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German Pages 397 [400] Year 2019
Farid Suleiman Ibn Taymiyya und die Attribute Gottes
Worlds of Islam – Welten des Islams – Mondes de l’Islam
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Im Auftrag der Schweizerischen Asiengesellschaft – On behalf of the Swiss Asia Society – Au nom de la Société Suisse-Asie Editorial Board Bettina Dennerlein Anke von Kügelgen Silvia Naef Maurus Reinkowski Ulrich Rudolph
Band 11
Farid Suleiman
Ibn Taymiyya und die Attribute Gottes |
Geringfügig überarbeitete Dissertation, die unter dem Titel „Die methodischen Grundlagen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas. Mit einer Analyse ausgewählter Attribute Gottes“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 2018 verteidigt wurde. Diese Arbeit wurde publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW).
ISBN 978-3-11-062322-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062367-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-062327-7 ISSN 1661-6278 Library of Congress Control Number: 2019933670 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: „Nichts ist Ihm gleich, und Er ist der Hörende, der Sehende“ (Koran 42:11) Gestaltung: Adel Mohamady Satz: VTeX UAB, Lithuania Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine geringfügig überarbeitete Dissertationsschrift, die ich im September 2017 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter dem Titel „Die methodischen Grundlagen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas. Mit einer Analyse ausgewählter göttlicher Attribute“ eingereicht und im Juni 2018 verteidigt habe. Mein Erstgutachter, Herr PD Dr. Abbas Poya, der mich 2013 als Doktorand in eine von ihm geleitete und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Nachwuchsforschergruppe aufnahm, hat das Dissertationsprojekt von Anfang an wohlwollend und mit einem stets offenem Ohr begleitet. Er war es, der mir den Blick für das Wesentliche schärfte und sich dafür einsetzte, dass mir neben den vielen weiteren Verpflichtungen, die der Universitätsalltag mit sich bringt, genügend Zeit zur Fertigstellung der Dissertation zur Verfügung stand. Ihm gilt mein besonderer Dank. Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Zweitgutachter Herrn PD Dr. Benjamin Jokisch sowie bei Frau Prof. Maha El Kaisy-Friemuth, die, als es nötig wurde, sich bereit erklärte, ein drittes Gutachten zu verfassen. Zu Dank bin ich auch Herrn Prof. Dr. Frank Griffel verpflichtet, der sich die Zeit genommen hat, Teile dieser Arbeit mit mir zu besprechen, sowie Herrn Prof. Dr. Jon Hoover, bei dessen Doktorandenkolloquium an der Universität Nottingham ich ein Kapitel vorstellen und zur Diskussion stellen durfte. Ganz besonders hervorheben möchte ich den Einsatz von Yusuf Kuhn, der das Manuskript im Ganzen aufmerksam gelesen und mit seinen kenntnisreichen Anmerkungen deutlich zur Qualität der Arbeit beigetragen hat. In den Fällen, wo wir auch nach langer Diskussion noch geteilter Auffassung waren, hatte ich doch immer das Gefühl, den Diskussionsgegenstand besser verstanden zu haben als zuvor. Danken möchte ich auch Herrn Dr. Thomas Hildebrandt für das ausgesprochen akribisch durchgeführte Lektorat. Für die noch bestehenden Fehler und Schwächen der Arbeit, die ohne die Mithilfe der eben genannten Personen zahlreicher und gravierender gewesen wären, bin selbstverständlich ausschließlich ich verantwortlich. Den HerausgeberInnen, dabei besonders Herrn Prof. Dr. Ulrich Rudolph, möchte ich meinen Dank dafür aussprechen, meine Arbeit in die bei De Gruyter erscheinende Reihe „Welten des Islams“ aufgenommen zu haben. Dabei geht mein Dank auch an die anonymen GutachterInnen, die das peer-review-Verfahren durchgeführt haben. Frau Dr. Christina Lembrecht, Frau Albina Töws und Frau Gabrielle Cornefert vom Verlag De Gruyter möchte ich zudem für die stets freundliche, kompetente und geduldige redaktionelle Betreuung danken. Mein Dank gilt auch der Schweizerischen Asiengesellschaft, die großzügigerweise die gesamten Druckkosten übernommen hat. https://doi.org/10.1515/9783110623673-201
VI | Danksagung Für den emotionalen Rückhalt, den ich von meiner Familie und dabei ganz besonders von meinen Eltern erhalten habe, kann ich an dieser Stelle nicht genügend Dank aussprechen. Das gilt auch für meine Frau Rozan Suleiman, die mir darüber hinaus mit ihren exzellenten Kenntnissen des Hocharabischen half, so manch schwer verständliche Stelle in den Werken Ibn Taymiyyas zu entschlüsseln. Ihnen wende ich mich zu mit einem von tiefstem Herzen ausgedrückten Ǧazākum Allāh ḫayran !
Inhalt Danksagung | V 1 1.1 1.2 1.3
Einleitung | 1 Forschungsstand | 4 Forschungsziele und Vorgehensweise | 10 Übersicht über die in dieser Arbeit besonders häufig verwendeten Werke Ibn Taymiyyas | 14
Teil I: Ibn Taymiyyas Leben und die ihm vorausgehende Ideengeschichte bezüglich der Attribute Gottes 2
Ibn Taymiyyas Leben | 24
3
Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas | 40 Die Entstehung der Debatte über die Attribute Gottes im Frühislam | 41 Die Muʿtaziliten | 43 Die falāsifa | 51 Die ahl al-ḥadīṯ | 60 Die Ašʿariten | 84
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Teil II: Die methodischen Grundlagen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas 4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
Seinstheoretische Grundlagen | 98 Der Begriff des wuǧūd – Bedeutung und Abstufungen | 98 Die Gleichartigkeit (miṯl bzw. tamāṯul) und die Ähnlichkeit (šibh bzw. tašābuh bzw. ištibāh) zwischen existenten Dingen | 102 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie | 106 Die ontologisch-sprachphilosophische Perspektive: Das Verhältnis zwischen dem Allgemeinbegriff und der Außenwelt | 110 Die ontologisch-epistemologische Perspektive: Über die Kausalität | 114 Die ontologisch-naturphilosophische Perspektive: Über Raum und Zeit | 119
VIII | Inhalt 4.4
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2
5.3
6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2
6.2.1 6.2.2 6.3
7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.2
8
Ibn Taymiyyas Kritik an der im spekulativen Sufismus vertretenen Lehre von der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd) | 129 Sprachliche Grundlagen | 145 Die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie | 145 Ibn Taymiyyas Kritik an der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie | 147 Vertrat Ibn Taymiyya unterschiedliche Positionen hinsichtlich der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie? | 156 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke – Ibn Taymiyyas sprachtheoretischer Gegenentwurf zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie | 159 Welche Konsequenzen für die Theologie ergeben sich aus Ibn Taymiyyas Alternative zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie? | 172 Hermeneutische Grundlagen | 178 Der Vers 3:7 – Ibn Taymiyyas Verständnis der Begriffe muḥkam, mutašābih und taʾwīl | 178 Der Ausdruck taʾwīl | 182 Das Gegensatzpaar muḥkam und mutašābih | 189 Der Vers 3:7 – ein Scheideweg der Koranhermeneutik? | 193 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī – ein Versuch der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Allgemeinen Regel (al-qānūn al-kullī ) | 197 Die Ašʿariten und die Allgemeine Regel | 197 Die Bedingungen der Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī | 205 Die zwei Grundsätze und die sieben Grundregeln der Auslegung der Attribute Gottes | 215 Epistemologische Grundlagen | 228 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie | 228 Der qiyās im theologischen Denken vor Ibn Taymiyya | 230 Ibn Taymiyyas Sicht auf den qiyās – eine Weiterentwicklung der Position al-Āmidīs | 241 Ibn Taymiyyas Kritik an seinen Widersachern | 253 Bewertung der Position Ibn Taymiyyas | 257 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise – Ibn Taymiyya in der Auseinandersetzung mit ar-Rāzī | 260 Zusammenfassung | 274
Inhalt | IX
Teil III: Gottes Wesen und Seine Attribute im Fokus 9
Zeitlich aufkommende Zustände bzw. Handlungen (ḥawādiṯ) in Gottes Wesen | 282
10 10.1 10.2 10.3 10.4
Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute | 289 al-ʿadl – die Gerechtigkeit Gottes | 289 al-kalām – die Rede Gottes | 298 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron | 312 al-maʿiyya – das Beisein Gottes | 326
