Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218a StGB haltbar?: Zur Rechtsnatur der sogenannten indizierten Abtreibung [Reprint 2016 ed.] 9783110894615, 9783110111125


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German Pages 176 Year 1987

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Kapitel: Ausgangslage
2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte: die katholische Morallehre
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte
4. Kapitel: Strafrechtliche Aspekte
5. Kapitel: Gesamtergebnis, Konsequenzen und „konstruktive“ Überlegungen
Literaturverzeichnis
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Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218a StGB haltbar?: Zur Rechtsnatur der sogenannten indizierten Abtreibung [Reprint 2016 ed.]
 9783110894615, 9783110111125

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Claus Belling Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218a StGB haltbar?

Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218a StGB haltbar? Zur Rechtsnatur der sogenannten indizierten Abtreibung von

Claus Belling

W DE

G 1987

Walter de Gruyter • Berlin • New York

Meinen Eltern und meiner Frau

CIP-Kuntitelaiifnahme

der Deutschen

Bibliothek

Claus Belling: Ist die R e c h t f e r t i g u n g s t h e s e zu § 2 1 8 a S t G B h a l t b a r ? : Z u r R e c h t s n a t u r der s o g e n a n n t e n indizierten Abtreibung / v o n Claus Belling. - B e r l i n ; N e w Y o r k : de G r u y t e r , 1 9 8 7 ISBN 3110111128

© Copyright 1986 by Walter de Gruyter 8c Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde Druck: Hildebrand, Berlin 65 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10

Vorwort Vorsätzliche Tötungsdelikte hat es in der Geschichte der Menschheit von Anfang an gegeben. Das Novum unserer Tage besteht darin, daß heute an der hohen Zahl der Abtreibungen in weiten Kreisen kaum noch Anstoß genommen wird. Dies gilt besonders für die Bundesrepublik, in der die mittlerweile jährlich mehrhunderttausendfache Tötung ungeborener Kinder nicht nur hingenommen, sondern zudem großenteils als rechtmäßig angesehen und staatlich finanziert wird. In dieser Situation, die die Grundlagen unserer Rechtsordnung zutiefst erschüttert, ist eine radikale Bewußtseinsänderung und Umkehr hin zur umfassenden Achtung des heute nahezu schutzlosen ungeborenen Lebens geboten. Es muß wieder selbstverständlich werden, daß die Rechte auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit hinter dem Lebensrecht eines anderen, auch und gerade des noch nicht Geborenen, zurückzutreten haben; daß das während der Zeit der Schwangerschaft bestehende einzigartige Abhängigkeitsverhältnis des ungeborenen Kindes zu seiner Mutter bei dieser nicht zu einem Mehr an Rechten über, sondern zu einem Mehr an Verantwortung für das Kind führt. Gesetze bzw. Gesetzesinterpretationen, die die gegenteilige Wertung mit dem Prädikat „rechtmäßig" versehen, machen jedoch eine solche Bewußtseinsänderung unmöglich. Hier ist der Jurist aufgerufen, die rechtlichen Grundlagen für eine immer noch dringlicher werdende Umkehr zu schaffen. Im folgenden soll ein Schritt in diese Richtung unternommen werden. Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen im Sommersemester 1986 als Dissertation vor. Das Manuskript wurde im Dezember 1985 abgeschlossen. Später erschienene Literatur konnte verschiedentlich noch bis Ende Juni 1986 berücksichtigt werden. Danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Fritjof Haft, für seine stets wohlwollende und hilfreiche Betreuung

VI

Vorwort

der Dissertation. Ferner sei an dieser Stelle allen gedankt, die das Erscheinen der Schrift in dieser Form möglich gemacht haben, insbesondere Herrn Professor Dr. Herbert Tröndle, der sich für die Publikation beim Verlag Walter de Gruyter eingesetzt hat. Nicht zuletzt gilt mein aufrichtiger Dank Herrn Notar Dr. Werner Esser, der mir nicht nur den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben, sondern sie auch sonst durch mancherlei kritische Anregung gefördert hat. Tübingen, im Oktober 1986

Claus Belling

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Einleitung 1. Kapitel: Ausgangslage 1. Gesetzeslage 1. Entstehungsgeschichte der jetzigen Regelung . . . . 2. Geltende Strafrechtsnormen 3. Anwendungsbereich der Indikationen a) Medizinisch-soziale Indikation b) Eugenische Indikation c) Kriminologische Indikation d) Soziale Indikation II. Meinungsstand zur Ausgangsfrage in Literatur und Rechtsprechung 1. Literatur 2. Rechtsprechung III. Tatsächliche Lage 2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte: die katholische Morallehre I. Bedeutung für die Ausgangsfrage 1. Naturrecht und positives Recht 2. Katholische Morallehre und Naturrecht 3. Warum gerade die katholische Morallehre? II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung 1. Wer definiert die ,Lehre der katholischen Kirche'?

XIII 1 4 4 4 5 7 8 9 9 10 11 11 12 13

16 16 16 18 20 21 22

VIII

III.

Inhaltsverzeichnis

2. Kernaussage der kirchlichen Lehre 3. Das Tötungsverbot allgemein a) „Du sollst nicht töten" b) Direkte Tötung - indirekte Tötung aa) Tötungsabsicht bb) Naturgemäß tödliches Mittel cc) Lehre von der Handlung mit zweierlei Wirkung c) Unschuldiges Leben - schuldiges Leben aa) Notwehr bb) Gerechter Krieg cc) Todesstrafe 4. Detaillierte Darstellung der Lehre zur Abtreibung a) Begriff der Abtreibung b) Beginn des menschlichen Lebens c) Geschichtliche Entwicklung der kirchlichen Lehre d) Argumentation zu den einzelnen Indikationen . aa) Soziale bb) Eugenische cc) Kriminologische dd) Medizinische a) Direkte Tötung des Ungeborenen . . . . ß) Indirekte Tötung des Ungeborenen . . . e) Kirchliche Sanktionen 5. Forderungen an die staatliche Strafgesetzgebung . Zusammenfassung

3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

I.

Besondere Relevanz des Verfassungsrechts für die Ausgangsfrage 1. Gesamtrechtsordnung als Maßstab 2. Stellenwert der Verfassung in der Gesamtrechtsordnung 3. Berücksichtigung des Verfassungsrechts bei Befürwortern der Rechtfertigung

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44 44 44 47 51

Inhaltsverzeichnis

IX

Grundrechtsprüfung 1. Zulässigkeit einer grundrechtlichen Kontrolle der Rechtfertigungsthese 2. Das Recht des Ungeborenen auf Leben aus Art. 2 II S. 1 GG a) Auslegung der Merkmale „jeder" und „Leben" aa) Beginn des menschlichen Lebens bb) Beginn des Lebensschutzes a) Historische Auslegung ß) Grammatische/systematische Auslegung y) Teleologische Auslegung cc) Grundrechtsträgerschaft - Grenzen des subjektiven Rechts b) Zwischenergebnis c) Gesetzesvorbehalt in Art. 2 II S. 3 GG aa) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit et) Indikationsfälle nach § 218a II StGB . . . ß) Indikationsfälle nach § 218a I Nr. 2 Alt. 2 StGB Y) Indikationsfälle nach § 218a I Nr. 2 Alt. 1 StGB bb) Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 II GG 3. Der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 I GG a) Grundrechtsträgerschaft b) Willkürverbot 4. Das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 II S. 1 GG . Zusammenfassung

53

4. Kapitel: Strafrechtliche Aspekte I. Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsbegriffs II. Die Rechtfertigungsthese im Strafrechtssystem 1. Ist die Auslegung des Strafverzichts in § 218a StGB als Rechtfertigungsgrund zwingend? a) Grammatische Auslegung b) Historische Auslegung

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II.

III.

53 57 58 59 60 61 62 63 67 69 70 73 76 77 83 84 89 89 89 91 92

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X

III.

Inhaltsverzeichnis

c) Teleologische Auslegung d) Systematische Auslegung e) Ergebnis 2. Die einfach-vitale Indikation a) Begründungsversuche einer Rechtfertigung und Kritik aa) Notwehr bb) „Ubergesetzlicher" bzw. rechtfertigender Notstand oc) RGSt 61, 242 ff. ß) § 34 StGB cc) Rechtfertigende Pflichtenkollision b) Notwehrrecht des ungeborenen Kindes c) Ergebnis 3. Die doppelt-vitale Indikation a) Begründungsansatz „Unrettbarkeit" des Ungeborenen aa) Kritik von Küper bb) Kritik von Peters in Verbindung mit der katholischen Morallehre b) Ergebnis 4. Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung des § 218a Zusammenfassung

5. Kapitel: Gesamtergebnis, Konsequenzen und „konstruktive" Überlegungen I. Gesamtergebnis II. Konsequenzen 1. Rechtswidrigkeit der Tötung ab Konjugation . . . 2. Zulässigkeit von Nothilfe 3. Verfassungswidrigkeit der Mitwirkungspflicht . . . 4. Nichtigkeit von auf Tötung gerichteten Arztverträgen 5. Verfassungswidrigkeit der Krankenkassenfinanzierung 6. Verfassungswidrigkeit der sonstigen „flankierenden" Maßnahmen

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Inhaltsverzeichnis

III.

7. Prozessuale Möglichkeiten des ungeborenen Kindes „Konstruktive" Überlegungen

Literaturverzeichnis

XI

148 149 152

Abkürzungsverzeichnis a. A. aaO AAS AE a.E. a.F. AG ALR Anm. AöR Art. ArztR AT BAG BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BR-Sten. Ber. BT BT-Drucks. BT-Sten. Ber. BVerfG BVerfGE BVerwGE c./can. cc. CIC DÄB1. ders. E ErbGesG EuGRZ FamRZ Fn.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Acta Apostolici Sedis Alternativentwurf am Ende alte Fassung Amtsgericht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Arztrecht Allgemeiner Teil Bundesarbeitsgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrat-Stenographische Berichte Besonderer Teil Bundes tagsdrucksache Bundestag-Stenographische Berichte Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts canon canones Codex Iuris Canonici Deutsches Ärzteblatt derselbe Entwurf Erbgesundheitsgesetz Grundrechte, Europäische Grundrechte-Zeitschrift Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote

XIV FS GG HGB h.M. i.e.S. i.S.d.

JA JR

Jus JZ LFZG LG LK LThK MDR m.E. MedR mwN n.F. NJW NkD OGH OLG OWiG PolG Prot. RG RGBl. RGSt Rn. Rspr. RVO SA SG

sjz

SK Sp. St. d. Zeit StGB StrÄG StREG StrRG st. Rspr. VGH ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Festschrift Grundgesetz Handelsgesetzbuch herrschende Meinung im engeren Sinne im Sinne des Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung Lohnfortzahlungsgesetz Landgericht Leipziger Kommentar Lexikon für Theologie und Kirche Monatsschrift für deutsches Recht meines Erachtens Medizinrecht mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nachkonziliare Dokumentation Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Polizeigesetz Protokolle Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Sonderausschuß Sozialgericht Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar Spalte Stimmen der Zeit Strafgesetzbuch Strafrechtsänderungsgesetz Strafrechtsreformergänzungsgesetz Strafrechtsreformgesetz ständige Rechtsprechung Verwaltungsgerichtshof Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung Thema der Arbeit ist die Frage nach der Haltbarkeit der „Rechtfertigungsthese"1, worunter die verbrechenssystematische Einordnung der Indikationen des § 218a StGB als Rechtfertigungsgründe zu verstehen ist. Diese Problemstellung mag gegenüber der offensichtlich grundsätzlichen Problematik der Strafrücknahme zunächst als sekundär, rein dogmatisch, ja sogar als „eine theoretische Rechtsfrage"2 erscheinen. Der Schein trügt jedoch. Die Rechtfertigungsproblematik stellt - vor allem im Hinblick auf die sich aus ihrer Lösung unmittelbar ergebenden Konsequenzen3 - die Kernfrage der Abtreibungsneuregelung dar. Auch kann die politische und verfassungsrechtliche Diskussion darüber, ob die Rücknahme der Strafdrohung zu weit geht, was im übrigen nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist, erst dann sinnvoll und fruchtbar geführt werden, wenn in weiten Kreisen der Bevölkerung und nicht zuletzt der Juristen wieder die Einsicht die Oberhand gewinnt, daß auch die „indizierte" Abtreibung nahezu ausnahmslos eine rechtswidrige Tötungshandlung darstellt; denn bestrafen kann der (Rechts)staat immer nur rechtswidrige, niemals aber rechtmäßige Handlungen. Zur Terminologie ist folgendes zu bemerken: Das Gesetz spricht in den §§ 218ff. StGB vom „Abbruch der Schwangerschaft", der Bundesgerichtshof1 redet sogar von einer „Unterbrechung der Schwangerschaft", als ob es hier eine, zumindest in der deutschen Sprache, jeder „Unterbrechung" immanente Möglichkeit der Fort1 2

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Vgl. zum Begriff auch Esser ArztR 1981, 260 u. ff.; Müller NJW 1984, 1798 ff. So die Begründung des E 1962 zur medizinischen Indikation, vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 292. Vgl. dazu unten S. 143 ff. 6. Zivilsenat, vgl. BGHZ 86, 240 ff. (Leitsatz S. 240), BGHZ 89, 95 ff. (Leitsatz a, S. 95).

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Einleitung

Setzung jemals gäbe. Selbst in vielen katholischen Beratungsstellen wird heute nur noch vom „Abbruch" gesprochen. Damit ist dem Gesetzgeber - ob bewußt oder unbewußt, sei hier dahingestellt ein genialer semantischer Streich gelungen. Der eigentliche Tatbestand, nämlich die Tötung des ungeborenen Kindes, wird kaschiert und verharmlost 5 , psychologische Barrieren werden abgebaut. Soweit es die Wiedergabe von Zitaten nicht erfordert, wird der Ausdruck „Schwangerschaftsabbruch" deshalb in dieser Arbeit vermieden. Der statt dessen häufig gebrauchte Begriff „Abtreibung" kennzeichnet zwar als solcher den grausamen Sachverhalt ebenfalls nicht, ist aber immerhin, vor allem, weil er mit der ursprünglichen Gesetzesfassung in Verbindung gebracht wird6, klar negativ besetzt. Schlicht falsch ist der oft verwendete Terminus „werdendes Leben"; denn menschliches Leben wird nicht, sondern ist von Anfang an solches.7 Worum es geht, ist die noch nicht erfolgte Geburt, und das sollte auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Die Indikationen werden, wie allgemein üblich, als medizinisch-soziale (§ 218a I Nr. 2), eugenische (§ 218a II Nr. 1), kriminologische (§ 218a II Nr. 2) und soziale (§ 218a II Nr. 3) bezeichnet. Wenn von der „klassischen medizinischen" Indikation die Rede ist, so sind die bereits vom Reichsgericht 8 anerkannten Fälle der Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahr für die Mutter gemeint. Unter „vitaler" Indikation werden nur Fälle verstanden, in denen das Leben der Mutter in Gefahr ist. Am Anfang der Arbeit steht die Darstellung der Ausgangslage, d. h. der geltenden Gesetze, des Meinungsstandes zur Ausgangsfrage sowie der tatsächlichen Situation (1. Kapitel). Anschließend

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Vgl. auch Lackner NJW 1976, 1235; Tröndle in Dreher/Tröndle § 218 Rn. 2; eingehend Geiger Die neue Ordnung 1980, 81 ff.; vgl. auch BVerfGE 3 9 , 1 ff. (46): „die jetzt übliche Bezeichnung als ,Schwangerschaftsabbruch' kann diesen Sachverhalt (Tötungshandlung) nicht verschleiern". In der von der,Tötung der Leibesfrucht' die Rede war; erst der nationalsozialistische Gesetzgeber hat durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. 3. 1943 (RGBl. IS. 140f.) und die dazu erlassene Durchführungsverordnung vom 18. 3. 1943 (RGBl. I S. 169ff.) das Wort „Tötung" durch den abschwächenden Terminus „Abtötung" ersetzt. Vgl. dazu S. 59 f. RGSt 61, 242 ff.

Einleitung

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folgt die Prüfung der Rechtfertigungsthese anhand einer Naturrechtslehre, nämlich der katholischen Morallehre (2. Kapitel). Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen verfassungsrechtliche (3. Kapitel) und strafrechdiche (4. Kapitel) Aspekte. Im Rahmen dieser beiden Kapitel wird die Rechtfertigungsthese einer Grundrechtsprüfung unterzogen, der objektivierte Wille des Gesetzgebers in bezug auf die Indikationenregelung ermittelt und Möglichkeiten wie Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung der Indikationen aufgezeigt. Am Schluß stehen die Konsequenzen des gewonnenen Ergebnisses und ein eigener Vorschlag zur Einordnung der Indikationen (5. Kapitel).

1. Kapitel: Ausgangslage I. Gesetzeslage 1. Entstehungsgeschichte der jetzigen Regelung Das RStGB von 1871 drohte in § 218 für Eigen- und Fremdabtreibung als Regelstrafe ausnahmslos 5 Jahre Zuchthaus an. Durch Gesetz vom 18. 5.1926 1 wurde die Zuchthausstrafe durch Gefängnisstrafe ersetzt. Mit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. 3. 1927 (RGSt 61, 242 ff.) erlangte dann die medizinische Indikation, d.h. das Vorliegen einer Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahr für die Mutter, als Rechtfertigungsgrund für die Tötung ungeborenen Lebens weithin Anerkennung. Durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (ErbGesG) vom 14. 7. 19332 bzw. dessen Neufassung vom 26. 6. 19353 wurde die medizinische Indikation gesetzlich fixiert (§ 14 I ErbGesG). 4 Zudem wurde erstmals, allerdings nur im Zusammenhang mit der Durchführung einer Sterilisation, eine eugenische Indikation als zulässig anerkannt (§ 10a ErbGesG). 5 Durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9.3.1943 6 und die dazu erlassene Durchführungsverordnung vom 18. 3. 19437 verschärfte der nationalsozialistische Gesetzgeber die auf Abtreibung

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5 6 7

RGBl. I S. 239. RGBl. I S. 529 ff. RGBl. I S. 773. Zur gebietsweisen Fortgeltung des § 14 I ErbGesG nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Lay in LK (9. Aufl.) § 218 Rn. 43 f. Zur Unanwendbarkeit des § 10a ErbGesG vgl. Lay aaO Rn. 68. RGBl. I S. 140 f. RGBl. IS. 169 ff.

