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German Pages 144 [145] Year 2015
Günther Fischer · Manfred Prescher
In Concert Die 66 wichtigsten Live-Alben aller Zeiten und ihre Geschichte
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Michael Sailer, München Satz: Lohse Design, Heppenheim Einbandabbildungen: Married to the Sea, Leipzig, 2010. Fotos © Christian Hahn Einbandgestaltung: Christian Hahn, Frankfurt am Main Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3146-5
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3225-7 eBook (epub): 978-3-8062-3226-4
Inhalt 1957 1958 1962 1963 1963 1966 1968 1968 1968 1970 1970 1970 1971 1971 1971 1971 1971 1972 1972 1972 1973 1973 1973 1974 1974/1975 1976 1976 1976 1976 1976 1977
Frank Sinatra: ’57 In Concert 8 Ray Charles: At Newport 10 The Rat Pack: The Summit In Concert 12 James Brown: Live At The Apollo 14 Sam Cooke: One Night Stand – Live At The Harlem Square Club 16 Bob Dylan: Live 1966 „The Royal Albert Hall Concert“ (The Bootleg Series Vol. 4) 18 Johnny Cash: At Folsom Prison 20 Ten Years After: Undead 22 Caterina Valente: Live 1968 24 The Everly Brothers: Everly Brothers Show 26 The Who: Live At Leeds 28 Woodstock: Music from the Original Soundtrack and more 30 Elton John: 17-11-70 32 Crosby, Stills, Nash & Young: 4 Way Street 34 Emerson, Lake & Palmer: Pictures At An Exhibition 36 George Harrison & Friends: The Concert For Bangladesh 38 The Allman Brothers Band: At Fillmore East 40 Deep Purple: Made in Japan 42 The Band: Rock Of Ages – The Band In Concert 44 Neil Diamond: Hot August Night 46 Creedence Clearwater Revival: Live In Europe 48 Elvis Presley: Aloha From Hawaii Via Satellite 50 Yes: Yessongs 52 The Doors: Absolutely Live 54 Lou Reed: Rock ’n’ Roll Animal/Lou Reed Live 56 Dr. Feelgood: Stupidity 58 Henry Cow: Concerts 60 Peter Frampton: Frampton Comes Alive! 62 Lynyrd Skynyrd: One More (For) From The Road 64 Wings: Wings Over America 66 Jackson Browne: Running On Empty 68
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1978 1979 1979 1979 1980 1980 1980 1981 1982 1983 1983 1984 1984 1986 1986 1988 1988 1989 1991 1994 1994 1995 1995 1998 1998 1999 1999 2005 2009 2009 2010 2011 2011 2012 2013
Bob Marley: Babylon By Bus 70 Queen: Live Killers 72 Ramones: It’s Alive 74 Neil Young & Crazy Horse: Live Rust 76 Eagles: Eagles Live 78 Supertramp: Paris 80 The Kinks: One For The Road 82 Motörhead: No Sleep ’til Hammersmith 84 Simon & Garfunkel: The Concert In Central Park 86 Peter Gabriel: Plays Live 88 U2: Under A Blood Red Sky 90 Dire Straits: Alchemy. Dire Straits Live 92 Talking Heads: Stop Making Sense 94 Bruce Springsteen & The E Street Band: Live/1975 – 85 96 Sting: Bring On The Night 98 The Smiths: Rank 100 Tina Turner: Tina Live In Europe 102 Depeche Mode: 101 104 Eric Clapton: 24 Nights (Live From Royal Albert Hall) 106 Nirvana: Unplugged Live In New York 108 Van Morrison: A Night In San Francisco 110 Pink Floyd: Pulse 112 The Rolling Stones: Stripped 114 Bee Gees: One Night Only 116 Garth Brooks: Double Live 118 Metallica: S&M 120 The Clash: From Here To Eternity: Live 122 Kraftwerk: Minimum-Maximum 124 Leonard Cohen: Live In London 126 Die Fantastischen Vier: Heimspiel 128 The White Stripes: Under Great White Northern Lights 130 A-ha: Ending On A High Note: The Final Concert (Live At Oslo Spektrum: December 4, 2010) 132 Elvis Costello & The Imposters: The Return Of The Spectacular Spinning Songbook 134 Led Zeppelin: Celebration Day 136 Nick Cave & The Bad Seeds: Live From KCRW 138 Register 140
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Vorwort
Sie halten ein ganz besonderes Buch in Händen. Eines voller Alben, die man einmal im Leben gehört haben sollte. Eines voller Platten, die Sie zu musikalischen Entdeckungsreisen ermuntern. Es ist ein Buch voller Live-Alben – wofür es gute Gründe gibt. LiveAufnahmen stellen oft auch die Essenz eines Musikerlebens dar: Die Künstler präsentieren sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und beweisen ihre Fähigkeiten auf der Bühne. Existiert eine Band länger, kann durch Live-Alben aus unterschiedlichen Epochen ihre musikalische Entwicklung verfolgt werden. Beispiele dafür sind Led Zeppelin mit „The Song Remains The Same“ von 1976 und „Celebration Day“, das kraftvolle Reunion-Konzert von 2012. Oder die Rolling Stones: Ihre drei Live-Alben „Get Yer Ya Ya's Out“, „Stripped“ und „Shine A Light“ fangen über 40 Jahre Band- und Musikgeschichte ein. Manche der im Buch vorgestellten Aufnahmen sind quasi historische Dokumente. Ein Beispiel dafür ist James Browns „Live At The Apollo“ – es war die Geburtsstunde des Funk. Den Wert der Live-Alben haben auch viele Musiker und Bands selbst erkannt: Nicht gerade selten veröffentlichen sie inzwischen oft jahrzehntelang zurückliegende Live-Aufnahmen. Wir stellen die Alben nicht allein unter musikalischen Gesichtspunkten vor, sondern beziehen immer den historischen Kontext mit ein. Wir tauchen ein in die Entstehungsphase sowie in die Rezeption bei der Veröffentlichung. Und wir erklären, warum diese Alben bis heute relevant sind. Ein Buch, das orientiert, neugierig macht und – mit Tipps zum Weiterhören – eine Basis bietet, auf der Sie aufbauen können. Also: Lesen Sie, staunen Sie und lassen Sie sich überraschen! Wir wünschen viel Spaß dabei! Günther Fischer · Manfred Prescher
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1957
Frank Sinatra: ’57 In Concert (Artanis Records)
Sechs Jahrzehnte umspannte die Karriere des Francis Albert Sinatra aus Hoboken/New Jersey, der am 12. Dezember 2015 100 Jahre alt geworden wäre. Der erfolgreichste Künstler des 20. Jahrhunderts hatte seine musikalisch beste, weil virilste und stimmlich perfekteste Phase nach seinem Comeback in den mittleren und späten 50er-Jahren. Das belegt neben einer enormen Reihe von Studio-LPs auch der Mitschnitt eines Konzerts, das im Juni 1957 in Seattle stattfand. Beinahe hätten Sinatra-Fans auf die Aufnahme dieses besonderen Abends verzichten müssen: Franks Tochter Tina entschloss sich erst im April 1999, ein knappes Jahr nach dem Tod des Sängers, diese Show auf CD herauszubringen. Und die Disc hat es in sich: Sie besteht aus 24 Karat Gold und ist klanglich so brillant, dass der Zuhörer das Gefühl hat, unmittelbarer Teil dieses atemberaubenden Abends zu sein. „I saw
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you’ve been waiting for … the star of our show … Frank Sinatra, Ladies and Gentlemen!“, ruft der Ansager ins Publikum, während sich die von Nelson Riddle geführte Big Band schwungvoll eingroovt. Und dann schlendert Dean Martin auf die Bühne. Dann kommt Frank Sinatra völlig entspannt, singt über die Frau, die ihn frisch hält: „You Make Me Feel So Young“ gibt die Richtung vor – „Ol’ Blue Eye“ zelebriert ein schwungvolles, leichtes Konzert. Riddle trägt ihn durch „It Happened In Monterey“ von Mabel Wayne und Billy Rose, durch die Cole-Porter-Klassiker „At Long Last Love“, „I Get A Kick Out Of You“, „Just One Of Those Things“ und „I’ve Got You Under My Skin“. Sinatra interpretiert auch Stücke von George Gershwin und dem genialen Duo Sammy Kahn und Jimmy van Heusen. Klare Höhepunkte des Konzerts sind die verhalten instrumentierten „Glad To Be Unhappy“ und „My Funny Valentine“, beide von Richard Rodgers und Lorenz Hart geschrieben. In der Mitte spricht Sinatra zum Publikum, cool, überraschenderweise etwas heiser und in bester Rat-Pack-Manier. Es fallen Sätze wie „I’d like to do a couple of a … I’d like to go to a bar“, und angeblich ist auch der Sheriff hinter ihm her. Aber der muss warten, denn erst kommt das sanfte Pianointro des elegischen „When Your Lover Has Gone“ von Enir A. Swan, zu dem Sinatra anfangs noch witzelt, dann aber unglaublich schön singt. Als er sich zum großen Finale aufschwingt und sich mit „Oh! Look At Me Now“ von Joe Bushkin und John DeVries musikalisch auf die Schulter klopft, wissen die, die dabei waren, und die, welche die CD hören, mp dass dieser Abend magisch war. ZUM WEITERHÖREN
Frank Sinatra: Live In Australia With The Red Norvo Quintet (1959; 1997 veröffentlicht) – Ein intimer Mix aus zwei Shows auf dem fünften Kontinent Sinatra & Sextet Live In Paris (1962, 1994 veröffentlicht) – Das Konzert auf französischem Boden, Sinatra wird von Charles Aznavour eingeführt Frank Sinatra: Live From Las Vegas (1986, 2005 veröffentlicht) – Launiges Spätwerk mit „The Girls I Never Kissed“ von Leiber & Stoller
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1958
Ray Charles: At Newport (Atlantic)
Schon in den 50er-Jahren wollte Ray Charles unbedingt Jazzmusiker werden. Er sah sich weniger als R&B-Star, als der er mit Hits wie „Mess Around“ und „Hallelujah I Love Her So“ vom Atlantic-Label aufgebaut wurde. Als er am 5. Juli 1958 auf dem Newport Jazz Festival auf Rhode Island auftritt, signalisiert Charles bereits, in welche Richtung sich seine Karriere spätestens ab 1960 mit dem Wechsel zur Plattenfirma ABC wenden wird: Der im Alter von sieben Jahren erblindete Musiker aus Albany in Georgia verschreibt sich swingendem Jazz in größerer Besetzung – auch wenn er sich mit opulentem Soul und groovenden Versionen von Countryhits immer wieder in den Charts zeigt. Bei Ray Charles wird der Stilmix zum Konzept, das er im Gegensatz etwa zum Bluesmusiker Muddy Waters, der 1960 auf dem berühmten Jazzfestival auftritt, in Newport mutig erweitert: zwei Trompeter, zwei Saxofonisten, Bass und Schlagzeug, dazu Ray Charles, der singt, Klavier und Altsaxofon spielt, die Background-Voices der Raelettes um Rays Geliebte Marjorie Hendricks – das sind die Zutaten für einen Auftritt, der Gospel, Blues, Bebop und Swing perfekt verbindet. Abgemischt von Tom Dowd (Aretha Franklin, Eric Clapton) präsentiert Ray Charles nicht nur seinen Hit „I Got A Woman“ und den Bluesstandard „Night Time Is The Right Time“ in flirrenden, improvisierten Versionen, sondern als Höhepunkt auch den „Blues Waltz“ des Jazzschlagzeugers Max Roach. Ray Charles’ Auftritt zeigt einen virtuosen Instrumentalisten und ernstzunehmenden Bandleader. Der einzige Wermutstropfen des Albums ist – wie bei Konzertveröffentlichungen in den 50er- und 60erJahren üblich –, dass der Auftritt weder in seiner vollen Länge noch in der tatsächlichen Reihenfolge wiedergegeben wird. Die zeitlichen Begrenzungen des LP-Formats führen dazu, dass der umwerfende „Swanee River Rock“ fehlt. Charles’ Interpretation der bereits 1851 von Stephen Foster geschriebenen Hymne des US-Bundesstaats Florida
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ist leider nur auf der CD-Ausgabe von „At Newport“ zu finden. Wer will, kann zwei Versionen des Songs vergleichen: Im Oktober 1958 veröffentlichte ihn Charles in einer sehr Pop-orientierten Variante auf dem Album „Yes Indeed!“, genau einen Monat später erschien „At Newport“, damals freilich noch ohne dieses treibende Big-Band-Meisterwerk. Ray Charles’ Liveplatte steht nicht nur in einer Reihe hervorragender Konzertmitschnitte des Künstlers, sie ist auch ein Höhepunkt unter den vielen Werken, die in Newport entstanden: Duke Ellington, Nina Simone, Miles Davis, Dave Brubeck, Ella Fitzgerald und viele andere setzmp ten auf diesem Festival Ausrufezeichen. ZUM WEITERHÖREN
Ray Charles: Live In Concert (1965, 2011; Reissue des vollständigen Konzerts) – Die Big Band ist auf 16 Mann angewachsen und swingt durch Soul, Jazz, Blues und Country Otis Redding: Live In Europe (1967) – Aufgenommen mit Booker T & The MG’s als Begleitband, verbindet Redding Soul und Rock
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1962
The Rat Pack: The Summit In Concert (Artanis Records)
Der Name „Rat Pack“ geht auf Lauren Bacall zurück. Die Schauspielerin erfand das signifikante Kürzel für die trinkfeste, „the Summit“ genannte Truppe um ihren Gatten Humphrey Bogart. Zu Bogeys Kumpels gehörte auch Frank Sinatra, der diese Bezeichnung 1957, nach dem Tod des Mimen, übernahm – ein neues „Rat Pack“ war geboren. Sinatra verlegte das bis dahin private Geplänkel in gediegene Clubs und zelebrierte umwerfend schwungvolle Abende voller Lausbubenscherze und politischer Unkorrektheiten. Im Mittelpunkt des Ganzen standen neben Frank Sinatra die Crooner Dean Martin und Sammy Davis Jr. – und was die Drei abzogen, lässt am besten der Mittschnitt einer Show erahnen, die 1962 in Chicago stattfand und von Franks Tochter Tina 1999 auf CD veröffentlicht wurde. An dieser Stelle sei vor anderen Tonträgern gewarnt, die mit dem Begriff „Rat Pack“ werben: Diese sind in der Regel Mogelpackungen.
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An diesem Abend macht Dean Martin den Anfang, er lässt die Band das Intro in die Länge ziehen, um dann das Publikum zu fragen: „Wie lange geht das schon so?“ Dino dichtet Songs um, aus „When you’re smiling / The whole world smiles with you“ wird beispielsweise „When you’re drinking / You get stinking“. Das Thema passt natürlich an den Beginn der Show, der Ansager behauptet schließlich, der Entertainer komme „direct from the bar“. Etwas später stoßen Sinatra und Davis Jr. dazu, Sammy imitiert die beiden Kollegen sowie andere Künstler – und die Scherze werden immer ausgelassener. Man hält dem Publikum den Spiegel vor. Schließlich war der farbige, dem jüdischen Glauben angehörige Davis seit seiner Hochzeit mit der schwedischen Schauspielerin Mai Britt Opfer einer Hetzkampagne. Im „Summit“, wie die Treffen der Giganten genannt wurden, machte man Witze über alles, über Religionen, Frauen, „Rassen“ – Sinatra: „Halt den Mund, Sam, und setz dich im Bus nach hinten!“ Davis: „Jüdische Leute sitzen im Bus nicht hinten!“ Sinatra: „Jüdische Leute besitzen den Bus.“ Musikalisch ist das, was geboten wird, allerfeinster Swing und perfekt interpretiert – egal, wie weit man sich vom Originaltext eines Liedes im Laufe des Klamauks entfernt. Kurze Darbietungen bekannter Songs – „You are too beautiful for one man alone / So I brought along my brother“ – führen zu wunderbaren gemeinsamen Liedern wie „The Birth Of The Blues“ und zu dem von Sammy Davis Jr. und Sinatra in perfekter Eintracht vorgetragenen „Me And My Shadow“. Drei Sänger, drei Freunde und drei begnadete Komödianten trafen sich, auch wenn längst nicht mehr alle Jokes zünden, in Chicago zu einem wahrhaft mp denkwürdigen Event. ZUM WEITERHÖREN
Dean Martin: Live In Las Vegas (1967, 2005 veröffentlicht) – Dino singt und swingt entspannt u. a. „It Was A Very Good Year“ Sammy Davis Jr.: In Person ’77 (1977) – Große Kunst: Im Opernhaus von Sidney zeigt Sammy Davis sein ganzes Können – besonders beim „Sinatra Medley“
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1963
James Brown: Live At The Apollo (King)
Welch ein Monument. Als „Live At The Apollo“ im Januar 1963 veröffentlicht wurde, stieß es, was den kommerziellen Erfolg angeht, in neue Dimensionen vor: Es war das erste Album eines afroamerikanischen Künstlers, das sich über eine Million Mal verkaufte, und die erste Liveplatte überhaupt, die in den USA diese magische Grenze durchbrach – obwohl „Apollo“ beim von dem sehr geschäftstüchtigen Syd Nathan geführten Indie-Label „King“ erschien. Interessanterweise stürzten sich die R&B- und Soul-Radiostationen nicht auf einen einzelnen Titel, sondern spielten praktisch das komplette Album. Auch das war bei den auf Hitsingles spezialisierten US-Sendern ein Novum. Der Auftritt, den James Joseph Brown Jr. am 24. Oktober 1962 als Frontmann einer 14-köpfigen Bigband zelebrierte, gehört selbst für das legendäre Apollo-Theater im New Yorker Harlem zum Besten, was dort je zu sehen und hören war. Immerhin spielten hier, an der West 125th Street 254, unter anderem Billie Holiday, Duke Ellington, Louis Armstrong und Marvin Gaye. Aber keiner brachte den Saal so zum Kochen wie der „Godfather of Soul“ – 1968 belegte ein weiterer Mitschnitt eines Auftritts im „Apollo“ das noch einmal deutlich. Kein Wunder, dass Browns Leichnam nach seinem Tod im Dezember 2006 an diesem denkwürdigen Ort aufgebahrt wurde. Mit „Live At The Apollo“ schwimmt sich James Brown endgültig frei. Er, der mit seinen Famous Flames in den 50er-Jahren als R&B- und Doo-Wop-Künstler erfolgreich war, erfindet sich neu, wird zum Teil der aufbegehrenden Bürgerbewegung und tatsächlich zum absoluten Superstar. Maßgeblichen Anteil am Aufstieg haben die energiegeladenen Songs dieser Platte, die zwischen Soul, Blues und Jazz luftig zu schwingen versteht. James Brown ist live so beeindruckend, dass die Power auch von der Stereoanlage aus auf den Zuhörer überspringt. Manche Lieder, etwa „Please, Please, Please“ und „Try Me“, waren vorher schon Hits, werden aber in einen neuen Kontext gesetzt – sie sind nun Teil
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eines Schmelztiegels, laden zum Tanz auf dem sprichwörtlichen Vulkan. Das gilt auch für den „5“-Royales-Klassiker „Think“, den er 1960 erstmals aufnahm und 1967 im Duett mit Vicki Anderson erneut veröffentlichen wird. Das finale, von Jimmy Forrest stammende „Night Train“ lässt James Brown ernsthaft in Richtung Oscar Peterson oder Wes Montgomery schauen, die das Stück swingend interpretierten. Bei Brown wird eine Fusion-Raserei draus, die unter anderem auf das mp 1968er Jazzalbum „Nothing But Soul“ (!) verweist. ZUM WEITERHÖREN
James Brown: Live At The Garden (1967) – Furioses, im Zuge der „Apollo“-Platten leider etwas untergegangenes Werk James Brown: Live At The Apollo, Volume II (1968) – Jetzt wird’s funky – Highlights sind „Cold Sweat“ und „It’s A Man’s Man’s World“ James Brown: Sex Machine (1970) – Auf dem Höhepunkt seiner Kraft – zwei LP-Seiten sind im Studio aufgenommen, zwei live in Augusta/Georgia
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1963
Sam Cooke: One Night Stand – Live At The Harlem Square Club (RCA)
Die Linernotes beschreiben, was an jenem 12. Januar in Miami los war: Aus dem Harlem Square Club, der sonst mit Tischen und Stühlen auf ein gediegenes Publikum wartete, wurde ein Saal für einen heißen Abend. Mr. Soul, so wurde Sam Cooke auch vom Ansager angekündigt, explodierte förmlich und begeisterte das Publikum. Sein vergleichsweise heiserer Gesang bringt seine Hits, etwa „Chain Gang“, „Cupid“ und „Twistin’ The Night Away“, zusätzlich auf Trab. Cooke, der in den 50erJahren mit der Gospelgruppe The Soul Stirrers und dann mit weltlichen Hits wie „You Send Me“ und „I’ll Come Running Back To You“ zum Vorbild anderer eleganter Sänger wie Marvin Gaye und Otis Redding wurde, gibt sich inmitten des afroamerikanischen Viertels rauer als sonst, aber er redet und lacht mit dem Publikum. Beim Medley „It’s
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Alright“/„For A Sentimental Reason“ stimmt er ein swingendes „lalala“ an, bringt damit eine ungeheure Leichtigkeit auf die Bühne – und alles ist wirklich in Ordnung. Unterstützt wird Sam Cooke von einer elfköpfigen Band, zu der der großartige R&B-Saxofonist King Curtis und Albert „June“ Gardner am Piano gehören. Abgemischt wurde das Album auf sehr authentischfrische Art von Hugo & Luigi, die neben ihrem Schützling Cooke unter anderem auch bei Elvis, Perry Como und bei „Twist And Shout“ von den Isley Brothers an den Reglern saßen. Und twisten lässt es Sam Cooke auch: „Twistin’ The Night Away“ wird zur ultimativen Tanzaufforderung, Curtis würzt den Song mit scharfen Saxsolos – und dann wird es mit „Somebody Have Mercy“ wieder soulful. An Schwung verliert der Sänger aber auch bei den weniger schnellen Stücken nicht, er ist immer absolut präsent. Zur Höchstform läuft Cooke endgültig bei „Bring It On Home To Me“ auf, allein dieses Lachen ist mitreißend. Hört man „One Night Stand“ heute, erfasst man rasch, was für ein Vermächtnis uns der Künstler mit diesem Livealbum hinterlassen hat. Es erschien im Juni 1965, ein knappes halbes Jahr nachdem er in Los Angeles unter mysteriösen Umständen von einer Motelwirtin erschossen wurde. Die Frage, was uns Sam Cooke noch alles beschert hätte, ist natürlich müßig – er hat in nicht einmal zehn Jahren die Soulmusik maßgeblich geprägt. Bereits zu Lebzeiten wurde der Mitschnitt „Live At The Copa“ veröffentlicht. Im Vergleich zur Show im Harlem Square Club gibt er sich hier eher als Jazzsänger im Stil von Nat „King“ Cole – trotz Versionen von „Blowin’ In The Wind“ und „If I Had A Hammer“. Magisch mp sind beide Shows, doch in Miami ist es einfach heißer. ZUM WEITERHÖREN
Curtis Mayfield: Curtis/Live! (1971) – Politisch und groovend schließt Curtis Mayfield mit diesem Doppelalbum die Zeit bei den Impressions ab Marvin Gaye: Live (1974) – Gaye ist ähnlich charismatisch wie Cooke. Er bringt seine damals aktuellen Hits wie „Trouble Man“, „Let’s Get It On“ und „What’s Going On“ eindrucksvoll auf die Bühne
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1966
Bob Dylan: Live 1966 „The Royal Albert Hall Concert“ (The Bootleg Series Vol. 4) (Columbia)
Die Legende hält sich hartnäckig: Angeblich sei Bob Dylan auf dem Folk-Festival in Newport Ende Juli 1965 von den Fans ausgepfiffen worden, weil er plötzlich nicht mehr alleine, sondern mit einer elektrisch verstärkten Gruppe auftrat. Fakt ist, dass der Songwriter und die Butterfield Blues Band damals nur drei Stücke geprobt hatten, das Konzert also recht kurz geriet. Kurz darauf spielte er sich live und im Studio – bei den Aufnahmen zu „Blonde On Blonde“ – mit einer Gruppe namens Hawks ein, und diese Formation, damals bestehend aus Robbie Robertson, Rick Danko, Garth Hudson, Richard Manuel und Levon Helm, wurde dann zu The Band. Allerdings ließ Dylan die Fans zunächst über die Musiker im Unklaren – sie wurden nicht vorgestellt. Irritierend blieb Bob Dylan für seine Fans auch weiterhin – und das, was damals seinen Anfang nahm, setzt sich auf der „Never Ending Tour“ bis heute fort: Der Künstler spielt seine Stücke nie so, wie man sie von den Platten her kennt. Er zersägt und zerstückelt sie, kleidet sie in neue musikalische Gewänder. Am 17. Mai 1966 steht Dylan erst allein auf der Bühne der Free Trade Hall in Manchester. Man pfeift und johlt, wartet auf den Skandal – auf die Begleitung durch die Rockband. Die kommt dann auch zum zweiten Teil des Sets und trägt dazu bei, dass die Songs komplett anders wirken als gewohnt. Am Tag vor diesem Konzert wurde übrigens „Blonde On Blonde“ veröffentlicht – auf der Bühne wird das darauf befindliche, vorwärtstreibende „Visions Of Johanna“ zum psychedelischen Folk. Genauso ergeht es „Mr. Tambourine Man“, während das eigentlich sehr puristische „One Too Many Mornings“ plötzlich rockt. Und noch etwas irritiert: Die Platte erschien erst 1998 offiziell, im Rahmen der „Bootleg“-Serie, – tatsächlich machte sie seit den 1970er Jahren als Raubkopie unter dem
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Namen „Royal Albert Hall – May 27, 1966“ die Runde. Von Anfang an wies dieser Titel auf das falsche Konzert hin, die Aufnahmen stammten nicht aus der Royal Albert Hall in London, sondern aus Manchester. Sie entstanden außerdem zehn Tage vor dem angegebenen Datum. Auch die legale Veröffentlichung ließ den Fehlerteufel sein Werk weiterverrichten. Bob Dylan wird sich darüber gefreut haben, genauso wie er sich über das genreübergreifende Spiel gefreut hat: Bei „Like A Rolling Stone“ schreit er die Band an, sie möge „fuckin’ loud“ zu Werke gehen, was Robertson und Co. auch tun. Allerdings verschleppen sie das Tempo des Stücks. Ob dieses Konzert die „Geburtsstunde des modernen Rock“ war, wie das Magazin Q schrieb, oder ob es sich schlicht gf um einen genialen Schelmenstreich handelt, sei dahingestellt. ZUM WEITERHÖREN
Bob Dylan/The Band: Before The Flood (1974) – Noch ein großes Livealbum von Dylan und The Band. Beide Teile kommen gleichberechtigt vor Bob Dylan: At Budokan (1979) – Es galt als steril, aber Dylan verändert seine Stücke auch oft zum Vorteil, so zum Beispiel „Oh Sister“
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1968
Johnny Cash: At Folsom Prison (Columbia)
Die Vorzeichen standen schlecht: Johnny Cashs Karriere dümpelte vor sich hin, er selbst steckte so tief im Drogenwahn, dass er sich – wie es in „Cash – Die Autobiographie“ heißt – Tiere einbildete und ihm bei Konzerten öfter die Stimme versagte. Als dann ein Brief vom Bundesgefängnis in Folsom kam und er gefragt wurde, ob er vor Schwerstverbrechern auftreten würde, hätte das nur ein weiterer Zuchthausauftritt für ihn werden können. Schließlich spielte er seit dem 1957er Konzert in der Strafanstalt von Huntsville immer wieder vor Gefangenen. Der Grund hierfür war vor allem ein Song – der „Folsom Prison Blues“ aus dem Jahr 1955. Das Lied, das eigentlich „Crescent City Blues“ heißt und von Gordon Jenkins stammt, sprach den Häftlingen dank Cashs Text aus der Seele. „Das waren immer richtig heiße Auftritte (...), so dass ich mir sagte, wenn ich je ein Livealbum machen würde, dann wäre ein Gefängnis der ideale Ort dafür, besonders wenn ich solche Songs spielte, mit denen sich die Gefangenen identifizieren konnten“, sagt Cash in der „Autobiography“. Aber Don Law, einer seiner Produzent bei Columbia, hält nichts davon, die Shows mitzuschneiden und zu veröffentlichen. Johnny Cash setzt sich durch, und Bob Johnston (Bob Dylan, Leonard Cohen) übernimmt die Regie. Die Platte wird ein Riesenerfolg, ist zweieinhalb Jahre lang ununterbrochen in den US-Charts platziert und bringt den Sänger zurück ins Rampenlicht: Die nächsten Jahre werden seine kommerziell beste Zeit, er führt durch eine eigene Fernsehshow, und seine Alben verkaufen sich prächtig. Die Magie der beiden Shows vom 13. Januar 1968 gibt die LP freilich nur unzulänglich wieder: 14 Lieder des ersten Auftritts und zwei vom zweiten wurden aneinandergereiht. Erst die „Legacy Edition“ von 2008 bietet beide Konzerte vollständig. In der ersten Show beginnt Carl Perkins mit seinem Hit „Blue Suede Shoes“, bevor er dann als Gastgitarrist bei Cash mitmischt. Der kommt auf die Bühne und trifft auf ein aufgeheiztes Publikum, das er
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gleich mit „Folsom Prison Blues“ an sich zieht. Die explosive Stimmung ist immer dann spürbar, wenn Cash Songs über Verbrechen und Strafe singt, etwa „25 Minutes To Go“, „The Long Black Veil“ und den „Cocaine Blues“. Knisternde Ruhe breitet sich aus, wenn nachdenkliche Lieder erklingen. Eines davon stammt von einem damaligen Insassen in Folsom, Glen Sherley. Sherley, der später versuchte, als Songschreiber Fuß zu fassen, und sich 1978 mit einem Gewehr das Leben nahm, wusste nicht, dass Cash sein „Greystone Chapel“ spielen würde. Dieser wunderschöne Song blieb den Käufern der Original-LP leider verwehrt, ebenso wie etwa das von den Everly Brothers bekannte „I’m Hemp re To Get My Baby Out Of Jail“. ZUM WEITERHÖREN
Johnny Cash: At San Quentin (1969) – „I hate every inch of you“ – Cash prangert wütend den Strafvollzug an B. B. King: Live In Cook County Jail (1971) – Hier werden die Insassen mit Bluesstandards soulful in den Bann gezogen
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1968
Ten Years After: Undead (Columbia)
Wir schreiben den 14. Mai 1968: Wer an jenem Dienstag das Glück hat, im Klooks Kleek, einem intimen Jazzclub im Nordwesten Londons, zu sein, befindet sich in einem musikalischen Hexenkessel. Den Käufern der Platte, die kurz darauf auf den Markt kam, konnte sich das nicht völlig erschließen, denn der Gig wurde auf fünf Stücke „eingedampft“. Erst 2002 erschien eine vollständigere Version. Die beginnt – anders als das Original – mit „Rock Your Mama“ und „Spoonful“, dem Stück von Willie Dixon, das schon Howlin’ Wolf, die Rolling Stones, Cream und Ten Years After (auf ihrem Debütalbum) gespielt haben. Dann bläst der ursprüngliche Opener „I May Be Wrong, But I Won’t Be Wrong Always“ zu einem Parforce-Ritt. Sänger und Gitarrist Alvin Lee, der Ten Years After während der großen Zeit des britischen Bluesrock 1966 gemeinsam mit dem Bassisten Leo Lyons
