläufig, dass sie diese aus Gewohnheit unreflektiert und nicht aktiv konsumieren. Wenn man aber kurz innehält und die Aufmerksamkeit auf den Text lenkt, sind sie oft erst einmal geschockt. Aus der Auseinandersetzung der Texte ergeben sich oft Fragen wie: Was ist eigentlich sexuelle Gewalt? Mädchen* in unterschiedlichen Altersgruppen haben oft schon ihre eigenen Eindrücke von Machtmissbrauch und Gewalt sammeln müssen. Die anschließende Diskussion, an welchem Punkt sexuelle, auch verbale Gewalt beginnt, ist bereits Teil unserer gewaltpräventiven Arbeit. Im dritten Schritt können Alternativen aufgezeigt werden. Allerdings halte ich dafür gemeinsame ‚Listening-Sessions‘ für produktiver. In diesen Runden werden Alternativen als eigene Vorliebe präsentiert, im Sinne von: „Das hör ich gern.“ Die „Alternative“ als letztlich alternativlos, weil politisch korrekt und hochwertiger darzustellen, halte ich nicht für hilfreich. Das greift bei den Jugendlichen auch nicht. Anfangs Akzeptanz für ihre Wahrnehmung zu zeigen, ist für mich immer der erste Schritt. So erzählen mir z. B. die Mädchen, dass sie es toll finden, dass eine Künstlerin aufgespritzte Lippen hat, schlank ist und ein perfektes Stupsnäschen hat. Die Alternativen, die ich vorschlage, werden vermutlich erstmal auf Ablehnung stoßen, weil es sich für sie nicht gewohnt anfühlt. Das ist eine Schutzreaktion nach dem Motto „Das Ungewohnte ist erstmal komisch und könnte etwas sein, was gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Deshalb mache ich da erstmal nicht mit“. Ein klassisches Beispiel aus der Arbeit: Ich zeige das Bild einer Künstlerin mit aufgespritzten Lippen, schlank und einem perfekten Stupsnäschen und lege daneben das Bild einer Künstlerin wie Frida Kahlo, mit einem Damenbart. Was wird mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt, wenn noch keine Reflektionsprozesse über Schönheitsideale stattgefunden haben? Höchstwahrscheinlich Frida Kahlo. Diese Ablehnung gilt es erstmal anzunehmen und anzuerkennen. Sonst
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können wir die Mädchen* nicht da abholen, wo sie sind. Durch meine Anerkennung ihrer Meinung machen die Mädchen* eine positive Erfahrung und sind dann bereit meine Impulse anzunehmen, wenn auch nicht gleich. Ich weiß durch meine langjährige Arbeit im Mädchen*treff, dass Impulse, die ich früher gesetzt habe und die die Mädchen komplett ablehnten, später doch gefruchtet haben. Zum Teil passiert das erst Jahre später, wenn die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und dem Erwachsenwerden sich nochmal verändert. Die Mädchen* erfahren an bestimmten Punkten selbst, dass sie nicht immer dem Ideal entsprechen können, dass sie eben zum Beispiel nicht so schlank wie die Rapperin sind, die sie sich immer angehört haben. Wenn sie diesen Moment erreicht haben, gehen ganz andere Prozesse los. Ähnliches passiert, wenn sie sich verlieben. Dann geht es um die Partner*innen-Wahl und die Frage, welche Art von Paarbeziehung man führen möchte. Irgendwann kommen für die Mädchen* diese Prozesse und dann erinnern sie sich an die Alternativen, die man ihnen aufgezeigt hat, fühlen sich darin plötzlich aufgehoben und weniger ‚freaky‘.
Mein persönliches Highlight-Projekt – die Blockparty Ein besonders gelungenes Projekt für mich war die Blockparty zum Geburtstag des Mädchen*treffs Schilleria. Wir hatten eine große Bühne gemietet, Künstler*innen aus der HipHop-Szene eingeladen und Mädchen* des Treffs sind mit ihren eigenen Songs aufgetreten. Die Party war vom gesamten Team organisiert, wir hatten im Vorfeld viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, sodass viele Leute da waren. Das gab den Mädchen* die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu repräsentieren und sie haben ihre Ideen toll umgesetzt. Ich habe immer noch Gänsehaut. Eine Blockparty sollte eigentlich der Traum eine*r jeden Sozialraumkoordinator*in sein! Der gesamte soziale Raum wird mit eingebunden. Es findet nicht nur die Party auf der Bühne statt. Man organisiert auch Spiele für die Kleinen. Die Eltern bringen die Geschwister der Mädchen* mit, die dort für den Moment spielen können und haben gleichzeitig ihre Mädchen* auf der Bühne gesehen. Eine Blockparty ist ein Angebot für die ganze Familie, denn alle Kinder sind beschäftigt. Man schafft eine Situation, die gleichzeitig ein Gewinn und auch eine Entlastung für den Kiez ist. Eine riesige Party und alle sind eingeladen.
Literatur cultures interactive e.V. (2017): Best-Practice-Methoden für die inklusive Jugendkulturarbeit www.cultures-interactive.de/files/publikationen/Flyer%20Broschueren%20Dokumentationen/2017_Best-practice-Methoden%20fuer%20die%20inklusive%20Jugendkulturarbeit.pdf (Abfrage: 10.12.2022).
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Geschlechterreflektierte Mädchen*- und Empowerment-Arbeit mittels Rap Haszcara
Ich werde in diesem Beitrag von „Mädchen“1 sprechen. Das liegt daran, dass ein Beitrag zur sogenannten „Mädchenarbeit“ mittels HipHop für dieses Buch gewünscht war. Die Geschlechtszugehörigkeit wird Kindern noch vor der Geburt anhand körperlicher Merkmale dem binären Geschlechtermodell von Mädchen/Junge zugeordnet. Dies stimmt jedoch nicht immer mit ihrem Gender (dem sozialen Geschlecht) oder ihrer Selbstidentifikation überein (vgl. Butler 1990). Was ich damit sagen will: Es befinden sich unter den Teilnehmenden in meinen Workshops auch trans*Jungen, sowie nichtbinäre und genderqueere Personen. Hier zeigt sich ein Problem in der Mädchenarbeit: Sie kann sehr ausschließend sein. Oft fehlen queere Ansätze – die Offenheit, Kinder und Jugendliche einzuschließen, die sich beispielsweise im sensiblen Prozess der Transition befinden. Die Pubertät ist ohnehin schon eine aufreibende Zeit. Dennoch spreche ich mich für eine geschlechterreflektierte Jugendarbeit aus, da sie Kinder und Jugendliche stärken kann. Das Konzept von Geschlecht und die zugehörigen Erwartungen sind nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene ein Konstrukt mit schwerwiegenden Folgen.
Meine Ansätze der geschlechterreflektierten Mädchen*- und Empowerment-Arbeit mittels Rap Rap und Patriarchat
Geschlecht stellt ein strukturierendes Element in der Gesellschaft dar. Die Kategorien „Mann“ und „Frau“ basieren hauptsächlich auf kulturell geprägten Normen, die oftmals fälschlicherweise als biologisch determiniert betrachtet werden. Diese Normen umfassen Charaktereigenschaften und Körperlichkeit, wie zum Beispiel die traditionelle Vorstellung, dass Männer sowohl mental als auch körperlich stärker als Frauen seien. Diese Annahme ist jedoch laut soziologischer Untersuchun-
1
Mädchen = Kinder, die sich als weiblich identifizieren, ob cis, trans oder einer der vielen anderen Formen von weiblicher Geschlechterzugehörigkeit.
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gen nicht richtig. Vielmehr erfüllen Annahmen wie diese die Funktion, Männer in ihrer hegemonialen Position zu verankern. Zusätzlich funktioniert Geschlecht in Abgrenzung zueinander. Eine Frau ist, was ein Mann nicht ist (vgl. Beauvoir 1951/2005). Um eine Kategorie zu definieren, braucht es eine andere. Somit wird die Identität des Individuums durch das entstandene Zugehörigkeitsgefühl gesichert, genau wie es sich zu einer Ethnie oder Altersgruppe zugehörig fühlt. Darüber hinaus stellt Heterosexualität eine wichtige Komponente von Geschlecht dar. Die traditionelle Männlichkeit besteht darin, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen, während die Weiblichkeit umfasst, für Männer attraktiv und schön zu sein, sodass diese sich wie ‚richtige‘ Männer fühlen können. Geraten diese Aspekte durcheinander, sorgt das für Verwirrung, Ablehnung oder Verleugnung, da die eigene Identität in Frage gestellt wird. Soziale Beziehungen strukturieren das Miteinander, sodass die Handlungen von Individuen auch ihr Umfeld beeinflussen (vgl. Goffman 1977). Männer können sich in ihrer hegemonialen Macht von Frauen bedroht fühlen, wenn Frauen mit ihnen in Konkurrenz treten. Das binäre Geschlechtermodell sieht also vor, dass Männlichkeit sich in Abgrenzung zu Weiblichkeit definiert. ‚Weibliche‘ und ‚männliche‘ Attribute stehen demnach im Gegensatz zueinander, zusätzlich existiert eine (Be-)Wertung dieser eben genannten. Im Patriarchat, also einer männlich dominierten Gesellschaft, schneiden männliche Attribute besser ab als die ihrer ‚Schwestern‘. Zuschreibungen an Weiblichkeit sind beispielsweise Zurückhaltung, Häuslichkeit, Unselbstständigkeit, Unsicherheit und Passivität (vgl. Goffmann 1977). Diese Zuschreibungen gehen nicht damit konform, als Alleinunterhalterin oder in einer Gruppe auf der Bühne zu stehen. Die Frau, die sich einem Publikum präsentiert, hat ‚das Haus verlassen‘, zeigt sich der Welt, teilt ihre Gedanken mit und wird dafür (hoffentlich) auch noch bezahlt. Es ist ein ungewohnter Anblick, wenn sie schwitzend und voller Emotion rappt – nicht umsonst sagt man spitten, denn es kommt auch vor, dass man sein Publikum aus Versehen anspuckt (engl. „to spit“ = spucken, anspucken). Rap ist wild. Auch vulgäre Worte kommen vor, man rappt eben, wie man spricht. Authentizität hat einen hohen Wert. Technische Versiertheit ist von großer Bedeutung: ausgeklügelte, am besten mehrkettige Reime, die sich über den ganzen Text erstrecken; Flowpassagen, die mitreißen und schwer nachzurappen sind; Wortspiele, die man erst nach dem fünften Mal hören erkennt oder Hooks, die noch ewig im Kopf schwirren. All das bringt Anerkennung im Rap. Und doch ist der wichtigste Punkt die Delivery: Wie bringst du den Text rüber? Rappst du von dem, was dir nicht passt, während du ganz leise bist und auf den Boden schaust? Oder kannst du den Menschen in die Augen sehen, deine Worte meinen, sie in Stein meißeln, mit guten wie auch schlechten Reaktionen leben? Kannst du Menschen von dir und deinen Worten überzeugen? Das Zusammenspiel von Technik und Bühnenperformance ist ausschlaggebend dafür, ob du als
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Rapper*in auf der Bühne erfolgreich bist, ob du bei den Leuten ankommst. Allerdings lernen Mädchen weder in der Schule noch sonst irgendwo, einen Raum mit sich und ihren Worten zu füllen. Im Gegenteil: Die geschlechtsspezifische Sozialisierung lehrt, dass Frauen möglichst wenig Raum einnehmen sollen. Wortwörtlich: „Size Zero“ war nicht nur ein Modetrend, Size Zero bedeutet, dass Frauen nicht zu groß sein dürfen, in vielerlei Hinsicht. Eine Forderung, die auf den ersten Blick ‚nur‘ den Körper zu adressieren scheint, überträgt sich auf die emotionale Ebene – bis hin zu dem Punkt, an dem Menschen sich wünschen, komplett zu verschwinden. Immer kleiner, immer weniger, vom Höschen bis zur eigenen Meinung (vgl. Degele 2004). Rap bedeutet das absolute Gegenteil: Wenn du rappst, musst du da sein. Genau an diesem Punkt erlebe ich in meinen Workshops häufig Schwierigkeiten im Umgang mit jungen Mädchen. Oft sind sie peinlich berührt, wollen nicht laut sein, sich nicht trauen, sich nicht mitteilen, kichern lieber oder verschwinden hinter einer schüchternen, manchmal auch vorlauten Fassade, insbesondere, wenn Jungs dabei sind. Einige geben sich einen Ruck und trauen sich dann doch – daraufhin sind sie oft sehr überrascht von sich selbst. Diesen Prozess zu sehen ist jedes Mal sehr bewegend. Ihre Zurückhaltung ist jedoch mehr als verständlich, wenn man bedenkt, dass Verhalten sanktioniert wird, welches nicht mit den herrschenden Geschlechternormen konform geht (vgl. Coleman 1991). So ist es sicherlich kein Zufall, dass Frauen, die rappen, häufig queer sind und/oder sich besonders weiblich inszenieren: Um zu rappen, muss dir egal sein, was andere – und vor allem cis hetero Männer – über dich, deine Geschlechtsidentität und Sexualität denken. Und wem könnte das egaler sein, als Menschen, die nicht oder zumindest weniger auf die Bestätigung von cis Männern angewiesen sind? Ja, es bedarf in jedem Falle Mut und Selbstsicherheit. Auf der anderen Seite gibt es Rapperinnen, die großen Wert auf die Betonung ihrer Weiblichkeit legen. In der Geschlechterforschung gibt es einen Begriff, der die stark weibliche Inszenierung von Athletinnen bezeichnet: „The feminine Apologetic“. Er beschreibt, wie sich weibliche Athletinnen durch Hervorheben ihrer weiblichen Seite quasi dafür ‚entschuldigen‘, dass sie in eine traditionell männliche Domäne eingedrungen sind (vgl. Lowe 1998, S. 121). Meyerhoff und Wrigley nennen das selbe Phänomen schon im Jahre 1943 „The feminity principle“ (Lowe 1998, S. 11). Es geht dabei um die Bewegung zurück in die Sphären ‚akzeptabler Weiblichkeit‘. Damit sollen einerseits diejenigen diskriminiert werden, die sich an diese Grenzen nicht halten. Es stellt aber außerdem den Versuch dar, ‚Männlichkeit‘ an sich selbst abzustreiten. Zu dieser Performance zählt das Tragen von Pastellfarben, Röcken, Make-Up und langem Haar, aber auch, sich mit männlicher Begleitung sehen zu lassen und damit Heterosexualität zu suggerieren. Das Zusammenspiel vom „female apologetic“ und dem
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„male gaze“2 lässt sich auch unter Rapperinnen beobachten, zum Beispiel Nicki Minaj, Cardi B, Megan Thee Stallion, Saweetie, Shirin David, Juju, Liz, Badmómzjay, Nura, Eunique, Loredana, … die Liste ist lang. Egal wie hart ihr Rap ist, viele dieser Rapper*innen sind häufig mit langen Nägeln, gemachten Haaren, viel Make-Up, großen Creolen und figurbetonter Kleidung zu sehen. Die Angst heterosexueller Frauen, für heterosexuelle cis Männer nicht attraktiv zu sein, wird früh gepflanzt (vgl. Beauvoir 2005). Wenn Menschen die ihnen zugeschriebenen Rollenbilder brechen, kann dies die fragile Geschlechtsidentität anderer verunsichern: „Wer bin ich, wenn nicht das Gegenteil von dir?“ Ich spreche hier zwar von Rap, aber man kann dieses Phänomen auch auf andere Bereiche, wie zum Beispiel Bodybuilding übertragen (vgl. Goffmann 1977). Männer können sich in ihrer hegemonialen Macht von Frauen bedroht fühlen, wenn Frauen mit ihnen in Konkurrenz treten. Sie sehen dann nicht nur die eigene Identität, sondern auch ihre Sexualität in Frage gestellt. Viele Männer halten es nicht aus, mit einer Frau zusammen zu sein, die ‚besser‘ oder selbstbewusster ist als sie. So tief verankert sind die Vorstellungen von Geschlecht.
Sexismus im Rapmusik-Business
Es ist vermutlich kein Zufall, dass viele Menschen, die keine cis Männer sind, nicht nur rappen, sondern auch produzieren, aufnehmen und abmischen können. Der Grund dafür ist nicht nur Talent, sondern auch Mittel zum Zweck. Das autodidaktische Lernen hat seinen Ursprung häufig darin, dass viele von uns einfach keine Möglichkeit hatten oder haben, sich existierenden Gruppen anzuschließen oder Hilfe zu bekommen. Andere Frauen gelten leider oft als Konkurrenz, nicht als Schwestern. Ich hatte das Glück, allgemein und auch von Männern Unterstützung zu erfahren und schöne Erfahrungen machen zu dürfen. Das ändert jedoch nichts daran, dass MusikGruppen trotzdem häufig ausschließlich männlich sind (vgl. z. B. MaLisa Stiftung 2022) und auch ich größtenteils im ‚Einzelkämpfer-Modus‘ meine Karriere bestritten habe. Mit dem ersten Geld, welches ich durch die Musik verdient habe, habe ich mich selbstständig gemacht und angefangen, Beats zu bauen, mir ein Mikrofon gekauft und mich mit der Technik dahinter auseinandergesetzt – und viele Frauen und Queers, 2
Der „male gaze“, die männliche Schaulust, ist eines der zentralen Paradigmen feministischer Filmtheorie und der Kunstgeschichte, das auch auf korporale Weiblichkeitsinszenierungen im Videoclip übertragen werden kann. In Videoclips kommen Frauen als „visual hooks“ zum Einsatz; das Betrachten fetischisierter Körper evoziert die visuelle Lust des Betrachters. Herausragendes Merkmal bei Frauendarstellungen ist die Inszenierung weiblicher Körpersprache und Mimik für den apostrophierten männlichen Betrachter. Hintergrund ist die eindimensionale Geschlechterrollenverteilung, nach der Männer sehen und Frauen angesehen werden (vgl. Mulvey 2009, NeumannBraun/Mikos 2006, S. 42–52.).
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die ich kenne, genauso. Sie hatten einfach keine Lust mehr, auf Leute angewiesen zu sein, die sie eventuell anflirten oder ihnen weniger zutrauen. Es geht aber auch um die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Um Dinge zu lernen, müssen wir scheitern. Es ist eben tatsächlich noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Und genau da trifft die sexistische Vorstellung von Männern und Frauen wieder den Nagel auf den Kopf: Nicht nur fehlen die Vorbilder für Frauen, mit denen sie sich identifizieren können, sondern sie geraten schnell in die Lage, den Beweis liefern zu müssen, dass alle Frauen (allgemein) rappen können oder eben auch nicht. Hier kommt eine große Tragik zum Vorschein, die ich oft in der Cypher beobachtet habe. Jeder Anfänger kann dorthin gehen und etwas zurechtstammeln, meistens werden diese Rapper einfach ignoriert und ihnen wird keine große Beachtung geschenkt. Traut sich jedoch eine Frau ans Mic, ist der ganze Raum leise, alle hören und schauen hin, es gibt immer Applaus. Rapper*innen sind dazu verurteilt, sofort etwas zu sein, sie dürfen nicht ‚werden‘. „Puh, ich hab gar nicht gedacht, dass Frauen rappen können“ ist ein Satz, den viele von uns kennen. Das kann auch blockieren und davon abhalten, Neues auszuprobieren – aus Angst davor, das sichere Terrain der Anerkennung zu verlassen und einen Fehltritt zu begehen. Und bevor sie alles, was sie will, ausprobieren konnte, ist sie ‚DIE Frau‘, und ertappt sich dabei, sich nur noch auf sicherem Gebiet bewegen zu wollen und nichts Neues auszuprobieren, um ja keinen Fehler zu machen. Gerade deshalb geht es in den Mädchen-Workshops darum, einen Ort zu schaffen, an dem Fehler gemacht werden dürfen. Die Mädchen lernen nicht nur zu rappen, es geht auch darum, unseren antrainierten Perfektionismus zu hinterfragen und die Teilnehmer*innen erstmal dazu zu ermutigen, „einfach nur zu machen“ – unabhängig davon, ob sie sich gut oder schlecht finden. Gegenseitige Unterstützung, jenseits von ‚cool‘ und ‚cringe‘ steht genauso auf der Agenda wie das Erlernen von Rhythmusgefühl. Zusätzlich thematisiere ich in meinen Workshops die Bedeutung sozialer Medien. Denn in einer Zeit, in der jeder kleinste Schritt von jedem bewertet werden kann (in Form von Likes, Kommentaren und Views), findet die Angst, nicht gut genug zu sein, einen sehr potenten Nährboden. Hier möchte ich auf Veranstaltungen wie Women’s World, die Leila A. ins Leben gerufen hat, hinweisen: einer der ersten Cypher Berlins nur für Frauen und ein großartiger Ort für Empowerment.
Männerdomäne Subkultur
Die meisten Subkulturen sind Männerdomänen, es sei denn, es sind explizit ‚weibliche‘ Szenen wie zum Beispiel die Riot Grrrl-Szene (vgl. Lautmann 1989). So verhält es sich auch im Rap. Während viele Jungs im Jugendalter mit ihren Freunden selbstverständlich rappen und freestylen, ist die Erfahrung von Mädchen eine andere – und auch meine. Zwar wurde ich nicht explizit ausgeschlossen, aber eben oftmals auch nicht eingeschlossen. Es bedeutete immer eine Überwindung, sich einer Männergruppe anzuschließen. Frauen- oder gemischte Gruppen gab es in
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meinem Umfeld keine. Oft stand die Frage im Raum, ob mein Interesse wirklich der Musik oder nicht eher einem Typen, Sex oder einer Beziehung gelten würde. Ich musste mich beweisen, weil ich jetzt als ‚Vertreterin eines Geschlechts‘ agierte. Das liegt daran, dass Dynamiken innerhalb einer reinen Jungsgruppe andere sind als in gemischten Gruppen (vgl. Guggenbühl 2011). Sofern Mädchen und Frauen nicht vollständig als Mitglied der Clique oder Szene akzeptiert und integriert sind (dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sie als sexuell begehrenswert gelten oder „1:1 wie ein Typ“ und somit „einer von ihnen“ sind), gelten andere Regeln. Es gibt auch die Beobachtung, dass Männer sich untereinander eher unterstützen als Frauen. Das ist natürlich nicht biologisch begründet, sondern hängt auch mit ihrer Sozialisation zusammen. Und dann ist da noch die ‚Gegenleistung‘, die zwar wie ein Klischee klingt, aber leider keines ist: Da geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Sexualität und Macht. Das sind die Gründe, weshalb ich mich für die Förderung von jungen Mädchen ausspreche.
Feminismus im Rap
Rap von Frauen* und Queers kann sehr feministisch sein. Rapperin* zu sein bedeutet: kein Blatt vor den Mund zu nehmen, Selbstbewusstsein zu zeigen, laut und deutlich zu sprechen und sich einen ganzen Raum zu nehmen. Wenn ich auf der Bühne stehe und die Crowd von mir überzeugen will, stelle ich mir bildlich vor, wie meine Worte bis in die hinterste Ecke des Raumes fließen und den Menschen, die dort stehen, wie eine Welle ins Gesicht peitschen. Ich stelle mir vor, dass mein Ego jeden Quadratmeter des Raumes einnimmt. Wäre ich eine Farbe, würde der ganze Raum in meiner Farbe leuchten. Die Konzerte, auf denen mir das gelingt, sind die Konzerte, in denen ich Menschen von mir begeistern kann. Ich möchte jungen Mädchen den Mut und die Möglichkeit geben, dies auch zu erleben.
Rap macht Wut sichtbar
Neulich habe ich einen Workshop für erwachsene Frauen of Color gegeben, die berichteten, dass Rap ihnen hilft, wenn sie wütend oder aggressiv sind. Sie drehen dann den Bass voll auf und verarbeiten durch die Musik ihre Gefühle. Die weibliche Sozialisation sieht gemachte Wege vor, die gegangen werden sollen. Wut und Aggression gehören nicht zu diesem Weg, zumindest sollen diese Gefühle nicht nach außen getragen werden (vgl. Neuhaus 2015), stattdessen sollen sie unterdrückt werden. Es darf nichts nach außen dringen, sondern soll mit sich selbst ausgemacht werden. Es wird versucht, auf andere friedlich, zugewandt, passiv, verzeihend, sorgend, lieb, freundlich zu wirken – selbst, wenn im Innern die Gefühle toben. Wenn Frauen ihre Emotionen artikulieren, werden sie oft als hys-
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terisch und empfindlich dargestellt oder es wird ihnen suggeriert, dass sie ‚zu viel wollen‘. Das ist nicht nur Sexismus. Das ist Gewalt. Und genau da kann Rap helfen. Es ist ein Ventil, um Gefühle sichtbar – und hörbar – zu machen. Rap ist zudem ein Genre, in dem die Realness und Authentizität eine bedeutsame Rolle spielen. Der*die Interpret*in soll und darf sein, was er*sie verkörpert – auch im realen Leben abseits der Bühne. Die Konsument*innen hören, was in den Rap-Texten gesagt wird, und wollen sich damit identifizieren. Rap hilft, Wut und Aggressionen sichtbar zu machen. Sich zu artikulieren. In aller Deutlichkeit.
Empowerment ist wichtiger als Rap-Technik
In der Vermittlung von Rap spielt meiner Erfahrung nach das technische Wissen eine zweitrangige Rolle. Natürlich besprechen wir zusammen Reime, Inhalt, Flow, Rhythmus und vieles mehr. Das Wichtigste ist jedoch die Beziehungsarbeit zwischen mir als Vermittlerin und den Mädchen*. Ich möchte ihnen zu der Erkenntnis verhelfen, wichtig und handlungsfähig zu sein. Rap ist kein Hexenwerk, jede*r kann sich im Internet YouTube-Videos ansehen, wie man technisch besser wird oder wie der 4/4-Takt funktioniert. Viel größeren Einfluss habe ich damit, mein Wissen weiterzugeben und die Jugendlichen ernst zu nehmen, ihnen etwas zuzutrauen. Rap ist ein Handwerk, um Gefühle zu verarbeiten. Ich möchte den Jugendlichen einen Raum bieten, in dem sie sich mit Fragen auseinandersetzen dürfen: Was beschäftigt mich zurzeit? Was macht mich glücklich? Worüber bin ich wütend? Was würde ich gerne in meinem Leben und der Welt ändern? Die Teilnehmenden sollen einen Zugang zu diesen Themen bekommen. Ob sie das dann vor mir oder der Gruppe vorstellen und mit uns teilen, ist zweitrangig. Ich bin der Überzeugung, dass diese Skills langfristig wirksam sein werden und jede in ihrem eigenen Tempo vorankommen wird. Die Möglichkeit, unzensiert und ohne Filter darüber zu sprechen, was sie bewegt, bekommen Jugendliche allgemein viel zu selten. Den größten Einfluss – so mein Eindruck – hat es für die Mädchen, mich als authentisches Vorbild zu erleben und zu sehen, wie ich mich traue, laut zu rappen, aber auch mal einen Fehler zu machen. Ich möchte ihnen zeigen, dass Menschen nicht perfekt sein müssen und trotzdem – mehr oder weniger – selbstbewusst sein können. Außerdem möchte ich ihnen vermitteln, dass der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben Authentizität ist. Methoden, die ich in meiner Arbeit einsetze, sind zum Beispiel das „Lautstärke Battle“, die Tagebuch-Aufgabe „Drei Minuten – drei Fragen“, Freestyles, Quatschgedichte und „Call ‘n‘ Response“-Spiele. Darüber hinaus sprechen wir über die Geschichte von HipHop und kommen von dort auf das Thema „Diskriminierung“ und die Frage: „Was hat das mit mir zu tun?“ Anhand der Geschichte von HipHop lässt sich auch zeigen, wie Rap dabei helfen kann, auf sich, aber auch gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und sich durch Musik weniger allein zu fühlen, sich Gehör zu verschaffen.
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Ich schaue mit den Teilnehmenden oft auch die Rap-Videos verschiedener Rapper*innen an, um aufzuzeigen, wie verschieden sie sind und wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, eine ganz eigene (Geschlechts-)Identität zu leben und zu performen.
Fazit: Rap als kraftvolles Medium Als Rapperin hören mir Menschen zu. Ein wichtiger Bestandteil des Zuhörens ist, dass sie sich mit meinen Texten identifizieren können. Genauso geht es mir mit der Musik, die ich selbst höre. Musik ist ein wunderbares und wertvolles Medium, um sich weniger allein und verstanden zu fühlen. Musik kann helfen, zu heilen. Musik ist Kommunikation. Für mich ist meine Musik der einzige Ort, an dem ich absolut alles nach meinem Geschmack gestalten kann. Denn: Es gibt hier kein richtig und falsch. Herauszufinden, dass dies im echten Leben im Grunde genauso ist, hat eine Weile gedauert. Hier sehe ich das größte Potenzial von Rap in der Mädchenarbeit: der kommenden Generation zu vermitteln, dass sie etwas zu sagen haben, dass sie sich für nichts und niemanden auf der Welt im Hintergrund halten müssen, dass sie laut sein dürfen, und authentisch. In anderen Worten: dass sie genauso sein dürfen, wie sie sind.
Literatur Beauvoir, Simone de (1951/2005) Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. 5. Auflage. Hamburg: Rowohlt. Butler, Judith (1990): Das Unbehagen der Geschlechter. 22. Ausgabe. Berlin: Suhrkamp. Neumann-Braun, Klaus/Mikos, Lothar (2006): Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung der aktuellen Forschungsliteratur. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westalen (LfM), Band 52. Düsseldorf: Vistas. Degele, Nina (2004). Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. 1. Auflage. Wiesbaden: VS. Goffman, Erving (1977). Das Arrangement der Geschlechter. In: Knoblauch, Hubert (Hrsg.): Interaktion und Geschlecht, Frankfurt/Main – New York: Campus, S. 105–158. Guggenbühl, Allan (2011): Was ist bloß mit unseren Jungs los. 1. Ausgabe. Freiburg im Breisgau: Kreuzverlag. Lautmann, Rüdiger (1989): Geschlechtsspezifische Subkulturen. In: Hoffmann-Nowotny, HansJoachim (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. Zürich: Seismo, S. 376–378. Lowe, Maria (1998). Women of steel. Female bodybuilders and the struggle for self-definition. 1. Ausgabe. New York: New York University Press. MaLisa Stiftung (2022): Gender in Music – Charts, Werke, Festivalbühnen. malisastiftung.org/genderin-music (Abfrage: 30.12.22). Mulvey, Laura (2009): Visual and other Pleasures. 2. Ausgabe. London: Palgrave Macmillan. Neuhaus, Henrike (2015): Fighting for sociocultural accaptance and diversity. In: Marquardt, Anja/Kuhn, Peter (Hrsg): Von Kämpfern und Kämpferinnen – Kampfkunst und Kampfsport aus der Genderperspektive. Hamburg: Czwalina, S. 49–56.
