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German Pages 332 [324] Year 2022
Eliane Kurz Intersektionalität in feministischer Praxis
Gender Studies
Für Gitte und Alex
Eliane Kurz, geb. 1985, arbeitet in der politischen Bildung. Sie promovierte in Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihre Schwerpunkte sind Intersektionalität, feministische Theorien und Antirassismus.
Eliane Kurz
Intersektionalität in feministischer Praxis Differenzkonzepte und ihre Umsetzung in feministischen Gruppen
Dissertation am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main
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Inhalt
Danksagung .............................................................................................................9 Anmerkungen zu Schreibweisen und Begriffen ............................................................. 11 Einleitung ............................................................................................................... 13
THEORETISCHER RAHMEN 1.
Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze ................................................. 25
1.1 US-amerikanische Kontextualisierung ........................................................................ 26 1.2 Bundesdeutsche Kontextualisierung in den Neuen Frauen*bewegungen .................... 33 1.3 Einführung des Begriffs Intersektionalität durch Crenshaw ........................................ 46 2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten ................................................. 51
2.1 2.2 2.3 2.4
Frage der Kategorien ................................................................................................... 52 Relationalität der Kategorien ....................................................................................... 60 Kritische Interventionen .............................................................................................. 66 Intersektionalität als theoretisches Konzept und heuristisches Werkzeug ................. 73
3. Intersektionalität und Feministische Praxen ......................................................... 75
3.1 3.2 3.3 3.4
Debatten um ein kollektives Wir .................................................................................. 75 Empowerment ............................................................................................................. 84 Forschungen zu Intersektionalität in feministischen Praxen .......................................91 Zentrale Fragestellung ................................................................................................. 99
METHODE 4. Gruppendiskussionsverfahren ........................................................................... 105
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Leitfadenentwicklung ................................................................................................. 106 Auswahlkriterien der Gruppen .................................................................................... 109 Feldzugang ..................................................................................................................112 Feldkontakt ................................................................................................................. 117 Exkurs Expertinneninterview ...................................................................................... 120
5. Dokumentarische Methode ................................................................................ 123
5.1 5.2 5.3 5.4
Fokus vom ›Was‹ zum ›Wie‹ ...................................................................................... 123 Analyseschritte .......................................................................................................... 127 Komparative Analyse .................................................................................................. 136 Kritische Überlegungen aus intersektionaler Perspektive .......................................... 139
6. Reflexion der Forschungsposition ...................................................................... 141
6.1 Einfluss sozialer Positionierungen ............................................................................. 142 6.2 Zwischen Wissenschaft und Aktivismus ..................................................................... 148
EMPIRIE 7. Zwischen Theorie und Praxis ............................................................................. 157
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Additive Konzeptualisierung – Gruppe Passung .......................................................... 159 Intersektionale Konzeptualisierung (interkategorial) – Gruppe Anspruch ................... 179 Intersektionale Konzeptualisierung (intrakategorial) – Gruppe Prozess .................... 200 Ein Kollektiv der Vielfalt – Gruppe Ambivalenz ............................................................ 221 Simultane Kollektivzugehörigkeiten – Gruppe Erweiterung ........................................ 240
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive ................................................. 263
8.1 Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ als Empowerment? ................................................ 263 8.2 Die Verwendung des Begriffs ›Kampf‹ als Empowerment? ....................................... 272
FAZIT UND AUSBLICK 9. Diskussion der Ergebnisse ............................................................................... 287
9.1 Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen .......................................... 287 9.2 (Un-)Möglichkeiten der Umsetzung der Konzeptualisierungen .................................. 289 9.3 Empowerment ............................................................................................................ 291
10. Grenzen der Analyse ........................................................................................ 293 11. Fazit .............................................................................................................. 297 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 299 Anhang ................................................................................................................ 323
Vorlage der thematischen Verläufe .................................................................................. 323 Richtlinien der Transkription nach TiQ ............................................................................. 324 Vorlage E-Mail Anfrage an potentielle Teilnehmer*innen ................................................. 326 Vorlage Einwilligungserklärung ........................................................................................ 326 Vorlage des Protokollbogens ............................................................................................ 327 Glossar ............................................................................................................................. 328
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich allen Menschen danken, ohne die diese Dissertation nicht möglich gewesen wäre. Besonders danken möchte ich Helma Lutz und Encarnación Gutiérrez Rodríguez für die wissenschaftliche Betreuung der Arbeit. Mein Dank geht dabei auch über die wissenschaftliche Betreuung hinaus, schließlich baut meine Dissertation auch auf ihren jahrzehntelangen Arbeiten zu Intersektionalität und anti-rassistischem Feminismus auf. Schließlich sind es auch alle Teilnehmer*innen der Kolloquien von Helma Lutz und Encarnación Gutiérrez Rodríguez, die mich auf besondere Weise bei der Durchführung der gesamten Arbeit unterstützt haben. Außerdem möchte ich mich bei allen Teilnehmer*innen der Doc AG Dokumentarische Methode bedanken, für ihre Anregungen und Begleitung des gesamten Analyseprozesses. Nicht zuletzt möchte ich mich bei allen Teilnehmerinnen der Erhebung bedanken, die mir ihre Zeit und ihr Vertrauen entgegengebracht haben und an deren Wissen und Erfahrungen ich teilhaben durfte. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Für die finanzielle Unterstützung möchte ich der Hans-Böckler-Stiftung danken. Meinen vielen lieben Freund*innen, die nicht namentlich genannt werden wollen, möchte ich für ihre Ermutigungen und Zusprüche danken und nicht zuletzt dafür, dass sie Korrektur gelesen haben und so dazu beigetragen haben, dass meine Unfähigkeit der Kommasetzung nicht so offensichtlich ist. Zuletzt möchte ich meinem Lieblingsmenschen Arfate danken, für die unermüdliche Stärkung und Unterstützung, insbesondere in den vielen Tagen der Selbstzweifel.
Anmerkungen zu Schreibweisen und Begriffen 1 Behinderung Um die soziale Konstruktion von Behinderung und Prozesse, die Personen behindert machen zu betonen werden die Begriffe Behinderung und behindert kursiv gesetzt.
Gendersternchen* In der vorliegenden Arbeit wird anhand des Asterisks * gegendert, um die vielfältigen Möglichkeiten der Identitäten und Selbstpositionierungen jenseits von Zweigeschlechtlichkeit mitzudenken. Wenn Gruppen benannt werden, die alle Genderzugehörigkeiten umfassen, wird der Asterisks in die Mitte gesetzt (Aktivist*innen). Beziehe ich mich auf Personengruppen, die weiblich gelesen werden, wird der Asterisks ans Ende gesetzt (Aktivistinnen*). Mit der Verwendung des Asterisks hinter dem Begriff Frau* wird hervorgehoben, dass damit vielfältige Identitäten und Positionierungen verbunden sind, insbesondere auch Transfrauen*.
Black, Indigenous, and People of Color (BIPoC) Schwarz, Indigen und People of Color sind alles politische Selbstbezeichnungen von Menschen, die vielfältige Rassismuserfahrungen machen und aus deren Widerstandskämpfen enstanden sind. Teilweise auch als Black and People of Color (BPoC), oder People of Color (PoC) verwendet. Eine wörtliche deutsche Übersetzung von of Color ist als rassistische Fremdzuschreibung einzuordnen. Denn es bezieht sich nicht auf (Haut)Farbe, sondern auf kollektive Erfahrungen
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Hier werden sehr häufig verwendete Begriffe und ihre Schreibweisen erläutert ein ausführlicheres Glossar befindet sich im Anhang.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
aufgrund rassistischer Strukturen. Folglich werden diese Begriffe und ihre Abkürzungen unübersetzt im deutschsprachigen Raum verwendet.
Women* of Color (WoC) Die Begriffe Women* oder Frauen* of Color sind daran anschließend politische Selbstbezeichnungen, die sich auf Frauen* beziehen die strukturelle Rassismen erfahren.
race Es wird der englische Begriff race benutzt, da die deutsche Übersetzung untrennbar mit der vernichtenden rassistischen Politik der Nationalsozialisten verbunden ist. Dabei gilt es hervorzuheben, dass der Begriff ein politischer ist und nicht auf biologistische Argumentationen rekurriert. Um dies herauszustellen wird der Begriff kursiv gesetzt.
Schwarz Schwarz wird groß geschrieben, um den politischen und widerständigen Charakter des Begriffs zu betonen.
weiß Im Gegensatz zu Schwarz wird weiß klein geschrieben, da diesem Begriff kein Widerstandspotential inbegriffen ist. Die Kursivsetzung verweist zusätzlich auf die soziale Konstruktion dieser Markierung.
Einleitung
»Das Reden im Namen ›der Frau‹ beinhaltet eine Homogenisierung der Darstellung von Frauen. Die Verquickung der Verhältnisse, in denen Frauen leben, kann nicht über eine universelle Kategorie Frau repräsentiert werden, da Momente wie Hautfarbe, sozialer Status, körperliche Stigmatisierung und Diskriminierung von Behinderung und lesbischem Begehren Frauen in unterschiedliche Positionen setzt.« (Gutiérrez Rodríguez 1996: 166) Dieses Zitat von Encarnación Gutiérrez Rodríguez begleitet mich seit Jahren in meinen Auseinandersetzungen mit Differenzen zwischen Frauen*. Es verdeutlicht eindrücklich, dass nicht von geteilten (Diskriminierungs-)Erfahrungen von Frauen* gesprochen werden kann, da Frauen* aufgrund der Verschränkung multipler Unterdrückungsverhältnisse verschiedenste soziale Positionen innehaben. Ich begegnete diesem Zitat zum ersten Mal, als ich mich intensiver mit der Kritik von marginalisierten Frauen* im Kontext der Frauen*bewegungen1 ab den 1960ern beschäftigte. Anlass dafür war meine Untersuchung der Darstellung von muslimisch markierten Frauen* in der Zeitschrift
1
Um die Pluralität und Differenzen innerhalb der Frauen*bewegungen zu betonen sprechen einige Autorinnen* von Feminismen und Bewegungen (vgl. Franke et al. 2014: 19; Gümüşay, Shehadeh 2014: 151; Hess, Marx Ferree 1994: viii; Knapp 2014: 12; Lenz 2008a; Roth 2004:1, Springer 2005: 171). Auf Grund dessen werde ich im Laufe der Arbeit je nach Kontext deutlich machen, von welcher Frauen*bewegung bzw. Feminismus die Rede ist bzw. ansonsten von Feminismen oder Frauen*bewegungen im Plural sprechen. Die reine Pluralisierung darf aber nicht bestehende Dominanzverhältnisse zwischen verschiedenen Ansätzen verschleiern, wie GudrunAxeli Knapp richtigerweise zu bedenken gibt, ebenso wie damit nicht die übergreifenden Gemeinsamkeiten der Kritik an Machtverhältnissen der Geschlechter verdeckt werden sollte (Knapp 2014: 13).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
EMMA2. Diese Auseinandersetzungen eröffneten mir einen Einblick in die Exklusionsprozesse in feministischen Bewegungen, die auch heute noch aktuell sind. Wie aktuell sie sind und welche Problematiken damit einhergehen, wenn Differenzen zwischen Frauen* und damit verschiedenste Unterdrückungsverhältnisse ignoriert werden, wurde mir während eines Vortrags 2018 in einer Frauen*bibliothek nochmals sehr eindrücklich und vehement vor Augen geführt. Thema meines Vortrags waren die Ergebnisse meiner Untersuchung der Darstellung von muslimisch markierten Frauen* in der EMMA. Ich legte dar, wie EMMA-Artikel durch Verallgemeinerungen, Generalisierungen und die ausschließliche Fokussierung auf ein einziges Befreiungs- bzw. Emanzipationsmodell, das u.a. das Tragen eines Kopftuchs generell ablehnt, antimuslimische und rassistische Konsequenzen mit sich bringt. Am Ende kritisierte ich dabei auch die EMMA-Berichterstattung zu den Übergriffen in der ›Kölner Silvesternacht 2105/16‹, in denen konkrete Forderungen nach Abschiebungen getätigt und rassistisch markierte 3 Männer per se als Täter dargestellt wurden.4 Im Anschluss meines Vortrags wurde ich von den anwesenden (größtenteils weißen) Frauen* mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Unter anderem
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Die Zeitschrift EMMA wurde 1977, im Kontext der Frauen*bewegungen der 1970er, von Alice Schwarzer gegründet, die bis heute ihre Chefredakteurin ist (Kühte 2005: 119ff). Das Verhältnis zu den Frauen*bewegungen war dabei von Anfang an ambivalent und Alice Schwarzer schrieb 2007, dass »EMMA von Anfang an kein Blatt ›der Frauenbewegung‹, sondern von Journalistinnen war, die die Inhalte persönlich verantworteten und auch nicht jede feministische Mode mitmachten« (Schwarzer 2007: 13).
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»Rassistisch markiert« ist ein Begriff, der von Maureen Maisha Eggers verwendet wird und gewaltsame Zuschreibungen offenlegen soll (Eggers 2007: 244).
4
Wie Sabine Hark und Paula-Irene Villa hervorheben ist das Stichwort ›Kölner Silvesternacht‹ bzw. ›Köln‹ zu einer »Signatur« geworden: »Ein Ereignis, von dem alle zu wissen meinen, was dort passiert ist.« (Hark, Villa 2017: 9). Auch wenn, oder gerade, weil, nicht klar ist, was eigentlich genau in jener Nacht geschah, steht der Begriff für sexualisierte Übergriffe ausgehend von nicht-deutschen Männern. ›Köln‹ ist damit Ausdruck der »ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart.« (ebd.: 10). Hark und Villa untersuchten auch Artikel von Alice Schwarzer u.a. in der EMMA über ›Köln‹. Sie zeigen dabei auf, wie Schwarzer sich zentral rassistischer und anti-muslimischer Bilder bedient. Auf diese detaillierte Analyse sei hier verwiesen (vgl. Hark, Villa 2017).
Einleitung
führten sie an, dass ich sexualisierte Gewalt nicht ernst nehmen und behaupten würde, dass das Tragen eines Kopftuchs ein Zeichen der Befreiung wäre.5 Wie sehr diese Aussagen mit der Frage nach Differenzen zwischen Frauen* verbunden war, macht einer der Vorwürfe in dieser Diskussion sehr deutlich: Ich wurde beschuldigt, ich würde die Leistungen der EMMA und insbesondere Alice Schwarzer für die Rechte der Frauen* in Deutschland nicht würdigen. Welche Rechte und welche Frauen* sind aber damit gemeint? Und welche Frauen* repräsentieren eigentlich dieses Kollektiv ›Frauen*‹ auf welches sich dabei bezogen wird: Ist es die geflüchtete Frau*, deren Selbstbestimmung durch eine Zwangsunterbringung in einer Flüchtlingsunterkunft verletzt wird und die aufgrund sich stetig verschärfender Gesetze von Abschiebung bedroht ist? Ist es die alleinerziehende Mutter*, die vom Jobcenter genötigt wird einen Nachtjob in einem Casino anzunehmen, weil ihr sonst die Leistungsbezüge gekürzt werden? Ist es die Arbeitsmigrantin*, die in einem Privathaushalt Angehörige pflegt? Ist es die Transfrau*, die für die Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität kämpfen muss? Hinter solch einer Äußerung steht letztlich die Annahme, (alle) Frauen* hätten dieselben Interessen und Möglichkeiten, dieselben Erfahrungen und dieselben Rechte als Frauen*. Dass die Verhältnisse zwischen Frauen* durchaus durch Machtbeziehungen gekennzeichnet sind und sich aufgrund der unterschiedlichen Positioniertheit von weißen, Schwarzen, behinderten und lesbischen Frauen* vielfältige Diskriminierungs- bzw. Privilegierungslagen ergeben, wird in der Anrufung ›der Frau‹ nicht berücksichtigt. Das verwundert vor dem Hintergrund der mittlerweile Jahrzehnte währenden Kritik u.a. von Seiten rassistisch markierter und Frauen* mit Behinderungen, die insbesondere im Kontext der Frauen*bewegungen seit den 1960ern die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen Frauen* immer wieder betonten. In diesem Kontext wurden die Unzulänglichkeiten und Ausschlüsse, die mit der Annahme geteilter Erfahrungen von Frauen* allein aufgrund ihrer Position im Geschlechterverhältnis einhergehen, aufgezeigt (vgl. Aktaş et al. 1993; Anzaldúa 1990; Anzaldúa, Moraga 1983a [1981]; Boll et al. 2002 [1985]; hooks 2015 [1981]; Gelbin et al. 1999a; Gutiérrez Rodríguez 1996). Dabei wurden Herangehensweisen entwickelt, die die Grundlage für die heutigen In-
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In meinem Vortrag habe ich auf verschiedenste Gründe für das Tragen von Kopftüchern bzw. hijabs hingewiesen, auch, dass es für manche Frauen* ein Zeichen des Empowerments sein kann.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
tersektionalitätsansätze darstellen (vgl. Ayim/Opitz et al. (2006) [1986]; Beale 1995 [1970]; Combahee River Collective 1983 [1977]; FeMigra 1995; Gümen 1999; King 1995 [1988]). Der Begriff Intersektionalität selbst wurde 1989 von Kimberlé Crenshaw in ihrem Aufsatz Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory, and Antiracist Politics eingeführt. In den Frauen*- und Geschlechterforschungen ist Intersektionalität heute zu einem neuen Paradigma geworden und soll den Differenzen zwischen Frauen* sowie den Wechselwirkungen verschiedener Unterdrückungsmechanismen Rechnung tragen (Lutz et al. 2010a: 9ff; Walgenbach 2012). Dies anzuerkennen ist wichtig und notwendig, wie das obige Beispiel zeigt. Gleichzeitig stellt sich auch die Frage, wie diese Anerkennung von Differenzen zwischen Frauen* in feministischen Praxen konkret aussehen kann: Wie können feministische Bewegungen, Kämpfe oder Aktivitäten aussehen und gestaltet werden, damit einerseits die Differenzen zwischen Frauen* anerkannt und einen zentralen Ausgangspunkt darstellen und gleichzeitig solidarisch über Differenzen hinweg zusammengearbeitet wird? Dass der Feminismus bzw. die Feminismen dadurch eben nicht ihres »kritischen Potentials« beraubt werden, im Gegenteil, resultiert aus dem Umstand, dass der Gefahr, dass Feminismus »zum Zwecke der Aufhebung eines gesellschaftlichen Machtverhältnisses ein anderes bestätigt und damit stärkt« (Shooman 2015: 57) mit einer reflexiven und solidarischen Praxis entgegengewirkt werden kann. All diese Fragen und Überlegungen spiegeln den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit wider und sind letztlich auch Ausdruck meiner eigenen Suchbewegungen nach inklusiven feministischen Praxen. Denn eine theoretische Anerkennung der Differenzen zwischen Frauen* ist leichter, als dies in die Praxis umzusetzen. Das obige Beispiel zeigt, wie sehr die Frage nach dem Umgang mit Differenzen zwischen Frauen* in feministischen Praxen weiterhin spannungsgeladen ist und weiterer Auseinandersetzungen bedarf. Dies möchte ich in der vorliegenden Arbeit vornehmen. Dabei spielen zwei Fragen eine zentrale Rolle: Zum einen, wie werden Differenzen zwischen Frauen* bei feministischen und Frauen*rechtsgruppen konzeptualisiert? Welche Herangehensweisen wurden in feministischen und Frauen*rechtsgruppen entwickelt, um mit Differenzen zwischen Frauen* umzugehen? Sind solche Praxen als intersektional zu bezeichnen oder gibt es ganz andere Konzepte und Herangehensweisen, sich diesem Themenkomplex zu nähern?
Einleitung
Zum anderen stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Konzeptualisierungen mit ihren feministischen Handlungspraxen steht? Diesen Fragen gehe ich anhand von neun 6 Gruppendiskussionen mit verschiedenen feministischen und Frauen*rechtsgruppen7 in Deutschland nach. Das Ziel dabei ist eine stärkere Verknüpfung von feministischer Theorie und Praxis im Zusammenhang der Intersektionalitätsdebatten.
Aufbau der Arbeit Der theoretischen Rahmen der Arbeit gliedert sich in die drei Teile 1. Kontextualisierung der Entwicklung von Intersektionalität, 2. Intersektionalität in aktuellen wissenschaftlichen Debatten sowie 3. Intersektionalität und feministische Praxen. Die Kontextualisierung der Entwicklung von Intersektionalität lässt sich im Black und Chicana Feminism sowie der Kritik von marginalisierten Frauen* 8 im Zusammenhang mit den Neuen Frauen*bewegungen 9 in der Bundesrepublik verorten (Chebout 2012: 55ff; Gutiérrez Rodríguez 2011: 77ff; Roig 2018; Roth 2044: 11ff). Die Darstellung der Entstehungskontexte von Intersektionalität dient in der vorliegenden Arbeit zum einen der Historisierung des Konzepts und der An-
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All diese Gruppen sind basisdemokratische, politisch ausgerichtete feministische oder Frauen*rechtsgruppen. Des Weiteren umfassen die Gruppen eine Bandbreite an unterschiedlichen Ausrichtungen und Dimensionen hinsichtlich folgender Differenzlinien: Alter, Migrationserfahrungen, Rassismuserfahrungen, Ost-/Westdeutschland, Religion, Behinderung, Stadt/Land.
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Da Feminismus auch als weißes und westliches Konzept verstanden wird und sich etliche Gruppen, die sich für die Rechte von Frauen* einsetzen, nicht als feministisch bezeichnen, ist die Selbstbezeichnung feministisch nicht Ausschlusskriterium für meine Auswahl der Gruppen.
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Hiermit beziehe ich mich vor allem auf afro-deutsche und Schwarze Frauen*, Migrant*innen, Frauen* of Color, jüdische und muslimische Frauen* sowie Frauen* mit Behinderung, wobei es natürlich auch Schnittmengen dieser gibt, wie z.B. Schwarze Jüdinnen*.
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Mit Neue Frauen*bewegungen beziehe ich mich hier, in Anlehnung an Ilse Lenz, auf die vielfältigen Frauen*bewegungen ab Ende der 1960er bis Anfang des 21. Jahrhunderts in der BRD (Lenz 2008a). Das ›Neue‹ soll dabei, wie Katharina Karcher erläutert, zum einen betonten, »dass die Bewegung neue politische Zielsetzungen und neue Organisationsstrukturen entwickelte« und außerdem verdeutlichen »dass diese Bewegung vom theoretischen Rahmen, dem politischen Geist und den Protestaktionen der Neuen Linken inspiriert wurde.« (Karcher 2018: 22)
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Intersektionalität in feministischer Praxis
erkennung der Leistungen gerade von Women* of Color bei der Entwicklung intersektionaler Perspektiven, vor allem aber wurden in diesen Kontexten die Kritikpunkte entwickelt, die aufzeigen, wieso eine intersektionale Perspektive notwendig ist. Eine Auseinandersetzung mit den Entstehungskontexten liefert entsprechend wichtige Anhaltspunkte für meine Analyse der Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* bei heutigen feministischen und Frauen*rechtsgruppen. Der Einbezug von Theorien, Ansätzen und Arbeiten insbesondere von Schwarzen Frauen* und Frauen* of Color aus der Position einer weißen Wissenschaftlerin birgt aber auch die Gefahr der Vereinnahmung, die kritisch reflektiert werden muss. Dieses Spannungsfeld sowie meine eigene soziale Position werden folglich im Verlauf der Arbeit immer wieder thematisiert. Im Zuge der Entwicklung zu einem buzzword (Davis) sowie als traveling theory10 hat sich Intersektionalität in den letzten Jahren stetig verändert und es sind neue Debatten entstanden, die jenseits des alleinigen Fokus auf Differenzen zwischen Frauen* und exkludierender Effekte innerhalb von Feminismen liegen (Davis 2010: 61). Die Debatten u.a. darüber, was Intersektionalität ist, wer für seine Entwicklung gewürdigt wird und wer heute Intersektionalitätsforschung betreibt, sind teilweise so heftig, dass Jennifer C. Nash sogar von »intersectionality wars« spricht (Nash 2019). Auch im bundesdeutschen Kontext wird Intersektionalität immer populärer und es ergeben sich vielfältige Debatten und Auseinandersetzungen (vgl. Chebout 2012; Gutiérrez Rodríguez 2011; Kerner 2012; Klinger, Knapp 2007; Knapp 2013; Lutz 2014; Lutz et al. 2010b; Roig 2018). So stellen sich u.a. die Fragen, nach dem Umgang mit der Kategorie race oder welche Differenzkategorien in eine intersektionale Analyse einbezogen werden sollten, sowie in welchem Verhältnis die Differenzkategorien zueinanderstehen (vgl. Degele, Winker 2009; Dietze et al.: 2007a; Lutz et al. 2010a; Lutz, Wenning 2001; McCall 2005; Schildmann, Schramme 2018). Kritische Interventionen zur bundesdeutschen Diskussion um Intersektionalität kommen von einer Seite, die gerade bei der Entstehung des Ansatzes eine wichtige Rolle gespielt haben, und zwar von Theoretiker*innen of Color. Kritikpunkte umfassen dabei insbesondere die Entkontextualisierung sowie Entpolitisierung der Intersektionalitätsansätze (vgl. Chebout 2012; Erel et al. 2007; Gutiérrez Rodriguez 2011; Roig 2018).
10 Etliche Autor*innen sprechen bei Intersektionalität in Anlehnung an Edward Saids (1983) Konzept von traveling theory (vgl. Knapp 2005: 249f.; Lutz 2014: 1f; Roig 2018).
Einleitung
In der Auseinandersetzung mit diesen Debatten wird herausgestellt, wie Intersektionalität in der vorliegenden Arbeit, in Anlehnung an Autorinnen* wie Helma Lutz, als theoretisches Konzept und heuristisches Werkzeug verwendet wird (vgl. Lutz 2014). Im Kontext feministischer Praxen ergeben sich in Bezug auf Intersektionalität spezifische Herausforderungen, denen ich mich im letzten theoretischen Kapitel der Arbeit widme. Dabei stellt sich die Frage, wie mit einem kollektiven Wir in feministischen Kontexten umgegangen wird und welche potenziellen Ein- und Ausschlüsse damit einhergehen (vgl. Davis, Lutz 2005; Grillo 1995; Knapp 2005; Yuval-Davis 1997). Im Zusammenhang von Intersektionalität und feministischen Praxen, spielt auch das Konzept Empowerment eine Rolle. Dabei wird eruiert, in welchen Kontexten Empowermentpraktiken entstanden sind und unter anderem besprochen, welche Homogenisierungen sozialer Gruppen mit einem Empowerment von Frauen* einhergehen können (vgl. Yuval-Davis 1994). Zuletzt werden Untersuchungen, mit ähnlichen Forschungsfragen besprochen. Dabei zeigt sich auch, dass insbesondere die Frage der aktuellen Umsetzungen von Intersektionalität in feministischen Praxen nur in wenigen wissenschaftlichen Forschungen fokussiert werden und wenn, dann vermehrt außerhalb des deutschsprachigen Raums (Lenz 2019: 410; Lépinard 2014: 877; Schuster 2016: 2). Die Ergebnisse dieser Arbeiten zeigen dabei auf, dass ein intersektionales Verständnis in der feministischen Praxis nur eine Konzeptualisierung unter mehreren darstellt. Zum anderen wird deutlich, dass eine Orientierung an Intersektionalität in der konkreten Umsetzung vielfältige und widersprüchliche Auswirkungen mit sich bringt: Von der Möglichkeit bis (Un)Möglichkeit von Bündnissen zwischen relativ privilegierten und marginalisierten Frauen* (vgl. Chun et al. 2013; Cole 2008; Lépinard 2014; Schuster 2016). Auf diesen Arbeiten baut die vorliegende Untersuchung auf und wendet dabei eine Erhebungs- und Analysemethode an, die die kollektiven (Aushandlungs-)Prozesse feministischer Praxen in den Fokus rückt. Die konkrete Vorgehensweise wird im methodischen Teil der Arbeit näher ausgeführt und diskutiert. Dieser umfasst zunächst das methodische Vorgehen bei der Erhebung der Gruppendiskussionen. Anschließend wird herausgestellt, wie die Dokumentarische Methode für die Herausarbeitung kollektiver Orientierungen der untersuchten Gruppen bezüglich Differenzen zwischen Frauen* angewendet wurde. Kollektive Orientierungen definieren Ralf Bohnsack et al. dabei als milieuspezifisches Orientierungswissen. Dieses habitualisierte Wissen strukturiert das Handeln von Akteur*innen »relativ unabhängig vom sub-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
jektiv gemeinten Sinn« und soll im Zuge der dokumentarischen Methode rekonstruiert werden (Bohnsack et al. 2013: 9). Bei der Besprechung des Feldzugangs reflektiere ich den Einfluss meiner eigenen sozialen Position, insbesondere als weiße Frau. Diese Auseinandersetzung mit meiner Forschungsposition wird am Ende des Methodenkapitels nochmals intensiver diskutiert und umfasst den Einfluss meiner sozialen Positionen sowie meiner Verortung zwischen Wissenschaft und Aktivismus. Die Ergebnisse der Arbeit werden in zwei Hauptteilen dargestellt. Zunächst werden exemplarisch fünf Gruppendiskussion und die darin rekonstruierten Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* detailliert beschreiben. Diese fünf Gruppen spiegeln die Bandbreite der Konzeptualisierungen in meinem Datenmaterial wider: Von additiven bis intersektionalen Konzeptualisierungen sowie solchen, die sich nicht mit diesen zwei Polen fassen lassen. Neben der Rekonstruktion dieser Konzeptualisierungen wird bei den Gruppen auch die Bandbreite der Verhältnisse zwischen Konzeptualisierung und Umsetzung besprochen. Dies ermöglicht es Passungen, Erweiterungen, Herausforderungen sowie Ambivalenzen zwischen diesen herauszuarbeiten. In einem zweiten Teil des Ergebniskapitels, steht der Themenkomplex Empowerment im Vordergrund. Aus intersektionaler Perspektive ergeben sich im Hinblick auf Empowerment anhand des Datenmaterials spezifische Fragen. Zum einen der Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen*‹ als elementarer Teil von Empowerment sowie der Frage, was als empowernd angesehen wird. In einem abschließenden Fazit und Ausblick wird die Bedeutung der Arbeit für feministische Theorien und Praxen, sowie die Grenzen der Forschung besprochen und für weitergehende Untersuchungen im Kontext von Intersektionalität und feministische Praxen plädiert.
Eine Untersuchung, wie feministische und Frauen*rechtsgruppen aktuell Differenzen zwischen Frauen* konzeptualisieren und umsetzen, erfordert zunächst eine Beschäftigung mit den Vorläufern intersektionaler Ansätze im Kontext von Debatten, gerade während den Frauen*bewegungen ab den 1960ern. Dies ermöglicht eine Kontextualisierung aktueller Auseinandersetzungen und verschafft Einblicke in historisch gewachsene Konfliktlinien. Des Weiteren ist es notwendig, aktuelle wissenschaftlichen Debatten zu Intersektionalität zu erörtern, um mein Verständnis von Intersektionalität in der vorliegenden Arbeit darzulegen und einzuordnen. Schließlich gilt es sich spezifischen Fragen im Kontext von Intersektionalität und feministischer Praxen zu widmen und meine Fragestellung im Zusammenhang mit bisherigen Forschungen mit ähnlichen Fragestellungen darzulegen. Diese drei Dimensionen stellen den theoretischen Rahmen meiner Arbeit dar und werden nun näher beleuchtet.
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
Im US-amerikanischen Kontext können die Vorläufer intersektionaler Ansätze bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden.1 So stellte die berühmte Rede von Sojourner Truth Ain’t I a woman2 auf der Women’s Rights Convention 1851 in Akron, Ohio u.a. eindrücklich dar, dass Schwarze Frauen* andere Diskriminierungen erfahren als weiße Frauen* (Truth 1995 [1851]).3 Während der zweiten Frauen*bewegungen4 in der Mitte des 20. Jahrhunderts, nahm die Auseinandersetzung um Differenzen zwischen Frauen* noch-
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Detailliertere Ausführungen zum Thema Schwarzer und weißer Feminismus in den ersten Frauen*bewegungen liefern Newman (1999), Davis (1982) und hooks (2015) [1981]. Für einen Überblick Schwarzer feministischer Aktivitäten von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts siehe McDuffie (2011) und McGuire (2010). Eine umfangreiche Sammlung Schwarzer feministischer Texte ab 1831 hat Guy-Sheftall (1995) zusammengestellt.
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Dieser Ausspruch wird bis heute vielfach zitiert und als Veröffentlichungstitel benutzt (u.a.: Brah, Pheonix 2004: 76; hooks 2015 [1981]; Linthwaite 1987; White 1999).
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So wird sie in der schriftlichen Überlieferung der Rede folgendermaßen zitiert: »[…]. But what’s all dis here talkin‹ ›bout? Dat man ober dar say dat womin needs to be helped into carriages and lifted ober ditches, and to hab de best place everywhar. Nobody eber helps me into carriages, or ober mud puddles, or gibs me any best place! And a’n't I a woman? Look at my arm. I have ploughed, and planted, and gathered into barns, and no man could head me! And a’n't I a woman? I could work as much and eat as much as a man – when I could get it – and bear de lash as well! And a’n't I a woman? I have borne thirteen children, and seen ’em mos’ all off to slavery, and when I cried out with my mother’s grief, none but Jesus heard me! And a’n't I a woman?« (Truth 1995 [1851]: 36).
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Die feministischen Mobilisierungen in den USA während der 1960er und 1970er werden als second wave feminism bezeichnet und hier als zweite Frauen*bewegungen übersetzt. Die ersten
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Intersektionalität in feministischer Praxis
mals an Intensität zu und es wurden Herangehensweisen entwickelt, um der Simultanität verschiedenster Unterdrückungssysteme Rechnung zu tragen (vgl. Anzaldúa, Moraga 1983a [1981]; Hill Collins 2000 [1990]; Combahee River Collective 1983 [1977]; Hull et al. 1982; hooks 2015 [1981]; King 1995 [1988]; Mohanty 1991). Auch im bundesdeutschen Kontext kann die Auseinandersetzung um Differenzen zwischen Frauen* auf eine lange Geschichte zurückblicken. So betonte die proletarische Frauen*bewegung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die Bedeutung von Klassenunterschieden zwischen Frauen* (vgl. Baader 1981 [1907]; Zetkin 2015 [1896]; Zetkin 1971).5 Im Rahmen der Neuen Frauen*bewegungen ab den 1960ern war es vor allem die Kritik von Schwarzen Frauen*, Frauen* of Color, jüdischen und muslimischen Frauen*, Migrantinnen* und behinderten Frauen*, die dieses Thema vorantrieben und die Universalität der Kategorie ›Frau*‹ in Frage stellten (Gutiérrez Rodríguez 1999a; Lutz et al. 2010a: 9ff; Walgenbach 2007: 27ff; Rommelspacher 2009: 82ff).
1.1
US-amerikanische Kontextualisierung
Die Debatte über Differenzen zwischen Frauen* und der Verwobenheit verschiedener Unterdrückungsmechanismen wurde im US-amerikanischen Raum vor allem von Schwarzen Feministinnen* und Feministinnen* of Color, insbesondere Chicanas*6 vorangetrieben und intensivierte sich zunehmend während
Frauenbewegungen bzw. waves werden bei dieser Periodisierung mit der suffrage Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts bis 1920 gleichgesetzt (Hess, Marx Ferree 1994: viii; Roth 2004: 1, Springer 2005: 7). Springer kritisiert diese Einteilung der feministischen Bewegungen in waves mit dem Verweis der Vernachlässigung der feministischen Aktivitäten von Women* of Color im 19. und 20. Jahrhundert (Springer 2005: 8). 5
So heißt es zum Beispiel in einer Rede von Clara Zetkin aus dem Jahr 1896: »There is a women’s question for the women of the proletariat, the bourgeoisie, the intelligentsia and the Upper Ten Thousand. It assumes a different form according to the class situation of each one of these strata.« (Zetkin 2015 [1896]: 74)
6
Chicana*/o ist eine Selbstbezeichnung von Aktivist*innen in den 1960ern und 70ern, um Menschen zu beschreiben, die in den USA geboren und »of Mexican descent« sind (Roth 2004: 129). Es stellt eine politische Aneignung, eines zuvor diskriminierenden Begriffs, dar. Die Bezeichnung »Mexican American« wurde als unpassend angesehen, um die strukturellen Ungleichheiten zu betonen (ebd.: 129).
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
den zweiten Frauen*bewegungen (vgl. Anzaldúa, Moraga 1983a [1981]; Hull et al. 1982; Mohanty 1991; hooks 2015 [1981]). Schwarze Feministinnen* und Chicanas* kritisierten auf der einen Seite den Sexismus in der Civil Rights/Black Liberation und Chicano Bewegung und auf der anderen Seite den Rassismus und auch den Klassismus in Frauen*bewegungen und forderten eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Sexismus und Klassismus innerhalb dieser sozialen Bewegungen. In ihren verschiedensten Gruppen versuchten sie theoretische Konzepte und Praktiken zu entwickeln, die ihre Rechte als Schwarze/Chicana/of Color7 und Frauen* beinhalteten (Combahee River Collective 1983 [1977]: 211; Garcia 1990 [1989]: 418ff; Moraga 1983a [1981]: xviii; Springer 2005: 1). In diesem Prozess wurde ihre Heterogenität hinsichtlich politischer Vorstellungen und aufgrund von Differenzlinien wie Sexualität und Klasse immer wieder deutlich. Auch die Schwarze und Chicana Frauen*bewegung kann somit nicht als homogen angesehen werden (Anzaldúa, Moraga 1983a [1981]: 105; Combahee River Collective 1983 [1977]: 217; Springer 2005: 4f., 53ff). Trotz dieser Heterogenität gab es eine geteilte Kritik an einem dominanten Teil der zweiten Frauen*bewegung8, die sich vor allem aus weißen Mittelschichtfrauen* zusammensetzte. Dies wird nun anhand einiger Aspekte näher beleuchtet.9
7
In diesen Bewegungen bezeichneten sich Frauen* u.a. als Schwarz, of Color oder Chicana*. Diese Begriffe sind nicht als trennscharf zu verstehen und eine Person kann sich mit allen drei Bezeichnungen identifizieren. Gemeinsam ist den Begriffen, dass es Selbstbezeichnungen von Frauen* sind, die von Rassismus betroffen sind. Damit eint sie das Element der Selbstermächtigung bzw. der Versuch der Bildung von Allianzen zwischen Frauen*, die von Rassismus betroffen sind (Anzaldúa, Moraga 1983a [1981]: 105f.).
8
In der Kritik von rassistisch markierten Frauen* aus dieser Zeit wurde dabei meist von weißer Frauen*bewegung oder nur von Frauen*bewegung gesprochen, was ich in den folgenden Ausführungen auch machen werde (vgl.: Beale (1995) [1970]: 153; hooks 2015 [1981]: 175; Sandoval (1990) [1982]: 55). Auch wenn diese Teilbewegung weder homogen noch die gesamten zweiten Frauen*bewegungen umfasst, werden die Begriffe hier ohne Plural benutzt, um bestimmte Machtverhältnisse und Kritikpunkte Schwarzer und Chicana Feministinnen* verdeutlichen zu können.
9
Diese Kritikpunkte weisen Parallelen mit Auseinandersetzungen im Kontext der Neuen Frauen*bewegung in Deutschland auf. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird sich hier lediglich auf einzelne Aspekte konzentriert. Ausführlicher wird sich mit den Kritikpunkten innerhalb der
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Kritik an vermeintlich geteilten Unterdrückungserfahrungen Auch dieser (weiße) Teil der zweiten Frauenbewegung war keineswegs homogen. Es gab jedoch einige zentrale Themen mit denen sich auseinandergesetzt wurde: Das Recht auf Abtreibung, Kritik an der Kleinfamilie als Ort der Unterdrückung, Recht auf Lohnarbeit und Ablehnung der Rolle als Hausfrau sowie (sexuelle) Gewalt gegen Frauen* (Beale 1995 [1970]: 153; Bernard 2009: 1f.; Davis 1998a [1985]: 140; hooks 1995 [1984]: 270ff). Bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen war das ›Wir Frauen*‹ und das Teilen einer gemeinsamen Diskriminierungserfahrung als Frau* zentraler Ausgangspunkt für politische Forderungen. Es galt zunächst als unhinterfragt, dass diese Themen für alle Frauen* in gleichem Maße relevant sind und alle Frauen* einen ähnlichen Sexismus erfahren und damit eine Basis an Erfahrungen teilen (Hewitt 1990: 1; hooks 2015 [1981]: 121; Lorde 1995 [1984]: 285). Wenn man sich zum Beispiel die Themen Familie und Lohnarbeit anschaut, wird allerdings deutlich, dass die Forderungen, die weiße Feministinnen* vorgaben im Namen aller Frauen* zu formulieren, letztlich nur ihre spezifische Situation als weiße Mittelschichtfrauen* widerspiegelten. Die Kernfamilie als zentraler Ort von Unterdrückung war in der zweiten Frauen*bewegung ein wichtiges Thema. Dass Familien nicht für alle Frauen* ausschließlich ein Ort der Diskriminierung darstellen muss, wurde dabei selten bedacht. Schwarze Feministinnen* kritisierten, dass sie eher damit beschäftigt waren die Schwarze Familie vor gesellschaftlichen Angriffen zu schützen, als diesen Ort, der für sie auch einen enormen Schutzraum vor Rassismus darstellen konnte, zu bekämpfen (DuBois, Ruiz 1990: xiiif.; Roth 2004: 101f.). bell hooks betont die Gleichzeitigkeit von Schutz aber auch Diskriminierung innerhalb von Familien: »Even though family relations may be, and most often are, informed by acceptance of a politic of domination, they are simultaneously relations of care and connection.« (hooks 1989: 21) Zusammenhängend mit der Kritik an dem Modell der Kernfamilie war die Kritik der Geschlechterrollen in Bezug auf Lohnarbeit und reproduktive Arbeit.
Neuen Frauen*bewegungen auseinandergesetzt, da meine Arbeit einen Fokus auf diesen Kontext hat. So wird z.B. die Thematik Abtreibung im bundesdeutschen Kontext näher erörtert.
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
Weiße Mittelschichtfrauen* wurden meist reduziert auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau* und sahen sich damit auch in ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben beschränkt. Die daraus resultierende Forderung weißer Feministinnen* arbeiten zu wollen, war nicht übertragbar auf die Lebensrealität vieler Schwarzer Frauen*. Denn viele von ihnen mussten aus ökonomischer Notwendigkeit arbeiten, selbst in Schwarzen Mittelstandsfamilien war dies häufig der Fall (Beale 1995 [1970]: 147; Davis 1995 [1971]: 215; DuBois, Ruiz 1990: xiv; hooks 2015 [1981]: 83, 92). Zudem waren die meisten Schwarzen Frauen* in prekären und schlecht bezahlten Arbeiten angestellt, nicht arbeiten zu müssen und sich rein auf den Haushalt und Kinder zu konzentrieren, schien vielen Schwarzen Frauen* daher eher als Luxus und als erstrebenswert (Beale 1995 [1970]: 147; hooks 2015 [1981]: 83; King 1995 [1988]: 311). Die Annahme vieler weißer Feministinnen*, dass Lohnarbeit der Schlüssel zur Befreiung sei, war für ärmere und rassistisch markierte Frauen*, die schon lange arbeiten mussten nicht nachvollziehbar. Denn ihre Lohnarbeit hatte sie weder von sexistischer Unterdrückung befreit, noch konnten sie dadurch wirtschaftlich unabhängig werden (hooks 2015 [1981]: 145f.). Diese Kritikpunkte verdeutlichen, dass nicht von einem Sexismus, den alle Frauen* teilen gesprochen werden konnte. Forderungen und Ansätze der zweiten Frauen*bewegungen, die im Namen aller Frauen* oder von einer gemeinsamen Unterdrückung aller Frauen* sprachen, hatten damit einen sehr universalistischen Ansatz, der die spezifischen Erfahrungen von weißen Mittelschichtfrauen* mit den Erfahrungen aller Frauen* gleichsetzte (Baca Zinn et al. 1990: 33f.; hooks 2015 [1981]: 122).
Kritik an Fokussierung auf Patriarchat Rassistisch markierte Feministinnen* warfen der zweiten Frauen*bewegung zudem vor, andere Unterdrückungsmechanismen neben Sexismus und deren Verknüpfung zu vernachlässigen bzw. patriarchale Machtverhältnisse als Ursprung aller Unterdrückungsformen anzusehen (Alarcón 1990: 358ff; hooks 1989 :19; King 1995 [1988]: 303f.). Dies führte auch dazu, dass – so hooks – der Kampf gegen patriarchale Unterdrückung als legitimer angesehen wurde als der Kampf gegen Rassismus oder andere Unterdrückungsformen (hooks 1989: 19). So sahen sich z.B. Chicanas* innerhalb vieler weißer feministischer Organisationen gezwungen, sich zwischen ihrer Geschlechtsidentität und ihrer kulturellen Identität als Fokus ihres Aktivismus zu entscheiden (Roth 2004: 167).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Mit der Einstellung, dass das Patriarchat das Hauptproblem sei, ging außerdem einher, dass Frauen* bloße ›Opfer‹ von Unterdrückung und Männer die ›Feinde‹ seien. Die verschiedensten Verstrickungen von Frauen* in Unterdrückungsmechanismen wurden damit ausgeblendet, genauso wie die Verstrickung von Sexismus mit Rassismus und Kapitalismus (Beale 1995 [1970]: 153; Davis 1998b [1978]: 130ff; hooks 1989: 20ff; Moraga 1983b [1981]: 30). Koloniale Denkmuster, wie der ›Schwarze Vergewaltiger‹ oder der ›Chicano Macho‹, blieben mit der alleinigen Fokussierung auf Geschlecht unhinterfragt und wurden teilweise sogar reproduziert (hooks 1996: 103ff; Davis 1998b [1978]: 130ff). Dies war nicht nur problematisch im Verhältnis zu rassistisch markierten Männern, sondern hatte mitunter auch eine paternalistische und diskriminierende Haltung gegenüber rassistisch markierten Frauen* zur Folge (Davis 1998b [1978]: 132f.).
Entwicklung intersektionaler Ansätze 10 Die Priorisierung von Sexismus gegenüber anderen Unterdrückungsverhältnissen stieß auf radikale Kritik von rassistisch markierten Feministinnen* und sie forderten die Verknüpfung von Klasse, Geschlecht und race (vgl. Combahee River Collective 1983 [1977]: 210f.; Davis 1998a [1985]: 147; Hill Collins 2000 [1990]: 5ff; hooks 1989: 19f.; King 1995 [1988]: 296ff; Smith 1995 [1983]: 260f.). Sie entwickelten in diesem Zusammenhang etliche Konzepte, diese Verknüpfung greifbar zu machen. Rassistisch markierte Feministinnen* in den USA waren somit unter den ersten Aktivistinnen*, die die Verwobenheit und Gleichzeitigkeit verschiedener Unterdrückungsmechanismen v.a. von Rassismus, Klassismus und Sexismus konzeptualisierten und praktisch anwendeten (Combahee River Collective 1983 [1977]: 217; Roth 2004: 11; Springer 2005: 2). 11 Im
10 Ich spreche hier von intersektionalen Ansätzen im Plural, um zu betonen, dass diverse Überlegungen und Konzepte die Grundlage für Crenshaws Intersektionalitäts-Begriff sowie auch für die darauf aufbauenden Konzepte legen. Ich beziehe mich mit dieser Bezeichnung auf alle Überlegungen und Konzepte, die von der Verschränkung und Gleichzeitigkeit verschiedener Unterdrückungsmechanismen und -kategorien ausgehen, ohne dass dabei notwendigerweise von intersecting oder intersectionality direkt gesprochen wird. 11
Bereits im 19. Jahrhundert haben Schwarze Feministinnen*, wie Anna Julia Cooper oder Mary Church Terrell, die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus bei ihrer Unterdrückung betont,
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
Folgenden werde ich auf einige Konzepte eingehen, die in diesem Kontext formuliert wurden. Frances Beale führte beispielsweise den Begriff der »Double Jeopardy« ein, um die Situation von Schwarzen Frauen* zu beschreiben (Beale 1995 [1970]: 146). Beale bezieht sich in ihrem Aufsatz Double Jeopardy: To Be Black and Female zwar sehr stark auf ökonomische Ungleichheiten, bezieht Klasse aber nicht explizit in ihr Konzept der Double Jeopardy mit ein (Beal 1995 [1970]). Dies wurde von einigen Feministinnen* kritisiert und der Begriff Triple Jeopardy erfuhr fortan weite Verwendung um die soziale Positionierung Schwarzer Frauen* zu konzeptualisieren. Audre Lorde und Barbara Smith betonten die Signifikanz von Heteronormativität, was, nach Deborah K. King als forth jeopardy angesehen werden konnte (King 1995 [1988]: 297). Trotz der Erweiterung anderer Kategorien hing diesem Modell ein additiver Charakter an, wie Deborah K. King kritisierte: »Unfortunately, most applications of the concepts of double and triple jeopardy have been overly simplistic in assuming that the relationships among the various discriminations are merely additive. These relationships are interpreted as equivalent to the mathematical equation, racism plaus sexism plus classism equals triple jeopardy. In this instance, each discrimination has a single, direct, and independent effect on status, wherein the relative contribution of each is readily apparent.« (King 1995 [1988]: 297) Ein additives Verständnis geht also davon aus, dass z.B. eine Schwarze Frau* neben Rassismus zusätzlich noch von Sexismus betroffen. Dabei wird impliziert, dass die verschiedenen Unterdrückungssysteme Rassismus bzw. Sexismus auch getrennt untersucht werden könnten und einen getrennten immanenten Kern haben. King schlug deshalb den Begriff und das Konzept »multiple jeopardy« vor, welches sie als »interactive model« verstand, bei dem die Simultanität verschiedener Unterdrückungssysteme und deren »multiplicative relationships« angenommen wird (King 1995 [1988]: 297). Dabei ist für sie die Bedeutung der Ungleichheitskategorien wie race, Klasse und Geschlecht für das Leben Schwarzer
worauf sich der Schwarze Feminismus im 20. Jahrhundert auch bezog, und diese Konzepte weiterentwickelte (King 1995 [1988]: 294f.).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Frauen* nicht festgeschrieben, sondern hängt von dem soziohistorischen Kontext und dem zu untersuchenden Gegenstand ab (ebd.: 297f.). Die Konzepte der Double/Triple/Multiple Jeopardy haben gemeinsam, dass sie versuchten, die Situation von Schwarzen Frauen* adäquat darzustellen und beschreiben zu können und dabei verschiedenste Unterdrückungsmechanismen betonten. Dies war auch in dem Black Feminist Statement des Combahee River Collectives von 1977 deutlich.12 Darin heißt es: »we are actively committed to struggling against racial, sexual, heterosexual, and class oppression and see as our particular task the development of integrated analysis and practice based upon the fact that the major systems of oppression are interlocking. […]. As Black women we see Black feminism as the logical political movement to combat the manifold and simultaneous oppressions that all women of color face« (Combahee River Collective 1983 [1977]: 210). Die Begriffe der verschränkten und simultanen Unterdrückungssysteme weisen auf ein Verständnis hin, dass die Verwobenheit und Gleichzeitigkeit von Unterdrückungsformen betont und eine additive Heranziehung verschiedener Kategorien von sich weist. Dahingehend würde die Diskriminierung rassistisch markierter Frauen* u.a. aus der Verwobenheit von Rassismus und Sexismus (bzw. noch anderen Unterdrückungsmechanismen) bestehen: »We know that there is such a thing as racial-sexual oppression which is neither solely racial nor solely sexual, e.g., the history of rape of Black women by white men as a weapon of political repression.« (Combahee River Collective 1983 [1977]: 213) Mit der Betonung der Gleichzeitigkeit verschiedener Ungleichheitskategorien geht auch eine Ablehnung der Hierarchisierung verschiedener Unterdrückungssysteme einher, wie Barbara Smith betont, die selbst Teil des Combahee River Collective war:
12 Dieses Black Feminist Statement wird häufig als wichtiger Beitrag für die Entwicklung des Intersektionalitätskonzepts genannt (vgl. Brah; Phoenix 2004: 78; Ganz 2019: 170; Lutz 2001: 217; Walgenbach 2012).
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
»The concept of the simultaneity of oppression is still the crux of a black feminist understanding of political reality and one of the most significant ideological contributions of black feminist thought. We examined our own lives and found that everything out there was kicking our behinds – race, class, sex and homophobia. We saw no reason to rank oppressions […].« (Smith 1995 [1983]: 260) Smith spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »multi-issued approach«, der auf Grund der beharrlichen Insistierung von u.a. Schwarzen Feministinnen* auch mehr und mehr Beachtung in anderen Frauen*bewegungen und sozialen Bewegungen fand (Smith 1995 [1983]: 260). Die hier dargelegten intersektionalen Ansätze sind bis heute von enormer Wichtigkeit, haben aber nicht alle dieselbe Aufmerksamkeit erhalten wie Kimberlé Crenshaw, die den Begriff der Intersektionalität 1989 einführte und mit der dieser bis heute eng verbunden wird (vgl. Chebout 2012; Degele, Winker 2009; Gunda-Werner-Institut, Center for Intersectional Justice 2019; Ganz 2019).13
1.2
Bundesdeutsche Kontextualisierung in den Neuen Frauen*bewegungen
Ähnlich wie die Entstehungsgeschichte in den USA, gibt es auch im bundesdeutschen Zusammenhang Vorläufer des Intersektionalitätskonzepts. Hier sind die Vorläufer bei den Aktivitäten, Mobilisierungen und Kritiken von marginalisierten Frauen*, insbesondere im Zuge der Neuen Frauen*bewegungen zu sehen. Gleichzeitig sind die Kontexte nicht vollständig getrennt zu betrachten, da es durchaus sehr viel Austausch zwischen ihnen gab und gibt (Erel et al. 2007: 241f.; Roig 2018). So spielte zum Beispiel die US-Amerikanerin Audre Lorde bei der Entwicklung einer Schwarzen feministischen Bewegung im bundesdeutschen Kontext eine bedeutende Rolle (Roig 2018; Piesche 2012: 7ff). 14
13
Auch wenn das Combahee River Collective häufig in der Auseinandersetzung mit Intersektionalität mitgenannt wird (vgl. Ganz 2019: 170; Brah; Phoenix 2004: 78; Lutz 2001: 217; Walgenbach 2012).
14 Folglich sollen die Vorläufer intersektionaler Ansätze im bundesdeutschen Kontext nicht als getrennt von den vorherigen Ausführungen verstanden werden, sondern, als mit diesen im Aus-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Im Zentrum der Neuen Frauen*bewegungen 15 stand das Verständnis eines feministischen ›Wir‹. Beliebt waren der Slogan Das Private ist politisch und Themen wie das Recht auf Abtreibung, (sexuelle) Gewalt gegen Frauen*, Erwerbstätigkeit vs. unbezahlte Hausarbeit und persönliche Autonomie. Die Frauen*bewegungen waren keineswegs homogen. Konfliktfelder erstreckten sich unter anderem entlang der Frage der Institutionalisierung der Frauen*bewegungen und der Debatte um Differenz 16 vs. Gleichheit17 (Gerhard 2001: 22ff; Gümen 1999: 236; Notz 2006: 21; Rosenberger 1996: 18ff,107ff; Stötzer 2004: 17ff). Auch das Verhältnis von heterosexuellen Frauen* und Lesben* innerhalb der Bewegungen wird teilweise als konfliktreich beschrieben (vgl. Hark 1989; Klönne 1994; Lenz 2008c).18 Trotz der Heterogenität kann von allgemeinen Tendenzen bezüglich der Marginalisierung gerade von Schwarzen Frauen*, Frauen* of Color, jüdischen
tausch stehend. Gleichzeitig werden aber auch spezifische bundesdeutsche Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel der Umgang mit der NS-Vergangenheit, betont, da sie gerade in Bezug der Frage der (Mit)Täterschaft von Frauen* eine wichtige Rolle spielen. 15 Ausführlichere Darstellungen der Neuen Frauen*bewegungen liefern Schenk (1980), NaveHerz (1988), Notz (2006), wobei gerade die Kritik von Frauen* of Color darin nicht vorkommt. Einen umfassenderen Überblick über Publikationen der Neuen Frauen*bewegungen gibt die Quellensammlung von Lenz (2008b). Darin sind auch u.a. Texte zu dem Verhältnis von Lesben* und den Frauen*bewegungen, Texte von Frauen* of Color, Frauen* mit Behinderung sowie zum Thema Differenzen zwischen Frauen* enthalten. 16 Differenz meint hier die Differenz zu Männern und nicht Differenz zwischen Frauen*. 17
Theorien der Gleichheit betonen die geschlechtsspezifische Sozialisation von Frauen* und sehen darin, und nicht in einem biologischen Unterschied, den Grund für ihre benachteiligte Stellung. Differenzen zwischen Frauen* und Männern werden dabei negiert, was wiederum von Vertreterinnen* der Differenztheorien kritisiert wird. Diese pochen auf die Unterschiedlichkeit zwischen Frauen* und Männern und einer Anerkennung dieser Differenz (Heintz 1993: 17ff). Es sollte jedoch nicht der Fehler begangen werden, feministischen Theorien nur im Spannungsfeld zwischen Gleichheit und Differenz zu verorten, da einige Ansätze beide Theorien verbinden (Stötzer 2004: 20). Genauere Erläuterungen der verschiedenen Theorien sind in Heintz (1993), Biermann (2009) und Rosenberger (1996) zu finden.
18 Lesben* waren mit die ersten, die die Kategorie ›Frau*‹ mit ihrem Universalismus kritisierten (Klönne 1994: 130). Zum Verhältnis Frauen*bewegungen und lesbische Frauen* siehe den Aufsatz von Hark (1989). Darin geht sie auch auf Lesben* of Color, ›Krüppellesben*‹ und jüdische Lesben* ein (Hark 1989: 62f.).
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
und muslimischen Frauen*, Migrantinnen* und Frauen* mit Behinderung gesprochen werden, was zu vielfältigen kritischen Interventionen führte (Köbsell, Pfahl 2016: 66f.; Raab 2014: 101ff; Stötzer 2004: 30ff; Walgenbach 2007: 30ff).19 Die Gastprofessur von Audre Lorde 1984 in Berlin und ihre darauffolgenden Deutschlandaufenthalte trugen dazu bei, dass sich eine Schwarze Frauen*bewegung in Deutschland entwickelte und es auch zu Diskussionen über das Thema Rassismus in Teilen der Frauen*bewegungen kam (Oguntoye 2006: 5; Piesche 2012; 7ff; Stötzer 2004: 31). Das in diesem Kontext von May Ayim/Opitz, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz20 (2006) [1986] herausgegebene Buch Farbe bekennen Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, stellt bis heute eine herausragende Grundlage für die Auseinandersetzung mit Rassismus und der Verschränkung von Rassismus und Sexismus in Deutschland dar. Des Weiteren wurde die Kritik von rassistisch markierten Frauen* Mitte der 80er u.a. in der Zeitschrift Informationsdienst für Ausländerarbeit veröffentlicht, ohne jedoch breite Resonanz in den Frauen*bewegungen oder Frauen*forschungen zu erfahren (Gutiérrez Rodríguez 1996: 167). Zentrale Orte von Auseinandersetzungen bezüglich Rassismus und Antisemitismus in den Frauen*bewegungen, stellten zahlreiche Konferenzen ab Mitte der 1980er dar (Stötzer 2004: 33). 1984 wurde der erste gemeinsame Kongress ›ausländischer‹ und ›deutscher‹ Frauen* unter dem Titel Sind wir uns denn so fremd? in Frankfurt veranstaltet. Die dort geäußerte Wut über Rassismus in den Frauen*bewegungen wurde bei vielen weißen Frauen* mit Schock, Schuldgefühlen und Unverständnis aufgenommen (Arbeitsgruppe Frauenkongreß 1984; Ruf 1984: 162ff). Es folgten weitere Kongresse und Tagungen, die stärker die Differenzen unter Frauen* betonten.21 All diese Konferenzen liefen jedoch kei-
19 Diese wurden vor allem von marginalisierten Frauen* selbst getätigt, aber es gab auch einige weiße Feministinnen* (wie Dagmar Schultz, Helma Lutz oder Birgit Rommelspacher), die gerade das Thema Rassismus seit den 1980ern beständig thematisierten. 20 Dagmar Schultz veröffentlichte bereits 1981 in der feministischen Zeitschrift Courage einen Artikel, indem sie eine Auseinandersetzung weißer Feministinnen* mit ihrem eigenen Rassismus forderte. Dieser Artikel stieß jedoch auf keine breite Resonanz (Stötzer 2004: 30). 21 Einige davon waren die Konferenz Frauen und Rassismus 1989 in Bremen; ebenfalls in Bremen die Tagung Von/für ethnische und afro-deutsche Minderheiten im Jahr 1990, der Kongress Frauen gegen Nationalismus – Rassismus/Antisemitismus – Sexismus in Köln, sowie 1997 die Tagung Marginale Brüche: Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland, ebenfalls in Köln. Die Bremer Frauenwoche hatte auch einige Male Rassismus, Nationalismus
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Intersektionalität in feministischer Praxis
neswegs konfliktfrei ab (Ayim 1997: 11f; Ruf 1984: 160ff; Ekpenyong 1999: 78ff). Pessimistisch stellte 1999 Ani Ekpenyong folgendes fest: »Obwohl ich Separatismus nicht für eine dauerhafte Lösung halte, bleibt offen, auf welcher Ebene Women of Color [Herv. i.O.], jüdische Frauen und weiße, christlich sozialisierte Frauen sich begegnen können. Unzählige Frauenkongresse und Lesbentagungen haben gezeigt, daß es mit dem Rassismus innerhalb von Frauenzusammenhängen noch lange nicht vorbei ist, selbst wenn das Thema so oft auf dem Plan stand.« (Ekpenyong 1999: 84) Ekpenyong plädierte dafür, dass sich marginalisierte Frauen* erst einmal ›untereinander‹ austauschen und kennen lernen sollten, da schon dies genügend Konflikte bergen würde, bevor sie sich auf »Frauen aus der dominanten Kultur einlassen« könnten (Ekpenyong 1999: 84). Lisa Pfahl und Swantje Köbsell betonen, dass getrennte Gruppen und Bewegungen sich auch für behinderte Frauen* als notwendig herausstellten, da ihre Erfahrungen und ihre Themen »weder von der Frauen- noch von der Behindertenbewegung22 anerkannt« wurden (Köbsell, Pfahl 2016: 66).23 Sie gründeten ab Ende der 1970er so genannte Krüppelfrauen*gruppen24 (Köbsell, Pfahl 2016: 66f;
und Frauen* zum Thema (Gelbin et al. 1999b: 9; Oerter, Uremović 1994a: 7f.; Stötzer 2004: 34; Wollrad 2005: 103). Eine nähere Ausführung zu den Inhalten der Konferenzen bieten die Bücher, die nach einigen der Tagungen entstanden sind: Arbeitsgruppe Frauenkongreß (1984); Oerter, Uremović (1994b); Gelbin et al. (1999a). 22 Diese Bewegung entstand im Kontext der sozialen Bewegungen der 1960er Jahre und verstärkte sich vor allem auch 1981, das von der UN als ›Internationales Jahr der Behinderten‹ ausgerufen wurde und in dem das bundesweite ›Krüppeltribunal‹ in Dortmund stattfand (Boll et al. 2002 [1985]: 7; Köbsell, Pfahl 2016: 64ff). 23 Im Gegensatz dazu betont Ulrike Schildmann, dass sich ab Mitte der 1970er im Kontext der Frauen*bewegungen eine Debatte entwickelte von Frauen* mit und ohne Behinderung, in der die Zusammenhänge zwischen Behinderung und Geschlecht diskutiert wurden (Schildmann 2018: 18). Sie verweist dabei auf verschiedene Veranstaltungen und dem Schwerpunktheft Behindert leben »der feministischen Frauenzeitschrift Courage 1980« (ebd.: 18). 24 Die Krüppelfrauen*gruppen waren angelehnt an Krüppelgruppen. Wieso dabei der Begriff Krüppel benutzt wurde, wurde in der Krüppelzeitung 1982 folgendermaßen erklärt: »Der Begriff Behinderung verschleiert für uns die wahren gesellschaftlichen Zustände, während der Name Krüppel die Distanz zwischen uns und den sogenannten Nichtbehinderten klarer auf-
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
Lenz 2008d: 648). In diesem Zusammenhang entstanden zentrale Veröffentlichungen wie Geschlecht: behindert Besonderes Merkmal: Frau. Ein Buch von behinderten Frauen (Boll et al. 2002 [1985]) und Unbeschreiblich weiblich? Frauen unterwegs zu einem selbstbewussten Leben mit Behinderung (Barwig, Busch 1993). Darin stellten sie ihre Erfahrungen als behinderte Frauen* dar und äußerten Kritik an den Auslassungen der nicht-behinderten Frauen*bewegungen. Sie betonten, dabei auch wie ihnen eine Geschlechtsidentität abgesprochen wird und sie allein als behindert wahrgenommen werden: »Wir sind disqualifiziert mit dem Stempel: BEHINDERT. Dieser Stempel wird uns auch von nichtbehinderten Frauen aufgedrückt.« (Boll et al. 2002 [1985]: 60) Ein Themenfeld, dass Frauen* mit Behinderung dabei in ein besonderes Spannungsverhältnis mit anderen Teilen der Neuen Frauen*bewegungen setzte, war Abtreibung und reproduktive Rechte (Köbsell, Pfahl 2016: 66f; Lenz 2008d: 648). Mit diesen und weiteren zentralen Kritikpunkten und Spannungsfeldern von Frauen* of Color, jüdischen und muslimischen Frauen* sowie behinderter Frauen* und anderen Teilen der Neuen Frauen*bewegungen werde ich mich nun näher auseinandersetzen, da sie zentral waren für die Entwicklung intersektionaler Überlegungen (Lutz et al. 2010a: 12; Roig 2018; Walgenbach 2007: 24ff; Gutiérrez Rodríguez 2011: 80ff).2526
zeigt. Durch die Aussonderung in Heime, Sonderschulen oder Rehabilitationszentren werden wir möglichst unmündig und isoliert gehalten […]. Daraus geht hervor, daß wir nicht nur behindert (wie z.B. durch Bordsteinkanten), sondern systematisch zerstört werden. Ehrlicher erscheint uns daher der Begriff Krüppel, hinter dem die Nichtbehinderten sich mit ihrer Scheinintegration (»Behinderte sind ja auch Menschen«) nicht so gut verstecken können« (Krüppelzeitung, zit.n. Pfahl, Köbsell 2016: 65). 25 Dabei kann nicht von einer Einheit, dieser verschiedenen Frauen* gesprochen werden. Es bestehen auch Differenzen und Konflikte ›untereinander‹ (Ekpenyong 1999: 77ff). Auch ihre Kritik hat verschiedene Strömungen und Schwerpunkte (Stötzer 2004: 29). Es wird in diesem Kapitel nur auf einige zentrale Aspekte hingewiesen. 26 Gerade die teilweise bereits genannten Veröffentlichungen Farbe bekennen Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte von Ayim/Opitz et al. (2006 [1986]), Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung von Aktaş et al. (1993) und Geschlecht: behindert Besonderes Merkmal: Frau von Boll et al. 2002 [1985]) liefern herausragende Beiträge für intersektiona-
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Ähnlich wie im US-amerikanischen Kontext spielte dabei die Kritik an der Annahme geteilter Diskriminierung und damit einer universellen Kategorie ›Frau*‹ sowie der Vernachlässigung verschiedenster Unterdrückungssysteme jenseits von Patriarchat und Sexismus eine große Rolle. Eine weitere zentrale Auseinandersetzung war aber auch die der Frage der (Mit-)täterschaft27 von Frauen* insbesondere währen der NS-Zeit und dem deutschen Kolonialismus.
Frauen* als (Mit-)Täterinnen* Die Rolle von gerade weißen Frauen* als (Mit)Täterinnen während des Nationalsozialismus und Kolonialismus war in den Frauen*bewegungen und den Frauen*forschungen lange Zeit kein Thema. Die Meinung, dass Frauen* Opfer des Nationalsozialismus waren, da dieser als schärfste Form des Patriarchats angesehen wurde, war weit verbreitet (Baader 1993: 84; Frauen gegen Antisemitismus 1993: 77ff; Heschel 1994: 160ff; Rommelspacher 1996: 112). »Die Gnade der weiblichen Geburt«, wie Windaus-Walser es nennt, sprach den Frauen* jegliche Verantwortung ab. Dabei spielten Vorstellungen von der im Grunde »friedfertigen Frau«28 (Margarete Mitscherlich) eine große Rolle (Windaus-Walser 1988: 102; Mitscherlich 1985). Oder es überwogen Darstellungen von Frauen*, die während der Nazizeit Widerstand leisteten (Frauen gegen
le Überlegungen. Auf diese Arbeiten und einzelnen Artikeln daraus wird sich im weiteren Verlauf immer wieder bezogen. 27 Der Begriff Mittäterschaft wurde in den 1980ern von Christina Thürmer-Rohr eingeführt und kritisierte die in den Frauen*bewegungen zunächst vorherrschende Annahmen von Frauen* als »kollektive Opfer [Herv. i. O.]« (Thürmer-Rohr 2010: 88). Der Begriff, so Thürmer-Rohr, »kennzeichnet die Mitbeteiligung von Frauen an der institutionalisierten Herrschaft des Patriarchats mit seiner historisch verankerten und technologisch hoch entwickelten Zerstörungskraft« (ebd.: 88). Mit solch einer Herangehensweise wäre es jedoch leicht, wie Birgit Rommelspacher (1995) kritisch anmerkte, Rassismus und Antisemitismus doch wieder hauptsächlich als Männerproblem darzustellen und Frauen* ›nur‹ eine Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus oder dem Kolonialismus zuzuschreiben (ebd.: 109ff). Ich verwende hier beide Begrifflichkeiten zusammen, um zu betonen, dass Frauen* Mittäterinnen* aber auch Täterinnen* sein können. 28 In ihrem Buch Die friedfertige Frau stellt Mitscherlich (1985) die Frage, ob Antisemitismus eine Männerkrankheit ist und kommt zu dem Schluss, dass es zwar weiblichen Antisemitismus gibt, dieser jedoch nur »die Anpassung an männliche Vorurteile« ist (Mitscherlich 1985: 160).
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Antisemitismus 1993: 77ff; Rommelspacher 1996: 117). Es gab auch einige Feministinnen*, die das Judentum als das Patriarchat schlechthin und den Nationalsozialismus letztendlich als Schuld des Judentums sahen (Heschel 1994: 160f.; Heine 1994: 33). Diese antisemitischen Einstellungen stießen auf Kritik von jüdischen Frauen* und einigen kritischen weißen Frauen*. Unter anderem versuchte der Lesbisch-feministische Schabbeskreis29 aus Westberlin, der sich von 1984-1989 traf, »den Umgang der modernen Frauenbewegung mit dem Thema Nationalsozialismus zu hinterfragen« und forderte die Anerkennung von jüdischen Frauen* (Baader 1993: 84). Maria Baader (1993) beschreibt eindrücklich die Reaktionen und antisemitischen Einstellungen mit denen der Schabbeskreis konfrontiert wurde. Sie erläutert, dass »allein unsere Anwesenheit und unser Wunsch, als jüdische Frauen wahrgenommen zu werden, schon eine Provokation waren.« (ebd.: 84). Daraus ist zu erkennen, dass Frauen*, die Differenzen untereinander thematisieren wollten und auf unterschiedliche Erfahrungen hinwiesen, mit Widerstand konfrontiert waren. Zum Thema Religion lässt sich noch folgendes sagen: Viele weiße Frauen* in den Neuen Frauen*bewegungen verstanden sich selbst als atheistisch. Musliminnen* und Jüdinnen* hielten ihnen aber vor, dass sie ihre christliche Sozialisation nicht ausreichend reflektieren würden. Des Weiteren lautete der Vorwurf, dass rassistisch markierten Frauen* im Gegensatz dazu von weißen Feministinnen* vorschnell einer bestimmten Religionszugehörigkeit zugeordnet werden würden. Dabei sähen die weißen Feministinnen* die anderen Frauen* auch als nicht gleichermaßen emanzipiert und aufgrund ihrer Religion besonders patriarchalisch unterdrückt an (Lange 1993: 95, 104).30 »Wenn jedoch umgekehrt Immigrantinnen und Jüdinnen weiße Feministinnen als ›christlich‹ bezeichnen, weisen diese das weit von sich.« (Ebd.: 104)
29 Der Kreis bestand aus jüdischen und nicht jüdischen Frauen* und Lesben, die Teilnehmerinnen* wurden jedoch alle als Jüdinnen* wahrgenommen. Baader dazu: »Eine Frau, die nicht die hundertprozentig normaldeutsche, ›arische‹ Perspektive teilte, sondern die Erfahrung jüdischer Frauen ernst nahm und mit ihnen in einer Gruppe arbeitete wurde vom Publikum in die Schublade ›Jüdin‹ gesteckt.« (Baader 1993: 87). 30 Diese Problematik zeigt sich aktuell auch verstärkt in Bezug auf muslimische oder als muslimisch markierte Frauen* (vgl.: Farrokhzad 2006; Gümüşay, Shehadeh 2014; Popal 2007).
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Während sich seit Anfang der 90er die Frauen*forschungen nach und nach mit der Täterschaft von Frauen* während des Nationalsozialismus befasste, ist das Thema in Bezug auf den deutschen Kolonialismus weiterhin ein weniger beachtetes Feld, obwohl gerade Schwarze Frauen* wie May Ayim und Fatima El-Tayeb seit vielen Jahren darauf aufmerksam machen (Lutz 1993: 142). So schreibt May Ayim/Opitz (2006 [1986]) in Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte zur Position deutscher Frauen* in den Kolonien: »Sie beteiligten sich an der Unterdrückung der Afrikaner/innen, und wo deutsche Frauen berichteten, wichen sie kaum von den üblichen Beschreibungen männlicher Kolonisten ab.« (Ayim/Opitz 2006 [1986]: 44) Als Missionarinnen* und Siedlerinnen* beteiligten sich Frauen* an der Kolonisierung und als Unterstützerinnen* an der Kolonialpolitik in Deutschland (Engelhardt 1993: 119). Um eine Zunahme von ›Mischlingskindern‹ in den Kolonien zu verhindern, wurden unter anderem im heutigen Namibia weiße deutsche Frauen* »gezielt als Siedlerinnen für die Kolonie angeworben, mit dem Ziel, dort einen deutschen Kolonialisten zu heiraten« (ebd.: 124). Das Vorhaben, die »Produktion von weiß-deutschem Nachwuchs« wurde dabei nicht verheimlicht (Engelhardt 1993:124). Die weiße Frau* wurde dadurch zur »Trägerin deutscher Kultur« aufgewertet (Gräfin Zech31, zit.n. Mamozai 1982: 145).32 Die Vorstellung von Frauen* als kollektive Opfer und die Annahme, Rassismus und Antisemitismus wären männergeschaffene Probleme, war auch in jüngerer Vergangenheit noch aktuell. Während der Häufung rassistischer und antisemitischer Anschläge Anfang der 1990er wurde zwar erstmals in den Frauen*forschungen anerkannt, dass Rassismus eine Gewalt struktureller Art ist.
31 Ein eindrückliches Zitat der Leiterin der Kolonialfrauenschule in Witzenhausen, Gräfin Zech, zur Funktion der weißen Frau* ist folgendes: »[…] in echter Weiblichkeit soll sie dem neuen Deutschland über dem Meere den Stempel ihrer Wesensart aufrücken […] beseelt vom Geiste echten Christentums, die Hohepriesterin deutscher Zucht und Sitte, die Trägerin deutscher Kultur, ein Segen dem fernen Lande: Deutsche Frauen, deutsche Ehre, deutsche Treue über’m Meere!« (Gräfin Zech zit.n. Mamozai 1982: 45). 32 In den letzten Jahren erschienen einige Arbeiten, die sich mit diesem Themenkomplex von weißen Frauen* im deutschen Kolonialismus näher auseinandersetzen (vgl. Dietrich 2007; Walgenbach 2005).
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Einige Autorinnen* bemängeln jedoch, dass dabei die Position weißer Frauen* nur unzureichend reflektiert wurde (Gutiérrez Rodríguez 1996: 166; Rommelspacher 1996: 112).33
Universelle Vorstellung von (Diskriminierungs-)Erfahrungen Wie im US-amerikanischen Kontext kritisierten marginalisierte Frauen* auch im bundesdeutschen Kontext, dass »die Situation der die Bewegung tragenden Frauen – bürgerliche, intellektuelle Mittelschicht – zur Standortbestimmung aller Frauen« verallgemeinert wurde (Engelhardt 1993: 134). Die Realitäten und Anliegen ›anderer‹ Frauen* wurden – so die Kritik – wenn überhaupt als ›Sonderprobleme‹ bestimmter Frauen* angesehen (Gerhard et al. 1990: 9f; kritisch Gümen 1999: 233f). Die Problematik dieser universellen Vorstellung von Erfahrungen von Frauen* wird besonders bei dem für Teile der Neuen Frauen*bewegungen zentralen Thema des Rechts auf Abtreibung deutlich. Die Auslassungen bei solch einem Fokus wurden von behinderten und rassistisch markierten Frauen* immer wieder herausgestellt (Köbsell, Pfahl 2016: 67; Kozuch 1999: 18, 75ff; Lenz 2008d: 647f.).34 Während gerade weiße nicht-behinderte Frauen* Kinder bekommen sollen, ist das bei rassistisch markierten Frauen* und behinderten Frauen* häufig nicht erwünscht und wird sogar aktiv bekämpft, was zu unterschiedlichen Interessen und Schwerpunktsetzungen in Bezug auf reproduktive Rechte führen kann. So sahen sich Frauen* of Color und behinderte Frauen* vermehrt mit Zwangssterili-
33 In der Literatur lassen sich im Allgemeinen unterschiedliche Einschätzungen zu der Beschäftigung mit Rassismus in den Frauen*forschungen/Frauen*bewegung Anfang der 90er finden. Rommelspacher ist der Meinung, dass die Frauen*bewegungen im Angesicht der Anschläge »merkwürdig unberührt war« (Rommelspacher 1996: 112). Einige andere Autorinnen* betonen, dass Anfang der 1990er erstmals eine breitere Debatte um Rassismus in den Frauen*bewegungen stattgefunden hätte (Gutiérrez Rodríguez 1996: 165f.; Lutz 1993: 139f.). 34 Ein weiteres Beispiel wäre die Forderung nach Erwerbsarbeit von Teilen der Frauen*bewegungen. Denn während weiße Mittelschichtfrauen* nicht arbeiten sollten, waren die ›Gastarbeiterinnen*‹ im Billiglohnsektor gern gesehen (Arbeitsgruppe Frauenkongreß 1984: 13f).
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sationen oder Sterilisationen, die ohne ihr Wissen durchgeführt wurden 35, konfrontiert (Boll et al. 2002 [1985]: 71ff; Köbsell, Pfahl 2016: 67; Kozuch 1999: 18, 75ff). Mädchen und Frauen* mit Behinderung zu sterilisieren, war eine weit verbreitete Praxis. Bis zur Verabschiedung des Betreuungsgesetz 1990 war dies ohne das Einverständnis der Betroffenen möglich (Köbsell, Pfahl 2016: 67; Walgenbach 2007: 32f.). In Geschlecht: behindert Besonderes Merkmal Frau erzählen etliche behinderte Frauen* auch, dass wenn sie sich für eine Abtreibung entschieden, ihnen häufig eine medizinische statt einer sozialen Indikation attestiert wurde: »Um eine soziale Indikation zu bekommen, mußten wir ein Gespräch mit einer Psychologin führen. Ich erzählte ihr, daß ich das Kind nicht bekommen kann, weil ich noch in der Ausbildung und Sozialhilfeempfängerin sein. Sie sagte […] daß es mit meiner Behinderung einfacher wäre, die medizinische Indikation ohne Schwierigkeiten zu bekommen […]. Ich war erst nicht einverstanden, daß meine Behinderung als Grund für meine Abtreibung angegeben wird. Denn ich dachte mir, wenn diese Tatsache, daß ich behindert bin, in der Indikation steht, darf ich keine Kinder mehr haben. Die Psychologin überzeugte mich, daß das mit meiner Behinderung einfacher sei. Darauf entgegnete ich nichts, und meine Behinderung wurde in der Indikation aufgeführt…« (Boll et al. 2002 [1985]: 75). Behinderte Feministinnen* setzten sich durchaus für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* in Bezug auf Abtreibung ein, machten aber auch auf dessen Grenzen und problematische Entwicklungen gerade bei den Reformen des §218 aufmerksam (Boll et al. 2002 [1985]: 80ff; Köbsell, Pfahl 2016: 67). So zum Beispiel bei der vereinfachten Abtreibung von behinderten Embryos36 und weiteren
35 Ein bekanntestes Beispiel dafür war Prof. Lindemann in Hamburg. Anfang der 80er Jahre wurde bekannt, dass er Sterilisationsversuche an rassistisch markierten Frauen*, die von ihm nicht für reproduktionswürdig gehalten wurden, ohne deren Wissen durchführte. Zum Teil verwendete er dabei unerlaubte gesundheitsschädigende Mittel. Ein Strafverfahren gegen ihn wurde jedoch fallengelassen, die Aktionen von Frauen* gegen ihn führten schlussendlich dazu, dass er das Krankenhaus verließ, wobei seine Assistenten dort weiterarbeiteten (Kozuch 1999: 80f.). 36 Seit einer Veränderung des Gesetzes 1976 ist eine Abtreibung straffrei, wenn eine embryopathische Indikation vorliegt, sprich angenommen wird, dass das Kind behindert werden würde (Boll et al. 2002 [1985]: 60; Loveland 2017: 76f.).
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biopolitischen Maßnahmen37, die die »Schaffung des leistungsstarken Menschen auf der einen Seite und die Dezimierung sogenannter Risikokinder (sprich Krüppelkinder) auf der anderen Seite« befördern könnten (Boll et al. 2002 [1985]: 81). Des Weiteren machten Frauen* mit Behinderung auch darauf aufmerksam, dass ihnen Sexualität häufig abgesprochen wurde, was als eine andere Form des Sexismus, wie ihn nicht-behinderte Frauen erleben, anzusehen sei (Köbsell, Pfahl 2016: 67). So erörtern Boll et al.: »Nichtbehinderte Frauen wollen vom Objekt zur Person werden, und wir Krüppelfrauen wollen vom Nicht-Objekt zur Person werden. Die besondere Art unserer Diskriminierung besteht darin, daß wir es noch nicht einmal wert sind, so mies und herablassend diskriminiert zu werden wie nichtbehinderte Frauen. Wir kommen nicht vor in der frauenverachtenden Pornographie-Literatur. Mit unseren nackten Körpern wird nicht für Autos geworben, uns wird nicht hinterhergepfiffen…« (Boll et al. 2002 [1985]: 60). Von einer Unterdrückung der Frau* kann also nicht gesprochen werden, da je nach Kontext und Position unterschiedliche Sexismen und Unterdrückungsformen am Werk sind. Es kann also nicht im Namen der Frau* gesprochen werden. Encarnación Gutiérrez Rodríguez führt dies wie folgt aus: »Das Reden im Namen ›der Frau‹ beinhaltet eine Homogenisierung der Darstellung von Frauen. Die Verquickung der Verhältnisse, in denen Frauen leben, kann nicht über eine universelle Kategorie Frau repräsentiert werden, da Momente wie Hautfarbe, sozialer Status, körperliche Stigmatisierung und Diskriminierung von Behinderung und lesbischem Begehren Frauen in unterschiedliche Positionen setzt.« (Gutiérrez Rodríguez 1996: 166) Doch an einer universellen Kategorie ›Frau*‹ wurde* in feministischen Theorien und Praxen sehr lange festgehalten. 1996 stellte Gutiérrez Rodríguez fest, dass, trotz der vielfach geäußerten Kritik von rassistisch markierten Frauen*, die meisten Veröffentlichungen der Frauenforschung »im Namen ›der Frauen‹« geschrieben werden, obwohl sie sich eigentlich nur auf bestimmte Frauen* be-
37 Darunter wird auch eine Ausbreitung von Pränataldiagnostik gezählt, wogegen behinderte Feministinnen* Stellung bezogen (Köbsell, Pfahl 2016: 67; Loveland 2017: 76ff).