I. Gesetzeslage

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stehenden Strafen, bei der Fremdabtreibung ,zur fortgesetzten Beeinträchtigung der Lebenskraft des deutschen Volkes' bis hin zur Todesstrafe. Bis auf die Todesstrafe wurden diese Strafschärfungen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst weiter aufrechterhalten. Erst durch das 1. StrRGvom25. 6.1969 8 wurde die Abtreibung grundsätzlich als Vergehen mit einer Regelfreiheitsstrafe bis zu 5 Jahren eingestuft. Das 5. StrRG vom 18. 6. 19749 beinhaltete die sog. Fristenregelung, d. h. die generelle Straflosigkeit der Abtreibung innerhalb der ersten 12 Wochen seit der Empfängnis. Darüber hinaus sollte die Tötung des ungeborenen Kindes bis 22 Wochen nach der Empfängnis bei eugenischer Indikation und bis zum Beginn der Geburt bei medizinischer Indikation straflos bleiben. Das Inkrafttreten des 5. StrRG wurde durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 6. 197410 verhindert. Mit Urteil vom 25. 2. 197511 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung für verfassungswidrig. Im Anschluß daran erging das 15. StrAG vom 18. 5. 197612, das der heute geltenden Indikationsregelung zugrundeliegt.13 2. Geltende Strafrechtsnormen Die für diese Untersuchung wesentlichen strafrechtlichen Normen werden im folgenden in ihrem vollen Wortlaut wiedergegeben. Die für das Abtreibungsverbot grundlegende Strafbestimmung ist §218 StGB. Dessen Abs. 1 enthält sowohl für die Fremd- wie für die Selbstabtreibung den strafbegründenden Grundtatbestand. 14

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BGBl. I S. 645 ff. (654). BGBl. IS. 1297 ff. Vgl. BVerfGE 37,324 ff. mit vorläufiger Regelung durch das BVerfG aaO S. 325. Vgl. BVerfGE 39, lff. mit Übergangsregelung durch das BVerfG nach § 35 BVerfGG aaO S. 2 f. BGBl. IS. 1213ff. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der heutigen Regelung auch Jähnke in LK vor § 218; Rudolphiin SK Rn. 1 ff. vor § 218; RoxinJA 1981, 227f. Vgl. Eser in Schönke/Schröder § 218 Rn. 1.

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1. Kapitel: Ausgangslage

§ 218 Abbruch der Schwangerschaft (I) W e r eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei J a h r e n oder mit Geldstrafe bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe v o n sechs M o n a t e n bis zu f ü n f j a h r e n . Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der T ä t e r 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht. Das Gericht k a n n Führungsaufsicht a n o r d n e n (§ 68 Abs. 1 Nr. 2). (III) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem J a h r oder Geldstrafe. Die Schwangere ist nicht nach Satz 1 strafbar, w e n n der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 218b Abs. 1 Nr. 1, 2) v o n einem Arzt v o r g e n o m m e n w o r d e n ist u n d seit der Empfängnis nicht m e h r als zweiundzwanzig W o c h e n verstrichen sind. Das Gericht kann von einer Bestrafung der Schwangeren nach Satz 1 absehen, w e n n sie sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis b e f u n d e n hat. (IV) Der Versuch ist strafbar. Die Frau wird nicht wegen Versuchs bestraft.

§ 219d StGB stellt sodann im Wege der Legaldefinition klar, daß der strafrechtliche Schutz ungeborenen Lebens erst mit der Nidation beginnt. 15 § 219d Begriffsbestimmung H a n d l u n g e n , deren W i r k u n g v o r Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der G e b ä r m u t t e r eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

Die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende Norm ist § 218a StGB. Sie enthält als „das Kernstück des sog. Indikationsmodells" 16 die materiellen 17 Voraussetzungen für die weitgehende Rücknahme der Strafdrohung bei Tötung ungeborenen Lebens. § 218a Indikation zum Schwangerschaftsabbruch (I) D e r Abbruch der Schwangerschaft d u r c h einen Arzt ist nicht nach § 218 strafbar, wenn 1. die Schwangere einwilligt und 15

16 17

Z u den Folgen für die In-vitro-Fertilisation vgl. Eier in Schönke/Schröder § 218 Rn. 4a; Tröndle in D r e h e r / T r ö n d l e § 218 Rn. 3; s. auch unten S. 143f. Fn. 2.

Eser in Schönke/Schröder § 218a R n . 1. Z u den formellen Voraussetzungen vgl. die §§ 218b, 219, 219a StGB.

I. Gesetzeslage

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2. der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (II) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 gelten auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis 1. dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, 2. an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 begangen worden ist und dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, oder 3. der Abbruch der Schwangerschaft sonst angezeigt ist, um von der Schwangeren die Gefahr einer Notlage abzuwenden, die a) so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann, und b) nicht auf andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden kann. (III) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 dürfen seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen, in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 und 3 nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen sein.

3. Anwendungsbereich der Indikationen Es werden nun die wichtigsten Auslegungsfragen im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Indikationen des § 218a angesprochen, wobei auf eine Auflistung einzelner Anwendungsfälle im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden kann. Gesetzestechnisch sind die Indikationen als Unterfalle einer „medizinisch-sozialen Gesamtindikation" zu verstehen.18 Bereits in § 218a I Nr. 2 wird im Wege der „Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" über den medizinischen Aspekt hinaus die soziale Komponente mit ins Spiel gebracht.19 18

19

Vgl. Elser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 2 mit Hinweis auf den Singular („Indikation") in der amdichen Überschrift zu § 218a; Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 1, jeweils mwN. Vgl. RoxinJA 1981, 230.

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1. Kapitel: Ausgangslage

Über eine sogenannte unwiderlegbare Vermutung sind dann die Indikationen des § 218a II an die medizinisch-soziale Indikation des § 218a I Nr. 2 gekoppelt, dessen Voraussetzungen bei Vorliegen der eugenischen, kriminologischen oder sozialen Indikation als erfüllt „gelten". 20 Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Straffreiheitsvoraussetzungen des § 218a II unabhängig von § 218a I zu prüfen sind. 21 a) Eine medizinisch-soziale Indikation ist nach § 218a I Nr. 2 zunächst bei drohender Lebensgefahr für die Mutter gegeben, wobei eine ernstzunehmende Selbstmorddrohung ausreichen soll.22 Darüber hinaus genügt auch eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr, die sowohl körperlicher als auch seelischer Natur sein kann. In Betracht kommen auch solche Gefährdungen, „die sich durch Summierung wirtschaftlicher und familiärer Belastungen als psychische Dauerbelastung der Schwangeren niederschlagen können". 23 Als schwerwiegend' wird eine Gesundheitsgefahr dann angesehen, wenn für die Schwangere das Austragen des Kindes nicht mehr,zumutbar' ist. Durch das letztgenannte Kriterium wird zudem das Ultima-ratio-Erfordernis weitgehend ausgehöhlt, weil selbst bei faktischer Behebbarkeit der Lebens- bzw. Gesundheitsgefahr eine medizinisch-soziale Indikation noch vorliegen kann, nämlich dann, wenn die Abwendungsmöglichkeit für die Schwangere nicht zumutbar erscheint. Eine zeitliche Befristung der medizinisch-sozialen Indikation gibt es nicht, so daß eine Tötung des ungeborenen Kindes grundsätzlich bis zum Beginn der Geburt möglich ist. „Doch wird in der Endphase die Zumutbarkeit eines Eingriffs, durch den das Leben des Kindes geschont werden könnte, besonders sorgfaltig zu erwägen sein". 24

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23 24

RoxinJA 1981, 230; Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 1 mwN, der von einer „fragwürdigen Systematik" spricht. Lackner StGB § 218a Anm. Ib. Vgl. näher zum Ganzen Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 7ff.; Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 6ff., jeweils mwN. Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 10. Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 17.

I. Gesetzeslage

9

b) Bei der sog. eugenischen Indikation nach § 218a II Nr. 1 soll es nicht auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses, sondern vielmehr darauf ankommen, der Schwangeren die psychischen Belastungen zu ersparen, die damit verbunden sind, ein krankes Kind auszutragen und auf die Welt zu bringen. 25 Die Art der zu befürchtenden Schädigung des Kindes, ob körperlich, seelisch oder geistig, spielt keine Rolle, es reicht vielmehr aus, daß es sich um nicht behebbare Schädigungen seines Gesundheitszustandes handelt. Für die Annahme einer nicht behebbaren Schädigung des Kindes müssen dringende Gründe sprechen. Das Vorliegen solcher ,dringenden Gründe' bejahen manche bei etwa 50% Wahrscheinlichkeit der Schädigung26, manche auch bereits bei einer Wahrscheinlichkeit von 25 °/o.27 Andere wiederum meinen, da es um die Zumutbarkeit für die Schwangere gehe, könne es nicht auf eine derart generalisierende Betrachtung ankommen, vielmehr sei den individuellen, die Situation der Schwangeren berücksichtigenden Faktoren maßgebliche Bedeutung beizumessen.28 Hinsichtlich der erforderlichen Schwere der zu erwartenden kindlichen Schädigung ist, ähnlich wie bei der medizinisch-sozialen Indikation, entscheidend, ob der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft zugemutet werden kann. Die Fortsetzung soll in der Regel nicht deshalb verlangt werden können, weil Aussicht auf Unterbringung des Kindes in einer entsprechenden Anstalt besteht. Nach § 218a III ist die Tötung des Ungeborenen, zumindest für den Arzt, nur dann straffrei, wenn sie bis zum Ende der 22. Woche seit der Empfängnis vorgenommen wird. c) Voraussetzung der kriminologischen Indikation nach § 218a II Nr. 2 ist, daß an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 176 (sexueller Mißbrauch von Kindern), 177 (Vergewaltigung), 178 (sexuelle Nötigung) oder 179 StGB (sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger) vorgenommen wurde. 29 Es müssen drin25

26 27 28 29

Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 19; vgl. näher zum Ganzen Eser aaO Rn. 19ff. u. Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 14ff., jeweils mwN. So z.B. Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 16. So z.B. Laufliütte/WilkihkiyZ, 1976, 332. So z.B. Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 24. Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 34; vgl. näher zum Ganzen Eser aaO Rn. 32 ff. u. Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 19 ff., jeweils mwN.

10

1. Kapitel: Ausgangslage

gende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht. Da jedoch keine sonstige Prüfungsinstanz vorgesehen ist - wegen der Tat muß weder ein Strafverfahren eingeleitet, noch muß sie sonstwie gemeldet sein - , „bleibt es somit letztlich dem Beurteilungsvermögen des Arztes überlassen, inwieweit er dem Vorbringen der Schwangeren glaubt vertrauen zu dürfen". 30 Eine gesonderte Prüfung, ob der Schwangeren das Austragen des Kindes zumutbar ist, etwa wegen angebotener Adoption oder aber zwischenzeitlicher Versöhnung mit dem Täter, ist keine Voraussetzung für das Vorliegen der Indikation. Die Unzumutbarkeit wird unwiderlegbar vermutet. Nach § 218a III muß die Abtreibung jedoch innerhalb von 12 Wochen seit der Empfängnis vorgenommen werden. d) Als Notlage i. S. einer sogenannten sozialen oder allgemeinen Notlagenindikation nach § 218a II Nr. 3 kommen insbesondere rein familiäre oder soziale Konflikte und Belastungen in Betracht. 31 Es genügt die Gefahreiner Notlage, so daß die Notlage auch „erst nach Austragen der Schwangerschaft durch Hinzutreten dieses Kindes eintreten" 32 kann. Nach welchen Maßstäben zu beurteilen ist, „wann die Notlage so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann", sagt das Gesetz nicht. Von der Gesetzessystematik her steht immerhin fest, daß die Notlage gewichtiger sein muß als die in § 218 III S. 3 genannte ,besondere Bedrängnis'. 323 Es werden jedoch allgemein Belastungen verlangt, die über die normalerweise mit einer Schwangerschaft verbundenen erheblich hinausgehen. Das Ultimaratio-Erfordernis ist ähnlich wie bei der medizinisch-sozialen Indikation durch die Zumutbarkeitsklausel in § 218a II Nr. 3b) weitgehend ausgehöhlt. So wird beispielsweise das Angebot der Adoption nicht generell als zumutbar angesehen, weil sonst „diese Indikation praktisch leerlaufen" würde. 33 30

Eser'm Schönke/Schröder § 218a Rn. 35 f. Eser 'm Schönke/Schröder § 218a Rn. 44; vgl. näher zum Ganzen Eser aaO Rn. 41 ff. u. Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 24 ff., jeweils mwN. 32 Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 45. 32a Vgl. auch Tröndle in Dreher/Tröndle § 218a Rn. 26. 33 Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 50a; vgl. aber auch Tröndle in Dreher/ Tröndle § 218a Rn. 28. 31

II. Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung

11

Auch aufgrund sozialer Indikation ist eine Abtreibung nach § 218a III nur innerhalb der ersten 12 Wochen seit der Empfängnis straffrei. Bei sämtlichen Indikationen ist die Frage, ob ihre Voraussetzungen - auch soweit sie nichtmedizinischer Natur sind - vorliegen, „nach ärztlicher Erkenntnis", d.h. von einem Arzt zu beurteilen und zu entscheiden. Eser34 meint sogar, das Gesetz scheine durch Abheben auf die ärztliche Erkenntnis „dem Arzt einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumen zu wollen", wohl im Sinne einer eingeschränkten (gerichtlichen) Nachprüfbarkeit von Indikationsfeststellungen. Die Indikationen setzen zudem alle die Einwilligung der Schwangeren in die Abtreibung voraus.

II. Meinungsstand zur Ausgangsfrage in Literatur und Rechtsprechung 1. Literatur In der (vor allem strafrechtlichen) Literatur werden sämtliche Indikationen des § 218a mit unterschiedlichen Begründungen 35 (noch) überwiegend als Rechtfertigungsgründe eingestuft.36 Jedoch befindet sich gerade in jüngster Zeit eine Meinung im Vordringen, die, in erster Linie auf verfassungsrechtliche Argumente 34

35 36

in Schönke/Schröder § 218a Rn. 16 a.E. und ZStW 97 (1985) S. 40; nach der neueren Rspr. des 6. Zivilsenats des B G H in B G H Z 95, 199 ff. (206) „kann letztlich nur nachgeprüft werden, ob die Indikationsstellung ,nach ärztlicher Erkenntnis' in der damals gegebenen Situation vertretbar erscheint oder nicht" (!); vgl. hierzu die eingehende Kritik von Tröndle MedR 1986, 34. Vgl. dazu eingehend unten S. 97 ff. Vgl. z.B. Eser in Schönke/Schröder § 218a Rn. 5f. und in Eser/Hirsch S. 112f.; Lenckner in Schönke/Schröder Rn. 8 vor § 32 und zum früheren Recht für die medizinische Indikation, Notstand S. 267; Jähnke in L K Rn. 22ff. vor § 218; Hirsch in L K Rn. 10,17 vor § 32; Rudolphiin SK § 218a Rn. 1; l a c W N J W 1976, 1236 und StGB § 218a Anm. la, dort jedoch neuerdings mit starken Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtfertigungsthese; Gropp S. 52ff., 170ff.; Laußütte/Wilkihki]Z 1976, 331; RoxinJA 1981, 229; Haft KT S. 93; Maurach/ Schroeder~BT I S . 71; Wessels B T 1 S. 50; Bockelmann B T 2 S. 35 und zum früheren Recht für die medizinische Indikation, Universitätstage S. 229 ff.

12

1. Kapitel: Ausgangslage

gestützt, die Rechtfertigungsthese, zumindest in ihrer umfassenden Form, ablehnt. 37

2. Rechtsprechung Zum früheren Recht hatte sich das Reichsgericht 38 und ihm folgend der Bundesgerichtshof 39 hinsichtlich der klassischen medizinischen Indikation auf Rechtfertigung festgelegt. Seit der Neuregelung des Abtreihungs (straf)rechts gibt es, soweit ersichtlich, keine veröffentlichte Rechtsprechung von Strafgerichten mehr, die zur Rechtfertigungsproblematik Stellung bezöge. Auch das gelegentlich zur Unterstützung der Rechtfertigungsthese zitierte 40 Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts in M D R 1978, 951 f. 41 enthält zumindest in den abgedruckten Gründen keinerlei Äußerung zur Rechtsnatur der Indikationen. Dagegen beruft sich die neuere höchstrichterliche /£i'yz7rechtsprechung 42 auf eine die Rechtfertigungs these stützende angeblich „ganz herrschende Meinung", der sie sich ohne nähere Auseinandersetzung anschließt. 43 Das .Sozza/gericht Dortmund wiederum

37

38 39 40 41 42 43

Vgl. z.B. Tröndle in Dreher/Tröndle Rn. 8 ff. vor § 218 (Rechtfertigung nur im Fall vitaler Indikation); Reis Lebensrecht S. 157ff. (Rechtfertigung nur im Fall der klassischen medizinischen Indikation); Esser ArztR 1981, 260ff., 295ff. und MedR 1983, 57ff.; Kluth FamRZ 1985, 443; Geiger in Hoffacker S. 128ff. und FamRZ 1986, 1 ff. (Rechtfertigung nur im Fall der vitalen Indikation); Schmitt]Z 1975, 357; Bosch FamRZ 1984, 262; Gritschneder M e d R 1984, 100f.; Lecheler M e d R 1985, 216; Günther S. 314ff. (Ausschluß nur der Ära/rechtswidrigkeit); ähnlich bereits SaxJZ 1977, 332ff. („negative Strafwürdigkeitsvoraussetzungen"); Arth. Kaufmann 1978, 366f. („rechtsfreier Raum"); ähnlich Schild]A 1978,635; zum früheren Recht bereits Dürig (1958) in Maunz/Dürig Art. 2 II Rn. 21 ff. (Rechtfertigung nur bei vitaler Indikation); für die medizinische Indikation Waider (1951) S. 436ff., 464f.; Peters (1955) in Baumeister/Smets S. 54 (Rechtfertigung nur möglich im Fall indirekter Tötung). RGSt 61, 242ff. (255f.); RGSt 62, 137ff. BGHSt 3, 7 ff. (9). Vgl. z.B. bei Eserin Schönke/Schröder § 218a Rn. 5. Es ging um das Vorliegen einer sozialen Indikation. Vgl. z.B. BGHZ 86, 240ff. (245); BGHZ 89, 95ff. (102). Zu dieser Vorgehensweise des BGH eingehend kritisch Müller N J W 1984, 1798 ff.

III. Tatsächliche Lage

13

hielt in seinem Vorlagebeschluß vom 2 9 . 9 . 1 9 8 1 4 4 alle nichtmedizinisch indizierten Abtreibungen für rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Rechtfertigungsfrage bisher nicht festgelegt. Im sog. Fristenlösungs-Urteil45 bestand dazu aufgrund der andersgelagerten Fragestellung auch kein Anlaß. 46 Im durch den Vorlagebeschluß des SG Dortmund 47 ausgelösten konkreten Normenkontrollverfahren hätte es zwar die Möglichkeit dazu gehabt, jedoch kam das Bundesverfassungsgericht dort nicht zu einer Sachentscheidung, weil es die Vorlage für unzulässig hielt. 48

III. Tatsächliche Lage Im Jahr 1984 wurden gemäß Art. 4 des 5. StrRG 4 9 beim Statistischen Bundesamt 86 298 Abtreibungen gemeldet, die in der Bundesrepublik vorgenommen wurden. 50 Schon diese Zahl von Tötungen ungeborener Kinder ist erschreckend genug. Sie entspricht jedoch nicht der noch grausameren Wirklichkeit. D a ß ein erhebliches Meldedefizit besteht, zeigt schon die Tatsache, daß über die gesetzlichen Krankenkassen regelmäßig weit mehr als die beim Statistischen Bundesamt gemeldeten Abtreibungen abgerechnet werden. So lag 1984 die Zahl der allein für den ambulanten Bereich abgerechneten Abtreibungen mit 91884 bereits über der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Gesamtzahl, die sowohl den ambulanten als auch den zahlenmäßig höher einzuschätzenden stationären (im allgemeinen Krankenhaus-Pflegesatz untergehenden) Bereich umfaßt! 51 Bereits 1983 war bekannt geworden, 44

45 46 47 48 49

50 51

S8 Kr 172/81, teilweise abgedruckt in MedR 1984, 113ff.; unklar dagegen LG Kassel NJW 1984, 1411 f. BVerfGE 39, lff. Näher dazu unten S. 80f.; vgl. auch Kluth FamRZ 1985, 442. Vgl. dazu oben Fn. 44. Vgl. BVerfGE 67, 26ff.; dazu äußerst kritisch Geiger EuGRZ 1984, 409ff. Vom 18. 6.1974 (BGBl. IS. 1297ff.) i. d. Fassung des 15. StrÄG vom 18. 5. 1976 (BGBl. IS. 1213ff.). Vgl. Statistisches Jahrbuch 1985 S. 388. S. DÄB1. 1985, 2961.