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Release Friday und Open Decks: ein Ansatz der Jungenarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Dennis Just
Einleitung Von Schwarzen Rap-Männlichkeitskonstruktionen des New York der 1970er Jahre bis hin zu migrantisch geprägten Männlichkeitsbildern der hiesigen RapSzene: Die Inszenierung von Männlichkeit und Geschlecht spielt in der „wichtigste[n] musikbezogene[n] Jugendkultur“ (vgl. Huber 2018, S. 10) der Gegenwart eine zentrale Rolle. Neben geschlechtlichen Selbstinszenierungen findet im HipHop u. a. auch eine starke Thematisierung des eigenen Körpers, des eigenen Begehrens, von Rauscherfahrungen und von familiären Beziehungen statt. Der vorliegende Beitrag möchte dies aufgreifen und anhand der Darstellung einer Methode der Jungenarbeit zeigen, wie in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit dazu gearbeitet werden kann. Eine Auseinandersetzung mit und die Förderung von Jugendkulturen zählt seit Jahrzehnten zu den Aufgaben der Offenen Kinderund Jugendarbeit (vgl. Josties/Menrath 2021, S. 1267). Weiterhin sollte das sozialpädagogische Handlungsfeld die Bedürfnisse verschiedener Geschlechter adressieren und einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit leisten (vgl. § 11 Abs. 3 SGB VIII), was insbesondere durch Angebote der Jungen1- und Mädchenarbeit realisiert werden kann. Naheliegend erscheinen deshalb Ansätze, die geschlechtsbewusste Jugendarbeit und jugendkulturelle Vergemeinschaftungsformen integrieren. Hier setzt dieser Beitrag an und möchte zwei konkrete Methoden der Jungenarbeit vorstellen, die auf HipHop, eine der dominantesten Kulturformen der Gegenwart (vgl. Dietrich 2016, S. 8), aufbauen. Als Ausgangspunkt dient die Überlegung, am Alltag der Jugendlichen anzusetzen, denn Jungenarbeit sollte sich stets an den aktuellen Interessen und Bedürfnissen der Teilnehmenden orientieren, also einen Bezug zu deren Lebenswelt aufweisen (vgl. Melcher 2021, S. 556). Gelingen kann dies, wenn an einer weitverbreiteten Alltagspraxis innerhalb der Of-
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„Jungen“ adressiert im Folgenden alle Menschen, die sich von diesem Begriff angesprochen fühlen. Dies umfasst insbesondere Menschen mit transidentitärer oder nichtbinärer Selbstidentifikation, was häufig mit dem Begriff „Jungen*“ zu Ausdruck gebracht wird. Da „Jungen*“ eine semantische Exklusion von trans Jungen implizieren kann, findet in diesem Artikel der Begriff „Jungen“ Anwendung.
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fenen Kinder- und Jugendarbeit angesetzt wird: dem Hören von Musik. Das hier vorgestellte Konzept Release Friday und Open Decks versucht deshalb an jener Praxis anzuschließen und Gelegenheiten für Bildungsprozesse aufzuzeigen. Der Ansatz verfolgt indes zweierlei Ziele: Erstens sollen Jungen auf der Suche nach der eigenen Identität unterstützt werden. Zweitens schlägt er eine Brücke zur Lebenswelt der Jugendlichen und ermöglicht den Fachkräften, ein tieferes Verständnis für die Interessen, Befindlichkeiten und Bedarfe der Jungen zu entwickeln. In Teil 1 erfolgt eine knappe Darstellung zentraler Begriffe, welche die Grundlage für den Ansatz darstellen. Ferner wird aufgezeigt, warum sich insbesondere die Jugendkultur HipHop eignet, um Angebote der Jungenarbeit zu realisieren. Soll das Angebot gelingen, gilt es einige Vorüberlegungen zu treffen. Diese betreffen organisatorische Aspekte und das Verhalten der Mitarbeiter*innen2 und stellen den Gegenstand von Teil 2 dar. Anhand einiger Beispiele erfolgt in Kapitel 3 die Darstellung und Konkretisierung der in diesem Ansatz eingesetzten Methode Release Friday.
1 Jungen, Jugendarbeit und HipHop 1.1 Jugendarbeit und Jungenarbeit
Jugend als Lebensphase zeichnet sich durch die Bewältigung von Entwicklungsanforderungen aus. Als zentraler Schritt im Prozess des Erwachsenwerdens wird die Formung der eigenen Identität bezeichnet, in der die Entwicklung der Körperund Geschlechtsidentität eine wesentliche Rolle einnimmt (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2022). Unterdessen unterliegt ‚die Jugend‘ starken Entgrenzungstendenzen: Die Lebensphase dehnt sich in die Länge, gleichzeitig verschieben sich Grenzen und Übergänge von Lebensbereichen wie Schule, Arbeit und Freizeit kontinuierlich (vgl. Krisch/Schröer 2020). Das Finden der eigenen Identität gestaltet sich auch für Jungs als Herausforderung, da vielfältige Vorstellungen von Männlichkeit existieren, zwischen denen diese sich zurechtfinden müssen (vgl. Meuser 2018, S. 372). Neben traditionellen Konzeptionen von Männlichkeit, die die grundsätzliche Verschiedenheit der Geschlechter und ihrer Rollen betonen, sind zunehmend emanzipatorische Rollenbilder verfügbar (vgl. Drogand-Strud 2021, S. 15). Probleme können entstehen, wenn Jungs den gesellschaftlichen oder eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Angebote der Jungenarbeit setzen hier an, und versuchen Jungs und junge Männer bei der Identitätsfindung zu unterstützen, indem pädagogische Fachkräfte mit vielfältigen Methoden Angebote schaffen (vgl.
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Im Folgenden werden diese auch als Pädagog*innen, Jugendpädagog*innen oder pädagogische Fachkräfte bezeichnet.
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Stecklina/Wienforth 2021, S. 324). Diese Angebote ermöglichen es den Teilnehmenden sich von traditionellen Männlichkeitsbildern zu emanzipieren und können sie auch beim Umgang mit vorherrschenden Rollenerwartungen unterstützen. Die Auseinandersetzung erfolgt selbstbestimmt und emanzipatorisch, was den Adressat*innen ermöglicht, Männlichkeit in ihrer Vielseitigkeit kennenzulernen (vgl. Melcher 2021, S. 555 f.). Dabei stellt die Jungenarbeit für männliche Adressat*innen einen Raum dar, in dem diese von Seiten der Fachkräfte Akzeptanz und Anerkennung erfahren und mit ihrem Sozialverhalten experimentieren können (vgl. Böhnisch 2015, S. 173). Dies kann insbesondere in der Offenen Kinderund Jugendarbeit gelingen, denn der Alltag in diesem Handlungsfeld wird durch die strukturellen Voraussetzungen Offenheit, Freiwilligkeit und Diskursivität geprägt. Rechtliche Rahmung erfährt die Auseinandersetzung mit dem Thema „Geschlecht“ in der Jugendarbeit durch § 11 Abs. 3 SGB VIII. Betreffende Angebote sollen diesem zufolge die unterschiedlichen Lebenslagen aller Jugendlichen berücksichtigen, Benachteiligung abbauen und Gleichberechtigung fördern. Folgerichtig gilt es, die Interessen der Jugendlichen in den Mittelpunkt der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu rücken. Durch diese Orientierung an der Lebenswelt der Adressat*innen entstehen Bildungsgelegenheiten, die im Gegensatz zum schulischen Lernen häufig non-formaler Art sein können und insbesondere Auseinandersetzungen mit Themen wie Diversität und Geschlechterrollen ermöglichen (vgl. Sting 2020, S. 112).
1.2 HipHop und Jungenarbeit
Jungenarbeit sollte an den Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmer*innen ansetzen (vgl. Drogand-Strud 2021, S. 16). Indem ein geschützter Raum geschaffen wird, soll Jungen die Möglichkeit gegeben werden, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die für sie im Kontext ihrer männlichen Sozialisation relevant sind (vgl. Melcher 2021, S. 555). Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Popularität der Jugendkultur HipHop eignen sich deshalb Ansätze, die ebenjene Form jugendlicher Vergemeinschaftung zum Ausgangspunkt machen. Dabei orientiert sich der vorgestellte Ansatz an dem Modell der alltäglichen Jungenarbeit, die Jungenarbeit pragmatisch aus der Alltagspraxis der Einrichtung entwickelt (vgl. Böhnisch 2015). Dies geht mit verschiedenen Vorteilen einher, am stärksten gewichtet ist sicherlich der Umstand, dass kein externes Personal benötigt wird, sondern Mitarbeiter*innen der Einrichtung die Methode umsetzen können. Häufig beruht die Selbstinszenierung von Männlichkeit auf der Abwertung und Objektifizierung von Frauen, weshalb auch HipHop vielfach ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik gerät, wobei speziell die Frage nach dem jugendgefährdenden Potenzial seit Jahren kontrovers diskutiert wird (vgl. Verlan/Loh 2006, S. 125). Die hier vorgestellte Methode möchte dies aufgreifen und die omnipräsente Thematisierung von
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Geschlecht im HipHop als Gelegenheit verstehen, um Angebote lebensweltbezogener Jungenarbeit zu schaffen.
2 Methodische Vorbemerkungen Damit Release Friday und Open Decks gelingen können, gilt es einige Aspekte zu beachten, die das pädagogische Handeln und organisatorische Erwägungen betreffen. Im Rahmen der Durchführung von Angeboten der Jungenarbeit muss mit sexistischen, homophoben und transfeindlichen Verhaltensweisen von Jugendlichen gerechnet werden. Aus Sicht der Sozialarbeiter*innen sollte deshalb vor dem Einsatz von Release Friday und Open Decks reflektiert werden, wie solchen Aussagen begegnet wird. Naheliegend erscheint es, den Teilnehmer*innen den Gebrauch von abwertenden Begriffen zu verbieten und sie bei Missachtung des Verbots zu konfrontieren und zu sanktionieren. Dabei sollte beachtet werden, dass solche Interventionen mit einem Gesichtsverlust vor der Gruppe einhergehen oder provokante Selbstinszenierungen unterstützen können. In beiden Fällen resultiert die direkte Konfrontation in einer weiteren sozialen Situation, die es zu bearbeiten gilt und den eigentlichen Zielen des Workshops entgegenstehen kann. Im Gegensatz dazu spricht einiges dafür, solche Situationen offen und dynamisch zu gestalten, sodass sexistische und homophobe Aussagen nicht nur als Problem, sondern vor allem als Gelegenheit für Selbstbildungsprozesse verstanden werden. So kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass die Jugendlichen die Bedeutung von problematischen Aussagen exakt verstehen. Doch selbst wenn die Jugendlichen den Bedeutungsgehalt kennen und sich bewusst abwertend verhalten, kann dies z. B. Ausdruck eines Austestens von Grenzen sein (vgl. Groß/Jäger 2021, S. 180) und erlaubt nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf anti-emanzipative Weltauffassungen. Aufschlussreich kann deshalb eine Herangehensweise sein, die darauf abzielt, die alltäglichen Orientierungsmuster der Jugendlichen zu rekonstruieren (vgl. Bohnsack 1999, S. 34). Misogynes Verhalten lässt sich so beispielsweise auch als Ausdruck von Unsicherheit, als Kompensationsstrategie oder Mittel zur Erlangung von Anerkennung und zur Steigerung des Selbstwerts dechiffrieren (vgl. Böhnisch 2015, S. 146). Kritische Aussagen der Jugendlichen können so als Einladung dienen, ein tieferes Verständnis für die Motivationen, Ängste und Bedürfnisse der Teilnehmer*innen zu gewinnen. Nichtsdestotrotz sollten Pädagog*innen stereotypem Männlichkeitsgebaren kritisch gegenübertreten (vgl. Melcher 2021, S. 558) und mit einer gendersensiblen Haltung auftreten (vgl. Holzhacker/Mangl 2020, S. 166). In problematischen Situationen ist es die zentrale Aufgabe der Fachkräfte, den Konflikten standzuhalten, und sie als Gelegenheit für Bildungsprozesse wahrzunehmen (vgl. Melcher 2021, S. 556). Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:
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In einer Einrichtung der Jugendarbeit spielen Jugendliche den Song „Kleine Hure“ von Apache 207 (2018) ab. In diesem Song kritisiert der Künstler die vermeintliche Einstellung vieler Frauen, denn diese seien häufig nur an materiellen Dingen orientiert und sähen Sex als Mittel zur Statussteigerung. Frauen, die sich so verhalten, markiert der Rapper als „Hure“, wobei dieser abwertende Begriff im Titel und im Refrain des Songs Verwendung findet. Der Song und das damit verbundene Video erlangten enorme Popularität, sodass dieser auch in vielen Jugendzentren zum Thema wurde. Tracks wie dieser führen in vielen Fällen dazu, dass die Jugendlichen sie lautstark abspielen und problematische Beleidigungen mitsingen. An dieser Stelle könnten Sozialpädagog*innen intervenieren und den Jugendlichen den Gebrauch des Wortes untersagen, was wie dargestellt, in unerwünschten Konsequenzen resultieren kann. Stattdessen könnten sie aber auch versuchen zu rekonstruieren, warum die Jugendlichen den Gebrauch gutheißen. Durch eine nicht wertende, interessierte, doch zugleich bestimmende Art und Weise können sich die Pädagog*innen nach den Gründen der Verwendung des Begriffs erkundigen. Die Praxis zeigt häufig, dass beleidigende Aussagen wie in diesem Fall durch mangelnde Reflexion, eigene Unsicherheiten im Umgang mit Sexualität und Konkurrenzdynamiken innerhalb der Peer Group entstehen. Die Organisation des Angebots betreffend, sollte beachtet werden, dass geschlechtshomogene Settings einen wichtigen Bestandteil gendersensibler Jugendarbeit darstellen. Sie ermöglichen, stereotype Männlichkeitskonstruktionen und Anforderungen an Männer zu hinterfragen. Maßgeblich ist hier die „Idee des geschützten Raums“ (vgl. Böhnisch 2015, S. 179), also das Erschaffen eines Ortes, an dem themenbezogene Auseinandersetzungen stattfinden können, die im Alltag nur schwer möglich sind. Ziel ist es, einen ‚Experimentierraum‘ zu schaffen, in dem sich Jungs mit für sie bedeutsamen Themen jenseits gesellschaftlicher Erwartungshaltungen auseinandersetzen können (vgl. Melcher 2021, S. 555). In diesem Setting können Teilnehmer*innen beispielsweise erfahren, dass das Äußern und Zulassen der eigenen Gefühle und das Zeigen von Schwäche wertvolle Fähigkeiten darstellen, die es im Sinne einer reflektierten Geschlechteridentität zu realisieren gilt. Für die Durchführung des Angebots kann es von Vorteil sein, den männlichen Sozialisationsprozess durchlebt zu haben, notwendig ist dies aber nicht (vgl. ‚Stecklina/Wienforth 2021, S. 325). In jedem Fall sollte eine kritische Reflexion der eigenen Biographie stattgefunden haben, nicht zuletzt, um einer Reproduktion traditioneller Geschlechtervorstellungen vorzubeugen. Des Weiteren muss gewährleistet werden, dass die Einrichtung über einen getrennten Raum verfügt, in dem sich die Jungs wohlfühlen und in dem es die Möglichkeit gibt, Musik über Lautsprecher wiederzugeben. Die Lautsprecher werden dabei mit einem Computer der Einrichtung oder den Smartphones der Teilnehmer*innen verbunden. Zur Etablierung von Release Friday und Open Decks kann z. B. jeder zweiter Freitag im Monat mit einem Zeitfenster von 90 Minuten reserviert werden. Dabei sollte sich der Beginn des Angebots an den Unterrichtszeiten der Jugendlichen orientieren,
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weshalb beispielsweise ein Zeitraum von 17:00–18:30 sinnvoll sein kann. Die Methoden Release Friday und Open Decks beanspruchen jeweils 45 Minuten. Das zweiwöchige Format ermöglicht es, im wechselseitigen Takt Projekte für Mädchenarbeit anzubieten. Relevante Ereignisse werden von der pädagogischen Fachkraft auf einem Whiteboard gut sichtbar für alle festgehalten. Die visuelle Dokumentation erleichtert es den Teilnehmer*innen, wesentliche Aspekte nachzuvollziehen, gleichzeitig kann sich in darauffolgenden Sitzungen stets auf die Dokumentationen bezogen werden.
3 Release Friday und Open Decks Die strukturellen Bedingungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ermöglichen eine Vielzahl von Bildungsmöglichkeiten. Gleichzeitig kann die unverbindliche, offene und bewusst unstrukturierte Atmosphäre in dem Handlungsfeld auch eine Herausforderung darstellen. Release Friday und Open Decks setzen hier an und ermöglichen strukturierte, regelmäßig stattfindende Projekte der Jungenarbeit, die sich an der Lebenswelt der Jugendlichen orientieren. Im Zentrum der hier vorgestellten Methoden steht deshalb das gemeinsame Hören von HipHop und das Entdecken neuer Lieder.3 Die gemeinsame Auseinandersetzung mit einzelnen Musikstücken und deren Wiedergabe vor einer Gruppe weist dabei Ähnlichkeiten mit dem DJing, eines der vier konstitutiven Elemente des HipHop auf (vgl. Meier/Süß/Bock 2007, S. 14 f.). Den Jugendlichen eröffnet dies die Möglichkeit, sich intensiver mit der HipHop-Kultur auseinanderzusetzen, in den Austausch mit Gleichaltrigen zu treten und das eigene musikalisch-ästhetische Empfinden weiterzuentwickeln. Release Friday und Open Decks versuchen Jungen auf den drei Ebenen Bewusstseinsschaffung, Reflexion und durch das Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsmuster zu unterstützen. Ein wichtiges Ziel ist es, den Jungen zu verdeutlichen, dass die Bewältigung bestimmter Themen für sie im Kontext der geschlechtsspezifischen Sozialisation zur Männlichkeit von besonderer Bedeutung sind. Zu diesen Themen zählt beispielsweise der eigene Körper, die eigene Sexualität, Gewalt und Aggression, die Beziehung zu den Eltern und auch Rauscherfahrungen (vgl. Bründel/Hurrelmann 2021). Wie deutlich werden wird, bieten Rap und HipHop zahlreiche Gelegenheiten, um dem Bedürfnis vieler Jugendlicher bezüglich der Auseinandersetzung mit diesen Themen entgegenzukommen. Die Dialogführung der Fachkräfte zielt im ersten Schritt Bewusstseinsschaffung darauf, die Jugendlichen für diese Themen zu sensibilisieren. Bildungsprozesse im Sinne einer Neustrukturierung des Welt-Selbst-Verhältnisses benötigen dabei ein Mo-
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Die Begriffe Songs, Lieder und Tracks werden im weiteren Verlauf synonym verwendet.
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ment der Reflexion, sodass die eigene Sozialisation, eigene Männlichkeitsentwürfe und Identitätskonstrukte kritisch hinterfragt werden können. Im zweiten Schritt sollen die Teilnehmenden deshalb durch reflexive Fragestellungen dazu ermutigt werden, Bezüge zur eigenen Biografie herzustellen. Nachdem Jungs dabei geholfen wurde, bestimmte Themen als für sie relevant wahrzunehmen und begonnen wurde, die eigene Sozialisation kritisch zu hinterfragen, versucht dieser Ansatz, Jungen durch das Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsangebote zu unterstützen. Es ist somit Aufgabe der Fachkräfte, stereotypisierende Orientierungen als solche zu identifizieren und den Teilnehmenden emanzipatorische Deutungsangebote auf Geschlechtsidentitäten zu vermitteln. Dies kann insbesondere durch das Aufzeigen der Perspektiven von trans Jungen und Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität geschehen.
3.1 Release Friday
Als Ausgangspunkt dient die Überlegung, ein im Leben vieler Jugendlicher vorhandenes Ereignis in Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit zu integrieren. Innerhalb der Musikindustrie hat sich die gängige Praxis etabliert, neue Veröffentlichungen am Ende der Woche, am sogenannten Release Friday zu veröffentlichen. Dabei sind die Neuveröffentlichungen (engl. Releases) für musikalisch Interessierte einfacher denn je zugänglich: Streamingdienst-Plattformen wie beispielsweise Spotify verdichten Rapmusik-Neuerscheinungen in einer einzigen Playlist, auf die von elektronischen Endgeräten zugegriffen werden kann. 4 Die hier vorgestellte Methode möchte den Release Friday (Freitag als Veröffentlichungstag) als Gelegenheit begreifen, durch die Fachkräfte in den regelmäßigen Austausch mit Jungen und jungen Männern treten können. Die Etablierung einer regelmäßigen Praxis strukturiert den Alltag in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und stellt den Ausgangspunkt dieses Ansatzes der Jungenarbeit dar. Um die Methode Release Friday einzuleiten, sollten Jungen im Laufe der Woche gezielt auf das Programm am Ende der Woche aufmerksam gemacht werden. Zielführend können folgende Fragestellungen sein: „Kommst du am Freitag vorbei? Wir checken die Releases zusammen.“, „Kennst du schon Track ‚X‘ von Künstler*in ‚Y‘? Am Freitag hören wir da mal rein, hast du auch Lust zu kommen?“, „Es gibt ein paar Releases diese Woche von ‚Y‘, wollen wir am Freitag mal reinhören?“. Dabei ist es wichtig, dass die Jugendlichen sich darüber im Klaren sind, dass Release Friday und Open Decks als Jungenangebote konzipiert sind, in dem es um HipHop und spezifische Themen für Jungen geht. Um genderbasierte Ausschlusseffekte zu ver4
Am einschlägigsten bekannt ist die sogenannte „Modus Mio“-Playlist, die sich selbst als wichtigste HipHop Playlist Deutschlands bezeichnet und derzeit (Januar 2023) von 1,8 Millionen Hörer*innen abonniert wird.
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meiden kann eine ähnliche Methode für Mädchen angewandt werden. Beginnt der Release Friday, versammeln sich alle Teilnehmenden in einem Raum, wobei es sich idealerweise um zwei bis sechs Jugendliche und eine pädagogische Fachkraft handelt. Die Sozialpädagog*innen erklären den Teilnehmenden, dass dies das geeignete Setting ist, um sich über neue Veröffentlichungen in der HipHop Szene und gleichzeitig über jungenspezifische Themen auszutauschen. Die Runde beginnt mit einer „Wie-geht’s-mir-Runde“, sodass die Teilnehmenden untereinander vertraut werden und das regelmäßige Erfassen und Artikulieren des eigenen emotionalen Zustands erproben können. Danach verbindet sich die Fachkraft per Endgerät mit den Lautsprechern und bringt in Erfahrung, inwiefern die Jungen mit Szene-News vertraut sind. Die Frage „Was habt ihr diese Woche so zum Thema ‚Rap‘ mitbekommen?“ dient hier als geeigneter Einstieg. Im besten Fall ergibt sich aus dieser Einstiegsfrage bereits eine offene Unterhaltung, in der Jungen Gelegenheit haben, erste Eindrücke und Befindlichkeiten zu äußern und den Fachkräften somit einen ersten Einblick in gegenwärtig relevante Themen gewähren. Nach dieser Einstiegsfrage kann sich dem Thema Releases gewidmet werden: Die Jugendlichen werfen einen Blick auf einschlägig bekannte Playlisten und entscheiden zusammen, welcher Song als nächstes abgespielt wird. Es liegt an den Jugendpädagog*innen darauf zu achten, dass alle Jungs ihre Wünsche einbringen können. Songs können in voller Länge oder auch nur wenige Sekunden wiedergegeben werden, die Entscheidung hierfür liegt bei der Gruppe. In den Vordergrund tritt weniger die Exegese einzelner Stücke, sondern das Gewinnen eines Gesamteindrucks neuer Veröffentlichungen. „Um was geht es in diesem Track?“ und „Was für einen Vibe löst das bei euch aus?“ sind Fragen, die weitere Diskussionen anregen können. Aus fachlicher Perspektive geht es darum, ein Verständnis für die Eigenlogik der Jugendkultur zu entwickeln und mit relevanten Themen und Werken vertraut zu werden. Interventionen sollten nur selten erfolgen; gerechtfertigt sind sie, wenn einzelne Gruppenmitglieder nicht gleichberechtigt partizipieren können oder der thematische Fokus aus dem Blick gerät. Sozialarbeiter*innen verhalten sich beim Release Friday eher passiv, sie setzen keine eigenen Impulse durch die Wiedergabe von Songs, sondern orientieren sich an den Neuveröffentlichungen, die die Jugendlichen abspielen. Die zentrale Herausforderung in diesem Schritt besteht darin, aus den von den Jugendlichen wiedergegebenen Songs Themen mit Bildungsrelevanz zu identifizieren und Bildungsprozesse durch adäquate Dialogführung zu ermöglichen. Empfehlenswert sind an dieser Stelle Fragen, die den Jugendlichen eine kritische Reflexion der Songs bzw. im späteren Verlauf eine Annäherung an spezifische Themenkomplexe ermöglichen. Um die Durchführung zu verdeutlichen, wird sich im Folgenden exemplarisch auf Auszüge gegenwärtig relevanter Veröffentlichungen bezogen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Release Friday wiedergegeben werden könnten und eine Auseinandersetzung mit den Themen Drogen und Rauscherfahrungen ermöglichen. In den hier verwendeten Beispielen zeichnet sich bereits
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ab, dass sich neben diesen Themen auch romantische bzw. familiäre Beziehungen thematisieren lassen. Durch geeignete Songs kann eine Vielzahl weiterer Themen wie beispielsweise Misogynie, gesellschaftliche Männlichkeitsanforderungen oder sexuelles Begehren erschlossen werden. Drei Beispiele für den Einsatz (exemplarische Darstellung von Auszügen aus aktuellen Songs – Stand: November 2022): Pashanim (2022): Kleiner Prinz „Kleiner Prinz, große Stadt Babygirl, ruf' mich an, ich hol' dich ab Meine Brüder an den Ecken, sie verchecken nonstop Ich hab' Uludağ und Wock Donnerstag in mei’m Cup“
Bonez Mc feat. Raf Camora (2022): Letztes Mal „Vom Hamburger DOM bis zum Prater (ja) Wir handeln mit Marihuana Der Music-Instructor Weil Captain Jack ist mein Vater“
t-low (2022): We made it „Mich bringt der Hunger um und all die Pill'n auch, ja Zwei Jahre später, ich bin reich und clean von Xans auch“
Eine Bewusstseinsschaffung kann durch Fragen wie „Fällt euch auf, um was es in diesem Song geht?“, „Welche Themen kommen in den Songs vor, die wir heute zusammen gehört haben?“, „Was denkt ihr, warum nehmen Menschen Drogen?“, „Das Thema Drogen kommt häufiger in den Liedern vor, von welchen Drogen sprechen Rapper*innen hier gerade?“ erfolgen. Reflexive Bezüge auf die eigene Biografie können durch Fragen wie „Welche Drogen kennt ihr eigentlich?“, „Habt ihr selbst in eurem Umfeld schon Erfahrungen mit Drogen gemacht?“ hergestellt werden. Emanzipatorische Deutungsangebote können situativ aufgezeigt werden, auch hier ist ein exemplarischer Rückgriff auf einen Song wie „We made it“ von tlow (2022) durch Fragen wie „Was meint t-low mit ‚mich bringen die Pillen um‘ und ‚clean von Xans‘ sein?“ möglich. Der erste Schritt der Methode zielt darauf ab, den offenen Alltag in der Jugendarbeit zu strukturieren und durch das regelmäßige Überprüfen von Neuveröffentlichungen einen Zugang zu den Jugendlichen und den für sie aktuell relevanten Themen zu gewinnen. Dabei hält sich die pädagogische Fachkraft bewusst zurück, setzt wenige eigene Impulse und überlässt den Jungen das Auswählen und die Wiedergabe neuer Lieder. Beim Hören der Musik
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ergeben sich immer wieder Gelegenheiten, mit Jungen in Dialog zu treten und sie im Prozess der Identitätsfindung zu unterstützen. Diese Gelegenheiten zu erkennen, stellt die Hauptaufgabe von Release Friday dar.
3.2 Open Decks
Mit der Methode Open Decks steht nun weniger das Entdecken neuer Lieder im Vordergrund, sondern das Abspielen von Songs, die Jungen generell als bedeutsam empfinden, sodass nicht nur aktuelle Lieder hier ihren Platz finden. Das Ziel von Jugendpädagog*innen bleibt es weiterhin, Jungen für Themen zu sensibilisieren, die für ihren Sozialisationsverlauf bedeutsam sind. Es ergeben sich hier grundsätzlich zwei Verfahrensweisen, die im Ausmaß der Involviertheit der Pädagog*innen differieren: Erstens kann der Fokus darauf liegen, den Jungen die Decks5 zu überlassen, sodass diese ihre präferierten Lieder abspielen können. Es liegt nun erneut an den Mitarbeiter*innen, Gelegenheiten für Bildungsprozesse zu identifizieren und zu initiieren. Dies kann gelingen, wenn pädagogische Fachkräfte unter den abgespielten Songs Themen mit Bildungsrelevanz entdecken und mit den Jugendlichen darüber ins Gespräch kommen (s. oben). Zweitens können Jugendpädagog*innen das Geschehen allerdings auch durch das Setzen eigener Impulse mitbestimmen. Im Folgenden wird erläutert, wie Fachkräfte dies leisten und die Aufmerksamkeit der Jungen auf die Themen „Frauen“ und „Männlichkeit“ richten können. Bezogen wird sich dabei auf „Beautiful Girl“ von Luciano (2022) und „Späti“ von Gzuz (2022). In beiden Werken werden Frauen sexualisiert und als passive und zu verführende Objekte dargestellt, Unterschiede lassen sich jedoch in der Art und Weise ausmachen, wie über Frauen gesprochen wird. Während der Song von Gzuz eindeutig als misogyn einzustufen ist, wird im Werk von Luciano deutlich, dass männliches Begehren auch weniger abwertend artikuliert werden kann. Erneut sollte sich hierbei an den Schritten Bewusstseinsschaffung, Reflexion und dem Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsmuster orientiert werden. Bezüglich des Themas „Männlichkeit“ können folgende Fragen unterstützend wirken: „Um welche Themen geht es in diesen Songs?“, „Was heißt es eigentlich, ein ‚richtiger Mann‘ zu sein?“, „Wird von euch manchmal verlangt, sich ‚richtig‘ männlich zu verhalten? Das Thema „Frauen“ kann durch diese Fragen adressiert werden: „Welche Rolle spielen Frauen in diesem Song?“, „Wie reden Luciano und Gzuz über Frauen?“, „Welche Unterschiede gibt es hier und warum existieren diese?“, „Wie redet ihr eigentlich so über Frauen und Mädchen?“. Einer sensiblen Dialogführung kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, u. a. um der Reproduk-
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Decks kommt von „Plattenspieler”, hier ist jede Technik zum Abspielen von Musik gemeint, ob MP3-Player mit Lautsprechern, Streaming-Software und Bluetooth-Boxen o.ä.
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tion von Heteronormativität vorzubeugen: Anstatt beispielsweise zu fragen, ob Teilnehmende eine Freundin haben, sollte lieber in Erfahrung gebracht werden, ob sie in einer Beziehung sind (vgl. Holzhacker/Mangl 2020, S. 161). Die hier verwendeten Songs weisen unter Jugendlichen eine hohe Popularität auf und sind deshalb auch in den Charts hochrangig vertreten. Viele erfolgreiche Songs verhandeln die Perspektiven von trans Menschen und Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität entweder gar nicht oder unbefriedigend. Fachkräfte können hier ansetzen und Songs von Künstler*innen wie Nura, Katja Krasavice, Badmómzjay, Sookee, Sir Mantis, Ebow, FaulenzA, Mavi Phoenix oder Finna einbringen. So kann den Jugendlichen vermittelt werden, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit dem tatsächlichen Geschlecht übereinstimmen muss, und die geschlechtliche Identität vieler Menschen sich nicht auf den Polen ‚Mann‘ und ‚Frau‘ verorten lässt. Damit Jungen sich daran gewöhnen, sich über für sie relevante Themen auszutauschen und sich ernsthaft mit alternativen Orientierungsmustern auseinanderzusetzen, muss das Angebot in regelmäßigen Abständen stattfinden, was z. B. alle zwei Wochen geschehen kann. In den weiteren Sitzungen sollte der offene und informelle Charakter des Angebots stets beibehalten werden: Wenn HipHop im Vordergrund steht, kann in vielen Fällen auf eine intrinsische Motivation zur Teilnahme gebaut werden.