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ziehen (ebd: 166). Erst mit der Debatte um die Zweigeschlechtlichkeit Mitte der 90er und dem »Butler Boom« (Villa) ist die universelle Kategorie ›Frau*‹ aufgebrochen worden. Doch auf die jahrelange Kritik gerade von rassistisch markierten Frauen* oder behinderter Frauen* am Universalismus dieser Kategorie wird dabei selten verwiesen (Gutiérrez Rodríguez 1999a; Villa 2010: 147).
Vernachlässigung weiterer Unterdrückungsverhältnisse Sehr eng verbunden mit der Kritik am Universalismus der Kategorie ›Frau*‹ war die Forderung rassistisch markierter und behinderter Frauen*, weitere Unterdrückungsformen neben Sexismus in feministische Theorien und Praxen mit einzubeziehen (Gutiérrez Rodríguez 1999b: 214f; Hügel-Marshall 1998: 82ff; Kalpaka 1994: 35). So erläutert Ika Hügel-Marshall: »Nicht jedoch gegen Rassismus. Meine weißen Mitstreiterinnen, die gesamte weiße Frauenbewegung, hat kein Interesse daran, sich auch mit der Geschichte Schwarzer Frauen vertraut zu machen. Sie wollen sich nicht klarmachen, dass unsere Gesellschaft sowohl sexistisch als auch rassistisch ist. Weiße Feministinnen erkennen nicht, daß auch sie Nutznießerinnen des existierenden Rassismus sind. Daß Rassismus ihnen erlaubt zu ignorieren, wie unterschiedlich weiße Hautfarbe und Schwarze Hautfarbe bewertet werden.« (Hügel-Marshall 1998: 82) Wurden die Veröffentlichungen von rassistisch markierten Frauen* und kritischen weißen Frauen* in den 80er Jahren zum Thema Rassismus im Allgemeinen und Rassismus in den Frauen*bewegungen nicht weiter beachtet, sorgte unter anderem die 1990 veröffentlichte Ausgabe Geteilter Feminismus. Rassismus. Antisemitismus. Fremdenhaß der Zeitschrift beiträge zur feministischen theorie und praxis dafür, dass die Thematik ein breiteres Publikum erreichte (Lutz 1993: 138f). Unter dem »Schlagwort Differenzen zwischen Frauen [Herv. i. O.]«, so Sedef Gümen, wurden seit Anfang der 1990er in den feministischen Theorien zusehends weitere Kategorie neben Geschlecht, wie Ethnizität oder Nationalität mitgenannt (Gümen 1999: 220). Sie kritisierte jedoch, dass damit meist nicht die Problematik einer verallgemeinernden Vorstellung der Erfahrungen von Frauen* und der Kategorie ›Frau*‹ hinterfragt wurde, sondern vielmehr weitere
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Kategorien additiv zu Gender hinzugefügt wurden. 38 Dies hatte nach Gümen zur Folge, dass andere Ungleichheitsverhältnisse und, die »davon betroffenen Frauen« »zu einer Teildifferenz (Differenzen zwischen Frauen) innerhalb einer umfassenden Differenz (zwischen Männern und Frauen)« erklärt wurden (Gümen 1999: 224). An solchen Herangehensweisen wurde insbesondere auch kritisiert, dass die Privilegien weißer Frauen* unhinterfragt bleiben würden und nicht angenommen werde, dass sie durch Rassifizierungsprozesse betroffen oder geformt seien (FeMigra 1995: 76, 84ff; Hügel 1990: 93; Wollrad 2005: 103ff). So heißt es in dem Aufsatz Wir, die Seiltänzerin Politische Strategien von Migrantinnen gegen Ethnisierung und Assimilation (1995) von der Gruppe FeMigra (Feministische Migrantinnen, Frankfurt): »Es geht nicht nur darum, Migrantinnen einen Raum für das Ansprechen ihrer Betroffenheit zuzuerkennen, sondern auch darum, die Privilegien deutscher Frauen zu hinterfragen. Diese stellen sich über ihre Einschließung in eine nationalrassische Gemeinschaft her, die ihnen erst den Zugang zu Machtressourcen und zur Öffentlichkeit gewährt.« (FeMigra 1995: 87) Durch diese anhaltende Kritik von Schwarzen Frauen*, Jüdinnen* und Frauen* of Color39 ist laut Eske Wollrad »zunehmend nicht nur die Legitimität der Ausblendung von Rassismus aus der Weißen feministischen Theoriearbeit ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, sondern auch die Selbstverständlichkeit der Priorisierung der Kategorie ›Gender‹ vor allen« (Wollrad 2005: 100). Gerade solch eine Priorisierung fordern Intersektionalitätsansätze heraus, die in den letzten Jahren in den Frauen*- und Geschlechterforschungen, immer populärer geworden sind (Lutz et al. 2010a: 9f., 17; Walgenbach 2012). Bevor ich mich jedoch mit aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in diesem Zusammenhang auseinandersetze, gilt es zunächst auf die Einführung des Begriffs Intersektionalität durch Kimberlé Crenshaw einzugehen.
38 Dieser additive Ansatz wurde bereits im Kontext des US-amerikanischen Kontext angesprochen. 39 Hier müsste noch die Kritik von behinderten Frauen* hinzugefügt werden zumindest für die Infragestellung der Priorisierung der Kategorie Geschlecht.
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1.3 Einführung des Be griffs Intersektionalität durch Crenshaw Der Begriff und das Konzept der Intersektionalität selbst wurde 1989 von der Juristin Kimberlé Crenshaw mit ihrem Aufsatz Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory, and Antiracist Politics eingeführt. Sie richtet sich darin gegen einen »single-axis framework«, der im Antidiskriminierungsrecht weit verbreitet ist und der sich auch in feministischer Theorie und antirassistischer Politik wieder finden lässt (Crenshaw 1989: 139). Anhand der Zentrierung Schwarzer Frauen* in den Mittelpunkt ihrer Analyse, zeigt Crenshaw die Probleme und Auslassungen, die mit einer lediglich eindimensionalen Analyse auf entweder Sexismus oder Rassismus einhergehen und dafür sorgen, dass Schwarze Frauen* in feministischen Theorien und anti-rassistischen Politiken ausgeschlossen werden (ebd.: 140). Sie stellt sich in ihrem Text gegen ein additionales Verständnis von Unterdrückungskategorien, da »the intersectional experience is greater than the sum of racism and sexism« (ebd.: 140). Rassismus und Sexismus als getrennte Einheiten zu betrachten und ihre Verbindung lediglich additiv zu verstehen, verhindert zu verstehen, in welcher Art und Weise Schwarze Frauen* unterdrückt werden. Um die Erfahrungen Schwarzer Frauen* in feministische Theorien miteinzubeziehen, fordert Crenshaw deshalb ein komplettes Umdenken, was unter »women’s experience« verstanden wird (ebd.: 140). Diese Kritik und Forderung reiht sich ein in die lange Tradition Schwarzer und Chicana Feminismen mit ihren zuvor ausgeführten Kritikpunkten und Forderungen nach einem Verständnis von verschiedenen Unterdrückungssystemen als simultan und verschränkt. Crenshaw’s Ausführungen hierzu stellten damit nichts fundamental Neues dar. Aber der Begriff Intersektionalität war neu und sie leitete ihn anhand der Besprechung von drei Gerichtsverfahren ein, die exemplarisch für den Umgang von Gerichten mit Schwarzen Klägerinnen* stehen. Anhand der Urteile weist Crenshaw nach, welche Folgen und Exklusionen für Schwarze Frauen* mit einem additiven Verständnis von Unterdrückung im Kontext gerichtlicher Auseinandersetzungen einher gehen. In den ersten zwei Beispielen (DeGraffenreid vs. General Motors, Moore vs Hughes Helicopter) erkennt das Gericht die Diskriminierung der Schwarzen Frauen* nicht an. Dies allerdings nur, weil Rassismus und Sexismus getrennt betrachtet werden und das Gericht jeweils Schwarze Männer bzw. weiße Frauen
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als Beleg dafür heranziehen, dass keine rassistische bzw. sexistische Diskriminierung vorliegen kann (Crenshaw 1989: 149: 141ff). Im dritten Fall (Payne vs Travenol) wird zwar anerkannt, dass die Klägerinnen* rassistische Diskriminierung in dem Pharmaunternehmen erfahren, aber die Übertragung dieses Urteils auf alle Schwarze Menschen in der Firma wird aberkannt, da betont wird, dass Schwarze Frauen* nicht alle Schwarzen Menschen repräsentieren können (ebd.: 146ff). Damit werden Schwarze Männer und weiße Frauen* jeweils als Prototypen für rassistische bzw. sexistische Diskriminierung angesehen und alle anderen Positionen ausgeblendet (ebd.: 142). Damit scheint zunächst eine Widersprüchlichkeit verbunden zu sein, zwischen einerseits der Forderung nach der Anerkennung der Differenz von Schwarzen Frauen* und andererseits der Forderung nach der Gleichheit von Schwarzen Frauen* als Repräsentantinnen* für alle Schwarzen Menschen: »It seems that I have to say that Black women are the same and harmed by being treated differently, or that they are different and harmed by being treated the same. But I cannot say both.« (Crenshaw 1989: 148f.) Dass dies als Widerspruch angesehen wird, sieht Crenshaw jedoch als weiteren Beleg für die Begrenzung einer eindimensionalen Analyse. Dem stellt sie eine Betrachtungsweise gegenüber, die die Gleichzeitigkeit von Diskriminierungsverhältnissen betonen soll (Crenshaw 1989: 149). Dies illustriert sie anhand der Metapher einer intersection (Straßenkreuzung), an der sich Diskriminierungsformen treffen und kreuzen: »Consider an analogy to traffic in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.« (Crenshaw 1989: 149) Sie verdeutlicht damit, dass es nicht möglich ist, herauszufinden, ob eine Diskriminierungserfahrung einer Schwarzen Frau* nun aus der Richtung von Sexismus oder Rassismus passiert, da diese aus einer der beiden aber auch aus der Simultanität der beiden passiert sein kann. Weiter stellt sie heraus, dass es nicht immer möglich ist zu rekonstruieren, aus welcher Richtung nun genau
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die Verletzung gekommen ist. Aber dies darf kein Grund dafür sein, dass Schwarze Frauen* keine Unterstützung erhalten: »Similarly, providing legal relief only when Black women show that their claims are based on race or on sex is analogous to calling an ambulance for the victim only after the driver responsible for the injuries is identified. But it is not always easy to reconstruct an accident: Sometimes the skid marks and the injuries simply indicate that they occurred simultaneously, frustrating efforts to determine which driver caused the harm. In these cases the tendency seems to be that no driver is held responsible, no treatment is administered, and the involved parties simply get back in their cars and zoom away.« (Crenshaw 1989: 149) Neben der Spezifizierung der Positionierung von Schwarzen Frauen* im Kontext multipler Diskriminierungsformen betont Crenshaw mit dieser Metapher die Verschränktheit verschiedener Unterdrückungssysteme und die exkludierenden und fehlerhaften Resultate einer lediglich eindimensionalen Betrachtung. Crenshaw propagiert damit jedoch kein Verständnis von getrennten Kategorien vor und nach der Kreuzung40, sondern setzt sich für eine Methodologie ein »that will ultimately disrupt the tendencies to see race and gender as exclusive or separable.« (Crenshaw 1991: 1244). Sie betont folglich, wie zuvor das Combahee River Collective und andere Schwarze und Chicana Feministinnen*41 die Simultanität verschiedener Unterdrückungsformen. Crenshaw selbst bezeichnet das Konzept Intersektionalität 1991 in ihrem Aufsatz Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color als ein provisorisches Instrument und mit der Hoffnung eine Methodologie zu unterstützen, die race und Geschlecht als getrennte und isolierte Kategorien betrachtet (Crenshaw 1991: 1244). Bei diesem Provisorium ist es jedoch keineswegs geblieben. Crenshaw entwickelte den Begriff und das Konzept Intersektionalität in einem rechtlichen Rahmen der Antidiskriminierungsarbeit und der Critical Race
40 Dies wird häufig in der deutschsprachigen Rezeption angenommen, wie Lucy Chebout kritisch anmerkt (Chebout 2012: 562ff). Siehe dazu auch Kapitel 2.3. 41 Vgl. vorherige Ausführungen
1. Kontextualisierung der Intersektionalitätsansätze
Theory42. Aber der Begriff und das Konzept hat sich in den letzten Jahrzehnten weit über diesen Kontext und den US-amerikanischen Raum hinaus verbreitet und weiterentwickelt mit teilweise heftigen Auseinandersetzungen, wie im folgenden Kapitel deutlich werden (vgl. Chebout 2012: 51f; Knapp 2013: 342, Lutz 2014: 4ff; Roig 2018).
42 Dieser von Crenshaw mitbegründete wissenschaftliche sowie aktivistische Zusammenhang fokussiert einen anti-rassistischen Blick auf das Themenfeld Recht. Dabei werden u.a. Fragen »nach rassistischen Implikationen von Recht, wie Rassismus und Recht zusammenwirken und wie Recht z.B. durch ›Farbenblindheit‹ Rassismus perpetuiert« nachgegangen sowie Möglichkeiten Recht als Werkzeug gegen Rassismus einzusetzen (Chebout 2012: 51).
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2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
»›Intersektionalität‹ thematisiert das [Herv. i. O.] zentrale theoretische und normative Problem in der feministischen Wissenschaft – die Anerkennung von Differenzen zwischen Frauen. Es berührt das drängendste Problem, dem sich der Feminismus aktuell gegenübersieht – die lange und schmerzliche Geschichte seiner Exklusionsprozesse.« (Davis 2010: 58) Dieses Zitat von Kathy Davis verdeutlicht das kritische Potential von Intersektionalität und fokussiert die Auseinandersetzung um Machtverhältnisse zwischen Frauen* in feministischen Kontexten, die – wie das letzte Kapitel gezeigt hat – auch in der Entwicklung von Intersektionalität eine große Rollte gespielt hat. In diesem Verständnis wird Intersektionalität auch in der vorliegenden Arbeit als theoretisches Konzept und heuristisches Werkzeug verwendet, um sich der Frage nach Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* in feministischen Kontexten zu nähern. Im Rahmen der Entwicklung zu einem neuen Paradigma in den Frauen*und Geschlechterforschungen hat sich Intersektionalität in den letzten Jahren aber auch verändert und es sind neue Debatten entstanden, die jenseits des alleinigen Fokus auf Differenzen zwischen Frauen* und exkludierender Effekte innerhalb von Feminismen liegen (Davis 2010: 61; Lutz et al. 2010a: 9ff; Walgenbach 2012). Im Folgenden sollen einige Aspekte1 hauptsächlich bundesdeutscher2 wissenschaftlichen Debatten und Auseinandersetzungen um Intersektionalität be-
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Es ist nicht möglich und auch nicht der Anspruch alle Debatten und Auseinandersetzungen darzulegen, sondern es wird sich auf einige Aspekte bezogen, die für meine Arbeit und die Ver-
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leuchtet werden, um meine Forschung darin zu verorten und darzulegen, wie Intersektionalität in der vorliegenden Arbeit gefasst wird. Des Weiteren soll dadurch deutlich werden, wieso eine intensivere Auseinandersetzung mit feministischen Praxen und dem Umgang mit Differenzen zwischen Frauen* sich als besonders fruchtbar darstellt.
2.1
Frage der Kategorien
Mit der Verwendung von Intersektionalität als kritisches Analysemittel, ist die Frage, die Alice Ludvig als »Achilles heel of intersectional approaches« bezeichnet, unausweichlich: Welche Kategorien und welche damit zusammenhängenden Machtverhältnissen werden miteinbezogen, ohne dass es zu einem »embarrassed ›etc.‹« führt, wie Butler es nennt (Butler 1990: 143; Ludvig 2006: 247)? In Anlehnung an Diskussionen im angloamerikanischen Raum, wird häufig die Triade der Ungleichheitskategorien von Geschlecht, Klasse und race als maßgeblich angesehen (Walgenbach 2014: 69). Dabei wird jedoch die Debatte um die Fragen, wie diese Kategorien bezeichnet werden sollten, ob eine gleichberechtigte Schwerpunktsetzung vorliegt und ob es überhaupt bei diesen drei Kategorien bleiben sollte im europäischen und bundesdeutschen Kontext sehr kontrovers geführt (Degele, Winker 2009: 14, Knapp 2013: 346f.).
Kategorie race Im Gegensatz zum angloamerikanischen Kontext ist die Kategorie race und ihre Bezeichnung im deutschsprachigen Raum eine umstrittene und geht einher mit kontroversen Debatten (Chebout 2012: 54ff; Degele, Winker 2009: 14; Lutz et al. 2010a: 19ff).3
ortung der Arbeit von Bedeutung sind. Für einen detaillierteren Überblick der Debatten siehe: u.a. Kerner (2012), Knapp (2013), Lutz (2014). 2
Da diese Debatten, aber auch nicht abgetrennt von inter- und transnationalen Bezügen stehen,
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Dies ist ein Beispiel für die Übersetzungsarbeit und Neuverortung, die bei der Übertragung des
werden diese auch immer wieder miteinbezogen. Begriffs und Konzepts Intersektionalität in den deutschsprachigen Raum von Nöten ist (Knapp 2014: 343).
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
Einige Theoretiker*innen im deutschsprachigen Raum lehnen die Verwendung der wörtlichen Übersetzung der Kategorie race mit ›Rasse‹ ab. Sie verweisen darauf, dass der Begriff unweigerlich in der Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie steht. Aus diesem Grund weichen sie auf den Begriff Ethnizität aus. Teilweise wird die Kategorie auch ohne jegliche Erklärung mit Ethnizität ersetzt (u.a. Busche, Scambor 2009) oder als Gleichsetzung »Rasse/Ethnizität« (Knapp 2013) verwendet (u.a. Klinger, Knapp 2007; Knapp 2013; Scherr 4 2012). Der Begriff Ethnizität ist dabei auch in der Tradition einer Rassismusforschung in Deutschland zu sehen, die sich jahrzehntelang auf »Ethnisierung und Kulturalisierung« fokussierte und sich schwer tat Rassismus tatsächlich beim Namen zu nennen (Lutz et al. 2010a: 21). Folglich ist auch der Ersatzbegriff Ethnizität und die Nicht-Verwendung von race stark umstritten. Es wird kritisiert, dass dadurch Rassismus und dessen gewalttätige Zuschreibungen und Realitäten aus der Betrachtung und Diskussion verschwinden würden (Chebout 2012: 54f.; Dietze et al. 2007b: 17; Lutz et al. 2010a: 19). So schreiben Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik: »›Ethnizität‹ kann als wissenschaftlich ›neutraler‹ Begriff mit der Suggestion des Multikulturalismus eines scheinbar gleichberechtigten Nebeneinanders sich gegenseitig tolerierender und respektierender Kulturen verbunden werden, während mit dem Begriff der ›Rasse‹ die Geschichte der immanenten Ver(m)achtung und Ungleichheit dies- und jenseits der ›Color Line‹ verbunden ist, die Privilegierung weißer und die Benachteiligung Schwarzer Positionen.« (Lutz et al. 2010a: 20) Mit dem Begriff race sind somit die machtvollen Rassifizierungsprozesse und die damit zusammenhängende Normierung von weiß bei gleichzeitiger Abwertung von Schwarz, sehr viel eindeutiger zu fassen als mit dem neutral anmutenden Begriff Ethnizität. Wie Lucy N. Chebout kritisch anmerkt, gilt es allerdings zu bedenken, dass die Arbeiten von Frauen* of Color, bei denen race ein zentraler Bezugspunkt ist, vernachlässigt werden, wenn kein affirmativer Bezug auf die Kategorie race
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Zu Beginn des Artikels wird zunächst von »Ethnizität und ›Rasse‹« gesprochen, wobei im Verlauf dann nur noch Ethnizität genannt wird, ohne dies näher zu erklären (Scherr 2012).
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möglich ist, wie das etwa Degele und Winker für den deutschsprachigen Kontext konstatieren (Chebout 2012: 54ff; Degele, Winker 2009: 14). Mit dieser Debatte um die Benennung der Kategorie race ist auch eine weitreichendere Kritik an der heutigen Verwendung des Intersektionalitätskonzepts gerade im deutschsprachigen Raum verbunden. Und zwar, wenn mit Intersektionalität Unterdrückungsformen entlang von Rassifizierungsprozessen und damit Rassismus aus dem Blickfeld geraten und dethematisiert werden (Chebout 2012: 47; Erel et al. 2007: 247; Gutiérrez Rodríguez 2011: 80ff; Roig 2018). Es ergibt sich folglich ein Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit der Thematisierung von Rassismus und der gleichzeitigen kritischen Distanz zu dem Begriff ›Rasse‹, der im deutschsprachigen Raum unweigerlich mit dem Nationalsozialismus verbunden ist. Dass deswegen race nicht einfach mit ›Rasse‹ übersetzt werden kann, werfen etliche Autor*innen ein. So schreibt zum Beispiel Lalon Sander: »Das Wort ›race‹ einfach mit ›Rasse‹ zu übersetzen geht nicht […]. Menschenrassen im Sinne einer zoologischen Taxonomie gibt es nicht, aber Menschen, Institutionen und Staaten behandeln andere Menschen, als gäbe es sie. Darüber müssen wir sprechen können. Auf Englisch tut man das mit ›race‹, was nichts anderes bedeutet als ›willkürlich zusammengestellte Menschengruppen, die behandelt werden, als seien sie eine ›Rasse‹. Es ist eine politische Kategorie.« (Sander 2014) Um dieses Politische des Begriffs zu betonen, verwenden einige Autor*innen das englische Wort race als Bezeichnung einer sozialen Kategorie, die im Zusammenhang mit Rassifizierungsprozessen steht (Dietze et al. 2012; Kelly 2019: 15). Anlehnend an diese Autor*innen und im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte von Intersektionalität u.a. im Schwarzen Feminismus, halte ich es für unabdinglich die Kategorie race nicht durch andere Begriffe zu ersetzen. Mit der bereits erwähnten Kursivsetzung wird jedoch der soziale Konstruktionscharakter der Kategorie hervorgehoben (Kelly 2019: 15).5
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Gleichzeitig ist auf die Temporalität von Begriffsverwendungen zu verweisen. Sprachpolitische Prozesse sorgen dafür, dass Begrifflichkeiten sich ständig weiterentwickeln und ein Begriff, der zum Zeitpunkt des Schreibens der Arbeit als angemessen eingestuft wurde, in einigen Jahren evtl. schon nicht mehr passend erscheint.
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
Kategorienliste Auch bei der Frage nach der Erweiterung der Triade Klasse, Geschlecht und race gibt es im europäischen und deutschsprachigen Raum sehr viele Kontroversen (Lutz 2014: 7; Knapp 2013: 346f.). Bereits 1992 arbeiteten Floya Anthias und Nira Yuval-Davis heraus, wie Nationalität in Wechselwirkung mit der Triade steht (Anthias, Yuval-Davis 1992). Auch die Frage nach dem Einbezug weiterer Kategorien wie Alter oder Behinderung wurde im englischsprachigen Raum in den 1990ern diskutiert (Lutz 2014: 6f.). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Crenshaw selbst bereits bei ihrer Einführung des Begriffs darauf aufmerksam machte, dass sie sie sich zwar zunächst auf race und Geschlecht bezieht, eine Erweiterung um weitere Kategorien wie Klasse, sexuelle Orientierung oder auch Alter aber zu befürworten sei (Crenshaw 1991: 1245). Im deutschsprachigen Raum setzt die Auseinandersetzung mit der Kategorienauflistung verstärkt Anfang der 2000er ein (Lutz 2014: 6f.).6 Im Folgenden wird auf einzelne erweiternde Kategorien und Vorschläge kurz eingegangen7, bevor sich mit Vorschlägen des Umgangs eines Kategorienkatalogs beschäftigt wird. Nina Degele und Gabriele Winker erweitern die Triade von race, Klasse und Geschlecht um die Kategorie Körper. Sie betonen den strukturierenden Charakter von Körper in einer Gesellschaft, in der die Ideologie des Neoliberalismus und damit ein »Maximierungspostulat« dominiert (Degele, Winker 2009: 40): Dieses Postulat wirke sich auch auf Körper aus und konstruiere diese als Projektionsfläche von Optimierungsprozessen. Dabei wird auch die instrumentalisierende Frage nach »›brauchbaren‹, ›nützlichen‹ und ›um/formbaren‹ Körpern« immer häufiger gestellt (Degele, Winker 2009: 40). Mit der Kategorie Körper wollen Degele und Winker nun Unterdrückungsformen entlang von »Bodyismen« fassen. Darunter verstehen sie »Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschengruppen aufgrund körperlicher Merkmale wie Alter, Attraktivität, Generativität und körperliche Verfasstheit« (ebd.: 51). Dabei gehen sie davon
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Im Allgemeinen muss darauf hingewiesen werden, dass Intersektionalität im deutschsprachigen Raum später, als im englischsprachigen Raum aufgenommen wird (Kerner 2012: 204; Lutz 2014: 4).
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Dabei wird nicht chronologisch nach Auftauchen der einzelnen Vorschläge vorgegangen, sondern schlaglichtartig die Betonung einzelner oder mehrerer Kategorien aufgeworfen.
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aus, dass sie mit Bodyismen, Diskriminierungen aufgrund von Alter (»ageism«), Attraktivität (»lookism«) und Behinderung (»ableism«) fassen können (ebd.: 51). Hier zeigt sich das Spannungsfeld, das die Diskussionen um Intersektionalität und die jeweilig anzulegenden Kategorien kennzeichnet. Auf der einen Seite wird angestrebt, erneute Ausschlüsse zu vermeiden und somit vielfältige Diskriminierungssysteme und die Kategorien, auf die sie sich beziehen, miteinzubeziehen. Andererseits soll kein Endloskatalog aufgestellt werden, der zur Beliebigkeit führt. Degele und Winker schlagen deswegen eine Strategie vor, möglichst viele Diskriminierungsformen unter eine Kategorie zu fassen – in diesem Fall etwa ›Körper‹. Dies birgt aber die Gefahr, dass einzelne Diskriminierungsformen erneut vernachlässigt werden können. So wenden sich Ulrike Schildmann und Sabrina Schramme gegen die Subsumierung von Behinderung unter Körper, unter anderem weil damit eine unhaltbare »analytische Reduktion von Behinderung auf Körperzusammenhänge« vorgenommen werden würde (Schildmann, Schramme 2018: 71). Folglich fordern sie den Einbezug der Kategorie Behinderung »als eigenständige soziale Strukturkategorie […] in der Intersektionalitätsforschung« (ebd.: 72).8 Es stellt sich also die Frage, ob das Vorgehen von Degele und Winker möglichst viele Diskriminierungsformen unter eine Kategorie zu fassen, nicht doch wieder zu Marginalisierungen führen kann, wie hier an dem Beispiel der Kategorie Behinderung deutlich wird. Den Fokus verstärkt auf Machtverhältnisse und weniger auf einzelne Kategorien zu legen, betonen Helma Lutz und Norbert Wenning bei ihrer Auflistung »13 bipolare hierarchische Differenzlinien«9 (Lutz, Wenning 2001: 20). Diese identifizieren sie als »Geschlecht, Sexualität, ›Rasse‹/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, Nord-Süd/Ost-West und gesellschaftlicher Entwicklungsstand« (ebd.: 20). Diesen Differenzlinien ordnen sie jeweils ein hierarchisch organisierten »Grund-
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Knapp merkt bei der Kategorie Körper auch kritisch an, dass diese nicht auf derselben Ebene wie die anderen Kategorien liegen würde. Denn Körper würde zu den drei anderen Kategorien und den dazugehörigen Herrschaftsverhältnissen quer liegen und somit in den anderen Kategorien mitwirken (Knapp 2013: 349f.).
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Lutz und Wenning betonen dabei, dass diese Auflistung keinesfalls als abschließend anzusehen ist (ebd.: 20f.).
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dualismus« zur Seite und betonen, damit die unweigerliche Verbundenheit von Unterdrückung und Privilegierung in einem Machtverhältnis (Lutz, Wenning 2001: 20). So ist zum Beispiel der Kategorie Sexualität das Gegensatzpaar »heterohomo« zugeordnet, es betont, dass Heterosexualität als Norm und Homosexualität somit als »Abweichung« von dieser angesehen wird (ebd.: 20). Diese Betonung einer Hierarchisierung erscheint sehr notwendig, gerade weil damit explizit auch privilegierte Positionen miteinbezogen werden. Denn ein Kritikpunkt an Intersektionalität ist, dass dabei häufig nur die Verschränkung von Diskriminierungsformen verstanden wird und nicht auch die Verschränkung von und mit privilegierten Positionen (Carastathis 2008: 28).10 So schreiben Jo Armstrong et al.: »The analysis of intersectionality has often focused on the actions of the disadvantaged groups. For example, there has been a focus on the actions of white women rather than white men in the context of an intersectional issue facing black women.« (Armstrong et al. 2012: 230) Mit der Betonung von Differenzlinien könnte dieser Tendenz entgegengewirkt werden. Bisher konnte keine Übereinkunft eines ›Kategorienkatalogs‹ gefunden werden (Chebout 2012: 53; Degele, Winker 2009: 12). Ina Kerner stellt dazu fest, dass es weder wünschenswert noch möglich ist, die Frage der Kategorien endgültig zu beantworten, ohne damit erneut Ausschlüsse zu produzieren Sie plädiert dafür die Priorisierung bestimmter Kategorien vom jeweiligen zu untersuchenden Kontext abhängig zu machen (Kerner 2012: 208).11 Dafür plädiert auch Gudrun-Axeli Knapp und differenziert zwei verschiedene Fokusebenen, die unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. So soll mit einem Fokus auf die Subjektebene, bei der es um Diskriminierungserfahrungen einzelner Personen geht, eine offenere Herangehensweise präferiert werden, bei der kein enger vorheriger Kategorienkatalog aufgestellt wird
10 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Kritikpunkt siehe den Artikel The Invisibility of Privilege: A critique of intersectional models of identity von Anna Carastathis (2008). 11
Für meine Forschung wird der methodologische Ansatz von Degele und Winker, je nach Untersuchungsebene eine deduktive bzw. induktive Kategorienbildung vorzunehmen, eine fruchtbare Grundlage darstellen. Auf diesen Ansatz werde ich weiter unten genauer eingehen.
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(Knapp 2013: 346). Demgegenüber sollte bei dem Fokus auf strukturelle Unterdrückungssysteme, ihre historische Konstituierung und heutigen Auswirkungen die Triade race, Klasse und Geschlecht zunächst als Ausgangspunkt gewählt werden (Knapp 2013: 346; auch Klinger, Knapp 2007: 20f.). Diese Unterscheidung von zwei Ebenen erweitern Degele und Winker in ihrer Formulierung einer »Mehrebenenanalyse«12 um die Ebene der symbolischen Repräsentation13 (Degele, Winker 2009: 11). Sie schlagen vor auf der Strukturebene von vier Kategorien (race, Klasse, Geschlecht, Körper) auszugehen und bei den anderen Ebenen die jeweilig thematisierten oder ausgeklammerten Ungleichheitsverhältnisse induktiv herauszuarbeiten (Degele, Winker 2009: 80ff)14. Dass die Diskussion um die Auflistung von Kategorien im deutschsprachigen Raum so viel Platz einnimmt, kritisieren einige Autor*innen und sehen es u.a. als Zeichen einer starken Akademisierung und Entpolitisierung von Intersektionalität (Erel et al. 2007: 245; Meyer, Purtschert 2010: 130f.). So warnen Erel et al., dass eine bloße Auflistung von Differenzkategorien, eine intensivere Analyse von Machtverhältnissen und ihr Hervorbringen von spezifischen Unterdrückungs- sowie Widerstandsformen verhindern (Erel et al. 2007: 245). Lutz weist darauf hin, dass die Frage nach den Kategorien nicht so problematisch ist wie die Tatsache, »dass Intersektionalität oft zur Begriffshülse erstarrt, da sich dahinter keineswegs eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ›axialen Prinzipien‹ und schon gar nicht mit ›Race‹ finden lässt« (Lutz 2013: 422). Neben der Frage nach der Anzahl der Kategorien, ist also gerade auch die Schwerpunktsetzung der einzelnen Kategorien von Auseinandersetzungen ge-
12 Hier muss kritisch angemerkt werden, dass Floya Anthias bereits 1998 einen Mehrebenenansatz mit vier Dimensionen entwickelt hat, den Degele und Winker in ihrer Arbeit nicht würdigen. 13
Darunter verstehen sie »die in einem Kontext vorherrschenden Normen, Werte und Stereotypen« (Degele, Winker 2009: 54).
14 Es wird jedoch u.a. kritisiert, dass ihre Vorgehensweise zu sehr von den Kategorien und Ungleichheitsverhältnissen abhängt, die von den Interviewten selbst erwähnt werden, da diese den Ausgangspunkt ihrer Analyse darstellen. Auch die fehlende Fokussierung der tatsächlichen Wechselwirkungen zwischen den vier Strukturkategorien wird kritisiert (Kerner 2012: 210).
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prägt und die Kritik der Vernachlässigung von race und Rassismus ist angesichts der Entstehungsgeschichte von Intersektionalität besonders bedenklich (Erel et al. 2007: 243f.; Gutiérrez Rodríguez 2011: 81ff; Lutz 2014: 1).15 Dies verdeutlicht, dass der Anspruch, die Wechselwirkungen verschiedener Kategorien zu berücksichtigen, sehr schwierig in der konkreten Umsetzung ist und häufig nicht eingelöst wird, auch wenn Arbeiten als intersektional betitelt werden (Erel et al. 2007: 246f.; Lutz 2014: 9; Lutz 2001: 215). Für die vorliegende Arbeit ist festzustellen, dass zunächst einmal offen und damit ohne Kategorienkatalog an die Analyse der Gruppendiskussionen herangegangen wird. Es soll damit Raum geschaffen werden für die Relevanzsetzung der Teilnehmenden, welche Kategorien und Ungleichheitsverhältnisse für sie als bedeutsam angeführt werden und in welches Verhältnis sie zueinander gestellt werden. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht zwingend diejenigen Ungleichheitsverhältnisse am relevantesten sind, die in den Gruppendiskussionen am meisten verwendet werden, sondern auch, worüber nicht gesprochen wird, aufschlussreich sein kann (Davis, Lutz 2005: 241ff; Lutz 2014: 11). Gerade wenn Machtverhältnisse verstärkt ins Blickfeld der Analyse rückt, sind diese Auslassungen von besonderem Interesse. So schreiben Erel et al.: »Wenn wir also Machtverhältnisse anhand empirischer Daten aufdecken wollen, ist es wichtig, immer auch nach den Auslassungen in den Diskursen von InterviewpartnerInnen oder anderen Texten zu fragen.« (Erel et al. 2007: 247) Dies ist insbesondere für die Frage, welche Differenzen zwischen Frauen* bei meinen untersuchten Gruppen nicht erwähnt werden oder nur in bestimmten Situationen von Bedeutung sind, von Interesse. 16
15 Auch die Vernachlässigung von Ungleichheitsverhältnissen in Bezug auf ›Behinderung‹, Transphobie oder Klasse wird kritisiert (Erel et al. 2007: 243). 16 Hier muss aber betont werden, dass es bei meiner Fragestellung zunächst darum geht, herauszufinden, wie Differenzen zwischen Frauen* bei den Gruppen konzipiert werden und in welchem Zusammenhang diese Konzeptualisierung mit ihrer Praxis steht. Welche Differenzen unter Frauen* dabei als relevant eingestuft werden, ist damit ein automatisches Mitprodukt dieser Fragestellung, aber nicht der alleinige Hauptschwerpunkt der Arbeit. (Vgl. Zentrale Fragestellung am Ende des theoretischen Teils der Arbeit)
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Gleichzeitig muss jeweils meine eigene Position im Austausch mit den Teilnehmenden miteinbezogen werden. Denn die Relevanzsetzung bestimmter Differenzkategorien der Teilnehmenden, können sich aus der Interaktion mit mir ergeben und Machtverhältnisse zwischen mir und den Teilnehmenden offenlegen. Davis und Lutz sprechen hier von einer »Doppelperspektive« (Davis, Lutz 2005: 241). Konstruktionsprozesse verlaufen somit auf der Ebene der Teilnehmenden sowie auf der Ebene der Interviewer*in und im Austausch miteinander (ebd.: 241ff). In dieser Verwendung wird Intersektionalität anlehnend an Autor*innen wie Helma Lutz als heuristisches Mittel verwendet »that is particularly helpful in detecting the overlapping and co-construction of visible and – at first sight – invisible strands of inequality« (Lutz 2014: 8). In diesem Zusammenhang werde ich vor allem die Kategorien race, Geschlecht, Klasse und Behinderung als kritischen Spiegel anlegen, um blinde Flecken im Zusammenhang mit der Dethematisierung von den damit zusammenhängenden Ungleichheitsverhältnissen erkennen zu können sowie meine eigene Verstricktheit in Machtverhältnissen entlang dieser Differenzlinien. Da die Kritikpunkte von Frauen*, die Unterdrückung entlang von Rassismen, Klassismen, Sexismen und Ableismen erfahren für die Entwicklung intersektionaler Ansätze elementar waren, halte ich es für notwendig, gerade diese Ungleichheitsverhältnisse während der Analyse mitzudenken, um eventuelle Auslassungen erkennen zu können.
2.2 Relationalität der Kategorien Neben der Frage, welche Kategorien miteinbezogen werden sollten, stellt sich auch die Frage in welchem Verhältnis diese Kategorien zueinanderstehen. Dabei geht es um die Frage, wie die Komplexität von Ungleichheitsverhältnissen und sozialen Positionen und ihre Relationalität, die Intersektionalität betont, erfasst werden kann (McCall 2005: 1773). Leslie McCall hat in einer vorläufigen Orientierung bezüglich dieser Frage die einzelnen empirischen Zugänge in inter-, intra-, oder antikategoriale »complexities« eingeteilt (McCall 2005: 1773).17 Sie betont dabei aber auch, dass
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Es gibt auch andere Unterteilungen der Intersektionalitätsansätze. So unterscheidet z.B. Baukja Prins (2006) in ihrem Artikel Narrative Accounts of Origins zwischen systemischen und konstruktivisitischen Herangehensweisen. Systemische betonen dabei den Einfluss von Strukturen auf Identitäten während konstruktivistische die Relationalität und Dynamik von sozialer Identi-
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
damit nicht alle intersektionalen Vorgehensweisen erfasst werden. Außerdem soll diese Einteilung als Kontinuum verstanden werden und nicht als absolute und abgeschlossene Einteilungen (ebd.: 1774).
Interkategorial Bei einer interkategorialen Herangehensweise, so McCall, wird zunächst davon ausgegangen, dass es Ungleichheitsverhältnisse zwischen bereits getrennt konstituierten sozialen Gruppen gibt: »The intercategorical approach (also referred to as the categorical approach) begins with the observation that there are relationships of inequality among already constituted social groups, as imperfect and ever changing as they are, and takes those relationships as the center of analysis. The main task of the categorical approach is to explicate those relationships, and doing so requires the provisional use of categories.« (McCall 2005: 1784f.) Diese Ansätze legen folglich nahe, dass Differenzkategorien zunächst getrennt existieren und sich dann verschränken. Das Ziel dieser Herangehensweise ist die Beschreibung dieser Verschränkungsprozesse. Die Komplexität innerhalb einzelner sozialen Gruppen oder Kategorien steht somit nicht im Fokus: »The categorical approach focuses on the complexity of relationships among multiple social groups within and across analytical categories and not on complexities within single social groups, single categories, or both.« (McCall 2005: 1786) Eine solche Herangehensweisen läuft jedoch Gefahr von einem additionalen Verhältnis von Unterdrückungsformen auszugehen. Denn es wird von zunächst getrennten sozialen Kategorien ausgegangen, die sich an bestimmten Punkten kreuzen. Dies erweckt den Anschein, dass es auch möglich wäre einzelne Kategorien getrennt zu betrachten, da angenommen wird sie wären zunächst von anderen Differenzlinien unabhängig.
tätsbildung betont. Dabei verordnet Prins die systemischen Ansätze v.a. in den USA und die konstruktivistischen im britischen Kontext (Prins 2006: 279f).
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Intrakategorial Im Gegensatz dazu betonen intrakategoriale Herangehensweisen, dass einzelne Differenzkategorien sich nicht erst an bestimmte Stellen kreuzen, sondern an sich schon voneinander durchdrungen sind. Damit betonen diese Ansätze gerade auch die Heterogenität und Machtverhältnisse innerhalb sozialer Gruppen (McCall 2005: 1780ff). Ein Beispiel solch einer Herangehensweise ist die Arbeit Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivitäten im Zeitalter von Globalisierung von Encarnación Gutiérrez Rodríguez (1999c). Darin arbeitet sie heraus, dass »Geschlechtskonfigurationen nicht nur auf der Grundlage des Geschlechterverhältnisses erzeugt werden, sondern immer auch im Verhältnis zu Ethnisierung, Rassisierung, Sexualität und zum Klassenverhältnis.« (Gutiérrez Rodríguez 1999c: 12) Geschlecht ist intrakategorial mit Prozessen weiterer Ungleichheitsverhältnisse verbunden und durch diese geformt. Im Zusammenhang mit der Simultanität von »Ethnisierung und Vergeschlechtlichung« führt sie aus diesem Grund den Begriff der »Geschlechtsethnisierung« ein, um die Abhängigkeit und Gleichzeitigkeit dieser zwei Differenzierungsprozesse zu betonen (ebd.: 205). In diesem Beispiel von Gutiérrez Rodríguez wird deutlich, dass bei intrakategorialen Herangehensweisen, soziale Differenzierungen und Kategorien von vorneherein als in Abhängigkeit voneinander konzeptualisiert werden. Gerade im Kontext solcher intrakategorialen Ansätze, brennt die Frage, ob die Metapher der intersection von Crenshaw nun die passende ist und ob die Relationalität von verschiedenen Unterdrückungssystemen damit wirklich fassbar ist. Denn Crenshaws Beispiel legt nahe, dass die sozialen Kategorien jenseits der Kreuzung voneinander unabhängig sind (Dietze et al. 2007b: 8f; Lutz 2014: 13f.). So schreiben zum Beispiel Umut Erel et al.: »Der Begriff der ›Intersektionalität‹ kann unserer Meinung nach die Interdependenz und Relationalität, die die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse bestimmen, nicht benennen – und zwar gerade, weil er die Verbindung zwischen ›Sektionen‹, also ›Kategorien‹ bezeichnet.« (Erel et al. 2007: 245) Eine stärkere Betonung der Relationalität ist somit notwendig, um Tendenzen von der Hierarchisierung von Unterdrückungssystemen, dem Ausspielen verschiedener marginalisierter Gruppen und der damit zusammenhängenden Ex-
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kludierung von mehrfach Marginalisierten, entgegenzutreten. Gleichzeitig betont der Fokus auf Relationalität nicht nur Marginalisierung, sondern eben auch Privilegierung (Erel et al. 2007: 245).18 In diesem Kontext taucht im deutschsprachigen Raum immer wieder das Wort Interdependenz auf, wie auch das obige Zitat zeigt. Auch Gabriele Dietze et al. machen sich für diesen Begriff stark und erläutern den Begriff folgendermaßen: »Als Autorinnenkollektiv dieses Bandes haben wir uns für die Verwendung dieses Begriffs entschieden, da die Verbindung von inter (zwischen) und Dependenz (Abhängigkeit) deutlich macht, dass der Fokus des Begriffs auf der Konzeptualisierung wechselseitiger und nicht monodirektionaler Abhängigkeiten liegt. [Herv. i. O.]« (Dietze et al. 2007b: 9) Gleichzeitig sehen sie auch diesen Begriff noch nicht als ausreichend an, die Vorstellung zunächst getrennter Kategorien zu verhindern. Aus diesem Grund schlagen sie vor, »Gender als [Herv. i. O.] interdependente Kategorie« zu begreifen, um zu betonen, dass soziale Ungleichheitskategorien voneinander abhängig sind und einzelne Kategorien keinen immanenten Kern haben (Dietze et al. 2007b: 9). Trotz dieser Versuche andere Begriff einzuführen wie den der Interdependenz19 konnte sich bis heute kein anderer Begriff als Intersektionalität flächendeckend durchsetzen und wird deswegen auch in der vorliegenden Arbeit benutzt.
18 Diese Betonung der Relationalität kann mit Intersektionalität laut Erel et al. nur erreicht werden, wenn die Analyse eingerahmt ist in »einem anti-rassistischen und post-kolonialen gesellschaftskritischen Kontext« (Erel et al. 2007: 245). 19 Im englischsprachigen Raum wird zum Beispiel u.a. mit Rückbezug auf das Combahee River Collective von interlocking systems of oppression gesprochen (Hill Collins 1995 [1989]: 338; Razack 2005: 343).
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Antikategorial Ansätze in einer poststrukturalistischen Tradition betonen eine antikategoriale Herangehensweise, die die soziale Konstruktion der verschiedenen Ungleichheitskategorien hervorhebt (Walgenbach 2014: 72).20 Bei dieser Herangehensweise werden gerade die Grenzen von sozialen Kategorien und die Folgen ihrer Konstruktionsprozesse nochmals stärker betont, so schreibt McCall: »Social life is considered too irreducibly complex – overflowing with multiple and fluid determinations of both subjects and structures – to make fixed categories anything but simplifying social fictions that produce inequalities in the process of producing differences.« (McCall 2005: 1773) Dies hat zur Folge, dass Kategorisierungsprozesse aufgrund ihres Vereindeutigungs- und Ausschlusscharakters kritisiert werden: »The methodological consequence is to render suspect both the process of categorization itself and any research that is based on such categorization, because it inevitably leads to demarcation, and demarcation to exclusion, and exclusion to inequality.« (McCall 2005: 1777) Für meine Forschung ist dies vor allem in Hinblick auf die Konstruktion der Kategorie ›Frau*‹ von Bedeutung und der Frage, welche Grenzziehungen oder Exklusionsprozesse sich bei den untersuchten Gruppen hinsichtlich dieser Kategorisierung rekonstruieren lassen. An dieser Stelle muss aber auch auf den berechtigten Einwurf von Crenshaw hingewiesen werden, dass der Bezug auf soziale Kategorien auch widerständige und empowernde Aspekte für marginalisierte Gruppen darstellen kann: »This is not to deny that the process of categorization is itself an exercise of power, but the story is much more complicated and nuanced than that. First, the
20 Zur Vermeidung einer Reifizierung und Essentialisierung von Kategorisierungen ist es wichtig, diese soziale Konstruiertheit von ungleichheitsgenerierenden Kategorien während meines Forschungsprozesses zu reflektieren.
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process of categorizing – or, in identity terms, naming – is not unilateral. Subordinated people can and do participate, sometimes even subverting the naming process in empowering ways. […] And it is important to note that identity continues to be a site of resistance for members of different subordinated groups. […]. At this point in history, a strong case can be made that the most critical resistance strategy for disempowered groups is to occupy and defend a politics of social location rather than to vacate and destroy it.« (Crenshaw 1991: 1297) Dies ist auch für meine Forschung ein wichtiger Aspekt, um die komplexe und teilweise widersprüchliche Bezugnahme auf und Identifizierung mit sozialen Kategorien bei den untersuchten Gruppen zu beachten. So könnte die Kritik an der starken Bezugnahme auf z.B. die Kategorie kurdische Frau* mit Verweis auf Gefahren der Essentialisierung sehr schnell erneut zur Marginalisierung von Frauen* of Color führen und die empowernden Effekte einer solchen Bezugnahme würden ignoriert werden. Knapp schreibt, dass diese Einordnung von McCall zwar hilfreich ist, die Diskussion sich aber seitdem weiterentwickelt hat und nicht mehr allein mit diesen drei Richtungen zu fassen ist (Knapp 2013: 345). Für meine Arbeit ist diese Einteilung jedoch dahingehend hilfreich, dass ich mich vor allem auf eine intrakategoriale Herangehensweise stütze, bei der die Geschlechtskonstruktion nicht unabhängig, sondern eng verknüpft mit weiteren Ungleichheitsverhältnissen erfolgt. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, welche Ungleichheitsverhältnisse explizit oder implizit in den Prozessen der Geschlechtskonstruktionen der untersuchten Gruppen einfließen. Das heißt, welche Prozesse von z.B. Geschlechtsethnisierung lassen sich bei den untersuchten Gruppen rekonstruieren. Mit diesem Verständnis kann sich der Frage genähert werden, wer mit ›Frau*‹ bei den untersuchten Gruppen gemeint ist und herausgearbeitet werden, welche Frauen* als Repräsentantinnen* der Kategorie gelten. Dies wiederum gibt Einblicke in die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen*. Gleichzeitig sind Aspekte des antikategorialen Ansatzes wichtig für die Betonung des Konstruktionscharakter von sozialen Kategorien, um Reifizierungen dieser in meiner Forschung zu vermeiden. Gerade auch der Einbezug des Kontexts und die Interaktion zwischen mir und den Forschungsteilnehmenden ist interessant, um sich der Frage anzunähern, welche sozialen Positionen wann und wie als besonders relevant artikuliert werden und welche scheinbar unsichtbar sind.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
2.3 Kritische Interventionen 21 Kritische Interventionen bezüglich der wissenschaftlichen Verbreitung und Verwendung von Intersektionalität sind im Zusammenhang der Wanderungsbewegungen, die Intersektionalität durchlaufen hat, zu betrachten. Diese Wanderungsbewegungen führen dazu, dass Intersektionalität von etlichen Autor*innen als traveling theory angesehen wird (Knapp 2005: 249f.; Lutz 2014: 1f, Roig 2018). Dabei ist nicht nur die Adaption intersektionaler Theorien aus dem US-amerikanischen Kontext im deutschsprachigen akademischen Raum gemeint, sondern auch, die Bewegung »from the margins to the center [Herv. i. O.]« (Roig 2018). Letzteres ist insbesondere darauf bezogen, dass Konzepte von marginalisierten Frauen* im Kontext der Neuen Frauen*bewegungen 22 ins Zentrum der institutionalisierten Frauen*- und Geschlechterforschung gereist sind (Roig 2018). Das traveling erfolgt nach Said in vier Schritten, wobei der letzte Schritt für ihn bedeutet, dass »the now full (or partly) accommodated (or incorporated) idea is to some extent transformed by its new uses, its new position in a new time and place.« (Said 1983: 227).23 Das traveling von Intersektionalität und die Transformationen, die gerade mit dieser letzten Phase verbunden sind, wird von etlichen Autor*innen mit kritikwürdigen Prozessen und Ergebnissen verbunden (Chebout 2012: 51ff; Gutiérrez Rodríguez 2011; Roig 2018). Dabei werden vor allem drei Punkte kritisiert, eine fehlende intensive Anerkennung und Auseinandersetzung mit den Kontexten der Entwicklung des Ansatzes, mangelhafte Interpretationen von Crenshaws Beiträgen und die Entpolitisierung des Konzepts (Chebout 2012: 53ff, Lutz 2014: 6; Roig 2018).
21 Ich beziehe mich im Folgenden hauptsächlich auf die Kritik von Theoretiker*innen of Color, da diese Stimmen bei der Entwicklung des Konzepts eine herausragende Rolle gespielt haben. 22 Siehe Kapitel 1.2. 23 Die anderen vorangehenden drei Schritte sind: »First, there is a point of origin, or what seems like one, a set of initial circumstances in which the idea came to birth or entered discourse. Second, there is a distance transversed, a passage through the pressure of various contexts as the idea moves from an earlier point to another time and place where it will come into a new prominence. Third, there is a set of conditions – call them conditions of acceptance or, as an inevitable part of acceptance, resistances – which then confronts the transplanted theory or idea, making possible its introduction or toleration, however alien it might appear to be.« (Said 1983: 226f.)
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
Entkontextualisierung Kritische Interventionen zur bundesdeutschen24 Intersektionalitätsdebatte kommen von einer Seite, die gerade bei der Entstehung des Ansatzes eine wichtige Rolle spielten, und zwar von Theoretiker*innen of Color. Ein Kritikpunkt dabei ist die mangelnde Rezeption und Auseinandersetzung der Beiträge marginalisierter Frauen* in Deutschland (Chebout 2012: 50f.; Erel et al. 2007: 239f.; Gutiérrez Rodriguez 2011: 81ff; Lutz et al. 2010a: 12). So gibt es Tendenzen Intersektionalität als bloßen Import von einem anglo-amerikanischen Ansatz zu verstehen, gerade wenn es um die Thematik race und Rassismus geht (vgl. Schildmann, Schramme 2017: 57f.; Soiland 2012). Damit wird die jahrzehntelange Auseinandersetzung um Machtverhältnisse zwischen Frauen* im bundesdeutschen Kontext ignoriert. Aber auch wenn Intersektionalität nicht als Import und damit als etwas Neues beschrieben wird, kann dies problematische Folgen haben, gerade wenn der Ansatz als schon immer bestehender Teil feministischer Arbeiten und Theorien beschrieben wird. Denn damit wird die Kritik, gerade an einem weißen (bürgerlichen) Feminismus, die mit Intersektionalität von Beginn an stark verbunden war, ignoriert und so getan, als ob Feminismen schon immer intersektional waren. Konflikte zwischen Feminismen werden so verdeckt (Carbin, Edenheim 2013: 236ff). Mit solchen Entkontextualiserungen von intersektionalen Ansätzen geht einher, dass gerade Rassismus in den Hintergrund gerät (Chebout 2012: 56; Erel et al. 2007: 247). Intersektionalität ist ja gerade als politisches Projekt entstanden, Ausschlüsse in Feminismen zu thematisieren und zu kritisieren (Lutz 2014: 6). Ohne die historische Einbettung der Intersektionalitätsansätze in die Kritik marginalisierter Frauen* im Rahmen der Frauen*bewegungen in Deutschland sowie der Einflüsse des Black Feminism läuft die Intersektionalitätsdebatte Gefahr, erneut marginalisierte Stimmen auszuschließen. Dies ist ein Problem, das auch
24 Dabei ist die Kritik nicht nur auf diesen Kontext begrenzt, auch im anglo-amerikanischen Raum wird die heutige Verwendung von Intersektionalität kritisch beleuchtet und häufig in Bezug auf ähnliche Aspekte. Es wird sich hier v.a. auf den bundesdeutschen Kontext konzentriert, aber immer wieder auch Beiträge außerhalb dessen miteinbezogen, da die Auseinandersetzungen ähnliche Fragen und Kritikpunkte aufwerfen.
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außerhalb des bundesdeutschen Kontextes debattiert wird. Kathy Davis und Dubravka Zarkov fassen diesen Kritikpunkt folgendermaßen zusammen: »In this way, the importance of intersectional analysis for retrieving the experiences of US women of colour and Third World women from falling between the cracks of feminist enquiry and initiating much needed critical discussions within white feminism had been conveniently forgotten.« (Davis, Zarkov 2017: 314) In diesem Zusammenhang wird nochmals deutlich, wieso die vorherigen Ausführungen zur Kontextualisierung und Vorläufern von Intersektionalität im US-amerikanischen sowie bundesdeutschen Zusammenhang, für die vorliegende Arbeit so wichtig ist. Denn ohne solch eine Kontextualisierung ist eine Vereinnahmung von Intersektionalität gerade aufgrund meiner Position als weißer Frau unvermeidbar25. Außerdem wird dadurch deutlich, welche Aspekte innerhalb der Neuen Frauen*bewegungen von marginalisierten Frauen* kritisiert wurde. Dies wiederum ist notwendig für die Analyse der Gruppendiskussionen in der vorliegenden Forschung.
Mangelhafte Interpretation Crenshaws Für die Debatte um Intersektionalität wird kritisch angemerkt, dass zwar meist auf Crenshaw als ›Erfinderin‹ des Begriffes verwiesen wird, aber eine intensivere Auseinandersetzung mit ihren Arbeiten und der Kontext des Schwarzen Feminismus ausbleibt. Dies, so die Kritik, hat zur Folge, dass lediglich die Metapher der Straßenkreuzung aufgegriffen wird und auch diese unvollständig und simplifizierend dargestellt wird (Chebout 2012: 52). So stellt Lucy Chebout zum Beispiel fest, dass meist nur die Dimension der Kreuzung von Diskriminierungsformen fokussiert wird und die Auswirkungen, die sich durch die Positionierung an der Kreuzung multipler Machtverhältnisse ergibt, nicht berücksichtigt werden. 26 Damit wird die Problematik ausgeblendet, dass z.B. bei anti-rassistischen und feministischen Ansätzen, die eindi-
25 Dies soll nicht bedeuten, dass eine Vereinnahmung nicht trotz dieser Kontextualisierung möglich ist. Siehe dazu die Ausführungen zu Beginn des ersten Kapitels. 26 Dies wird dadurch verstärkt, dass, so Chebout, meist nur der erste Teil von Crenshaws Metapher zitiert wird und nicht der Teil, in dem sie beschreibt, dass eine Eindimensionalität dazu führt, dass kein Krankenwagen im Falle eines Unfalls gerufen wird. Vgl. Kapitel 1.3.
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
mensional arbeiten, Schwarze Frauen* exkludiert werden und ihnen damit auch Unterstützung im Falle von Diskriminierung verwehrt wird (Chebout 2012: 52). Auch die Kritik, dass die Metapher von letztlich getrennten Kategorien ausgeht, die sich später an eine Kreuzung treffen, wird als verkürzte Lesart von Crenshaw eingestuft. Dem hält u.a. Chebout entgegen, dass bei näherer Betrachtung der Arbeiten von Crenshaw deutlich wird, dass sie sich gegen eine getrennte Behandlung von Kategorien ausspricht (Chebout 2012: 57).27 Gleichzeitig wird gefordert den konkreten Kontext, in dem Crenshaw ihren Intersektionalitätsansatz entwickelt hat, zu betrachten (Chebout 2012: 52; Gutiérrez Rodríguez 2011: 79). So verweist Gutiérrez Rodríguez darauf, dass Crenshaw ihren Ansatz als kritischen Eingriff in ein juristisches System entwickelte, das gerade Schwarze Frauen* aufgrund der Nicht-Beachtung der Verschränkung verschiedener Unterdrückungsmechanismen exkludiere. Damit verfolge sie das Ziel »komplexe Gesellschaftslagen in der Logik von Rechtsansprüchen fruchtbar zu machen« (Gutiérrez Rodríguez 2011: 79). Gutiérrez Rodríguez betont, dass gerade auch in den Entwicklungen von Intersektionalität im bundesdeutschen Kontext »die Relationalität und Prozessualität gesellschaftlicher Verhältnisse« im Vordergrund stand, was eine andere Ausrichtung zur Folge hat (Gutiérrez Rodríguez 2011: 77). Denn damit, so Gutiérrez Rodríguez, stellt sich zudem die Frage nach der historischen Entwicklung dieser Verhältnisse im Kontext von Machtverhältnissen. Dies wird zum Beispiel auch im Buch Farbe bekennen im Kontext der Verschränkung von Rassismus und Sexismus und dessen Geschichte im deutschen Kolonialismus betont (Ayim/Opitz, Oguntoye, Schultz 2006 [1986]; Gutiérrez Rodríguez 2011: 79). Crenshaw selbst äußert ihre Verwunderung gegenüber einiger aktuellen Verwendungen des Konzepts im US-amerikanischen sowie im europäischen Kontext (Berger, Guidroz 2009: 65, 77; Crenshaw 2011: 224ff). Sie betont dabei, dass ihr Verständnis von Intersektionalität nie das einer »grand theory« war: »I have called intersectionality an analytical, a heuristic or hermeneutic tool – one designed to amplify and highlight specific problems. Intersectionality has been called a ›theory‹ of discrimination […]. It’s even been called a Swiss army
27 Siehe auch die Ausführungen zu Crenshaws Einführung des Begriffs in Kapitel 1.3. sowie die Frage nach dem Verhältnis von verschiedenen Unterdrückungssystemen zuvor unter 2.2.
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knife, but it has never been framed by me as a ›grand‹ theory.« (Crenshaw 2011: 232) Es sollte somit auch nicht als eine allumfassende abgeschlossene Theorie verstanden werden. Vielmehr betont Crenshaw, dass der Fokus für sie die Frage ist, wie das Leben von marginalisierten Personen, insbesondere Frauen* etwas besser wäre, wenn eine intersektionale Perspektive angewandt werden würde: »Thus, as the debate continues about what kind of theory intersectionality is, I gravitate towards thinking about intersectionality in relation to women whose stories appear in ›Mapping the Margins‹, women for whom even a minimalist approach to intersectional thinking in shaping the interventions that ultimately failed them might have made a difference in their lives. […] I think about immigrant women entrapped in abusive relationships with citizen-spouses by fear of deportation, marginalised by immigration discourses that don’t pay attention to gender and by feminist discourses that don’t pay attention to immigration.« (Crenshaw 2011: 232f.) Mit ihrem Beispiel macht sie auch nochmal deutlich, was Auslassungen und Exkludierungen in Feminismen für marginalisierte Frauen* (hier eine Migrantin*) für Folgen haben und warum eine intersektionale Perspektive so notwendig ist.
Entpolitisierung Mit der Entkontextualisierung und vor allem der Enthistorisierung von Intersektionalität, so die Kritik28, geht auch eine Entpolitisierung des ursprünglich radikalen Ansatzes einher (Lutz 2014: 6). Dies wird dadurch verstärkt, dass ein scheinbarer Konsens bezüglich des Konzepts herrscht, es aber von eigentlich widersprüchlichen29 Positionen verwendet wird (Carbin, Edenheim 2013: 234; Lutz 2014: 6). Damit besteht die Gefahr, Konflikte zwischen verschiedenen feministischen Strömungen und unter Feminist*innen zu verdecken, die in der
28 Diese Kritik wird im europäischen und auch US-amerikanischen Kontext geäußert. 29 So zum Beispiel von Feminist*innen, die den Bezug auf ein kollektives Wir ablehnen und befürworten. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
Entwicklung des Konzepts so zentral waren. Maria Carbin und Sara Edenheim schreiben dazu: »[…] the concept has moved from being a sign of threat and conflict to (white) feminism, to a consensus-creating signifier that not only made the concept successful but also enabled an institutionalization of a liberal, ›allinclusive‹ feminism based on a denial of power as constitutive for all subjects (and nonsubjects alike).« (Carbin, Edenheim 2013: 234) Dieses Zitat verdeutlicht bereits, dass diese Kritik der Entpolitisierung auch im Zusammenhang mit einer Institutionalisierung von Intersektionalität gesehen wird. Autor*innen wie Sirma Bilge betonen dabei, dass gerade der Kontext einer weit schreitenden neoliberalen Wissenschaftsproduktion begünstigt, dass Intersektionalität entpolitisiert und vereinnahmt wird: »A depoliticized intersectionality is particularly useful to a neoliberalism that reframes all values as market values: identity-based radical politics are often turned into corporatized diversity tools leveraged by dominant groups to attain various ideological and institutional goals […]« (Bilge 2013: 407). Gerade in Bezug auf die Debatten um Intersektionalität im deutschsprachigen Raum, wird zudem die Fokussierung intersektionaler Debatten auf einen wissenschaftlichen und akademischen Kontext an sich kritisiert. Damit einhergeht, so die Kritik, dass Intersektionalität auf rein theoretischer Ebene besprochen wird und sich damit von den Ursprüngen, bei denen der Ausgangspunkt konkrete Erfahrungen von v.a. Schwarzen Frauen* waren, entfernt wird (Chebout 2012: 51ff; Roig 2018). Des Weiteren wird kritisiert, dass im wissenschaftlichen Kontext, sich hauptsächlich weiße Frauen* mit Intersektionalität auseinandersetzen würden und damit die Frauen*, die für die Entstehung des Konzepts maßgeblich beigetragen haben, erneut marginalisiert werden und vor allem ihre Stimmen und Forderungen dethematisiert werden (Chebout 2012: 55ff, Roig 2018). In diesem Kontext betont Gutiérrez Rodríguez, dass die Personen (v.a. BPoCs), die zur ersten akademischen Thematisierung von Rassismuskritik in den 1980er und 1990er beigetragen haben, aufgrund von Exkludierung oder Marginalisierung an deutschen Universitäten, emigriert sind, was nur sehr selten thematisiert wird (Gutiérrez Rodríguez 2011: 80f.). Bei all diesen Prozessen verweisen Autor*innen erneut auf die Dethematisierung von Rassismus in Intersektionalitätsdebatten (Chebout 2012: 56; Roig 2018).
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Mit diesen kritisierten Tendenzen in den akademischen Intersektionalitätsdebatten, geht einher, dass ein Fokus auf feministische Praxen und der Fokus auf Differenzen und Machtverhältnisse zwischen Frauen* vernachlässigt wird.30 So gibt es gerade im deutschsprachigen Raum kaum Arbeiten, die sich mit Intersektionalität konkret in der feministischen Praxis auseinandersetzen und vor allem die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen* darin fokussieren (Lenz 2019: 410; Schuster 2016: 2).31 In dieser Forschungslücke ist meine Arbeit zu verorten. Denn es stellt sich die Frage, wie oder ob sich feministische Praxen (gerade von weißen Frauen*) im Verhältnis zu den Kritikpunkten im Rahmen der Neuen Frauen*bewegungen verändert haben? Ist auch dort Intersektionalität als neues Paradigma vorzufinden, oder welche Ansätze für die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen* werden verwendet? In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Lucy N. Chebout von besonderer Bedeutung, dass auch Beiträge mitberücksichtigt werden sollten, die zwar den Begriff Intersektionalität nicht benutzen, aber »die Intersectionality machen [Herv. i. O.]« (Chebout 2012: 47). So wurde bereits im ersten Kapitel herausgearbeitet, wie viele marginalisierten Frauen* zur Entwicklung des Konzepts beigetragen haben, ohne, dass sie selbst den Begriff benutzt haben. Dies gilt es auch bei der Analyse der Gruppendiskussionen in dieser Arbeit zu bedenken. Dort soll insbesondere auch beachtet werden, wo Intersektionalität eventuell praktiziert wird, ohne, dass es als solches benannt wird.
30 Hierbei muss betont werden, dass akademische Theorien und politische Praxen gerade auch in Bezug auf die Intersektionalitätsdebatte nicht als komplett voneinander isolierte Bereiche zu betrachten sind. So beschäftigen sich etliche intersektionale Untersuchungen mit sozialen und politischen Praxen (vgl. u.a. Degele, Winker 2009; Lutz 2007; Plümecke, Wilopo 2019). Weitere Arbeiten behandeln die Frage, welche Auswirkungen eine intersektionale Herangehensweise auf institutionelle Praktiken wie Gender Mainstreaming haben und die Begriffe Intersectionality Mainstreaming bzw. Intersektionales Mainstreaming (Busche, Scambor 2009) wurden eingeführt. In meiner Arbeit geht es mir jedoch um feministische Gruppen und Praxen in konkreter Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen Frauen* vor allem in nicht institutionalisierten Gruppen. Des Weiteren kann heute im Allgemeinen eine größere Distanz zwischen Frauen*und Geschlechterforschungen und sozialen (feministischen) Bewegungen festgestellt werden, wie es zum Beispiel noch in den 1970ern der Fall war (Groß 2008: 88). 31 Auf Forschungen mit ähnlichen Fragestellungen gerade auch im nicht-deutschsprachigen Raum wird unter 3.3. eingegangen.
2. Intersektionalität in wissenschaftlichen Debatten
Bevor ich mich nochmal stärker mit Intersektionalität und feministischen Praxen auseinandersetzte, werde ich kurz zusammenfassen, wie ich Intersektionalität in meiner Arbeit verwenden werde.
2.4 Intersektionalitä t als theoretisches Konzept und heuristisches Werkzeug Wie bereits zu Beginn des Kapitels betont wurde, wird Intersektionalität in der vorliegenden Arbeit vor allem als Konzept verstanden, das Differenzen zwischen Frauen* und Exkludierungsprozesse innerhalb von Feminismen in den Fokus rückt. Aus diesem Grund orientiere ich mich bei meinem Verständnis und meiner Verwendung von Intersektionalität gerade auch an Erkenntnissen und Kritikpunkten, die sich in der Entstehungsgeschichte von Intersektionalität heute als zentral darstellen. Diese wurden bereits im ersten Kapitel herausgearbeiteten und stellen einen wichtigen Bezugspunkt in meiner Arbeit dar. Somit wird Intersektionalität im Folgenden nicht anhand einer eng gefassten theoretischen Definition gefasst, sondern vielmehr als Begriff, der die Kritikpunkte rund um die Themenkomplexe: Frauen* als (Mit)Täterinnen*, Universalismus eines feministischen ›Wir‹ und der (Diskriminierungs-)Erfahrungen von Frauen* sowie die Vernachlässigung anderer Unterdrückungssysteme neben Patriarchat, zusammenfasst. Diese Dimensionen von Intersektionalität dienen in meiner Analyse der Gruppendiskussionen mit feministischen und Frauen*rechtsgruppen vor allem als kritische Folie, um sich die Konzeptualisierungen von Differenzen unter Frauen* bei den einzelnen Gruppen anzuschauen. Gleichzeitig wird mit Intersektionalität ein Verständnis verbunden, das das Ineinandergreifen verschiedenster Unterdrückungssysteme betont. Dies explizit in Abgrenzung zu einem additiven Verständnis, dass davon ausgeht, dass bestimmte Frauen* neben Sexismus auch noch andere Diskriminierungserfahrungen machen und von einer geteilten Diskriminierungserfahrung von Frauen* ausgeht.32 Damit hängt die Verwendung von Intersektionalität als heuristisches Mittel zusammen, und zwar gerade bei der Analyse der Interaktion zwischen mir und
32 Vgl. Ausführungen in Kapitel 1.1. und 1.2.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
den Teilnehmenden sowie als Werkzeug zur Selbstreflexion während des gesamten Forschungsprozesses. In Bezug auf Arbeiten und Vorgehensweisen u.a. von Kathy Davis und Helma Lutz (2005) ist dabei von besonderem Interesse, welche Ungleichheitsverhältnisse und Identitätskategorien in welchem Kontext bei mir selbst, bei den Gruppen und in unserer Interaktion betont werden, welche nicht oder nur selten erwähnt werden und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
Bevor ich detaillierter auf meine Fragestellung eingehe, ist es notwendig sich Intersektionalität nochmal näher im Kontext von feministischen Praxen anzuschauen. In diesem Kontext ergibt sich die Frage nach der (Un)Möglichkeit eines kollektiven feministischen Wir bzw. die Frage, ob es (noch) möglich ist von kollektiven Erfahrungen von Frauen* zu sprechen, wenn Differenzen zwischen Frauen* betont werden. Damit hängt auch die Praxis des Empowerments zusammen. Denn wer wird empowered, wenn es um Empowerment von Frauen* geht? Aus diesem Grund werde ich mir das Konzept Empowerment in einem zweiten Teil näher anschauen. Anschließend werden verschiedene Untersuchungen, die sich bereits mit Aspekten von Intersektionalität und Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* bei feministischen Akteur*innen auseinander gesetzt haben, näher betrachtet. Inwieweit meine Forschungsfragen auf diese Arbeiten aufbauen und inwieweit weitere Aspekte fokussiert werden, wird abschließend in der Darlegung der zentralen Fragestellungen besprochen.
3.1 Debatten um ein kollektives Wir »By working out what we are for, we are working out that we, that hopeful signifier of a feminist collectivity. Where there is hope, there is difficulty. Feminist histories are histories of the difficulty of that we, a history of those who have had to fight to be part of a feminist collective, or even had to fight against a feminist collective in order to take up a feminist cause.« (Ahmed 2017: 2) Dieses Zitat von Sara Ahmed illustriert die schwierige und kontroverse Geschichte eines Wirs in feministischen Kontexten, das von Hoffnung und Exklu-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
sionen gleichzeitig geprägt ist. Im ersten Kapitel wurde bereits ausgearbeitet, wie ein Wir Frauen* Exklusionen zur Folge hatte, wenn damit die Erfahrungen von privilegierten weißen Frauen* zu den Erfahrungen von Frauen* gemacht wurden. Seit dem Beginn der Debatten um Intersektionalität wird folglich die Frage nach einem weiteren Bezug auf ein kollektives Wir bzw. dem Begriff der »Kollektiven Erfahrung« kontrovers diskutiert (Davis, Lutz 2005: 229). Mit der Betonung der Differenzen zwischen Frauen* wurde in Frage gestellt, dass es solch ein Wir Frauen*, aber auch ein feministisches Wir 1 gibt oder geben kann (hooks 2015 [1981]: 137ff; Knapp 2005: 253f., Lutz 2014: 5f.; Mohanty 1991: 56ff).2 Ist es also überhaupt noch möglich zu sagen, wie Trina Grillo Kritiker*innen von Intersektionalität zusammenfasst, dass Frauen* als Frauen* unterdrückt werden und sich auf ein Kollektiv ›Frauen*‹ zu beziehen (Grillo 1995: 19)? Würde dem Feminismus damit nicht das politische Subjekt verloren gehen? Oder ist vielmehr ein politisches, ideologisches Wir, dass auf gemeinsamen Zielen und nicht auf geteilten Identitäten oder Erfahrungen basiert, anzustreben? Mit diesen Fragen wird sich im Folgenden näher auseinandergesetzt.
Problematik der geteilten Erfahrungen Mit der Konstruktion eines Wir Frauen* hängt scheinbar zusammen, die Erfahrung von Frauen* und was die Unterdrückung als Frau* beinhaltet, definieren zu müssen. Dies hat aber, wie Trina Grillo betont, bei vielen Feminist*innen dazu geführt »to analyze the situation of woman by stripping away race and class.« (Grillo 1995: 19). Diese Herangehensweise führt somit dazu, geschlechtsspezifische Diskriminierung als unabhängig von anderen Unterdrückungsformen anzusehen, was ja gerade aus intersektionaler Perspektive nicht haltbar ist (Grillo 1995: 19).
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Die Frage der Unterscheidung eines Wir Frauen* und eines feministischen Wirs wird weiter
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Dieses Wir wird auch aus poststrukturalistischer Perspektive aufgrund eines dezentrierten, un-
unten nochmals aufgegriffen. abgeschlossen und vielfältigen Subjekts in Frage gestellt (Davis, Lutz 2005: 229f.). Dies wird hier nur am Rande miteinbezogen, da der Fokus der Hinterfragung eines Wirs aufgrund der Differenzen zwischen Frauen* ist. Detaillierter zu diesem Aspekt siehe u.a. Benhabib et al. (1994).
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
Sollte sich also von der Idee von kollektiven Erfahrungen von Frauen* verabschiedet werden? Oder ist es möglich Differenzen und Gemeinsamkeiten der Erfahrungen von Frauen* gleichzeitig zu betonen, wie u.a. Gudrun-Axeli Knapp vorschlägt: »I (…) find it indispensable to neither lose interest in the diversity of women’s experiences nor to lose sight of the homogenizing and totalizing dimensions ingrained in the material and symbolic conditions of women’s lives within and across sociocultural contexts.« (Knapp 2005: 253) Aufgrund der Tatsache, dass strukturelle Geschlechterverhältnisse auch ähnliche Effekte auf das Leben von Frauen* haben, hält Knapp es folglich für nicht erstrebenswert den Aspekt der kollektiven Erfahrung und ein Wir in feministischen Kontexten abzulehnen. Auch wenn dieses Wir eine Konstruktion ist und sich nicht auf ein Kollektiv beziehen kann, dass »a substantial identity of experience and interests« aufweist (Knapp 2005: 253). Grillo betont in diesem Zusammenhang, dass ein gewisser Essentialismus nicht automatisch verwerflich ist. Mit Essentialismus meint sie in diesem Kontext, die Annahme, dass es geteilte Erfahrungen von Frauen* gibt und diese Erfahrungen unabhängig von anderen Dimensionen der Person zu verstehen sind (Grillo 1995: 19). Sie unterscheidet dabei zwei Arten von Essentialismus, einer der »unconscious, self-protective, self-advancing« und somit abzulehnen ist (Grillo 1995: 21). Sie erkennt aber an, dass Essentialismus nicht immer zu vermeiden ist und schlägt vor, dass er in diesen Fällen explizit gemacht und vor allem zeitlich begrenzt eingesetzt werden sollte (ebd.: 21). Letzteres könnte unter den Begriff des strategischen Essentialismus gefasst werden, den Gayatri Chakravorty Spivak (1987) prägte.3 Spivak hebt dabei gerade die politische Strategie, die hinter solch einem Essentialismus steht, hervor: »a strategic [Herv. i. O.] use of positivist essentialism in a scrupulously visible political interest« (Spivak 1987: 205).
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Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass Spivak selbst sich später kritisch über diesen Begriff und seine Verwendung geäußert hat und ihn selbst nicht mehr benutzt (Danius, Jonsson, Spivak 1993: 35).
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Im Sinne eines strategischen Essentialismus könnte also von kollektiven Erfahrungen von Frauen* gesprochen werden, um strukturelle geschlechtsbezogene Machtverhältnisse zu kritisieren. Nira Yuval-Davis hinterfragt solch einen strategischen Essentialismus kritisch, da auch damit soziale Kategorien und Gruppen homogenisiert werden und interne Machtverhältnisse zum Beispiel zwischen Frauen* vernachlässigt werden würden (Yuval-Davis 1997: 119). Sich aufgrund der Problematiken in Zusammenhang mit der Vorstellung von geteilten kollektiven Erfahrungen von Frauen*, allein auf die Betonung von Differenzen zwischen Frauen* zu beschränken, kann allerdings auch negative Konsequenz mit sich bringen, wie sie erläutert: »the solution has often been to develop essentialist notions of differences, such as, for example, between black and white women, middle class and working class women or northern and southern women. Within each of these idealized groups the assumptions about ›discovered‹ homogenous reality usually continue to operate.« (Yuval-Davis 1997: 119) Auch diesen Kollektiven von Frauen* ist schließlich keine homogene gemeinsame Erfahrung zu eigen und Differenzen könnten mit ihrer starken Betonung als unüberwindbar dargestellt werden. Ein damit zusammenhängendes Problem bezeichnen Kathy Davis und Helma Lutz als »Egalisierung von Differenz« (Davis, Lutz 2005: 230). Wenn Differenzlinien als gleichwertig nebeneinanderstehen, wäre die Gefahr, dass »spezifische Macht- und Gewaltverhältnisse und ihre kulturellen Repräsentationen aus der Analyse verschwinden.« (Davis, Lutz 2005: 230). Eine bloße Abkehr eines Bezugs auf kollektive Erfahrungen von Frauen* und der Betonung von Differenzen zwischen Frauen* stellt somit auch keine ideale Lösung dar. Als zusätzliche Herausforderung ist zudem ein fortschreitender neoliberaler Kapitalismus zu verstehen, der die Ideologie »der Eigenverantwortung eines jeden Individuums« propagiert (Degele, Winker 2009: 54). Soziale Ungleichheiten werden dabei zu Problemen der Einzelnen gemacht (ebd.: 54f.). Die Betonung kollektiver Betroffenheit und kollektiver Erfahrungen können hier also auch notwendige politische Instrumente darstellen, dieser Ideologie entgegenzutreten. Für feministische Praxen stellt die Auseinandersetzung mit kollektiven Erfahrungen von Frauen* folglich vielfältige Herausforderungen dar. Selbstkritisch sollte sich jedoch immer die Frage gestellt werden, »wessen und welche Art der Erfahrung ›zählt‹?« (Maurer 2012: 305).
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
Ein Feministisches Wir? In Bezug auf die Auseinandersetzung mit einem Wir in feministischen Zusammenhängen, stellt sich auch die Frage, ob ein feministisches Wir gleichzusetzen ist mit einem kollektiven Wir Frauen* oder, ob dies nicht zwei unterschiedliche Wirs sind? Dass dies abhängig ist von der Definition von Feminismus, lässt sich an folgendem Beispiel illustrieren: »Feminism is a movement to end sexism, sexist exploitation, and oppression.« (hooks 2000: viii) Legt man diese Feminismusdefinition von bell hooks zu Grunde, dann ist es nicht ersichtlich, dass ein feministisches Wir notwendigerweise auch ein Wir Frauen* bedeuten muss. hooks entwickelte diese Definition explizit um den Fokus auf Unterdrückungssysteme und die Verschränkung von »sex, race, and class oppression« zu betonen (hooks 1984: 31). Und damit eine Definition zu formulieren, die gerade auch marginalisierte Frauen* und ihre Erfahrungen miteinschließt. Zusätzlich lässt diese Definition es auch zu, dass Männer sich feministischen Bewegungen anschließen können, da der Fokus nicht auf Frauen* sondern auf die Beendigung von sexistischen Machtverhältnissen liegt (ebd.: 25f.). Dies kann gerade für marginalisierte Frauen*, für die ein radikaler Separatismus mit Männern nicht praktikabel ist, da sie mit diesen in anderen gemeinsamen Kämpfen verbunden sind, einen relevanten Aspekt darstellen. 4 Ein feministisches Wir wäre, in diesem Sinne, vielmehr ein Wir geteilter politischer Forderungen und Anliegen, die sich in der Praxis erarbeitet werden müssen: »A commitment to feminism so defined would demand that each individual participant acquire a critical political consciousness based on ideas and beliefs.« (hooks 1984: 24)
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Zum Beispiel für Schwarze Frauen*, die mit Schwarzen Männern gegen Rassismus kämpfen (Combahee River Collective 1983 [1977]: 213). Historisch zeigte sich die Unvereinbarkeit solch eines Separatismus auch z.B. bei der proletarischen Frauen*bewegung, die mit Männern der Arbeiterklasse für eine sozialistische Revolution kämpften (Notz 2014: 39).
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Dies würde auch »einer Reduktion des Feminismus auf ein identitätspolitisches [Herv. i. O.] Projekt« entgegenwirken, einer Verkürzung, der sich zum Beispiel Knapp entgegenstellt (Knapp 2014: 10). Gleichzeitig ist es unmöglich die eine Definition von Feminismus zu finden, unter die sich all die widersprüchlichen, unterschiedlichen und vielfältigen Feminismen fassen lassen, die es heute und auch während der verschiedenen Frauen*bewegungen gegeben hat (Knapp 2014: 11ff; Notz 2014: 34f.). Dies stellt ein singuläres feministisches Wir zumindest in Frage. Des Weiteren zeigt doch gerade die Auseinandersetzung um Intersektionalität, dass es durchaus Feminismen gibt, die nicht miteinander vereinbar sind und durch Machtverhältnisse geprägt sind, die sich nicht unter ein gemeinsames feministisches Wir fassen lassen bzw. dies auch nicht erstrebenswert wäre. So ist ein anti-rassistischer Feminismus unvereinbar mit einem Feminismus, der anti-muslimische Positionen bezieht 5 und stellt sich diesem auch notwendigerweise entgegen (Gümüşay, Shehadeh 2014: 146ff). Auch ein feministisches Wir, im Sinne eines politischen und ideologischen Kollektivs, ist somit mit vielfältigen Fragen und Herausforderungen verbunden.
Solidaritäten jenseits von geteilten Erfahrungen und Identitäten Die Frage des (Nicht-)Bezugs auf ein kollektives Wir in feministischen Kontexten umfasst letztlich auch die Frage, wie Solidaritäten und Forderungen in feministischen Praxen gelebt und formuliert werden können. bell hooks betont in diesem Zusammenhang, dass die Diskussionen über Differenzen zwischen Frauen* den bestärkenden Effekt des Bezugs auf ein Kollektiv ›Frauen*‹ und der damit verbundenen Idee »sisterhood is powerful« nicht komplett hinterfragt haben, sondern diese vielmehr mit bestimmten Bedingungen verknüpfen: »These discussions did not trivialize the feminist insistence that ›sisterhood is powerful‹, they simply emphasized that we could only become sisters in struggle by confronting the ways women – through sex, class, and race dominated and
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Beispiele dafür wären Alice Schwarzer oder auch die Gruppe Femen (Evans 2015: 9f.; Gümüşay, Shehadeh 2014: 147).