14

1. Kapitel: Ausgangslage

daß 1982 für die Stadt Wiesbaden 582 Abtreibungen gemeldet wurden, während zwei Wiesbadener Arzte im selben Jahr allein schon 4021 Fälle abgerechnet hatten.52 Auch mit den von den gesetzlichen Krankenkassen abgerechneten ist freilich die Gesamtzahl der Abtreibungen noch nicht erreicht. Nicht erfaßt sind damit die von Selbstzahlern oder Privatkrankenkassen (bei Beamten gegebenenfalls mit Beihilfeleistungen) finanzierten Tötungen Ungeborener, die etwa 10 bis 20% der Gesamtzahl ausmachen dürften. 53 Hinzu kommen die an deutschen Frauen im Ausland durchgeführten Abtreibungen sowie die unter falschem Etikett - z.B. als Ausschabung oder Totaloperation vorgenommenen und schließlich die sogenannten illegalen Abtreibungen. Nach einer Schätzung des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesjustizministerium, Benno Erharcfi4, ist die Gesamtzahl der Abtreibungen für 1984 bei 240000 bis 250000 anzusetzen. Die sicherlich nicht in den Verdacht der Abtreibungsgegnerschaft geratende, von der ,sozial-liberalen' Bundesregierung 1981 in Auftrag gegebene holländische Studie von Ketting/van Praag55 nennt eine Minimalzahl von jährlich 56 260000, hält es jedoch für wahrscheinlicher, „daß die Äbbruchhäufigkeit in der Bundesrepublik" zwischen 300000 und 350000 liegt. Damit würde bei etwa 600000 Geburten jährlich 57 jedes dritte Kind vor der Geburt getötet58, wobei die kaum zu schätzende Anzahl von Frühabtreibungen mittels Nidationsverhinderung nicht mitberücksichtigt ist. Von den gemeldeten Abtreibungen entfielen 1984 auf die medizinisch-soziale Indikation 13,44%, auf die eugenische 1,85%, auf die kriminologische 0,1% und auf die soziale 83,32%. In 1,28%

52 53 54 55 56

57 58

Vgl. dazu auch Erhard in Hoffacker S. 163. Vgl. dazu den Bericht in DÄB1. 1985, 2961; s. auch Erhard m Hoffacker S. 166. In Hoffacker S. 166. S. 232 f. Ausgangspunkt ist das J a h r 1981, in dem das Statistische Bundesamt 87535 (1984: 86298) Abtreibungen gemeldet hatte. 1983: 594177, vgl. Statistisches Jahrbuch 1985 S. 74. Vgl. dazu auch Erhard in Hoffacker S. 165.

III. Tatsächliche Lage

15

der Fälle blieb die Indikation unbekannt. 59 Ein Blick auf die Praxis der Indikationsfeststellung in den einzelnen Bundesländern zeigt jedoch 60 , daß Abtreibungen im Norden der Bundesrepublik fast ausschließlich mit der sozialen Indikation begründet werden (z. B. Bremen: soziale Indikation 91,4%, medizinisch-soziale Indikation 6,9%;

Nordrhein-Westfalen: soz. Ind. 89,0%, med.-soz. Ind. 8,5%), während im Süden Deutschlands - aus welchen Gründen auch immer stärker auf die medizinisch-soziale Indikation ausgewichen wird (z.B. Bayern: soz. Ind. 61,4%, med.-soz. Ind.34,2°/o; Saarland: soz. Ind. 66,1%, med.-soz. Ind. 25,9%). Besonders eindrucksvoll ist die Verteilung in der Stadt Nürnberg, wo nur 0,2 % soziale Indikationen, dagegen 98,86% medizinisch-soziale Indikationen gestellt wurden. 61 Berücksichtigt man die weite Fassung der medizinischsozialen Indikation des § 218a I Nr. 2 einerseits62, und die praktisch völlig fehlende Kontrolle jeglicher Indikationsstellung andererseits, so kann dies freilich kaum überraschen. Die darin zum Ausdruck kommende Beliebigkeit der Indikationsstellung legt nur die Schlußfolgerung nahe, daß die Praxis „zur Not" auch mit der medizinisch-sozialen Indikation allein auskäme.

59

60 61

62

Vgl. die absoluten Zahlen im Statistischen Jahrbuch 1985 S. 388 sowie Gesundheitswesen, Fachs. 12, Reihe 3, S. 5. Vgl. Gesundheitswesen, Fachs. 12, Reihe 3, S. 7. Vgl. Gesundheitswesen aaO S. 7 (absolute Zahlen: 618 Abtreibungen insgesamt, davon 611 aufgrund med.-soz. Ind. und ein Fall aufgrund soz. Ind.). Vgl. dazu oben S. 8.

2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte: die katholische Morallehre I. Bedeutung für die Ausgangsfrage Welchen Sinn ergibt die Darstellung einer Naturrechtslehre im Rahmen dieser Arbeit (1)? Was hat Moraltheologie bzw. Morallehre mit Naturrecht zu tun (2)? Und schließlich: Warum interessiert hier gerade die katholische Morallehre (3) ? Dies sind berechtigte Fragen, die vor allem anderen zunächst der Klärung bedürfen. 1. Naturrecht und positives Recht Die Betrachtung der Ausgangsfrage unter einem überpositivrechtlichen Aspekt könnte man beispielsweise von etwa folgendem Standpunkt aus vornehmen: An der Spitze einer Normenpyramide des Rechts steht für einen Grund- oder Kernbereich (z.B. Recht auf Leben) ein überpositives Recht (Naturrecht). Dieses Naturrecht ist von jeder positiven Gesetzgebung unabhängig, gilt für die ganze Menschheit und überdauert alle Zeiten. 1 So läßt es sich nicht von unter ihm angesiedelten anderslautenden positiven Normen verdrängen, sondern beeinflußt seinerseits allgemein die Auslegung untergeordneter Rechtssätze, beispielsweise Grundgesetz und Strafgesetzbuch (,naturrechtskonforme l Auslegung 2 ), vgl. Abb. 1.

Die Problematik eines derartigen Ansatzes liegt darin, daß man ihn nur entweder behaupten oder durch fundamentale rechtsphilosophische Erwägungen zu untermauern versuchen kann. Hierbei wären Fragen nach der Legitimation des Anspruchs auf Geltung 1

2

Vgl. etwa Fuchs S. 15 mit Bezug auf Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 2370; Höffner Gesellschaftslehre S. 67. Vgl. das Pendant der verfassungskonformen Auslegung.

I. Bedeutung für die Ausgangsfrage

17

überpositives Recht

positives Recht

Abbildung 1

und Befolgung des Rechts 3 , nach dem Verhältnis von Recht und Sittlichkeit4 oder nach der Anerkennung von Naturrecht überhaupt5 unumgänglich. Auf letzteres führt auch Art. 20 III G G zurück6, wenn dort von der Bindung an „Gesetz und Recht die Rede ist. Unterstellt man einmal die Existenz von Naturrecht, so wird sich doch in unserer pluralistischen Gesellschaft kaum jemals Einigkeit darüber erzielen lassen, „wem seine Erkenntnis und Auslegung maßgeblich obliegt". 7 Da hier aber weder eine nicht beweisbare eigene Naturrechtsvorstellung verabsolutiert noch der Versuch unternommen werden soll, durch Auseinandersetzung mit den neueren Strömungen in der Rechtsphilosophie 8 eine scheinbare Klärung der Naturrechtsfrage herbeizuführen, wird der „hierarchische Ansatz" nicht weiter verfolgt. Das bedeutet, daß der naturrechtliche Teil der Arbeit für die Klärung der dogmatischen Ausgangsfrage nicht unmittelbar nutzbar gemacht wird. Er soll statt dessen zu einer Zeit, in welcher die Rechtsauffassungen zu einer für die Rechtsordnung so essentiellen Frage wie der

3 4 5

6 7 8

Dazu Kaufmann Recht S. 19 ff. Vgl. z.B. Kaufmann Recht. Naturrecht (1) oder Rechtspositivismus (2); ad (1) z.B. Messner Naturrecht; ad (2) z. B. Bergbohm Jurisprudenz und Rechtsphilosophie. Stern S. 797 mwN. Ellscheid S. 29. Vgl. die Auflistung bei Kaufmann]Z 1975, 340.

18

2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

des Lebensrechts in für Leben und Rechtsordnung gleichermaßen gefährlicher Weise (erneut) auseinandergehen, den Blick auf ein vom Zeitgeist unberührtes überpositives Recht lenken. Darüber hinaus soll er zeigen, daß sich Naturrecht und richtig interpretiertes (heutiges) positives Recht zur Ausgangsfrage weitgehend entsprechen. 2. Katholische Morallehre und Naturrecht Die katholische Moraltheologie ist die „Wissenschaft, welche die Normen des freien menschlichen Wollens und Handelns aufgrund der von der Kirche verkündeten christlichen Offenbarung und der übernatürlichen Zielbestimmung systematisch entwickelt".9 Unter katholischer Moral lehre, die hier zum Thema dargestellt werden soll, versteht man die Äußerungen des kirchlichen Lehramts zu moraltheologischen Fragen. 10 Wenn im folgenden nicht auch abweichende moraltheologische Auffassungen berücksichtigt werden, so ist dies vor allem in der gebotenen Zurückhaltung eines Juristen hinsichtlich innerkirchlicher Auseinandersetzungen begründet.11 Von der Definition der Morallehre bzw. Moraltheologie her mag es überraschen, wenn die heute häufiger gewordene naturrechtliche Argumentation lehramtlicher Dokumente neben anderem 12 auch in Zusammenhang mit dem Anstieg der Zahl moraltheologischer Fragestellungen gebracht wird.13 Die Verknüpfung 9 10

11

12

13

Mausbach/Ermecke I S. 22. Die Darstellung erfolgt natürlich nicht nur anhand von lehramtlichen Dokumenten i.e.S., sondern auch mit Hilfe von moraltheologischen Lehrbüchern, die die lehramtlichen Aussagen erläutern und in einen größeren Zusammenhang stellen. S. auch Isensee Freiheitsrechte S. 61, wonach der Kirche nur solche Auffassungen zugerechnet werden dürfen, „die von kirchenrechtlich kompetenter Stelle vertreten werden". Auch das BVerfG (EuGRZ 1 9 8 5 , 4 8 8 ff., Leitsatz u. S. 491 f.) hält sich in der Frage, was die katholische Haltung zur Abtreibung betrifft, allein an die offizielle kirchliche Lehrmeinung; vgl. auch BAG NJW 1978, 2116ff. (2118) u. N J W 1985, 1855ff. (1857) zum katholischen Eheverständnis. Zu nennen sind insbesondere die negativen Erfahrungen mit totalitären Systemen und deren „Rechtsordnungen", vgl. Hörmann in Hörmann Sp. 1129. Fuchs S. 9.

I. Bedeutung für die Ausgangsfrage

19

von insbesondere neutestamentlicher Sittenlehre und Naturrecht14 in der katholischen Morallehre wird aber dann einsichtiger, wenn man bedenkt, daß Jesus von Nazareth wohl kaum ein „lückenloses System der Ethik" vorgetragen hat und das Neue Testament sich eben nicht zu allen wichtigen Sittenfragen äußert. 15 Das Naturrecht bzw. Naturgesetz wird daher von Papst Pius XII.16 als die notwendige Ergänzung der Offenbarung bei Erkenntnis und Auslegung des christlichen Sittengesetzes gesehen. Denn die Natur17, aus der der Mensch das Naturrecht mittels der Vernunft erkennen kann, ist genau wie letztere das Werk des Schöpfergottes.18 Naturgesetz und positive Offenbarung spiegeln in gleicher Weise göttliche Vernunft und göttliches Wollen wider 19 , so daß der Codex Iuris Canonici20, das kirchliche Rechtsbuch, Naturrecht und positives Gesetz der Offenbarung als ius divinum, göttliches Recht, bezeichnet.21 Nach katholischer Lehre ist dann auch das kirchliche Lehramt mit seiner ganzen Autorität nicht nur für die positive Offenba-

14

15 16

17

18 19 20 21

Das in der katholischen Moraltheologie vorgetragene Naturrecht geht im wesentlichen auf Aristoteles, die Kirchenväter (insbes. Augustinus) und Thomas v. Aquin zurück, vgl. Laun S. 37; Hörmann in Hörmann Sp. 1127. Schöpfe. 109; vgl. auch Laun in Hörmann Sp. 1197. Bei Utz/Groner Rn. 1750; im folgenden wird häufig auf Pius XII. Bezug genommen, was dessen zahlreiche und umfassende Äußerungen zum Thema rechtfertigen. Der Kritik der protestantischen Ethik, aus der durch die Erbsünde gefallenen Menschennatur lasse sich eine gültige Ordnung nicht mehr ablesen, weil nur im Zustand des Menschen vor der Sünde dessen Natur ungebrochen gewesen sei, hält die katholische Kirche entgegen, „daß es einen Grundbestand menschlichen Seins gibt, der dem Sünder mit dem Menschen im Urständ gemeinsam ist und bewirkt, daß beide Menschen genannt werden können", vgl. Hörmann in Hörmann Sp. 1136. Fuchs S. 15 f. mit Bezug auf Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 3790. Fuchs S. 16 mit Bezug auf Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 498. Der neue CIC, promulgiert von Papst Johannes Paul II., ist in Kraft seit dem 1. Advent 1983. Fuchs S. 16 für can. 27 des alten CIC von 1917; can. 24 des neuen CIC von 1983 spricht an entsprechender Stelle nur noch global von göttlichem Recht. Damit wird aber die Zweiteilung des ius divinum in ius naturale (Naturrecht) und ius divinum positivum (positives göttliches Recht) sicher nicht in Frage gestellt, vgl. nur cc. 199 und 1163 § 2 des CIC 1983. Vgl. zur Zweiteilung auch List!in Listl S. 93.

20

2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

rung, sondern genauso für das Naturrecht zuständig 22 , was vor allem im Hinblick auf die nacherbsündliche Irrtumsanfälligkeit des Menschen, auch bei der Erkenntnis von Grundnormen, als unentbehrlich angesehen wird. 23 Bemerkenswert ist, daß die lehramtliche Terminologie großteils nicht zwischen den Begriffen 24 ,Naturrecht', ,Naturgesetz' und natürliches Sittengesetz' differenziert. 25 Für Papst Pius XII. wird dies von Köck26 damit begründet, daß eine Verengung des Naturrechtsbegriffes und in deren Folge eine Schmälerung des eigentlichen naturrechtlichen Anliegens, nämlich die Menschen normativ in die von Gott gewollte Ordnung einzubetten, vermieden werden sollte. 27 Der Zusammenhang von Naturrecht und katholischer Morallehre ist hier vor allem deswegen von Bedeutung, weil das kirchliche Lehramt seine Haltung in der Frage der Abtreibung in erster Linie naturrechtlich begründet. 28

3. Warum gerade die katholische Morallehre? Die katholische Kirche spricht hier in einer fundamentalen Frage zu allen und zum Wohl aller Menschen, also nicht nur zu den Christen oder gar nur zu den gläubigen Katholiken. So setzt katholische Morallehre vielfach, besonders aber, wenn es um das 22

23 24

25

26 27 28

Johannes Paul II. Ehe auf Fortpflanzung hingeordnet, in L'Osservatore Romano (deutsch) v o m 27. 7. 1984 S. 2; Paul VI. ,Humanae vitae' Nr. 4 bei Utz/v. Galen VII Rn. 226; 2. Vaticanum ,Dignitatis humanae' Nr. 14 bei Rahner/Vorgrimler S. 674; Messner'm Hörmann Sp. 1169; ausführlich Hörmann in Höffner S. 139 fT. für Pius XII.; zweifelnd Böcklein Hertz IS. 274f.; Köck S. 505 ff. sieht eine Zuständigkeit des Lehramts nur für das in der Offenbarung enthaltene Naturrecht, wozu der hier in Frage stehende Bereich über das 5. Gebot zu rechnen ist. Vgl. Fuchs S. 20; Höffner Gesellschaftslehre S. 68f. Zur näheren Begriffsdefmition vgl. Häring Gesetz I S. 270f., 272; Hörmann in Hörmann Sp. 1127 f. Vgl. Pfürtner S. 194; Schambeck in Schambeck S. 449; Fuchs S. 8; für die Literatur Laun S. 37. S. 472. Vgl. aber auch PfürtnerS. 194. Z.B. Kongr.f.d. Glaubens!. Nr. 21 in N k D S. 53,55; s. auch WaldsteinS. 77,107 für Pius XII.; PfürtnerS. 198.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

21

Recht auf Leben geht, den Glauben an Gott nicht voraus 29 , sondern richtet sich expressis verbis an alle Menschen ,guten Willens'. 30 Den darin zum Ausdruck kommenden Auftrag und Anspruch halte ich für berechtigt. Hinzu kommt, daß die katholische Kirche, der in der Bundesrepublik mit über 40 % ein großer Teil der Bevölkerung formal durch die Konfessionszugehörigkeit, ein geringerer durch aktive Teilnahme am kirchlichen Leben verbunden ist, eine wichtige Stellung in unserer Gesellschaft einnimmt. Sie ist zudem als Hauptkritikerin der gesetzlichen Regelung nach der Reform des Abtreibungs (straf)rechts hervorgetreten, was die Beschäftigung mit ihrer Lehre bei der gegebenen Themenstellung besonders nahelegt. Schließlich bietet die katholische Morallehre aufgrund der vom kirchlichen Lehramt beanspruchten Zuständigkeit sowohl für die Offenbarung als auch für das Naturrecht 31 eine klare Lösung des oben 32 angesprochenen Erkenntnis- und Auslegungsproblems.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung Eingangs soll hier nun auf die Frage, wer die ,Lehre der Kirche' definiert, eingegangen (1) und deren Kernaussage zur Abtreibung kurz skizziert (2) werden, um sie anschließend in den größeren Zusammenhang des allgemeinen Tötungsverbots zu stellen (3), was zum besseren Verständnis erforderlich ist. Nachdem dann die kirchliche Lehre zur Abtreibung im Detail dargestellt worden ist (4), sollen abschließend die Forderungen des Lehramts an die staatliche Gesetzgebung angesprochen werden (5).

29 30

31 32

So auch Waldstein S. 79. Terminologie in päpstlichen Rundschreiben seit der Enzyklika ,Pacem in terris' Johannes'XXIII. bei Utz/v. Galen X X V I I I . Vgl. oben S. 20 bei Fn. 22. S. 17 bei Fn. 7.