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gegründet hat, verfasste den Song. Der beginnt zunächst wie ein „klassischer“ Jump Blues, entwickelt sich aber im Verlauf von fast zehn Minuten in ein furioses Stück Jazzrock. Maßgeblich beteiligt ist Chick Churchill, der den Song mit seiner Orgel swingend vorantreibt. „Undead“, wie die Platte zum Konzert heißt, gilt im Werkkanon als zweites Album von Ten Years After – obwohl es nicht im Studio entstand. Das zeigt, dass die Band von Anfang an wegen ihrer Livequalitäten geschätzt wurde. Ein Wunder ist das nicht, da Lee und Lyons schon seit den frühen 60er Jahren zusammen spielten, zum Beispiel – etwa gleichzeitig mit den Beatles – in Hamburg. „Undead“ überrascht mit unveröffentlichten Tracks, etwa „I May Be Wrong …“ und dem finalen „I’m Going Home“, einer Herumtreiberhymne, die zu einem der beliebtesten Stücke der Band wurde. Nebenbei verneigt sich Alvin Lee darin auch vor Jerry Lee Lewis, dessen „Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“ er zitiert. Der eigentliche Höhepunkt findet direkt vor der Schlussoffensive statt – und blieb den LP-Besitzern verwehrt: Eine 17-minütige Suite, bestehend aus dem bedächtig-schönen „I Can’t Keep From Crying, Sometimes“, dem an zeitgenössische Alben von Miles Davis erinnernden „Extension On One Chord“ und der Wiederaufnahme des Themas von „I Can’t Keep …“. Dieses Stück zeigt, wie es Ten Years After immer wieder gelang, den Blues als Ausgangsbasis für spannende Exkurse zu nutzen. Und ganz nebenbei rockt und rollt dieses Medley wie ein Bach, der sich im Dauerregen zum reißenden Strom entwickelt. Richtig durchgestartet sind Ten Years After mit dem Nachfolgealbum „Stonedhenge“ und ihrem Auftritt beim Woodstock-Festival. Mit „Undead“ aber begann die lange Livekarriere einer der besten britimp schen Bluesrockbands. ZUM WEITERHÖREN
Ten Years After: Live At The Filmore East (1970, 2001 veröffentlicht) – Alvin Lee tobt unter anderem durch Chuck-Berry-Songs Ten Years After: Recorded Live (1973) – Die CD-Edition von 2013 enthält den bis dahin unveröffentlichen Folk-Hammer „Time Is Flying“
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1968
Caterina Valente: Live 1968 (Eraki)
Der mitreißende Opener „What A Night This Is Going To Be“, ein Song aus dem Sherlock-Holmes-Musical „Baker Street“, gibt die Richtung vor: Eine heiße Nacht steht an. Unmittelbar darauf folgt Bert Kaempferts „So What’s New“. Dann liefert Caterina Valente die Erklärung dafür, dass sie weltweit so erfolgreich ist: „Wahrscheinlich fragen Sie sich, aus welchem Land kommt sie eigentlich? Nun, das ist ziemlich kompliziert: Meine Eltern sind in Italien geboren. Mein Vater lebte in Schweden, meine Mutter wuchs in Russland auf, sie heirateten in Finnland. Ich bin in Frankreich geboren, mit einem Deutschen verheiratet, und wir leben in der Schweiz. Das macht mich zu einer Art musikalischem Gulasch. Aber in Wahrheit bin ich Italienerin.“ Was für eine Ansage! Internationalität ist ihr also in die Wiege gelegt. Die Musik, die dann folgt, zeigt ihr beeindruckendes musikalisches Repertoire: Nach einem Medley italienischer Lieder (u. a. „Volare“) scattet sie sich mit ihrem Bruder Silvio Francesco, der virtuos Klarinette dazu spielt, durch Benny Goodmans „Air Mail Special“, dreht im Bossa-Nova-Klassiker humorvoll das Girl zu „The Boy From Ipanema“ und tanzt den „Samba De Una Nota“. Man schmunzelt, wenn man hört, dass sie dem gesittet-bürgerlichen Publikum des Konzerts noch 1968 die Beatles erklären muss – dann aber folgen eine unfassbar schöne Variante von „Yesterday“ und ein herrlich swingendes „Can’t Buy Me Love“. Später präsentiert sie noch ihren jazzigen Welthit „The Breeze And I“. Dass die Valente auch Gitarre und Mandoline spielt, wunderbar steppen kann und live musikalische Witze am laufenden Band vorführt, zeigt, dass sie mit dem Rat Pack alias Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr. jederzeit mithalten hätte können – was sehr schön auf der beiliegenden DVD zu sehen ist, die allerdings nicht das ganze Konzert zeigt. Leider wurde das Multitalent Caterina Valente in Deutschland sehr einseitig wahrgenommen – man kennt sie bei uns bis heute eigentlich nur als Schlagersängerin, zum Beispiel mit „Ganz Paris träumt von der
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Liebe“ von 1954 (der deutschen Version von Cole Porters „I Love Paris“). Was man aber wissen sollte: Von 1957 bis 1982 tourte Caterina Valente fast nonstop um den Globus. 1968 mag als Beispiel dienen: Mit der Show auf dieser Liveplatte trat sie in diesem Jahr in Argentinien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Italien, Mexiko, Peru, Polen, Südafrika und den USA auf – und erntete überall begeisterte Kritiken. Es passt irgendwie zur deutschen Wahrnehmung, dass dieses Konzert zwar schon 1968 in Heidelberg aufgenommen, aber erst 2006 veröffentlicht wurde – pünktlich zu Valentes 75. Geburtstag. Charme und Chuzpe dieses Auftritts allerdings sind unübertroffen – ein Weltstar gf auf dem Zenit seiner Karriere. ZUM WEITERHÖREN
Caterina Valente: Live – At The Talk Of The Town (2014) – Zwei weitere Konzerte, u. a. mit einem herrlichen Burt-BacharachMedley
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1970
The Everly Brothers: Everly Brothers Show (Warner)
Es begann mit einem Aushilfsjob: Don und sein jüngerer, im Januar 2014 verstorbener Bruder Phil Everly vertraten Johnny Cash, weil dessen erfolgreiche TV-Show pausieren musste. Also legte sich das Duo für die Senderkette ABC eine Stunde lang mächtig ins Zeug und zeigte, warum es zum Vorbild etwa für Bob Dylan wurde. Man muss gar nicht so genau hinhören, um zu erkennen, dass die Everly Brothers stimmlich auch die Blaupause für Simon & Garfunkel und die Beatles waren. Aber was die Everlys am 6. Februar 1970 im Grand Hotel von Anaheim/Kalifornien auf die Bühne brachten, war mehr als perfekt abgestimmte Harmonie, es war die große Kunst, ihre eigenen Erfolgssongs der späten 50er- und 60er-Jahre mit ihren Countrywurzeln und den damals aktuellen Strömungen zu verknüpfen. Noch bevor sie das erste Lied anstimmen, erzählt Don Everly von ihrer musikalischen Familie, den Eltern, die im Country-Business und im Rundfunk arbeiteten, und von der in den US-Südstaaten ausgestrahlten „Everly Radio Show“, in der sie bereits als Kinder Gospel- und Hillbilly-Songs zum Besten gaben. Passend dazu tragen Don und Phil zuerst Merle Haggards „Mama Tried“ und Carl Davis’ „Kentucky“ vor – dieses Stück bekamen sie von ihrem Vater Ike Everly praktisch in die Wiege gelegt. Was nach dieser Rückschau folgt, ist ein Mix aus „Best of“ und dem Blick zur Seite. Die Hits, die ihnen speziell vom Ehepaar Felice und Boudleaux Bryant „maßgeschneidert“ wurden, spielen bei dieser TVShow eine große Rolle, etwa „Bird Dog“, „Wake Up Little Susie“ und „Bye Bye Love“, mit dem sie 1957 den Durchbruch schafften. Dass die Brüder 1970 karrieretechnisch eher auf dem absteigenden Ast waren und als „aus der Zeit gefallen“ galten, ist nicht zu hören. Im Gegenteil: In einem über 18 Minuten langen Medley singen sie „Aquarius“ von Fifth Dimension, „The End“ von den Beatles, Joe Souths „Games People Play“, das von Johnny Cash und den Four Tops bekannte TimHardin-Stück „If I Were A Carpenter“ und lassen das Intro des Beatles-
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Hits „We Can Work It Out“ anklingen. Und sie toben durch „Rock ’n’ Roll Music“ von Chuck Berry. Dessen „Maybellene“ bildet das Intro für diese spezielle Everly-Revue. Sie verschmelzen sogar Dale Hawkins’ „Susie Q“ mit „Hey Jude“. Der Schluss der Show hat es besonders in sich – Don und Phil schwingen sich in luftige Höhen, singen zunächst das von Mickey & Silvia bekannte „Love Is Strange“. Dieser Ohrwurm gipfelt in Charles Aznavours „Je t’appartiens“, den die Everly Brothers 1960 unter dem Titel „Let It Be Me“ zum Hit machten, und in John Lennons „Give Peace A Chance“. Damit klingt ein großartiger Abend harmonisch aus. «mp ZUM WEITERHÖREN
The Everly Brothers: The Everly Brothers Reunion Concert (1984) – Im Herbst 1983 begaben sich die Brüder in London auf eine Zeitreise zurück in die 50er-Jahre und coverten Little Richards „Lucille“ und „Good Golly Miss Molly“ sowie Sam Cookes „You Send Me“
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1970
The Who: Live At Leeds (Polydor/MCA)
Dieses Livealbum gilt als eines der besten seiner Ära. Darin sind sich Kritiker und Who-Fans bis heute einig. Aber es entstand nur deshalb, weil sich The Who neben allem Rockopern-Gewese endlich wieder als raue und ungestüme Rockband präsentieren wollten, oder, wie es Bassist John Entwistle einst etwas ärgerlich formulierte: „Manche Menschen denken inzwischen, die Band heißt Tommy und das Album trägt den Titel The Who.“ Auf dem wie ein Bootleg verpackten Originalalbum ist ursprünglich mit sechs sehr roh abgemischten Songs nur ein Bruchteil des Konzerts zu hören. Aber „Young Man Blues“, „Substitute“, „Summertime Blues“, „Shakin’ All Over“, ein fast 15-minütiges „My Generation“ und „Magic Bus“ erfüllten ihren Zweck: Sie zeigten The Who als reine Heavyrockband. Keith Moon, der nie ein Drumsolo spielte, weil er sein
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Schlagzeug eigentlich immer wie ein Soloinstrument traktierte, wuchtet einen gigantischen „Wall Of Sound“ auf die Bühne. John Entwistle hält mit seinem Bass die Songs erdenschwer im Takt, spielt wunderbar ideenreiche Läufe und fette Bassakkorde. Pete Townshend an der Gitarre peitscht die Songs mit ihren prägnanten Riffs nach vorne und soliert fast nach Lust und Laune, während Roger Daltrey sich als einer der größten Rocksänger seiner Zeit unter Beweis stellt. Eigentlich sollten die Aufnahmen eines Konzerts in der City Hall von Hull veröffentlicht werden, aus technischen Gründen musste diese Absicht verworfen werden. So kam die Mensa der Universität von Leeds zum Zug. Dass The Who an diesem Abend aber weit mehr als nur sechs Songs spielten, war erst auf der 2001 erschienenen „Luxury Edition“ zu hören: Sie brachten natürlich auch ihre Rockoper „Tommy“ komplett auf die Bühne, treibend, mitreißend, packend. Dazu ihre frühen Hits wie „Happy Jack“, „I’m A Boy“ und „I Can’t Explain“. Die größte Überraschung aber war der kraftvolle Opener des Konzerts: das von John Entwistle geschriebene und nie auf Platte erschienene „Heaven And Hell“. „Live At Leeds“ steht bis heute wie ein musikalischer Monolith in der Musiklandschaft, auch nach dem von Townshend überwachten Remastering noch herrlich ungeschliffen und mit vielen, so muss man tatsächlich sagen, zärtlichen Momenten – zum Beispiel dem wunderbaren Satzgesang zu Beginn von „A Quick One, While He’s Away“. The Who waren nie besser als an diesem 14. Februar 1970. Die Briten sind bis heute so beeindruckt, dass sie am Veranstaltungsort 2006 eine ihrer berühmten „Blue Plaques“ anbrachten – blaue Plaketten, die überall im Land an wichtige zeitgeschichtliche Ereignisse erinnern sollen: „Hier“, so ein Teil der Inschrift, „wurde das berühmteste Livealbum seigf ner Generation aufgenommen.“ ZUM WEITERHÖREN
The Who: Quadrophenia Live in London (2014) – The Who feierten 2013 das 40. Jubiläum ihrer Adoleszenzoper mit einer großartigen Aufführung im Wembley-Stadion
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1970
Woodstock: Music from the Original Soundtrack and more (Atlantic)
243 Hektar Ackerland auf der Farm von Max Yasgur, gerade mal 150 Kilometer von New York entfernt, 32 Musiker und Bands, eine halbe Million Zuhörer, die aus allen Ecken der USA anreisten, und ein Oscargekrönter Dokumentarfilm: Die „3 Days of Peace & Music“ vom 15. bis 17. August 1969 symbolisieren den Mythos des „anderen Amerika“, das sich künstlerisch und friedliebend gab und gegen den Krieg in Vietnam war. Die „Woodstock Music and Art Fair“, wie das Festival offiziell hieß, ging in einer gigantischen Schlammschlacht zu Ende, auch weil die Veranstalter den Ansturm so vieler Menschen nicht bewältigten. Die Hippiekultur hat sich längst in der Weltgeschichte verlaufen, aber die meisten der Musiker und Bands kennt man bis heute. Zudem ist die Bandbreite der Musik erstaunlich – schade nur, dass auf den drei Platten nicht alles zu hören ist, was auch gespielt wurde. Gleich zu Beginn beschwört John B. Sebastian reichlich bekifft „I Had A Dream“. Canned Heat folgen mit der lässigen Bluesnummer „Going Up The Country“, Sha-Na-Na unterhalten mit dem fröhlichen Rocker „At The Hop“, Joan Baez besingt das tragische Schicksal von „Joe Hill“, und The Who präsentieren „We’re Not Gonna Take It“ aus ihrer Rockoper „Tommy“. Spannend zu hören ist auch, wie Jimi Hendrix voller Wut die US-Nationalhymne „Star Spangled Banner“ musikalisch zerlegt. Einige Musiker schafften mit ihrem Auftritt in Woodstock sogar den Durchbruch zur Weltkarriere – dazu gehören Santana mit ihrer brodelnden Latinnummer „Soul Sacrifice“, Ten Years After, die höchst fingerfertig ihr „I’m Going Home“ vom Stapel ließen, und vor allem Joe Cocker mit seiner bis heute unübertroffenen Interpretation des Beatles-Songs „With A Little Help From My Friends“. Das gilt auch für Crosby, Stills, Nash & Young („Suite Judy Blue Eyes“, „Marrakesh Express“), für die es erst der zweite Auftritt überhaupt war. So wundert es nicht, dass „Sea Of Madness“ nicht vom Woodstock-Auftritt stammt, sondern einen
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Monat danach im Filmore East aufgenommen wurde. Und nur ein Jahr später erschien mit „Woodstock Two“ noch ein Doppelalbum, auf dem weitere Songs und Musiker zu hören sind: unter anderem die damals sehr populäre Sängerin Melanie und die schwerblütige Rockband Mountain mit dem großartigen „Theme For An Imaginary Western“. Diese fünf Vinylplatten, die seit 1994 als „Woodstock Vol. 1“ und „Woodstock Vol. 2“ jeweils als Doppel-CD zu haben sind, fangen auch durch die vielen O-Töne – den Regensturm, die Schreie in der Menge, die Begrüßung durch den Farmer Max Yasgur – die Atmosphäre des Festivals perfekt ein und vermitteln eine Ahnung davon, wie das damals gewesen sein muss. Sie sind das musikalische Dokument der damaligen Gegenkultur, die in Woodstock ihren Höhe- und Schlusspunkt zugf gleich fand. Danach begann der große Ausverkauf. ZUM WEITERHÖREN
Various: Save The Children (1973) – Für die Kinderrechtsorganisation Save The Children gaben sich die afroamerikanischen Topstars die Ehre. Mit dabei u. a. Sammy Davis Jr., Bill Withers, Marvin Gaye, The Temptations, Roberta Flack
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1971
Elton John: 17-11-70 (DJM)
Irgendwie erinnert das Ganze an die Spiele der genialen Wilden vom FC Bayern, also an Müller, Beckenbauer, Maier und Co, direkt vor ihrem Aufstieg 1964/65. Wer damals ein Regionalligaspiel sah, spürte, dass da was Besonderes am Wachsen war. Und dieses Gefühl, etwas Großem und Kommendem beizuwohnen, hatten die rund 100 Zuschauer, die am 17. 11. 1970 in den A&R Recording Studios dabei waren, und die Hörer von WABC-FM bestimmt auch: Die beste Zeit von Reginald Kenneth Dwight, besser bekannt als Elton John, stand unmittelbar bevor – die Werke, die er zusammen mit seinem Texter Bernie Taupin zwischen 1970 und 1979 veröffentlichte, sind schlicht genial. Diese Genialität war auch an jenem Novembertag spürbar. Elton John am Piano, Dee Murray am Bass und Nigel Olsson am Schlagzeug sorgten für einen unbändigen Groove. Spielfreude, Tempo und gemeinsamer,
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fast gospelartiger Chorgesang – das Trio ist an diesem Abend perfekt gestimmt und bestens gelaunt. Elton John, der mit seinen drei bis dahin veröffentlichten Platten „Empty Sky“ (1969), „Elton John“ (April 1970) und dem gut zwei Wochen vor dem Konzert erschienenen „Tumbleweed Connection“ die US-Top-Ten erreichte, zeigte, was speziell in den Songs seiner Alben Nummer zwei und drei an Power steckt: „I Need To Turn You On“, „Take Me To The Pilot“ und das famose „Burn Down The Mission“ gehören zu den voranpreschenden Höhepunkten des Konzerts – genauso wie die Coverversionen. „Get Back“ von den Beatles und „Honky Tonk Women“ rocken auch ohne die Gitarren von John Lennon bzw. Keith Richards gewaltig, denn Elton spielt einen veritablen Höllenboogie. Arthur Crudups Bluesklassiker „My Baby Left Me“ bekommt die Kraftkur des dynamischen Trios ebenfalls sehr gut, und „Your Song“, sein bis dahin größter Hit, wird in schlichter Schönheit zelebriert. Die Musik, die auf „17-11-70“ zu hören ist, ist mitreißend und klasse. Das Problem ist nur, dass ein vollständiger Mitschnitt dieses 80-minütigen Ausnahmekonzerts bis heute nur als Bootleg erhältlich ist. Alle offiziellen Veröffentlichungen sind Werke von kleinmütigen Flickschustern, die die Setlist je nach Gusto oder Auflage der jeweiligen Plattenfirma mehr oder minder lieblos auseinanderdividieren und neu zusammensetzten. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen, das Material würde auf eine Doppel-LP passen. Sicher ist jedoch, dass Elton John kurz darauf zu einer gigantischen Weltkarriere durchstartete. Er selbst hat das Konzert in etlichen Interviews auf jeden Fall für mp eines seiner besten gehalten. ZUM WEITERHÖREN
Elton John: Here And There (1976; 1995 vollständig veröffentlicht) – Hier tobt Elton durch seine Hits von „Bennie And The Jets“ über „Crocodile Rock“ bis hin zu „Saturday Night’s Alright For Fighting“ Billy Joel: Songs In The Attic (1981) – Der andere „Piano Man“ und eines der erfolgreichsten Livealben überhaupt. Schon wegen „The Ballad Of Billy The Kid“ ein Muss
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1971
Crosby, Stills, Nash & Young: 4 Way Street (Atlantic)
Nur ein Dreivierteljahr nach ihrem gefeierten Auftritt in Woodstock hatten CSNY – so die gebräuchliche Abkürzung – mit „Déjà Vu“ ein Album auf Platz eins der US-Charts und galten als sogenannte Supergroup. Was nicht weiter verwundert, kamen doch alle vier Musiker von erfolgreichen Bands: David Crosby war zuvor bei den Byrds, Graham Nash bei den Hollies, Stephen Stills und Neil Young bei Buffalo Springfield. Wiederum nur ein Jahr später erschien dieses Doppelalbum, das vom 2. bis 5. Juli 1970 im Fillmore East in New York City, im Inglewood-Forum in Los Angeles und im Auditorium in Chicago aufgenommen worden war. Es platzierte sich sofort nach Erscheinen ebenfalls auf Platz eins der Charts. Noch heute begeistern die mehrstimmigen Gesangsharmonien, die brillant formulierten Texte, die mal Privates, mal Politisches zum Inhalt haben, sowie die Umsetzung des songschreiberischen Potenzials. Damals machten diese Fähigkeiten CSNY zu einer Ausnahmeerscheinung und zu einer Formation, die unzählige andere Musiker beeinflusste. In „Suite: Judy Blue Eyes“ zum Beispiel beklagte Stephen Stills seine Trennung von der Folkmusikerin Judy Collins, „Teach Your Children Well“ ist die unverblümte Aufforderung, für eine bessere Zukunft die Kinder doch bitte anders zu erziehen und zu unterrichten, während „Ohio“ die bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg an der Kent State University getöteten und verletzten Studenten betrauert. In diesem Umfeld erklärt sich der von Stephen Stills geschriebene Song „Find The Cost Of Freedom“ von selbst. Einer der Höhepunkte des Livealbums ist Neil Youngs Song „Southern Man“, eine Anklage gegen den immer noch rassistisch geprägten Süden der USA, wütend vorgetragen, knapp über 13 Minuten lang und mit einem faszinierenden Gitarrenduell zwischen Stills und Young. Manche Tirade allerdings ist nur aus der Zeit heraus zu verstehen, etwa wenn Stills ins Publikum brüllt: „Jesus Christ was the first nonviolent revolutionary! Ah dig it, dig it!“
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1992 erschien das Livealbum auf einer Doppel-CD, ergänzt durch weitere Songperlen wie zum Beispiel „King Midas In Reverse“, das Graham Nash schon mit den Hollies gespielt hatte, und Youngs Medley „The Loner/Cinnamon Girl/Down By The River“. Vier eigenwillige Individuen waren auf Dauer aber nicht zu vereinen: Kurz nach der Tournee und noch vor dem Erscheinen des Livealbums trennten sich CSNY, die Spannungen zwischen den Musikern waren zu groß geworden. Die vier Musiker trafen sich danach nur noch phasenweise – aber immer mit gf großem Erfolg. ZUM WEITERHÖREN
Crosby, Stills, Nash & Young: Live 1974 (1974) – Die Dokumentation der legendären Tour, seit 2014 endlich auch auf CD – mit fantastischer Tonqualität S.T.S.: Auf Tour (1988) – Die steirische Variante des Satzgesangs mit politischen und sarkastischen Texten inklusive der Übersetzung des CSNY-Songs „Helpless“
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1971
Emerson, Lake & Palmer: Pictures At An Exhibition (Island)
Classic meets Rock, Rock meets Classic, mal schreibt ein Rockmusiker fürs große Orchester, mal lassen Bands ihre Songs klassisch orchestrieren. Diese Crossover-Spielart der Musik ist immer mal wieder populär, gelingt mal besser, mal schlechter. Die Bandbreite der Musiker und Bands, die sich dafür begeisterten, reicht von den frühen Deep Purple („Concerto For Group and Orchestra“, „Anthem“, „April“) über The Nice und Eberhard Schoener bis hin zu Metallica („S&M“). Selbst Paul McCartney versuchte sich auf insgesamt fünf Alben an klassischen Kompositionen („Liverpool Oratorio“) – ohne Noten lesen zu können. Ein herausragend gelungenes Beispiel aber ist Emerson, Lake & Palmers (ELP) Bearbeitung von Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“. Mussorgski ließ sich von einer Ausstellung des mit ihm eng
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befreundeten Malers Viktor Hartmann inspirieren und schrieb sein Werk 1874 ursprünglich für Klavier, als Spaziergang („Promenade“) von Bild zu Bild – es war allerdings so anspruchsvoll, dass es lange Zeit als anspruchsvoll und schwer spielbar galt. Maurice Ravel hat es dann fürs große Orchester bearbeitet und nebenbei damit das Saxofon ins Sinfonieorchester populär gemacht. ELPs berühmt gewordene Rockversion von Mussorgskis Klavierzyklus wirkt noch heute zeitgemäß – auch weil sich die Ausnahmemusiker Keith Emerson, Greg Lake und Carl Palmer nicht allzu sklavisch an die Partiturvorgaben hielten, sondern sich die Freiheit nahmen, über diverse vorgegebene Melodien einfach zu improvisieren. Sie hatten zudem mit der Bearbeitung klassischer Werke schon reichlich Erfahrung, und sie fügten Texte und damit Gesangselemente hinzu. Beispiele dafür sind „The Sage“ – ein von ELP komponiertes „Bild“ – und „The Hut Of Baba Yaga“. „The Old Castle“ überführen sie gar in eine mitreißende Bluesnummer. Den Abschluss des Albums bildet „Nutrocker“, die rockige Version des „Marschs der Zinnsoldaten“ aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Balletmusik „Der Nussknacker“. ELP nahmen ihre mitreißende Interpretation des MussorgskiWerks am 26. März 1971 live in der Newcastle City Hall auf, Emerson spielte auf der dortigen Orgel, und die in der Klavierfassung nur angedeuteten Glockenschläge in „The Great Gates Of Kiev“ werden von Carl Palmer auf einer Kirchenglocke gespielt, die er zu diesem Zweck in der gf Nähe seines Schlagzeugs aufstellen ließ. ZUM WEITERHÖREN
Procol Harum: Live In Concert with the Edmonton Symphony Orchestra (1972) – Bei dieser Band drängte sich eine klassische Bearbeitung der Songs geradezu auf. Ein Riesenerfolg in den USA mit einem mitreißenden „Conquistador“ Emerson, Lake & Palmer: Welcome Back My Friends To The Show That Never Ends – Ladies and Gentlemen … (1974) – Wenn Progressive Rock ausufert: Auf den sechs Seiten der drei LPs finden sich herrliche Musikmomente sonder Zahl
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1971
George Harrison & Friends: The Concert For Bangladesh (Apple)
Er ist heute quasi vergessen: der Bangladesch-Krieg zwischen Pakistan (damals Westpakistan) und Bangladesch (damals Ostpakistan), in den auch Indien eingriff. Einer der Auslöser des Kriegs war der verheerende Bhola-Wirbelsturm im November 1970. Die katastrophalen Folgen beider Ereignisse: Sturmfluten von bis zu zehn Metern Höhe, fast eine halbe Million Tote, rund zehn Millionen Menschen heimat- und obdachlos auf der Flucht, Schäden in Höhe von knapp 90 Millionen US-Dollar. Weil die Beatles ohnehin Geschichte waren und seine Solokarriere gut anlief, organisierte George Harrison kurzerhand Hilfe, gemeinsam mit dem indischen Musiker Ravi Shankar: Die zwei Konzerte, die am Nachmittag und am Abend des 1. August 1971 im Madison Square Garden in New York vor 40.000 Menschen stattfanden, gelten heute als die ersten Benefizveranstaltungen der Pop-und Rockgeschichte. Um Werbung zu machen, nahm Harrison eine eigene Single auf: „Bangla Desh“. Zum Konzert kamen dann alle, die Harrison gerufen hatte, unter anderem der Ex-Beatle Ringo Starr, Bob Dylan, Billy Preston, Leon Russell, die Band Badfinger, Jim Keltner, Klaus Voormann, sogar der drogenkranke Eric Clapton. Für Dylan war es der erste Liveauftritt seit August 1969, Harrison selbst war seit Dezember 1969 auf keiner Bühne gestanden – seit die Beatles aufgehört hatten, live zu spielen. Es ging zwar um den guten Zweck, das All-Star-Ensemble war aber auch in glänzender Spiellaune und bot ganz hervorragende Musik. Ravi Shankar begann nach einer Einführung von Harrison mit dem fast 17-minütigen „Bangla Dhun“, Harrison selbst glänzte unter anderem mit seinen Songs „My Sweet Lord“, „While My Guitar Gently Weeps“, „Something“, „Here Comes The Sun“ und lieferte sich dazu immer wieder Gitarrenduelle mit Clapton. Ringo Starr durfte sein „It Don’t Come Easy“ zum Besten geben. Dylans Auftritt gehörte zu den absoluten Highlights – sangeslustig wie selten trug er seine großen Songs aus den 60ern vor: „Blowin’ In The Wind“, „A Hard Rain’s A-Gon-
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na Fall“, „Mr. Tambourine Man“, „Just Like A Woman“ und „Love Minus Zero/No Limit“ (was aber erst auf der 2005 erschienenen Doppel-CD als Bonustrack zu hören war). Rund vier Monate nach den beiden Konzerten erschien das von Phil Spector koproduzierte Dreifachalbum, chartete weltweit und erhielt 1973 einen Grammy für das beste Album des Jahres. Auch war dieser Konzertabend Vorbild für vieles, was erst Jahre später kommen sollte: Live Aid, Farm Aid und andere Benefizveranstaltungen. Wichtiger war aber, dass Konzert und Platte die Katastrophe in Asien ins Bewusstsein der Menschen rückten. Allein der Verkauf der Eintrittskarten brachte über 243.000 Dollar, die Harrison an die Unicef überwies. Noch im Dezember 1971 kamen weitere 3,75 Millionen hinzu – Geld, das durch die Albumvorbestellungen verdient worden war. Alle Tantiemen gehen gf seither ebenfalls jährlich an die Hilfsorganisation. ZUM WEITERHÖREN
John Lennon: Live Peace In Toronto 1969 (1969) – Eine schräge Sache, denn der Beatle stellte seine Band erst am Tag vor dem Konzert zusammen
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1971
The Allman Brothers Band: At Fillmore East (Capricorn)
Was für ein Auftakt: Mit Blind Willie McTells „Statesboro Blues“ erweist die Band gleich mal einem der einflussreichsten Bluesmusiker der USA ihre Reverenz – der Song rollt nach einem Slide-Gitarrenintro unwiderstehlich los, und Gastmusiker Thom Doucette legt ein feines Mundharmonikasolo hin. The Allman Brothers Band – das ist Southern Rock vom Feinsten, mit einer großen Dosis Blues. Für die Aufzeichnung dieser Liveplatte ist die Band in Original-, das heißt Bestbesetzung angetreten: Duane Allman und Dickey Betts an den Gitarren, Gregg Allman an Orgel und Klavier, Berry Oakley am Bass, Jamoe und Butch Trucks an den Schlagzeugen. Was die Band so einzigartig klingen lässt, ist eine Änderung der Hierarchie im Zusammenspiel der Instrumente: Die übliche Dominanz der Lead- über die Rhythmusgitarre wurde aufgegeben. Stattdessen solieren Allman und Betts gleichberechtigt – wenn sie nicht gleich zwei-