Fazit Dieser Beitrag hat anhand der Darstellung der Methoden Release Friday und Open Decks einen Ansatz aufgezeigt, wie Jungenarbeit und HipHop innerhalb der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sinnvoll aufeinander bezogen werden können. Aufgrund der strukturellen Voraussetzungen innerhalb dieses Handlungsfeldes (Offenheit, Freiwilligkeit und Diskursivität) muss pädagogische Arbeit hier stärker als in anderen Bildungseinrichtungen an den Interessen der Adressat*innen anknüpfen. Release Friday und Open Decks versuchen deshalb HipHop zum Ausgangspunkt eines Ansatzes der Jungenarbeit mithilfe dieser Methoden zu machen und so den Herausforderungen, Limitationen und Möglichkeiten der Offenen Kinderund Jugendarbeit gerecht zu werden. Maßgeblich hierfür ist die Annahme, dass HipHop zahlreiche Gelegenheiten bietet, Jungen im Umgang mit geschlechterspezifischen Bewältigungsaufgaben niederschwellig zu unterstützen. Die Methoden Release Friday und Open Decks basieren auf der Idee, über die in der Musik verhandelten Themen in Dialog mit den Jugendlichen zu treten und diese anhand der Stufen Bewusstseinsschaffung, Reflexion und durch das Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsmuster beim Finden der eigenen Identität zu unterstützen. Konkretisiert wurde dies im Beitrag anhand von Textauszügen, die von gegenwärtig relevanten Künstler*innen der Deutsch-Rap-Szene, wie Pashanim, Bonez Mc und
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Luciano stammen. Diese ermöglichen den teilnehmenden Jungen eine Auseinandersetzung mit Themen wie „Frauen“, „Männlichkeit“, „Rauscherfahrungen“ und „männliches Begehren“, was Orientierung stiften und identitätsbildende Funktion haben kann. Deutlich wird, dass die verwendeten Lieder nichtbinäre oder transidentitäre Selbstidentifikationen nicht explizit thematisieren: Release Friday und Open Decks eröffnen jedoch die Gelegenheit, eine diesbezügliche Auseinandersetzung zu ermöglichen, indem z. B. Männlichkeit oder männliches Begehren kritisch hinterfragt werden. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen kann ferner gelingen, wenn Fachkräfte während Open Decks Songs von Künstler*innen einbringen, die diese Themen konkret adressieren. Zusammenfassend liegen die Stärken dieser Methoden auf vielen Ebenen begründet, wobei im Kontext der Jugendarbeit insbesondere die Niederschwelligkeit hervorzuheben ist: Aus der Perspektive der Fachkräfte belaufen sich die organisatorischen Vorkehrungen zur Durchführung auf ein Minimum, denn ein separater Raum mit Möglichkeiten zur Wiedergabe von Musik ist in den meisten Einrichtungen vorhanden. Weiterhin müssen die betreffenden Fachkräfte selbst keine Rapper*innen sein, sondern nur ein grundsätzliches Interesse für die Jugendkultur aufweisen. Von der Niederschwelligkeit der Methoden profitieren darüber hinaus auch die Jugendlichen: Durch die Orientierung am Hören von Musik versucht der Ansatz Jungenarbeit aus der Alltagspraxis der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu entwickeln (vgl. Böhnisch 2015, S. 174). So kann die intrinsische Motivation der Teilnehmenden geweckt und non-formale Bildungsprozesse realisiert werden. Somit eröffnet diese Methode eine Perspektive, Jungenarbeit langfristig zu etablieren. Aus den dargestellten Vorteilen ergeben sich jedoch auch spezifische Herausforderungen, die insbesondere die Pädagog*innen betreffen: Diese müssen flexibel und spontan auf Äußerungen und eingebrachte Impulse reagieren, um den Jugendlichen Bildungsprozesse zu ermöglichen. Authentisch geschehen kann dies nur, wenn ein Interesse für die Auseinandersetzung mit der Jugendkultur besteht. Sollten in diesem Kontext etwaige Unsicherheiten bestehen, können Jugendarbeiter*innen Unterstützungsangebote in Form von Fortbildungen, Workshops und die Zusammenarbeit mit Expert*innen wahrnehmen. Wenn pädagogische Fachkräfte ihre Kenntnisse gegenüber HipHop vertiefen, können Release Friday und Open Decks erfolgreich gelingen und somit eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit mit den Jugendlichen gelegt werden.
Literatur Böhnisch, Lothar (2015): Pädagogik und Männlichkeit. Eine Einführung. 1. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Bohnsack, Ralf (1999): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung. 3. Auflage. Wiesbaden: VS. Bründel, Heidrun/Hurrelmann, Klaus (2021): Erziehung zur Männlichkeit?! Auf dem Weg zur geschlechtersensiblen Persönlichkeitsentwicklung. 1. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
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Dietrich, Marc (2016): Rap im 21. Jahrhundert. Bestandsaufnahme und Entwicklungslinien – eine Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Rap im 21. Jahrhundert. Eine (Sub-)Kultur im Wandel. Bielefeld: transcript. S. 7–26. Drogand-Strud, Michael (2021): Lebenswelten/Männlichkeitsbilder von Jungen* und Männern*. In: Fobian, Clemens/Ulfers, Rainer (Hrsg.): Jungen und Männer als Betroffene sexualisierter Gewalt. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 15–30. Groß, Anna/Jäger, Marie (2021): „Das Leben ist ne Bitch, ich pack' die Schlampe an der Gurgel.“. Rap, Geschlecht und Empowerment in der Jugendarbeit. In: Süß, Heidi (Hrsg.): Rap und Geschlecht. Inszenierungen von Geschlecht in Deutschlands beliebtester Musikkultur. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 176–198. Holzhacker, Christian/Mangl, Magdalena (2020): Zur Entwicklung genderkompetenter Jugendarbeit im Verein Wiener Jugendzentren. Von geschlechtssensibel zu genderkompetent. In: Krisch, Richard/Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Entgrenzte Jugend – offene Jugendarbeit. ‚Jugend ermöglichen‘ im 21. Jahrhundert. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 156–168. Huber, Michael (2018): Gangsta-Rap –Wie soll man das verstehen? In: BPJMAKTUELL 3, S. 156–168. Josties, Elke/Menrath, Stefanie Kiwi (2021): Jugendkulturelle Aktivitäten. In: Deinet, Ulrike/Sturzenhecker, Benedikt/von Schwanenflügel, Larissa/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 1265–1274. Krisch, Richard/Schröer, Wolfgang (2020): Einführung: Entgrenzte Jugend – Offene Jugendarbeit. In: Ders. (Hrsg.): Entgrenzte Jugend – Offene Jugendarbeit. ‚Jugend ermöglichen‘ im 21. Jahrhundert. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 10–12. Meier, Stefan/Süß, Gunter/Bock, Karin (2007): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. 1. Auflage. Bielefeld: transcript. Melcher, Michael (2021): Jungen*treff. In: Deinet, Ulrike/Sturzenhecker, Benedikt/von Schwanenflügel, Larissa/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 553–561. Meuser, Michael (2018): Jungen und Männlichkeit. In: Lange, Andreas/Steiner, Christine, Schutter, Sabina/Reiter, Herwig (Hrsg.): Handbuch Kindheits- und Jugendsoziologie. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 365–378. Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus (2022): Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 14. Auflage. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Stecklina, Gerd/Wienforth, Jan (2021): Jungen*. In: Deinet, Ulrike/Sturzenhecker, Benedikt/von Schwanenflügel, Larissa/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden: Heidelberg, S. 319–330. Sting, Stephan (2020): Entgrenzte Bildung – Konsequenzen für die offene Jugendarbeit. In: Krisch, Richard/Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Entgrenzte Jugend – offene Jugendarbeit. ‚Jugend ermöglichen‘ im 21. Jahrhundert. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 110–122. Verlan, Sascha/Loh, Hannes (2006): 25 Jahre HipHop in Deutschland. 2. Ausgabe. Höfen: Hannibal.
Songs Apache 207 (2018): Kleine Hure. Bonez Mc feat. Raf Camora (2022): Letztes Mal. Gzuz (2022): Späti. Luciano (2022): Beautiful Girl. Pashanim (2022): Kleiner Prinz. t-low (2022): We made it.
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„B*tches Frauen klar machen“ Workshops zu Rap und Geschlecht im (halb-)offenen Strafvollzug Anna Groß
Setting Um den folgenden Ansatz besser einordnen zu können, muss das besondere Setting dieses Rap-Workshops zunächst erklärt werden: Der Workshop fand in einer Einrichtung statt, die jungen Männern1 im Strafvollzug eine letzte Chance gibt, sich in einem (halb-)offenen Vollzug zu bewähren, welcher eine Handwerksausbildung, das Zusammenleben mit anderen jungen Männern, aber auch ein System strenger Regeln umfasst. Die Türen des Hauses stehen offen, die Teilnehmenden wissen jedoch, dass sie im Fall eines Fluchtversuchs nicht nur ihre Strafe im geschlossenen Strafvollzug fortsetzen müssen, sondern auch ihre Haftzeit verlängert wird. Die Gründer und Mitarbeitenden der Einrichtung haben die Hoffnung, den jungen Männern mit dem Aufenthalt in ihrer Institution bessere Zukunftsperspektiven zu ermöglichen als es im regulären Vollzug der Fall wäre. Das Ziel der Einrichtung ist ein Neustart für die Jugendlichen. Dazu müssen die jungen Menschen sich ihrer Handlungs- und Leistungsfähigkeit genauso wie ihrer Selbstverantwortung bewusst werden. Nicht jeder wird dort aufgenommen. Ausführliche Auswahlgespräche und Prüfungen sind Vorbedingungen für eine Aufnahme und das auch nur für die jungen Männer, bei denen sich erhofft wird, dass sie von den strengen Regeln des Hauses profitieren und auch eine Stabilität erfahren, die ihnen bisher im Leben fehlte. Die Teilnehmenden können in der Einrichtung ein Berufsvorbereitungsjahr für einen handwerklichen Beruf durchlaufen, wie zum Beispiel Maler, Maurer, Zimmermann oder Elektriker. Sie nehmen aber auch an psychologischer Gruppen- und Einzeltherapie, pädagogischen Maßnahmen und Sportprogrammen teil und müssen sich in der Hausgemeinschaft beim Zubereiten der Mahlzeiten, der Reinigung und allem, was im Haus anfällt, einbringen. Über ein Punktesystem können sie sich im Lauf der Zeit Privilegien erarbeiten, so zum Beispiel die Mög-
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Der Strafvollzug in Deutschland und somit auch diese Einrichtung sind geschlechtsbinär ausgerichtet. In dieser Institution wird mit männlich gelesenen Jugendlichen aus dem Strafvollzug für junge Männer, meist cis Männern gearbeitet. Deshalb ist hier von „Männern“ und „Jungs“ die Rede, auch wenn die Autorin Geschlecht als Spektrum begreift.
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lichkeit Musik zu hören, TV zu schauen, ein Handy zu nutzen2 oder in einem Einzelzimmer zu wohnen. Ebenso können ihnen Privilegien aber auch wieder aberkannt werden, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, ihre Dienste nicht ordnungsgemäß ausführen oder Termine nicht pünktlich wahrnehmen. Pünktlichkeit bedeutet hier: auf die Minute genau. Wer auch nur minimal zu spät kommt, erhält sofort Punktabzüge. Wenn bei den täglichen Kontrollrunden festgestellt wird, dass Teilnehmende sich nicht an Regeln gehalten haben, ihre Zimmer nicht aufgeräumt oder gegen das Handyverbot verstoßen haben, ist ein Punktabzug die Folge sowie ein Abstieg im Punktesystem, aber auch in der sozialen Gruppenhierarchie.3 Ebenso besteht aber die Möglichkeit, durch Disziplin, Teilnahme an Gruppenaktivitäten und Angeboten der Einrichtung im Punktesystem aufzusteigen. Der Tag beginnt für alle früh um 6 Uhr mit einer Runde Joggen durch den Ort und endet um 22 Uhr mit der Nachtruhe. Bis auf wenige Stunden Freizeit ist der Tag komplett durchgetaktet. In der Einrichtung können immer nur vergleichsweise kleine Gruppen von acht bis etwa 20 Teilnehmenden aufgenommen werden, um die intensive Betreuung gewährleisten zu können. Dieser strenge Alltag mit den vielen Regeln und militärisch anmutenden Disziplinarmaßnahmen soll den jungen Männern Respekt vor Grenzen und Regeln vermitteln. Für Außenstehende kann das sehr hart und fordernd wirken und auch für uns als Team war es sehr befremdlich. Gerade die strenge Disziplin kann den jungen Männern aber auch Halt geben. Die Einrichtung soll ihnen das Gefühl vermitteln, dass anderen ihre Zukunft am Herzen liegt. Viele der jungen Männer machten dort das erste Mal die Erfahrung, dass sie wahrgenommen werden, eine Bedeutung für die Gruppe haben und später auch in anderen Zusammenhängen wichtig sein können. Während der Schulferien des örtlichen Bundeslandes werden Ferienangebote geschaffen, die den Jugendlichen eine Alternative zum strengen Alltag bieten. Im Rahmen dieser Ferienwochen bietet sich die Zusammenarbeit mit anderen Trägern, insbesondere aus der politischen Bildung, an. So hatten wir die Gelegenheit, in den Herbstferien mit den Teilnehmenden in der Einrichtung einen fünftägigen Rap-Workshop durchzuführen und wurden aufgrund des Erfolgs des ersten
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Im geschlossenen Strafvollzug in den JVAs wird ihnen dies nicht verwehrt. Es ist eine Methode in dieser Einrichtung, um verschiedene Stufen der Bestrafung bzw. der Gewährung aufzuzeigen, die zu Beginn erst einmal härter wirkt als die Teilnehmenden es im geschlossenen Strafvollzug erleben würden. Es gibt auch innerhalb des sozialen Gefüges der Gruppe Hierarchien, die durch Punkte erarbeitet werden können. Dabei gibt es diejenigen, die ‚aufgestiegen‘ sind und sich im Lauf der Zeit diese Position durch gute Führung in der Einrichtung erarbeiten konnten. Sie begleiten und kontrollieren andere in der Gruppe in ihren Fortschritten und bekommen manchmal Informationen, die sie mit der Gruppe teilen sollen bzw. dürfen und können Entscheidungen für die Gruppe treffen. Bei Fehlverhalten kann man diese ‚Vorreiter‘-Rolle auch wieder verlieren. Auch wenn sie andere in der Gruppe nicht genug kontrollieren, können sie Punkte verlieren.
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Durchlaufs für weitere Jahre gebucht. Die Vorgabe der Fördermittelgeber*innen an uns als Team war es, zum Thema Rap und Geschlecht zu arbeiten. Die Jugendlichen hatten sich besonders interessiert am Thema Rap gezeigt. Dementsprechend fanden es die sozialpädagogischen Mitarbeiter*innen aussichtsreich, das Thema Geschlecht anhand der favorisierten Musik aufzugreifen und zu bearbeiten. Auch wenn es hier Skepsis bei anderen Mitarbeiter*innen dem Thema HipHop gegenüber gab, konnten wir diese Rap-Workshop-Woche im Sinne der Jugendlichen umsetzen. Viele der Bewohner der Einrichtung kannten im ersten Jahr unseres Workshops Xatars Autobiographie „Alles oder nichts“4 (2015) und hatten sich mit seiner Laufbahn als (Klein-)Krimineller und seinem ‚legendären‘ Golddiebstahl, seiner Zeit im Strafvollzug in Deutschland und im Irak und seiner Karriere als Rapper und Produzent in der Haft beschäftigt. Es war hilfreich, diese Informationen zur Vorbereitung zu haben.
Teamkonstellation und Herausforderungen an uns als Team Der Rapper Mal Élevé als erfahrener Rap-Teamer und politischer Bildner und ich auf Grundlage meiner langjährigen Erfahrung in der politischen Bildungs- und Empowermentarbeit wie auch in der Musikbranche als Labelbetreiberin von Springstoff gestalteten die fünf Tage Rap-Workshop gemeinsam. Dass wir uns bereits aus der Bildungsarbeit gut kannten und als Kolleg*innen sehr schätzen, ist aus meiner Perspektive wichtig: Für mich hieß es, als cis Frau gemeinsam mit einem männlichen Kollegen in einem Setting mit jungen Männern zu arbeiten, die in der Einrichtung wie auch bereits in ihrem vorhergegangenen Aufenthalt in den JVAs kaum bis keinen Kontakt zu gleichaltrigen Frauen haben konnten. Zudem zeigte die Gruppe eine hohe Gewaltaffinität, zum Teil hatten die jungen Männer verheerende Gewalterfahrungen gemacht. Um mich sicher fühlen zu können und meine pädagogisch-politische Bildungsarbeit gut umsetzen zu können, war gerade in diesem ungewöhnlichen Setting eine gute und konstruktive Teamarbeit entscheidend für den Erfolg der pädagogischen Arbeit. Es war schon im Vorfeld des Workshops beruhigend zu wissen, dass ich mich auf meinen Teamkollegen verlassen kann. Zu diesem Vertrauen trug auch unsere gründliche Vorbereitung bei. Die folgenden Punkte haben sich als wesentlich für die Arbeit in diesem Setting herausgestellt: 1. eine offene und konstruktive Feedbackkultur, 2. eine souveräne Einschätzung für die Momente, in denen die Diskussion eher der einen oder anderen Fachkraft ‚überlassen‘ werden sollte, 3. die Möglichkeit des flexiblen, pro-
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Ende 2022 ist zu vermuten, dass einige Jugendliche den Film „Rheingold“ gesehen haben, Fatih Akins Verfilmung der Autobiographie Xatars.
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zessorientierten Arbeitens und 4. wechselseitige Sensibilität für Momente der Überforderung einer*s der Teamer*innen und entsprechendes Handeln. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Setting, wie auch sonst oft in der Jungen*-Arbeit, die reflektierte und bewusst eingesetzte Genderperformance des Teams, klare Ansagen und die Bereitschaft, der Gruppe Grenzen aufzuzeigen. Es hat sich in den Folgejahren zum Teil als kontraproduktiv für den Verlauf der Woche und den politischen Bildungserfolg herausgestellt, die Gruppe zwischendurch einfach mal laufen zu lassen. Meiner Beobachtung nach gibt es verschiedene Möglichkeiten, ‚Männlichkeit‘ zu performen, selbst wenn (cis) Männer ihre Geschlechterrollen kritisch reflektiert haben. In bestimmten Settings kann ein Teamer mit Street Credibility die Jugendlichen eher verstören, in anderen Settings kann aber diese Männlichkeitsperformance gezielt eingesetzt werden, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Für das Setting unseres Workshops hat sich gezeigt, dass eine bürgerliche oder zu sehr ‚sozialarbeiterisch wirkende‘ Männlichkeitsperformance im Rahmen eines Rap-Workshops eventuell boykottiert werden könnte. Zudem wird ihr in diesem Setting manchmal nicht zugetraut, authentisch über Rap zu sprechen. Diesen Aspekt gilt es im Hinterkopf zu behalten, für die Jugendund im speziellen für gelungene Jungen*-Arbeit durchaus in Betracht zu ziehen und in Teamkonstellationen mitzubedenken. Wir verbrachten jeden Tag drei Stunden am Vormittag und drei Stunden am Nachmittag mit der Gruppe. Am Abend vor einem Feiertag veranstalteten wir darüber hinaus spontan eine kleine YouTube-Party für alle Teilnehmenden, was für viele bedeutete, dass sie zum ersten Mal seit Wochen ihre eigene Musik hören durften. Das löste überwiegend große Freude bei den Teilnehmenden aus, aber zum Teil auch nostalgische und traurige Gefühle. Wir hatten im Vorfeld einen Wochenplan entworfen, mussten diesen aber ständig anpassen und vor allem besprechen, wie wir auf Veränderungen und Bedürfnisse in der Gruppe eingehen sollten. Mittags und abends saßen wir oft stundenlang, zum Teil bis 23 Uhr zusammen und diskutierten das Erlebte und die kommenden Stunden mit der Gruppe, überlegten, wie wir das Programm anpassen sollten und welches Thema wir als nächstes bearbeiten sollten. Dabei ging es uns zum Beispiel darum, wer von uns Beiden ein Thema am besten anspricht, wer wohl zu welchem Thema bei der Gruppe am meisten Gehör findet, wie wir emotional oder politisch für uns heiklere Themen einbringen und wie wir unsere Sprechanteile sinnvoll verteilen. Wir klärten auch, dass der oder diejenige mit engerem Bezug zu einzelnen Teilnehmenden die provokanteren Themen platzierte oder eben in einer Diskussion auch mal gegenhielt, während die andere Person vermittelnder wirkte. Unser Anspruch war, dass in dieser Art des Settings alle im Team die ganze Zeit wachsam sein müssen, damit nichts verloren geht. Aufgrund der dauerhaften Bereitschaft, auch auf kleine Nuancen in der Stimmung oder den Äußerungen in der Gruppe reagieren zu können, war diese Art der Workshop-Arbeit auf eine andere Art fordernd als
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wir es in Schulkontexten oder Rap-Workshops in Jugendclubs erlebt hatten. Uns war klar, dass diese Art von Workshop-Arbeit ein Ausnahmezustand sein würde und wir deshalb besonders gut auf Erholungsphasen und Selfcare achten müssen. Wir als Team konnten uns jedoch aufeinander verlassen in Bezug auf Unterstützung. In herausfordernden Workshops ist es besonders wichtig, sich sicher zu sein, dass der*die Co-Teamer*in die eigene (politische) Bildungsarbeit nicht torpediert. Wir hatten ‚Worst Cases‘ und ‚Best Cases‘ im Vorfeld besprochen, wir hatten ‚Time Out‘-Signale und Supportstrukturen besprochen und wir nahmen uns immer wieder Zeit, um uns zwischen den Methoden gut abzusprechen.
Die Workshop-Woche Ohne die Workshop-Woche hier chronologisch nachzuerzählen, möchte ich im Folgenden auf die Schlüsselmomente und vor allem die wichtigsten Methoden aus unserem Rap-Workshop näher eingehen, um unseren Ansatz für den Rap-Workshop in diesem Setting zu verdeutlichen.
Eisbrecher: Wie kann der Einstieg gut gelingen?
Wie immer in der politischen Bildungsarbeit und Kurzzeitpädagogik galt es auch hier einen gelungenen Einstieg zu finden, um die Gruppe einerseits schnell kennenzulernen und besser einschätzen zu können, aber auch um sich bei der Gruppe ein gutes Standing zu erarbeiten. Gelingt der Einstieg gut, ist auch der Verlauf der Woche einfacher zu gestalten. Gelingt der Einstieg nicht so gut oder scheitert womöglich, wird die Workshop-Woche meist um so schwieriger zu moderieren. Gerade in diesem Setting gibt es seitens der Teilnehmenden kein Vorschussvertrauen; insgesamt fällt es den jungen Männern schwer, Vertrauen zu anderen Menschen zu entwickeln. Es ging also darum, Methoden zu wählen, die den jungen Männern das Gefühl geben, uns gegenüber ihr Vertrauen aufbauen zu können; Methoden, die sie ermächtigen und uns gleichzeitig ermöglichen, die Gruppe näher kennenlernen. Zum Einstieg stellten wir uns mit der Methode Wer ist hier? mit unserem Namen und unserer Arbeit in der Musikbranche vor und ließen die Gruppe erraten, wie alt wir sind, welche Hobbies wir haben und welche Sprachen wir sprechen. Diese Methode wählten wir, um einerseits für Überraschungseffekte bei der Gruppe zu sorgen, aber auch, um später auf Vorannahmen zu Geschlecht und Personen zurückzukommen und die problematischen Seiten von Vorannahmen diskutieren zu können. Dann baten wir die Teilnehmenden, sich uns vorzustellen mit ihrem Namen, ihrem Alter, ihren Hobbies außerhalb der Einrichtung und ihrem Bezug zu Rap. Direkt im Anschluss setzten wir uns auf den Heißen Stuhl, auch dies stellte sich
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hier als gute Einstiegsmethode heraus. Der Heiße Stuhl ist eigentlich eine Gruppenmethode, die falsch angeleitet schnell zu Mobbing in der Gruppe führen kann, weshalb es wichtig ist, sich gut zu überlegen, wie man diese Methode einsetzt. Die Idee beim Heißen Stuhl: Eine oder zwei Personen sitzen oder stehen in der Mitte eines Stuhlkreises. Die Menschen, die außen im Stuhlkreis Platz nehmen, dürfen Fragen stellen. Die Personen in der Mitte beantworten diese. In unserer Variante saßen Mal Élevé und ich auf Stühlen mit dem Rücken zueinander in der Mitte des Stuhlkreises der Teilnehmenden und stellten uns den Fragen der Teilnehmenden. Es war wichtig, dass nur wir als Team in der Mitte Platz nahmen und dass wir im Rahmen dieser Methode auch zeigten, wie offen wir Fragen beantworten oder wie wir mit persönlichen Grenzen umgehen. Jeder durfte eine Frage stellen. Zunächst waren die Fragen harmlos: „Seid ihr verliebt?“, „Habt ihr Kinder?“, „Habt ihr schon mal etwas geklaut?“. Manche trauten sich dann auch weiterzugehen und fragten nach Erfahrungen mit der Polizei, nach Waffenbesitz oder Drogenkonsum. Mit dieser Methode gaben wir den Teilnehmenden, die in ihrem Umfeld und Haftalltag sehr viele Vorschriften zu beachten haben und stets belehrt werden, eine ordentliche Portion Macht (über uns) in die Hand. Wir stellten uns der Gruppe als Menschen und versteckten uns nicht hinter unserer Position als Teamer*innen. Das war eine neue Erfahrung für die jungen Männer und trug unserer Einschätzung nach enorm zu einem guten Beziehungsaufbau mit unserer WorkshopGruppe bei. Zum weiteren Kennenlernen begaben wir uns in den Freizeitraum für Soziometrisches Positionieren5. Wir stellten in dieser Gruppe Fragen wie „Wie viele Sprachen sprecht ihr?“, „Wenn ihr darüber nachdenken würdet, reisen zu dürfen, wo würdet ihr hinreisen?“, „Wo möchtet ihr einmal leben?“, aber auch Fragen wie: „Wer ist eurer Meinung nach für die Kindererziehung zuständig?“ und „Findet ihr es gut, dass Homosexuelle heiraten dürfen?“. Die Reaktionen der Gruppe fielen sehr unterschiedlich aus, aber der Großteil der Gruppe zeigte sich offen gegenüber Themen wie Gleichberechtigung und Homosexualität. Diejenigen, die es nicht waren, konnten ihre Haltungen der Gruppe gegenüber erklären, ohne dass ihnen sofort ins Wort gefallen wurde. Generell zeigte sich bei dieser Methode vor allem, dass die Gruppe offen miteinander umging und auch schwierigere Themen durchaus offen miteinander diskutieren konnten. Das machte unseren Einstieg als Teamer*innen zu Beginn etwas leichter. Weitere HipHop-orientierte Einstiegsmethoden, die wir in der Woche entweder als Tageseinstieg oder zwischendurch als Break- bzw. Warm-Up-Methoden einsetzten:
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Diese viel genutzte politische Bildungsmethode habe ich für die Methodensammlung „Politische Bildung in der Grundbildung“ (vgl. Wallentin/Groß 2017) der Landeszentrale für politische Bildung ausführlich beschrieben.
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1. Who (and which move) are you? (Koffer packen mit Bewegung), eine Methode mit Bewegung zum Erlernen und/oder Wiederholen von Namen: Jede*r nennt seinen Namen und macht dazu eine für ihn*sie typische Tanz- oder eine andere Art der Bewegung, die sie mit HipHop verbinden. Ähnlich wie bei dem Spiel „Koffer packen“ müssen alle Bewegungen der jeweils vorangegangenen Teilnehmenden nachgemacht werden. Mit dieser Methode kann man sich in einer Gruppe die Namen und Bewegungen der Anderen sehr gut einprägen. Vor allem für Menschen, die visuell und haptisch gut lernen, kann diese Methode das Erlernen von Namen erleichtern. Zudem ist die Methode in dieser Variante eng verknüpft mit HipHop und Rapmusik, was den Übergang zum restlichen Workshop gut gestaltet. 2. Stopp-Tanz, bei dem alle eine Bewegung aus den 5 Elementen des HipHops (inkl. Beatbox) machen sollen, wenn die Musik stoppt. 3. Der Boden ist Lava, niemand darf den Boden berühren. Man bittet die Teilnehmenden, sich nach verschiedenen Kategorien zu sortieren auf Stühlen, die in einer Reihe aufgestellt sind, also müssen die Teilnehmenden den Stuhl wechseln ohne den Boden zu berühren. Wir fragten hier nach „Wie viele Geschwister hast du?“, alphabetische Reihenfolge der (Rapper*innen-)Namen, Alter, weiteste Reise im Leben u. a. Diese Übung sollte man nur in Gruppen durchführen, die gut miteinander auskommen, denn die Teilnehmenden kommen sich körperlich sehr nah und Berührungen sind nicht zu vermeiden. In Gruppen, in denen Berührungen für Teilnehmende problematisch sind, lässt sich diese Übung nicht einsetzen.
Rap-Technik
Bei unserer Praxis-Einstiegsübung schrieben die Teilnehmenden ihren (Rapper-) Namen auf Zettel und suchten sich jeweils Reimwörter zu ihrem Rapper-Namen, zum Teil mit unserer Unterstützung. Wir führten eine Rhythmusübung mit einem Rhythmus auf 2 und 4 durch und ließen die Teilnehmenden anschließend zwei Zeilen mit einem Text schreiben, der sie vorstellen sollte. Das Ganze hatten wir bereits als Teamer*innen beispielhaft vorgemacht und boten während der Übung im Raum auch Hilfe an. Dann übte jeder seine Zeilen und stellte sie in der Gruppe vor. Die gesamte Gruppe rappte als Back-Up die jeweiligen Zeilen der anderen mit. Bereits am zweiten Tag boten wir der Gruppe einen langen Block an, in dem die Teilnehmenden eigene Rap-Texte frei schreiben durften. Unsere einzige Vorgabe für die Gruppe hierbei: ihre Energie positiv ausleben und etwas kreieren, anstatt nur die üblichen (destruktiven) Floskeln aus Gangsta-Rap-Songs zu reproduzieren. Ziel war es, eine Geschichte – oder ein Bild – aufzubauen. Die Grundstimmung in der Gruppe war zu Beginn sehr fokussiert auf Verrätertum, Gewalt gegen
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Menschen oder den Einsatz von Waffen, aber auch Enttäuschung, Verletzungen und Verluste. Deshalb hielten wir die Aufgabe für sinnvoll, etwas Positives zu finden und zu kreieren, um etwas mehr Leichtigkeit ins Schreiben zu bringen. Alles andere durften die Teilnehmenden frei wählen. Es wurden sehr unterschiedliche Texte geschrieben, darunter viele, die sich in Stil und Inhalt an Gangsta-Rap orientierten: B*tches, Drogen, Verrätertum, Polizei. Es war nicht immer eindeutig klar, ob die Texte aus der Erfahrung der Schreibenden stammten oder einfach nur Klischees bzw. ganze Textstellen ihrer Lieblingsrapper*innen aufgriffen, dennoch waren fast alle konzentriert dabei und versuchten sich an den Texten. In der tiefer gehenden Diskussion um mögliche Themen entstanden am Rand der Textproduktion einzelne Gespräche um z. B. die Rolle ihres (zum Teil fehlenden) Vaters, ihre Familienkonstellationen und -rollen mit Geschwistern, Cousins, Onkeln, aber auch die Thematisierung der eigenen Vaterrolle, die eine andere Perspektive auf Männlichkeitsbilder, Erwartungshaltungen, Erfahrungen von Verlust und Sorgen aufmachten und uns sehr viel Persönliches anvertrauten. Eine weitere Aufgabe war es, sich einen MC-Namen zu suchen und Vorschläge zu sammeln für den Crew-Namen der Rap-Gruppe, die wir in der Woche zusammen waren. Unser Workshopziel in Bezug auf die Textproduktion war es, mit den jungen Männern andere Themen zu finden und zu bearbeiten als die typischen GangstaRap-Klischees. Im Rahmen einer Gruppendiskussion versuchten wir mit den Teilnehmenden das Thema für einen gemeinsamen Song zu finden, in dem jeder einen eigenen Part bekommen sollte, in dem es aber ein gemeinsames Oberthema, eine gemeinsame Hook6 und einen gemeinsamen Beat gibt. Bei der Suche nach einer weniger gewaltvollen Ausrichtung der Themen half die Erfahrung der Teilnehmenden aus der YouTube-Party am Vorabend, als sie für sich feststellten, dass Songs des gewünschten und damals angesagten Gangsta-Raps wie von Hanybal aus ihrer Perspektive doch nicht so partytauglich schienen wie fröhlichere Tracks, die auch gespielt wurden. Nach einigen Überlegungen in der Gruppe einigten wir uns auf „Freiheit/Urlaub/Träume“. Wir hatten die Gruppe brainstormen lassen, was ihnen einfällt, wenn es um ‚etwas Schönes‘ geht und was sie für sich als etwas ‚Schönes‘ definieren würden. Dabei fielen verschiedene Begriffe wie Strand, Meer, Reisen, Feiern, Sonne, draußen sein (im Fall der Gruppe ohne Haftstrafen), mit einem leicht schüchternen Lächeln formulierte ein Teilnehmender auch Kuscheln als Bedürfnis. Mit dem Brainstorming gelang es uns, die Stimmung der Gruppe auf positivere Perspektiven zu lenken und mit ihnen zu überlegen, was sie sich erträumen für ein Leben in ‚Freiheit‘. Zunächst suchten wir Assoziationen zu den
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Hook: Chorus, Refrain (engl.).