11
Zusammenfassung | 331
12
Bewertung und Schluss | 334
Bibliographie | 341 Personen- und Sachregister | 375 Koranstellenregister | 388
Abbildungsverzeichnis 1 2 3
Ibn Taymiyyas Konzept von Raum (makān/ḥayyiz) | 125 Ibn Taymiyyas Kategorisierung gleichnamiger Ausdrücke hinsichtlich ihrer Bedeutungsbeziehung zueinander | 165 Ibn Taymiyyas Kategorisierung der koranischen Begriffe iḥkām und tašābuh | 193
Tabellenverzeichnis 1
Übersicht über die Inhaftierungen Ibn Taymiyyas | 36
1 Einleitung Der überwiegend im mamlukischen Damaskus wirkende ḥanbalitische Theologe und Rechtsgelehrte Taqī ad-Dīn Abū l-ʿAbbās Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm Ibn Taymiyya (661–728/1263–1328) ist einer der bekanntesten und zugleich umstrittensten muslimischen Denker überhaupt. Dies war nicht immer so, vielmehr blieben seine Schriften in den Jahrhunderten nach seinem Tod weitgehend unbeachtet. Ihre Wiederentdeckung nahm im 11./17. Jahrhundert ihren Anfang und wurde von muslimischen Gelehrten verschiedenster Ausrichtung vorangetrieben.1 Das Ausmaß seiner Rezeption hat sich seitdem kontinuierlich gesteigert, sodass man von einer gefühlten Omnipräsenz Ibn Taymiyyas im jüngeren sunnitischen Denken sprechen kann. Zu Recht identifiziert ihn daher Lutz Berger in seinem Einführungswerk über die islamische Theologie als den „heute sicher einflussreichste[n] aller islamischen Theologen des Mittelalters“.2 Trotz dieses Umstands hat man sich in der europäischsprachigen Forschung noch bis vor einigen Jahren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht eingehend mit dem Leben und Werk Ibn Taymiyyas beschäftigt. Zudem haben ihn die dortigen Forschungsbeiträge, wie Birgit Krawietz kritisch bemerkt, „überwiegend als Gegner religiöser Toleranz und spekulativen Denkens, Proto-Fundamentalisten bzw. den oder einen der ersten islamischen Fundamentalisten, als gewaltbereiten Aktivisten, Gegner von Volksreligion und Synkretismus, Sufi-Kritiker, radikalen Anthropomorphisten, wenn nicht gar als Streithansel jedweder Art“3 porträtiert. Obgleich in den letzten Jahren fundierte Forschungsbeiträge u. a. von Yahya Michot, Jon Hoover und Ovamir Anjum zu dezidiert gegenteiligen Einschätzungen gelangt 1 Siehe unten, S. 132. 2 Lutz Berger, Islamische Theologie, Wien: facultas.wuv [= UTB 3303], 2010, 107. Es sei noch angemerkt, dass der Ausdruck Mittelalter, sofern er nicht zuvor neu definiert wird, nur in Bezug auf die europäische Geistes- und Kulturgeschichte sinnhaft verwendet werden kann; siehe Konrad Hirschler, Medieval Arabic Historiography. Authors as Actors, London und New York: Routledge, 2006, ivf. So wird der für die vorliegende Arbeit relevante Zeitabschnitt der islamischen Geschichte in die formative (die ersten drei Jahrhunderte des Islams) und die klassische Phase (4.–8./10.–14. Jahrhundert) geteilt. 3 Birgit Krawietz, Ibn Taymiyya - Vater des islamischen Fundamentalismus? Zur westlichen Rezeption eines mittelalterlichen Schariatsgelehrten, in: Manuel Atienza u. a. (Hrsg.), Theorie des Rechts in der Gesellschaft, Berlin: Duncker & Humblot, 2003, 39–62, hier 52f. Eine leicht überarbeitete Fassung mit ungleicher Pagination findet sich bei dies., Ibn Taymiyya, Vater des islamischen Fundamentalismus? Zur westlichen Rezeption eines mittelalterlichen Schariatsgelehrten, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamischfundamentalistischen Bewegung, Bielefeld: transcript, 2014, 67–88, die eben zitierte Passage ist dort auf S. 76 zu finden. https://doi.org/10.1515/9783110623673-001
2 | 1 Einleitung sind,4 besteht dieses Bild hartnäckig fort. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Ibn Taymiyya einen Großteil seiner Schaffenskraft für einen kritischen Rundumschlag gegen das breitere islamische Denken – vor allem das rationalistischspekulativer sowie philosophischer Prägung – aufwendete und sich dabei nicht selten eines unverblümt polemischen Schreibstils bediente.5 Jedoch beschäftigte er sich in diesem Zuge nicht nur ausführlich mit den von ihm kritisierten Denkströmungen, sondern trat ihnen bezüglich seiner Argumentationsweisen – und dies ist für einen Ḥanbaliten alles andere als selbstverständlich – im Gewande eines spekulativen Theologen (mutakallim) oder gar Philosophen gegenüber.6 Der beachtliche Umfang und die gedankliche Tiefe seiner Kritik gehören sicherlich zu den Faktoren, die die Wirkmächtigkeit und die polarisierende Kraft, die von dieser Kritik ausgehen, erklären. So bezeichnet z. B. Wael Hallaq die von Ibn Taymiyya verfasste Schrift Radd,7 die eine Kritik an der griechischen Logik darstellt, als „one of the most devastating attacks ever levelled against the logic upheld by the early Greeks, the later commentators, and their Muslim followers“.8 Ebenso ist auch Ibn Taymiyyas Werk zur Widerlegung wesentlicher Elemente des schiitischen Denkens,9 wie Krawietz feststellt, „alles andere als simplistisch und beruht auf einer erstaunlich fundierten Bildung“.10 Alexander Knysh, der sich in einer
4 Siehe Yahya Michot, Muslims Under Non-Muslim Rule. Ibn Taymiyya, Oxford und London: Interface Publications, 2006; Jon Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy of Perpetual Optimism, Leiden: Brill, 2007; sowie Ovamir Anjum, Politics, Law, and Community in Islamic Thought. The Taymiyyan Moment, New York: Cambridge University Press, 2012. 5 Ibn Taymiyyas zweifelhafter Ruf rührt auch daher, dass eine Vielzahl gewaltbereiter Gruppierungen innerhalb des sunnitischen Islams meinen, sich auf ihn als einen ihrer Vordenker berufen zu können. Siehe dazu unten, Fußnote 121. 6 Wie noch ausgeführt wird, schließt sich die vorliegende Arbeit jedoch nicht dem Urteil mancher Autoren aus der Sekundärliteratur an, nach dem Ibn Taymiyya auch tatsächlich als spekulativer Theologe und/oder Philosoph zu bezeichnen ist. 7 Die Schriften Ibn Taymiyyas werden durch Kurztitel nachgewiesen. Diese sind in alphabetischer Sortierung in dem Kapitel Bibliographie der vorliegenden Arbeit aufgeführt, wobei nebenstehend die jeweilige volle Werksangabe zu finden ist. 8 Wael Hallaq, Ibn Taymiyya Against the Greek Logicians, Oxford: Oxford University Press, 1993, xi. Diese Einschätzung wird auch von Anke von Kügelgen bekräftigt, siehe Anke von Kügelgen, Ibn Taymīyas Kritik an der aristotelischen Logik und sein Gegenentwurf, in: Dominik Perler/Ulrich Rudolph (Hrsg.), Logik und Theologie. Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter, Leiden: Brill, 2005, 167–225, hier 171. 9 Dabei handelt es sich um sein Minhāǧ. 10 Krawietz, Ibn Taymiyya, 47.
1 Einleitung | 3
seiner Veröffentlichungen mit dem Denken des Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī11 (gest. 638/1240) und seiner Rezeption befasst, konstatiert, dass Ibn Taymiyyas Kritik an diesem Gelehrten auf einer „intimate familiarity“12 mit dessen seinsmonistischen Lehren fußt, und beschreibt sie als einen „devastating blow, which made him undoubtedly the most implacable and consequential opponent of Ibn ʿArabī and his followers“.13 In eine ähnliche Richtung weist eine Aussage Frank Griffels, der sagt: „Ibn Taymiyya was probably one of the best-informed critics of rationalism in Islam, and his opinion deserves to be taken seriously“.14 Vor diesem Hintergrund sollte sowohl für die Islamische Theologie als auch für die Islamwissenschaft, innerhalb derer sich die vorliegende Arbeit gleichermaßen verortet,15 die Erforschung von Ibn Taymiyyas Denken von hohem Wert sein. Die Relevanz der Arbeit steigert sich noch dadurch, dass Ibn Taymiyyas Attributenlehre, wie noch gezeigt werden wird, bislang keiner tiefergehenden Analyse unterzogen wurde, er sich aber in seinen Schriften meiner Einschätzung nach mit keiner anderen Thematik derart ausführlich beschäftigt. Zugleich wurden die europäischsprachigen Forschungsbeiträge zu Ibn Taymiyya überwiegend auf Englisch und Französisch verfasst,16 sodass es 11 Die korrekte Schreibweise seines Namens ist Ibn al-ʿArabī; hier und im Weiteren jedoch wird, wie auch in der Sekundärliteratur üblich, der Artikel weggelassen, um ihn von dem mālikitischen Rechtsgelehrten Abū Bakr Ibn al-ʿArabī (gest. 543/1148) zu unterscheiden. 