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exploited other women, and created a political platform that would address these differences.« (hooks 2000: 3) Eine Betonung von Machtverhältnissen zwischen Frauen* sieht hooks somit als notwendige Grundlage, um Solidarität und gemeinsame Kämpfe zwischen Frauen* zu schaffen. Dabei ist Solidarität auch etwas, dass erarbeitet werden muss und nicht etwas, dass sich durch eventuelle ähnliche Diskriminierungserfahrungen automatisch einstellt (hooks 2000: 15f.; Notz 2014: 36). Darin deutet sich bereits an, dass feministische Solidaritäten und Forderungen auch jenseits von einem Bezug auf geteilte Identitäten und Erfahrungen entwickelt werden können. Dass politische Arbeit nicht auf kollektive Identitäten angewiesen ist und auch jenseits dieser Identitätszuschreibungen möglich ist, hebt auch die Arbeit von Petra Rostock (2014) Jenseits von ›Identität‹? Zu den Un/Möglichkeiten nichtidentitärer Strategien politischen hervor. Rostock arbeitet darin u.a. heraus, dass die Gruppe FeMigra6, die Meinung vertrat: »Eine antirassistische Bewegung sollte sich (…) nicht (nur) über geteilte Erfahrungen formieren, sondern über ein gemeinsames Interesse an gesellschaftlicher Veränderung und geteilten politischen Forderungen« (Rostock 2014: 196). Dieser Fokus auf gemeinsame Interessen spiegelt sich auch in dem Konzept der transversalen Politik von Nira Yuval-Davis wider. Was sie zunächst unter der Formulierung »universality in diversity« fasste, entwickelte sie später weiter zu »transversal politics«7 (Yuval-Davis 1997: 125). Aufgrund vielfältiger Unterschiede zwischen Frauen* schlägt sie vor feministische Praxen stets als Koalitionsbildungen zu verstehen, in denen Differenzen zwischen Frauen* anerkannt und artikuliert werden sollten. Die Grenzziehungen dieser Koalitionen sollten dabei nicht darauf basieren, »who we are but in terms of what we want to achieve« (Yuval-Davis 1997: 126). Mit diesem Ansatz sieht sie eine Möglichkeit eine dritte Variante jenseits von Universalismus und Relativismus zu entwickeln. Für die hier diskutierten Fragen bedeutet Universalismus, den Ausgangspunkt feministischer Praxen in der Annahme einer geteilten Erfahrung aller Frauen* zu sehen und Relativismus, dass aufgrund der Differenzen zwischen Frauen* keine gemeinsamen In-
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Ein Ausschnitt aus einem Text dieser Gruppe wurde bereits unter 1.2. besprochen.
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Dabei bezog sie sich auf ein Konzept, das bereits zuvor von italienischen Feminist*innen benutzt wurde (Stoetzler, Yuval-Davis 2002: 341).
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teressen oder tatsächlicher Dialog möglich ist (ebd.: 125ff). Letzteres ist auch verknüpft mit der Überzeugung, dass spezifische soziale Gruppen »the epistemological ›bearers of the truth‹« sind (Yuval-Davis 1997: 129). Im Zentrum von transversalism steht dabei eine Praxis des Dialogs für den die zentralen Aspekte des »rooting« und »shifting, wie sie italienische Feminist*innen8 benutzten zentral sind: »The idea is that each participant in the dialogue brings with her the rooting in her own membership and identitiy, but at the same time tries to shift in order to put herself in a situation of exchange with women who have different membership and identity.« [Herv. E.K.] (Yuval-Davis 1997: 130) Für das rooting ist somit wichtig, dass die eigene soziale Position reflektiert wird und Differenzen zwischen Frauen* anerkannt werden. Für das shifting hält Yuval-Davis zwei Dimensionen für notwendig. Zum einen sollte es nicht zu einem »self-decentering« führen, was eine Aufgabe eigener Überzeugungen bedeutet und zu einer unkritischen Solidarität gegenüber marginalisierten Gruppen führen kann (Yuval-Davis 1997: 130). Des Weiteren sollte shifting nicht dazu führen, Frauen* die unterschiedliche soziale Positionen haben als man selbst zu homogenisieren. Ein transversales Zusammenkommen sollte somit nicht mit sozialen Gruppen »en bloc« geschehen sondern »with those who, in their different rooting, share values and goals compatible with one’s own« (Yuval-Davis 1997: 130). Hier muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass die soziale Positionierung auch einen Einfluss auf Werte und Überzeugungen haben kann und somit nicht als komplett voneinander getrennt betrachtet werden kann. Yuval-Davis weist selbst kritisch darauf hin, dass transversale Politiken nicht immer möglich sind, denn »conflicting interest of people who are situated in specific positionings are not [Herv. i. O.] always reconcilable« (Yuval-Davis 1997: 130).
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Dabei handelt es sich um Feministinnen*, die mit Frauen* sich bekämpfender Nationalitäten arbeiten (z.B. aus Palästina und Israel) (Yuval-Davis 1997: 129f.).
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Die Kategorie ›Frau*‹ Gerade dekonstruktivistische und queere Ansätze haben dafür gesorgt, dass ein kollektives Wir Frauen* und die Kategorie ›Frau*‹ nicht nur aufgrund der Differenzen zwischen Frauen* hinterfragt wird, sondern auch aufgrund der sozialen Konstruktion von Geschlecht und einer Reproduktion der Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Butler 1990; Gilde, Wettermeister 1992).9 So stellt Judith Butler10 (1990) in Gender Trouble die Kategorie ›Frau*‹ als grundlegendes Subjekt von Feminismen zur Disposition, da damit ein binäres Geschlechterverhältnis und heteronormative11 Vorstellungen reproduziert werden würden. Gleichzeitig betont sie, dass Geschlecht beständig diskursiv und performativ hergestellt wird und nicht eine biologische vordiskursive Identität darstellt. Geschlechtliche Zuschreibungen werden in diesem Kontext folglich nicht als bloße Beschreibungen verstanden, sondern als Hervorbringen dessen, was beschrieben werden soll (Butler 1990: 2ff; 136ff). Solch eine dekonstruktivistische Perspektive ermöglicht es die Prozesse, die mit der Konstruktion der Kategorie ›Frau*‹ (auch in feministischen Kontexten) einhergehen zu analysieren. Dies umfasst auch die Grenzziehungen, wer oder was als Frau* gilt, die in feministischen Praxen zu Exklusionen führen können. Als Beispiel ist hier die Nichtanerkennung von Transfrauen* 12 als Frauen* in einigen feministischen Strömungen13 anzuführen (Hines 2017: 1f.). Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen stehen die Fragen, was eine Frau* ausmacht und was als ›authentische‹ Geschlechtsidentität verstanden wird (Hines 2017: 2, Se-
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Die Kritik an der Kategorie ›Frau*‹ aufgrund ihrer Ausblendung der Differenzen zwischen Frauen* wurde bereits im ersten Theoriekapitel ausgeführt und wird aus diesem Grund hier nicht nochmal wiederholt. Es bleibt aber zu betonen, dass diese Kritikpunkte »den Anstoß gaben, die Kategorie ›Frau‹ nicht als Universalie zu denken« (Gutiérrez Rodríguez 1999a).
10 Butler gilt als eine der bekanntesten Vertreterin queerer Theorien (Groß 2008: 47). 11
Mit Heteronormativität ist die »unhinterfragten Annahme natürlicher Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit« gemeint (Degele, Winker 2009: 46).
12 Der Begriff Transfrauen* umfasst Identitäten, die »im selbstgewählten weiblichen Geschlecht (bei vormals zugewiesenem männlichen Geschlecht)« leben (Franzen, Sauer 2010: 10). 13
Häufig werden diese unter der Abkürzung TERF (TransExclusionaryRadicalFeminism) zusammengefasst (Hines 2017: 2)
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rano 2013: 123ff).14 Eine Auseinandersetzung mit den Konstruktionsprozessen der Kategorie ›Frau*‹ in feministischen Praxen ist somit notwendig, um Exklusionen zu vermeiden. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die gesellschaftlichen Verteilungsungleichheiten und Machtverhältnisse im Kontext dieser Konstruktionsprozesse miteinzubeziehen. Ein Aspekt, der in Bezug auf dekonstruktivistischen Ansätzen häufig bemängelt wird (Crenshaw 1991: 1297; Davis, Lutz 2005: 230f.; Groß 2008: 59; Gutiérrez Rodríguez 1999a). So betont Gutiérrez Rodríguez die unterschiedliche Materialität von Konstruktionen und Zuschreibungen: »Sprachlich konstituierend wirken sich zwar alle Konstruktionen aus, doch trägt dies nicht automatisch zu einer konstitutiven Materialität oder Substantialität bei. Menschen können zwar mittels Rassisierung als »weiß« oder »schwarz« konstruiert werden, doch sind diese zwei Konstruktionen nicht von den gleichen institutionellen Anrufungsmechanismen und materiellen Lebensbedingungen begleitet. Demnach sind die materiellen Konsequenzen der Konstruktion vom gesellschaftlichen Kontext abhängig.« (Gutiérrez Rodríguez 1999a) Dies lässt sich auch auf die Konstruktionsprozesse von Geschlechtern übertragen, wobei es eben aufgrund der Differenzen zwischen Frauen* auf den »geographischen und politischen Kontext« ankommt, welche Effekte damit einhergehen (Gutiérrez Rodríguez 1999a).15 Die Kategorie ›Frau*‹ bleibt also eine widersprüchliche Kategorie für feministische Praxen: »Eine (…), die man einerseits braucht, aber andererseits nicht unhinterfragt benutzen kann.« (Autor_innengruppe aus Marburg 2014: 250)
3.2 Empowerment Die Fragen nach einem Bezug auf ein kollektivem Wir bzw. einem kollektiven Subjekt spielt gerade auch für die feministische Praxis des Empowerments eine
14 Zu dieser ›authentischen‹ Geschlechtsidentität wird auch das Machen bestimmter Diskriminierungserfahrung gezählt, welche Transfrauen* aufgrund ihrer vermeintliche »männlichen Sozialisation« abgesprochen wird (Hines 2017: 2f.). Erneut stellt sich die Frage, welche Erfahrungen zählen, um als Teil eines Kollektivs Frauen* anerkannt zu werden? 15 Gutiérrez Rodríguez spricht in diesem Zusammenhang von »Geschlecht als geographischpolitisch situierte Kategorie« (Gutiérrez Rodríguez 1999a).
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Rolle. Denn wer soll eigentlich bei einem Empowerment von Frauen* genau empowered werden? Diesem Konzept, seiner Herkunft und Entwicklung sowie kritischer Stimmen aus intersektionaler Perspektive wird sich im nächsten Teil gewidmet.
Empowerment im Kontext von Frauen*bewegungen Das Konzept Empowerment im Sinne von Empowerment von Frauen* entwickelte sich seit den 1960ern in verschiedenen Frauen*bewegungskontexten. 16 Die Kritik von Feministinnen* im Globalen Süden an top-down Ansätzen in Entwicklungsdebatten und Programmen spielte dabei eine wichtige Rolle (Batliwala 2007a: 558, Calvès 2009: 738, Ferguson 2009: 90f.). Sie kritisierten, dass bei diesen Ansätzen nur versucht wurde Frauen* in bestehende ökonomische Entwicklungsprozesse zu integrieren und damit lediglich die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen* sowie die Deckung ihrer Grundbedürfnisse fokussiert wurden (Calvès 2009: 738; Grown, Sen 1987: 15, 61). Des Weiteren wurden Frauen*, so die Kritik, nicht als selbstbestimmte Akteurinnen* in die Projektentwicklungen und Durchführungen miteinbezogen, genau so wenig wie ihre tatsächlichen Probleme und Interessen bedacht und anerkannt wurden (ebd.: 45ff). Diesem Versäumnis setzten Feministinnen* des globalen Südens eine Herangehensweise entgegen, die sich zentral auf »political mobilization, legal
16 Das Konzept Empowerment selbst hat eine längere Geschichte, die u.a. in sozialen Bewegungen und Kämpfen zu verorten ist. Dabei spielen gerade die Beiträge der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und vielfältiger Frauen*bewegungen weltweit seit den 1960ern eine zentrale Rolle (Batliwala 2007: 558; Can 2012: 9; Ferguson 2009: 84). Ein gemeinsames Charakteristikum von Empowerment in all diesen Kontexten ist, der starke Fokus auf kollektive Prozesse mit dem Ziel soziale Gerechtigkeit zu erlangen (Amadeu Antonio Stiftung 2017: 7, Ferguson 2009: 84f.). Aufgrund meines Fokus auf Empowerment in feministischen Kontexten, werde ich mich im Folgenden mit einigen Entwicklungssträngen im Zusammenhang mit Frauen*bewegungen beschäftigen. Gleichzeitig muss betont werden, dass die Grenzen zwischen diesen verschiedenen sozialen Bewegungen nicht trennscharf sind. So kann zum Beispiel der Beitrag von Schwarzen Frauen* und Frauen* of Color im Kontext der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung sowie der 2. Frauen*bewegungen gesehen werden.
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changes, consciousness raising17, and popular education [Herv. i. O.]« fokussierte (Grown, Sen 1987: 87). Diesen Ansatz bezeichneten sie als »process of empowerment« (ebd.: 18). Dabei baute dieses Vorgehen auf die kollektive Arbeit von Frauen*organisationen vor allem von armen Frauen* im Globalen Süden auf. Gleichzeitig betonten sie die Heterogenität von Frauen* in Bezug auf u.a. Klasse, Nationalität und geographische Verortung sowie Machtverhältnisse zwischen Frauen*, die bei diesem Ansatz mitbedacht werden sollten (Grown, Sen 1987: 18ff, 89ff). Geschlechtsspezifische Unterdrückung war für sie dabei untrennbar mit anderen Diskriminierungsformen verbunden und so bezog sich ihr Empowerment-Ansatz nicht nur auf die Überwindung von patriarchalen Verhältnissen, sondern letztlich gegen jegliche Form der Unterdrückung (Batliwala 2007a: 558; Grown, Sen 1987: 19, 74). Der Aspekt des consciousness raising in diesem Konzept von Empowerment stellte auch ein zentrales Instrument innerhalb der zweiten Frauen*bewegungen dar (hooks 2000: 7ff). bell hooks identifiziert diesen Prozess der kritischen Bewusstseinsbildung als Bildungsprozess über patriarchale Verhältnisse: »Revolutionary feminist consciousness-raising emphasized the importance of leraning about patriarchy as a system of domination, how it became institutionalized and how it is perpetuated and maintained. Understanding the way male domination and sexism was expressed in everyday life created awareness in women of the ways we were vicitimized, exploited, and, in worse case scenarios, oppressed.« (hooks 2000: 7) Damit stellt für hooks consciousness raising eine Brücke zwischen unterdrückenden Strukturen und deren alltäglichem Erleben dar. Diese Überbrückung von privater und öffentlicher Sphäre, wie man dieses Verhältnis in der Tradition des feministischen Slogans ›Das private ist politisch‹ auch bezeichnen kann, macht Nira Yuval-Davis auch bei anderen Feministinnen*, die sich mit Empowerment beschäftigt haben, aus (Yuval-Davis 1994: 180). Denn durch diese Überbrückung und dem damit einhergehenden Bildungsprozess des conscious-
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Dabei bezogen sie sich auch auf Paulo Freire’s 1972 [1970] Befreiungspädagogik, der darin die Methode des »conscientização« entwickelte (ebd.: 29). Mit dieser Bewusstseinsbildung sollte »mit den Unterdrückten« (ebd.: 44) ein kritisches Bewusstsein über die eigene unterdrückerische Situation und Position entwickelt werden (Freire 1972 [1970]: 29, 42ff).
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ness raising soll eine Stärkung und Ermächtigung (Empowerment) von Frauen* als Individuum aber auch als Kollektiv einher gehen (Ferguson 2009: 86f.). Dabei sind die unterdrückenden Strukturen nicht rein auf patriarchale zu reduzieren. So praktizierten v.a. Schwarze Feministinnen* in ihrem consciousness raising den Austausch und die Bildung über die Verknüpfung von rassistischen, (hetero)sexistischen und klassistischen Strukturen. So schreibt das Combahee River Collective in ihrem Black Feminist Statement: »A political contribution that we feel we have already made is the expansion of the feminist principle that the personal is political. In our consciousness raising sessions, for example, we have in many ways gone beyond white women’s revelations because we are dealing with the implications of race and class as well as sex.« (Combahee River Collective (1983) [1977]: 213) Auch Aktivistinnen* der Schwarzen Frauen*bewegung in Deutschland benutz(t)en diesen Ansatz, um Selbstermächtigung, was als Empowerment übersetzt werden kann, im Kontext der Verschränkung verschiedenster Unterdrückungssysteme, zu fördern. So formuliert ADEFRA 18: »Eines der wesentlichen Ziele des Vereins war und ist Empowerment, d.h., Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Selbstorganisation Schwarzer Frauen zu stärken und zu unterstützen.« (Ayim/Opitz, Oguntoye, Schultz 2006 [1986]: 239)
buzz word und Entpolitisierung Von einem Konzept, dass in sozialen Bewegungen verwurzelt ist und sich der Veränderung unterdrückender Strukturen verschrieb, hat sich der Begriff Empowerment seit den 1970ern weit verbreitet und sich zu einem »buzzword« entwickelt (Batliwala 2007a: 559).19 Diese Entwicklung wird zunehmend kriti-
18 Eine Gruppe, dessen Entstehung durch Audre Lorde Mitte der 1980ern inspiriert wurde und ein Zusammenschluss Schwarzer und afro-deutscher Frauen* in Deutschland darstellt (Ayim/Opitz, Oguntoye, Schultz 2006 [1986]: 239). 19 So ist der Begriff heute in unterschiedlichen wissenschaftlichen und politischen Bereichen wie in der Sozialen Arbeit, Psychologie oder in so genannten ›Entwicklungsprogrammen‹ und ›Ent-
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siert, insbesondere wird bemängelt, dass mit dieser inflationären Verwendung eine Entpolitisierung und Vereinnahmung des Begriffs einhergeht (Batliwala 2007a: 557; Calvès 2009: 735ff; Kabeer 1999: 436; Sardenberg 2008: 20ff). Ein Aspekt, den viele feministische Aktivist*innen und Autor*innen dabei an der Vereinnahmung des Begriffs kritisieren, ist die Tatsache, dass Macht und gerade Machtverhältnisse bei der Verwendung des Wortes und des Konzepts Empowerment ausgespart werden (Calvès 2009: 743f., Sardenberg 2008: 22). So fokussieren sich viele Definitionen und Konzepte, die heute mit dem Begriff Empowerment verbunden werden, auf die Stärkung individueller Fähigkeiten, häufig auch in Bezug auf die ökonomische Verbesserung einzelner (Batliwala 2007a: 558; Ferguson 2009: 86). Diese Definitionen von Empowerment ignorieren, so Cecília M.B. Sardenberg, strukturelle Machtverhältnisse und fokussieren sich auf individuelle (wirtschaftliche) Optimierung und können folglich als »liberal empowerment« bezeichnet werden (Sardenberg 2008: 22). Dabei setzt sie Liberalismus in den Kontext einer neoliberalen20 Wirtschaftsweise, aber auch in den Kontext eines liberalen Feminismus. Letzteren verknüpft sie mit Forderungen nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen* ohne, dass dabei die zu Grunde liegenden strukturellen Machtverhältnisse in Bezug auf Geschlecht geschweige dessen Ungleichheitsverhältnisse in Bezug auf Klasse oder race infrage gestellt werden (ebd.: 20).
Liberating Empowerment Trotz der Vereinnahmung des Begriffs Empowerment halten u.a. feministische Akteur*innen an dem Begriff fest und fokussieren ein Verständnis von Empowerment, dass sich auf die politischen Ursprünge des Konzepts bezieht (Calvès 2009: 747; Can 2012: 6ff). Solch ein Verständnis von Empowerment wird von Sardenberg in Abgrenzung zu dem liberal empowerment als »liberating empowerment« verstanden (Sardenberg 2008: 19). Das Empowerment von Frauen* definiert sie in diesem
wicklungspolitiken‹ ebenso anzutreffen, wie in populärer Selbsthilfeliteratur (Calvès 2009: 735ff; Kabeer 1999: 436; Sardenberg 2008: 20ff). 20 Eine Wirtschaftsweise, die u.a. Privatisierung fokussiert und sich für die Abschaffung oder Reduzierung von sozialstaatlichen Maßnahmen einsetzt (Sardenberg 2008: 20).
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Verständnis als »the process by which women attain autonomy and selfdetermination, as well as an instrument for the eradication of patriarchy, a means and an end in itself.« (ebd.: 19). Voraussetzung für Empowerment in diesem Sinne ist die Annahme, dass Frauen* als soziale Gruppe Unterdrückung erfahren und ihnen somit Möglichkeiten, Zugänge oder Selbstbestimmung verwehrt wird, sprich sie disempowerd sind. Durch einen Prozess des Empowerments sollen sie dann Selbstbestimmung und Strategien des Widerstands erlernen, die letztlich zur Überwindung eines strukturellen Machtverhältnisses (»patriarchy«) führen sollen (Sardenberg 2008: 19). Dabei betont Sardenberg, dass es bei einem liberating empowerment um die Selbstermächtigung von Personen geht und nicht darum Macht über jemanden zu erlangen (Sardenberg 2008: 23).21 Für diesen Prozess betont Sardenberg in ihrer weiteren Erläuterung die Notwendigkeit von Kollektivität und kollektiver Praxis (Sardenberg 2008: 23). Dabei bezieht sie sich auch auf Naila Kabeer, die diesen Punkt deutlich hervorhebt: »The project of women’s empowerment is dependent on collective solidarity in the public arena as well as individual assertiveness in the private.« (Kabeer 1999: 457) Dabei ist wichtig die Prozesshaftigkeit von Befreiung und sozialem Wandel zu betrachten, die u.a. feministische Theoretiker*innen im Kontext von Empowerment betonen (Batliwala 2007b; Young 1994: 50). Dieses Verständnis führt dazu, dass Ergebnisse von Empowerment nicht von vorneherein festgelegt werden können und damit eine Offenheit gewährleistet wird, wie Empowerment aussehen kann (Kabeer 1999: 442). Diese Möglichkeit, Empowerment in einem Prozess und abhängig vom jeweiligen Kontext zu entwickeln, ist gerade aus intersektionaler Perspektive von besonderer Bedeutung. Durch das Einbeziehen des Kontextes und die Betonung der Prozesshaftigkeit kann gewährleistet werden, dass in Bezug auf die Frage, was als empowernd für Frauen* gilt, nicht von Beginn an ein weißes westliches Konzept angelegt wird. Zum Beispiel, dass nicht als grundlegend angesehen wird, dass Empowerment von Frauen*
21 Auf die Frage, ob man wirklich eine solch strikte Trennung zwischen den beiden ausmachen kann, wird weiter unten bei der Besprechung von Kritikpunkten von Empowerment aus intersektionaler Perspektive, eingegangen.
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notwendigerweise die Abkehr von Religion oder das Leben jenseits von Kleinfamilie bedeuten muss, wie es in Teilen der 2. Frauen*bewegungen propagiert wurde, was, wie bereits im ersten Kapitel dargelegt wurde, exkludierende und diskriminierende Folgen für z.B. jüdische oder muslimische Frauen* hatte.
Kritische Interventionen Gleichzeitig gibt es aus intersektionaler Perspektive aber auch kritische Einwände gegenüber Empowerment-Ansätzen. So erörtert zum Beispiel Nira Yuval Davis (1994), inwieweit solche Ansätze ein homogenisierendes Konzept von sozialen Gruppen, die von Unterdrückung betroffen sind, impliziert und Differenzen innerhalb dieser Gruppen vernachlässigt werden (Yuval-Davis 1994: 181ff). Sie argumentiert dabei gegen ein simplifizierendes Verständnis von Empowerment: »The article argues against simplistic notions of empowerment based on identity politics which homogenize and naturalize social categories and groupings and which deny shifting boundaries as well as internal power differences and conflicts of interest.« (Yuval-Davis 1994: 179) Yuval-Davis folgend stellt sich die Frage, inwieweit bei der Definition von liberating empowerment nach Sardenberg, Differenzen und Machtverhältnisse zwischen Frauen* einbezogen werden? Dazu schreibt sie: »(…) differences and inequalites among women must be considered, for, some individuals may have power over others in a given group on the basis of class, race, etc, such that ›empowerment‹ may benefit some at the expense of others in the group.« (Sardenberg 2008: 24) Dies korrespondiert mit der Kritik von Yuval-Davis, dass eine Trennung von power of (Macht zu) und power over (Macht über), die sie bei etlichen Feminist*innen im Kontext von Empowerment ausmacht, nicht immer so eindeutig möglich ist und verweist auf die komplizierten und teilweise widersprüchlichen Resultate von Empowerment (Yuval-Davis 1994: 181f.). So kann Empowerment, wie Sardenberg im obigen Zitat feststellt, von einer Person oder Gruppe disempowernde Konsequenzen für andere Personen und Gruppen mit sich bringen. Hierfür führt Ann Ferguson folgende Situation an:
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
»One case is that of the middle-class mother freed by the rise in her self-esteem from a feminist C-R [consciousness raising, E.K.] group to seek a professional career, who uses an immigrant domestic servant to allow her this space, while the maid must sacrifice time with her own children.« (Ferguson 2009: 93) Dieses Beispiel betont, dass durch die Verschränkung verschiedener Unterdrückungssysteme sich potenziell konkurrierende Interessen und Konflikte innerhalb des Kollektivs Frauen* ergeben (Ferguson 2009: 84). Die Strategie die Sardenberg angesichts dieser komplexen Verhältnisse im Sinne eines liberating empowerment vornimmt, beschreibt sie wie folgt: »In such circumstances, therefore liberating empowerment will only be possible if one approaches the issues from the standpoint of the women located in the most disadvantaged intersections.« (Sardenberg 2008: 24) Allerdings geht Sardenberg nicht näher darauf ein, wie identifiziert werden soll, welche Frauen* sich mit den meisten Benachteiligungen konfrontiert sehen. Genauso wenig äußert sie sich dazu, wo die Grenzen des Kollektivs Frauen* für sie liegen: Ist zum Beispiel eine Transfrau* für Sardenberg expliziter Teil des Kollektivs Frauen*? Diese wichtigen Fragen werden in der Definition von Sardenberg von liberating empowerment nicht eingehend behandelt. Aus intersektionaler Perspektive ergeben sich folglich etliche Fragen und Herausforderungen bezüglich des Konzepts und der Praxen von Empowerment.
3.3 Forschungen zu Intersektionalität in feministischen Praxen Intersektionalität hat von sich von Beginn an kritisch mit feministischen Praxen und potenziellen Ausschlüssen und Effekten darin beschäftigt, gerade in Bezug auf die Exklusion marginalisierter Frauen* (vgl. Crenshaw 1989; hooks 2015 [1981]; aktueller Lantzsch 2012; Evans 2015). Die daran anknüpfenden Fragen, wie Differenzen zwischen Frauen* in Kontext von feministischen Aktivitäten konzeptualisiert werden und welche Möglichkeiten und Herausforderungen sich in der Umsetzung von Intersektionalität in feministische Praxen ergeben können, wurden bislang jedoch nur in wenigen wissenschaftlichen Forschungen fokussiert und wenn dann vermehrt außerhalb des deutschsprachigen Raums (Lenz 2019: 410; Lépinard 2014: 877;
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Schuster 2016: 2). Die vorherigen Kapitel zeigten jedoch auf, wie vielschichtig die Herausforderungen und Fragen an feministische Praxen im Kontext von Intersektionalität sind und eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Aspekten, stellt sich somit als vielversprechend dar. Dies verdeutlichen auch die Arbeiten, die diese Fragen bereits untersucht haben. Im Folgenden werden einige dieser Arbeiten besprochen, um anschließend meine zentralen Forschungsfragen und die Auswahl meines Untersuchungsgegenstands, die auf diese Forschungen aufbauen, zu erörtern.
Konzeptualisierungen von Differenzen Éléonore Lépinard (2014) geht anhand von Einzelinterviews mit Aktivistinnen* von 50 Frauen*rechtsorganisationen22 in Frankreich und Kanada der Frage nach, ob und mit welchen Effekten das Konzept Intersektionalität und seine politischen Analysen von Frauen*rechtsgruppen verwendet wird. Dabei fokussiert sie sich spezielle auf die Differenzkategorien »ethnicity/migration« und die Frage, welche Frauen* von den Organisationen adressiert bzw. repräsentiert werden (Lépinard 2014: 882, 886). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Bedeutung von Intersektionalität für soziale Akteurinnen* von der der akademischen Definition unterscheiden kann und feministische Akteurinnen* auch andere Wege entwickeln, mit der Problematik sozialer Differenzierungen zwischen Frauen* umzugehen (Lépinard 2014: 877f., 897ff). Anhand der Interviews arbeitet Lépinard eine Typologie von vier unterschiedlichen Herangehensweisen heraus, die die Aktivistinnen* nutzen, um Differenzen zwischen Frauen* zu konzeptualisieren.23 Unter »Intersectional recognition« fasst sie die Überzeugung, dass »racialized/immigrant women« spezifische Bedürfnisse und Interessen haben, denen Frauen*, die auch diesen Gruppen angehören, besser begegnen können (Lépi-
22 Dabei interviewte sie meist nur eine Person pro Organisation. Die Organisationen, in denen die Akteurinnen* tätig sind, umfassten »advocacy-type organizations« sowie »service providers« und verfügten über verschiedene »ethnic backgrounds« (Lépinard 2014: 884). Des Weiteren umfasst das Sample von Lépinard vor allem Organisationen mit festen Strukturen und Büros (ebd.: 885). 23 Einzelne Akteurinnen* können dabei auch mehrere Herangehensweisen verfolgen (Lépinard 2014: 886).
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nard 2014: 886). Unterdrückung wird in diesem Zusammenhang als das Zusammenspiel komplexer Dynamiken verstanden und nicht als Addition separater Unterdrückungssysteme. Diese Konzeptualisierung arbeitet Lépinard gerade für die Interviews mit Vertreterinnen* von Organisationen heraus, die sich auf »women from specific ethnocultural groups« fokussieren (ebd.: 886). Punktuelle Koalitionen mit anderen Frauen*rechtsorganisationen arbeitet sie dabei als Möglichkeit heraus, jedoch wird die Wichtigkeit einer Autonomie betont, damit den Interessen »that derive from an intersectional location« Gehör verschafft werden kann (ebd.: 888). Eine weitere Konzeptualisierung fasst Lépinard unter »a gender-first approach«. (ebd.: 888). Dabei werden Differenzen zwischen Frauen* der Position im Geschlechterverhältnis untergeordnet und ein additives Verständnis von Unterdrückungssysteme angewendet. Dies führt dazu, dass die jeweilige Organisation davon ausgeht, die Interessen von Frauen vertreten zu können ohne den Einfluss anderer Unterdrückungsformen auf die Erfahrungen von Frauen* zu betrachten (Lépinard 2014: 888f.). Die dritte Herangehensweise bezeichnet Lépinard als »individual recognition« (ebd.: 890). Hier wird es als wichtig erachtet Differenzen zwischen Frauen* anzuerkennen. Diese Differenzen werden aber nicht im Zusammenhang mit strukturellen Unterdrückungssystemen gefasst, sondern vielmehr als Ausdruck der spezifischen Erfahrungen und Lebensweisen von Frauen* gesehen (ebd.: 890f.). Dies führt nach Lépinard nicht dazu, dass sich die Organisationen mit (politischen) Fragen der Repräsentation oder Inklusion von marginalisierten Frauen als soziale Gruppen auseinandersetzen, auch wenn es zu »individual inclusion and recognition of ethnic or religious differences« kommen kann (Lépinard 2014: 892). Den vierten Ansatz bezeichnet Lépinard als »intersectional solidarity« (ebd.: 892). Die Inklusion und Repräsentation von marginalisierten Frauen* steht hier im Vordergrund. Auch werden Machtverhältnisse, die Frauen* unterschiedlich positionieren, betont. Gleichzeitig werden aber Diskriminierungen von marginalisierten Frauen* in einen größeren feministischen Kontext gestellt, um herauszustellen, dass diese Probleme alle Frauen* etwas angeht (Lépinard 2014: 892f.). Anhand ihrer Analyse kommt Lépinard zu der Erkenntnis, dass der nationale Kontext, in dem sich die Akteur*innen befinden, das Verständnis und die Umsetzung von Intersektionalität beeinflussen (ebd: 878). So stellt sie heraus, dass der »gender first« Ansatz bei ihren Interviewpartnerinnen* in Frankreich größere Verbreitung hat als bei denen aus Kanada. Dies erklärt sie sich mit der stärkeren Betonung der Notwendigkeit für Multikulturalismus im kanadischen
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Kontext (893f.). Des Weiteren stellt sie fest, dass Differenzen zwischen Frauen* aufgrund der Kategorie Klasse in feministischen Debatten in Frankreich prominenter verhandelt werden als Auseinandersetzungen mit race, was für sie den weit verbreiteten gender first Ansatz in ihrem französischen Datenmaterial zusätzlich erklären würde (ebd.: 897).
Intersektionalität als Möglichkeit für Koalitionen Einen stärkeren Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen Gruppen nimmt Elizabeth R. Cole (2008) in ihrem Aufsatz Coalition as a Model for Intersectionality: From Practice to Theory vor. Darin wertet sie Interviews mit Aktivist*innen aus, deren politische Arbeit sich auf Verbindungen von feministischen Bewegungen mit anderen sozialen Kämpfen fokussiert (Cole 2008: 444). Cole fokussiert dabei die Frage der Möglichkeiten und Grenzen von Koalitionsbildungen. Sie betont, dass die konkrete Praxis politischer Arbeit offenlegt, dass zunächst scheinbar homogene soziale Gruppen, sich letztlich aus Personen mit multiplen Identitäten und sozialen Positionen zusammensetzten. Folglich müsse jede Organisation eine gewisse Leistung an Bündnisarbeit leisten. Diese intersektionale Erkenntnis müsse aber nicht darin enden, dass nur noch in Kleinstgruppen gearbeitet werden kann, die relativ homogen sind (Cole 2008: 446f.). Sondern Cole stellt heraus, dass die interviewten Aktivist*innen Koalitionen als erfolgreich einschätzten »when different organizations were able to embrace an analysis exposing shared marginalization in relation to power« (ebd.: 447). Die Grundlage für diese Koalitionen sind somit nicht geteilte Erfahrungen oder Identitäten, sondern geteilte Positionen in einem Machtverhältnis. Als Beispiel führt sie die Unterstützung muslimischer USAmerikaner*innen nach dem 11. September 2001 durch eine japanischamerikanische Organisation an (Cole 2008: 450f.). Trotzdem zeigt Cole’s Arbeit auf, dass ein Anerkennen von Differenzen als Grundlage für solche politischen Allianzen notwendig ist, gerade wenn es um die Zusammenarbeit von relativ privilegierten und marginalisierten Akteur*innen geht (ebd.: 449). Die Teilnahme von Women* of Color Organisationen, die sich auf reproduktive Gerechtigkeit (reproductive justice) fokussieren, am March for Women’s Lives 2004 in Washington, war zum Beispiel nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Eine Teilnehmerin* identifiziert diese Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bündnis zwischen Women* of Color und weißen Frauen* folgendermaßen:
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
»there was recognition that the organizations differed both in their understanding of the issue (abortion rights vs. reproductive justice) and in the resources they brought to the partnership.« (Cole 2008: 448) Ein Verständnis über die Auswirkungen einer unterschiedlichen sozialen Positionierung in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung (Recht auf Abtreibung vs. Reproduktive Gerechtigkeit) sowie in Bezug auf finanzielle Ressourcen war somit die Bedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Cole’s Ergebnisse lassen somit darauf schließen, dass Intersektionalität in feministischen Praxen als Mittel zur Anerkennung von Unterschieden sowie Gemeinsamkeiten benutzt wird und damit Grundlage für vielfältige Bündnisse schaffen kann. Ähnliche Möglichkeiten für Intersektionalität in feministischer Praxis beschreiben auch die Autor*innen Chun, Lipsitz und Shin (2013) in ihrer ethnographischen Untersuchung der Gruppe Asian Immigrant Women Advocates (AIWA) in Kalifornien (USA). AIWA gründete sich in den 1980ern und fokussiert ihre Arbeit auf Immigrantinnen*, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Die Autor*innen untersuchen die Tätigkeit der Gruppe anhand von Interviews und Fokusgruppen mit 38 Migrantinnen*, die an Angeboten von AIWA teilgenommen haben. Zusätzlich beziehen sie ethnographisch erhobene Daten sowie Archivmaterial der Gruppe mit in die Analyse ein (ebd.: 917ff). Chun et al. arbeiten heraus, dass Intersektionalität für diese Gruppe eine zentrale Strategie darstellt, die Verschränkung verschiedener sozialer Positionen dieser marginalisierten Frauen* zu adressieren und Empowermentstrategien zu entwickeln, die an den Lebensrealitäten der Frauen* ansetzen (wie z.B. das Angebot von Sprachkursen). Auf diese Weise, so Chun et al., kann die Organisation Diskriminierungen, die sich aus den sozialen Positionen Frau*, Migrantin* und Arbeiterin* und ihren Verschränkungen ergeben, problematisieren und Möglichkeiten des Widerstands entwickeln (Chun et al. 2013: 918ff). Gleichzeitig stellen die Autor*innen heraus, dass Intersektionalität nicht nur als Mittel zur Adressierung der spezifischen Diskriminierung von migrantischen Arbeiterinnen* verwendet wird, sondern auch um Solidaritäten zu schaffen. Ähnlich wie in der Arbeit von Cole arbeiten Chun et al. Ähnlichkeiten bzgl. der Positionen in einem Machtverhältnis als Möglichkeiten für Verbindungen und Koalitionen heraus. So zum Beispiel in der Vereinigung verschiedenster ethnischer Frauen* in einem gemeinsamen Kampf für Arbeitsrechte (Chun et al. 2013: 918f., 929ff). Die Verschränkungen von Differenzen und Gemeinsamkeiten, stellen nach Chun et al., auch ein wichtiges Mobilisierungspotential für Unterstützer*innen dar:
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Intersektionalität in feministischer Praxis
»Overlapping lines of similarity and difference were especially vital to mobilizing second-generation Asian American youth in support of Chinese immigrant women garment workers.« (Chun et al. 2013: 931) Auch ohne selbst im Niedriglohnsektor zu arbeiten, konnten sich migrantische Jugendliche mit Erfahrungen von rassistischer Diskriminierung und fehlender Chancengleichheit identifizieren und fungierten als Unterstützer*innen der Kampagnen von AIWA (Chun et al. 2013: 931f.). In Bezug auf soziale Identitäten arbeiten Chun et al. folglich für die Gruppe eine Herangehensweise heraus, die diese »as tools to be used in complicated, flexible, and strategic ways« verwenden (ebd.: 918). Die Untersuchungen von Cole und Chun et al. betonen insgesamt, dass Intersektionalität in der Praxis nicht dazu führen muss, dass gruppenübergreifende Solidaritäten ausgeschlossen sind und nur noch in Kleinstgruppen gearbeitet werden kann, die relativ homogen sind. Gerade die Arbeit von Chun et al. betont die langjährige Verwendung intersektionaler Perspektiven und Ansätze in der politischen Arbeit von Women* of Color und ihre Erfolge (Chun et al. 2013: 917).
Herausforderungen für privilegierte Frauen* Wie sehr sich die Umsetzung und Verwendung von Intersektionalität zwischen marginalisierten Frauen* und weißen Frauen* unterscheiden kann, zeigt Julia Schuster in ihrer Untersuchung von jungen 24 Feministinnen* in Aotearoa25 (Neuseeland). Sie stellt heraus, dass ein Wissen über Intersektionalität und einem Streben nach diesem in der Praxis auf Probleme stößt und nicht unbedingt als Grundlage für Bündnisse dient (Schuster 2016: 1). Die Analyse von Schuster basiert auf 26 Interviews mit jungen Feministinnen* unterschiedlicher »ethnicity«26, die in basisdemokratischen feministischen Gruppen aktiv sind und sich verschiedenen politischen und feministischen Strömungen27 zuordnen (ebd.: 3).
24 Schuster definiert damit Frauen*, die 35 oder jünger sind (Schuster 2016: 3). 25 Aotearoa ist die Maori Bezeichnung für Neuseeland (Schuster 2016: 3). 26 Schuster kategorisiert dabei drei ethnische Gruppen: Europäisch, Asiatisch und Maori, wobei sich die Teilnehmerinnen* mehreren Gruppen zuordnen können (Schuster 2016: 3). 27 U.a. queer, liberal, sozialistisch und anarchistisch (Schuster 2016: 3).
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
Schuster arbeitet anhand dieser Interviews die feministischen Verständnisse der Interviewten heraus, die auch den Umgang mit Differenzen zwischen Frauen* umfasst. Diese bezeichnet sie als »intersectional expectations« (ebd.: 4). Diese intersektionalen Erwartungen beinhalten zum einen, dass Feminismus Differenzen zwischen Frauen* berücksichtigen muss und zum anderen, dass relativ privilegierte Frauen* ihre soziale Position reflektieren müssen (ebd.: 4). Den Druck diesen Erwartungen gerecht zu werden, stuft Schuster bei ihren Forschungsteilenehmerinnen* als sehr hoch ein. Wohingegen die Möglichkeiten der konkreten Umsetzung dieser Ansprüche meist unklar bleiben bzw. Widersprüche aufzeigen. So arbeitet Schuster bei weißen Feministinnen* heraus, dass diese versuchen, den Differenzen zwischen Frauen* gerecht zu werden, indem angestrebt wird, ihre Gruppen und Aktivitäten inklusive zu gestalten, sie in ihrer Praxis diesen Anspruch aber nicht genügend reflektieren (ebd.:4). Dies kann in Bezug gesetzt werden zu -was Ilse Lenz (2019)- mit »positionaler Intersektionalität« bezeichnet und sich auf die »Betonung der kategorialen Positionalitäten« der Akteurinnen* in feministischen Praxen bezieht (Lenz 2019: 411). In den Interviews mit Maori-Frauen* und Asiatinnen* arbeitet Schuster heraus, dass die Strategien, die europäische Frauen* diskutieren, um ihre Aktivitäten inklusiver zu machen, nicht als ausreichend angesehen werden und nicht dazu führen, dass marginalisierte Frauen* sich diesen anschließen wollen (ebd.: 4f.). Vielmehr erzählen sie von Erfahrungen, rein als Erfüllung einer Alibifunktion oder Quoten Woman* of Color wahrgenommen zu werden. Das Ziel die Aktivitäten inklusive für alle Frauen* zu gestalten, stellte sich somit bei den interviewten marginalisierten Frauen* nicht als zentral heraus, vielmehr identifiziert Schuster dort das Streben nach einem geschützten Raum, indem die Erfahrungen bestimmter Frauen* (zum Beispiel asiatischen Frauen*) den Ausgangspunkt darstellen (Schuster 2016: 5).28 Hierin sieht Schuster widersprüchliche Arten des Umgangs mit Differenzen zwischen Frauen*: Einerseits dem Streben von weißen Frauen* ihre Gruppen und Aktivitäten inklusive zu gestalten und andererseits dem Streben marginalisierter Frauen* nach Exklusivität, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen gehört werden. Diese Widersprüchlichkeit würde, so Schuster, unweigerlich dazu führen, dass die Versuche Räume und Aktivitäten von und für Frauen* unter-
28 Diese Herangehensweise zeigt Ähnlichkeiten mit dem Ansatz intersectional recognition auf, den Lépinard in ihrer Untersuchung herausgearbeitet hat (siehe die Ausführungen weiter oben).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
schiedlicher sozialer Postionen zu gestalten, sich als nicht erfolgreich darstellen (ebd.: 5f.). Dieses Scheitern würde deswegen vor allem bei weißen Frauen* dazu führen, dass sie sich auf ein individualistisches Feminismusverständnis zurückziehen. Dieses beinhaltet, nach Schuster, zum einen den Rückzug auf individuelle Praktiken eines »everyday feminism«, sowie die Vermeidung allgemeiner Aussagen und der Betonung, dass Feminismus für jede Person eine unterschiedliche Bedeutung hat: »promoting an understanding that feminism has different meanings for everybody ensures nobody gets excluded or silenced—or at least it eradicates the grounds for complaining about it because every feminist perspective, statement and action can be justified as a personal approach.« (Schuster 2016: 5) Solch eine Individualisierung läuft, laut Schuster, jedoch Gefahr, dass die Auseinandersetzung mit schwierigen Fragen vermieden wird. Darunter fasst sie die Entwicklung alternativer Strategien für eine kollektive feministische Praxis, die intersektionalen Erwartungen tatsächlich gerecht wird oder eine intensivere Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die sich in der Praxis für solch einen intersektionalen Anspruch ergeben (ebd.: 6). Hier könnte sich das Konzept »prozessualer Intersektionalität«, welches Lenz vorschlägt, als hilfreich darstellen (Lenz 2019: 408). Damit hebt Lenz die Wichtigkeit eins Verständnisses der Prozesshaftigkeit bezüglich Inklusivität in sozialen Bewegungen hervor: »Während die Teilhabechancen zu Beginn von ungleichen Positionen beeinflusst sind, bilden Bewegungen dann politische Räume, in denen die unterschiedlichen Akteure um ihre Partizipation darin und deren Symbole und Ziele verhandeln.« (Lenz 2009: 408) Nach Lenz würde dies dazu beitragen »die stark normativen und dualistischen Erzählungen zu überwinden, die von positionaler Intersektionalität ausgehen« (Lenz 2019: 422). Im Kontext des von Schuster herausgearbeiteten Rückzug ins Individuelle, hätte es sich zudem als fruchtbar dargestellt, wenn dabei auch noch näher den Aspekten von Privilegierung bezüglich solch eines Rückzugs nachgegangen worden wäre. Diese Privilegierung machen Autorinnen wie Linda Altcoff und Fabienne Darling-Wolf in ihrer Auseinandersetzung mit der Problematik eines speaking for in feministischen Kontexten deutlich (Altcoff 1991: 17; Darling-Wolf 1998: 418ff) So schreibt zum Beispiel Darling-Wolf:
3. Intersektionalität und Feministische Praxen
»The decision to move over itself comes from a position of privilege, and the assumption that we can retreat into the individual realm and ›speak only for oneself‹ is a misguided illusion embedded in Western individualisitic ideology.« (Darling-Wolf 1998: 418) Schuster hingegen sieht hier vielmehr intersektionale Theorien in der Verantwortung und mahnt, »intersectionality should not be fetishized to such an extent that young feminists become too afraid to act collectively«. Sie propagiert in diesem Zusammenhang auch, dass akademische Diskussionen verstärkt Fragen der Umsetzbarkeit von Intersektionalität in feministische Praxen fokussieren sollten (Schuster 2016: 6).
3.4 Zentrale Fragestellung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade die Arbeit von Lépinard aufzeigt, dass ein intersektionales Verständnis nur eine Konzeptualisierung unter mehreren in feministischen Praxen darstellt. Es stellt sich also als notwendig dar, der Frage wie Differenzen zwischen Frauen* in feministischen Zusammenhängen konzeptualisiert werden, näher nachzugehen. Des Weiteren zeigen die Arbeiten, dass eine Orientierung an Intersektionalität in der konkreten Umsetzung vielfältige und widersprüchliche Auswirkungen mit sich bringt: von der Möglichkeit bis (Un)Möglichkeit von Bündnissen zwischen relativ privilegierten und marginalisierten Frauen*. Die besprochenen Arbeiten legen auch nahe, dass Intersektionalität in der Praxis gerade für marginalisierte Frauen* eine wichtige Ressource darstellt, wohingegen es gerade für weiße Frauen* entweder keine relevante Orientierung darstellt (wie bei dem von Lépinard herausarbeiteten gender first Ansatz) oder als Herausforderung ohne konkrete Umsetzungsmöglichkeit interpretiert wird (wie Schuster in ihrer Arbeit herausstellt). Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Effekten der Konzeptualisierung von Differenzen auf feministische Praxen. Es stellt sich auch die Frage, ob die Ergebnisse aus anderen nationalen Kontexten auch so in einem bundesdeutschen Kontext wiederzufinden sind oder sich dort andere oder weitere Aspekte herausarbeiten lassen. Des Weiteren basieren die meisten dieser Arbeiten auf Einzelinterviews, wodurch kollektive Orientierungen nur sehr bedingt erfasst werden können. Sind feministische Praxen gerade aber auch durch kollektive (Aushandlungs-)Prozesse geprägt, erscheint eine Erhebung, die diese in den Fokus rückt,
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Intersektionalität in feministischer Praxis
besonders vielversprechend. Mit einer Fokussierung auf einzelne feministische und Frauen*rechtsgruppen ist auch davon auszugehen, dass Ambivalenzen, Entwicklungen und Widersprüche in den Konzepten und den Möglichkeiten der Umsetzung dieser sehr viel detaillierter herausgearbeitet werden können. Aufgrund dieser Überlegungen verfolgt die vorliegende Arbeit anhand von Gruppendiskussionen mit feministischen und Frauen*rechtsgruppen in Deutschland folgende Leitfragen: 1. Wie werden Differenzen zwischen Frauen* in feministischen und Frauen*rechtsgruppen konzeptualisiert? Dabei gilt es die im theoretischen Kapitel herausarbeiteten Dimensionen der Kritik marginalisierter Frauen* im Kontext der zweiten bzw. Neuen Frauen*bewegungen als kritischen Spiegel mitzubedenken. 2. In welchem Verhältnis stehen diese Konzeptualisierungen mit ihren Handlungspraxen? Wie im letzten Kapitel dargestellt wurde, ergeben sich bezüglich feministischer Praxen im Kontext von Intersektionalität vielfältige Herausforderungen und es stellen sich die Fragen, wie die jeweiligen Gruppen mit diesen umgehen und welche Passungen, Herausforderungen und Widersprüche sich in der Umsetzung ihrer Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* ergeben können? Mit der damit verbundenen Rückkopplung von feministischen Theorien und Praxen geht für mich das Ziel einher, einen Beitrag zu emanzipatorischen politischen Praxen zu leisten.
Die Fragen nach den Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* in feministischen und Frauen*rechtsgruppen und die Möglichkeiten der Umsetzung dieser, zielen auf implizite kollektive Wissensbestände der Gruppen ab und fokussiert die intersubjektive Kommunikation der Gruppenmitglieder. Für mein Forschungsinteresse bedarf es folglich eines Erhebungsverfahrens, dass solch eine Kommunikation fördert und eine Methode, die in der Lage ist, intersubjektive Prozesse analysieren zu können und einen Zugang zu implizitem Wissen ermöglicht. Mit der Erhebung von Gruppendiskussionen ist es möglich, dass eine relative Selbstläufigkeit der Kommunikation zwischen den Teilnehmenden stattfinden kann und ich als Forscherin in den Hintergrund gerate. Die Durchführung der Diskussionen mit Gruppen, die auch außerhalb des Forschungskontexts bestehen (so genannte Realgruppen), erleichtert, dass sich die Sprache der Diskussionen der annähern kann, die für die Lebenswelt der Teilnehmenden bezeichnend ist (Bohnsack 1991: 21; Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 92). Als Methode rekonstruktiver Sozialforschung 1 kann die Dokumentarische Methode anhand der Analyse der Diskursorganisation die latenten Sinnstrukturen und damit die kollektiven Orientierungen einer Bezugsgruppe erforschen und eignet sich somit am besten für die Analyse des erhobenen Datenmaterials (Bohnsack et al. 2013: 12ff; Przyborski 2004: 15ff).
1
Diese wurden in der empirischen Forschung als Abgrenzung zu hypothesenüberprüfenden Verfahren entwickelt. Denn es werden keine vorab festgelegten Hypothesen am Gegenstand überprüft, sondern die Äußerungen von Forschungsteilnehmenden werden in ihrem Kontext analysiert und anhand des Relevanzsystems, dass die Teilnehmenden selbst gesetzt haben. Der Forschungsverlauf soll aus diesem Grund Bedingungen schaffen, in denen die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, ihr eigenes Relevanzsystem setzen zu können. So wird der Interpretationsrahmen von Forscher*in und Forschungsteilnehmenden ersichtlich und ein methodisch kontrolliertes Fremdverstehen möglich (Bohnsack 2014: 12, 22f.; Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 16f.).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Die jeweilige Position eines*r Forscher*in beeinflusst eine Forschung zu jeder Zeit. So hat gerade die feministische Forschung die Prämissen der ›wissenschaftlichen Objektivität‹ stark kritisiert (vgl. Haraway 1991). Die Reflexion des Einflusses und der Situierung meiner eigenen Position im Forschungsprozess ist für die Einordnung der Forschungsergebnisse somit notwendig. Diese drei Dimensionen stellen den methodischen Rahmen der vorliegenden Arbeit dar. Im Folgenden werde ich zunächst das genaue methodische Vorgehen bei der Erhebung der Gruppendiskussion vorstellen sowie die grundlegenden Elemente und Analyseschritte der Dokumentarischen Methode erörtern. Abschließend widme ich mich der Reflexion meiner Forschungsposition bezüglich meiner sozialen Positionierung sowie meiner Verortung zwischen Aktivismus und Wissenschaft.
4. Gruppendiskussionsverfahren
Das Ziel meiner Forschung ist die Rekonstruktion kollektiver Orientierungen feministischer und Frauen*rechtsgruppen. Dies macht eine Erhebungsmethode von Nöten, die keine individuellen, sondern kollektive Orientierungen in den Vordergrund stellt. Das Gruppendiskussionsverfahren stellt sich somit als die angemessene Erhebungsmethode für meine Forschungsfragen dar. 1 Für die Analyse dieser kollektiven Wissensbestände ist die interaktive Bezugnahme der Teilnehmenden aufeinander grundlegend und erfordert ein Vorgehen, bei dem sich eine gewisse Selbstläufigkeit des Gesprächs zwischen ihnen einstellen kann (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 92). Für das Erreichen dieser Selbstläufigkeit ist es wichtig, dass ich als Forscherin möglichst wenig in die Diskussion eingreife. Das heißt unter anderem, dass Pausen zwischen oder nach Redebeiträgen möglichst lange ausgehalten und sich anschließende Fragen erst gestellt werden, wenn das Gespräch der Teilnehmerinnen »gänzlich zum Erliegen gekommen ist« (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 98). Dies zwingt die Teilnehmerinnen gerade dazu, Themen selbstständig abzuschließen. 2 Des Weiteren gilt es, bei Fragen immer die ganze Gruppe und nicht wie bei Moderationen einzelne Teilnehmerinnen anzusprechen. Die gestellten Fragen sollen dabei möglichst offen, vage und erzählauffordernd sein (ebd.: 97ff).
1
Ich beziehe mich hier auf das Gruppendiskussionsverfahren als Form der dokumentarischen Methode, die Ralf Bohnsack in der wissenssoziologischen Tradition von Mannheim entwickelt hat (Bohnsack 1989).
2
Dies ist für die Analyse der Konklusionen der einzelnen Themen von großer Bedeutung. Siehe auch die folgenden Ausführungen im Kapitel zur Dokumentarischen Methode und dem Analyseschritt der reflektierenden Interpretation.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Aufgrund dieser Überlegungen führte ich die Gruppendiskussionen in halbstrukturierter3 Form mit Unterstützung eines Leitfadens durch. Die Entwicklung dieses Leitfadens, in dessen Zentrum offene Fragen stehen, wird im Folgenden näher dargelegt. Im Anschluss werden die Auswahlkriterien für die Gruppen und der Zugang zum Forschungsfeld sowie allgemeine Aspekte des Feldkontakts erörtert. Schwierigkeiten, die sich gerade in der Gewinnung von nicht-weißen Gruppen ergeben haben, haben dazu geführt, dass zusätzlich zu den Gruppendiskussionen auch ein Expertinneninterview mit einer Schwarzen Empowermenttrainerin geführt wurde. Die Einordnung dieses Interviews im Forschungssowie Analyseprozess wird abschließend anhand eines Exkurses besprochen.
4.1
Leitfadenentwicklung
In der Entwicklung des Leitfadens, war die Erarbeitung von offenen Fragen von zentraler Bedeutung. Bohnsack erklärt die Wichtigkeit offener Fragen auch damit, dass sie den Teilnehmenden ermöglicht, selbst offen zu legen, wie er*sie die Fragestellung interpretiert und ob diese in seinem*ihrem Relevanzsystem eine Rolle spielt. Eine offene Herangehensweise kann so verhindern, dass der*die Forscher*in Bedeutungen in Äußerungen der Diskussionsteilnehmenden hineinprojiziert, die deren Lebenswelt nicht entspricht. Dies macht ein methodisch kontrolliertes Fremdverstehen möglich. Bei geschlossenen Fragen hingegen wird der Interpretationsrahmen bereits von der*dem Forscher*in vorgegeben (Bohnsack 2014: 22ff). Anhand folgenden Beispiels aus meiner Forschung kann dies verdeutlicht werden. Würde ich bei den Gruppendiskussionen die Frage stellen Ist euer Feminismus intersektional?, wäre bereits ein klarer Rahmen für die Beantwortung der Frage vorgegeben. Ich würde voraussetzen, dass die Gruppe sich als feministisch definiert sowie den Begriff intersektional (mit meinem eigenen Verständnis) selbst einführen. Es wäre kein Raum dafür, dass die Gruppe Feminismus oder Intersektionalität in ihrem eigenen Relevanzsystem bespricht. Des Weiteren könnte auf die
3
Damit ist die Durchführung der Diskussionen anhand eines Leitfadens gemeint, der jedoch nicht starr befolgt wird.
4. Gruppendiskussionsverfahren
Frage auch einfach mit ja oder nein geantwortet werden, ohne dass dies näher ausgeführt wird. Demgegenüber lautet meine offene Frage: Erzählt doch mal, was ihr mit Feminismus verbindet? So lasse ich den Teilnehmenden die Möglichkeit, selbst zu definieren, was sie unter Feminismus verstehen und welche Assoziationen sie damit verbinden. Es wäre beispielsweise auch möglich, auf diese Frage mit einer ablehnenden Äußerung gegenüber Feminismus zu reagieren, bei der geschlossen Frage hingegen wäre dies sehr viel unwahrscheinlicher. Gleichzeitig regt diese Frage zum Erzählen an. Meine allgemeine Frage muss – wie Bohnsack es für offene Vorgehen vorsieht – so von den Teilnehmer*innen konkretisiert werden (Bohnsack 2014: 22). In der Analyse des Datenmaterials kann in diesem Fall von einer Themeninitiierung in Abgrenzung von einer Frage mit propositionalen4 Gehalt gesprochen werden (Przyborski 2004: 67f.).5 Neben der Formulierung von offenen Fragen, kommt im Gruppendiskussionsverfahren der Einstiegsfrage eine besondere Bedeutung zu. Da der Fokus dieser Erhebungsmethode auf dem Gespräch zwischen den Teilnehmer*innen liegt, ist es wichtig gleich zu Beginn eine Frage zu stellen, die erzählauffordernd ist (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 97). Würde ich zum Beispiel zu Beginn fragen, wie ihre Gruppe heißt oder wann sie sich treffen, käme kein Erzählfluss zustande. Dahingehend lädt meine Einstiegsfrage: Erzählt doch mal etwas über eure Gruppe? Wie ist eure Gruppe entstanden und was macht ihr so? dazu ein, zu erzählen, wobei sie gleichzeitig viel Raum für die Teilnehmenden lässt, die Frage anhand ihrer eigenen Lebenswelt und ihrer eigenen Sprache zu interpretieren.6 Mit dem Fokus auf diese offenen und erzählgenerierenden Fragen wurde folgender Leitfaden als Orientierung für die Durchführung der Gruppendiskussionen entwickelt:
4
Der Begriff Proposition oder propositionaler Gehalt bezieht sich auf das erste Aufwerfen einer Orientierung bzw. ein Aspekt einer Orientierung (Przyborski 2004: 63f.). Dies wird im Kapitel zur Dokumentarischen Methode nochmals näher erläutert (vgl. Kapitel 5.2.).
5
Diese Unterscheidung wurde bereits im vorherigen Kapitel bei der Ausführung der reflektierenden Interpretation dargelegt.
6
Die erste durchgeführte Diskussion bestätigte diese erzählauffordernde Wirkung der Einstiegsfrage: Die Teilnehmerinnen diskutierten im Anschluss ohne weitere Nachfragen über 50 Minuten lang. Aus diesem Grund wurde die Einstiegsfrage im gesamten Erhebungsverfahren beibehalten.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
1.
Erzählt doch mal etwas über eure Gruppe? Wie ist eure Gruppe entstanden und was macht ihr so?
2.
Erzählt doch mal wie ihr zu den Themen kommt, mit denen ihr euch auseinandersetzt?
3.
Wie sieht es aus mit Erfolgen oder positiven Erlebnissen, was habt ihr da so für Erfahrungen gemacht?
4.
Wie sieht es aus mit Problemen oder Herausforderungen, was habt ihr da so für Erfahrungen gemacht?
5.
Erzählt doch mal, was ihr mit Feminismus verbindet?
6.
Was fällt euch zu der Aussage: »Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen« ein?
Die letzte Frage ist hierbei keine offene Frage, sondern die Gruppe wird explizit zu Argumentationen bezüglich eines klar bestimmten Rahmens aufgefordert. Es handelt sich also um eine Frage mit propositionalem Gehalt (Przyborski 2004: 67). Für meine Fragestellung ist aber gerade die Art und Weise wie im Anschluss an diese Frage argumentiert wird, welche Argumentationslinien sich gruppenübergreifend abbilden sowie welche Spannungsfelder sich aufmachen, von besonderem Interesse. Da ich diese Frage erst am Ende der Diskussion formuliere, stelle ich sicher, dass die Gruppe zuvor schon genug Raum hatte ihre eigenen Schwerpunkte und Referenzsysteme auszuformulieren. Neben diesen Fragen des Leitfadens wurden im Verlauf der Diskussionen immanente7 Nachfragen gestellt, die Themen aufgegriffen haben, die von der Gruppe zuvor bereits angesprochen wurden (Przyborski 2004: 68).
7
Przyborski unterscheidet zwischen immanenten Fragen, die bereits erwähnte Themen nochmals aufgreifen und exmanenten Fragen, die neue Themen aufwerfen (Przyborski 2004: 68).
4. Gruppendiskussionsverfahren
4.2 Auswahlkriterien der Gruppen Die Selbstläufigkeit eines Gesprächs und eine konjunktive Verständigung im Sinne der Dokumentarischen Methode kann erst dort entstehen, wo gewisse »Gemeinsamkeiten der Erfahrung gegeben sind« (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 94). Wie sich die Gruppe zusammensetzt, beeinflusst folglich auch die Ergebnisse der Forschung. Bei Gruppen, die nicht nur zu Forschungszwecken zusammengestellt werden und auch außerhalb des Forschungskontextes bestehen (sogenannte Realgruppen), ist es wahrscheinlicher, dass solche Gemeinsamkeiten 8 vorliegen und sich leichter eine eigenständige Diskussion einstellt (ebd.: 94f.). Des Weiteren ermöglichen Gruppendiskussionen mit Realgruppen, wie bereits in der Einführung zu diesem Kapitel dargelegt wurde, dass die Sprache der Diskussionen sich der Sprache annähern kann, die für die Lebenswelt der Teilnehmenden bezeichnend ist (Bohnsack 2014: 22f.). Aus diesen Gründen stellt es sich für meine Forschungsfragen nach den kollektiven Wissensbeständen von feministischen und Frauen*rechtsgruppen als sinnvoll dar, die Erhebung mit Realgruppen durchzuführen. Welche weiteren Kriterien für die Auswahl der Gruppen angelegt wurden, wird nun näher ausgeführt. Für die Auswahl der Gruppen war zunächst ihre Selbstbezeichnung bzw. Selbstpräsentation9 als feministisch oder als Frauen*rechtsgruppe10 ein wichtiges Kriterium. Dass nicht allein die Bezeichnung feministisch als Kriterium angewendet wurde, ergibt sich aus der Tatsache, dass gerade marginalisierte Frauen* sich mit dem Begriff nicht immer identifiziert haben (Ahmed 2017: 2; hooks 2000: 2ff).
8
Um welche Gemeinsamkeiten es sich dabei handelt, kann jedoch erst durch die Analyse rekonstruiert werden (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 95).
9
Dies umfasst die Präsentation von Gruppen auf ihren Internetseiten, Veranstaltungsflyern oder bei Veranstaltungen der Gruppe selbst. Auf den Zugang zu den Gruppen im Einzelnen wird im folgenden Kapitel zum Feldzugang nochmals näher eingegangen.
10 Unter Frauen*rechtsgruppen werden Gruppen gefasst, die sich für Rechte oder Interessen von Frauen* einsetzen ohne sich dabei als feministisch zu definieren. Der Begriff wird benutzt, um von Frauen*gruppen zu unterscheiden, deren Aktivitäten sich rein auf die Gruppe selbst beziehen und keinen gesellschaftspolitischen Anspruch verfolgen (z.B. Frauen*laufgruppen).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Diese Herangehensweise hat sich auch im Forschungsverlauf als richtig und notwendig dargestellt. Denn es sind gerade die kurdische Frauengruppe 11, die muslimische Frauengruppe sowie die Gruppe behinderter Frauen in meinem Datenkorpus, die sich nicht explizit als feministisch bezeichnen. Ohne den Einbezug von Frauen*rechtsgruppen wären diese Gruppen somit schon von vornherein ausgeschlossen worden. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Gruppen war ihre Ausrichtung als politisch. Der Begriff wurde dabei sehr weit gefasst und in dem Sinne verstanden, dass die Gruppen einen Fokus darauf haben nach außen, d.h. in die Öffentlichkeit/Gesellschaft zu wirken. Dabei beschränkte ich mich auf basisdemokratische Gruppen, da diese den anfänglichen Kern der Neuen Frauen*bewegungen ausmachten und dort die Kritik marginalisierter Frauen* an Ausschlusspraktiken verstärkt geäußert wurde (Niekant, Schuchmann 2003: 9; Stötzer 2004: 34). Gruppen, deren Tätigkeit sich rein auf sozialarbeiterische bzw. beratende Tätigkeiten12 fokussieren, wurden ausgeschlossen. Dies hätte eine detailliertere theoretische Auseinandersetzung mit sozialarbeiterischen Kontexten sowie die Entwicklungen dieser Angebote seit ihrer Entstehung im Rahmen der Neuen Frauenbewegung vorausgesetzt, was im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Ebenso wurde in der Arbeit die Entwicklung von entlohnten Tätigkeiten im Kontext von frauen*bewegten Institutionen oder Gruppen ausgeklammert. Dieser Themenkomplex ist mit jahrzehntelangen Auseinandersetzungen und Institutionalisierungsprozessen verbunden, der dargelegt werden müsste, um die Gruppen angemessen analysieren zu können, was den Rahmen dieser Arbeit übersteigt. Aus diesem Grund mussten auch zwei geführte Diskussionen im Nachhinein aus dem Sample ausgeschlossen werden, da sich erst während der Diskus-
11
Da sich in meinem Fall alle Forschungsteilnehmerinnen als Frauen verstehen, wird hier und im weiteren Verlauf in Bezug auf meine Forschungsteilnehmerinnen auf das Gendersternchen verzichtet.
12 Darunter fasse ich hier z.B. Frauenhäuser und Beratungsstellen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt.
4. Gruppendiskussionsverfahren
sion herausstellte, dass alle oder Teile der Gruppe für ihre Tätigkeit finanziell entlohnt werden.13 Die neun Gruppen14, die mein Sample ausmachen werden im Folgenden kurz aufgelistet. Bei dieser Auflistung wird sich auf folgende formale Beschreibungsaspekte beschränkt: Anzahl der Teilnehmerinnen, Tätigkeitsfeld bzw. Selbstbezeichnung der Gruppe und geographische Situierung in Deutschland. Detailliertere Fallbeschreibungen finden sich im Ergebniskapitel:
13
1.
vier Frauen einer feministischen Kneipe in einer westdeutschen Großstadt
2.
fünf Frauen einer feministischen Zeitschrift in einer Großstadt in Westdeutschland
3.
drei Frauen einer feministischen Antifagruppe in einer Großstadt in Westdeutschland
4.
zwei Frauen einer queerfeministischen Gruppe in einer Großstadt in Ostdeutschland
5.
vier Frauen einer feministischen Antifagruppe in einer ländlichen Region Ostdeutschlands
6.
zwei Frauen eines feministischen Blogs in einer Großstadt in Westdeutschland
7.
vier Frauen einer kurdischen Frauengruppe in einer Großstadt in Westdeutschland
Dabei handelte es sich um die Diskussion mit zwei Frauen einer feministischen Bildungseinrichtung in einer Großstadt in Ostdeutschland sowie eine Diskussion mit drei Frauen einer feministischen Bibliothek in einer Großstadt in Westdeutschland.
14 Hiermit ist die Gruppe gemeint, die sich aus den Teilnehmenden der Diskussion zusammensetzt und nicht die politische Gruppe, denen die Teilnehmenden außerhalb des Forschungskontexts angehören. In einigen Fällen sind diese zwei Gruppen deckungsgleich, aber nicht bei allen, da nicht immer alle Mitglieder einer Gruppe an den Diskussionen teilgenommen haben.
111
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Intersektionalität in feministischer Praxis
8.
zwei Frauen einer muslimischen internationalen Frauengruppe in einer Großstadt in Westdeutschland
9.
zwei Frauen einer Gruppe behinderter Frauen in einer Großstadt in Westdeutschland
Wie sich der Zugang zu diesen Gruppen und der Kontakt im Feld gestaltete, wird nun näher ausgeführt.
4.3 Feldzugang Beim Zugang zu einem Forschungsfeld sind mehrere Punkte von entscheidender Bedeutung. Zum einen gilt es, zu erörtern, in welcher Offenheit und in welchem Detail den potenziellen Forschungsteilnehmenden die Forschungsfragen und das Forschungsinteresse mitgeteilt wird und zum anderen stellt sich die Frage wie der Zugang zu den Forschungsteilnehmenden erfolgt (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 42ff; 59ff). Mein methodisches Vorgehen bezüglich dieser zwei Aspekte wird nun unter Einbezug forschungsethischer 15 Fragen näher erläutert.
Darlegung des Forschungsinteresses In der qualitativen Sozialforschung werden bezüglich der Darlegung des Forschungsinteresses nicht allein forschungsethische Fragen, sondern auch Überlegungen welche Effekte die Darlegung von spezifischen wissenschaftlichen Informationen auf die Ansprechpersonen haben können, diskutiert (Kruse 2015: 255ff; Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 43f.).
15 Unter Forschungsethik fasse ich anlehnend an Narimani et al. neben der »Gestaltung der Beziehung zwischen Forschenden und Beforschten« insbesondere auch die »politischen und theoretischen Fragen der Positionierung von Forschenden und Wissenschaft in der Gesellschaft […] einschließlich der (Selbst-)Reflexivität von Forschenden« (Narimani et al. 2014: 1f.). Die Reflexion meiner Forschungsposition wird in einem eigenen Kapitel am Ende des methodischen Teils näher besprochen.
4. Gruppendiskussionsverfahren
Eine detaillierte Darlegung der Forschungsfragen hätte unweigerlich Einfluss auf das Verhalten und die Äußerungen der Teilnehmenden während der Gruppendiskussion und somit Einfluss auf die Ergebnisse der Forschung (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 43f.). Hätte ich bei der Kontaktaufnahme bereits erörtert, dass mich die Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* interessieren, hätte dies zur Folge haben können, dass die Forschungsteilnehmenden bei den Diskussionen Differenzen zwischen Frauen* verstärkt besprochen hätten. Welche Bedeutung dieses Thema für ihr eigenes Relevanzsystem hat, wäre so sehr viel schwerer zu rekonstruieren gewesen. Andererseits ist aus forschungsethischer Perspektive eine Offenheit gegenüber den Forschungsteilnehmenden überaus wichtig, so dass es ihnen möglich ist ein informiertes Einverständnis 16 abzugeben (Kruse 2015: 255). Beim Herantreten an potenzielle Teilnehmer*innen erklärte ich mein Forschungsvorhaben daher mit meinem generellen Interesse an aktuellen Debatten in feministischen und Frauenrechtsgruppen und deren möglichen Bezügen zur zweiten Frauenbewegung. So waren sie informiert darüber, dass es mir um Debatten und mögliche Auseinandersetzungen geht, mit dem Verweis auf die zweite Frauenbewegung wurde zudem mein Interesse an Entwicklungen deutlich, ohne, dass ich ausdrücklich auf die Debatten um Differenzen zwischen Frauen* in der zweiten Frauenbewegung einging.17 Um dennoch eine möglichst große Transparenz gegenüber den Teilnehmenden zu gewährleisten, ohne sie von Beginn an zu stark zu beeinflussen, wurde ihnen nach Abschluss der Diskussion meine konkrete Fragestellung offengelegt. In diesem Wissen wurde auch erst ihr Einverständnis für die Verwendung der Diskussion im Rahmen meiner Arbeit erfragt.
16 Diese informierte Einwilligung ist Teil des Ethikkodex des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) (BDS, DGS 2017). 17
Dabei haben die teilnehmenden Gruppen sich sehr unterschiedlich stark bzw. gar nicht in ihren Diskussionen auf die zweite Frauenbewegung sowie feministische Debatten bezogen. In etlichen Diskussionen wurde sich gar nicht darauf bezogen. So zeigen die Diskussionen, dass mit dieser Darlegung des Forschungsinteresses keine allzu große Beeinflussung der Ergebnisse erfolgt ist. Hilfreich dahingehend ist auch die Einstiegsfrage einzuordnen, da diese die Gruppe und ihre Tätigkeiten fokussiert.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Strategien der Gewinnung von Forschungsteilnehmer*innen Für die Gewinnung von Teilnehmer*innen für Gruppendiskussionen verfolgte ich vielfältige Strategien, die in der Erhebungsphase von Mai 2016 bis November 2017, stetig erweitert und verändert wurden. Diese stelle ich im Folgenden in einem kurzen Abriss vor.18 Zunächst wurden potenzielle Teilnehmer*innen für eine Gruppendiskussion über eine direkte Anfrage per E-Mail kontaktiert.19 Dem ging eine Internetrecherche zu feministischen und Frauen*rechtsgruppen in Deutschland voraus. Gleichzeitig verbreitete ich meine Anfrage über persönliche Netzwerke. Auf diesem Weg wurden 34 Gruppen angefragt, wobei es zu sieben durchgeführten Gruppendiskussionen kam. Bereits in diesem Stadium wurde versucht ein möglichst großes Spektrum an Gruppen bzgl. ihrer sozialen Positionen zu gewinnen, was im Forschungsprozess immer wieder reflektiert und anhand des bereits erhobenen Materials überprüft wurde. So wurde zum Beispiel nach den ersten drei Diskussionen mit Gruppen in Westdeutschland, verstärkt nach Gruppen in Ostdeutschland gesucht. Diese Strategien zeigten sich für Gruppen, die sich aus marginalisierten Frauen*, wie Schwarzen Frauen*, Frauen* mit Migrations- oder Fluchtgeschichte sowie behinderte Frauen* zusammensetzen, als nicht erfolgreich.20 Die Anfrage an eine Schwarze feministische Gruppe, zum Beispiel, wurde zunächst mit der Frage beantwortet, ob ich weiß positioniert bin und falls dies der Fall ist, wird eine Teilnahme abgelehnt. Aus diesem Grund wurden weitere Strategien entwickelt, die parallel verfolgt wurden. Im Sinne des Schneeballprinzips wurden die Personen, die bereits an Diskussionen teilgenommen hatten, nach Kontakten zu weiteren Gruppen gefragt (vgl. Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 59). Diese Strategie erwies sich allerdings nur in einem Fall als zielführend. Die Mitglieder einer kurdischen Frauengrup-
18 Die Reflexion dieser Strategien werden im Folgenden nur ansatzweise miteinbezogen, verstärkt wird sich dieser im Kapitel zur Reflexion meiner Forschungsposition gewidmet. 19 Eine Vorlage dieser Anfrage findet sich im Anhang. Dabei wurde diese an die jeweiligen Adressat*innen angepasst, zum Beispiel, ob ich sie als feministische oder Frauen*rechtsgruppe angesprochen habe, hing von der Selbstbeschreibung der Gruppe, die ich zuvor recherchierte, ab. Des Weiteren wurde jedes Mal ergänzt, wie ich auf die Gruppe aufmerksam geworden bin. 20 Der Einfluss meiner eigenen Position in dieser Phase der Erhebung wird nochmals detaillierter im Kapitel zur Reflexion meiner Forschungsposition besprochen.
4. Gruppendiskussionsverfahren
pe konnten über den Kontakt von fünf Frauen einer feministischen Zeitschrift für die Teilnahme an einer Diskussion gewonnen werden. Diese Gruppe hatte ich zuvor bereits erfolglos angeschrieben, erst die erneute Anfrage mit Verweis auf die Referenz führte dazu, dass sie sich für eine Teilnahme bereit erklärten, was die Bedeutung dieser Herangehensweise verdeutlicht. Eine weitere Strategie war, über persönliche Kontakte potenzielle Teilnehmer*innen zu erreichen. Über eine Bekannte, die an einem Workshop einer feministischen Antifa21 Gruppe teilnahm, konnte der Kontakt zu dieser vermittelt werden. Der Zugang zu dieser Gruppe, welche sehr auf ihre Anonymität bedacht war, wäre mir ansonsten verwehrt gewesen. Mit Hilfe des Einbezugs persönlicher Kontakte, versuchte ich auch über sogenannte Gatekeeper 22 Zugang zu nicht-weißen Gruppen herzustellen. Auf diesem Wege lernte ich eine Frau einer türkischen Frauengruppe kennen. Trotz den Bemühungen, die sich über mehrere Monate hinzogen, dadurch die Gruppe zur Teilnahme zu gewinnen, waren diese Versuche letztlich vergeblich. Meine Kontaktperson teilte mir mit, dass die weiteren Gruppenmitglieder zu viele Hemmungen hätten, bei einer wissenschaftlichen Erhebung teilzunehmen. Dies verdeutlicht bereits die Hürden, welche gerade die Intersektionen von race und Klasse für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Forschung darstellen können. Insbesondere, wenn die Forscherin nicht über denselben Hintergrund verfügt. In Bezug auf den Einsatz persönlicher Kontakte muss darauf hingewiesen werden, dass ich diese für die Kontaktherstellung mit mir unbekannten Gruppen genutzt habe. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, Teilnehmer*innen in mein Sample aufzunehmen, zu denen ich bereits zuvor persönlichen Kontakt hatte und, die sich in meinem direkten Umfeld befinden. Gerade auch, weil es in solchen Situationen schwierig wäre, Selbstverständlichkeiten in
21 Unter der Bezeichnung Antifa lassen sich vielfältige Gruppen und Strömungen fassen, die einen »Teilbereich innerhalb eines undogmatischen linksradikalen Bewegungsmilieus bezeichnen« (Schuhmacher 2015: 5ff). Dabei steht Antifa für antifaschistisch und ist eine Selbstbezeichnung. Der Fokus solcher Antifa-Gruppen umfassen häufig, aber nicht ausschließlich, Aktivitäten gegen rechte Strukturen und Akteur*innen (ebd.: 7ff). 22 Unter Gatekeeper sind hier Personen gefasst, die in einem bestimmten Forschungsfeld Vertrauen genießen und Zugang zu potenziellen Teilnehmer*innen vermitteln können, welche ansonsten schwer zu erreichen wären (Kruse 2015: 251f.).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
den Diskussionen explizit zu machen (Przyborski, Wohlrab-Sahr 2014: 59). Dies hätte zu zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Analyse geführt. Gerade in der letzten Erhebungsphase wurde vermehrt der Fokus auf persönliche Kontaktaufnahme von potenziellen Teilnehmer*innen durch den Besuch von Veranstaltungen und Konferenzen gelegt. Bei diesen wurde verstärkt ein Fokus auf Veranstaltungen von Gruppen gelegt, die im bisherigen Sample nicht vertreten waren, so zum Beispiel Gruppen mit Migrant*innen, Geflüchteten, Muslim*innen, Jüd*innen und behinderten Frauen*. Auf diese Weise konnten eine Diskussion mit Mitgliedern einer muslimischen Frauengruppe sowie mit Mitgliedern einer Gruppe behinderter Frauen für eine Diskussion gewonnen werden.23 Diese Teilnahmen an Veranstaltungen und Konferenzen war dabei nicht allein eine Strategie zur Kontaktaufnahme mit potentiellen Teilnehmer*innen, sondern auch eine Unterstützung meine Kenntnisse über das ›Feld‹ von feministischen und frauen*rechtlichen Aktivitäten in Deutschland stetig zu erweitern und eventuelle blinde Flecken meiner Vorstellungen, wer unter diesen Begriffen zu fassen ist, aufzudecken. 24 Wie sehr diese Frage, wer zu diesem Feld gehört, auch mit Auseinandersetzungen und Kämpfen um Zugehörigkeit verbunden ist, illustriert die Art und Weise, wie es zu der Gruppendiskussion mit zwei Mitgliedern einer muslimischen Frauengruppe kam: Eine Frau dieser Gruppe lernte ich im Rahmen einer Veranstaltung kennen und wir führten ein längeres persönliches Gespräch, in dessen Verlauf sie nach dem Thema meiner Doktorarbeit fragte. Als ich ihr erzählte, dass ich Gruppen-
23 Eine Gruppe geflüchteter Frauen* sagte mir für eine Teilnahme an einer Gruppendiskussion ab, luden mich jedoch ein, an einem Workshop von ihnen teilnehmend zu beobachten. Leider konnte ich diese Einladung krankheitsbedingt nicht annehmen und weitere Versuche dies durchzuführen scheiterten. Auch die Versuche jüdische Gruppen für die Teilnahme zu gewinnen, scheiterten. 24 Auf die Konferenz Als ich nach Deutschland kam im Oktober 2017, die vom International Women* Space organisiert wurde, möchte ich dabei besonders hinweisen. Bei dieser zweitägigen Konferenz kamen mehrere hundert Frauen* zusammen. Im Zentrum standen dabei die Erfahrungen und politischen Tätigkeiten von »Frauen, die als sogenannte Gastarbeiterinnen nach Westdeutschland oder als Vertragsarbeiterinnen nach Ostdeutschland kamen; Frauen, die als Migrantinnen oder Geflüchtete in das geteilte oder in das wiedervereinte Deutschland kamen sowie deutsche Frauen, die von Rassismus betroffen sind.« (International Women* Space 2019: 10).
4. Gruppendiskussionsverfahren
diskussionen mit feministischen und Frauen*rechtsgruppen durchführe, meinte sie sofort, ich sollte doch auch ihre Gruppe interviewen, sie würden doch schließlich auch zu diesen Gruppen gehören. Dieses Insistieren Teil des Felds zu sein,25 muss in den Kontext gestellt werden, in dem ein wirkmächtiger Diskurs Muslimin und Feministin als sich gegenseitig ausschließende Positionen festschreibt (Farrokhzad 2006: 64ff; Popal 2007: 87ff; Shooman 2015: 49ff). Des Weiteren verdeutlicht es, dass ich in diesem Kontext als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft adressiert wurde, worauf im Kapitel zur Reflexion meiner Forschungsposition nochmals eingegangen wird. Insgesamt muss festgestellt werden, dass es trotz dieser vielfältigen Strategien nicht in dem Umfang möglich war, marginalisierte Frauen* als Teilnehmerinnen* zu gewinnen, wie es zu Beginn der Forschung erhofft wurde. Auf die Grenzen der Ergebnisse, die sich aus dieser Tatsache ergeben, wird am Ende der Arbeit nochmals eingegangen.
4.4 Feldkontakt Im Folgenden werden einige allgemeine Aspekte besprochen, die sich im Kontakt mit den Forschungsteilnehmerinnen als relevant darstellten. Dabei sind drei Dimensionen zu unterscheiden: Der Kontakt vor der Diskussion, der Verlauf der Diskussion selbst und der anschließende Kontakt zu den Gruppen bzw. forschungsethische Fragen, die sich bezüglich des Datenmaterials im weiteren Forschungsprozess ergeben haben.
Vor und während der Diskussion Direkt vor Beginn der Diskussion wurde den Teilnehmenden nochmals mein Forschungsinteresse sowie Informationen über den Ablauf der Diskussion dargelegt und betont, dass der Fokus auf ihrem Gespräch untereinander liegt und ich mich selbst zurückhalten werde. Dieser Aspekt schien für alle Beteiligten eine ungewohnte Situation darzustellen, ist es doch in alltäglichen Situationen unüblich, dass eine Person zumeist still einem Gespräch Anderer folgt, ohne selbst etwas zu sagen. Dies führte zum Beispiel dazu, dass sich während der Diskussion mit einer feministi-
25 Ohne dass ich das selbst im direkten Gespräch an- oder abgesprochen habe.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
schen Kneipe die Teilnehmerinnen fragten, zu welcher feministischen Strömung ich mich wohl zugehörig fühlen würde oder, dass ich in anderen Diskussionen aufgefordert wurde, weitere Fragen zu stellen. Der Großteil der Diskussion verlief jedoch sehr selbstläufig und ich habe im Diskussionsverlauf nur selten mehr als drei oder vier Fragen gestellt.