22

2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

1. Wer definiert die ,Lehre der katholischen Kirche'? Das 2. Vatikanische Konziß3 sieht die katholische Kirche nach dem Willen Christi als die Lehrerin der Wahrheit, deren Aufgabe es ist, „die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen u n d authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen O r d n u n g , die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen 3 4 , autoritativ zu erklären und zu bestätigen". An dieser allgemeinen Lehraufgabe haben zunächst alle Gläubigen aufgrund von Taufe und Firmung Anteil. 35 D a v o n zu unterscheiden ist die amtliche Lehrverkündigung, die ihren G r u n d im apostolischen Amt der Kirche hat. 3 6 Dieses (hoheitliche) Lehramt geht mittels der Bischofsweihe auf die Bischöfe als die Nachfolger der Apostel über 3 7 , die damit „authentische, das heißt mit der Autorität Christi ausgerüstete Lehrer" 3 8 werden. Andere Glieder der Kirche haben an der amtlichen Lehrverkündigung durch Weihe und Sendung (z.B. Priester) oder als Laien n u r durch Sendung (missio canonica, z. B. Religionslehrer) teil, wobei sie jeweils in Abhängigkeit zum zuständigen Bischof stehen. 3 9 Eine herausragende Stellung nimmt der Bischof von R o m (Papst) in seiner Eigenschaft als oberster Lehrer der Kirche ein. Ihm gebührt, was Glaubens- u n d Sittenfragen angeht, in besonderer Weise der „religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes", „auch w e n n er nicht kraft höchster 4 0 Lehrautorität spricht". 4 1

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,Dignitatis humanae' Nr. 14 bei Rahner/Vorgrimler S. 674. Damit ist (auch) das Naturrecht gemeint, s. Höffner Gesellschaftslehre S. 69. Aymans in Listl S. 533. Aymans aaO S. 534. 2. Vaticanum ,Lumen gentium' Nr. 24, 21 bei Rahner/Vorgrimler S. 151, 146f.; Aymans aaO S. 534. 2. Vaticanum ,Lumen gentium' Nr. 25 bei Rahner/Vorgrimler S. 152. Aymans aaO S. 536 f. Gemeint sind die sog. Kathedral-Entscheidungen. 2. Vaticanum ,Lumen gentium' Nr. 25 bei Rahner/Vorgrimler S. 152.

II. Darstellung der katholischen M o r a l l e h r e zur A b t r e i b u n g

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2. Kernaussage der kirchlichen Lehre Nach „unveränderlicher" 42 kirchlicher Lehre ist die Abtreibung als die direkte Tötung eines unschuldigen Menschen unter keinen Umständen erlaubt.43 Das heißt, daß keine der Begründungen, die vorgebracht werden, um eine Abtreibung als angezeigt erscheinen zu lassen (Indikationen), auch nicht die vitale Indikation, als ein die Tat sittlich rechtfertigender Grund anerkannt wird 4 4 Wenn auch das 2. Vaticanum in scharfer Form die Abtreibung generell als ,verabscheuungswürdiges Verbrechen', als „Zersetzung der menschlichen Kultur" und als „Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers" bezeichnet45, so werden doch die Schwierigkeiten und Nöte, in die Schwangerschaften führen können, durchaus nicht ignoriert. Die Kirche räumt vielmehr ein, „daß in einigen, vielleicht sogar recht zahlreichen, Fällen die Verweigerung des Schwangerschaftsabbruches wichtige Güter verletzt, die man normalerweise schützt und die selbst zuweilen vorrangig erscheinen können". 46 3. Das Tötungsverbot allgemein a) Das Tötungsverbot und, dem korrespondierend, das Recht47 auf Leben haben ihren Ursprung im Naturrecht und in der positiven Offenbarung. 48 Ausgangspunkt in der Offenbarung ist das alttestamentliche 5. Gebot (Exodus 20, 13), das im Deutschen normalerweise mit ,Du sollst nicht töten' wiedergegeben wird. 42 43

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Paul VI. A A S 64 (1972), 777, zit. nach Waldstein S. 92. Pius XI. ,Casti connubii' bei U t z / v . G a l e n V I I R n . 108; Pius XII. bei U t z / G r o n e r R n . 1054, 1112; Paul VI. , H u m a n a e vitae' Nr. 14 bei Utz/v. G a l e n V I I R n . 251; Hörmann in H ö r m a n n Sp. 7. Kangr.f. d. Glaubensl. N r . 14 in N k D S. 43, 45; Hörmann in H ö r m a n n S p . 10; zur F r a g e der vitalen Indikation vertreten heute einige M o r a l t h e o l o g e n eine v o m L e h r a m t abweichende M e i n u n g , vgl. z . B . Böckle in Hertz II S. 5 8 ; jetzt auch Hänng Frei in C h r i s t u s S. 55. , G a u d i u m et spes' N r . 51, 27 bei R a h n e r / V o r g r i m l e r S. 503, 4 7 4 f . Kongr.f. d. Glaubensl. N r . 14 in N k D S. 43, 45. Bzw. die Pflicht, seinem L e b e n nicht selbst ein E n d e zu setzen. V g l . d a z u Mausbach/Ermecke III S. 243 ff.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

Dieses Gebot behält seine Gültigkeit auch im Neuen Testament (z.B. Matthäus 19, 18), wird aber von der Kirche restriktiv ausgelegt.49 Das im 5. Gebot gebrauchte hebräische Verb ,rasach' wird im Gegensatz zu den für ,töten' häufiger verwendeten Verben ,herag' und ,hemit' als ungesetzliches, gemeinschaftswidriges Töten verstanden 50 , das die gesetzmäßige Tötung Schuldiger oder die Tötung in Notwehr nicht ausschließt. Auch neutestamentliche Offenbarung und Naturrecht werden dahin interpretiert, daß das Tötungsverbot uneingeschränkt nur für die direkte Tötung schuldloser Menschen gilt, vgl. Abb. 2.51 Die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Tötung (b) sowie die zwischen unschuldigem und schuldigem Leben (c), auf denen die Einschränkung des Tötungsverbots aufbaut, sollen deshalb näher erläutert werden.

indirekte Tötung fremdes Leben schuldiges Leben Abbildung 2

eigenes Leben

unschuldiges Leben

Das Tötungsverbot gilt nur eingeschränkt das Tötungsverbot gilt uneingeschränkt

b) Bei der direkten Tötung besteht entweder die Absicht der Lebensvernichtung und/oder es werden Mittel eingesetzt, die ihrer Natur nach (per se) den Tod herbeiführen. Im Gegensatz dazu ist 49 50 51

Zur Frage der authentischen Auslegung vgl. oben S. 22 und S. 19 f. bei Fn. 22. Mausbach/Ermeche III S. 2 4 4 f. mit Bezug auf Stamm. Zur problematischen Einordnung der T ö t u n g durch Unterlassen vgl. bei der vitalen Indikation unten S. 36 ff.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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die indirekte Tötung eine Lebensvernichtung ohne Tötungsabsicht und unter Ausschluß per se tödlicher Mittel. aa) Unter Absicht versteht man das direkte Wollen des Erfolges als eigentliches Handlungsziel oder doch als Mittel (Zwischenziel) zum eigentlichen Handlungsziel. 52 Diesem direkten Wollen steht das indirekte Wollen gegenüber, das den Erfolg nur als Folge oder Begleiterscheinung eines (anderen) direkt Gewollten zuläßt. Dabei kann der Erfolg durchaus als sicher vorausgesehen werden. Absichtlich tötet beispielsweise der Attentäter, der zuerst den Leibwächter erschießt, um anschließend das Staatsoberhaupt töten zu können, wobei der Tod des Staatsoberhaupts das eigentliche Handlungsziel und die Beseitigung des Leibwächters das Zwischenziel zur Ermöglichung des eigentlichen Handlungsziels darstellt. Dagegen tötet derselbe Täter, wenn er eine Handgranate in den Schlafraum des Staatsoberhaupts wirft, um diesen zu töten, nur das Staatsoberhaupt absichtlich, und nicht auch dessen dabei ebenfalls umkommenden Leibwächter, weil er den Tod des letzteren nur als ,Begleiterscheinung' des direkt Gewollten (Tod des Staatsoberhaupts) zuläßt. bb) Das Kriterium der per se den Tod herbeiführenden Handlung wird verständlich im Zusammenhang mit der weitgehenden Beurteilung des objektiven sittlichen Gehalts eines Tuns nach dessen naturgemäßer Wirkung. 53 Danach ist ein Tun böse, wenn dessen naturgemäße Wirkung ohne weiteres eine verderbliche ist, wie z.B. die Verabreichung eines tödlichen Giftes an einen Menschen, die eben naturgemäß zu seinem Tod führt. Gut ist dagegen eine Handlung mit naturgemäß guter Wirkung, z.B. das Almosengeben. Es kommen jedoch auch häufig Handlungen vor, die ihrer Natur nach gute und böse Wirkungen haben können (actiones cum duplici effectu), z. B. die Verabreichung starker Schmerzmittel an Schwerkranke, wobei sich Schmerzlinderung und mögliche Lebensverkürzung gegenüberstehen. Hier schließt sich nun der Kreis, denn die indirekte Tötung ist nichts anderes als ein Spezialfall der Handlungen mit zweierlei Wirkung. Die allgemeine Beur52 53

Mausbach/Ermecke I S . 237 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Hörmann in H ö r m a n n Sp. 783 ff.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische A s p e k t e

teilung derartiger Akte ermöglicht deshalb auch die Beurteilung der indirekten Tötung. cc) Aus der Tatsache, daß der Mensch immer wieder solche Handlungen vornehmen muß, wird geschlossen, daß er dabei nicht schon deswegen schuldig wird, weil er von der bösen Wirkung weiß. Wesentliche Voraussetzung für dieses Nicht-schuldigWerden ist die ausschließliche Ausrichtung des Willens auf die gute Wirkung. Auf keinen Fall darf man also die Tötung um der Tötung willen wollen, was z.B. der Arzt täte, der das starke Schmerzmittel mit der Intention verabreichte, das Leben des Patienten zu verkürzen. 54 Gibt nun der Arzt das lebensverkürzende Schmerzmittel nur zur Schmerzlinderung, dann wird sein Wollen von dieser Wirkung her im guten Sinn beeinflußt. Selbst im Fall der sicheren Voraussicht der Lebensverkürzung wird dann zwar die Ursache der tödlichen Wirkung mitgewollt, nicht aber die Wirkung als solche; diese wird nur zugelassen. 55 Von einem reinen Zulassen, und damit einem Freisein des Willens von der bösen Wirkung, kann man aber nur dann sprechen, wenn sich aus der Handlung entweder beide Wirkungen unmittelbar ergeben (das Medikament bewirkt nebeneinander Schmerzlinderung und Lebensverkürzung), oder die böse Wirkung aus der guten entspringt, nicht aber, wenn sich umgekehrt die gute Wirkung erst aus der bösen ergibt (z.B. als Unfall getarnte Selbsttötung, um bedürftigen Angehörigen die Lebensversicherungssumme zukommen zu lassen; es liegt dann eine direkte Tötung vor, vgl. oben aa). Hier gilt dann der Satz, daß der gute Zweck das schlechte Mittel nicht heiligt. Zudem ist die Verhältnismäßigkeit zu beachten, d.h. die böse Wirkung darf über die gute nicht das Ubergewicht haben. Denn der Wille erstreckt sich auch dann auf die böse Wirkung, wenn eine Handlung mit Doppelwirkung ohne einen i.S.d. Abwägung rechtfertigenden Grund vorgenommen wird.

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Z u dieser U n t e r s c h e i d u n g zwischen direkter u n d indirekter Euthanasie klar u n d unmißverständlich Pius XII. bei U t z / G r o n e r R n . 5 5 3 5 . Dieses Abstellen der katholischen M o r a l auf die beabsichtigte W i r k u n g bei H a n d l u n g e n mit D o p p e l e f f e k t findet sich bereits bei T h o m a s v. A q u i n u n d a u c h schon bei Augustinus, vgl. Hörrmnn in H ö r m a n n Sp. 787.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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Aus alledem folgt für die indirekte Tötung, daß auch sie an sich unter das Tötungsverbot fallt, es jedoch nach der Lehre von der Handlung mit zweierlei Wirkung Ausnahmen gibt, die sie sittlich rechtfertigen. c) Das absolute Verbot der (direkten) Tötung bezieht sich immer nur auf unschuldiges Leben. 56 Fremdes 57 schuldiges Leben darf unter bestimmten Umständen auch direkt getötet werden, wobei die Termini,schuldig' bzw.,nicht schuldlos' hier als Synonyme für ,ungerecht' oder rechtswidrig' gebraucht und nicht auf die subjektive Schuld beschränkt verstanden werden. 58 Manche betrachten die direkte Tötung für den einzelnen als Privatperson immer als unerlaubt, sehen dann jedoch insbesondere die Tötung in Notwehr als indirekte an, so daß sich letztlich in der Sache dadurch nichts ändert. 59 Geht man aber von der wohl überwiegend gemachten Unterscheidung zwischen schuldigem und unschuldigem Leben aus, so ergeben sich im wesentlichen folgende Ausnahmen vom Verbot der direkten Tötung: aa) Das Tötungsrecht des einzelnen zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs insbesondere auf das eigene Leben (Notwehr) wird naturrechtlich begründet, vor allem mit der natürlichen Selbstbehauptung und dem Interesse der Gesellschaft an der Hinderung des Unrechts. 60 Die Notwehr kann auch von Dritten geübt werden (Nothilfe), die dazu sogar häufig aus Solidarität verpflichtet sein können. 61 Das Kriterium der ,Schuld' im oben erläuterten Sinn ist dabei der rechtswidrige Angriff. Daraus

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Vgl. Pius XII. bei U t z / G r o n e r Rn. 1054; Hörmann in H ö r m a n n Sp. 1595. Die direkte Selbsttötung wird f ü r alle Fälle entschieden abgelehnt, vgl. Hörmann in H ö r m a n n Sp. 1424 f. S. Schüller S. 353 Fn. 12. SchüllerS. 353 mit Nachw. zeigt u . a . damit die Problematik der deontologischen N o r m i e r u n g (Begriff eingeführt v o n Schüller S. 349 mit Bezug auf C . D. Broad) in der Moraltheologie auf. Die H ä r t e n einer solchen N o r m i e r u n g (die z.B. die T ö t u n g Unschuldiger als in sich, d . h . ohne Berücksichtigung der jeweiligen Konsequenzen, sittlich schlecht kennzeichnet) m ü ß t e n teleologisch aufgefangen werden. Dies geschähe z. B. durch E i n f ü h r u n g der Kategorie .indirekte T ö t u n g ' . Mausbach/Ermecke I I I S . 290 f. Hörmann in H ö r m a n n Sp. 1205.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

folgt, daß das Tötungsverbot im Notstand, bei dem dieser Angriff fehlt, voll durchgreift. 62 Bedenken gegen die Notwehr 63 , die unter Berufung auf die Bergpredigt Jesu (Matthäus 5, 39) vorgetragen werden, hält die Kirche hauptsächlich entgegen, daß es in den Weisungen der Bergpredigt um eine höhere Gesinnung 64 , um Grundeinstellungen, nicht aber um schematisch anzuwendende Gesetze gehe. 65 Vom Notwehrrecht des einzelnen ist zu unterscheiden das Notwehrrecht einer sozialen Gemeinschaft (Staat, Volk), wenn es auch seinen Grund im ersteren hat. Darunter fallt unter bestimmten Umständen 6 6 die Tötung des Tyrannen (Widerstand), insbesondere aber bb) die Tötung im gerechten Krieg. 67 Auch hier werden die auf ,ungerechter' Seite Kämpfenden nicht als ,unschuldig' angesehen. 68 Solange die Gefahr von Krieg bestehe und solange es noch keine zuständige, mit entsprechenden Mitteln ausgestattete internationale Autorität gebe, führt das 2. Vatikanische Konzil zur Erlaubtheit des bellum iustum - und damit der direkten Tötung im Krieg aus, „kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen". Hierzu ist allerdings zu beachten, daß in jüngerer Zeit mehr und mehr ernste Zweifel darüber aufkommen, ob eine Verteidigung unter Einsatz von hochtechnisierten Massenvernichtungsmitteln, insbesondere von Nuklearwaffen, jemals noch sittlich erlaubt sein kann. 70

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Mausbach/Ermecke III S. 293. Auch schon bei einigen Kirchenvätern, vgl. Mausbach/Ermecke III S. 290. Vorgrimler in H ö f e r L T h K VII Sp. 1055. Die dt. Bischöfe Frieden S. 18. Hörmann in H ö r m a n n Sp. 1722. Besser ,gerechte Verteidigung', vgl. die dt. Bischöfe Frieden S. 33; zu den Voraussetzungen einer gerechten Verteidigung vgl. Pastoralbrief der Katholischen Bischofskonferenz dtr USA in Bischöfe zum Frieden S. 43 ff. Mausbach/Ermecke III S. 245; zur Bedeutung v o n ,schuldig' vgl. oben S. 27. ,Gaudium et spes' Nr. 79 bei Rahner/Vorgrimler S. 539. Vgl. z.B. den in Fn. 67 erwähnten Pastoralbrief der amerikanischen Bischöfe, auch dessen autorisierte Z u s a m m e n f a s s u n g in Bischöfe zum Frieden S. 7 ff. (11 f.).

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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cc) Die Tötung durch Vollstreckung von Todesurteilen wegen schwerster Verbrechen (z.B. Mord) ist der öffentlichen Gewalt (Staat) - nicht dem Privatmann - nach kirchlicher Lehre unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. 71 Anhaltspunkte dafür werden besonders im Alten (z.B. Genesis 9, 6), aber auch im Neuen Testament (Römerbrief 13, 4) gesehen, in dem die Todesstrafe ebenso als legitim vorausgesetzt werde. 72 Dabei wird unterstellt, daß der zum Tod Verurteilte sein Lebensrecht bereits durch sein Verbrechen verwirkt hat. 73 Es handelt sich hier zwar um den klassischen Fall der Unterscheidung zwischen schuldlosem und schuldigem Leben. Der äußersten Fragwürdigkeit der Todesstrafe wird dadurch jedoch nichts genommen 74 , insbesondere, weil der Vollstreckung des Todesurteils das Notwehrmoment abgeht.