12 Alexander Knysh, Ibn ʿArabī in the Later Islamic Tradition. The Making of a Polemical Image in Medieval Islam, New York: State University of New York Press, 1999, 88. 13 Ebd., 87. 14 Frank Griffel, Al-Ghazālī’s Philosophical Theology, New York: Oxford University Press, 2009, 283. 15 Der Umstand, dass die vorliegende Arbeit in der bekenntnisorientierten Islamischen Theologie verfasst wurde und sich damit zuvörderst der Entwicklung innerislamisch-theologischer Debatten verpflichtet fühlt, bedeutet also keineswegs, dass sie nicht auch für die säkulare Islamwissenschaft von Interesse sein kann. 16 Die wichtigste Sekundärliteratur bis 2011 verzeichnet und annotiert Jon Hoover, siehe Jon Hoover, Ibn Taymiyya, Oxford Bibliographies in Islamic Studies, 2012, url: http://www.oxfordbibliographies . com / view / document / obo - 9780195390155 / obo - 9780195390155 - 0150 . xml. Folgend eine Auswahl an Beiträgen, die nach 2011 veröffentlicht wurden: Anjum, Politics, Law, and Community; Yahya Michot, Ibn Taymiyya. Against Extremism, Paris: Albouraq, 2012; Birgit Krawietz/George Tamer (Hrsg.), Islamic Theology, Philosophy and Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin und Boston: De Gruyter, 2013; Yasir Qadhi, Reconciling Reason and Revelation in the Writings of Ibn Taymiyya (d. 728/1328). An Analytical Study of Ibn Taymiyya’s Darʾ al-taʿāruḍ, Yale University: unveröffentl. Dissertation, 2013, (unter dem Namen Kazi eingereicht). Carl El-Tobgui, Reason, Revelation, and the Reconstitution of Rationality. Taqī al-Dīn Ibn Taymiyya’s (d. 728/1328) Darʾ Taʿāruḍ al-ʿAql wa-l-Naql or ‘The Refutation of the Contradiction of Reason and Revelation’, McGill Universität: unveröffentl. Dissertation, 2013; Jörn Thielmann, Ibn Taimiyya. A Social Market Economist avant la lettre?, hrsg. von Stephan Conermann, Berlin: EB-Verlag, 2014;
4 | 1 Einleitung vor allem im Sinne der im deutschsprachigen Raum aufkommenden Islamischen Theologie sein dürfte, auf Arbeiten wie die vorliegende zugreifen zu können.17
1.1 Forschungsstand „Muslim theories of divine attributes are often surrounded by an air of obscurity and do not enjoy great favor in Western academia“,18 konstatierte Frank Griffel erst kürzlich. Tatsächlich hat man sich, wie er damit zum Ausdruck bringen möchte, in der europäischsprachigen Forschung bislang eher selten der Thematik islami-
Jon Hoover, Ibn Taymiyya between Moderation and Radicalism, in: Reclaiming Islamic Tradition. Modern Interpretations of the Classical Heritage, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2016, 177–203; Sophia Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, New York: Oxford University Press, 2016; Mohamed Moustafa, Upholding God’s Essence. Ibn Taymiyya on the Createdness of the Spirit, in: Nazariyat 3.2 (2017), 1–43; sowie Farid Suleiman, Ibn Taymīyas Theorie der Koranexegese, in: Abbas Poya (Hrsg.), Koranexegese als »Mix and Match«. Zur Diversität aktueller Diskurse in der tafsīr-Wissenschaft, Bielefeld: transcript, 2017, 15–43. Mir nicht zugänglich waren: Elliott Bazzano, The Qurʾan according to Ibn Taymiyya. Redefining Exegetical Authority in the Islamic Tradition, University of South Carolina: unveröffentl. Dissertation, 2013; und Rodrigo Adem, The Intellectual Genealogy of Ibn Taymiyya, Universität Chicago: unveröffentl. Dissertation, 2015. 17 Die wichtigsten deutschsprachigen Veröffentlichungen, die Aspekte von Ibn Taymiyyas Denken behandeln, sind: Fritz Meier, Das sauberste über die vorbestimmung: Ein stück Ibn Taymiyya, in: Erika Glassen und Gudrun Schubert (Hrsg.), Bausteine II. Ausgewählte Aufsätze zur Islamwissenschaft von Fritz Meier, Bd. 2, Istanbul: Franz Steiner Verlag, 1992, 696–711; und Benjamin Jokisch, Islamisches Recht in Theorie und Praxis. Analyse einiger kaufrechtlicher Fatwas von Taqī’d-Dīn Aḥmad b. Taymiyya, Berlin: Klaus Schwarz, 1996. Darüber hinaus sollen noch folgende Beiträge erwähnt werden: Dorothea Becker-Klein, Der „Heilige“ in der Kritik Ibn Taymīyas, Freie Universität Berlin: unveröffentl. Dissertation, 1957; Clemens Wein, Die islamische Glaubenslehre (ʿAqīda) des Ibn Taimīya, Universität Bonn: unveröffentl. Dissertation, 1973; Marwan Kabbani, Die Heiligenverehrung im Urteil Ibn Taymīyas und seiner Zeitenossen, Universität Bonn: unveröffentl. Dissertation, 1979; Bernd Radtke, Ibn Taimīya. Der erste sunnitische »Fundamentalist«, in: Gernot Rotter (Hrsg.), Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt am Main: Fischer, 1994, 33–38; Marco Schöller, Ibn Taymiyah und nochmals die Frage nach einer Reformation im Islam, in: Otto Jastrow/Shabo Talay/Herta Hafenrichter (Hrsg.), Studien für Semitistik und Arabistik. Festschrift für Hartmut Bobzin zum 60. Geburtstag, Wiesbaden: Harrassowitz, 2008, 363–384; sowie Abdelkader Al Ghouz, Kontingenzbewältigung als Zügel der Herrschaft. Ibn Taymīyas Herrschaftsverständnis zwischen religiöser Normativität und politischem Pragmatismus, in: Das Mittelalter 20.1 (2015), 47–61. Für deutschsprachige Untersuchungen zu Ibn Taymiyyas Leben siehe unten, Fußnote 104. 18 Frank Griffel, Rezension von Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdīya am Beispiel der Attributenlehre, in: Der Islam 93.2 (2016), 585–588, hier 585.
1.1 Forschungsstand |
5
scher Attributenlehren zugewandt.19 In besonderem Maße gilt dies bezüglich der Standpunkte der Gruppe der ahl al-ḥadīṯ (Traditionalisten),20 denen auch Ibn Taymiyya angehört. Dass es sich bei der Analyse speziell seiner Attributenlehre um ein ausstehendes Desiderat der Forschung handelt, wurde in den letzten Jahren mehrfach vorgebracht. So schreibt Jon Hoover am Ende seiner Monographie zur Theodizee Ibn Taymiyyas: „[O]ther aspects of Ibn Taymiyya’s theology await more detailed exposition and analysis, especially his doctrine of God’s attributes surveyed in Chapter One“.21 Im Jahre 2012 beklagte Muhammad Gharaibeh das Fehlen einer entsprechenden Studie mit folgenden Worten: „Insbesondere der Umstand, dass Ibn Taimīya kein systematisches Werk hinterlassen hat und seine Werke einer Sammlung verschiedener fatāwā gleichen, erschwert eine systematische Erschließung der Attributenlehre Ibn Taimīyas, macht sie aber umso notwendiger“.22 Tatsächlich bespricht die europäischsprachige Forschung meiner Kenntnis nach Ibn Taymiyyas Attributenlehre nur überblicksartig oder aber fokussiert nur manche ihrer Teilaspekte. Im Folgenden soll die Literatur, die dem Thema mehr als nur Randbemerkungen widmet, angeführt und – soweit nötig – diskutiert werden. Wichtige Sekundärliteratur, die sich auf bestimmte Einzelfragen bezüglich der Methodik Ibn Taymiyyas und seiner Attributenlehre beschränkt, wird hingegen in den jeweiligen Kapiteln der vorliegenden Arbeit behandelt, innerhalb derer sie relevant ist. Selbiges gilt für die herangezogenen Beiträge aus der fast unüberschaubaren arabischen Sekundärliteratur. Henri Laoust ist meiner Kenntnis nach der erste, der einen Überblick über die Attributenlehre Ibn Taymiyyas in einer europäischen Sprache gegeben hat.23 Zwar ist er in seinem etwa 750 Seiten umfassenden Werk an den sozio-politischen Ansichten Ibn Taymiyyas interessiert, behandelt aber doch auf immerhin 18 Seiten die hier relevante Thematik. Seiner Meinung nach gehört Ibn Taymiyya weder zu den Anthropomorphisten (mušabbiha) noch zu den sogenannten Leugnern (nufāh), die die Realität der Attribute Gottes verneinen; vielmehr versucht er, ei19 Die wichtigsten Forschungsbeiträge werden in Kapitel 3 angeführt, das sich mit den Attributen Gottes in der islamischen Ideengeschichte bis hin zu der Zeit Ibn Taymiyyas auseinandersetzt; siehe v. a. die Fußnoten 174 (zu den Māturīditen), 188 (zu den Muʿtaziliten), 258f. (zu den falāsifa), 285, 287 und 392 (zu den ahl al-ḥadīṯ) sowie 420 (zu den Ašʿariten). 20 Warum diese Übersetzung problematisch ist und in welcher Bedeutung der Begriff in vorliegender Arbeit verwendet wird, findet sich weiter unten auf S. 61f besprochen. 21 Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 237. 22 Mohammad Gharaibeh, Zur Attributenlehre der Wahhābīya unter besonderer Berücksichtigung der Schriften Ibn ʿUṯaimīns (1929–2001), Berlin: EB Verlag, 2012, 315, Fußnote 1037. 23 Siehe Henri Laoust, Essai sur les doctrines sociales et politiques de Taḳī-d-Dīn Aḥmad b. Taimīya, Kairo: Imprimerie de l’Institut français d’archéologie orientale, 1939, 154–172.