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stimmig spielen. Die Gitarristen prägen dabei auf unterschiedliche Weise den Sound der Band: Duane mit schwebenden, gedehnten Slideklängen und schmelzenden Slowakkorden, Betts mit manchmal singenden, dann wieder scharf und kantig eingesetzten Sololäufen. Die beiden Schlagzeuger weben dazu einen so dichten Rhythmusteppich, dass selbst Oakley mit seinem pulsierenden Bass als dritter Solist wirken kann. Die Fill-ins von Gregg Allmans Orgel runden den Klang perfekt ab. Es ist schwer, Highlights zu benennen, denn die Band rockte wie aus einem Guss, sodass es egal war, ob sie eigene Stücke wie zum Beispiel „In Memory Of Elisabeth Reed“, „Midnight Rider“ und das fast 23minütige „Whipping Post“ spielte oder sich einiger Fremdkompositionen annahm. Genannt seien nur „Trouble No More“ von Muddy Waters, der in den Credits aber mit seinem Geburtsnamen McKinley Morganfield firmiert, das seidenweich gespielte „Stormy Monday“ von T-Bone Walker und das Elmore-James-Stück „Done Somebody Wrong“. Das Album wurde im Fillmore East in New York City am 12./ 13. März und am 27. Juni 1971 aufgenommen. Der Juni-Termin war ein „Invitation only“-Konzert, das letzte in der „Church of Rock and Roll“ – der legendäre Club schloss direkt danach. Kurz darauf starb auch Gregg Allman bei einem Motorradunfall und wurde durch Chuck Leavell ersetzt. Für die Band bedeutete das Album den endgültigen Durchbruch. Der Platte selbst wurde später noch eine große Ehre zuteil: 2004 wurde sie in die „Library of Congress“ aufgenommen und für die Ewigkeit archiviert – wegen ihrer „kulturellen, historischen und ästhetischen Begf deutung“. ZUM WEITERHÖREN
Greatful Dead: Live Dead (1969) – Ein Zusammenschnitt mehrerer Konzerte mit einem herrlichen „Dark Star“ und Jerry Garcia in stupender Spiellaune Little Feat: Waiting For Columbus (1978) – Lowell George und Band in Höchstform. Anspieltipps: „Willin’“, „Time Loves A Hero“, „Rocket In My Pocket“, „Sailin’ Shoes“
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1972
Deep Purple: Made in Japan (Parlophone)
Mit „Deep Purple In Rock“ (1970), „Fireball“ (1971) und „Machine Head“ (1972) hat die britische Hardrockband Deep Purple in rascher Folge drei Alben voller Rockklassiker veröffentlicht, die Musiker sind auf Dauertournee. Auch Japan steht im Fokus der musikalischen Welteroberung: Einige Singles sind dort in den Charts gelandet, die geplanten Konzerte in Tokyo und Osaka am 15., 16. und 17. August 1972 sollen für ein Livealbum aufgenommen werden, das aber nur in Japan erscheinen soll, weil Liveplatten bei europäischen und vor allem USLabels äußerst unbeliebt sind. Es kommt anders. Als Ian Paice, Roger Glover und das Management die fertige Platte im Studio anhören, finden sie sie so gut, daß sie die Plattenfirma drängen, den Livemitschnitt doch weltweit zu veröffentlichen und die bereits eingespielte nächste Studioplatte „Who Do We Think We Are“ mehr als ein Jahr lang zurückzuhalten. Eine Entscheidung, die richtiger nicht sein konnte, wie Jon Lord bestätigte: „In rund zwei Wochen hatten wir mit ‚Made In Japan‘ Platin gewonnen.“ Heute ist es kaum noch vorstellbar, mit nur sieben Songs ein Doppelalbum zu füllen. Aber die meisten Nummern werden mit druckvollen Improvisationen angereichert – es ist der unglaubliche Spielwitz und die Virtuosität der Musiker, die es möglich machen. Allein „Space Truckin’“ dauert live fast 20 Minuten und bietet Raum für Lords herrlich Lesley-lastige Orgel und Ritchie Blackmores filigrane, flirrende und doch energetische Gitarrensoli. „Highway Star“ ist der treibende Opener der Konzerte, im zwölfminütigen „Child In Time“ stellt Ian Gillan seine mehroktavige Stimme und seine Qualitäten als Shouter unter Beweis, und „Smoke On The Water“ glänzt mit dem wohl bekanntesten Hardrockriff aller Zeiten. „The Mule“ reichert Drummer Ian Paice mit einem ausgiebigen Schlagzeugsolo an, „Strange Kind Of Woman“ enthält ein unterhaltsames Gitarre-Gesangs-Duell, und „Lazy“ ist eine fröhliche
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R&B-Nummer. Zwischendurch bringen die Musiker ihren Hardrock gar zum Swingen. Die epische Wucht der Musik, die auf der Bühne offen ausgetragenen Feindseligkeiten zwischen Blackmore und Lord, von den Fans als spannende musikalische Auseinandersetzungen missverstanden, und die Qualität der Songs machen aus „Made In Japan“ das Hardrocklivealbum der 70er-Jahre und eines der besten der Rockgeschichte. Der gf musikalische Monolith begeistert immer wieder aufs Neue. ZUM WEITERHÖREN
Deep Purple: Made in Japan (2014 Remaster, Limited Super Deluxe Edition) – Enthält alle Japan-Konzerte, die für „Made In Japan“ aufgenommen wurden, und alle damals gespielten Zugaben, z. B. „Lucille“ Deep Purple: Live At The Olympia 96 (1997) – Reifes Spätwerk mit dem Blackmore-Nachfolger Steve Morse Uriah Heep: Live (1973) – Auch melodischer Hardrock funktioniert auf der Bühne
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1972
The Band: Rock Of Ages – The Band In Concert (Capitol)
Nach dem großen Erfolg ihres ersten und trendsetzenden Albums „Music From Big Pink“ (1968) kommentierte Gitarrist Robbie Robertson etwas sarkastisch: „Lange genug haben die Leute eine Konservendose als Kunst angesehen und sich an Rückkopplungsgeräuschen berauschen müssen. Jetzt sagen sie: Lasst uns mal wieder eine richtige Story hören, wir haben die Wahrheit lange vermisst.“ Eine Aussage, die alles erklärt, was The Band ausmacht: Die fünf Musiker Jaime „Robbie“ Robertson, Rick Danko, Garth Hudson, Levon Helm und Richard Manuel beherrschen zusammen 15 Instrumente, lehnen die psychedelischen Lärmorgien zeitgenössischer Bands ab und wollen einfach wieder Geschichten erzählen. Ihre HandmadeMusik klang dabei so rustikal, als hätten sie das Archiv der US-Volks-
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musik geplündert: Mal scheppert ein Ragtimeklavier, Hillbillygeigen und Dixielandanklänge sind zu vernehmen, dazu mischen sie etwas Rock ’n’ Roll mit einer Prise Folk und schmecken das Ganze mit Soul ab. Die Texte fallen dementsprechend aus: Da schüttet es zwar in Strömen, aber die Arbeit muss getan werden („Get Up Jake“), sie besingen den Untergang der Südstaaten („The Night They Drove Old Dixie Down“) und einen Beinahe-Mord („Across The Great Divide“). Viele ihre dicht arrangierten und wechselseitig vorgetragenen Songs waren sofort Klassiker – auch weil es diesen Stilmix in der populären Musik so bis dahin nicht gegeben hatte. All das bündelt sich perfekt auf „Rock Of Ages“, ihrem hochgelobten ersten Livealbum. Für den Mitschnitt mieteten sie vom 28. bis 31. Dezember 1972 einen Saal in der Academy of Music in New York City und beauftragten den Songwriter und Produzenten Allen Toussaint, Bläsersätze zu ihren Songs zu schreiben, was ohnehin bärenstarken Nummern wie „Stage Fright“, „This Wheel’s On Fire“, „Rag Mama Rag“, „The Weight“, „The Shape I’m In“ und „Life Is A Carnival“ noch zusätzlich Kraft verleiht. Die Konzerte beginnen und enden jeweils mit einer Coverversion – Marvin Gayes „Don’t Do It“ und Chuck Willis R&B-Hit „(I Don’t Want To) Hang Up My Rock And Roll Shoes“ aus dem Jahr 1958. Erst auf der Doppel-CD-Ausgabe von 2001 ist in den Bonustracks zu hören, dass ihr ehemaliger und zukünftiger Arbeitgeber Bob Dylan ebenfalls zu Gast war und vier Songs gemeinsam mit ihnen spielte: „Down In The Flood“, „When I Paint My Masterpiece“, „Don’t Ya Tell gf Henry“ und „Like A Rolling Stone“. ZUM WEITERHÖREN
Bob Dylan and The Band: Before The Flood (1974) – Dylans erste Konzerttournee nach seinem Motorradunfall 1966 – mit der besten Begleitcombo, die er je hatte. Nur verweigerte His Bobness das Singen leider fast völlig The Band: The Last Waltz (1976) – Spektakuläres und legendäres Abschiedskonzert nach 16-jähriger Karriere, mit vielen Gaststars und von Martin Scorsese filmisch dokumentiert
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1972
Neil Diamond: Hot August Night (MCA)
Der 1941 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Neil Diamond ist einer der erfolgreichsten Songwriter aller Zeiten. Bereits in den 60erJahren schrieb er in der legendär-berüchtigten Autorenfabrik im Brill Building unter anderem „Red Red Wine“, später ein Hit für UB40, und „I’m A Believer“ für die TV-Beat-Band The Monkees. Spätestens ab Ende 1967/Anfang 1968 startete er richtig durch und wurde zum Superstar. Dass er aber auch als Sänger ein Riesenpublikum begeistern konnte, bewies er ausgerechnet an dem Ort, von dem er in „I Am ... I Said“ noch sang: „L.A.’s fine but it ain’t home“ – in Los Angeles, im Greek Theatre. Was er dort am 24. August 1972 auf die Bühne brachte, war nicht nur eine „feine Präsentation des kompletten Spektrums“ seiner Arbeit, wie der Rolling Stone damals bewundernd schrieb, es war die perfekte Show eines Künstlers, der spielerisch mit seinem Werk umging. Auf dem Doppelalbum und erst recht in den umfangreicheren CD-Veröffentlichungen von 2000 und 2012 zeigt sich, dass Diamond in seiner ungeheuren Menge an Hits mit einfachen Worten große Geschichten erzählt – etwa beim autobiografischen „Soggy Pretzels“ und bei „Brother Love’s Travelling Salvation Show“, das er zum Schluss des Konzertes mit dem schmissigen „Soolaimon“ verbindet. Die – Neil Diamond mitgerechnet – achtköpfige Band und die riesige String-Section sorgen für Opulenz, die den Stücken aber nicht schadet, weil sie trotzdem nie überladen wirken. Über allem thront sowieso der sehr virile, unbeugsam und sexy wirkende Sänger, der in der Lage ist, sogar das Streichorchester zu übertönen. Und dies auch tut. Dieses Live-GreatestHits-Album kam heraus, als die meisten Songs noch einigermaßen frisch waren: „Song Sung Blue“, „Sweet Caroline“, „Solitary Man“, „Girl You’ll Be A Woman Soon“, „Holly Holy“ – kein Lied war beim Auftritt in L.A. älter als fünf, sechs Jahre. In dieser kurzen Zeit war Diamond mit 30 Liedern in den US-Charts vertreten.
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Es war noch viel übrig: Die beiden Veröffentlichungen anlässlich des 30. bzw. 40. Jubiläums der heißen Augustnacht enthalten weitere Hits, ebenso beeindruckend inszeniert wie die Stücke der originalen Doppel-LP. Da finden sich etwa das famose „Walk On Water“ von der 1972er-Platte „Moods“ und – nur auf der letzten Ausgabe von „Hot August Night“ – „Gitchy Goomy“, „Modern Day Version Of Love“ und eine melancholische Interpretation von Randy Newmans „I Think It’s Going To Rain Today“. Es ist die einzige Coverversion, die Diamond an diesem Abend vorträgt. Der Künstler hat sich mit diesem Monument endgültig vom Vorurteil, ein reiner Hitschreiber zu sein, freimp geschwommen. ZUM WEITERHÖREN
Neil Diamond: Hot August Night II (1987) – Inklusive „You Don’t Bring Me Flowers“ und „Love On The Rocks“ Neil Diamond: Hot August Night/NYC (2009) – Mit Stücken der beiden von Rick Rubin produzierten Comeback-CDs „12 Songs“ und „Home Before Dark“
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1973
Creedence Clearwater Revival: Live In Europe (Fantasy)
Die US-Rockband Creedence Clearwater Revival (CCR) zeigte schon längere Zeit Auflösungstendenzen. Auf der LP „Pendulum“ (1970) hatte Gitarrist, Sänger und Mastermind John Fogerty das Ruder komplett an sich gerissen, alle Songs komponiert und arrangiert, seine Kollegen zu reinen Statisten degradiert. Das wollte sein Bruder und Rhythmusgitarrist Tom Fogerty nicht mitmachen – er verließ die Band in bitterem Streit. Das demokratischer organisierte Nachfolgealbum „Mardi Gras“ (1972) belegte dann nur eines: Die besten Songs hatte nun einmal John drauf, zum Beispiel „Sweet Hitch-Hiker“. Die Beiträge des Bassisten Stu Cook und des Schlagzeugers Doug Clifford waren bestenfalls Mittelmaß. Die Folge: CCR lösten sich 1972 auf. Die zum Trio geschrumpfte Band ging im September 1971 auf Tour – zum ersten Mal auch nach Europa. Als die mitgeschnittenen
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Konzerte 1973 endlich auf Platte erschienen, gab es CCR also schon nicht mehr. Deswegen kann dieses Livealbum, das nach dem Ende einer Karriere herauskam, in der CCR in den USA lange Zeit sogar erfolgreicher als die Beatles gewesen waren, als Abschied und Vermächtnis angesehen werden. Es ist daher doppelt schade, dass die CCR-Plattenfirma Fantasy mit diesen Aufnahmen so liederlich und lieblos umging: Es rauscht, es knistert, die Tonqualität ist bestenfalls lau. Kein Wunder, dass sich John Fogerty gegen die Veröffentlichung stemmte. Deswegen sei an dieser Stelle auf eine gründlich überarbeitete Japan-Version von JVC/Victor Entertainment hingewiesen, die 1998 erschien und immer noch zu bekommen ist. Sie eliminiert fast alle Aufnahmefehler, versetzt den Hörer quasi mitten ins Konzert und vermittelt einen klaren Eindruck davon, wie inspiriert und druckvoll CCR auch als Trio zu Werke gingen. Schließlich mussten alle Songs überarbeitet werden, weil sie ursprünglich ja als Quartett eingespielt worden waren. Das gelang, und wie: Clifford legte mit seinem grundsoliden Beat das Fundament, Cook am Bass ließ mit seinen akrobatischen Läufen und Bassakkorden die fehlende Rhythmusgitarre vergessen, während John Fogerty sich an der Gitarre und beim Gesang zu virtuosen Höhen aufschwang. Auch wenn die Doppel-LP mit einer Spielzeit von knapp über 45 Minuten wahrhaft kurz ist – sie bietet dennoch ein Best-of der CCR-Zeit: Von „Born On The Bayou“ und „Suzie Q“ über „Travelin’ Band“ und „Fortunate Son“ bis hin zu „Proud Mary“ und „Hey Tonight“ sind alle Songs dabei, die einst die Hitparaden der Welt enterten. Der Höhepunkt aber ist das fast 13-minütige „Keep On Chooglin’“ – ein Rockkracher, der noch heute staunen lässt und für CCR den würdigsten Abschied dargf stellt, den man sich vorstellen kann.
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John Fogerty: Comin’ Down The Road – The Concert At Royal Albert Hall (2009) – 37 Jahre nach seinem ersten Auftritt wieder in London zu Gast: ein mitreißendes Konzert (nur auf DVD)
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1973
Elvis Presley: Aloha From Hawaii Via Satellite (RCA)
Nach etwa einer Stunde lässt sich Elvis Presley ein weißes, violett gefüttertes Cape umhängen und zelebriert „Can’t Help Falling In Love“. Danach werden die Hände der Fans in der ersten Reihe geschüttelt, und das erste je via Satellit übertragene Konzert eines Solokünstlers ist vorbei. Am 14. Januar 1973, sechs Tage nach seinem 38. Geburtstag, ist der „King“ im International Convention Center von Honolulu aufgetreten, und 40 Länder waren live dabei. Die Fans in den USA bleiben allerdings zunächst außen vor, dort strahlt NBC die Show erst am 4. April aus. Elvis singt fantastisch, die Stimme ist kraftvoll und elegant, was auf dem weltweit sehr erfolgreichen Doppelalbum zu dieser TV-Gala deutlich zu hören ist. Auf eigene Hits verzichtet der „King“, wenn man von „Can’t Help ...“, „Fever“, „Hound Dog“, „Suscpicious Mind“, Carl Perkins’ „Blue Suede Shoes“ und „Big Hunk Of Love“ absieht. Stattdessen singt er Stücke anderer Interpreten, macht sie sich genauso zu eigen wie er es mit Big Mama Thorntons „Hound Dog“ und Little Willie Johns bzw. Peggy Lees „Fever“ gemacht hat: Was nach der Ouvertüre, nach „Also sprach Zarathustra “ von Richard Strauss, folgt, ist ein unglaublicher Mix, den Elvis mit seiner Präsenz zu einem stimmigen Ganzen verschmilzt. Er singt „I’ll Remember You“ von dem hawaiianischen Songwriter Kui Lee, an dessen Krebsstiftung die Einnahmen des Konzertes gehen, croont sich durch das von Ray Charles bekannte Don-Gibson-Stück „I Can’t Stop Loving You“ und macht die Seelenpein von Hank Williams’ „I’m So Lonely I Could Cry“ spürbar. George Harrisons „Something“, Gilbert Bécauds „Et maintenant“ („What Now My Love“) und James Taylors „Steamroller Blues“ zeigen, dass Presley nicht zwischen Pop, Country und Blues unterscheidet. Mit der „American Trilogy“ verbindet der „King“ drei Lieder aus dem 19. Jahrhundert, darunter „Battle Hymn Of The Republic“.
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51 Prozent aller US-Amerikaner sehen im April 1973 dann ebenfalls die Ausstrahlung der Show – sie enthält nun fünf Songs mehr als die ursprüngliche Satellitenübertragung. Auf Tonträger sind diese Lieder, darunter das herrliche „Early Morning Rain“ des Kanadiers Gordon Lightfood und das durch Bing Crosby, Frank Sinatra und Presley selbst bekannt gewordene „Blue Hawaii“ aber erst im September 1978, ein gutes Jahr nach Presleys Tod, auf der LP „Malaho From Elvis“ zu finden. Zwischen ein- und eineinhalb Milliarden Menschen, so die unterschiedlichen Schätzungen, haben die Show live oder als Aufzeichnung gesehen, die Platte „Aloha From Hawaii Via Satellite“ war weltweit ein Riesenerfolg. Zu Recht, denn Elvis zeigte sich noch einmal von seiner mp besten Seite. ZUM WEITERHÖREN
Elvis Presley: From Memphis To Vegas/From Vegas To Memphis (1969) – „From Memphis …“ ist ein live eingespieltes „Best-OfAlbum“, „From Vegas …“ ein Studiowerk Elvis Presley: Elvis In Concert (1977) – Die letzten Liveaufnahmen des Kings, entstanden bei zwei Shows im Juni 1977
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1973
Yes: Yessongs (Atlantic)
Vier Alben hatten Yes seit 1970 veröffentlicht und sich in dieser Zeit von einer ambitionierten Popband („Time And A Word“) zu Vorreitern des Progressive Rock entwickelt – vor allem durch die Meisterwerke „The Yes Album“ (1970), „Fragile“ (1971) und „Close To The Edge“ (1972), die Platte, mit der sich noch heute zahlreiche Musikwissenschaftler beschäftigen. 1973 veröffentlichten die Musiker dann die Dreifach-LP „Yessongs“ – und belegten eindrücklich, dass sie auch live zu den besten Musikern ihrer Zeit zählten. Die Aufnahmen fanden auf zwei Tourneen zwischen Februar und Dezember 1972 statt, die vor allem die Songs der letzten beiden Platten live präsentierten. Yes schaffen das für viele kaum vorstellbare Kunststück, ihre artifiziellen und ausgefeilten Songsuiten packend auf die Bühne zu bringen und dazu noch fast jedem Musiker Raum für
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Soloauftritte lassen. Das Konzert beginnt mit Auszügen aus „Der Feuervogel“ von Igor Stravinski – was Yes lange Jahre beibehalten werden – und geht unmittelbar in „Siberian Kathru“ über, das die Band live noch packender und präziser als auf Platte spielt. Jon Andersons Stimme ist ohnehin unverkennbar, und wer je an den Rockqualitäten von Yes zweifelte, muss sich nur das treibende Riff zu Beginn von „Perpetual Change“ und das grandiose Drumsolo von Bill Bruford anhören, das es so nur auf dieser Platte gibt. Wenig später stellt Steve Howe mit dem melodischen Instrumental „Mood For A Day“ seine enormen Fähigkeiten auch auf der akustischen Gitarre unter Beweis, und Keyboarder Rick Wakeman spielt Auszüge aus seinem Solowerk „The Six Wives Of Henry VIII“ – die besten und mitreißendsten. Natürlich ist auch der Minihit „Roundabout“ mit dabei, „Close To The Edge“, „Starship Trooper“ und weitere raumgreifende Stücke. Nur der Vollständigkeit halber: Bei allen bis auf zwei Songs trommelte bereits Alan White, weil es Bruford in Richtung King Crimson zog. Der von Peter Neal beim letzten Auftritt am 15. Dezember 1972 im Rainbow Theater in London gedrehte Konzertfilm zur Tournee kam 1975 ins Kino – optisch immer ein Highlight: der in einen weit wallenden Glitzermantel gekleidete Wakeman. Noch 1973 veröffentlichten Yes das Werk, das ihren Status als beste Progrock-Band für immer festigen sollte: „Tales From Topographic Oceans“ – aber das ist eine andere Geschichte. Nach „Relayer“ (1974) und „Going For The One“ (1977) schlug die britische Band dann für lange Jahre eher herkömmgf liche Rockwege ein. ZUM WEITERHÖREN
Genesis: Live/The Way We Walk. Volume One: The Shorts (1992) – Alle Pop-Singlehits der Band, inklusive „I Can’t Dance“ Genesis: Live/The Way We Walk. Volume Two: The Longs (1993) – Die Progrock-Meisterwerke der Frühzeit mit „The Lamb Lies Down On Broadway“ und „The Musical Box“ Yes: Like It Is – At The Bristol Hippodrom (2014) – Auch die späten Yes haben nichts von ihrer Meisterschaft verloren
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1974
The Doors: Absolutely Live (Elektra)
Es gibt einfachere Wege, ein Livealbum zusammenzustellen. Für dieses wurden zwischen August 1969 und Juni 1970 in den USA zahlreiche Konzerte mitgeschnitten. „Den besten Teil eines Songs aus der Show in Detroit habe ich zum Beispiel mit dem anderen Teil des Songs vom Auftritt in Boston penibel genau zusammengefügt“, sagte Paul A. Rothchild 1983 in einem Interview. „Ich wollte das ultimative Konzert kreieren. Es müssen etwa 2000 Schnitte auf dem Album sein.“ Fachmännischen Analysen in späteren Jahren zufolge sind es höchstens fünf, aber darauf kommt es nicht an. Dem Produzenten und langjährigen Wegbegleiter der Doors ist ein unglaublich dichtes, homogenes und kristallklar klingendes Album gelungen, das vor allem Jim Morrison so präsentiert, wie er sich wohl selbst immer gern gesehen hat: als lyrischer Großprediger des Dunklen und düsterer Antipode der Hippiekultur. Noch bevor das Konzert beginnt, muss ein Ansager die Fans auffordern, sich zu beruhigen und wieder zu den Plätzen zu begeben – ansonsten „müssten die Marshalls eingreifen“. Das vermittelt einen kleinen Eindruck davon, wie turbulent es bei Doors-Konzerten mitunter zuging. Dann aber schüttelt Gitarrist Robby Krieger die ersten Riffs aus dem Ärmel, und die Doors, die sich hier mit John Densmore an den Drums und Ray Manzarek an Orgel und Bass auch als exzellente und dynamische Rockband zeigen, steigen in Bo Diddleys „Who Do You Love“ ein. Es folgt der „Alabama Song“ von Brecht/Weill. Auch das 16-minütige „When The Music’s Over“ von ihrem zweiten Album „Strange Days“ haben sie nur selten so intensiv inszeniert wie hier. Zwischendurch rocken sie für ihre Verhältnisse geradezu fröhlich und locker durch Willie Dixons „Close To You“, bevor Morrison in „Universal Mind“ seine unendliche Einsamkeit beklagt. Mit der berühmten Zeile „Is everbody in? The ceremony is about to begin!“ startet er dann in sein Großepos „Celebration Of The Lizard“ – die Form, die ihm die liebste
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war: eine Serie von Gedichten, die er mit Musik – „Not To Touch The Earth“ – und kleinen allegorischen Geschichten vermengte. Auffällig ist, dass die Doors auf dieser Tournee fast völlig auf ihre bekannteren Songs und Hits wie „Light My Fire“, „Crystal Ship“, „Hello I Love You“ und „Touch Me“ verzichteten. Dafür zeigt dieses Doppelalbum noch einmal, wie zwingend und mitreißend die Band und ihr charismatischer Frontmann – abseits aller Skandale – spielen konnten. Nur ein Jahr später, am 3. Juli 1971, starb Jim Morrison unter ungeklärten Umständen in Paris. Die verbliebenen drei Doors-Mitglieder nahmen zwei Alben ohne ihn auf, machten sich dann daran, das Erbe zu verwalten, und stellten sich dabei mehr oder weniger geschickt an. Nur: gf Ohne Morrison lief einfach gar nichts mehr. ZUM WEITERHÖREN
The Doors: Live in Vancouver 1970 (2010) – Das fünftletzte Konzert der Band mit einem 17-minütigen „Light My Fire“ – die längste Version, die sie je aufgenommen haben
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1974/ 1975
Lou Reed: Rock ’n’ Roll Animal/Lou Reed Live (RCA)
„Rock ’n’ Roll Animal“ und „Lou Reed Live“ gehören zusammen, denn beide LPs beinhalten Material von demselben Konzert. Allerdings steht jede Platte auch für sich selbst. Reeds Auftritt in Howard Stein’s Academy of Music in New York fand am 21. Dezember 1973 statt. Ein Jahr zuvor feierte der Künstler mit seinem zweiten Solowerk, dem von David Bowie produzierten „Transformer“, seinen kommerziell größten Erfolg, aktuell stand gerade das umstrittene Album „Berlin“ in den Läden. Es sind aber die Jahre mit Velvet Underground, die der in Brooklyn geborene Reed mit „Rock ’n’ Roll Animal“ würdig abschließt. Die Velvets, die ihre kreativsten Momente im Zusammenspiel von Lou Reed und seinem walisischen Widerpart John Cale entfalteten, waren Geschichte. Eine, die im Umfeld von Andy Warhols „Factory“ entstand,
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sich für die Beteiligten nicht rechnete und erst nach dem Aus der Band nachhaltig gewürdigt wurde. Lou Reeds Aufarbeitung ist metallen, sehr hardrocklastig. Für „Berlin“ und die folgende Tour holte er sich die Alice-Cooper-Studiogitarristen Steve Hunter und Dick Wagner. Wohl deshalb klingen die Songs von Velvet Underground nun eher wie eine Mischung aus Black Sabbath und Bowies Spiders From Mars: „Sweet Jane“, „Heroin“, „White Light/White Heat“ und das über zehnminütige „Rock ’n’ Roll“ werfen einen wütenden Blick zurück nach vorn. Ergänzt wird die Original-LP um „Lady Day“, die vom „Berlin“-Album stammende Hymne auf Billie Holiday. Auf „Lou Reed Live“ ist das Verhältnis umgekehrt – mit „Vicious“, „Satellite Of Love“ und dem Hit „Walk On The Wild Side“ stellt die LP „Transformer“ die Hälfte der Tracklist, dazu kommen zwei Songs von der LP „Berlin“: „Sad Song“ und der Höhepunkt „Oh Jim“ , mit fast elf Minuten mehr als doppelt so lang wie auf der Studioplatte. Der einzige Verweis auf Velvet Underground, das von der ersten Platte – der mit der Banane – stammende „I’m Waiting For The Man“, wird hier zum Glamrock-Monster und wirft ein bizarres Licht auf Reeds Drogensucht. Dass die beiden Alben nicht zusammen veröffentlicht wurden, zeigt auch die Zerrissenheit des am 27. Oktober 2013 verstorbenen Lou Reed. Die Zeit bei Velvet Underground hinterließ bei ihm, obwohl er sie immer wieder als prägend bezeichnete, ambivalente Gefühle. An den Stücken dieser Ära kam der begnadete Songwriter nie vorbei – obwohl er speziell in den 80er-Jahren hervorragende Alben veröffentlichte. Auf „Rock ’n’ Roll Animal“ und „Live“ aber verband er die Lieder mit seinen aktuellen Arbeiten – was sich allerdings nur erschließt, wenn mp man beide LPs direkt nacheinander hört. ZUM WEITERHÖREN
John Cale: John Cale Comes Alive (1984) – Enthält ein beängstigendes „Heartbreak Hotel“ und „I’m Waiting For The Man“ The Velvet Underground: Live MCMXCIII (1993) – Reed und Cale trafen sich wieder – und die Chemie stimmte
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1976
Dr. Feelgood: Stupidity (United Artists)
Es sind seltsam durchmischte Zeiten, auch musikalisch: Rick Wakeman, eigentlich Keyboarder der Progrockband Yes, fühlt sich Mitte der 70erJahre bemüßigt, mit „The Myths And Legends Of King Arthur“ britische Geschichte bombastisch zu vertonen. Die Rolling Stones gefallen sich in ihrer neuen Rolle als Steuerflüchtlinge und lassen sich in Südfrankreich nieder. Die Musiker von Led Zeppelin haben jedes Maß verloren und suhlen sich im Gigantismus. Glamrockstars wie David Bowie erfinden sich gerade neu oder wirken, wie Marc Bolan, ausgelaugt. Etwas Entscheidendes fehlt überall: Frische. Die kommt nun, fast muss man sagen: schon wieder, aus englischen Pubs. Von Musikern wie Elvis Costello, Nick Lowe und Ian Dury, von Bands wie Brinsley Schwarz und Dr. Feelgood. Lee Brilleaux (Gesang, Harmonika, Slidegitarre), Wilko Johnson (Gitarre, Gesang), John B. Sparks (Bass) und John „The Big Figure“ Martin (Schlagzeug, Backing Vocals) haben nichts für Verspieltheit übrig: So schnörkellos wie ihre Musik ist auch ihr Erscheinungsbild. Sie tragen eng und scharf geschnittene Anzüge, geben sich cool und unnahbar und tragen bereits wieder kurzes Haar. Dr. Feelgood rocken ihr Publikum fast jede Nacht mit energiegeladenem Rock ’n’ Roll, eingängigen Drei-Minuten-Songs und knackigen Mitsingrefrains. Die Working-Class-Band arbeitet hart: Sie spielen Hunderte Konzerte pro Jahr. Kein Wunder, dass sie sich nach den ersten beiden Platten „Down By The Jetty“ und „Malpractice“ entscheiden, ein Livealbum aufzunehmen, das bei zwei Konzerten Ende 1975 in Sheffield und Southend-on-Sea mitgeschnitten wird. Abgemischt und produziert wird „Stupidity“ von Vic Maile (Motörhead, The Kinks) und der Band selbst. Es erscheint im Oktober 1976 und erklimmt unmittelbar Platz eins der britischen Charts – für eine Liveplatte eine nie dagewesene Sensation. Das Album bietet eine explosive Mischung aus rauen und ent-