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drei Worten Freiheit/Urlaub/Träume. Dann suchten wir Reimwörter auf die verschiedenen Begriffe und auf alle damit assoziierten Begriffe, auch in verschiedenen Sprachen, sodass wir hier gut darauf eingehen konnten, dass manche Teilnehmende mehrsprachig aufgewachsen waren. Als alle möglichen Begriffe gesammelt waren, ging es wieder ans Texten. Jeder zunächst für sich und für die Hook gemeinsam als Gruppe. Beat-Picking und Schreibsessions: Wir hörten uns verschiedene Beats der Beatproduzenten von Springstoff (MajusBeats, Forbiddan, LeijiONE u. a.) an, bis wir uns auf einen Beat einigen konnten7. Verschiedene Beats wirkten auf die Teilnehmenden unterschiedlich inspirierend. Wir fanden mit der Gruppe einen Beat, der alle begeisterte. Sie begannen intensiv zu schreiben, manche brauchten mehr Unterstützung als andere, aber alle schrieben konzentriert. Auf dem Beat entstanden mit der Gruppe inhaltlich spannende Texte, auch die Gespräche um die Texte veränderten sich. Aufnehmen der Song-Texte im ‚Studio‘: Das ‚Studio‘ war ein separater Raum in der Einrichtung, in dem wir mit dem von uns mitgebrachten Equipment aufnahmen. Abschlusskonzert für das Team des Hauses: Am letzten Workshoptag versammelten sich alle Mitarbeitenden inklusive der Leitung des Hauses in unserem Workshop-Raum und die Teilnehmenden trugen die beiden Stücke vor, die in der Woche entstanden waren. Alle zusammen und jeder einzeln mit seinem Vers, unterstützt von den Anderen, wenn nötig. Die Stimmung war sehr gemeinschaftlich und wohlwollend. Das Team des Hauses war sehr gerührt.
Video-Methoden
Abseits der Rap-Praxis-Übungen führten wir in der Woche immer wieder verschiedene Video-Analyse-Methoden mit der Gruppe durch, meist mit einem leicht geänderten Schwerpunkt, je nachdem, auf welche Inhalte oder Themen wir im Besonderen hinarbeiten wollten. Am Einstiegstag durfte jeder Teilnehmenden einen Lieblingsrapsong mit dazugehörigem Video vorstellen und wir analysierten gemeinsam die Videos nach Inhalt, gezeigten Images, Rap-Stil, Rhythmus und Darstellungen von Geschlecht
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Diesen Vorgang nennt man auch Beats picken: Man hört sich verschiedene Beats/Instrumentals, also Musik ohne Stimmen an, die sich eignen, um darauf zu rappen – eine klassische Situation zwischen Beatproduzent*innen und Rapper*innen vor dem Entstehen eines neuen Songs. Idealerweise hört man sich beim Beats picken im Workshop verschiedenste Sounds mit unterschiedlichen Tempi an, um zu schauen, welches Tempo und welcher Sound den Meisten zusagt.
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in Text und Bild. Diese Methode dauerte in ihrer Ausführlichkeit mehrere Stunden. Für viele der Teilnehmenden war es das erste Mal seit langem, dass sie ihre eigene Musik hören bzw. auch die Videos dazu schauen durften, sodass es neben der Bild- und Tonanalyse auch sehr emotionale Momente unter den Teilnehmenden gab. Mal Élevé und ich steuerten auch jeweils einen eigenen Song bei, um verschiedene Alternativen zu den Songs der Teilnehmenden aufzuzeigen. Rap und Geschlecht
Wir stellten der Gruppe verschiedene Rap-Videos8 von queeren, trans und feministischen Rapper*innen aus UK, Nord- und Südamerika, Frankreich und Deutschland vor und besprachen anhand dessen verschiedene Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder, aber auch trans Identitäten, genderfluide und intersex Identitäten. Es ging uns darum, starre Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder zu hinterfragen, aber auch Mehrgeschlechtlichkeit zu thematisieren. Bei jedem gezeigten Video fragten wir die Teilnehmenden, welches Geschlecht sie der rappenden Person zuschreiben würden und diskutierten auch, was der Unterschied zwischen ‚Zuschreibung‘ und ‚selbst gewählten Identitäten‘ ist. Irgendwann begannen die Teilnehmenden bei jeder gezeigten Person das Geschlecht zu hinterfragen und wir kamen mit der Gruppe sogar über die Unterschiede zwischen zugewiesenem Geschlecht und Genderperformance ins Gespräch. Rap, Sprachen, Genres und Musikbusiness
Im Anschluss an meinen Input zu Mechanismen des Musikbusiness wechselte ich die Methode von Input und Diskussion zu einer weiteren gemeinsamen Videoanalyse. Die Aufmerksamkeitsspanne war nach dem Vortrag erschöpft, insbesondere als die Erkenntnis durchdrang, dass Rap gar nicht wie von Xatar in „Alles oder nichts“ (2015) und anderen Rapper*innen vermittelt, „ schnelles Geld“, sondern dann doch eher viel Arbeit bedeutet und die Aufnahmen im Studio weite Teile des Tages in Beschlag nehmen. Wir schauten gemeinsam weitere Rap-Videos. Dieses Mal diskutierten wir bei der Analyse über verschiedene Rap-Genres und -Stile, Perspektiven auf Rapmusik und stellten uns darüber hinaus Rap-Videos in den verschiedenen Familien- und Muttersprachen der Teilnehmenden vor. Als Übergang von der Methode des Musikbusiness zur Videomethode wählte ich „Loser“ (2013) von Megaloh, ein Song, in dem er thematisiert, dass er als Familienvater und Rapper immer noch für einen Paketdienst arbeiten muss, um seine Familie zu ernähren zu können und parallel versucht, seine Leidenschaft weiter zu verfolgen.
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Zum Beispiel Msoke: Them Wanna (2015), Sookee: DRAG (2012), FaulenzA: Schönheitsideale (2016), Lady Likes: Nobody (2015), Lady Leshurr: Shurraq (2014), Mykki Blanco (2010): Wavvy.
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Methode ‚Party‘
Da ein Feiertag in der Woche lag, an dem wir erst später mit dem Programm anfingen, entstand in der Gruppe spontan die Idee, eine YouTube-Party für den Vorabend des Feiertages zu planen. Die Teilnehmenden fragten die Betreuer*innen des Hauses, ob sie uns ein Abendprogramm genehmigen würden und gingen selbstständig in die Planung. Wir vereinbarten, dass ich abends am Rechner die DJ sein würde: Alle durften ihre Songwünsche notieren und ich arbeitete sie der Reihenfolge nach ab. Jeder vierte Songvorschlag darunter war von Mal Élevé und mir, denn wir wollten gern auch andere Songs einbringen, die der Gruppe nicht unbedingt bekannt waren. Der interessante Effekt dieser spontan eingebrachten Methode: Wie oben bereits kurz erwähnt, stellten die Teilnehmenden für sich fest, dass Songs des gewünschten und damals angesagten Gangsta-Raps wie von Hanybal nicht so partytauglich waren wie fröhliche Tracks der Irie Révoltés, Stromae, Msoke oder verschiedene Technotracks, die sich noch gewünscht wurden.
Inhaltliche Blöcke His*tory and Her*story of Rap
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In dieser Methode schaut man auf die Geschichte von Rapmusik, aber aus der Perspektive der Teilnehmenden. Man startet gemeinsam und ergänzt mit den Teilnehmenden gemeinsam das Wissen über wichtige Personen in der HipHop-Geschichte: Wir ließen die Teilnehmenden dazu sammeln, was sie selbst über Rap wissen und was sie der Gruppe darüber vermitteln wollen. Einige Teilnehmende hatten selbst schon Rap-Texte geschrieben und sich intensiver mit Rapmusik beschäftigt. Für jene war es eine gute Übung, um ihr Wissen einbringen zu können und dafür auch Anerkennung zu erfahren. Mal Élevé und ich ergänzten mit Details aus der Geschichte der HipHop-Kultur an den Stellen, an denen die Teilnehmenden Interesse zeigten. Rap und Musikbusiness
Für diejenigen Teilnehmenden, die nicht mit Mal Élevé zum Aufnehmen im Studio waren, bot ich einen Block zu Mechanismen des Musikbusiness an. Es ging dabei darum, miteinander zu erarbeiten, womit man im Rap-Business eigentlich Geld verdienen kann und womit auch nicht, was eher Show ist und ab welcher Größe überhaupt mit welchen Einnahmen zu rechnen ist. Auch ging es darum, was Künstler*innen selbst einbringen, an welchen Stellen welches Team hilfreich
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Eine ähnliche Methode befindet sich mit einer ausführlichen Methodenbeschreibung im Methodenteil in diesem Band: „HER*story of Rap”.
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sein kann und wieso die Vorstellung, dass alle Rapper*innen reich seien, illusorisch ist. Nicht wenige aus der Gruppe kamen zum Workshop mit der Hoffnung, ihnen stünde eine ähnliche Karriere wie Xatar bevor: Er war einer der wenigen Gangsta-Rapper*innen, der wirklich eine Haftstrafe absolvieren musste, im Gefängnis sein erstes Rap-Album heimlich aufnahm und die Aufnahmen – so beschreibt er es in seiner Autobiographie – aus der JVA raus schmuggelte, wo sie ausproduziert wurden. Wie viele Jugendliche in meinen Workshops hatten auch die Teilnehmenden hier die Vorstellung, wenn man Rapper wird, verdient man automatisch sehr viel Geld. Deshalb erschien uns gerade dieser Block zu Musikbusiness für diese Gruppe enorm wichtig. Es war ihnen gar nicht klar, wie man überhaupt Geld mit Musik generieren kann, welche Strukturen es gibt, wie die Mechanismen der Musikwirtschaft funktionieren. Genauso wenig Vorwissen bestand in Bezug darauf, was Talente und Talentförderung bedeuten. Deshalb gingen wir die verschiedenen Themen wie Live-Auftritte, Booking, Eventplanung, Studioaufnahmen, Fördermöglichkeiten, Label- und Verlagsstrukturen im Dialog miteinander durch. Es war ernüchternd für die Gruppe zu hören, dass ‚Rap-Star werden‘ kein einfacher Karriereweg ist und die Ausbildung, die sie in der Einrichtung erhalten, vermutlich die aussichtsreichere Perspektive bietet.
Die besonderen Herausforderungen dieser Woche Der unangenehmste Moment für mich persönlich war der Abend nach der YouTube-Party: Nachdem ich mir zwei Tage lang fast ununterbrochen sexistische und frauenverachtende Rap-Songs, daneben aber auch viele Sprüche der Teilnehmenden untereinander, sowie Sexismus in den von ihnen geschriebenen Rap-Texten anhören musste, war für mich eine Grenze erreicht. Selbstgewählt höre ich manchmal gern Gangsta-Rap, aber sobald ich anfange, mich auf die Texte zu fokussieren, nehme ich darin auch die Gewaltsamkeit und Abwertung von Frauen und Queers wahr. Nach zwei Tagen der Dauer-Beschallung im Rahmen des Workshops mit der Gruppe empfand ich das als starke Belastung. Mal Élevé und ich beschlossen, genau dies zum Anlass zu nehmen, mein Unwohlsein zu thematisieren und mit meiner Betroffenheit als Methode zu arbeiten. Wir bereiteten uns gut auf die Weiterarbeit mit der Gruppe vor. Wir vereinbarten, dass ich bei weiteren sexistischen Beleidigungen in den vorgestellten Songs der Teilnehmenden, meine Betroffenheit deutlich machen würde, aber Mal Élevé als cis Mann die Problematik dahinter näher ausführen würde. Ich sollte den Verlauf der Diskussion bestimmen können, während er auf mögliche Gegenargumente einging und den Teilnehmenden den Raum für weitere Sexismen nahm. Die Schreibsession der Teilnehmenden an Tag 3 und die Recording-Zeit im Studio brachen wir spontan ab als aus der Gruppe weiter sexistische Texte und Kommentare kamen. Wir nutzten eine Pause, um uns kurz besprechen. Im An-
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schluss diskutierten wir mit der Gruppe Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder und versuchten aufzuzeigen, welche Herabwürdigung von und Gewalt gegen Frauen in vielen der von ihnen formulierten Rape-Witze und Rape-Culture-Texte steckt. Ich machte außerdem deutlich, wie es mir als Betroffener von Sexismus mit dem steten Anhören solcher Textzeilen geht. Diese konfrontative Methode war riskant. Wenn wir nicht schon das Vertrauen der Gruppe erlangt hätten, hätte uns die Gruppe vermutlich auflaufen lassen oder gar versucht, uns zu verletzen. Wir wären mit der Konfrontation gescheitert. Aber es funktionierte: Ich konnte deutlich machen, warum ich verletzt war und welche Themen mich besonders triggerten. Obwohl wir zunächst nur eine Gruppendiskussion zu dem Thema hatten, in der ich viel darüber sprach, was bestimmte Vokabeln oder ausgesprochene (Rape-)Fantasien in Texten bei mir auslösen, konnten sich die Teilnehmenden darauf einlassen und schienen das Feedback annehmen zu können. Beim späteren Rap-Texten rief mich ein Teilnehmer zu sich und sagte „Anna, ich habe an Sie gedacht“.10 Er zeigte mit dem Finger auf seinen Text, wo „Wir machen B*tches klar“ geschrieben stand und das Wort „B*tch“ durchgestrichen und mit „Frau“ ersetzt war. Inhaltlich ging es ihm eigentlich um die Sehnsucht nach einer Freundin, nicht um die Ermächtigung über und vor allem nicht um die Abwertung von Frauen als B*tches im Allgemeinen. Es waren diese kleinen Erfolge, die uns aber zeigten, dass wir hier den richtigen Zugang gewählt hatten.
Fazit Eine Woche bzw. fünf Tage Workshop sind im Vergleich zu anderen Workshops, die ich gewöhnlich durchführe, relativ viel Zeit. Gemessen an den Wünschen der Auftraggeber*innen, der Situation der Teilnehmenden und unserem Bedürfnis, im Workshop möglichst viel zu vermitteln und am Ende Songs fertiggestellt zu haben, war es aber doch zu wenig Zeit. Nicht immer funktioniert das, was man sich vornimmt. Vieles klappt auch einfach gar nicht, geht unter oder passt nicht zu den Bedürfnissen der Gruppe. Das ist die Herausforderung bei prozessorientiertem Arbeiten. Die Tatsache, dass die meisten Teilnehmenden in ihrer Einrichtung sonst keine Musik hören durften, führte dazu, dass sie im Rahmen unseres Workshops aufmerksamer Musik hörten, auch wenn wir Songs einbrachten. Die Sehnsucht nach Musik war so groß, dass fast jedes unserer Angebote gut angenommen wurde. 10 Das war auf mehreren Ebenen rührend: Eigentlich duzten wir uns alle in der Woche miteinander, aber in diesem Moment, auf den der Teilnehmende sehr stolz war, siezte er mich plötzlich, vermutlich auch um mir deutlich zu machen, wie sehr er mich respektierte.
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Klare Abläufe erleichterten den Verlauf der Woche. So wichtig es war, dass wir uns als Team an die strengen Zeiten der Institution hielten, um keine Irritation zu erzeugen, waren auch die regelmäßigen Pausen nötig. Jede Abweichung kreierte Unruhe. So begannen wir am Feiertag den Tag erst um 12 Uhr, was einerseits schön war, aber andererseits auch sehr viel Unruhe in die Gruppe brachte. Das konnten wir in den kommenden Jahren besser in der Planung berücksichtigen. Im ersten Workshopdurchlauf wollten sich die Teilnehmenden am letzten Abend bei uns für die Woche bedanken und luden uns zum Abendessen ein. Sie fragten bei ihren Betreuer*innen an, ob sie für uns grillen dürften. Da Mal Élevé und ich veganes und vegetarisches Essen erbaten, stellten wir sie vor einige Herausforderungen, die sie aber mit Freude annahmen. Gerade diejenigen, die Spaß am Kochen hatten, kümmerten sich um veganes und vegetarisches Essen für uns und freuten sich, noch etwas Neues ausprobieren zu können.
Fazit zur Gruppe
Im ersten Jahr des Rap-Workshops war die Gruppe der Teilnehmenden bereits für eine längere Zeit in dieser Konstellation zusammen, alle hatten sich aneinander gewöhnen können. Es bestand einigermaßen Klarheit in der Gruppe bezüglich der Beziehungen untereinander und der Rolle der einzelnen in der Gruppe und in der Einrichtung. Das erleichterte den Einstieg, auch für uns als Team. In den folgenden Jahren waren die Teilnehmenden oft neu in der Einrichtung, viele gruppendynamische Prozesse standen an und wurden in unserem Workshop ausgefochten. Dadurch rückte die Konzentration auf uns als Team und auch auf die Inhalte in den Hintergrund. Zudem hatten wir als Team in den Folgejahren aufgrund dessen auch viel mehr Vermittlungsarbeit innerhalb der Gruppe zu leisten. In den Anschlussprojekten gestaltete sich aufgrund der Gruppenkonstellationen auch die Beatsuche, das Einigen auf die ‚Hook‘ im gemeinsamen Song und das Schreiben der Rap-Texte um einiges schwieriger. So machte sich in einem Jahr der Einfluss des gerade angesagten Rap-Stils bemerkbar, wie zum Beispiel der von Gringo, der kaum treffend auf einen Beat und auch in der Tonalität nicht immer sehr präzise rappt. Die Gruppe war nicht davon zu überzeugen, dass es beim Rappen darauf ankommt den Beat zu beachten. Zudem war die Gruppenarbeit durch einen besonders dominanten Teilnehmenden herausfordernd. Diesem jungen Mann war es ein Anliegen, alle von seinen Ideen zu überzeugen. Das pädagogische Ergebnis der Woche bestand darin, dass die Gruppe nach zwei Tagen Diskussion mit uns über die Ausgestaltung der Hook ‚gewann‘ und ihre Off-Beat-Hook, die wir als Team nicht gemacht hätten, proben und aufnehmen durften. Musikalisch gesehen war das kein großer Erfolg, für die Gruppe jedoch ein wichtiger Moment: Sie hatten es geschafft, ihre Vorstellungen mittels Überzeugungsarbeit und Diskussion
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umzusetzen. Zum prozessorientierten Arbeiten gehört auch die Bereitschaft, sich von Teilnehmenden überzeugen zu lassen.
Literatur Groß, Anna/Wallentin, Annette (2017): Politische Bildung in der Grundbildung. Eine Materialsammlung für die Praxis. 1. Auflage. Berlin: Landeszentrale für politische Bildung. Xatar (2015): Alles oder nichts. Bei uns sagt man, die Welt gehört dir. 1. Auflage. München: Riva.
Songs FaulenzA (2016): Schönheitsideale. Irie Révoltés (2006): Soleil. Lady Likes (2015): Nobody. Lady Leshurr (2014): Shurraq. Megaloh (2013): Loser. Msoke (2015): Them Wanna. Mykki Blanco (2010): Wavvy. Sookee (2012): DRAG. Stromae (2013): papaoutai.
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Ein Baukasten-System für (HipHop-)Workshops: Das Flukyversum DJ Freshfluke
Einleitung In diesem Text erkläre ich das Flukyversum – ein Baukastensystem für maßgeschneiderte Kurzzeit-Workshops. Seit ungefähr 20 Jahren gebe ich Workshops. Anfänglich waren das reine DJWorkshops, später enthielten meine Workshops auch Elemente der politischen Bildung. Mittlerweile nehmen Workshops, die sich ausschließlich um Themen der politischen Bildung drehen, einen großen Raum ein. Meine Workshop-Inhalte reichen also von HipHop und DJing über verschiedene Themen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie z. B. Sexismus und Antifeminismus, Transund Homofeindlichkeit, bis hin zu Hate Speech, Verschwörungsmythen, Desinformation, (geschlechterreflektierte) Medienpädagogik und Rechtsextremismus. Alle diese Themen haben inhaltliche Überschneidungen. Rechtsextremismus kann man nur unzureichend beschreiben, ohne auf Antifeminismus und Transund Homofeindlichkeit einzugehen. Antifeminismus sowie Trans- und Homofeindlichkeit kann man kaum besprechen, ohne Hate Speech und Desinformation zu behandeln, und von hier sind wir eigentlich auch schon mittendrin in den Verschwörungsmythen.1 HipHop als Kultur, die die Gesellschaft, in der sie entsteht, widerspiegelt, kann auf verschiedene Weise an fast alle Themen andocken. Zu der Idee des Flukyversum-Baukastens kam ich aus dem Wunsch heraus, komplexe Themen möglichst umfassend, aber auch unterhaltsam, unter gleichzeitig hohem Zeitdruck zu vermitteln. Der Flukyversum-Baukasten ist keine theoretische Idee, sondern ‚tried and trusted‘ in der praktischen Umsetzung. Bisher haben alle, die sich darauf eingelassen haben, festgestellt, dass die Umsetzung ein Erfolg ist, auch mit sogenannten ‚schwierigen‘ Klassen oder Gruppen. Der Flukyversum-Baukasten sollte möglichst hierarchiefreies und selbstgesteuertes Lernen mit konstruktivistischen Ansätzen und Peer-Learning verbinden.2
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Ich verwende in diesem Zusammenhang lieber den Begriff „Verschwörungsextremismus” Diese Begriffe habe ich selbst erst viel später gelernt, denn ich komme aus der Praxis, habe zwar verschiedenste Lehrgänge zu Pädagogik und Didaktik besucht, lese viele (Fach-)Bücher und bilde mich stets fort, aber im Unterschied zu vielen Kolleg*innen in der politischen (Jugend-)Bildung ganz ohne Studium und/oder formale Ausbildung.
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Herausforderungen Nun gestaltet sich sowieso jeder Workshop anders, weil jede Gruppe verschieden ist, aber ich stand vor der Herausforderung, ein Konzept für meine Workshops zu entwickeln, das nicht nur Lernen neu und modern denkt, sondern sich auch zeitsparend vorbereiten lässt. Weiterhin suchte ich nach einem Hebel, wie ich die Kurzzeitworkshops so gestalten konnte, dass die Teilnehmenden möglichst viel in der kurzen Zeit mitnehmen können. Folgenden Anforderungen sollte mein übergeordnetes Konzept genügen: • Es soll eine breitgefächerte Themenauswahl abgedeckt werden können. • Die Workshops haben eine Dauer von 90 Minuten bis maximal einer Woche. Die meisten Workshops bewegen sich in der Länge von einem Schultag mit zwei bis drei Blöcken, als 180 bis 270 Minuten (plus Pausen). • Die Zielgruppen setzen sich zusammen aus Menschen vom Grundschul- bis ins Senior*innenalter. • Die Zielgruppen haben unterschiedliche formale Bildungsniveaus: Grundschulen, Regel-, Gesamt- bzw. Sekundarschulen, Gymnasien, Studierende, Erwachsene mit und ohne Studium. • Die Zielgruppen haben unterschiedliche (fremd-)sprachliche Voraussetzungen. • Die Zielgruppen umfassen auch Personen mit unterschiedlichen Behinderungen. • Schulen/Räume haben unterschiedliche Voraussetzungen im Hinblick auf die Einbettung digitaler Möglichkeiten (Beamer ja/nein? Hat die Gruppe [mobiles] Internet? etc.) • Die Workshops sollten generell in Offline- und Online-Formaten funktionieren. • Die Workshops sollten an das unterschiedliche Vorwissen der Teilnehmenden anknüpfen und weder Unter- noch Überforderung auslösen. • Die Workshops sollten unterschiedliche Lerntypen ansprechen (visuelle/auditive/ haptische/kommunikative Lerntypen). • Die Workshops sollten unterschiedliche Lerncharaktere ansprechen: sowohl die ‚Nerds‘, die sich gerne mit nur einem Thema beschäftigen und dieses vertiefen als auch die ‚Scanner‘ (vgl. Reekers 2022), die mit grenzenloser Neugier die ganze Breite eines Themas erkunden wollen. • Die Workshops sollten Spaß machen!
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Durchführung Der Flukyversum-Baukasten braucht einmal viel Vorbereitung – und ist dann beliebig anwendbar. Im Flukyversum-Baukasten ist Vorbereitung alles. Vor dem ersten Workshop ist der Zeitaufwand für die Vorbereitung sehr hoch, danach ist das Konzept mit vergleichsweise geringem Aufwand beliebig erweiterbar – auch im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen im Thema – und anwendbar. Wie die besten Ideen und Konzepte ist die Grundidee extrem einfach, aber effektiv. Sie besteht aus zwei Grundpfeilern: a) Recherche mit Leitplanken b) Teilnehmende präsentieren sich am Ende ihre Erkenntnisse gegenseitig Ich erläutere die Vorgehensweise an einem praktischen Beispiel mit dem ganz allgemeinen Thema HipHop im typischen Setting in der Schule, anhand politischer Bildung von 25–30 Schüler*innen und erläutere im Anschluss, wie man den Flukyversum-Baukasten auf andere Themen und Gruppen übertragen kann. Da die Vorarbeit so zeitintensiv ist, beschreibe ich es so, wie ich es gemacht habe: klein anfangen und sukzessive erweitern. Die Vorbereitung der Materialien ist wie bereits erwähnt der aufwändigste und wichtigste Schritt. Ich nenne es „Recherche mit Leitplanken“, da ich mit meiner Vorauswahl verhindere, dass die Ergebnisse in der Gruppe am Ende allzu beliebig werden. Innerhalb dieses Rahmens sollte unbedingt genug Luft für ein individuelles Lernerlebnis bleiben. Das gilt es bei der Erstellung der Materialien zu beachten. Die vorbereiteten Materialien können unterschiedliche Medienformate haben: Text, Video, Bilder, Audio – bis zu Geräten zum Anfassen. Für jedes Sub-Thema werden Materialien erstellt und in einer Cloud, in Mappen und Heftern gesammelt, sodass sie vor jedem Workshop nur noch rausgeholt werden müssen. Beispiele für Materialien zum Sub-Thema Rap: • Texte und/oder Videos zur Geschichte von Rap • Soundbeispiele für verschiedene Flows im Rap • Etwas zu bekannten Rapper*innen aller Dekaden Die Texte, Videos, Audios sollten sich im Hinblick auf sprachliches und inhaltliches Niveau unterscheiden. Ich markiere die Materialien nach dem Ampelsystem (grün-gelb-rot) von „leicht/Grundwissen“ hin zu „schwer/voraussetzungsvoll“. Es empfiehlt sich hier, nicht ganze Bücher zu kopieren oder lange OnlineTexte in Gänze auszudrucken. Bild-Text-Kombinationen mit kurzen Texten zu einem speziellen Aspekt eignen sich meiner Erfahrung nach für viele Gruppen besser. Anstelle langer Listen mit bekannten Rapper*innen bieten sich deshalb eher
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viele einzelne Karten mit Bild und Kurztext zu einzelnen Rapper*innen – und vielleicht einem Link zu einem Video o.ä. der Rapper*in an. Die Materialien sollen einladend wirken und Spaß machen. Ich mag es, wenn ausgedruckte Materialien nicht nur im DINA4-Format vorliegen, sondern unterschiedliche Formen und Farben haben – und laminiert sind, da sie gewissen Strapazen durch die Mehrfachnutzung ausgesetzt sind. Wichtig: Die Menge der Materialien soll ein Überangebot darstellen – und das sollte der Gruppe auch klar kommuniziert werden. Es muss nicht jede*r alles gelesen/ gesehen haben, die Teilnehmenden sollen sich jeweils das heraussuchen, was sie anspricht, dazu miteinander ins Gespräch kommen und sich darüber austauschen.
Manche Schüler*innen könnten hier vielleicht alle Basis-Texte zu den o.a. Aspekten lesen, andere wiederum möchten unbedingt den hochkomplexen Text zu Flow- und Reimschemata lesen, eine Person mit wenig sprachlichen Kenntnissen einfach alle Musikvideos durchhören. Für haptische Lerntypen könnte man z. B. eine Art Adventskalender basteln – hinter jedem Türchen verbirgt sich das Bild eines*er Rapper*in mit Namen und Zeit des Wirkens. Eine digitale Variante des Adventskalenders könnte eine Vorlesefunktion beinhalten für Schüler*innen mit sprachlichen oder visuellen Einschränkungen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt – und auch hier wird die Flexibilität des Konzepts deutlich. Die Materialien können stetig ergänzt werden, sie können unterschiedlich aussehen und sich unterschiedlich anfühlen. In unserem Beispiel befinden wir uns im Setting eines Offline-Workshops. Um Videos und Audios zu hören, können entweder QR-Codes verwendet werden, falls die Schüler*innen über (mobiles) Internet und Smartphones verfügen. Falls nicht, kann man MP3-Player und ein Tablet pro Gruppe austeilen – oder sich einen mobilen Router anschaffen. Ich empfehle die Arbeit mit dem DSGVO-konformen Tool TaskCards3. Man kann hier für jedes Sub-Thema eine Spalte anlegen, die mit einem eigenen Link und/ oder QR-Code angesteuert werden kann, ohne dass den Teilnehmenden die anderen Spalten angezeigt werden. Man kann in die Spalte Links einfügen, aber auch Videos, Dateien wie PDFs und MP3s und Sprachaufnahmen, um z. B. den Arbeitsauftrag noch mal zu erklären. Der Vorteil liegt dabei darin, dass entlang des Themas immer wieder neue Objekte hinzugefügt werden können. Ich markiere die Objekte farblich nach dem Ampelsystem bezüglich ihrer Schwierigkeit 3
„TaskCards ist universell einsetzbar für jede Art von Bildungseinrichtung (Schulen, Kindergärten, Universitäten, usw.), für Firmen zur Mitarbeiterorganisation, als Pinnwand für Vereine, für private Blogs, als Veranstaltungskalender, für außerschulische Projekte und vieles Weitere“. Ab einer Nutzung von mehr als 2 Pinnwänden kostenpflichtig: www.taskcards.de (Abfrage: 16.01.23).
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(sowohl sprachlich, als auch in Bezug auf die Tiefe der Information). Den QRCode für die TaskCards-Spalte lege ich immer bei, sodass die Teilnehmenden entscheiden können, ob sie einen Text online am Handy oder offline vom Blatt lesen. Auf der Website www.kurzelinks.de kann man als Ergänzung zu QR-Codes auch noch DSGVO-konform Kurzlinks erstellen.