6 | 1 Einleitung nen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu beschreiten.24 Damit grenzt sich Laoust von Ignaz Goldziher und Duncan B. Macdonald ab, die beide, jedoch ohne Verwendung von Primärquellen, Ibn Taymiyya zu der erstgenannten Gruppe gezählt hatten.25 Clemens Wein, der sich in seiner Dissertation mit Ibn Taymiyyas Schrift Wāsiṭiyya beschäftigt und in diesem Zuge auch auf seine Attributenlehre zu sprechen kommt,26 argumentiert ähnlich wie Laoust und merkt dabei an: „In gleich kritischer Weise muß (neueren) Orientalisten, welche vom Anthropomorphismus des Ibn Taimīya überzeugt zu sein scheinen, die Frage gestellt werden, ob sie nicht dem Einfluß einseitiger, ḥanbalitenfeindlicher Quellen erlegen sind“.27 Ähnliches findet sich bei Sherman Jackson28 und Serajul Haque, wobei letzterer zu den wenigen zählt, die explizit gegen die verbreitete Ansicht argumentieren, dass es sich bei Ibn Taymiyya um einen Literalisten gehandelt haben soll.29 Die gegenteilige Position wurde 2004 durch Ssekamanya Siraje Abdallah stark gemacht, der in einem Artikel die Methode Ibn Taymiyyas in der Theologie durch eine Analyse bestimmter Teilaspekte seiner Attributenlehre zu illustrieren versucht.30 Indes ist sowohl der Beitrag von Haque als auch der von Abdallah kursorisch verfasst, sodass sie nicht auf einer tiefergehenden Beschäftigung mit der Primärliteratur zu fußen scheinen. So ziehen beide auch aus dem Umstand, dass Ibn Taymiyya die Rede Gottes als unerschaffen betrachtet hat, den Fehlschluss, dass er sie als ewig erachtete.31 Auch wenn dieser Gedanke an sich nachvollziehbar ist, so positioniert sich Ibn Taymiyya doch in seinen Schriften mehrfach und eindeutig dahingehend, dass Gottes Rede zwar unerschaffen, aber keineswegs ewig ist.32 Yahya Michot, 24 Siehe Laoust, Essai sur les doctrines, 155f. 25 Siehe Ignaz Goldziher, Die Ẓāhiriten. Ihr Lehrsystem und ihre Geschichte, Nachdr. der Erstaufl. von 1884, Hildesheim: Georg Olms, 1967, 198f., sowie Duncan Black Macdonald, Development of Muslim Theology, Jurisprudence and Constitutional Theory, Nachdr. der Erstaufl. von 1902, London: Darf, 1985, 270f. und 274. 26 Siehe Wein, Glaubenslehre, 15–32. 27 Ebd., 30. 28 Siehe Sherman Abdul Hakim Jackson, Ibn Taymiyya on Trial in Damascus, in: Journal of Semitic Studies 34.1 (1994), 41–85, hier 51–56, v. a. 53. 29 Siehe Serajul Haque, Ibn Taimīyyah, in: Mian Mohammad Sharif (Hrsg.), History of Muslim Philosophy, Wiesbaden: Harrassowitz, 1966, 796–819, hier 802f. Hier und im Folgenden bezeichnet der Ausdruck Literalist eine Person, die die sprachtheoretische Unterscheidung zwischen der wörtlichen und der übertragenen Bedeutung anerkennt und die Offenbarungstexte überwiegend im Sinne der ersteren versteht. 30 Siehe Ssekamanya Siraje Abdallah, Ibn Taymiyyah’s Theological Approach Illustrated. On the Essence (dhāt) and Attributes (ṣifāt) of Allah, in: Journal of the International Institute of Islamic Thought and Civilization 9.1 (2004), 43–61. 31 Siehe Haque, Ibn Taimīyyah, 803; sowie Abdallah, Ibn Taymiyyah’s Theological Approach, 60. 32 Das göttliche Attribut der Rede wird ausführlich in Kapitel 10.2 behandelt.
1.1 Forschungsstand |
7
der eine längere Passage aus Ibn Taymiyyas Werk Darʿ Taʿāruḍ al-ʿaql wa-n-naql mit direktem Bezug zum Thema der Attribute Gottes übersetzt, schlägt mit dem Ausdruck literalist rationalism hingegen eine nuanciertere Charakterisierung der Koranhermeneutik Ibn Taymiyyas vor.33 Dorthe Bramsen argumentierte in einem 2003 veröffentlichten Artikel im Einklang mit Laoust dafür, dass Ibn Taymiyyas Methodik in der Attributenlehre darauf abzielt, das Credo von der Transzendenz Gottes mit den Gott beschreibenden Aussagen in den Offenbarungstexten zu vereinbaren.34 Bramsen hat erkannt, dass das sprachwissenschaftliche Konzept von den mutawāṭiʿ-Begriffen, das in Kapitel 5.2 der vorliegenden Arbeit eingehend besprochen wird, ein Kernelement in diesem Vorhaben darstellt, und so bespricht sie es ausführlicher, als dies sonst in der Literatur der Fall ist.35 Eine Aussage, die der Grundauffassung der vorliegenden Arbeit diametral entgegensteht, machte Souheil Sayoud im Jahre 2009 in einem knapp gehaltenen Aufsatz über die Attributenlehre Ibn Taymiyyas. Demnach habe Ibn Taymiyya lediglich die Meinungen anderer dekonstruiert, selbst jedoch keine alternative Theorie ausgearbeitet, nach der die Gott beschreibenden Aussagen in den offenbarten Quellen zu verstehen seien.36 Tatsächlich ist es richtig, dass Ibn Taymiyyas Schriften zu einem Großteil aus Kritik an anderen Denkrichtungen bestehen. Sophia Vasalou hat daher sein Denken treffend als ein „thinking-in-bello“ beschrieben.37 Die vorliegende Arbeit wird jedoch zeigen, dass Ibn Taymiyya – anders als von Sayoud behauptet – sehr wohl eine Theorie der Attribute Gottes ausgearbeitet hat. 33 Siehe Yahya Michot, A Mamlūk Theologian’s Commentary on Avicenna’s Risāla Aḍḥawiyya. Being a Translation of a Part of the Darʾ Al-Taʿāruḍ of Ibn Taymiyya, with Introduction, Annotation, and Appendices, Part I, in: Journal of Islamic Studies 14.2 (2003), 149–203, hier 165; der zweite Teil findet sich bei ders., A Mamlūk Theologian’s Commentary on Avicenna’s Risāla Aḍḥawiyya. Being a Translation of a Part of the Darʾ Al-Taʿāruḍ of Ibn Taymiyya, with Introduction, Annotation, and Appendices, Part II, in: Journal of Islamic Studies 14.3 (2003), 309–363. 34 Siehe Dorthe Bramsen, Ibn Taymiyya og de guddommelige egenskaber, in: Religionsvidenskabeligt Tidsskrift 42 (2003), 27–41. Da ich des Dänischen nicht mächtig bin, entstammen meine Kenntnisse über den Inhalt dieses Artikels dem darin enthaltenen englischsprachigen Abstract sowie einer unveröffentlichten und nur für den Zweck der vorliegenden Arbeit angefertigten Übersetzung des Haupttextes. Bramsens Artikel basiert auf ihrer ebenfalls auf Dänisch verfassten Magisterarbeit, die mir allerdings nicht vorlag. 35 Sie nimmt dabei die Ausführungen Sherman Jacksons zu dieser Thematik als Grundlage, denen in vorliegender Arbeit nicht gefolgt wurde; siehe dazu unten, Fußnote 783. 36 Siehe Souheil Sayoud, Sans comment. Ibn Taymiyya et le problème des attributs divins, in: Géraldine Roux (Hrsg.), Lumières médiévales, Paris: Van Dieren, 2009, 67–73, hier 67. 37 Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, 57, Kursivierung im Original.
8 | 1 Einleitung Vasalou kommt im Rahmen ihrer eben angeführten Monographie über die Ethik Ibn Taymiyyas zu dem Schluss, dass seine moraltheoretischen Standpunkte denen der Ašʿariten äußerst nahestehen, und zwar sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich ihrer vernunftpessimistischen Ausrichtung. Um die Stellung der Vernunft bei Ibn Taymiyya weiter zu ergründen, geht sie auch auf Thematiken ein, die keinen direkten Bezug zur Ethik haben – darunter Ibn Taymiyyas Gottesvorstellung. Auch hier kommt sie zu dem Ergebnis, dass – anders als Ibn Taymiyyas Formulierungen es oftmals vermuten lassen – der Vernunft keine „critical role“ in seiner Methodik zukommt.38 Sie sieht sich damit im Einklang mit der Position Jon Hoovers, aus dessen Monographie sie folgende Aussage über Ibn Taymiyya zitiert: „[H]e is devising his rational arguments so as to arrive safely at theological doctrines held a priori on the basis of the authoritative tradition“.39 Yossef Rapoport und auch ich kommen indes in unserer jeweiligen Besprechung ihrer Monographie zu dem Ergebnis, dass Vasalou dieses Bild von der Methodik Ibn Taymiyyas nur deswegen aufrechterhalten kann, weil sie seine kreative Interpretationsleistung in Bezug auf die Offenbarungsschriften übersieht.40 Bevor auf die Veröffentlichungen Hoovers weiter eingegangen wird, soll die im Jahre 2000 an der McGill Universität eingereichte Dissertationsschrift von Abdel Hakim Ajhar besprochen werden. Dieser nimmt dort, wie gleich zu sehen sein wird, einen Standpunkt ein, der dem von Vasalou diametral entgegensteht.41 Er ist vor allem an der Schöpfungslehre Ibn Taymiyyas interessiert und vergleicht diese den Ansichten der falāsifa42 und denen der mutakallimūn.43 Dabei behandelt er auch Ibn Taymiyyas Standpunkte zum Wesen Gottes und Seinen Attributen, wobei seine Ausführungen jedoch oftmals ungenau und manchmal sogar grob verzerrend sind. Zweifellos falsch ist seine Behauptung, Ibn Taymiyya sei ein Vertreter des
38 Siehe Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, 230–241, Zitat auf S. 241. 39 Siehe ebd., 239. Die von Vasalou zitierte Stelle findet sich bei Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 68. 40 Siehe Yossef Rapoport, Rezension von Sophia Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 80.1 (2017), 144–146, hier 145; und Farid Suleiman, Rezension von Sophia Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, in: Die Welt des Islams 57.2 (2017), 261–264, hier 262f. 41 Siehe Abdel Hakim Ajhar, The Metaphysics of the Idea of God in Ibn Taymiyya’s Thought, McGill Universität: unveröffentl. Dissertation, 2000. 42 Damit werden die Anhänger einer bestimmten philosophischen Denktradition, falsafa genannt, bezeichnet. Zu ihnen und zur konzeptuellen Unterscheidung zwischen Philosophie und falsafa siehe unten, Kapitel 3.3. 43 Pluralform des bereits erläuterten Ausdrucks mutakallim.