Nach der Diskussion Direkt nach der Diskussion wurde den Teilnehmerinnen meine Forschungsfrage offengelegt und etwaige Nachfragen beantwortet. In diesem Wissen gaben die Teilnehmerinnen dann mündlich oder schriftlich ihr Einverständnis zur Verwendung der Daten ab.26 Nach dem Ausschalten des Aufnahmegeräts entwickelte sich meist noch ein längeres Gespräch zwischen mir und den Teilnehmenden. In der Erläuterung meiner Forschungsfragen erzählte ich auch, wie ich zu dem Thema gekommen bin und, dass ich mich zuvor mit der Darstellung von muslimisch markierten Frauen* in der Zeitschrift EMMA auseinandergesetzt hatte. Dies führte dazu, dass in den anschließenden Gesprächen häufig Nachfragen dazu gestellt wurden oder sich Diskussionen 27 ergaben. Dabei wurde eine Vielzahl an Themen angesprochen: rassistische Gewalt und ein zunehmender Rechtsruck in Deutschland tauchten dabei sehr häufig auf; andere Themen erstreckten sich von Diskriminierung von Ostdeutschen, über das Verhältnis von Stadt und Land in Bezug auf Aktivismus bis hin zu anstehenden feministischen Konferenzen und Aktivitäten. Nach Verabschiedung der Teilnehmerinnen fertigte ich für alle Diskussionen ein Protokoll28 an. Dabei wurden neben technischen Rahmendaten (Datum, Dauer, Teilnehmendenzahl, Zustandekommen des Kontakts, Räumlichkeit etc.) auch die Pronomenbezeichnung der Teilnehmenden notiert. Des Weiteren hielt ich Besonderheiten der Diskussion, die Diskussionsatmosphäre sowie zentrale Aspekte der Interaktion zwischen mir und den Teilnehmenden, während und nach der Diskussion fest.
26 Die Vorlage der Einverständniserklärung befindet sich im Anhang. 27 Dies wird in der Darstellung der ersten Gruppe (Gruppe Ambivalenz) im Ergebniskapitel nochmals aufgegriffen. 28 Die Vorlage dieser Protokolle findet sich im Anhang.
4. Gruppendiskussionsverfahren
Mit einigen Gruppen hielt ich auch nach den Diskussionen Kontakt und nahm an etlichen Veranstaltungen, Konferenzen und Gruppentreffen teil, zu denen mich die Gruppen einluden.29
Transkription – Fragen der Anonymisierung Bei der Transkription der Diskussionen ergaben sich im Forschungsprozess gerade in Bezug auf den Aspekt der Anonymisierung etliche forschungsethische Fragen und Problemstellungen. Ein zentraler Aspekt forschungsethischer Überlegungen ist das Prinzip der Schadensvermeidung. Die Teilnehmer*innen »dürfen durch die Forschung keinen Nachteilen oder Gefahren ausgesetzt werden« (BDS, DGS 2017). Diese Gefahren sind bei sozialwissenschaftlichen Erhebungen unter anderem der Verlust der Privatsphäre, woraus sich die Bedeutung einer sorgfältigen Anonymisierung ergibt. Diese Anonymisierung stellt jedoch in der Praxis eine Herausforderung dar, denn durch das Zusammenwirken bestimmter Informationen und Kontextwissen, kann gerade mithilfe des Internets Rückschlüsse auf Personen oder Organisationen gezogen werden (von Unger 2014b: 24f.). In meinem Sample zeigte sich, dass allein die Anonymisierung von Namen, Orten und Zeitangaben, in einigen Fällen keine ausreichende Anonymisierung der Gruppen gewährleistet. So sprechen etliche Gruppen bundesweit bekannte stadtspezifische Ereignisse in den Diskussionen an, die direkte Rückschlüsse auf den Ort, aus der die jeweilige Gruppe kommt, liefern. In diesen Fällen wägte ich ab, inwieweit diese Passagen für meine Forschungsfrage relevant sind und wie eine bessere Anonymisierung, zum Beispiel durch die Verwendung vergleichbarer Ereignisse einer anderen Stadt, gestaltet werden kann. Die Frage der ausreichenden Anonymisierung stellte sich erneut bei der Darstellung der Informationen über die Gruppen in den Ergebniskapiteln. Durch eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten der jeweiligen Gruppen, erhöht sich die Gefahr der Wiedererkennung. Gleichzeitig ist die Nennung dieser Aktivitäten relevant, um dem*der Leser*in einen Eindruck über die Gruppe zu vermitteln. Aus diesem Grund wurden diese Hintergrundinformationen im Ergebniskapitel mit den Gruppen vorab abgesprochen.
29 So nahm ich zum Beispiel an einem kurdischen Frauen*festival teil oder an einem iftar, dem Fastenbrechen während dem Ramadan, das u.a. von den Teilnehmerinnen einer der Gruppendiskussionen organisiert wurde.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Eine weitere Herausforderung bezüglich der Anonymisierung ergab sich durch die Tatsache, dass einige Gruppen auf einer Anonymisierung ihres Gruppennamens bestanden, während andere (ungefragt) betonten, dass sie mit der Nennung ihres Gruppennamens einverstanden seien. Die Tatsache, dass bei diesen Diskussionen auch forschungsrelevante Gespräche über den Namen der Gruppe geführt wurden, erschwerten eine einheitliche Anonymisierungsstrategie für das gesamte Datenmaterial. Es wurden folglich unterschiedliche Strategien je nach Gruppe verfolgt, die eine möglichst weitreichende Anonymisierung gewährleisten.30
4.5 Exkurs Expertinneninterview Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Schwarzen feministischen Gruppen für meine Forschung entschloss ich mich, neben den Gruppendiskussionen zusätzlich ein Expertinneninterview mit einer Schwarzen Empowermenttrainerin durchzuführen. Im Kontext eines Expert*inneninterviews ist es zunächst einmal wichtig, herauszustellen, was den*die Interviewparter*in als Expertin ausmacht. Dabei muss der Begriff Expert*in zunächst kritisch hinterfragt werden, sind doch die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussionen im Sinne einer rekonstruktiven Sozialforschung ebenso Expertinnen ihrer Relevanzsysteme (Kruse 2015: 179ff). Expert*in verstehe ich hier, nach Meuser und Nagel, als relationalen Status, der vom jeweiligen Forschungsinteresse abhängig ist (Meuser, Nagel 2005: 73). In meiner Forschung ist die Informantin Michelle, mit der das Expert*inneninterview durchgeführt wurde, eine Person, die über spezifisches Wissen in meinem Forschungsfeld und bezüglich meiner Forschungsfrage verfügt, was sie zur Expertin macht. Der Kontakt zu Michelle31 kam über die Teilnahme an einer Veranstaltung zur postkolonialen Erinnerungspolitik in Deutschland zustande. Aufgrund dessen wusste ich, dass Michelle in Schwarzen (feministischen) Zusammenhängen, in der Antidiskriminierungsarbeit und als Empowermenttrainerin für
30 Bei der Darstellung der Ergebnisse werden diese unterschiedlichen Herangehensweisen bewusst nicht im Einzelnen kenntlich gemacht, da dies den Fokus auf potenzielle Rückschlüsse auf die Identität der Gruppe verstärken würde. 31 Im Zuge der Anonymisierung wurde allen Forschungsteilnehmenden von mir Pseudonyme gegeben. Dabei wurden immer Namen ausgesucht, die eine ähnliche Herkunft aufweisen.
4. Gruppendiskussionsverfahren
Schwarze Menschen und Schwarze Frauen* aktiv ist, wobei das Konzept Intersektionalität einen wichtigen Bezug für sie darstellt. Des Weiteren ist sie in einem frauen*rechtlichen Netzwerk aktiv. Aufgrund der Bedeutung gerade von Schwarzen Frauen* und Feministinnen* in Deutschland bei der Entwicklung und Praktizierung von Intersektionalität, erhoffte ich mir von diesem Interview wichtige Impulse für meine Forschungsfragen.32 Für meine Forschung habe ich Michelle als Expertin für Schwarzen Feminismus adressiert und dies auch als Fokus des Interviews kommuniziert.33
Anpassung des Leitfadens Das erhobene Interview diente nicht rein als Informationsbeschaffung, sondern wurde als theoriegenerierendes Expertinneninterview in die Analyse miteinbezogen. Diese Art des Expertinneninterviews zielt, wie Bogner et al. definieren, darauf ab »in analytischer und interpretativer Auseinandersetzung mit dem empirischen Material Zusammenhänge zu erarbeiten und Theorien zu entwickeln« (Bogner et al. 2014: 24). Das Ziel war, implizites Wissen im Sinne der Dokumentarischen Methode zu rekonstruieren. Aus diesem Grund waren auch für die Durchführung dieses Interviews offene Fragen zentral. Gleichzeitig war durch die Adressierung als Expertin bezüglich Schwarzem Feminismus ein stärkerer Bezug auf dieses Themenfeld auch in den Fragen wiederzufinden. Aufgrund der Anpassungen und Erweiterungen lieferte folgender Leitfaden eine Orientierung bei der Durchführung des Interviews:
32 Wobei Michelle nicht zur ersten Generation der Schwarzen Frauen*bewegung um ADEFRA gehört. 33 Mein Forschungsinteresse habe ich ihr gegenüber identisch wie im Kontakt mit den Teilnehmerinnen der Gruppendiskussionen dargestellt. Und wie bei allen anderen Erhebungen wurde auch Michelle nach Abschluss des Interviews meine Fragestellung offengelegt.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
1.
Erzähl mir doch einfach mal alles, was dir so einfällt, wenn du an 2. Frauenbewegung denkst?
2.
Erzählt doch mal, was für Themen für dich wichtig sind oder mit denen du dich auseinandersetzt?
3.
Erzähl doch mal, was du mit Schwarzem Feminismus verbindest?
4.
Kannst du mir noch mehr über Schwarzen Feminismus in Deutschland erzählen?
5.
Erzähl mir doch mal etwas über Probleme, Herausforderungen in Schwarzer feministischer Arbeit?
6.
Erzähl mir doch mal etwas über Erfolge, positive Erlebnisse, Ereignisse in Schwarzer feministischer Arbeit?
7.
Erzähl mir doch mal, was Forderungen sind, die du mit Schwarzem Feminismus verbindest?
8.
Was fällt dir zu der Aussage: »Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen« ein?
Im Rahmen des Expertinneninterviews stellte ich im Verlauf zusätzliche einige immanente Nachfragen, so zum Beispiel, was Michelle mit den Begriffen Empowerment oder Intersektionalität verbindet. Dabei ist zu betonen, dass diese Begriffe zuvor von ihr selbst verwendet und nicht von mir eingebracht wurden.
Analyse Für die Analyse wurde ebenso die Dokumentarische Methode verwendet und die einzelnen Interpretationsschritte waren somit identisch mit den drei Analyseschritten dieser Methode. Diese umfassen den thematischen Verlauf, die formale und reflektierende Interpretation und werden im folgenden Kapitel noch näher ausgeführt. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein Einzelinterview handelt, konnte die reflektierende Interpretation jedoch nicht für die Rekonstruktion kollektiver Orientierungen verwendet werden. Vielmehr stand in diesem Analyseschritt die Herausarbeitung des impliziten Orientierungswissen in den Äußerungen von Michelle im Vordergrund.
5. Dokumentarische Methode
Ralf Bohnsack (1989) entwickelte die Dokumentarische Methode in Anlehnung an Karl Mannheims Wissenssoziologie. Auf die Grundlagen von Bohnsack sowie deren Weiterentwicklungen durch Aglaja Przyborski (2004) beziehe ich mich in meiner Forschung. Im folgenden Kapitel werden zunächst die grundlegenden Aspekte der Methode vorgestellt, bevor die einzelnen Analyseschritte der Gruppendiskussionen sowie die vorgenommenen fallübergreifenden und fallinternen komparativen Analysen anhand meiner Forschung erläutert werden. Dabei wird auch auf Grenzen der Methode hingewiesen, die am Schluss dieses Kapitels nochmals in Bezug auf intersektionale Aspekte näher ausgeführt werden.
5.1
Fokus vom ›Was‹ zum ›Wie‹
Auf der Grundlage der wissenssoziologischen Arbeiten von Karl Mannheim entwickelte der Soziologe Ralf Bohnsack die Methodologie und daraus resultierend die Methode der Dokumentarische Methoden im Sinne einer rekonstruktiven Sozialforschung (Weller 2005: 300). Von besonderer Bedeutung sind die Arbeiten von Mannheim zum Dokumentsinn und seiner Unterscheidung von kommunikativ-generalisiertem Wissen und konjunktivem Erfahrungswissen (bzw. atheoretischem Wissen) (Kruse 2015: 438). Den Dokumentsinn grenzt Mannheim von einem objektiven und intendierten Ausdruckssinn ab (Mannheim 1964: 104ff). Diese Unterscheidung und die Bedeutung des Dokumentsinn, verdeutlicht er anhand eines Beispiels. In diesem geht Mannheim mit einem Freund an einem Bettler vorbei, wobei der Freund diesem Geld gibt: »In diesem Fall kommt es mir gar nicht darauf an, was der Freund objektiv getan, geleistet hatte [objektiver Sinn, E.K.], auch nicht darauf, was der Freund
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Intersektionalität in feministischer Praxis
durch seine Tat ausdrücken ›wollte‹ [intendierter Ausdruckssinn, E.K.], sondern was durch seine Tat, auch von ihm unbeabsichtigt, sich für mich über ihn darin dokumentiert [Herv. i. O].« (Mannheim 1964: 108) Dieser Dokumentsinn ist somit auf einer anderen Ebene angesiedelt, als der subjektiv gemeinte Sinn (bzw. intendierter Ausdruckssinn) und fokussiert vielmehr, wie Aglaja Przyborski es nennt, den »Entstehungszusammenhang« einer Handlung, eines Werks oder auch von Begriffen (Przyborski 2004: 22). Przyborski illustriert dies u.a. damit, dass sie aufzeigt, dass die Frage »unter welchen biographischen Bedingungen des Künstlers und seiner Zeit ein Werk entstanden ist«, auf den dokumentarischen Sinngehalt abzielt (ebd.: 23). Was der Künstler mit dem Werk ausdrücken wollte (intendierter Ausdruckssinn) oder was auf dem Werk abgebildet ist (objektiver Sinn), spielt sich folglich auf einer anderen Sinnebene ab. Die Frage, die sich daran anschließt, ist wie sich diesem dahinterstehenden Sinn methodisch genähert werden kann. Dafür ist zunächst wichtig zu überlegen, wie der Entstehungszusammenhang in Handlungen oder Sprachen gespeichert ist (Przyborski 2004: 23). Die Dokumentarische Methode bezieht sich dabei auf das, was Mannheim »konjunktiven Erfahrungsraum« nennt (Mannheim 1980: 216). Dieser konjunktive oder geteilte Erfahrungsraum bezieht sich auf »das menschliche Miteinandersein, das sich im Medium des Selbstverständlichen in der gelebten Praxis fraglos vollzieht« (Przyborski 2004: 23). Und hier kommt der Unterscheidung Mannheims von theoretischem bzw. reflexiven und atheoretischem Wissen einer wichtigen Bedeutung zu, denn es ist dieses atheoretische1 Wissen, dass in der Praxis für die Akteur*innen handlungsleitend ist, sich aber auch in dieser Praxis angeeignet wird (ebd.: 23). Dieses Wissen basiert auf geteilten, kollektiven Wissensbeständen, die das Handeln der Akteur*innen strukturiert, aber recht unabhängig ist vom subjektiv gemeinten Sinn. Trotzdem ist dieses Wissen den Akteur*innen nicht vorenthalten. So fassen es Bohnsack et al. passend zusammen: »Die sozialwissenschaftlichen Interpret(inn)en im Sinne der Wissenssoziologie Karl Mannheims gehen also nicht davon aus, dass sie mehr wissen als die Akteure oder Akteurinnen, sondern davon, dass letztere selbst nicht wissen, was sie da
1
Für dieses Wissen werden in der Dokumentarischen Methode verschiedene Begriffe, wie konjunktives, implizites, handlungsleitendes oder atheoretisches Wissen benutzt.
5. Dokumentarische Methode
eigentlich alles wissen, somit also über ein implizites Wissen verfügen, welches ihnen reflexiv nicht so ohne weiteres zugänglich ist.« (Bohnsack et al. 2013: 12) Ziel der Dokumentarischen Methode ist es dieses implizite oder handlungsleitende Wissen der Forschungsteilnehmer*innen zu rekonstruieren. Die Methode bietet somit eine Möglichkeit sich der Handlungspraxis der Akteur*innen zu nähern, in dem das Wissen fokussiert wird, dass diese Praxis strukturiert. Dieses Wissen nennen Bohnsack et al. auch »Orientierungswissen«, da es den Forschungsteilnehmer*innen als Orientierungshilfe für ihre Handlungspraxis gilt (Bohnsack et al. 2013: 9). Auch in der Sprache unterscheidet die Dokumentarische Methode zwei Ebenen von Verständigungen und damit Sinnebenen. Bei der kommunikativ-generalisierten Ebene wird sich auf eine allgemeine Bedeutung von Worten bezogen. Eine stark kommunikative Verständigung ist darauf angewiesen einander zu erklären und zu interpretieren, was die andere Person gesagt hat. Die Frage, was kommuniziert wird, steht bei der Analyse der kommunikativen Ebene im Vordergrund (Bohnsack 2014: 60f.; Przyborski 2004: 25ff). Bei einer stark konjunktiv geprägten Verständigung verstehen sich die Gesprächsteilnehmer*innen ohne auf große Erklärungen oder Interpretationen angewiesen zu sein. Sie verstehen sich »unmittelbar« (Bohnsack 2014: 61). Diese konjunktive Ebene hängt nun wiederum stark mit einem geteilten Erfahrungsraum zusammen. Damit sich die Gesprächsteilnehmer*innen ohne große Worte oder Erklärungen verstehen können, ist ein geteilter Erfahrungsraum von Nöten. Dabei weist Przyborski darauf hin, dass dies nicht bedeuten muss, dass die Personen die Erfahrung gezwungenermaßen gemeinsam gemacht haben müssen, sondern »vielmehr ist es wichtig, dass die Erlebnisse in einer strukturähnlichen, in einer homologen Art und Weise gemacht werden« (Przyborski 2004: 48).2 Dieser Unterschied von kommunikativ-generalisiertem Sinn und konjunktiven Sinn, kann anhand der Verwendung des Begriffs ›Freundin‹ in der Diskussion mit Mitgliedern einer kurdischen Frauengruppe in meinem Datenkorpus illustriert werden.
2
Dabei ist zu betonen, dass jeder Mensch Teil von vielen Erfahrungsräumen ist (Przyborski 2004: 29f.).
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Auf kommunikativ-generalisierter Ebene kann der Begriff Freundin als Bezeichnung für eine weibliche Person, mit der man in freundschaftlicher Beziehung steht, der man nahe ist, verstanden werden. Im Diskursverlauf der kurdischen Frauengruppe konnte zudem rekonstruiert werden, dass ihre Verwendung des Begriffs neben einer freundschaftlichen Nähe vor allem auch eine politische Nähe und Verbundenheit illustriert. Er ist damit Ausdruck von Solidarität, ohne dass man die damit gemeinte Person unbedingt persönlich kennen muss. So bezeichnet Simone zum Beispiel die drei kurdischen Frauen (Sakine Cansiz, Fidan Dogan, Leyla Soylemez), die 2013 in Paris ermordet wurden 3 während der Diskussion als Freundinnen: Simone: […] wenn man die drei Morde an den Freundinnen so zum Beispiel nimmt […] (GD Erweiterung Passage ›Staatliche Repression‹ 01:14:03-01:14:07) Dieser konjunktive Sinn des Begriffs Freundin ist für die Gruppe selbsterklärend und wird an keiner Stelle ausgeführt oder als erklärungsbedürftig angesehen. Dies verdeutlicht, dass sie einen Erfahrungsraum teilen, in dem diese Verwendung des Begriffs selbstverständlich ist. Um sich diesem konjunktiven oder dokumentarischen Sinngehalt nun methodisch nähern zu können, spielt die Frage nach dem Wie, also wie etwas kommuniziert wird, wie der Diskurs verläuft eine große Bedeutung. Der Fokus der Dokumentarischen Methode ist somit: »die Art und Weise der Hervorbringung, alle gestalterischen Elemente des Diskurses, wie z.B. und ganz wesentlich die wechselseitige Bezugnahme aufeinander, also die Performativität [Herv. i. O.] des Diskurses« (Przyborski 2004: 27). Aufgrund des Fokus auf die Frage des ›wie‹, mit dem Ziel sich dem handlungsleitenden Wissen zu nähern, wird der Fokus der Dokumentarischen Methode auch als Abwendung von dem was hin zum wie bezeichnet (Kruse 2015: 441).
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Diese drei kurdischen Aktivistinnen wurden im Januar 2013 in einem kurdischen Informationszentrum in Paris ermordet (Balmer 2013).
5. Dokumentarische Methode
5.2 Analyseschritte Für die Rekonstruktion des konjunktiven Sinns anhand von konkretem Datenmaterial sieht Bohnsack eine zweistufige Analyse vor. Im ersten Schritt liegt der Fokus auf der Zusammenfassung des thematischen Sinngehalts der konkreten Aussagen der Diskussionsteilnehmenden. Nach der Analyse der Frage was gesagt wird, rückt die Frage wie diese Themen bearbeitet werden, innerhalb welcher kollektiven Orientierungen in den Vordergrund (Bohnsack et al. 2013: 15f.). Bohnsack et al. bezeichnen diese Schritte als »formulierende Interpretation [Herv. i. O.]« sowie »reflektierende Interpretation [Herv. i. O.]« (ebd.: 15). Aglaja Przyborski formuliert hingegen noch einen vorgeschalteten Schritt, die Anfertigung von thematischen Verläufen. In meiner Analyse orientiere ich mich an dieser Vorgehensweise und arbeite im Folgenden diese drei Schritte und ihre Bedeutung für mein Vorgehen heraus.
Thematische Verläufe Im Gegensatz zu Bohnsack, der diese Einteilung als Teil der formulierenden Interpretation bestimmt, sieht Przyborski die thematische Einteilung als eigenständigen Analyseschritt, da die Einteilung nicht nur anhand der Frage, was gesagt wird vorgenommen wird, sondern bereits Fragen der Sinneinteilung beinhaltet (Przyborski 2004: 50). In den thematischen Verläufen4 wurden neben der Aufzählung der Themen, die behandelt werden, auch Aspekte der Art und Weise der Kommunikation (das ›Wie‹) notiert. Dies beinhaltete, wer ein Thema initiiert hat und ob bei der Besprechung des Themas eine interaktive Dichte zu erkennen war. Somit stellten die thematischen Verläufe die Grundlage der Auswahl von Passagen für die weiteren Analyseschritte dar. Eine Passage ist nach Przyborski die Phase »der Behandlung eines [Herv. i. O.] Themas«, allein in einer thematisch abgeschlossenen Einheit ist es möglich »den immanenten Sinngehalt […] zu rekonstruieren« (Przyborski 2004: 50). Die Dokumentarische Methode sieht vor, dass alle Anfangspassagen, Fokussierungsmetaphern und für die Forschungsfrage relevanten Passagen für die Analyse transkribiert und interpretiert werden (Bohnsack 2013: 250, Przyborski 2004: 51ff). Unter Fokussierungsmetaphern fasst Bohnsack besonders
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Die Vorlage dieser thematischen Verläufe findet sich im Anhang.
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interaktive und metaphorisch dichte Stellen, die sich durch viele Sprecher*innenwechsel auszeichnen (Bohnsack 2013: 250). Für mein Forschungsinteresse waren vor allem die Passagen relevant, in denen es um das jeweilige feministische Verständnis der Gruppen, um Differenzen zwischen Frauen* und etwaige Ungleichheitsverhältnisse geht, sowie die Passagen zu meiner letzten Frage, was die Gruppen zu der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen sagen. Folglich waren es diese Passagen, die neben den Anfangspassagen und Fokussierungsmetaphern transkribiert5 und entlang der formulierenden, wie reflektierenden Interpretation analysiert wurden. Neben der Bedeutung für die Auswahl der Passagen, waren die thematischen Verläufe auch für weitere Aspekte in meiner Forschung relevant. Sie lieferten einen Überblick über den gesamten Verlauf der Diskussion und stellten damit einen Ausgangspunkt für die vergleichenden Analysen innerhalb sowie zwischen Gruppendiskussionen dar. Anhand der Verläufe konnten Passagen mit ähnlichen Themen im gesamten Datenmaterial identifiziert werden. Auf die thematischen Verläufe wurde folglich im gesamten Forschungsprozess immer wieder zurückgegriffen.6
Formulierende Interpretation Für die ausgewählten Passagen galt es nun zunächst eine formulierende Interpretation vorzunehmen. Bei diesem Analyseschritt geht es darum, den immanenten bzw. den kommunikativen Sinngehalt einer Passage zusammenzufassen, sprich was gesagt wird, und zwar auch in der Reihenfolge, in der es gesagt wird (Przyborski 2004: 53). Es sollte also nicht nachträglich eine Ordnung hergestellt werden, die für die Forschenden Sinn ergibt, sondern die Ordnung der Teilnehmenden, sollte befolgt werden. Das Ziel in diesem Schritt war es, den Inhalt des Gesagten kurz und gut verständlich wiederzugeben und sich der Sprache der Erforschten zu entfremden (Przyborski 2004: 53f.). Wer dabei etwas sagt, stand dabei nicht im
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Die Transkription folgt dabei den Richtlinen der TiQ (Talk in Qualitative Social Research). Eine detaillierte Auflistung dieser Transkriptionsregeln findet sich im Anhang.
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So wurde u.a. auch anhand der thematischen Verläufe die Darstellung der Diskursverläufe im Empiriekapitel erarbeitet. Diese geben im Empiriekapitel einen Gesamtüberblick über die jeweilige Gruppendiskussion und beziehen thematische wie diskursanalytische Aspekte mit ein.
5. Dokumentarische Methode
Fokus dieses Interpretationsschrittes und wurde erst in der reflektierenden Interpretation betrachtet, da die formulierende Interpretation auf den kommunikativen und nicht den konjunktiven Sinn abhebt (Bohnsack 2014: 65).
Reflektierende Interpretation Im dritten Schritt der reflektierenden Interpretation galt es den dokumentarischen Sinn herauszuarbeiten. Es ging nach der Herausarbeitung »des Themas des Diskurses«, nun darum den Rahmen »innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird« zu rekonstruieren (Bohnsack 2014: 137). Hierbei stand die Frage wie, mit Verweis auf welche kollektiven Orientierungen, ein Thema besprochen wird, im Vordergrund (Bohnsack 2014: 137; Przyborski 2004: 55). Dieses wie umfasste nicht nur, welche Wörter und Begriff auf welche Weise benutzt wurden, sondern gerade auch die Bezugnahme der Teilnehmenden untereinander. Diese Bezugnahmen aufeinander und die Art, in der diese abläuft, wird Diskursorganisation genannt; ihre Analyse war zentraler Fokus der reflektierenden Interpretation (Bohnsack 2014: 139ff).
Analyse der Diskursorganisation Für die Beantwortung der Frage, wie sich kollektiven Orientierungen interagierender Gesprächsteilnehmer*innen genähert werden kann, geht die Dokumentarische Methode davon aus, dass die Diskursorganisation in mindestens drei potenzielle Sinneinheiten unterteilt werden kann (Przyborski 2004: 59). Zunächst wurde fokussiert, wie in einer Passage ein Orientierungsgehalt aufgeworfen wird. Dies wird Proposition7 genannt. Mit der Proposition wird zum ersten Mal eine Orientierung bzw. ein Aspekt einer Orientierung aufgeworfen (Przyborski 2004: 63f.). Hier muss jedoch zwischen dem Aufwerfen eines Orientierungsgehalts und einer Themeninitiierung unterschieden werden. Das reine Ansprechen eines Themas beinhaltet noch nicht notwendigerweise einen propositionalen Gehalt. So gelten offene Fragen durch die Forscher*in (oder den Teilnehmer*innen), die noch keinen propositionalen Gehalt haben, als Themeninitiierung und nicht als Proposition. Eine Proposition hingegen beinhaltet immer schon einen dokumentarischen Sinngehalt (Przyborski 2004: 66ff).
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Bohnsack nimmt dabei die Verwendung des Begriffs Proposition durch Harold Garfinkel als Grundlage (Bohnsack 2014: 137).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Eine nächste Sinneinheit stellt die Ausführungen des aufgeworfenen Orientierungsgehalt dar und umschließt die Reaktion(en) der anderen Gesprächsteilnehmer*innen auf die Proposition. So kann der aufgeworfene Orientierungsgehalt in Form einer Validierung bestätigt werden. Ihm kann aber auch widersprochen werden (Opposition oder Antithese8). Oder/und er wird in Form einer Elaboration weiter ausgeführt, z.B. anhand eines Beispiels oder einer Beschreibung. Der aufgeworfene Orientierungsgehalt kann dabei auch zunächst durch dieselbe Person näher ausgeführt werden (Przyborski 2004: 59ff). In dieser Sinneinheit wird der Orientierungsgehalt also weiter vertieft und veranschaulicht. Diese Elaborationen können dabei mehrere Runden und Abschnitte umfassen. Das Ende der Elaborationen ist durch die dritte Sinneinheit der Konklusionen bestimmt (ebd.: 60ff). In einer Konklusion zeigt sich, wie die »Entfaltung einer Orientierung« abgeschlossen wird (Przyborski 2004: 64). Bohnsack unterscheidet dabei zwei Hauptarten von Konklusionen, diejenigen bei denen die Orientierung zuletzt auftaucht und sachlich zusammengefasst wird (sachliche Konklusion) und rituelle Konklusionen, die einen Themenwechsel einfordern (Bohnsack 2014: 141). Ob und wie es zu einer Konklusion kommt, gibt dabei Aufschluss, ob bei der Gruppe eine geteilte Orientierung und damit ein geteilter Erfahrungsraum vorliegt oder nicht (Przyborski 2004: 51). Werden zum Beispiel anfängliche Widersprüche zwischen den Teilnehmenden am Ende in Form einer Synthese (Konklusion im Modus einer Synthese) aufgelöst oder werden Widersprüche nicht aufgelöst und die Kommunikation wird in Form von Metakommunikation auf ein neues Thema gelenkt (rituelle Konklusion im Modus der Metakommunikation) (Przyborski 2004: 74f.). Diese letzte Sinneinheit gibt also entscheidende Hinweise darauf, ob und wie »eine Orientierung geteilt wird« (Przyborski 2004: 51).
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Ob es sich bei einem Widerspruch um eine Opposition oder eine Antithese handelt, kann erst bestimmt werden, wenn deutlich ist, welche Art von Konklusion am Ende der Passage zu finden ist. Bei einem antithetischen Diskursverlauf werden widersprüchliche Orientierungen in einer Synthese zusammengeführt. Bei einem oppositionellem Diskursverlauf hingegen können die aufgeworfenen Widersprüche nicht aufgelöst werden und es kommt zu einer rituellen Konklusion (Przyborski 2004: 71ff). Auf diese dritte Sinneinheit der Konklusionen wird weiter unten nochmal eingegangen.
5. Dokumentarische Methode
Diskursmodi Die Analyse der Konklusionen war folglich auch besonders relevant, wenn es um die Einordnung der Diskursmodi ging. Mit Diskursmodi ist dabei die gesamte Form der Darstellung der Diskursorganisation gemeint (Przyborski 2004: 95). Dabei ist zwischen inkludierenden und exkludierenden Modi zu unterscheiden. Bei den inkludierenden Modi liegen geteilte Orientierungen vor während bei exkludierenden Modi sich gegenseitig ausschließende Orientierungen aufeinandertreffen ohne, dass diese Widersprüche im Diskursverlauf aufgelöst werden (ebd.: 96, 216). Solch ein exkludierender Modus kann anhand eines Ausschnittes der Diskussion mit zwei Mitgliedern (Sarah und Linda) einer Gruppe behinderter Frauen illustriert werden. Dabei geht es um die Angemessenheit von Witzen über Behinderte:9 Sarah: aber wenn ich jetzt zum Beispiel, zu einem Witz lachen würde der über jemand behindert ist gemacht ist wo ich jetzt einfach ne Situation komisch finde dann werde ich praktisch angeschaut warum ich darüber jetzt lache, wie alle anderen //mhm// Linda: aber da gabs doch diesen einen Comedian (Chris Tall) kennt ihr den? Sarah: mh mh; Linda: └der hat tatsächlich gesagt also s- der macht so Standup Comedy, und macht tatsächlich Witze über jede Partie und hat auch Witze über Behinderte gemacht; hat aber zeitgleich gesagt des ist doch diskriminierend wenn ich Witze über Schwarze mach aber nicht über Behinderte, Sarah: ja, Linda: ganz genau und Recht hat er. Sarah: es kommt eben auf den den:: (1) den: die Situation an in der man sich grad befindet ( ) Linda: also er hat damit Sarah: └( ) Linda: └zum Nachdenken angeregt also Sarah: └ja,
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Dieser Abschnitt ist das Teil der Passage, die sich an meine Frage, wie die Gruppe zu ihrem Namen gekommen ist, anschließt. Dabei wird verstärkt über den Begriff Behinderung gesprochen und der Ausschnitt markiert das Ende dieser Passage.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Linda: └in genau in dem Moment als er gesagt hat wenn ich Witze über Schwarze oder Blondinen mach aber nich über Behinderte dann is des diskriminierend; ich finde er hat Recht; (2) Sarah: es gibt sicher Zeitpunkte während seiner, Linda: gut des war ja ne Sarah: └Entwicklung Linda: └Show Standup Comedy ne, Sarah: ob man des dann so sieht oder? //mhm// oder sagt ne:; ich will will des jetzt nicht; (GD Schmetterling Passage ›Begriff Behinderung‹ 00:32:48-34:10) Es lassen sich für diesen Abschnitte zwei unterschiedliche Orientierungen rekonstruieren. Linda, die sich daran orientiert, dass Witze über Behinderte im Allgemeinen für angemessen einzustufen sind. Sarah hingegen grenzt diese Orientierung ein und betont die Situationsabhängigkeit, für die Angemessenheit von Witzen über Behinderte (»Situation«, »Zeitpunkte«). Des Weiteren zeigt sich, dass Linda und Sarah zwar beim Thema bleiben und es sogar scheint, als ob Sarah Linda zustimme, da sie mehrmals »ja,« sagt. Bei diesem »ja,« geht aber die Intonation jeweils nach oben10, was eine eher fragende Aussprache zur Folge hat. Folglich ist dieses ja, nicht als Validierung, sondern eher als Frage einzuordnen. Obwohl ein gemeinsames Thema behandelt wird, erweckt die Passage den Eindruck, dass die Teilnehmerinnen aneinander vorbeireden. So bleibt Linda bei dem Beispiel des Comedians (»gut des war ja ne (…) Show Standup Comedy ne,«), während Sarah versucht das Thema allgemeiner zu fassen (»ob man des dann so sieht oder?«). Der Diskursverlauf kann aus diesem Grund als divergent eingestuft werden. Diese Art des Diskurses definiert Przyborski folgendermaßen: »In einem divergenten Diskurs beziehen sich die Teilnehmer/innen im Hinblick auf den Orientierungsgehalt nicht aufeinander, sondern reden vielmehr aneinander vorbei. Die Orientierungen streben auseinander.« (Przyborski 2004: 73) Charakteristisch für solch einen divergenten Diskursverlauf sind rituelle Konklusionen (Przyborski 2004: 73). Dies zeigt sich auch in diesem Transkriptaus-
10 Dafür steht in der Transkription das Komma.
5. Dokumentarische Methode
zug, dass das Ende der Passage darstellt11, denn es lässt sich bezüglich der widersprüchlichen Orientierungen von Sarah und Linda keine zusammenbringende Konklusion rekonstruieren. Vielmehr endet die Passage mit der Formulierung eines Allgemeinplatzes von Linda im Sinne je nach Situation könnte es so oder auch anders gesehen werden. Es kann hier folglich nicht von einer gemeinsamen Orientierung bzw. habitualisierten Praxis gesprochen werden.
Rekonstruktion von Homologien Diese Analyse der Diskursorganisation und ihrer Sinneinheiten wird für alle ausgewählten Passagen der Gruppendiskussionen durchgeführt. Die Analyse der einzelnen Passagen eines Falls werden dann in Bezug zueinander gesetzt mit dem Ziel durch die Herausarbeitung von Homologien die kollektiven Orientierungen der Forschungsteilnehmenden zu rekonstruieren. Homologien sind ein wichtiger Aspekt für Orientierungen. So definiert Przyborski Orientierungen als: »Sinnmuster, die unterschiedliche (einzelne) Handlungen strukturieren, hervorbringen. Sie sind Prozessstrukturen, die sich in homologer Weise in unterschiedlichen Handlungen, also auch den Sprechhandlungen, ebenso wie in den Darstellungen der Handlungen reproduzieren. Diese Sinnmuster sind in die Handlungen eingelassen und begrifflich-theoretisch nicht gefasst.« (Przyborski 2004: 55) Die Herausarbeitung dieser homologen Prozessstrukturen dient dazu, die konjunktiven (atheoretischen) Regeln der Forschungsteilnehmer*innen zu rekonstruieren, die der*dem Forscher*in zunächst unbekannt sind (Przyborski 2004: 57). Mit homolog sind dabei Ähnlichkeiten in der Struktur bzw. in der Funktion bestimmter Diskursbewegungen gemeint. Das heißt es wird nach »nach Reaktionen gesucht, die nicht nur als thematisch sinnvoll erscheinen, sondern auch homolog oder funktional äquivalent zu der empirisch gegebenen Reaktion sind« (Bohnsack 2001: 337).
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Auf diesen Ausschnitt des Transkripts folgt eine Pause von acht Sekunden, sowie eine Metakommunikation über den Zustand der Sauerstoffzufuhr für Sarah, bevor ich eine Nachfrage bezüglich einer zuvor genannten Veranstaltung stelle, an der die Gruppe teilgenommen hat. Das Thema Witze über Behinderte taucht auch in späteren Passagen nicht nochmal auf.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Ein Beispiel solch homologer Prozessstrukturen anhand meines Datenmaterials, dokumentiert sich in der Art und Weise, wie das Redaktionsteam einer feministischen Zeitschrift ihre Kommunikation strukturiert. Es war die zweite Diskussion, die ich führte und ich wusste, dass für die Auswertung mit der Dokumentarischen Methode interaktive Passagen von großer Bedeutung sind. Dementsprechend hatte ich im Anschluss an die Diskussion das Gefühl, die Diskussion sei nicht sehr gut gelaufen, da sie insgesamt wenig interaktiv war und zu dem von Monologen geprägt war. Im Rahmen der Interpretation und der reflektierenden Interpretation konnte ich jedoch herausarbeiten, dass diese Art der Kommunikation bestimmten Regeln folgte und homologe Muster aufwies, die charakteristisch für die kollektiven Orientierungen dieser Gruppe sind. So konnte ich rekonstruieren, dass die einzelnen Teilnehmerinnen sich meist ausreden ließen und die einzelnen aufeinanderfolgenden Monologe der einzelnen Frauen meist unkommentiert ließen. Im weiteren Verlauf der Diskussion hingegen wurde von anderen Teilnehmerinnen auf das bereits Gesagte zurückgegriffen und dies damit validiert und ergänzt. Diese Abfolge wiederholte sich anhand verschiedenster Themen im gesamten Diskursverlauf immer wieder auf ähnliche Weise. Gleichzeitig wird von verschiedensten Teilnehmerinnen explizit die Wertschätzung untereinander hervorgehoben, wie dieser Ausschnitt illustriert: Agnes: ne was wirklich das einzigartige is das is diese Art von Wertschätzung und Solidarität; (1) also=un wo ich auch so=n blindes Vertrauen haben kann das hab ich so noch nirgendwo anders erlebt […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Agnes‹ 00:28:51-00:29:03) Diese Art der Strukturierung des Diskurses steht für die Orientierung der Gruppe an einer kollektiven Praxis, die sich dadurch auszeichnet, dass einzelnen Individuen darin sehr viel Raum gegeben wird und (unkommentiert) ihre individuellen Schwerpunkte verfolgen können, gleichzeitig aber auch eine starke Wertschätzung einander gegenüber vorherrscht, die sich auch dadurch ausdrückt, dass man sich ausreden lässt und längere Monologe zugelassen werden.
Drei Strukturmerkmale von Orientierungen Neben der Rekonstruktion von homologen Mustern kann sich dem Orientierungswissen durch die Erfassung mindestens einer der drei Strukturmerkmale von Orientierungen genähert werden: Den positiven und negativen (Gegen-)Horizonten sowie Enaktierungspotentialen (Przyborski 2004: 56).
5. Dokumentarische Methode
Bei einem positiven Horizont gibt es positive Ideale, die eine Richtung (positiven Horizont) anzeigen, auf die eine Orientierung zustrebt (Przyborski 2004: 56). Der negative Gegenhorizont ist hingegen eine Richtung, eine Entwicklung oder ein Ergebnis, von dem sich abgegrenzt wird (Przyborski 2004: 56). Dies lässt sich in Bezug auf meine Forschung folgendermaßen illustrieren. Bei einer Diskussion mit Mitgliedern einer queerfeministischen Gruppe konnte rekonstruiert werden, dass nach feministischer Solidarität gestrebt wird (positiver Horizont). Dieser Solidarität werden aber Grenzen gesetzt, wenn feministische Gruppen (in diesem Beispiel die Gruppe Femen) für eine patriarchale Kritik Nazivergleiche benutzt (negativer Gegenhorizont): Marah: (…) weil die Femen oberkörperfrei und mit Schriften auf ihren Oberkörpern durch die Straße gelaufen sind mit Fackeln und ans [Name Tor] in Stadt C geschrieben haben Arbeit macht frei und halt eindeutige Nazivergleiche gezogen haben (1) und natür- also und Kritik an Prostitution, oder beziehungsweise dem Patriarchat natürlich äußerten. Und Bordelle mit KZs gleichgesetzt haben. und so weiter (1) des fanden wir derbst doof. (GD Prozess Passage ›Femen‹ 19:43-20:15) Diese beschriebene Aktion von Femen dient der Gruppe folglich als negative Entwicklung, von der sich klar abgegrenzt wird. Neben positiven Idealen, die angestrebt werden und Entwicklungen, die abgelehnt werden, stellt die Frage, welche Umsetzungsmöglichkeiten den positiven Horizonten zugeschrieben wird, das dritte Strukturmerkmal von Orientierungen dar. Dies wird als Enaktierungspotential bezeichnet (Przyborski 2004: 56). Darunter versteht Bohnsack die Realisierungsmöglichkeit von Orientierungen. Dies heißt konkret, welche Möglichkeiten der »Umsetzung in Handeln« lassen sich für die rekonstruierten Orientierungen herausarbeiten (Bohnsack 1989: 26). Die Rekonstruktion von Enaktierungspotentialen sowie der Schwierigkeiten und Herausforderungen, die mit der Umsetzung von Orientierungen verbunden werden, ist für mein Forschungsinteresse besonders relevant. Denn neben der Herausarbeitung des Orientierungswissen der untersuchten Gruppen bezüglich der Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen*, verfolge ich die Frage, wie diese Konzeptualisierungen umgesetzt werden (falls sie umgesetzt werden) bzw. welche Herausforderungen oder Herangehensweisen bei dieser Umsetzung zu identifizieren sind.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Erzählung vs. Argumentation Im Rahmen der Dokumentarischen Methode gelten vor allem Erzählungen und Beschreibungen als besonders geeignet den konjunktiven Sinn zu rekonstruieren (Przyborski 2004: 27). Hingegen werden Passagen, die stark argumentativ sind als eher ungeeignet für die Herausarbeitung des dokumentarischen Sinngehalts angesehen. Diese Einschätzung muss jedoch im Kontext des jeweiligen Forschungsgegenstands kritisch reflektiert werden. Bei den teilnehmenden Gruppen meiner Arbeit handelte es sich um politisch ausgerichtete Gruppen. Es war folglich wenig verwunderlich, dass die Diskussionen geprägt sind von Argumentationen und Erzählungen in geringerem Maße vorkamen. Für meine Forschung hatte es sich deswegen als fruchtbar erwiesen, auch Argumentationen detaillierter zu analysieren. Denn dabei zeigte sich, dass die Art und Weise, wie argumentiert wird, auch Auskunft über implizites Wissen liefert. So zum Beispiel, wenn in Argumentationen ein sehr wertschätzender Umgang miteinander rekonstruiert werden konnte, oder auch wenn versucht wurde bei Argumentationen Verallgemeinerungen zu vermeiden und ein Thema aus verschiedensten Perspektiven versucht wurde zu beleuchten. Diese verschiedenen Arten und Weisen der Argumentation ließen auf bestimmte handlungsleitende Orientierungen schließen, die gerade für mein Forschungsinteresse von Bedeutung waren. Wichtig dabei war vor allem auch zu rekonstruieren, wie diese Argumentationen konkludiert wurden: Ob sie, falls unterschiedliche Orientierungsgehalte aufgeworfen wurden, in z.B. einer Synthese enden oder, ob Orientierungen auseinanderstreben.12
5.3 Komparative Analyse Bereits im Zuge der reflektierenden Analyse spielen Vergleiche, gerade im Hinblick der Untersuchung von Homologien, innerhalb eines Falls eine Rolle. Diese komparative Analyse wird in den weiteren Schritten der fallübergreifenden und fallinternen komparativen Analyse nochmals verstärkt in den Vordergrund gerückt. Vergleichende Analysen werden in meiner Forschung genutzt, um die Besonderheiten eines Falls im Datenkorpus herauszustellen, sowie die Spannungen, Passungen und Herausforderungen innerhalb eines Falls bezüglich der Realisierungsmöglichkeiten ihrer kollektiven Orientierungen bzgl. der Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* herauszuarbeiten.
12 Wie im Beispiel weiter oben in Bezug auf einen exkludierenden Diskursmodus.
5. Dokumentarische Methode
Für die komparativen Analysen wurden Aspekte von Arnd-Michael Nohl’s (2013) Überlegungen zu komparativen Analysen sowie Ralf Bohnsacks (2013) sinngenetischer Typenbildung13 verwendet, ohne jedoch das Ziel einer Typenbildung zu verfolgen. Mein Vorgehen dieser vergleichenden Analyse sowie die Erklärung, wieso keine solche Typenbildung angestrebt wurde, stelle ich im Folgenden näher dar.
Fallübergreifende komparative Analyse Im Zuge der fallübergreifenden komparativen Analyse konnten einerseits die Vielzahl an Orientierungen an Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* im Datenmaterial herausgearbeitet werden. Andererseits wurden dadurch auch die Spezifika einzelner Fälle in Bezug auf das Gesamtmaterial deutlich. Im Rahmen dieses fallübergreifenden Vergleichs stehen Vergleiche thematisch ähnlicher Passagen verschiedener Gruppendiskussion im Vordergrund (Nohl 2013: 274f.). Wie Bohnsack vorsieht, wurde dabei unter anderem nach Homologien gesucht, sprich ähnlichen Strukturen bei der Behandlung bestimmter Themen. Das heißt es werden nicht nur inhaltliche Überschneidungen in den Fokus rücken, sondern vielmehr auch behandelt, welche Ähnlichkeiten bei der Art und Weise, wie ein Thema besprochen wird, vorliegen (Bohnsack 2013: 251f.). Im Vergleich der Passagen, in denen Differenzen bzw. Gemeinsamkeiten zwischen Frauen besprochen wurden, konnte für einige Gruppen in meinem
13
Bohnsack unterscheidet zwischen der sinngenetischen und soziogenetischen Typenbildung. Die sinngenetische Typenbildung bezieht sich auf die die Frage »nach der Struktur, nach dem generativen Muster oder der generativen Formel, dem Modus Operandi des handlungspraktischen Herstellungsprozesses. […]. Das generative (Sinn-)Muster wird – wie gesagt – als Orientierungsrahmen oder auch als Habitus bezeichnet. Eine darauf gerichtete (praxeologische) Typenbildung wird mit einem Begriff von Mannheim (…) als eine sinngenetische« bezeichnet (Bohnsack 2013: 248). Die soziogentischer Typenbildung ist für Bohnsack der Analyseschritt nach der sinngenetischen Typenbildung dieser »fragt nach dem Erfahrungshintergrund, genauer nach dem spezifischen Erfahrungsraum, innerhalb dessen die Genese einer Orientierung, eines Habitus zu suchen ist. Wenn ich sage, eine von mir beobachtete Orientierung sei ›typisch dörflich‹, so ist damit gesagt, dass ihre Genese im dörflichen Erfahrungsraum zu suchen sei.« (Bohnsack 2013: 248).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Datenkorpus rekonstruiert werden, dass Differenzen zwischen Frauen in Bezug auf Ungleichheitsverhältnisse besprochen werden. Gleichzeitig konnten dabei die Unterschiede in der Frage, in welches Verhältnis diese Ungleichheitsverhältnisse zueinander gestellt wurden, herausgearbeitet werden. Diese bewegen sich zwischen additiven und intersektionalen Herangehensweisen sowie auch jenseits dieser zwei Pole. Die Spezifika der jeweiligen Konzeptualisierungen konnten erst im Zuge des Vergleichs rekonstruiert werden. Gleichzeitig zeigte sich im Vergleich der Passagen aber auch, dass einige Gruppen neben der Besprechung von Ungleichheitsverhältnissen Differenzen zwischen Frauen zusätzlich oder allein in unterschiedlichen Wahrnehmungen von geschlechtsspezifischer Diskriminierung behandelten. Auf der Ebene der Enaktierungspotentiale verhalf die komparative Analyse auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Realisierungsmöglichkeiten, die sich für die jeweiligen Konzeptualisierungen dokumentierte, herauszuarbeiten. Dafür wurden fallübergreifend Passagen verglichen, in denen diese Umsetzungen verhandelt wurden. So konnten Fälle, bei denen diese stark unter Spannung standen und Widersprüche auftauchten von jenen unterschieden werden, bei denen sich eine starke Passung zwischen den Konzeptualisierungen und deren Umsetzung dokumentierte. Für die detailliertere Rekonstruktion der beschriebenen Verhältnisse wurde eine intensivere fallinterne komparative Analyse vorgenommen.
Fallinterne komparative Analyse Bereits im Zuge der reflektierenden Interpretation wurde vergleichend innerhalb eines Falls vorgegangen, gerade auch im Hinblick auf das Herausarbeiten von Homologien. Dies wurde im Zuge der komparativen Analyse nochmals verstärkt, wobei nicht nur nach Homologien, sondern auch nach Spannungen und Widersprüchen gesucht wurde. Das konkrete Vorgehen der fallinternen Komparation umfasste den Vergleich verschiedener Passagen desselben Falls. Dabei wurde einerseits nach Enaktierungspotentialen sowie Herausforderungen und Unmöglichkeiten der Umsetzung von den rekonstruierten Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* gesucht. Darüber hinaus war es auch möglich durch einen fallinternen Vergleich die rekonstruierten Konzeptualisierungen bezüglich Differenzen zwischen Frauen ins Verhältnis mit anderen Orientierungen des jeweiligen Falls zu setzen. So zum Beispiel bei der Frage, ob der Umsetzung der Orientierung an einem intersektionalen Verständnis das Streben nach dem eigenen Empowerment entgegensteht.
5. Dokumentarische Methode
Da die fallinternen Verhältnisse und Enaktierungspotentiale für mein Forschungsinteresse zentral sind, wurden diese komparativen Analysen nicht mit dem Ziel einer fallübergreifenden Typenbildung verfolgt. Es wurde vielmehr versucht die Vielfältigkeit der Fälle sowie ihre internen Spannungen, Passungen und Widersprüche herauszustellen. Ich bin somit sehr viel kleinteiliger vorgegangen, um die Mehrdimensionalität der teilnehmenden Gruppen herauszustellen. Folglich dienten mir die komparativen Analysen zur Schärfung der Herausarbeitungen der Spannungsverhältnisse innerhalb der einzelnen Gruppen. Aus diesem Grund werden auch in den Ergebnisdarstellung einzelne Gruppen in ihrer Gesamtheit dargestellt und in den Fokus gestellt. Der Vergleich zwischen den einzelnen Gruppen gewinnt erst in einem zweiten Ergebniskapitel bezüglich des Themas Empowerments an Relevanz.
5.4 Kritische Überlegungen aus intersektionaler Perspektive Aus intersektionaler Perspektive muss angemerkt werden, dass die Bedeutung von Ungleichheitsverhältnissen sowie gerade die Verschränkung dieser im Rahmen der Dokumentarischen Methode häufig vernachlässigt und erst relativ spät im Zuge einer soziogenetischen Typenbildung explizit in die Analyse miteinbezogen werden. Aber auch dort scheinen intersektionale Überlegungen nicht in vollem Maße eingeflossen zu sein, so werden zumeist die einzelnen Dimensionen Geschlecht, Klasse oder race als separate Einheiten benutzt und erst in einem letzten Schritt in die Analyse mit einbezogen (vgl. Bohnsack 2013). Damit wird der Komplexität der Verwobenheit unterschiedlicher Unterdrückungskategorien, die bei jedem Schritt der Analyse implizit oder explizit eine Rolle spielen, nicht ausreichen Rechnung getragen. Des Weiteren wird der Einfluss von sozialen Positionen der Forscher*innen nicht ausreichend in den gesamten Analyseprozess einbezogen. Es wird zwar von unterschiedlichen Relevanzsystemen der Forscher*in und den Forschungsteilnehmer*innen sowie der Standortgebundenheit der Forschenden gesprochen, gerade wenn es um den Forschungsprozess geht. Bei der Darstellung der Ergebnisse wird dieser Einfluss jedoch meist nicht prominent verhandelt (Bohnsack 2014: 191ff; Nohl 2013; kritisch Rauschenberg 2019: 137ff). Im Gegensatz dazu werde ich mich nun detaillierter mit dem Einfluss meiner Forschungsposition auseinandersetzen und unter anderem aufzeigen, wie meine soziale Position, trotz offener Fragen, Auswirkungen auf die Inhalte der erhobenen Diskussionen hatte.
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6. Reflexion der Forschungsposition
»Knowledge from the point of view of the unmarked is truly fantastic, distorted, and irrational. […] Positioning is, therefore, the key practice in grounding knowledge […].« (Haraway 1991: 193) Dieses Zitat von Donna Haraway illustriert eine zentrale Erkenntnis feministischer Theorien: Die Herausforderung einer wissenschaftlichen Objektivität und die Betonung, dass die jeweilige Positionierung der Forschenden Untersuchungen und ihre Ergebnisse beeinflusst und aus diesem Grund Teil der Wissensproduktion sein sollten (Brooks, Hesse-Biber 2007: 6f.).1 In diesem Kontext prägte Haraway auch die Begriffe »partial« und »situated knowledge« (Haraway 1991: 191). Mit diesen Begriffen verdeutlicht sie, dass Wissensproduktion immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellt und eingebettet ist in die Situiertheit von Forscher*innen innerhalb eines komplexen Machtgefüges (ebd.: 191ff). Im folgenden Kapitel möchte ich meiner eigenen Situiertheit im Forschungsfeld und dem Einfluss meiner sozialen Positionierung im Forschungsprozess näher nachgehen. Beide Aspekte sind geprägt von Komplexität und Widersprüchen, meinem »split and contradictory self« (Haraway 1991: 193). Diese Widersprüchlichkeiten werden bereits bezüglich der Frage, ob ich selbst Teil
1
Diesen Aspekt betonen nicht nur feministische Theorien, sondern u.a. auch postkoloniale, queere oder poststrukturalistische Ansätze, sowie ihre Verschränkungen (Ahmed 2000; Darling-Wolf 1998: 414ff; Davis 2018: 634, Mohanty 1991). Des Weiteren kritisier(t)en u.a. Schwarze und Theoretikerinnen* of Color, dass die Positionierung von Forschenden in feministischen Theorien zunächst hauptsächlich entlang des Einflusses der Kategorie Geschlecht unter Vernachlässigung anderer Differenzlinien besprochen wurden (Ahmed 2000: 58ff; Darling-Wolf 1998: 414).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
des von mir untersuchten Forschungsfelds von feministischen und Frauenrechts*gruppen bin oder nicht, offensichtlich. Für die Forschungsposition macht es einen Unterschied, ob sich die Forscher*in »der Gruppe oder Community zugehörig fühlt, die sie untersucht«, so schreiben Narimani et al. (Narimani et al. 2014: 3). Diese (Nicht-)Zugehörigkeit ist jedoch in meiner Forschung nicht so eindeutig zu bestimmen. Einerseits gehöre ich aufgrund meiner eigenen Identifikation als Feministin und meiner Verbundenheit mit einer ›linken Szene‹2 zu einem gewissen Ausschnitt des Felds an. Auch meine soziale Position als Frau stellt eine Nähe zu dem Forschungsfeld dar. 3 Gleichzeitig habe ich u.a. als weiße, nicht-behinderte Wissenschaftlerin eine privilegierte soziale Position, die das Verhältnis zum Forschungsfeld beeinflusst. Dies insbesondere in Bezug auf z.B. behinderte oder nicht-weiße feministische/Frauen*rechtsgruppen. Letzteres führte teilweise auch zu einer direkten Ablehnung einer Teilnahme an meiner Forschung. Meine Position im Forschungsfeld ist folglich ambivalent und ist in einem komplexen Gefüge von Nähe und Distanz einzuordnen. Diesen Ambivalenzen wird sich im Folgenden zunächst in Bezug auf den Einfluss meiner sozialen Positionierung auf den Forschungsprozess gewidmet. In einem zweiten Schritt setzte ich mich detaillierter mit meiner Positionierung zwischen Wissenschaft und Aktivismus auseinander.
6.1
Einfluss sozialer Positi onierungen
Meine soziale Positionierung hat einen Einfluss u.a. darauf, welche Daten erhoben wurden und welche Differenzkategorien während den Gruppendiskussionen betont oder ausgelassen wurden. Des Weiteren ergeben sich Problematiken beim Einbezug marginalisierter Frauen* aus einer privilegierten Position heraus. Diesen zwei Dimensionen wird sich nun anhand konkreter Beispiele aus dem Forschungsprozess genähert.
2
Diese Szene, die auch als autonome Szene oder radikale Linke bezeichnet wird, steht in einer gewissen Tradition mit den 1986er Bewegungen und umfasst eine Vielzahl und Vielfalt von Einzelpersonen und Gruppen, die sich basisdemokratisch organisieren und gesellschaftliche Strukturen kritisieren und aus diesem Grund meist jenseits von institutionellen politischen Gruppen agieren. Szene ist dabei eine selbstgewählte Bezeichnung (Groß 2008: 108f).
3
So würde ich es zumindest als fraglich ansehen, ob ein Mann Zugang zu den untersuchten Gruppen erhalten hätte.
6. Reflexion der Forschungsposition
Ich als weiße, mittelständische, heterosexuelle, … So könnte ich die Reflexion meiner sozialen Positionierung einführen. Solch eine reine Aufzählung würde der Komplexität der sozialen Positionierungen von Interviewerin und Teilnehmenden während der Erhebung jedoch nicht gerecht und qualifiziert noch nicht als tatsächliche Reflexion der Forschungsposition, wie zahlreiche Autorinnen* herausgearbeitet haben (Ahmed 2000: 56ff; Butler 1990: 143; Davis 2018: 641; Lutz 2014: 11). Es gilt hingegen, genau zu beobachten und zu analysieren, an welcher Stelle welche sozialen Positionierungen von Bedeutung werden und mit welchen Effekten für die Forschungsergebnissen (Lutz 2014: 11f.). So habe ich bereits herausgestellt, wie meine Position als weiße Person besondere Relevanz in der Rekrutierung von Gruppen einnahm. Zum einen bei dem einfacheren Zugang zu weißen Gruppen und zum anderen bei der Problematik u.a. Schwarze Gruppen für meine Forschung zu gewinnen. Während des Erhebungsverfahrens, stellten sich je nach Gruppe weitere soziale Positionen von mir und den jeweiligen Teilnehmenden als relevant heraus. Dies zeigte sich auch gerade darin, welche Begriffe oder Themen mir gegenüber betont oder erklärt wurden. Ein Beispiel dafür ist, dass Sarah, eine Teilnehmerin der Diskussion mit einer Gruppe behinderter Frauen, mir bereits in unserem ersten E-MailAustausch, den Begriff Behinderung und, was sie darunter versteht, erläuterte. Dies zeigt auf, dass ich in diesem Fall als Outsiderin angesprochen werde, der es bestimmte Begrifflichkeiten und Erfahrungen zu erklären gilt. Auch während der Diskussion nahmen Erklärungen von Sarah in Bezug auf Behinderung und ihren Erfahrungen diesbezüglich einen großen Raum an, worauf meine soziale Position einen Einfluss gehabt haben kann. Ein ähnliches Beispiel stellt die Diskussion mit zwei Frauen einer muslimischen Gruppe dar. Während dieser betonten die Teilnehmerinnen immer wieder, dass Frauen im Islam nicht per se unterdrückt werden. Dies illustriert die Wirkmächtigkeit eines anti-muslimischen rassistischen Diskurs, der die Unvereinbarkeit einer Muslimin* und einer emanzipierten Frau* betont und damit Musliminnen* in eine Rechtfertigungsposition drängt (Popal 2007: 87ff; Shooman 2015: 47ff). Es zeigt aber auch, dass ich in diesem Kontext als nichtmuslimische Frau einer Mehrheitsgesellschaft adressiert wurde, die davon überzeugt werden muss, dass muslimische Frauen* nicht per se vom Islam unterdrückt werden. Meine soziale Position hatte folglich, trotz offener Fragen, einen Einfluss darauf, welche Themen während den Diskussionen angesprochen und betont
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Intersektionalität in feministischer Praxis
wurden, aber auch, was nicht besprochen wurde. Dass dies nicht automatisch zu einer Betonung von Differenzen und bestimmter Unterdrückungserfahrungen führen muss, hebt die Diskussion mit Mitgliedern einer kurdischen Frauengruppe hervor: Auch hier kam es mir gegenüber zu Erklärungen bestimmter Begrifflichkeiten. So wurde während der Diskussion der Begriff Jineolojî 4 erklärt und die Leistungen einer kurdischen Frauenbewegung hervorgehoben. Gleichzeitig wurden die Gemeinsamkeiten von allen Frauen gerade in Bezug auf ihre Position in einem patriarchalen System betont. Hier stellte sich folglich die Frage, inwieweit meine Position als weiße Frau dazu geführt hat, dass Gemeinsamkeiten und nicht Differenzen zwischen Frauen betont wurden. 5 Während bei den bisherigen Beispielen meine Position als weiße, nichtmuslimische und nicht-behinderte Frau eine prominente Rolle während der Diskussionen spielte (wobei mit unterschiedlichen Effekten), war meine Verortung in Westdeutschland, im Kontakt mit den Mitgliedern der Gruppen aus Ostdeutschland eine relevante Differenzlinie. So wurde ich bei einer dieser Gruppen noch vor dem Anschalten des Aufnahmegeräts gefragt, ob ich bereits andere Gruppen aus Ostdeutschland interviewt hätte. Und in dem Gespräch nach der Diskussion wurde dieses Thema bei dieser und auch bei der anderen Gruppe aus Ostdeutschland nochmals aufgegriffen. Dabei wurde mir unter anderem anhand eines Stadtviertels erklärt, wie dort nach dem Mauerfall westdeutsche Immobilienkonzerne ganze Häuserblöcke aufgekauft haben. Oder es wurden Beispiele genannt, wie sich die Benachteiligung von Menschen aus Ostdeutschland darstellt. Während den Diskussionen wurde die Unterscheidung Ost-West-deutschland von den beiden ostdeutschen Gruppen hingegen in unterschiedlichem
4
Der Begriff wurde zunächst von Abdullah Öcalan in ›The Sociology of Freedom‹ benutzt und insbesondere von kurdischen Aktivistinnen* aufgenommen und weiterentwickelt (Al-Ali, Tas 2018: 466) . Ein zentrales Prinzip ist »that without the freedom of women within society and without a real consciousness surrounding women, no society can call itself free« (ebd.: 466). Dabei werden u.a. auch eine objektivistische Wissenschaft sowie bestimmte feministische Ansätze (wie eine liberale Strömung, die sich allein auf gleiche Rechte fokussiert) kritisiert. Jedoch geschieht dies ohne Bezug zum Beispiel auf bereits zuvor entwickelte postkoloniale Ansätze mit ähnlichen Kritikpunkten, sondern stellt kurdische Frauen* ins Zentrum (Al-Ali, Tas 2018: 466f.). Jineolojî wird von den Teilnehmerinnen selbst als »Frauenwissenschaft« übersetzt.
5
Hierauf wird ausführlich bei der Vorstellung der Analyseergebnisse bezüglich dieser Gruppe eingegangen. Im Ergebniskapitel wird die Gruppe als Gruppe Erweiterung bezeichnet.
6. Reflexion der Forschungsposition
Maße betont. Während das Thema bei einer Diskussion sehr zentral war, gerade in der Verschränkung mit der Verortung der Gruppen im ländlichen Gebiet, wird es bei den anderen Gruppen nur vereinzelt aufgegriffen. Wobei die Betonung und die Nicht-Betonung jeweils durch meine Position als westdeutsche Forscherin beeinflusst gewesen sein kann. Im Beispiel der Diskussion mit vier Mitgliedern einer kurdischen Frauengruppe stellte sich bereits die Frage, inwieweit meine Position als Frau, deren Interesse an Feminismus für die Gruppen eindeutig war, gleichzeitig eine Nähe mit den Teilnehmerinnen schuf. Dies verdeutlicht die Tatsache, dass mir sexistische Vorfälle oder die gesellschaftliche Relevanz von Geschlecht in der Interaktion mit den Gruppen, wenn dann nur auf direkte Nachfragen, erklärt wurden. Hier zeigt sich, dass von allen Beteiligten ein gewisser gemeinsamer Erfahrungsraum angenommen wurde. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Einfluss meiner Forschungsposition hinsichtlich Differenzkategorien je nach Gruppe neu bestimmt werden musste und durchaus widersprüchliche Ergebnisse mit sich brachte, gerade auch was die Betonung von Differenzen oder Gemeinsamkeiten von Frauen betrifft.
Einbezug marginalisierter Gruppen aus privilegierter Position Bezüglich meiner Forschungsposition gilt es noch weitere Aspekte zu beleuchten, wie der Einbezug der Gruppen, die sich hauptsächlich aus marginalisierten Frauen zusammensetzen, durch eine weiße Forscherin. Den Problematiken, die sich aus solch einem relativen Machtverhältnis ergeben, werde ich mich im Folgenden intensiver widmen.6 In diesem Zusammenhang ist nochmals verstärkt ein Kriterium von Bedeutung, dass Liz Stanley und Sue Wise für feministisches Forschen als grundlegend definieren, »the intellectual autobiography« (Stanley, Wise 1990: 23). Dazu gehört den analytischen Prozess der Forschung transparent und nachvollziehbar zu machen (ebd.: 23). Wie Davis in Anlehnung an Stanely betont, sind dabei auch die theoretischen oder normativen Annahmen der Forscher*in sowie deren Veränderungen im Forschungsprozess zu reflektieren (Davis 2018: 639). Gerade diese Vorannahmen und Veränderungen sind bei meiner Forschung, im
6
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Problematiken liefern eine Vielzahl von Autor*innen (vgl. Ahmed 2000; Alcoff 1991; Darling-Wolf 1998).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Kontext des Einbezugs marginalisierter Frauengruppen aus meiner relativ privilegierten Position heraus, aufschlussreich. So sah ich mich im Verlauf des Forschungsprozess mit meinen eigenen Vorannahmen konfrontiert, die ich gegenüber den Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* bei nicht-weißen Gruppen hatte. Ich war geneigt, anzunehmen, dass dort Probleme mit weißen Feminist*innen sicherlich ein zentrales Thema darstellen würden und ich in diesem Rahmen ein intersektionales Verständnis rekonstruieren könnte. Verwundert sah ich mich dann hingegen mit der Betonung der Gemeinsamkeiten von Frauen bei der Diskussion mit vier Mitgliedern einer kurdischen Frauengruppe konfrontiert. Dies machte eine genauere Analyse des Einflusses meiner Forschungsposition innerhalb der Datenerhebung notwendig: Wurden die Gemeinsamkeiten vielleicht deswegen betont, weil über das gemeinsame Frausein zwischen den Teilnehmerinnen und mir eine Nähe geschaffen werden sollte (vgl. Davis, Lutz 2005: 242)? Es verdeutlichte auch meine eingeschränkte Vorstellung, welche Arten der Konzeptualisierungen von Differenzen möglich sind, jenseits von additiven und intersektionalen Herangehensweisen sowie meiner (unbewussten) Homogenisierung eines höchst heterogenen Felds von u.a. Women* of Color Gruppen. Dies zwang mich dazu meine Vorannahmen immer wieder zu reflektieren und im Kontext von Forschungsgruppen7 intersubjektiv zu überprüfen. Aber das relationale Machtverhältnis zwischen mir und den Forschungsteilnehmerinnen ist trotz allem nicht weg zu reflektieren. Meine Autorität der Interpretation und vor allem des Schreibens bleibt davon relativ unberührt, wie u.a. Sara Ahmed bezüglich eines Forschens über marginalisierten Frauen* aus der privilegierten Position einer weißen Forscherin betont (Ahmed 2000: 56f.). Sich aus diesem Grund gegen den Einbezug von marginalisierten Frauen* in meine Forschung zu entscheiden, hätte jedoch noch viel problematischere Effekte und erneut dazu geführt, dass nur bestimmte Frauen* (insbesondere weiße Frauen*) in das Zentrum von feministischen Debatten gestellt werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit meine Fokussierung auf Differenzen zwischen Frauen* dazu führen kann, dass diese als absolut und unüberbrückbar erscheinen. Dieses Dilemma zwischen der Untersuchung von Differenzkategorien und der Gefahr diese dabei erneut zu reifizie-
7
Dazu zählten u.a. Kolloquien bei meinen zwei Betreuerinnen sowie Analysegruppen mit dem Fokus Dokumentarische Methode.
6. Reflexion der Forschungsposition
ren, ist eine Problematik, die gerade poststrukturalistische Ansätze, welche sich auch in anti-kategorialen intersektionalen Vorgehensweisen widerspiegeln, thematisieren (McCall 2005: 1776).8 Im Sinne einer anti-kategorialen Vorgehensweise auf die Zuschreibung von Differenzkategorien zu verzichten und allein ihre Konstruktionen zu fokussieren, stellte sich jedoch für meine Forschungsfrage und mein Datenmaterial als nicht zielführend dar (ebd.: 1773). Zum einen würden ohne solche Zuschreibungen, privilegierte Positionen wie weiß und ihre potenziellen Effekte auf den Umgang mit Differenzen zwischen Frauen* unsichtbar gemacht werden. Außerdem würden die widerständigen Dimensionen, die soziale Kategorien für marginalisierte Gruppen darstellen können, ignoriert. 9 Wichtig war zugleich eine Zurückhaltung die rekonstruierten Orientierungen der jeweiligen Gruppen auf ihre sozialen Positionen zurückzuführen. Dies war insbesondere wichtig, da in meinem Sample verhältnismäßig wenig Diskussionen mit marginalisierten Frauen vertreten sind. Es bestand somit die Gefahr, dass einzelne Personen (bzw. in meinem Fall einzelne Kleingruppen) als Repräsentant*innen einer ganzen sozialen Gruppe angesehen werden und eine Reduktion der Personen (bzw. Gruppen) auf ihre marginalisierten Identitätskategorien stattfinden könnte. Diese Dimensionen sind Charakteristika, die Rosabeth Moss Kanter unter den Begriff tokenism10 fasst (Kanter 1977: 965). Einzelne marginalisierte Personen werden als Alibifunktion (token) mit einbezogen, ohne dass sich an den Strukturen etwas ändert oder dass sich tatsächlich mit dem, was die Personen zu sagen
8 9
Siehe dazu auch die Ausführung im zweiten theoretischen Kapitel (vgl. 2.2.). Wie zum Beispiel der affirmative Bezug auf die Kategorie muslimische Frau oder kurdische Frau.
10 Dieses Konzept wurde in den 1970ern von der US-amerikanischen Soziologien Rosabeth Moss Kanter im Kontext der Untersuchung von Frauen*, die in Unternehmen eine zahlenmäßige Minderheit (so genannte token) darstellen, entwickelt. Mit tokenism verbindet sie dabei drei Dimensionen: »visibility (tokens capture a disproportionate awareness share), polarization (differences between tokens and dominants are exaggerated), and assimilation (tokens’ attributes are distorted to fit preexisting generalizations about their social type)« (Kanter 1977: 965). Zunächst von Kanter auf die Situation von Frauen* und einer zahlenmäßigen Minderheit angewendet, ist der Begriff seit den 1970ern erweitert worden auf die Einbeziehung jeglicher marginalisierten Gruppen oder Einzelpersonen in einem Ungleichheitsverhältnis, und zwar jenseits reiner zahlenmäßiger Unterschiede (vgl. Peşmen 2017; Yoder 1991; Spivak 1996 [1979]).
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Intersektionalität in feministischer Praxis
haben, auseinandergesetzt wird, gerade wenn es nicht in einen herrschenden Diskurs passt (Peşmen 2017).11 Auch auf Grund dieser Reflexionen bzgl. Tokenism und Reifizierung von Differenzkategorien habe ich eine ganz bestimmte Darstellung der Ergebnisse meiner Analysen gewählt. Es werden im ersten Empiriekapitel die einzelnen Gruppendiskussionen in ihrer Komplexität für sich dargestellt, so auch die Diskussion mit vier Mitgliedern einer kurdischen Frauengruppe. In dieser konnte eine Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen jenseits von additivem und intersektionalem Verständnis rekonstruiert werden. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass sich allein bei marginalisierten Frauengruppen solch eine Herangehensweise dokumentiert, werden in diesem Kontext auch die Ergebnisse der Diskussion mit einem feministischen Redaktionsteam, dass sich aus weißen Frauen zusammensetzt, besprochen. Gleichzeitig gilt es sich auch unterschiedliche Herangehensweisen, die sich aus unterschiedlichen sozialen Positionierungen ergeben können, zu diskutieren. Darauf wird unter anderem im zweiten Empiriekapitel zum Themenkomplex Empowerment der Fokus liegen.12
6.2 Zwischen Wissenschaft und Aktivismus Zuletzt möchte ich meine Forschungsposition noch im Hinblick auf meine Verortung zwischen Wissenschaft und Aktivismus reflektieren. Als Feministin, als politische Aktivistin13 und als Wissenschaftlerin hatte dieses ›Dazwischen‹ vielfältige Implikationen für den Forschungsprozess. Es stellte je nach Situation und Forschungsstufe eine Ressource oder eine Herausforderung dar.
11
Die Äußerungen oder Erfahrungen einzelner muslimischer Frauen* werden zum Beispiel in anti-muslimischen Diskursen hervorgehoben, als Beweis für ein patriarchales Geschlechterbild in dem Islam herangezogen (Shooman 2015: 47ff).
12 Wobei auch dort auch auf die jeweiligen Unterschiede zwischen den Gruppen eingegangen wird, die nicht allein entlang allein einer Differenzkategorie ausgemacht werden können. 13
Unter anderem bin ich in anti-rassistischen Projekten aktiv.
6. Reflexion der Forschungsposition
Während der Datenerhebung Im Rahmen der Rekrutierung von Teilnehmerinnen für die Gruppendiskussionen stellte es sich zum einen als Vorteil dar, als Feministin wahrgenommen zu werden, da mir (in unterschiedlichem Maße) eine gewisse Nähe und Verbundenheit zugeschrieben wurde, was mir überhaupt erst Zugang zu den Gruppen ermöglichte. Dies auch dadurch, dass ich gerade in der Interaktion mit Gruppen aus der ›linken Szene‹ eine für die Gruppen gewohnte Sprache oder Kommunikationsform14 bedienen konnte. Des Weiteren schaffte diese Nähe zumindest für einen Teil der Diskussionen eine Atmosphäre für die Teilnehmerinnen, in der sie Gespräche führen konnten, die durchaus detaillierte Einblicke in ihre Arbeit sowie Problematiken und Auseinandersetzungen mit anderen feministischen Akteurinnen* umfassten. Meine Kenntnisse und Erfahrungen, gerade in einem anti-rassistischen Bereich führten jedoch auch dazu, dass ich Bedenken und Hemmungen hatte, mich als Wissenschaftlerin zu ›outen‹. Das Gefühl des Ausnutzens und sich an dem Aktivismus anderer zu ›bereichern‹, hatte große Präsenz. Im Verlauf der Forschung wurde mir aber immer wieder vor Augen geführt, dass die Diskussionsteilnehmerinnen auch ihre eigenen Interessen mit der Forschungsteilnahme verbinden. Diese gestalteten sich vielfältig und umfassten die Weiterverbreitung der Anliegen und Aktivitäten der Gruppen 15 oder die Beantwortung bestimmter Rechercheanfragen16. Außerdem äußerten einzelne Gruppen, dass sie mit der Teilnahme eine feministische Forscherin unterstützen wollten. Dies betont nochmals den positiven Einfluss meiner Position bezüglich der Gewinnung von Diskussionsteilnehmenden.
Im Rahmen der Analyse Auch im Verlauf der Analyse waren meine Kenntnisse über das Forschungsfeld hilfreich, da ich gewisse Codes oder Begriffe zumindest von einem Teil der
14 Wie zum Beispiel eine Kommunikation durch verschlüsselte E-Mails. 15 Etliche Gruppen gaben mir Flyer oder Plakate von ihren Gruppen oder aktuellen Veranstaltungen mit, um diese in meinem politischen Umfeld zu verteilen. 16 So wurde ich nach Material bezüglich bestimmter Themen, wie z.B. anti-muslimischen Tendenzen in feministischen Kontexten gefragt.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Gruppen (z.B. FLTI17, Anti-Ra18, Antifa19 etc.) selbstverständlich verstehen und einordnen konnte. Wobei dieses selbstverständliche Verstehen, wie bereits zuvor herausgestellt wurde, im Kontext z.B. der kurdischen und muslimischen Frauengruppe eingeschränkter, wenn auch nicht komplett abwesend war. Gleichzeitig wurde es eine Herausforderung, wenn es um die kritische Analyse der verschiedenen Herangehensweisen der Gruppen bezüglich ihrer Konzeptualisierungen von Differenzen ging oder bei der Beleuchtung der Spannungsfelder, die sich im Kontext der Enaktierungspotentiale ihrer Konzeptualisierungen ergaben. Die Aufdeckung von Auslassungen, Ambivalenzen und Widersprüchen sind jedoch genau Ziel meiner Forschungsfragen und insbesondere im Kontext von Intersektionalität relevant, wie Erel et al. betonen: »Wenn wir also Machtverhältnisse anhand empirischer Daten aufdecken wollen, ist es wichtig, immer auch nach den Auslassungen in den Diskursen von InterviewpartnerInnen oder anderen Texten zu fragen. In Bezug auf Intersektionalität bedeutet das insbesondere, die Fragen zu stellen, die angeblich »mit dem Thema nichts zu tun haben« und aufzudecken, warum ein bestimmtes Forschungsgebiet so und nicht anders abgegrenzt wird. Allerdings kann es uns Forschenden nicht darum gehen, unsere InterviewpartnerInnen bloß zu stellen oder zu belehren.« (Erel et al. 2007: 247) Dieser Anspruch meine Forschungsteilnehmerinnen nicht bloßzustellen oder mit intersektionalen Überlegungen zu belehren, begleitete mich während meines gesamten Analyseprozesses.20 Anhand eines Beispiels möchte ich dies näher erläutern: In der Diskussion mit vier Mitgliedern einer feministischen Antifagruppe aus einer ländlichen Region in Ostdeutschland, konnte rekonstruiert werden, dass intersektionalen Ansprüche nur unbefriedigend umgesetzt werden können. Als eine Erklärung dafür wurden die Spezifika der ländlichen ostdeutschen Region diskutiert. Hier konnte ich bestimmte Grenzen der Selbstreflexion, gerade des eigenen Weiß-
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Diese Abkürzung steht für FrauenLesbenTransInter.
18 Abkürzung für Antirassistisch. 19 Abkürzung für antifaschistische Gruppen. Für all diese Abkürzungen siehe auch das Glossar im Anhang. 20 Um solche Effekte zu vermeiden war auch die Einbettung in Analysegruppen sehr notwendig, um meine ersten Analysen zu hinterfragen und intersubjektiv zu überprüfen.
6. Reflexion der Forschungsposition
seins in der Diskussion rekonstruieren. Es machte sich aber gleichzeitig bei mir das Gefühl breit, dass ich aufgrund einer gewissen Diskrepanz und Entfernung zwischen theoretischer Arbeit und aktivistischer Realität, die Herausforderungen, denen sich feministischen Aktivitäten auf dem ostdeutschen Land stellen müssen, eventuell nicht adäquat nachvollziehen kann. Ist es doch einfacher in aller Ruhe Konzepte und Strategien zu analysieren als diese tatsächlich (unter potenziell schwierigen Bedingungen) umzusetzen. Des Weiteren konnte ich mich in diesem und auch anderen rekonstruierten Spannungsfeldern selbst wiederfinden. Waren doch genau solche Fragen nach der Umsetzung von intersektionalen Ansprüchen Ausgangspunkt meines Forschungsinteresses gewesen. Auf der anderen Seite ergaben sich aber auch die Fragen, inwieweit meine solidarische Haltung gegenüber der Gruppe aber auch mein eigenes Weißsein verhindern könnte, potenzielle Widersprüche und Problematiken offen zu legen. Hier wurde es notwendig, gerade bei der Darstellung der rekonstruierten Enaktierungspotentiale verstärkt einen theoretischen Rückbezug vorzunehmen. Insbesondere um zu versuchen, meine eigene weiße Perspektive zu dezentrieren. Des Weiteren hat die Einbindung theoretischer Aspekte die Funktion, dass bestimmte Problematiken und Widersprüche nicht allein als eine Herausforderung einzelner Akteurinnen* besprochen werden. Es geht außerdem in der folgenden Diskussion meiner Ergebnisse nicht darum, eine Herangehensweise gegenüber anderen als die einzig wahre und richtige darzustellen, sondern vielmehr darum, vielfältige Handlungsstrategien darzustellen. Das heißt auch, ›blinden Flecken‹ nachzugehen, dort hinzuschauen, wo es durchaus schmerzlich ist und Selbstverständlichkeiten auf ihre potenziellen Ausschlüsse hin zu hinterfragen. Dies schließt mich und meine eigenen unhinterfragten Selbstverständlichkeiten mit ein.21
21 So war es für mich zuvor keine Frage, mich positiv auf den Begriff Kampf im Sinne eines Kampfs für Frauen*rechte zu beziehen. Mir war nicht bewusst, dass diese Begrifflichkeit für andere Frauen* negativ konnotiert sein kann (jenseits anti-feministischer Überzeugungen) und potenziell exkludierend wirken kann. Vgl. Kapitel 8.2.
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Die Ergebnisse der Analyse der Gruppendiskussionen und des Expertinneninterviews werden in zwei Kapiteln präsentiert. Das erste Kapitel widmet sich der Bandbreite der rekonstruierten Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* sowie den Enaktierungspotentialen und Herausforderungen ihrer Umsetzung. Dieses Verhältnis von Konzeptualisierungen und Möglichkeiten ihrer Realisierung fasse ich hier unter die Bezeichnung Zwischen Theorie und Praxis. Mit dem Begriff Theorie sind dabei die rekonstruierten Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* gemeint und mit Praxis die Möglichkeiten ihrer Realisierung. In der Analyse hat sich des Weiteren Empowerment als relevante Dimension bezüglich der Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* ergeben. Zum einen im Kontext eines Kollektivs ›Frauen*‹, aber auch im Zusammenhang mit der Frage, was als empowernd gilt oder was nicht und inwieweit soziale Positionierungen dabei eine Rolle spielen. Diese Aspekte werden im zweiten Teil Empowerment aus intersektionaler Perspektive näher beleuchtet. Dabei wird auch das Expertinneninterview mit Michelle miteinbezogen.