Beispiel 1 für den Einsatz des Flukyversum-Baukastens: HipHop
Zielgruppe: 8. Klasse, 30 Schüler*innen, Zeitumfang und Ort: 180 Minuten, offline Vorbereitung – Schritt 1
Der erste Schritt ist, das gewählte Thema in Sub-Themen aufzubrechen und alle Themen vorbereitet parat zu haben. Welche Sub-Themen gibt es, wenn HipHop die Überschrift ist? • DJing • Rap • Graffiti • Breaking • Beatboxing • Frauen im HipHop • Queerness im HipHop • Kontext der Entstehung von HipHop • HipHopHistory 1970er/80er Jahre • HipHopHistory 1990er Jahre • HipHopHistory 2000er Jahre • HipHopHistory 2010er Jahre • HipHop und Rassismus • HipHop und Politik • HipHop und Verschwörungsmythen • HipHop und Geschlechterrollen • HipHop in den USA • HipHop in Deutschland • HipHop in (beliebiges Land einfügen) • und viele mehr Hier wird die Flexibilität des Konzepts wieder deutlich: Die Liste ist beliebig erweiterbar. Allein Rap hätte das Potenzial, eine Liste von vielen Sub-Themen aufzumachen, wie Gangsta-Rap, Conscious Rap, Mumble Rap, Cloud Rap, DeutschRap, u.v.m.
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Gruppen und Themen vorbereiten – Schritt 2
Der zweite Schritt ist, die Anzahl der Gruppen zu bestimmen, da die Sub-Themen in einzelnen Gruppen behandelt werden. Bei oben genannter Klassenstärke empfehlen sich vier bis fünf Gruppen. Da das Thema des Tages HipHop allgemein ist, würde ich hier fünf Gruppen mit je ca. sechs Teilnehmenden vorgeben und die Sub-Themen DJing, Rap, Breaking, Graffiti, Beatboxing. Die Idee hinter den Kleingruppen im Flukyversum ist, dass die Schüler*innen die Expert*innen für ihre Mitschüler*innen sind – im Gegensatz zu mir! Ich weiß in der Regel nicht, über welche Vorkenntnisse und Interessen die Teilnehmenden verfügen und welche Lerntypen ich vor mir habe. Die Schüler*innen jedoch wissen genau, an welchem Niveau sie ansetzen müssen – und wie sie ihre Klasse mit ihrem Sub-Thema begeistern können. Mit der Gruppe – Schritt 3
Am Workshop-Tag selbst bitte ich nach der Begrüßung, Vorstellung und Erklärung des Ablaufs um Gruppeneinteilung. Da ich die Gruppen in aller Regel vorher nicht kenne, lasse ich die Teilnehmenden die Gruppenaufteilung selbst gestalten. Entlang unseres Beispiels (HipHop) würde ich darum bitten, sich entlang der fünf vorgegebenen Sub-Themen (DJing, Rap, Breaking, Graffiti, Beatboxing) in fünf gleich große Gruppen einzuteilen. Um Freundschaften nicht auseinanderzureißen, lasse ich einen gewissen Spielraum – die Gruppen können in unserem Beispiel um ein bis zwei Personen variieren. Kleingruppenphase – Schritt 4
In der Kleingruppenphase arbeitet jede Kleingruppe mit den vorbereiteten Materialien. In unserem Beispiel würde ich dafür 90 Minuten geben. Ziel ist es, am Ende den Mitschüler*innen die Erkenntnisse zu präsentieren. Ideal wäre natürlich eine Zweier-Teambesetzung und die Möglichkeit, mehrere Räume zu nutzen. Steht nur ein Raum zur Verfügung, lassen sich die Teilnehmenden über Tischgruppen verteilen. Ich gebe verschiedene Fragen mit, an denen sich die Schüler*innen orientieren können, aber nicht müssen, z. B. „Was hat dich überrascht?“, „Was sollten deine Mitschüler*innen unbedingt erfahren?“ In der Begleitung der Kleingruppen darf ggf. sanft auf die verbleibende Zeit hingewiesen werden, da die Zeit für die Präsentation sehr schnell knapp wird. Als teamende Person verstehe ich mich ansonsten für die Kleingruppe lediglich als Begleitung und ‚Fragebox‘, um so wenig wie möglich in die Prozesse der Kleingruppe einzugreifen. Die Form der Präsentation ist dabei komplett den Schüler*innen zu überlassen und es ist wichtig, das auch zu kommunizieren. Ich bringe zwar als Angebot Stifte und Flipchartpapier für ein klassisches Plakat mit, in der Praxis habe ich jedoch erlebt, dass Schüler*innen sich stattdessen für Rollenspiele, die Erstellung von Gedichten oder Rap-Texten, das Nachspielen von Talk-Shows, Powerpoint-Präsentationen oder die Erstellung eines Videos entschieden haben, wenn man ihnen
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diese Möglichkeiten beispielhaft aufzeigt und so kommuniziert. Das kreative Potenzial, das sich bei den Schüler*innen entfaltet, wenn sie frei entscheiden und ihrer Neugier folgen dürfen, beeindruckt mich immer wieder. Vorstellung der Ergebnisse – Schritt 5
Nach der Kleingruppenphase stellen die Kleingruppen ihre Erkenntnisse der Klasse in der von ihnen gewählten Form vor. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Schüler*innen ihren Mitschüler*innen um einiges aufmerksamer zuhören als den Inputs von Teamer*innen. Im Anschluss sollte es eine Fragerunde zum Inhalt geben. Meist können die Kleingruppen die Fragen beantworten, gegebenenfalls ergänze ich wichtige Punkte. In unserem Beispiel würde ich da mit etwa 15 Minuten pro Kleingruppe für Präsentation und Rückfragen/Diskussion rechnen. Erfahrungen aus der Praxis
Workshops nach dem Flukyversum-Baukasten funktionieren in unterschiedlichen Settings und auch bei herausfordernden Gruppen. In solchen Settings ist es vorteilhaft, den Workshop nicht allein zu teamen. Manchmal kann der Eindruck entstehen, dass eine Kleingruppe wenig engagiert ist – oft stellt sich dann aber in der Präsentation heraus, dass intensiv gearbeitet wurde. Allzu unmotivierte Kleingruppen erleben oft soziale Kontrolle durch die Mitschüler*innen, die sich zum Beispiel genervt zeigen, wenn eine Kleingruppe nur wenig beiträgt. In Kurzzeitworkshops muss man – ähnlich wie beim Speed Dating – in kürzester Zeit eine Vertrauensbasis mit den Schüler*innen aufbauen. Das gelingt am besten, wenn ich den Schüler*innen vertraue – und einzelnen Personen auch zugestehe, dass sie heute vielleicht einen schlechten Tag haben. (Nachhaltiges) Lernen lässt sich nicht mit Gewalt erzwingen. Im Rahmen von Kurzzeitworkshops versuche ich, diesen Schüler*innen zumindest Spaß am Thema zu vermitteln, damit sie den Tag in guter Erinnerung behalten. Schule ist keine freiwillig gewählte Lernumgebung – ich möchte sie den Schüler*innen daher so angenehm wie möglich gestalten. Mit Erwachsenen und Gruppen, die freiwillig am Workshop teilnehmen, kann man die Sub-Themen auch als Stationsarbeit anlegen. Es besteht auch die Möglichkeit, eine größere Bandbreite an Sub-Themen zu präsentieren und die Teilnehmenden auswählen zu lassen. Das Konzept des Flukyversum-Baukastens bietet sich auch an, um Gamification4-Elemente einzubauen. Man kann zum Beispiel die Selbstlern-Stationsarbeit mit Quizzes im Stil von Escape Rooms erweitern. Man könnte auch die einzelnen Gruppen bitten, ein bis zwei Quizfragen zu erstellen, die danach im Plenum beantwortet werden sollen.
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Als Gamification wird die Anwendung von Spiel-Elementen jenseits von Spielkontexten bezeichnet, wenn etwa Lernplattformen oder Lernkontexte mit spielerischen Elementen versehen werden.
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Beispiel 2 für den Einsatz des Flukyversum-Baukastens: HipHop und Geschlecht
(Zielgruppe: 15 Studierende, Zeit: 90 Minuten, online) In diesem Beispiel bewege ich mich im Online-Raum mit sehr knapper Zeitvorgabe. Vorbereitung – Schritt 1
Am Anfang steht wieder die Bestimmung der Sub-Themen, siehe Beispiel 1. Sollte mehr Zeit vorhanden sein, würde ich diese Gruppe über die Sub-Themen selber abstimmen lassen. Wenn die Zeit eher knapp angesetzt ist, würde ich sie hier vorgeben. Gruppen und Themen vorbereiten – Schritt 2
Da nicht nur die Gruppenphase Zeit kostet, sondern auch die Vorstellung der Ergebnisse, würde ich bei 90 Minuten nur drei Gruppen einteilen, als Sub-Themen würde ich hier z. B. „Frauen im HipHop“, „Queerness im HipHop“ und „Geschlechterrollen im HipHop“ vorgeben. Mit der Gruppe – Schritt 3
Im Online-Raum lassen sich die haptischen Lern-Materialien nicht einsetzen, also wird nur mit Audio, Video und Text gearbeitet. Inhaltlich könnte man für das Sub-Thema „Frauen im Hiphop“ Materialien erstellen zu den Aspekten: • Rapper*innen, Breaker*innen, Graffiti-Maler*innen, DJs aus allen Jahrzehnten • Weitere Akteur*innen, wie Booker*innen, Journalist*innen, … • Rap-Texte von Frauen Bei einem reinen Online-Workshop kann man auch TaskCards verwenden, ansprechender wäre dann aber (vorausgesetzt, alle Teilnehmenden arbeiten mit Laptops) ein digitales Whiteboard wie das DSGVO-konforme Conceptboard bzw. Collaboard. Gruppenphase A– Schritt 4
Bei einem Online-Workshop dieser Kürze, bei dem die Teilnehmenden sich wahrscheinlich nicht kennen, kann man die Gruppen auch per Meeting-Software nach dem Zufallsprinzip einteilen. Für das Intro mit kurzer Begrüßung der Teilnehmenden und Erklärung des Ablaufes würde ich 10 Minuten einplanen, ebenso für das Outro. Kleingruppenphase B – Schritt 5
Die Kleingruppenphase findet in den Breakout Rooms der Video-Meeting-Software statt. Zur Gestaltung der Präsentation kann jeder Kleingruppe ein fester Platz
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auf dem digitalen Board eingeräumt werden, der kreativ genutzt werden darf. Das kann Text sein, das können Bilder sein, es darf gemalt und gestickert werden – auch hier dürfen die Kleingruppen so kreativ werden, wie sie möchten! Die Kleingruppen dürfen eine kreative andere Darbietung wählen, z. B. wäre ein dialogisches Rollenspiel auch im Online-Raum denkbar. Zur Materialerarbeitung und Vorbereitung der Präsentation würde ich hier 40 Minuten einräumen. Vorstellung der Ergebnisse – Schritt 6
Über das Teilen des Bildschirms kann jede Kleingruppe ihre Ergebnisse präsentieren, im Anschluss können die anderen Teilnehmenden Fragen stellen. Für jede Gruppe bleiben hier für Präsentation und Rückfragen/Diskussion etwa 10 Minuten. Erfahrungen aus der Praxis
Neunzig Minuten sind sehr, sehr knapp – aber machbar. In einem so kurzen Workshop steht die Gruppe vor der Herausforderung, aus der Fülle der Materialien auszuwählen. Es wird eher nicht gelingen, dass mehrere Personen denselben Text lesen. Es bietet sich daher an, darauf hinzuweisen, dass die Gruppe hier strategisch vorgehen kann und jede Person nur einen oder zwei Texte liest, um der Gruppe dennoch das Maximum an Informationen zur Verfügung zu stellen. Ein Hinweis darauf, dass vermutlich niemand alle Materialien bearbeiten kann und daher die Teilnehmenden eine Auswahl treffen müssen wie sollen, ist auch hilfreich. Dieser Workshop lässt sich sehr gut alleine durchführen. Bei Studierenden kann man davon ausgehen, dass sie mit einem Laptop arbeiten, man sollte dies aber vor dem Workshop abfragen bzw. einfordern/empfehlen.
Schlussbemerkungen 1. Der Flukyversum-Baukasten lässt sich auf jedes beliebige Thema abwandeln. Deine Workshops drehen sich z. B. um Verschwörungsnarrative im HipHop? Dann erstelle Materialien z. B. zu den Sub-Themen „9/11“, „antisemitische Verschwörungserzählungen“, „Corona-Verschwörungserzählungen“ und zu „Kennzeichen und Psychologie von Verschwörungsmythen“. 2. Der Flukyversum-Baukasten funktioniert online wie offline für verschiedene Gruppenstärken und bei unterschiedlichem Vorwissen der Teilnehmenden. Wichtig und erfolgsentscheidend ist die Auswahl und Skalierung der Materialien. Je einladender und vielseitiger die Materialien sind, je unterschiedlicher Teilaspekte dargestellt sind, desto erfolgreicher wird der Workshop! 3. Der Flukyversum-Baukasten ist kein theoretisches Konzept, sondern in der Praxis erprobt.
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Meine Erfahrung zeigt, es funktioniert auch mit sogenannten „herausfordernden Gruppen“ und unter Zeitdruck. Der Flukyversum-Baukasten ist abwechslungsreich und macht Spaß – den Teilnehmenden wie den Teamer*innen. Obwohl das vorher natürlich auch vorgekommen ist, aber: Seitdem ich meine Workshops auf den Flukyversum-Baukasten umgestellt habe, rufen die Schüler*innen wirklich ihr kreatives Potenzial ab, haben sichtlich Spaß dabei und lösen bei mir als teamender Person regelmäßig Gänsehaut aus. Arbeit mit Schüler*innen mit Behinderungen oder geringen Deutschkenntnissen Auch hier gilt: Mit der Auswahl und Herstellung des Materials steht und fällt der Erfolg mit dem Flukyversum-Baukasten. Prinzipiell profitieren alle Schüler*innen von Materialien, die unterschiedliche Sinne ansprechen und verschieden in der Haptik sind – für Schüler*innen mit Behinderungen oder geringen Deutschkenntnissen ist es jedoch unerlässlich, diese Bedürfnisse und Herausforderungen durch die Auswahl und Herstellung der Materialien zu berücksichtigen. Wie so oft bei inklusivem Arbeiten gelingt dies mit Leichtigkeit, wenn Behinderungen oder geringe Deutschkenntnisse nicht als Defizit betrachtet werden. Hier gilt es vielmehr, der Frage nachzugehen: „Welche Kompetenzen im Hinblick auf Sehen, Hören, Fühlen, Verstehen bringen meine Zielgruppen mit?“ So kommt man schnell auf kreative, fantasievolle und passende Ideen für Materialien. Loslassen und atmen! Der Flukyversum-Baukasten funktioniert nur, wenn man sich verabschiedet vom klassischen, schulischen Lernen mit vorher festgelegten Ergebnissen und Zielen. Der Weg, der Spaß am Erkunden und der kreative Ausdruck sind das Ziel. In allen Facetten. Geht’s auch mal schief? Von den bereits etwa 100 Gruppen, mit denen ich nach diesem Prinzip gearbeitet habe, gab es nur eine, die ihr Sub-Thema gar nicht präsentieren konnte/wollte. Die Mitschüler*innen waren nicht amüsiert darüber und die vermeintlich coole Verweigerungshaltung zerbröselte unter der Kritik der Mitschüler*innen. Ich vermute, dass der Effekt nachhaltiger war als jede Zurechtweisung oder Aufforderung durch die Teamer*innen. Just do it? Klar! Falls dabei Rückfragen entstehen oder Anregungen für den Einsatz des Flukyversum-Baukastens gebraucht werden, bin ich ansprechbar.
Literatur Reekers, Sandra (2022): Was ist eine Scanner-Persönlichkeit? 2019/07/09/was-ist-eine-scannerpers%C3%B6nlichkeit/ (Abfrage: 20.01.2023).
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Methoden
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Rap-Methode: Four Rap Bars In Unity LMNZ
Ziele: Wir-Gefühl in der Gruppe steigern; Hemmungen und Ängste abbauen;
Spaß an Rap vermitteln; Rhythmusgefühl stärken; Grundverständnis und -fähigkeiten für Rap vermitteln; erste Praxiserfahrungen im Rappen sammeln Themen: Rap, Rhythmusgefühl, Musiktheorie Dauer: je nach Gruppengröße 15 bis 30 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: 5-15 Teilnehmende Altersgruppe: 8-99 Jahre Voraussetzungen für Teamer*innen: Rap-Kenntnisse hilfreich Raum/räumliche Gegebenheiten: Whiteboard, Flipchart oder Smartboard
nötig. Mit Flipchart ist die Methode auch draußen einsetzbar. Setting: Im Rahmen eines Rap-Workshops Vorbereitung: Flipchart aufstellen, Stifte bereithalten
Durchführung:
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Zunächst fragt man die Gruppe: „Was glaubt ihr, wie viele Schläge hat ein Takt im Rap in den meisten Fällen?“ Ein von der Gruppe vorgeschlagener Song kann dazu genutzt werden, einen Takt gemeinsam herauszuhören. Man sollte dafür die Teilnehmenden laut mitzählen lassen und sie korrigieren, falls nötig, bis alle verstanden haben, worum es geht und ein Gefühl dafür entwickeln können. Nun schreibt man die vier Zählzeiten aufs Flipchart und erklärt das Ziel: Es sollen vier Takte auf 16 Zählzeiten gerappt werden. Die Zählzeiten werden während der gesamten Übung von allen mit Fingerschnipsen begleitet. Klatschen bietet sich weniger an, da es für Anfänger*innen etwas zu laut ist. Um die Anwesenden nicht zu über- oder unterfordern, nutzt man einen Lückentext, in welchem je nach Belieben etwa Name und Lieblingsfarbe eingesetzt werden können. Alles, was dort umrahmt ist, rappt immer die gesamte Gruppe. Die Worte oder Ausrufe sollen von den Teilnehmenden selbst kommen: Fragt sie ein-
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fach „Was ruft ihr, wenn ihr Leute anfeuert?“ und entscheidet euch in der Gruppe für die beste oder lustigste Idee. Diese Art der „Call and Response“ in der Übung sorgt für ein dem UnityWert der HipHop-Kultur entsprechendes Wir-Gefühl und nimmt den Teilnehmenden die Ängste allein zu rappen, da die Hälfte der Zeit die Gruppe unterstützend mit ihrer Energie zur Seite steht. Das sollte unbedingt betont werden, da dies für manche Teilnehmende den Anstoß geben kann, vor der Gruppe zu rappen. Rap ist letztendlich ‚auf den Takt sprechen‘. Jede Silbe ist wie ein Schlag auf eine Trommel und erzeugt einen Klang. Flow nennt man die gewählte Platzierung der Silben auf den Takt. Die Hauptherausforderung für Neulinge besteht meist darin, die passende Menge an Silben pro Takt zu finden. Nutzt man zu wenig Silben, klingt es oft hölzern, nutzt man zu viele, reicht vielleicht die Atemluft nicht aus oder die Verständlichkeit der Zeile geht verloren. Verschiedene Namen der Gruppe werden für Zeile eins ausprobiert. Beispielsweise wird zunächst „Hey, ich bin der Markus“ gerappt. Dann wird das Ganze mit „Hey, ich bin der Muhammad Ali“ wiederholt. Im Anschluss werden die Teilnehmenden nach der Silbenanzahl des Namens und den entstehenden Problemen gefragt. Bei langen Namen kann es passieren, dass die ganze Gruppe schon ihren Ausruf schreit und die letzte(n) Silbe(n) des Namens nicht mehr zu verstehen sind. Gezielt sollte die Gruppe nach Lösungsvorschlägen gefragt werden. Das kann zum Beispiel sein, für den Sinngehalt des Satzes unwichtige Silben wie „hey“ und „der“ wegkürzen oder Spitznamen zu wählen. Ähnliches wird in Zeile zwei deutlich: „Und blau ist meine Lieblingsfarbe“ wird zu „Lila ist meine Lieblingsfarbe“; das unwichtige „und“ macht Platz für die zweite Silbe des Wortes „lila“. Nach „Warum ist das so?“ in Zeile drei folgt eine Pause von zwei Schlägen, die gerne von den rappenden Teilnehmenden vergessen wird. Hier helfen Tipps, wie zum Beispiel „Warum ist das so?“ im Anschluss noch einmal leise vor sich hinzusagen, da es zwei Schläge lang ist. Hier sollte außerdem erklärt werden, dass es wichtig ist, nicht zu früh fertig zu sein, weil zum Beispiel in einer Bühnensituation mit mehreren Rapper*innen Leerlauf zwischen den verschiedenen Parts entsteht. Genauso wichtig ist es zu betonen, dass eine Verzögerung beim Rappen Folgen hat: Entweder gerät die Person, die im Anschluss rappt in Zeitnot oder man selbst wird mitten im Rap unterbrochen. Als zusätzliche Herausforderung können Mitwirkende in Zeile 4 statt der Farbe eine (zur Farbe) passende Sache einfügen, beispielsweise „und grün ist meine Lieblingsfarbe ... na, weil ich Gras am liebsten habe“. Zweideutige Sachen erfreuen sich hier erfahrungsgemäß je nach Altersklasse hoher Beliebtheit.
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Betont werden sollte auch der mehrsilbige Reim bei „Lieblingsfarbe“ und „liebsten habe“. Oft stellen die Anwesenden Zeile zwei inhaltlich um, lassen Zeile vier aber gleich, wodurch der Klang des Reimes verloren geht. Nach den Erklärungen bietet es sich an, einmal vorzurappen und alle zum Mitrufen der umrahmten Rap-Texte zu ermuntern. Im Anschluss können alle Teilnehmenden rappen. Etwaige Fehler werden wohlwollend korrigiert. Optional können noch sich anbietende Zeitpunkte zum Luftholen markiert werden.
Erfahrungen
Die Methode hat bei mir in 98% der Fälle dazu geführt, dass alle Teilnehmenden sich getraut haben zu rappen. In den restlichen 2% haben sich ein bis zwei Teilnehmenden aus verschiedenen Gründen nicht getraut zu rappen. Wenn die Möglichkeit besteht, bietet es sich an, eine Pause für alle zu machen und mit diesen Personen allein zu sprechen und die Übung separat zu machen, um sie nicht für den Rest des Workshops zu verlieren. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
Im Gefängnis über die Lieblingsfarbe zu rappen kann unkommentiert zu Ablehnung führen. Man sollte betonen, dass hier bewusst simpler, kindlicher Inhalt gewählt wird, um den Fokus auf andere Punkte zu legen, die wichtig sind, um Rap zu verstehen und leichter lernen zu können. Dazu hat es sich als hilfreich erwiesen, vor der Übung schon darauf hinzuweisen, dass es später um die von den Teilnehmenden gewählten Inhalte gehen wird und dies nur eine Übung ist. Natürlich sind „Lieblingstag“ oder „Lieblingsfarbe“ beliebige Beispiele und man kann sich je nach Gruppenzusammensetzung auch entweder selbst ein simples passendes Thema überlegen oder einfach die Gruppe fragen, worüber sie gerade rappen mag. Diese simplen Themen bieten sich auch für Gruppen mit niedrigem Kenntnisstand der deutschen Sprache an.
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Wichtige Hinweise: Es ist hier wichtig der Gruppe zu vermitteln, dass Fehler etwas positives sind, da sie allen die Möglichkeit bieten, aus ihnen zu lernen: „Also macht so viele Fehler, wie es geht.“ Rap erfordert sehr viel Selbstvertrauen. Und aller Anfang ist schwer. Hauptaugenmerk dieser Übung sollte sein, alle in der Gruppe dazu zu bringen, ihre Angst zu überwinden und den Rap auszuprobieren. In Hinblick auf Flows kann man die Gruppe während des Feedbacks teilweise mit neuen Ideen bereichern, zum Beispiel durch verschiedene Artikulationsmöglichkeiten des Wortes „na“: „na na na na na weil ich blau am liebsten habe“ oder „naaaaaaaa, weil ich blau am liebsten habe“. Die Teilnehmenden sollen Rap als etwas Spielerisches und Kreatives begreifen. Im Rap gibt es kein ‚richtig‘ und ‚falsch‘. Entscheidend ist vor allem, ob der Flow für die rappende Person gut klingt und sich gut anfühlt.
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High-5 Cypher und Battle Line: Zwei kulturspezifische Vermittlungsmethoden aus der Breaking-Praxis Friederike Frost
In meinem Beitrag „Beyond Movement“ habe ich meinen kulturspezifischen Vermittlungsansatz erklärt, denn wenn Breaking in einem formellen Kontext – also außerhalb seiner Subkultur – eingebracht werden soll, ist es meiner Ansicht nach wichtig, nicht nur die oft für Jugendliche spannenden Bewegung zu unterrichten. Es sollte gleichzeitig die Tanzkultur mit ihren, in meinem Beitrag aufgegriffenen Lehr- und Lernorten des Cyphers und Battles, seinen Lehr- und Lernprinzipien des ‚Each One Teach One‘ und der Foundation, als auch seiner Musik und Geschichte, erfahrbar gemacht werden. Dafür habe ich verschiedene kulturspezifische Lehrmethoden entwickelt, die genau das ermöglichen. Zwei dieser Methoden, den High-5 Cypher und die Battle Line stelle ich hier genauer vor. Dabei ist es für beide Methoden eine Voraussetzung, dass die Teilnehmer*innen sich eigenständig bewegen können. Sie brauchen nicht viele (Tanz-)Schritte, müssen diese aber selbstständig auf die Musik umsetzen können. Eine Voraussetzung ist ebenso, dass die Lehrperson selbst Bewegungen aus der Tanzpraxis kann und weiß, diese zu vermitteln. 1 Der High-5 Cypher
Die Teilnehmer*innen stehen gemeinsam mit der Lehrperson im Kreis, alle bilden gemeinsam den Cypher. Zuerst wird auf die Musik gegroovt (am besten langsame, entspannte HipHop-Tracks). Nachdem sich alle gemeinsam eingegroovt haben, soll jede*r Teilnehmende einmal in die Kreismitte gehen. In der Mitte kann getanzt werden oder der Cypher wird einfach einmal im Takt der Musik ‚durchlaufen‘ oder durchgroovt. Eine Person beginnt und geht in die Kreismitte. Bevor sie die Mitte des Cyphers verlässt, sucht sie eine Person aus, die als nächstes in die Kreismitte kommt (dies geschieht über Körpersprache und aufmerksame nonverbale Kommunikation). Sie fordert diese Person nun direkt durch ein Abklatschen, ein High-5, auf den Platz zu tauschen. So geht es immer weiter, das High-5 ist Verbindungspunkt zwischen der Person, die aus der Kreismitte geht und der, die als nächstes in den Kreis eintritt. Jede*r kann selbst entscheiden, wie lange er*sie in der Mitte bleibt und was er*sie dort macht. Die Lehrperson hat die Aufgabe zu
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Cypher. Illustration: Bo van Hoorn
High-5 Cypher: Wechsel der Tänzer*innen durch ein High-5. Illustration: Bo van Hoorn
schauen, dass sich niemand drückt und muss natürlich auch selbst einmal in der Kreismitte tanzen. Wenn das Prinzip des High-5 Cyphers eingeübt ist, können zusätzliche Aufgaben gestellt werden, was in der Mitte zu tun ist (eine Drehung? Bestimmte Toprocks? Ein ganzes Solo? Ein Freeze?), und ob alle die gleiche Aufgabe in der Kreismitte haben oder ob diese sich ändert oder sogar frei gewählt werden kann. Die Aufgaben und damit die Methode sollte sich stets an das Leistungsniveau der Gruppe anpassen. Nach und nach kann aus dem High-5 Cypher damit ein ‚Aufgaben-Cypher‘ werden, und wenn das High-5 als Zugang in den Kreis nicht mehr benötigt wird, kann frei entschieden werden, wer wann in den Kreis geht. Hier wird der High-5 Cypher dann zu einem ‚Freestyle-Cypher‘, also ein Cypher, bei dem die Entscheidung, wann und was getanzt wird, selbst und frei entschieden wird. Durch den High-5 Cypher als einfach erscheinende Übung wird viel erlernt: Das Tanzen im Kreis vor anderen als zentrale Form des Präsentierens im Breaking. Die Bewegungen selbst, sowie die räumliche Ausrichtung der Bewegungen von 360° (da in einem Kreis getanzt wird). Das Tanzen auf die Musik, die Tempo, Takt und Rhythmus vorgibt. Das nonverbale Kommunizieren mit anderen im Moment, da eine Person gesucht wird, die als nächstes dran sein könnte. All diese Faktoren machen Breaking als Tanz aus und sind neben der reinen Bewegungsausführung wichtig zu erlernen. Der High-5 Cypher als kulturspezifische Lehrmethode beherbergt also das Potenzial, verschiedene Aspekte der Tanzkultur Breaking in einer Methode zu vermitteln.
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2 Die Battle Line Die Teilnehmenden stehen sich in zwei Reihen gegenüber. In der Aufstellung hat jede Person immer ein Gegenüber. Auf den Zuruf „Let’s go!“ tanzt die erste Reihe (Reihe A) ca. 30 Sekunden bis 1 Minute. Auf den Zuruf „Change!“ ist die andere Reihe (Reihe B) dran und tanzt nun ca. 30 Sekunden bis 1 Minute (die Zeit wird von der Lehrperson angegeben und entsprechend mit der Uhr gestoppt). Was getanzt wird, wird vorher festgelegt: Sind es nur Toprocks oder freie Solos? Ebenso wird festgelegt, ob es ein ‚Miteinander‘ ist, und der nichttanzende Partner den tanzenden Partner anfeuert und ggf. auch hier und da einen Move zuruft, der getanzt werden könnte. Oder ob es ein ‚Gegeneinander‘ ist und die zwei Partner wetteifern, und sich in ihrer Tanzzeit battlen, also herausfordern (dies geschieht immer nacheinander). Nachdem beide Reihen einmal getanzt haben, geben sich die Partner ein freundschaftliches High-5. Auf den Zuruf „Switch!“ rutscht eine Reihe (z. B. Reihe A) eine Position weiter. So hat jede Person eine*n neue*n Tanzpartner*in. Das Spiel geht von vorne los. Da alle Teilnehmenden immer etwas zu tun haben – entweder tanzen oder ihr Gegenüber anfeuern (beim Miteinander) bzw. darauf achten, was ihr Gegenüber macht, um es gleich übertrumpfen zu können (beim Gegeneinander) – erfolgt keine Beobachtung der anderen von außen. Alle sind beschäftigt und auf ihre*n Partner*in konzentriert. Der Fokus bleibt beim Gegenüber. Das Anfeuern kreiert eine positive und empowernde Gruppendynamik und beim Gegeneinander erfolgt kein verbissenes Wetteifern, da nach einer Runde tanzen das Gegenüber getauscht wird und kein ‚Aussuchen‘ von einer*m Gegner*in erfolgt. Durch die stetige Rotation, die immer neue Teams hervorbringt, treten immer unterschiedliche Tänzer*innen und Levels gegeneinander an. Es ist besonders wichtig, dass die Lehrperson den jeweiligen Kontext kreiert und erklärt, insbesondere wenn es in das Wetteifern geht. Inwieweit die Teilnehmer*innen kompetitiv werden, kann von der Lehrperson von außen durch Zurufe oder gezielte Anmerkungen gesteuert und beeinflusst werden. Mit der Methode der Battle Line können Teilnehmende einen ersten, modifizierten Einblick erhalten, was es heißt, im Breaking bei einem Battle anzutreten – was es bedeutet, sich frontal gegenüberzustehen und zu tanzen (nicht kreisförmig wie im Cypher), erleben was für Mut und Energie dafür nötig sind, verstehen, was es bedeutet in dem einen Moment seine Moves zu zeigen (bzw. zeigen zu müssen), den sozialen Aspekt eines Battles erfahren, nämlich, was es heißt sich gegenseitig anzufeuern und zu bestärken, die Kommunikation mit dem Gegenüber üben, das Tanzen auf die Musik üben.
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Ebenso können in der Methode bereits erlernte Bewegungen wiederholt geübt werden, da durch die Rotation und die kurzen Abstände keine langen Pausen entstehen.