1.1 Forschungsstand |
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tafwīḍ44 gewesen.45 Tatsächlich handelt es sich bei Ibn Taymiyya um einen erklärten Gegner dieser Methodik, der seine eigene Position in expliziter Abgrenzung zu ihr formuliert. Nicht weniger problematisch ist Ajhars Sicht, dass Ibn Taymiyya das gleiche Ziel wie Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 505/1111) verfolgt habe, nämlich den kalām und die falsafa durch eine Synthese zu versöhnen.46 Vor diesem Hintergrund ist es kaum mehr überraschend, dass er Ibn Taymiyya – und hierin besteht der Gegensatz zur Position Vasalous – als einen mutakallim (spekulativen Theologen) und Philosophen identifiziert.47 Diese Etikettierungen lassen sich womöglich aufrechterhalten, indem man die Begriffe des kalām (spekulative Theologie) und der Philosophie konzeptuell entsprechend weit fasst.48 Aber auch dann vernebeln diese Begriffe mehr, als dass sie zu einer Klärung beitragen. Ibn Taymiyya hatte sich selbst weder als mutakallim noch als Philosophen gesehen, und wie die vorliegende Arbeit aufzeigen wird, gibt es gute Gründe, ihm darin zu folgen. Die wichtigsten und gehaltvollsten Beiträge zur Attributenlehre Ibn Taymiyyas stammen von Jon Hoover. Dabei handelt es sich um einen Abschnitt in seiner bereits angeführten Monographie49 sowie einem Artikel aus dem Jahre 2010, in dem Hoover Ibn Taymiyyas Traktat Iḫtiyāriyya einer Analyse unterzieht.50 Anders als Vasalou, die durchgängig dafür argumentiert, dass Ibn Taymiyya die Offenbarung 44 Auf Deutsch: Überlassung. Damit soll ausgedrückt werden, dass das Wissen über die Bedeutung der in den offenbarten Quellen angeführten Gott beschreibenden Ausdrücke allein Gott zugesprochen bzw. überlassen werden soll. Weiter ausgeführt wird diese Methodik unten auf S. 69ff. 45 Siehe Ajhar, Metaphysics, 11 und 248. 46 Siehe zu dieser u. a. von al-Ġazālī vorangetriebenen Entwicklung unten, S. 58f. 47 Siehe Ajhar, Metaphysics, 48 und 247f. 48 George Tamer, der die veröffentlichte und ins Arabische übersetzte Fassung von Ajhars Dissertation diskutiert, macht dies nicht und widerspricht Ajhar daher dezidiert: „As philosophy is essentially a rational activity of investigation and critique independent of the authority of revelation, Ibn Taymiyya’s conception of rationality as part of the outcome of revelation provides just the opposite of that what philosophy is“. Georges Tamer, The Curse of Philosophy. Ibn Taymiyya as a Philosopher in Contemporary Islamic Thought, in: Birgit Krawietz/Georges Tamer (Hrsg.), Islamic Theology, Philosophy and Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin und Boston: De Gruyter, 2013, 329–374, hier 371. Eine ähnliche Position vertritt Ulrich Rudolph, wenn er die Philosophie von der Theologie dadurch abzugrenzen versucht, dass letztere – selbst in der Art, wie die Muʿtaziliten sie praktizierten – niemals wirklich voraussetzungslos war, sondern immer darauf abzielte, auf Grundlage der Offenbarung orthodoxe Lehrmeinungen zu generieren. Siehe Ulrich Rudolph, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Philosophie in der Islamischen Welt: 8.-10. Jahrhundert, Basel: Schwabe, 2012, xiii–xxxv, hier xxx. 49 Siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 46–67. 50 Siehe Jon Hoover, God Acts by His Will and Power. Ibn Taymiyya’s Theology of a Personal God in His Treatise on the Voluntary Attributes, in: Yossef Rapoport/Shahab Ahmed (Hrsg.), Ibn Taymiyya and His Times, Karachi: Oxford University Press, 2010, 55–77. Inhaltlich bietet die Schrift
10 | 1 Einleitung als die maßgebliche Quelle erachtet und der Vernunft nur eine marginale Rolle zuerkennt, betont Hoover auch immer wieder die vernunftfreundlichen Elemente in Ibn Taymiyyas Methodik. In seinen beiden erwähnten Veröffentlichungen arbeitet er deutlich einen der essenziellen Bestandteile der Gottesvorstellung Ibn Taymiyyas heraus, durch den sich diese von denen anderer einflussreicher Denktraditionen klar unterscheidet. An einer Stelle fasst dies Hoover wie folgt zusammen: „Ibn Taymiyyas God, who is perpetually active and creative from eternity, contrasts sharply with the ultimately timeless and motionless God of not only Ibn Sīnā and his successors but also the Kalām theologians“.51 Eine weitere wichtige Erkenntnis, die in der vorliegenden Arbeit fundamentiert wird, findet sich in Hoovers Aussage, dass Ibn Taymiyya die offenbarten Beschreibungen Gottes weder literalistisch noch metaphorisch deutet.52 Auch sonst deckt sich das Bild, das Hoover von Ibn Taymiyyas Ansichten bezüglich der Attribute Gottes zeichnet, mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit, bleibt jedoch aufgrund des begrenzten Umfangs seiner Beiträge naturgemäß an vielen Stellen fragmentarisch.
1.2 Forschungsziele und Vorgehensweise Die vorliegende Arbeit verfolgt eine Reihe von Zielen. Zuvörderst stellt sie den Versuch dar, Ibn Taymiyyas unsystematisch und innerhalb vieler Einzeltraktate ausgebreiteten methodischen Grundlagen seiner Attributenlehre erst zu einer Gesamtschau zu verarbeiten und in einem nächsten Schritt an beispielhaft ausgewählten Attributen Gottes zu untersuchen, wie er diese zur Anwendung bringt. Dabei sollen seine Positionen auch immer in einen größeren ideengeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. Der besondere Fokus soll auf Ibn Taymiyyas Ausarbeitung positiv-konstruktiver Standpunkte liegen, weniger auf seiner dekonstruierenden Kritik an anderen Positionen, die indes auf angemessene Weise ebenso zur Sprache kommen wird. Zwar würde sich hierbei auch ein systematischer Vergleich der Auffassungen Ibn Taymiyyas z. B. mit denen des Ibn ʿArabī oder des Ibn Rušd (gest. 595/1198) anbieten, zumal in der Sekundärliteratur mehrfach auf Parallelen zwischen diesen Denkern verwiesen wird,53 allerdings muss das Iḫtiyāriyya nur wenig, was sich nicht auch an anderen Stellen der Werke Ibn Taymiyyas finden lässt. Da Hoover sie zusammenfassend darstellt und es ein Anliegen der vorliegenden Arbeit ist, möglichst viele Werke Ibn Taymiyyas einer nicht-arabischsprachigen Leserschaft vorzustellen, wurde sie nicht herangezogen. 51 Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 4f. 52 Siehe ebd., 52. 53 Siehe in Bezug auf Ibn ʿArabī ebd., 47f., und Abdel Hakim Ajhar, Suʾāl al-ʿālam. Aš-Šayḫān Ibn ʿArabi wa-Ibn Taymiyya min fikrat al-waḥda ilā fikrat al-iḫtilāf, Casablanca: al-Markaz aṯ-ṯaqāfī
1.2 Forschungsziele und Vorgehensweise | 11
mit Blick auf den begrenzten Umfang dieser Dissertationsschrift der zukünftigen Forschung überlassen werden. Ebenso wird die spätere Rezeption der Ansichten Ibn Taymiyyas und dabei auch die interessante Forschungsfrage, inwieweit sich Strömungen wie z. B. die moderne Salafiyya tatsächlich auf Ibn Taymiyya als einen ihrer Vordenker berufen können, gänzlich ausgespart.54 Im Zuge der Realisierung des eben beschriebenen Hauptziels der Arbeit sollen zusätzlich folgende Fragen beantwortet werden: Welche Rolle spielt die Vernunft in Ibn Taymiyyas Methodik? Wendet Ibn Taymiyya die von ihm ausformulierte Methodik in der Praxis auf konsistente Weise an? Ist Ibn Taymiyyas Selbstverständnis, nach welchem er weder ein Literalist noch ein Anthropomorphist ist, gerechtfertigt? Und schließlich: In welchem Verhältnis stehen die Positionen Ibn Taymiyyas zu der ihm vorausgehenden Ideengeschichte? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden in einem ersten Schritt die relevanten Schriften Ibn Taymiyyas identifiziert. Dass das Allermeiste von seinem Schriftkorpus ediert vorliegt und die geleistete Editionsarbeit häufig den wissenschaftlichen Standards entspricht, hat die Arbeit diesbezüglich sehr erleichtert. Schwierigkeiten ergaben sich jedoch dadurch, dass in den mehr als 30.000 ediert vorliegenden Buchseiten, auf denen Ibn Taymiyya Problemstellungen aus unterschiedlichsten islamischen Wissensdisziplinen behandelt, die Frage nach den Attributen Gottes und unmittelbar mit ihr in Bezug stehende Themenkomplexe meiner Einschätzung nach am häufigsten aufgeworfen und behandelt werden. Nach Sichtung aller mir bekannten relevanten Werke, Traktate und Passagen konnte eine Auswahl getroffen werden, die Ibn Taymiyyas Entfaltung seiner Attributenlehre inhaltlich abbildet. Diese Schriften finden sich sortiert nach ihrer Kurzbezeichnung in dem Bibliographiekapitel der vorliegenden Arbeit.55 Darüber hinaus wurden die in dieser Arbeit besonders häufig herangezogenen Schriften – zehn an der Zahl – in annotierter Form noch mal gesondert aufgeführt.56 Dies hat sich vor dem Hintergrund der reichhaltigen und unübersichtlichen Primärliteratur angeboten, insofern sich dadurch leichter nachvollziehen lässt, auf welcher Quellenbasis die vorliegende Arbeit vornehmlich fußt. Zudem konnte in diesem Zuge auch die Chronologie der eben angesprochenen zehn Werke thematisiert werden. Dabei gelang al-ʿarabī, 2011; sowie hinsichtlich Ibn Rušd aṭ-Ṭablāwī Saʿd, Mawqif Ibn Taymiyya min falsafat Ibn Rušd, Kairo: Maṭbaʿat al-Amāna, 1989, und Jon Hoover, Perpetual Creativity in the Perfection of God. Ibn Taymiyya’s Hadith Commentary on God’s Creation of this World, in: Journal of Islamic Studies 15.3 (2004), 287–329, hier 289–291. 54 Zur Rezeption Ibn Taymiyyas siehe die 2018 veröffentlichte Ausgabe der Zeitschrift The Muslim World (Jahrgang 108, Heft 1) mit dem Titel Ibn Taymiyya: Receptions (14th –17th Century). 55 Siehe unten, S. 341ff. 56 Siehe unten, Kapitel 1.3.