Erläuterung der Gruppennamen Die Bezeichnung der einzelnen Gruppendiskussionen im ersten Kapitel Zwischen Theorie und Praxis orientiert sich an dem rekonstruierten Verhältnis der Konzeptualisierungen und der Möglichkeiten ihrer Umsetzung. Dies wird anhand der Gruppe Anspruch illustriert. In der Diskussion mit dieser Gruppe konnte eine intersektionale Konzeptualisierung herausgearbeitet werden. Die Möglichkeiten einer Realisierung dieses intersektionalen Verständnisses stellen sich jedoch als herausfordernd und als nicht zufriedenstellend dar, insbesondere wird dies im Kontext der Zusammensetzung der Gruppe allein aus weißen Frauen verhandelt. Intersektionalität dokumentiert sich folglich als Anspruch, der noch nicht zufriedenstellend umgesetzt wird. Im Kapitel Empowerment aus intersektionaler Perspektive stehen nicht die Verhältnisse von Konzeptualisierungen und deren Umsetzung im Fokus, sondern verschiedene Dimensionen des Themenkomplexes Empowerment. Aus diesem Grund haben die Gruppennamen darin keine inhaltliche Bedeutung, sondern
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Intersektionalität in feministischer Praxis
dienen nur der Unterscheidung der Gruppen (Gruppe Libelle und Gruppe Schmetterling).
Hinweis zur Schreibweise in den Ergebniskapiteln Aufgrund der Tatsache, dass alle Teilnehmerinnen der Diskussionen sich als Frauen verstehen und auf explizite Nachfrage mit dem Pronomen sie angeredet werden wollen, verzichte ich in den Ergebniskapiteln in Bezug auf die Teilnehmerinnen auf das Gendersternchen. Dies gilt auch für den Begriff Frau/Frauen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Teilnehmerinnen Frau im Sinne von Frau* benutzten, insbesondere da es über das * auch bei einer Gruppe explizit Diskussionen gibt. Eine Ausnahme bildet das Expertinneninterview mit Michelle, da diese im Interview explizit betont, dass für sie Frau immer Frau* bedeutet. In der Besprechung dieses Interviews wird folglich auch stets das Gendersternchen verwendet. Es wird eine vereinfachte Darstellung der Transkriptauszüge gewählt, um eine bessere Lesbarkeit zu garantieren. Kurze Pausen bis zu einer Sekunde, ›ähm‹ und ›ähs‹ sowie Geräusche (räuspern, husten etc.), werden hier nicht einbezogen.1
1
Die Transkriptionsregeln befinden sich im Anhang und werden im Folgenden als bekannt vorausgesetzt.
7. Zwischen Theorie und Praxis
Anhand der detaillierten Präsentation von fünf Gruppendiskussionen wird im Folgenden die Vielfältigkeit der herausgearbeiteten Konzeptualisierungen sowie der Passungen und Spannungsfelder bei ihrer Umsetzung hervorgehoben. Die Auswahl dieser fünf Fälle von Gruppendiskussionen basiert auf folgenden Kriterien: Zunächst soll die Auswahl das Spektrum der herausgearbeiteten Konzeptualisierungen abbilden. Dies umfasst Diskussionen, bei denen sich additive oder intersektionale Konzeptualisierungen bis zu Konzeptualisierungen jenseits davon rekonstruieren ließen. Folgende Tabelle zeigt die Verteilung aller herausgearbeiteten Konzeptualisierungen und hebt hervor, welche Diskussionen detaillierter besprochen werden:
1
Additive Konzeptualisierung
GD 11/Gruppe Passung
Additive und intersektionale Konzeptualisierung
GD 82
Intersektionale Konzeptualisierung
GD 3, GD 4/Gruppe Prozess, GD 5/Gruppe Anspruch, GD 6
Diese Nummerierung bezieht sich auf die Reihenfolge der Auflistung der Diskussionen unter Kapitel 4.2. Auf diese wird hier verwiesen.
2
Auf diese Diskussion wird im zweiten Ergebniskapitel eingegangen und als Gruppe Libelle geführt.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Einzelne intersektionale Aspekte3
GD 9
Konzeptualisierungen jenseits dieser zwei Pole
GD 2/Gruppe Ambivalenz, GD 7/Gruppe Erweiterung
Des Weiteren spiegeln die Diskussionen die Bandbreite der rekonstruieren Verhältnisse von Theorie und Praxis wider. Von Passungen in der Umsetzung (Gruppe Passung) über Veränderungen (Gruppe Erweiterung) hin zu ambivalenten (Gruppe Ambivalenz) und herausfordernden (Gruppe Anspruch) sowie einer prozesshaften Relation von Theorie und Praxis (Gruppe Prozess).
Aufbau Die Darstellung der fünf Gruppendiskussionen beginnt jeweils mit einer allgemeinen Einführung der Gruppe. Bei dieser werden u.a. Verweise auf soziale Positionen der Teilnehmerinnen vorgenommen, beschränkt auf diejenigen, die die Teilnehmerinnen selbst erwähnten. Zusätzliche soziale Positionen werden dann im weiteren Verlauf bei der Auseinandersetzung mit den herausgearbeiteten Orientierungen miteinbezogen. Die Vorstellung der Gruppen basiert auf den Diskussionsprotokollen sowie den erstellten Themenverläufen und wurde den Gruppen vorab zur Verfügung gestellt, um mögliche Probleme hinsichtlich einer ausreichenden Anonymisierung zu verhindern. Auf die kurze Vorstellung der Gruppen folgt ein Überblick über den Diskursverlauf sowie relevante Aspekte der Interaktion zwischen mir und den Teilnehmerinnen im Rahmen der Erhebung. In die Beschreibung des Diskussionsverlaufs fließen insbesondere auch Aspekte der Diskursorganisation mit ein und damit charakteristische Bezugnahmen der Teilnehmenden. Neben den Diskussionsprotokollen und den Themenverläufen bezieht dieser Teil auch Ergebnisse der analysierten Passagen mit ein.
3
Wie bereits im methodischen Teil (vgl. Kapitel 5.2.) ausgeführt, zeigte sich bei dieser Gruppendiskussion (Gruppe Schmetterling) häufig ein divergenter Diskursmodus, der sich durch auseinanderstrebende Orientierungsgehalte auszeichnet und somit meist nicht von geteilten Orientierungen gesprochen werden kann. In einer Passage dokumentiert sich jedoch eine intersektionale Konzeptualisierung. Diese Diskussion wird im zweiten Empiriekapitel näher besprochen (vgl. Kapitel 8.2.).
7. Zwischen Theorie und Praxis
Anschließend werden zentrale Orientierungen der Gruppe mittels ausgewählter Transkriptauszüge dargestellt. Dies dient dazu, einen ersten Eindruck der Gruppe zu vermitteln sowie der Kontextualisierung der rekonstruierten Konzeptualisierungen. In einem vierten Teil werden diese Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* besprochen. Dabei werden insbesondere (aber nicht ausschließlich) auch die Passagen im Anschluss an meine Frage bezüglich der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen einbezogen. Im letzten Teil werden die Enaktierungspotentiale sowie die Herausforderungen, die sich in der Umsetzung dieser Konzeptualisierungen dokumentieren, dargestellt.
7.1
Additive Konzeptualisierung – Gruppe Passung
Für die Diskussion mit Gruppe Passung kann eine additive Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen rekonstruiert werden. Es dokumentiert sich ein Fokus auf sexistische Machtverhältnisse sowie die Kategorie ›Frau‹; weitere Machtverhältnisse zeigen sich als zusätzliche Faktoren, die bestimmte Frauen betreffen können. Die Kategorie ›Frau‹ stellt sich somit u.a. als raceless und im Allgemeinen unabhängig von weiteren Differenzverhältnissen dar. Diese Konzeptualisierung dokumentiert sich für die Praxis als Strategie um insbesondere sexualisierte Gewalt als kollektives Problem hervorzuheben, von dem alle Frauen betroffen sind. Außerdem stellt sich die Umsetzung, aufgrund von Konflikten mit anderen feministischen Strömungen, mit Herausforderungen konfrontiert. Der zentrale Fokus auf die Kategorie ›Frau‹ dokumentiert sich dabei als unverändert, weshalb sich eine Deckungsgleichheit zwischen Konzeptualisierung und Umsetzung im Umgang mit Differenzen zwischen Frauen dokumentiert. Dieses rekonstruierte Verhältnis führt zu der Bezeichnung Gruppe Passung.
Vorstellung der Gruppe Der Zugang zur Gruppe Passung verlief über die Verbreitung meines Aufrufs über einen feministischen E-Mail-Verteiler, woraufhin die Gruppe ihr Interesse an einer Teilnahme signalisierte. Ihre Motivation für die Teilnahme erklärten sie damit, dass in meiner Anfrage das Stichwort ›zweite Frauenbewegung‹ auftauchte und sie dazu einen positiven Bezug hätten.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Gruppe Passung setzt sich aus den vier Mitgliedern (Elisabeth, Kristina, Miri und Birte) einer sich als feministisch bezeichnende Gruppe zusammen. Der Fokus ihrer Arbeit liegt laut Selbstverständnis auf Frauenpolitik, Geschichte von Frauen und FrauenLesbenbewegungen. In einer deutschen Großstadt (Stadt Y) organisieren sie gemeinsam regelmäßig Kneipen in einem linken Veranstaltungsort. Die Kneipe veranstaltet die Gruppe in Eigenregie und versteht sie als unkommerziell: Sie finanzieren sich rein über Spenden und Soliveranstaltungen4; die Mitglieder erhalten selbst keine finanzielle Entlohnung für diese Tätigkeit. Im Rahmen der Kneipe organisiert die Gruppe verschiedenste Veranstaltungen. Dabei reicht ihr Programm von kulturellen bis zu politischen Events. Es werden Filme gezeigt, Partys und Konzerte veranstaltet, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen abgehalten. Unter anderem führte die Gruppe in diesem Rahmen Erzählcafés mit Frauen aus der zweiten Frauenbewegung durch. Weitere Veranstaltungen der Gruppe erstrecken sich thematisch von Partisaninnen während des 2. Weltkriegs, dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, reproduktive Selbstbestimmung sowie Ansätze italienischer Feminismen über die Vorstellung einzelner Autorinnen oder Theoretikerinnen. Die Veranstaltungen der Gruppe sind offen für Frauen, FrauenLesben und Trans. Elisabeth, Kristina und Miri bezeichnen sich während der Diskussion als lesbisch. Alle sind in einem ähnlichen Alter zwischen Ende 20 und Mitte 30 und seit ein paar Jahren fertig mit ihrem Studium. Kristina und Birte waren bereits zuvor in Stadt X zusammen in einer feministischen Gruppe aktiv. Auch Elisabeth hat zuvor in Stadt X gewohnt. Miri hingegen kommt nicht aus Stadt X und kannte auch zuvor niemanden aus der Gruppe.
Diskussionsverlauf und Atmosphäre Die Diskussion über 2 Stunden und 2 Minuten fand im Mai 2016 statt. Der selbstgewählte Ort der Diskussion war eine Privatwohnung einer Teilnehmerin in Stadt Y. Teile der Gruppe wurden dabei auch auf Video aufgezeichnet, dieses Material diente lediglich der Unterstützung der Transkription und war nicht Teil der Auswertung.
4
Diese Abkürzung steht für ›Solidaritätsveranstaltungen‹. Diese sind in der linken Szene ein weitverbreitetes Veranstaltungsformat um Geld für bestimmte Gruppen oder Zwecke zu sammeln.
7. Zwischen Theorie und Praxis
Die Diskussion gestaltet sich sehr selbstläufig. Nach dem Einstiegsstimulus diskutieren die Teilnehmerinnen ohne weitere Nachfragen 58 Minuten lang. Zunächst besprechen sie die Anfangszeit der Gruppe und ihre ersten Aktivitäten. Bei dieser Aushandlung des Gründungsnarrativs orientiert sich die Aufteilung der Redebeiträge nach der Länge der Teilnahme, sprich den Personen (Elisabeth und Kristina), die am längsten dabei sind, kommt die Aufgabe zu, die Entstehungsgeschichte zu erzählen. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass Stadt X eine besondere Rolle für die Gruppe darstellt und Elisabeth, Kristina und Birte von dort nach Stadt Y gezogen sind. Nach 23 Minuten fängt zum ersten Mal Miri an mehr mitzusprechen. Sie ist als letzte Person zur Gruppe gestoßen und erklärt ihren Zugang zur Gruppe u.a. mit der Enttäuschung über die queerfeministische Szene. Nach einer längeren Phase der alleinigen Erzählung von Miri über ihren feministischen Zugang geht die Gruppe dazu über zu erörtern, wieso ihre Kneipe, im Gegensatz zu vielen anderen FLTI-Kneipenteams, überlebt hat. Dabei tauschen sie sich auch über den wertschätzenden Umgang untereinander aus. Diese Betonung eines angenehmen Umgangs miteinander auf metakommunikativer Ebene spiegelt sich auch in der Diskursorganisation wider. Diese ist durch einen inkludierenden Modus geprägt. Wenn unterschiedliche Orientierungsgehalte aufgeworfen werden, werden diese nach längeren Ausführungen letztlich in Konklusionen zusammengeführt. Die Verteilung der Redebeiträge verteilt sich bis auf die ersten 20 Minuten, in denen Miri kaum spricht, in der restlichen Diskussion relativ ausgeglichen zwischen den vier Teilnehmerinnen. Interaktive Passagen finden sich vor allem bei Auseinandersetzungen und Abgrenzungen zu anderen feministischen Strömungen, diese werden als »Queerfeminismus« »jüngere« Feministinnen oder als »Szene« bezeichnet. Dabei zeigt sich besonders deutlich der geteilte Erfahrungsraum der Gruppe. Stichwörter von Erlebnissen reichen meist aus, dass sich die ganze Gruppe mit Humor und viel Lachen über Auseinandersetzungen mit anderen feministischen Strömungen verständigt. Die zweite Frauenbewegung wird in diesem Zusammenhang immer wieder als positives Ideal angeführt, ohne dass die Gruppe ins Detail geht, wen oder was sie mit zweiter Frauenbewegung genau meint. Über meine letzte Aussagefrage entfaltet sich eine längere Diskussion über 10 Minuten. Der Diskurs verläuft dabei zwischen den einzelnen Teilnehmerinnen, aber auch bei den einzelnen Teilnehmerinnen selbst antithetisch. Es bewegt sich hin und her zwischen der These ›Frauen erleben alle ähnliche Diskriminierungen bzw. haben eine bestimmte benachteiligende Position in der Gesellschaft‹ und der Antithese ›es gibt aber auch Unterschiede zwischen Frauen‹.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Dieser Verlauf spielt sich anhand unterschiedlicher Beispiele und Themen immer wieder neu ab und endet in der Synthese, dass Frauen neben Sexismus zusätzlich andere Diskriminierungsformen erleben. Zu betonen ist dabei, dass These und Antithese nicht notwendigerweise auf verschiedene Sprecherinnen verteilt sind, sondern beide jeweils auch in den Redebeiträgen der einzelnen Sprecherinnen vorhanden sind. Dies zeigt zum einen die geteilte Orientierung der Gruppe, zum anderen aber auch, dass die Frage nach Gemeinsamkeiten bzw. Differenzen zwischen Frauen als sehr komplexes Thema verhandelt und durch die Sprecherinnen mit einem hohen Maß an Reflexivität, einander und dem Thema gegenüber, behandelt wird. Während der Diskussion erwähnt die Gruppe, ohne dass ich darauf eingehe, dass sie gerne wissen würden, wie ich mich feministisch verorte und ob ich mich wohl einer Strömung zuordne, von der sie sich abgrenzen. Im Anschluss an die Diskussion merkt die Gruppe an, wie gut sie es finden, die Zeit zu haben, sich intensiv auszutauschen, und dass die Diskussion dafür eine gute Gelegenheit war. Es entfaltet sich noch ein längeres Gespräch mit der Gruppe zum Thema eines erstarkenden ›Rechtsrucks‹ und Möglichkeiten, diesem entgegen treten zu können. Daneben diskutiere ich noch länger mit Miri über Alice Schwarzer und die EMMA, die auch während der Diskussion erwähnt werden. Miri kritisiert, dass Schwarzer häufig ohne intensive Auseinandersetzung von Feministinnen kritisiert und abgelehnt werde, woraufhin ich auf meine intensive Beschäftigung mit der Zeitschrift EMMA und die dabei herausgearbeitete diskriminierende Darstellung von muslimischen Frauen in der EMMA verweise. Es wird deutlich, dass wir diesbezüglich unterschiedliche Meinungen vertreten. Dabei bleibt das Gespräch wertschätzend und ca. 1 Stunde nach der Diskussion verabschiede ich mich von den Teilnehmerinnen.
Die zweite Frauenbewegung als feministisches Ideal Bereits direkt nach dem Einstiegsstimulus zeigt sich der feministische Anspruch der Gruppe, der sich allein mit der Durchführung von Frauenkneipen noch nicht als gegeben rekonstruieren lässt: Elisabeth: und genau und wir hatten ne ganze weile einfach nur so Kneipe wo wir nichts gemacht haben oder einfach nur so Birte: └es hatte schon immer irgendnen Thema Kristina: └ja es hatte schon immer n Thema Birte: └aber keine
7. Zwischen Theorie und Praxis
Elisabeth: └ja? Birte: └ja:; Kristina: └aber es war eher so irgendwie Birte: └Klamottentauschparty Kristina: └ja mehr so spielerisch oder so └ja okay Elisabeth: Birte: └Tablequiz Elisabeth: └ja ja stimmt Themen hatten wir Birte: └ja Elisabeth: └von Anfang an aber=s waren genau nich so explizit feministische Themen auch ne? es war eher so=n Frauenkneipe, (GD Passung Passage ›Entstehung und Entwicklung‹ 05:37-05:58) Die Gruppenentstehung wird hier als Prozess beschrieben, der sich von informellen Tätigkeiten, die keine explizit feministischen Themen transportieren, hin zu einer Organisationsform entwickelt, die auch feministische Themen nach außen trägt. Es wird eine Trennung zwischen Frauenkneipe und explizitem feministischem Anspruch vorgenommen. Allein das Zusammenkommen von Frauen erweist sich folglich noch nicht als ausreichend, um einem politischen feministischen Anspruch zu genügen. Dafür benötigt es feministische Themen, die auch als solche zu erkennen sind. Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass dieser feministische Anspruch und der Feminismus, an dem sich die Gruppe orientiert, die zweite Frauenbewegung als positives Ideal, welches es anzustreben gilt, beinhaltet. Die Anerkennung der zweiten Frauenbewegung wird zudem mit Stadt X verknüpft, aus dessen »Spirit« die Gruppe entstanden ist. Im Gegensatz dazu wird ein Queerfeminismus als negativer Gegenhorizont aufgespannt: Elisabeth: […] und dann war des aber irgendwie so=n Spirit wo wir dann irgendwie Bock hatten diesen Geist aus Stadt X? oder des weil wir da auch alle: irgendwie bei so Feministinnen studiert haben; und so des irgendwie hier so: (1) zu machen also auch mit diesem:: ja an- ei=irgendwie auch so=n queer kritischen Ansatz oder zumindest auch mit eher mit so ner noch so= ner Verbundenheit zur zweiten Frauenbewegung auch und den den Ideen oder Themen die da verhandelt wurden genau und dann war das erstmal für mich auch so=n bißchen jetzt
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Intersektionalität in feministischer Praxis
nicht ºtota::lº ganz neu, aber schon so=n bisschen die Irri-tation mit welcher Vehemenz die zweite Frauenbewegung hier abgewertet wurde also das war in Stadt X auf jeden Fall? hab ich so=n Eindruck nich so krass also Birte: └nee (GD Passung Passage ›Verortung‹ 11:04-11:45) Was diese zweite Frauenbewegung für die Gruppe ausmacht, wird hier nur angedeutet mit »Ideen« und »Themen«. Es verdeutlicht sich, dass es innerhalb der Gruppe dahingehend keiner größeren Erklärungen bedarf, sondern es einen geteilten Erfahrungsraum gibt, was mit zweiter Frauenbewegung gemeint ist. Es dokumentiert sich zudem die Existenz größerer Auseinandersetzungen der Gruppe mit anderen feministischen Strömungen in Stadt Y, die in direkten Zusammenhang zu ihrer Orientierung an der zweiten Frauenbewegung gesetzt werden. Diesen Auseinandersetzungen wird eine gewisse »Vehemenz« zugeschrieben. Der positive Bezug auf und die Orientierung an der zweiten Frauenbewegung zieht sich beständig durch die gesamte Diskussion und ist dabei immer verbunden mit einer gleichzeitigen Abgrenzung zu einem Queerfeminismus, was in homologer Weise anhand verschiedener Themen immer wieder neu abgehandelt wird. So gelten die Frauen der zweiten Frauenbewegungen zum Beispiel auch als diejenigen, die auch heute noch Veränderungen bewirken, im Gegensatz zu den »jungen Frauen«: Elisabeth: aber genau also grade auch bei diesem zu diesem Thema Gewalt gegen Frauen (find=ichs) n gutes Beispiel also jetzt Reformierung vo- von Sexualstrafrecht oder halt auch was weiß ich Problematisierung von zu wenig Frauenhausplätzen. das läuft halt alles auf so institutioneller Ebene oder Frauen ne? die gut vernetzt sind organisieren sich in Arbeitsgruppen in Gremien und schieben so Veränderung an und die schaffen Kristina: └ºmhmº Elisabeth: └auch Veränderungen ?: └ºmhmº Elisabeth: └dadurch also das ist dann auch Birte: └ja Elisabeth: └nich so populär kriegen nicht so viele mit aber es sind auch die Frauen der zweiten Frauenbewegung die das machen und nich
7. Zwischen Theorie und Praxis
Miri: Elisabeth: Miri: me:
└(ºjaº) └die jungen Frauen. └mhm. └ja (GD Passung Passage ›Widerständige Praxen‹ 01:25:00-01:25:31)
Dieser Ausschnitt verdeutlicht die Einigkeit innerhalb der Gruppe hinsichtlich des positiven Horizonts der zweiten Frauenbewegung und den bis heute aktiven Frauen aus dieser Bewegung. Sie gelten als Ideal, an denen es sich zu orientieren gilt. Dabei wird eine Praxis angestrebt, die tatsächliche Veränderungen bewirkt, ungeachtet dessen, wie viele Menschen dies mitbekommen. Allein das Resultat der Veränderung zählt. Dabei werden die Frauen dieser Bewegung in den Kontext von einer Arbeit in Institutionen gestellt, was positiv bewertet wird und sich als Faktor der Effektivität darstellt. Dies wird abgegrenzt von »jungen Frauen«, die diese Veränderung nicht erreichen würden. Darin dokumentiert sich eine Verknüpfung von Alter und bestimmten feministischen Strömungen. Diese Verknüpfung von Alter und feministischer Strömung zeigt sich in homologer Weise an verschieden Stellen der Diskussion. Dabei hebt sich ein »Queerfeminismus« verbunden mit »jungen Frauen« hervor und »ältere Frauen« mit der zweiten Frauenbewegung. Dies illustriert auch die Erzählungen bezüglich der Zusammensetzung des Publikums der besagten Kneipe: Kristina: […] und am Anfang kam auch anderes Publikum zu uns also viel stärker so (1) queere Leute und Birte: └jüngere Kristina: └und jüngere, und eher aus=dieser queerfeministischen Szene und jetzt würd ich sagen vielmehr irgendwie: ºältere Frauenº und ºmehr so auch an nem anderen Feminismus orientiert würd ich sagenº Elisabeth: ja (das) stimmt […] (GD Passung Passage ›Verortung‹ 09:50-10:13) Es dokumentiert sich hier, dass von einem Generationenkonflikt von verschiedenen feministischen Strömungen ausgegangen wird, wobei sich Generation als untrennbar von der Kategorie Alter darstellt. Dass die Gruppe folglich als Ausnahme gelten muss, da sie sich entgegen ihrem eigenen Alter nicht an einem Queerfeminismus orientiert, findet seinen eindrücklichen Ausdruck in folgendem Ausspruch:
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Elisabeth: wir sind in der falschen Generation @geboren@ @(.)@ Miri: └sehen wir auch @(oft ja)@ @(.)@ me: └@(.)@ (GD Passung Passage ›Generationenkonflikt‹ 01:28:07-01:28:11) Sich in diesem Generationenkonflikt vermeintlich nicht konform zu verhalten erweist sich als Herausforderung, aber auch als identitätsstiftend für die Gruppe: Kristina: aber eigentlich is es halt schon glaub=ich n krasses Thema auch von uns. @dass wir@5 Miri: @(.)@ Kristina: uns äh sehr stark halt von den von unser Generation:: Miri: @verloren fühlen@ Kristina: └@(.)@ Miri: └@(.)@ Kristina: Queerfeministinnen abgrenzen irgendwie also=is schon irgendwie auch=n auch was total verbindendes @für uns@ glaub ich (GD Passung Passage ›Generationenkonflikt‹ 01:28:21-01:28:39) In der Art und Weise der Kommunikation der Teilnehmerinnen spiegelt sich eine Strategie des Humors wider, die in der Auseinandersetzung mit einem als schwierig dargestellten Verhältnis mit einem »Queerfeminismus« praktiziert wird. Dies zeigt das viele Lachen bzw. die lachend ausgesprochenen Wörter. Diese Art der Kommunikation lässt sich an einigen Stellen auch als Mittel rekonstruieren, um Annahmen der »jungen Frauen« als unzureichend oder absurd darzustellen. Dies illustriert die Erzählung über Reaktionen auf ein von ihnen organisiertes Erzählcafé mit Frauen aus den 80er Jahren, bei dem auch das Thema Rassismus angesprochen wird:
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Die umschließenden @-Zeichen stehen für lachend gesprochene Äußerungen, während @(.)@ für kurzes Auflachen steht und @(3)@ für längeres Lachen mit Anzahl der Sekunden in Klammern. Vgl. Transkriptionsregeln im Anhang.
7. Zwischen Theorie und Praxis
Elisabeth: so ganz junge Frauen die dann auch irgendwie so völlig erstaunt waren so ach damit habt ihr euch auch? schon beschäftigt? @(.)@ Birte: └die halt Elisabeth: └so @Rassismus kennt ihr auch@ Kristina: └ach so es ging ja auch um Rassismus ne, Elisabeth: └@(.)@ Birte: └ja genau um Rassismus und die die haltorginal ich habs halt auch studiert die orginal Elisabeth: └@(.)@ Birte: └halt an der [Name Uni] Gender Studies studieren und und denen irgendwie eingetrichtert wurde dass @die alten Feministinnen alle ganz furchtbar rassistisch@ waren @(.)@ also ich habs jetzt überspitzt gesagt aber die tatsächlich also die eine hatte so=ne Wortmeldung dass sie sagte also im Studium hatte ich den Eindruck dass die alten Feministinnen das überhaupt nicht dass die irgendwie das war (ganz schlecht) ?: └@(.)@ Birte: └und jetzt hör ich da dass ihr da ganz viel auch gemacht habt und dass da irgendwie also ganz viel tolle Sachen auch passiert sind (hab ich den Eindruck) @(.)@ @genau@ (GD Passung Passage ›Erzählcafés‹ 18:32-19:10) Hierin wird deutlich, dass die Gruppe ein selbstverständliches Wissen über die kritische Auseinandersetzung der zweiten Frauenbewegung mit Rassismus teilt. Sie machen sich darüber lustig, dass die jüngere Generation von Feministinnen dies nicht weiß. Sie grenzen sich deutlich ab von einer Darstellung der zweiten Frauenbewegung als durchweg rassistisch, die in einen bestimmten Studiengang an der Universität (»Gender Studies«) verortet wird. Eine intensivere Erläuterung der Auseinandersetzung der zweiten Frauenbewegung mit Rassismus wird dabei nicht vorgenommen. Diese Erzählung dokumentiert vielmehr die Abgrenzung gegenüber »jungen« Feministinnen in einem Generationenkonflikt. All diese Ausschnitte verdeutlichen, dass eine Definition, was die zweite Frauenbewegung für die Gruppe ausmacht, immer über eine gleichzeitige Abgrenzung von einem aktuellen Feminismus, der meist als Queerfeminismus bezeichnet wird, funktioniert. Der zweiten Frauenbewegung wird all das zugeschrieben, was der Queerfeminismus nicht ist, nicht macht und nicht erreicht.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Damit lässt sich für die Gruppe eine Idealisierung der zweiten Frauenbewegung rekonstruieren, die als Vorbild und vor allem als Abgrenzung zu anderen Formen von feministischen Bewegungen und Feminismen dient, ohne dass es nötig wird, explizit auszuformulieren, wer oder was unter zweiter Frauenbewegung verstanden wird.
Additive Konzeptualisierung von Differenzen Im Anschluss an meine letzte Aussagefrage hebt sich ein additives Verständnis von Differenzen zwischen Frauen besonders deutlich hervor. Mit dieser Konzeptualisierung können die These ›Frauen erleben alle geschlechtsspezifische Diskriminierung‹ und die Antithese ›es gibt Unterschiede der Diskriminierungserfahrungen von Frauen‹ zusammengebracht werden. Gleich zu Beginn der Passage werden diese These und Antithese jeweils von Miri und Birte aufgeworfen: Miri: ich glaub ja sie machen grundlegend ähnliche Erfahrungen aber nicht alle die gleichen ne so. also grundlegend die Erfahrung (1) als Frau @diskriminiert zu sein@ glaub ich schon und dann halt noch zusätzlich andere Erfahrungen. Birte: ich würd sagen das stimmt nicht also ich würd sagen des des alle Frauen aufgrund ihres Frauseins ne bestimmte Position haben. Miri: └mhm Birte: └und bestimmte Erfahrungen machen. aber ich glaube dass das meine Erfahrung also ist halt auch die Frage wie man Diskriminierung @(.)@ Miri: └mhm Birte: └also wie man Diskriminierung aus- füllt, also wenn man irgendwie sagt alle Frauen machen b- bestimmte Erfahrungen im Geschlechterverhältnis würd ich sagen ja das stimmt. aber wenn=s jetzt um Diskriminierung geht also wer welchen Zugang wozu hat und wer irgendwie wo teilhat und wer nich. glaub ich dass man n- nich sagen kann dass alle Frauen also des (1) ich ne ganz andere ganz andere Erfahrung mach als (1) e:ine Näherin in einem chinesischen @illegalen@ @Nähwerk@ also des is so ja. (2) Miri: ja aber so meinte ich des auch glaub […] (GD Passung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:50:50-01:52:01)
7. Zwischen Theorie und Praxis
In Miris Bejahung der angeführten Aussage zeigt sich die Kontrastierung zwischen ähnlichen und gleichen Erfahrungen. Sie wirft auf, dass alle Frauen die Erfahrung machen als Frau diskriminiert zu sein. Dass dies etwas Fundamentales darstellt, dokumentiert sich in der mehrmaligen Verwendung des Wortes »grundlegend«. Auch die Verwendung der Zustandsbeschreibung als Frau diskriminiert »zu sein« und die lachende Aussprache von »@diskriminiert zu sein@« verdeutlicht, dass diese Diskriminierung von Frauen als Frau als selbstverständlich gilt. Zu dieser grundlegenden Erfahrung würden aber noch »zusätzlich andere« Erfahrungen dazu kommen. Das Wort »zusätzlich« deutet bereits auf ein additives Verständnis von Differenzen zwischen Frauen hin. Birte hingegen widerspricht zunächst dieser These explizit und wirft die Antithese auf, dass Frauen auf strukturelle Ebene eine bestimmte »Position« im »Geschlechterverhältnis« innehaben, was mit spezifischen »Erfahrungen« einher geht, aber in Bezug auf Diskriminierung allgemein von Frauen unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden. In ihrem Beispiel dokumentiert sich, dass Differenzkategorien wie Nationalität und Klasse bei diesen unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen von Frauen von Bedeutung sind. In welchem Verhältnis diese Ungleichheitsverhältnisse und Differenzkategorien zueinanderstehen, zeigt sich hier jedoch noch nicht. Im weiteren Verlauf führt Birte nochmals ihren Widerspruch aus und betont dabei erneut die zwei Orientierungsgehalte, die in scheinbarem Widerspruch stehen, betont aber auch, dass die »Frauenfeindlichkeit« unabhängig ist von den Unterschieden zwischen Frauen: Birte: […] also natürlich is is die Frauenfeindlichkeit d- die gleiche und und alle Frauen begegnen der. und auch zumindest teilweise glaub ich in in sehr ähnlichen Formen wie irgendwie mal hinterhergepfiffen kriegen oder auf=n Po klapso. (1) aber ich glaube schon dass auch die d- die Ressourcen die man hat wie man damit umgehen kann, (3) oder oder d- die Mauern die man aufbaut @um=es von sich@ wegzuhalten dass die schon sehr stark auf auf Unterschieden aufbauen ?: └mhm Birte: └einfach und ich musste also so und (1) dass es da glaub ich äh (1) ich weiß nich wie ich=s besser erklären soll aber dass sich da irgendwie die dass sich das ich schon glaube dass dass Frauen das sehr sehr unterschiedlich erleben. dass dass ?: └mhm
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Birte: └die Strukturen die gleichen sind und so aber dass es dass es für Frauen k- sich komplett unterschiedlich anfühlen kann auch ºich weiß nich ob komplettº aber dass des Miri: └naja aber Birte: └und ich will jetzt gar nich die Unterschiede betonen mir gehts nicht darum zu sagen alle sind vereinzelt. darum gehts mir gar nich aber ich aber ich irgendwie war mein erster Impuls zu sagen nee ich ich ich glaube schon dass ich dass andere Frauen Diskriminier-=erl- Diskriminierung erleben die ich nich erlebe oder andersrum (1) so. (GD Passung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:55:45-01:57:00) In den Ausführungen von Birte spiegelt sich wider, dass ein starkes Betonen von Differenzen zwischen Frauen innerhalb der Gruppe als negativer Gegenhorizont gilt. Das zeigt sich zum einen daran, dass sie ihren Widerspruch mit einer ausführlichen Bestätigung der Gemeinsamkeiten von Frauen aufgrund von frauenfeindlichen Strukturen beginnt. Und zum anderen darin, dass sie sich danach explizit von der Betonung von Differenzen zwischen Frauen abgrenzt (»und ich will jetzt gar nich die Unterschiede betonen«). Es hebt hervor, dass ihre Argumente nicht in Richtung dieser Betonung von Differenzen verstanden werden sollen. Es lässt sich zudem rekonstruieren, wieso eine Betonung von Unterschieden einen negativen Gegenhorizont darstellt, denn diese Betonung von Differenzen zwischen Frauen wird in den Zusammenhang mit der Vereinzelung von Frauen (»alle sind vereinzelt.«) gestellt. In der Hervorhebung der Existenz von Diskriminierungserfahrungen von Frauen, die sie selbst nicht erlebt, zeigt sich eine Reflexion der eigenen Privilegierung. Insgesamt dokumentiert sich hier ein gewisses Spannungsfeld zwischen der Betonung der Gemeinsamkeiten von Diskriminierungserfahrungen von Frauen und Differenzen andererseits. Eine Auflösung dieses Spannungsfeld bietet im Folgenden ein additives Verhältnis dieser anderen Diskriminierungserfahrungen an, welches Miri mehrmals auf ähnliche Weise als Synthesevorschlag formuliert: Miri: na ich würd nochmal differenzieren ob da verschiedene Faktoren bei manchen noch dazu kommen wie zum Beispiel auch von Rassismus oder Homopho-
7. Zwischen Theorie und Praxis
bie noch zusätzlich betroffen sind oder jetzt aber ich glaub so grundlegend von Sexismus schon alle […] (GD Passung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:57:02-01:57:13) Hier dokumentiert sich das Zusammenbringen der These und Antithese in einem additiven Modell von Diskriminierungsstrukturen, dessen Grundlage die gemeinsame Betroffenheit von Frauen von Sexismus darstellt. Bei bestimmten Frauen kommen dann, wie bei einer Addition, zusätzliche Faktoren hinzu. Dies zeigt sich insbesondere durch die Verwendung der Wörter »zusätzlich« »dazu« und dem Verweis auf Sexismus als »grundlegend«. Sexismus rekonstruiert sich folglich als das Fundament für die Diskriminierungserfahrungen von Frauen, auf das andere Unterdrückungsverhältnisse aufbauen. Dies zeigt sich erneut am Ende der Passage und stellt die Synthese zwischen These und Antithese zu Beginn der Passage dar. Dass es sich um eine echte Konklusion in Form einer Synthese handelt, verdeutlichen die Validierungen von Birte: Miri: […] ja also insofern glaub ich sie machen schon alle ähnliche Erfahrungen. aber sie machen nich alle die gleichen. also (1) aber a- aus ihrer Position als Frau schon ähnlich, ä- oder vergleichbar auf gewisse Arten aber halt nicht alle die gleichen weil manche haben noch andere Probleme also Klassenunterschiede was weiß ich was alles so Birte: ich glaub das is zum Beispiel voll der Punkt. Miri: └Migrant oder nicht m- das meint ich Birte: └ja Miri: └ja aber so als Frau glaub ich Birte: └ja Miri: └schon auch in ihren eigenen je- Communities oder Kulturen Birte: ja (GD Passung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:59:27-01:59:49) Es dokumentiert sich folglich eine Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen, die Sedef Gümen (1999) folgendermaßen erläutert:
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»Ausgehend von einer Rangordnung verschiedener Diskriminierungsformen bzw. Ungleichheiten werden die sogenannten Sonderformen der Geschlechterungleichheit (z.B. ihre rassistische Ausprägung) zu einer abhängigen Variable des Grundlegenden (Sexismus).« (Gümen 1999: 224) Dabei identifiziert Gümen Formulierungen und Dichotomien, die bezeichnend sind für diese »Erhebung der (zentrierten) Geschlechterungleichheit zum Strukturrahmen bei gleichzeitiger Bezeichnung der anderen (marginalisierten) Ungleichheiten als empirische Ausnahmefälle« wie »besonders/allgemein« »marginal/grundlegend« »einzelne Probleme/strukturelle Gründe« (Gümen 1999: 224). Dahingehend können auch folgende häufigen Formulierungen aus den bereits zitierten Transkriptausschnitten als Basis einer Dichotomie interpretiert werden: »als Frau« »grundlegend«, »die Strukturen die gleichen sind« im Gegensatz zu »andere Probleme«, »zusätzlich«, »dazu kommen«, »manche«. Darin spiegelt sich nach Gümen wider, dass die Erfahrungen bestimmter Frauen (insbesondere weißer Frauen) als allgemeingültig verstanden werden und ihnen die spezifischen Erfahrungen anderer Frauen (z.B. Migrantinnen) gegenüberstehen (Gümen 1999: 223f.). Die Kategorie ›Frau‹ und die Erfahrungen von Sexismus erweisen sich somit als unabhängig von u.a. race oder Klasse.
Passungen in der Umsetzung Bezüglich der Möglichkeiten der Umsetzung dieser rekonstruierten Konzeptualisierung zeigt sich, dass diese insbesondere dazu dient, geteilte Erfahrung von Frauen bezüglich sexistischer Diskriminierung hervorzuheben: Elisabeth: und ich mein des geht=sie vielleicht unterschiedlich nah an. manche sind dem mehr ausgeliefert oder ausgesetzt als andere oder so, aber ich meine alle ham schon frauenfeindliche Witze gehört und warMiri: └mhm Elisabeth: └waren in=ner Situation wo sie nichts darauf erwidern konnten oder wo sie alleine war. oder so oder genau wir waren letztens auf so=nem Vortrag zum Sexualstrafrecht die Anwältin für Sexualstrafrecht die hat gesagt gibt so Statistiken neunzig Prozent der Frauen haben schonmal sexuelle Übergriffe erlebt. (1) sie würde sagen es sind eigentlich hundert Prozent. also sie kennt eigentlich keine die=s noch nich erlebt hat. seis in Beziehungen oder äh einfach ne auf=n Arsch gefasst oder irgendwie so also dass so=ne Erfahrung auch schon alle Frauen machen. also dass da keine Frau unbeschadet d- durch diese Welt geht sozusagen
7. Zwischen Theorie und Praxis
Miri: Elisabeth: würd ich schon sagen. Kristina: ja Birte: mhm Miri: └als Frau ja
└mhm
(GD Passung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:52:24-01:53:14) Hier dokumentiert sich die Strategie, sexualisierte Gewalt nicht als Einzelschicksal, sondern vielmehr als Ausdruck struktureller Machtverhältnisse zu fassen und damit als Problem, welches Frauen als Kollektiv betrifft. Diese kollektiven Erfahrungen lassen sich dabei als losgelöst von anderen Machtverhältnissen rekonstruieren, denn Frauen machen sie davon unabhängig und ausschließlich aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit (»als Frau ja«). Kimberlé Crenshaw (1991) fasst solch eine Vorgehensweise unter »identity politics« und problematisiert die Vernachlässigung von Differenzen innerhalb solch eines konstruierten Kollektivs ›Frauen‹: »The problem with identity politics is […] that it frequently conflates or ignores intragroup differences. In the context of violence against women, this elision of difference in identity politics is problematic, fundamentally because the violence that many women experience is often shaped by other dimensions of their identities, such as race and class. Moreover, ignoring difference within groups contributes to tension among groups, another problem of identity politics that bears on efforts to politicize violence against women.« (Crenshaw 1991: 1242) Dieser Effekt, zu Spannungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen beizutragen, lässt sich in Bezug auf sexualisierter Gewalt bei Gruppe Passung besonders in der Art und Weise, wie über das Ereignis Köln gesprochen wird, rekonstruieren. Darauf kommt Miri im Kontext der Hervorhebung, der aktuellen Leistung von Frauen der zweiten Frauenbewegung, zu sprechen: Miri: na klar. also radikal sind die Älteren die bei ihren Themen bleiben und sagen also auch selbst wenns (jetzt) irgendwie im Kontext von Mi- gration oder Rassismus wie bei Köln is also Schwarzer wird ja auch dafür total angegriffen muss es trotzdem grundlegend darum gehen; (ne,) Gewalt gegen Frauen zu thematisieren und dagegen vorzugehen. das=is eigentlich schon radikal. wie @(ihr schon sagt)@ Schwarzer selbst ja auch schon so=ne Institution is so @(.)@
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ne viel gehasste unter den jüngeren Feministinnen. (2) also so=im eigentlichen Sinn ja schon fast äh radikal dabei zu bleiben und so für Frauen Partei zu ergreifen. ºweil sie auch so von verschiedenen (Sachen) angegriffen wirdº (5) Elisabeth: ja und halt wirklich äh da ansetzen die realen Verhältnisse von Frauen zu verändern. (1) […] (GD Passung Passage ›Widerständige Praxen‹ 01:27:01-01:28:00) Die herausgearbeitete Konzeptualisierung, bei der die Geschlechterdifferenz im Vordergrund steht, dokumentiert sich hier als notwendige Herangehensweise, um auch in Auseinandersetzung mit anderen Diskriminierungsformen »Gewalt gegen Frauen« »thematisieren« zu können. Der Begriff »Köln« erweist sich aufgrund seiner selbstverständlichen Verwendung, die ohne Erklärung auskommt, als »Signatur«, wie es Sabine Hark und Paula-Irene Villa bezeichnen (Hark, Villa 2017: 9). Wofür diese Signatur steht, führen sie dabei folgendermaßen aus: »Wer auf ›Köln‹ zu sprechen kommt, ruft ein mutmaßlich präzises, klar umrissenes Geschehen auf: massive sexualisierte Belästigung von Frauen in der Öffentlichkeit einer deutschen Großstadt. Ausgeübt von nicht-deutschen Männern, von Migranten oder Ausländern.« (Hark, Villa 2017: 9) »Köln« dokumentiert sich folglich hier als Synonym für sexistische Gewalt ausgehend von rassistisch markierten Männern. Eine Alice Schwarzer gilt dabei als positiver Horizont, die sich auch in dieser Konstellation, trotz jeglicher Kritik, auf diese als »grundlegend« gerahmte Diskriminierung von Frauen fokussiert. Es zeigt sich als unhinterfragt, für welche Frauen Schwarzer eigentlich genau »Partei« ergreift und es dokumentiert sich die Annahme allgemeingültiger Interessen und »Verhältnisse« von Frauen. Differenzen und Machtverhältnisse zwischen Frauen, die zu unterschiedlichen Interessen und Verhältnissen führen können, lassen sich dabei nicht rekonstruieren. Darin verdeutlicht sich auch, was Crenshaw eine »either/or« Herangehensweise in Bezug auf Identitäten nennt, entweder man ist Frau oder Person of Color (Crenshaw 1991: 1242). Im Ausschnitt oben bedeutet dies, entweder man ist in Bezug auf »Köln« von Sexismus betroffen oder von Rassismus. Gerade rassistisch markierte Frauen und ihre Erfahrungen zeigen sich somit als nicht repräsentiert. Die Kategorie ›Frau‹ erweist sich als raceless und feministische Strategien, die darauf basieren, laufen Gefahr Rassismus zu reproduzieren, wie Crenshaw betont:
7. Zwischen Theorie und Praxis
»The failure of feminism to interrogate race means that the resistance strategies of feminism will often replicate and reinforce the subordination of people of color […].« (Crenshaw 1991: 1252) Diese Fokussierung auf ein Kollektiv ›Frauen‹, welches sich unabhängig von Differenzen zwischen Frauen konstruiert, zeigt sich in der Umsetzung aber auch als konfliktbehaftet in Auseinandersetzungen mit anderen feministischen Strömungen und wird insbesondere in Bezug auf die Themen Trans und Rassismus während der Diskussion mehrmals behandelt. So zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der Frage nach Transinklusivität, wie der folgende Ausschnitt zeigt: Kristina: […] also ich hab auch damals in so=ner FLT WG gewohnt und da haben welche gewohnt die=n anderen Tresen hatten und da gabs immer so=n bisschen dann auch in wiefern wird auch Trans mitgedacht also=des waren immer so vieauch so so Auseinandersetzungen und wir uns da schon immer so abgegrenzt ham eher stärker von sondern eher diesen Fokus auf Frauenpolitik und eher auf Feminismus; @(.)@ zu- und so Geschichte von Frauen und auch so zweite Frauenbewegung unsren Bezug dazu, und weniger in so ner Genderpolitik verortet waren und da da war für mich auf jeden Fall dass ich immer so=n bisschen in dieser Konfliktsituation mit anderen Tresen auch war. und das auch so wahrgenommen hab. […] (GD Passung Passage ›Verortung‹ 09:10-09:47) Es lässt sich rekonstruieren, dass in den Auseinandersetzungen mit Fragen nach Differenzen die Fokussierung auf ein konstruiertes Kollektiv ›Frauen‹ jenseits von Differenzen nicht hinterfragt wird. Dies spiegelt sich darin wider, dass mehrmals in homologer Weise im Kontext von Auseinandersetzungen mit anderen feministischen Strömungen der eigene Fokus auf ein Kollektiv ›Frauen‹ in verschiedensten Formulierungsvariationen (»Frauenpolitik«, »Frauentradition« etc.) hervorgehoben wird, der sich abgrenzt von der »Identitätspolitik« der anderen: Miri: […] es gibt ja auch viel mit=dem Trans und queer Sachen @so@ die auch so potenzielle: ja Themen in Stadt Y sind die immer n=bisschen schwierig sind. und auch an die Gruppe herangetragen werden können. aber ich glaub vielleicht also trotz dessen ist der Umgang damit individuell verschieden=sich auch verschieden entwickelt hat bei den einzelnen ist vielleicht die Gruppe deswegen stabil
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ist weil sie halt trotzdem na auch schon auch dazu steht dass sie halt einfach ne gewisse Art von Politikverständnis hat. irgendwie die sich vielleicht vom Rest unterscheidet die sehr identitätspolitisch oder sehr sehr unsicher dadurch auch werden weil Identität ist auch was unsicheres und hier glaub ich eher so=n positiven Bezug einfach auf so=ne Frauentradition also auf so eine kämpferische Frauentradition ham. […] (GD Passung Passage ›Umgang mit Kritik‹ 35:36-36:14) Auseinandersetzungen, wer eigentlich zu diesem Kollektiv ›Frauen‹ gehört und ob z.B. Transfrauen dazu gehören, erweisen sich nicht als mögliche Handlungsoption. Dieses Kollektiv ›Frauen‹ stellt sich vielmehr als positiver Bezug für die Praxis der Gruppe dar, was sich in häufigen Formulierungen wie »positiven Bezug einfach auf so=ne Frauentradition also auf so eine kämpferische Frauentradition«, »Ort für Frauenpolitik und Frauengeschichte«, »positiver Bezug auf Frausein« dokumentiert. Für diesen empowernden Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ erweist sich keine Notwendigkeit sich mit Differenzen und Machtverhältnissen zwischen Frauen auseinanderzusetzen. Für diesen empowernden Effekt eines Kollektivs ›Frauen‹ lässt sich ein negativer Horizont der Verunsicherung anderer feministischer Gruppen rekonstruieren. Diese Verunsicherung zeigt sich als verbunden mit Identitätspolitik (»die sehr identitätspolitisch oder sehr sehr unsicher dadurch auch werden«). Es zeigt sich der Widerspruch, dass die Identität und das Kollektiv ›Frauen‹ sich einerseits als zentrale Orientierung der Gruppe darstellt und andererseits die Fokussierung auf Identitäten explizit abgelehnt wird. Die Identität ›Frau‹ dokumentiert sich somit als jenseits und unabhängig von anderen Identitäten. Sich zudem allein aufgrund von äußerem Zwang mit Differenzen zwischen Frauen auseinander zu setzen, stellt eine Praxis dar, von der sich die Gruppe abgrenzt. Dies lässt sich im Kontext der Erzählung über Auseinandersetzungen mit einem ehemaligen Gruppenmitglieder (Kira) und der Forderung, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen zu müssen, illustrieren: Birte: […] das Ding is ja nich das das wir sagen wir wollen uns nicht mit Schwarzen Frauen beschäftigen. das das Ding is is is irgendwie diese Art und Weise so Kira hatte ja selber gar kein Bock; Kristina: ºjaº me: @(1)@ Birte: └die hatte ja gar kein Bock me: └@(.)@
7. Zwischen Theorie und Praxis
Birte: └@diese Texte zu lesen@ Kristina: └ºjaº Birte: └hatte gar kein Bock des zu machen aber aber aber es war so wir müssen des jetzt ?: mhm Birte: └weil diese eine Frau hat gesagt wir sind rassistisch und deshalb müssen wir uns damit jetzt ganz schlimm damit auseinandersetzen; und wir müssen im Juli die Schwarze Frauenkneipe machen; so und=und des war kein des Thema interessiert mich dadrin mega, (…) (GD Passung Passage ›gemeinsames Politikverständnis‹ 40:32-41:04) Hier verdeutlicht sich die Ablehnung einer Praxis, die zwanghaft (»müssen«) die Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen Frauen einfordert. Demgegenüber wird eine Praxis angestrebt, die sich aus Interesse mit diesem Thema beschäftigt. Bei einer additiven Konzeptualisierung von Differenzen stellt sich jedoch die Frage, welches Interesse sich für weiße Frauen ergibt, sich z.B. mit Rassismus und Machtverhältnissen zwischen Frauen zu beschäftigen, wenn sich dies allein als Problem von anderen Frauen dokumentiert. Wenn die Kategorie ›Frau‹ unabhängig von anderen Ungleichheitsverhältnissen konzipiert wird, bleiben zum Beispiel weiße Privilegien unhinterfragt. Denn, wie Ruth Frankenberg herausstellt, zeichnen sich diese gerade dadurch aus, dass sie »wie männliche Privilegien […] eher als gegeben hingenommen als benannt« werden und »für ihre NutznießerInnen (…) eher unsichtbar als sichtbar« sind (Frankenberg 1996: 55). Erst eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Privilegien und deren Auswirkungen würde es möglich machen, sich mit der Frage zu beschäftigen, in welchem Zusammenhang die Kategorie ›Frau‹ mit z.B. race steht und auch weiße Frauen von Rassifizierungsprozessen betroffen sind, sowie ob es dahingehend Machtverhältnisse zwischen Frauen gibt. Letzteres wird auf expliziter Ebene in der Diskussion von Gruppe Passung durchaus anerkannt: Birte: w::- wir würden ja @alle@ unterschreiben @natürlich@ gibts unter Frauen Rassismus @Punkt@ @(.)@ […] (GD Passung Passage ›gemeinsames Politikverständnis‹ 41:11-41:14)
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Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Differenzen und Machtverhältnisse zwischen Frauen in der Diskussion mit Gruppe Passung auf expliziter Ebene anerkannt werden und in der impliziten Konzeptualisierung in einem additiven Verhältnis zu der zentralen Kategorie ›Frau‹ hinzugefügt werden. Die Kategorie ›Frau‹ erweist sich somit als unabhängig von weiteren Differenzkategorien, und Diskriminierungsformen jenseits von Sexismus stellen sich als das Problem anderer Frauen dar. Dabei wird vernachlässigt, dass Differenzkategorien einen Einfluss auf das ›Frau-sein‹ haben und dieses sich auf Grund dessen sehr unterschiedlich gestaltet. Die Möglichkeiten der Umsetzung dieser Konzeptualisierung lässt sich zum einen als notwendige Herangehensweise rekonstruieren, um gerade das Thema sexualisierte Gewalt als kollektive und nicht individuelle Erfahrung hervorzuheben. Dabei lassen sich Ähnlichkeiten zu den Ergebnissen der Untersuchung von Anja Weiß (2001) zu implizitem Rassismus bei anti-rassistischen bzw. feministischen Gruppe herstellen, wonach »eine verstärkte Reproduktion von Rassismen« zu beobachten ist »wenn Antirassismus in (scheinbaren) Konflikt mit anderen emanzipatorischen Bewegungen« gerät (Weiß 264). Dies zeigt sich in der Diskussion insbesondere bei der Besprechung von ›Köln‹, bei der sich ein scheinbarer Konflikt zwischen Anti-Sexismus und Anti-Rassismus dokumentieren lässt. Außerdem stellen sich die Möglichkeiten der Umsetzung eins additiven Verständnisses von Differenzen zwischen Frauen als konfliktbehaftet in der Auseinandersetzung mit anderen feministischen Strömungen und Akteurinnen dar. Dabei sind es gerade die Themen Rassismus und Transinklusivität, die eine zentrale Rolle in den Erzählungen über die Konflikte einnehmen. Diese Differenzen dokumentieren sich somit als besonders unter Spannung. Gleichzeitig verdeutlicht sich in den Auseinandersetzungen ein kontinuierlicher Bezug auf ein sich als homogen darstellendes Kollektiv ›Frauen‹. Insgesamt konnten in dieser Diskussion einige Aspekte der Kritik marginalisierter Frauen im Kontext der zweiten Frauenbewegungen, insbesondere die Exklusionen, die mit einer additiven Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen einhergehen, rekonstruiert werden (vgl. FeMigra 1995; Gümen 1999; King 1995 [1988]; hooks 2015 [1981]). Im gesamten Datenmaterial konnten aber auch intersektionale Konzeptualisierung bei feministischen Gruppen (die sich auch aus weißen Frauen zusammensetzen) rekonstruiert werden. Einige Herausforderungen und Möglichkei-
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ten, die sich dabei in der Umsetzung dokumentieren, werden in den folgenden zwei Kapiteln anhand zwei Diskussionen näher erörtert.
7.2 Intersektionale Konzeptualisierung (interkategorial) – Gruppe Anspruch Für die Diskussion mit Gruppe Anspruch kann ein intersektionales Verständnis von Differenzen zwischen Frauen rekonstruiert werden. Dieses zeichnet sich insbesondere durch die Anerkennung einer Gleichzeitigkeit von Unterdrückungsverhältnissen aus sowie einem Anspruch an feministische Zusammenhänge, unterschiedliche Erfahrungen von Frauen miteinzubeziehen. Die Möglichkeiten einer Umsetzung dieser Konzeptualisierung dokumentieren sich dabei für die Gruppe als nicht zufriedenstellend realisiert.
Vorstellung der Gruppe Mein Kontakt zur Gruppe Anspruch kam durch eine Bekannte zustande, die einen Workshop der Gruppe besuchte. Gruppe Anspruch umfasst vier Frauen (Marlene, Vanessa, Diana, Kathrin) einer feministisch antifaschistischen Gruppe, die in einem ostdeutschen Bundesland aktiv ist (Bundesland A) und sich als cis 6-Männer freier Raum beschreiben. Die einzelnen Gruppenmitglieder wohnen in zum Teil unterschiedlichen Städten in Bundesland A. Die Aktivitäten der Gruppe umfassen die Durchführung von Veranstaltungen zu den Themen Antifaschismus und Feminismus sowie Antifaschismus im ländlichen Raum. Des Weiteren führen sie Workshops zu u.a. Antifaschistischer Arbeit und Kritischer Männlichkeit durch und nehmen an Demonstrationen z.B. gegen Abtreibungsgegner*innen teil. Die Teilnehmerinnen geben an, alle noch in anderen linken, zumeist antifaschistischen Zusammenhängen aktiv zu sein. Gemeinsam ist den Teilnehmerinnen auch das Aufwachsen in Bundesland A. Zwei der Teilnehmerinnen bezeichnen sich im Laufe der Diskussion als lesbisch. In kritischer Reflexion bezeichnen
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Cis steht im Gegensatz zu Trans* für Geschlechtsidentitäten, bei denen Menschen sich mit dem ihnen bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren. Diese Vorsilbe wird verwendet, um die vermeintliche Selbstverständlichkeit bzw. Norm von Cis-Geschlechtlichkeit zu betonen (Franzen, Sauer 2010: 94).
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sich die Teilnehmerinnen als weiße cis-Frauen. Nach der Diskussion gibt eine Teilnehmerin zu verstehen, dass sie jüdisch ist und als Kind aus einem osteuropäischen Land nach Bundesland A migriert ist, während der Diskussion findet dies jedoch keine explizite Erwähnung.
Diskussionsverlauf und Atmosphäre Die Diskussion fand im Mai 2017 statt und dauert 2 Stunden und 7 Minuten. Als Ort der Diskussion suchte sich die Gruppe einen Gemeinschaftsraum von verschiedenen linken Gruppen in Großstadt A, in der Nähe des Bundeslandes A aus, wobei dieser Ort keinen regelmäßigen Treffpunkt der Gruppe darstellt. Die Gruppe ist darauf bedacht, nicht zu viele persönliche Details über sich Preis zu geben und vergewissert sich vor dem Anschalten des Aufnahmegeräts der Anonymisierung des erhobenen Materials. Des Weiteren erfragen sie vor der Aufnahme, ob ich noch weitere Gruppen aus dem Osten interviewt hätte, was ich bejahe. Das Thema Ostdeutschland findet auch während der Diskussion immer wieder Erwähnung und verdeutlicht die Relevanz der örtlichen Verortung für die Gruppe. Während der Diskussion wird getrunken und Kuchen gegessen, was zu einer sehr entspannten Atmosphäre beiträgt. Die Diskussion verläuft insgesamt sehr selbstläufig und nach dem Einstiegsstimulus diskutiert die Gruppe ohne weitere Nachfragen für 38 Minuten. Dabei werden keine Einzelerzählungen der Teilnehmerinnen über ihre individuellen Zugänge zur Gruppe erörtert, sondern es wird ein Gründungsnarrativ formuliert, dass die Gruppe als Ganzes in den Vordergrund rückt. Dabei wenden sich die Teilnehmerinnen schnell inhaltlichen Themen der Gruppe zu und tauschen sich über einen anstehenden Kongress zum Thema feministischer Antifaschismus in der Region aus, der von der Gruppe nicht organisiert wird, aber bei dem sie Workshops anbieten. In diesem Zusammenhang wird sich insbesondere auf die unterschiedlichen Herangehensweisen in städtischen und ländlichen Gegenden fokussiert. Ein Aspekt, der anhand verschiedener Themen immer wieder aufgegriffen wird, wobei sich diese Passagen meist durch eine besonders interaktive Dichte auszeichnen. Auch das Thema Ostdeutschland findet Erwähnung, insbesondere bei einem Gespräch über mangelnde Vorbilder in Bundesland A bezüglich feministischem Antifaschismus und fehlenden feministischen Strukturen in der Region. Weitere zentrale Themenfelder sind Auseinandersetzung innerhalb der Antifa-Szene bezüglich Sexismus und die vielfältigen Aktivitäten der Gruppe. Es wird an verschiedensten Stellen hervorgehoben, dass sie sich vor allem an
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konkreter Praxis orientieren und sich nicht so sehr mit theoretischen Konzepten oder früheren Bewegungen, wie der zweiten Frauenbewegung auseinandersetzen. Die Verteilung der Redebeiträge ist über den gesamten Diskussionsverlauf sehr ausgeglichen. Insgesamt kommt es während der Diskussion zu sehr viel nonverbaler Kommunikation. Die Teilnehmerinnen nicken sich häufig gegenseitig zu. Auch mir gegenüber kommt es mehrmals zu nonverbaler Kommunikation, vor allem als ich einige Male am Ende von Passagen warte, ob sie noch weiterreden wollen und das Thema evtl. doch noch nicht abgeschlossen ist. Die Teilnehmerinnen sehen mich in diesen Pausen mehrmals fragend und erwartungsvoll an, so dass ich dies als Aufforderung die nächste Frage zu stellen, interpretiere. Während der Diskussion verwenden die Teilnehmerinnen ohne Erklärung viele Abkürzungen und Begrifflichkeiten (Transpi, Antira, Mobi etc.), die auf die Verortung in einer spezifischen linken Szene hinweisen. Des Weiteren werden Begrifflichkeiten verwendet, die in Bezug auf Geschlecht und Sexualität (FLTI7) sowie in Bezug auf Rassismus (PoC, Schwarz) auf politische Selbstbezeichnungen verweisen, was sich als Ausdruck eines Strebens nach einer diskriminierungsarmen Sprache interpretieren lässt. Zudem finden sehr viele unterschiedliche Städte in Bundesland A Erwähnung und es wird sich auf andere Gruppen in der Region bezogen. Dies macht es mitunter schwer als außenstehende Person der Diskussion zu folgen. Es zeigt aber auch, dass die Gruppe in einem für sie natürlichen Redemodus kommuniziert. Die Diskussion weist viele Passagen mit inkludierendem Diskursmodus auf. Die Teilnehmerinnen ergänzen sich häufig gegenseitig oder bestätigen sich in ihren Äußerungen. Teilweise scheinen sie wie mit einer Stimme zu sprechen. Wenn unterschiedliche Orientierungsgehalte aufgeworfen werden, werden diese in geteilten Orientierungen zusammengebracht. Dieser Einigkeit wird sich auch an einigen Stellen auf metakommunikativer Ebene versichert. Außerdem zeigt sich diese verknüpft mit einer starken Gruppenidentifikation der Teilnehmerinnen, was sich in der häufig verwendeten wir-Form dokumentiert. Die ich-Form verwenden die Teilnehmerinnen vermehrt bei der Frage, was sie mit Feminismus verbinden und dabei verstärkt ihre individuellen Zugänge und Schwerpunkte erzählen.
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Die Abkürzung steht für FrauenLesbenInterTrans.
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Gegen Ende der Diskussion sind deutliche Ermüdungserscheinungen bei den Teilnehmerinnen zu bemerken, die auch auf metakommunikativer Ebene benannt werden und zum Ende der Diskussion führen. Anschließend entwickelt sich noch ein längeres Gespräch zwischen mir und den Teilnehmerinnen, bei dem einige Themen, der Diskussion nochmals aufgegriffen wurden. So zum Beispiel die Frage, wieso sie einen anstehenden Kongress von queeren Geflüchteten nicht bereits mehr unterstützt haben oder der anstehende Kongress zu feministischem Antifaschismus. Weitere Themen dieses Gesprächs waren eine erneute Betonung der Diskrepanz zwischen Aktivismus in der Großstadt und dem Land sowie der Thematik West-Ostdeutschland.
Empowerment im ländlichen Kontext Bereits im Anschluss an die Einstiegspassage dokumentiert sich Empowerment als zentrale Orientierung der Gruppe und Rahmung ihres Gründungsnarrativs, was auch explizit betont wird: Marlene: genau und wir sind halt irgendwie für uns ist halt irgendwie glaub ich die Gruppe so=n so=n::: Empowerment Raum wir sind halt einfach in anderen Gruppen unterwegs und aktiv, (1) und die Gruppe is halt so n Ort um uns darüber auszutauschen was wir halt irgendwie für Erfahrungen mit Sexismus machen, was halt super wichtig ist und halt einfach total gut tut […] (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 02:13-02:32) Empowerment lässt sich hier als notwendige Methode rekonstruieren, sich angesichts sexistischer Diskriminierungen zu stärken. Die Gruppe wird hier als positiver Horizont in Abgrenzung zu anderen Zusammenhängen, in denen die Teilnehmerinnen aktiv sind, aufgespannt. In letzteren werden Erfahrungen von Sexismus verortet. Dies zeigt sich in homologer Weise auch in Ausführungen anderer Teilnehmerinnen: Vanessa: […] und is dann eher so aus der eigenen Erfahrung von man muss sich ständig irgendwie: gegen: Typen in der Gruppe: und im Projekt zur Wehr setzen ºund uns haltº ständig auch immer wieder mit Sexismus konfrontiert eher aus diesem: diesem Bedürfnis selbständig auch wirksam zu sein (1) ºun- d=s dann er- (erts=der)º Zusammenschluss entstanden […] (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 03:23-03:45)
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Hier zeigt sich, dass die Erfahrungen von Diskriminierung, die ein Empowerment notwendig machen, nicht zentral an Erfahrungen in einer Gesamtgesellschaft, sondern zunächst an konkrete Gruppen oder Projekte geknüpft werden. Dieser zentrale Bezugsrahmen wird im weiteren Verlauf mit den Begriffen »Antifaszene« oder »Szene« benannt: Diana: […] weil man einfach gemerkt hat wie leid es einem tut sich immer überall behaupten ?: └((schmunzeln)) Diana: └zu müssen in Vanessa: └mhm Diana: └der Antifaszene. oder bei bestimmten Sachen ausgeschlossen zu werd- zu werden weil man irgendwie ne Frau ist @(.)@ Marlene: └ @(.)@ Diana: └(oder) also so weil weil irgendwie man sich das nicht mehr erklären kann wenn irgendwie:: (1) persönlich dran irgendwie Schuld (bist) irgendwie dass du da nicht miteinbezogen wurdest sondern dieses Gefühl gehabt hab mein Geschlecht spielt da ne Rolle […] (GD Anspruch Passage ›Feminismus‹ 01:24:51-01:25:15) Auch wenn die erzählten Diskriminierungserfahrungen im Kontext einer bestimmten »Antifaszene« verortet werden, stellen sie sich als strukturell dar und in Abhängigkeit von »Geschlecht«. Diese strukturelle Komponente zeigt sich als gewisse ›Entlastung‹, Diskriminierungserfahrungen nicht als selbstverschuldet wahrzunehmen. Empowerment lässt sich dabei als ein Instrument rekonstruieren strukturelle Unterdrückungsverhältnisse zu erkennen und sexistische Diskriminierungserfahrungen nicht als individuell zu begreifen. Dies zeigt sich in homologer Weise auch an anderer Stelle der Diskussion: Kathrin: […] um auch zu merken des is gar nich jetzt mein persönliches Problem sondern das is meine Betroffenheit von Sexismus als Frau; […] (GD Anspruch Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:05:06-02:05:12) Dabei stellt es sich als notwendig dar im Austausch mit anderen die Ähnlichkeit von Diskriminierungserfahrungen erkennen zu können:
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Diana: […] ºeinfachº total schön zu hören das geht andern genauso. und des kotzt uns alle an und deswegen machen wir (ne) Gruppe. (GD Anspruch Passage ›Feminismus‹ 01:26:58-01:27:03) Das Erkennen und der Austausch von ähnlichen Erfahrungen zeigen sich dabei schon als stärkend dar. Eine Voraussetzung für Empowerment dokumentiert sich folglich im Erleben ähnlicher Diskriminierungserfahrungen und in der Existenz von Räumen, in denen Menschen zusammenkommen, die ähnliche Diskriminierungserfahrungen machen und sich über diese austauschen können. Dabei lässt sich rekonstruieren, dass Empowerment im Kontext von Sexismus mit Räumen, in denen die Teilnehmerinnen eine bestimmte Geschlechtsidentität innehaben, verknüpft wird: Vanessa: […] und sehen das als Raum wir sind halt wir sagen halt wir sind ne Gruppe die:: ohne cis Typen: sich zusammen setzt (2) u:nd sehen das eben als so=n Schutzraum auch um uns auszutauschen uns zu empowern […] (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 03:54-04:11) Die Nicht-Teilnahme von cis-Männern zeigt sich hier als Voraussetzung einen geschützten Rahmen gegen sexistische Erfahrungen zu ermöglichen. Es lässt sich dabei eine Annahme rekonstruieren, dass sich Diskriminierungserfahrungen von FLTI-Personen als strukturell ähnlich darstellen. Die Frage, ob und wie sich sexistische Erfahrungen aufgrund unterschiedlicher sozialer Positionierungen anders gestalten können, stellt sich nicht als relevant dar. In der Verwendung der Vorsilbe cis dokumentiert sich ein Anspruch der Benennung privilegierter Positionen. Im Laufe der Diskussion zeigt sich zudem, dass Empowerment nicht nur auf eine individuelle Stärkung einzelner Teilnehmerinnen oder die Stärkung der Gruppe Anspruch abzielt: Marlene: und es geht halt total viel (darum) irgendwie:: so FLTIs:: in der Antifaszene mehr sichtbar zu machen. und wir ham mal so=ne Workshopreihe organisiert wo=s halt irgendwie genau darum ging halt irgendwie:, skills an hautpsächlich FLTIs irgendwie weiter zu geben; und des war aber auch die Idee dass halt alle Workshopleiterinnen:; FLTIs waren um halt zu zeigen so okay wir haben halt auch total viel Wissen und total viel: wir können total viele coole Sachen und
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grade so jüngeren Leuten halt auch irgendwie so: Mut zu geben und sich halt einfach mal auszuprobieren und grade wenns halt (irgendwie so) Recherche oder, DJ oder so was angeht ja das halt nicht immer die Typen machen zu lassen ºsowas irgendwie soº ?: └mhm Marlene: ja (Frauen) können des auch (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 04:31-05:09) Geschützte Räume dokumentieren sich hier als Möglichkeit, um Wissen weiterzugeben und um einen Rahmen zu schaffen, in dem sich FLTI-Personen trauen, bestimmte Sachen auszuprobieren, die sich jenseits dieser Räume als männerdominiert darstellen. Empowerment dokumentiert sich damit auch als kollektive Stärkung von FLTI-Personen im zentralen Bezugsrahmen der »Antifaszene«. Dabei lässt sich auch das Ziel des Aufbaus von Solidaritäten rekonstruieren, welches sich von einem negativen Horizont des Konkurrenzdenken zwischen FLTIs abgrenzt: Marlene: ich fands (voll) spannend (bei dem) Vortrag den wir letzte Woche gemacht haben da gings halt irgendwie: wurde immer so: auf dieses Thema Konkurrenz, unter Frauen oder FLTIs in Antifa Zusammenhängen drauf eingegangen, des fand ich halt dann auch voll spannend zumindest also des man mal so auch hervorzuheben diesen Aspekt dass es halt voll oft so: dann so Konkurrenz gibt so: wer ist also dass es halt eh total schwer ist sich gegen die Typen durchzusetzen und dann aber auch noch so dieses so halt nich solidarisch miteinander eigentlich zu sein sondern halt zu gucken so wer ist halt jetzt die coolere Frau von uns oder wer schaffts besser Vanessa: └@(.)@ Marlene: └halt irgendwie::, Anerkennung für ihre Arbeit zu kriegen, und dass ist halt die Gruppe total wichtig is um halt zu sagen so wirs sind aber solidarisch miteinander und wir kämpfen diesen K- ja ºkämpfen diesen Kampf irgenwieº zusammen und nicht gegeneinander (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 06:07-06:41) Empowerment dokumentiert sich hier als Strategie Konkurrenzdenken zwischen Frauen bzw. FLTIs entgegenzutreten und Solidarität zwischen Frauen zu schaffen. In diesem Abschnitt zeigt sich zudem, wie auch in Ausschnitten zuvor, dass zwischen den Begriffen FLTI und Frauen gewechselt wird und sich
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eine gewisse synonyme Verwendung dieser dokumentiert. In der Verwendung von FLTI lässt sich ein Anspruch rekonstruieren trans- und interinklusiv zu sein. Gleichzeitig dokumentiert sich in der häufigen Verwendung von Frau/Frauen, eine Nähe und Selbstidentifikation mit dieser Position. Die Empowermentstrategie von geschützten Räumen, stellt sich dabei als temporär dar: Vanessa: […] wir wollen halt auch nich irgendwie unser abgetrennte separierte Gruppe sein sondern sind halt weiterhin auch in den ganzen: Zusammenhängen auch aktiv: […] (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 03:48-03:54) Dies zeigt sich in homologer Weise auch an andere Stelle: Marlene: @und des is halt@ ja total gut so=n Raum zu haben um sich auskotzen zu können dann halt wieder in seine; lokalen Gruppen zurückgehen zu können mit so me:hr M:ut ºirgendwie und mehr Kraft wiederº ich glaub uns ist es halt auch total wichtig dass wir uns halt nicht so abkapseln sondern (2) ja irgendwie in Kontakt bl- gemischtgeschlechtlichen Gruppen º(glaub) bleibenº (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 02:40-02:59) Die Empowermentstrategie der geschützten Räume stellt sich somit auch als Werkzeug dar, Kraft für die Arbeit in Gruppen mit cis-Männern zu erwerben. Im weiteren Verlauf der Diskussion dokumentiert sich die Zentralität von Empowerment auch in der Art, wie sich die Teilnehmerinnen aufeinander beziehen: Marlene: (das hatten wir ja) bei dem Vortrag ja auch dass wir eigentlich ja jetzt nicht so viel super neues zu erzählen haben oder so dass des so=n bißchen @(.)@ is sofort ja klar sind wir da (ist total) cool dass wir da sind. ja aber eigentlich ist es jetzt ja nicht total krass also vielleicht offensichtlich ja schon weltbewegend? Vanessa: └ja ich glaub wir müssen uns da auch nich so klein machen Marlene: └ja voll
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Diana: stimmt
└ja
(GD Anspruch Passage ›Gründungsphase‹ 09:36-09:57) In der Art und Weise der Diskursorganisation dokumentiert sich hier die Umsetzung des gegenseitigen Empowerments. Hier wird besonders deutlich, dass die Praxis des Empowerments dazu dient, sich gegenseitig zu stärken und auch die Leistungen der Gruppe insgesamt herauszustellen und wertzuschätzen und sich nicht »klein« zu machen. Ein weiterer zentraler Aspekt in der Diskussion mit Gruppe Anspruch ist der Bezug auf Bundesland A, dabei dokumentieren sich Differenzen zwischen feministischem Aktivismus in Großstädten und auf dem Land. Dies wird in der gesamten Diskussion anhand unterschiedlicher Themen immer wieder in homologer Weise aufgenommen. Beim Gespräch der Gruppe über einen bevorstehenden feministischen Antifakongress in einer großen Stadt in Bundesland A zeigt sich dieser Gegensatz besonders deutlich. Die Art der Organisation dieses Kongresses wird kritisiert und in den Zusammenhang mit Großstadt A außerhalb der Region gestellt: Kathrin: ich hab halt auch des Gefühl ganz doll dass also weil mein Problem persönlich immer so=n bisschen is mit Großstadt A und den vielen feministischen Dingen dies da gibt dass des eben dass wie eben grad schon gesagt eher in so=ner Blase passiert und das halt so sehr ein:schränkt und=s ganz viel auch andere Leute aus-grenzt was dann was ja auch in Ordnung is wenn man sich des leisten kann was aber in Bundesland A einfach nicht funktioniert irgendwie. und ich hab des Gefühl mit so=nem Anspruch gehen die da ran und ich frag mich dann warum sie=s dann überhaupt in (1) Bundesland A machen? wenn ihnen vielleicht also wenn sie sich noch gar nich damit beschäftigt haben dass das vielleicht einfach nich also dass das vielleicht die Art is wie man in Großstadt A so was machen kann aber dass=es einfach nich geht im (1) aufm eher ländlichen Raum Marlene: ja Kathrin: └so Marlene: └voll (GD Anspruch Passage ›feministischer ANTIFA-Kongress‹ 17:25-18:07)
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Es dokumentiert sich hier eine Abhängigkeit von feministischer Arbeit und der jeweiligen lokalen Verortung. In Großstädten zeigen sich bestimmte Herangehensweisen als möglich, die im »ländlichen Raum« als nicht umsetzbar eingestuft werden. Von einer feministischen Praxis, die dabei von außen herantritt und bestimmte Vorgehensweisen regionalen Gegebenheit überstülpt wird sich abgegrenzt. Dabei gelten feministische Aktivitäten in Großstädten als negativer Gegenhorizont, da sie als exkludierend eingestuft werden. Mit der Formulierung »Blase« zeigt sich, dass diese Exklusivität mit einem Aktivismus verbunden wird, der außerhalb eines sich als homogen darstellenden Kreis nicht nach außen wirkt. Demgegenüber strebt die Gruppe eine Herangehensweise an, die auch in Regionen wirkt, in denen feministische Auseinandersetzung noch nicht etabliert sind: Diana: […] na selbst wenn sich daraus irgendwas gründet oder irgendwie: n=bestimmter Impuls rausgeht bleibt der auch nur auf Landeshauptstadt A oder Großstadt A beschränkt Marlene: ja Diana: was halt sehr schade is also des=sin eh Städte wo sowieso schon viel @passiert@ es is so=n bißchen Marlene: ja Diana: └(unbefriedigend) Marlene: └wo ja auch feministische Kämpfe schon auf nem ganz anderen Level sind als Diana: └genau Marlene: └in Kleinstadt B oder so (GD Anspruch Passage ›feministischer ANTIFA-Kongress‹ 19:31-19:47) Als Voraussetzung eines (feministischen) Wirkens in ländliche Regionen lässt sich dabei ein Ansatz rekonstruieren, der die lokalen Gegebenheiten kennt, sich mit diesen auseinandersetzt und daran ausrichtet. Dies zeigt sich in Formulierungen der Abgrenzung, die an verschiedenen Stellen der Diskussion vorgenommen werden: Diana: ja man hat so das Gefühl das also zum einen hat man das Gefühl es wird halt an Bundesland A vorbei gemacht ne, […] (GD Anspruch Passage ›feministischer ANTIFA-Kongress‹ 16:47-16:54)
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Kathrin: […] des is auch für Bundesland A nich praktikabel ºirgendwieº (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 55:17-55:19) Aber auch im Zusammenhang mit einer Konferenz queerer Geflüchteter in Bundesland A, welches als positives Beispiel solch einer Praxis fungiert: Kathrin: und des hat irgendwie was was äh an der Stelle genau richtig is und was irgendwie auf so=n ganz konkreten Bedarf irgendwie Diana: └ja Kathrin: └reagiert der Diana: └absolut Kathrin: └da is irgendwie; (GD Anspruch Passage ›Zusammenarbeit mit BPoC-Gruppen‹ 01:01:49-01:01:56) Solch eine Herangehensweise lässt sich als verbunden mit einer Praxisorientierung im Gegensatz zu einer Theorieorientierung rekonstruieren: Marlene: ich finde es auch ?: └@(.)@ Marlene: └total gut dass ich immer das Gefühl hab so wir sind halt halt nich so theorielastig sondern (da) alle mehr so Macherinnen (1) Diana: wir spiegeln einfach die Politik in Bundesland A wieder nämlich den Pragmatismus und die Praxisorientierung (GD Anspruch Passage ›feministischer ANTIFA-Kongress‹ 16:30-16:43) Es dokumentiert sich, dass eine Herangehensweise, die auf Theorien aufbaut, für die Region, in der die Gruppe aktiv ist, sich nicht als umsetzbar und angemessen darstellt. Dies verweist auch nochmals auf die rekonstruierte Abhängigkeit feministischer Tätigkeiten von örtlichen Gegebenheiten.
Intersektionale Konzeptualisierung – interkategorial Die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen lässt sich in der Diskussion mit Gruppe Anspruch als intersektional rekonstruieren. Dies zeigt sich
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besonders deutlich im Anschluss an meine letzte Aussagefrage (»Alle Frauen machen ähnliche Diskirminierungserfahrungen«): Marlene: naja is halt immer dieses Ding von so ja:: tun sie und gleichzeitig sind halt irgendwie ä:h F- Frauen also dann=ja auch von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen. also dieses so ne weiße: Frau macht halt andere Erfahrungen als ne Schwarze Frau und Frau im Rollstuhl macht nochmal ne andere Erfahrung also dieses so ja: auf einer Ebene machen wir irgendwie ähnliche Erfahrungen aber auf ganz vielen Ebenen können wir halt auch Erfahrungen die andere Frauen machen überhaupt nicht nachvollziehen als Vanessa: mhm Diana: mh Marlene: └relativ privilegierte ºcisº Frauen (3) Diana: (beim) inhaltlichen Thema schon wieder total @einig ne?@ @(1)@ Marlene: └@(.)@ Vanessa: └was? Diana: sind wir beim inhaltlichen Thema schon wieder @total einig@ (2) ja würd ich genauso sehen Vanessa: ºjaº (GD Anspruch Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:02:54-02:03:35) Insbesondere mit der Verwendung des Worts »gleichzeitig«, dokumentiert sich eine angenommene Simultanität von Unterdrückungssystemen, was auf ein intersektionales Verständnis hinweist. Denn Differenzen zwischen Frauen zeigen sich nicht als zusätzliche Faktoren, sondern als elementar für die Art der Diskriminierungserfahrungen, die eine Frau macht. Diese Differenzen lassen sich als verbunden mit Ungleichheitskategorien rekonstruieren. Dabei sind es insbesondere die Kategorien race und Behinderung, die hier aufgeworfen werden. Es lässt sich hier auch rekonstruieren, dass mit solch einem intersektionalen Verständnis eine Praxis der Selbstreflexion über die eigene soziale Positionierung insbesondere bezüglich der eigenen Privilegierung einhergeht. Dabei wird eine weitere Differenzlinie cis-trans aufgeworfen. Die Interaktion der Teilnehmerinnen in diesem Abschnitt dokumentiert die Einigkeit, die bezüglich solch einer intersektionalen Konzeptualisierung in der Gruppe herrscht. Des Weiteren stellen sich die Differenzen zwischen Frauen nicht als absolut dar, trotz dieser können Frauen auch gemeinsame Erfahrungen machen. Dies wird anhand der Metapher »einer Ebene« vs. »ganz viele Ebenen« illustriert,
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was auf eine interkategoriale bzw. kategoriale Herangehensweise, wie sie McCall benannt hat, hinweist (McCall 2005: 1784ff). Der von Marlene gewählte Begriff »Ebene« lässt sich dabei als stellvertretend für verschiedene Kategorien bzw. Ungleichheitsverhältnisse rekonstruieren: Auf der Ebene von Geschlecht können ähnliche Diskriminierungserfahrungen gemacht werden, wohingegen auf der Ebene race oder Behinderung unterschiedlicher Erfahrungen gemacht werden. Die einzelnen Differenzkategorien stellen sich somit als unabhängig voneinander dar (als einzelne Ebenen) auch wenn sie simultan existieren. Für die Ebene Sexismus dokumentiert sich dabei das Ungleichheitsverhältnis zwischen Männern und Frauen als zentral, wie der weitere Verlauf der Diskussion zeigt: Kathrin: also ich glaube für mich is das immer so dieses dieses zweigleisige Ding einerseits um: so gesellschaftliche (1) Ungleichheiten so zu analysieren muss man irgendwie so Gruppen aufmachen und muss sagen irgendwie Frauen sind irgendwie von: Sexismus betroffen und Männer profitieren davon eher sag ich jetzt mal. trotzdem is des natürlich irgendwie keine irgendwie super (1) homogene:: Gruppe die dann wirklich wo dann wirklich wo v- von A bis Z alle:: Personen irgendwie gleichermaßen von den gleichen Dingen betroffen sind so. […] (GD Anspruch Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:03:35-02:04:07) Die Konstruktion eins Kollektivs ›Frauen‹ dokumentiert sich hier als strategisches Werkzeug, um strukturelle Machtverhältnisse zwischen Männer und Frauen aufzeigen zu können. In der Metapher »zweigleisig« dokumentiert sich auf homologe Weise die geteilte Betroffenheit von Frauen von Sexismus sowie die gleichzeitige Betroffenheit von anderen Diskriminierungen. Wie die Metapher der Ebene lässt sich dabei auch eine Unabhängigkeit dieser verschiedenen Unterdrückungsformen voneinander rekonstruieren: Es gibt zwei Gleise, die nebeneinander verlaufen. Diese Unabhängigkeit sexistischer Erfahrungen von anderen Diskriminierungen zeigt sich nochmals deutlich am Ende der Passage: Marlene: und gleichzeitig finde ich halt so diese Position von irgendwie so Schwarzen Frauen die halt sagen okay natürlich erfahren wir Sexismus aber für uns spielen unsere Rassismuserfahrungen ne viel Vanessa: └mhm Marlene: └größere Rolle und wir sind halt irgendwie
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Diana: voll Marlene: └Schwarzen Männer halt irgendwie mehr die Verbündeten als weiße Vanessa: └ja Marlene: └ Frauen. Vanessa: └ja Marlene: └find ich schon auch total spannend so […] (GD Anspruch Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:06:45-02:06:58) Es dokumentiert sich hier, eine angenommene Simultanität von Rassismusund Sexismuserfahrungen. Gleichzeitig stellen sich diese als getrennt und unabhängig voneinander dar. Die Frage, wie sich z.B. sexistische Erfahrungen von weißen und Schwarzen Frauen unterscheiden können wird dabei nicht aufgeworfen. Es zeigt sich zudem, dass eine intersektionale Herangehensweise hier beinhaltet, dass nicht von einer Priorisierung von Sexismus bei allen Frauen ausgegangen werden kann, was auch zu unterschiedlichen Koalitionen führen kann. Dies wird auch damit verbunden, dass die Anerkennung unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen von Frauen in feministischen Zusammenhängen sich als nicht zufriedenstellend darstellt, was Marlene in direktem Anschluss an obigen Ausschnitt betont: Marlene: […] weil das ja zeigt dass es halt irgendwie so in feministischen Kontexten oft genug nicht klappt das so mitzudenken dass wir alle total Diana: └ºmhmº Marlene: └unterschiedliche Erfahrungshorizonte haben. (1) und dass wir da halt auch nochmal mehr so daran arbeiten müssen dieses so ja wir sind alle von Sexismus betroffen und trotzdem gibts die ganzen anderen Sachen die auch super viel Gewicht haben. (GD Anspruch Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:06:58- 02:07:14) Hier dokumentiert sich erneut, dass eine geteilte Betroffenheit von Frauen bezüglich Sexismus angenommen wird, die unabhängig von anderen Diskriminierungserfahrungen steht. Des Weiteren zeigt sich eine Verbindung mit dieser
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Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen und einer feministischen Praxis, die die unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen mitdenkt. Die Realisierung einer solchen Praxis stellt sich jedoch als Herausforderung dar.