Battle Line, Reihe A tanzt
Illustrationen: Bo van Hoorn
Battle Line, Reihe B tanzt
Battle Line, Reihe A rückt einen Platz weiter, Tausch der Tanzpartner*innen
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Armut thematisieren – Rap
Eine Unterrichts-Einheit vom Projekt Luutstarch Die folgende Unterrichtseinheit ist eine von vier Einheiten im Unterrichtsmaterial zum Thema Rap. Sie ist unter „Unterrichtsmaterial“ auf der Webseite von youngCaritas zu finden (vgl. youngCaritas 2022). Die Einheit soll der Veranschaulichung einer möglichen Praxisumsetzung im Unterricht dienen. Ziele des Unterrichts
Die Jugendlichen kennen den Zusammenhang von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Durch die Lebensgeschichte des Rappers Knackeboul fühlen sich Jugendliche in die Situation eines ausgegrenzten Kindes ein und setzen diese mit eigenen Erfahrungen in Beziehung. Die Jugendlichen üben mittels Rollenspielen alternative Handlungsmöglichkeiten ein. Persönlicher Umgang mit Geld: Jugendliche analysieren ihre Lebenskosten. Material
Song: Knackeboul – David und Knackeboul Handout: Knackeboul Übung: Ausgrenzungsspiel Übung: Max Money und Gina Geld Vertiefung: Skor – Andersch si isch guet
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1 Vorstellung des Songs „David und Knackeboul“ 1.1 „David und Knackeboul – Songtext
Link zum Song: www.youtube.com/watch?v=ZxwH2m-TJwk (Abfrage 22.12.22) 1. Strophe
Faus du mängisch meinsch i sig uf e Gring gheit Verzeu der jetz mou öppis vo mire Chindheit Mi Vater isch mit üs is Usland aus Missionar Und das me do nid verhüetet isch jo klar Mir si eleini gsi, 1 Muetter, 5 Ching I ha glehrt z’bätte, oft gmeint das es nüt bringt Nach dr Geburt vom letschte Meitschi het är üs verlo Dr Verschtang vom Mami für churzi Zyt mit sech gno I ha mi Vater gliebt, I ha nume no ghület I ha mini Familie wöue zäme gseh, I bi 9i gsi Es Hüffeli Eländ, elei und hiuflos Ohni Sozialhilf us dr Schwiz isch ou kei Hiuf cho Ha nüme gässe, nume gchozet, I ha ziemli glitte Ha mi vo mim Fründeskreis z’Portugal verabschidet Bi nie e Ma worde, wiu i scho aus chlises Ching Ab dere Wäut wo mi erwartet fasch verzwiflet bi
Refrain
Das isch es ehrlechs Lied, Aber es isch haut wohr Das hie faut mir nid liecht, I nimes mit Humor I bi so froh, dass es mir hüt ändlech besser geit Fühle mi gross u schtarch, wiu i cha Schwächi zeige Das isch für mini Muetter, das isch für mini Brüetsche, das isch für mini Schwöschtere Mir hei viu müesse hüle, Mängisch längi mer as Härz u das schticht I weiss genau, du hesch e ähnlechi Gschicht
2. Strophe
Mit 10ni bi nähr widr zrügg i d’Schwiz cho Frömd im eigete Land, irgendwie Schizo Hochdütsch und Wuchetäg hani dört ung vergässe und I ha komisch usgseh, für d’Jungs es gfungnigs Frässe Si hei mi ploget, si hei mi fertiggmacht I bi nit viu meh gsi aus e schlächtagleite fette Sack I bi go schutte, aber me het mer jedes Schpiu verdorbe Söu weniger ässe, das wär billiger für d’Fürsorg
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Aber au die Hänseleie hei weniger weh to Aus dr Ablick vo mim Mami weni bi heicho Si hed krampfet, Tag und Nacht nume gschaffet Nie Gäud gha, Einsamkeit schlächt verchraftet We dir weit wüsse, wini i bi, de froget nech wies amne Giu ohni Vater gheit, wo i dr Schueu no plogget wird E Bueb wo trotz Träne vorem Spiegu s’Lächle üebt Und scho denn het gwüsst, I wirde aus Knack Berüehmt Refrain
Das isch es ehrlechs Lied, Aber es isch haut wohr Das hie faut mir nid liecht, I nimes mit Humor I bi so froh, dass es mir hüt ändlech besser geit Fühle mi gross u schtarch, wiu i cha Schwächi zeige Das isch für mini Muetter, das isch für mini Brüetsche, das isch für mini Schwöschtere Mir hei viu müesse hüle, Mängisch längi mer as Härz u das schticht I weiss genau, du hesch e ähnlechi Gschicht
3. Strophe
Irgendeinisch ha ni gseit, I blibe nüm dehei Lösig: Kiffende Fründeskreis Und nachem erschte Joint hani plötzlech erkannt I bi vorhär Johrelang ufgwüehlt und verspannt gsi Denn isch nume kifft worde, niemer het meh Droge gno Aber so nachme Johr, si plötzlech Droge do I ha widrschtange, aber i irgendsore Shit-Nacht bini schwach worde, bi mitglofe, ha mitgmacht Es Zitli hani gmeint, I wöu nume no so läbe Bisi mi erscht Fründ ha verlore, äbe Erschti Panikattake und i ha gmerkt Das sech hinger dere Schibe Schmärz vo früecher verbirgt I ha Büecher gno und glehrt, I ha nie widr kifft Hüt hani Papier und e Schtift und I hami im Griff I schtoh uf Bühnine und säge «Hallo, I bi dr Knack» Chömet do häre, I ha Liebi zvergäh
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1.2 Knackeboul – David und Knackeboul
In seinem autobiografischen Song erzählt Knackeboul eindrücklich von Ausgrenzungserfahrungen in seiner Kindheit. Der Song eignet sich, den Zusammenhang von sozialer Ausgrenzung und Armut aufzuzeigen und in das Thema einzuführen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf individuellen Ausgrenzungserfahrungen, wie sie unter Kinder und Jugendlichen vorkommen können. Knackeboul kam nach der Trennung seiner Eltern als 10-Jähriger in die Schweiz. Seine Armut und sein ‚anders sein‘ machten ihn zum „gefundenen Fressen für die Jungs“. Gleichzeitig litt er nicht nur unter seinen eigenen Problemen, sondern auch unter jenen seiner Mutter, welche ihre Armut und Isolation nur schlecht verkraftete. Trotzdem verharrte Knackeboul nicht in einer Opferrolle. Stattdessen glaubte er an seine Fähigkeiten und Träume. Heute ist Knackeboul ein erfolgreicher Rapper und Moderator. 1.3 Diskussionspunkte
Wie reagiert Knackeboul auf die Ausgrenzung? Wie würdest du reagieren, wenn du in seiner Klasse wärst? Welche Situationen kennst du, in denen du Geld brauchst, um in der Schule, in der Freizeit oder unter Kolleg*innen mithalten zu können?
2 Ausgrenzungsspiel Dauer: ca. 20 min Material: ‚Kennzeichen‘ (Mützen, Bändel, o. ä.) Lernziel: Die Jugendlichen erfahren, was es bedeuten kann, ausgeschlossen zu
werden. Sie setzen sich auseinander mit Rollen, Gefühlen und Bedürfnissen, die mit Ausschluss verbunden sind. 2.1 Anleitung
Es handelt sich um ein geleitetes Rollenspiel, welches Ausgrenzungssituationen, wie sie etwa auf dem Pausenplatz vorkommen können, thematisiert. Anhand des Spiels werden offensichtliche Ausgrenzungssituationen (z. B. abwertende verbale Äußerungen) wie auch verstecktere Formen (z. B. abweisende, ignorierende Körperhaltungen) nachgestellt und analysiert. Die Übung ist für eine Gruppe von fünf bis maximal 10 Jugendlichen vorgesehen.
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Die Anzahl ‚Beobachter*innen‘ lässt sich allenfalls erhöhen. Zur erleichterten Identifikation mit den Rollen können spezielle Erkennungsmerkmale (Armbändel, Kappen etc.) verteilt werden. 2.2 Ablauf
Das Thema des Spiels wird erklärt: „Wie fühlt es sich an, ausgegrenzt zu sein oder jemanden auszugrenzen? Mit diesem Spiel wollen wir das herausfinden und spielen eine Ausgrenzungssituation nach“. Ein bis drei Jugendliche werden aus dem Zimmer geschickt. Sie erhalten folgende Anweisung: „Ihr versucht, in diese Gruppe aufgenommen zu werden. Ihr habt dafür 10 Minuten Zeit.“ Drei bis fünf Jugendliche im Zimmer erhalten den folgenden Auftrag: „Ihr lehnt die neuen zuerst klar ab und schikaniert sie mit immer neuen Taktiken. Mit geheimen Signalen wechselt ihr alle 2 bis 3 Minuten die Abwehrmethode (ignorieren, auslachen, provozieren, angeekelt auf sie reagieren, usw.). Ob ihr ihnen eine Chance gebt, könnt ihr erst nach diesen vier Abwehrhaltungen entscheiden“. Das Signal und eine Person, die das Signal gibt, werden bestimmt (Bspw. beide Hände in den Hosentaschen halten, gähnen, Kappe verrücken, etc. …) Ein bis zwei Jugendliche achten sich auf Signale von Wut, Unsicherheit, Aufgeben, gegenseitiges Aufschaukeln. Spürt ihr Lust zum Eingreifen? Würdet ihr eingreifen? Nach max. zehn Minuten wird die Übung gestoppt und die Rollen werden ‚abgeschüttelt‘. 2.3 Diskussionspunkte
Wie habt ihr euch gefühlt als Ausgrenzende, Ausgegrenzte oder Zuschauer*innen? Welche Gedanken gingen euch durch den Kopf? Welche Gefühle und Reaktionen habt ihr in eurer Rolle erlebt oder beobachtet? Aufgeben, Hoffnung, Lust, Wut, Nichtverstehen, Ratlosigkeit? Welche Worte oder Aktionen verschlimmern die Situation, welche ändern sie zum Besseren?
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3 Max Money und Gina Geld Dauer: 30 min. Material: Tafel oder Plakat, Stifte Lernziel: Die Jugendlichen lernen die verschiedenen Budgetkosten kennen. Sie
erarbeiten gemeinsam den Zusammenhang von Armut und sozialer Ausgrenzung. 3.1 Anleitung
Die Lehrperson zeichnet auf ein Plakat oder eine Tafel zwei einfache menschliche Figuren ohne Gesicht oder Kleider und führt die Klasse wie folgt in die Aufgabe ein: „Das sind Max Money und Gina Geld, Jugendliche in eurem Alter. Wir wollen herausfinden, wofür sie in ihrem Leben Geld brauchen. Wofür benötigt ihr in eurem Alltag Geld?“ Die Lehrperson ergänzt das Plakat mit den Beiträgen der Jugendlichen (z. B. Kleidung, Ausgang, Freizeit etc.). In einem nächsten Schritt bekommen die Figuren Kleidung. Die Lehrperson zeichnet den Figuren eine Jacke, Hosen, Schuhe etc. und fragt nach: „Wie viel kostet eine Jacke? … ein paar Schuhe?“. Ziel ist es, eine möglichst vollständige Aufstellung der Lebenskosten zu erarbeiten. Falls nötig, soll rückgefragt werden: „Wie verbringen Max Money und Gina Geld ihre Freizeit?“, „Wo schlafen sie (Wohnkosten)?“ „Wie kommen sie in die Schule (Mobilität)?“, „Wie wird ihre Schule finanziert (Steuern)?“. 3.2 Lebenskosten und Darstellungsideen
Miete, Wohnungsnebenkosten: Haus im Hintergrund, Schornstein und Fenster mit Sicht auf eine Lampe Gesundheitskosten (Krankenkasse, Zahnarzt, Optiker, Franchise, Selbstbehalt): Zahnspange, Gipsverband Steuern: Schulhaus Internet, Telefon, Handy: Handy in der Hand Mobilität (ÖV, Fahrrad, Roller): Fahrrad Unterhalt Fahrzeuge: platter Reifen beim Fahrrad Kleider/Schuhe: Jacke, Hose, Schuhe Lebensmittel: Einkaufstasche mit Gemüse, Brot ... Körperpflege (Deo, Shampoo, Gesichtscreme, …): Frisur Aus- und Weiterbildung (Schulmaterial, Kurse, Nachhilfe): Sprechblase „I speak English!“ Hobbys/Sport/Fitness: Ski, Gitarre Ausgang (Ausflüge, Kino, Konzerte): Tickets
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Verpflegung unterwegs: Sandwich in der Hand Geschenke: Geschenk Haushaltsnebenkosten (Putz- und Waschmittel, Abfall, …): Abfallsack vor dem Haus Sparen/Ferien/Unvorhergesehenes: Zug … 3.3 Zum Zusammenhang von Armut und sozialer Ausgrenzung
Einführung in Diskussion: „Nehmen wir an, Max Money und Gina Geld sind von Armut betroffen. Sie müssen mit sehr wenig Geld über die Runden kommen“.
Was sollen sie aus ihren Kosten streichen, um Geld zu sparen? Wie wirken sich die gestrichenen Posten auf ihre sozialen Kontakte aus? Wie wirken sich die gestrichenen Posten auf ihre Gesundheit aus? Wie wirken sich die gestrichenen Posten auf ihre Chancen auf eine Lehrstelle aus? Kaufen, um dabei zu sein und dazu zu gehören. Kennst du das? Welche Möglichkeiten für Max Money und Gina Geld gibt es, mit wenig Geld dabei zu sein?
4 Vertiefung SKOR – ANDERSCH ISCH GUET Link zum Song: youtu.be/JCbyHIvZUTw 4.1 Einzelarbeit
Jugendliche schreiben sich selbst eine Postkarte: Was macht mich einzigartig? Was sind meine Stärken? 4.2 Im Rahmen der Luutstarch-Workshops
Nachdem die Lehrperson bei Schulworkshops die Klasse in die Themen „Armut in der Schweiz“ und „Rap“ eingeführt hat, kommen Rap-Teamer*innen für zwei Lektionen (je 45 Minuten) an die Schule. Gemeinsam werden die oben genannten Themen nochmals aufgegriffen und diverse Stilübungen gemacht. Die Rapper*innen präsentieren eines ihrer Werke, welches sie passend finden. Dazwischen bekommen die Schüler*innen immer wieder Zeit, um an individuellen Texten zu arbeiten. Zum Ende des Workshops dürfen diejenigen, die sich
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dabei wohl fühlen, ihre Arbeit vorstellen. Nach dem Workshop wird die Klasse außerdem dazu ermutigt, eine Plattform (z. B. einen Wettbewerb oder eine Sammlung) zu gestalten.
5 Erfahrungen Die Luutstarch-Kreativworkshops kommen bei den Schulklassen sehr gut an. Besonders der Austausch mit den „Profis“ wird immer wieder positiv rückgemeldet. Wo es Unterschiede gibt, ist in der Vor- und Nachbereitung durch die Lehrperson. Je nach Vorwissen und persönlichem Bezug oder Einfühlungsvermögen kann ein Bezug zum Thema Armut hergestellt werden.
6 Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings Da die Schüler*innen individuell an ihren Texten arbeiten, sind viele verschiedene Settings möglich. Bei größeren Gruppen oder Teilnehmenden, die mehr Aufmerksamkeit erfordern, sind mehr Begleitpersonen sinnvoll.
Songs
Skor (2017): Andersch isch guet. Knackeboul (2012): David und Knackeboul.
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Methode: Release Friday Eine Methode der Jungenarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Dennis Just
Ziele: Aufbau einer geschlechterreflektierten Identität unterstützen; lebens-
weltbezogenes Angebot der Jungenarbeit etablieren; musikalisch-ästhetisches Empfinden und Kenntnisse über HipHop vertiefen. Themen: Jegliche Themen mit Bildungsrelevanz die in der Musik thematisiert
werden: Im Kontext einer geschlechterreflektierten Sozialisation kann dies häufig folgende Themen umfassen: Der eigene Körper, die eigene Sexualität, Gewalt und Aggression, die Beziehung zu den Eltern und Rauscherfahrungen. Dauer: 45 Minuten Durchführung: z. B. alle zwei Wochen Gruppengröße: 2–6 Teilnehmende Altersgruppe: 11–18 Jahre Voraussetzungen für Teamer*innen: Regelmäßige Auseinandersetzung mit
und Kenntnis der Jugendkultur, kritische Reflexion der eigenen Sozialisation Räumliche Gegebenheiten: Kleiner oder großer Raum im Jugendclub, Zu-
gang zu Internet und Musikprogramm Setting: Geschlossene Gruppe von Jugendlichen, die sich als Jungs identifizie-
ren Vorbereitung: Einen Blick in neue Veröffentlichungen werfen (s. bspw. ein-
schlägige Playlisten), das mit dem Internet verbundene Endgerät an einen Lautsprecher koppeln, relevante Notizen aus vorherigen Sitzungen überprüfen.
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Durchführung
1. Jugendliche bereits einige Tage vor der Durchführung auf die neu anstehenden Veröffentlichungen und das für sie ausgearbeitete Angebot am Freitag ansprechen 2. Am Release Friday: a) Grundmuster der Durchführung beachten und für die gesamte Durchführung im Blick behalten (siehe auch Artikel zur Methode in diesem Buch): Bewusstseinsschaffung – Reflexion – Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsmuster b) Mit der Gruppe eine „Wie-geht’s-mir-Runde“ beginnen c) Aktivierungsfrage an die Gruppe: „Was habt ihr diese Woche so zum Thema Rap mitbekommen?“ d) Die Jungs entscheiden in der Gruppe gemeinsam, welche Songs gehört werden sollen und spielen diese ab. e) In der nächsten Fragerunde geht es darum, die relevanten Themen zu identifizieren und diese mit der Gruppe zu besprechen. Oder, falls sie umfangreicher sind, als in einem Treffen besprochen werden kann, diese im Team nachzubesprechen und im Laufe der Woche bei Gelegenheit – aber vor allem beim nächsten Release – erneut aufzugreifen. f) Ermöglichung von Bildungsgelegenheiten durch dialogische Gesprächsführung 3. Regelmäßiges Wiederholen des Angebots Erfahrungen
Die Methode basiert auf einer freiwilligen Teilnahme, sodass sie sich optimal für die Offene Kinder- und Jugendarbeit eignet. Aufgrund der starken Nähe zur Lebenswelt der Jugendlichen kann die pädagogische Rahmung dieser Methode für Jugendliche manchmal nicht ersichtlich sein. Im Fokus der Gruppe steht dann ein schlichtes Wiedergeben von Musik, auf das Pädagog*innen ggf. nur schwer eingehen können. Deshalb muss die Methode mit Fragen der Pädagog*innen gut begleitet werden. Weiterhin sollte auf die Gruppengröße geachtet werden, wird diese überschritten, kann die soziale Situation nicht mehr angemessen moderiert werden. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
Die beiden Methoden Release Friday und Open Decks lassen sich auch getrennt voneinander durchführen, dies ist z. B. in anderen außerschulischen oder auch innerschulischen Bildungskontexten möglich, wenn sich weiterhin am Grundprinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme orientiert wird.
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Release Friday kann auch bei Sprachbarrieren angewandt werden, da Jugendliche auch Songs aus anderen Sprachen einbringen können. Notwendig ist in diesem Fall, dass die Jugendlichen ggf. relevante Inhalte für Jugendpädagog*innen übersetzen.
Wichtige Hinweise: Nur wenn sich Fachkräfte vor der Durchführung mit der Jugendkultur auseinandersetzen und vor allem ein genuines Interesse zeigen, kann dieses Angebot gelingen.
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Methode: Open Decks Eine Methode der Jungenarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Dennis Just
Ziele: Aufbau einer geschlechterreflektierten Identität unterstützen; lebens-
weltbezogenes Angebot der Jungenarbeit etablieren; musikalisch-ästhetisches Empfinden und Kenntnisse über HipHop vertiefen. Themen: Jegliche Themen mit Bildungsrelevanz die in der Musik thematisiert
werden: Im Kontext einer geschlechterreflektierten Sozialisation kann dies häufig folgende Themen umfassen: Den eigenen Körper, die eigene Sexualität, Gewalt und Aggression, die Beziehung zu den Eltern und Rauscherfahrungen. Dauer: 45 Minuten Durchführung: z. B. alle zwei Wochen Gruppengröße: 2–6 Teilnehmende Altersgruppe: 11–18 Jahre Voraussetzungen für Teamer*innen: Zur Vorbereitung Songs mit Relevanz
mit einbringen (s. exemplarisch Beitrag in diesem Band). Regelmäßige Auseinandersetzung mit und Kenntnis der Jugendkultur, kritische Reflexion der eigenen Sozialisation Räumliche Gegebenheiten: Kleiner oder großer Raum im Jugendclub, Zu-
gang zu Internet und Musikprogramm Setting: Geschlossene Gruppe von Jugendlichen, die sich als Jungs identifizie-
ren Vorbereitung: Vorherige Auseinandersetzung mit aktuell beliebten Liedern,
das mit dem Internet verbundene Endgerät an einen Lautsprecher koppeln
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Durchführung
Variante 1: Den Jungs werden die Decks überlassen, sie können eigene Songs abspielen, die keinen aktuellen Bezug aufweisen müssen. Fachkräften kommt die Aufgabe zu, Themen mit Bildungsrelevanz zu identifizieren (s. Methodenbeschreibung Release Friday) und Jugendliche dialogisch an diese heranzuführen. Variante 2: Wie bei Variante 1 und im Unterschied zu Release Friday muss es sich in dieser Variante nicht um aktuelle Songs handeln. Variante 2 beinhaltet Variante 1, erweitert diese durch das Einbringen eigener Songs von Jugendpädagog*innen. 1. Jugendliche bereits einige Tage vor der Durchführung auf das für sie ausgearbeitete Angebot ansprechen 2. Während Open Decks: a) Grundmuster der Durchführung beachten und für die gesamte Durchführung im Blick behalten (siehe auch Artikel zur Methode in diesem Buch): Bewusstseinsschaffung – Reflexion – Aufzeigen emanzipatorischer Deutungsmuster b) Mit der Gruppe eine „Wie-geht’s-mir-Runde“ beginnen c) Aktivierungsfrage an die Gruppe: „Welche Tracks hört ihr zurzeit gerne?“ d) Die Jungs entscheiden in der Gruppe gemeinsam, welche Songs gehört werden sollen und spielen diese ab (Variante 1). Was die zweite Variante kennzeichnet, ist das Pädagog*innen bei diesem Schritt auch eigene Songs einbringen können. e) In der nächsten Fragerunde geht es darum, die relevanten Themen zu identifizieren und diese mit der Gruppe zu besprechen. Oder, falls sie umfangreicher sind, als in einem Treffen besprochen werden kann, diese im Team nachbesprechen und im Laufe der Woche bei Gelegenheit – aber vor allem beim nächsten Release – erneut aufgreifen. f) Ermöglichung von Bildungsgelegenheiten durch dialogische Gesprächsführung, z. B. durch Fragen wie „Um welche Themen geht es in diesen Songs?“ g) Regelmäßiges Wiederholen des Angebots Erfahrungen
Die Methode basiert auf einer freiwilligen Teilnahme, sodass sie sich optimal für die Offene Kinder- und Jugendarbeit eignet. Aufgrund der starken Nähe zur Lebenswelt der Jugendlichen kann die pädagogische Rahmung dieser Methode für Jugendliche manchmal nicht ersichtlich sein. Im Fokus der Gruppe steht dann ein schlichtes Wiedergeben von Musik, auf das Pädagog*innen ggf. nur
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schwer eingehen können. Deshalb muss die Methode mit Fragen der Pädagog*innen gut begleitet werden. Weiterhin sollte auf die Gruppengröße geachtet werden, wird diese überschritten, kann die soziale Situation nicht mehr angemessen moderiert werden. Modifikationsmöglichkeiten
Die beiden Methoden Release Friday und Open Decks lassen sich auch getrennt voneinander durchführen, dies ist z. B. in anderen außerschulischen oder auch innerschulischen Bildungskontexten möglich, wenn sich weiterhin am Grundprinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme orientiert wird. Release Friday kann auch bei Sprachbarrieren angewandt werden, da Jugendliche auch Songs aus anderen Sprachen einbringen können. Notwendig ist es in diesem Fall, dass die Jugendlichen ggf. relevante Inhalte für Jugendpädagog*innen übersetzen.
Wichtige Hinweise: Dieses Angebot kann nur dann gelingen, wenn sich die Fachkräfte vor der Durchführung mit der Jugendkultur auseinandersetzen und vor allem ein genuines Interesse zeigen.
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Methode: HER*story of Rap Anna Groß inspiriert von DJ nobigButL (politische Bildnerin und Betreiberin des Blogs noboysbutrap.org)
Bei der Methode HER*story of Rap geht es darum, die Geschichte von Rapmusik in Deutschland mit den Teilnehmenden gemeinsam nachzuerzählen und immer weiter aufzufüllen – je nachdem, wie viel Zeit man mit den Teilnehmenden hat. Man erstellt dabei eine Zeitleiste ‚of Rap‘ von 1973 bis heute und fokussiert dabei im Verlauf vor allem auch auf die unbekannteren Artists. Ziele: Vermitteln von Wissen über Frauen, nichtbinäre, inter, agender und
trans Personen in der Geschichte von HipHop; Erzeugen eines vielfältigen Blicks auf die Geschichte von Rapmusik; die Auseinandersetzung mit verschiedenen Epochen und Stilen von Rapmusik; Erweiterung der HipHop-Library der jeweiligen Einrichtung; Thematisierung der Unsichtbarkeit von Menschen abseits von weißen cis Männlichkeiten Themen: Geschlecht, Geschlechterdarstellungen, Geschichte von HipHop, Se-
xismus, Unsichtbarkeit von Menschen abseits von cis Männlichkeiten Dauer: 90 Minuten als Workshop, kann aber auch z. B. im Jugendclub oder
anderen Orten mit regelmäßiger Jugendarbeit auch als fortlaufendes Projekt über mehrere Tage oder Wochen durchgeführt werden Gruppengröße/Gruppenstärke: bis zu 15 Teilnehmende Altersgruppe: Junge Menschen ab 13 Jahren bis 27 Jahre, kann aber auch in
Fortbildungen mit Lehrer*innen, Jugend- und Sozialarbeiter*innen und anderen Fachkräften, die mit jungen Menschen arbeiten oder mit Menschen im Musikbusiness durchgeführt werden. Voraussetzungen für Teamer*innen: Kenntnisse über HipHop-Geschichte;
Kenntnisse über Frauen, nichtbinäre, inter, trans und agender Personen in der Rap-Geschichte oder das Interesse, sich mit den Jugendlichen zusammen diese Kenntnisse anzueignen
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Raum/räumliche Gegebenheiten: Raum im Jugendclub, in der Schule; ideal-
erweise ein Raum, in dem man etwas aufhängen und für ein paar Wochen hängen lassen kann (ist aber kein Ausschlusskriterium) Setting: im Rahmen eines Kurzzeit-Workshops oder auch im Rahmen eines
regelmäßigen Gruppenangebot in der offenen Jugendarbeit, kann aber auch mit einzelnen Jugendlichen im offenen Angebot durchgeführt werden. Vorbereitung
Ein Musikabspielgerät mit Internetzugang sowie Moderationskarten und dicke Stifte bereithalten und/oder im Raum verteilen; verschiedene Schlüsselfiguren aus der HipHop-Geschichte vom Anfang bis heute sowie am besten aus jedem Jahrzehnt mindestens zwei fem* Artists recherchieren und parat haben; einzelne Moderationskarten mit 1973, 1980, 1985, 1990, 1995, 2000, 2005, 2010, 2015, 2020 beschriften und diese als Zeitleiste im Raum auf den Boden legen. Bei der Vorrecherche können z. B. die Blogs 365femaleMCs (www.365female mcs.com – Abfrage: 2.1.22) und noboysbutrap.org (noboysbutrap.org – Abfrage: 2.1.22) hilfreich sein. Durchführung
1. Man klebt einen geraden Strich – z. B. aus Kreppband oder Schnur – auf den Boden, der mit Zeitabschnitten versehen wird (oder an die Wand). Die Abstände können je nach Raumgröße und Platz variieren. a) Entweder ist die Zeitleiste zu Beginn ganz leer und man lässt erstmal alle Teilnehmenden überlegen, welchen Song sie zum ersten Mal ganz bewusst als Rapsong gehört oder wahrgenommen haben und/oder welcher Song sie zu HipHop gebracht hat. b) Oder man legt erste Meilensteine der Rap-Geschichte in Deutschland bereits auf Moderationskarten geschrieben aus. 2. Wenn alle ihre Songs aufgeschrieben haben, werden diese auf der Zeitleiste verteilt. 3. Nun kann die nächste Fragerunde erfolgen: Kennen die Teilnehmenden weitere Songs aus den auf dem Boden verteilten Fünf-Jahres-Abschnitten? Im längerfristigen Setting könnte jetzt schon beginnen, gemeinsam mit der Gruppe zu recherchieren, welche Rap-Songs in welchem Jahr(-zehnt) erschienen und diese zu sammeln. Der Vorteil dessen wäre, dass die Jugendlichen mehr gefragt sind und das Team nur Hilfestellungen zur Recherche geben muss. 4. Wenn zu jedem Jahrzehnt ein paar Songs gesammelt wurden, schaut man sich mit der Gruppe gemeinsam an, wieviele Rap-Artists cis männlich sind und wie viele andere Geschlechter vorkommen. Über die Fragen „Was fällt
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euch daran auf?“ oder „Wer fehlt?“ kann man gut thematisieren, warum ihnen wenige oder sogar gar keine weibliche, nonbinäre, inter oder trans Artists einfallen, die rappen oder gerappt haben. 5. Im nächsten Schritt gilt es, die Musik von Artists zu recherchieren, die nicht cis männlich sind und diese auf der Zeitleiste zu ergänzen. Wenn es die Zeit zulässt, kann man die Musik auch jeweils anhören und/oder die Videos dazu anschauen und über die einzelnen Songs ins Gespräch kommen. Erfahrungen
Wenn die Teilnehmenden etwas rapaffiner sind und sich schon ein wenig mit Samplekultur und Rapgeschichte beschäftigt haben, lässt sich die Historie schneller füllen. Manchmal ist der erste prägnante Rapsong, an den sie sich erinnern können, aber auch erst ein Jahr alt. Die Zeitleiste füllt sich meistens vor allem mit cis männlichen Protagonisten. Das ist unserer Erfahrung folgend selbst dann der Fall, wenn wir mit rap-affinen DJs und anderen Szenekundigen arbeiten. Die HER*story of Rap wurde beispielsweise in einem Mädchen*treff über ein halbes Jahr weitergeführt. Jede Woche wurden weitere Songs ergänzt, sich gegenseitig gezeigt. Die Zeitleiste hing in einem der Gruppenräume über den gesamten Zeitraum an der Wand und es wurden immer wieder – wenn sich die Gelegenheit ergab – weitere Songs ergänzt. In 90-Minuten-Settings kommt man häufig nur auf 5-8 Songs aus der Geschichte von HipHop, aber es ist meist weitaus mehr als den Teilnehmenden vorher bekannt war. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
a) Faktor Zeit: Die Methode kann mit 90 Minuten Zeit durchgeführt werden, kann aber im Jugendclub-Setting auch weiter ausgebaut und über mehrere Wochen geführt werden. b) Videoanalyse: Wenn die Kapazitäten dafür da sind, die Videos zu den Songs anzuschauen und zu besprechen, bieten sich auch anhand dessen weitere Gesprächsmöglichkeiten über die gezeigten Bilder. c) Man kann statt der Moderationskarten im Jugendclubsetting auch die Cover der Songs ausdrucken, mit Jahreszahlen versehen und in der Zeitleiste aufhängen. Diese Variante mit Covern kann man als Team auch für Kurzzeit-Workshops vorbereiten und laminiert für den Workshop bereithalten.