12 | 1 Einleitung es, fünf dieser Werke recht genau zu datieren; bei zwei weiteren ließ sich das Datum der Abfassung wenigstens noch auf bestimmte Zeiträume eingrenzen. So war es in manchen Fällen möglich, Ibn Taymiyyas Denken auch auf seine Entwicklung hin zu untersuchen. Die Idee, die Analysen der einzelnen Schriften Ibn Taymiyyas – unabhängig davon, ob sie datierbar sind oder nicht – getrennt voneinander zu behandeln, um der Gefahr zu entgehen, eine innere Kohärenz in die Ausführungen Ibn Taymiyyas, zwischen denen jeweils Jahre oder auch Jahrzehnte liegen können, zu projizieren,57 wurde aus zwei Gründen verworfen. Erstens hätte eine derartige Vorgehensweise bei dieser hohen Anzahl von Primärquellen den Umfang dieser Arbeit wohl mindestens verdoppelt. Zweitens konnte festgestellt werden, dass die Behandlung ein und derselben Thematik in den verschiedenen Schriften Ibn Taymiyyas sich in den meisten Fällen auf offensichtliche Weise inhaltlich überschneidet; manchmal ähneln sich sogar die Formulierungen oder gleichen sich die angeführten Beispiele. In den Fällen, in denen dies weniger eindeutig war oder sogar Widersprüche zu bestehen schienen, wurde darauf aufmerksam gemacht und die betreffenden Passagen wurden getrennt voneinander besprochen. Es lässt sich hierbei festhalten, dass in Ibn Taymiyyas Ausführungen zu seiner Attributenlehre auch in den Schriften, von denen bekannt ist, dass zwischen ihnen mehrere Jahrzehnte liegen, keine Brüche oder substanzielle Wandlungen ausgemacht werden konnten. Zwar berichtet Ibn Taymiyya in einer seiner Schriften selbst, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens einer ihm beigebrachten Gottesvorstellung blind anhing, sie jedoch später reflektierte und verwarf.58 Ich schließe mich aber Jon Hoover an, der diesbezüglich meint, dass dieser Wandel in Ibn Taymiyyas Denken wohl in einem sehr frühen Stadium seines Lebens vonstattengegangen sein muss, da in seinen Schriften keine Stelle bekannt ist, in der er diese früheren Ansichten vertritt oder auch nur beschreibt.59 Was den Aufbau der Arbeit betrifft, so gliedert sie sich in ihrem Kern in die Teile I–III. Der Teil I beschäftigt sich im ersten Abschnitt mit der Biographie Ibn Taymiyyas, wobei das Augenmerk auf das (scheinbar) vor allem wegen theologischer Differenzen spannungsgeladene Verhältnis zwischen ihm und der breiteren Gelehrsamkeit und politischen Elite gerichtet wird. Im zweiten Abschnitt folgt ein Überblick über die ideengeschichtliche Entwicklung islamischer Attributenlehren bis zur Zeit Ibn Taymiyyas. Beide Abschnitte erheben keinen Anspruch darauf 57 Quentin Skinner hat hierzu den Ausdruck the mythology of coherence geprägt. Siehe seine Ausführungen bei Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory 8.1 (1969), 3–53, v. a. 16–21. 58 Siehe Iḫtiyāriyya, MF 6/258, ǦR 2/56. 59 Siehe Hoover, God Acts, 71f.
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hin, einen neuen Forschungsbeitrag zu leisten, und fußen in nicht unerheblichem Maße auf der bestehenden Sekundärliteratur. Sie dienen vielmehr dazu, die in den Folgekapiteln zu besprechenden theologischen Positionen Ibn Taymiyyas in ihrer historischen Situiertheit zu erfassen und ihnen durch die Kontrastierung zu gegenläufigen Ansichten zu noch mehr Kontur und Klarheit zu verhelfen. Zusätzlich werden dabei auch bestimmte Konzepte und Termini erläutert, die in dieser Arbeit grundlegend sind und auf die Ibn Taymiyya in vielen seiner Schriften rekurriert. Nicht zuletzt könnte es auch der noch jungen Disziplin der deutschsprachigen Islamischen Theologie von Nutzen sein, wenn zusammenfassende Darstellungen dieser Art in deutscher Sprache zur Verfügung stehen. Der darauf folgende Teil II stellt das Kernstück der vorliegenden Arbeit dar und befasst sich mit den methodischen Grundlagen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas. Dabei werden in den verschiedenen Abschnitten dieses Teils die seinstheoretischen, die sprachlichen, die hermeneutischen und die epistemologischen Dimensionen seiner Lehre von den Attributen Gottes beleuchtet. Dieser Teil schließt mit einem Abschnitt, in dem die gemachten Ausführungen zusammenfassend dargestellt werden. In dem sich daran anschließenden Teil III richtet sich der Blick auf konkrete Inhalte der Attributenlehre Ibn Taymiyyas, und zwar bezüglich des Wesens Gottes sowie bezüglich den göttlichen Attributen der Gerechtigkeit (ʿadl), der Rede (kalām), des Sich-Erhebens (istiwāʾ) über Seinen Thron sowie bezüglich der koranischen Aussage, dass die Schöpfung sich stets im Beisein (maʿiyya) Gottes befindet. Diese vier Attribute wurden ausgewählt, weil Ibn Taymiyya sie besonders ausführlich und detailliert bespricht. Anhand ihrer konnte die konkrete Vorgehensweise Ibn Taymiyyas mit seiner in Teil II vorgestellten Methodik verglichen werden. Darüber hinaus lässt sich zumindest hinsichtlich der Attribute des kalām und des istiwāʾ feststellen, dass sie nicht nur bei Ibn Taymiyya, sondern auch von vielen anderen Gelehrten unterschiedlicher Ausrichtung innerhalb der Debatten um die Attribute Gottes oftmals beispielhaft herangezogen werden, um die verschiedenen Positionen zu diskutieren und den eigenen Standpunkt zu erläutern. Auch dieser Teil endet mit einer zusammenfassenden Darstellung seines Inhalts. Der fünfte und abschließende Teil knüpft an die Einleitung an, indem er die dort aufgeworfenen Forschungsfragen zu beantworten versucht. Darüber hinaus werden auch offene Fragestellungen angeführt, die sich aus der vorliegenden Arbeit ergeben und in zukünftigen Untersuchungen behandelt werden sollten. Zum Schluss seien noch einige der Formalia erläutert: Zitate aus nichtenglischsprachigen Werken wurden stets ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung habe ich, sofern nicht anders angegeben, selbst vorgenommen. Die Umschrift der arabischen Wörter folgt den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesell-
14 | 1 Einleitung schaft.60 Das hamzat al-waṣl am Anfang eines Wortes wurde weggelassen, wenn das vorhergehende Wort mit einem Vokal endet. Zur besseren Lesbarkeit wurden aus dieser Regel der Namensbestandteil Ibn (Sohn), die Verben der Stämme VII–X und ihre dazugehörigen Verbalsubstantive sowie die Imperativformen des ersten Stammes ausgenommen. Allgemein bekannte Städtenamen wie z. B. Basra und Kufa wurden nicht transkribiert. Selbiges gilt für die Namen von Herrscherdynastien (z. B. Abbasiden und Mamluken) sowie für arabische Ausdrücke, die Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben (z. B. Islam, Koran und Sufi). Bei welchen Wörtern dies der Fall ist, wurde über die Online-Ausgabe des Duden ermittelt.61 Um den Sprachstil möglichst geschlechtergerecht zu gestalten, ohne dabei die Lesbarkeit zu mindern, wurde manchmal das generische Femininum und manchmal das generische Maskulinum verwendet – innerhalb einer zusammenhängenden Passage jedoch immer durchgängig eines der beiden.