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schlackten Coverversionen („Johnny B. Goode“ von Chuck Berry, „I’m A Man“ von Bo Diddley, Leiber & Stollers „Riot In Cell Block No 9“) und schnörkellosem eigenem Songmaterial („She Does It Right“, „Back In The Night“, „Roxette“). Lee Brilleaux kann jedem R&B-Sänger das Wasser reichen, egal ob er nun Eric Burdon oder Mick Jagger heißt, Wilko Johnson wiederum packt einen manischen Gitarrenlauf nach dem anderen aus und prügelt messerscharfe Riffs von der Bühne und aus den Boxen. Es sollte nur noch wenige Wochen dauern, bis die Sex Pistols, The Clash, The Jam, Elvis Costello, Graham Parker und all die anderen Musiker einer neuen Generation groß auf der Bildfläche erscheinen. Den Boden für ihren Erfolg aber haben neben The Who, The Kinks & Co. vor allem Dr. Feelgood bereitet. Die musikalische Frische war zurück. gf ZUM WEITERHÖREN
Elvis Costello & The Attractions: Live In Germany (1978) – Mitschnitt des Auftritts im Kölner Rockpalast. Einer der Höhepunkte: „Two Little Hitlers“, ein herrlich verschrobener Lovesong
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1976
Henry Cow: Concerts (Caroline)
1968 lernt die Popmusik gerade im großen Stil das Laufen, statt Singles stehen zunehmend Alben im Mittelpunkt des Interesses, und die Beatles präsentieren ihr spätes Meisterwerk „The Beatles“, das bald nur noch „Weißes Album“ genannt wird. In diesem Jahr entsteht mit Henry Cow aber auch eine der spannendsten Artrockbands der Musikgeschichte, die sich nicht nur daran macht, die Popmusik quasi sofort in all ihren Spielarten zu dekonstruieren, sondern sich im Verlauf der Jahre auch als Nukleus für unzählige andere, äußerst ambitionierte Formationen entpuppt. Ihre Stilmittel: Anleihen beim Jazz, der Zwölftonmusik, bei zeitgenössischer Avantgarde und moderner Klassik, die Integration von bluesigen und atonalen Elementen, freie Improvisation. Und all das auf der Grundlage fundierter musikalischer Ausbildungen. Henry Cow entsteht im Umfeld der sogenannten Canterbury-Szene, zu dieser Zeit das Sammelbecken hochbegabter Musiker aus einem dezidiert als „Neue Linke“ erklärten Umfeld. Die wichtigsten Protagonisten sind die beiden Bandgründer, Ausnahmegitarrist Fred Frith und Saxophonist Tim Hodgkinson, sowie Bassist John Greaves und Schlagzeuger Chris Cutler. 1974 stößt Lindsay Cooper dazu, die mit ihren Kompositionen und ihren Instrumenten Fagott und Oboe (!) den Henry-Cow-Stücken eine sehr eigene Aura verleiht. Diese Besetzung ist für einige Jahre die stabilste und legt nach LPs wie „Legend“, „Unrest“ und „In Praise Of Learning“ das Livealbum „Concerts“ vor. Die Stücke setzen sich zusammen aus Cows letzter John-Peel-Session, Auszügen eines gemeinsamen Konzerts mit Robert Wyatt im New London Theatre im Mai 1975 sowie Aufnahmen aus Udine (Italien), Oslo (Norwegen) und Groningen (Niederlande). Auf den ersten zwei Seiten der Doppel-LP finden sich Bandkompositionen wie das augenzwinkernde „Nirvana For Mice“, das zweigeteilte „Beautiful As The Moon“ und das grandiose „Ruins“. Die Seiten drei und vier bestehen ausschließlich aus improvisierter Musik. Bis heute unübertroffen ist
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die glühende Intensität der Musik, die oft kühl kalkuliert wirkt, aber gerade deswegen so perfekt umgesetzt wird. Die Folge: Henry Cows Einfluss auf die alternative Musikszene der kommenden Jahrzehnte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nach dem Ende von Henry Cow tauchen die Musiker in den unterschiedlichsten Bands auf, zum Beispiel bei Massacre (Frith), Art Bears (Cutler, Frith), Pere Ubu (Cutler), Aksak Maboul (Cutler, Frith) und National Health (John Greaves). Tim Hodgkinson und Lindsay Cooper gastieren auf Platten von Hatfield & the North, Egg und Steve Hillage. gf ZUM WEITERHÖREN
Henry Cow: Legends (1973) – Das fulminante Debütalbum Fred Frith: Live in Japan (2010) – Gitarrenimprovisationen und -klänge pur, schon 1981 aufgenommen Lindsay Cooper: Oh Moscow (1991) – Songzyklus über den Kalten Krieg in Europa Pere Ubu: 390 Degrees Of Simulated Stereo: Ubu Live Volume One (1981) – Endzeitmäßig und zerstörerisch klingender Abschied vom Punk
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1976
Peter Frampton: Frampton Comes Alive! (A&M)
Es geschehen noch Wunder: Niemand, schon gar nicht Peter Frampton selbst, rechnete mit dem Riesen-Hype um „Frampton Comes Alive!“. Das Doppelalbum, das im Sommer 1975 während der US-Tour des englischen Künstlers aufgenommen wurde, verkaufte sich rasch sechs Millionen Mal. Es ist eines der erfolgreichsten Livealben aller Zeiten, obwohl Frampton zuvor vier weitgehend unbeachtete Studioplatten veröffentlichte. Seine Zeit bei The Herd und – an der Seite von Steve Marriott – bei Humble Pie lag schon ein paar Jahre zurück, seine Studioarbeiten mit George Harrison und Harry Nilsson bemerkten nur Fans. Dann kam der Erfolg. Die „Hauptschuld“ daran trug wohl die Single „Show Me The Way“, die als Auskoppelung des Albums „Frampton“ zunächst unbemerkt unterging und live dann doch zum TopTen-Hit wurde. Der Unterschied zwischen den Versionen ist ein ener-
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getischer – auf „Frampton Comes Alive!“ bringt der Gitarrist und Sänger eine ungeheure Power rüber. Ohnehin ist der im britischen Beckenham geborenene Künstler sehr virtuos, live erzeugt er eine einzigartige Stimmung: Die Platte wirkt, als wäre sie zugleich im Stadion und in einem kleinen Club aufgenommen worden. Immer und überall lässt Frampton sein Instrument sprechen; die Les Paul Custom klingt so, als erzählte sie eine Geschichte – verbal, aber doch zur Melodie passend mit einem Effektgerät, das Geräusche aus dem Mundraum auf die Gitarre überträgt. Dieser sogenannte „talk box guitar effect“ zieht sich durch das Werk, kommt aber besonders bei den beiden auf „Show Me The Way“ folgenden Hitsingles „Baby I Love Your Way“ und „Do You Feel Like We Do“ zum Tragen. Es scheint fast so, als führten die sechs Saiten das Gespräch mit der im jeweiligen Lied Angebeteten, und nicht der Sänger. Die Songs auf dem Doppelalbum stammen – bis auf die StonesCoverversion „Jumpin’ Jack Flash“ und den Humble-Pie-Klassiker „Shine On“ – von den vorangegangenen LPs. „Wind Of Change“, „Shine On“ und „Show Me The Way“ überzeugten einfach auf der Bühne. „Frampton Comes Alive!“ ist eine großartige Platte, deren Manko es ist, dass sie nicht während eines einzigen Konzerts aufgenommen wurde. Dadurch wirkt sie nicht sehr homogen, aber das stört nur wenig. Merkwürdig ist hingegen, dass der Künstler danach recht rasch wieder in der Versenkung verschwand und den Erfolg nicht wiederholen konnte. Im Gegenteil: Flops wie seine Mittäterschaft am recht gruseligen Film „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und Studiowerke wie „The Art Of Control“ und „When All The Pieces Fit“ wurden kaum zur Kenntnis genommen. Nur „I’m In You“, der direkte Nachfolger von „Frampton Comes Alive!“, segelte in dessen Windschatten mp noch bis auf Platz zwei der US-Charts. ZUM WEITERHÖREN
Peter Frampton: Frampton Comes Alive! II (1995) – Enthält die drei großen Hits und Material der Alben aus den 80ern
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1976
Lynyrd Skynyrd: One More (For) From The Road (MCA)
Das Southern-Rock-Septett aus Jacksonville in Florida, das mit gleich drei Leadgitarristen aufwartete, war unglaublich erfolgreich, tourte unermüdlich und gab rund 300 Konzerte jährlich. „Wir nahmen es nie auf die leichte Schulter“, sagte Sänger Ronnie Van Zant damals in einem Interview. „Einmal spielten wir 123 Abende hintereinander. Danach waren wir so was von fertig …“ Dieses Arbeitsethos passt zur bodenständigen Mentalität der Musiker, die so gerne das einfache und klare Leben in den US-Südstaaten besingen und ihre Bühne mit der entsprechenden Fahne und vielen Fässern bestücken. Klar, sie sind ja trinkfeste „Whiskey Rock-A-Roller“, immer unterwegs („Travellin’ Man“), auf der Suche nach dem richtigen Weg und der großen Liebe („Searching“). Sie beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man mit der falschen Frau flirtet und sich unversehens der 44er des Ehemanns gegenüber sieht („Gimme Three Steps“), sie warnen vor Drogen („The Needle And The Spoon“) und wehrten sich gegen die Verunglimpfung ihrer Heimat, als Neil Young ihnen Rückständigkeit und Rassismus vorwarf: „Sweet Home Alabama“ wurde zu ihrem größten Hit. Natürlich holt sich der aufrechte Südstaatenmann seine Ratschläge bei Mama („Simple Man“), und selbst ihre einstige Plattenfirma war ihnen ein Lied wert („Workin’ For MCA“). All diese Songs und noch einige mehr finden sich auf diesem Doppelalbum, das nur deshalb entstand, weil das vorangegangene Studioalbum „Gimme Back My Bullets“ nicht ganz so erfolgreich war wie erhofft. Dann wurde das Album „Frampton Comes Alive“ völlig unerwartet zum Millionenerfolg – in den Monaten zuvor hatte Gitarrist Peter Frampton noch im Vorprogramm von Lynyrd Skynyrd gespielt. Das können wir auch, dachten sich die verwegenen Haudegen. Sie mieteten für ihre Liveaufnahmen vom 7. bis 9. Juli 1976 das Fox Theater in Atlanta, Georgia – und spielten drei atemberaubende Konzerte.
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Dass Lynyrd Skynyrd ihre Geschichten mit unglaublich eingängigen Melodien und fetzigen Riffs ausstatteten, dass sie auch als Musiker einzigartige Fähigkeiten hatten – man höre nur das Dreifachduell der Gitarristen Allen Collins, Gary Rossington und Steve Gaines in „Free Bird“ –, macht dieses Doppelalbum so herausragend und einzigartig. Die Musik ist perfekter Gute-Laune-Rock, auch knapp 40 Jahre nach ihrer Entstehung zeigt sie keinerlei Abnutzungserscheinungen. „One More …“ wurde zum größten Erfolg der Band und noch im Erscheinungsjahr mit Platin ausgezeichnet – was damals einer Million verkauften Exemplaren entsprach. Ein Jahr später schlug das Schicksal zu: Drei Tage nach Erscheinen ihres sechsten Albums „Street Survivor“ stürzte das Flugzeug ab, mit dem die Band auf dem Weg zum nächsten Auftritt war. Unter anderem kamen Sänger van Zant und Gitarrist Gaines ums Leben. Die anderen Bandmitglieder überlebten schwer verletzt. gf ZUM WEITERHÖREN
Bob Seger: „Live“ Bullet (1976) – Straighter, harter Dampfhammerrock vom anderen Ende der USA: aus Detroit
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1976
Wings: Wings Over America (EMI)
Erstaunlich schnell hatte sich Paul McCartney endgültig von John Lennon freigeschwommen und mit seiner Zeit bei den Beatles arrangiert: Schon 1971 gründete er nach zwei Soloalben mit seiner Ehefrau Linda und dem Multiinstrumenten Denny Laine die Wings und schloss sich damit offiziell wieder einer Band an. Die war mit Alben wie „Band On The Run“, „Venus And Mars“ und dem kurz vor dem Dreifach-LiveMammutwerk „Wings Over Amerika“ erschienenen „Wings At The Speed Of Sound“ sehr erfolgreich. 1975 starteten die Wings eine ausgedehnte Welttournee, die über Großbritannien, Australien und Europa nach Amerika und zurück nach Europa führte – aus den US-Konzerten resultierten McCartneys erste Liveaufnahmen vor großem Publikum seit der frühen Beatles-Ära. Die Wings gaben ihm dabei den Rückhalt, sich auch dem übergroßen Vermächtnis zu nähern: Er sang „Yester-
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day“, „I’ve Just Seen A Face“, „Lady Madonna“, „The Long And Winding Road“ und das famose „Blackbird“ vom „Weißen Album“, und er brachte diese sattsam bekannten Songs mit ungeheurer Frische und Spielfreude. Aber „Wings Over America“ ist kein Rückblick auf längst vergangene Zeiten, die so lange gar nicht zurücklagen, es ist die aktuelle Werkschau eines Künstlers, der immer noch und immer wieder große Lieder schrieb: „Band On The Run“, „Let ’Em In“, „Venus And Mars Rockshow“, das McCartney auf der Tour mit dem Hit „Jet“ zu einer Einheit verband, dazu der Wings-Titelsong aus dem James-Bond-Film „Live And Let Die“, „Hi, Hi, Hi“ sowie „Let Me Roll It“ und „Listen To What The Man Said“. Ja, Paul McCartney zeigte, dass er die Betonung bei „Ex-Beatle“ auf „Ex“ legte. Natürlich kann man bei allen Songs der fünf Studio-LPs, die die Wings vor dem Livealbum herausbrachten, auch die Nähe zu den „Fab Four“ hören, denn Harmoniegesang – hier war Paul im Einklang mit Linda und Denny Laine – prägte die Platten. Live ist das Trio perfekt aufeinander abgestimmt, aber auch die Spielfreude der anderen sechs Musiker überrascht, ja überwältigt noch heute, 40 Jahre nach der Veröffentlichung von „Wings Over America“, das zu McCartneys sechstem Nummer-eins-Album nach den Beatles wurde. Erstaunlich ist, dass die Wings auch während dieser Mammut-Tour nicht gelangweilt oder müde zu Werke gingen. Immerhin machte die „Band On The Run“ an 65 Stationen halt. Nach neun Konzerten auf dem siebten Kontinent ging es im Rahmen des „Wings Over The World“-Spektaktels für 31 Shows in die USA und nach Kanada, wo die Truppe von mehr als 600.000 Menschen gesehen wurde. Zum Schluss gaben die Wings noch sieben Konzerte in Europa, eines davon in Deutschland, in der Münchner Olympiahalle, die letzten drei Shows mp fanden im Londoner Empire Pool statt. ZUM WEITERHÖREN
Paul McCartney: Good Evening New York City (2009) – Ganz viel Beatles mit Augenzwinkern und Verve zelebriert
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1977
Jackson Browne: Running On Empty (Asylum)
Die 70er Jahre sind fruchtbar: Die Pop- und Rockmusik ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, viele Musiker belegen ihre Fähigkeiten gerne mit Livealben, die zahlreicher denn je erscheinen. Browne, so etwas wie das schönste singende gesellschaftliche Gewissen der USA, legt mit „Running On Empty“ ein ungewöhnliches Livealbum vor: Es entstand nicht nur auf der Bühne, sondern dokumentiert auch den Alltag eines Musikers und einer Band auf Tour. Folgerichtig wurden die Songs mal auf der Bühne, mal im Hotelzimmer, dann wieder backstage bei der Tonprobe („Rosie“) bzw. gar im Tourbus aufgenommen. „Running On Empty“, der größte Hit des Albums und 1979 für einen Grammy nominiert, wird noch auf der Bühne des Merriweather Post Pavilions in Columbia aufgenommen, „The Road“ – geschrieben von Danny O’Keefe – aber schon in Zimmer 301 des Cross Keys Inn. Browns Textänderungen in „Cocaine“, ursprünglich von Reverend Gary Davis geschrieben und wie auch „Shaky Town“ in Zimmer 124 des Holiday Inn in Edwardsville/Illinois aufgenommen, beschreiben gallig und bitter den Tourneealltag: „Headin’ down Scott, turnin’ up Maine / Looking for the girl who sells cocaine.“ Der Genuss der Droge zeitigt eine seltsame Form von Gleichgültigkeit: „You take Sally and I’ll take Sue / There ain’t no difference between the two.“ Ein anderer Song wirkt besonders eindrücklich und wie eine lockere Jamsession, mit dem herrlichen David Lindley an der Gitarre: „Nothing But Time“ entsteht im Tourneebus – einem Continental Silver Eagle. Im Hintergrund hört man immer wieder den Motor des Busses, das Wechseln der Gänge und die Beschleunigung. Den Abschluss bildet der Doppelsong „The Load-Out/Stay (Just A Little Bit Longer)“, in dem Browne sich noch einmal beklagt: „Wir würden gerne noch bei euch bleiben und weiterspielen, aber wir müssen los und die ganze Nacht hindurch zum nächsten Konzert fahren, nach Chicago … oder
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Detroit? „Stay“ aus dem Jahr 1960 stammt übrigens von The Zodiacs und war im Original mit 1:50 Minuten das kürzeste Lied, das jemals an der Spitze der US-Charts stand. Titel und Optik der Platte sind gut gewählt: „Running On Empty“ steht für „Mir geht die Kraft aus“ und „Der Tank wird leer“, auf dem Cover sind dazu ein Schlagzeug und im Hintergrund eine Straße zu sehen, die sich am Horizont verliert … Das so charmant öffentlich vorgetragene Tagebuch, Brownes fünfte Platte mit Songs, die zwischen Folk, Rock und Rock ’n’ Roll oszillieren, wird zum überwältigenden Erfolg: Es erreicht Platz drei in den Billboard-Charts und hat sich bis dato sieben gf Millionen Mal verkauft. ZUM WEITERHÖREN
James Taylor: Live (1993) – Der legendäre Songwriter auf Bestof-Tournee: mit „Fire & Rain“, „You’ve Got A Friend“ und „Sweet Baby James“
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1978
Bob Marley: Babylon By Bus (Island)
Es ist nicht ganz ohne Ironie, dass es ausgerechnet ein auf Jamaika geborener Weißer war, der Bob Marley, seiner Musik und dem Reggae allgemein auf dem Weg in die weite Welt half: Chris Blackwell, erfolgreicher Eigentümer der Plattenfirma Island Records, produzierte viele Platten von Marley und vielen anderen Reggaemusikern auf eine Art und Weise, die westliche Hörgewohnheiten nicht mehr als nötig herausforderte. Robert Nesta Marley wurde am 6. Februar 1945 im Dorf Nine Miles auf Jamaika geboren. 1967 konvertierte er vom Christentum zum Rasta und verwandelte sich in einen typischen Rastafari mit Dreadlocks und rot-gelb-grünen Mützen. Die Rastafaris berufen sich auf die Bibel, kämpfen gegen die Unterdrückung der Schwarzen und hoffen bis heute auf ihre Heimkehr von Jamaika nach Afrika. Babylon nennen die Rastafaris den Rest der Welt jenseits von Jamaika. Als sich Marley aufmachte, diesen Teil zumindest musikalisch zu erobern, hatte er bereits acht zunehmend erfolgreiche Alben veröffentlicht, darunter das kämpferische „Exodus“. Diesmal wollte er sich vor allem in Europa präsentieren und ließ das Album bei Konzerten in Paris, Kopenhagen, London und Amsterdam mitschneiden. Die Songs, die er im Gepäck hatte, stammten von fast allen seinen Studioalben: Mit „Stir It Up“, „Kinky Reggae“, „Concrete Jungle“ und „No More Trouble“ waren vier Songs von seinem 1973er-Debütalbum „Catch A Fire“ mit dabei. Weitere Reggaeperlen sind „Lively Up Yourself“ und „Rebel Music“ von „Natty Dread“ (1974) und das herrliche kuriose „Rat Race“ von der LP „Rastaman Vibration“ (1976), das Marleys Frau Rita geschrieben hat. „Exodus“ (1977) ist mit dem Titelsong, „Heathen“ und dem unglaublich groovenden „Jamming“ vertreten. Musikalisch unterstützten ihn seit Jahren auf Platten und Konzerten die Brüder Aston (Bass/Gitarre) und Carlton Barrett (Drums), die ein rhythmisches Fundament legen, das solider nicht sein könnte. Im
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Hintergrund sang stets das Trio I-Threes, bestehend aus Rita Marley, Judy Mowatt und Marcia Griffiths. Dass Marleys Songs bis heute so zwingend wirken und begeistern, hat viel mit seinem Glauben zu tun: Die hypnotische Ausstrahlung seiner Texte und Melodien ist oft von religiöser Rhetorik diktiert – das kann man mögen oder nicht. Aber wer hat schon mal zum Alten Testament getanzt? Auch wenn die Reggaemusik sich heute gerne mit vielen anderen Strömungen vermischt: Dieses Doppelalbum erlaubt den Blick zurück in eine Zeit, in der noch gf vieles von einem optimistischen Aufbruchsgefühl bestimmt war. ZUM WEITERHÖREN
Bob Marley: Live! (1975) – Das erste Londoner Konzert des Reggaemeisters mit seiner Version von „I Shot The Sheriff“ und dem herrlichen „No Woman No Cry“ Peter Tosh: Live & Dangerous Boston 1976 (2001) – Marleys früher Wegbegleiter wurde 1987 ermordet. Hier zeigt er sich seinem Meister ebenbürtig: mit einem furiosen „400 Years“
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1979
Queen: Live Killers (Parlophone)
Wie haben die das bloß geschafft? In 16 Jahren spielten Freddie Mercury (Gitarre, Gesang), Brian May (Gitarre), John Deacon (Bass) und Roger Taylor (Drums) über 700 Konzerte, absolvierten so manche Welttournee und waren erfolgreich ohne Ende. Dennoch ließen sie sich lange Zeit, bis sie ihr erstes Livealbum veröffentlichten – zu groß waren die Befürchtungen der Musiker, live nicht so perfekt sein zu können wie im Studio. Was freilich nicht stimmte. Sie waren zudem der Meinung, dass auch live – bis auf den Opernteil von „Bohemian Rhapsody“ – nichts vom Band kommen durfte. Als das Doppelalbum „LiveKillers“ dann endlich erschien, hatten Queen bereits sieben meist begeisternde Alben veröffentlicht, zahlreiche Hits verbucht und gezeigt, dass sie in den unterschiedlichsten musikalischen Stilen zu Hause sind. 1978 war das Album „Jazz“ erschienen, mit dem sie von Ende Oktober bis März 1979 auf Tour waren. Songmaterial war also in Hülle und Fülle vorhanden, und Queen schöpften aus dem Vollen. Das Album beginnt stürmisch mit der schnellen BBC-Version von „We Will Rock You“, gleich darauf bittet Mercury das Publikum: „Let Me Entertain You“. Es folgen „Death On Two Legs“ und „Killer Queen“. Die Musiker zeigten sich als Großmeister der Dramaturgie: Fast immer begannen sie mit schnellen, rockigen Songs, schwenkten dann um zu ihren ruhigeren Liedern – ganz großartig hier: das von Roger Taylor gesungene „I’m In Love With My Car“, „You’re My Best Friend“, „Love Of My Life“ und das flotte „’39“ –, bevor sie gegen Ende mit Rockkrachern wie „Tie Your Mother Down“, „Sheer Heart Attack“ und der langsameren Version von „We Will Rock You“ noch einmal richtig aufdrehten. Klar, dass der Sänger am Schluss guten Gewissens behaupten konnte: „We Are The Champions“, und das Publikum dabei große Teile selber singen ließ. In der Konzertmitte gab es stets zwei Höhepunkte: Mays ausgedehntes dreistimmiges Gitarrensolo in „Brighton Rock“ und natürlich die „Bohemian Rhapsody“, Mercurys
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Signature-Song. Sogar „Keep Yourself Alive“ war auf dieser Tournee im Programm, ihre Debüt-Single von 1973, die es seinerzeit nicht in die Charts geschafft hatte. Wer nie die Gelegenheit hatte, Queen live zu sehen, bekommt mit diesem Doppelalbum mehr als eine Ahnung davon, wie gut und groß diese Band war, wie ausgereift und eingespielt und dabei doch nie in Routine erstarrt – auch weil viele Songs von Auftritt zu Auftritt unterschiedlich interpretiert wurden. Staunend hört man, wie clever der stets flamboyante Sänger Freddie Mercury mit dem Publikum spielte. Das britische Magazin Record Mirror schrieb 1979: „Bringt Champagner und gf Rosen, dieses Album ist ein Triumph.“ ZUM WEITERHÖREN
Queen: Live Magic (1986) – Nach Jahren immer noch gleich kraftvoll und pompös: Die Aufnahmen stammen überwiegend vom Konzert im Knebworth Park in England – es sind die letzten Livemitschnitte von Freddie Mercury
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1979
Ramones: It’s Alive (Sire)
In der Kürze liegt die Würze, zumindest bei der New Yorker Punkband Ramones. Die Setlist auf „It’s Alive“ umfasst 28 Stücke, die Joey, Dee Dee, Johnny und Tommy Ramone durch knapp 55 Minuten Spielzeit jagen. Das kürzeste Lied ist „Judy Is A Punk“ mit einer Minute und 14 Sekunden, „Today Your Love, Tomorrow The World“ und „Here Today, Gone Tomorrow“ dauern minimale 2:40 Minuten. Man lebt und musiziert schnell bei den Ramones, die im bürgerlichen Leben, das sie nicht führen, anders heißen. Namen gehen bei den Gigs der Band sowieso im Schall und Rauch unter. „It’s Alive“ ist der verspätete Schlusspunkt ihrer besten Phase und hetzt im Highspeed durch die ersten drei Studioalben der Gruppe (das vierte mit neuem Drummer Marky war ein halbes Jahr zuvor erschienen). Mit diesen Hymnen, mit „Blitzkrieg Bop“, „Teenage Lobotomy“,
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„Cretin Hop“, „Sheena Is A Punkrocker“ und „Now I Wanna Sniff Some Glue“, zelebrieren sie einfache, schnelle Riffs und eingängige Refrains, die aus dem Groben gehauen wurden, aber dennoch so fein sind, dass sie immer wieder faszinieren. Heute genau wie damals an Silvester 1977, als die Ramones im Londoner Rainbow Theatre gastierten. Die Tour war die dritte „Heimsuchung“ des Punk-Mutterlandes durch die Ramones. Jedes Mal eroberten sie das Pogo tanzende britische Publikum mit ihren „sturmeiligen“ Songs. Dass es noch kürzer geht, bewies die Band zuvor in ihrem Heimatclub, dem New Yorker CBGB, wo die Auftritte des Quartetts manchmal nur 20 Minuten dauerten und doch unter anderem Debbie Harry und Patti Smith begeisterten. An diesem denkwürdigen Abend zum Jahreswechsel 1977/78 bekamen die US-Punks britische Unterstützung: Im Vorprogramm spielten die Rezillos und Generation X mit ihrem Sänger Billy Idol. Es dürften gelungene Partys gewesen sein, erst recht als die Ramones mit „Rockaway Beach“ die Bühne enterten. „A Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“, würde Jerry Lee Lewis sagen. Dessen Song wurde zwar an diesem Abend nicht gecovert, dafür aber „Surfin’ Bird“ von den Trashmen und „California Sun“ von den Surfaris. Das Leben kann so schnell sein, das zeigten die Ramones den Fans. Sie selbst lebten auch nach der Maxime „live fast, die young“: Die Gründungsmitglieder verstarben zwischen 2001 und 2014; der letzte, der ging, war Drummer Tommy Ramone. Der gebürtige Ungar, der eigentlich Tamás Erdélyi hieß, hatte die Band 1978 „wegen Erschöpfung“ nach einer US-Tour verlassen. Auf dem von ihm produzierten Konzertalbum „It’s Alive“ ist er ein letztes Mal mp als Schlagzeuger der Ramones zu hören – und wie! ZUM WEITERHÖREN
MC5: Kick Out The Jams (1969) – Die in Detroit aufgenommene Platte ist die Blaupause für die meisten Punk-Gigs; enthält Klassiker wie das Titelstück und „Motor City Is Burning“ Die Toten Hosen: Der Krach der Republik (2013) – Alt, aber energiegeladen – die Düsseldorfer Ramones-Fans feiern eine Riesenparty und covern unter anderem Hannes Wader, Die Ärzte und Slade
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1979
Neil Young & Crazy Horse: Live Rust (Reprise)
Kaum jemand hat in seinem Leben so viele musikalische Volten geschlagen wie der 1945 in Kanada geborene Neil Young. Bei Buffalo Springfield gab er den Bluesrocker, bei Crosby, Stills, Nash & Young den Folk- und Countrymusiker. Als Solist sah er sich als einsamen Outlaw („Harvest“, 1972), verlor sich in elektronischen Spielereien („Trans“, 1982) und versuchte sich als Rock-’n’-Roller („Everybodys’s Rockin’“, 1983). Am glaubwürdigsten war er, wenn er mit Crazy Horse spielte: Dann konnte er der geerdete Romantiker sein, der, wie der Musikkritiker Franz Schöler schrieb, „auf der Suche nach dem verlorenen Paradies Amerika ist und bei dieser Suche doch nur eine Alptraumwelt findet“. „Live Rust“ wurde mit dieser Band eingespielt, zu der Ralph Molina (Drums), Billy Talbot (Bass) und Frank „Poncho“ Sampedro (Gitarre) gehören. Es wurde bei verschiedenen Konzerten in den USA mitgeschnitten. Dem Livealbum ging die Studioplatte „Rust Never Sleeps“ voraus, mit einer akustischen und einer dank Crazy Horse rockig krachenden Seite: Es beginnt leise mit „My, My, Hey, Hey (Out Of The Blue)“ und endet mit der Hymne „Hey Hey, My My (Into The Black)“, wobei Young den akustischen Teil ausdrücklich den Sex Pistols und ihrem Sänger Johnny Rotten widmete. Von ihrer Wut und Kraft erhoffte er sich eine Erneuerung der Musik – die Songzeile „It’s better to burn out than to fade away“ wurde weltberühmt. Er hat viele Lieder der Studioplatte dann auch live gespielt, ihnen aber gesungene Momentaufnahmen aus dem US-Alltag vorangestellt, zum Beispiel „Sugar Mountain“, „Comes A Time“ und „After The Gold Rush“. Natürlich wüteten Young und Band auch durch Klassiker wie „Cinnamon Girl“ und „Powderfinger“, den Abschluss bildete indes „Tonight’s The Night“ – eine brillante, aber depressive Selbstbespiegelung aus einer Zeit persönlicher Krisen. Beim gleichnamigen Konzertfilm übrigens, aufgenommen im „Cow Palace“ in San Francisco, führte Neil Young selbst Regie – unter dem Pseudonym „Bernard Shakey“.