Intersektionalität als (unerreichbarer) Anspruch Die Möglichkeiten der Umsetzung der rekonstruieren intersektionalen Konzeptualisierung stellen sich in der Gruppe Anspruch als herausfordernd und ihren eigenen Erwartungen als nicht zufriedenstellend dar. Dies wird insbesondere anhand der Tatsache verhandelt, dass alle Teilnehmerinnen weiß sind. Eingeführt wird das Thema unter dem Stichwort Critical Whiteness8. Dieser Begriff wurde zuvor in einer Passage über einen anstehenden feministischen AntifaKongress erwähnt, ohne, dass er näher erklärt oder ausgeführt wird. Er stellt sich somit als selbstverständlicher Begriff dar, der in der Gruppe keine nähere Erklärung benötigt: Diana: […] (um da) auf das Critical Whiteness Problem zurückzukommen müssen ?: └@(.)@ Diana: └wir trotzdem irgendwie @selbstkritisch@ @sagen@ dass wir alles weiße Frauen sind. (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 52:44-52:50) Es zeigt sich hier, gerade auch anhand der Betonung von »Whiteness« und »weiße«, dass Critical Whiteness mit einer Reflexion über die eigene soziale Posi-
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Critical Whiteness ist eine Herangehensweise bezüglich Rassismus, in deren Fokus Weißsein als stille Norm steht (Morrison 1994: 32f, 125). Critical Whiteness hat sich seit den 1990ern in den USA und in jüngerer Zeit auch in Deutschland als eine Forschungsrichtung entwickelt. Voran gegangen ist ihnen dabei eine lange Tradition außerakademischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen rassistisch Markierter mit dem Thema Weißsein. Eggers spricht in diesem Zusammenhang von einem »Schwarzen Wissensarchiv« (Eggers 2009:18f.). Dieses Wissensarchiv dient rassistisch Markierten als Überlebensstrategie in einer Umgebung, in der weiße Vormachtstellung herrscht und Weißsein die unmarkierte Norm darstellt (ebd.:18f). In der Diskussion mit Gruppe Anspruch zeigt sich, dass der Begriff sich hauptsächlich verknüpft mit sozialen Positionierungen bezüglich race darstellt, wie im Folgenden aufgezeigt wird.
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tion in Bezug auf die Kategorie race verknüpft wird. Die Tatsache, dass alle Teilnehmerinnen »weiße Frauen« sind lässt sich dabei als Problem rekonstruieren, bzw. als etwas, das als peinlich oder unangenehm eingestuft werden muss, worauf das lachend ausgesprochene »@selbstkritisch@ @sagen@« hinweist. Es dokumentiert sich ein unerfüllter Anspruch bezüglich race eine diverse Gruppe darzustellen. Aufgrund des alleinigen Bezugs auf die Kategorie race lässt sich zudem rekonstruieren, dass diese Kategorie besonders unter Spannung steht und eine Zusammensetzung allein von weißen Frauen einer Erklärung bedarf. Diese Erklärung wird auch umgehend vorgenommen: Vanessa: was auch=n Bundesland A Ding ist. @(.)@ Diana: └genau me: └@(.)@ Diana: └absolut Vanessa: └des spiegelt Diana: └ºabsolutº Vanessa: └halt (dann) Bundesland A wieder (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 52:51-52:55) Es dokumentiert sich, dass die fehlende Diversität innerhalb der Gruppe an einen externen Faktor geknüpft wird, und zwar an das Bundesland A. Dies zeigt sich in homologer Weise auch im weiteren Verlauf der Diskussion: Marlene: also genau des hab ich auch grad gedacht so wir können halt sagen okay wir sind halt irgendwie super normativ als Gruppe sind alle weiß wir sind irgendwie alle:, (1) cis Personen so (2) aber es is halt irgendwie also so wo soll halt der Rest herkommen, so ich mein es ist halt Bundesland A ist halt irgendwie auch einfach super normativ und Leute die halt irgendwie: andere Erfahrungen machen oder sich halt anders definieren (siedeln) ja auch dann nach Großstadt A so und ?: └mhm; Kathr └ham auch kein Bock irgendwie in Bundesland A aktiv zu sein des is ja auch so der Struktur irgendwie von (dem Thema) geschuldet so wir sind (4) ºjaº ºgenauº (1) und dann halt irgendwie keine Arbeit mehr zu machen weil wir halt zu normativ sind ist ºglaub ich auchº (1) nicht meine Lösung @des Problems@ (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 53:53-56:00)
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Neben weiß zeigt sich hier auch noch die Privilegierung aufgrund von cisGeschlechtlichkeit als relevante Differenzlinien bezüglich der Zusammensetzung der Gruppe, wird jedoch nicht so prominent wie race besprochen. Auf weitere Kategorien wie Behinderung oder Klasse wird dabei nicht eingegangen. Es dokumentiert sich dabei, dass Bundesland A und die Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung als Erklärung dienen, wieso die Gruppe sich aus weißen Frauen sowie aus cis-Frauen zusammensetzt. Es lässt sich folglich rekonstruieren, dass Bundesland A als weitgehend weißer cis-geschlechtlicher Raum gerahmt wird, was sich an der Nicht-Anwesenheit von Personen andere sozialer Positionen festmacht. Ruth Frankenberg hat herausgearbeitet, dass solche Erzählungen von weißen Räumen sich bei vielen weißen Frauen erkennen lassen und weist darauf hin, dass es so etwas wie einen »›vollkommen weißen‹ Ort gar nicht gibt.« (Frankenberg 1996: 58). Weiter führt sie aus, dass es solche Räume schon allein deshalb nicht gibt, da die Persönlichkeitsbildung von »weißen Menschen von einer Vielfalt von Spuren durchzogen ist, die rassistischen, kolonialen und postkolonialen Diskursen entstammen.« (ebd.: 61). Eine Auseinandersetzung damit, was Bundesland zu einem weißen Raum machen würde und was für Auswirkungen dies auf die Arbeit der Gruppe hat wird hier nicht vorgenommen. Vielmehr dokumentiert sich eine Praxis der Selbstreflexion über die weiße Positionierung der Mitglieder, die sich stark davon abgrenzt, als mögliche kritische Konsequenz die Gruppe aufzulösen. Dies dokumentiert sich auch an einer weiteren Stelle: Kathrin: […] und ich finds total wichtig zu sagen man muss irgendwie des mitdenken man muss (1) also ich ich selbst muss mich fragen warum warum also wie hab=wann handle ich rassistisch, ic- wir müssen uns als Gruppe fragen warum sind wir vielleicht nur weiße Frauen, (1) und trotzdem:: können wir uns aber daran jetzt nicht schon irgendwie aufreiben und wie die eine: [Name feministische Gruppe] deswegen auflösen weil wir sagen okay wenn wir nur weiße Frauen sind dann können wir das jetzt hier nicht machen also ich glaube Marlene: └ºmhm,º Kathrin: └des is Quatsch des führt auch nich des is auch für Bundesland A nich praktikabel ºirgendwieº (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 54:47-55:19) In der Formulierung »wann handle ich rassistisch« dokumentiert sich, dass Rassismus als strukturelles Problem gerahmt wird, welches mit dem eigenen
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Handeln verknüpft ist und nicht außerhalb, sondern auch in der Gruppe verortet wird. Gleichzeitig wird dieser Aspekt nicht weiterverfolgt und sich erneut von einer Auflösung der Gruppe abgegrenzt sowie sich auf den externen Faktor Bundesland A zurück bezogen. Die mehrmalige Wiederholung der Abgrenzung von einer Auflösung der Gruppe dokumentiert, die Sprengkraft, die mit einer Reflexion über die weiße Zusammensetzung verbunden wird. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass keine andere Lösung, wie mit dieser Problematik umgegangen bzw. entgegengetreten werden kann, diskutiert wird. Es dokumentiert sich folglich die Unmöglichkeit der Umsetzung des Anspruchs einer diversen Mitgliedschaft in Bezug auf race. Ebenso zeigt sich die Vermeidung einer intensiveren Praxis der Selbstreflexion, wie zum Beispiel der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen die Zusammensetzung auf die Ausrichtung oder Praxis der Gruppe haben könnte. Als Hindernis der Umsetzung eines intersektionalen Anspruchs in Bezug auf die Gruppenzusammensetzung zeigt sich, neben Bundesland A noch ein weiterer externer Faktor: Diana: und des vielleicht noch also mein letztes @Argument@ äh (1) (ºhab=gradº) des Gefühl generell dass so die Antifa: und die Antira: nicht so zusammen Vanessa: └(ja ) wir haben zwei Migrantinnen in der Gruppe Diana: └@(.)@ (ja gut) Vanessa: @anderthalb@ Diana: └@(1)@ Vanessa: └wenn man die andere (1) abzieht (die nicht aktiv teilnimmt) Diana: aber (2) generell ja (oft ) die Antira Bewegungen in Bundesland A ( ) nicht so stark ist und ?: ja (1) Diana: man da nicht viel zu tun hat @miteinander@ (2) (was sehr schade is) Marlene: ja voll (2) vielleicht (weil du so n=externe Ausrichtung hast) es gibt ja schon Bundesland A spezifische Antiragruppen die irgendwie auch coole Arbeit tatsächlich machen (GD Anspruch Passage ›Selbstreflexion‹ 53:16-53:51) In dem Einwurf von Vanessa dokumentiert sich ein tokenism, einzelne Migrantinnen in der Gruppe werden als Alibifunktion herangezogen, um zu belegen, dass die Zusammensetzung der Gruppe nicht so undivers ist. Damit zeigt sich
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auch eine Reduzierung dieser Personen allein auf ihren Migrantinnenstatus. Würde man Migrantin mit Frau ersetzen im Sinne von ›wir haben doch zwei Frauen in unserer Gruppe‹, würde sich die Gruppe wohl stark von solch einer Äußerung abgrenzen, auch wenn sie lachend formuliert wird und sich damit als Scherz darstellt. Es kann hier aber auch keine aktive Validierung dieses Einwurfs Vanessas von den anderen Teilnehmerinnen rekonstruiert werden, vielmehr zeigt sich in der Diskursorganisation, dass Diana versucht diesen Einwurf zu ignorieren. Tokenism stellt sich somit nicht als kollektive Orientierung der Gruppe dar. Diana führt hingegen den Faktor der fehlenden Zusammenarbeit zwischen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen als Hindernis für eine mögliche Umsetzung einer vielfältigeren Zusammensetzung der Gruppe bzgl. race ein. Darin dokumentiert sich ein Zusammenhang zwischen antirassistischen Gruppen und nicht-weißen Personen sowie antifaschistischer Gruppen mit weißen Personen. Womit auch die implizite Zuordnung der Gruppe zu letzteren einhergeht. Die inhaltliche Ausrichtung einer Gruppe zeigt sich somit als verknüpft mit ihrer Zusammensetzung. Dies lässt sich jedoch nicht als Anlass rekonstruieren die eigene Schwerpunktsetzung zu überdenken, auch wenn auf expliziter Ebene der Wunsch nach einer Überwindung dieser Trennung zwischen antirassistischen und antifaschistischen Zusammenhängen formuliert wird. In der Passage, in der sich intensiver mit den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit BPoC-Gruppen auseinandergesetzt wird, zeigt sich diese Trennung zwischen antifaschistischen und antirassistischen Fokussierungen nochmals: Diana: ja (3) ich weiß nich vielleicht müssten wir auch ( ) mehr [Gruppe geflüchteter Frauen in Bundesland A] (1) die ja auch in Bundesland A ganz doll aktiv sind, sich für Rechte von geflüchteten Frauen also jetzt nich (1) also einfach nur geflüchteten Frauen einsetzen in Heimen (1) die auch ab und zu (Aktionen) machen in @Landeshauptstadt A@ (1) ºis auch so=n Anknüpfungspunktº (1) wobei es halt=n klassisches Antira Thema ist auf jeden Fall (2) ?: ºmhº Marlene: wobei des auch cool wäre (wenns) also mehr zusammen zu denken (1) Diana: ja (1) @(.)@ (GD Anspruch Passage ›Zusammenarbeit mit BPoC-Gruppen‹ 01:02:06- 01:02:41)
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Hier dokumentiert sich die aufgemachte Trennung zwischen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen in der Ausführung selbst. Der Einsatz für die Rechte geflüchteter Frauen zeigt sich dabei als »klassisches« antirassistisches Thema, was sich jenseits des Schwerpunkts der Gruppe darstellt. Dies stellt sich als ein Widerspruch zu einem intersektionalen Anspruch dar, der danach strebt, die unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen miteinzubeziehen. Der bereits zuvor herausgearbeitete zentrale Bezug auf eine Antifa-Szene erscheint hier als Hindernis, um Bündnisse mit Frauen anderer sozialer Positionierung einzugehen. Es dokumentiert sich des Weiteren, dass Antirassismus nicht als ›eigenes‹ Thema bzw. dem eigenen Interesse entsprechend gerahmt wird. Dies verweist auf das Privileg weißer Personen, sich nicht mit Rassismus beschäftigen zu müssen (Ogette 2017: 69; Sow 2009: 43). Des Weiteren verweist es auf eine Vernachlässigung der Frage, warum Anti-Rassismus ein feministisches Anliegen ist, wie es z.B. Barbara Smith erläutert: »The reason racism is a feminist issue is easily explained by the inherent definition of feminism. Feminism is the political theory and practice to free all [Herv. i. O.] women: women of color, working-class women, poor women, disabled women, lesbians, old women – as well as white economically privileged heterosexual women. Anything less than this is not feminism, but merely female selfaggrandizement.« (Smith 1990: 25) Dabei hebt sie auch hervor, wie wichtig es ist, dass weiße Frauen sich mit Rassismus auseinandersetzen, weil es auch sie betrifft: »White women don’t work on racism to do a favor for someone else […]. You have to comprehend how racism distors and lessens your own lives as white women – that racism affects your chances for survival, too, and that it is very definitely your issue. Until you understand this, no fundamental chance will come about.« (Smith 1990: 26)
Zusammenfassung Die rekonstruierte intersektionale Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen in der Diskussion mit Gruppe Anspruch zeichnet sich aus durch die Simultanität verschiedener Unterdrückungssysteme und die Betonung unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen von Frauen. Diese Konzeptualisierung kann als interkategoriales Verständnis von Intersektionalität bezeichnet werden, da bei sexistischen Diskriminierungserfahrungen die Differenz
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Frau-Mann im Vordergrund steht und der Fokus auf das Verhältnis verschiedener isolierter sozialer Gruppen (wie weiße Frauen, Schwarze Frauen) gelegt wird. Hingegen wird z.B. nicht fokussiert, wie Erfahrungen von Sexismus sich aufgrund unterschiedlicher Positionierungen anders darstellen können (vgl. McCall 2005: 1786). Dies verdeutlicht die bereits im theoretischen Kapitel aufgeworfene Problematik, dass mit solch einer Konzeptualisierung eine Gefahr einhergeht, erneut lediglich ein Unterdrückungssystem bzw. eine Differenzkategorie zu fokussieren, da der Anschein erweckt wird, sie wären zunächst von anderen Differenzlinien unabhängig. Dies zeigt sich bei Gruppe Anspruch auch im Kontext der kollektiven Orientierung von Empowerment. Dabei stellen sich sexistische Erfahrungen als Anlass für Empowerment dar und Erzählungen über Sexismuserfahrungen nehmen in der gesamten Diskussion viel Raum ein, während Differenzen in diesen Sexismuserfahrungen aufgrund unterschiedlicher sozialer Positionierung unerwähnt bleiben. Dies bestätigt die Kritik von Nira Yuval Davis an Konzepten von Empowerment aufgrund ihrer impliziten Homogenisierung sozialer Gruppen und der Vernachlässigung von Differenzen innerhalb dieser (Yuval-Davis 1994: 181ff). Ähnlich wie in der Arbeit von Julia Schuster (2016), zeigt sich auch hier bei weißen Frauen eine Verknüpfung der Erfüllung intersektionaler Ansprüche mit sich als inklusive darstellenden Gruppen, wobei dieser Anspruch sich als nicht zufriedenstellend realisiert darstellt (vgl. Schuster 2016: 6). Dabei könnte nach Ilse Lenz auch von »positionaler Intersektionalität« gesprochen werden, da sich eine »Betonung der kategorialen Positionalitäten« der Teilnehmerinnen hervorhebt (Lenz 2019: 411). Es lässt sich an der Gruppe Anspruch illustrieren, dass eine intersektionale Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen nicht ausreichend ist, solange nicht auch gewisse Ausrichtungen und Privilegien der eignen sozialen Position in Frage gestellt und sich mit diesen aktiv auseinandergesetzt werden. Zudem zeigt sich, dass insbesondere die Kategorie race bei der Umsetzung eines intersektionalen Anspruchs unter Spannung steht, während andere Differenzlinien wie Behinderung in Bezug auf die Realisierung intersektionaler Ansprüche nicht erwähnt werden.
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7.3 Intersektionale Konzeptualisierung (intrakategorial) – Gruppe Prozess Für Gruppe Prozess konnte auch eine intersektionale Konzeptualisierung rekonstruiert werden, die sich im Vergleich zu Gruppe Anspruch als intrakategoriale Herangehensweise erweist. Ähnlich wie bei Gruppe Anspruch zeigt sich ein Streben nach einer inklusiven Zusammensetzung der Gruppe, insbesondere in Bezug auf die Differenzlinie race, als bedeutsam für die mögliche Realisierung eines angestrebten intersektionalen Verständnis dar. Des Weiteren zeigen sich in der Bearbeitung bestimmter Themen, wie z.B. reproduktive Rechte, Möglichkeiten sowie Herausforderungen der Umsetzung. Dabei dokumentiert sich eine Prozesshaftigkeit als zentral für die Realisierung einer intersektionalen Herangehensweise.
Vorstellung der Gruppe Der Kontakt zur Gruppe Prozess wurde über eine direkte E-Mail-Anfrage hergestellt. Gruppe Prozess umfasst zwei Teilnehmerinnen (Leni und Marah), die in einer queerfeministischen Gruppe in einer ostdeutschen Großstadt aktiv sind. Diese übergeordnete Gruppe verortet sich in der linken antikapitalistischen Szene und hat zum Zeitpunkt der Diskussion zwei Untergruppen, die während der Diskussion zur Sprache kommen: Eine die sich mit dem Themenkomplex Räume (safe spaces, inklusive und exkludierende Räume etc.) auseinandersetzt, während sich die zweite schwerpunktmäßig mit den Zusammenhängen zwischen Geschlechterverhältnis und kapitalistischen Strukturen unter Einbezug einer postkolonialen Perspektive auseinandersetzt. Leni und Marah haben diese übergeordnete Gruppe mitbegründet und sprechen während der Diskussion auch in ihrem Namen. Die Gründung der Gruppe wird in den Kontext des Aufkommens von Slutwalks9 gestellt, ohne dass
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Slutwalks wurden zuerst in Kanada und dann auch in anderen Ländern als Antwort auf die Äußerungen eines kanadischen Polizisten organisiert, der Frauen* dazu riet, sich nicht wie sluts zu kleiden, um sexuelle Übergriffe zu vermeiden. Diese Art des victim blaming, also der Verortung der Verantwortung für sexuelle Gewalt bei den Opfern, war zentraler Kritikpunkt der Slutwalks. Mit diesen Demonstrationen wurde versucht, sich das Wort slut positiv anzueignen; daran wurde kritisiert, dass die historische Geschichte des Begriffs in rassistischen Diskursen vernachlässigt wurde (Evans 2015: 7ff). Ebenso wurden die Slutwalks wie folgt kritisiert: »the highly sexua-
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solch eine Demonstration durchgeführt wurde. Vielmehr wird der Fokus der Tätigkeiten der Gruppe im Bildungsbereich angesiedelt. Aktivitäten der Gruppe umfassen u.a Veranstaltungswochenenden zu Themen wie Intergeschlechtlichkeit oder dem Zusammenwirken von Rassismus und Sexismus. Des Weiteren organisiert sie jährlich eine Demonstration gegen Abtreibungsgegner*innen. Die Einbindung von kulturellen Aspekten, wie Musik, Theater oder die Organisation von Konzerten wird zudem als Bestandteil ihrer Aktivitäten benannt. Leni und Marah bezeichnen sich beide als lesbisch. Sie sind nach eigenen Angaben ostdeutsch sozialisiert. In Bezug auf die Kategorie Alter stufen sie sich zwischen Mitte und Ende 20 ein. Des Weiteren bezeichnen sie sich in kritischer Reflexion als weiß und mittelständisch.
Diskussionsverlauf und Atmosphäre Die Diskussion fand im Mai 2017 in einer Privatwohnung der Teilnehmerinnen statt und findet nach 1 Stunde und 36 Minuten ein natürliches Ende. Nach dem Einstiegsstimulus diskutieren Leni und Marah 1 Stunde und 13 Minuten ohne, dass ich eine weitere Frage stelle, was die Selbstläufigkeit der Diskussion unterstreicht. Marah spricht als Einstieg über die Entstehung der Gruppe und fordert Leni kurz darauf auf, bestimmte Details zu ergänzen. Dabei diskutieren beide anhand verschiedenster Beispiele ihre Tätigkeiten sowie ihre Verortung und Auseinandersetzung mit anderen feministischen oder linken Strömungen und Gruppen. Längere Passagen bilden dabei die Themen Definitionsmacht, die Gruppe Femen10 sowie Themen, die in Verbindung mit der
lised use of the female body simply conformed to traditional portrayals of heteronormative feminine sexuality«, Gerade auch die Körper von weißen, spärlich bekleideten Frauen*körpern standen demzufolge im Zentrum (Evans 2015: 8). Dass es Kritik an Slutwalks gab, wird auch von Leni und Marah in der Diskussion angeführt, ohne, dass dies näher erläutert wird. Es wird jedoch als ein Grund angeführt, dass die Gruppe solch eine Demonstration nicht durchführte. 10 Die feministische Gruppe Femen gründete sich 2008 in der Ukraine, ist heute aber auch in anderen Ländern präsent. Aktionsformen von Femen sind vor allem oben-ohne Proteste, entsprechend ihrem Motto »my body my weapon« (Evans 2015: 9). Kritik an Femen umfasst generell u.a. die Repräsentation sexualisierter und heteronormativer Formen von Weiblichkeit sowie ihre anti-muslimischen Äußerungen sowie Proteste gegen den Islam in Form von z.B. einem »International Topless Jihad Day« (Evans 2015: 10). In der Diskussion wird eine Aktion, bei der Femen Nazivergleiche eingesetzt hat, zentral kritisiert.
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zweiten Frauenbewegung gebracht werden (v.a. Abtreibung, Errungenschaften in Bezug auf Frauenhäuser und Kinderläden sowie Auslassungen bei einer Fokussierung auf rechtliche Gleichstellung und die Kritik an einer Dominanz weißer Mittelschichtfrauen). Dabei setzten sich die Teilnehmerinnen mit den eigenen Zugängen zu all diesen Thematiken auseinander sowie mit der Frage, wie sie zu ihren eigenen Themenschwerpunkten kommen. Dies führt zu der Frage nach der Instrumentalisierung feministischer Ideen, die insbesondere in Bezug auf Rassismus und Rechtsextremismus behandelt wird. Diese längere Phase der Diskussion von Aspekten, die unter dem Stichwort zweite Frauenbewegung verhandelt werden, ohne dass ich danach konkret frage, muss im Kontext der Darlegung meines Forschungsinteresses und der Erwähnung der zweiten Frauenbewegung darin gesehen werden. Auf meine zweite Frage, was sie mit ihren Selbstbezeichnungen feministisch bzw. queerfeministisch verbinden, antworten die Teilnehmerinnen jeweils einzeln und nacheinander ohne größeren Austausch und betonen ihren jeweiligen individuellen Zugang. Im Übrigen ist die Diskussion meist interaktiv und der Redeanteil der Teilnehmerinnen quantitativ ausgeglichen. Marah übernimmt im Diskussionsverlauf wiederholt die Rolle der Diskussionsleiterin und initiiert Themenwechsel. Die Diskursorganisation ist geprägt von inkludierenden Diskursmodi, was den geteilten Erfahrungsraum der Teilnehmerinnen widerspiegelt. Die Passage, in der sich Widersprüche zwischen Leni und Marah zeigen, erfolgt im Anschluss an meine dritte und letzte Frage bzgl. der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen. Dort ist die Diskursorganisation antithetisch. Die Betonung der Differenzen zwischen Frauen aufgrund von Differenzkategorien dokumentiert sich dabei als Selbstverständlichkeit, während die Frage nach Gemeinsamkeiten von Diskriminierungserfahrungen zur Disposition steht. Insgesamt ist für die Diskursorganisation ein hohes Maß an Metakommunikation zwischen den Teilnehmerinnen charakteristisch, z.B. in Bezug auf die Aushandlung der Redebeiträge bzw. deren Ausmaß und Reihenfolge. Dies dokumentiert die Orientierung der Gruppe auf einen rücksichtsvollen und hierarchiearmen Umgang miteinander. In der Diskussion selbst wird der Aspekt West-/Ostdeutschland immer wieder erwähnt, ohne dabei ein zentrales Thema darzustellen. Dieser Aspekt spielte hingegen in unserem Gespräch nach der Diskussion eine zentrale Rolle, vermutlich da ich von der Gruppe klar als Westdeutsche identifiziert werde. So reden die Teilnehmerinnen einige Zeit über die weitverbreitete Diskriminierung und Zuschreibungen, die Ostdeutsche erfahren.
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Nach der Offenlegung meiner Fragestellung merkt die Gruppe an, dass ihr dazu noch etwas einfallen würde und sie auch etliche ihrer Aktivitäten, vergessen habe zu erwähnen. Es ergaben sich im Anschluss noch längere Gespräche mit der Gruppe über linke Projekte und Aktivitäten in der Stadt und mir wurden die Räumlichkeiten gezeigt, in denen sich die Gruppe trifft und Veranstaltungen organisiert.
Solidarische Kritik Zu Beginn der Diskussion zeigt sich, dass der Aspekt des Kritikübens in der Gruppe von besonderer Relevanz ist. Dies führt zunächst Leni ein und umfasst diesen Aspekt mit der Bezeichnung »Kritik-Vermittlungsposition«: Leni: m=ja ich find halt [Name der Gruppe] ganz spannend wei:l:: (2) weils für mich so=ne mh so=ne kritische Stimme in allen möglichen: Kontexten is also im queerfeministischen Kontexten ne kritische Stimme die=sichs erlauben kann @(.)@ bestimmte Prak- tiken oder sowas: zu kritisiern auch, und dann ernst genommen wird weils eben nich meinetwegen aus ner antifeministischen Ecke kommt oder so, sondern: also mit also mit aus der Position heraus auch spricht; (1) genau und aber auch ne kritische Stimme zu so: dann: älteren Feministinnen oder so: halt dort auch hinzusprechen und dann wieder zu sagen naja aber es gibt bestimmte Weiterentwicklungen oder bestimmte Themen müssen mitgedacht werden oder kommen sonst zu kurz oder Ausschlüsse und so weiter und dahin halt auch ne Kritik zu formulieren und dann noch ne Kritik in die Linke reinzuformuliern: aufgrund, also da Feminismus quasi größer zu machen in: linken Strömungen genau deswegen seh ich=s so als so=ne, v- äh Kritik- Vermittlungsposition, […] (GD Prozess Passage ›Verortung‹ 10:10-11:27) Unterschiedliche feministische Strömungen werden hier mit der Kategorie Alter verknüpft: es zeichnet sich ein angenommener Generationenkonflikt zwischen »älteren Feministinnen« und einem Queerfeminismus ab. Dabei zeigt sich eine Doppeldeutigkeit der Bezeichnung ›alt‹. Diese verweist einerseits auf Alter, aber auch auf einen Feminismus, der ›veraltet‹ ist und »Weiterentwicklungen« bedarf. »Ältere Feministinnen« lässt sich folglich als gleichbedeutend mit ›älterem Feminismus‹ rekonstruieren, der seinerseits mit Auslassungen (»bestimmte Themen müssen mitgedacht werden«) und Exklusionen (»Ausschlüsse«) assoziiert wird. Für beide feministische Strömungen wird die Not-
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wendigkeit kritischer Interventionen dargestellt, die sich gleichzeitig von einer »antifeministischen« Kritik abgrenzen. Die angestrebte Kritik der Gruppe fasst sich somit als inner-feministisch auf sowie als feministische Intervention in »linken Strömungen«. Die Verknüpfung von Alter und feministischer Strömung dokumentiert sich nochmals stärker in den anschließenden Weiterführungen von Leni, in denen explizit gemacht wird, in welcher feministischen Strömung sich die Gruppe verortet: Leni: […] weil wir halt schon: also viele Themen also einfach auch=ne Gesellschaftsanalyse und=ne Gesellschaftskritik einfach mit mit vermitteln was manchmal in queeren Bewegungen find ich zu kurz kommt also in nur queeren Bewegungen (1) genau aber trotzdem halt selber auch jung sind und queerfeministisch aktiv sind und (1) ja auch in der Kultur unterwegs sind: und auch viele verschiedene Bereiche, irgendwie verbinden Marah: └mhm ach stimmt das hast du gut gesagt (GD Prozess Passage ›Verortung‹ 11:28-12:00) »jung« wird hier mit Queerfeminismus verknüpft, was nochmals auf einen Generationenkonflikt in Feminismen hinweist. Es zeigt sich zudem, dass die Verortung in einer bestimmten feministischen Strömung nicht mit einer Unmöglichkeit der Kritikübung an dieser einhergeht und eine inner-feministische Kritik sich bezüglich Queerfeminismus als notwendig darstellt. Die Relevanz inner-feministischer Kritik zeigt sich auch im weiteren Verlauf der Diskussion und wird anhand unterschiedlicher Themen mehrmals aufgerollt. Dabei lässt sich eine Orientierung an einer solidarischen Kritik erkennen. Diese umfasst, wie bereits im ersten angeführten Transkriptausschnitt aufgeworfen wird, die Abgrenzung zu einer anti-feministischen Kritik, was sich in homologer Weise im Kontext verschiedener Themen präsentiert. So zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Definitionsmacht11, zu dem die Gruppe eine Kritik veröffentlicht hat:
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Definitionsmacht erklärt die Gruppe als »Konzept was eigentlich auch aus der Frauen- also aus der zweiten Frauenbewegung kommt; […] eigentlich mal gedacht war als Kritik zum Umgang zum rechtlichen Umgang mit Vergewaltigung (1) und da aus unserer Sicht auch wirklich hinge-
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Marah: genau ham aber diesen Text veröffentlicht und der war damals wichtig weil Leni: └mhm Marah: └Kritik an Definitionsmacht nur von Justus Wertmüller12 Leni: └mhm Marah: kam der natürlich der Oberantifeminist ist oder auch [Name linke Gruppe] die natürlich auch auf ihrer ziemlich weiß Leni: └ (und) polemisch Marah: männlichen Blase der Theorie schwirren das vielleicht nicht böse meinten aber im Jargon Leni: └mhm Marah: └dann doch auch oft danebengehauen haben und obwohl die inhaltlichen Punkte wir dachten müssten man auch Leni: └mhm Marah: └mal aus=ner feministischen Perspektive betrachten deswegen Leni: └mhm Marah: └ham wir Kritik geäußert […] (GD Prozess Passage ›Definitionsmacht‹ 15:11-15:43) Es zeigt sich hier, dass eine Art der Kritikübung angestrebt wird, die sich mit »inhaltlichen« Aspekten auseinandersetzt und nicht die Perspektive dominanter Positionen einnimmt, insbesondere in Bezug auf race und Geschlecht. Dabei stellt sich nicht nur die Perspektive, sondern auch die Form der Kritik als relevant dar. Eine Praxis der unsachlichen und respektlosen Kritik (»polemisch«, »danebengehauen haben«) wird als negativer Gegenhorizont aufgespannt. Weitere Formen von Kritik, von denen sich abgegrenzt wird, zeigen sich besonders
hört« (GD Prozess Passage ›Definitionsmacht‹ 14:01-14:17). In der Diskussion fokussiert sich die Kritik an dem Konzept auf eine Verknüpfung von Definitions- und Sanktionsmacht. Für eine ausführlichere Beschreibung von Definitionsmacht siehe das Glossar am Ende der Arbeit. 12 Journalist der Zeitschrift Bahamas, der aus feministischer Perspektive für Äußerungen wie »Wo immer sich in der Mehrheitsgesellschaft eine Frauengruppe auftut, ist nichts anderes als Karrierismus, Konformismus und identitäres Erpressertum zu erwarten« (Wertmüller 2010) kritisiert wird (vgl. Kaprizi 2011).
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eindrücklich in der Passage über die Gruppe Femen und einer Auseinandersetzung mit deren Aktionsformen13: Marah: […] es gab halt Leute die ham sich gefreut dass die verprügelt werden auf der Straße oder dass deren pfhh keine Ahnung Sportzentrum abgebrannt ist und so die hams denen wirklich gegönnt und genau also da Leni: └mhm Marah: └hörte dann bei uns auch der Punkt auf der kompletten Entsolidarisierung Leni: mhm Marah: └und da: ham wir uns dann anders Leni: └mhm Marah: └positioniert also da ham wir gesagt das finden wir so scheiße dass sich da Leute drüber freuen (GD Prozess Passage ›Femen‹ 21:48-22:10) Anwendung von Gewalt gegenüber Personen und Objekten sowie diese gut zu heißen, werden als Kritikformen beschrieben, die es abzulehnen gilt. Eine inner-feministische Kritik lässt sich dabei als solidarische Kritik rekonstruieren, die also nicht zu einer »Entsolidarisierung« führt. Als Voraussetzung solch einer Kritik dokumentiert sich eine Dialogbereitschaft: Marah: […] und des find ich is auch=n n:: n=guter is auch was was für mich wichtig ist in der Gruppe dass es nicht so ah ihr seid alle scheiße scheiße Leni: mhm Marah: └und jetzt brauchen wir euch nicht mehr einladen, und können überhaupt nicht mehr mit euch reden. sondern dass der Dialog ei- am Ende immer noch gesucht wird. (2) und genau und man sich halt irgendwie unterhalten kann Leni: ja also ist halt keine Entsolidarisierung sozusagen ne, Marah: └mhm
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Weiter unten wird angeführt, welche Aktionsformen von Femen sich in der Diskussion als problematisch darstellen.
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Leni: └sondern es geht um ne eigentlich=n ne Schaffung auch von=nem gemeinsamen Aushandlung von=ner gemeinsamen Aushandlung oder, so? (GD Prozess Passage ›Femen‹ 22:17-22:51) Es zeigt sich, dass eine solidarische Praxis der Kritik das Ziel verfolgt, einen kollektiven Aushandlungsprozess zu stärken bzw. die Möglichkeit einen solchen zu schaffen. Kritik dokumentiert sich somit nicht als eindimensionaler Prozess, der allein bei anderen Veränderungen erzeugen soll, sondern umfasst auch die Teilnehmerinnen selbst. Der Begriff »Entsolidarisierung« verweist, wie auch »antifeministisch« zuvor darauf, dass eine inner-feministische Kritik zunächst auf einer feministischen Solidarität aufbaut. Diese Solidarität und das Ausüben von solidarischer Kritik stellen sich in der Umsetzung jedoch auch als herausfordernd dar. Dies machen die Ausführungen zu einer Aktion von Femen deutlich: Marah: jedenfalls ham wir mal so=n Text geschrieben. ich meines Erachtens war das recht am Anfang, da kannte noch niemand [Name der Gruppe] und Leni: └ºmhº Marah: weil die Femen oberkörperfrei und mit Schriften auf ihren Oberkörpern durch die Straße gelaufen sind mit Fackeln und ans [Name Tor] in Stadt C geschrieben haben Arbeit macht frei und halt eindeutige Nazivergleiche gezogen haben (1) und natür- also und Kritik an Prostitution, oder beziehungsweise dem Patriarchat natürlich äußerten. und Bordelle mit KZs gleichgesetzt haben. und so weiter (1) des fanden wir derbst doof Leni: └mhm @(.)@ Marah: └@und@ haben einen Text geschrieben der ziemlich bissig war (GD Prozess Passage ›Femen‹ 19:34-20:19) Es dokumentiert sich hier eine Ablehnung einer feministischen Praxis, die eine Gleichsetzung verschiedener Unterdrückungsverhältnisse vornimmt und im Zuge eines Versuchs der Kritik an patriarchalen Verhältnisse, diese mit den Verbrechen der Nationalsozialist*innen auf eine Stufe stellt. Angesichts solch einer Praxis zeigt sich zudem eine Notwendigkeit der öffentlichen Ablehnung und Kritikübung. Es eröffnet sich folglich ein Spannungsfeld zwischen zwei Orientierungen der Gruppe, Solidarität mit feministischen Gruppen einerseits
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und der gleichzeitigen Ablehnung bestimmter Praktiken der »Nazivergleiche« andererseits. Das Zusammenbringen beider in einer Formulierung der solidarischen Kritik zeigt sich zunächst als unmöglich; rückblickend wird die initiale Kritik als verletzend und scharf (»bissig«) dargestellt. Als Voraussetzung auch in diesem Kontext eine solidarische Kritik betreiben zu können, dokumentiert sich die Bereitschaft zu einer längeren Auseinandersetzung: Marah: […] und ein Jahr später zweitausendelf dann nämlich ham wir bei bei unserer Klausur den Text dann noch fertig geschrieben für die [Name Zeitschrift] den ham wir dann veröffentlicht und des war des war dann so eher so=n (1) da hat man sich dann da konnten wir uns dann so=n bisschen auf=ne gute Kritik einigen. Leni: └mhm Marah: └die solidarisch ist. […] (GD Prozess Passage ›Femen‹ 21:30-21:46) Solidarische Kritik ist hier folglich als prozesshafte Praxis charakterisiert, die auch eine Reflexion der Gruppe über ihre eigenen Einstellungen und Perspektiven erfordert, wie sich auch in Bezug auf das Thema Definitionsmacht herausstellt: Leni: ja ich fande des Marah: └( ) Leni: └auch wichtig auch das (1) ja. und auch gut sich mit dem Thema auseinander zu setzen und auch so lange auseinander zu setzen genau und da halt (1) vielleicht auch davon weg zu kommen von so Dogmen oder so die man da vielleicht auch schon dann so gefressen hatte (1) […] (GD Prozess Passage ›Definitionsmacht‹ 15:48-16:06) Eine längere Auseinandersetzung stellt sich als Voraussetzung der Reflexion eigener Positionen dar sowie der Bereitschaft, diese zu verändern und nicht auf ihnen zu beharren (»Dogmen«). Dies dokumentiert die Annahme der Veränderbarkeit und Entwicklung eigener Positionen sowie auch der von anderen. Dies zeigt sich im weiteren Verlauf der Diskussion nochmals sehr explizit, als die Teilnehmerinnen auf interne Gruppendynamiken zusprechen kommt:
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Marah: […] man kennt seine Standpunkte:, die verändern sich auch, Leni: └mhm; Marah: └aber des is ja: Leni: └genau das man auch weiß dass man selbst ja auch schon Standpunkte verändert hat ist auch gut Marah: ja auf jeden Fall Leni: └weil wir waren zum Beispiel auch mal total pro Defma14 Marah: ja (1) Leni: und jetzt nicht mehr so (GD Prozess Passage ›Kontinuierliche Arbeit‹ 01:12:38-01:12:52) Damit ist nicht nur die Möglichkeiten einer solidarischen Kritik für die Gruppe mit Prozesshaftigkeit verbunden, sondern auch die Entwicklung der Standpunkte und Meinungen innerhalb der Gruppe lässt sich als prozesshaften Veränderungen unterliegend rekonstruieren. Diese Entwicklungen zeigen sich dabei auch als erstrebenswert. Stillstand wird als negativer Gegenhorizont skizziert.
Intersektionale Konzeptualisierung – intrakategorial In der Diskussion mit Gruppe Prozess dokumentiert sich eine intersektionale Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen. Insbesondere im Anschluss an die letzte Frage bzgl. der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen zeigt sich die Betonung von Differenzen zwischen Frauen aufgrund von Differenzkategorien als Selbstverständlichkeit. Damit hängt auch eine Infragestellung der Kategorie ›Frau‹ zusammen: Leni: wer macht denn da die:: die: Diskriminierungs- erfahrung? die da gleich sein solln Marah: mhm eine Frau mit Leni: └und des find ich is ne spannende Frage Marah: └ja Leni: wer ist das? wer is Frauen?
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Marah: ja ä: Leni: └in dem Satz (irgendwie) Marah: └ja also ne Muslima wird so andere diskriminierende FErfahrung machen als Leni: na die Differenzen unter den: Marah: └Angela Merkel Leni: └Frauen, so: also das is auf jeden Fall da sind auch noch unterschiedliche Erfahrungen Marah: └ja Leni: └definitiv also bei den (1) ganzen Differenzkategorien die=s gibt. […] (GD Prozess Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:28:46-01:29:15) Die Wiederholung Lenis der Frage nach der Definition von Frauen in mehrfachen Formulierungen zeigt, dass die Kategorie ›Frau‹ nicht als selbstverständlich gilt. Dabei wird die Infragestellung der Kategorie ›Frau‹ hier mit Differenzen zwischen Frauen in Verbindung gebracht. Das Kollektiv ›Frauen‹ erweist sich aufgrund von »Differenzkategorien« als so divers, dass innerhalb dessen »unterschiedliche Erfahrungen« gefasst werden. In den angeführten Beispielen erweisen sich die Differenzkategorie Religion und der Themenkomplex antimuslimischer Rassismus als relevant. Mit der Anführung der Bundeskanzlerin als Gegensatz wird des Weiteren Privilegierung als zentraler Aspekt einer Diskussion über Diskriminierung betont. Mit der selbstverständlichen Verwendung der Begriffe »Differenzen« sowie »Differenzkategorien« dokumentiert sich zudem ein Wissen über theoretische Debatten bezüglich Differenzen zwischen Frauen, in die sie sich die Teilnehmerinnen einschreiben. Die Formulierung »auch noch« bezüglich der Erfahrungen von Frauen könnte auf eine additive Konzeptualisierung von Differenzen verweisen. Demgegenüber unterstreicht der Verweis auf die Unterschiedlichkeit der Erfahrungen einer »Muslima« und »Angela Merkel« die Abhängigkeit der Diskriminierungserfahrungen von verschiedenen und gleichzeitigen Differenzverhältnissen, was auf eine intersektionale Konzeptualisierung hindeutet. Dies zeigt sich im weiteren Verlauf deutlich bei der Besprechung des Themas »sexualisierte Anmachen«, welches als zentrales Beispiel für potenzielle Ähnlichkeiten der Diskriminierungserfahrungen von Frauen herangezogen wird:
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Leni: […] was könn ma denn mal was für=n Thema als Beispiel nehmen (1) irgendwie sexualisierte Anmachen oder so was die ja an=ne ein Auswuchs der gesellschaftlichen Diskriminierung sind. als dann Diskriminierungserfahrung die man macht wenn man des jetzt so beschreiben könnte würd ich v:-leicht schon sagen dass eher Frauen, du schüttelst den Kopf Marah: @(.)@ Leni: └dass eher Frauen diese Erfahrungen machen Marah: └ja also Leni: └und dass sie die vielleicht teilen. Marah: ja aber ich als Lesbe werde doch wohl andere Leni: └ja anders Marah: └übergriffige Leni: └anders Marah: └Erfahrungen machen als ne Heterofrau Leni: └ja natürlich anders aber du machst sie. (1) Marah: ja, (1) (GD Prozess Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:31:33- 01:32:09) Hier wird die Orientierung der Gruppe an der Anerkennung von Differenzen zwischen Frauen erkenntlich: eine Betonung der Gemeinsamkeiten der Diskriminierungserfahrungen von Frauen kann kaum als Möglichkeit gelten und führt sofort zu einem Widerspruch von Marah. In diesem lässt sich die Gleichzeitigkeit sowie Verschränktheit verschiedener Ungleichheitsverhältnisse rekonstruieren, die dazu führen, dass je nach sozialer Position Frauen sexistische Erfahrungen auf anderer Art und Weise erleben. Dies illustriert sich anhand der Differenzlinie Sexualität. Diese Betonung der Gleichzeitigkeit und Verschränktheit verschiedener Differenzkategorien verweist auf eine intersektionale Konzeptualisierung von Differenzen von Frauen. Des Weiteren lässt sich eine Tendenz zu einer intrakategorialen Herangehensweise rekonstruieren (McCall 2005: 1780ff). Die Differenzlinien Sexualität und Geschlecht kreuzen sich nicht erst an einer bestimmten Stelle, sondern sind voneinander durchdrungen, was sich in den Formulierungen »als Lesbe« und »als ne Heterofrau« dokumentiert. In Marahs Verweis auf ihre eigene Position als Lesbe lässt sich zudem die Relevanz dieser Konzeptualisierung für die eigenen Diskriminierungserfahrungen rekonstruieren. Die mehrmalige Validierung von Leni do-
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kumentiert die Einigkeit der Teilnehmerinnen bezüglich dieser intersektionalen Konzeptualisierung. Im weiteren Verlauf wird diese auch mit Privilegierung sowie Diskriminierung unter Frauen verknüpft: Leni: ach so dass man die Differenzen untereinander nicht mehr thematisiert doch das find ich auch wichtig zu Marah: └aber Leni: └thematisieren Marah: aLeni: └also des dann ne Frau of Color andre Erfahrungen macht als n- weiße Frauen Marah: └naja vor allendingen Leni: └(º º) Marah: └ist ja wichtig dass weiße Frauen ganz oft diskriminieren. Leni: ja genau. und da find ichs auch wichtig dass man quasi in den Räumen dann über Marah: └oder sonst wer Leni: └eigene Privileg- also nicht nur immer über Benachteiligung redet sondern halt auch über Privilegien redet. (GD Prozess Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 01:33:05-01:33:28) Es dokumentiert sich hier, dass eine intersektionale Konzeptualisierung nicht allein dazu dient, unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen von Frauen erfassen, sondern auch Machtverhältnisse zwischen Frauen thematisieren zu können. Dies illustriert sich anhand der Thematik Rassismus und dem Verhältnis weißer und Frauen »of Color«. In der Formulierung »of Color« lässt zudem ein Streben nach Begriffen der Selbstbezeichnung und damit ein Bemühen um diskriminierungsarme Sprache rekonstruieren. Es verweist außerdem auf ein bestimmtes politisches Milieu, in dem auch Machtverhältnisse zwischen Frauen unter dem Stichwort »Privilegien« verhandelt werden. Zusammenfassend dokumentieren diese Ausschnitte, dass eine intersektionale Konzeptualisierung sich nicht nur auf die Verschränktheit benachteiligter Positionen bezieht (z.B. Frauen of Color), sondern auch die Verschränktheit von privilegierten und benachteiligten Positionen (weiße Frauen) umfasst. Des Weiteren scheint diese Konzeptualisierung im letzten Ausschnitt auch mit
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einem Handlungsauftrag für die Praxis in Verbindung zu stehen, nämlich einer Praxis, die »Räume« schafft für das Ansprechen von »Benachteiligung« und »Privilegien«.
Intersektionalität als Prozess Bezüglich einer Realisierung der rekonstruierten intersektionalen Konzeptualisierung stellt sich zunächst, wie zuvor bei Gruppe Anspruch, die Zusammensetzung der Gruppe als problematisch dar, insbesondere in Bezug auf die Kategorie race. Bereits zu Beginn der Diskussion kommen die Teilnehmerinnen im Kontext der Auseinandersetzung mit den sozialen Positionen der Mitglieder zur Gründungszeit darauf zu sprechen: Marah: aber alle warn deutsch sozialisiert, Leni: └ºjaº Marah: └ähm Leni: └(ºgenauº) Marah: und:; ja weiß also in der: Hinsicht schon sehr homogen Leni: └damals ja mhm (2) Marah: genau (GD Prozess ›Zusammensetzung‹ 06:36-06:48) Eine kritische Reflexion eigener sozialer Positionierungen lässt sich hier im Kontext der Kategorien Nationalität (»deutsch sozialisiert«) und race (»weiß«) rekonstruieren. Die Homogenität der Gruppe in dieser Hinsicht zeigt sich dabei als mangelhaft. Der intersektionale Anspruch lässt sich dadurch nicht nur in Bezug auf eine Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen rekonstruieren, sondern auch für eine angestrebte vielfältige Zusammensetzung der Gruppe bezüglich sozialer Positionen. Der Umgang mit einer sich als problematisch darstellenden Zusammensetzung der Gruppe stellt eine Herausforderung dar. Dies wird insbesondere bei den Erzählungen zu den Verfassungsversuchen eines Selbstverständnisses deutlich; es wurde seinerzeit diskutiert, inwieweit dabei privilegierte soziale Positionen der Gruppenmitglieder benannt werden sollen: Marah: […] wenn man Leni: └mhm
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Marah: └jetzt so mal: zeitstrangmäßig betrachtet damals halt so sehr in war immer so zu sagen: ich als weiße bürgerlich: sozialisierte:, F:rau? bla bla und wir hatten da so Iden- wir hatten da Probleme damit uns diesen Identitäten irgendwie zuzuordnen glaub ich, des war also zumindest (1) die: des so auf die Privilegien abzuzieln; Leni: └mhm Marah: └weil::, genau; (1) ich glaub des war auch n=großer Punkt damals dass wir das dann: nich gemacht haben; Leni: na wir ham es kurzzeitig gemacht; also Marah: └ºmhº Leni: └um halt zu sagen okay wir sind wei:ß und Marah: └ºmhmº Leni: └priviligi::ert, und so und so ist die Gruppe, ham wir des dann dahin geschrieben und dann ham wir des aber wieder weggenommen weils dann auch gar nich mehr stimmte, […] (GD Prozess Passage ›Selbstverständnis‹ 08:16-09:03) Es lässt sich rekonstruieren, dass eine reine Aufzählung privilegierter Positionen sich nicht als erstrebenswerte Praxis im Umgang mit der unbefriedigenden Zusammensetzung der Gruppe darstellt. Es bildet sich dabei eine gewisse Ablehnung der Identifizierung allein mit den eigenen privilegierten Positionen ab (»diesen Identitäten irgendwie zuzuordnen«). Eine Herangehensweise, die privilegierte Positionen der Gruppenmitglieder lediglich benennt, zeigt sich zudem als unpraktikabel für eine prozesshafte Veränderung der Gruppe (»weils dann auch gar nich mehr stimmte,«). Als zentral dokumentiert sich hier, dass im Kontext der Zusammensetzung der Gruppe vor allem Aushandlungen des Umgangs mit der Benennung von privilegierten Positionen im Vordergrund stehen, während Fragen nach den Auswirkungen einer spezifischen Zusammensetzung sich zunächst als nicht so bedeutsam darstellen. Vielmehr wird das Abkehren von einer prominenten Benennung der sozialen Positionen im Selbstverständnis auch mit einer Fokussierung auf »Inhalte« erklärt: Leni: […] also zu der Zeit wo wirs weggenommen hatten war die Gl- Gruppe auch viel p:luraler? würd ich sagen und auch manche warn dann mit so Labels gar nicht zufrieden und dann mussten wir schon wieder ganz tausend Labels hinschreiben und dann ham wirs @glaub ich weggelassen@ Marah: └ºmhº ºjaº
7. Zwischen Theorie und Praxis
Leni: └weil: es entweder auch aus:- schließend sogar wirken kann oder ja oder man da halt alles mögliche hinschreiben muss- te oder hätte müssen und dann ham wirs halt weggelassen Marah: mhm Leni: └und halt eher über Inhalte statt über Identität sozusagen Marah: └genau (1) […] (GD Prozess Passage ›Selbstverständnis‹ 09:06-09:37) Hier spielt sich ein Prozess der Aushandlung der Benennungen von Identitätskategorien innerhalb der Gruppe ab. Dabei lässt sich rekonstruieren, dass eine Aufzählung von Identitätskategorien sich nicht als praktikabel darstellt und von einer Praxis abgegrenzt wird, die sich allein über Identitätskategorien definiert. »Identität« und »Inhalte« werden hier unabhängig voneinander gehandhabt. Die Frage, welche Auswirkungen soziale Positionen auf Inhalte und Ausrichtungen haben kann, wird an dieser Stelle nicht thematisiert. Im Verlauf der Diskussion zeigen sich dann Strategien, die weitere Aspekte neben Selbstreflexion und Benennung von Identitätskategorien im Umgang mit einer sich als problematisch darstellenden Gruppenzusammensetzung umfassen. Diese Zusammensetzung wird im Kontext der zweiten Frauenbewegung nochmals aufgegriffen: Leni: mh was ne große Kritik ja daran war war oder is auch dass es halt so weiße deutsche Mittelstands Feministinnen waren und genau ºdaº Marah: was wir auch sind Leni: was wir auch sind Marah: └@(.)@ Leni: └@genau@ @(.)@ ja (2) aber wir versuchen des auf jeden Fall zu reflektieren und Marah: └alsLeni: └auch da Netzwerke zu schmieden oder so ne, also was zu Schwarzem Feminismus ham wir ne Reihe gemacht die ging auch über=n dreiviertel Jahr, Marah: ºmh;º Leni: zum Beispiel (GD Prozess Passage ›zweite Frauenbewegung‹ 30:59-31:29)
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Erneut stellen sich hier die sozialen Positionierungen der Teilnehmerinnen bezüglich der Kategorie race, Nationalität und nun zusätzlich auch Klasse als problematisch dar. Die zweite Frauenbewegung dokumentiert sich hier als eine homogene Bewegung, die gleichzusetzen ist mit privilegierten sozialen Positionen. Die Ähnlichkeit ihrer eigenen sozialen Positionen mit jenen, die sich in der Kritik gegenüber der zweiten Frauenbewegung als zentral darstellen, wird als unangenehmer Aspekt angedeutet (siehe das längere Lachen) und begründet die Notwendigkeit, Unterschiede des Umgangs mit diesen Positionen hervorzuheben. Die Frage, wieso sich die Gruppe genau aus diesen sozialen Positionen zusammensetzt, erscheint dabei als nicht bedeutsam. Selbstreflexion stellt sich als wichtige, aber nicht ausreichende Strategie des Umgangs mit privilegierten Positionen dar. Es dokumentiert sich der Bedarf nach aktivem Handeln und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Feminismen, die nicht zentral auf weiße Frauen aufbauen. Die Hervorhebung des Themas Schwarzer Feminismus zeigt, dass die Kritik an der zweiten Frauenbewegung bezüglich ihrer Zusammensetzung mit Schwarzem Feminismus zusammenhängt und verweist auf ein Wissen über Auseinandersetzungen um Rassismus im Kontext der zweiten Frauenbewegungen. Eine Beschäftigung mit der Klassendimension der Zusammensetzung wird hingegen nicht weiterverfolgt und auch andere Differenzlinien wie Behinderung bleiben unerwähnt. Es lässt sich folglich rekonstruieren, dass die Kategorie race bei der vorherigen Aufzählung privilegierter Positionen besonderes Augenmerk erfährt. Jenseits der Reflexion der eigenen sozialen Positionen zeigen sich in der Art und Weise, wie im Verlauf der Diskussion bestimmte Themen verhandelt werden, Anknüpfungspunkte an eine intersektionale Herangehensweise sowie Möglichkeiten deren Umsetzung. Dies wird besonders in der Passage über den Themenkomplex Abtreibung bzw. reproduktive Rechte deutlich. Auf das Thema Abtreibung kommt die Gruppe im Zuge ihrer Überlegungen zu eventuellen eigenen Überschneidungen mit der zweiten Frauenbewegung zu sprechen. Abtreibung wird als ein zentrales Thema der zweiten Frauenbewegung identifiziert und auch als ein zentrales Thema der Gruppe herausgestellt: Marah: u:nd des is uns auch wichtig eigentlich also nicht nur eigentlich Leni: mhm; Marah: └und auch eigene Themensch- Themen::: Punkte zu setzten die vielleicht damals auch nicht diskutiert werden konnten ne, also auch grade wenn man sich die Technisierung der Medizin, anguckt wi:e also da auch ne Entwicklung=z- zu gucken dass es natürlich auch um das Recht auf Abtreibung auf uneingeschränkt mögliche Abtreibung geht aber auch zu gucken okay was für (1)
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f::- also wenn man jetzt pränatale Untersuchung anguckt und: wann welche, (1) ich nenns mal Behinderung (1) oder Gendeffekte oder sonst was festgestellt werden können; und wie lange auch noch abgetrieben werden kann. dass man sich dann halt auch überlegt okay in was für=ner Gesellschaft, is=is also v- müssleben wir denn eigentlich also da auch nochmal die Frage is- zu stellen dass eben so viele Kinder mit Behinderung abgetrieben werden, und die Frage zu stellen (1) dass das ja eigentlich nicht seien müsste obwohl ne=man natürlich also wir natürlich auch uns davor hüten würden F:- Frauen den Vorwurf zu machen oder oder sonst was aber wir wollen zumindest die Gesellschaft irgendwie angucken und da auch Kritik äußern und vor allen Dingen wollen wir da nicht das das eine gegen das andere ausspielen. […] (GD Prozess Passage ›Reproduktive Rechte‹ 25:10-26:34) Das uneingeschränkte Recht auf Abtreibung zeigt sich als selbstverständlicher Ausgangspunkt sowie auch das Streben nach einem Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Bezug auf Abtreibung. Dies wird auch nicht durch den Einbezug weiterer Differenzlinien in Frage gestellt. Vielmehr lässt sich eine Kritik an strukturellen Unterdrückungsverhältnissen rekonstruieren, die sich bei dem Thema Abtreibung als relevant darstellen, wobei insbesondere Behinderung und die unterschiedliche Behandlung von behinderten und nicht-behinderten Föten als bedeutsam diskutiert werden. Dies verweist auf eine Auseinandersetzung mit den Perspektiven behinderter Personen auf Abtreibung (vgl. Köbsell, Pfahl 2016; Boll et al. 2002 [1985]). Intersektionalität erweist sich hier nicht als Hilfsmittel um unterschiedliche Erfahrungen von Frauen zu betonen, sondern als Instrument für eine multidimensionale Perspektive, die verschiedene Unterdrückungsverhältnisse zusammendenkt und nicht gegeneinander ausspielt (»nicht das das eine gegen das andere ausspielen«). Diese multidimensionale Perspektive zeigt sich dabei als ein stetiger Prozess: Leni: […] also des Thema Queer da auch mit reinzuholen oder Thema Regenbogenfamilien mit reinzuholen Thema Behinderung (1) genau also genau also sich auch nicht zu scheuen irgendwie diese Themen immer noch weiter zu thematisieren Marah: └mhm; Leni: └aber halt bisschen bisschen offener und breiter noch Marah: ja Leni: ja Marah: └reproduktive Rechte
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Leni: Marah: Leni:
└genau └quasi @(.)@ └so insgesamt ja […] (GD Prozess Passage ›reproduktive Rechte‹ 29:12-29:33)
Neben der Kategorie Behinderung zeigt sich auch das Thema Sexualität als relevante Kategorie in der Auseinandersetzung mit dem Thema Abtreibung. Eine Perspektive auf Abtreibung unter Einbezug verschiedenster Differenzlinien wird hier unter dem Begriff »reproduktive Rechte« zusammengefasst. Dieser verweist auf ein Konzept, welches u.a. auf den Kämpfen und Konzepten marginalisierter Frauen* und ihrer Kritik an einem ausschließlichen Fokus auf Abtreibung aufbaut (Ross, Solinger 2017: 9ff). In der Verwendung dieses Begriffs lässt sich somit ein Wissen um diese Kritik erkennen sowie der Anspruch, diese Kritik zu reflektieren. Zudem dokumentiert sich hier, dass die Umsetzung einer intersektionalen Perspektive sich als ein kontinuierlicher Prozess darstellt, bei dem Themen »immer noch weiter« und »breiter« betrachtet werden. Diese Prozesshaftigkeit erweist sich auch als verbunden mit einer stetigen Aushandlung von Themen innerhalb der Gruppe: Leni: […] das find ich eigentlich schön Marah: ja Leni: dass es nich so so is es jetzt oder so sondern dass wirklich viel diskutiert wird bis dann mal ein Satz formuliert is Marah: └@(.)@ Leni: └oder so @(.)@ Marah: └ja Widersprüche aushalten auch ne, Leni: ja genau (1) (GD Prozess Passage ›reproduktive Rechte‹ 27:26-27:39) Hier wird die Ablehnung absoluter und universalistischer Positionen ersichtlich, aber auch die Notwendigkeit von Aushandlungsprozessen, um eine multidimensionale und somit intersektionale Herangehensweise umsetzen zu können. Dabei zeigt sich überdies, dass bestimmte Spannungsverhältnisse sich nicht immer auflösen lassen und es folglich ein Aushalten von »Widersprüchen« bedarf.
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Die Umsetzung einer intersektionalen Perspektive zeigt sich auch verknüpft mit der Notwendigkeit gegen die »Instrumentalisierung« sexualisierter Gewalt für rassistische Unterdrückung Stellung zu beziehen. Darauf kommt die Gruppe im Kontext ihrer Besprechung der Auswirkungen der Debatten nach ›Köln‹ in ihrer Stadt zu sprechen: Leni: fand ich auf jeden Fall auch krass also diese diese ganze Instrumentalisierung dann und dieses Labelling ja alle Geflüchteten sind so: und dann so rassistische Marah: wir müssen unsere unsere weißen Leni: └Hetze Marah: └Frauen Leni: └genau Marah: └retten Leni: └ja Marah: └und so weiter Leni: └was ja Marah: └beschützen Leni: └also identitäre Bewegung hat so Flyer und also w::- wie die ganze: rechte Szene ist da quasi sehr in Anführungszeichen feministisch irgendwie dann unterwegs. Marah: in Anführungszeichen; Leni: └in Anführungszeichen Marah: └mhm Leni: └auf jeden Fall Marah: └ºmhº Leni: └genau und dazu gilt es sich ja eig- auch zu positionieren irgendwie (2) mhm (1) des=is gar nich so einfach @(.)@ Marah: └nee es is alles gar nich so einfach Leni: ja (3) ºmhmº (GD Prozess Passage ›Instrumentalisierung‹ 53:02-53:45) Es dokumentiert sich hier die Ablehnung einer Praxis des Widerstands gegen geschlechtsspezifische Gewalt, die die Verstärkung eines anderen Unterdrückungsverhältnisses wie Rassismus zur Folge hat. Solch eine Vorgehensweise stellt sich als unvereinbar mit dem Feminismusverständnis der Gruppe dar,
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worauf die mehrmalige betonte Verwendung von »Anführungszeichen« verweist. Gleichzeitig stellen sich die Möglichkeiten der Umsetzung einer intersektionalen Perspektive in diesem Kontext als herausfordernd dar und es werden keine potenziellen Realisierungsmöglichkeiten besprochen. Dies impliziert, dass die Umsetzung einer intersektionalen Perspektive bei der Gruppe sich aktuell insbesondere bei der Verschränkung von Sexismus und Rassismus als problematisch darstellt.
Zusammenfassung In der Diskussion mit Gruppe Prozess konnten Möglichkeiten sowie Herausforderung in der Umsetzung einer intersektionalen Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen herausgearbeitet werden. Prozesshaftigkeit als Grundprinzip zeigt sich dabei als besonders bedeutsam für die Realisierung intersektionaler Ansprüche. Intersektionalität dokumentiert sich als Herangehensweise, die einer kontinuierlichen Weiterentwicklung unterliegt und nicht einen Zustand darstellen kann. Hier wird von Bedeutung, was Ilse Lenz (2019) mit »prozessualer Intersektionalität«15 verbindet. Sie bezieht dies zwar vor allem auf Fragen der In- und Exklusionen in sozialen Bewegungen (Lenz 2019: 408), anhand der Gruppe Prozess zeigt sich jedoch auch, dass prozessuale Intersektionalität nicht allein in Bezug auf die Zusammensetzung von Gruppen und Bewegungen von Bedeutung sein kann, sondern auch in Bezug auf die Entwicklung einer intersektionalen Perspektive auf Themen und Anliegen. Dies konnte bei der Gruppe Prozess insbesondere im Falle der Auseinandersetzung mit der Thematik reproduktive Rechte herausgearbeitet werden. Die Kategorie race steht wie bereits bei Gruppe Anspruch unter besonderem Rechtfertigungsdruck, vor allem im Kontext der Zusammensetzung der Gruppe sowie den Verschränkungen von Sexismus und Rassismus. Im Zusammenhang anderer feministischer Gruppen dokumentiert sich das Streben nach Intersektionalität auch in Form eines Einschreitens und Kritikübens, wenn diskriminierende Aktionen durchgeführt werden (Bsp. Femen
15 Mit diesem Begriff schlägt Lenz vor »die Teilhabe in sozialen Bewegungen in intersektionaler Sicht als Prozess [Herv. i. O.] zu begreifen. Während die Teilhabechancen zu Beginn von ungleichen Positionen beeinflusst sind, bilden Bewegungen dann politische Räume, in denen die unterschiedlichen Akteure um ihre Partizipation darin und deren Symbole und Ziele verhandeln.« (Lenz 2019: 408).
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oder rassistische Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt). Insbesondere im Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen feministischer Solidarität mit anderen Gruppen einerseits und andererseits der Ablehnung von Praktiken, die auf eine Verstärkung anderer Unterdrückungsverhältnisse aufbaut, orientiert sich die Gruppe an einer Prozesshaftigkeit, die eine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen feministischen Gruppen/Strömungen anstrebt und auf Veränderung und Weiterentwicklung abzielt. Neben additionalen und intersektionalen Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen, finden sich im Datenmaterial auch Konzeptualisierungen, die sich jenseits dieser Pole befinden. Im Folgenden werden zwei solcher Herangehensweisen anhand der Gruppen Ambivalenz und Erweiterung näher erörtert.
7.4 Ein Kollektiv der Vielfalt – Gruppe Ambivalenz Für die Gruppe Ambivalenz konnte eine Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen nachgezeichnet werden, in deren Fokus ein Kollektiv ›Frauen‹ steht, welches sich durch Gemeinsamkeiten sowie durch Differenzen aufgrund unterschiedlicher sozialer Positionierungen von Frauen auszeichnet. In Bezug auf Möglichkeiten der Umsetzung dieser Herangehensweise dokumentieren sich etliche Anschlüsse, aber auch Herausforderungen und Grenzen. Das Verhältnis von Konzeptualisierung und Umsetzung stellt sich somit als ambivalent dar und liegt der Bezeichnung der Gruppe Ambivalenz zugrunde.
Vorstellung der Gruppe Die Gruppe Ambivalenz besteht aus fünf Mitgliedern (Patricia, Iris, Karen, Isabelle, Agnes) eines Redaktionsteams, welches vierteljährlich eine feministische Zeitschrift mit dem Titel wir Frauen – ein feministisches Blatt herausgibt. Der Kontakt zur Gruppe verlief über eine direkte E-Mail-Anfrage und ich wurde eingeladen, vor einer regulären Redaktionssitzung die Gruppendiskussion durchzuführen. Keine der Teilnehmerinnen war bei der ursprünglichen Gründung der Zeitschrift dabei. Eine Gründerin (Aurelie) ist bis heute bei der Zeitschrift aktiv, war aber nicht bei der Diskussion anwesend. Die Diskussionsteilnehmerinnen sehen sich in einer Tradition mit den Frauen, die in den 80ern die Zeitschrift gegründet haben und verorten die Entstehung der Zeitschrift im Kontext der autonomen Frauenbewegung, sowie der internationalen Solidaritäts- und Frie-
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densbewegung der 80er Jahre. Die Zeitschrift wird auf ehrenamtlicher Basis herausgegeben und finanziert sich durch ihren Verkauf sowie Spenden. Neben der Print-Ausgabe wird eine Auswahl an Artikeln auch online veröffentlicht. Das Themenspektrum der Zeitschrift, das während der Diskussion angesprochen wird umfasst u.a.: Arbeit und Arbeitsverhältnisse, Friedenspolitik, Care-Arbeit, Selbstbestimmung, Antifaschismus sowie umweltpolitische Themen. Neben der Herausgabe der Zeitschrift ist die Gruppe in verschiedenen Netzwerken und Initiativen aktiv, wie dem Care Revolution Netzwerk und einer Initiative rund um das ehemalige Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Die Gruppe ist nicht an eine einzelne Stadt gebunden, sondern vielmehr in einer westdeutschen Region angesiedelt, in welcher die Teilnehmerinnen in unterschiedlichen Städten wohnen. Zur Zusammensetzung der Gruppe kann gesagt werden, dass die Gruppe in Bezug auf die Kategorie Alter die heterogenste Gruppe im Datenkorpus ist. Diese generationsübergreifende Zusammenarbeit wird während der Diskussion auch mehrmals hervorgehoben. Eine Teilnehmerin bezeichnet sich gleich zu Beginn der Diskussion als lesbische Frau. Im weiteren Verlauf betont die Gruppe, dass sie sich aus Frauen mit und ohne Kinder sowie mit universitären wie nicht-universitären Hintergründen zusammensetzt.
Diskussionsverlauf und Atmosphäre Die Diskussion fand im Juni 2016 in der Privatwohnung einer Teilnehmerin statt. Während der Diskussion wurde ein Teil der Gruppe gefilmt, dieses Material diente lediglich der Unterstützung im Transkriptionsprozess und wurde sonst von mir nicht weiterverwendet. Auf Nachfrage habe ich dieses Material der Gruppe zur Verfügung gestellt. Die Diskussion gestaltet sich sehr selbstläufig; nach dem Einstiegstimulus reden die Teilnehmerinnen ohne weitere Nachfragen 54 Minuten. Dabei zeichnet sich die Diskussion durch eine sehr angenehme und unterstützende Atmosphäre aus, was sich auch in einem überwiegend inkludierenden Diskursmodus dokumentiert. Charakteristisch ist, dass die Diskussion von vielen Einzelmonologen geprägt ist und sehr interaktive Verläufe selten sind. Den einzelnen Teilnehmerinnen wird viel Raum eingeräumt, um ihre jeweiligen Zugänge zur Gruppe und ihre Themenschwerpunkte zu erläutern. Diese Erzählungen bleiben meist zunächst unkommentiert, werden aber im weiteren Verlauf von anderen wieder aufgenommen oder in einen positiven Bezug gesetzt. Wenn interagiert wird, lässt sich meist ein selbstverständliches Verstehen und damit ein geteilter Erfahrungsraum rekonstruieren, zum Beispiel dadurch, dass Sätze
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gegenseitig beendet oder Validierungen vorgenommen werden, bevor aufgeworfene Orientierungsgehalte näher ausgeführt werden. Die Reihenfolge, in der die Teilnehmerinnen nach dem Einstiegsstimulus ihren Zugang zur Gruppe schildern, orientiert sich an der Dauer der Redaktionstätigkeit: Die Person, die am längsten Teil des Teams ist fängt an (Iris), gefolgt von derjenigen, die am zweitlängsten (Karen) aktiv ist bis hin zur Person, die zuletzt zugestoßen ist (Patricia). Dabei wird eine Vielzahl an feministischen Themen und Debatten angesprochen, ohne jeweils intensiver diskutiert zu werden, wie zum Beispiel die Frage der Mittäterschaft von Frauen an unterdrückerischen Strukturen, das Verhältnis von Frauenbewegung und Feminismus, der Umgang mit Widersprüchen und Ambivalenzen oder die Kapitalisierung von Frauenbewegungen. Diese Einzelerzählungen erstrecken sich über die ersten 45 Minuten. Danach geht die Diskussion über in die Schilderung der überregionalen Initiativen und Themenfeldern, in denen die Gruppe aktiv ist oder gerne noch aktiver sein würde. Anhand des Themas Antifeminismus wird über Solidarität und die Wichtigkeit von offline Solidarität gesprochen, was in eine Diskussion über die Gründe einer fortbestehenden Print-Ausgabe übergeht. Nach 54 Minuten greife ich die vorherige Äußerung auf, dass es hinsichtlich des Titels der Zeitschrift wir Frauen – ein feministisches Blatt Auseinandersetzungen gegeben hat und frage nach der Bedeutung des Titels für die Teilnehmerinnen. Diese Frage wird 15 Minuten lang diskutiert, wobei erneut Einzelmonologe die Diskursorganisation prägen. In Bezug auf die Frage, ob hinter das Frau ein »*« gehöre, deuten sich Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe ab, die jedoch nur am Rande erwähnt werden und nicht zu unauflöslichen Widersprüchen oder Konflikten führen. Mit Verweis auf die anschließenden Redaktionssitzung und dem entsprechenden Zeitmangel beendet die Gruppe nach 1 Stunde und 13 Minuten die Diskussion. Direkt nach der Diskussion fragen die Teilnehmerinnen mit Spannung nach meiner Fragestellung und nehmen sie positiv auf. Nach einem kurzen Austausch darüber, geht die Gruppe über zu ihrer regulären Redaktionssitzung, an der ich noch für eine Stunde passiv teilnehme, bevor ich mich verabschiede.
In Tradition eines linken Feminismus In der Diskussion der Gruppe Ambivalenz lässt sich als zentral rekonstruieren, dass eine Anerkennung und Anknüpfung an vergangene Tätigkeiten und Errungenschaften von Frauen angestrebt werden. Dies zeigt sich auch in der Art
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und Weise, wie direkt nach dem Einstiegsstimulus betont wird, dass sie nicht »die erste Generation« der Zeitschrift seien: Karen: also entstanden kann ich nichts zu sagen Isabelle: da fehlt die Aurelie [Name einer der Gründerinnen der Zeitschrift] ?: └al?: hä? Iris: └ja da fehlt die Aurelie genau also wir sind hier nicht die erste Generation […] (GD Ambivalenz ›Entstehung‹ 00:33-00:41) Es lässt sich hier rekonstruieren, dass das Gründungsnarrativ der Zeitschrift untrennbar mit den Frauen, die das Projekt ins Leben gerufen haben, verbunden wird und auch nicht angeeignet wird. Hierin äußert sich außerdem die Wichtigkeit, die der Genealogie der Zeitschrift und vor allem dem Respekt für die Gründerinnen zugeschrieben wird, in deren Tradition sich die Gruppe verortet (»nicht die erste Generation«). Diese Bedeutung von Genealogien und Anerkennung historischer Entwicklungen und Leistungen lässt sich nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Gründerinnen der Zeitschrift rekonstruieren, sondern auch in Bezug auf die Leistungen von Frauen im Allgemeinen, was sich in homologer Weise in der gesamten Diskussion zeigt. So zum Beispiel bei den Beschreibungen des Zeitschrifteninhalts: Karen: […] der Blick auf die Geschichte, dass Frauen und ihre Leistungen nicht vergessen werden […] (GD Ambivalenz ›Zugang Karen‹ 05:35-05:40) Oder in der Diskussion über den Titel der Zeitschrift: Patricia: gibt eben in der Geschichte auch schon viele tolle Frauen die sich dazu Gedanken gemacht haben […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 01:01:45-01:01:49) Es wird erkennbar, dass diese Hervorhebung der Leistungen von Frauen sich gegen eine Marginalisierung von Frauen und ihren Beitrag für die Gesellschaft
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wendet. Dies zeigt sich gerade in der Metapher des »Müllhaufen der Geschichte«, die Isabelle verwendet: Isabelle: […] und ich denke dass es gleichzeitig sinds ham sie aber haben m::Frauen dadurch oft Qualitäten sich angeeignet die: nicht auf den Müllhaufen der Geschichte gehören Patricia: └ja Isabelle: └sondern eher mit nem Blick auf=n Projekt nach vorne relevant sind. […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 59:49-01:00:02) Dabei lässt sich herausarbeiten, dass es nicht allein darum geht, diese Leistungen anzuerkennen, sondern, dass diese Errungenschaft für aktuelle Tätigkeiten relevant sind (»auf=n Projekt nach vorne relevant sind.«). Darin dokumentiert sich, dass danach gestrebt wird auf vergangen Kämpfe von Frauen aufzubauen, was im Kontext der Diskussion über den Titel der Zeitschrift besonders deutlich wird: Isabelle: […] für mich stellen wir uns damit halt einfach in die Tradition auch einer langen Bewegung und Patricia: genau Isabelle: └und historischer Linie und und ner:: einer der d::durchaus sehr machtvolle soziale Bewegung wenn man sich guckt was Frauen in die Geschichte über Jahrhunderte zurück erkämpft und erstritten haben (…) (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 58:55-59:12) Damit hängt eine Betonung der Kontinuität von Auseinandersetzungen in feministischen Bewegungen zusammen, wie in den Ausführungen Karens darüber, was sie an der Gruppe schätzt, deutlich wird: Karen: […] ja was ich bei der wir Frauen nach wie vor gut finde dass ist das breite Spektrum das sind die: Frauen die dazu kommen sich einzulassen auf auf Neudiskussionen wo ich oft denke das sind doch auch alte Diskussionen, die waren schon (1) immer da also=seitdem ich mich engagiere gibts die Diskussionen um
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queerness (1) querness ist für mich häuftig so=n so=n ne weitere (1) n=weiterer Begriff für Feminismus, wobei eben breiter nochmal […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Karen‹ 08:57-09:31) Hier dokumentiert sich bereits, dass Kontinuität nicht mit Unveränderlichkeit gleichgesetzt wird, sondern dass vielmehr ein Zusammenbringen von früheren und aktuellen Auseinandersetzungen angestrebt wird. Dabei lassen sich aktuelle Diskussionen als Erweiterung vorheriger rekonstruieren, was die betonten Begriffe »weitere« »breiter« illustrieren. Dass dabei nicht auf alle feministischen Bewegungen aufgebaut wird, sondern ein ganz bestimmter Feminismus als Orientierung dient, macht folgende explizite Abgrenzung von Isabelle deutlich: Isabelle: […] ne, und Feminismus is nicht Frauenbewegung also das is ja dann auch un- und es gibt so viele Feminis- also es is in St- es is vereinfachend. (1) aber da gibts natürlich auch Strömungen wo wir die wir schwierig finden und die wir problematisch finden wenn es so=n neoliberaler Feminismus is oder=n bürgerlicher Feminismus dann ist da auch es is vielleicht auch was wo wir einen linken Feminismus gegensetzen ?: └mhm Isabelle: └wollen. Patricia: genau. […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 01:01:17-01:01:41) Es dokumentiert sich folglich, dass auf bestimmte Aktivitäten von Frauen bzw. bestimmte feministische Strömungen aufgebaut wird. Gleichzeitig deutet dieser Abschnitt bereits darauf hin, dass sich von einer »vereinfachenden« Sichtweise abgegrenzt wird. Dies zeigt sich auf homologe Weise mehrmals im Verlauf der Diskussion; die Teilnehmerinnen scheinen also bei einem Anschluss an vorherige und aktuelle Bewegungen nicht nach kritikloser Übernahme, sondern nach einem »kritisch wie solidarischen Blick« zu streben. In den Ausführungen von Agnes über einen Artikel, den Isabelle über aktuelle feministische Bewegungen geschrieben hat, wird dies besonders deutlich: Agnes: […] ich weiß dass die Isabelle damals auch (2) ein für mich sehr inspirierenden Artikel geschrieben hat den ich auch bei der Lesung neulich @vorgelesen hab@
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Isabelle?: └mhm Agnes: weil tatsächlich dieser dieser komplexe Blick deutl- also so=n komplexer Blick Karen?: └mhm Agnes: └deutlich geworden is auf dieses: neue Aufpoppen von Bewegung von=ner Bewegung die aber eigentlich auch schon immer da war und jetzt sozusagen so=n bisschen versucht wurde mit so=m neuen Anstrich oder das is jetzt was Neues was aber eigentlich Fragen der zweiten Frauenbewegung (1) (auf::) aufgeworfen hat gleichzeitig aber so=ne n::- Kritik an der Frauenbewegung hatte und Isabelle hat das damals so differenziert also mit=nem kritisch wie solidarischen Blick irgendwie eingefangen; (1) und so Sachen ham mich bis heute irgendwie inspiriert und das is auch eigentlich das was die wir Frauen ausmacht was du auch schon gesagt hast Isabelle also diese (1) nich sozusagen (1) eindimensional auf was drauf zu gucken sondern es wirklich differenziert auszuleuchten. […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Agnes‹ 27:08-28:09) Hier lässt sich nachweisen, dass neben dem Streben nach Komplexität und der Abgrenzung zu einem »eindimensionalen« Vorgehen gerade auch Solidarität als Maßstab gilt. Dies kann im Verlauf der Diskussion an etlichen Stellen rekonstruiert werden, sei es zur Art und Weise, wie über den Inhalt der Zeitschrift gesprochen wird: Karen: […] und dann immer dieser soli- solidarische Diskurs […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Karen‹ 05:40-05:44) Oder in der Diskussion um den Titel der Zeitschrift: Agnes: […] weil ich das auch nochmal wichtig finde ist diese Idee:: der Solidarität […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 01:07:47-01:07:50) Auch in der Auseinandersetzung mit Netzfeminismus und antifeministischen Angriffen, die analoge feministische Räume erfordern, lässt sich diese Haltung nachzeichnen:
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Agnes: […] dieser offline also wirklich diese offline Solidarität und Freundinnenschaft ist eigentlich (2) das was wo ich glaube dass das einen wirklich stark macht um eben z- für feministische Kämpfe ja sich zusammen zu tun […] (GD Ambivalenz Passage ›offline Solidarität‹ 51:35-51:48) Die Möglichkeit, diese angestrebte Solidarität zu realisieren, zeigt sich gerade innerhalb der Gruppe selbst als gegeben bzw. bereits realisiert. Dies machen die Ausführungen von Astrid sehr eindrücklich: Agnes: […] ich hab nie dieses diese Art von Gruppenzugehörigkeit wie wie zu den wir Frauen und kann mir das auch gar nicht vorstellen; und ich kann mir @tatsächlich auch gar@ nich vorstellen irgendwann nich mehr Karen: ((schmunzeln)) Agnes: └dabei zu sein weil es is halt wirklich einzigartig Patricia: @(.)@ me: └@(1)@ Agnes: └ne was wirklich das einzigartige is das is diese Art von Wertschätzung und Solidarität; (1) also=un wo ich auch so=n blindes Vertrauen haben kann das hab ich so noch nirgendwo anders erlebt […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Agnes‹ 28:27-28:56) In der Metapher »blindes Vertrauen« wird der absolute Stellenwert erkennbar, der dem Verlassen aufeinander innerhalb der Gruppe beigemessen wird. Des Weiteren zeigt sich, dass Solidarität mit einer gewissen Kollektivität (»Gruppenzugehörigkeit«) verbunden wird, was sich auch im Ausschnitt weiter oben in dem Begriff »Freundinnenschaft« ausdrückt. Letzteres deutet bereits an, dass Kollektivität eng verknüpft ist mit einem dezidierten Frauenkollektiv, welches für die rekonstruierte Konzeptualisierung von Differenzen von Frauen eine große Bedeutung innehat.