1.3 Übersicht über die in dieser Arbeit besonders häufig verwendeten Werke Ibn Taymiyyas (1) Bayān talbīs al-ǧahmiyya fī taʾsīs bidaʿihim al-kalāmiyya Die Offenlegung der Täuschungen der Ǧahmiten bei der Grundlegung ihrer kalām-bezogenen unerlaubten Neuerungen.
Quellenlage und Edition: Das Werk wurde im Jahre 2005-6 erstmals vollständig und auf quellenkritische Weise auf der Grundlage der sechs erhaltenen, unterschiedlich umfangreichen Handschriften ediert.62 Umfang: 8 Bände (ø300 Seiten je Band). Datierung: Ibn Taymiyya verfasste dieses Werk während seiner Inhaftierung im Turm einer Zitadelle in Kairo in der Zeit zwischen dem 26.9.705 und dem 23.3.707 (11.4.1306–21.9.1307).63 Kurzbeschreibung: Wie Ibn Taymiyya in der Einleitung wissen lässt, bezog er sich in seiner Schrift al-Ḥamawiyya al-kubrā (siehe #2) und in dem der Kritik an dieser Schrift entgegnenden Nachtrag Ǧawāb al-iʿtirāḍāt al-miṣriyya ʿalā l-futyā 60 Siehe Carl Brockelmann u. a., Die Transliteration der arabischen Schrift in ihrer Anwendung auf die Hauptliteratursprachen der islamischen Welt, Leipzig: Brockhaus, 1935. 61 Siehe Dudenredaktion (Hrsg.), Duden online, o. J. url: www.duden.de. Der Ausdruck Scheich findet sich dort zwar, nicht aber in dem in der vorliegenden Arbeit verwendeten Sinne einer in religiösen Dingen gelehrten Person, und so wurde er in Umschrift wiedergegeben. 62 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, Bayān talbīs al-ǧahmiyya fī taʾsīs bidaʿihim al-kalāmiyya, hrsg. von Yaḥyā Ibn Muḥammad al-Hunaydī u. a., 10 Bde., Medina: Muǧammaʿ al-Malik Fahd li-ṭibāʿat al-muṣḥaf aš-šarīf, 1426 [=2005-6]. Bezüglich der verwendeten Handschriften siehe 9/26–28. 63 Zu dieser Datierung siehe die Ausführungen der Herausgeber in Bayān 9/22–25.
1.3 Übersicht über die Werke Ibn Taymiyyas |
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l-ḥamawiyya (siehe #3) auf zeitgenössische Gegner im Attributenlehrenstreit. Er sei jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass eine gründliche Widerlegung dieser Gegner nur durch eine Entkräftung der Schriften ihrer Lehrmeister erfolgen kann.64 So knüpft das Bayān inhaltlich an den zwei oben genannten Werken an, dieses Mal jedoch mit dem Ziel, Faḫr ad-Dīn ar-Rāzīs (gest. 606/1210) Werk Taʾsīs at-taqdīs (auch bekannt als Asās at-taqdīs)65 zu entkräften.66 Inhaltlich geht Ibn Taymiyya hier auf eine Vielzahl der anthropomorphistisch erscheinenden Attribute Gottes ein, sodass dieses Werk von zentraler Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist. (2) al-Fatwā l-ḥamawiyya al-kubrā67 Die große Fatwā von Hama [Stadt im heutigen Syrien].
Quellenlage und Edition: Das Werk ist in 20 Handschriften unterschiedlicher Länge erhalten.68 In einer kritischen Edition wurde es erstmalig im Jahre 2004 veröffentlicht.69 Diese ist der gängigeren, jedoch nicht-kritischen in MF 5/5–120 vorzuziehen. Umfang: ca. 75 Seiten. Datierung: Verfasst 698/1298.70 Kurzbeschreibung: Das Werk ist Ibn Taymiyyas Antwort auf eine aus der Stadt Hama an ihn herangetragene Bitte um die korrekte Interpretation mehrerer Verse und Prophetenworte, die Gott in scheinbar anthropomorphistischer Weise beschreiben. Mit dieser Schrift löste Ibn Taymiyya eine Welle der Kritik aus, woraufhin er seine Ansichten in zwei weiteren Schriften zu verteidigen versuchte (siehe #3 Iʿtirāḍāt und #1 Bayān). 64 Siehe Bayān 1/4–8. 65 Unter diesem Titel wurde es auch ediert und herausgegeben: Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, Asās attaqdīs, hrsg. von Aḥmad al-Ḥiǧāzī as-Saqqā, Kairo: Maktabat al-Kulliyyāt al-azhariyya, 1986. 66 Aus diesem Grund ist das Werk Ibn Taymiyyas auch unter dem Titel Naqḍ Asās at-taqdīs (Die Widerlegung des [Buches] Asās at-taqdīs) bekannt, unter welchem es 2004-5 in unvollständiger Form herausgegeben wurde: Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, Naqḍ Asās at-taqdīs, hrsg. von Mūsā Ibn Sulaymān ad-Duwayš, Medina: Maktabat al-ʿUlūm wa-l-ḥikam, 1425 [=2004-5]. 67 Dabei handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine inhaltliche Erweiterung seiner Schrift al-Fatwā l-ḥamawiyya aṣ-ṣuġrā; siehe Muḥammad Ibn ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Hādī, al-ʿUqūd ad-durriyya fī ḏikr baʿḍ manāqib šayḫ al-islām Ibn Taymiyya, hrsg. von ʿAlī Ibn Muḥammad alʿImrān, Mekka: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 2011, 111, Fußnote 3 des Hrsg. 68 Siehe ʿAlī Ibn ʿAbd al-ʿAzīz aš-Šibl, al-Aṯbāt fī maḫṭūṭāt al-aʾimma. Šayḫ al-islām Ibn Taymiyya wa-l-ʿallāma Ibn al-Qayyim wa-l-ḥāfiẓ Ibn Raǧab, Riad: Malik Fahd al-waṭaniyya, 2002, 88–90. 69 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, al-Fatwā l-ḥamawiyya al-kubrā, hrsg. von Ḥamad Ibn ʿAbd alMuḥsin at-Tuwayǧirī, Riad: Dār aṣ-Ṣumayʿī, 2004. Der Herausgeber stützte sich dabei auf neun Handschriften. Auf diese Edition wird im Folgenden durch Ḥamawiyya, Ed. Tuwayǧirī verwiesen. 70 Diese Datierung ist sehr gut belegt; siehe z. B. Ibn ʿAbd al-Hādī, ʿUqūd, 111.
16 | 1 Einleitung
(3) Ǧawāb al-iʿtirāḍāt al-miṣriyya ʿalā l-futyā l-ḥamawiyya Antwort auf die aus Ägypten stammenden Einwände gegen die Schrift Die (große) Fatwā von ’ Hama‘.
Quellenlage und Edition: Große Teile der lange als verloren geglaubten Schrift wurden kürzlich auf Basis zweier unvollständiger Handschriften in einer wissenschaftlichen Edition herausgegeben.71 Umfang: ca. 174 Seiten. Datierung: Verfasst während seiner Inhaftierung im Turm einer Zitadelle in Kairo in der Zeit zwischen dem 26.9.705 und dem 23.3.707 (11.4.1306–21.9.1307), aber noch vor Bayān (siehe #1).72 Kurzbeschreibung: Diese Schrift ist die Antwort auf die Einwände, die der ḥanafitische Oberqāḍī in Ägypten, Šams ad-Dīn as-Sarrūǧī73 (gest. 710/1310), gegen Ibn Taymiyyas Werk al-Fatwā l-ḥamawiyya al-kubrā (siehe #2) vorgebracht hatte. (4) Kitāb al-Īmān74 Das Buch über den Glauben.
Handschriften und Edition: Das Werk liegt in einer kritischen Edition auf Basis der dem Herausgeber bekannten, unterschiedlich umfangreichen acht Handschriften vor.75 Diese Edition ist der gängigeren, jedoch nicht-kritischen in MF 7/5–460 vorzuziehen. Zudem wurde das Werk in das Englische übersetzt.76 Umfang: ca. 300 Seiten.
71 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, Ǧawāb al-iʿtirāḍāt al-miṣriyya ʿalā l-futyā l-ḥamawiyya, hrsg. von Muḥammad ʿUzayr Šams, Mekka: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1429 [=2008]. 72 Ibn Raǧab (gest. 795/1393) gibt an, dass Ibn Taymiyya diese Schrift im Gefängnis in Ägypten verfasst hat; siehe Abū l-Faraǧ Ibn Raǧab, aḏ-Ḏayl ʿalā ṭabaqāt al-ḥanābila, hrsg. von Muḥammad Ḥāmid al-Faqqī, 2 Bde., Kairo: as-Sunna al-muḥammadiyya, 1953, 2/403. Ibn Taymiyya muss sie aber noch vor dem Bayān verfasst haben, da er sie dort erwähnt; siehe Bayān 1/6f. und auch 5/315f. 73 Zu seinem Leben siehe Ṣalāḥ ad-Dīn aṣ-Ṣafadī, Aʿyān al-ʿaṣr wa-aʿwān an-naṣr, hrsg. von ʿAlī Abū Zayd u. a., 6 Bde., Damaskus: Dār al-Fikr, 1998, 1/159–161. 74 Auch bekannt als Kitāb al-Īmān al-kabīr, womit es abgegrenzt wird zu Ibn Taymiyyas Kitāb al-Īmān al-awsaṭ (zu finden in MF 7/461–640; selten auch als Kitāb al-Īmān aṣ-ṣaġīr bezeichnet). Ibn Taymiyya selbst und auch seine Schüler benutzen aber den oben angegebenen Titel und benennen letztgenanntes Werk als Šarḥ ḥadīṯ Ǧibrīl fī l-īmān wa-l-islām. 75 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, Kitāb al-Īmān al-kabīr li-šayḫ al-islām Ibn Taymiyya. Dirāsa wataḥqīq, hrsg. von Muḥammad Saʿīd Ibrāhīm Sayyid Aḥmad, 2 Bde., Universität Umm al-Qurā: unveröffentl. Dissertation, 1423 [=2002], Für die Beschreibung der Handschriften siehe 1/105–117. 76 Ders., Kitāb al-Īmān. Book of Faith, hrsg. von Salman Hassan al-Ani/Shadia Ahmad Tel, Bloomington: Iman Publishing House, 2010. Auf dieses Buch wird im Folgenden durch Īmān, engl. Übers. verwiesen.