4. Detaillierte Darstellung der Lehre zur Abtreibung a) Die Moraltheologie verwirft als Abtreibungjede direkte Tötung der Leibesfrucht. Darunter fällt die gewollte und direkt herbeigeführte Ausstoßung der noch nicht lebensfähigen Leibesfrucht aus dem Mutterschoß wie auch die direkte Tötung des ungeborenen Kindes im Mutterschoß. 75 Von der so definierten, durch eine n

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Mausbach/Ermecke III S. 245, 280ff.; Hörmann in Hörmann Sp. 1585; Voraussetzungen sind z. B., daß die Verhängung der Strafe nicht aus Haß, sondern aus Gerechtigkeit, nicht unbedacht, sondern überlegt erfolgt (aus dem Glaubensbekenntnis, das Papst Innozenz III. den Waldensern vorschrieb, die die Berechtigung der Todesstrafe bestritten). Rotter in Klose Sp. 3057; Hörmannm Hörmann Sp. 1584f.; NiedermeyerS. 178 führt Johannes 19, 10 - 11 als Beweis dafür an, daßjesus die von Gott delegierte Gewalt der Staatsautorität über Leben und Tod anerkennt. Er sieht eine Begründungsmöglichkeit für die Todesstrafe nur unter jenseitigen Gesichtspunkten und folgert daraus (S. 179): „Wo aber die Begründung der staatlichen Strafgewalt in Gott als letzter Rechtsquelle fehlt - dort hat der Staat auch dem schwersten Rechtsbrecher gegenüber kein Recht auf Verhängung der Todesstrafe". Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 2280. So bezeichnete der Erzbischof von Paris, Kardinal Lustiger, im französischen Fernsehen die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich als einen ,Akt des Mutes und des Fortschritts, daß nämlich der Mensch das Leben seines Nächsten nicht mehr anrühre' (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27 4. 1984 S. 12). Pili in Höfer L T h K I Sp. 96; Mausbach/Ermecke III S. 271; Häring III S. 219; Hörmann in Hörmann Sp. 3.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

gezielte Maßnahme des Menschen herbeigeführten Abtreibung, sog. abortus arteficialis, ist einerseits abzugrenzen der ohne oder doch zumindest ohne gewolltes Zutun des Menschen von selbst eintretende Abgang der Leibesfrucht, sog. abortus naturalis. Andererseits liegt keine Abtreibung vor bei einer indirekt 76 herbeigeführten Ausstoßung der Leibesfrucht oder auch bei deren indirekter Tötung in der Gebärmutter, vgl. Abb. 3. Für die Frage, wann man von der menschlichen Leibesfrucht sprechen kann, ist moraltheologisch bedeutsam nur der Anfang dieses Zeitraums, also der Beginn menschlichen Lebens (b); denn die direkte Vernichtung unschuldigen menschlichen Lebens, hat es erst einmal begonnen, wird in jedem Stadium seiner Entwicklung sittlich als Mord angesehen 77 , so daß die formale Unterscheidung zwischen Abtreibung und Kindestötung eher zweitrangig erscheint. b) Das kirchliche Lehramt und die sich daran orientierende Moraltheologie gehen, auch aufgrund neuerer wissenschaftlicher (insbesondere biologischer, humanembryologischer) Erkenntnisse, heute davon aus, daß der erst mit dem Tod endende Lebensprozeß des Menschen mit der Befruchtung des weiblichen Eies durch die männliche Samenzelle, also mit der Empfängnis, beginnt. 78 Dies wird in erster Linie damit begründet, daß in der Eizelle vom Zeitpunkt der Befruchtung an bereits alle für den individuellen Menschen notwendigen Erbinformationen enthalten sind und daß von da an die weitere Entwicklung des menschlichen Lebens kontinuierlich verläuft, also dessen spätere Phasen im Ansatz schon alle im befruchteten Ei angelegt sind. 79 Nach diesem Standpunkt ist konsequenterweise auch die absichtliche Verhinderung der Einnistung des befruchteten Eies in 76

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Zur Unterscheidung des indirekt herbeigeführten Erfolges vom direkt herbeigeführten Erfolg einer Handlung vgl. oben S. 24 ff. Hörmann in Hörmann Sp. 1595; Pilz in Höfer LThK I Sp. 97. 2. Vaticanum ,Gaudium et spes' Nr. 51 bei Rahner/Vorgrimler S. 503; Kongr.J. d. Glaubensl. Nr. 12, 13 in NkD S. 41, 43; Verlautbarung der Dt. Bischofskimferenz v. 24. 2. 1972 bei Gorschenek S. 246ff. (247); Johannes Paul II. Das menschliche Leben ist heilig, in L'Osservatore Romano (deutsch) v. 26. 10. 1979 S. 8. Kongr. f . d. Glaubensl. Nr. 13 in NkD S. 43; Hörmann in Hörmann Sp. 5; zu einer sehr klaren und einleuchtenden Begründung des kirchlichen Standpunktes s. auch Guardinis. 14ff.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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Tod der Leibesfrucht kann eintreten durch Abgang natürl. A. ohne Zutun d. Menschen

fahrlässig herbeigef. Abgang

indirekt herbeigef. Ausstoßung der noch nicht lebensfähigen Leibesfrucht

(erlaubte) indir. Tötung —

indirekte Tötung der Leibesfr. in der Gebärmutter

Abbildung 3

direkte Tötung (= Abtreibung)

direkt herbeigef. Ausstoßung der nocht nicht lebensfähigen Leibesfrucht

direkte Tötung der Leibesfr. in der Gebärmutter

die Gebärmutterschleimhaut (Nidation) als abortive Maßnahme, d. h. als Abtreibung anzusehen. 80 c) Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung der Lehre zur Abtreibung, so fällt auf, daß die Haltung der Kirche zum Beginn 80

S. Hörmann in H ö r m a n n Sp. 9.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

menschlicher Existenz nicht immer mit den heutigen Stellungnahmen des Lehramts identisch war. So wurde die Frage der Beseelung, als dem Beginn spezifisch menschlichen Lebens, bis in die Neuzeit hinein anders beurteilt als heute. Gegenüber den Lehren des Präexistentialismus, Generatianismus und Traduzianismus 81 setzte sich im Hochmittelalter der sog. Kreatianismus durch, wonach die Seele des Menschen unmittelbar von Gott geschaffen und in den von den Eltern gezeugten Leib eingesenkt wird. Uber den genauen 82 Zeitpunkt dieser Einsenkung oder Erschaffung (Kreation) gab es wiederum unterschiedliche Vorstellungen. Während Albertus Magnus (um 1193-1280) schon davon ausging, daß der Beginn des Eigenlebens und die Beseelung zusammenfallen (sog. Simultanbeseelung), vertrat dessen Schüler Thomas vonAquin (1225/ 26-1274) im Anschluß an Aristoteles die Auffassung, daß es sich bei der Leibesfrucht nicht von Anfang an um spezifisch menschliches Leben handele. Vielmehr unterschied er drei aufeinanderfolgende Wesensformen, nämlich die vegetative (pflanzliche), die sensitive (tierische) und die rationale (Geistseele), wobei er erst mit der dritten Stufe, der Geistbeseelung, den Ubergang zum eigentlich menschlichen Leben gegeben sah (sog. Sukzessivbeseelung) . 83 Den Zeitpunkt der Geistbeseelung hatte Aristoteles - und ihm folgend der Großteil der Scholastiker - beim männlichen Embryo 40 Tage, beim weiblichen 80 Tage nach der Empfängnis angenommen. 84

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Vgl. eingehend zu den verschiedenen Lehren und zum Folgenden Böckle in Hertz II S. 37ff.; s. auch Hirschmann S. 69fT. Daß die Beseelung auf jeden Fall schon im Mutterleib erfolgt, steht z.B. durch das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (Freisein Marias von der Erbsünde vom ersten Augenblick ihres Menschseins an) fest, vgl. Hirschmann S. 68; m.E. deutet das Fest Mariae Empfängnis (Tag: 8. bzw. 9.12., nachgew. frühestens seit dem 8./9. Jahrhundert, vgl. Schulz in Höfer LThK VII Sp. 67) in Zusammenhang mit dem Fest Mariae Geburt (Tag: 8. 9., nachgew. seit dem 6.11. Jahrhundert, vgl. Schuh aaO Sp. 66) schon sehr früh auf die Beseelung im Augenblick der Empfängnis hin; vgl. dazu Mitterer S. 15 f., der noch auf die kirchliche Vorschrift zur Taufe von Fehlgeburten und darauf hinweist, daß die Geistbeseelung Voraussetzung sowohl der sakramentalen wie der nichtsakramentalen Begnadung sei. Böckle in Hertz II S. 38; Hörmann in Hörmann Sp. 3 f. HänngIII S. 219; Mitterer S. 14 Fn. 2 für Thomas von Aquin.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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Die mittelalterlichen Beseelungstheorien werden heute auf das damalige Defizit an Information über die entscheidenden Befruchtungsvorgänge - die Eizelle wurde beispielsweise erst 1827 durch von Baer entdeckt - zurückgeführt. 8 5 Als wesentlichen Gesichtspunkt für die gleichwohl bestehende Kontinuität der kirchlichen Lehre zur Abtreibung führt die Glaubenskongregation86 an, daß von den Anfängen der Kirche über das Mittelalter bis hin zur Gegenwart unabhängig vom Beseelungsproblem nie Zweifel über die Unerlaubtheit der Abtreibung aufgekommen seien. Unter dem Eindruck der im Mittelalter vorherrschenden Sukzessivbeseelungstheorie sei zwar das kirchliche Strafrecht mildernd beeinflußt worden, doch habe man stets Abtreibung auch in den ersten Tagen (also vor dem jeweils angenommenen Beseelungszeitpunkt) objektiv als schwere Sünde angesehen. Nach Häring87 kann man, die Sukzessivbeseelungstheorie einmal als richtig unterstellt, vor der Geistbeseelung sittlich nicht von Mord reden, aber doch von einem schweren Verbrechen an einem „Leben, das sich nach Gottes Willen zur Aufnahme der Geistseele bereit macht". Die Erfahrungen der Kirche mit der Sukzessivbeseelungstheorie scheinen heute noch nachzuklingen, wenn hilfsweise argumentiert wird, daß im Fall des Zweifels über die Menschqualität der Leibesfrucht ab der Empfängnis doch der sicherere Weg in dem Sinn zu gehen sei, daß das Risiko der direkten T ö t u n g eines Menschen vermieden werden müsse. 88 d) Obgleich nach kirchlicher Lehre kein Grund die (direkte) Abtreibung sittlich rechtfertigen kann 8 9 , wird doch differenziert auf die einzelnen Indikationen eingegangen.

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Hörmann in Hörmann Sp. 3; Böckle in Hertz II S. 38; vgl. auch Waldstein S. 92. Nr. 6, 7 in N k D S. 29ff.; von den Belegstellen der Glaubenskongregation seien hier nur die Didache (2,2) und Thomas von Aquin (Sentenzenkommentar, Band IV, Teil 31, Darlegung des Textes) genannt; zu weiteren Nachweisen vgl. auch Hörmann in Hörmann Sp. 8 f.; s. auch Häring III S. 219. Häring III S. 219 f.; vgl. auch Hirschmann S. 70f.; Pili in Höfer LThK I Sp. 97. Hörmann in Hörmann Sp. 8; Häring III S. 220: „denn ein tödlicher Eingriff in ein Leben, das wahrscheinlicherweise schon ein wirkliches Menschenleben ist, zeigt die Gesinnung des Mörders". Vgl. oben S. 23.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

aa) Die sog. soziale Indikation wird entschieden abgelehnt (wobei der Akzent auf deren wirtschaftlichem Teil liegt) und gerade auch in unserem Staat mit vergleichsweise hohem Wohlstand und Lebensstandard als „unerhörtes Ärgernis" bezeichnet, weil (auch durchaus ernstzunehmende) soziale Notstände nie gewaltsam durch Tötung des Kindes, sondern durch geeignete Vorsorge- und Hilfsmaßnahmen behoben werden müßten. 90 bb) Im Zusammenhang mit der sog. eugenischen Indikation wird, auf das mögliche Unglück des Kindes bezogen, an das Verbot der Selbsttötung erinnert, dem es (das Kind) später einmal unterliege. A minore ad maius wird dann der Schluß gezogen, daß schon gar nicht die Eltern für das Kind den Tod dem Leben vorziehen dürften. 91 Vor allem aber verweist die Kirche auf die christliche Deutung des Leides, die im Blick auf das ewige Leben auch Sorge und Leid um ein behindertes Kind einen tiefen Sinn zuerkennt. 92 „Und bedenkt man, daß in der Ewigkeit kein Mensch mehr einen Rollstuhl braucht, daß es dort keine leiblich oder geistig behinderte Menschen mehr gibt, sondern daß alle teilhaben an der Herrlichkeit des verklärten Christus, dann müssen wir sagen: Es gibt kein lebensunwertes Leben". 93 Gerade im Hinblick auf das sog. ,lebensunwerte' Leben wird auch immer wieder auf die Greueltaten an behinderten und kranken Menschen in der Vergangenheit hingewiesen. 94 Darin kommt die Sorge zum Ausdruck, daß mit der Zulassung der eugenischen Indikation die Legalisierung sog. aktiver Euthanasie verschiedenster Art in den Bereich des Möglichen rücke. 95 cc) Da jeder Mensch sein Lebensrecht nicht von Menschen oder menschlichen Autoritäten, sondern unmittelbar von Gott herlei-

90 91 92 93 94 95

Dt. Bischofskonferenz D e m Leben dienen S. 6, 12. Kongr.f. d. Glaubens!. Nr. 14 in N k D S. 45. Kongr.f. d. Glaubensl. Nr. 25 in N k D S. 57, 59. Dt. Bischofskonferenz Wähle das Leben S. 7. Vgl. z.B. Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 1054. Höffner Thesen S. 11 ; zum Zusammenhang zwischen Abtreibung und Euthanasie - bei Pius XII. und allgemein - vgl. auch Waldstein S. 83 ff. ; man beachte auch die neuere Diskussion um die sog. Früheuthanasie, das Sterbenlassen oder Töten Neugeborener, dazu Schmitt Klug-FS II S. 329 ff. mwN.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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tet 96 u n d damit das Lebensrecht des durch Vergewaltigung gezeugten keinen geringeren Rang hat als das jedes anderen Kindes, ist die Ablehnung auch der kriminologischen Indikation nur konsequent. Der Samen des Vergewaltigers darf jedoch zur Verhinderung der Befruchtung abgetötet werden. Eine derartige Maßnahme ist solange zulässig, bis nach den Erfahrungen der Medizin angenommen werden muß, daß eine Befruchtung bereits stattgefunden haben kann. 9 7 Im übrigen besteht für die Frau keine moralische Pflicht, das Kind nach der Geburt zu behalten und selbst aufzuziehen. 9 8 dd) Am ausführlichsten geht die katholische Morallehre auf die medizinische als die Indikation ein, deren Ablehnung erfahrungsgemäß auch bei denjenigen auf Befremden stößt, die sonst jeder Abtreibung negativ gegenüberstehen. Allerdings wird dabei kein besonderes Gewicht auf die Fälle drohender schwerer Gesundheitsgefahr gelegt, vielmehr konzentriert sich die Auseinandersetzung auf Fälle, in denen von einer Lebensgefahr für die Mutter ausgegangen werden m u ß (sog. vitale Indikation). Daraus ergibt sich dann problemlos die Haltung zur nichtvitalen medizinischen Indikation. a) Grundlegend sind die beiden Ansprachen Papst Pius XII. vom 29.10. 1951 und v o m 26. 11. 1951." Danach ist „die Rettung des Lebens der Mutter ein sehr edles Ziel; aber die direkte T ö t u n g des Kindes als Mittel zu diesem Ziel ist nicht erlaubt". 100 Von besonderer Bedeutung ist, daß Papst Pius XII. von der direkten T ö t u n g des

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Pius XII. bei Utz/Groner Rn. 1054. Hirschmann S. 76 f. betrachtet eine derartige Empfängnisverhütung noch als Notwehrmaßnahme gegen den ungerechten Angreifer, während sich ein Eingriff nach der Befruchtung nicht mehr gegen den (Samen des) Vergewaltiger(s), sondern gegen einen anderen, neuen Menschen richte. Dagegen hat die Gesellschaft hier die Pflicht, wirksam zu helfen, z.B. durch Schaffung von Institutionen, denen die Frau das Kind mit gutem Gewissen übergeben kann, vgl. Miedermeyer S. 207. Bei Utz/Groner Rn. 1045ff. u. 1103ff.; vgl. auch ñus XI. ,Casti connubii' bei Utz/v. Galen VII Rn. 108. Bei Utz/Groner Rn. 1054.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

Kindes spricht und damit dessen indirekte Tötung (ß) vom absoluten Verbot ausnimmt. 101 Die Rechtfertigung der vitalen Indikation durch Notwehr ist ausgeschlossen, weil das Kind genauso ,schuldlos' wie die Mutter in die für letztere oder beide lebensbedrohliche Situation geraten ist und es somit an der ersten Voraussetzung der Notwehr, dem ungerechten Angriff des Kindes, fehlt. 102 Auch ein Notstandsrecht, das bis zur direkten Tötung eines Unschuldigen reicht, wird abgelehnt. 103 Die Güterabwägungstheorie sieht man als zur Konfliktlösung untauglich an. Papst Pius XII. hält die Frage mit der Alternative entweder Mutter oder Kind für falsch gestellt; weder das eine noch das andere Leben dürften einem Akt direkter Vernichtung unterzogen werden. Niemals habe die Kirche gelehrt, daß das Leben des Kindes dem der Mutter vorzuziehen sei, genausowenig sei aber das Leben der Mutter kostbarer als das des Kindes, zumal man dabei zwei Größen miteinander vergleiche, von denen man die eine überhaupt nicht kenne. Überdies hänge die Unverletzlichkeit schuldlosen Lebens nicht von seinem höheren oder niedrigeren Wert ab. Für den Fall, daß alle Bemühungen, Mutter und Kind zu retten, erfolglos seien, bleibe „nichts übrig, als sich in Ehrfurcht vor den Gesetzen der Natur und dem Walten der göttlichen Vorsehung zu beugen". 104 Das bedeutet in letzter Konsequenz, daß auch der zu befürchtende Tod von Mutter und Kind kein Recht zum direkt tötenden Angriff auf das Kind gibt. Dahinter steht zum einen die naturrechdiche Begründung des Tötungsverbots bzw. das Naturrechtsverständnis des kirchlichen Lehramts und zum anderen die unterschiedliche Bewertung der Tötung durch Unterlassen gegenüber der Tötung durch aktives Tun, wobei der zweite Gesichtspunkt über die Auslegung des naturrechtlichen Tötungsverbots wiederum eng mit dem ersten verknüpft ist.