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d) Auch international macht eine solche Liste Freude oder andersherum mit reinem Fokus auf regional wichtige Artists jeglichen Geschlechts. Dann würde der Fokus nicht (nur) auf HER*story of Rap liegen.1
Wichtige Hinweise: Den eigenen Bias in Bezug auf Musik kann man gut an den eigenen Playlisten oder der eigenen Plattensammlung untersuchen: Wenn man sich selbst darin wiederfindet „weibliche Stimmen sind im Rap nicht so interessant“ oder „höre ich nicht so gern“ zu denken, empfiehlt sich, drei Tage lang nur Musik von Frauen, trans, inter, agender und nichtbinären Personen anzuhören und dann nochmal zu schauen, ob es nicht vielleicht mehr an den Hörgewöhnheiten als am Geschmack liegt. Diese Übung kann auch mit den Jugendlichen durchgeführt werden.
Eine mögliche HER*story of (Deutsch-)Rap
(ein paar Vorschläge, weit entfernt von einer Priorisierung oder Vollständigkeit): Schwester S. (1995): Ja, klar. – TicTacToe (1996): Ich find dich scheiße. – Alina (1997): Nur für dich. – Aziza A. (1997): Es ist Zeit. – Cora E. (1998): …und der MC ist weiblich. – Nina MC (2001): Doppel X Chromosom. – Pyranja (2004): Blondes Gift. – Ischen Impossible (2004): Nicht verwechseln. – Fiva MC (2006): Tief unten. – Sookee (2011): Pro Homo. – Schwesta Ewa (2012): 60 Punchbars. – Ket (2012): Traverser La Rue. – Yasmo (2013): Die Gretchenfrage. – Kitty Kat (2014): Aus und vorbei. – Tice (2015): Wär ich ein Track. – Presslufthanna (2015): Schlussstrich. – Lumaraa (2016): Weil ich ein Mädchen bin. – FaulenzA (2016): Schönheitsideale. – Jennifer Rostock (2016): Hengstin2. – Pilz (2017): Mein Barrio. – Ebow (2017): Punani Power. – SXTN (2017): Deine Mutter. – Sir Mantis (2018): Sorry not sorry. – Antifuchs (2018): Hombre. – Haszcara (2018): Hannah Montana. – Loredana (2018): Sonnenbrille. – Alice Dee (2019): Wildstyles. – Shirin David (2019): Gib ihm. – Eunique (2019): Kobra Kartell. – Kerosin95 (2020): Status Quo. – Nura (2021): Fair. – Nina Chuba feat. Juju (2022): Wildberry Lillet. – Badmómzjay (2023): Yeah Hoe.
1
2
Bei einer Rap-Zeitleiste mit Fokus auf lokale Aktivitäten könnte man auch gut in einen Ost-WestVergleich einsteigen und sich anschauen, wie die Anfänge von Rap in der DDR (siehe auch Artikel zu „HipHop und Ostdeutschland in diesem Buch) waren und was nach dem Mauerfall daraus wurde. So kann man an Hand der HER*story zum Beispiel thematisieren, welche Biographien Pyranja aus Rostock, Sookee aus Mecklenburg-Vorpommern, später Westberlin oder Ket aus Leipzig aufweisen, wie sich die DDR-Sozialisation in ihren jeweiligen Rapkarrieren niederschlug. Außerdem lässt sich dabei ganz grundsätzlich recherchieren, ob und welche Rap-Protagonist*innen es bereits in der DDR gab (u. a. Sprity K. mit S.B.-Jay). Zum Song „Hengstin” von Jennifer Rostock gibt es eine ultrasexistische Antwort von Bass Sultan Hengst: „Stute” (2016), worauf Sookee & Schrottgrenze mit einem feministischen Cover von „Hengstin” (2018) antworteten: www.youtube.com/watch?v=61tCkt71MBw (Abfrage: 1.12.22). Diese drei Songs könnte man bei Gelegenheit mit den Jugendlichen thematisieren.
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Methode: (Musik-)Videoanalyse Anna Groß
In diesem Buch tauchen in verschiedenen Beiträgen Videoanalysen als Methode in der Jugendarbeit auf. Auch wir Herausgeber*innen nutzen wie viele unserer Kolleg*innen in der politischen (Jugendkultur-)Bildung sowohl für die Arbeit mit jungen Menschen als auch in Fortbildungen für Fachkräfte immer wieder verschiedene Analysen von (Musik-)Videos. Die Nutzung von Musikvideos als Diskussionsgrundlage liegt zudem im Kontext von HipHop auf der Hand. Dennoch eignet sich nicht jedes Video für jede Gruppe. Auch ist der Verlauf der Methode sehr abhängig von der Art der Fragen und der Einbettung in den Gesamtkontext des Workshops. Der Clou beim Einsatz von (Musik-)Videos ist es, sich vorher gut zu überlegen, was mit der Analyse erzielt werden soll und dementsprechend die Videos bei einer vergleichenden Analyse passend zum gewünschten Themenkomplex auszuwählen. Ebenso viel Aufwand sollte in die Vorbereitung der zu den Videos passenden Fragen aufgebracht werden. Oft gilt bei (Musik-)Videos: Je aktueller das Material, desto besser. Unterschiedliche Fragestellungen können mit den gleichen (Musik-)Videos sehr unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Um die Vielfältigkeit des Einsatzes von Videoanalysen in der politischen (Jugendkultur-)Bildung aufzuzeigen, hier im Folgenden eine Methodenbeschreibung der Videoanalyse mit verschiedenen Beispielen für mögliche Einsätze. Ziele: Dialog mit jungen Menschen eröffnen; Sensibilisierung für Wirkmäch-
tigkeit von Bildern; Aufzeigen verschiedener Themen anhand der gezeigten Texte und Bilder; Erlernen von Diskussionskultur Themen: Vielfalt der Themen – je nach Auswahl der (Musik-)Videos (können
auch Interview-Ausschnitte oder Dokumentationen sein) Dauer: 15–45 Minuten im Workshop (abhängig davon, wie viele Videos einge-
setzt werden und wie viel Zeit für die Analyse gebraucht werden, auch länger) Gruppengröße/Gruppenstärke: bis zu fünf Teilnehmende pro Kleingruppe,
ideale Gruppenstärke 15 Teilnehmende/3 Kleingruppen
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Altersgruppe: Alle Altersstufen, je nach Auswahl des Videos. In der HipHop-
basierten Jugendarbeit junge Menschen ab 13 Jahren bis 27 Jahre, kann aber auch in Fortbildungen mit Lehrer*innen, Jugend- und Sozialarbeiter*innen oder anderen Fachkräften durchgeführt werden. Voraussetzungen für Teamer*innen: Kenntnisse über das Abspielen von Vi-
deos; Kenntnisse über die Analyse von Videos; wenn eigene Videos zur Analyse mitgebracht werden: genaue Kenntnisse des Gezeigten; bei unbekannten Videos zumindest das Interesse, mit den Jugendlichen gemeinsam in die Analyse zu gehen – auf die Gefahr hin, dass eventuell als kritisch empfundene Themen unvorbereitet aufkommen können und man darauf reagieren muss. Raum/räumliche Gegebenheiten: Raum im Jugendclub, in einer Schule; ide-
alerweise ein Raum, in dem man entspannt Videos zeigen kann (kein Lichteinfall auf den Bildschirm, Video-Abspielgerät mit Tonabspielmöglichkeiten) Setting: alle Settings denkbar; Kurzzeit- oder Langzeitpädagogik; Interventio-
nen; regelmäßiges Angebot; Gruppenangebote in der offenen Jugendarbeit, kann aber auch mit einzelnen Jugendlichen im offenen Angebot durchgeführt werden. Vorbereitung
Ein Videoabspielgerät (Laptop/Beamer/Smartboard/TV mit Internetzugang, Computer, Lautsprecher/Boxen) aufbauen/bereithalten; Videos recherchieren/runterladen für die geplante Analyse; Moderationskarten und dicke Stifte bereithalten und/oder im Raum verteilen, alternativ: Smartboard mit leerem Schreibdokument für die Stichworte, die genannt werden, bereithalten; Link zu den Texten (z. B. auf genius.com) bereithalten/Text notieren und bereithalten Durchführung
1. Die Person, die präsentiert, stellt kurz mit ein paar einleitenden Worten der Gruppe vor, warum das Video gewählt wurde und worauf beim Schauen besonders zu achten ist. 2. Dann wird das Video gezeigt – je nach Verabredung und Zeitrahmen entweder das ganze Video oder 40–60 Sekunden aus dem Video. 3. Anschließend geht es in die Analyse. Die folgenden Fragen sind Vorschläge, können variiert und neu zusammengestellt, ergänzt werden: a) Was wird gezeigt? Welche Bildsprache wurde gewählt? b) Wie sind die Videoschnitte? Wie ist die Kameraführung? c) Wer wird wie gezeigt? Gibt es eine oder mehrere Protagonist*innen?
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d) In welcher Rolle sind Männer, Frauen, nichtbinäre Personen zu sehen? In welcher Rolle sind Menschen of Color zu sehen? Gibt es Menschen mit sichtbaren Behinderungen und wenn ja, in welcher Rolle? e) Vor welcher Kulisse wurde das Video gedreht? Passt die Kulisse zum Inhalt? f) Worum geht es im Text des gezeigten Songs? Passen die Bilder des Videos mit dem Text des Songs zusammen? g) Welche Themen werden mit den Bildern aufgemacht? h) Was wird im Text des Songs thematisiert? i) Wie ist der Beat des Songs? Passen Sound, Beat und Inhalt des Songs zu den gezeigten Bildern? Abhängig von den Antworten der hier formulierten Fragen ergeben sich weitere Diskussionen/Diskussionsanlässe mit der Gruppe. 4. Die Antworten werden auf verschiedene Moderationskarten geschrieben, sodass man diese an einer Pinnwand oder an der Wand aufhängen und sortieren kann. 5. Wenn mehrere Videos gezeigt werden, kann im Anschluss an das Zeigen aller Videos verglichen werden: a) Was steht immer wieder auf den Moderationskarten? Man kann z. B. diese clustern/diese Karten zusammensetzen. b) Welche Bilder waren ähnlich? c) Welche Rollen tauchten in verschiedenen Videos immer wieder auf? d) Welche Videos fielen aus der Reihe? e) Was war überraschend? In Kleingruppen
Je nach Gruppengröße und Redeanteil der Teilnehmenden kann es sinnvoll sein, erst die Videos in Kleingruppen anzuschauen, in denen sie sich die Videos unter bestimmten Gesichtspunkten in den Kleingruppen gemeinsam anschauen und diskutieren. Dann ist der Verlauf ähnlich wie oben genannt, nur, dass erst in den Kleingruppen Zeit dafür gegeben wird, bevor in der gesamten Gruppe das Video gemeinsam geschaut wird und anhand der Diskussionen aus den Kleingruppen die Beiträge mit der gesamten Gruppe besprochen werden können.
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Vier Beispiele von Videoanalysen im Einsatz Beispiel A – offene Videoanalyse
Bei der im Beitrag „B*tches ‚Frauen klar machen‘ – Workshops zu Rap und Geschlecht im (halb-)offenen Strafvollzug“ in diesem Sammelband angesprochenen ausführlichen Videoanalyse, für die wir uns einen gesamten Nachmittag Zeit nahmen, stellte jede*r Teilnehmende einen Song mit Video vor. Wir Teamer*innen wussten vorher nicht, was im Video zu sehen sein würde, kannten selbst nicht alle der vorgestellten Songs. Anhand der oben genannten Fragen entstanden Moderationskarten mit den Antworten der Jugendlichen. Beispiel B – vergleichende Videoanalyse
Bei einer vergleichenden Videoanalyse der Songs Cengiz „Deutschtürke“ (2016), Haftbefehl feat. Manuellsen „Generation Kanak“ (2010) und Cashmo „Alman“ (2020) lassen anhand folgender Fragen Themen wie Diskriminierung; Nationalismus; Migration und Rassismus; „Dazugehören“; (fehlende) Anerkennung verschiedener Familiengeschichten; „Sprechverbote“, aber auch der Einsatz von Humor diskutieren: a) Wer und was wird in den Videos gezeigt? b) Wie ist der Bezug zu Deutschland in diesen drei Videos? Wo liegen die Unterschiede? c) Was thematisiert Cengiz in den beiden Strophen seines Songs und wie wird er im Video in den verschiedenen Videoabschnitten gezeigt? d) Wie ist die Bildsprache und der Schnitt bei „Generation Kanak“? e) Was wird in „Alman“ gezeigt? Was sollen die verklebten Münder mit den Kreuzen bedeuten? Was ist daran problematisch? Beispiel C – Kobra Kartell
Anhand der Videoanalyse des Videos zu „Kobra Kartell“ (2019) der Rapperin Eunique können Themen wie Drogenhandel, fremdbestimmte und selbstgewählte Darstellungen von Frauenkörpern, Rollen von Männern* und Frauen* in HipHop-Videos oder Zusammenhalt aufgemacht werden: a) Wie viele Frauen*, wie viele Männer* sind zu sehen? b) Wie werden die Protagonist*innen gezeigt? c) Umgang mit Drogen – was wird hier gezeigt? Was kennen die Teilnehmenden aus anderen HipHop-Videos? d) Was passiert im Text? Wird dies auch in der Bildsprache aufgegriffen? e) Gibt es Unterschiede zwischen Bild und Text?
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Beispiel D – What’s your gender?
Videoanalysen von Songs der Beatboxer*in Lea Şahin, der Rapper*innen Sir Mantis, Mavi Phoenix, Alice Dee, der US-amerikanischen Rapper*innen Mykki Blanco oder Le1f, der Singer/Songwriterin und Rapperin FaulenzA oder auch des Reggae-Musikers Msoke lassen sich gut nutzen, um Themen wie Geschlecht als Spektrum; Mehrgeschlechtlichkeit; trans, nichtbinäre sowie inter Identitäten zu besprechen. Erfahrungen
Es kommt immer wieder vor, dass es jugendlichen Teilnehmenden schwerfällt, zu beschreiben, was ihnen an einem Song und/oder Video gefällt, denn auch die Beobachtung und Beschreibung des Gezeigten muss erst einmal erlernt und geübt werden. Meiner Erfahrung nach bereitet es aber vielen Teilnehmenden große Freude, bei ihren (Lieblings-)Songs genau hinzusehen und zu hören und mit der Gruppe zu besprechen, was zu sehen ist und wie Bild und Ton miteinander in Verbindung oder im Kontrast zueinander zu betrachten sind. Bei der im oben erwähnten Videoanalyse im (halb-)offenen Strafvollzug im Beispiel A zu den Rap-Songs, die die Teilnehmenden zeigen und schauen wollten, ergab sich durch das Clustern der Moderationskarten zu den Motiven der gezeigten Bilder, dass einige Motive wie Waffen; Gewalt; anonymisierte (tanzende) Frauen, deren Gesichter nicht gezeigt wurden; männliche Rapper, die direkt in die Kamera rappen; Stadtkulissen statt Dorf/Land; Autos, die (nicht) fahren, immer wieder zu sehen waren und bei vielen Songs auch in den gezeigten Bildern. So konnten wir – ohne dass wir als Team die Themen aufmachen mussten – mit der Gruppe darüber ins Gespräch kommen. Bei der in Beispiel B durchgeführten Videoanalyse gibt es große Unterschiede in der Diskussion, wenn rassifizierte Personen unter den Teilnehmenden sind. Dies gilt es als Team im Blick zu behalten, auch wie das Verhältnis von rassifizierten zu nicht von Rassismus betroffenen Personen im Raum ist. Zudem unterscheidet sich die Diskussion auch dann in ihrem Verlauf von anderen, wenn weiße deutsche Teilnehmende, die nicht von Rassismus betroffen sind, bereits für die Themen Rassismus und Diskriminierung sensibilisiert sind oder wenn sie es nicht sind. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
a) Videoanalysen kann man auch mit Ton und Bild getrennt voneinander durchführen. So kann man sich zum Beispiel erst den Text des Songs vornehmen oder das Video erstmal ohne Ton anschauen, um danach den Ton separat anzuhören und das Video nicht zu zeigen. Manchen Teilnehmen-
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den fällt die getrennte Analyse leichter, als sich auf alle Sinneseindrücke gleichzeitig einzustellen. b) Wie oben bereits erwähnt kann es sinnvoll sein, die Analysen in Kleingruppen durchzuführen. Dazu kann man auch beispielhaft ein Video zusammen anschauen und die Fragen bearbeiten, um dann die Teilnehmenden in Kleingruppen mit den gleichen Fragestellungen zu anderen Videos arbeiten zu lassen. c) Beim „Bechdel-Test für Rap-Videos“3 (Groß/Jäger 2021, S. 185 f.) eignen sich die folgenden Fragen, welche von Lady Bitch Ray angeregt sind: a. „Gibt es mindestens eine tragende Frauenrolle in dem Musikvideo?“ b. „Wird diese als etwas anderes bezeichnet als eine ‚Schlampe‘ oder ‚Bitch‘ im negativen Sinne?“ c. „Tut diese Frau etwas anderes als sich wenig bekleidet vor einem Männerpublikum zu räkeln?“ (Şahin 2019, S. 78). Darüber hinaus stellen wir gern Fragen wie: d. Welche Bilder von Männlichkeit sind im Video zu sehen? e. Was wisst ihr über die männlichen Rapper/Darsteller im Video? Was wisst ihr über die Frauen und nichtbinären Personen, die zu sehen sind?
Literatur Groß, Anna/Jäger, Marie (2021). „Das Leben ist ne Bitch, ich pack die Schlampe an der Gurgel“. Rap, Geschlecht und Empowerment in der Jugendarbeit. In: Süß, Heidi: Rap und Geschlecht. Inszenierungen von Geschlecht in Deutschlands beliebtester Jugendkultur. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 178–201. Şahin, Reyhan aka Lady Bitch Ray (2019): Yalla Feminismus! Stuttgart: Tropen.
Songs Eunique (2019): Kobra Kartell. Cashmo (2020): Alman. Cengiz (2016): Deutschtürke. Haftbefehl feat. Manuellsen (2010): Generation Kanak.
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In unserem Artikel „ ‚Das Leben ist ’ne Bitch, ich pack’ die Schlampe an der Gurgel‛. Rap, Geschlecht und Empowerment in der Jugendarbeit (Süß 2021) haben Marie Jäger und ich den Einsatz des „Bechdel-Tests für Rap-Videos” wie von Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray vorgeschlagen als Methode in Workshops mit Jugendlichen zum ersten Mal beschrieben.
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Bilder-Methode: Welche*r Rapper*in wäre ich? Marie Jäger
Ziele: Auseinandersetzung mit verschiedenen Identitätskonzepten; Reflektie-
ren von Geschlechterrollen Themen: Geschlechterrollen, Familie, Sexismus, Lebensziele der Jugendlichen Dauer: ca. 30 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: 10–25 Teilnehmende Altersgruppe: 13–18 Jahre Voraussetzungen für Teamer*innen: Vorwissen zu Rap oder die Bereitschaft,
sich in die Thematik einzuarbeiten Raum/räumliche Gegebenheiten: Klassenraum oder draußen, möglichst
ebener Boden, Stuhlkreis Setting: Im Rahmen einer Workshop-Woche//Im offenen Bereich des Jugend-
zentrums//im Rahmen des Unterrichts Vorbereitung
Ein Bilderspiel (Bildersammlung, am besten mit laminierten DIN A4-Bilder, um sie bei Mehrfachnutzung zu schonen) mit Fotos verschiedener Rapper*innen wird vorbereitet. Der Diversität der Szene in Bezug auf Gender, Herkunft, Alter, Aussehen sollte dabei Rechnung getragen werden. Die Auswahl kann sich auf Deutsch-Rap beschränken, ebenso kann die Auswahl aber auch die internationale Rap-Szene porträtieren. Wichtig ist, dass die Jugendlichen mindestens die Hälfte der Rapper*innen (er)kennen. Ein Bilderspiel, das ausschließlich Acts aus den 1990er Jahren umfasst, ist meiner Erfahrung nach weniger attraktiv für Jugendliche. Beispiele für (aktuelle) Artists (Stand Februar 2023): Haftbefehl, Badmómzjay, Nimo, Mero, Loredana, Nura, Joe Rilla, Gzuz, Apache, Juju, Sir Mantis, FiNCH, Sido, Haszcara, Torch, Bushido, Romano, Katja Krasavice, Samra, Olexesh, Kollegah, SpongeBozz, Kitty Kat, Eko Fresh, Kool Savas, Capital Bra, Tarek KIZ, Clep, …
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Durchführung
1. Die Bilder werden auf dem Boden in der Mitte eines Stuhlkreis ausgebreitet. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, sich eine*n Rapper*in auszusuchen, mit der*dem sie sich identifizieren oder die*den sie als Vorbild betrachten. Wenn zwei Jugendliche dasselbe Bild aussuchen, sollte die teamende Person darauf hinweisen, dass sie sich das Bild auch teilen können. Manchmal möchten Jugendliche auch mehr als nur ein Bild vorstellen, auch das kann die*der Teamer*in ermöglichen. 2. Wenn alle Teilnehmenden ein Bild gewählt haben, werden die Bilder reihum vorgestellt. Jede*r erhält die Gelegenheit, ihre*n Rapper*in vorzustellen und zu erzählen, was er*sie an der jeweiligen Person spannend finden. Wenn Jugendliche beispielsweise sagen: „Ich habe das Bild ausgesucht, weil ich die Person cool finde!“ empfiehlt es sich, gezielte Nachfragen zu stellen: „Was genau gefällt dir an der Person?“ oder auch „Warum ist sie ein Vorbild für dich?“ Oft beginnt schon während der Vorstellungsrunde der Bilder eine Diskussion über das Gezeigte. So könnten zwei Teilnehmende zum Beispiel sagen: „Katja Krasavice ist doch voll eklig!“ – „Nein, sie ist total cool!“. An dieser Stelle sollte der*die Teamer*in darauf hinweisen, dass eine Diskussion super ist, aber dass erst einmal alle nacheinander ihre Bilder vorstellen dürfen und anschließend an die Vorstellung aller Bilder diskutiert werden kann. 3. Wenn alle Teilnehmenden ihr Bild vorgestellt haben, werden die Diskussionen und Beschreibungen der Jugendlichen aufgegriffen. Der*die Teamer*in moderiert das Gespräch und stellt dabei Nachfragen zu den Beiträgen der Teilnehmenden. Sollte sich im Laufe der Vorstellung und anschließenden Diskussion zeigen, dass die Jugendlichen großen Redebedarf zum Thema haben, können im Anschluss an die Bildermethode andere Methoden eingesetzt werden, die das Thema vertiefen. Erfahrungen
Bilderspiele eignen sich sehr gut als niedrigschwelliger Einstieg. In Workshops wurde deutlich, dass Jugendliche daran besonders schätzen, dass sich auf ‚ihre‛ Stars bezogen wird. und sie mit dieser Methode sowohl die Gelegenheit erhalten, ihr Wissen über die verschiedenen Rapper*innen darzustellen als auch darüber ins Gespräch zu kommen. Auch eine Diskussion über Geschlechterrollen und eigene Identitätskonzepte gelingt auf der Grundlage des Bilderspiels besonders gut. So wollen jugendliche Mädchen* zum Beispiel häufig über die verschiedenen Weiblichkeitskonzepte von Nura, Juju und Katja Krasavice disku-
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tieren, während Jungs* anhand von Haftbefehl und Capital Bra Vorstellungen von Vaterschaft diskutieren. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
Das Bilderspiel lässt sich gut auf andere Bereiche übertragen. So bietet es sich an, ein Bilderspiel mit Gaming-Charaktere, Youtuber*innen, Comic-HeroesBilderspiel oder ähnliches zu erstellen – je nach Ausrichtung des Workshops.
Wichtige Hinweise: Es ist für die Methode nicht wichtig, umfassend über die Biographien der verschiedenen Rapper*innen informiert zu sein. Jugendliche schätzen die Erfahrung, ehrlich interessierten Erwachsenen ‚ihre‘ Stars vorzustellen. Es ist deshalb zu empfehlen, vor allem zuzuhören und meiner Erfahrung nach weniger von Erfolg gekrönt, wenn der*die Teamer*in zu jedem vorgestellten Bild selbst etwas einbringt. Ebenso sind Wertungen wie „Kollegah ist doch richtig furchtbar!“ oder „Ich verstehe nicht, was Menschen an Katja Krasavice finden!“ zu vermeiden. Es empfiehlt sich, dass der*die Teamer*in den Fokus darauf legt, die Diskussion der Teilnehmenden untereinander zu moderieren.
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Graffiti-Methode: Welcher Style passt zu wem? Marie Jäger
Ziele: Diversität und Internationalität von Graffiti darstellen; Mit Jugendlichen
ins Gespräch kommen über Graffiti und Kunst; Reflektion von Vorurteilen und Stereotypen Themen: Graffiti-Geschichte, Klassismus, Rassismus, Gender Dauer: ca. 30 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: 10–25 Teilnehmende Altersgruppe: 13–18 Jahre Voraussetzungen für Teamer*innen: Vorwissen zu Graffiti und Streetart oder
die Bereitschaft, sich in die Thematik einzuarbeiten Raum/räumliche Gegebenheiten: Klassenraum oder draußen, möglichst
ebener Boden, Stuhlkreis Setting: Workshop; Unterricht; offene Jugendarbeit
Vorbereitung
Es sollte ein möglichst internationales Graffiti-Bilderspiel vorbereitet werden, in dem sich sowohl Bilder von der Kunst (den Schriftzügen, Characters etc…) befinden, als auch Fotos von den Künstler*innen. Auch Fotos ohne Erkennbarkeit können eingesetzt werden, da sich von einigen Künstler*innen vermutlich keine Fotos finden lassen werden, auf denen ihre Gesichter erkennbar sind. Für die Bildersammlung lohnt es sich, mit laminierten DIN A4-Bildern zu arbeiten, um sie bei Mehrfachnutzung zu schonen. Das Bilderspiel sollte sich idealerweise an den Interessen und Vorlieben der Teamer*innen orientieren und kann auch StreetArt thematisieren. Dabei sollte der Schwerpunkt jedoch auf Graffiti liegen und auch illegal gemalte Graffiti umfassen. Von Vorteil ist es, zu den einzelnen Künstler*innen etwas erzählen zu können und (zumindest in groben Umrissen) ihre Ansichten und Lebensgeschichten zu kennen. Je Künstler*in sollte es ein bis drei Bilder geben.
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Beispiele für Artists: Ganzeer (Ägypten), Dondi (USA), Mode 2 (UK), Odem (D), Lady Pink (USA), Dobro (Russland), Zora (Schweiz), Simo (DDR), Os Gêmeos (Brasilien), Samo/Basquiat (USA), 1UP-Crew (international) … Durchführung
1. Die Bilder werden in der Mitte des Stuhlkreises auf dem Boden ausgebreitet und die Gruppe wird aufgefordert, den einzelnen Personen die Bilder der Graffiti/Streetart zuzuordnen. Dazu stellt die teamende Person folgende Fragen: „Welcher Person würdet ihr welche Bilder zuordnen?“ „Könnt ihr verschiedene Stile erkennen?“ „Haben mehrere Bilder vielleicht einen ähnlichen Stil?“ Bereits bei der Zuordnung können Diskussionen zwischen den Teilnehmenden entstehen. 2. Wenn die Gruppe sich entschieden hat, zu wem welche Bilder gehören könnten, beginnt die Auswertung mit Fragen wie: „Wie seid ihr auf die jeweilige Zuordnung gekommen?“ „Wart ihr euch manchmal unsicher?“ „Welche Bilder haben euch besonders gefallen?“ Im Rahmen der Auswertung gibt die teamende Person dabei Hintergrundinfos zu den jeweiligen Personen. Eine Diskussion entspinnt sich der Erfahrung nach entlang von Aussagen wie: „Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Bild von einer Frau gemalt wurde!“ oder „Das konnte ich nicht lesen, ich habe gedacht, das sei arabische Schrift.“ Hier kann angesetzt werden: 3. Der Überraschungseffekt, der durch die Aufklärung der richtigen Zuordnung und die Hintergrundinformationen zu den Künstler*innen erzielt wird, bietet einen guten Gesprächseinstieg für eine weiterführende Diskussion anhand der Bilder. Dabei ist es wichtig, den Teilnehmenden nicht das Gefühl zu geben, ihr fehlendes Wissen oder eine falsche Zuordnung seien peinlich. Statt ihnen ein Gefühl der Blamage zu vermitteln, bedeutet dies in der Diskussion, ihre Aussagen und Eindrücke nicht zu werten, sondern stattdessen mit ihnen ins Gespräch darüber zu kommen, warum bestimmte Stile, Ästhetiken und Ausdrucksformen bestimmten Menschen(gruppen) zugeordnet oder abgesprochen werden und was daran problematisch ist. An die Auswertungsrunde kann sich je nach Motivation und Interesse der Jugendlichen ein Gespräch darüber anschließen, ob die Teilnehmenden ähnliche Vorurteile über Fähigkeiten von Menschen aus eigener Beobachtung oder eigener Betroffenheit kennen.
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Erfahrungen
Die Intensität der Methode hängt stark von der Stimmung und Motivation der Gruppe ab. Wenn die Teilnehmenden die Bilder ohne große Beteiligung zusammenwerfen, empfiehlt es sich, die Methode abzumoderieren. In den meisten Fällen betrachten Gruppen diese Methode allerdings als sportliche Herausforderung und sind zudem sowohl interessiert an den Bildern und verschiedenen Styles als auch an den Graffiti/Streetart-Künstler*innen. Zudem gelingt es mit dieser Methode auch, Mädchen* zu empowern, sich im Stylewriting jenseits von Bubble Style auszuprobieren. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
Das Bilderspiel lässt sich mittels Angeboten wie zum Beispiel Padlet auch online durchführen. Wenn das Bilderspiel im Rahmen des Kunstunterrichts eingesetzt wird, lässt es sich zudem um Vertreter*innen ‚klassischer Kunst‘ erweitern. In dem Fall bietet sich an, es den Teilnehmenden nicht zu leicht zu machen, was die Zuordnung angeht und Künstler*innen in das Bilderspiel zu integrieren, von denen Fotos existieren. Zudem könnte in der Auswertung darauf hingewiesen werden, wessen Kunstwerke in der Geschichte auch erst einmal abgelehnt wurden, bevor sie Bekanntheit erlangten.
Wichtige Hinweise: Die Methode verliert deutlich an Tiefe, umso weniger divers die ausgewählten Künstler*innen sind. Wenn in dem Bilderspiel ausschließlich weiße, cis männliche Sprayer aus Westeuropa implementiert werden, bietet das Bilderspiel wenig Gelegenheit, über das internationale Auftreten von Graffiti oder Stereotype ins Gespräch zu kommen. Je diverser die Zusammensetzung, desto fruchtbarer auch die Diskussionen.
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Bilder-Methode: FLINTA* im Rap – Covercheck DJ Freshfluke
Ziele: Kennenlernen von FLINTA*1 im Rap; Reflektion eigener Stereotype im
Hinblick auf Geschlecht Themen: Stereotype, Geschlecht, FLINTA* im Rap, Diversität von Selbstprä-
sentation Dauer: Ca. 60–80 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: Bis zu 10 Teilnehmende Altersgruppe: Von Grundschul- bis Senior*innenalter geeignet Voraussetzungen für Teamer*innen: Umfassende Kenntnisse über die Ge-
schichte von Rap und HipHop; Umfassende Kenntnisse über die Kontexte der Entstehung und die historischen und kulturellen Ereignisse zur Entstehungszeit der vorgestellten FLINTA*-Alben sowie über die Biographien und Diskographien der Rapper*innen selbst (soweit möglich) Raum/räumliche Gegebenheiten: Stromanschluss (Verlängerungskabel und
Mehrfachsteckdosen mitdenken!), Laptop, Beamer für Präsentation bzw. YouTube Playlist, ausreichend dimensionierte Lautsprecher/Boxen; Ausgedruckte/laminierte Plattencover; ggf. ein Spickzettel mit Hintergrundinfos zu den Artists, den Releases, Jahreszahlen usw.; Stuhlkreis für die Gruppe Setting: Methode für den Einstieg, aber auch den mittleren Teil eines Work-
shops; für alle Gruppen geeignet (offen, geschlossen, schulisch/außerschulisch, …); Deutschkenntnisse notwendig Nur eingeschränkt geeignet für: Teilnehmende mit Einschränkungen des Gehörs und der Kognition
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FLINTA* ist die Abkürzung für Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans und agender Personen und soll alle Personen einbeziehen, die nicht cis männlich sind.