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„Dieses Album enthüllt mir mehr über mein Leben, mein Land und den Rock ’n’ Roll als jede andere Musik, die ich in den letzten Jahren gehört habe“, jubelte damals der Musikkritiker Paul Nelson im US-Rolling Stone. Die deutsche Ausgabe dieser Musikzeitschrift bezeichnete „Live Rust“ 2001 als bestes Livealbum aller Zeiten. Mit ähnlich überschwänglichem Lob wurden zwar auch schon andere Platten gf bedacht – aber nur selten war es annähernd so zutreffend. ZUM WEITERHÖREN
Neil Young & Crazy Horse: Arc-Weld (1991) – Kaum zu glauben: Young spielt Dylans „Blowin’ In The Wind“. Die Höhepunkte sind aber „Cortez The Killer“, „Like A Hurricane“ und die fast 35minütige Gitarrenorgie „ARC“ auf der dritten CD Neil Young: Live At Massey Hall (1971/2007) – Ein Solokonzert, das Young erst 36 Jahre später veröffentlichte: ein Musiker als sensibler Chronist gesellschaftlicher Befindlichkeiten – natürlich mit „Heart Of Gold“
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1980
Eagles: Eagles Live (Asylum)
Als die Eagles im November 1980 ihr Livedoppelabum veröffentlichten, markierte es das Ende einer großen Ära: Sechs unerhört erfolgreiche Studioalben, zuletzt 1979 „The Long Run“, und eine mit bislang 42 Millionen verkauften Exemplaren zu den absoluten Bestsellern zählende Greatest-Hits-Zusammenstellung, dazu Hits wie „Hotel California“, „Take It Easy“, „Desperado“ und „The Long Run“ – das 1971 in Angeles gegründete Quartett um die virtuosen Musiker Don Henley und Glenn Frey war längst in die Superstarliga aufgerückt. „Eagles Live“ bildet diese Ära ziemlich gut ab, denn ein Teil der Stücke wurde bereits 1976, der Rest 1980 aufgenommen. Das heißt auch, dass die Gründungsmitglieder Bernie Leadon und Randy Meisner nicht auf allen Stücken zu hören sind – sie wurden 1976 bzw. 1977 durch Joe Walsh und Timothy B. Schmitt, der Meisner bereits bei Poco
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ersetzt hatte, abgelöst. Aber das macht nichts, die Doppel-LP klingt trotzdem wie aus einem Guss: Extravaganter kalifornischer Wohlklang mit wunderbaren Melodien – dafür stehen die Eagles auch live. Ein Unterschied zwischen den Besetzungen ist nicht zu erkennen, alles ist Southern Rock der besten Sorte. Eigentlich ist „Eagles Live“ auch ein weiteres „Best-Of“-Album, denn die Band präsentiert ihre größten Hits – „Heartache Tonight“, „Desperado“, „Life In The Fast Lane“, „Take Me To The Limit“ und „New Kid In Town“, die Nachfolgesingle von „Hotel California“. Und mit diesem Lied über eine irgendwie psychedelische Herberge, die stark an ein Luxusgefängnis erinnert, beginnt die erste Seite der ersten Platte. Aufgenommen am 29. Juli 1980 in Santa Monica, begeistern die Eagles das Publikum vom ersten Takt des Intros an, Beifallstürme untermalen die sanften Gitarrenklänge. Obwohl die Liveversion ein wenig rauer klingt, transportieren die Eagles das gespenstische Gefühl, das der Song schon im Original hinterlässt, auch im Konzert perfekt. Weniger bekannte Songs wie das von Henley und Frey stammende „Wasted Time“ und das von Country-Outlaw Steve Young bereits 1969 geschriebene „Seven Bridges Road“ runden das Ganze ab. Letzteres wurde als Single ausgekoppelt und erreichte Platz 21 der USHitparade. Als Band verschwanden die Eagles mit ihrem „Live“-Monument für fast eineinhalb Jahrzehnte von der Bildfläche. Glenn Frey und Don Henley waren solo erfolgreich, die Adler in verschiedenen Horsten gelandet. Erst 1994 kehrten sie auf die Bühne zurück, 2007 gab es mit der Doppel-CD „Long Road Out Of Eden“ ein Album mit ausschließlich neuen Songs – mit der gleichen vierstimmigen Eleganz wie mp in den 70er-Jahren. ZUM WEITERHÖREN
Eagles: Hell Freezes Over (1994) – Neben den Riesenhits enthält dieses Livealbum auch Perlen wie „I Can’t Tell You Why“ und „Tequila Sunrise“ Poco: Deliverin’ (1971) – Country-Rock-Highlight mit großen Songs wie „I Guess You Made It“ und Jim Messinas „You’d Better Think Twice“. An Bord: Timothy B. Schmitt
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1980
Supertramp: Paris (A&M)
Auch Manierismus kann gute Musik hervorbringen: Der holländische Millionär Stanley August Miesegaes wünschte sich 1969 eine Rockband und animierte den Keyboarder Rick Davies von der Münchner Formation Joint – gegen gute Bezahlung –, weitere Musiker dafür zu suchen. Per Zeitungsanzeige fand Davies den Multiinstrumentalisten Roger Hodgson, der auch noch wunderbar singen konnte. Andere Musiker kamen hinzu. Auf der Suche nach einem Namen stieß die Band auf das Buch „The Autobiography of a Super-Tramp“ des walisischen Lyrikers William Henry Davies. Ein wenig war damit die Richtung für die Zukunft vorgegeben: Anspruchsvolle Texte sollten es sein, clevere Musik und am besten Studenten als Hörer und Fans. Pech nur, dass die ersten beiden Alben, auf denen Progressive Rock zu hören war, gnadenlos floppten. Der Rockmäzen hatte offenbar genug und verabschiedete sich mit einem Geschenk: Er erließ den Musikern sämtliche Schulden. Davies und Hodgson, die sich Songschreiben und Sologesang teilten, begannen schnell mit dem Neuaufbau. Auf den folgenden Alben „Crime Of The Century“ (1974), „Crisis? What Crisis?“ (1975) und „Even In The Quietest Moments …“ (1977) wurde die Band zunehmend poppiger und damit erfolgreicher. Der große Durchbruch kam mit der LP „Breakfast In America“ (1979), die mit „The Logical Song“, „Goodbye Stranger“, „Take The Long Way Home“ und dem Titelsong vier Hits abwarf. Klar, dass Supertramp mit diesem Erfolg im Gepäck auf Tournee gingen. In ihrer klassischen Besetzung mit Rick Davies, Roger Hodgson, John Helliwell (Keyboards), Bob Siebenberg (Drums) und Dougie Thomson (Bass) spielten sie 108 Konzerte, wobei die Aufnahmen für dieses Livealbum am 29. November 1979 im Pavillon de Paris mitgeschnitten wurden. Was die Platte auszeichnet, ist die Tatsache, dass sich Supertramp nicht allein auf ihr Erfolgsalbum verließen, sondern quasi ein Potpourri ihrer ganzen Karriere präsentierten – und das in herrlicher Spiellau-
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ne: So sind zum Beispiel „School“, „Dreamer“, „Bloody Well Right“ und der Titelsong von „Crime Of The Century“ mit dabei, „Ain’t Nobody But Me“ und „Two Of Us“ stammen von der Crisis-Platte, hinzu kommen der „Logical Song“ und viele mehr. Supertramp-Kenner werden „Give A Little Bit“ und „Goodbye Stranger“ vermissen. Die wurden zwar gespielt und auch aufgenommen, aber: „Wir waren schockiert, als wir beim Durchhören der Livetapes herausfanden, wie schlecht die aufgezeichneten Versionen waren“, sagt Hodgson. Im dazugehörigen Konzertfilm, der 2012 auf DVD ergf schien, sind die beiden Songs aber zu hören. ZUM WEITERHÖREN
Supertramp: It Was The Best Of Times (1999) – Die Band nach dem Ausstieg von Roger Hodgson – seine markante Stimme fehlt, aber ansonsten zeigen sich Rick Davies und seine Mannen in der Londoner Royal Albert Hall in bester Spiellaune. Mit dem Hit „Cannonball“
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1980
The Kinks: One For The Road (Arista)
Diese Band ist notorisch unterbewertet – 30 Jahre lang nahm sie hervorragende Platten auf und hatte etliche Hits. Aber den Ruhm, den der Ausnahmesongwriter Ray Davies, der die Kinks 1963 im Londoner Norden gründete, eigentlich verdient gehabt hätte, erlangte er nicht. Dafür gilt die ursprünglich im Mod-Umfeld auch modisch ziemlich trendige Gruppe für viele Britrocker als Vorbild: So inszenierte Paul Weller seine erste Band The Jam anfangs neben The Who auch nach dem Vorbild der Kinks und coverte 1978 das homoerotische „David Watts“. Dieses Lied, das ursprünglich auf dem 1967er-Album „Something Else By The Kinks“ erschien, findet sich auch auf der Live-Doppel-LP von Davies und Co. Ein echter Konzertmitschnitt ist „One For The Road“ freilich nicht – die Songs wurden 1979 während einer US-Tour und eines Auftritts in
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Zürich aufgenommen. Deshalb wirkt das Doppelalbum ähnlich zerrissen wie die Studioplatten der 70er Jahre. Viele grandiose Stücke stammen aus dieser nicht übermäßig erfolgreichen Ära der Kinks – etwa „Catch Me Now I’m Falling“ und „Low Budget“ vom gleichnamigen, damals noch aktuellen Studiowerk, dazu das immergrüne „Lola“ und das augenzwinkernde „Prince Of The Punks“, das 1977 als B-Seite von „Father Christmas“ unterging. Der Song wurde später von Tom Robinson gecovert. Eine andere Neuinterpretation eines Kinks-Liedes ist auf „One For The Road“ vertreten, weil sie damals ein Hit war: „Stop Your Sobbing“ machte Davies’ Freundin Chrissie Hynde mit ihren Pretenders fast so populär wie die Kinks in den Sixties. Die frühen Jahre der Band sind gut und würdig vertreten: Mit lakonischer Stimme singt Ray Davies das ebenso rockige wie am Zeitgeist verzweifelnde „Where Have All The Good Times Gone“, das unterschätzte „Till The End Of The Day“, „Victoria“ und mit „You Really Got Me“ eine der ersten Hardrocknummern überhaupt. Davies produzierte das Doppelalbum so rau, dass man meint, einer wilden Horde von Punks zuzuhören. Die Kritik ging mit dieser Platte rüde um. Ist sie tatsächlich ein Grund, nie mehr einen Konzertmitschnitt auf LP oder CD zu kaufen? Aus heutiger Sicht nicht. Die Kinks verbanden New-Wave-Elemente mit heftigem Rock, waren verzweifelt und wütend zugleich – aber so klangen sie auch schon 1964. Sie sind, das zeigt „One For The Road“ deutlich, das Bindeglied zwischen den Generationen, stilbildend und immer jung. Sogar den Brüderstreit, den die Oasis-Jungs Noel und Liam Gallagher zelebrierten, nahmen die Herren Davies vorweg: Ray und sein knapp drei Jahre jüngerer Bruder Dave waren sich ebenso spinnefeind. Hier wie dort war aber auch schnell klar, wer der jeweilige mp kreative Kopf ist. ZUM WEITERHÖREN
Kinks: To The Bone (1994) – Livespätwerk mit „Apeman“ und „Waterloo Sunset“ Paul Weller: Days Of Speed (2002) – Der Modfather solo und „unplugged“
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1981
Motörhead: No Sleep ’til Hammersmith (Bronze Records)
Kann echter Rock’n’Roll lügen? Die drei Herren von Motörhead – nur echt mit dem deutschen „ö“ im Namen – belegen mit ihrem phänomenalen Livealbum, dass das geht. Denn sie spielten 1981 überhaupt nicht im altehrwürdigen, 1962 eröffneten Hammersmith Odeon in London. Die Platte mit dem irreführenden Titel „No Sleep ‘til Hammersmith“ wurde – bis auf den Doppelsong „Iron Horse“/„Born To Lose“ – in Leeds und Newcastle aufgenommen. Allerdings gastierten Lemmy Kilmister, Phil Taylor und Eddie Clarke rund vier Monate zuvor für vier Tage im Odeon – wie das Motörhead-Konzertregister verät. Wer die Band Ende März 1981 in Leeds oder Newcastle – wo der größte Teil dieses Albums entstand – sah oder besser hörte, der wurde auf jeden Fall den heftigen Druck auf den Ohren einige Tage lang nicht mehr los. Es kam einem vor, als wäre noch nie ein Konzert so laut gewesen. Motörhead ließen ein Jagdgeschwader wilder Salven auf das Publikum los. Kilmister, der vorher schon bei Hawkwind Bass gespielt hatte und von dort den Song „Motörhead“ mitbrachte, ist ein Tier, das Zocken gegen den Teufel mit rauchig-heiserer Stimme beschreit: „Ace Of Spades“. Die auch vom Titel sehr gut passenden „Bomber“ und „Overkill“, dazu „No Class“ und „The Hammer“, sind Klassiker aus einer Epoche, als dieses Trio Hardrock in dunkles Edelmetall verwandelte, das Ganze mit Punk und Blues vermischte. Motörhead galten als die lauteste Band der Welt, und diesem Signet werden sie auf „No Sleep ’til Hammersmith“ gerecht. Der Titel bezieht sich übrigens auf die vier Abschlusskonzerte der vorangegangenen, offenbar schlaflos durchgezogenen Englandtour im Londoner Hammersmith Odeon; während dieser Tour wurde „Iron Horse/Born To Loose“ für das Album mitgeschnitten; der Tourbus trug den späteren Albumtitel als Plakette auf dem Kühler. Bei aller Brachialität belegt das Trio jedoch, dass es mit dem elektrischen Jagdgeschwader auch melo-
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dische Ausrufezeichen setzen kann. Im Lärm gehen die Nuancen nicht unter, und es wird klar, dass die Mischung aus roher Wut, Virtuosität und purer Energie Bands wie Metallica beeinflusst hat. Vom 28. März 1981 und dem denkwürdigen Hörsturzabend in der Queens Hall von Leeds kann jeder, der dabei war, noch seinen Enkeln vorschwärmen, falls diese auf die Idee kommen sollten, irgendwelche Milchbubis als „harte Jungs“ anzupreisen. Dann hilft nur noch die „Complete Edition“, die anlässlich des 20. Geburtstags der Platte herauskam, denn die enthält „Leaving Here“ und „Too Late, Too Late“ – und da werden sie schnell merken, „wo der Barthel den Most holt“. Oder wo Lemmy zeigt, wie man bis zum „Overkill“ Rabatz macht. mp ZUM WEITERHÖREN
AC/DC: If You Want Blood (1978) – Wie Motörhead wurden auch AC/DC damals sehr oft unter „Punk“ geführt, was so falsch gar nicht ist. Mit dabei auf der ersten Liveplatte der Australier: „The Jack“, „High Voltage“ und „Whole Lotta Rosie“
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1982
Simon & Garfunkel: The Concert In Central Park (Warner)
Das erfolgreichste Folkpop-Duo der Musikgeschichte trennte sich 1970, nachdem ihr Megaseller „Brigde Over Troubled Water“ erschienen war. Paul Simon und Art Garfunkel hatten sich persönlich und künstlerisch auseinandergelebt und wollten ihre Solokarrieren vorantreiben. Doch so ganz konnten sie nie voneinander lassen. Wenn es passte, fanden sie wieder zusammen. Einer dieser sporadischen Anlässe für eine Wiedervereinigung war die Krise um den New Yorker Central Park. Die grüne Lunge der Stadt war zur Mülldeponie geworden, zum Drogenumschlagplatz verkommen und durch Vandalismus zerstört. Nachts hielten sich die New Yorker von ihm fern – die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, war zu groß. Die Stadtverwaltung und der damalige Bürgermeiste Ed Koch wollten den Park sogar schließen – auch weil aufgrund der Rezession das Geld für eine Erneuerung fehlte.
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Dagegen regte sich Widerstand. Ein Benefizkonzert sollte helfen: Simon & Garfunkel, beide gebürtige New Yorker, sagten dafür sofort zu. Nach Jahren der Trennung mussten aber die gemeinsamen Lieder wieder neu gelernt, Simons Solonummern zu Duetten umgearbeitet werden. Es gab auch neue Arrangements: „Me And Julio Down By The Schoolyard“ und „50 Ways To Leave Your Lover“ zum Beispiel waren nun mit Latin-Elementen versehen, die flotte Folknummer „Kodachrome“ zum Rocker mutiert. Für all das standen knappe drei Wochen Vorbereitungszeit zur Verfügung. Der Abend am 19. September 1981 geriet zum Triumph: 500.000 New Yorker kamen zum „Great Lawn“, zur zentralen Freifläche des Central Parks, um ihre Helden von gestern zu hören und sich verzaubern zu lassen. Das Duo begann mit seinem Nummer-eins-Hit „Mrs. Robinson“, machte mit „Homeward Bound“ weiter und hielt zwischendurch kurze Ansprachen mit ironischen Anspielungen auf Ed Koch. Insgesamt spielten sie 20 Songs, zehn gemeinsame – unter anderem „America“, „Scarborough Fair“, „The Boxer“ und „The Sound Of Silence“ –, acht von Simon, eines von Garfunkel („Heart Of New York“) sowie „Wake Up Little Susie“ von den Everly Brothers. Das Konzert erbrachte rund 51.000 Dollar Spenden für den Central Park und war der Beginn einer Reihe von Benefizaktivitäten, die bis heute andauern und immer dem Park zugute kommen. Der Erfolg des Doppelalbums (Doppelplatin) und des später folgenden Konzertfilms zeigte aber vor allem eines: Die größte Anziehungskraft haben Simon & Garfunkel immer dann, wenn sie gemeinsam auftreten – trotz aller Soloerfolge gilt das bis heute. Für Spätgeborene ist dieses Album zudem der beste Einstieg in das Werk zweier Ausgf nahmekünstler. ZUM WEITERHÖREN
Simon & Garfunkel: Live 1969 (2009) – Nach dem Erfolg von „Bridge Over Troubled Water“ und vor der Trennung gab es eine Abschiedstournee, auf der Simon & Garfunkel noch einmal ihre Hits präsentierten – ein wunderschönes Dokument ihrer Frühzeit
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1983
Peter Gabriel: Plays Live (Charisma)
Ist das Artrock? Oder Progrock? Schwer zu sagen. Es ist Peter Gabriel, und es ist das, was er 1983 als Fazit aus den vier eigentlich nur seinen Namen als Haupttitel tragenden erfolgreichen Studioalben „Car“, „Scratch“, „Melt“ und „Security“ herausdestillierte. Irgendwie sphärenmäßig abgehoben, aber doch zugänglich, die echte Pop-Phase mit dem „So“-Album stand noch bevor. Auf dem Cover der Doppel-LP sieht man den Künstler einen Helm tragend, der ihn in eine Mischung aus Clown und Perry Rhodan verwandelt, einen Grenzgänger zwischen den musikalischen Welten. Auch die Ära der globalen Sounds des Mannes, der 1967 die Band Genesis mitgegründet hatte, lag damals noch in ferner Zukunft. Ein wenig klingt das im Dezember 1982 an vier Tourneeorten im mittleren Westen der USA aufgezeichnete Werk auch nach der Band, die er 1975 zunächst für eine Auszeit, letztlich aber für eine große Solokarriere verließ. Zum Beispiel das achteinhalb Minuten lange „San Jacinto“, das die Geschichte einer Schlacht zwischen Texanern und Mexikanern erzählt, die 1836 stattfand – Gabriel besingt die Legende von Alamo, bettet sie in eine ergreifende, aber sehr getragene Melodie ein. Der 1950 im englischen Chobham geborene, sehr charismatische Künstler interpretiert einige seiner Solohits neu und sehr dicht – etwa „Solsbury Hill“ vom ersten Album nach Genesis, „Shock The Monkey“ und die ergreifende Geschichte des südafrikanischen Bürgerrechtlers Steven Biko, der im Gefängnis von Polizisten umgebracht wurde. Peter Gabriels erstes Livealbum ist eher eine Werkschau als ein Konzertmitschnitt. Das Publikum ist kaum zu vernehmen, es lauscht entweder andächtig oder wurde von den Produzenten Gabriel und Peter Walsh, der später unter anderem mit Scott Walker und Pulp zusammenarbeitete, konsequent herausgemischt. So wirkt „Plays Live“ eher wie ein klingendes Gesamtkunstwerk als wie der Auftritt eines Rockmusikers. Der Superstar spielt nicht einfach die Songs seiner
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Studioplatten nach, er erfindet sie neu. Das Intro von „The Rhythm Of The Heat“ aus dem 1982 erschienenen Album „Peter Gabriel (Security)“ gibt die Richtung vor: Zu Beginn ein langsamer Herzschlag, das Stück pulsiert gemächlich vor sich hin, aber das Schlagzeug und die sich aufschwingende Stimme sorgen für eine Spannung, die sich im Verlauf der 6:26 Minuten bedrohlich und hin bis zum abrupten Ende steigert. Der einzige bis dahin unveröffentlichte Track „I Go Swimming“ schaffte es über den Einsatz bei diversen Radiostationen in die USCharts. Wer Gabriel zuvor schon auf der Bühne hatte erleben können, kannte das Lied aber schon, denn es war fester Bestandteil seiner Auftritte in den frühen 80er-Jahren. „Plays Live“ ist so großartig, dass man mp diese atmosphärisch dichten Klänge unweigerlich bestaunt. ZUM WEITERHÖREN
Peter Gabriel: Secret World Live (1994) – Mit „Sledgehammer“ und „Across The River“ vom Benefizalbum „Music And Rhythm“
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1983
U2: Under A Blood Red Sky (Island)
Was haben die Red Rocks bei Denver, die Stadt Boston und die Loreley gemeinsam? An diesen Orten spielte 1983 die irische Band U2, und von diesen Auftritten wurden Stücke für „Under A Blood Red Sky“ verwendet. Bei der LP handelt es sich allerdings um eine nicht besonders repräsentative Auswahl von acht Songs, die Hälfte der Aufnahmen entstand während des „Rockpalast“-Konzerts am Rhein. Produzent Jimmy Iovine (Dire Straits, Tom Petty) suchte sich gemeinsam mit der Band Lieder aus, die sich harmonisch aneinanderfügen und eine kompakte und kraftvolle Grundstimmung erzeugen. Das gilt besonders für „Sunday Bloody Sunday“, das in Deutschland aufgenommen wurde. Die Ansage von Frontmann Bono, der beteuert, dass es sich bei dem Stück nicht um einen „rebel song“ handle, wird auf der LP auf Englisch vorgetragen. Wer das Konzert auf der Loreley live oder im Fernsehen mit-
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verfolgt hat, wird sich allerdings erinnern, dass dieser Hinweis damals in deutscher Sprache erfolgte. Als die Liveplatte entstand, befanden sich die Herren Paul David Hewson, besser bekannt als Bono Vox, David Howell Evans alias The Edge, Larry Mullen Junior und Adam Clayton auf dem Weg zum Superstarruhm. Ihr drittes, im Februar 1983 erschienenes Album „War“ war noch in den Charts. Trotzdem steuert dieses Werk, mit dem sie den Durchbruch schafften, nur „Sunday Bloody Sunday“ und „New Year’s Day“ bei. Aus diesem Song stammt die Phrase „Under a red blood sky“, allerdings singt sie Bono gar nicht, er gibt in Anbetracht des Regens beim Konzert in Red Rocks „under a thunder cloud and rain“ zum Besten. Speziell die Aufnahmen aus Colorado werden zu Recht geadelt: Für den Rolling Stone gehören diese Stücke zu den „50 Momenten, die die Geschichte des Rock ’n’ Roll veränderten“. Das kann man getrost so stehen lassen, denn das im Jahr nach der LP erschienene Video „U2 Live At Red Rocks: Under A Blood Red Sky“ zeigt eine spielfreudige Band. Bono und seine Mitstreiter verbinden die punkige Attitüde ihrer Frühzeit mit atemberaubendem Timing. Besonders nachvollziehbar ist das bei der 17 Tracks umfassenden DVD-Edition von 2008, die unter anderem eine Kombination aus dem eindringlichen, kurzen „Cry“, 27 Sekunden des von Frank Sinatra und Judy Collins bekannten „Send In The Clowns“ und „The Electric Co.“ von U2s Debütalbum „Boy“ enthält. Ein Stück schaffte es überraschenderweise sowohl auf die Platte als auch in die Konzertfilme: „11 O‘Clock Tick Toc“. Das Lied erschien 1980 als zweite Single der Band nur in Irland und wurde kein Hit. Aber es gehörte live zum Standardrepertoire. Selten rocken U2 so wie hier, juvenile Wut und Verzweiflung sind noch zu spüren. Das ist kein Wunder, denn 1976, bei der Gründung der Gruppe unter dem Namen Feedback, war Larry Mullen Jr. erst 14 und Bono mit 16 Jahren der mp Älteste. ZUM WEITERHÖREN
U2: Rattle And Hum (1998) – Ein Studioalbum mit sechs Livetracks, darunter Dylans „All Along The Watchtower“
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1984
Dire Straits: Alchemy. Dire Straits Live (Vertigo)
Mark Knopfler war unzufrieden. Nicht so sehr mit der Tour zur CD „Love Over Gold“, aber mit den Mitschnitten, die für ein Livealbum gebraucht wurden. Die gefielen ihm so wenig, dass er am 22. und 23. Juli 1983 das Hammersmith Odeon buchen ließ und das Ganze als Produzent bis zum letzten Ton selber überwachte. Das Ergebnis ist ergreifend schön. Knopfler spielt etwa beim 13-minütigen „Once Upon A Time In The West“ von der im Gesamtwerk unterschätzten zweiten Platte „Communiqué“ so fantastisch und klar, dass es den Zuhörer schlicht ergreift – auch weil er es elegant von „Stargazer“ aus dem „Local Hero“-Soundtrack einleiten lässt. Im Mittelpunkt des Konzerts stehen allerdings drei ebenfalls elegisch ausgebreitete Songs: das knapp elfminütige „Sultans Of Swing“, das tatsächlich seinem Namen alle Ehre macht und swingt, das 13 Minuten und 37 Sekunden kurze „Telegraph Road“ und das noch mal rund eine Minute längere „Tunnel Of Love“. Dessen Saxofonintro zeigt, dass gut Ding auch in der Rockmusik Weile haben darf. Nach etwas mehr als vier Minuten wechselt die Einleitung in den „Carousel Waltz“ von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II über – bevor schließlich in sanftem Bariton die Geschichte erzählt wird. Die Dire Straits waren ein Phänomen, das über 120 Millionen Tonträger verkaufte. Die Band fand 1977 zusammen, als in England der Punk für rotzige, in Zweiminutenform gegossene Energiestöße sorgte und gegen das Musikestablishment der Stadionrocker aufbegehrte. Aber eine solche Band waren die von den Knopfler-Brüdern Mark und David, John Illsley und Pick Withers gegründeten Dire Straits auch nicht. Von Anfang an hatte man das Gefühl, hier Menschen zu lauschen, die einfach nur Musik machten. Die normal aussahen, aber virtuos spielen konnten. Und die das nicht taten, um steinreich zu werden – schließlich steht der Gruppenname wörtlich für „schlimme Notlage“, längst aber auch für große Kunst.