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Vgl. allgemein zur Unterscheidung von direkter und indirekter Tötung oben S. 24ff. S. Hirschmann S. 72; zur Bedeutung des Merkmals ,schuldlos' vgl. oben S. 27. S. ñus XI. ,Cas ti connubii' bei Utz/v. Galen VII Rn. 108. Bei Utz/Groner Rn. 1114-1116.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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Nach Fuchs105 erlaubt es der katholische Naturbegriff nicht, dem Naturrecht lediglich eine Ordnungsfunktion ohne letzte Verbindlichkeit zuzuschreiben. Aus der Erkenntnis, daß eine naturrechtliche Aussage für jede Situation in Kraft bleibt, „die den von ihr gemeinten Tatbestand verwirklicht", folgert er dann, daß nie der Fall eintreten könne, „daß das naturrechtliche Verbot der direkten Tötung des ungeborenen Lebens in einer schwierigen konkreten Situation wegen der liebenden Rücksichtnahme auf die Mutter und ihre Familie keine absolute Forderung mehr darstellte".106 Aus dieser Ablehnung jeglicher Situationsethik im Anwendungsbereich von Naturrecht ergibt sich auch der Ausschluß der Epikie (griech., Billigkeit; Nichtbefolgung einer Norm aufgrund der Erkenntnis, daß sie den Gegebenheiten der Situation nicht entspricht), die auf das (mangelhafte) menschliche Gesetz beschränkt ist.107 Zum zweiten Gesichtspunkt, dem des Unterlassens, führt das Problem der Pflichtenkollision zwischen Lebenserhaltungspflicht (Mutter) und Tötungsverbot (Kind). Denn nach kirchlicher Lehre „gibt es nicht das Gebot, die Mutter auf jede, sondern nur auf sittlich erlaubte Weise zu retten". 108 Hier wird nun nicht geborenes Leben gegen ungeborenes oder ein gegen zwei Leben abgewogen, sondern es werden verschiedene Verhaltensweisen gegenüber dem jeweils schuldlosen Leben miteinander verglichen und bewertet. Auf der einen Seite steht die aktive Tötung, auf der anderen das Geschehenlassen natürlichen Sterbens. Das größere Übel wird in der aktiven Lebensvernichtung erblickt, auch wenn die Unterlassung einer solchen direkten Tötung das natürliche Sterben noch so vieler anderer zur Folge hat. 109

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S. 118. Fuchs S. 116; zur Vereinbarkeit der absoluten Geltung des Naturrechts mit dem Gottesbegriff, der christlichen Freiheit und der christlichen Liebe vgl. Fuchs S. 120 ff. Marnbach/ErmeckeIS. 151 f.; Häringl S. 279,318; vgl. aber auch die v o n Häring I S. 280 Fn. 8 zitierte Gegenauffassung des Hl. Alfons v. Liguori; allgemein zur Epikie s. auch Hörmann in Hörmann Sp. 358 ff. Fuchs S. 123. Hürth St. d. Zeit 1929, 129f.; s. auch Mausbach/ErmckeIII S. 272.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

Schüller110 sieht den Grund dafür in einer unterschiedlichen Normierungsweise. Nach ihm wird die direkte Tötung eines Unschuldigen von der katholischen Morallehre deontologisch normiert, d.h. als in sich, ihrem Wesen nach und ohne Berücksichtigung der jeweiligen Konsequenzen, sittlich schlecht eingestuft. Dies sei vom Handlungserfolg her nicht zwingend geboten, weil der Tod als solcher in sich selbst nichts sittlich Schlechtes sei. Das Sterbenlassen dagegen werde aus diesem absoluten Tötungsverbot ausgenommen und teleologisch normiert, d.h. die Entscheidung zum Sterbenlassen sei aus entsprechend wichtigem Grund einer sittlichen Rechtfertigung zugänglich. Dies bedeutet für den konkreten Fall, daß sie als nur relativer Unwert getroffen werden darf, weil sie mit einem absoluten Unwert, der sonst notwendigen Entscheidung zur direkten Tötung des Kindes, konkurriert. O b man nun, wie Schüller, die Tötung durch Unterlassen als eigene Kategorie aus dem absoluten Tötungsverbot ausgenommen glaubt, oder ob man mit der Unterscheidung von direkter und indirekter Tötung auszukommen meint 111 , scheint mir nicht von wesentlicher Bedeutung, weil die unterschiedlichen Normierungsweisen auch den beiden letztgenannten Kategorien eigen sind. 112 Der Themenstellung der Arbeit entsprechend beschränkt sich die Darstellung der kirchlichen Lehre zu den Indikationen auf die objektive Seite des Rechtfertigungsproblems. Nur am Rande sei insbesondere zur direkten Tötung des Kindes bei vitaler Indikation erwähnt, daß moraltheologisch betrachtet ein objektiver Verstoß gegen eine sittliche Norm allein nicht zur Begehung einer (subjektiven, persönlichen) Sünde ausreicht, vielmehr die subjektive Einsicht in das objektiv Fehlerhafte dafür unerläßlich ist. 110 111

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S. 341 ff.; vgl. zur deontologischen Normierung schon oben Fn. 59. So wohl Mausbach/Ermecke III S. 268 f. mit Bezug auf Pius XII. M.E. läßt sich eine Einordnung der Unterlassungstötung in die Kategorie direkte-indirekte Tötung dadurch erreichen, daß man im Unterlassen nie ein per se den T o d herbeiführendes Mittel erblickt. Dann kommt es für die Frage direkt oder indirekt jeweils auf die Intention des Unterlassenden an, was bedeutet, daß eine beabsichtigte Tötung durch Unterlassen auch generell abzulehnen wäre. Genau dies bestreitet Schüller (vgl. S. 352), jedoch ohne ein Gegenbeispiel zu nennen. Vgl. dazu Schüller S. 352 f.

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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Hinzu kommt die Pflicht, dem eigenen Gewissen, sei es auch ein (unüberwindlich) irrendes, Folge zu leisten. 113 ß) Nach der Lehre von den Handlungen mit Doppelwirkung 114 kann unter bestimmten Umständen die indirekte Tötung des ungeborenen Kindes sittlich gerechtfertigt sein. Für diese ,kleine' vitale Indikation nennt Papst Pius XII.115 folgende Voraussetzungen: Das Leben der Mutter muß unabhängig von ihrem Zustand der Schwangerschaft in Gefahr sein und eine Behandlung dringend erforderlich machen, die nicht bis nach der Geburt verschoben werden kann. Der Tod des Kindes darf nicht beabsichtigt, sondern lediglich eine unvermeidliche Nebenfolge der Behandlung sein. Schließlich darf es keinen anderen Weg zur Rettung der Mutter geben. Hierbei handelt es sich um einen klassischen Anwendungsfall des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der die sog. teleologische Normierung der indirekten Tötung erkennen läßt. Vollends deutlich wird diese Normierung, wenn Fuchs116 schreibt, daß es in einem derartigen Fall naturrechtlich nur die eine Forderung gebe, bei der notwendigen Heilbehandlung der lebensgefahrlich erkrankten Mutter eine Gefahrdung des Kindes nicht ohne entsprechend wichtigen Grund zuzulassen. Eine (erlaubte) indirekte Tötung kann auch dann noch vorliegen, wenn der Tod des Kindes als Folge des Eingriffs sicher vorausgesehen wird, so z.B. bei der operativen Entfernung einer vom Krebs befallenen Gebärmutter. 117 Die Problematik der für die katholische Morallehre entscheidenden Differenzierung zwischen direkter und indirekter Tötung ungeborenen Lebens wird deutlich aus einem von Häringn8 wiedergegebenen Bericht eines Arztes, der bei einer Frau im vierten Schwangerschaftsmonat einen „stiel-

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Hörmann in Hörmann Sp. 716, 1534; vgl. auch Mausbach/Ermecke III S. 272, der im Bereich der vitalen Indikation „Fälle guten Glaubens bei Ärzten und Kranken" für möglich hält, „in denen der Seelsorger sich am besten passiv verhält". Vgl. o b e n S . 26 f. Bei Utz/Groner Rn. 1118. S. 123 f. Vgl. Häring III S. 226. Häring III S. 226, zusammengefaßt zit. nach Schüller S. 355 f.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

gedrehten Adnextumor" operieren mußte. Wegen eintretender Komplikationen fand sich der Arzt schließlich vor folgender Alternative: entweder Entfernung der Gebärmutter samt Foetus, oder Entfernung des Foetus bei Erhaltung der Gebärmutter. Er entschied sich für das zweite Vorgehen. Auf diese Weise blieb die Frau, die noch keine Kinder hatte, empfangnis- und gebärfähig. Später mußte sich der Arzt, wie er selbst berichtet, von einem Moraltheologen sagen lassen, daß er zwar im guten Glauben, objektiv aber falsch gehandelt habe. Er „hätte die blutende Gebärmutter mit der Schwangerschaft entfernen dürfen, nicht aber die Schwangerschaft unterbrechen und die Gebärmutter erhalten. Das eine sei eben eine verbotene Schwangerschaftsunterbrechung zur Rettung der Mutter, das andere dagegen eine erlaubte prima intentio, wie etwa beim Carcinom des schwangeren Uterus. Die Rücksicht auf die Erhaltung der Gebärfahigkeit der Mutter und damit unter Umständen auch die Rettung der Ehe spiele dabei keine entscheidende Rolle". Schüller119 folgert u.a. daraus, daß die deontologische Normierung des (direkten) Tötens Situationen mit sich bringt, in denen aus dem pflichtgemäßen Handeln mehr Übel folgen als aus dem pflichtwidrigen. Damit seien deontologische Normen allerdings nicht widerlegt, denn ein ,Deontologe' könne schlagend antworten, „der sittliche Wert der pflichtgemäßen Handlung sei in jedem Fall unbedingt höher zu veranschlagen als alle nicht-sittlichen Übel, die sich aus der pflichtgemäßen Handlung ergeben". e) Alle an einer vollendeten Abtreibung, also an direkter Tötung eines ungeborenen Kindes, unmittelbar Beteiligten 120 , unterliegen 119 120

S. 356. Zum Personenkreis näher Flatten Sp. 5457: „Unmittelbar verfallen dieser Exkommunikation die Mutter, auf deren Drängen der Eingriff vorgenommen wird, sowie der Arzt, der die Abtreibung ausführt. Darüber hinaus werden aber auch die Mittäter von der Exkommunikation getroffen, und zwar nach folgender Abgrenzung: wenn ohne ihre Beihilfe die Straftat nicht begangen worden wäre (c. 1329 § 2). Dazu gehören etwa: der Kindesvater oder andere Angehörige, unter deren Druck die Mutter erst zur Abtreibung veranlaßt wurde; die unmittelbar bei der Operation assistierenden Arzte und Krankenschwestern, ohne deren Mithilfe die Abtreibung nicht hätte durchgeführt werden können; unter Umständen auch eine Beraterin, die eine ratsuchende Mutter zur Abtreibung bewogen hat".

II. Darstellung der katholischen Morallehre zur Abtreibung

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nach c. 1398 CIC der Tatstrafe der Exkommunikation, d.h. sie sind mit Vollendung der Tat per se exkommuniziert. 121 Fehlt es jedoch, z.B. bei vitaler Indikation, an dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, so tritt die Tatstrafe des Kirchenbannes nicht ein.122 Im neuen CIC gibt es den Selbsteintritt der Exkommunikation nur noch für insgesamt 7 Tatbestände. Nicht darunter fällt im Gegensatz zur Abtreibung der Mord an geborenen Menschen. Für erstere kommt darin die hier auch plakative Funktion der härtesten Kirchenstrafe zum Ausdruck, die einen Kontrapunkt zur weitgehenden Liberalisierung des weltlichen Abtreibungsstrafrechts darstellen soll.123 5. Forderungen an die staatliche Strafgesetzgebung Auf einen Nenner gebracht kann man sagen, daß die katholische Morallehre einen Unterschied zwischen sittlicher Ordnung oder Moral und (Straf) recht zwar anerkennt, aber gleichzeitig ausschließt, daß daraus Gegensätze werden. Das wird aus folgenden Worten der deutschen Bischöfe124 deutlich: „Selbstverständlich kann nicht alles, was sittlich verboten ist, strafrechtlich geschützt werden. Das entbindet aber den Staat nicht von der Pflicht, seine Gesetze im Maße des Möglichen nach der sittlichen Ordnung auszurichten; auf keinen Fall dürfen sie dieser fundamental widersprechen".

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Flatten Sp. 5456ff.; Strigl S. 943; der von Strigl (dort Fn. 11) befürworteten restriktiven Auslegung des c. 1398, wonach die Tötung des Kindes im Mutterschoß von der Strafe ausgenommen sein soll, kann wohl nach Sinn und Zweck der Strafdrohung nicht zugestimmt werden, so auch Mörsdorfs. 451; nach c. 1041 n. 4 CIC stellt die Abtreibung auch ein dauerndes Weihehindernis dar; zu den Folgen der Exkommunikation vgl. c. 1331 CIC. Dazu Mörsdorfs. 452. Vgl. auch Flatten Sp. 5457 („um dem weltweiten Anwachsen der Abtreibung nicht mit einer milderen kirchlichen Strafe auch nur scheinbar Vorschub zu leisten") und aaO („nicht zuletzt deshalb, weil sonst die hohe Dunkelziffer bei Abtreibungen gar nicht erfaßt würde"). Pastorales Wort zur Novellierung des § 218 v. 7. 5. 1976 in Gorschenek S. 260; vgl. auch Erklärung v. 26. 1. 1976 zum Schutz des ungeborenen Lebens in Gorschenek S. 254.

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2. Kapitel: Naturrechtliche, moraltheologische Aspekte

Auch die Glaubenskongregation125 spricht von einem möglichen Verzicht des Gesetzes auf Bestrafung - wobei hier vor allem an Fälle einer strengen medizinischen Indikation zu denken ist 126 - , betont aber, daß ein Widerspruch zum Naturrecht immer ausgeschlossen sein muß, weil ein solcher bewirken würde, „daß ein Gesetz kein Gesetz mehr ist". Daraus ist entgegen Böckle127 zu folgern, daß die (strafrechtliche Rechtfertigung einer direkten Tötung durch Anerkennung eines Rechtfertigungsgrundes stets der Intention und darüber hinaus dem Wortlaut des Dokumentes der Glaubenskongregation zuwiderläuft. 128 Das ergibt sich insbesondere aus der Aberkennung des Notwehr- bzw. Nothilferechtes zugunsten des Kindes, die eine Rechtfertigungslösung impliziert. Weil das jedem Unschuldigen zustehende Notwehrrecht im Naturrecht gründet 129 , liegt in seinem Entzug offensichtlich ein fundamentaler Widerspruch zum Naturrecht. Die konsequente Umsetzung der katholischen Morallehre ergibt demnach für die Frage der (strafrechtlichen Rechtfertigung, daß jede direkte Tötung ungeborenen Lebens rechtswidrig, seine indirekte Tötung dagegen bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen rechtmäßig ist. 130 Zur näheren Auseinandersetzung mit diesem Begründungsansatz muß hier auf die Ausführungen im strafrechtlichen Teil der Arbeit 131 verwiesen werden. 125 126 127

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Nr. 21 in NkD S. 53, 55. Vgl. z.B. die Erklärung der dt. Bischöfen. 26. 1. 1976 in Gorschenek S. 253f. In N k D S. 18 f.; auch den von Gropp S. 156 f. zitierten Äußerungen der dt. Bischöfe (bei Gorschenek S. 266, 269f.), die von der Achtung vor einer sorgfaltigen Gewissensentscheidung hinsichtlich der Frage ,ein oder zwei Leben' sprechen, ist entgegen dessen Ansicht nicht zwingend die Billigung einer Rechtfertigungslösung zu entnehmen. Schon in Anbetracht der immer wieder betonten Kontinuität der kirchlichen Lehre ist eher daran zu denken, daß in derartigen Situationen ein Ansteigen der Fälle von Gehorsam (s. dazu oben S. 39 bei Fn. 113.) gegenüber einem unüberwindlich irrenden Gewissen für wahrscheinlich und verständlich gehalten wird. Vgl. zur Ablehnung einer Rechtfertigung auch Hirschmann S. 80; Häring III S. 223. Vgl. oben S. 27. Vgl. auch Peters in Baumeister/Smets S. 54 und Hürth St. d. Zeit 1929, 38 f., der die indirekte Tötung sogar aus dem Tatbestand herausnehmen will. Vgl. unten S. 136 ff.

III. Zusammenfassung

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III. Zusammenfassung Die katholische Morallehre ist für die dogmatische Ausgangsfrage nach der Haltbarkeit der Rechtfertigungsthese nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil ihre moraltheologische Argumentation stark naturrechtlich geprägt ist. Die kirchliche Lehre wendet das geoffenbarte und gleichzeitig als naturrechtlich erkannte allgemeine Verbot der Tötung Unschuldiger voll auf das ungeborene Leben an. Dieses steht von seinem Anfang, also der Befruchtung, an gleichwertig neben dem geborenen Menschen. Als konstitutionell' Unschuldiger ist das Ungeborene jedem direkten Angriff auf sein Leben entzogen. Eine Indikation bzw. Konfliktsituation, in der diese Norm keine absolute Gültigkeit mehr besäße, gibt es nicht. Auch der daraus möglicherweise resultierende Tod der Mutter, oder gar von Mutter und Kind, läßt keine andere (objektive) Beurteilung zu. Gegenüber dem absoluten sittlichen Unwert des absichtlichen Tötens ist das natürliche Sterben ein geringeres, da nichtsittliches, Übel. Die in Ausnahmefallen zulässige indirekte Tötung des ungeborenen Kindes bei schwangerschaftsunabhängiger Lebensgefahr für die Mutter beruht auf der Überlegung, daß Handlungen mit zweierlei Wirkung dann vorgenommen werden dürfen, wenn die gute Wirkung angestrebt, die schlechte hingegen nur zugelassen wird. Als Antwort der katholischen Morallehre auf die (strafrechtliche Ausgangsfrage ergibt sich somit die Rechtswidrigkeit aller indizierten Abtreibungen mit Ausnahme derjenigen Fälle vitaler Indikation, in denen die Gefahr für das Leben der Mutter eine außerhalb der Schwangerschaft liegende Ursache hat.

3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte I. Besondere Relevanz des Verfassungsrechts für die Ausgangsfrage 1. Gesamtrechtsordnung als Maßstab Die Frage nach der rechtlichen Bewertung einer Handlung oder Tat, die der einzelne oft ganz unbefangen an die Rechtsordnung stellt, muß diese, wie ich meine, in der Regel eindeutig beantworten, wenn sie wesentliche, ihr zugeordnete Aufgaben, wie die Garantie von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, erfüllen will. Sicher gibt es menschliche Handlungen, Verhaltensweisen und Beziehungen, deren rechtliche Bewertung uninteressant oder gar unmöglich ist. So ist beispielsweise die zwischen zwei Personen bestehende Freundschaft als solche einer rechtlichen Beurteilung entzogen. Hier könnte man auch ohne Bedenken von einem rechtsfreien Raum sprechen. Anders dagegen liegt es bei einem derart sozialerheblichen Verhalten wie der Abtreibung. Sie endet für einen der Hauptbeteiligten, nämlich das ungeborene Kind, immer tödlich. Es besteht also, je nach Haltung gegenüber ungeborenem Leben, - auch für den letztlich conträr Urteilenden - zumindest die Möglichkeit der Verletzung von hochrangigen Grundwerten im Sinne einer objektiven Wertordnung oder gar von subjektiven Grund rechten. Diese mögliche Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben, das der Ausübung sämtlicher anderer Rechte logisch vorgeschaltet ist, muß für die Feststellung genügen: Hier darf sich die Rechtsordnung nicht der Wertung enthalten!1 Dem stimmt die ganz überwiegende Meinung auch zu. Sowohl die 1

Vgl. auch die in dieser Hinsicht klare Diktion in BVerfGE 39, 1 ff. (44); s. auch Ossenbühl in Arndt, S. 251. Die Problematik des ,rechtsfreien Raumes' bei Abtrei-

I. Besondere Relevanz für die Ausgangsfrage

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Befürworter als auch die Mehrzahl 2 der Gegner der Rechtfertigungsthese bewerten ja die Abtreibung. Das eigentliche Problem, wofür das eben Gesagte nur die Voraussetzung ist, liegt im Maßstab der rechtlichen Bewertung. Konkret lautet die Frage: Kann lediglich ein Teilbereich der Rechtsordnung, hier das Strafrecht, über Recht oder Unrecht, über rechtliche Billigung oder Mißbilligung einer Tat, hier der Abtreibung, abschließend entscheiden? Würde etwa die Streichung der Tötungsdelikte aus dem StGB einen Mord oder, um ein nicht ganz so unrealistisches Beispiel zu wählen, die Aufhebung der Strafdrohung für den Diebstahl geringwertiger Sachen einen solchen Bagatelldiebstahl zu rechtmäßigen Handlungen machen? Die Fragen stellen, heißt sie verneinen 3 , wobei hier einmal von der schon in der Aufhebung der Strafsanktionen liegenden verfassungsrechtlichen Problematik abgesehen werden soll; denn hinter den Tötungsdelikten steht selbstverständlich das Lebensrecht des einzelnen, und beim Diebstahl ist die Eigentumsgarantie mitzubedenken, woraus sich ja auch der parallele zivilrechtliche Deliktsschutz von Leben und Eigentum in § 823 BGB erklärt. Das Strafrecht konstituiert nicht die Rechtsgüter, sondern setzt diese voraus, indem es deren Verletzungen ahndet. In Abwandlung eines berühmten Satzes kann man auch sagen: Nicht die Rechtsgüter sind für das Strafrecht, sondern das Strafrecht ist für die (d.h. zum Schutz der) Rechtsgüter da. Wollte man nun dem Strafrecht die alleinige Entscheidungskompetenz über Recht und Unrecht innerhalb der Rechtsordnung zubilligen, so hieße das, seine rechtsgutsbezogene dienende Funktion in eine das Rechtsgut begründende oder inhaltlich begrenzende umzuwandeln. Dadurch aber würde das aus dem Rechtsstaatsprinzip und insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Verständnis des Strafrechts als der ultima ratio 4 unserer Rechtsordnung völlig auf den Kopf gestellt.