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Nicht geeignet für: Blinde Teilnehmende, Teilnehmende mit starken Seheinschränkungen2 Vorbereitung
Reichlich Plattencover von FLINTA* Rapper*innen ausdrucken und laminieren; Präsentation oder YouTube Playlist erstellen, in der Tracks von allen verwendeten FLINTA* Artists verwendet werden. Durchführung
1. Die ausgedruckten Plattencover werden auf dem Boden verteilt. Allen Teilnehmenden wird Zeit gegeben, die verschiedenen Cover zu betrachten. 2. Danach nehmen sich die Teilnehmenden nacheinander eines der Cover und lassen es auf sich wirken. 3. Im nächsten Schritt werden die Teilnehmenden gebeten, zu beschreiben, was sie auf dem Cover sehen, warum sie genau dieses Cover gewählt haben und was sie vermuten, welche Musik die Rapper*in wohl macht, wie das Cover auf sie wirkt usw. 4. Danach wird das Video mit dem Song der Rapper*in zum jeweiligen Cover abgespielt. 5. Im Plenum wird darüber gesprochen, ob die gehörte Musik zur Vermutung passt. 6. Die*der Teamer*in ergänzt anschließend ein paar Fakten rund um das Schaffen und Leben der Rapper*in. Erfahrungen
Bilderspiele funktionieren in der Regel gut. Es ist spannend, welche Details die Teilnehmenden wahrnehmen und wie sie sie beurteilen. Man kann mit/durch diese Methode ein gutes Gefühl für die Werte und Haltungen der Gruppe bekommen, dazu in die Diskussion kommen und Reflektionen anregen. Modifikationsmöglichkeiten für verschiedene Settings
Man kann die Methode beschränken auf Rapper*innen einer Sprache, z. B. nur englischsprachige, deutschsprachige, spanischsprachige, türkischsprachige, arabischsprachige, japanischsprachige, uvm. Rapper*innen.
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Auch wenn Assistenzpersonen hier die Teilnehmenden unterstützen könnten, würde ich hier doch lieber eine andere Methode empfehlen, bei der diese Teilnehmenden nicht vermittelt auf Informationen angewiesen sind.
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Für die Stationsarbeit als Selbstlernvariante kann man den Plattencovern QRCodes hinzufügen, die direkt zu dem jeweiligen Video verlinken, einen Zettel mit der Anleitung auslegen sowie Zettel für jede*n Teilnehmenden, die die Fragen enthalten. Die Selbstlernvariante kann auch für Workshops mit Flukyversum-Baukasten (siehe in diesem Band im Abschnitt „Ansätze“) verwendet werden. In der Online-Variante können die Plattencover auf einem digitalen Whiteboard ‚ausgelegt‘ werden. Conceptboard und Collaboard sind DSGVO-konforme Optionen.
Wichtige Hinweise: Es empfiehlt sich, eine sehr breite Vielfalt von Rapper*innen mit viel Diversität in der Selbstdarstellung auszuwählen. Der*die Teamer*in sollte sich dabei nicht nur vom eigenen Geschmack und/oder der eigenen Wertung leiten lassen. Manchmal gibt es Gruppen, die starke Ablehnung gegen alle Rapper*innen zeigen, die nicht dem aktuellen kommerziellen Mainstream entsprechen. Statt darauf mit Verärgerung zu reagieren, sollten die Teamer*innen dies als willkommenen Gesprächsanlass annehmen. Problematische Bemerkungen können auch gut in die Gruppe gespiegelt werden („Sehen das alle so?“).
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DJing-Methode: Say My Name Opener/Einstiegsmethode ins DJing DJ Freshfluke
Ziele: Selbstbewusstsein stärken; Teilnehmende empowern; Spaß mit der Tech-
nik erleben; Scheu vor DJ-Technik abbauen; Technikskills vermitteln Themen: DJ-Technik, Körpergefühl, Selbstwahrnehmung Dauer: 30–45 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: Bis zu 10 Teilnehmende Altersgruppe: Grundschul- bis Senior*innenalter Voraussetzungen für Teamer*innen: Sichere Kenntnisse im Bereich DJing
und Turntablism nötig; Digitales DJ Setup, Mikrofonanschluss und Mikrofon müssen vorhanden sein; Aufnahme mit Mikrofon in die DJ-Software muss möglich sein Raum/räumliche Gegebenheiten: Stromzugang, Verlängerungskabel und
Mehrfachsteckdosen; Tisch in ausreichender Größe und Höhe zum Aufbau eines DJ-Setups; Digitales DJ Setup mit Mikrofon plus Lautsprecher/mit Boxen Setting: Keine Deutschkenntnisse erforderlich; für alle Gruppen geeignet (of-
fen, geschlossen, schulisch/außerschulisch, …) Nicht oder nur eingeschränkt geeignet für: Teilnehmende mit Einschränkungen des Gehörs Vorbereitung
DJ-Setup mit Mikrofon und allen Anschlüssen aufbauen inkl. Boxen; Mikrofon und DJ-Software so vorbereiten, dass mit dem Mikrofon in die DJ-Software aufgenommen werden kann Durchführung
1.
Die Teilnehmenden sprechen reihum ihren Namen (gerne auch selbstgewählten DJ-Namen oder Spitznamen) deutlich in das Mikrofon, dabei soll-
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2. 3. 4.
5.
ten Vokale lang gezogen werden (z. B.: Fluuuuuukyyyyyyyy). Da sich für jede*n die eigene Stimme zunächst etwas merkwürdig anhört, sollte das über mehrere Runden eingeübt werden. Es ist wichtig, laut genug, aber nicht zu laut ins Mikrofon zu sprechen – und auch nicht zu leise. Hier sollten unbedingt die schüchternen Teilnehmenden ermuntert werden, sich buchstäblich ‚Gehör‘ zu verschaffen und die ‚lauten‘ Teilnehmenden müssen darin begleitet werden, zu begreifen, dass eine ‚zu laute‘ Artikulation dem Sound durch Verzerrungen schadet. Idealerweise verfügt die DJ-Software über eine Pegelanzeige, sodass alle Teilnehmenden es nach ein, zwei Runden mit der visuellen Unterstützung schaffen, auf ein gleichmäßiges Aufnahme-Level zu kommen. Reihum wird von den Teilnehmenden der eigene Name in das Mikrofon gesprochen und in die DJ-Software aufgenommen. Die Datei mit den eingesprochenen Namen wird in eins der DJ Decks geladen. Der*die Teamer*in zeigt den Teilnehmenden, wie sie auf der Tonspur des Decks den Anfang ihres Namens finden können (als Vorübung zum Finden des ersten Beats bei Tracks). Als nächstes zeigt der*die Teamer*in, wie die Teilnehmenden durch Vorund Zurückbewegen des Plattentellers/Jog Wheels (als Vorübung zu BabyScratches) den eigenen Namen in Tonhöhe und Geschwindigkeit modulieren können. Die Modulation funktioniert in den langgezogenen Vokalen besonders gut.
Erfahrungen
Die Methode hat sich in der Praxis als sehr witzig für die Gruppe erwiesen und führt zu vielen Lachern unter den Teilnehmenden. Da man seine eigene Stimme anders wahrnimmt als in der Aufnahme, kann Selbst- und Fremdwahrnehmung ein Gesprächsanlass für die Teamer*innen sein, den es gilt aufzunehmen3.
3
Eine Situation, die mir sehr häufig begegnet ist: Ein*e Teilnehmer*in sagt „Iiiiih, meine Stimme hört sich voll schlimm an aus den Boxen, so klinge ich doch gar nicht!!!“ Teamer*in: „Für alle anderen hört sich deine Stimme immer so an. Es ist nur ungewohnt, die Stimme plötzlich außerhalb des eigenen Körpers zu hören. Daran kann man sich aber gewöhnen. Was macht diese Erfahrung gerade mit dir? Gibt es andere Gelegenheiten, bei denen du denkst, ich mache so und so und das ist doch ganz klar. Aber jemand anders versteht oder hört dich ganz anders?”
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Wichtige Hinweise: Die Methode kann als ‚Eisbrecher‘-Methode eingesetzt werden, auch was eventuelle Berührungsängste mit der eingesetzten Technik angeht, ist aber keine Kennenlernmethode. Typischerweise haben männlich sozialisierte Teilnehmende weniger Scheu in das Mikrofon zu sprechen – Jugendliche in der Pubertät ‚brüllen‘ da auch gerne mal in den ersten Versuchen und müssen lernen, dass es ein ‚zu viel‘ für den Sound gibt. Umgekehrt trauen sich weiblich sozialisierte Teilnehmende oft erst nicht so richtig oder sind sehr leise. Dies gilt auch für erwachsene Teilnehmende und ist ein hervorragender Gesprächsanlass, um Geschlechterrollenbilder bzw. Anforderungen an die Geschlechter zu diskutieren. Insgesamt ist dies eine Methode, die seit vielen Jahren mein Standard-Einstieg in das praktische DJing ist, immer gut funktioniert hat und Spaß macht.
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DJing-Methode: Pitch Your Identity DJ Freshfluke
Diese Methode baut auf der DJing-Methode Say My Name auf. Ziele: Kennenlernen der DJ-Technik; Scheu vor DJ-Technik abbauen; Spaß am
Umgang mit Technik vermitteln; Empowerment durch Erlernen von DJKenntnissen; Spaß vermitteln mit dem Einsatz und Verändern der eigenen Stimme; Spielen mit verschiedenen Tonhöhen Themen: Körpergefühl, Selbstwahrnehmung, Auseinandersetzung mit der ei-
genen (geschlechtlichen) Identität, als ‚weiblich‘/‚männlich‘ identifizierte Stimmhöhen, Technikvermittlung Dauer: Ca. 15–20 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: Bis zu 10 Teilnehmende Altersgruppe: Von Grundschul- bis Senior*innenalter geeignet Voraussetzungen für Teamer*innen: Sichere Kenntnisse im Bereich DJing
und Turntablism nötig; Digitales DJ-Setup vorhanden; DJ-Software muss über Tonhöhenkontrolle verfügen; DJ-Software muss über Loop-Funktion verfügen Raum/räumliche Gegebenheiten: Stromanschluss; Verlängerungskabel und
Mehrfachsteckdosen; Tisch in ausreichender Größe und Höhe zum Aufbau eines DJ-Setups; Digitales DJ-Setup mit Lautsprecher-Boxen Setting: Weitere Einstiegsmethode, aber keine Kennenlernmethode; für alle
Gruppen geeignet (offen, geschlossen, schulisch/ außerschulisch, …); keine Deutschkenntnisse erforderlich Nicht oder nur eingeschränkt geeignet für: Teilnehmende mit Einschränkungen des Gehörs; für Teilnehmende mit weiteren körperlichen Einschränkungen ist eventuell die Tischhöhe zu berücksichtigen.
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Vorbereitung
DJ-Setup aufbauen inkl. Boxen; Methode Say My Name vorher durchführen Durchführung
1. Der Name eines*einer Teilnehmenden wird gelooped. Der oder die Teilnehmende dreht dann an der Tonhöhe – nun kann beobachtet werden, wie sich die Stimme in der Höhe so verändert, dass man denkt, es sei eine Frauenoder Männerstimme oder auch eine Kinderstimme oder eindeutig künstlich. 2. Im Folgenden wird mit der ‚verdrehten‘ Tonhöhe der eigene Namen gescratcht. 3. Ein*e Teilnehmende*r verdreht die Tonhöhe, nun muss der*die Teilnehmende, dessen*deren Name gerade gelooped wird, über das Gehör die ‚richtige‘, also die eigene Tonhöhe wiederfinden. Dazu muss die Tonhöhenanzeige vom Team in der Software ‚versteckt‘ werden (ausgeblendet werden oder einfach Handtuch über den Laptop). Erfahrungen
Die Methode hat sich in der Praxis als lockerer Eisbrecher bewährt, ist aber keine Kennenlernmethode. Da es die zweite Runde des DJing-Workshop darstellt, merkt man bei den Teilnehmenden einen positiven ‚Gewöhnungseffekt‘, was das Handling der Plattenteller/Jog Wheels angeht. Die Methode bietet aufgrund der Tonhöhenveränderungen gute Gelegenheiten, um über die Konstruktion von Geschlecht ins Gespräch zu kommen und dazu, wie leicht scheinbare Gewissheiten aufgebrochen werden können. Oft sagen die Teilnehmen so etwas wie „Krass, jetzt hör ich mich an wie ein Typ/wie ein Mädchen“. Diese Beobachtung eröffnet den Raum zur gemeinsamen Reflexion von Geschlechterbildern- und erwartungen. Dazu eignen sich Fragen wie: Macht die Tonhöhe einen Unterschied? Macht dich die Tonhöhe zu eine*r Frau/Mann (Mädchen/Junge)? Stell dir vor, deine Tonhöhe wäre morgen für immer verdreht – was würde sich ändern? Wie fühlt sich das an? Was hat die Stimme damit zu tun, ob man Frauen- oder Männerstimmen im Rap unterschiedlich wahrnimmt? Was löst es in dir aus, wenn du einen Mann mit hoher Stimme bzw. eine Frau mit tiefer Stimme hörst? Was denkst du, warum ist es vielen trans Personen wichtig, dass sie Stimmtraining bekommen?
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Die Methode kann an Hand der Modulation der Stimme speziell junge Menschen in der Pubertät dazu einladen, ihre Selbstwahrnehmung und sich selbst zu reflektieren und die eigene Identitätsbildung nachzudenken.
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DJing-Methode: Geräusche-Memory DJ Freshfluke
Ziele: Kennenlernen der DJ-Technik; Scheu vor DJ-Technik abbauen; Umgang
mit Technik vermitteln; Kennenlernen des Midi-Controllers Native Instruments F1 oder vergleichbares Equipment Themen: HipHop-DJing, Konzentration, Gruppengefühl, Technikvermittlung Dauer: Ca. 15–20 Minuten Gruppengröße/Gruppenstärke: Bis zu zehn Teilnehmende Altersgruppe: Von Grundschul- bis Senior*innenalter geeignet Voraussetzungen für Teamer*innen: Sichere Kenntnisse im Bereich DJing
und Turntablism nötig; Kenntnisse über Digitales DJ-Setup mit MIDIController mit Pads, z. B. Native Instruments F1 oder vergleichbares Equipment Raum/räumliche Gegebenheiten: Stromzugang, Verlängerungskabel und
Mehrfachsteckdosen; Tisch in ausreichender Größe und Höhe zum Aufbau eines DJ Setups; Digitales DJ Setup plus MIDI-Controller mit Pads plus Lautsprecher/Boxen Setting: Einstiegsmethode zum spielerischen Kennenlernen der Technik; Für
alle Gruppen geeignet (offen, geschlossen, schulisch/ außerschulisch, …), geringe Deutschkenntnisse sind ausreichend Nur eingeschränkt geeignet für: Teilnehmende mit Einschränkungen des Gehörs und der Kognition; blinde Teilnehmende und Teilnehmende mit starken Seheinschränkungen (mit Hilfestellung, damit der*die Teilnehmende die Pads den Sounds zuordnen kann); für Teilnehmende mit weiteren körperlichen Einschränkungen nicht oder eingeschränkt geeignet (Geräteaufbau im Bezug auf Tischhöhe z. B. beachten) Vorbereitung
DJ-Setup aufbauen inkl. Boxen
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Durchführung
1. 16 verschiedene Single Shot Samples werden auf die jeweils 16 Pads der ersten beiden Pages gelegt, d. h. jeder Sound kommt zweimal vor (insgesamt sind 32 Slots belegt). Alle 32 Samples leuchten in derselben Farbe. Die Samples können einzelne Sounds sein (Drum Sounds, aber auch Hundebellen, hier kann man der Fantasie freien Lauf lassen und auch gern lustige Geräusche einbauen), aber auch Word Cuts wie eine kurze gesprochene Sequenz (zum Beispiel: „Hey Laaaadiiiies“ von Missy Elliot aus dem Track „Work it“) 2. Der Laptop-Bildschirm wird z. B. mit einem Handtuch abgedeckt, damit keine*r darauf schauen und eventuell mogeln kann. 3. Dann wird wie beim Memory gespielt: Eine*r tippt auf ein Pad auf Page 1 und löst damit einen Sound aus, der*die nächste Teilnehmende ‚deckt‘ ein anderes Sample auf Page 2 auf. 4. Wurde ein Sound-Pärchen aufgedeckt, wird die Farbe der Samples auf beiden Pages geändert. Erfahrungen
Das Spiel Memory ist weithin bekannt, sodass die Regeln leicht zu vermitteln sind. Die Methode bringt Spaß in der Gruppe und stärkt dadurch auch den Teamgeist. Zudem lernen die Teilnehmenden, wie die Pads des MIDIControllers zu nutzen und einzusetzen sind und verlieren spielerisch ihre eventuell vorhandene Angst vorm Ausprobieren. Es wird nicht gegeneinander gespielt, die Methode wurde bisher von den Teilnehmenden immer als Gruppenaufgabe wahrgenommen. Die größte Hürde für die Teilnehmenden ist es, sich zu erinnern, wie man auf die nächste Seite/ Page navigiert und wie man die Farbe ändert. Peer Learning: Ein paar Teilnehmende begreifen sehr schnell, wie das Handling des Geräts geht und zeigen es dann den anderen, wenn jemand das nicht weiß. Ich halte mich als Teamer*in oft sehr zurück oder frage nach: „Wer weiß noch, wie es geht?“ Die Jugendlichen neigen dazu, kooperativ zu sein und sich gegenseitig zu helfen, wenn eine*r nicht mehr weiß, wie die verschiedenen Schritte sind. Es empfiehlt sich, sich bei der Sound-Auswahl an aktuelle Songs oder auf einschlägigen Videoplattformen wie TikTok beliebte Sounds zu halten, die unter Jugendlichen gerade weit verbreitet sind. Dies vermittelt Nähe zu den Teilnehmenden und kann den Teamer*innen ‚Coolness‘-Punkte einbringen. Auch Slogans wie „Trans Rights Are Human Rights“ oder „Black Lives Matter“ können hier je nach erwarteter Zielgruppe auf den Pads untergebracht werden und bei Einsatz als Gesprächsanlass genutzt werden.
Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)
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Die Autor*innen Ajeti, Ferid (Skill) und Emrah (Buddy O.G.): Die Brüder bilden gemeinsam mit Kostana Ajeti (DJ Koki), Ferids Frau, die HipHop-Band Gipsy Mafia, die sich über ihre Musik hinaus für die Situation von Rom*nja in Deutschland und Serbien einsetzen. Sie nutzen Rap als Mittel, um die Öffentlichkeit auf die Situation der Rom*nja aufmerksam zu machen, sprechen offen über Faschismus und antifaschistische Arbeit, über ihre Erziehung und Sozialisation sowie ihr Umfeld. Andjelkovic, Robert aka Drob Dynamic ist bekannt als eine der Freestyle-Legenden von Rap Am Mittwoch und Toptier Takeover. Er ist Sozialarbeiter (M.A.) mit dem Schwerpunkt „HipHop in der Jugendkulturarbeit“, gibt Rap-Workshops und macht politische Bildungsarbeit zum Thema „HipHopHistory“ oder „Sexismus im Rap“. Als Dozent an der AliceSalomon-Hochschule lehrt er „HipHop in der Jugendkulturarbeit“. Zurzeit leitet er das selbst initiierte Projekt Berlin HipHop Akademie Vol.1. Anwander, Stefan ist Politikwissenschafter und arbeitet aktuell als politischer Bildner/ Trainer mit den Schwerpunkten Gewaltprävention, Gender und Berufsorientierung für verschiedene Träger der Jugend- und Jungs*-/Männerarbeit Wiens (z. B. Poika, Boys‘ Day, MEN). Er war einige Jahre in der mobilen wie standortbezogenen Offenen Jugendarbeit Wiens für diverse Trägervereine tätig. Für The Message hat er als Musikjournalist langjährig sowohl offline (Print) als auch online zu HipHop und Rap aus dem deutschsprachigen Raum publiziert. Ash M.O. ist HipHop Artist, Producer und Autor aus Wiesbaden. Wer mehr über den Queeren „African-Germerican“ und seine Musik erfahren möchte, findet ihn unter seinem Spitznamen @trashmasterash auf Social Media oder unter www.trashmasterash.com. Castein, Connie hat lange als staatl. anerkannte Erzieherin (Hortbereich/Sterbebegleitung) gearbeitet, eine Weiterbildung als Mediatorin und ein abgeschlossenes Studium der Sozialen Arbeit (B.A.). Im Rahmen dessen forschte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich religiös begründeter Extremismus. Ihr aktuelles Masterstudium hat einen Schwerpunkt auf Diversität/Inklusion. Zudem arbeitet sie als politische Bildnerin und mit jungen Frauen, die von Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre betroffen sind. DJ Freshfluke aka Fluky legt seit über 20 Jahren bei Open Mic Sessions, als Live DJ für Rapper*innen sowie in Clubs von Sao Paulo bis Shanghai auf und ist HipHop sehr dankbar. Fluky schrieb viele Jahre die Handbücher für TRAKTOR und ist Pionier*in im Bereich Digitale Vinyl-Systeme. Als Kartoffel mit Herz leitet Fluky Workshops, hält Vorträge und liebt Online-Seminare rund um die Themen (Anti-)Feminismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Hate Speech und Fake News, Verschwörungsnarrative. Frost, Friederike Bgirl Frost ist Kulturmanagerin, Tanz- und Sportwissenschaftlerin, urbane Tänzerin (Breaking) und Choreografin. Sie wird international als Judge für Tanzbattles eingeladen und lehrt u. a. an der Deutschen Sporthochschule Köln. Sie promoviert zu Breaking und arbeitet mit ihrem urbanen Tanzkollektiv nutrospektif im Tanztheaterkontext. www.friedafrost.blogspot.com
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Gram, Markus aka LMNZ ist seit Ende 2001 als Künstler aktiv und arbeitet als Musik- und Videoproduzent, Rapper, Tontechniker und Workshop-Dozent. Er ist in über 20 Ländern mehr als 400-mal aufgetreten, seine Musik wurde in über 200 Radiostationen in mehr als 30 Ländern gespielt und er hat bis jetzt ca. 1100 Workshops geleitet. Für ihn ist Musik ein Ventil und ein Weg, Brücken zwischen Menschen zu bauen. Groß, Anna studierte Kultur-, Musik- und Sprachwissenschaften an der HU Berlin und UKZN in Durban/Südafrika. Sie arbeitet seit 2002 in der politischen Bildung, hat 2005 den Verein cultures interactive mitgegründet und betreibt seit 2011 mit Rainer Scheerer das Musiklabel Springstoff. Sie engagiert sich für Fem*onBoards, u. a. beim internationalen Skateboard-Contest Suck My Trucks, ist IHK-geprüfte Ausbilderin für Veranstaltungskaufleute und seit 2021 Referentin bei der MaLisa Stiftung. annagross.eu Haszcara ist Rapperin und Produzentin. Sie gibt seit 2017 Rap-Workshops, hauptsächlich für Kinder und Jugendliche, mit den Schwerpunkten Gender und Diversity, Antidiskriminierungsarbeit und Empowerment. Sie hat bisher drei EPs und ein Album veröffentlicht, unter anderem beim Independent-Label Audiolith. Ihre Musik befasst sich mit innerer Heilung und gesellschaftlichen Prozessen. Holz, Elena hat einen Master in International Development (Utrecht University) und einen Bachelor in Soziologie (Université de Lausanne/Université de Bruxelles). Sie arbeitet bei youngCaritas Zürich. Jäger, Marie hat Islamwissenschaft, Politik und Philosophie studiert, malt seit 1998 Graffiti und hat mehrere Jahre als Türsteherin gearbeitet. Seit 2011 arbeitet sie für den Verein cultures interactive in der politischen Bildung und Extremismusprävention. Sie entwickelt gern Methoden und Formate für die Jugendkulturarbeit und die politische Bildung. Just, Dennis ist Erziehungswissenschaftler und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozialpädagogik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Jugendarbeit, Partizipation, Bildung und Jugendkulturen. Praktische Erfahrung sammelte er im Bereich der Straßensozialarbeit und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Kasakow, Ewgeniy ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven (DAH). Er promovierte über Modelle der Opposition in der späten Sowjetunion und veröffentlichte unter anderem in Osteuropa, Blätter für deutsche und internationale Politik, konkret, Phase 2, Jungle World, Neues Deutschland, analyse und kritik, testcard. 2022 erschien sein Buch „Spezialoperation und Frieden. Die Russische Linke gegen den Krieg“. Meyer, Dana ist Sozialwissenschaftlerin und seit vielen Jahren in der außerschulischen politischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung tätig. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Auseinandersetzung mit Anti-Bias, Rassismuskritik und Gendergerechtigkeit. Hierzu konzipiert sie auch selbst Methoden und Formate für die Bildungsarbeit und unterstützt andere Multiplikator*innen bei diesen Prozessen. Ferner engagiert sie sich auch beratend in der diversitätssensiblen und diskriminierungskritischen Organisationsentwicklung.
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Mumme, Julia ist Sozialpädagogin und Traumapädagogin. Nach langjähriger Tätigkeit in der offenen Kinder- und Jugendarbeit und als Bildungsreferentin zu Themen wie Antidiskriminierung, Feminismus und Graffiti arbeitet sie nun in der Kinder- und Jugendberatung der Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt (Frauen für Frauen e.V. Leipzig). Dort versucht sie Aspekte von Jugendkulturen als empowernde Elemente in die Beratung einfließen zu lassen. Neuenschwander, Kay studierte Soziale Arbeit an der Universität Fribourg und der Berner Fachhochschule, schloss aber das Studium nicht ab und widmete sich der Kunst. Als Kay Wieoimmer ist er Slam Poet, Musikproduzent und Rapper. Seit 2018 gibt Kay sein Wissen auch gerne weiter und leitet Schulworkshops in den Projekten Slam@School und Luutstarch. In seiner Musik sucht er nach einer Identität zwischen der Schweiz und Brasilien. 2022 erschien sein neustes Album „Saudade“. Pekor ist Kindheitspädagoge und gibt seit 2005 Rap-, Beatbox- und Graffiti-Workshops, seit 2010 im Rahmen politischer Bildungsarbeit. Das Berlin der 1990er Jahre war die treibende Kraft hinter der Faszination des Köpenickers für Writing und HipHop-Kultur. Bis 2010 war er neben Writing auch im Rap und Beatboxing national und international aktiv, u. a. mit seiner Beatbox-Band OSM. Seitdem konzentriert er sich auf Writing und Urban Art. Rihs, Rosa-Lynn studiert aktuell noch im Masterstudium Soziale Arbeit (Hochschule Luzern), hat einen Bachelorabschluss in Soziologie und Kulturwissenschaft (Hochschule Luzern) und arbeitet als Projektleiterin bei youngCaritas Zürich. Sanchis, Sinaya (B.A. Medien- und Künstlermanagement/M.A. Sozialmanagement) ist seit den 1990er Jahren Tänzerin (Breaking). Sie war Mitglied der Crew Female Artistics – damals eine von zwei Female-Crews in der Breakdance-Szene in ganz Deutschland. 2008 gründete sie die Frauen-Rapgruppe too funk´sistaz. Sie nahm an verschiedenen Battles statt, organisierte den Sampler zum We B*Girlz Festival und ist seit 2007 in der Jugendarbeit aktiv. Seit 2014 leitet sie einen Mädchen*treff in Berlin. Sir Mantis ist Rapper, Beat-Produzent und Freestyler. 2022 veröffentlichte er sein DebütAlbum „180 Grad“ beim Label Springstoff. Sir Mantis arbeitet als Produzent und Mixing Engineer für sich und (andere) Rapper*innen. Er engagiert sich gegen Klassismus, Transfeindlichkeit und Sexismus und schafft durch Workshops Zugänge zu Musikproduktion und Rap für Jugendliche und junge Erwachsene. Süß, Heidi (Dr. phil.) hat im Graduiertenkolleg Gender und Bildung an der Universität Hildesheim über Männlichkeiten im (Deutsch-)Rap promoviert. Sie arbeitet überwiegend auf dem Gebiet der HipHop-Studies und beschäftigt sich neben dem Themenkomplex Geschlecht, Männlichkeit und Sexismus auch mit rechten Tendenzen, Alter und generationalen Konflikten im HipHop. Zuletzt war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem DFGProjekt über Rassismusaushandlungen im Deutsch-Rap an der Hochschule MagdeburgStendal. Vishnya, Daniel aka Mr. Cherry ist Musikproduzent, Performance- und Visualartist. Bei einem Filmessay über die syrische Antikenstadt Palmyra war er für Schnitt und Musik zuständig. Er arbeitet mit jungen Menschen zu allen möglichen Themen rund um Medien-
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und Musikproduktion, organisiert Parties/Events und engagiert sich für Geflüchtete, seit 2022 vor allem für Geflüchtete aus der Ukraine. Als Forbiddan produziert er Beats für verschiedene Rapper*innen, u. a. Sookee, Refpolk, Captain Gips. Wilke, Stephan, UI/UX Designer, Grafikdesigner und Graffiti-Künstler/Stylewriter aus Berlin. Seit 2008 arbeitet er als Grafiker und Art Director, unter anderem war er für den Verlag From Here To Fame Publishing tätig und z. B. in die Buch-Projekte Arabic Graffiti und Walls of Freedom involviert. Seit 2003 leitet er Graffiti-Workshops, seit 2011 auch in der politischen Bildung/Anti-Diskriminierungsarbeit. Für Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage und für cultures interactive e.V. entwickelte er Workshop-Formate und Methoden der politischen Bildung. Wolf, Dan ist ein US-amerikanischer Rapper, Performance-Künstler und Autor, der HipHop-Formate im Kontext der Gedenkstättenpädagogik einbrachte. Seine Performances kombinieren konventionelle Theatertechniken mit der Musik, Sprache und Ästhetik der HipHop-Generation. Seine multisensorische Arbeit lebt von seiner jahrelangen Erfahrung des Schreibens, Unterrichtens und Auftretens mit Felonious, einer HipHop-Musik- und Theatercompany und dem Projekt Sound in the Silence. www.dan-wolf.com/
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Friederike Häuser | Robert Kaltenhäuser (Hrsg.) Graffiti und Politik 2023, 232 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-7799-7066-8 Auch als E-BOOK erhältlich
Ist Graffiti politisch? Der Band konzentriert sich auf den Themenkomplex der politischen Aspekte und bietet damit eine Vielzahl von internationalen Betrachtungsweisen auf Graffiti und Writingkultur. So finden sich in diesem Sammelband unter anderem Beiträge zu szeneinternen subversiven Praktiken, dem Stellenwert von Eigentum im Strafrecht, feministischen Perspektiven, Graffiti als Mittel im Raumkampf, zu der Konstruktion von Männlichkeit oder Graffiti als Reaktion auf politische Verhältnisse. Die Frage ist also vielmehr: Worin genau liegt das Politische im Graffiti?
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Martin Seeliger Soziologie des Gangstarap Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte 2. Aufl. 2022, 232 Seiten, Klappenbroschur ISBN: 978-3-7799-7016-3 Auch als E-BOOK erhältlich
Als eines der erfolgreichsten Popmusikgenres bildet Gangstarap gesellschaftliche Konfliktlinien ab wie kaum eine andere symbolische Ordnung. Aus intersektionaler Perspektive und informiert durch Kritische Theorie und Cultural Studies entwickelt das Buch vier Argumente: Die kulturellen Formen des Gangstarap sind Ort eines Kampfes um Anerkennung in der postmigrantischen Gesellschaft, Ausdruck kompensatorischer Aufstiegsphantasien und Prekarisierungskritik, Versuch der Aktualisierung hegemonialer Männlichkeit sowie ein ›Boundary Object‹ pluraler Gesellschaften.
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