Ein Kollektiv der Vielfalt Ein Streben nach Kollektivität innerhalb der Diskussion mit Gruppe Ambivalenz zeigt sich auch in der herausgearbeiteten Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen. In dieser steht ein Kollektiv ›Frauen‹ im Mittelpunkt, welches sich insbesondere durch eine geteilte Betroffenheit von Diskriminierung auszeichnet. Dies wird besonders deutlich in der Passage über den Titel der Zeit-
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schrift wir Frauen – ein feministisches Blatt und den Ausführungen von Iris zu Feminismus. Iris: […] ja also mit dem Feminismus und die Frauen haben alles schon erreicht. ºangeblichº nein haben sie nicht und es gibt sie noch verstärkt. Frauen die: in prekären Verhältnissen leben deren Rente nicht ausreicht ich=hab zehn Jahre beim Sozialamt gearbeitet ich weiß das. sind immer Frauen also zu neunundneunzig Prozent es gibt auch Männer die aus irgendwelchen ungerechten Gründen die: A-Karte haben und wirklich am absoluten sozialen Rand landen. aber es sind meistens Frauen ne, die: irgendwie äh Karen: prekär leben. Iris: prekär leben genau. ja die Arbeitsverhältnisse haben wo sie auf Abruf sind wo sie auch in meinem Arbeitsbereich in der Krankenhilfe n Zweitjob haben müssen weil das der erste Job nicht gut genug bezahlt is und so weiter und so weiter und die dazwischen alles andere zu organisieren haben. (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 57:54-58:38) Bereits im ersten Satz zeigt sich hier die untrennbare Verknüpfung von Feminismus und Frauen: Frauen werden als das Subjekt des Feminismus verstanden und ihre gesellschaftlich benachteiligende Position wird als das zentrale Anliegen von Feminismus dargestellt. Die Benachteiligung von Frauen wird dabei in prekären Lebensverhältnissen verortet, die sich durch niedrige Löhne und Renten sowie Mehrfachbelastungen auszeichnen. Damit lässt sich eine Verschränkung von Sexismus und Klassismus in der Diskriminierungserfahrung von Frauen rekonstruieren. Dies dient hier aber nicht zur Betonung von Differenzen zwischen Frauen, sondern vielmehr zur Hervorhebung, dass das Kollektiv ›Frauen‹ in der Gesellschaft die größte Benachteiligung aufweist. Die Interaktion zwischen Iris und Karen zeigt in diesem Abschnitt, dass es sich dabei um eine geteilte Orientierung handelt: Karen beendet Iris’ Satz, als diese mit dem Begriff »prekär leben« ins Stocken gerät und Iris ihn als passend einstuft. Dies verdeutlicht die Einigkeit innerhalb der Gruppe bezüglich dieser Überzeugung der allgemeinen Benachteiligung von Frauen. Sehr deutlich zeigt sich in diesem Abschnitt zudem eine klare Trennung der Situation von Frauen und Männern in dieser Hinsicht. Das Kollektiv ›Frauen‹ wird somit im Machtverhältnis zu Männern und gerade in der Differenz zu ihnen als bedeutsam beschrieben, es besetzt eine generelle ›Opferposition‹. Die Bedeutung von weiteren Machtverhältnissen in Bezug auf die Diskriminierungserfahrung von Frauen, aber auch die Frage, inwieweit bestimmte Männer
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von z.B. Rassismus oder Klassismus betroffen sind und evtl. größere Benachteiligung erfahren als bestimmte privilegierte Frauen, erweist sich an der Stelle als vernachlässigt. Hier zeigt sich die Gefahr, die einer Homogenisierung der Erfahrungen von Frauen in der Konstruktion eins Kollektivs ›Frauen‹ und der damit einhergehenden essentialistischen Herangehensweise innewohnt. Grina Trillo beschreibt dies wie folgt: »An essentialist outlook assumes that the experience of being a member of the group under discussion is a stable one, one with a clear meaning, a meaning constant through time, space, and different historical, social, political, and personal contexts.« (Grillo 1995: 19) Dies dokumentiert sich auch eindrücklich in der direkt anschließenden Äußerung von Isabelle: Isabelle: für mich ist das feministisch also das eine zu sehen man könnte jetzt so sagen mh jetzt sag ich=n ganz böses Wort im Opferranking a- ganz unten sind ?: └@(.)@ Isabelle: └und immer nochmal die die die Frauen jeweils […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 58:40-58:51) Wie auch in den Ausführungen von Iris zuvor dokumentiert sich hier eine allgemeine von anderen Differenzlinien unabhängige Benachteiligung von Frauen als Ausgangspunkt. Im weiteren Verlauf wird diese Zentralität von Frauen und Geschlechterverhältnissen jedoch relativiert ohne, dass dies zu einem direkten Widerspruch oder Austausch führt: Patricia: […] für mich is Feminismus eben auch ne is auch ne Utopie so und is auch was was ja was (1) so wir wollen in dieser Gesellschaft so nich leben. die is für: viele und eben auch für Frauen n=Problem so oder sie hat ne, gibts gibt Verhältnisse die ausbeuterisch s- od- ode- oder unterdrückerisch sind. und wo Menschen eben auf andere Macht ausüben können so und das das zu überwinden das steht für mich da. irgendwie hinter […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 01:03:31-01:03:57)
7. Zwischen Theorie und Praxis
Es zeigt sich hier, dass unterdrückerische Verhältnisse nicht nur auf Frauen bezogen werden; Feminismus wird vielmehr mit einer Veränderung jeglicher Machtverhältnisse assoziiert. Gleichzeitig zeigt sich durch die Formulierung »eben auch für Frauen«, dass ein Bezug zu einem Kollektiv ›Frauen‹ sich trotzdem als notwendig darstellt. Dieser potenzielle Widerspruch zwischen einem zentralen Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ und der gleichzeitigen Betonung vielfältiger Machtverhältnisse jenseits von Geschlecht, zeigt sich besonders deutlich in den Ausführungen von Karen zu Beginn der Diskussion in Bezug auf das Thema »Mittäterinnenschaft«: Karen: und ich hab so für heute überlegt was: wo=wo so mein Schwerpunkt beim beim Feminismus liegt; (1) oder bei meinem bei meinen Überlegungen zur Frauenbewegung und dann bin ich verhältnismäßig schnell auf diesen Gedanken gekommen der Mittäterinnenschaft, (1) dass der mich seit fünfunzwanzig Jahren begleitet; dieses dass Frauen nicht nur Opfer sind der Verhältnisse sondern Frauen machen da mit. in breiten Bewegungen als ich den den Begriff Mittäterinnenschaft das erste mal hörte hat ich d- nur den Bezug auf den Nationalsozialismus. und heute weiß ich dass das viel viel tiefgreifender ist. dass wir dass dass Frauen das System mittragen Isabelle: └an ihrer eigenen Unterdrückungen mitwirken. Karen: └ja ja Isabelle: └mhm Karen: └an allen Unterdrückungen mitwirken sowohl als Täterinnen aber eben auch als Mitläuferinnen und und und und das ist also das war mir wichtig dass das @heute@ auch nochmal zu sagen weil das ist das Thema und da kann ich nicht sagen Frauen sind die besseren Menschen und nä. nein Frauen sind Teil der gesellschaftlichen Bezüge und die stehen nicht außerhalb die sind sondern mittendrin und dass sie Opfer von Gewalt werden ja. ja aber das werden Männer auch. und Kinder auch und überall und trotzdem hab ich natürlich ne @Solidarität gegenüber@ Frauen. die ja. (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Karen‹ 09:37-11:08) Der Einwurf von Isabelle belegt hier die Zentralität, die dem Geschlechterverhältnis innerhalb der Gruppe zugeschrieben wird. Karen verwendet im Anschluss Formulierungen der Validierung (»ja ja«), widerspricht jedoch einer Mittäterschaft von Frauen allein in Bezug auf ihre eigene Unterdrückung und hebt hervor, dass es dabei um jegliche Machtverhältnisse geht, bei denen u.a.
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auch Männer und Kinder zu »Opfer« werden. Mit der Formulierung »Täterinnen« wird deutlich, dass nicht nur die Annahme von Frauen als »kollektive Opfer«, wie es Christina Thürmer-Rohr bei der Einführung des Begriffs Mittäterinnenschaft bezeichnete, herausgefordert wird, sondern auch die Annahme, dass andere Unterdrückungsverhältnisse neben patriarchalen ausschließlich durch Männer verursacht werden und Frauen ›lediglich‹ Mitläuferinnen seien können (Thürmer-Rohr 210: 88).16 Diese Betonung der aktiven Rolle von Frauen in Unterdrückungsverhältnissen stellt sich in einem gewissen Widerspruch zu einem positiven Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ dar. Auch der letzte Ausspruch von Karen, dass eine Solidarität mit Frauen »trotzdem« selbstverständlich ist, deutet auf diese Unstimmigkeit. Diese Art der Beendigung ihrer Ausführung zu (Mit)täterinnenschaft dokumentiert die Selbstverständlichkeit mit der Solidarität mit Frauen und ein positiver Bezug auf das Kollektiv ›Frauen‹ in der Gruppe vorausgesetzt wird. Es stellt sich folglich als notwendig dar, dies im Zusammenhang mit dem Beitrag von Frauen in Unterdrückungsverhältnissen hervorzuheben, und es nicht ›einfach‹ bei dieser Betonung zu belassen. Eine Möglichkeit, dieses Spannungsfeld zwischen einem positiven Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ sowie der gleichzeitigen Anerkennung unterschiedlicher Machtverhältnisse zu überbrücken, zeigt sich dabei in dem Streben nach einem Kollektiv ›Frauen‹, welches sich durch Vielfalt auszeichnet und Frauen unterschiedlicher sozialer Positionen umfassen soll. Dies illustrieren die Äußerungen von Karen bezüglich des Titels wir Frauen: Karen: also ich fin- dass wir Frauen empfand ich immer und auch heute noch als etwas sehr stärkendes. nämlich über das individuelle hinaus gehende. und ich hab das nie als einen einschränkenden Begriff erl- erlebt nie ich fand i::-.ich hab dann immer mal zwischendurch die Diskussionen mitgekriegt wir Frauen das sei doch sowas altbackendes an- k- komischer Titel und ausschließend. nein wir Frauen bedeutet alle alle die sich damit gemeint fühlen. alt jung weiß aus Deutschland kommend aus der Welt kommend woher auch immer. gesund nicht-gesund eingeschränkt nicht-eingeschränkt was auch immer. […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 55:29-56:18)
16 Diese Aspekte in Bezug auf Frauen als (Mit)Täterinnen wurden im theoretischen Teil der Arbeit bereits erörtert (vgl. Kapitel 1.2.).
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Es zeigt sich hier eine Gegenüberstellung eines stärkenden Kollektivgedankens von Frauen als positiver Horizont einerseits und einer Individualisierung von Frauen als Gegenhorizont andererseits. In den Ausführungen von Karen lässt sich erkennen, dass ihr die Diskussionen über Exklusionen im Rahmen eines ›wir Frauen‹ bekannt sind. Gerade in der Wiederholung und Betonung von »alle« wird sichtbar, dass sich von solchen Exklusionen von Frauen abgrenzt und ein inklusives Kollektiv ›Frauen‹ aktiv angestrebt wird. Mit der umfangreichen Aufzählung von Differenzlinien unter Frauen verdeutlicht sich die Vielfältigkeit bezüglich sozialer Positionierung, die diesem kollektiven ›wir Frauen‹ zugeschrieben wird. Mit der häufigen Benennung der Gegensatzpaare dieser Differenzkategorien dokumentiert sich die Betonung von einerseits Marginalisierung und Unterdrückung und andererseits Privilegierung unter Frauen. Das »was auch immer« am Ende der Aufzählung sucht mutmaßlich Exklusionen zu vermeiden, indem eine Unabgeschlossenheit von sozialen Positionen in einem Kollektiv ›Frauen‹ betont wird. In der Formulierung »alle die sich damit gemeint fühlen.« dokumentiert sich zusätzlich, dass die Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv ›Frauen der Vielfalt‹ von einer Selbstdefinition der ›Frauen‹ abhängt und dass sich von einer Fremdzuschreibung geschlechtlicher Identität abgegrenzt wird.
Möglichkeiten und Grenzen eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ In Bezug auf Möglichkeiten der Umsetzung eines Kollektivs ›Frauen‹, welches sich durch Vielfalt auszeichnet, zeigt sich, dass solch ein Kollektiv dazu dient, Solidaritäten über Differenzen hinweg zu praktizieren. Dies wird in den Ausführungen von Isabelle deutlich: Isabelle: solidarisch das find ich ganz wichtig es gibt viele Tendenzen der Entsoldiarisierung. und ich glaub da meinen wir sowohl wollen wir uns nicht gegen muslimische Frauen spalten lassen, gegen ne, also in in d- d- da gibt’s viele Konfliktthemen wo wir auch glaub ich ne andere Linie haben als Alice Schwarzer und EMMA, aber ich auch mit anderen sozialen Bewegungen; also für mich ist die Frauenbewegung nicht ein Gegensatz zur Arbeiter- Arbeiterinnenbewegung oder in Antifaschis- also das gehört für mich Karen: └mhm; Isabelle: └gehören diese Dinge (1) zusammen. […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Isabelle‹ 18:47-19:21)
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Über den geteilten Bezug zu einem Kollektiv ›Frauen‹ stellen sich Möglichkeiten der Solidaritäten zwischen Frauen unterschiedlicher sozialer Positionen dar. Die Verweise auf die Zeitschrift EMMA und ihre Herausgeberin Alice Schwarzer als negativer Gegenhorizont zu einer solchen Herangehensweise dienen der Abgrenzung von anti-muslimischen Positionen dieser Akteurinnen (vgl. Hark, Villa 2017: 77ff). Gleichzeitigkeit wird der Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ auch mit verschiedensten sozialen Bewegungen und Machtverhältnissen assoziiert, insbesondere mit Klassenverhältnissen und Antifaschismus. Möglichkeiten der Realisierung eines Kollektivs ›Frauen‹, das insbesondere nach Vielfalt strebt, lassen sich bei der Gruppe auch in Bezug auf ihre Zusammensetzung rekonstruieren. Dabei werden neben Alter auch Unterschiede bezüglich der sozialen Herkunft innerhalb der Gruppe betont: Iris: […] ja mich hat einfach fasziniert dass viele Frauen aus unterschiedlichsten sozialen universitären oder nicht universitären Hintergründen daran beteiligt sind und diese Redaktionen bilden also da=so generationsübergreifend gearbeitet wurde heftig und auch kontrovers diskutiert wird und trotzdem weiter gemacht wird […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Iris‹ 03:23-03:43) Hier dokumentiert sich, dass in Bezug auf die Differenzlinien Alter und sozialer Herkunft ein Kollektiv der Vielfalt innerhalb der Gruppe als realisiert gilt. In den Ausführungen von Iris zeigt sich auch, dass diese Zusammenarbeit von Frauen unterschiedlicher sozialer Positionen mit Konfliktpotential und starken Auseinandersetzungen verbunden wird. Dass dies aber nie zu einer Auflösung der Gruppe geführt hat, stellt Iris dabei als besondere Errungenschaft dar. Im Verlauf der Diskussion werden noch weitere Differenzlinien unter den Gruppenmitgliedern aufgezeigt, es wird betont, dass eine Zusammenarbeit von Frauen mit unterschiedlichen Erfahrungen nicht als »selbstverständlich« eingestuft wird: Isabelle: […] ich find dass das auch ne auch nich so selbstPatricia: ja Isabelle: └verständlich is die Vielfalt an Lebensweisen die wir haben; […] (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Isabelle‹ 21:55-22:00)
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Die Möglichkeiten eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ dokumentiert sich innerhalb der Gruppe als realisierbarer als jenseits der Gruppe. Dass es sich dabei um feministische Zusammenhänge gerade auch der Vergangenheit handelt, macht folgende Erläuterung deutlich: Isabelle: […] und ich erinnere auch Zeiten auch in den achtziger Jahren in Zusammenhängen da war das sehr viel homogener also ob nun hetero und lesbisch oder Mütter Nichtmütter also da war d:: war das strenger, oder rigider oder wie auch immer und hier hab ich den Eindruck dass es sehr wertschätzend is wie wir uns Karen: └genau Isabelle: └interessieren Karen: └mhm Isabelle: └und ihr macht an den Unis wieder ganz andere Erfahrungen und das wird hier sehr fruchtbar. (GD Ambivalenz Passage ›Zugang Isabelle‹ 22:35-22:56) Ein Zusammenbringen von Frauen mit unterschiedlichen Erfahrungen wird als positive Bereicherung gefasst (»wird hier sehr fruchtbar«). Der auf kommunikativer Ebene hervorgehobene wertschätzende Umgang unter den Teilnehmerinnen wird auch durch Karens validierende Zustimmung deutlich (»genau«), noch bevor Isabelle genau ausführt, was sie mit wertschätzend meint. Gerade Sexualität und Mutterschaft zeigen sich in den Ausführungen von Isabelle als historisch umkämpfte Differenzverhältnisse innerhalb feministischer Bewegungen, die sich aktuell in der Gruppe anders darstellen. Darin dokumentiert sich eine Entwicklung hinsichtlich der Bedeutung und des Konfliktpotentials bestimmter Differenzkategorien in feministischen Zusammenhängen. In Bezug auf die Zusammensetzung der Gruppe und ihrer vielfältigen Positionen lässt sich feststellen, dass die Kategorien race und Behinderung nicht erwähnt werden. Eine explizite Auseinandersetzung mit Privilegien der eigenen sozialen Positionen lässt sich somit nicht rekonstruieren. Gleichzeitig lassen sich aber auch Strategien nachzeichnen, die ein Kollektiv ›Frauen der Vielfalt‹ jenseits der sozialen Positionen der Gruppenmitglieder ermöglichen sollen, wie zum Beispiel in den Erläuterungen von Iris im Kontext der Ausrichtung der Zeitschrift: Iris: okay wir schreiben oft über Menschen aber wir ham auch in der langen Geschichte der wir Frauen jetzt auch immer wieder Gruppen eingeladen Kurdinnen
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selber zu schreiben. also dass wir nicht diejenigen sind na, wir informieren und wir v- versuchen aber auch eben über die Kontakte die wir haben. ?: └mhm Iris: └da könnten wir sicherlich aus meiner Sicht noch mehr erreichen aber mh? also dass wir nicht nur diejenigen sind die über Menschen schreiben sondern Menschen auch selber zu Wort kommen lassen. ne so dass wir versuchen diese ( ) Kontakte zu knüpfen s=gelingt mal. es gelingt aber eben auch nich. also dass wir wir hatten jetzt n=Thema zu Menschen mit Handicap (1) da ham wir dann zwar den Kontakt hergestellt. aber letztendlich dann doch selber irgendwie was geschrieben und die da ham die nich erreicht das lag aber an ganz normalen Termingründen also die war einfach in der Zeit gar nich erreichbar. […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 01:04:19-01:05:09) Hier dokumentiert sich, dass den eigenen Erfahrungen eine gewisse Beschränktheit zugeschrieben und keine Praxis angestrebt wird, in der für oder »über« andere Frauen und ihre Erfahrungen gesprochen wird. An den aufgeführten Beispielen »Kurdinnen« und »Menschen mit Handicap« zeigt sich, dass es gerade marginalisierte Frauen bzw. Menschen sind, die mit dieser Strategie »zu Wort kommen« sollen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die Umsetzung dieses Anspruchs als herausfordernd gilt und u.a. abhängig davon ist, ob Kontakt zu diesen Frauen geknüpft werden kann. Insgesamt wird deutlich, dass die Umsetzung auch von dem Engagement der Gruppenmitglieder abhängt, welches als weiterhin steigerbar beschrieben wird (»da könnten wir sicherlich aus meiner Sicht noch mehr erreichen«). Eine weitere Herausforderung in der Umsetzung eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ im Kontext der Zeitschrift liegt darin, dass die Schwerpunktsetzungen der einzelnen Mitglieder sich für die Praxis der Gruppe als ausschlaggebend erweisen. Dafür ist die Passage bezeichnend, in der die Frage diskutiert wird, wie sich bei den »Kurdinnen« eingebracht werden kann: Karen: […] oder wir ham ja jetzt diese Frage im Raum stehen wie wie bringen wir uns ein bei den Isabelle: Kurdinnen ne? Karen: └Kurdinnen Isabelle: └ja
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Karen: └genau weil in der Türkei passieren ganz furchtbare Sachen da waren wir in den letzten Jahren war immer eine von uns aktiv dabei (1) die Lydia ist Agnes: └mhm Karen: └mit nach Kurdistan gefahren und=und=und ich merke ich hab da ich ka- ich hab da keine Energie für, ich kann nicht in die Lücke springen die Lydia in diesem Feld gelassen hat, als sie nach Frankreich gegangen ist und sagen ja okay ich kümmer mich jetzt um das Kurdistanthema […] (GD Ambivalenz Passage ›Themenaufteilung‹ 47:00-47:32) In der Vergangenheit wird das Thema »Kurdinnen« als in der Gruppe stark präsent beschrieben, gleichzeitig aber auch in Verknüpfung mit einer Einzelperson (»eine von uns«). Dies deutet auf eine Praxis, bei der die jeweiligen Mitglieder eigene Schwerpunkte haben und das Ausscheiden einer Person eine thematische »Lücke« hinterlässt. Diese Art der Zusammenarbeit, bei der die einzelnen Mitglieder ihren eigenen Schwerpunkt verfolgen und somit den einzelnen viel Raum für Individualität innerhalb des Kollektivs ermöglicht, spiegelt sich auch in der Diskursorganisation wider. Wie bereits zuvor erwähnt, umreißen die einzelnen Teilnehmerinnen ihre jeweiligen Zugänge und Themenschwerpunkte. Dabei verwenden sie überwiegend die ich-Form. Auch werden bestimmte Themen mit einzelnen Mitgliedern verknüpft, wie zum Beispiel das Thema Antifeminismus: Isabelle: oder du zum Thema Antifeminismus Karen: └mhm Isabelle: └das war ja auch Karen: └ja Isabelle: └n=Thema wo du durchaus auch Agnes: @(.)@ Isabelle: └schon n=bißchen näher an der Front @warst dann@ damals so ne, da Agnes: ja ja das ist Isabelle: └mit diesen entsprechenden Kongressen (GD Ambivalenz Passage ›Themenaufteilung‹ 49:11-49:24) Je nach Zusammensetzung ändert sich somit also die inhaltliche Ausrichtung der Gruppe und ihre Aktivitäten:
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Isabelle: so und darum das die Frage mit Karen: └ich hab ja nur für mich Isabelle: └den Kurdinnen Karen: └@(.)@ Isabelle: └ist daher spannend ?: └mhm Isabelle: └ weil ja genau das seh ich auch welche d- und wenn dann aber die entsprechenden Frauen fehlen dann verändert das auch ein bisschen unser Profil ne, wo wir unterwegs sind. Karen: ja (GD Ambivalenz Passage ›Themenaufteilung‹ 49:30-49:42) Hier wird die Herausforderung reflektiert, die mit einer Kollektivität einhergeht, die auf den individuellen Schwerpunktsetzungen der Mitglieder aufbaut. Diese personelle Abhängigkeit birgt die Gefahr, dass die Sichtweisen und Lebenssituationen von marginalisierten Frauen in den Hintergrund geraten können, gerade dann, wenn die Teilnehmerinnen bestimmte soziale Positionen nicht besetzen (z.B. negative Betroffenheit von Rassismus). Damit entfaltet sich ein Spannungsfeld zwischen dem inklusiven Anspruch des Kollektivs ›wir Frauen‹ und einer Praxis, die diesen Anspruch nicht für alle Bereiche erfüllen kann, da die entsprechenden Frauen oder Frauen mit dieser Schwerpunktsetzung nicht Teil der Gruppe sind. Eine spannungsgeladene Grenze eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ dokumentiert sich auch in Zusammenhang mit der Frage, wer unter den Begriff ›Frau‹ fällt. Dies zeigt sich in der Diskussion über ein »*« hinter »Frauen«, die direkt im Anschluss an die Frage nach dem Titel der Zeitschrift aufgeworfen wird: Karen: ich geh mal auf das wir Frauen ein (1) wir haben vor nem halben Jahr nochmal ganz kurz darüber nachgedacht, ob da eventuell ja=auch nochmal n=Sternchen an Agnes: └ja ich find auch dass Karen: └das Frauen dran Agnes: └das noch nich vom Tisch is Karen: okay Agnes: └würd ich sagen @(.)@ ?: └mhm
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Karen: vom Tisch Agnes: └º(jaº)
└aber für diese Ausgabe war es dann wieder
(GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 55:13-55:28) Hier illustriert sich, dass die Auseinandersetzung mit der Kategorie ›Frau‹ in der Gruppe Aushandlungsprozessen unterliegt und keineswegs abgeschlossen ist. Es weist die Grenzen eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ auf, denn dem liegt die Kategorie ›Frau‹ zu Grunde und es stellt sich die Frage, wie diese abgegrenzt wird. Dieser Konflikt zwischen Karen und Agnes wird aber nicht weiter ausgeführt, sondern endet in einer rituellen Abhandlung des Themas, indem Karen darauf verweist, dass bei der aktuellen Ausgabe das Sternchen nicht zur Debatte stand. Die Art und Weise, wie mit diesem potenziellen Konflikt umgegangen wird, ist dabei bezeichnend für die Solidarität und Wertschätzung, die in der Gruppendiskussion praktiziert werden. Unterschiedliche Meinungen, auch wenn es sich um zentrale Anliegen handelt, können nebeneinander existieren ohne, dass es zu einer offenen Konfliktsituation kommt, die die Zusammenarbeit in Frage stellen würde.
Zusammenfassung In der Diskussion mit Gruppe Ambivalenz konnte ein Streben nach einem Kollektiv ›Frauen‹ rekonstruiert werden, welches sich durch seine Vielfalt auszeichnet. Differenzen zwischen Frauen werden benannt und einbezogen, im Vordergrund zeigt sich aber eine Solidarität mit jeglichen Frauen und nicht die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen zwischen Frauen. Dies verdeutlicht, dass mit solch einem Kollektiv der Vielfalt eine »Egalisierung von Differenz«, wie es Davis und Lutz nennen, einhergehen kann (Davis, Lutz 2005: 230). Wenn die vielfältigen sozialen Positionen von Frauen in einem Kollektiv der Vielfalt gleichwertig nebeneinanderstehen, wird eine Thematisierung von Ungleichheitsverhältnissen innerhalb des Kollektivs vernachlässigt (ebd.: 230). Dieses Kollektiv zeichnet sich zudem durch eine geteilte Betroffenheit von geschlechtsspezifischen Ungleichheitsverhältnissen aus. Es zeigt sich, wie bereits im theoretischen Kapitel ausgeführt, dass die Konstruktion eines solchen kollektiven Wir dazu neigt, Erfahrungen von Frauen zu homogenisieren und alle Frauen als potenziell benachteiligt darstellt, auch wenn Machtverhältnisse zwischen Frauen benannt werden (vgl. hooks 2015 [1981]: 137ff; Grillo 1995: 19).
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Differenzkategorien (wie race oder Staatsangehörigkeit), die dafür sorgen, dass bestimmte Männer in prekären und ausbeuterischen Verhältnissen leben, während bestimmte Frauen (weiße wohlhabende Frauen) sich in einer eher relativ privilegierten Situation befinden, zeigen sich hierbei als vernachlässigt. Dies illustriert, dass das Streben nach einem Kollektiv ›Frauen der Vielfalt‹ Gefahr läuft, die Verschränkung von Diskriminierungs- und Privilegierungskategorien bei Männern und vor allem bei bestimmten Männern (z.B. Men of Colour, Migranten und Geflüchtete) zu vernachlässigen, um die Betonung der grundsätzlichen Benachteiligung aller Frauen aufrecht zu erhalten. In Bezug auf die Zusammensetzung der Gruppe lässt sich rekonstruieren, dass das Vielfaltideal in Bezug auf die Differenzlinien sexuelle Orientierung, Alter, soziale Herkunft und Mutterschaft als erfüllt gilt. Dem gegenüber stellt sich der Einbezug von Frauen jenseits dieser Differenzlinien als herausfordernd dar, insbesondere in Bezug auf Themenkomplexe rund um Women of Color oder behinderte Frauen. Die Diskussion betreffend des ›*‹ hinter ›Frau‹ illustriert eindrücklich die Grenzen eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ und verdeutlicht, dass solch ein Kollektiv immer wieder konstruiert und aufrechterhalten werden muss und von Abgrenzungen durchzogen wird. Die Möglichkeiten einer Realisierung eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ stellt sich somit als ambivalent dar.
7.5 Simultane Kollektivzugehörigkeiten – Gruppe Erweiterung Auch bei Gruppe Erweiterung dokumentiert sich ein zentraler Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹, welches sich durch eine gemeinsame Betroffenheit von geschlechtsspezifischer Diskriminierung auszeichnet. Dieses Kollektiv zeichnet sich in der Umsetzung durch seine Strategie zur Überwindung von Differenzen zwischen Frauen aus. Gleichzeitig verdeutlicht sich in der Umsetzung, dass eine Betonung von Differenzen zwischen Frauen, insbesondere in Bezug auf die unterschiedlichen Zugänge zu Feminismus und Frauenbewegung, durchaus relevant ist. Dabei spielt die Anerkennung der eigenen kurdischen Identität eine zentrale Rolle und das Kollektiv ›Frauen‹ ist ebenso bedeutsam wie ein Kollektiv ›Kurdinnen‹. Es liegt somit eine Erweiterung der Konzeptualisierung und dem alleinigen Fokus auf das Kollektiv ›Frauen‹ vor. Folglich wird die Gruppe als Gruppe Erweiterung bezeichnet.
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Vorstellung der Gruppe Den Zugang zur Gruppe Erweiterung vermittelte die Gruppe Ambivalenz. Bereits zuvor hatte ich versucht, über eine direkte E-Mail-Anfrage Kontakt mit der Gruppe aufzunehmen, jedoch keine Antwort erhalten. Erst durch die nochmalige Anfrage und den Verweis auf den Kontakt zu Gruppe Ambivalenz erklärten sich die Mitglieder mit einer Teilnahme einverstanden. Gruppe Erweiterung umfasst vier Frauen (Aynur, Leyla, Klara, Simone) einer kurdischen Frauengruppe in einer mittelgroßen westdeutschen Stadt. Während der Diskussion wird angegeben, dass diese kurdische Frauengruppe seit den 90er Jahren existiert und sich in der kurdischen Frauenbewegung verortet. Wer von den Teilnehmerinnen, wann genau dazu gestoßen ist, wird dabei nicht klar, lediglich Aynur gibt an, seit drei Jahren dabei zu sein. Die anderen drei Teilnehmerinnen (Leyla, Klara, Simone) erwähnen ihren Zutrittszeitpunkt und Zugang zur Gruppe nicht. Die Aktivitäten der Gruppe beinhalten die Durchführung verschiedenster Kampagnen gegen sexualisierte Gewalt, Femizide und Faschismus. Des Weiteren publizieren sie Flyer, Broschüren und übersetzen Bücher zu den Themen kurdische Frauenbewegung, Widerstand und alternative Gesellschaftsformen. Ein weiterer zentraler Bezug der Gruppe stellt das Konzept Jineolojî17 dar, zu dem sie regelmäßig Seminare veranstalten und sich mit anderen Gruppen austauschen. Ein jährlich in Deutschland stattfindendes kurdisches Frauenfestival wird von der Gruppe ebenfalls mitorganisiert. Im Allgemeinen beschränkt sie ihre Aktivitäten nicht nur auf Deutschland, sondern organisiert u.a. (abhängig von der Sicherheitslage) Delegationen in kurdische Gebiete (z.B. in der Türkei) und
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Der Begriff wurde zunächst von Abdullah Öcalan in ›The Sociology of Freedom‹ benutzt und insbesondere von kurdischen Aktivistinnen* aufgenommen und weiterentwickelt (Al-Ali, Tas 2018: 466). Ein zentrales Prinzip lautet: »that without the freedom of women within society and without a real consciousness surrounding women, no society can call itself free« (ebd.: 466). Dabei werden u.a. auch eine objektivistische Wissenschaft sowie bestimmte feministische Ansätze (wie eine liberale Strömung, die sich allein auf gleiche Rechte fokussiert) kritisiert. Jedoch geschieht dies ohne Bezug auf bereits entwickelte postkoloniale Ansätze mit ähnlichen Kritikpunkten: es werden stattdessen kurdische Frauen* ins Zentrum gestellt (Al-Ali, Tas 2018: 466f.). Jineolojî wird von den Teilnehmerinnen selbst als »Frauenwissenschaft« übersetzt.
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unterstützt Frauenprojekte in Rojava 18 (u.a. ein Gesundheitszentrum für Frauen). Von den vier Frauen in der Gruppe bezeichnet sich Simone als »deutsche Freundin« und wird von den Gruppenmitgliedern auch so beschrieben. Die drei anderen Teilnehmerinnen verstehen sich als kurdische Frauen.
Diskussionsverlauf und Atmosphäre Die Diskussion fand im Juni 2017 in den Räumlichkeiten eines kurdischen Zentrums statt und erstreckt sich über 2 Stunden und 44 Minuten. Dabei wurde die Diskussion zweimal auf Wunsch der Gruppe für ein paar Minuten unterbrochen. Die Diskussion ist selbstläufig und die Gruppe diskutiert meist 20-30 Minuten nach einer Frage und konkludiert in Form von Metakommunikationen, z.B. mit der Aufforderung nach einer neuen Frage, oder mit dem Verweis darauf, dass ich nun alles wisse, oder sie jetzt alles gesagt haben. Dies führt dazu, dass ich einen Großteil der Fragen des Leitfadens stelle, sowie immanente Nachfragen, die an Gesagtem anschließen. Nach dem Einstiegsstimulus wird auf metakommunikativer Ebene ausgehandelt, wer diese Frage beantwortet, woraufhin Aynur einen kurzen Abriss der Gruppenentstehung vornimmt. Relativ schnell geht die Gruppe dann dazu über, sich über ihre verschiedenen Kampagnen auszutauschen. In den ersten 20 Minuten redet Simone nicht sehr viel, danach sind die Redebeiträge relativ gleichmäßig verteilt. Im Allgemeinen ist die Diskussion nicht durch eine interaktive Dichte geprägt. Häufig gibt es längere Beiträge einzelner Frauen, die dann von den anderen erst im weiteren Verlauf ergänzt oder erweitert werden. Gleichzeitig ist eine relativ große Einigkeit innerhalb der Gruppe zu erkennen, es dominieren inkludierende Diskursmodi. Für zwei Teilnehmerinnen (Aynur, Leyla) ist Deutsch nicht die Muttersprache und es kommen ein-
18 Nach jahrelangen Bemühungen und Kämpfen für die Entwicklung eines autonomen Gebiets erklärten 2016 Delegierte aus verschiedenen Gebieten die Region Nord- und Ostsyrien als autonom. Diese Demokratische Föderation Nord- und Ostsyriens ist vor allem unter dem kurdischen Namen Rojava bekannt, auch wenn diese Bezeichnung von Akteur*innen der Region aufgrund der Gefahr des Ausschlusses nicht-kurdischer Bevölkerungsteile nicht mehr verwendet wird (Ayboğa, Flach, Knapp 2018: 21ff). Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Arbeit ist das Gebiet durch kriegerische Auseinandersetzungen insbesondere seitens türkischer Streitkräfte bedroht.
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zelne Begriffe oder Äußerungen vor, in denen vor allem Leyla auf Türkisch bzw. Kurmancî spricht. In diesen Fällen hat meist Klara im direkten Anschluss ins Deutsche übersetzt. Während dieser Übersetzungen kam es häufig zu nonverbaler Zustimmung von Leyla in Form von Nicken. Untereinander sprechen sich die Teilnehmerinnen häufig mit »Freundin« an. Dieser Begriff wird nicht nur für die Gruppenteilnehmerinnen unter sich benutzt, sondern generell für Frauen, mit denen sie sich verbunden zeigen, z.B. »kurdische Freundinnen«. Der Begriff dokumentiert folglich einen Ausdruck von Solidarität unter Frauen.19 Des Weiteren ist zu bemerken, dass die einzelnen Teilnehmerinnen sehr oft in wir-Form erzählen, wenn es um die Gruppe geht. Erzählungen in ich-Form sind eher selten. Gleichzeitig zeigt sich die Sprache der Gruppenmitglieder geprägt von emotionalen und lebensnahen Beschreibungen so stellt der Begriff »Schmerz« ein häufig verwendetes Synonym für sexistische Diskriminierung dar. Dabei wird sich auch explizit gegenüber analysierenden Begriffen wie Diskriminierung abgegrenzt. Im Laufe der Diskussion benutzt und bezieht sich die Gruppe immer wieder auf den Begriff Feminismus. Dies greife ich im Verlauf der Diskussion anhand von zwei Fragen auf. Zum einen frage ich, was sie mit Feminismus verbinden und im Anschluss, dass die Gruppe sich selbst nicht als feministisch bezeichnet, ob sie dazu mehr sagen können. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Begriff Feminismus als westliches Konzept gilt. Die Gruppe hebt hervor, dass die kurdische Frauenbewegung einer anderen Tradition entstamme. Gleichzeitig bezieht sich die Gruppe positiv auf Feminismus und betont, dass man auch die kurdische Frauenbewegung als feministisch bezeichnen könne. Nach der Aussagefrage (Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen) habe ich noch Fragen zur Zusammensetzung der Gruppe gestellt, sowie nach Hürden in der Zusammenarbeit mit anderen feministischen Gruppen und Frauenrechtsgruppen. Diese Fragen zielten auf Probleme mit deutschen, weißen Frauen ab, wurden aber nur knapp und Probleme verneinend beantwortet; außerdem wurde in diesem Zusammenhang das Streben nach multikultureller Zusammenarbeit von Seiten der Gruppe hervorgehoben. Es zeigt sich hierin, dass diese Fragen, gestellt von einer weißen deutschen Frau, als mit einem Vorwurf der potenziellen Exklusivität der Gruppe verknüpft verstanden werden kann und eine Reproduktion von Machtverhältnissen meinerseits darstellt.
19 Dies wurde bereits im methodischen Teil der Arbeit angesprochen (vgl. Kapitel 5.1.).
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Nach der Diskussion und der Offenlegung meiner Fragestellung entwickelte sich noch ein kurzes Gespräch und ich wurde eingeladen, an dem einige Wochen später stattfindenden kurdischen Frauenfestival teilzunehmen. Nach der Verabschiedung der Gruppe, ergab sich noch die Möglichkeit eines Gesprächs mit Simone, da wir denselben Weg hatten. Im Zuge dieses Gesprächs ließ sie in einem Nebensatz fallen, dass ich kurdischen Frauen die Frage nach der Selbstbezeichnung als Feminist*innen nicht stellen sollte. Dies verdeutlicht nochmal, wie anhand von einigen Fragen in dieser Diskussion Machtverhältnisse reproduziert wurden, worauf ich im weiteren Verlauf nochmals zurückkommen werde.
Kollektive Zusammenarbeit Charakteristisch für Gruppe Erweiterung ist ein Streben nach kollektiver Zusammenarbeit. Dabei zeigt sich, dass insbesondere eine Zusammenarbeit mit nicht-kurdischen Akteurinnen hervorgehoben wird, wie die Ausführungen von Aynur nach dem Einstiegsstimulus illustrieren: Aynur: […] [Name der Gruppe] entstand neunzehnhundertsiebenundneunzig hier in Stadt A und das war so das hat m:h das war dann mit den wurde in Kurdistan gab da Waffen- Waffenstillstand und ja wurden noch ich meine wurde dann [Name der Gruppe] gegründet wir haben dann [Name der Gruppe] gegründet und das war Ziel=ja das man (soll) die:: (2) Frauen hier in:: die aus Kurdistan kommen oder auch a- au- Türkei kommen unterstützen auch Vernetzungsarbeit (hier) machen und: ich glaub mittler- mittlerweile haben wir schon uns gut vernetzt und arbeiten auch mit verschiedenen Gruppen zusammen mit jetzt kann ich dann es gibt [Name Frauengruppe A] die sind dann in [Name Frauengruppe A] oder [Name ökologische Frauengruppe] oder m::h (1) feministische Partei so (1) oder [Name Frauenrat A] oder die Linke Frauen ( ) ich mein arbeiten wir v::er- zwar nicht so überall zusammen aber manchmal haben wir auch zusammen arb- gearbeitet halt manchmal noch zusammen […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 02:05-03:18) Es zeigt sich hier der zentrale Bezug auf Frauen, deren Herkunft sich als verknüpft mit einer bestimmten Region (Kurdistan, Türkei) erweist darstellt. Gleichzeitig stellt sich eine Betonung der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteurinnen dar. Es lässt sich dabei rekonstruieren, dass die Zusammenarbeit eng mit ganz bestimmten Akteurinnen assoziiert wird, und zwar mit Frauen
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sowie mit Frauen- und feministischen Gruppen. Des Weiteren stellt sich diese Vernetzungsarbeit als prozesshaft bzw. situativ dar (»mittlerweile«, »manchmal«). Die direkte Erwähnung der Zusammenarbeit mit nicht-kurdischen Gruppen, und insbesondere feministischen Gruppen und Frauengruppen, nachdem ein zentraler Bezug zu Frauen aus Kurdistan als Gründungsziel der Gruppe erwähnt wird, ist im Kontext meiner eigenen sozialen Position als deutsche weiße Frau zu betrachten und wäre vermutlich bei einer Interviewerin, die kurdisch ist, nicht auf gleiche Weise präsent. Diese Betonung zeigt sich auf homologe Weise auch im weiteren Verlauf der Diskussion. So zum Beispiel bei dem Verweis auf Jineolojî- Seminare der Gruppe: Leyla: auch noch die Seminare über Jineolojî ºund soº ?: mhm Leyla: └über bestimmten Thema ºdes können wir auch (machen)º (1) Simone?: @(.)@ Aynur: └(für) Seminare ja (1) Leyla: also auch für kurdische Frauen auch nicht nur für kur- kurdische Frauen natürlich (1) mh: es wurde auch Beispiel von: anderen Länder m::h von internationalen Frauen nachgefragt ob ma Seminare für den vorbereiten können über Jineolojî Thema meistens ja und des arbeiten wir auch am- manchmal mit diesen Jineolojî Kommitees (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 07:26-08:13) Erneut erweist es sich als notwendig, den Bezug einer Tätigkeit auf »kurdische Frauen« durch die Betonung einer nicht ausschließlichen Arbeit mit Kurdinnen zu ergänzen. Insbesondere in dem laut ausgesprochenen »natürlich« dokumentiert sich ein antizipierter Vorwurf der ›Exklusivität‹ gegen den es sich zu rechtfertigen gilt. Dies illustriert die ungleiche Behandlung von Gruppen, die sich aus marginalisierten Positionen zusammensetzen und als ›exklusive‹ Gruppen betrachtet werden, wohingegen Gruppen rein aus privilegierten Positionen (z.B. weiße Frauen) nicht sofort als exklusiv gelten. Die Reproduktion dieses Exklusivitätsvorwurfs zeigt sich dabei in einer meiner eigenen Fragen am Ende der Diskussion:
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Y: ich hab keine Fragen mehr außer ihr wollt noch kurz vielleicht was zu (2) des ist ne ganz kurze Frage wie: wieviele Leute ihr in der Gruppe zusammen seid, und obs alles kurdische Frauen sind, (GD Erweiterung Passage ›Mulitkulturalität‹ 02:30:17-02:30:32) Das Thema Zusammenarbeit lässt sich im Verlauf der Diskussion jedoch nicht nur im Kontext nicht-kurdischer Akteurinnen, sondern auch im Allgemeinen als zentral rekonstruieren. Dabei dokumentieren sich zwei wichtige Referenzrahmen, in deren Kontext sich kollektive Zusammenarbeit verortet. Einerseits in kurdischen Frauenzusammenhängen: Klara: […] es gibt aber auch ideologische Kampagnen die halt durchgeführt worden sind von [Name der Gruppe] und auch mit dem Netzwerk der kurdischen Frauenbewegung in ganz Europa […] (GD Erweiterung Passage ›Kampagnen‹ 09:38-09:52) Aynur: ( ) diese Kampagne machen wir ja mit Frauen- mit kurdischer Frauenbewegung ºhierº in Europa, besonders in Deutschland (1) wir arbeiten da zusammen mit Frauen hier in Räte in die vor Ort sind in jeder Stadt. und und ja unterstützen uns dann gegenseitig halt (GD Erweiterung Passage ›Kampagnen‹ 16:02-16:21) In diesen Auszügen zeigt sich auch der Fokus auf internationale Zusammenarbeit (»Europa«), wobei eine Zugehörigkeit zu einem politischen Kollektiv kurdischer Frauen (»kurdischer Frauenbewegung«) sich als zentral darstellt. Dieser Bezug auf politische Zusammenhänge lässt sich auch in dem zweiten Referenzrahmen für Zusammenarbeit rekonstruieren, den Frauengruppen und feministische Zusammenhänge bilden: Klara: […] also vorhin gabs ja schon=ne Aufzählung ?: └ja Klara: └irgendwie von den Organisationen, mit denen wir zusammen arbeiten aber es geht halt nicht nur also ne, es sind natürlich nicht nur diese Organisationen mit denen wir zusammenarbeiten sondern halt eigentlich so die gesamte feministische Szene (1) m(eben) auch zusammen zu also mit denen halt zusammen zu arbeiten mit ver-
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schiedenen Frauenzentren aus unterschiedlichen Städten, oder oder eben auch feministischen Gruppen, (so in) unterschiedlichen Städten also des is schon n=sehr breites Spektrum an (2) Arbeiten […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 08:30-09:06) Was diese angestrebte kollektive Organisierung bedeutet, zeigt sich in folgenden Ausführungen von Aynur: Aynur: m::h (2) wir haben noch (mehr) Veranstaltungen mit anderen Frauenorganisationen zusammen und (1) und ham wir auch ham machen wir auch zusammen achter März fünfunzwanzigster November Gewalt gegen Frauen ham wir so zusammen Veranstaltungen es gab auch außerhalb dieser Tagen unterschiedliche Veranstaltungen und (2) viele interessieren sich auch mittlerweile m:h für Kurdistan was da in Rojava los ist (wo) diese Frauenrevolution und viele fragen dann uns dann nach Referentinnen und und wir versuchen mit diese Frauenorganisationen unsere Erfahrungen auszutauschen und auch von denen zu lernen das ist ja auch so eine Arbeit (1) […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 04:40-05:29) Die kollektive Zusammenarbeit mit Frauengruppen erweist sich als verknüpft mit Weiterentwicklung und Bildungsprozessen. Dabei dokumentiert sich auch, dass kollektive Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit aufbaut (»auszutauschen«, »von denen zu lernen«). Die Prozesshaftigkeit, die sich bei diesem Streben nach kollektiver Organisierung rekonstruieren lässt, ist auch in den Erzählungen von Klara zu den Kampagnen der Gruppe zu erkennen: Klara: […] es gibt aber auch ideologische Kampagnen die halt durchgeführt worden sind von [Name der Gruppe] und auch mit dem Netzwerk der kurdischen Frauenbewegung in ganz Europa um eben auch bestimmte Themen auf die: Tagesordnung zu setzen und damit zu diskutieren. und auch ja so=n gemeinschaftlichen Bildungsprozess eigentlich anzugehen: […] (GD Erweiterung Passage ›Kampagnen‹ 09:38-10:03) Zusammenarbeit zeigt sich erneut als Prozess des Austausches und einer gegenseitigen Bildung sowie der Möglichkeit, »bestimmte Themen« öffentlich zu diskutieren.
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Für dieses Streben nach kollektiver Zusammenarbeit stellen Frauen, die in individueller Kapazität agieren oder nicht in Gruppen zusammengeschlossen sind, einen negativen Gegenhorizont dar, wie folgender Transkriptauszug illustriert: Aynur: […] aber alleine, hat man nicht so viel Kraft. man hat zwar Kraft aber alleine ist das nicht viel. manchmal aber gemeinsam das ist nicht nur das ist nicht nur bei zum Beispiel bei bei einzelnen Frauen auch oder bei Frauengruppierungen auch zum Beispiel Frauenorganisationen ist auch so. wenn man alleine ist wenn man nur als ei- als Organisation agiert kann man vielleicht nicht so viel nicht so viele Erfolge haben. aber wenn man mit anderen Organisationen zusammen agiert zusammen was macht ich glaub schon dass man viel wirken kann als alleine; […] (GD Erweiterung Passage ›Stärke von Frauen‹ 01:01:25-01:01:59) Die mehrmalige Verwendung und Betonung von »alleine« verdeutlicht, wie sehr eine Vereinzelung als negativer Horizont und damit als eine wenig erstrebenswerte Praxis verstanden wird. Kollektivität zeigt sich hingegen als verknüpft mit Empowerment (»Kraft«) und Veränderungspotential (»viel wirken«). Hier verdeutlicht sich bereits, dass über politische Zusammenhänge von Frauen hinaus ein allgemeines Kollektiv ›Frauen‹ eine übergeordnete Orientierung darstellt. Dies wird im Kontext der Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen wieder aufgegriffen. Das Streben nach Kollektivität spiegelt sich auch in der Art und Weise, in der die Teilnehmerinnen über die Arbeit der Gruppe sprechen, wider. Dabei wird in homologer Weise meist in wir-Form gesprochen, wie sich an folgenden Beispielen illustrieren lässt: Simone: genau also wir organisieren auch Frauendelegationen in die kurdischen Gebiete, […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 03:30-03:35) Aynur: und wir übersetzen auch bestimmte Bücher […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 06:57-07:00) Leyla: auch noch die Seminare über Jineolojî ºund soº
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?: mhm Leyla: └über bestimmten Thema ºdes können wir auch (machen)º (1) (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 07:26-07:32) Simone: […] des Weiteren machen wir Veranstaltungen: und gerade auch zum Fzur kurdischen Frauenbewegung hauptsächlich […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 04:11-04:17) Klara: nach Nordsyrien haben wir auch eine [Delegation, E.K.] geschickt (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 05:56-05:58) Aynur: […] haben wir auch Kampagnen […] (GD Erweiterung Passage ›Aktivitäten‹ 03:27-03:28) Hier bildet sich die Gruppenidentifikation der einzelnen Teilnehmerinnen sowie die Betonung des kollektiven Charakters der Tätigkeiten der Gruppe ab. Gruppenaktivitäten zeigen sich somit als kollektive Arbeit und kollektive Errungenschaft, dabei wird nicht auf individuelle Tätigkeiten der einzelnen Teilnehmerinnen verwiesen.
Geteilte (Diskriminierungs-)Erfahrungen von Frauen Bereits in der Besprechung der zentralen Orientierung an kollektiver Zusammenarbeit zeigt sich der zentrale Bezug der Gruppe auf die Kategorie ›Frau‹ und das Kollektiv ›Frauen‹. Dieser Fokus stellt sich auch im Kontext der Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen als bedeutsam heraus. Das Kollektiv ›Frauen‹ dokumentiert sich dabei als geprägt von geteilten Diskriminierungserfahrungen. Dies illustriert sich vor allem im Anschluss an meine Aussagefrage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen: Aynur: […] ich glaub schon dass alle Frauen das machen als Frau persönlich machen wir schon ich mein ob in Beziehungen sind ob wir auf der Straße laufen ob wir in die irgendwelche irgendwelche Posten Postionen sind müssen wir ständig
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unsere Positionen aufrechterhalten weil wir ständig wenn die Männer versuchen uns ständig klein zu machen […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:10:28-02:10:52) In der Formulierung »als Frau« zeigt sich die Zentralität geschlechtsbezogener Diskriminierung in geteilten Diskriminierungserfahrungen von Frauen. Die durchgängige Benutzung der wir-Form, wenn es um die Aufzählung von Beispielen dieser Diskriminierung geht (»wir auf der Straße«, »wir ständig unsere Positionen aufrechterhalten« etc.) dokumentiert das Einschreiben der eigenen Person (in dem Falle Aynur) in dieses Kollektiv ›Frauen‹. Dieses Kollektiv stellt sich zudem als Abgrenzung zu einem Kollektiv »Männer« dar, gegen das es sich zu behaupten gilt. Diese geteilte Erfahrung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung als Charakteristika eines Kollektivs ›Frauen‹ und das Sich-Einschreiben in dieses Kollektiv sind in homologer Weise an verschiedenen Stellen der Diskussion nachweisbar. So auch in den Ausführungen von Leyla über eine vergangene jesidische Frauenkonferenz mit Teilnehmerinnen aus verschiedenen Ländern: Leyla: […] egal ob d- ob von welche Volk die Frauen is aber ich merk dass in diesen Konferenz wir Frauen ham alle gleichen Schmerzen […] (GD Erweiterung Passage ›Grundlegende Veränderung‹ 34:42-34:54) Es lässt sich rekonstruieren, dass Unterschiede aufgrund von Differenzkategorien wie Nationalität oder Ethnizität dabei nicht als Einflussfaktor auf geschlechtsspezifische Diskriminierung gelten. Dies zeigt sich auch in den Äußerungen von Klara: Klara: […] an sich denk ich hat es eben von allen:: Frauen ne sehr starke m::h also schon auch n=sehr starken Schmerz darum gegeben: wie sehr ja also wie w::ie sehr eigentlich des des Ausmaß von Gewalt sich verbreitet hat auf der Welt und das ist auch etwas was sich was Frauen aus allen Kulturen allen: Ethnien: allen:: Gesellschaften: auch fühlen und auch zum Ausdruck bringen und auch formulieren […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:24:24-02:25:03)
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Die homologe und wiederholte Verwendung des Begriffs »Schmerz« in Bezug auf geschlechtsspezifischer Diskriminierung deutet auf die Gewalttätigkeit und Körperlichkeit, die mit dieser verbunden wird. Dabei wird auch explizit von dem Begriff Diskriminierung Abstand genommen: Klara: […] ich würd jetzt mh das nicht so abstrakt als Diskriminierung bezeichnen weil ich glaube es ist wirklich für viele Frauen auch n=sehr großer Schmerz also auch für viele Frauen die sich noch nicht organisiert haben ist es n=großer Schmerz dass so viel Leid und Krieg und Unterdrückung an ihnen selber entspassiert aber eben auch weltweit entsteht […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:25:47-02:26:08) Hier wird ersichtlich, dass Begriffe wie »Leid« oder »Schmerz« die körperlich spürbaren Folgen von geschlechtsspezifischer Unterdrückung in den Vordergrund stellen sollen. Damit ist auch eine alltägliche und erkennbare Relevanz verknüpft; Begriffe, die als zu entfernt (»abstrakt«) von diesen lebensnahen Erfahrungen eingestuft werden, erscheinen als unzulängliche Beschreibungen der Unterdrückungserfahrungen von Frauen. Dies zeigt sich homolog auch in weiteren Begrifflichkeiten wie »verletzt«, wie zum Beispiel in Leyla’s Äußerungen: Leyla: […] und des werd dann in diesem Gesch- Gesellschaft die tiefe verletzt sind dann sind Frauen. also von dem System auch her Klara: └die am meisten verletzt sind Leyla: └genau (GD Erweiterung Passage ›weltweites Patriarchat‹ 38:19-38:27) Diskriminierungserfahrungen von Frauen stellen sich hier zudem als ein umfassendes »System« dar, welche alle Bereiche des Lebens umfassen, wie auch die Äußerungen von Klara illustrieren: Klara: […] egal in welcher Gesellschaft es halt patriarchales Gedankengu- gut gibt halt ne Ausbeutung, von Frauen von v:- von Wissen von Frauen von Emotio-
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nen von Frauen von Engagement von Frauen von (1) Gefühlen von Frauen eben stattfindet ne totale Ausbeutung, eben stattfindet […] (GD Erweiterung Passage ›Kampagnen‹ 12:05-12:26) Die geteilten Diskriminierungserfahrungen dokumentieren sich somit als verknüpft mit einem gesellschaftlichen Machtverhältnis (»Patriarchat«), welches dafür sorgt, dass Frauen sich als Kollektiv in einer absoluten Position der Unterdrückung befinden (»totale Ausbeutung«, »am meisten verletzt«). Konkrete Beispiele dieser geschlechtsspezifischen Diskriminierung zeigen sich u.a. in den Ausführungen von Aynur: Aynur: […] überall eigentlich im Leben werden wir diskriminiert und mh: manchmal oh manchmal ich mein ist=es mir bewusst manchmal denke ich das ist uns nicht bewusst zum Beispiel Simone Simone hat grade von Frauen von unsere Büro gesprochen dass es im Verfassungsschutz Dings 20 steht dass wir so diskrim- diskriminiert und oder oder wenn ich auf der Straße laufe und eine Werbung sehe dass:: Essen durch Frauen Bilder verkauft wird dann fühle ich mich schon dadurch diskriminiert dass ist zwar eine andere Frauenbild aber ich für mich das eine Beleidigung gegenüber mich das ist schon überall oder wenn ich Filme anschau ich mein überall im Leben:: ich mein wenn ich mich mit anderen F- ich mein das ist dann eine Angriff gegen eine Frau verspüre ich dass es auch ein- ein Angriff gegenüber mich is und nich nur dass alleine ich auf der Straße manchmal wirst du dann angesprochen oder, wirst du vielleicht wirst du nicht angesprochen wirst du so behandelt ich mein es gibt so unterschiedliche Art und Weisen die man irgendwie diskriminiert wird oder missbraucht wird […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:12:08-02:13:19) Geschlechtsspezifische Diskriminierung zeichnet sich hier erneut durch ihre alle Lebensbereiche umfassende Struktur aus. Staatliche Repression in Form von einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zählen ebenso dazu wie sexisti-
20 An anderer Stelle zuvor führt Simone aus, dass das von der Gruppe mitorganisierte kurdische Frauenfestival und die Gruppe selbst namentlich in einem Verfassungsschutzbericht auftauchen.
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sche Werbung oder sexualisierte Gewalt. Dabei erweist sich eine Verbundenheit mit den unterdrückenden Erfahrungen von Frauen, unabhängig davon, ob diese Frau einem ähnelt (»andere Frauenbild«). Differenzlinien unter Frauen erscheinen dabei nicht als bedeutsame Komponente. Vielmehr deutet sich in diesem Ausschnitt bereits an, dass eine relevante Differenz in den Erfahrungen geschlechtsspezifischer Diskriminierung eher die Frage des Bewusstseins betrifft (»manchmal denke ich das ist uns nicht bewusst«). Dies wird im weiteren Verlauf in den Ausführungen von Klara nochmals hervorgehoben: Klara: […] ich glaube aber es gibt einen großen Unterschied dadrin wie sehr sie sich bewusst dadrin sind dass es patriarchale Unterdrückung ist oder nicht. und das ist halt natürlich der Aspekt der ne wichtige Rolle führt also wie zum Beispiel ja die: Freundin grad schon gesagt hat also bei den Frauen die halt für den IS kämpfen oder für den IS auch organisieren die ham sicherlich n=anderes Bewusstsein über ihre Realität an patriarchaler Unterdrückung als jetzt die ye=yezidische Frauen die gerade dabei sind Verteidigungsstrukturen aufzubauen. […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:23:36-02:24:17) Unterschiede in dem Erleben von geschlechtsspezifischer Diskriminierung zeichnen sich nicht als verknüpft mit Differenzkategorien ab, sondern vielmehr mit einem Unterschied im »Bewusstsein«. Dieser Grad an Bewusstsein dient als Erklärung für Machtverhältnisse unter Frauen, bzw. für den Anschluss an Bewegungen, die andere Frauen unterdrücken (»IS«). Die Frage nach Frauen als (Mit-)Täterinnen in Unterdrückungsverhältnissen insbesondere auch gegenüber anderen Frauen zeigt sich folglich als vernachlässigt. Differenzlinien zwischen Frauen erweisen sich hier in der Konzeptualisierung eines Kollektivs ›Frauen‹ als unbedeutsam, vielmehr steht eine geteilte Betroffenheit geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Vordergrund, die durch Differenzkategorien unberührt zu sein scheint. Diese Betonung der Gemeinsamkeiten von Frauen in der Diskussion muss jedoch auch mit Hinblick auf den Einfluss meiner Forschungsposition reflektiert werden. Denn wie Davis und Lutz hervorheben, kann »eine potentiell gemeinsame weibliche Identität als interaktionelle Ressource« von den Forschungsteilnehmerinnen mobilisiert werden, die in meinem Fall dafür sorgt, dass Gemeinsamkeiten und eben gerade nicht Differenzen zwischen Frauen in der Diskussion betont werden (Davis, Lutz 2005: 242). Diesem Einfluss meiner Forschungsposition wird nochmals
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näher im folgenden Kapitel bei der Besprechung der Umsetzung eines solchen Kollektivs ›Frauen‹ nachgegangen.
Erweiterung: Simultane Kollektivzugehörigkeiten In Bezug auf die Realisierung eines Kollektivs ›Frauen‹, welches sich durch Gemeinsamkeiten und nicht durch Differenzen auszeichnet, lassen sich verschiedene Strategien rekonstruieren. Zunächst stellt sich die Konzeptualisierung als Notwendigkeit dar, gegen geschlechtsspezifische Unterdrückungsverhältnisse Widerstand leisten zu können. Dies lässt sich an den Ausführungen von Simone illustrieren: Simone: ja und ich würd das noch ergänzen ich find nämlich also ich würd jetzt sagen wir also ich erlebe nicht dieselbe Unterdrückung wie zum Beispiel eine Frau die vom IS entführt worden ist und jeden Tag vergewaltigt wird so ne? also da würd ich nicht sagen ich habe dieselben Unterdrückungs- Sit- dieselben Unterdrückungssituationen aber wenn man das eben kollektiv betrachtet und sagt (ein) ein Angriff gegen die Frauen der der jesidischen Frauen zum Beispiel ist auch ein=ein An- An- ein Angriff gegen uns alle. sind wir natürlich davon betroffen […] (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:13:40-02:14:08) Es zeigt sich hier, dass die Betonung eines Kollektivs ›Frauen‹, welches sich durch geteilte Betroffenheit von geschlechtsspezifischer Unterdrückung auszeichnet, als Strategie dient, um verschiedene Diskriminierungsformen, die Frauen erleben, nicht als individuelle Diskriminierung zu begreifen. Vielmehr verdeutlicht sich, dass Unterdrückungen, die einige Frauen erleben, über das Kollektiv ›Frauen‹ als Diskriminierung gegen alle Frauen zu verstehen sind (»Angriff gegen uns alle«). Hier deutet sich bereits an, dass diese Vorgehensweise sich auch als Strategie erweist, eine Überwindung von Differenzlinien zwischen Frauen z.B. in Bezug auf Ethnizität oder Religion (»jesidischen Frauen«) zu ermöglichen. Dies zeigt sich auch deutlich in den Ausführungen von Klara: Klara: […] und ich denke das wird auch immer wieder deutlich an den zum Beispiel an den gerade auch an so wertvollen Begegnungen wie jetzt zum Beispiel den Samstagsmüttern in der (K-)Türkei die ja auch genau so ne Arbeit machen
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dass sie sagen okay wir sind die Mütter von Guerillas oder von kurdischen Widerstandskämpferinnen die halt gefallen sind aber ihr seid doch die Mütter von Soldaten wir wollen ja beide den Krieg nicht lasst uns doch zusammentun um gegen diesen Krieg zu uns zu engagieren und=ich denke das ist halt des zeigt eigentlich das sozu- dass über diesen Schmerz auch mh viele Differenzen die eben von=ner patriarchalen Mentali- Spaltungsmentalität aufgemacht sind das eben ermöglicht wenn Frauen:: diesen Sch- also m::h Orte haben wo sie diesen Schmerz eben auch teilen können daraus eine neue Kraft und insbesondere auch=ne große Friedenskraft entstehen kann. (GD Erweiterung Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 02:26:30-02:27:29) Die geteilte Zugehörigkeit zu einem Kollektiv ›Frauen‹, welches patriarchale Gewalt erfährt, erweist sich als potenziell in der Lage, in Kriegszeiten Frieden zu stiften, auch wenn die Frauen hinsichtlich ihrer Ethnizität gegenüberstehenden Konfliktparteien zugehörig sind. Trennungen bzw. Spaltungen innerhalb des Kollektivs ›Frauen‹ reflektieren hier ein patriarchales Machtverhältnis und nicht andere Ungleichheitsverhältnisse. Somit wird dem Kollektiv ›Frauen‹ im Allgemeinen ein positives Veränderungspotential zugeschrieben, wie auch die Äußerungen von Leyla illustrieren: Leyla: und Frauen schaffen des auch die ham des in Türkei des schon selber ggesehen Simone: └erkannt Leyla: └genau das die dass mit Frauen k- kurdische Frauen zusammen auch die türkische Frauen auch von anderen Nationalen, dass die ham diese Kraft und die verändern diesen patriarchales System durch Männer oder m- (ne=)Familie, […] (GD Erweiterung Passage ›Stärke von Frauen‹ 59:49-01:00:11) Es dokumentiert sich hier erneut, dass über eine geteilte Zugehörigkeit zu dem Kollektiv ›Frauen‹ Differenzen unter Frauen überwunden werden können mit dem Ziel, unterdrückerische geschlechtsspezifische (»patriarchale«) Verhältnisse zu verändern. Dieses Ziel erweist sich dabei als geteiltes Interesse von allen Frauen. Diese Überwindung von Differenzen über ein Kollektiv ›Frauen‹ um Veränderungen möglich zu machen, zeigt sich auch jenseits von Ethnizität oder Reli-
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gion als relevant und betrifft gleichermaßen die Kategorie Klasse. Dies verdeutlicht sich in der Passage Feminismus im Kontext der Ausführungen von Simone bezüglich der Kritikpunkte an feministischen Bewegungen in Europa: Simone: […] und ich glaub das ist ja auch ganz oft passiert dass eben Frauen halt einfach nur so mit ihren Scheuklappen halt gekämpft haben aber gar nicht die Frauen drum herum irgendwie mit (ge-)also auch so von den Schichten und von den Klassen halt übergreifend gekämpft haben. das ist ja sehr selten passiert und deswegen fand ich auch immer, so die kurdische Frauenbewegung total faszinierend weil sies halt geschafft haben über halt Schichten und über Klassen- Unterschiede hinweg halt eben sich zusammen zu schließen und zu kämpfen ?: └ºmhm;º Simone: └und sich wieder Gesellschaft anzueignen und öffentliche Räume anzueignen (GD Erweiterung Passage ›Feminismus‹ 01:41:03- 01:41:33) Die kurdische Frauenbewegung wird hier als positiver Horizont aufgespannt, dem auch tatsächlich in der Praxis zu verdanken sei, dass Frauen aus unterschiedlichen Klassen sich vereinen. In der Umsetzung gestaltet sich ein Kollektiv ›Frauen‹ folglich auch als ein Kollektiv der Vielfalt, welches sich aus Frauen unterschiedlicher sozialer Positionen zusammensetzt, die aber ein gemeinsames Interesse an der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse teilen (»Gesellschaft anzueignen und öffentliche Räume anzueignen«). Diese Herangehensweise über eine geteilte Zugehörigkeit zu einem Kollektiv ›Frauen‹ Differenzen zu überwinden, stellt sich jedoch als herausfordernd dar. Insbesondere wird dies im Kontext von Europa bzw. Deutschland diskutiert: Simone: ich find auch irgendwie so im Allgemeinen hab ich des Gefühl dass halt auch eher die (1) deutschen, Frauen zum Beispiel viel offener geworden sind halt irgendwie Klara: └mhm; Simone: └uns gegenüber so Klara: └mhm; Simone: └also es war schon früher sehr oft so dass halt viele Vorurteile gewesen sind und die dann auch kein Bock hatten mit uns
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was zusammen zu machen, oder dann immer dieses ja aber warum muss dann Abdullah Öcalan wieder gezeigt werden auf der @Demonstration@ Klara: └mhm; Simone: └und so ne, diese @alten Diskussionen@ ham mehr aufgehört find ich und es ist viel mehr so=n positives Interesse irgndwie auch irgendwie was da mitzunehmen und irgendwie zu kooperieren und eben so gemeinsam zu kämpfen und nicht so dieses nebeneinander (1) […] (GD Erweiterung Passage ›Erfolge‹ 23:52-24:28) Das Verhältnis zwischen kurdischen und »deutschen Frauen« zeigt sich hier als in der Vergangenheit mit Konflikten belastet. Dabei lässt sich rekonstruieren, dass das Verhalten von »deutschen Frauen« als Grund für die Unmöglichkeit einer Zusammenarbeit gilt. Ein Desinteresse, sich mit anderen Frauen und ihren Kontexten auseinanderzusetzen erweist sich dabei als charakteristisch für dieses Verhalten. Ebenso wie eine Herangehensweise, die auf den eigenen Vorstellungen und Praktiken beharrt (»warum muss dann Abdullah Öcalan wieder gezeigt werden«). Dieses Verhältnis erweist sich dabei auch als prozesshaft und veränderbar. Es ist bezeichnend, dass es die »deutsche Freundin« in der Gruppe ist, die konkrete Probleme zwischen deutschen (wobei sie sich hier diesen nicht zuordnet) und kurdischen Frauen explizit benennt, während in den Äußerungen anderer Teilnehmerinnen meist implizite Formulierungen wie »andere Frauen« oder »andere Frauenorganisationen« verwendet werden, wie sich weiter unten zeigen wird. Dies macht meinen Einfluss auf die Diskussion deutlich. Da ich als deutsche Frau wahrgenommen werde, ist davon auszugehen, dass meine Anwesenheit beeinflusst, inwieweit explizite Benennungen von Auseinandersetzungen zwischen deutschen und kurdischen Frauen vorgenommen werden. Dies verweist darauf, dass die Betonung der Gemeinsamkeiten von Frauen in der Diskussion nicht nur dazu benutzt wird, um mit mir als weibliche Forscherin eine Verknüpfung herzustellen (vgl. Davis, Lutz 2005: 242), sondern dass die Fokussierung auf Gemeinsamkeiten auch zur Abgrenzung von einer Praxis dient, die Differenzen als unüberwindbar erachtet. Dies illustriert sich insbesondere in den Ausführungen von Aynur, die zu einem späteren Zeitpunkt in der Diskussion erneut auf die Erläuterungen von Simone Bezug nimmt: Aynur: […] manche Frauenorganisationen kann man auch nicht zeigen dass die alleine nicht so viel wirken dass man zusammen was machen können; und (1) die
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kö- manche geben auch nicht ich mein sie geben auch keine wie sagt man denn (1) sie halten auf ihre Punkte manchmal soll man bisschen toleranter flexibler sein muss man bestimmte Themen einfach nicht so in Vordergrund stellen weil wir ham mehr Gemeinsamkeiten denke ich als unsere Unterschiede deshalb soll man erst diese Unterschiede nicht thematisieren früher war so jetzt mittlerweile bei an- mit an- mit Ar- Arbeit mit anderen Frauenbewegungen nicht so das ist noch besser geworden wie Simone gesagt hat die sind offener geworden und wenn sie offener werden wir sind wir auch offener und wir versuchen auch offener zu werden und das klappt echt gut und das ändert sich auch (1) ?: ja (GD Erweiterung Passage ›Stärke von Frauen‹ 01:05:29-01:06:27) Eine starke Betonung von Differenzen zwischen Frauen spannt sich somit als negativer Gegenhorizont auf, der verbunden ist mit einer Praxis, die Differenzen zwischen Frauen als unüberwindbar fasst (»wir ham mehr Gemeinsamkeiten denke ich als unsere Unterschiede«). Es dokumentiert sich auch, dass mit dieser Betonung von Differenzen Erfahrungen von Ab- bzw. Ausgrenzung verknüpft werden und ohne sie ein »offener« »toleranter« Umgang möglich wird. Diese Darlegung verdeutlicht, dass marginalisierte Frauen(gruppen) auch dafür kämpfen müssen, überhaupt einem Kollektiv ›Frauen‹ bzw. einem feministischen Wir anzugehören (Ahmed 2017: 2). Betonungen von Differenzen erweisen sich folglich auch mit Exklusionserfahrungen verbunden. Gleichzeitig dokumentiert sich in der Umsetzung eines Kollektivs ›Frauen‹ die Wichtigkeit der Anerkennung der eigenen Identität und damit der unterschiedlichen Zugänge zu Feminismus, wie im Anschluss an die Frage, wieso sich die übergeordnete Gruppe nicht als feministisch bezeichne, stark durchklingt: Aynur: kurdische Frauenbewegung Klara: └mhm Aynur: └denkt auch anders darüber und die haben auch viel im Nachhinein viel vom Feminis- Feminismus halt geforscht und auch vom Feminismus was genommen aber auch die haben sich auch erweitert Klara: └mit ner eigenen Identität eigentlich Aynur: └mit ei- Identität Klara: └mhm
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Aynur: └die b- möchten nicht nur sich als Feministinnen begrenzen sondern noch offener sein und diese Begriff ich mein das kann man noch lange darüber diskutieren ob das Feminismus ein begrenzter Begriff ist andere ausgrenzt kann man darüber diskutieren aber es gibt so eine, erst es hat so einen Eindruck aber ich glaub nicht das bei Grünbei Gründung [Name der Gruppe] darüber gedacht worden ist warum dann Feminismus nicht warum nicht Fra- na warum nicht Fe- Feminism Frauen ich glaub nicht vielleicht kommen die Freundinnen nicht auf die Idee weil wir aus auch anderer Tradition kommen aber ich glaub die die Mentalität oder die Perspektive sind feministische Perspektive würd ich so sagen (GD Erweiterung Passage ›eigene Identität‹ 01:55:48-01:56:50) Es zeigt sich die Betonung eines eigenen Zugangs zu Frauenbewegungen und feministischen Themen. Dabei dokumentiert sich eine Verknüpfung von Feminismus mit Beschränkung (»begrenzter Begriff«) und Exklusion, wohingegen der eigene Anspruch ein »offener« ist. Dies verdeutlicht sich in homologer Weise auch an anderer Stelle: Klara: […] der Kampf der kurdischen Frauenbefreiung also der der kurdischen Bewegung beruht eben auf der kurdischen Befreiungsideologie und die ist eigentlich noch=ne Erweiterung des Feminismus (1) indem wie=er in ganz m::h großen Teilen eben praktisch umgesetzt wurde, und zwar als n=gesamtgesellschaftlicher Kampf gegen das Patriarchat. (1) also was nicht heißt dass Feminismus an sich das in seiner Idee nicht hat; aber indem wie es praktisch umgesetzt worden ist m:h hat es eben häufig sozusagen dieses Abdiesen Abgrenzungs- mh Aspekt gehabt, […] (GD Erweiterung Passage ›eigene Identität‹ 01:43:40-01:44:18) Im betonten und wiederholten Bezug auf die kurdische Frauenbewegung lässt sich für die Gruppe rekonstruieren, dass eine Anerkennung des Kontexts verschiedener Frauenbewegungen von Bedeutung ist. Frauenbewegung ist also nicht gleich Frauenbewegung und die Unterschiede werden hier vor allem in ihrem ethnischen und geographischen Bezug ausgemacht. Dadurch dokumentiert sich, dass der reine Bezug auf das Kollektiv ›Frau‹ in der Umsetzung nicht ausreicht und die Anerkennung von Differenzen zwischen Frauen gerade in Bezug auf die Kategorie Ethnizität und geographischen Kontexten als wesentlich erachtet wird. Aufgrund der Zentralität der Anerkennung unterschiedlicher
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Identitäten von Frauen und Frauenbewegungen ergibt sich die Notwendigkeit simultaner Kollektivzugehörigkeiten, insbesondere der gleichzeitige Bezug auf die Kollektive ›Frauen‹ und ›Kurdinnen‹. In der Umsetzung stellt sich somit ein Kollektiv ›Frauen‹ als angestrebtes Kollektiv der Vielfalt dar, welches sich in der kurdischen Frauenbewegung auch als umgesetzt erweist: Klara: na insgesamt also was definitiv als Erfolg m- m::h benannt werden kann also wir alle schon auch irgendwie gesagt haben is halt wirklich dieses Zusammenrücken ne, ?: mhm. Klara: └also viele über die Arbeiten der kurdischen Frauenbewegung:: und aber auch die Krise der Frauenbewegung:: teilweise also auch insbesondere der feministischen Bewegung weltweit hat es ja schon auch sowas wie=n wie ne neue Hinterfragung wie können wir uns denn Reorganisieren, stattgefunden; und da ist so dieses Zusammenrücken eben in aller Vielfalt n=gemeinsamen Kampf zu gestalten eben auch sicherlich=n großer Erfolg wo die kurdische Frauenbewegung eben beispielhaft gewesen ist und das ist natürlich über [Name Gruppe] auch in Deutschland verbreitet worden; also diese Leyla: mhm. Klara: └Atmosphäre diese dieses gemeinschaftlich eben in aller Vielfalt miteinander zu kämpfen oder, sich zu organisieren und Sachen auf die Beine zu stellen. […] (GD Erweiterung Passage ›Grundlegende Veränderung‹ 35:44-36:49) Hier lässt sich das Streben der Gruppe Erweiterung nach einer Kollektivität von Frauen rekonstruieren, welche Unterschiede nicht nur anerkennt, sondern diese als positiv und bereichernd versteht. Gleichzeitig dokumentiert sich die Zugehörigkeit zu dem Kollektiv ›Frauen‹ und die damit verbundene Annahme geteilter Diskriminierung als Grundlage für einen »gemeinsamen Kampf«.
Zusammenfassung In der Diskussion mit Gruppe Erweiterung konnte rekonstruiert werden, dass sich stark an einer kollektiven Zusammenarbeit von Frauen orientiert wird. Der Begriff ›Frau‹ wird dabei selbstverständlich benutzt und die Frage, wer zu diesem Kollektiv gehört, stellt sich somit als vernachlässigbar dar. Im Fokus zeigen sich die Gemeinsamkeiten des Kollektivs ›Frauen‹, welche sich durch eine geteilte Betroffenheit von geschlechtsspezifischer Diskriminierung auszeichnen.
7. Zwischen Theorie und Praxis
Differenzen zwischen Frauen zeigen sich in dieser Konzeptualisierung zunächst als nebensächlich. In der Umsetzung erweist sich diese Herangehensweise als Strategie um gemeinsame Aktivitäten von Frauen über Differenzen hinweg zu ermöglichen. Gleichzeitig zeichnet sich eine starke Betonung von Differenzen zwischen Frauen als Praxis ab, die mit Exklusionserfahrungen und einer Aberkennung der Zugehörigkeit zu einem feministischen Kollektiv verknüpft ist. Mit meinen Fragen, die auf Differenzen abzielten, habe ich folglich diese Exklusion reproduziert, weswegen es nicht verwundert, dass auf diese Fragen kaum eingegangen wurde und Simone mich im Anschluss auf ihre Untauglichkeit hinwies. Dies illustriert die Problematik, die mit einer allzu starken Betonung von Differenzen zwischen Frauen und damit ihrer Überwindbarkeit zusammenhängt auf die bereits im theoretischen Kapitel eingegangen wurde (vgl. Davis, Lutz 2005: 230; Yuval-Davis 1997: 119). In der Umsetzung zeigt sich jedoch auch, dass nach einem Kollektiv der Vielfalt gestrebt wird. Die Anerkennung unterschiedlicher feministischer Zugänge und Praktiken aufgrund von Ethnizität, geographischen Kontexten oder Klasse, stellt sich dabei als Notwendigkeit für die Realisierung eines solchen vielfältigen Kollektivs heraus. Es verdeutlichte sich dabei auch, dass es die simultanen Kollektive ›Frauen‹ und ›Kurdinnen‹ sind, die als zentraler Referenzrahmen fungieren.
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8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
In den Darstellungen der fünf Gruppen wurde immer wieder deutlich, dass das Thema Empowerment verstanden als »liberating empowerment« nach Cecília M.B. Sardenberg (2008)1, gerade auch in Bezug auf intersektionale Fragen von Relevanz ist (Sardenberg 2008: 19). Aus diesem Grund wird sich diesem Themenfeld im Folgenden näher gewidmet. In einem ersten Teil wird die Thematik eines Kollektivs ›Frauen‹ betrachtet, insbesondere auch Grenzen eines Kollektivs, welches sich durch Vielfalt auszeichnet. Dabei spielen Ergebnisse aus dem Expertinneninterview mit Michelle eine zentrale Rolle. Anschließend werden anhand des Begriffes ›Kampf‹ (im Sinne von ›Kampf für Frauenrechte‹) beispielhaft sprachliche Begrifflichkeiten in Bezug auf ihren Empowermentgehalt untersucht. Bei der Besprechung der verschiedenen Zugänge zum Begriff ›Kampf‹ fließt die Frage mit ein, inwieweit die sozialen Positionen der Gruppen und ihrer Mitglieder einen Einfluss auf unterschiedliche Zugänge haben können.
8.1
Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ als Empowerment?
Der Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ konnte bei verschiedenen Diskussionen mit Empowerment in Zusammenhang gebracht werden, wie die folgenden Auszüge nochmals illustrieren: Elisabeth: […] also das hat mich glaub ic- also des war also des war für mich so=ne Offenbarung also ne, also einfach dieses wie sich Frauen halt zusammen organisiert haben gemeinsam thematisiert haben ihre Probleme in der Welt
1
Vgl. Kapitel 3.2.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
und halt so=n positiver Bezug auf Frausein und das erstmal aufwerten wertzuschätzen also ich finde des=is also es hat mich total empowert […] (GD Passung Passage ›zweite Frauenbewegung‹ 01:15:02-01:15:22) Karen: also ich fin- dass wir Frauen empfand ich immer und auch heute noch als etwas sehr stärkendes. nämlich über das individuelle hinaus gehende. […] (GD Ambivalenz Passage ›Titel wir Frauen‹ 55:29-55:39) Leyla: und Frauen schaffen des auch die ham des in Türkei des schon selber ggesehen Simone: └erkannt Leyla: └genau das die dass mit Frauen k- kurdische Frauen zusammen auch die türkische Frauen auch von anderen Nationalen, dass die ham diese Kraft und die verändern diesen patriarchales System durch Männer oder m(ne=)Familie, […] (GD Erweiterung Passage ›Stärke von Frauen‹ 59:49-01:00:11) Dabei zeigten sich unterschiedliche Ein- und Ausschlüsse bezüglich dieses Kollektivs im Zusammenhang mit den jeweilig herausgearbeiteten Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen. Anhand der Gruppen Ambivalenz und Erweiterung stellte sich dar, dass solch ein geteilter Bezug zu einem Kollektiv ›Frauen‹ auch als Strategie genutzt werden kann, um über Differenzen hinweg Solidaritäten zu schaffen. Dabei zeigte sich auch in unterschiedlicher Weise ein Streben nach einem Kollektiv ›Frauen‹, welches sich durch Vielfalt auszeichnet. Einige Grenzen dieser Herangehensweise in ihrer Umsetzung wurden bereits besprochen, insbesondere bei der Darstellung von Gruppe Ambivalenz. Für eine mögliche Umsetzung eines solchen Kollektivs der Vielfalt erscheint es zunächst notwendig, dass ein Kollektiv ›Frauen‹ sich überhaupt als möglicher Bezugsrahmen für Empowerment darstellt. Im Folgenden wird anhand des Expertinneninterviews mit Michelle diese Prämisse kritisch beleuchtet.