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Nachzuhören ist das auf „Alchemy“ – speziell Mark Knopflers Soli sind unglaublich schön, selbst wenn er bei „Private Investigations“, das live eher nach Pink Floyd als nach Dire Straits klingt, metallische Töne anschlägt. Das Stück vom damals aktuellen Album „Love Over Gold“ stellt aber auch den wildesten rauesten Moment der Doppel-CD dar. Ansonsten schöpft die Band aus der Ruhe eine ungeheure Kraft, in ihrer „Alchimistenküche“ wird jede Zutat exakt bemessen und dosiert, und als mit dem ebenfalls vom „Local Hero“-Soundtrack stammenden „Going Home“ der Vorhang fällt, geht ein unvergesslicher Konzertabend zu Ende. Einer, den auch die Dire Straits nicht beliebig wiederholen können, wie das 1993 erschienene „On The Night“ belegt. mp ZUM WEITERHÖREN
Dire Straits: Live At The BBC (1995) – Im Trennungsjahr der Band veröffentlichte, frühe Aufnahmen vor Radiopublikum. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber allein „Down To The Waterline“ ist jeden Cent wert
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1984
Talking Heads: Stop Making Sense (Sire)
Wenn es etwas gab, woran man die New Yorker Band Talking Heads erkannte, dann war es der exaltierte, immer nervös, überspannt und hektisch wirkende Gesang von David Byrne. Die Band hatte ihre Wurzeln an der Rhode Island School of Design, wo sich Byrne, Chris Frantz (Drums) und seine Freundin und spätere Ehefrau Tina Weymouth (Bass) 1975 kennenlernten. Jerry Harrison (Keyboards, Gitarre) stieß 1977 dazu. Die ersten musikalischen Gehversuche machten die vier im New Yorker Punkschuppen CBGB im Umfeld von Suicide, Johnny Thunders und Blondie. Bei ihrem ersten Konzert waren sie die Vorband der Ramones. Die Mischung aus schwarzem Funk, Ruf-Gegenruf-Gesang, unterlegt mit dichten, afrikanisch anmutenden Rhythmen – Byrne ist ein großer Fan des afrikanischen Musikers Fela Kuti – und angereichert mit einer Prise Elektronik, begeisterte anfangs nur wenige, weshalb die großen Erfolge zunächst ausblieben. Das änderte sich ab 1980 mit dem Hitalbum „Remain In Light“ sowie dem 1983 von Jonathan Demme gedrehten Konzertfilm „Stop Making Sense“, der an drei Abenden während einer Promotiontour für das Album „Speaking In Tongues“ aufgezeichnet wurde: Furios, mit ungeheurem Spielwitz und überbordender Energie präsentierte sich die Band auf der Bühne. Nur wollte der stets ambitionierte Byrne kein klassisches Soundtrackalbum dazu veröffentlichen, sondern auf Platte etwas Eigenständiges vorlegen – daraus resultierte dieses Livealbum mit nur neun statt der ursprünglich gespielten 16 Songs, die mit mehr Bass und Rhythmus in Richtung House-Sound produziert waren. Gut zu hören. Trotzdem sei auf die 1999 nachgereichte richtige Soundtrack-CD verwiesen, die als „Special New Edition“ bezeichnet wird. Hier ist das komplette Konzert zu hören, bei dem die Musiker langsam nacheinander auf die Bühne kamen: angefangen mit dem Serienmördersong „Psycho Killer“ – von Byrne alleine mit Gitarre zu einem Rhythmus vom Kassettenrekorder intoniert – über „Burning Down The House“ und
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„Once In A Lifetime“ bis hin zu „Girlfriend Is Better“ und dem umwerfenden „Take Me To The River“. Heute sind alle diese Songs Klassiker. Übrigens: Der Name der Band steht für Nachrichtensprecher – weil man diese Menschen früher immer nur vom Oberkörper an aufwärts sah. Und der „Big Suit“, dieser etwas absurd überdimensionierte Anzug, den Byrne im späteren Teil des Konzerts trägt, ist vom japanischen No¯ -Theater inspiriert. Er wurde nicht nur für Byrne, sondern für den gesamten Film zu einer Art Markenzeichen und ist auch auf dem gf Cover zu sehen. ZUM WEITERHÖREN
Talking Heads: Remain In Light (1982) – Von Brian Eno koproduziert, treffen nervös-energetische Songs auf dichte afrikanische Rhythmen. David Byrne/Brian Eno: My Life In The Bush Of Ghosts (1981) – Soundschnipsel aus dem Radio, der Mitschnitt einer Teufelsaustreibung und anderes, unterlegt mit funkigen Ethnobeats. Klingt noch heute frisch und cool
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1986
Bruce Springsteen & The E Street Band: Live/1975– 85 (Columbia)
Von Anfang an gab sich Bruce Springsteen als der ehrliche, hemdsärmelige Handwerker der Rockmusik. Der US-Rolling Stone schrieb einst, dass er „für seine Fans die Verkörperung der romantischen Mythen ist, über die er schreibt: ein Jedermann aus der Arbeiterklasse, der Geist des Rock ’n’ Roll“. So einer muss natürlich auch fleißig sein: Bis Mitte der 80er-Jahre hatte „The Boss“, so sein Spitzname, bereits rund 500 Konzerte gespielt, meist mit seiner E-Street-Band und oft vier bis fünf Stunden lang. Weil Springsteen aber in all den Jahren keine Liveplatte veröffentlicht hatte, gab es logischerweise eine Flut von Bootlegs. Dem wollte er irgendwann dann doch entgegenwirken, und er tat es auf die für ihn typische Art: Es musste gleich ein Fünffach-Album sein, aufgenommen an den unterschiedlichsten Orten. Die Erwartungen und die Vorfreude waren hoch und groß: Es gab eineinhalb Millionen Vorbestellungen, sofort nach Erscheinen stieg es in die Top Ten ein
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und wurde letztlich von der Recording Industry Association of America (RIAA) mit 13-mal Platin ausgezeichnet (wobei allerdings jede der fünf LPs einzeln gerechnet wurde). Was Springsteen, der grandiose Geschichtenerzähler des anderen Amerikas, hier bietet, ist aber auch schlicht umwerfend: Die fünf Platten stellen einen klug strukturierten Streifzug durch seine komplette Karriere bis 1985 dar. Es lassen sich drei Phasen erkennen: ein eher ruhiger Springsteen mit Aufnahmen aus den frühen und mittleren 70er-Jahren, dann die Karriere bis zu „Hungry Heart“, seinem ersten Top-Ten-Hit, und schließlich die ganz großen Erfolge. Der Bogen spannt sich also von „Thunder Road“, „Adam Raised A Cain“ und „4th Of July, Asbury Park (Sandy)“ über „Backstreets“ „Badlands“ und „Two Hearts“ bis hin zu „Nebraska“, „Darlington County“ und „The River“. Der Antikriegssong „Born In The USA“ ist ebenso dabei wie die „inoffizielle Hymne“ der USA, Woody Guthries „This Land Is Your Land“, „Cadillac Ranch“, das Lied über den etwas anderen Autofriedhof, das rockige „Cover Me“, sein Uralterfolg „Born To Run“ und Edwin Starrs „War“. Mit „Paradise by the C“, „Seeds“, „Fire“, „Because The Night“ und dem von Steve Cropper und Eddie Floyd geschriebenen „Raise Your Hand“ veröffentlichte er fünf Songs, die er nie zuvor aufgenommen hatte. Was immer The Boss, Clarence Clemons (Saxofon), Steve Van Zandt (Gitarre) Nils Lofgren (Gitarre), Danny Federici (Keyboards, Akkordeon), Roy Bittan (Klavier, Synthesizer), Garry Tallent (Bass), Max Weinberg (Drums) und die anderen Musiker anpackten und sangen: Es war roh, voller Kraft, entschlossen und von einer selten gehörten Aufrichtigkeit. Diese fünf Platten gehören zu den besten, die Springsteen gf je veröffentlichte. ZUM WEITERHÖREN
Bruce Springsteen: Live At New York City (2001) – Elf Jahre nach der letzten gemeinsamen Tournee spielte der Boss wieder mit seiner E Street Band; das im Madison Square Garden aufgenommene Album ist das Livesouvenir einer grandiosen Wiedervereinigung
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1986
Sting: Bring On The Night (A&M)
Dass Gordon Matthew Sumner sich zunehmend dem Jazz zuwenden würde, war bereits 1985 auf dem Solodebüt „The Dream Of The Blue Turtles“ zu hören. Der Mann, den die Welt unter dem Namen Sting kennt, entwickelte sich nach seiner 1983 mit dem Erfolgsalbum „Synchronicity“ beendeten Zeit als Kopf der Band The Police in eine wohlklingend-swingende Richtung weiter. Mit Fusion-Jazz, wie er noch eineinhalb Jahrzehnte vorher en vogue war, haben die „blauen Schildkröten“ nichts zu tun: Sting setzt auf Eleganz, nicht auf Innovation. Aber die Songs und die Besetzung sind schlicht so famos, dass die Platte heute noch umwerfend mutig klingt. Das liegt auch an den Musikern, am Saxofonisten Branford Marsalis, Schlagzeuger Omar Hakim, Bassist Darryl Jones und Keyboarder Kenny Kirkland – samt und sonders große Namen im Bereich des Jazz. Mit diesen Ausnahmekönnern ging Sting 1985 auf Tournee, die besten Stücke der Auftritte in Paris, Arnheim und Rom versammelte der Künstler auf dem im Sommer 1986 erschienenen Doppelalbum „Bring On The Night“. Mit dem titelgebenden Stück beginnt die Konzertzusammenfassung würdig – es stammt von der zweiten Police-LP „Regatta de Blanc“. Überhaupt widmet sich der Künstler dieser Phase seiner Karriere eindrucksvoll. Er verwandelt die kargen, Reggae-angehauchten Stücke in opulent arrangierte Arrangements, die auch aus dem „Great American Songbook“ stammen könnten. Allerdings, und auch das zeigt Stings Größe, „serviert“ er dem Publikum nicht die größten Hits der vergangenen Ära, sondern eher unbekannte Tracks wie „Tea In The Sahara“ vom „Synhronicity“-Album, „Driven To Tears“ von „Zenyatta Mondatta“ und das zuerst von Grace Jones aufgenommene „Demolition Man“. Im Mittelpunkt des perfekten Livemitschnitts stehen aber die Lieder von „Blue Turtles“. Mit denen kann die Jazzkombo naturgemäß noch besser umgehen, denn die Musiker waren schon bei den Studioaufnahmen von „Moon Over Bourbon Street“, „Consider Me Now“ und
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„Love Is A Seventh Wave“ beteiligt. Letzteres verbinden Sting und seine „small big band“ mit dem auf dem vierten Police-Album „Ghost In The Machine“ zu findenden „Fair-Trade“-Song „One World (Not Three)“. Sting, der danach nicht unbedingt immer die richtige Mischung für weitere große Werke fand, schaffte auf „Bring On The Night“ die Verbindung zwischen der eigenen musikalischen Biografie und dem spannenden Neuanfang. Für das Album gewann er 1988 zu Recht einen Grammy als bester männlicher Sänger, im Jahr zuvor bekam der Regisseur Michael Apted („James Bond – die Welt ist nicht genug“, „Enigma“) einen für die sehr sehenswerte Mischung aus Konzertmitschnitt und mp Sting-Biografie. Auch sie trägt den Titel „Bring On The Night“. ZUM WEITERHÖREN
The Police: Live! (1995) – Einmal 1979, einmal 1983 – auf den beiden CDs kann man die Entwicklung der Band bestens nachverfolgen. Die wichtigen Hits sind mit dabei
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1988
The Smiths: Rank (Rough Trade)
Dieses Livealbum ist das Vermächtnis einer Band, deren Stärke sich ebenso wie ihr Ende aus den beiden genialen Antipoden Steven Patrick Morrissey und Johnny Marr speiste. Morrissey, der dichtende Zweifler, der als Laie zur Musik kam, und Marr, der virtuose Gitarrist, harmonierten einige Jahre so perfekt, dass die Smiths tatsächlich zu einer ähnlich wegweisenden Band wurden wie etwa The Velvet Underground mit Lou Reed und John Cale. Ganz nebenbei waren sie speziell in Großbritannien sehr erfolgreich. Als die Smiths am 23. Oktober 1986 im Londoner „National Ballroom“ auftraten, war die LP „The Queen Is Dead“ gerade ein Vierteljahr lang auf dem Markt. Live ist sie mit dem Titelstück, mit „The Boy With The Thorn In His Side“, „Cemetry Gates“, dem fatalistischen „I Know It’s Over“ und der seltsamen Geschichte vom Pfarrer im Ballettröckchen –
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„Vicar In A Tutu“ – vertreten. Dazu bietet die Band dem frenetischen Publikum einige der mittlerweile als Standards des Britrocks geltenden Stücke, die dem jugendlichen Publikum aus der Seele sprechen – etwa „Bigmouth Strikes Again“, „Panic“ und „Ask“. Schon mit den ersten, aus Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ entliehenen Tönen des Openers „The Queen Is Dead“ und einem mit rauer Stimme in die Runde geworfenen „Hello“ hat Morrissey die Fans auf seiner Seite. Sie hängen an seinen Lippen, während Johnny Marr die düsteren Worte – zum Beispiel von „Still Ill“ – mit filigranen Harmonien umwebt. Die Gitarre und die Stimme bilden eine wuchtige Einheit, etwa bei „Panic“, das zudem noch von einem simplen Herzschlagrhythmus getragen wird. The Smiths covern auch das von Elvis und Del Shannon bekannte Shuman/Pomus-Stück „(Marie’s The Name) His Latest Flame“ – der Gassenhauer aus den frühen 60er-Jahren fügt sich bestens ein in das Set, das sonst nur aus eigenen Liedern besteht. Die Smiths waren bestens gelaunt, wenn man bei Morrissey überhaupt von „guter Laune“ sprechen kann. Immerhin bedankt er sich bei den Fans und sagt in einen Gitarrenakkord von Marr hinein das Lied „Is It Really So Strange“ an. Allerdings tut er dies in knappen Worten, mehr ist auch nicht nötig. An diesem Abend im Stadtteil Kilburn zeigt Marr, dass er in der Lage ist, das Ego seines Sängers musikalisch zu veredeln. Es rockt heftig, wie in „London“, und immer rollt der in Manchester geborene Morrissey sein aufälliges „r“. „Rank“ ist ein Konzertmitschnitt, der ursprünglich von BBC Radio 1 ausgestrahlt wurde – auf der Platte finden sich aber nur 14 der 21 Tracks, die die Smiths an diesem Abend zum Besten gaben, man vermisst etwa „The Light That Never Goes Out“. Das Licht der Smiths leuchtete danach nicht mehr lange: Ein halbes Jahr bevor „Rank“ veröffentlicht wurde, erschien Morrisseys erste Solo-CD „Viva Hate“. mp ZUM WEITERHÖREN
Morrissey: Live At Earls Court: (2005) – Morrissey verbindet seine aktuellen Songs mit der Smiths-Geschichte
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1988
Tina Turner: Tina Live In Europe (Capitol)
Mit „Rise Like A Phoenix“ gewann die österreichische Travestiekünstlerin Conchita Wurst 2014 den Eurovision Song Contest. Es ist allerdings Tina Turner, 1939 als Anna Mae Brown in Brownsville/Tennessee geboren, auf die dieser Satz am besten zutrifft. Aus der Asche ihrer Ehe mit dem prügelnden Ehemann Ike Turner, nach dem Ende ihrer gemeinsamen Formation Ike & Tina Turner, nach ihrer Flucht und völlig mittellos gelang es ihr, sich ein komplett neues Leben und eine Weltkarriere aufzubauen. Ihre gewaltigen Ups and Downs waren sogar Hollywood einen Film wert. Die 28 Titel dieser Doppel-CD wurden 1985 und 1987 bei verschiedenen Konzerten der „Private Dancer“- und „Break Every Rule“Tourneen mitgeschnitten. Es sind die beiden Platten, mit denen Tina Turner ihr gewaltiges Comeback feierte. Die Abfolge und Titel ihrer funkensprühenden Hits wirken dabei wie ein Kommentar zu ihrem bisherigen Leben: Mit „What You Get Is What You See“ geht es los, dann folgen „Break Every Rule“, „Two People“ und „Typicale Male“. Dass sie nicht nur privat, sondern auch musikalisch neu anfangen musste, zeigt „Back Where You Started“, nicht ohne jemanden aufzufordern: „Better Be Good To Me“. Das gilt erst recht, wenn man von jemandem abhängig ist: Robert Palmers „Addicted To Love“ rockt böse in Tinas Version. Sie stellt die wohl wichtigste Frage überhaupt – „What’s Love Got To Do With It“ – und fordert „Show Some Respect“. Dass sie aber nicht nur ihr Leben in Mainstreamhits besingen will, sondern immer noch die grandiose Rock-, Blues- und Soulröhre ist, die sie schon zu Ike & Tina Turners Zeiten war, unterstreicht sie eindrücklich mit Wilson Picketts „In The Midnight Hour“ und Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“. Natürlich verzichtet sie auch nicht auf ihre Klassiker wie „River Deep Mountain High“, das von Creedence Clearwater Revival geschriebene „Proud Mary“ und „Nutbush City Limits“, die Rockode an ihre Heimatstadt. Die Gitarristen Robert Cray
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und Eric Clapton, David Bowie und der kanadische Rockmusiker Bryan Adams veredeln bei einigen Liedern den Auftritt einer Frau, die sich gegen alle Widerstände nach oben gekämpft hat. Den Song „Paradise Is Here“ hat Tina Turner wohl sehr bewusst an den Schluss dieses grandiosen Livealbums gesetzt, als letzten Kommentar: Sie hat ihre Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen. Zum Abschluss der 1987er-Tournee sagt sie auch schlicht: „Mein Traum ist gf wahr geworden.“ Man kann es eindrücklich nachhören. ZUM WEITERHÖREN
Tina Turner: Tina Live (2009) – Das Livealbum zur erfolgreichen Comebacktournee von 2008. Tina ist bestens bei Stimme und liefert ein Best-of ihres Musiklebens ab. Mit „It’s Only Rock ’n’ Roll“ von den Stones und dem James-Bond-Titelsong „GoldenEye“, der live prima funktioniert
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1989
Depeche Mode: 101 (Mute)
„Music For The Masses“ heißt das sechste Album der englischen Synthiband Depeche Mode. Mit diesem Meisterwerk gehen Martin Gore, Dave Gahan, Alan Wilder und Andrew Fletcher auf Tournee. Sie begeistern unter anderem mit den Hits der aktuellen LP, mit „Strangelove“, „Never Let Me Down Again“ und „Behind The Wheel“. Sie sind kühl, aber doch energiegeladen, strotzen vor Selbstbewusstsein. Das belegt der großartige Auftritt der englischen Band in der Rose Bowl im kalifornischen Pasadena. Diese Show zeigt eine innovative Gruppe, die das Jahrzehnt mit unglaublichen Songs prägen wird. Auf der von D.A. Pennebaker (Dylans „Don’t Look Back“, Bowies „Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“) gedrehten Konzert-DVD ist zu sehen, wie sich Depeche Mode als Gesamtkunstwerk inszenieren und damit die Massen begeistern.
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Alle Songs auf „101“ haben sich längst, auch in diesen Versionen, zu Klassikern entwickelt. Die Welt gehört Depeche Mode – das Doppelalbum ist ein „Best Of“, fein und mit Schmackes instrumentiert. Bis auf „Just Can’t Get Enough“ fehlt nur die frühe Phase mit dem Keyboarder Vince Clarke (Erasure, Yazoo), der die Band nach dem Debüt „Speak And Spell“ 1981 verließ: „People Are People“, „Master And Servant“ und das zuerst auf dem Sampler „The Singles 81-85“ enthaltenene „Shake The Disease“ versetzen die Fans in absolute Hochstimmung. Depeche Mode belegen erstmals und eindrucksvoll, dass sie mit ihren Gerätschaften nicht nur „eine der coolsten Bands sind, die wir jemals hatten“, wie die Tageszeitung Sun 2006 in den Liner-Notes zur CD „The Best Of, Volume 1“ zitiert wird. Nein, das Quartett besticht auch live und bringt die bekannten Songs noch mal mit einer zusätzlichen Spur Härte rüber. Gleichzeitig sind sie weniger düster und schwermütig als noch 1986 mit „Black Celebration“, das mit „A Question Of Time“ und einer hypnotischen Variante des später auch von Rammstein bekannten „Stripped“ auf dem Livedoppelalbum vertreten ist. Die Fans danken es der Band mit begeistertem Applaus – auch weil der seltsame Motorradrhythmus perfekt rübergebracht wird. „101“ ist aber mehr als der gelungene Mitschnitt des abschließenden Konzerts einer frenetisch gefeierten Tournee. Die Platte markiert den Sprung vom perfekten Synthipop zu den eigenständigen Kunstwerken, etwa dem komplexen Geniestreich „Violator“, mit denen Depeche Mode in den nächsten Jahren über sich hinauswachsen werden. Wer dabei war oder sich die großartige DVD anschaut, merkt, dass dieser Juliabend einen besonderen Punkt in der Entwicklung einer großen Band markiert. Die Quintessenz dessen, was die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ausmacht, lässt sich aber auch auf den LPs und CDs mp hören. ZUM WEITERHÖREN
Radiohead: I Might Be Wrong: Live Recordings (2001) – Die Songs vom großen Album „Kid A“ werden unglaublich dicht aufgeführt. Genial ist das von Thom Yorke akustisch gespielte, bis dahin unveröffentlichte „True Love Waits“
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1991
Eric Clapton: 24 Nights (Live From Royal Albert Hall) (Warner)
Man mag es kaum glauben, aber Eric Claptons Karriere dauert nun schon über 50 Jahre an, er hat 18 Grammys gewonnen und ist als einziger Musiker in der „Rock and Roll Hall of Fame“ gleich dreimal vertreten. Nur so jemand kann es sich wohl leisten, im Rahmen seiner „Journeyman World Tour“ 18 Abende hintereinander in der Londoner Royal Albert Hall aufzutreten, anschließend die mitgeschnittenen Aufnahmen als für ein Livealbum unbrauchbar zu verwerfen und die Halle ein paar Monate später für denselben Zweck gleich wieder zu buchen – diesmal sogar für 24 Abende. So ist auch der Titel schnell erklärt. Clapton spielte mal mit einer vier-, mal mit einer neunköpfigen Band, dann wieder mit einer Allstar-Bluesformation, auch mit Orchester – am letzten Abend sogar mit dem National Philharmonic Orchestra, dirigiert von Michael Kamen. Als Musiker waren unter anderem dabei: die Bluesgitarristen Robert Cray, Buddy Guy und Jimmy Vaughn, Keyboarder Chuck Leavell, Pianolegende Johnnie Johnson, Phil Collins am Tambourin (!) sowie die Schlagzeuger Jamie Oldaker und Steve Ferrone. Egal, mit welcher Formation Clapton auf der Bühne erschien: Es ist das Programm, das den Unterschied zu vielen anderen Clapton-Livealben ausmacht. Er greift weit zurück in seine Vergangenheit, spielt die Cream-Klassiker „Badge“, „White Room“ und „Sunshine Of Your Love“ zupackender denn je. Buddy Guy steuert sein „Watch Yourself“ bei, auch „Hard Times“ von Ray Charles ist ein von Clapton eher selten gespieltes Stück, genauso wie Big Maceo Merriweathers „Worried Life Blues“. Von Claptons eigenen Songs ragen „Wonderful Tonight“ und der „Bell Bottom Blues“ heraus. Der Megaerfolg der „Unplugged“-CD und der Trauersingle „Tears In Heaven“ – Clapton schrieb das Lied nach dem Unfalltod seines vierjährigen Sohnes – sind Schuld, dass dieses famose Livealbum, das
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exakt zwischen diesen beiden Platten erschien, fast ein wenig unterging. Dabei hat „Mr. Slowhand“ selten mitreißender musiziert. Es gibt viele Platten, die man Einsteigern in Claptons Musik an die Hand gegf ben könnte – „24 Nights“ ist eine der besten. ZUM WEITERHÖREN
Eric Clapton: Just One Night (1980) – Eine Sternstunde von Mr. Slowhand, aufgenommen im Tokioter Budokan Theater. Selten war er besser Eric Clapton: Unplugged (1992) – Bei „Tears In Heaven“ flossen Tränen, das Liebeslied „Layla“ erschien in neuer Version – ein Megaerfolg Cream: Live At Royal Albert Hall (2005) – Jack Bruce, Ginger Baker und Clapton demonstrierten noch einmal, warum sie einst eine „Supergroup“ waren – magisch! Eric Clapton & Steve Winwood: Live From Madison Square Garden (2009) 40 Jahre nach Blind Faith erstmals wieder vereint: Zwei Meister und ihre große Lässigkeit – mit einer 16-minütigen Version von Jimi Hendrix’ „Vodoo Chile“
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1994
Nirvana: Unplugged Live In New York (Geffen)
Dieser unselige „Club 27“, in dem nur im Alter von 27 Jahren verstorbene Musiker Mitglied werden: Auch Kurt Cobain, der Sänger und Texter der Grungeband Nirvana, gehört dazu. Im Gegensatz zu seinem immer noch erfolgreichen Bandkollegen Dave Grohl – mit den Foo Fighters zum Beispiel –, bleibt Cobains Werk überschaubar. Aber ziemlich einzigartig: Drei CDs – „Bleach“, der weltweite Durchbruch „Nevermind“ und das phänomenale und sehr schwermütige „In Utero“ – brachten Nirvana zustande. Als dieser zunächst gar nicht für eine Veröffentlichung geplante Mitschnitt des Konzerts, das die Band für MTV gab, herauskommt, ist Cobain bereits seit einem halben Jahr tot. Diese letzte Hinterlassenschaft eines hochbegabten Künstlers ist etwas Besonderes, nicht nur weil entgegen sonst üblichen Gepflogenheiten die CD um zwei Stücke („Something In The Way“ und „Oh, Me“) länger ist als die Fernsehübertragung: Nirvana sind an diesem Abend entspannt, und selbstverständlich klingen sie auch ohne elektrische Verstärkung nicht kraftlos. Aber die Stücke bekommen eine eigene Aura, eine intime, sich dem Publikum offenbarende Verzweiflung, die von Cobains brüchiger Stimme unterstrichen wird. Besonders beim Hit „Come As You Are“ scheint der Sänger zunächst nicht auf der Höhe zu sein, aber er erholt sich rasch. Bis auf dieses bekannte Stück lassen Nirvana an diesem Abend ihre Erfolge außen vor, sie spielen eher unbekanntes Material wie etwa „Polly“ und „On A Plane“, und sie covern: Sechs der 14 Stücke auf „Unplugged“ stammen nicht von der Band, aber sie klingen so, als wären sie für Nirvana geschrieben. David Bowies frühes „The Man Who Sold The World“, „Jesus Doesn’t Want Me For A Sunbeam“ von den Vaselines, Leadbellys „Where Did You Sleep Last Night“ und drei Songs der Grunge-Kollegen Meat Puppets sind die Höhepunkte des Konzerts. Die Fremdstücke passen perfekt ins Programm, Kurt und Chris Kirkwood von eben jenen Meat Puppets unterstützen
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Nirvana bei den eigenen Songs mit zusätzlichem Gitarren- und Bassspiel sowie als Backgroundsänger. Bis zur „Unplugged“-CD waren Nirvana ein Trio, zu dem neben Cobain und Grohl auch Krist Novoselic gehörte. Der neue vierte Mann, Pat Smear, hatte nicht mehr die Möglichkeit, sich über das Konzert hinaus bei Nirvana zu bewähren. Der Gitarrist zog mit Grohl zu den Foo Fighters, wo er bis 1997 blieb. Novoselic spielte 2011 ebenfalls bei den Foo Fighters, aber nur auf einem einzigen Song. Er fand nicht mehr auf die Erfolgspur zurück und ist die tragische Gestalt der Ära nach Kurt Cobain. Dessen Geschichte ist bekannt, er ist Mitglied in diesem mp ominösen Club. ZUM WEITERHÖREN
Pearl Jam: Live On Two Legs (1998) – Das erste Livealbum der Grungerocker um Eddie Vedder enthält Songs von verschiedenen Auftritten. Witzig: Vedder baut Neil Youngs Text zu „Rockin’ In A Free World“ in den eigenen Song „Daughter“ ein
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1994
Van Morrison: A Night In San Francisco (Polydor)
Van Morrison ist stets ab dem ersten Ton an seiner knödelig-heiseren Stimme zu erkennen. Der unverwechselbare nordirische Musiker, Sänger und Komponist legte zuerst eine kurze Karriere als Sänger der Rockband Them („Gloria“, „Here Comes The Night“) hin und veröffentlichte dann als Solist mit „Astral Weeks“ (1968), „Moondance“ (1970), „Beautiful Vision“ (1982), „Inarticulate Speech Of The Heart“ (1984), „Days Like This“ (1995) einige der schönsten Platten der Musikgeschichte. Wie kaum ein anderer Musiker mischt Morrison Country, Blues, Funk, Soul, Jazz. Wie mühelos er sich dank seiner immensen Erfahrung die unterschiedlichsten Stile zu Eigen macht, stellte er an zwei außergewöhnlichen Abenden unter Beweis: am 12. Dezember im Mystic Theater in Petaluma und am 18. Dezember 1993 im Masonic Audito-