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bungen gehört zwar nicht unmittelbar zum Thema der Arbeit, vgl. aber zur Kritik unten S. 149 f. A.A. sind nur die Befürworter des ,rechtsfreien Raumes'. Vgl. auch Geiger in Hoffacker S. 128; KüperJZ 1983, 93 u. 95; BydlinskiS. 94. BVerfGE 39, l f f . (47).

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

Das alles läßt sich besonders anschaulich am Beispiel des Strafrechts als dem ,letzten Mittel' einer Rechtsordnung darstellen. Es gilt jedoch gleichermaßen auch für alle anderen isoliert betrachteten Teilrechtsgebiete, ausgenommen lediglich die Verfassung. 5 Denn ist die Rechtsordnung als solche angesprochen - und das ist sie bei der fundamentalen Problematik von Recht und Unrecht - , kann die Antwort auch nur aus der Rechtsordnung als solcher, d. h. aus der G^Mmfrechtsordnung gegeben werden. Dieses Ergebnis hängt, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag, nicht davon ab, ob man wie die h.M. 6 einen einheitlichen Unrechts- bzw. Rechtswidrigkeitsbegriff vertritt, oder ob man unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, also auch eine spezifische Strafrechtswidrigkeit, für möglich hält. 7 Geht man von einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff in allen Teilrechtsgebieten aus, so leuchtet allerdings das eben Gesagte unmittelbar ein. Aber auch die Vertreter der Gegenmeinung gelangen zur Entscheidung über Recht und Unrecht nur unter Berücksichtigung der Gesamtrechtsordnung. Dazu kommen sie durch eine Funktionsbegrenzung der jeweiligen (Teil) rechtswidrigkeiten. Dem „einheitlichen, allgemeinen, rechtsphilosophischen Rechtswidrigkeitsbegriff' 8 wird ein „an den besonderen Aufgaben und Rechtsfolgen der einzelnen Rechtsgebiete orientierter, funktionsbestimmter, rechtsdogmatischer Rechts Widrigkeitsbegriff' 9 gegenübergestellt. So soll nach Günther10 die Bejahung oder Verneinung der,Strafrechtswidrigkeit' nicht über Recht und Unrecht entscheiden, sondern nur das strafwürdige vom nicht strafwürdigen Unrecht trennen. Im

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Aufgrund deren Sonderfunktion in der Gesamtrechtsordnung, vgl. unten S. 47 f. tendenziell anders wohl Hesse Rn. 85: „Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen ist daher in ihrer Rückwirkung auf die Verfassungsinterpretation gesetzeskonforme Auslegung der Verfassung"; kritisch dazu jedoch Wahl S. 514; s. auch Simon EuGRZ 1974, 89. Grundlegend Engisch S. 56ff.; vgl. für die Strafrechtsliteratur z. B. Jescheck S. 262; Samson in SK Rn. 19 vor § 32. Kirchhofs. 37f.; Jakobs S. 288; speziell zur ,Strafrechtswidrigkeit' Günther S. 7 u. ff. GüntherS. 74. GüntherS. 77. S. 80 f.

I. Besondere Relevanz für die Ausgangsfrage

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Zusammenhang mit seiner exemplarischen Untersuchung der indizierten Abtreibung stellt Günther der von ihm gerade auch zu § 218a StGB vertretenen These vom iS/ra/unrechtsausschluß die (von ihm nicht beantwortete) Frage der Rechtmäßigkeit „i.S. der Gesamtrechtsordnung" gegenüber. 11 Demnach kann der Rechtswidrigkeitsbegriff an dieser Stelle12 noch offengelassen werden. Denn daß die Vertreter der herrschenden Rechtfertigungsthese - die Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist - vom einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff ausgehen, ist vorläufig sekundär. Entscheidend ist vielmehr, daß sie § 218a StGB, wie oben 13 schon festgestellt wurde, als Grenze zwischen Recht und Unrecht ansehen. Festzuhalten bleibt bis hierher, daß die Entscheidung über die rechtliche Billigung einer Abtreibung, und damit auch die Entscheidung über die Haltbarkeit der Rechtfertigungsthese, nur von der Gesamtrechtsordnung her getroffen werden kann. 2. Stellenwert der Verfassung in der Gesamtrechtsordnung Nach modernem Verfassungsverständnis hat die Verfassung in einem Rechtsstaat, in der Bundesrepublik also das Grundgesetz, eine Vielzahl von Funktionen zu erfüllen. 14 So soll sie Grundrechte garantieren, staatliche Macht begrenzen, die Staatsorganisation regeln sowie Kontinuität und Stabilität des Gemeinwesens sichern, um nur einige der an sie gestellten Erwartungen zu nennen. Die Aufgabe, ein geordnetes Zusammenleben im Staat zu gewährleisten, die Macht des Stärkeren in ihre Schranken zu weisen und damit Chaos und Anarchie zu verhindern, obliegt zwar dem Recht allgemein. Jedoch kommt der Verfassung auch in dieser Hinsicht eine ,Leitfunktion' zu. 15 Aus der Idee des Verfassungsstaates wurde im anglo-amerikanischen Rechtskreis das Prinzip der Vorrangstellung der Verfas11 12 13 14 15

S. 314fr. (319). S. aber unten S. 93 ff. Vgl. S. 11. Eingehend dazu Stern S. 82ff.; s. auch Hesse Rn. 16ff.; Maunz/^ippeiius Stern S. 82.

S. 32f.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

sung innerhalb einer Rechtsordnung entwickelt. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, daß die Verfassung nur dann lex fundamentalis, rechtliche Grundordnung des Staates, sein kann, „wenn sie als höchste Stufe des staatlichen Normensystems an der Spitze der Rechtspyramide steht". 16 Für das Grundgesetz ergibt sich die Charakterisierung als das höchstrangige positivierte Recht unseres Staates nicht allein aus dem ,Wesen' oder der ,Idee' der Verfassung. Die Normenhierarchie ist vielmehr ausdrücklich in Art. 20 III („Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung . . . gebunden") und Art. 82 I („Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustandegekommenen Gesetze") sowie speziell für die Grundrechte in Art. 1 III GG („Die nachfolgenden Grundrechte binden [die] Gesetzgebung . . . " ) vorgegeben. 17 Zudem setzen abstrakte (Art. 93 I Nr. 2) und konkrete (Art. 1001 GG) Normenkontrolle den Anspruch des Grundgesetzes, oberste Rechtsnormen zu beinhalten, logisch voraus. 18 Dieser Vorrang der Verfassung, den man mit Wahfi9 auch als „Nachrang des Gesetzes" und „Nachrang des Gesetzgebers" bezeichnen kann, hat zur Folge, daß keine im Rang unter dem Grundgesetz stehende Rechtsnorm diesem widersprechen darf. Tut sie es gleichwohl, so ist sie nichtig 20 , was verbindlich festzustellen dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist. Das heißt nun nicht, daß die Verfassung dem (einfachen) Gesetzgeber keinen Handlungsspielraum mehr ließe, daß also, anders ausgedrückt, Gesetzgebung als „bloßer Verfassungsvollzug" anzusehen wäre. 21 Das Grundgesetz ist richtigerweise als Rahmenordnung für den (einfachen) Gesetzgeber zu verstehen, innerhalb deren er einen großen GestaltungsSpielraum hat. Die entscheidende Frage, auf die jede Prüfung eines Gesetzes an der Verfas16 17 18 19 20

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Stern S. 80. Vgl. auch Stern S. 105. So auch Wahl S. 485. S. 487. Stern S. 105, 81; Wahl S. 485; zu der neuerdings vom BVerfG praktizierten , Verfassungswidrigerklärung' im Gegensatz zur Nichtigerklärung kritisch Ipsen JZ 1983, 41 ff. Stern S. 84f., 788.

I. Besondere Relevanz für die Ausgangsfrage

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sung hinausläuft, ist daher, ob es sich noch innerhalb dieses Rahmens hält oder bereits außerhalb anzusiedeln ist, d.h. der Verfassung widerspricht. Völlig gleichgültig ist es dagegen, ob etwaige Intentionen der Verfassung vom Gesetzgeber besonders oder weniger gut getroffen wurden. 22 Die Vorstellung von einem Rahmen, der nicht verlassen werden darf, ist zunächst zwangsläufig abstrakt. Auf die Abtreibungsproblematik bezogen läßt sie sich jedoch anhand des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur sogenannten Fristenlösung folgendermaßen konkretisieren: Von der Verpflichtung des Staates zum Schutz des ungeborenen Lebens ausgehend hat der Gesetzgeber einen relativ breiten Ermessensspielraum, was die Ausgestaltung dieses Schutzes betrifft.23 Er kann einerseits Abtreibung durchgängig mit Strafe bewehren 24 , wobei absolute Härtefälle mit Hilfe der Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB zu lösen wären. Andererseits kann er für besonders gelagerte Fälle außergewöhnlicher Belastung der Schwangeren die Strafdrohung von vornherein zurücknehmen 25 und das ungeborene Leben auf andere Weise schützen. Beide gesetzgeberischen Entscheidungen liegen also innerhalb des von der Verfassung vorgegebenen Rahmens. Dazwischen sind zudem noch weitere Möglichkeiten denkbar. In jedem Fall außerhalb des Rahmens liegt aber die völlige strafrechtliche Freigabe der Abtreibung während der ersten 12 Wochen seit der Empfängnis. 26 Thema dieser Arbeit und speziell dieses Kapitels ist nun, ob sich die Ausgestaltung oder besser, die Auslegung der Indikationen in § 218a StGB als Gründe, die die Abtreibung mit Wirkung für die Gesamtrechtsordnung rechtfertigen, noch im verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen bewegt. Bisher war immer nur davon die Rede, daß eine (einfach-) gesetzliche Norm der Verfassung nicht 22 23 24 25

26

Eingehend zum Ganzen WahlS. 507. BVerfGE 39, l f f . (44). Vgl. BVerfGE 39, l f f . (46). Vgl. BVerfGE 39, l f f . (48ff.); ob die heute geltende Fassung der Indikationen und vor allem deren praktische Handhabung, insbesondere die der allgemeinen Notlagenindikation, den Anforderungen des BVerfGs (aaO S. 50) gerecht wird, ist höchst zweifelhaft, gehört aber nicht zum T h e m a der Arbeit. BVerfGE 39, l f f . (5lff.).

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

widersprechen dürfe. Der hier in Frage stehende § 218a StGB ist aber seinem Wortlaut nach (,nicht strafbar') im Hinblick auf das Rechtfertigungsproblem unverfänglich. Denn Straflosigkeit läßt sich strafrechtsdogmatisch außer durch Rechtfertigung u. a. auch mittels Schuldausschließung oder Strafausschließung erreichen. Deshalb geht es hier nicht um den unmittelbaren Widerspruch einer Strafnorm zur Verfassung, was der Fall wäre, wenn in § 218a vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit die Rede wäre. Statt dessen geht es um einen mittelbaren Widerspruch, d. h. um eine mögliche verfassungswidrige Auslegung des § 218a StGB. Vermieden wird ein derartiger mittelbarer Widerspruch allgemein durch die sogenannte verfassungskonforme Auslegung. 27 Sie erspart die Nichtigerklärung des Gesetzes und ermöglicht so die Aufrechterhaltung der Norm, womit sie der Vermutung entspricht, daß ein Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist (,favor legis') . 28 Diese Interpretationsmethode ist eine Konsequenz aus der vom Grundgesetz angeordneten Normenhierarchie; was die Grundrechte betrifft, läßt sie sich direkt aus der Bindung der Rechtsprechung an dieselben (Art. 1 III GG) herleiten. 29 Sie ist ferner vom Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung her geboten. 30 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Grundgesetz insbesondere in den Grundrechten höchstrangige Normen unserer Rechtsordnung beinhaltet, denen (einfache) Gesetze weder unmittelbar noch mittelbar durch verfassungswidrige Auslegung widersprechen dürfen. Deshalb ist auch § 218a StGB hinsichtlich der Rechtfertigungsfrage, sofern möglich 31 , verfassungskonform zu interpretieren. 27 28 29 30 31

Dazu ZippeliusS. 108ff.; SimonEuGRZ 1974,85ff.;ifo.seRn. 79ff.; SternS. 135ff. mwN. BVerfGE 2, 266ff. (282) und st. Rspr.; ¿ippeliusS. llOf. S. Zippelius S. 110. £ippelius S. 109 f.; Simon EuGRZ 1974,86,91; einseitig auf den letzteren Gesichtspunkt abstellend Hesse Rn. 81. Ihre Grenze findet die verfassungskonforme Auslegung „dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesendichen Punkt verfehlt oder verfälscht oder dem Gesetz ein geradezu entgegengesetzter Sinn gegeben würde", s. Stern S. 136; s. auch Starck in v. Mangoldt/Klein Art. 1 Rn. 206f.; zu dieser Frage vgl. unten S. 139f.

I. Besondere Relevanz für die Ausgangsfrage

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3. Berücksichtigung des Verfassungsrechts bei Befürwortern der Rechtfertigung Angesichts der eben aufgezeigten vorrangigen Bedeutung des Verfassungsrechts für die Frage der Rechtfertigung fällt die geringe Beachtung desselben bei den die Rechtfertigungsthese stützenden Strafrechtsautoren auf. Für diese recht allgemein 32 zu beobachtende Tendenz zur mehr oder weniger starken Verdrängung des Verfassungsrechts mögen hier exemplarisch Gropp, Jähnke und Eser stehen. Gropp In seiner Arbeit zur Neuregelung des § 218 33 , deren wesentlicher Teil die verbrechenssystematische Einordnung des § 218a darstellt, räumt Gropp von etwa 134 Seiten dem Verfassungsrecht knappe 5 Seiten ein. 34 Dies mag man als reine Äußerlichkeit ansehen, wenngleich damit auch über die inhaltliche Gewichtung einiges ausgesagt wird. Viel wichtiger ist jedoch, daß Gropp auf die entscheidende Frage, ob nämlich die von ihm behauptete allgemeine Rechtfertigungswirkang des § 218a StGB verfassungsrechtlich haltbar ist, argumentativ überhaupt nicht eingeht. Statt dessen legt er dar, daß der Gesetzgeber nach BVerfGE 39, 1 ff. in bestimmten Situationen „abwägen und auf Kriminalstrafe verzichten kann", und betrachtet damit das eigentliche Problem als in seinem Sinne gelöst. 35 Jähnke Jähnke weist innerhalb seiner (sonst) umfangreichen Kommentierung zu den § 218 ff. unter dem Stichwort,Verfassungsfragen' auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Le-

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33 34 35

Für die Ausnahmen soll hier Lenckner Notstand (1965) S. 272 ff. stehen, der für die medizinische Indikation ausführlich die Einwände anspricht, „die eine solche Regelung v o m Verfassungsrecht her zu erwarten hat" (aaO S. 272). Trotz seiner eigenen Entscheidung für Rechtfertigung im Fall der medizinischen Indikation weist er abschließend daraufhin, daß „das letzte Wort in dieser Frage noch von verfassunsgrechtlicher Seite gesprochen werden" müsse (aaO S. 276). Der straflose Schwangerschaftsabbruch (1981). AaO S. 171-176. AaO S. 175 f.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

bens hin und stellt anschließend unter Verweis auf seine Ausführungen zur rechtlichen Struktur der Indikationen lapidar fest, daß das Grundgesetz eine umfassende Rechtfertigungslösung gestatte. 36 Schwierigkeiten hinsichtlich der rechtlichen Struktur sieht Jähnke nur für die allgemeine Notlagenindikation. 37 „Ubergreifende Rechtsprinzipien" schlössen jedoch auch da eine Rechtfertigung nicht etwa aus, „weil Leben das unvergleichliche und höchste Gut der Rechtsordnung sei". 38 Er argumentiert in diesem Zusammenhang (aaO) weiter damit, daß, biologisch betrachtet, ja auch die unbefruchtete Eizelle Leben sei, es folglich nur auf die Höhe der jeweiligen Abstraktionsebene ankomme. Dadurch aber würden die konkreten Lebenssachverhalte vernachlässigt. An dieser Stelle wäre eine Auseinandersetzung mit der durchaus konkreten Argumentation zu Art. 2 II S. 1 G G in BVerfGE 3 9 , 1 ff. (37) vonnöten gewesen, die sich an der Kontinuität der Entwicklung eines befruchteten Eies (jedenfalls) ab der Nidation orientiert. Jähnke weicht jedoch einer echten Grundrechtsdiskussion aus, indem er mit Hilfe seines ,Abstraktionsarguments' versucht, das Abstellen auf den Lebensschutz überhaupt ad absurdum zu führen. Bezeichnend ist auch seine Äußerung 3 9 , das Urteil über die Rechtmäßigkeit einer indizierten Abtreibung könne nur § 218a entnommen werden, andere Vorschriften hierüber gebe es nicht. 40 Eser 41

Auch Eser dringt trotz mehrfach formulierter Zweifel an seiner Lösung (Bedenken lassen sich „alienfalbdamit ausräumen, daß . . . " ; „steht der Annahme einer Rechtfertigung nicht unbedingt entgegen") - er konstatiert in bezug auf die soziale Indikation sogar eine „gesetzliche Umwertung von Werten" 4 2 - nicht bis zu einer offenen Auseinandersetzung mit der eigentlichen Grundrechtsproble-

36 37 38 39 40 41 42

In LK Rn. 31 vor § 218. In LK Rn. 25 vor § 218. In LK Rn. 26 vor § 218. In LK Rn. 23 a.E. vor § 218. Vgl. dazu auch Reis Lebensrecht S. 171 Fn. 773 a.E. In Schönke/Schröder § 218a Rn. 6. In Schönke/Schröder § 218a Rn. 42.