Informationen zum Interview mit Michelle Wie bereits im methodischen Kapitel angesprochen wurde der Kontakt zu Michelle über die gemeinsame Teilnahme an einer Veranstaltung zur postkolonialen Erinnerungspolitik in Deutschland hergestellt. Michelle engagiert sich in Schwarzen (feministischen) Zusammenhängen und in einem frau-
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
en*rechtlichen Netzwerk. Des Weiteren betätigt sie sich in der Antidiskriminierungsarbeit und als Empowermenttrainerin für Schwarze Menschen und Schwarze Frauen*. Im Rahmen des Expertinneninterviews wurde Michelle als Expertin für Schwarzen Feminismus adressiert und dieser Themenbereich als Fokus des Interviews kommuniziert. Sie wusste bereits zuvor, dass ich Gruppendiskussionen mit feministischen und Frauen*rechtsgruppen durchführe und meine Gewinnung von Schwarzen Gruppen für eine Diskussion nicht erfolgreich gewesen ist. Vorab war es Michelle wichtig klarzustellen, dass das Gespräch kein biographisches Interview ist. Auf explizite Nachfrage zur Selbstbezeichnung nach dem Interview, betonte Michelle, dass sie sich selbst nicht als Schwarze Feministin bezeichnet, sondern sich vielmehr mit den Bezeichnungen AntiDiskriminierungstrainerin oder Empowermenttrainerin identifizieren könne, vor allem aber als Schwarze Mutter identifiziere. Im Verlauf des Interviews bezeichnet sie sich häufiger als Schwarze Frau. Das Interview fand im Oktober 2017 in Gemeinschaftsräumen der AntiDiskriminierungsgruppe statt, bei der Michelle tätig ist und dauerte 1 Stunde und 22 Minuten. Bereits direkt zu Beginn des Interviews betont Michelle, dass wenn sie von Frauen spricht, sie stets Frauen mit ›*‹ meint.2 Die erste Frage des Interviews, was sie mit der zweiten Frauen*bewegung verbinde, sorgt bei Michelle zunächst für Irritationen und führt zu der Äußerung, dass sie dazu nichts sagen könne und Frauen*bewegung für sie immer Schwarze Frauen*bewegung bedeute. Was sie mit Schwarzem Feminismus verbindet stellt anschließend ein zentrales Thema dar. Dabei wird insbesondere auf die Kritik an weißen Feministinnen* und die Exklusionen von Schwarzen Frauen* verwiesen sowie die unterschiedlichen Erfahrungen von weißen und Schwarzen Frauen* hervorgehoben. Im weiteren Verlauf frage ich u.a. nach Schwarzer feministischer Organisierung in Deutschland sowie Herausforderungen und Erfolgen bzw. positiven Erlebnissen. Eine Organisierung als Schwarze Frauen*, die Sichtbarmachung von Erfahrungen und der Beitrag Schwarzer Frauen* in der Entwicklung von Konzepten und Praktiken wie Critical Whiteness werden dabei als zentrale Aspekte aufgeführt. Des Weiteren be-
2
Aus diesem Grund wurde dies auch so in die Transkription mit aufgenommen und im Folgenden wird in Bezug auf Äußerungen von Michelle stets Frauen* verwendet. Wenn auf Ergebnisse der Gruppendiskussionen verwiesen wird, wird hingegen kein ›*‹ verwendet.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
zieht sich Michelle auf das Buch Farbe bekennen, Audre Lorde, May Ayim oder die Gruppe ADEFRA, auf deren Leistungen heute aufgebaut werden könne. Ein Thema, das mehrmals aufgegriffen und als aktuelle Herausforderung dargestellt wird, ist die Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt für rassistische Zwecke. Begriffe, wie Empowerment, Intersektionalität oder Solidarität, die Michelle in ihren Ausführungen benutzt, werden im Verlauf des Interviews von mir aufgegriffen und ihre Bedeutung erfragt. Wie auch bei den Gruppendiskussionen stelle ich Michelle gegen Ende der Diskussion die Frage, was sie zu der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen sagen würde. Dabei hebt Michelle hervor, dass Diskriminierung u.a. von der gesellschaftlichen Position abhängt und diese darüber entscheidet, ob etwas als Diskriminierung zu bewerten sei oder nicht. Folglich könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle Frauen* ähnliche Diskriminierungserfahrungen machen. Wenn Michelle auf Kritik an weißen Feministinnen* zu sprechen kommt, fügt sie häufiger Formulierungen hinzu, die einer starken Verallgemeinerung entgegenwirken. Dies muss im Kontext meiner Forschungsposition betrachtet werden. Schließlich werde ich diesem Kollektiv weißer Feministinnen* potenziell zugerechnet, was Auswirkungen auf die Formulierung von Michelles Äußerungen hat. Dies verdeutlichen auch die häufigen Nachfragen, ob ich verstanden hätte, was sie meint. Im Anschluss an die Diskussion und Offenlegung meiner Fragestellung entwickelte sich noch ein längeres Gespräch zwischen Michelle und mir, wobei wir unter anderem auch erneut über die Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt für rassistische Zwecke sprachen.
Zentralität anderer Kollektive für Empowerment Im Interview mit Michelle lässt sich herausarbeiten, dass ein Kollektiv Schwarzer Frauen* einen zentralen Rahmen für Empowerment darstellt. In homologer Weise zeigt sich dabei die gleichzeitige Notwendigkeit der Hervorhebung eines Kollektivs von Personen, die Rassismus erfahren (welches mit Begriffen wie »afrikanische Diaspora« oder »Schwarze Community« gefasst wird). Ein Auszug im Anschluss an eine Nachfrage bezüglich Themen und Differenzen, die für sie innerhalb Schwarzer feministischer Organisierung wichtig sind, verdeutlicht dies: Michelle: […] und ich kann des immer mehr nachvollziehen weshalb sich zum Beispiel Gruppen wie ADEFRA gegründet haben //mhm// die gesagt haben sie wollen lieber als Frauen mit Sternchen unter sich //mhm// sein; ja //mhm// weil
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
des dann schon auch also des was wir eben im gesamtgesellschaftlichen Erleben den Sexismus der spiegelt //mhm// sich in so=ner kleinen //mhm// kleineren Community halt auch wider; //mhm// und des is so=n Thema was mich aktuell //mhm// auch so beschäftigt also wie können wir //mhm// als afrikanische Diaspora in Deutschland gemeinsame Nenner finden aber trotzdem auch Wege finden über uns über Sexismus auszutauschen […] (Interview Michelle Passage ›Schwarz sein ist heterogen‹ 12:35-13:10) Erfahrungen von Sexismus stellen sich hier als Anlass dar, sich in Gruppen zu organisieren, die allein aus Schwarzen Frauen* bestehen. Eine Ähnlichkeit der sozialen Position bezüglich eines Geschlechterverhältnis dokumentiert sich als Voraussetzung, um geschlechtsspezifische Diskriminierung zu vermeiden bzw. sich darüber austauschen zu können. Es zeigt sich hier zudem, dass die Notwendigkeit, sich als Schwarze Frauen* zu organisieren, den zentralen Bezug zu einem Kollektiv, welches sich durch geteilte Rassismuserfahrungen auszeichnet, nicht in Frage stellt. Vielmehr stellt sich dieses Kollektiv angesichts rassistischer Diskriminierung als zentral dar: Michelle: […] also es ist mir zum Beispiel ganz wichtig dass die afrikanische Diaspora, oder die afrikanische Community Schwarze Community ein also gemeinsam auftritt //mhm// gerade auch wenns ums Thema Rassismus geht, //mhm// also dass dass wir da irgendwie n=nen gemeinsamen Nenner finden aber hab gemerkt dass es trotzdem auch ganz arg wichtig ist sich in der Community über Sexismus zum Beispiel //mhm// auszutauschen, […] (Interview Michelle Passage ›Schwarz sein ist heterogen‹ 12:08-12:31) Als zentraler Ausgangspunkt dokumentiert sich hier eine »Schwarze Community« und die Notwendigkeit, sich »gemeinsam« gegen Rassismus zu positionieren. Empowerment erweist sich zunächst als Notwendigkeit in Auseinandersetzung mit rassistischen Verhältnissen. Gleichzeitig zeigt es sich als notwendig, Differenzen innerhalb dieses Kollektivs zu betonen. Hier wird Michelles intersektionale Perspektive deutlich, indem hervorgehoben wird, dass sich Rassismus je nach sozialer Position unterschiedlich auswirkt: Michelle: […] wenn ich dann selber Gruppen Empowermentgruppen für Schwarze Menschen organisiert hab das schnell klar wurde okay es gibt einfach also (2) Jungs oder Jugendliche männliche Jugendliche und weibliche Jugendliche ma-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
chen einfach unterschiedliche //mhm// Rassismuserfahrungen und bei Mädchen* und jungen Frauen* ist es halt einfach nochmal ne Über- ÜberSchneidung von Rassimus und Sexismus //mhm// und des Rassimus und Sexismus was dann halt zum Beispiel auch dazu geführt hat dass wir dann Gruppen geteilt haben; //mhm// zwischenzeitlich […] (Interview Michelle Passage ›Schwarz sein ist heterogen‹ 11:09-11:37) Es spiegelt sich hier wider, dass durch die Verschränkung verschiedener Unterdrückungsverhältnisse (hier Rassismus und Sexismus) multiple Kollektive bedeutsam werden, um sich angesichts dieser Diskriminierungen zu stärken und dagegen vorgehen zu können. Dabei sind es insbesondere die zwei Kollektive ›Schwarze Frauen*‹ und ›Menschen, die Rassismuserfahrungen machen‹, welche sich auf Empowerment beziehen lassen und nicht etwa auch ein Kollektiv ›Frauen*‹. Dies heben auch folgende Erläuterungen zum Begriff Empowerment hervor: Michelle: […] also für mich is Empowerment kein Modebegriff //mhm// (1) sondern politisch und Empowerment bedeutet für mich auch sich in geschützten Räumen auszutauschen //mhm// also geschützt im Sinne von (1) wenn=s jetzt Schwarze Menschen betrifft möglichst geschützt vor rassistischen Verletzungen, //mhm// innerhalb ner Gruppe, (2) oder wenn=s Schwarze Frauen* betrifft möglichst geschützt vor (1) Heterosexismus und Rassismus //mh// genau also sich da auszutauschen Erfahrungen auszutauschen […] (Interview Michelle Passage ›Empowerment‹ 19:03-19:34) Im Kontext von Empowerment stellt sich die Praktik von »geschützten Räumen« als hilfreich dar. Diese zeichnen sich durch einen relativen Schutz vor bestimmten Diskriminierungsformen aus, der darüber erreichbar scheint, dass Personen mit ähnlichen sozialen Positionen zusammenkommen und privilegierte Positionen abwesend sind. Dabei ist es bezeichnend, dass diese Räume zunächst im Kontext von Rassismus und Schwarzen Menschen und dann bzgl. Schwarzer Frauen* und »Rassismus« sowie »Heterosexismus« verortet werden. Die Möglichkeit eines geschützten Raumes gegenüber Sexismus und das Zusammenkommen von Frauen* unterschiedlicher sozialer Positionen zeigt sich nicht als relevante Option. Solche Räume bzw. der Bezug zu einem Kollektiv ›Frauen*‹ lassen sich folglich nicht mit einem potenziellen Empowerment in Verbindung setzen. Möglichkeiten von Aushandlungsprozessen zwischen Ge-
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
meinsamkeiten und Differenzen erweisen sich nicht als zentral im Kontext eines Kollektivs ›Frauen*‹, sondern innerhalb einer Schwarzen Community: Michelle: des is ein so=n eine Sache, wo mir bewusst geworden ist ah okay also jetzt Schwarzsein ist jetzt nicht nur Schwarzsein des is einfach sehr heterogen und macht echt n=Unterschied (1) wie wir auch sozialisiert worden sind; (2) (Interview Michelle Passage ›Schwarz sein ist heterogen‹ 11:48-12:01) - Oder in einem Kollektiv ›Schwarzer Frauen*‹: Michelle: […] ich würde nicht behaupten dass da jetzt ein klarer Konsens besteht //mhm// weils ja auch in der Schwarzen Frauen*bewegung Bewegung einfach auch sag ich mal vielleicht auch Differenzen, gibt //mhm// oder so, also was jetzt denk ich was is was ak- aus meiner Sicht aktuell ist ist des halt Frauen* nicht nur Frauen* sind sondern dass es queere Frauen* gibt //mhm// dass es lesbische Frauen* gibt Transfrauen* gibt und so des is auch grade finde ich so=n Prozess (1) der da grade entsteht des auch noch mehr so in=s Bewusstsein zu bringen //mhm// ja also dass es nicht die:: Frau gibt; //mhm// ja; (Interview Michelle Passage ›Schwarze Frauen*bewegungen‹ 08:52-09:29) Frauen* hingegen, die keinen Rassismus erfahren, dokumentieren sich vielmehr als Personen mit denen Diskriminierungserfahrungen assoziiert werden, insbesondere auch in feministischen Kontexten: Michelle: […] also was auch wieder so Thema in der Gegenwart ist ist halt so dieses (1) mh Gefühl auch von Bevormundung durch weiße Feministinnen* //mhm// und auch so //mhm// des sind dann vielleicht auch manchmal so lokale, könnte auch sein dass es lokale Debatten sind //mhm// weiß ich jetzt nicht aber auch hier so (1) ja was ich hör also dass es einfach nicht sowas auf einer Augenhöhe ist sondern dass dann oft Schwarze Frauen* oder auch migrantische Frauen* an sich dann auch eher als die unterdrückten Frauen* //mhm// angesehen werden und nicht als die Frauen* die ne eigene Stimme //mhm// sondern eher dass dann so weiße Feministinnen* sich in dem Sinne auch anmaßen da einfach paternalistisch zu reden oder zu handeln //mhm// was dann auch wieder so Schwarze
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Frauen* oder auch migrantische Frauen* in so ne gewisse Opferrolle drängt in der wir //mhm// eigentlich gar nicht sein wollen //mhm// […] (Interview Michelle Passage ›Verhältnis Schwarzer und weißer Feministinnen*‹ 28:18-29:05) In der Metapher nicht auf »Augenhöhe« spiegeln sich Erfahrungen der Ungleichbehandlung wider und Situationen, in denen kein gleichberechtigter Umgang praktiziert wird. Dies hebt auch der betonte Begriff »Bevormundung« hervor. Zusätzlich zeigt sich ein Vorgehen für ein Kollektiv »weiße Feministinnen*« als charakteristisch, welches sich als Autorität verhält und marginalisierte Frauen* als besonders unterdrückt (»die unterdrückten Frauen*«) und damit in Bedarf der Befreiung durch weiße Feministinnen* darstellt (»paternalistisch«). Damit dokumentieren sich hier zentrale Kritikpunkte von Frauen* of Color, die auch im Kontext der zweiten Frauen*bewegungen in Bezug auf das Verhältnis zu weißen Feministinnen* geäußert wurden (vgl. Davis 1998b [1978]: 132f.; hooks 2015 [1981]: 196; Mysorekar 1990: 22f.). In der Formulierung »könnte auch sein dass es lokale Debatten sind« verdeutlicht sich, dass eine absolute Einschätzung des Verhaltens weißer Feministinnen vermieden wird, was möglicherweise auf den Einfluss meiner Forschungsposition verweist, da ich potentiell diesem Kollektiv weißer Feministinnen zugeordnet werde. Die Kontinuität der Kritik Schwarzer Feministinnen* und der historisch gewachsenen Konflikte und Diskriminierungserfahrungen, die sich als verknüpft mit weißen Feministinnen* erweisen, zeigt sich auch in den Ausführungen Michelles zu Schwarzem Feminismus: Michelle: mhm also ich find mit dem Schwarzen Feminismus einfach ne n=Ansatz der sag ich mal hauptsächlich in den USA von Schwarzen (1) Feministinnen* sag ich mal ins Leben gerufen wurde (2) u::nd die sich durch die sich unter anderem also es gab schon immer Schwarze Feministinnen* aber ich denk mal das erste Mal so wirklich Gehör bekommen haben sie aus meiner Sicht als sie halt auch Schwarze Feministinnen* kritisiert haben dass sie sich durch sie nicht vertreten fühlen, //mhm// weil durch weiße Feministinnen* nicht vertreten fühlen weil sie einfach weiß sind und auch klassetechnisch da andere Bedingungen unter anderen Bedingungen auch gelebt haben oder leben und da halt wwurde halt einfach angeprangert dass die Stimme die feministische Stimme keine intersektionale feministische Stimme ist also dass Schwarze Frauen* sich da nich wiedererkennen und auch eher wenn dann bevormundet werden //mhm// und nicht als ein Teil dieser Frauen*bewegung //mh// gesehen wurden
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
//mhm// und das ist für mich so:: sag ich mal m::: so einer der Meilensteine der Schwarzen Frauen*bewegung dass dann halt (1) immer mehr Schwarze Feministinnen* auch (1) sich sag ich mal Gehör verschafft haben (1) ja; (Interview Michelle Passage ›Schwarzer Feminismus‹ 03:59-05:22) In dem immer vorgenommenen Wechsel von Präsens und Vergangenheit (u.a. »gelebt haben oder leben«; »wurden« und »werden«) zeigt sich die Aktualität der Kritik Schwarzer Feministinnen*, die sich nicht allein auf die Vergangenheit bezieht, sondern sich auch in der Gegenwart als relevant darstellt und somit eine gewisse Kontinuität widerspiegelt. Es dokumentiert sich zudem, dass ein feministisches Kollektiv (»die feministische Stimme«) sowie der Begriff Frauen*bewegung (»dieser Frauen*bewegung«) sich als synonym mit weißen Frauen* bzw. weißen Feministinnen* erweisen, wobei diese Kollektive wiederum mit Diskriminierungserfahrungen verwoben scheinen. Diese Verknüpfung eines Kollektivs ›Frauen*‹ sowie eines feministischen Kollektivs mit der Reproduktion rassistischer Diskriminierung zeigt sich nochmals eindrücklich im Kontext der Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt für rassistische Zwecke; in der Passage, in der es um Forderungen und Wünsche an feministische Zusammenhänge geht: Michelle: […] des is n=Wunsch des heißt nicht dass es des jetzt nicht gibt, vielleicht //mhm// muss ich auch gezielt suchen des hab ich noch nicht gemacht; aber vielleicht so=n Austausch von sag ich mal mit älteren Feministinnen* auch //mhm// wenn sie nicht Schwarz sind; da n=Austausch möglich zu machen wo ich zum Beispiel auch sagen kann hey ich hab die und die Herausforderung oder Probleme //mhm// in der und der Gruppe, //mhm// könnt ihr mir da n=Rat geben, ohne dass ich Angst haben muss und dass irgendwie, Rassismus //mhm// reproduziert wird; //mhm// ja //mhm// also sowas würd ich mir einfach wünschen so=n offenen Austausch und //mhm// so=ne Solidarität. //mhm// des hat ich ansatzweise schon aber wie gesagt ich hab nicht gezielt danach gesucht. //mhm// also ich kann da jetzt nicht nur irgendwie eine @Seite beschuldigen@ //mhm// @oder so@ //mhm// ja; (Interview Michelle Passage ›Herausforderungen‹ 37:39-38:17) Es verdeutlicht sich hier, dass ein Kollektiv ›Frauen*‹ bzw. ein feministisches Kollektiv mit rassistischen Handlungen und Reproduktionen von Rassismus verknüpft zu sein scheint. Rassismuserfahrungen dokumentieren sich hier als
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Hürde, die den Kontakt mit nicht-Schwarzen Frauen* bzw. Feministinnen* erschweren. Kontakt zu vermeiden, stellt sich dabei als Schutzmechanismus gegenüber solchen Erfahrungen dar, worauf auch Audre Lorde in Bezug auf ein historisch gewachsenes Ungleichheitsverhältnis zwischen weißen und Schwarze Frauen* hinweist: »The history of white woman who are unable to hear Black women’s words, or to maintain dialogue with us, is long and discouraging. But for me to assume that you will not hear me represents not only history, perhaps, but an old pattern or relating, sometimes protective and sometimes dysfunctional, which we, as women shaping our future, are in the process of shattering and passing beyond, I hope.« (Lorde 2007 [1979] : 66f.) Die Ausführungen von Michelle verdeutlichen, dass die Überwindung solch eines Verhältnisses, im Gegensatz zu der Hoffnung von Lorde, noch lange nicht vollzogen ist. In diesem Zusammenhang verdeutlicht sich auch die Problematik eines Kollektivs ›Frauen der Vielfalt‹ bezüglich der Frage einer »Egalisierung von Differenzen«, wie Davis und Lutz es nennen (Davis, Lutz 2005: 230). Denn auch wenn unterschiedliche soziale Positionen von Frauen* anerkannt werden und nach einem Kollektiv der Vielfalt gestrebt wird, welches all diese Positionen umfassen soll, ist damit noch nicht notwendigerweise eine Thematisierung von Machtverhältnissen zwischen Frauen* oder eine Auseinandersetzung mit Privilegierungen und Diskriminierungen innerhalb dieses Kollektivs verbunden. Das Interview mit Michelle zeigt also die Grenzen eines Kollektivs ›Frauen‹ auf, welches nach Vielfalt strebt. Unterschiedliche soziale Positionen und Machtverhältnisse zwischen Frauen* können dazu beitragen, dass andere Kollektive und andere Unterdrückungssysteme im Vordergrund stehen und mit einem Kollektiv ›Frauen*‹ keine empowernden bzw. diskriminierende Assoziationen verbunden werden. Es zeigt sich auch, dass die Ausschlüsse, die mit einem kollektiven Wir in feministischen Kontexten historisch produziert wurden und werden, nicht ohne weiteres überwunden werden können.
8.2 Die Verwendung des Begriffs ›Kampf‹ als Empowerment? Auch jenseits der Konzeptualisierung von Differenzen und des Umgangs mit einem Kollektiv ›Frauen‹ gibt es unterschiedliche Herangehensweisen der Gruppen zu Empowerment, die sich gerade auch in der Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten widerspiegeln. Inwieweit dabei die sozialen Positionen der
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
Gruppen bzw. Gruppenmitglieder eine Rolle spielen können, werde ich im Folgenden anhand der unterschiedlichen Zugänge bezüglich des Begriffes ›Kampf‹ im Kontext von ›Kampf für Frauenrechte‹ näher erläutern.
Positiver Bezug auf den Begriff ›Kampf‹ Bei etlichen Diskussionen konnte ein positiver und selbstverständlicher Bezug auf die Konzepte rund um die Begrifflichkeiten ›Kampf‹ oder ›Kämpfen für Rechte‹, insbesondere Frauen*rechte, rekonstruiert werden. Dies verdeutlichen folgende Auszüge: Miri: […] und hier glaub ich eher so=n positiven Bezug einfach auf so=ne Frauentradition also auf so eine kämpferische Frauentradition ham […] (GD Passung Passage ›Umgang mit Kritik‹ 36:09-36:14) Marlene: […] und dass ist halt die Gruppe total wichtig is um halt zu sagen so wirs sind aber solidarisch miteinander und wir kämpfen diesen K- ja ºkämpfen diesen Kampf irgenwieº zusammen und nicht gegeneinander (GD Anspruch Passage ›Empowermenträume‹ 06:34-06:41) Agnes: […] dieser offline also wirklich diese offline Solidarität und Freundinnenschaft ist eigentlich (2) das was wo ich glaube dass das einen wirklich stark macht um eben z- für feministische Kämpfe ja sich zusammen zu tun […] (GD Ambivalenz Passage ›offline Solidarität‹ 51:35-51:48) Besonders deutlich zeigt sich dieser empowernde Bezug zu Begrifflichkeiten rund um ›Kämpfen für Rechte‹ in der Diskussion mit Gruppe Erweiterung: Klara: und sich zu verteidigen, und auch so vor diesem Hintergrund des Gedankens das halt Rechte nur dann erfüllt werden, wenn Frauen sich die eben selbst erkämpfen oder Menschen m:: s::ie sich eben selbst erkämpfen oder eben das kurdische Volk, gegenüber den zahlreichen repressiven Staaten sich die selbst erkämpfen, (2) (GD Erweiterung Passage ›Kampagnen‹ 15:32-15:54)
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Kampf und etwas »erkämpfen« stellt sich hier als positiver Horizont einer Praxis dar, die in einem bestimmten Kontext angesichts Unterdrückung notwendig und erstrebenswert ist. Damit können diese Begrifflichkeiten mit einer stärkenden, empowernden Funktion rekonstruiert werden. Eine Auseinandersetzung oder Infragestellung dieser Begrifflichkeiten stellte sich in keiner dieser Diskussionen als relevant dar.
Kritische Hinterfragung des Begriffes ›Kampf‹ Im Gegensatz dazu konnte in den Diskussionen mit Gruppe Libelle und Schmetterling rekonstruiert werden, dass die Begrifflichkeiten rund um ›Kämpfen für Rechte‹ keinen empowernden Bezug darstellen: vielmehr grenzten sich die Teilnehmerinnen von diesen Begriffen ab. Dies wird nach einer kurzen Vorstellung der zwei Gruppendiskussionen näher erörtert.
Vorstellung der Gruppe Libelle Gruppe Libelle setzt sich aus zwei Frauen (Azize und Damira) einer muslimischen Frauengruppe zusammen. Diese übergeordnete Gruppe bezeichnet sich als international und besteht aus Konvertitinnen und Frauen, die islamisch aufgewachsen sind. Treffpunkt sind die Räume einer Moschee in einer westdeutschen Stadt. Aktivitäten beinhalten u.a. gegenseitige Bildung über islamische Theologie, Aktivitäten innerhalb der Moschee, öffentliche Veranstaltungen für muslimische und nicht-muslimische Frauen sowie die Organisation von und Teilnahme an Veranstaltungen zum internationalen Frauentag am 8. März. Im Rahmen einer der öffentlichen Veranstaltungen der Gruppe lernte ich Damira kennen; als sie mein Doktorarbeitsthema erfuhr, schlug sie eine Diskussion mit ihrer Gruppe vor.3 Während der Diskussion stellt sich heraus, dass Azize bei der Gründung der Gruppe 2009 dabei war, während Damira zum Zeitpunkt der Diskussion seit ca. 2 Jahren Mitglied ist. Des Weiteren geben beide an, Konvertitinnen zu sein. Damira erwähnt außerdem, dass sie nach ihrem Studium einige Jahre zuvor aus Südosteuropa nach Deutschland migriert sei. Sie spricht während der Diskussion teilweise auf Englisch. Die Diskussion findet im November 2017 vor einem der regelmäßigen Gruppentreffen in den Räumlichkeiten einer Moschee
3
Der Zugang zu dieser Gruppe wurde bereits ausführlicher im methodischen Teil bei der Besprechung der Gewinnung von Teilnehmenden besprochen (vgl. 4.3. Feldzugang).
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
statt und dauerte 48 Minuten. Die Diskussion musste dabei einige Male unterbrochen werden, da andere Menschen den Raum betreten. Die Atmosphäre gestaltete sich folglich teilweise unruhig. Der Diskussionsverlauf zeichnet sich durch eine gewisse Selbstläufigkeit aus. Gerade wenn es um die Darstellung der Gruppentätigkeiten geht, ist die Diskursorganisation von interaktiv dichten Stellen geprägt. Bezeichnend sind dabei inkludierende Diskursmodi, auseinanderstrebende Orientierungsgehalte können nicht rekonstruiert werden. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass die Redebeiträge meist in meine Richtung adressiert sind und ein intensives Gespräch unter den Teilnehmerinnen häufig nicht einstellt. Dabei zeigt sich an einigen Stellen, dass ich als ein Mitglied der Mehrheitsgesellschaft adressiert werde, gegenüber dem es zu verdeutlichen gilt, dass Frauen im Islam keine unterdrückte Position innehaben und anti-muslimische Diskurse, die Islam mit Gewalt verbinden, nicht der Wahrheit entsprechen. Immer wieder finden Beispiele von starken islamischen Frauen oder Frauen im Islam Erwähnung. Sich dieses Wissen anzueignen, wird dabei als ein zentraler Aspekt der Gruppe hervorgehoben. Weitere Schwerpunkte zeigen sich in den Bemühungen, in die Gesellschaft zu wirken und sich mit anderen Menschen oder Gruppen auszutauschen. Geschlechtsspezifische Diskriminierungen werden in der Diskussion explizit mit patriarchalen Machtverhältnissen verknüpft. In der Diskussion zeigt sich zudem, dass die Gruppe als Ort der Stärkung und Unterstützung fungiert, der sich auf verschiedene Bereiche bezieht, zum einen hinsichtlich Diskriminierungserfahrungen als muslimische Frauen sowie in Bezug auf private Angelegenheiten und religiöse Fragen. Bezüglich Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen können additive sowie intersektionale Aspekte rekonstruiert werden. Dabei zeigt sich, dass sich teilweise die Dimension Religion als zusätzlicher Faktor zu geschlechtsspezifischer Diskriminierung darstellt, während sich an anderer Stelle die Verschränkung und Gleichzeitigkeit der Differenzlinien Geschlecht und Religion rekonstruieren lässt.
Vorstellung der Gruppe Schmetterling Gruppe Schmetterling besteht aus zwei Frauen (Sarah und Linda) einer Assoziation4 chronisch kranker Frauen und Frauen mit Behinderung in einer westdeutschen Stadt (Stadt B). Sarah gibt an, diese Assoziation 2013 mit dem Ziel gegründet zu haben, Frauen mit Behinderung zu vernetzen. Während ihrer Stu-
4
Dieser Begriff bezieht sich auf die Selbstbezeichnung der Gruppe während der Diskussion.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
dienzeit in Stadt A hatte sie Kontakt zu Frauen mit Behinderung, die sich zusammen organisiert haben. Da sie so etwas in Stadt B nicht vorfand, hat Sarah die Assoziation ins Leben gerufen. Erste Aktivitäten umfassten ein Internetportal; heute erstrecken sich die Tätigkeiten der Assoziation auf die Durchführung von Veranstaltungen rund um das Thema Frauen und Behinderung, Forderungen nach Barrierefreiheit und Inklusion, die Verbreitung eines Newsletters, einer regelmäßigen Kontaktsprechstunde in einem feministischen Veranstaltungsort sowie gemeinsame Unternehmungen (Besuch von Ausstellungen, gemeinsames Kochen etc.). Die Assoziation wird dabei als Ort von und für Betroffene beschrieben. Über den Newsletter ist Linda zur Gruppe dazu gestoßen. Linda arbeitet in einem Pflegeberuf und gibt während der Diskussion an, dass sie nicht sichtbar behindert sei und vor ein paar Jahren mit Multipler Sklerose (MS) diagnostiziert wurde. Sarah sitzt im Rollstuhl und wird durch externe Sauerstoffzufuhr unterstützt. Über einen Vortrag von Sarah im Kontext einer Veranstaltungsreihe zum Thema Gewalt gegen Frauen an einem feministischen Veranstaltungsort wurde ich auf die Assoziation aufmerksam und stellte anschließend über E-mail (mit dem Verweis auf den Vortrag) eine Anfrage zur Teilnahme an einer Gruppendiskussion. Die Diskussion fand im November 2017 in den privaten Räumen einer der Teilnehmerinnen statt und dauert 1 Stunde 56 Minuten. Während der Diskussion hat Sarah einen erheblich größeren Redeanteil und die Diskussion ist geprägt durch ihre langen Monologe. Dabei erzählt sie in einer längeren Passage zunächst, wie und warum sie die Assoziation gegründet hat. Der Aspekt der Selbstorganisation und Selbstständigkeit (von und für Frauen mit Behinderung) stellt sich dabei als zentral dar und wird auch im Verlauf der Diskussion immer wieder anhand verschiedener Themen aufgenommen, zum Beispiel im Rahmen der Auseinandersetzung mit Wohlfahrtsverbänden, medizinischem Personal oder der Wissenschaft. Im Anschluss an ihre Einstiegserzählungen fragt Sarah Linda, wie sie zur Gruppe gekommen ist. Die Übernahme einer Interwierinposition in der Interaktion mit Linda zeigt sich in homologer Weise mehrmals im Diskussionsverlauf. Diese äußert einige Male, dass sie nicht weiß, was sie sagen soll oder nichts beitragen könne und zudem sehr müde sei. In den wenigen interaktiven Passagen kann häufig ein divergenter Diskursmodus rekonstruiert werden. 5
5
Vgl. hierzu Kapitel 5.2.
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
Aufgeworfene auseinanderstrebende Orientierungsgehalte werden durch rituelle Konklusionen ohne Auflösung der Widersprüche beendet. Auch bezüglich der Frage, was mit Feminismus verbunden wird, zeigen sich unterschiedliche Orientierungsgehalte. Während Linda negative Assoziationen aufruft und dabei eine strukturelle geschlechtsspezifische Diskriminierung in Frage stellt, stellt sich dies für Sarah anders dar. In der Anschlussfrage bezüglich eines Bezugs zur Krüppelfrauenbewegung zeigt sich, dass der Begriff ›Krüppel‹ darin sich für Linda als positive Aneignung darstellt, für Sarah sich hingegen unweigerlich mit diskriminierenden Erfahrungen verbunden erweist. Gleichzeitig zeigt sich aber Sarahs positiver Bezug zur Krüppelfrauenbewegung. Sie betont, dass diese als wichtige Wegbereiterin gilt. Eine zentrale Stelle, in der sich eine gemeinsame Orientierung erkennen lässt, findet sich im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt an Frauen mit Behinderung. An dieser Stelle kann auch eine intersektionale Herangehensweise rekonstruiert werden.
Hinterfragung des Begriffes ›Kampf‹ In den Diskussionen mit den Gruppen Libelle und Schmetterling zeigen sich jeweils kritische Haltungen gegenüber der Verwendung des Begriffes ›Kampf‹ im Kontext feministischer Praxis. So kommt Damira von der Gruppe Libelle im Kontext der Frage nach der Aussage Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen auf das Wort Kampf (»fight«) zu sprechen und äußert sich folgendermaßen: Damira: ja but still I cannot say mh because I don’t like the word fight we are fighting for our rights @(.)@ //mhm// we have are (dis- dis-) we deserve our rights //mhm// and it’s on our side how we will live that //mh mhm// how not to fight; fight //mh// is too much männlich I don’t know @how to say@ //mhm// this ºjaº (GD Libelle Passage ›Alle Frauen machen ähnliche Diskriminierungserfahrungen?‹ 39:53-40:20) Es spiegelt sich wider, dass mit der Begrifflichkeit Kampf (»fight«) im Kontext des Kämpfens für Frauenrechte (»our rights«) keine positiven oder empowernde Effekte verknüpft werden. In den Formulierungen »our« oder »we« dokumentiert sich dabei die Einschreibung in ein Kollektiv ›Frauen‹, welches wiederum Rechte verdient (»deserve«). Dabei erweist es sich als die Verantwortung
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Intersektionalität in feministischer Praxis
von Frauen, wie mit diesen Rechten umgegangen wird (»how we will live that«). Gleichzeitig verdeutlicht die Formulierung »how not to fight« einen Handlungsbedarf bezüglich der Rechte von Frauen. Die Ablehnung des Begriffs Kampf wird von Damira explizit vor allem auf eine zugeschriebene männliche Konnotation bezogen. Im Kontext anderer Passagen stellt sich die Orientierung an Frieden und Gewaltlosigkeit als bedeutsam dar, die auch mit einer Ablehnung des Begriffs ›Kampf‹ zusammenhängen könnte. Dies illustriert folgender Ausschnitt: Damira: und ja ºmhº and we also mention this small successes going out Y: ºmhmº Damira: └going showing that Islam is the: religion of peace //mhm// be- we are living in this age when the media are //mhm// so much against Islam or this mh:: bs6 in reporting or //ºmhmº// just showing one par- one side of the //ºmhmº// medal (1) and we would like to show (1) opposite of that […] (GD Libelle Passage ›Erfolge‹ 18:11-18:44) Die Hervorhebung einer Verknüpfung von Islam und Gewaltlosigkeit stellt sich als bedeutsam dar, gerade in einem gesellschaftlichen Diskurs, in dem Islam und Gewalt gleichgesetzt werden. Damit könnte die Ablehnung des Begriffs ›Kampf‹ auch im Kontext der Auseinandersetzung mit anti-muslimischen Diskursen stehen, die eine Betonung von Islam und Gewaltlosigkeit erfordern. Dieser Einfluss der sozialen Positionierung ›Muslimin‹ bei der Ablehnung des Begriffes ›Kampfs‹ stellt hier jedoch nur eine Vermutung dar, die anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht eindeutig rekonstruiert werden kann. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass sich von den Begrifflichkeiten ›Kampf‹ im Sinne von ›Kampf für Rechte‹ abgegrenzt wird. Bei Gruppe Schmetterling lässt sich die kritische Hinterfragung des Begriffs ›Kampf‹ insbesondere bei Sarah mit der Dimension Behinderung in Verbindung setzen. Die Auseinandersetzung um den Begriff ›Kampf‹ erfolgt von Sarah nach meiner Frage, was die Gruppe mit Feminismus verbindet; Linda wirft hier ein, dass sich Feminismus »hart anhöre« und an »Kampf«7 erinnere.
6
Englische Abkürzung für bullshit.
7
Aus dieser Gleichsetzung von Feminismus und Kampf zu Beginn der Passage kann im weiteren Verlauf der Passage ›Kampf‹ auch als Synonym für ›feministischer Kampf‹ interpretiert werden.
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
Sarah: […] ich p- persönlich w::- wie gesagt bin dem Kämpfen gegenüber einfach ambivalent eingestellt (5) es=is is einfach meine Geschichte also ich denke wenn man wenn man kämpfen hat müssen also (2) ich frag mich ei- einfach was was einen dann reizt (3) das nochmal zu machen also //mhmh// ich mein kämpfen jetzt nicht im Sinne um um ringen sich also etwas um etwas ringen oder etwas zu erreichen sondern ich verbinde des schon mit Krieg //mhm// also mit mit mit mit Gewalt im //mhm// Grund […] (GD Schmetterling Passage ›Feminismus‹ 01:35:40-01:36:44) »Kämpfen« wird hier als negativer Horizont aufgespannt, der sich in Bezug auf die eigenen Erfahrungen (»persönlich«, »meine Geschichte«) verknüpft mit Zwang (»müssen«) darstellt. Dabei spiegelt sich wider, dass Kämpfen in feministischen Zusammenhängen eine gewisse Freiwilligkeit zugeschrieben wird (»reizt«). Freiwillig zu kämpfen erweist sich dabei nicht als erstrebenswert. Die Begrifflichkeiten um ›Kampf für Rechte‹ können für Sarah nicht als empowernde Begriffe rekonstruiert werden. Vielmehr zeigen sie sich verknüpft mit extrem gewalttätigen Kontexten (»Krieg«). Die Verknüpfung der Ablehnung von ›Kampf‹ mit eigenen schwierigen Erfahrungen zeigt sich auch im weiteren Verlauf: Sarah: ja also wie gesagt ich ich seh des einfach als Bestandteil des Lebens und ich hab einiges einfach selbst mh (2) erkämpfen müssen also über die Grenzen hinaus und (2) für mich is es is es einfach es is schon sehr spannend wie jemand (2) davon nicht genug hat sozusagen also noch irgendwo noch Energie hat //ºmhmº// oder so also was den reizt weil also (2) Linda: als gäbs keine anderen Probleme Sarah: mh nee es is einfach einfach so dass (2) dass (3) dass ich also (i-)ich sag jetzt mal Krieg ja also (5) also nochmal so=ne Erfahrung also (4) das (2) (ºdas ichº) also=das versteh ich nich (2) muss ich sagen (4) ich weiß aber dass man dass man manchmal für gewisse Dinge im Leben (3) halt Grenzen (2) nicht nur überwinden sondern auch überschreiten muss aber ich hab da jetzt nicht irgendwie so noch so noch Ressourcen oder n=Willen also dass was ich erfahren hab also die Festplatte is voll; […] (GD Schmetterling Passage ›Feminismus‹ 01:36:54-01:38:59) Erneut zeigt sich hier die Verknüpfung von Kämpfen und Zwang (»müssen«). Es kann rekonstruiert werden, dass die freiwillige Entscheidung zu kämpfen
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Intersektionalität in feministischer Praxis
als eine Art Luxus angesehen wird, für den »Ressourcen« vorhanden sein müssen. Sich auf solch einen freiwilligen ›Kampf‹ einzulassen, erweist sich für Sarah nicht als Möglichkeit (»Festplatte ist voll;«). Die Wörter »Energie« und »Ressource« verweisen dabei auf gewisse physische Voraussetzungen, die für ein freiwilliges Kämpfen vorhanden sein müssen. Gleichzeitig erweisen sich diese (feministischen) Kämpfe bei Sarah im Gegensatz zu Linda (»als gäbs keine anderen Probleme«) als nicht unberechtigt: Sarah: […] und (1) ja (1) ich seh halt (1) w:ie was danach dann is danach muss erstmal Aufbau sein also ich (1) versteh nich (1) so ganz (1) wie jemand so (1) kampfeslustig sein kann (1) aber gleichzeitig find ich des auch ne wahnsinnige Energie die da hinter is. (4) und auf jeden Fall auch Berechtigung hat (3) nur man muss sich halt bewusst sein dass dass es nich ohne Verletz- Verluste geht //mhm// und dass andre Grenzen (1) da runter eben oder dadurch (2) verletzt werden (2) ja […] (GD Schmetterling Passage ›Feminismus‹ 01:39:02-01:39:56) Hier verdeutlicht sich, dass ›feministischen Kämpfen‹ eine »Berechtigung« zugeschrieben wird, sich mit dieser Art des Kämpfens jedoch nicht identifiziert werden kann (»versteh nich (1) so ganz«). Das betonte und laut gesprochene »kann« weist darauf hin, dass für feministische Kämpfe das Vorhandensein von Möglichkeiten vorausgesetzt werden, die für die eigene Situation nicht als gegeben gelten. Gleichzeitig erweist sich ›kämpfen‹ verknüpft mit Verletzungen und ›Zerstörung‹. An diesem Beispiel der unterschiedlichen Konnotationen der Begrifflichkeiten ›Kampf‹ (im Sinne von ›Kampf für Frauen*Rechte‹ oder feministische Kämpfe) verdeutlicht sich, dass ein bestimmter Sprachgebrauch für die einen Frauen* oder Frauen*gruppen ansprechend und empowernd wirken kann, während er für andere das Gegenteil darstellt. Dies könnte in der Praxis dazu führen, dass sich bestimmte feministische oder Frauen*rechtsgruppen von Aufrufen, Flugblättern etc. nicht angesprochen fühlen, wenn zum Beispiel Begriffe wie ›Kampf‹ verwendet werden oder bestimmte Frauen* sich dadurch sogar explizit abgeschreckt fühlen, wie die Beispiele der Diskussionen mit Gruppe Libelle und Schmetterling nahelegen. Hierin zeigt sich die Wichtigkeit intersektionaler Perspektiven für feministische Praxen, jenseits von Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen* und deren Umsetzung. Hier konnte nur ansatzweise diskutiert werden, inwieweit die jeweiligen sozialen Positionen der Gruppe und deren Mitglieder eine Rolle für unterschiedliche Zugänge zu Be-
8. Empowerment aus intersektionaler Perspektive
grifflichkeiten und ihren Empowermentgehalt spielen. Für eine genauere Interpretation wäre ein größerer Datenkorpus unter Einbezug vielfältigerer Gruppen vonnöten. Dennoch konnte gezeigt werden, wie zentral eine intensivere Analyse von Empowerment aus intersektionaler Perspektive ist, die sich gerade auch auf die Widersprüche und Schwierigkeiten fokussiert, welche sich für feministische Praxen durch die Verschränkung verschiedenster Ungleichheitsverhältnisse ergibt.
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In einem letzten Kapitel werden zunächst die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in ihrer Bedeutung für feministische Theorien und Praxen diskutiert. Anschließend gilt es, auf die Grenzen der Analyse aufmerksam zu machen, die sich gerade auch aufgrund der Zusammensetzung des Datenmaterials ergeben und dem verhältnismäßig geringen Anteil von Diskussionen bzw. Interviews mit marginalisierten Frauen*1. Zum Schluss wird für weitere Forschung plädiert, insbesondere zu Möglichkeiten der Umsetzung von intersektionalen Herangehensweisen sowie zu dem Themenkomplex Empowerment aus intersektionaler Perspektive.
1
Im folgenden Kapitel wird es zu einer abwechselnden Schreibweise zwischen mit und ohne Gendersternchen kommen. Wenn ich konkret von den Diskussionen und den Ergebnissen der Analyse spreche, wird auf das ›*‹ verzichtet, wohingegen allgemeine Äußerungen das ›*‹ umfassen.
9. Diskussion der Ergebnisse
9.1
Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen
Die vorliegende empirische Analyse konnte eine Bandbreite an Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen in feministischen und Frauenrechtsgruppen rekonstruieren. Es konnte gezeigt werden, dass es vielfältige Herangehensweisen gibt, Differenzen zwischen Frauen zu fassen. Intersektionale Konzeptualisierungen stellen dabei eine mögliche Herangehensweise dar, aber nicht die einzige, wie auch bereits die Untersuchung von Éléonore Lépinard (2014) aufzeigt. Anhand des rekonstruierten additiven Verständnisses von Ungleichheitsverhältnissen bei Gruppe Passung konnte die im theoretischen Rahmen erläuterte Kritik marginalisierter Frauen* an solch einer Konzeptualisierung deutlich gemacht werden. Dies hebt auch die Aktualität dieser Kritik hervor. Des Weiteren können Parallelen zwischen dieser additiven Herangehensweise und dem »gender-first«-Ansatz gezogen werden, welche Lépinard in ihrer Forschung analysieren konnte (Lépinard 2014: 888). Für beide zeigt sich die Kategorie Geschlecht unabhängig von anderen Differenzkategorien sowie die Annahme grundlegender Ähnlichkeiten in den geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen von Frauen (ebd.: 888f). Des Weiteren konnten intersektionale Konzeptualisierungen rekonstruiert werden. Dabei zeigte sich auch, dass eine intersektionale Konzeptualisierung nicht notwendigerweise mit der Verwendung des namentlichen Begriffs einhergeht. Anhand der Diskussionen mit Gruppe Anspruch und Prozess zeigten sich zudem unterschiedliche intersektionale Herangehensweisen, wobei die Unterscheidung Leslie McCalls (2005) von inter- und intrakategorialem Ansatz sich als hilfreich erwies. In der Diskussion mit Gruppe Anspruch konnte zudem auch die potenzielle Problematik einer interkategorialen Herangehensweise herausgestellt werden. Denn wenn einzelne Differenzkategorien zwar als simul-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
tan aber auch als unabhängig voneinander gefasst werden, ergibt sich erneut die Herausforderung, dass die Kategorie ›Frau‹ und geschlechtsspezifische Diskriminierung sich als vermeintlich unabhängig von anderen Dimensionen darstellen. Demgegenüber erweisen sich bei einer intrakategorialen Herangehensweise die einzelnen Kategorien und Ungleichheitsverhältnisse als voneinander durchdrungen, wie sich in der Diskussion mit Gruppe Prozess verdeutlichte. Außerdem konnte herausgearbeitet werden, dass mit einer intersektionalen Konzeptualisierung jeweils auch eine Betonung von Privilegierung einhergeht und nicht allein ein Fokus auf Benachteiligung. Die Analyse konnte zudem hervorheben, dass neben additiver und intersektionaler noch weitere Konzeptualisierungen im Umgang mit Differenzen zwischen Frauen entwickelt werden. Zum einen konnte eine Kombination verschiedener Ansätze herausgearbeitet werden sowie Konzeptionen, die sich jenseits davon verorten lassen. So dokumentierte sich bei Gruppe Ambivalenz das Streben nach einem Kollektiv ›Frauen der Vielfalt‹. Eine geteilte Betroffenheit von sexistischer Diskriminierung zeigte sich dabei als gemeinsame Grundlage bei gleichzeitiger Betonung von Differenzen und Machtverhältnissen zwischen Frauen. In diesem Zusammenhang wurde die Relevanz der Frage nach der »Egalisierung von Differenz« besonders deutlich (Davis, Lutz 2005: 230). In der Diskussion mit Gruppe Ambivalenz stellte sich diese Frage aufgrund des ›Kollektivs der Vielfalt‹, in dem alle Frauen über Differenzen hinweg zusammengefasst werden. Denn wenn die vielfältigen sozialen Positionen von Frauen in einem Kollektiv der Vielfalt gleichwertig nebeneinanderstehen, besteht die Gefahr der Vernachlässigung von Ungleichheitsverhältnissen innerhalb dieses Kollektivs. Außerdem stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Vernachlässigung anderer Ungleichheitsverhältnisse, die dazu führen, dass bestimmte Männer in prekären und ausbeuterischen Verhältnissen leben, während bestimmte Frauen (weiße wohlhabende Frauen) sich in einer relativ privilegierten Situation befinden, um die Betonung der grundsätzlichen Benachteiligung aller Frauen aufrecht zu erhalten. Des Weiteren zeigte sich, wie meine Forschungsposition Einfluss auf die Betonung oder vielmehr der Nicht-Betonung von Differenzen zwischen Frauen hatte. In der Diskussion mit Gruppe Erweiterung erwies sich zunächst ein starker Fokus auf geteilte Diskriminierungserfahrungen von Frauen. Dies muss jedoch im Zusammenhang mit der Mobilisierung einer potenziellen gemeinsamen weiblichen Identität mit mir als »interaktionelle Ressource«, wie es Kathy Davis und Helma Lutz genannt haben, betrachtet werden (Davis, Lutz 2005: 242).
9. Diskussion der Ergebnisse
9.2 (Un-)Möglichkeiten der Umsetzung der Konzeptualisierungen Insbesondere im Kontext dieser Diskussion stellte sich der zusätzliche Fokus auf Fragen der möglichen Umsetzung der rekonstruierten Konzeptualisierungen als bereichernd und notwendig dar. Denn zunächst hätte bei Gruppe Erweiterung eine Herangehensweise im Sinne von »gender-first« rekonstruiert werden können, in deren Fokus geteilte Diskriminierungserfahrungen von Frauen stehen und für die Differenzen zwischen Frauen nicht zentral sind (Lépinard 2014: 888). In der Umsetzung stellte sich jedoch heraus, dass diese Betonung von Gemeinsamkeiten auch der Abgrenzung von einer Praxis dient, die Differenzen als unüberwindbar erachtet und sich im Kontakt mit privilegierten Frauen als verknüpft mit Exklusionserfahrungen erweist. Dies illustriert, dass marginalisierte Frauen(gruppen) auch dafür kämpfen müssen überhaupt einem Kollektiv ›Frauen‹ bzw. einem feministischen Wir anzugehören (Ahmed 2017: 2). Die Betonung von Gemeinsamkeiten zeigte sich somit auch als Instrument, sich in diese Kollektive einzuschreiben während gleichzeitig auch die eigene Identität und der eigene Zugang zu Feminismus und Frauenbewegungen, in dem Fall als ›Kurdinnen‹, sich in der Umsetzung als wichtig erwies. In der Diskussion mit Gruppe Erweiterung konnten folglich die Ambivalenzen illustriert werden, die mit einer starken Betonung von Differenzen einerseits sowie deren Vernachlässigung andererseits zusammenhängen. Auch im Kontext der anderen Diskussionen stellte sich die Fokussierung der Frage nach Möglichkeiten bzw. Herausforderungen in der Umsetzung von den rekonstruieren Konzeptualisierungen als besonders fruchtbar dar. So zeigte sich in der Diskussion mit Gruppe Ambivalenz, wie eine geteilte Zugehörigkeit zu dem Kollektiv ›Frauen der Vielfalt‹ als Strategie dienen kann, Solidaritäten über Differenzen hinweg zu schaffen. Des Weiteren konnte insbesondere anhand der Diskussion um das ›*‹ hinter ›Frau‹ gezeigt werden, wie die Kategorie Frau und die Grenzziehungen eines Kollektivs ›Frauen‹ Aushandlungsprozessen unterliegt, die sich durchaus als konfliktreich erweisen. Im Kontext der Umsetzung einer additiven Konzeptualisierung wird erkenntlich, dass die Betonung der grundlegenden Gemeinsamkeiten der Diskriminierungserfahrungen von Frauen sich insbesondere als Strategie darstellt, sexualisierte Gewalt als strukturelles Problem zu verdeutlichen. Des Weiteren konnte im Anschluss an die Arbeit von Anja Weiß (2001) erarbeitet werden, dass wenn eine vermeintliche Konkurrenz zwischen Anti-Sexismus und anderen anti-diskriminierenden Ansätzen angenommen wird, sich verstärkt implizite Rassismen beobachten lassen, was insbesondere durch eine additive Konzeptu-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
alisierung und einem ausschließlichen Fokus auf Anti-Sexismus begünstigt wird (vgl. Weiß 2001: 264). In diesem Kontext stellte sich zudem dar, dass der Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ mit empowernden Aspekten verknüpft ist und eine intensive Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen Frauen sich als diesem Empowerment entgegenstehend erweist. Die Relevanz von Empowerment konnte auch im Kontext der möglichen Umsetzungen intersektionaler Konzeptualisierungen herausgestellt werden. So dokumentierte sich in der Diskussion mit Gruppe Anspruch eine intersektionale Konzeptualisierung, die sich jedoch als unzufriedenstellend realisiert zeigt. Dabei stellte sich u.a. die Frage, inwieweit die zentrale Orientierung an Empowerment ein Hindernis für die intensivere Auseinandersetzung mit dem eigenen Weißsein und den entsprechenden Auswirkungen auf die Ausrichtung der Gruppe und weiteren Implikationen darstellt. Eine Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien zeigte sich als zweitrangig zur Notwendigkeit, sich aufgrund von sexistischen Erfahrungen in einer Antifa-Szene zu empowern. Dies verdeutlicht die Kritik von Nira Yuval-Davis bezüglich der impliziten Homogenisierung sozialer Gruppen bei einem zentralen Fokus auf Empowerment (Yuval-Davis 1994). Es hebt auch die Widersprüchlichkeiten und Komplexitäten in der Umsetzung von intersektionalen Herangehensweisen hervor; auf der einen Seite kann argumentiert werden, dass Empowerment von Frauen* aufgrund struktureller Geschlechterhierarchien eine Notwendigkeit darstellt. Gleichzeitig haben diese Strukturen je nach sozialer Position aber andere Auswirkungen und es bedarf insbesondere für privilegierte Frauen* eben auch die kritische Reflexion der eigenen Privilegierung, die bei einem alleinigen Fokus auf Empowerment wie Gruppe Anspruch zeigt, nicht möglich ist. Intersektionalität zeigte sich zudem in der Umsetzung als zentral verknüpft mit der Zusammensetzung der Gruppe, insbesondere hinsichtlich der Kategorie race und einem Streben nach Inklusivität bezüglich dieser Differenzlinie. Diesen Fokus konnte bereits Julia Schuster (2016) in ihrer Analyse herausarbeiten. Im Gegensatz zu Schuster konnte ich jedoch in den Diskussionen mit Gruppen, die sich aus marginalisierten Frauen zusammensetzen, nicht generell einen Fokus auf ›geschützte Räume‹ nachzeichnen. Allein in der Diskussion mit Gruppe Schmetterling zeigte sich eine zentrale Betonung der Selbstorganisation von Frauen mit Behinderung. Anhand der Gruppe Prozess konnte des Weiteren hervorgehoben werden, dass eine intersektionale Konzeptualisierung auch bei weißen Frauen nicht allein mit der Frage der Zusammensetzung der Gruppe und somit mit dem was Ilse Lenz als »positionale Intersektionalität« bezeichnet, verknüpft sein muss (Lenz 209: 411). In dieser Diskussion stellte sich diese Frage zwar auch als rele-
9. Diskussion der Ergebnisse
vant dar, gleichzeitig konnte jedoch herausgearbeitet werden, wie eine intersektionale Perspektive in der Umsetzung auf Themen wie z.B. reproduktive Rechte angewendet werden kann. Es stellte sich heraus, dass ein Streben nach Prozesshaftigkeit und stetiger Weiterentwicklung sich dafür als hilfreich erweisen. Dies hebt hervor, dass Lenz’ Vorschlag der »prozessualen Intersektionalität« nicht lediglich für die Zusammensetzung feministischer Gruppen und Bewegungen, sondern auch für die inhaltliche Themenbearbeitung hilfreich ist (Lenz 2019: 408). Intersektionalität als Möglichkeit der Koalitionsbildung, wie es die Arbeiten von Chun, Lipsitz und Shin (2013) oder Cole (2008) beschreiben, konnte hingegen nicht rekonstruiert werden. Zudem wurde anhand des Datenmaterials der vorliegenden Arbeit nicht erkenntlich, dass bestimmte soziale Positionen der Gruppen und ihrer Mitglieder spezifische Konzeptualisierungen zur Folge hätten. Es konnte jedoch demonstriert werden, dass die Kategorie race, insbesondere im Zusammenhang mit einer intersektionalen Konzeptualisierung bei Gruppen mit weißen Frauen besonders unter Druck steht und es einer Rechtfertigung bezüglich der Zusammensetzung aus nur weißen Frauen bedarf. Zusammensetzungen hinsichtlich der Kategorien Behinderung oder Klasse zeigen sich nicht im gleichen Maße herausgefordert. Insgesamt zeigte sich anhand des Datenmaterials, dass sich die Entwicklung von Intersektionalität zu einem »buzzword« (Davis) in der Frauen*- und Geschlechterforschung sich nicht im selben Maße in feministischen Praxen widerspiegelt und eine Vielfalt von Konzeptualisierungen von Differenzen zwischen Frauen existiert (Davis 2010: 61).
9.3 Empowerment Es wurde bereits erwähnt, dass sich das Thema Empowerment im Datenmaterial als wichtige Dimension in Bezug auf die Konzeptualisierung von Differenzen zwischen Frauen* darstellte. So ließ sich ein positiver Bezug auf ein Kollektiv ›Frauen‹ in verschiedenen Diskussionen als empowernd verfolgen. Auch wenn sich dabei ein Streben nach einem Kollektiv der Vielfalt rekonstruieren ließ, wie bei den Gruppen Ambivalenz und Erweiterung, stellen sich Fragen nach den Grenzen dieses Kollektivs und ihren möglichen Ausschlüssen. Außerdem konnte anhand des Expertinneninterviews mit Michelle gezeigt werden, dass der zentrale Bezugsrahmen eines Kollektivs ›Frauen‹ nicht notwendigerweise für alle Frauen mit Empowerment verknüpft ist, sondern auch mit Diskriminierungserfahrungen verbunden sein kann. Dabei zeigten sich die Auswirkun-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
gen historisch gewachsener Konflikte zwischen weißen und Schwarzen Feministinnen*, die zu dieser Verknüpfung eines Kollektivs ›Frauen‹ mit Diskriminierungserfahrungen beitragen. Die Untersuchung lieferte auch wichtige Impulse für die Frage, was genau für Frauen empowernd sei und inwiefern dabei unterschiedliche soziale Positionierungen relevant sein können. So zeigte sich im Umgang mit dem Begriff Kampf, im Sinne von Kampf für (Frauen)Rechte, bei den Gruppen sehr unterschiedliche Konnotationen. Während in etlichen Diskussionen sich eine selbstverständliche Verwendung und eine empowernde Konnotation als zentral erwies, konnten bei der Diskussion mit Mitgliedern einer muslimischen Frauengruppe und jener mit einer Assoziation von Frauen mit Behinderung starke Ambivalenzen und Ablehnungen gegenüber dem Begriff herausgearbeitet werden. Dies dokumentiert, dass ein bestimmter Sprachgebrauch für die einen Frauen ansprechend und empowernd wirken kann und für andere exkludierend. Für die Frage, inwieweit die jeweiligen sozialen Positionen der Gruppe und deren Mitglieder eine Rolle für den unterschiedlichen Umgang mit den Begriffen ›Kampf für (Frauen-) Rechte‹ spielt, konnte die vorliegende Arbeit bereits wichtige Impulse liefern und den Ausgangspunkt für weitere Forschung bilden.
10. Grenzen der Analyse
Gerade in Bezug auf die Zusammensetzung des Datenmaterials ergeben sich Grenzen der vorliegenden Arbeit. Viele feministische Strömungen und Gruppen konnten nicht abgebildet werden, so z.B, jüdische Gruppen oder Gruppen geflüchteter Frauen* sowie Schwarze feministische Gruppen. Folglich kann diese Arbeit der Vielfalt und der Heterogenität feministischer Zusammenhänge nicht Rechnung tragen, sondern stellt einen Ausschnitt feministischer Praxen dar. Des Weiteren spiegelt sich im Datenmaterial nur eine geringe Anzahl von Gruppen wider, die sich aus marginalisierten Frauen zusammensetzen. Es ist auch kritisch anzuführen, dass keine Transpersonen in meinem Datenmaterial vertreten sind. All dies führt dazu, dass die hier rekonstruierten Konzeptualisierungen und ihre (Un-)Möglichkeiten der Umsetzung nur einige mögliche Herangehensweisen widerspiegeln. Es wird davon ausgegangen, dass der Einbezug zusätzlicher und anderer Gruppen die Rekonstruktion weiterer Konzeptualisierungen und ihrer Realisierungen zur Folge haben wird. Dies trifft insbesondere auf das Thema Empowerment aus intersektionaler Perspektive und den Einfluss sozialer Positionierung auf unterschiedliche Zugänge zu Empowerment zu. Dies konnte hier nur anhand einiger weniger Aspekte angerissen werden, wie zum Beispiel den unterschiedlichen Zugängen bezüglich der Begrifflichkeiten rund um das ›Kämpfen für Rechte‹. Für eine detailliertere Analyse des Einflusses sozialer Positionierungen auf Zugänge zu Empowerment benötigt es eine größere Datenmenge, in der insbesondere vielfältigere soziale Positionierungen von Frauen* und Frauen*gruppen einbezogen sind. Außerdem kam die Fokussierung kollektiver Orientierungen an ihre Grenzen, insbesondere in der Diskussion, in der sich divergente Diskursmodi rekonstruieren ließen (Gruppe Schmetterling). Dies zeigt, dass die methodische Herangehensweise von Gruppendiskussionen sowie der dokumentarischen Methode dort an Grenzen stößt, wo sich Praxen zeigen, in denen Orientierungen stark auseinanderstreben. Eine intensive Darstellung der Analyse dieses Diskursmodus’ wäre im Kontext der Gruppe Schmetterling insbesondere in Be-
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Intersektionalität in feministischer Praxis
zug auf methodologische Fragen sehr spannend gewesen, hätte aber den Rahmen dieser Arbeit überstiegen. Auch dekonstruktivistische Aspekte bezüglich der Kategorie ›Frau‹ konnten nicht vollumfänglich in die Analyse miteinbezogen werden. Dieser Aspekt wurde immer wieder am Rande miteinbezogen, zum Beispiel, im Kontext der Frage, ob ›Frau‹ sich als Selbstbeschreibung oder als selbstverständliche Kategorie, die keiner Erklärung Bedarf darstellte. Eine intensivere Analyse dieser Dimension konnte im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Während der Fokus auf die detaillierte Darstellung einzelner Diskussionen es ermöglichte, die Verhältnisse zwischen Konzeptualisierungen und deren Realisierung zu verdeutlichen und vielfältige Strategien, Ambivalenzen und Herausforderungen zu diskutieren, führte dies dazu, dass die fallübergreifenden Komparationen nicht in gleichem Maße diskutiert werden konnten. Zudem lässt sich anmerken, dass der Fokus dieser Arbeit auf Konzeptualisierungen von Differenzen lag und somit der Umgang mit einzelnen Ungleichheitsverhältnissen und deren Verschränkungen nicht dem zentralen Forschungsinteresse entsprach. Gleichwohl wurden diese angesprochen: so wurde beispielsweise herausgearbeitet, wie in einigen Diskussionen die Kategorie race besonders betont wurde oder die Differenzlinie Sexualität sich nicht als Anlass für Konflikte darstellte. Eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Dimensionen und ihren Verschränkungen jedoch konnte hier keinen Raum finden. Des Weiteren ist der Ausschluss von Gruppen, deren Mitglieder entlohnt werden, bei der initialen Auswahl in der Diskussion von Grenzen der Analyse zu beachten. Die Frage, inwiefern zum Beispiel externe strukturelle Bedingungen wie Finanzierungsmöglichkeiten sich auf Konzeptualisierungen von Differenzen und insbesondere deren Umsetzung auswirken, konnte folglich in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt werden. Ähnlich musste auch vernachlässigt werden wie (Beratungs-)Angebote ausgerichtet sind und welche Frauen* dabei angesprochen oder erreicht werden können. Für weiterführende Forschungsarbeiten würde sich somit auch eine Erweiterung der Auswahlkriterien der Gruppen anbieten, um diese Dimensionen untersuchen zu können. Zusätzlich müssen die Ergebnisse auch im Kontext meiner Forschungsposition gesehen werden. So zeigte sich, dass diese einen Einfluss darauf hat, was in den Diskussionen hervorgehoben wird; sei es die Betonung von Gemeinsamkeiten in der Diskussion mit Gruppe Erweiterung oder auch die dezidierte Charakterisierung muslimischer Frauen als nicht generell unterdrückt bei Gruppe Libelle. Dies hat zur Folge, dass die herausgearbeiteten Konzeptualisierungen und Fragen ihrer Realisierung einer gewissen Situationsabhängigkeit unterlie-
10. Grenzen der Analyse
gen. Zusätzlich muss somit davon ausgegangen werden, dass etliche Themen, die für das Thema Differenzen zwischen Frauen eventuell relevant wären, unausgesprochen blieben, da sie gegenüber einer Frau der Mehrheitsgesellschaft womöglich nicht erwähnt werden. Schließlich gilt es zu beachten, dass die vorliegende Arbeit auf versprachlichtem Material basiert und somit non-verbale Praktiken nicht umfassen kann. Für weitergehende Forschungen würde sich somit auch der Einbezug von u.a. teilnehmenden Beobachtungen anbieten.
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11. Fazit
Die Arbeit liefert wichtige Denkanstöße für feministische Praxen und Theorien im Kontext von Intersektionalität und dem Umgang mit Differenzen zwischen Frauen*. Es konnte insbesondere herausgestellt werden, welche vielfältigen Herausforderungen sich bezüglich der Umsetzung intersektionaler Ansätze in der Praxis ergeben. Dabei zeigten sich die Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten, die mit einer starken Betonung bzw. Nicht-Betonung von Differenzen zwischen Frauen* einhergehen können. Im Kontext eines Kollektivs ›Frauen‹ stellte sich zudem dar, wie das Einschreiben in dieses Kollektiv mit Ausschlüssen einhergehen, gleichzeitig aber auch einer Marginalisierung aktiv entgegentreten kann, wie das Beispiel der Gruppe Erweiterung hervorhebt. Die vorliegende Arbeit mach damit deutlich, wie wichtig ein verstärkter Fokus auf Praxen im Kontext von Intersektionalitätsdebatten ist, um diesen vielfältigen und komplexen Dynamiken näher nachzugehen. Dies sollte zum Anlass weiterer Forschungen genommen werden. Dabei wäre insbesondere der stärkere Einbezug von Gruppen mit Frauen* marginalisierter Positionen, die hier nicht abgebildet werden konnten wie z.B. jüdische oder geflüchtete Frauen* zu fokussieren. Außerdem würde sich eine Forschung mit weit größerem Umfang anbieten, um stärkere Aufmerksamkeit auf fallübergreifende Komparationen zu richten. Ebenso scheint es sinnvoll anhand teilnehmender Beobachtungen auch non-verbale Praktiken einzubeziehen, um so weitere Ein- und Ausschlussmechanismen verfolgen zu können. Des Weiteren zeigte sich, dass das Themenfeld Empowerment weiterer Untersuchungen im Kontext intersektionaler Perspektiven bedarf. Denn eine zentrale Frage ist nicht nur, welche Ungleichheitsverhältnisse und Frauen* in feministischen Praxen mitgedacht und einbezogen werden, sondern auch, wie unterschiedliche soziale Positionierungen feministische Praxen beeinflussen. Die vorliegende Arbeit konnte bereits zeigen, dass bestimmte Begrifflichkeiten für einige Frauen* empowernd und für andere das Gegenteil sein können. Weitere Analysen, die diese Fragen fokussieren, könnten somit einen Beitrag für
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Intersektionalität in feministischer Praxis
ein besseres Verständnis und einer Anerkennung dieser unterschiedlichen Zugänge zu Empowerment leisten. Gleichzeitig erwies sich Empowerment auch als Herausforderung in der Umsetzung einer intersektionalen Perspektive, sei es aufgrund des Empowermentgehalts des Bezugs auf ein Kollektiv ›Frauen‹ oder aufgrund der Fokussierung von Empowerment angesichts sexistischer Diskriminierung. Hier bedarf es folglich weiterer Überlegungen, wie feministische Praxen Empowerment mit gleichzeitiger Reflexion von Privilegierung zusammenbringen oder Praxen jenseits von Empowerment, wie die von YuvalDavis propagierte transversale Politik, verstärkt umgesetzt werden können (vgl. Yuval-Davis 1997: 125). Schließlich demonstriert die vorliegende Arbeit deutlich, wie fruchtbar eine nähere Auseinandersetzung mit feministischen Praxen im Kontext von Intersektionalität sowie eine verstärkte Rückkopplung feministischer Theorien und Praxen ist. Solch eine Rückkopplung an die Praxis ist gerade in Zeiten eines enormen Rechtsrucks und rechtsextremen Terrors notwendig, um Strategien für inklusive und intersektionale Feminismen zu entwickeln, die dieser Entwicklung umfassende Solidaritäten entgegenstellen.
Literaturverzeichnis
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Anhang
Vorlage der thematischen Verläufe Zeit
Thema (unterteilt in Oberthema und Unterthema)
Beschreibung
Initiiert von/Sprecherinnenwechsel
Besonderheiten/Anfangsinterpretation
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Richtlinien der Transkription nach TiQ 1 Das »Häkchen« markiert den Beginn einer Überlappung bzw. den direkten Anschluss beim Sprecherwechsel. ┘ Ende einer Überlappung (.) Kurzes Absetzen, Zeiteinheiten bis knapp unter einer Sekunde (3) Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert. Ab 4 Sekunden Pause erfolgt die Notation in einer Extrazeile. Auf diese Weise wird beim Lesen des Transkripts das Schweigen allen an der Interaktion Beteiligten zugeordnet (dem Interviewer und den Interviewten gleichermaßen oder etwa der ganzen Gesprächsgruppe), was bei längeren Pausen meist dem Eindruck des Gehörten entspricht. Ein technischer Vorteil liegt darin, dass Verschiebungen durch Korrekturen nur bis zu diesen Pausen Veränderungen bei den Häkchen nach sich ziehen. Nein Betonung Nein Laut in Relation zur üblichen Lautstärke der Sprecherin/des Sprechers ºneeº Sehr leise in Relation zur üblichen Lautstärke der Sprecherin/des Sprechers . Stark sinkende Intonation ; Schwach sinkende Intonation ? Deutliche Frageintonation , Schwach steigende Intonation brau- Abbruch eines Wortes. So wird deutlich, dass man hier nicht einfach etwas vergessen hat. oh=nee Zwei oder mehr Worte, die wie eines gesprochen werden (Wortverschleifung) ja::: Dehnung von Lauten. Die Häufigkeit der Doppelpunkte entspricht der Länge der Dehnung. (doch) Unsicherheit bei der Transkription und schwach verständliche Äußerungen () Unverständliche Äußerungen. Die Länge der Klammer entspricht etwa der Dauer der unverständlichen Äußerungen. └
1
Zitiert nach Przyborski, Wohlrab-Sahr 2010: 166f.
Anhang
((hustet))
@nein@ @(.)@ @(3)@ //mhm//
Kommentar bzw. Anmerkungen zu parasprachlichen, nichtverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen. Soweit das möglich ist, entspricht die Länge der Klammer etwa der Dauer des lautlichen Phänomens. Lachend gesprochene Äußerungen Kurzes Auflachen Längeres Lachen mit Anzahl der Sekunden in Klammern Hörersignale, »mhm« der Interviewerin werden ohne Häkchen im Text des Interviewten notiert, vor allem, wenn sie in einer minimalen Pause, die ein derartiges Hörerinnensignal geradezu erfordert, erfolgen.
Groß- und Kleinschreibung Nach Satzzeichen wird klein weiter geschrieben, um deutlich zu machen, dass Satzzeichen die Intonation anzeigen und nicht grammatikalisch gesetzt werden. Hauptwörter werden groß geschrieben. […]
Zeilennummerierung Zum Auffinden und Zitieren von Transkriptstellen müssen durchlaufende Zeilennummerierungen verwendet werden. Bei Zitaten aus einer Passage geben die Zeilennummern Aufschluss darüber, wo das Zitat in den Verlauf der Passage einzuordnen ist.
Maskierung Allen Personen, die an einer Erhebung teilnehmen, wird (zumindest) ein Buchstabe zugewiesen. Um deutlich zu machen, dass es sich dabei um eine Maskierung handelt, kann man alphabetisch mit »A« beginnen. Der Buchstaabe bleibt bei allen Erhebungen (z.B. Beobachtungsprotokollen) bestehen, an denen die Person beteiligt ist. Die Zuteilung von erdachten Namen, beginnend mit den zugeordnetten Buchstaben, erleichtert die Lesbarkeit von Interpretationen und Ergebnisdarstellungen. Kann eine Äußerung keinem/keiner Gesprchästeinehmer/in eindeutig zugeordnet werden, wird dies mit einem Fragezeichen (?) an Stelle des Buchstabens notiert. Die Interviewer/innen erhalten die Maskierung Y1 und Y2 etc. Namen, die von Teilnehmern oder Teilnehmerinnen genannt werden, werden durch erdachte Namen ersetzt. Bei allen Namen wird versucht, den kulturellen Kontext, aus dem ein Name stammt, beizubehalten, bspw. Kann Mehmet zu Kamil oder Nadine zu Juliette werden.
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Intersektionalität in feministischer Praxis
Ortsangaben und Jahreszahlen werden im Regelfall ebenfalls – sanft – maskiert, es sei denn, dass der historische Sachbezug eine genaue Orts- oder Zeitangabe erfordert […].
Vorlage E-Mail Anfrage an potenzielle Teilnehmer*innen Liebe Menschen von _________, ich bin im Moment auf der Suche nach Teilnehmenden für Gruppendiskussionen, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit am soziologischen Institut an der Uni in Frankfurt durchführe. In meiner Forschung geht es mir um aktuelle Debatten in feministischen und Frauen*rechtsgruppen. sowie deren Bezüge zur zweiten Frauenbewegung (heißt aber nicht, dass die Gruppe schon damals existieren musste, es geht mir eher um inhaltliche Bezüge bzw. Entwicklungen). Die jahrelange Arbeit von feministischen und Frauen*rechtsgruppen erfährt in aktuellen öffentlichen Debatten selten angemessene Beachtung und mich würden daher eure Erfahrungen und eure Themen interessieren. Meine Doktorarbeit ist ein unabhängiges Forschungsprojekt, das nicht im Auftrag einer Universität oder Drittmittelgeber*innen geschrieben oder finanziert wird. Ich erhalte stattdessen ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Eure Daten werden strikt vertraulich und anonym behandelt und nur im Rahmen meiner Doktorarbeit erhoben und ausgewertet. Der zeitliche Aufwand für euch würde sich im Rahmen von ca. 2 Stunden bewegen und die Gruppendiskussion. Für ein konkretes Datum würde ich mich nach Euch richten. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr euch vorstellen könntet für solch eine Diskussion zur Verfügung zu stehen. Für aufkommende Rückfragen stehe ich natürlich jederzeit zur Verfügung. Herzliche Grüße Eliane Kurz
Vorlage Einwilligungserklärung Wir sind über das Vorgehen bei der Auswertung der persönlichen Gruppendiskussionen informiert worden (u.a.: die Abschrift gelangt nicht an die Öffentlichkeit, Anonymisierung der Abschrift, Löschung von Namen und Telefonnummer)
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Wir sind damit einverstanden, dass einzelne Sätze, die aus dem Zusammenhang genommen werden und damit nicht mit unserer Person bzw. unserer Gruppe in Verbindung gebracht werden können, als Material für wissenschaftliche Zwecke und die Weiterentwicklung der Forschung genutzt werden können. Unter diesen Bedingungen erklären wir uns bereit, an der Gruppendiskussion teilzunehmen und wir sind damit einverstanden, dass es auf Band/Video aufgenommen, abgetippt, anonymisiert und ausgewertet wird. Unterschriften ………………………….
Ort, Datum………………….…
Vorlage des Protokollbogens Diskussion Code Nr. Datum Dauer Ort (Räumlichkeiten) Anzahl der Personen Wie kam Kontakt zustande? Selbstbezeichnung als feministisch? Pronomen der Teilnehmer*innen
Teilnahmemotivation: Zusätzliche Informationen, besondere Vorkommnisse bei Kontaktierung oder während/nach der Diskussion: Diskussionsatmosphäre, Stichworte zur personalen Beziehung: Interaktion während der Diskussion, schwierige Passagen:
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Glossar ADEFRA Eine Gruppe, dessen Entstehung durch Audre Lorde Mitte der 1980ern inspiriert wurde und ein Zusammenschluss von Schwarzen und afro-deutschen Frauen* in Deutschland darstellt. »ADEFRA war einer der ersten Zusammenschlüsse von Schwarzen Deutschen. […]. Die Gründerinnen von ADEFRA einte die Überzeugung, dass Schwarzen Frauen ein eigener Raum zusteht. Das Zusammenkommen bei ADEFRA bedeutete für viele Schwarze Frauen in Deutschland ein Heraustreten aus der Isolation.« (Ayim/Opitz, Oguntoye, Schultz 2006 [1986]: 239). Weitere Infos unter: www.adefra.com
Antifa Unter der Bezeichnung Antifa lassen sich vielfältige Gruppen und Strömungen fassen, die einen »Teilbereich innerhalb eines undogmatischen linksradikalen Bewegungsmilieus bezeichnen« (Schuhmacher 2015: 5ff). Dabei steht Antifa für antifaschistisch und ist eine Selbstbezeichnung. Der Fokus solcher AntifaGruppen umfassen häufig, aber nicht ausschließlich, Aktivitäten gegen rechte Strukturen und Akteur*innen (ebd.: 7ff).
Antira Antira ist die Abkürzung von Anti-rassistisch.
Cis Cis steht im Gegensatz zu Trans* für Geschlechtsidentitäten, bei denen Menschen sich mit dem ihnen bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren. Diese Vorsilbe wird insbesondere von Trans*aktivist*innen verwendet, um die vermeintliche Selbstverständlichkeit bzw. Norm von Cis-Geschlechtlichkeit zu betonen (Franzen, Sauer 2010: 94).
Critical Whiteness Critical Whiteness ist eine Herangehensweise bezüglich Rassismus, in deren Fokus Weißsein als stille Norm steht (Morrison 1994: 32f, 125). Critical Whiteness hat sich seit den 1990ern in den USA und in jüngerer Zeit auch in Deutschland als eine Forschungsrichtung entwickelt. Voran gegangen ist ihnen dabei eine lange Tradition außerakademischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen rassistisch Markierter mit dem Thema Weißsein. Eggers spricht in diesem Zusammenhang von einem »Schwarzen Wissensarchiv« (Eggers 2009:18f.). Dieses Wissensarchiv dient rassistisch Markierten als Überlebensstrategie in einer
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Umgebung, in der weiße Vormachtstellung herrscht und Weißsein die unmarkierte Norm darstellt (ebd.:18f).
Definitionsmacht (Defma) Definitionsmacht als Herangehensweise entwickelte sich vor allem im Kontext der Neuen Frauen*bewegungen im Umgang mit sexualisierter Gewalt (NoLager Bremen 2014: 11). Dabei stellt sich folgende Prämisse als zentral dar: »Aufgrund von individuell verschieden erlebter und wahrgenommener Gewalterfahrungen sowie in Ablehnung zu der mainstream Gewaltdefinition, die der hegemonial männlich geprägten Gesellschaften entsprungen ist, KANN nur von den betroffenen Frauen definiert werden, ab wann Gewalt anfängt, Grenzen überschritten werden und wurden und was als Gewalt wahrgenommen wird.« (re.ACTion 2015: 23f.). Definitionsmacht wird aber nicht nur im Kontext von sexualisierter Gewalt verwendet, sondern auch in Bezug auf andere Diskriminierungsformen, wie rassistischer Diskriminierung. Debatten um dieses Konzept umfassen die Frage, dass es für Betroffen nicht immer eindeutig und einfach ist erlebte Gewalt zu definieren, die Verknüpfung von Definitions- und Sanktionsmacht, die Frage um Möglichkeiten des*der Täter*innen Stellung zu beziehen zu können sowie die generelle Frage des Umgangs mit Täter*innen (NoLager Bremen 2014: 11ff). Einen ausführlichen Überblick über verschiedene Aspekte der Debatten um Definitionsmacht liefert die Gruppe NoLager Bremen (2014).
Fantifa Feministische Antifa-Gruppe. Siehe auch Erläuterung zu Antifa
Femen Die feministische Gruppe Femen gründete sich 2008 in der Ukraine, ist heute aber auch in anderen Ländern präsent. Aktionsformen von Femen sind vor allem oben-ohne Proteste ihrem Motto »my body my weapon« folgend (Evans 2015: 9). Kritik an Femen umfasst generell u.a. die Repräsentation sexualisierter und heteronormativer Formen von Weiblichkeit sowie ihre anti-muslimischen Äußerungen sowie Proteste gegen den Islam in Form von z.B. einem »International Topless Jihad Day« (Evans 2015: 10).
FLT Abkürzung für FrauenLesbenTrans
FLTI Abkürzung für FrauenLesbenTransIntersex
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Intersektionalität in feministischer Praxis
GD Abkürzung für Gruppendiskussion
Jineolojî Der Begriff wurde zunächst von Abdullah Öcalan in ›The Sociology of Freedom‹ benutzt und insbesondere von kurdischen Aktivistinnen* aufgenommen und weiterentwickelt (Al-Ali, Tas 2018: 466). Ein zentrales Prinzip ist »that without the freedom of women within society and without a real consciousness surrounding women, no society can call itself free« (ebd.: 466). Dabei werden u.a. auch eine objektivistische Wissenschaft sowie bestimmte feministische Ansätze (wie eine liberale Strömung, die sich allein auf gleiche Rechte fokussiert) kritisiert. Jedoch geschieht dies ohne Bezug zum Beispiel auf bereits zuvor entwickelte postkoloniale Ansätze mit ähnlichen Kritikpunkten, sondern stellt kurdische Frauen* ins Zentrum (Al-Ali, Tas 2018: 466f.).
Mobi Abkürzung für Mobilisierung
Slutwalks Slutwalks wurden zuerst in Kanada und dann auch in anderen Ländern als Antwort auf die Äußerungen eines kanadischen Polizisten organisiert, der Frauen* dazu rat sich nicht wie sluts zu kleiden, um sexuelle Übergriffe zu vermeiden. Diese Art des victim blaming, also der Verantwortung für sexuelle Gewalt, bei den Opfern selbst zu suchen, war zentraler Kritikpunkt der Slutwalks. Mit diesen Demonstrationen wurde versucht sich das Wort slut positiv anzueignen, daran wurde kritisiert, dass die historisch Geschichte des Begriff in rassistischen Diskursen vernachlässigt wurde (Evans 2015: 7ff). Ebenso wurde an den Slutwalks kritisiert, dass »the highly sexualised use of the female body simply conformed to traditional portrayals of heteronormative feminine sexuality« und gerade auch die Körper von weißen, spärlich bekleideten Frauen*körpern im Zentrum standen (Evans 2015: 8).
Trans* Trans* steht für vielfältige Identitäten, die insbesondere auch das binäre Modell der Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen. Dabei umfasst der Begriff auch Menschen, deren geschlechtliche Identität nicht mit der bei Geburt zugeschriebenen übereinstimmt.
Gender & Queer Studies Gabriele Dietze
Sexueller Exzeptionalismus Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus 2019, 222 S., kart., Dispersionsbindung, 32 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4708-2 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4708-6
bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Nivedita Prasad (Hg.)
Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung Formen und Interventionsstrategien Juni 2021, 334 S., kart., Dispersionsbindung, 3 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5281-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5281-3 EPUB: ISBN 978-3-7328-5281-9
Gabriele Dietze, Julia Roth (eds.)
Right-Wing Populism and Gender European Perspectives and Beyond 2020, 286 p., pb., ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-4980-2 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4980-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Gender & Queer Studies Katrin Huxel, Juliane Karakayali, Ewa Palenga-Möllenbeck, Marianne Schmidbaur, Kyoko Shinozaki, Tina Spies, Linda Supik, Elisabeth Tuider (Hg.)
Postmigrantisch gelesen Transnationalität, Gender, Care 2020, 328 S., kart., Dispersionsbindung, 7 SW-Abbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-4728-0 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4728-4
Gregor Balke
Poop Feminism – Fäkalkomik als weibliche Selbstermächtigung 2020, 188 S., kart., Klebebindung, 30 SW-Abbildungen 28,00 € (DE), 978-3-8376-5138-6 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5138-0
Francis Seeck
Care trans_formieren Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit Juni 2021, 250 S., kart., Dispersionsbindung 25,00 € (DE), 978-3-8376-5835-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5835-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de