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rium in San Francisco. Neben der exzellenten eigenen Band unterstützten ihn die Saxofonistin Candy Dulfer, Keyboarder Georgie Fame, Junior Wells mit seiner Mundharmonika, Sänger Jimmy Whiterspoon und Morrisons Tochter Shana, die sich als Sängerin eine eigene Karriere aufgebaut hat. Die Songauswahl könnte erlesener nicht sein, wobei Morrison clever zwischen Coverversionen und eigenen Titeln wechselte und die meisten in Medleys verband. Ein Highlight jagt das andere: „I’ve Been Working“ rockt das Publikum, Tochter Shana singt „Beautiful Vision“, T-Bone Walkers „Stormy Monday“ kriecht den Zuhörern buchstäblich unter die Haut, mit „Help Me“ und „Good Morning Little Schoolgirl“ gibt es zwei Klassiker aus den 30er-Jahren von Sonny Boy Williamson, und seinen herrlich swingenden „Moondance“ koppelt Morrison mit „My Funny Valentine“ von Rodgers/Hart. Satte Bläsersätze unterstützen James Browns im Zeitlupentempo vorgetragenes „It’s A Man’s, Man’s, Man’s World“, das Medley „In The Garden“ (Morrison)/„You Send“ (Sam Cooke)/„Allegheny“ (Bill Staines) wurde nach Erscheinen der Doppel-CD als „best male rock vocal performance“ sogar für einen Grammy nominiert. Mit „Tupelo Honey“ und „Have I Told You Lately“ sind zwei weitere seiner wunderbaren Evergreens dabei. Wer einen Ausnahmemusiker in Ausnahmeform erleben und hören möchte, der kommt um diese Platte nicht herum. Den absoluten Höhepunkt dieses fantastischen Konzerts hob sich Morrison aber fürs Ende auf: Er holte John Lee Hooker auf die Bühne, um mit ihm seinen alten Them-Hit „Gloria“ zu singen. Bewegender konnte der eigenwilligf ge Nordire seine Zuhörer und Fans nicht in die Nacht entlassen. ZUM WEITERHÖREN
Van Morrison: Live At The Grand Opera House Belfast (1984) – Eine intime Momentaufnahme nach zwei hervorragenden Alben – mit „Rave On John Donne/Rave On Part 2“ Van Dyke Parks: Moonlighting – Live At The Ash Grove (1998) – Der US-Musikstilist versetzt schon mal Folk mit sinfonischen Klängen. Mit einer großartigen Version von Little Feats „Sailin’ Shoes“
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1995
Pink Floyd: Pulse (EMI)
Sie begannen als Londoner Undergroundband mit dem genial irrlichternden Gitarristen und Songwriter Syd Barrett und begeisterten mit Science-Fiction-Hörbildern wie „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ und „Interstellar Overdrive“. Sie spielten aber auch beinahe klassischen Blues. Mit Barretts Nachfolger David Gilmour wuchs der Erfolg von Pink Floyd aber ziemlich schnell ins Gigantische: Ihr Meisterwerk „The Dark Side Of The Moon“ hielt sich 15 (!) Jahre in den Billboard Top 100, sie ließen riesige Tiermonstren über den Konzertstadien fliegen – das bekannteste ist das Schwein von der LP „Animals“ –, und sie spielten auf einer schwimmenden Bühne vor Venedig. Der Aufwand für „The Wall“ wiederum war sogar so groß, dass sie das volle Psychodrama überhaupt nur in London, New York, Los Angeles und Dortmund aufführen konnten. Bei späteren Tourneen war der ganze Pink-FloydTross mit 48 Sattelschleppern quer durch Europa unterwegs. Diese Gigantomanie war auch der Tatsache geschuldet, dass Pink Floyd ihre auf den Platten so perfekt austarierten Klänge und Effekte auf der Bühne ebenso exakt wiedergeben wie mit visuellen Effekten beeindrucken wollten. Das Live-Album „Pulse“ wurde in London Rom, Modena und Hannover mitgeschnitten und präsentiert einen exzellenten Querschnitt durch Pink Floyds Schaffen. Der Barrett gewidmete Abschiedssong „Shine On You Crazy Diamond“ ist ebenso dabei wie das von ihm geschriebene „Astronomy Dominé“ sowie die vom Bassisten Roger Waters stammenden „Hey You“ und „Another Brick In The Wall“. Dazu kamen viele Titel vom damals aktuellen Erfolgsalbum „The Divison Bell“ – unter anderem „What Do You Want From Me“, „Learning To Fly“ und vor allem das von Gilmour und seiner Frau Polly Sampson komponierte „High Hopes“, das sich zu einem späten Floyd-Klassiker entwickeln sollte. Zum ersten und einzigen Mal aber, und das macht „Pulse“ so einzigartig, spielten Pink Floyd auf dieser Tournee die komplette „Dark Side Of The Moon“-Platte – wenn auch ohne Roger
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Waters, der die Band nach „The Final Cut“ 1983 im Streit verlassen hatte. Das Ergebnis ist ein Hörerlebnis mit Gänsehautfaktor. Das gilt auch für den Abschluss des Albums – für „Wish You Were Here“ vom gleichnamigen Millionenseller sowie zwei weitere Titel von „The Wall“: „Comfortably Numb“ und „Run Like Hell“. Die Anziehungskraft von Pink Floyd war ungebrochen: Allein in den USA verkauften sich binnen sechs Wochen nach Erscheinen zwei Millionen Stück von „Pulse“. gf ZUM WEITERHÖREN
Pink Floyd: Is there Anybody Out There? The Wall Live 1980 – 1981 (2000) – Erst nach fast 20 Jahren erschien das Livedokument dieses beeindruckenden Werks über die Isoliertheit eines Menschen in der Massengesellschaft David Gilmour: Live In Gdan´sk (2008) – Gilmour spielte zum Jahrestag der Gründung der polnischen Gewerkschaft Solidarnos´c´ in der Danziger Werft, mit dem Ex-Kollegen Rick Wright, der hier zum letzten Mal auf einer Platte zu hören ist
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1995
The Rolling Stones: Stripped (Virgin)
Das muss man sich mal vorstellen: Die Rolling Stones sind von 1994 bis 1996 auf einer umjubelten Welttournee und treten in den größten Stadien auf, um ihr aktuelles Album „Vodoo Lounge“ vorzustellen – zwischendurch aber mieten sie sich in kleine Veranstaltungsstätten wie den Paradiso Club in Amsterdam und das Olympia Theatre in Paris ein und treffen sich zu Studioproben in Tokio und Lissabon. Als ob sie sich ihrer Fähigkeiten als Musiker und als Band versichern müssten. Es klingt widersinnig, aber so wirkte es: Hier die schiere, kaum fassbare Größe mit Auftritten vor hunderttausenden Zuhörern – und auf der anderen Seite die Intimität kleiner Events. Sicher, das Album entstand in der Blütezeit der Unplugged-Alben – die Stones legten trotzdem etwas sehr Exquisites vor. Hier ist nichts zu hören vom dröhnenden „Rumpelsound“ großer Stadien, sie spielen halbakustisch, verzichten überwiegend auf große Hits wie „Sa-
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tisfaction“ oder „Get Off Of My Cloud“ und warten stattdessen mit selten gespielten Songs und einer Überraschung auf. Bis auf das von Keith Richards gesungene „Slipping Away“ von 1995 stammen alle Songs aus den Jahren 1964 bis 1973. Auf ein wütendes „Street Fighting Man“ folgt Dylans Klassiker „Like A Rolling Stone“ in einer Gassenhauerversion zum Mitgrölen, das selten gespielte „Shine A Light“ wird später zum Namensgeber eines weiteren Konzertalbums, und das leicht zynisch und bluesig vorgetragene „The Spider And The Fly“ war in Großbritannien einst die B-Seite der Single „Satisfaction“. „I’m Free“ und „Wild Horses“ klangen selten so intensiv, und „Sweet Virgina“ kommt ziemlich gospelig daher. „Angie“ wird von Mick Jagger mit einem „Sweet!“ angekündigt, und am Anfang von „Love In Vain“ verspielt sich Keith Richards gleich mal, worüber er und Ron Wood sich prächtig amüsieren. Wer genau hinhört, merkt, dass auch Wood sich mehr als einmal mit seiner Slidegitarre im Song verirrt. Aber das ist egal, solange die Nummer groovt, und das tut sie zweifellos. Den Schluss bildet Willie Dixons „Little Baby“, ein Song, den die Stones nie zuvor aufgenommen hatten. Wie auch immer die Stones sich über die Jahrzehnte entwickelt haben: Auf diesem Album vermitteln sie noch einmal eine Ahnung davon, wie sie einst anfingen, als räudige Straßenband mit einer Vorliebe für Rhythm & Blues, die immensen Spaß an der Provokation und am Spielen hat. Er ist ein prima Einstieg in die Welt der Stones – danach kann man sich ruhigen Gewissens ihrer früheren Musik und den spägf teren Massentaten zuwenden. ZUM WEITERHÖREN
The Rolling Stones: Get Yer Ya-Ya’s Out! (1970) – Das Livealbum zur ersten Tour mit Mick Taylor als neuem Gitarristen. Benannt nach einem Voodoo-Wortspiel, teuflisch mitreißend – und mit einer herrlichen Version von „Love in Vain“ The Rolling Stones: Shine A Light (2008) – Der Soundtrack zu Martin Scorseses gleichnamigem Konzertfilm – mit einem grandios dekadenten „Champagne & Reefer“
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1998
Bee Gees: One Night Only (Polydor)
Das auf der Isle of Man geborene und in Australien aufgewachsene Brüdertrio Barry, Maurice und Robin Gibb musizierte und sang schon seit frühester Kindheit gemeinsam. Es ist zwar nicht so, dass sich die Drei immer bedingungslos liebten, wie in verschiedenen Interviews nachzulesen ist, ohne einander konnten sie aber auch nicht sein. Ihre lange Karriere als Bee Gees, also als „Brothers Gibb“, kann in drei Phasen eingeteilt werden: Die ersten großen Höhepunkte hatten sie von England aus mit ihren von Robin Gibbs einprägsamer, leicht meckernder Stimme dominierten Pop-Ohrwürmern wie „Massachusetts“, „World“ und „Words“. Nach einer vorübergehenden Trennung prägte die Band ab Mitte der 70er-Jahre die Discoära maßgeblich mit Songs wie „Jive Talkin’“, „Nights On Broadway“ und vor allem mit dem Soundtrack zu „Saturday Night Fever“. 1987 starteten die Gibbs ein weiteres Comeback mit einer kurzen Hitphase, die mit „You Win Again“ begann. Diese letzte Phase spielte aber keine Rolle, als die Brüder am 7. November 1997 ein Konzert im MGM Grand in Las Vegas mitschnitten. Dabei gelang ihnen der Spagat, die Hits ihrer poppigen, eher balladesken Ära mit den schwungvollen Discohits zu verbinden. Man hört, dass das Trio musikalisch extrem versiert mit dem eigenen Werk umgeht. Jeder Ton sitzt. Trauriger Höhepunkt ist „(Our Love) Don’t Throw It All Away“, das Barry Gibb schrieb und das vom jüngsten Bruder, dem 1998 nur 30-jährig verstorbenen Andy Gibb, in die Charts gebracht wurde. Ansonsten lassen die Zwillinge Maurice und Robin sowie Barry ihre Karriere Revue passieren – erst recht in der 1999 erschienenen Edition mit Bonus-CD und insgesamt 30 Stücken sowie der DVD mit 32 großen Songs einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten: „You Should Be Dancing“, „Tragedy“, „To Love Somebody“, „How Deep Is Your Love“, „New York Mining Disaster 1941“, „How Can You Mend A Broken Heart“, „Massachusetts“, „Stayin’ Alive“ und „You Should Be Dancing“, das den Anfang und den Schluss des Konzerts bildet – die
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Bee Gees scheren sich dabei wenig um die Chronologie ihrer Karrierephasen, sie springen zwischen Discosound und Ballade hin und her. Dass das Ergebnis stimmig ist, liegt am Können der drei Brüder. Sie verlassen sich blind aufeinander – was man bei diesem Konzert merkt, besonders beim sehr intimen „Still Water (Run Deep)“, das auf der Original-CD leider nicht zu finden ist, und bei „Immortality“, einem Duett mit Céline Dion, das zum letzten großen Hit der Gruppe wurde. Heute weiß man, dass diese eine Nacht auch eine Art Abschied darstellte – 2003 verstarb Barry Gibb, die Band löste sich nach fünf Jahren Ruhepause endgültig auf. Robin Gibb verschied 2012, so dass mp Maurice heute der letzte lebende „Brother Gibb“ ist. ZUM WEITERHÖREN
Bee Gees: Here At Last … Bee Gees … Live (1977) – Das erste Livealbum der Brüder Gibb. Sie fordern gepflegt zum Tanz, vergessen aber die alten Hits nicht. Das Medley auf Seite zwei ist umwerfend
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1998
Garth Brooks: Double Live (RCA)
Gleich vorweg: Dieses Livedoppelalbum ist das erfolgreichste, das je veröffentlicht wurde – obwohl es seinen Erfolg fast ausschließlich in den USA erzielte. Die RIAA, der Verband der US-Musikindustrie, zeichnete es mit 21 Mal Platin aus – einmal Platin erhält man für eine Million verkaufte Platten. Damit verwies Garth Brooks sogar Bruce Springsteens Fünffach-Album „Live 1975-1985“ auf den zweiten Platz. Ein Erfolg, der umso mehr erstaunt, als es ihm an zeitgenössischen Konkurrenten nicht mangelte: Genannt seien nur Alan Jackson, Tim McGraw und Brooks & Dunn. Bei Garth Brooks war von Anfang an alles etwas größer als bei anderen: Seine nach ihm benannte Debüt-LP blieb vier Jahre in den Charts, das Nachfolgealbum „No Fences“ war in den 90er-Jahren das meistverkaufte Countryalbum. Ende 1992 unterschrieb er zudem
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gleich einen 20-Jahres-Vertrag mit seiner Plattenfirma Liberty Records. Dass er alle Preise einheimste, die in den USA für Musik zu vergeben sind, erscheint da fast nebensächlich. Was aber macht seinen Erfolg aus? Seine Musik fällt unkonventioneller aus als bei seinen Countrykollegen: Er singt nicht nur ehrlich, aufrecht und mit einer gehörigen Portion Pathos von seinen Gefühlen („Papa Loved Mama“), was für US-amerikanischen Country typisch ist, er packt auch Themen an, die für viele seiner Landsleute bis heute heikel sind: in „We Shall Be Free“ zum Beispiel Homosexualität, und häusliche Gewalt im packenden „The Thunder Rolls“. Er integriert rockige Elemente in seine Musik, bittet Künstler wie den afrikanischen Sänger Keb’ Mo’ und den US-Rocker Huey Lewis zu sich auf die Bühne, singt Bob Dylans Ballade „To Make You Feel My Love“ auf sehr berührende Weise, macht sich Billy Joels „Shameless“ und Art Garfunkels „Heart In New York“ zu eigen. Die Botschaft, die er damit vermittelt: Seine Themen und seine Musik sind nicht nur auf dem Land zu Hause. Dass er sogar aus dem Song „The Fever“ der Hardrockband Aerosmith einen treibenden Countryrocker zu machen versteht, hat seine ganz eigene Faszination. Wenn er „Unanswered Prayers“ anstimmt und sein Publikum das Lied alleine zu Ende singt, wirkt es, als ob man einem riesigen Gottesdienst mit Sänger beiwohnte. Die beste „Double Live“-Wahl ist die sogenannte „Collectors Edition“ – sie enthält fünf Songs mehr und vor allem eine DVD, auf der die durchaus begeisternde Show dieses Musikers zu sehen ist. Ein gf Album, mit dem man tief in die Seele der USA eintaucht. ZUM WEITERHÖREN
Garth Brooks: Ropin’ The Wind (1991) – Brooks drittes Album und das erste, das es auf Platz eins der Billboard-Charts schaffte. Mit dem schönen Song „Burning Bridges“ Alan Jackson/ George Strait/Jimmy Buffett: Live At Texas Stadium (2008): – Das Livealbum der drei anderen Superstars des US-Country wurde bereits 2004 aufgenommen. Mit einer stürmischen Version von Hank Williams’ „Hey, Good Lookin’“
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1999
Metallica: S&M (Universal)
Entwaffnend lakonisch gab Gitarrist James Hetfield zu Protokoll: „Es gibt keinen Heavy Metal mehr. Dieser Stil ist in den Grenzen erstarrt, die er sich selbst gesetzt hat.“ Bassist Jason Newsted sekundierte: „Ich kann mir nicht vorstellen, mit 50 noch headbangend über die Bühne zu hetzen. Ich könnte mir eher vorstellen, in einer Jazzband Kontrabass zu spielen und Elvis-Songs zu covern.“ Auf den Alben „Load“ (1996) und „Re-Load“ (1997) hatte sich die Abkehr vom knüppelharten Metal bereits abgezeichnet: Statt stakkatoartigen Gitarrengewittern und massivem Schlagzeugdonner hörten die Fans plötzlich auch Bluesiges, Balladen, jazzige Elemente. Was die von Drummer Lars Ulrich gegründete Band dann aber am 21. und 22. April im Community Theater in Berkeley bot, überraschte nicht wenige: Sie standen mit einem der weltbesten Orchester auf der Bühne – der San Francisco Symphony, dirigiert von Michael Kamen. Wieder einmal trafen mehr als 100 klassisch ausgebildete Musiker auf eine Rockband – ein Crossover-Unterfangen, das es schon oft gegeben hat und das meist eher unbefriedigende Ergebnisse nach sich zog. An diesen beiden Abenden war alles anders: Michael Kamen hatte sich lange vorher mit den Songs von Metallica beschäftigt. Statt Begleitpartituren zu konzipieren und die Songs einfach nur zu orchestrieren, schrieb er neue Melodien und Gegenmelodien. Er ließ das Orchester die Powerchords und Riffs der Band mal unterstützen, mal umspielen, mal übernehmen und fügte den lyrischeren Songs neue Klangfarben hinzu. Das gelang so gut, dass die als Single ausgekoppelte Ballade „Nothing Else Matters“ in Deutschland zum größten Hit wurde, den Metallica je hatten. „The Call Of The Ktulu“ wirkt mehr denn je wie ein düsterer Alptraum, in „For Whom The Bell Tolls“ sind es die Geigen, die das einprägsame Riff wütend vortragen, „Master Of Puppets“ und „Enter Sandman“ sind mit großartigen Gruselschattierungen ausgestattet, und
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„Sad But It’s True“ – ursprünglich von ihrem fünften Studioalbum „Metallica“ stammend, wird ungeheuer dicht und düster. Das ist ein kleines Wunder, denn dieses psychotische Liebeslied hat die Band immer im Programm. Man sollte meinen, dass nach mehr als 1.000 Konzerten nichts Neues mehr kommen kann – aber bei Metallica ist sowieso alles anders als bei anderen Rockbands: Wenn Metal überhaupt noch an Kraft hinzugewinnen kann, dann so. Auf „S&M“ verschmelzen beide Welten. „S&M“ steht übrigens für Symphony und Metallica – für nichts gf anderes. ZUM WEITERHÖREN
Black Sabbath: Live Evil (1982) – Erste Livewerkschau der Heavy-Metal-Altmeister, mit „Paranoid“ Black Sabbath: Live … Gathered In Their Masses (2013) – Rick Rubin produzierte „13“, das Comeback-Album. Die Band stand damit zum ersten Mal in ihrer mehr als 40 Jahre dauernden Karriere in Deutschland, den USA und in Großbritannien an der Spitze der Charts
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1999
The Clash: From Here To Eternity: Live (Epic)
The Clash waren die letztlich wohl wichtigste britische Punkband. Am Anfang, als es nur die unter dem politisch nicht korrekten Namen London SS firmierende Keimzelle um Paul Simonon und Mick Jones gab (der auch Bands wie The Damned, Generation X, Chelsea und The Boys entsprangen), war das Potenzial nicht abzusehen. Erst als der 2002 verstorbene Joe Strummer dazu stieß, wurde die Band zu The Clash, auf Deutsch „der Zusammenprall“. Das ist wörtlich zu nehmen: Neben Punk und typischer Sixties-Beat-Power im Stile der frühen Who ließ die Gruppe auch andere Einflüsse, etwa Reggae, zu. Speziell Strummer liebte die Musik der jamaikanischen Einwanderer, was man auch bei der Version von Bob Marleys „Redemption Song“ hört, die er in reifem Alter im Duett mit dem greisen Johnny Cash aufnahm. Reggae-Anklänge sind auch auf „From Here To Eternity“ zu finden. Die Liveplatte der Clash gibt sehr gut wieder, was die Band auszeichnete. Die Stücke wurden 1978, ’81 und ’82 an verschiedenen Orten eingespielt. Der Eindruck, eine zerrissene Band vor sich zu haben, wird durch die unterschiedliche Soundqualität verstärkt. Man kann aber deutlich hören, dass sich The Clash musikalisch verbesserten – diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn man die fünf Studioalben dieser Zeit nacheinander hört. Innerhalb von vier Jahren wurde die Band handwerklich immer besser, ohne ihre Energie einzubüßen. Die kreative Luft ging ihnen erst ganz am Ende aus, ohne Gitarrist und Songwriter Mick Jones auf dem letzten Album „Cut The Crap“. „From Here To Eternity“ ist ein Statement der Unbeugsamkeit, schlicht großartige Songs werden mit sehr rauer Attitüde vorgetragen. Ein Teil der Lieder fand übrigens auch in dem kultigen, halb fiktionalen, halb dokumentarischen Punkfilm „Rude Boy“ Verwendung. Im Gegensatz zur Live-CD muss man diese DVD aber nicht besitzen. Was die Band mit – je nach dem Zeitpunkt der Aufnahme – Nicky „Topper“ Headon bzw. Terry Chimes am Schlagzeug auf der Bühne macht, ist
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energiegeladener Punk mit eingängigen Melodien und politisch linken, die damalige Situation in der britischen Gesellschaft beschreibenden Texten – etwa in „Guns Of Brixton“, „London’s Burning“, „(White Man) In Hammersmith Palais“ und „Know Your Rights“. Höhepunkte sind auch die rüde Version des Bobby-Fuller-Four-Klassikers „I Fought The Law“, das schmissige, in einen Rocksong gegossene Pendant zu HorstEberhard Richters „Flüchten oder Standhalten“ – „Should I Stay Or Should I Go“ – und „The Magnificient Seven“. Dieser Song vom Album „Sandinista!“ trägt zwar mit „Die glorreichen Sieben“ einen bekannten Western als Titel, beschäftigt sich aber mit der damals neuen Rapmusik, speziell mit der von Grandmaster Flash & The Furious Five. The mp Clash waren eben mehr als „nur“ eine Punkband. ZUM WEITERHÖREN
Buzzcocks: Live AT The Roxy Club (1989) – 1977 tobten Pete Shelley und Co. durchgeknallt und mit ungebremster Wut durch „Orgasm Addict“, „Boredom” oder „Oh Shit!“
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2005
Kraftwerk: Minimum-Maximum (Kling Klang)
Ab wann ist etwas live? Diese Frage stellt sich bei den Düsseldorfer Elektropionieren von Kraftwerk unweigerlich, zumal die Formation speziell in den erfolgreichen 80er-Jahren immer wieder betonte, dass sie dank moderner Computertechnik an mehreren Orten gleichzeitig auftreten könnte. Wahrscheinlich hätten Mastermind Ralf Hütter und seine Tüftler das Ganze gern von einem zentralen Rechengehirn aus gesteuert und wären selber nirgends persönlich erschienen. 2004 – 34 Jahre nach dem ersten Konzert der Gruppe – war das ganz anders: Kraftwerk gingen auf Welttour, waren physisch tatsächlich anwesend. Die Stücke auf „Minimum-Maximum“ wurden an unterschiedlichen Orten aufgenommen, was nicht stört, weil es dem elektronischen Equipment herzlich egal ist, in welcher Stadt es ans Netz geht. Haupt-
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sache, die Spannung stimmt. Dass Kraftwerk auch mit Stromausfällen umgehen können, bewiesen sie bei einem Konzert in Nürnberg – die Band besteht bekanntermaßen aus hervorragenden Musikern, die auch „normale“ Instrumente beherrschen. Wie prägend Kraftwerk noch heute sind, belegen vor allem die Alben vier bis acht – von „Autobahn“ über „Radio-Aktivität“ und „Trans Europa Express“ bis zu „Die Mensch-Maschine“ und „Computerwelt“. Zwischen 1974 und 1981 schufen sie Werke, ohne die sich ElectroPop, House, Hip-Hop, Ambient und andere Gattungen nicht so entwickelt hätten, wie wir sie heute kennen. Und deshalb nehmen die fortschrittsgläubigen und auch -fördernden Stücke dieser Ära zu Recht viel Platz auf der Doppel-CD ein: der große internationale Durchbruch „Autobahn“, „Computerwelt“, „Taschenrechner“, „Die Roboter“, „Metall auf Metall“, „Abzug“, „Das Model“ und „Nummern“ prägen dieses ziemlich andere Konzerterlebnis. Im Mittelpunkt steht aber „Tour de France“, das eine spezielle Liebe der leidenschaftlichen Radrennfahrer Ralf Hütter und Karl Bartos, der Kraftwerk 1990 verließ, dokumentierte. Das ursprünglich zum 80. Geburtstag des Sportgroßereignisses geschaffene Werk ist in drei Etappen auf CD eins zu hören. Kraftwerk sind keine Band, die das Haus „rockt“, sie schaffen Kunstwerke und sind selbst absichtlich zu Ikonen geworden. Das macht den besonderen Reiz von „Minimum-Maximum“ aus, denn dieses Spektakel unterscheidet sich von so ziemlich allem, was die populäre Musik sonst so auf die Bühne gebracht hat. Aber genau das wollten Kraftwerk auch unbedingt. Ob das noch live ist? Solange die Prozessoren arbeiten und die Festplatten sich drehen, so lange ist das noch echte Musik. Zukunftsweisend klingen sie noch heute. Die Sounds sind mp handgesteuert und mit dem Kopf gemacht. ZUM WEITERHÖREN
Daft Punk: Alive (2007) – Die Enkel von Kraftwerk kommen aus Frankreich, verstecken sich hinter Raumfahrerhelmen und lassen die Roboter rocken. Großartig ist, wie sie ihre Songs miteinander verbinden, zum Beispiel „Touch It“ und „Technologic“
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2009
Leonard Cohen: Live In London (Columbia)
Rund vier Jahrzehnte vor seiner triumphalen, endlos langen Welttournee, auf der sich Leonard Cohen immer noch befindet, nannte er sich militärisch „Field Commander Cohen“ und gab sich auf der Bühne melancholisch bis grimmig. Aber die Zeiten ändern sich: Als der gebürtige Kanadier am 17. Juli 2008 in der Londoner 02-Arena gastierte, bekamen die Fans einen gut gelaunt scherzenden und topfitten Cohen zu sehen. Auch die deutschen Zuschauer wunderten sich, wie freundlich und entspannt der Künstler sich gab und wie gut er mit fast 76 Jahren noch aussah: „Mit abgeklärter Altersweisheit hat Leonard Cohen sein Comeback nach 15 Jahren in der Olympiahalle zelebriert“, schrieb Ingeborg Schober am 15. Mai 2010 anlässlich seines Münchner Konzertes in der Süddeutschen Zeitung. Dass der Songwriter angeblich nur deshalb wieder auf Tour ging, weil ihn eine böse Managerin um sein Geld gebracht hatte, war zu keiner Sekunde zu spüren. Genauso wenig schien ihn die Tatsache zu stören, dass er drei Jahre lang mit derselben Setlist auftrat. Das ist allerdings kein Wunder, denn so viele Songs hat Leonard Cohen eigentlich gar nicht geschrieben: Zwischen 1967 und 2004 veröffentlichte er gerade mal elf Alben, das erste war „Songs From Leonard Cohen“, das zum Konzertzeitpunkt letzte stammt von 2004 und heißt „Dear Heather“, aber von diesem Werk findet sich kein einziges Stück im Programm der Tour. Ansonsten singt Cohen, unterstützt von einer phänomenalen neunköpfigen Band, viele seiner weltbekannten Songs. Er berührt damit die Seele, egal wie oft man die Lieder im Laufe seines Lebens schon gehört hat. Cohen „macht Musik, die extrem gut trösten kann in allen möglichen Situationen. Das kann er wie kein anderer“, erklärt Martin Gretschmann von The Notwist ebenfalls in der SZ das Phänomen. Dabei sind die Stücke selbst meist nicht so positiv. „Dance Me To The End Of Love“ ist so ein Beispiel: Mit diesem schwungvollen Hinweis darauf, dass jede Liebe zu Ende gehen muss, beginnt das Konzert.