II. Grundrechtsprüfung

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matik vor. Seine eigenen Bedenken versucht Eser dadurch zu beschwichtigen, daß er auf eine in Notstandsfällen allgemein und deshalb auch bei der Abtreibung notwendige „umfassende Interessenabwägung" abstellt, die „nicht auf eine Gegenüberstellung von Leben gegen Leben verkürzt werden" dürfe. 43 Dabei läßt er unerwähnt, daß Tötungshandlungen im Notstand trotz umfassender Interessenabwägung grundsätzlich nicht gerechtfertigt sind, schon gar nicht zum Schutz wirtschaftlicher Interessen. 44 Hier und auch beim nicht näher hinterfragten Ausschluß des Nothilferechts zugunsten des Kindes 45 wird deutlich, daß Eser die verfassungsrechtliche Problematik einer dem nasciturus auferlegten Pflicht, sein Leben zu opfern, schlicht verdrängt. 46 Daß die Haltung zur Rechtfertigungsproblematik in engem Zusammenhang mit dem Eingehen auf deren verfassungsrechtliche Aspekte steht, wird beispielhaft deutlich bei Tröndlei7, der die Rechtfertigungsthese neuerdings unter grundrechtlichen Gesichtspunkten nahezu umfassend ablehnt.

II. Grundrechtsprüfung 1. Zulässigkeit einer grundrechtlichen Kontrolle der Rechtfertigungsthese Mit der verfassungsrechtlichen Problematik der Rechtfertigungslösung, von der hier schon häufig die Rede war, ist in erster Linie die Frage angesprochen, ob eine dem § 218a StGB zugesprochene rechtfertigende Wirkung gegen Grundrechte verstößt. 48 Gegen die 43 44 45 46 47

48

In Schönke/Schröder § 218a Rn. 6. Vgl. Lenckner in Schönke/Schröder § 34 Rn. 23. In Schönke/Schröder § 218 Rn. 23. Ähnlich verfährt auch Rudolphi in SK § 218a Rn. 1. In Dreher/Tröndle Rn. 9 (9 i, j) vor § 218; vgl. andeutungsweise bereits Dreher/ Tröndle 41. Aufl. Rn. 8f. vor § 218. Daß außer Grundrechtsartikeln auch noch andere Verfassungsnormen eine (mittelbare) Rolle spielen, z. B. das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 III GG, wird damit nicht übersehen.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

Erheblichkeit dieser Fragestellung überhaupt lassen sich allerdings, je nach Grundrechtsverständnis, grundsätzliche Einwände vorbringen. Wurden nämlich im vorigen Abschnitt (I) lediglich allgemeine Erwägungen zum Einfluß des Verfassungsrechts auf Gesetzgebung und Gesetzesinterpretation angestellt, so geht es an dieser Stelle nun um einen konkreten dogmatischen Ansatz zur Sicherung jenes Einflusses. Begreift man die Grundrechte im Sinne einer Staatsabwehrdoktrin als Normen, deren Geltungsbereich auf die Abwehr unmittelbarer staatlicher Eingriffe begrenzt ist (sogenannter status negativus), dann ist schlechterdings nicht einzusehen, daß bei der Beurteilung des Angriffs (Abtreibung) eines Privaten (Mutter, Arzt) gegen einen anderen Privaten (ungeborenes Kind) etwaige Grundrechte des letzteren zu berücksichtigen sind.49 Etwaige Grundrechte des Ungeborenen spielten dann nur bei staatlich angeordneten Abtreibungsaktionen (etwa zur Senkung der Geburtenzahl) eine Rolle. Ein derartiges Grundrechtsverständnis hat sich jedoch hierzulande nicht durchzusetzen vermocht. Nach der neueren 50 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Grundrechte, schon von der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee her, zwar in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Gleichzeitig bilden sie jedoch, da das Grundgesetz keine wertneutrale Ordnung sein will, auch eine objektive Wertordnung, worin eine Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte liegt.51 Dieses Wertsystem „muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse". 52 Im Fristenlösungs-Urteil 53 hat das Bundesverfassungsgericht aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Art. 2 II S. 1, 1 I GG eine umfassende Schutzpflicht des 49

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51 52 53

Allgemein, nicht auf Abtreibung bezogen, in diesem Sinne schon Lenckner Notstand S. 211, der sich in seiner grundlegenden Arbeit zum rechtfertigenden Notstand eingehend mit der verfassungsrechtlichen Problematik einer gesetzlichen Regelung des rechtfertigenden Notstands befaßt; vgl. auch HenogJK 1969, 443. In seiner ersten Entscheidung zu Art. 2 II S. 1 (E 1, 97 ff.) war das BVerfG noch von der klassischen, rein negativen Funktion des Grundrechts auf Leben ausgegangen, vgl. dazu ausführlich Steiger S. 258 ff. BVerfGE 7, 198ff. (204f.). BVerfGE 7, 198ff. (205); s. auch BVerfGE 39, lff. (41). BVerfGE 39, lff. (41 f.).

II. Grundrechtsprüfung

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Staates zugunsten des sich entwickelnden Lebens hergeleitet, die es jenem vor allem gebiete, es (das ungeborene Leben) vor Eingriffen Dritter, auch der Mutter, zu bewahren.

Für die Richtigkeit der Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung sprechen u.a. folgende Überlegungen LencknerJ54: Nach ihm läuft Art. 2 II S. 1 G G - das Recht auf Leben wird dabei nur beispielhaft herausgegriffen - praktisch weitgehend leer, wenn nicht der Staat auch den durch Dritte begangenen Mord und Totschlag verbietet. Ebensowenig nützt das Lebensrecht dem einzelnen dann, wenn der Staat das Tötungsverbot zwar erläßt, es aber dann durch beliebige Schaffung von Rechtfertigungsgründen („z. B. durch Anerkennung eines Notstandes bei der Tötung von Alten, Kranken und anderem ,lebensunwerten Leben' in Zeiten sozialer Not") wieder weitgehend aushöhlt und entwertet. In die gleiche Richtung geht die Argumentation Isensees55, wonach Freiheitsrechte, die sich im status negativus erschöpfen, nicht Grundlage einer staatlichen Ordnung, sondern lediglich Einfallstore der Anarchie sein können. „Eine grundrechtliche Freiheit, die den Schutz der öffentlichen Gewalt abwiese, fiele der privaten Gewalt anheim. Grundrechte denaturierten unter diesen Bedingungen zu Privilegien des Rechtsbrechers ". Ihre Grundlage in der Verfassung findet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Art. 11 S. 2 GG, der der staatlichen Gewalt hinsichtlich der Menschenwürde nicht nur (negative) Achtung, sondern auch (positiven) Schutz vorschreibt. Diese Verpflichtung muß konsequenterweise für alle Freiheitsrechte gelten 56 , vor allem aber für die Rechte aus Art. 2 II, die unmittelbarer

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Notstand S. 218. Sicherheit S. 32; Isensee analysiert und untermauert eingehend (aaO S. 27ff. mwN) die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (unter besonderer Berücksichtigung von BVerfGE 39, 1 ff.) zu den grundrechtlichen Schutzpflichten, dem objektivrechtlichen „status positivus des Begünstigten"; nach ihm bildet die Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten das „Grundrecht auf Sicherheit" (aaO S. 33). So auch Isensee Sicherheit S. 33.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

und als solcher jedermann einsichtiger Ausfluß der Würde des Menschen sind.57 Die Bejahung grundrechtlicher Schutzpflichten ist nicht zu verwechseln mit der äußerst umstrittenen sogenannten unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, worauf hier nicht näher eingegangen w e r d e n kann. 5 8 D e r wesentliche Unterschied besteht darin, d a ß die Schutzpflichten auslösenden Grundrechte nach wie vor allein staatsgerichtet sind, w ä h r e n d bei a n g e n o m m e n e r unmittelbarer Drittwirkung der Bürger nicht m e h r nur Träger, sondern auch Adressat der G r u n d rechte ist. 59 Auch hat der den staatlichen Schutzpflichten vor Angriffen Dritter korrespondierende begrenzte status positivus des Beschützten nichts zu tun mit der viel weitergehenden Problematik der G r u n d r e c h t e als sog. Teilhaberechte. 6 0

Entscheidend für die Zulässigkeit und Notwendigkeit, die Rechtfertigungsthese einer grundrechtlichen Prüfung zu unterziehen, ist letztlich die Austauschbarkeit der Situation des Ungeborenen, gleich ob es vom Staat oder von irgend jemandem sonst angegriffen wird. Denn durch die Schaffung von Rechtfertigungsgründen für Abtreibungen gibt der Staat (Gesetzgeber) der Mutter bzw. dem Arzt das Recht, das Kind zu töten. Diesem Recht korrespondiert auf Seiten des Kindes die Pflicht, seine Tötung zu dulden, was den Ausschluß seines Notwehrrechtes bedeutet. Hat nun aber der Staat einerseits die Macht, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer der nasciturus „rechtmäßig" getötet werden darf - was diesen dem Staat gegenüber in ähnlicher Weise ausliefert wie bei einem unmittelbar staatlichen Angriff auf sein Leben - , dann muß er (der Staat) andererseits bei der Festlegung des Tötungsrechts der gleichen grundrechtlichen Kontrolle unterliegen, der er bei einer unmittelbar staatlich angeordneten Abtrei57

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So auch Lenckner Notstand S. 219 mit Bezug auf Diirig in M a u n z / D ü r i g Art. 1 Rn. 102, der in den Art. 1 folgenden G r u n d r e c h t e n „die wichtigsten u n d vernehmlichsten Mittel zur positivrechtlichen Verwirklichung der objektiven Ausgangsnorm des Art. 1 I" sieht; vgl. auch Starck in v. Mangoldt/Klein Art. 2 Rn. 128 mit Hinweis auf BVerfGE 46, 160ff. (164). Z w a r w ü r d e auch die Bejahung einer unmittelbaren Drittwirkung den W e g zur G r u n d r e c h t s p r ü f u n g innerhalb des Rechtfertigungsproblems eröffnen, jedoch wird die unmittelbare Geltung der G r u n d r e c h t e unter Privaten wohl zu Recht überwiegend abgelehnt; vgl. zum Meinungsstand v. Münch in v. M ü n c h Rn. 28 ff. vor Art. 1 m w N . S. dazu Isensee Sicherheit S. 35 f. Vgl. hierzu v. Münch in v. M ü n c h Rn. 18 ff. v o r Art. 1 m w N .

II. Grundrechtsprüfung

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bung unterliegen würde. 61 Eine Besonderheit innerhalb der Grundrechtsprüfung ergibt sich hier allerdings daraus, daß durch die einzigartige natürliche Verbindung zwischen dem Ungeborenen und seiner Mutter auch Grundrechte der letzteren (insbesondere auch ihre Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit) in die Grundrechtsprüfung mit einbezogen werden müssen. Anzusprechen sind in der nun folgenden grundrechtlichen Kontrolle der Rechtfertigungsthese in erster Linie (mögliche) Grundrechte des Ungeborenen einschließlich deren eventuellen Einschränkungen, wie das Recht auf Leben (2), das Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung (3), aber auch das Elternrecht des Vaters (4). Für letzteren hat oben Gesagtes entsprechend zu gelten, da seine Rechte im Falle einer staatlich angeordneten Abtreibung gleichfalls zu prüfen wären. 62

2. Das Recht des Ungeborenen auf Leben aus Art. 2 II S. 1 GG Das Recht auf Leben, d.h. das Recht zu leben63, ist vom Grundgesetzgeber in Art. 2 II S. 1 GG als spezielles Freiheitsrecht ausgestaltet, weshalb in Fragen des Lebensrechts ein Rückgriff auf das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 I GG, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, weder notwendig noch möglich ist.64 Wenn nicht 61

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In Anlehnung an LencknerNotstand S. 218 f., der diesen Gedanken allgemein zu der Frage ausführt, ob sich der Gesetzgeber bei der Normierung des rechtfertigenden Notstandes mit Grundrechten der durch einen Rechtfertigungsgrund zur Duldung eines Eingriffs in ihre Rechte Verpflichteten auseinandersetzen muß. Das bedeutet auch, daß die Schutzpflicht des Staates gegenüber Angriffen Dritter in dem Maße entfällt, in dem er selbst berechtigt ist, in das Lebensrecht einzugreifen, vgl. dazu EngelhardtFamRZ 1963,3; a.A. HerzogJR1969,441 („Der Gesetzgeber entscheidet darüber, ob und welche Eingriffe in das werdende Leben rechtswidrig sein sollen"), der aber die hier aufgezeigten Zusammenhänge verkennt, wenn er staatliche Schutzpflichten im Bereich des Lebensschutzes allein mit der umstrittenen Drittwirkung der Grundrechte begründen zu können meint (aaO S. 443f.). Daß der Erzeugerwillen in der gesamten Abtreibungsregelung völlig ignoriert wird, vgl. dazu Eser in Schönke/Schröder § 218 Rn. 23, § 218a Rn. 59, hängt sicherlich nicht zuletzt auch mit der bereits oben S. 51 ff. angesprochenen weitgehenden Außerachtlassung des Verfassungsrechts zusammen. S. Steiger S. 273; v. Münch in v. Münch Art. 2 Rn. 40. Vgl. Mauni/Zippelius S. 184; Dürigin Maunz/Dürig Art. 2 II Rn. 2.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

das höchste 65 , so ist das Recht auf Leben doch die logische Voraussetzung, das Fundament (zur Ausübung) aller anderen Grundrechte. 66 Denn wer wollte irgendwelche Rechte ausüben, ohne physisch zu existieren? Geht es nun, wie hier, um die Existenzfrage als solche, dann verspricht die separate Prüfung der Menschenwürdegarantie keine zusätzlichen Erkenntnisse. So erscheint auch die Heranziehung des Art. 1 I GG in BVerfGE 39, 1 ff. eher als Unterstreichung des gewonnenen Ergebnisses, denn als eigenständige Begründung. 67 Schon deswegen erübrigen sich Ausführungen darüber, ob Art. 11 S. 2 GG nur eine objektive Verfassungsnorm oder zugleich auch ein echtes Grundrecht darstellt. 68 a) Ob auch der nasciturus unter dem Schutz des Art. 2 II S. 1 G G steht, entscheidet sich bei der Auslegung der Worte „jeder" und „Leben" in Art. 2 II. Beide Merkmale hängen eng miteinander zusammen, wobei das erstere in gewisser Weise vom letzteren abhängig ist. Daß der Lebensschutz in Art. 2 II sich ausschließlich auf menschliches Leben bezieht, ist genauso selbstverständlich wie unstreitig. 69 Seine Erstreckung auch auf das ungeborene Leben ist dagegen umstritten. Die wohl überwiegende Meinung bejaht den Grundrechtsschutz für den nasciturus. 70 An dieser Stelle erscheint es wichtig, zwei Dinge, die öfter miteinander vermengt werden, klar zu trennen. Zuerst ist zu klären, wann das menschliche Leben beginnt (aa), um dann der Frage nachgehen zu können, von welchem Zeitpunkt an dieses menschliche Leben unter dem Schutz des Art. 2 II S. 1 GG steht (bb).

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So aber mit guten Gründen KloepferS. 412; vgl. auch unten S. 72. Vgl. BVerfGE 39, 1 ff. (42); s. auch SteigerS. 273; RüfnerS. 462. Vgl. in BVerfGE 39, l f f . (41). Dazu v. Münch in v. Münch Art. 1 Rn. 27 mwN. Implizit wird dies meist gesagt bei der Einschränkung des Grundrechtsträgerkreises auf natürliche Personen, vgl. z.B. v. Münch in v. Münch Art. 2 Rn. 38; Dürig'm Maunz/Dürig Art. 2 II Rn. 4. BVerfGE 39, 1 ff.; Starck in v. Mangoldt/Klein Art. 2 Rn. 129; Düng in Maunz/ Dürig Art. 2 II Rn. 21; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 Rn. 20a, 25; Henog]R 1969, 442; v. Münch in v. Münch Art. 2 Rn. 39 m w N ; a.A. Roellecke S. 40; Wernicke in Bonner Kommentar Anm. II 2b; Hamann/Lenz Art. 2 Anm. B 8.

II. Grundrechtsprüfung

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aa) Der Beginn menschlichen Lebens ist - übrigens genau wie sein Ende, der Tod - ein rein naturwissenschaftliches, mit juristischen Mitteln nicht zu lösendes Problem.71 Angesprochen sind die Medizin, die Biologie und letztlich die Humanembryologie. Danach fallt die Entstehung eines neuen individuellen menschlichen Lebens nach im wesentlichen wohl einhelliger Meinung 72 zusammen mit der Befruchtung.73 Diese These können nach Kirchhoff ^ „keine Einschränkungen, keine Bedenken und keine Beschwichtigungen" erschüttern. Unter Befruchtung versteht man die auf das Eindringen des Spermiums in das Ei (sog. Imprägnation 75 ) folgende Verschmelzung der beiden Keimzellen (sog. Konjugation ), die sich normalerweise im äußeren ampullären Bereich des Eileiters (Tube) abspielt. 76 LangmaiP nennt zusammenfassend die drei wesentlichen Vorgänge bei der Befruchtung: die Wiederherstellung eines diploiden Chromosomensatzes, die Determination des genetischen Geschlechtes des neuen Organismus und die Induktion von Furchungsteilungen.

Gegen die z. T. 7 8 vertretene Unterscheidung zwischen dem Beginn neuen menschlichen Lebens (ab Konjugation) und dem Beginn individuellen menschlichen Lebens (ab Nidation) bringt Hofmann79 überzeugende Argumente vor. So wendet er insbesondere gegen die Behauptung, Individualität könne erst nach Ausschluß der Möglichkeit von Mehrlingsbildung vorliegen, ein, daß jeder Keim von der Befruchtung ab genetisch determiniert sei. Damit sei seine Individualität festgelegt, „unbeschadet der Möglichkeit, daß es im

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Vgl. auch Diirigm Maunz/Dürig Art. 2 II Rn. 9. S. KirchhoffS. 3; die Meinungsverschiedenheiten bezogen sich vor Einführung des § 219d StGB auch in der biologisch-medizinischen Literatur hauptsächlich auf den Beginn der .Schwangerschaft' bzw. des .Leibesfruchtcharakters' i.S.d. § 218 a. F., aufschlußreich dazu Döring DÄB1. 1971, 1890. HofmannS. 89 ff.; Kirchhofs. 3f., 9f.; DöringD'ASA. 1971, 1890; Blechschmidt S. 24; BüchnerT>Kß\. 1972, 836; Lejeune S. 108ff. S. 10. HofmannS. 13; Schmidt-Matthiesen S. 179. Hofmann S. 13; Langman S. 24; Schmidt-Matthiesen S. 179. S. 28; aaO S. 21 ff. findet sich eine gut verständliche Darstellung der Vorgänge von der Ovulation bis zur Implantation. Vgl. bei Hofmann S. 88 f. S. 89 ff.

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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Aspekte

Einzelfall zur Zwillingsbildung mit gleichfalls voll programmierten Trennungsprodukten kommt". 8 0 Dieses vollständige Vorhandensein aller für die Entwicklung des Menschen notwendigen genetischen Informationen in der befruchteten Eizelle erweist sich immer wieder als das Hauptargument für den Beginn des Menschseins mit der Konjugation. 81 Weil sich ontogenetisch nur das entwickeln könne, was im Wesen schon angelegt sei, handele es sich beim befruchteten menschlichen Ei bereits um ein Erscheinungsbild des Menschen. „Ein Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch und verhält sich schon von Anfang an als ein solcher". 82 bb) Nachdem biologisch feststeht, daß menschliches Leben mit der Befruchtung beginnt, kann nun das Rechts- bzw. Verfassungsproblem angegangen werden, ab wann dieses Leben von Art. 2 II S. 1 G G geschützt wird. Wie beim ansatzweise vergleichbaren aber dennoch nicht mit dem hier in Frage stehenden zu verwechselnden - Problem des