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Das Lied stammt von einem Cohen-Album, das man gern mal vergisst: „Various Positions“ ist dennoch großartig, aber nur noch mit einem einzigen weiteren Stück, mit dem vor allem durch Jeff Buckley, John Cale (im „Shrek“-Film) und Rufus Wainwright (auf dem „Shrek“-Soundtrack) bekannten „Hallelujah“ vertreten. Im Gegensatz dazu sind von der Nachfolge-LP „I’m Your Man“ sechs der acht Tracks zu hören – besonders gelingen in London „Ain’t No Cure For Love“ und „Tower Of Song“. Standards wie „Bird On The Wire“, „So Long Marianne“, „Suzanne“ und „Who By Fire“ bringt Cohen charmant swingend rüber, und bei „Democrazy“ vom „The Future“-Album fällt es ihm nicht schwer, aktuelle Bezüge in der Anmoderation unterzubringen. Leonard Cohen war einfach mp richtig gut drauf. ZUM WEITERHÖREN
Leonard Cohen: Field Commander Cohen (2001) – Spät veröffentlichte, in England entstandene Liveaufnahmen von 1979. Mit dem phänomenalen „Memories“, dessen Musik Phil Spector schrieb
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2009
Die Fantastischen Vier: Heimspiel (Columbia)
20 Jahre Fanta 4 – da wurde am 25. Juli 2009 nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt. Schließlich ist es schon eine Leistung, als Band über zwei Jahrzehnte hinweg ganz oben zu stehen. Erst recht im Bereich Deutschrap, den die vier aus „Benztown“ – also Stuttgart – zwar maßgeblich geprägt haben, der sich aber doch sehr rasant immer weiter entwickelt hat. An jenem Samstag im Sommer waren 60.000 plus u. a. Clueso in dem Stadion in Cannstatt, in dem sonst der VfB Stuttgart auf Torejagd geht. Smudo, Thomas D., DJ Michi Beck und Keyboard-Großmeister And. Ypsilon tobten quirlig und vergnügt durch die eigene Historie, unterstützt vom Orchester des Bolschoi-Theaters und dem weißrussischen Staatsballett. Man kleckerte eben nicht beim runden Geburtstag, außerdem hatte man beim ersten „Unplugged“-Konzert schon mit klassischen Musikern gute Erfahrungen gemacht. 1992,
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anlässlich eines Radiointerviews mit dem Autor dieser Zeilen, gab Smudo, der in Wirklichkeit Michael Schmidt heißt, zu Protokoll, man könne Hip-Hop sowieso nur als junger Mensch ernsthaft „betreiben“. Aber schon damals saß ihm der Schalk im Nacken – und „ernsthaft“ war er am Anfang der Karriere auch eher selten. Die Jubiläumsfeier, die man sich getrost auch auf BluRay anschauen kann, weil es munter und bunt zugeht, enthält fast alle von den Fans geliebten Tracks der Fanta 4, also u. a. „Mfg“, „Einfach sein“, das im Original auch Herbert Grönemeyer einbindet, „Die da?!“, „Troy“, „Jetzt geht’s ab“ vom selbstbewussten Anfang ihrer Karriere, „Tag am Meer“, „Sie ist weg“ und „Populär“. Dass das schwäbische Quartett tatsächlich lange Zeit stilbildend war, spielt nach 20 Jahren weniger eine Rolle, ist aber doch deutlich herauszuhören. Sie übertrugen das USamerikanische Rap-System höchstens zu Beginn eins zu eins ins Deutsche; schon mit dem zweiten Album „4 gewinnt“ entwickelte sich eine sehr eigenständige, deutsche Art des „Sprechgesangs“. Das belegen „Tag am Meer“ und „Du Arsch“ – vormals „Arschloch“ – ebenso wie zum Beispiel das späte „Fornika“ und „Krieger“ vom 95er-Werk „Lauschgift“. Die Fantastischen Vier haben sich auch musikalisch immer weiter vom Rap-Sujet entfernt – mit ihrer live eingespielten Rockeinlage „Megavier“, ihren Anklängen an Funk, Disco und Electro in späteren Jahren. Insofern geht auch die Kollaboration mit Ballett und großem Orchester in Ordnung. Warum sie das gemacht haben? Weil sie es können und ihnen nach 20 erfolgreichen Jahren niemand mehr dreinreden konnte. Die Fans freute es allemal, denn Smudo, Thomas, And. und Michi mp waren an jenem Abend in bester Partystimmung. ZUM WEITERHÖREN
Die Fantastischen Vier: MTV Unplugged (2000) – Großartig, irgendwie akustisch und doch sehr typisch. Enthält u. a. „Die Geschichte des O“ und „Millionen Legionen“. Die Fantastischen Vier: MTV Unplugged II (2012) – Wieder mit Streichorchester, nun aber auch mit Gospelchor und „Gebt uns ruhig die Schuld“
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2010
The White Stripes: Under Great White Northern Lights (Third Man)
Der in der Motown-Stadt Detroit geborene Jack White ist ein Erneuerer, ein umtriebiger Künstler, der versucht, die „klassische“ Musik der USA auf eigene Weise neu zu definieren – Country, Rock ’n’ Roll und speziell der Blues haben es ihm angetan. Er ist Künstler und Fan, Labelbetreiber und Talentscout, dabei selbst hyperaktiv. Und er fühlt sich schnell eingeengt, weshalb er die erfolgreiche Kollaboration, aber auch die Ehe mit Meg White nach sechs Alben und stetig wachsendem Erfolg aufgab. Die letzten drei CDs „Elephant“, „Get Behind Me Satan“ und „Icky Thump“ erreichten weltweit hohe Chartplatzierungen. Auf dem Höhepunkt verließ Jack White die Partnerin, gründete die Raconteurs und wurde solo zum Alternative-Star. Den Nachnamen seiner Expartnerin behielt er: Eigentlich heißt er John Anthony Gillis. Die White Stripes als Band waren schon seit drei Jahren Geschichte, als „Under Great White Northern Lights“ im August 2010 auf den Markt kam. Bei den Aufnahmen, die von der letzten USA- und KanadaTour des Duos stammten, war das Ende der Beziehung schon in Sicht. Aber noch einmal rafften sich die Whites auf, ließen ihre Zusammenarbeit kraftvoll Revue passieren: Jack, einer der besten Gitarristen des „jungen“ Amerika, und Meg, die am Schlagzeug brillierte, streiften wie hungrige Raubkatzen durch das eigene Werk. Sie übertrugen ihren Musikhunger genauso wie ihre Wut, ihre Trauer, ihre Verzweiflung auf das Publikum. Mit dieser Gemengelage an Emotionen pirschten sie sich an die Songs heran, an das Film-Noir-angehauchte „Blue Orchid“, das damals aktuelle „Icky Thump“, interpretierten sie „I’ll Believe I Dust My Broom“ und den „Phonograph Blues“ von Robert Johnson. Trotz ihrer punkigen Attitüde waren die Stücke der White Stripes im Geist immer den Traditionen verhaftet. Meg und Jack coverten auch Burt Bacharachs „I Just Don’t Know What To Do With Myself“. Das klingt in der Retrospektive so, als wäre
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sich das Paar nicht sicher gewesen, wie es weitergehen sollte. Zumal sie direkt zuvor „We’re Going To Be Friends“ vom dritten, 2001 erschienen Album „White Blood Cells“ spielten. Ein Schelm, wer da nicht an das Scheitern der Beziehung denkt. Den Abschluss der CD bildet „Seven Nation Army“, der „Überhit“ der White Stripes. Der Song schaffte es in vielen Ländern in die Top Ten, hat aber längst ein Eigenleben entwickelt: Ausgehend von einem Uefa-Cup-Spiel zwischen dem FC Brügge und dem AS Rom erreichte er über die italienische Serie A sowie die Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz Kultstatus in den Stadien. Jack White dürfte das mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis mp genommen haben. ZUM WEITERHÖREN
Seasick Steve: Walkin’ Man – The Best Of (2013) – Der „räudige Hund“ des Blues: Angeblich früher als Hobo unterwegs, spielt er virtuos, aber ungeschliffen. Die „Deluxe Edition“ enthält eine DVD mit einem Konzert in der Londoner Brixton Academy
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2011
A-ha: Ending On A High Note: The Final Concert (Live At Oslo Spektrum: December 4, 2010) (Universal)
Mit einem Heimspiel im Oslo Spektrum endet am 3. und 4. Dezember 2010 die Tour von Norwegens erfolgreichster Popgruppe. Aber was heißt hier „Popgruppe“? Was das Trio bei den beiden Shows und nicht nur an dem Abend, der auf dem Cover genannt wird, zelebriert, ist große Kunst. Sänger Morten Harket, Keyboarder Magne Furuholmen und Gitarrist Pål Waaktaar-Savoy sind mit allen Wassern gewaschene Profis. Furhuolmen und Waaktaar-Savoy haben sich außerdem längst als Songschreiber von Format etabliert. Immerhin blickt die Band zu diesem Zeitpunkt auf 20 Jahre Karriere zurück. Das tun sie mit Schwung und mit Liedern, die mehr sind als Chartsfutter. Der frühe Hit „Take On Me“ funktioniert ebenso wie das Titelstück des 1987er James-
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Bond-Films „The Living Daylights“ („Der Hauch des Todes“), das gemeinsam mit 007-Komponist John Barry entstand, und „Stay On These Roads“, eine von vier erfolgreichen Singles aus dem gleichnamigen Album. Überhaupt ist diese Live-CD eine Werkschau, die alle Phasen der Skandinavier würdigt – und nebenbei das eine oder andere Ausrufezeichen setzt. So zeigt sich zum Beispiel beim von Carole King und Howard Greenfield im Brill Building geschriebenen Everly-Brothers-Hit „Curling In The Rain“, wie gut Morten Harket wirklich singen kann. Auch beim späten A-ha-Erfolg „Foot On The Mountain“, der 2009 international in die Charts gelangte, ist das zu hören. A-ha klingen so frisch und munter, als hätten sie sich eben erst gefunden und den Spaß am Spiel entdeckt. Das liegt auch an den luftig federnden Melodien, etwa von „The Sun Always Shines On T.V.“ und dem in Deutschland leider nicht so bekannten „Cry Wolf“ vom zweiten Album „Scoundrel Days“. Man mag A-ha vorwerfen, dass sie mit ihren Kompositionen und den Produktionen sehr auf deren kommerzielles Potenzial und die Hitparaden schielten. Aber anderseits bewiesen die Nordmänner auch, dass sich Können und ein Gespür für Qualität durchsetzen. Erst recht bei diesem Tourfinale im Dezember 2010, das auch das Ende der Band markierte. Als die CD am 1. April des folgenden Jahres auf den Markt kam, waren A-ha Geschichte. Vorübergehend – im Herbst 2015 erschien das Album „Cast In Steel“ mit neuen Songs. Die Tour dazu zeigte, dass das Trio immer noch nichts verlernt hat. Aber der Abschied von 2010 war ein emotionaler und musikalischer Höhepunkt, der sich nicht so einfach wiederholen lässt. Deshalb sollte man sich die „Limited Edition“ holen, denn die enthält neben dem Konzertfilm auch statt der gf standardmäßigen 16 Tracks der Shows alle 20. ZUM WEITERHÖREN
A-ha: How Can I Sleep with Your Voice in My Head? (2003) – Noch mal eine Dosis perfekter norwegischer Pop. Dexys: Nowhere Is Home (2013) – Kevin Rowland, die tragische Gestalt des Pop, ist wieder da – und mit ihm „Geno“ und „Old“
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2011
Elvis Costello & The Imposters: The Return Of The Spectacular Spinning Songbook (Hip-O)
Das Leben ist wie ein Glücksrad. Declan Patrick MacManus, besser bekannt als Elvis Costello, ließ mit Hilfe einer solchen, allerdings virtuellen Vorrichtung bestimmen, welche Songs er live spielen wird. Einen Haken hatte die Sache: Auf das Drehobjekt passte nur ein Bruchteil der Lieder, die der Künstler auf bis dahin 28 Studioalben und diverse Compilations verteilt hatte. Kritiker bemängelten zudem, dass Costello die wichtigsten Stücke seiner 1977 beim Stiff-Label begonnenen Karriere auch ohne Zufallsprinzip auf die Bühne gebracht hätte. Vermutlich war kein Aufsichtsbeamter zugegen als die Tracks für die Shows ausgewählt wurden. Aber egal, der Mann hat so viel grandiose Musik aufgenommen, dass das Ergebnis, Spielfreude vorausgesetzt, auf jeden Fall ziemlich gut ausfallen musste – bei allen Lotteriekonzerten der „Revolver Tour“ war das Publikum begeistert. Was wir heute auf der CD und der in Los Angeles entstandenen DVD hören bzw. sehen können, ist ein Künstler, der perfekt mit dem eigenen Werk umzugehen versteht. Diesen Eindruck gewinnt man unweigerlich, wenn man sich die Setlists der einzelnen „Spinning Wheel“Shows ansieht. Jedes Konzert ist wirklich anders – und das über drei Jahre und ebenso viele unterschiedlich bestückte Glücksräder hinweg. Auf dem Tonträger befinden sich Stücke, die man von Costello erwarten kann, die auf der Tour aber immer wieder durch andere Songs gleichwertig ersetzt werden – so „I Want You“, das frühe „Radio Radio“ und „Every Day I Write The Book“ vom Album „Punch The Clock“, dazu – nur auf der 10-Inch-EP in der „Super Deluxe Edition“ – „Pump It Up“ sowie „Brilliant Mistake“. Die eher unbekannten Tracks machen das „Spectacular Spinning Songbook“ interessant, denn die hört der Fan selten. Trotzdem, oder weil man sie nicht so im Ohr hat, dienen sie hervorragend als Plattform für einen der wichtigsten Songwriter der Gegenwart: „National Ransom“, „Stella Hurt“ und das gemeinsam mit
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Susanna Hoffs von den Bangles vorgetragene „Tear Off Your Own Head (It’s A Doll Revolution)“ vom 2002 veröffentlichten Album „When I Was Cruel“ sind Höhepunkte. Elvis Costello rockt, aber er hat Soul, weshalb die intimeren Stücke besonders gelungen sind – andächtig lauscht man seiner Coverversion des Rolling-Stones-Hits „Out Of Time“ und dem gemeinsam mit Burt Bacharach geschriebenen „God Give Me Strength“. Die CD endet würdig mit dem allseits bekannten „(What’s So Funny ’Bout) Peace, Love And Understanding?“, aber auf der DVD wird noch mal nachgelegt – mit „Uncomplicated“, „Watching The Detectives“ und dem flotten, von „The Delivery Man“ – der Kooperation mit Dr. mp John – stammenden „Monkey To Man“. ZUM WEITERHÖREN
Elvis Costello: Live At The El Mocambo (1978) – Punk und New Wave – dieses Album enthält rüde Versionen der frühen Hits, etwa „(I Don’t Want To Go To) Chelsea“
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2012
Led Zeppelin: Celebration Day (Atlantic)
Schlagzeuger John Bonham starb 1980 nach einer Alkohol- und Drogenorgie im Haus des Gitarristen Jimmy Page. Kurz darauf veröffentlichte die zu diesem Zeitpunkt erfolgreichste Heavy-Metal-Band der Welt ein Statement, das ihre Auflösung andeutete: „So können wir nicht weitermachen.“ Konnten sie dann irgendwie doch: Sie spielten 1985 auf dem ersten Live-Aid-Konzert, 1988 zum 40. Jubiläum der Plattenfirma Atlantic, 1990 auf der Hochzeit von Johns Sohn Jason und 1995 in New York bei der Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame. Jason Bonham war da schon längst der Drummer der Band. Auch eine Art, ein Erbe fortzuführen. All diese Kurzauftritte und Kleinkonzerte ließen die Fans weltweit immer wieder von einer Reunion träumen. 2006 starb Ahmet Ertegün, der Gründer des Plattenlabels Atlantic, frühester Förderer und enger Freund der Band. Ihm zu Ehren sollte es ein Konzert geben. Es fand am
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10. Dezember 2007 in der O2-Arena in London statt, und die Hysterie kannte keine Grenzen: Für die 16.000 Karten, die 125 Pfund das Stück kosteten, gingen mehr als 20 Millionen Anfragen ein. Hätte man alle Kartenwünsche erfüllt, wäre die O2-Arena an 1250 Abenden ausverkauft gewesen, also knapp dreieinhalb Jahre lang. Erst fünf Jahre später erscheint die Doppel-CD „Celebration Day“, die diesen Auftritt dokumentiert. Auf den DVDs dazu sind das komplette Konzert und die Proben zu sehen. Zu hören sind eine Band und ihre Musik, die auch fast 30 Jahre nach ihrem letzten „regulären“ Konzert nichts von ihrer orgiastischen Wucht verloren haben. Robert Plant ist immer noch der kraftvolle Sänger und Shouter, der sich bei Bedarf in luftige Höhen kreischt, Page hat nie besser Gitarre gespielt, John Paul Jones’ Bass grundiert unauffällig-perfekt die Musik, und Bonham Jr. donnert sich wie einst sein Vater durch die Songs: Von „Good Times Bad Times“, „Black Dog“ und „No Quarter“ über „Dazed And Confused“ (mit einem herrlichen Page-Solo), „Stairway To Heaven“ und „Kashmir“ bis hin zu „Whole Lotta Love“ und „Rock and Roll“ bietet die Band ein Potpourri ihrer besten Werke – und einiges mehr. Auch von der etwas verkannten LP „Presence“ sind zwei prima Songs dabei: „For Your Life“ und „Nobody’s Fault But Mine“. Dave Grohl, ehemals Schlagzeuger von Nirvana und heute Sänger der Foo Fighters, schrieb im Magazin Rolling Stone: „Heavy-MetalMusik würde ohne Led Zeppelin nicht existieren. Und wenn doch, wäre sie scheiße.“ Die Reunion dauerte zwar nur ein Konzert lang, aber Led Zeppelin haben ihre einzigartige Klasse noch einmal unter Beweis gf gestellt. Diesmal vielleicht wirklich zum letzten Mal. ZUM WEITERHÖREN
Led Zeppelin: The Song Remains The Same (1976) – Der Soundtrack zum gleichnamigen Konzertfilm – der Beleg einer einzigartigen Bühnenpräsenz Led Zeppelin: How The West Was Won – Live (2003) – Aufnahmen zweier legendärer Konzerte vom Juni 1972. Pure Energie, zeitlos, mitreißend. Mit dem „Immigrant Song“
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2013
Nick Cave & The Bad Seeds: Live From KCRW (Bad Seed Ltd., CD)
„Live From KCRW“ ist das vierte Album mit Konzertmitschnitten, das der mittlerweile in London lebende Sänger, Songwriter, Drehbuchautor, Filmkomponist und Romancier Nicholas Edward Cave im Laufe seiner Karriere herausgebracht hat – und es ragt aus dem Gesamtwerk des Künstlers heraus. Denn erstens war Nick bis dato nie besser als zu diesem Zeitpunkt und zweitens spielte er vor einem handverlesenen Publikum für den öffentlich-rechtlichen Radiosender KCRW. Dabei präsentierte er sich als lockere, entspannte Person, die im Vergleich etwa zum ziemlich genau 20 Jahre zuvor erschienenen Album „Live Seeds“ gar nicht unnahbar und biestig wirkt. Er scherzte mit den Fans, sie durften sich Songs wünschen – einer forderte zum Beispiel „Nick The Stripper“ von Caves früher Punk-Lärm-Band The Birthday Party. Aber so gut gelaunt er auch war, erfüllte er doch keinen Wunsch an diesem Abend. Stattdessen spielte der Künstler wohl, worauf er besonders viel Lust hatte, denn die Auswahl der Stücke umfasst praktisch alle Phasen seiner Zeit mit den Bad Seeds. Wichtig dürfte nur gewesen sein, dass die Lieder in kleiner Besetzung funktionieren – aber besonders viele der Songs, die Cave seit „The Good Son“ aus dem Jahr 1990 veröffentlicht hat, eignen sich bestens dafür. Es sind Balladen, Moritaten, kleine Oden an die Schwermut und Lieder, die den Schmerz oft in sanfte Sounds hüllen. Zehn Stücke umfasst dieser kleine, feine Mitschnitt – vier davon stammen von dem im Februar desselben Jahres erschienenen Album „Push The Sky Away“. Dieses Werk war nicht nur für die Redaktion des Rolling Stone die Platte des Jahres, es verkaufte sich auch ausgesprochen gut. Die anschließende Tournee war ausverkauft, und Cave feierte sein Meisterwerk, seine 15. Studioplatte mit den Bad Seeds, zusammen mit den Fans. In Los Angeles sang er „Higgs Boson Blues“ (ja, er thematisiert tatsächlich die im Schweizer CERN entdeckten Mini-
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teilchen!). „Mermaids“, das wundervolle „Wide Lovely Eyes“ und das Titelstück repräsentieren die damals aktuelle CD hervorragend. Dazu kommen „Far From Me“, ein trauriges Lied von „The Boatman’s Call“, das von Liebe und Distanz handelt und, nur auf LP, „Into My Arms“. „The Mercy Seat“ und „Jack The Ripper“ zeigen Caves düstere Seite, sein Faible für Blut, Tod und Teufel – „People Ain’t No Good“ eben. Bob Clearmountain (Robbie Williams, Bryan Adams, Toto) hat ein sehr warmes, fast schon intimes Kammermusikalbum produziert. Nick Cave war noch nie freundlicher, aber das heißt nicht, dass jetzt alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Über dem Konzert liegt einfach eine Melancholie, die keiner besser hinbekommt als der gebürtige mp Australier. ZUM WEITERHÖREN
Nick Cave & The Bad Seeds: Live Seeds (1993) – Kraftvoll und heftig; der Gitarrist war damals noch Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten. Höhepunkt ist eine geniale Version von „From Her To Enternity“, dem Titelstück des ersten Bad-SeedsAlbums
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Register „5“-Royales 15
A-ha 132, 133 AC/DC 85 Adams, Bryan 103, 139 Aksak Maboul 61 Allman, Duane 40, 41 Allman, Gregg 40, 41 And. Ypsilon 128 Anderson, Jon 53 Anderson, Vicki 15 Apted, Michael 99 Armstrong, Louis 14 Art Bears 61 Aznavour, Charles 9, 27 Bacall, Lauren 12 Bacharach, Burt 25, 130, 134 Badfinger 38 Baez, Joan 30 Baker, Ginger 107 Bangles 135 Bargeld, Blixa 139 Barrett, Aston 70 Barrett, Carlton 70 Bartos, Karl 125 Bécaud, Gilbert 50 Beckenbauer, Franz 32 Bee Gees 116, 117 Belew, Adrian 95 Berry, Chuck 23, 27, 58 Betts, Dickey 40, 41 Big Mama Thornton 50 Biko, Steve 88 Blind Faith 107 Bittan, Roy 97 Black Sabbath 57, 121
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Blackmore, Ritchie 42, 43 Blackwell, Chris 70 Blondie 94 Bogart, Humphrey 12 Bond, James 67, 99, 103, 133 Bonham, Jason 137 Bonham, John 136, 137 Bono 90, 91 Booker T & The MG’s 11 Bowie, David 56, 57, 58, 103, 104, 108 Brilleaux, Lee 58, 59 Brinsley Schwarz 58 Britt, Mai 13 Brooks, Garth 118, 119 Brown, James 14, 15 Browne, Jackson 68, 69 Brubeck, Dave 11 Bruce, Jack 107 Bruford, Bill 53 Bryant, Boudleaux 26 Bryant, Felice 26 Buckley, Jeff 127 Burdon, Eric 59 Bushkin, Joe 9 Butterfield Blues Band 18
Cale, John 56, 57, 100, 127 Canned Heat 30 Cash, Johnny 20, 21, 26, 122 Cave, Nick 138, 139 Charles, Ray 10, 11, 50, 106 Chimes, Terry 122
Churchill, Chick 23 Clapton, Eric 10, 38, 39, 103, 106, 107 Clarke, Eddie 84 Clarke, Vince 105 Clayton, Adam 91 Clearmountain, Bob 139 Clemons, Clarence 97 Clifford, Doug 48, 49 Clueso 128 Cobain, Kurt 108, 109 Cocker, Joe 30 Cohen, Leonard 20, 126, 127 Cole, Nat „King“ 17 Collins, Allen 65 Collins, Judy 34, 91 Collins, Phil 106 Como, Perry 17 Cook, Stu 48, 49 Cooke, Sam 16, 17, 27, 102, 111 Cooper, Lindsay 60, 61 Costello, Elvis 58, 59, 134, 135 Cray, Robert 102, 106 Crazy Horse 76, 77 Cream 22, 106, 107 Creedence Clearwater Revival (CCR) 48, 49, 102 Cropper, Steve 97 Crosby, Bing 51 Crosby, David 34 Crosby, Stills, Nash & Young (CSNY) 31, 35, 76 Crudup, Arthur 33 Curtis, King 17
Cutler, Chris 60, 61
Daft Punk 125 Daltrey, Roger 29 Danko, Rick 18, 44 Davies, Dave 83 Davies, Ray 82, 83 Davies, Rick 80, 81 Davies, William Henry 80 Davis Jr., Sammy 13, 24, 31 Davis, Miles 11, 23 Davis, Rev. Gary 68 Deacon, John 72 Deep Purple 36, 42, 43 Densmore, John 54 Depeche Mode 104, 105 DeVries, John 9 Dexys 133 Diamond, Neil 46, 47 Diddley, Bo 54, 59 Die Fantastischen Vier 128, 129 Dion, Céline 117 Dire Straits 90, 92, 93 Dixon, Willie 22, 54, 115 DJ Michi Beck 128 Doucette, Thom 40 Dowd, Tom 10 Dr. Feelgood 58, 59 Dr. John 135 Dulfer, Candy 111 Dunbar, Sly 71 Dury, Ian 58 Dwight, Reginald Kenneth 32 Dylan, Bob 18, 19, 20, 26, 38, 45, 77, 91, 104, 115, 119
Eagles 78, 79 Edmonton Symphony Orchestra 37 Egg 61 Einstürzende Neubauten 139 Ellington, Duke 11, 14 Emerson, Keith 37 Emerson, Lake & Palmer (ELP) 36, 37 Eno, Brian 95 Entwistle, John 28, 29 Erasure 105 Erdélyi, Tamás 75 Ertegün, Ahmet 136 Evans, David Howell 91 Everly, Don 26, 27 Everly, Ike 26 Everly, Phil 26, 27 Fame, Georgie 11 Federici, Danny 97 Feedback 91 Ferrone, Steve 106 Fitzgerald, Ella 11 Fletcher, Andrew 104 Floyd, Eddie 97 Fogerty, John 48, 49 Fogerty, Tom 48 Foo Fighters 108, 109, 137 Forrest, Jimmy 15 Foster, Stephen 10 Frampton, Peter 62, 63, 74 Francesco, Silvio 24 Franklin, Aretha 10 Frantz, Chris 94 Frey, Glenn 78, 79 Frith, Fred 60, 61 Furuholmen, Magne 132
Gahan, Dave 104 Gaines, Steve 65 Gallagher, Liam 83 Gallagher, Noel 83 Garcia, Jerry 41 Gardner, Albert „June“ 17 Garfunkel, Art 86, 119 Gaye, Marvin 14, 16, 17, 31, 45 Generation X 75, 122 Genesis 53, 88 George, Lowell 41 Gershwin, George 9 Gibb, Andy 116 Gibb, Barry 116, 117 Gibb, Maurice 116 Gibb, Robin 116, 117 Gibson, Don 50 Gillan, Ian 42 Gillis, John Anthony 130 Goodman, Benny 24 Gore, Martin 104 Grandmaster Flash & The Furious Five 123 Greatful Dead 41 Greaves, John 60, 61 Gretschmann, Martin 126 Griffiths, Marcia 71 Grohl, Dave 108, 109, 137 Grönemeyer, Herbert 129 Guy, Buddy 106 Haggard, Merle 26 Hakim, Omar 98 Hammerstein II, Oscar 92 Hardin, Tim 26 Harket, Morten 132, 133
141
Harrison, George 38, 39, 50, 62 Harrison, Jerry 94 Harry, Debbie 75 Hart, Lorenz 9 Hatfield & the North 91 Hawkins, Dale 27 Hawkwind 84 Headon, Nicky „Topper“ 122 Helliwell, John 80 Helm, Levon 18, 44 Hendricks, Marjorie 10 Hendrix, Jimi 30, 107 Henley, Don 78, 79 Henry Cow 60, 61 Heusen, Jimmy van 9 Hewson, Paul David 91 Hillage, Steve 61 Hodgkinson, Tim 60, 61 Hodgson, Roger 80, 81 Hoffs, Susanna 135 Holiday, Billie 14, 57 Hooker, John Lee 111 Howe, Steve 53 Howlin‘ Wolf 22 Hudson, Garth 18, 44 Hugo & Luigi 17 Humble Pie 62, 63 Hunter, Steve 57 Hütter, Ralf 124, 125 Hynde, Chrissie 83
Idol, Billy 75 Ike & Tina Turner 102 Illsley, John 92 Iovine, Jimmy 90 I-Threes 71 Jagger, Mick 59, 115 James, Elmore 41 Jamoe 40 Jenkins, Gordon 20
142
Joel, Billy 33, 119 John, Elton 32, 33 John, Little Willie 50 Johnson, Johnnie 106 Johnson, Robert 130 Johnson, Wilko 58, 59 Johnston, Bob 20 Joint 80 Jones, Darryl 98 Jones, Grace 98 Jones, John Paul 137 Jones, Mick 122
Kaempfert, Bert 24 Kahn, Sammy 9 Kamen, Michael 106 Keltner, Jim 38 Kilmister, Lemmy 84 King Crimson 53 King, B.B. 21 Kirkland, Kenny 98 Kirkwood, Chris 109 Kirkwood, Kurt 109 Knopfler, David 92 Knopfler, Mark 92, 93 Koch, Ed 86, 87 Kraftwerk 124, 125 Krieger, Robby 54 Kuti, Fela 94 Laine, Denny 66, 67 Lake, Greg 37 Law, Don 20 Leadbelly 108 Leadon, Bernie 78 Leavell, Chuck 41, 106 Led Zeppelin 136, 137 Lee, Alvin 22, 23 Lee, Kui 50 Lee, Peggy 50 Leiber & Stoller 9, 59 Lennon, John 27, 33, 39, 66
Lewis, Jerry Lee 23, 75 Lightfood, Gordon 51 Lindley, David 68 Little Feat 41, 111 Lofgren, Nils 97 London SS 122 Lord, Jon 42 Lowe, Nick 58 Lynyrd Skynyrd 64, 65 Lyons, Leo 22, 23
MacManus, Declan Patrick 134 Maier, Sepp 32 Maile, Vic 58 Manuel, Richard 18, 44 Manzarek, Ray 54 Marley, Bob 70, 71, 122 Marley, Rita 71 Marr, Johnny 100, 101 Marriott, Steve 62 Marsalis, Branford 98 Martin, Dean 9, 12, 13, 24 Martin, John „The Big Figure“ 58 Massacre 61 May, Brian 72 Mayfield, Curtis 17, 31 MC5 75 McCartney, Linda 66 McCartney, Paul 36, 66, 67 McKinley, Morganfield 41 McTell, Blind Willie 40 Meat Puppets 108, 109 Meisner, Randy 78 Melanie 31 Mercury, Freddy 72, 73 Merriweather, Big Maceo 106 Messina, Jim 79
Metallica 36, 85, 120, 121 Mickey & Silvia 27 Miesegaes, Stanley August 80 Molina, Ralph 76 Montgomery, Wes 15 Moon, Keith 28 Morrison, Jim 54, 55 Morrison, Shana 111 Morrison, Van 110, 111 Morrissey, Steven Patrick 100, 101 Motörhead 58, 84, 85 Mountain 31 Mowatt, Judy 71 Mullen, Larry Jr. 91 Müller, Gerd 32 Murray, Dan 32 Mussorgski, Modest 36, 37
Nash, Graham 34, 35 Nathan, Syd 14 National Health 61 Nelson, Paul 77 Newman, Randy 47 Nilsson, Harry 62 Nirvana 108, 109 Novoselic, Krist 108, 109 O’Keefe, Danny 68 Oakley, Berry 40, 42 Oasis 83 Oldaker, Jamie 106 Olsson, Nigel 32 Page, Jimmy 136 Paice, Ian 42 Palmer, Carl 36, 37 Palmer, Robert 102 Parker, Graham 59 Pearl Jam 109
Pennebaker, D.A. 104 Pere Ubu 61 Perkins, Carl 20, 50 Peterson, Oscar 15 Petty, Tom 90 Pickett, Wilson 102 Pink Floyd 93, 112, 113 Plant, Robert 137 Poco 78, 79 Pomus, Doc 101 Porter, Cole 9, 25 Presley, Elvis 50, 51 Preston, Billy 38 Procol Harum 37 Pulp 88
Queen 72, 73 Radiohead 105 Rammstein 105 Ramone, Dee Dee 74 Ramone, Joey 74 Ramone, Johnny 74 Ramone, Tommy 74 Ramones 74, 75, 94 Ravel, Maurice 37 Redding, Otis 11, 16 Reed, Lou 56, 57 Rhodan, Perry 88 Richard, Little 27 Richards, Keith 33, 115 Richter, Horst-Eberhard 123 Riddle, Nelson 9 Roach, Max 10 Robertson, Jaime „Robbie“ 18, 19, 44 Robinson, Tom 83 Rodgers, Richard 92 Rodgers/Hart 111 Rose, Billy 9 Rossington, Gary 65 Rothchild, Paul A. 54
Rotten, Johnny 76 Rubin, Rick 47, 121 Russell, Leon 38
Sampedro, Frank „Poncho“ 76 Santana 30 Schmidt, Michael 129 Schmitt, Timothy B. 79 Schober, Ingeborg 126 Schoener, Eberhard 36 Schöler, Franz 76 Scorsese, Martin 45, 115 Sebastian, John B. 30 Seger, Bob 65 Sex Pistols 59, 76 Shakespeare, Robbie 71 Shakey, Bernard 76 Sha-Na-Na 30 Shankar, Ravi 38 Shannon, Del 101 Sherley, Glen 21 Shuman, Mort 101 Siebenberg, Bob 80 Simon & Garfunkel 26, 86, 87 Simon, Paul 86, 87 Simone, Nina 11 Simonon, Paul 122 Sinatra, Frank 8, 9, 13, 24, 51, 91 Sinatra, Tina 8 Smith, Patti 75, 101 Smudo 128, 129 South, Joe 26 Sparks, John B. 58 Spector, Phil 39, 127 Springsteen, Bruce 96, 97, 118 Staines, Bill 111 Starr, Ringo 38 Stein, Howard 56 Steve, Seasick 131
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Stills, Stephen 34 Sting 98, 99 Strauss, Richard 50 Stravinski, Igor 53 Suicide 94 Sumner, Matthew Gordon 98 Supertramp 80, 81 Swan, Enir A. 9
Talbot, Billy 76 Talking Heads 94, 95 Tallent, Garry 97 Taupin, Bernie 32 Taylor, James 50, 69 Taylor, Phil 84 Taylor, Roger 72 Ten Years After 22, 23 The Allman Brothers Band 40, 41 The Bad Seeds 138, 139 The Band 18, 19, 44, 45 The Beatles 23, 24, 26, 30, 33, 38, 39, 49, 60, 66, 67 The Birthday Party 138 The Bobby Fuller Four 123 The Clash 59, 122, 123 The E Street Band 96, 97 The Edge 91 The Everly Brothers 26, 27 The Famous Flames 14 The Fifth Dimension 26 The Four Tops 26 The Herd 62 The Isley Brothers 17 The Jam 59, 82 The Kinks 58, 59, 82, 83 The Monkees 46 The Nice 36 The Notwist 126
144
The Police 98, 99 The Pretenders 83 The Raconteurs 130 The Raelettes 10 The Rat Pack 9, 12, 13, 24 The Red Norvo Quintet 9 The Rezillos 75 The Rolling Stones 22, 58, 63, 114, 115, 135 The Smiths 100, 101 The Soul Stirrers 16 The Spiders From Mars 57 The Surfaris 75 The Vaselines 108 The Velvet Underground 56, 57, 100 The White Stripes 130, 131 The Who 28, 29, 30, 59, 82, 122 The Zodiacs 69 Them 110, 111 Thomas D. 128 Thomson, Dougie 80 Thunders, Johnny 94 Tosh, Peter 71 Toto 139 Toussaint, Allen 45 Townshend, Pete 29 Trucks, Butch 40 Tschaikowski, Pjotr Iljitsch 37 Turner, Tina 102, 103
U2 90, 91 UB40 46 Uriah Heep 43 Valente, Caterina 24, 25 Van Zandt, Steven 97 Van Zant, Ronnie 64, 65
Vaughn, Jimmy 106 Vedder, Eddie 109 Voormann, Klaus 38, 39
Wagner, Dick 57 Wainwright, Rufus 127 Waaktaar-Savoy, Pål 132 Wakeman, Rick 53, 58 Walker, Scott 88 Walker, T-Bone 41, 111 Walsh, Joe 78 Walsh, Peter 88 Warhol, Andy 56 Waters, Muddy 10, 41 Wayne, Mabel 9 Weinberg, Max 97 Weller, Paul 82, 83 Wells, Junior 111 Weymouth, Tina 94 White, Alan 39, 53 White, Jack 130, 131 White, Meg 130 Whiterspoon, Jimmy 111 Wilder, Alan 104 Williams, Hank 50, 119 Williams, Robbie 139 Williamson, Sonny Boy 111 Willis, Chuck 45 Wings 66, 67 Winwood, Steve 107 Withers, Pick 92 Wurst, Conchita 102 Wyatt, Robert 60 Yasgur, Max 30, 31 Yazoo 105 Yes 52, 53 Yorke, Thom 105 Young, Neil 34, 64, 76, 77, 109 Young, Steve 79