1.3 Übersicht über die Werke Ibn Taymiyyas |
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Datierung: Zwischen 705/1306 und 712/1313; mit einiger Wahrscheinlichkeit lässt sich dies weiter eingrenzen auf den Zeitraum zwischen 709/1310 und 712/1313.77 Kurzbeschreibung: Ibn Taymiyya verteidigt in diesem Werk die Ansicht, dass der īmān sowohl die innere Überzeugung als auch die äußeren Werke einschließt und darüber hinaus zu- und abnehmen kann. Der Umstand, dass manche Gruppierungen wie die Murǧiʾiten behaupteten, der Ausdruck īmān (Glaube) bezeichne vordergründig eine bestimmte Geisteshaltung des Menschen und umfasse lediglich im übertragenen Sinne (maǧāz) dessen Werke, veranlasst Ibn Taymiyya in einer längeren Passage dazu, seine grundsätzliche Kritik an der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie auszuführen. Dieser Abschnitt ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz.78 (5) al-Iklīl fī l-mutašābih wa-t-taʾwīl79 Die Kronjuwelen bezüglich [der Erklärung der Ausdrücke] mutašābih und taʾwīl.
Handschriften und Edition: Das Traktat ist in zwei Handschriften erhalten80 und mehrfach herausgegeben worden, u. a. in MF 13/270–313. Eine kritische Edition fehlt jedoch soweit. Umfang: ca. 24 Seiten. 77 Der Gelehrte Ibn Raǧab listet mehrere Werke Ibn Taymiyyas auf, darunter auch das vorliegende, und sagt abschließend: „Alle diese Werke außer dem Kitāb al-Īmān – dieses verfasste er während seines siebenjährigen Aufenthalts in Ägypten – schrieb er im Gefängnis.“ Ibn Raǧab, Ḏayl, 2/403. Ibn Taymiyyas siebenjähriger Aufenthalt in Ägypten war von 705/1306 bis 712/1313, wobei er die Zeit zwischen 705/1306 und 709/1310 überwiegend im Gefängnis verbrachte. Dadurch rechtfertigt sich auch die oben gemachte weitere zeitliche Eingrenzung. Die Hinweise, die zu dieser Datierung führen, verdanke ich dem Herausgeber von Īmān, Ed. Aḥmad 1/91–93. (Er verwickelt sich jedoch in einen Widerspruch, da er an anderer Stelle dafür argumentiert, dass die Schrift Īmān dem nach 713/1313 verfassten Werk Darʾ zeitlich nachfolgt; siehe 2/173, Fußnote 8. Fälschlicherweise glaubend, im Einklang mit seiner in der erstgenannten Textstelle ausgedrückten Meinung zu sein, verweist er auf diese.) At-Turkī hingegen versucht in seiner Analyse der Ansichten Ibn Taymiyyas zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie zu zeigen, dass das Kitāb al-Īmān viel später verfasst wurde; siehe Ibrāhīm at-Turkī, Inkār al-maǧāz ʿinda Ibn Taymiyya bayna d-dars al-balāġī wa-l-luġawī, Riad: Dār al-Maʿāriǧ ad-dawliyya, 1996, 60–63. Seine Position, der hier nicht gefolgt wird, wird weiter unten noch einmal aufgegriffen und diskutiert; siehe S. 157. Es sei noch bemerkt, dass es sich bei dem Īmān möglicherweise um eine Ansammlung einzelner kleinerer Schriften handelt, die Ibn Taymiyya wohl am Ende seines Aufenthalts in Ägypten zusammenfügte. Siehe dazu auch die Einleitung der Herausgeber in Īmān, engl. Übers. 9. 78 Er ist zu finden in Īmān, MF 7/87–119; Ed. Aḥmad 2/138–194; engl. Übers. 98–131. 79 Diesen sehr gebräuchlichen Titel konnte ich in keinem der von seinen Schülern angelegten Werkverzeichnissen finden. Dass die Schrift auf Ibn Taymiyya zurückgeht, steht aufgrund von Inhalt und Stil zweifelsfrei fest. Da es sich um ein kleineres Traktat handelt, erhielt sie den oben genannten Titel möglicherweise erst später. 80 Siehe Šibl, Aṯbāt, 54.
18 | 1 Einleitung Datierung: nicht möglich. Kurzbeschreibung: Ibn Taymiyya erklärt die im Koran an mehreren Stellen vorkommenden Ausdrücke muḥkam, mutašābih und taʾwīl und geht dabei besonders auf Koran 3:7 ein. (6) Qāʿida fī l-ḥaqīqa wa-l-maǧāz Grundlehren über (die Unterscheidung zwischen) der eigentlichen und der übertragenen Bedeutung.
Handschriften und Edition: Das Werk, das nur in einer Handschrift erhalten zu sein scheint81 , liegt in einer nicht-kritischen Edition in MF 20/400–497 vor. Umfang: 54 Seiten. Datierung: Verfasst nach 716/1316.82 Kurzbeschreibung: In tiefgehenden Ausführungen versucht Ibn Taymiyya zu zeigen, dass die linguistische Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz nicht zu legitimieren ist. Als Zielscheibe seiner Kritik dient ihm dabei die Schrift al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām des Sayf ad-Dīn al-Āmidī (gest. 631/1233).83 (7) ar-Risāla al-akmaliyya fī-mā yaǧibu li-llāh min ṣifāt al-kamāl Das Sendschreiben Akmaliyya bezüglich [der Frage], welche Vollkommenheitsattribute Gott notwendigerweise zukommen.
Handschriften und Edition: Rašād Sālim hat auf Basis zwei ihm vorhergehender Editionen eine dritte erstellt und dabei die Unterschiede zwischen diesen beiden angegeben.84 Diese Edition ist der gängigeren in MF 6/68–140 vorzuziehen. 81 Siehe Šibl, Aṯbāt, 182. 82 Diese Datierung lässt sich aus folgendem Sachverhalt erschließen: Ibn Taymiyya erwähnt in der vorliegenden Schrift, dass er an anderer Stelle die Annahme widerlegt hat, dass der Prophet Šuʿayb der Schwiegervater des Propheten Mose gewesen ist (siehe MF 20/429). Hierbei bezieht er sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf seine Risāla fī qiṣṣat Šuʿayb, in der es genau um diese Thematik geht. Sie befindet sich in ǦR 1/59–66. In dem dortigen Traktat verweist er auf seine Schrift ar-Radd ʿalā n-naṣārā. Diese ist, wie Bosworth zeigen konnte, ein alternativer Titel für Ibn Taymiyyas Werk al-Ǧawāb aṣ-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-Masīḥ; siehe Clifford Bosworth, The Qurʾanic Prophet Shuʿaib and Ibn Taimiyya’s Epistle Concerning Him, in: Le Muséon 88 (1974), 425–440, hier 440, Fußnote 47. Dieses Werk wiederum lässt sich auf das Jahr 716/1316 oder kurz danach datieren; siehe Jon Hoover, Ibn Taymiyya, in: David Thomas/Alex Mallett (Hrsg.), ChristianMuslim relations. A bibliographical history, Bd. 4, Leiden und Boston: Brill, 2012, 825–878, hier 834. Damit ergibt sich, dass die vorliegende Schrift über die Ausdrücke ḥaqīqa und maǧāz nach diesem Datum verfasst worden sein muss. 83 Die Passagen, auf die sich Ibn Taymiyya bezieht, sind zu finden bei Sayf ad-Dīn al-Āmidī, al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, hrsg. von ʿAbd ar-Razzāq ʿAfīfī, 4 Bde., Riad: Dār aṣ-Ṣumayʿī, 2003, ab 1/67. 84 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, ar-Risāla al-akmaliyya fī-mā yaǧibu li-llāhi min ṣifāt al-kamāl, hrsg. von Rašād Sālim, Kairo: Maṭbaʿat al-Madanī, 1983.
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Umfang: 70 Seiten. Datierung: nicht möglich. Kurzbeschreibung: Auf eine Anfrage hin stellt Ibn Taymiyya in dieser Schrift seine Vorgehensweise bei der Untermauerung der Attribute Gottes durch das argumentum a fortiori (qiyās awlā) relativ systematisch dar. Die Schrift wird in vorliegender Arbeit vor allem in Kapitel 7.1.2 behandelt. (8) ar-Risāla al-madaniyya fī l-ḥaqīqa wa-l-maǧāz85 Das medinensische Sendschreiben bezüglich [der Unterscheidung] zwischen der eigentlichen und der übertragenen Bedeutung.
Handschriften und Edition: Das Werk liegt in drei Handschriften vor und wurde auf deren Basis ediert86 . Diese Edition ist der gängigeren, jedoch nicht-kritischen in MF 6/351–373 vorzuziehen. Umfang: 46 Seiten. Datierung: Einige Zeit vor 711/1311.87 Kurzbeschreibung: Ibn Taymiyya erklärt – indem er eine Debatte zwischen ihm und einem nicht näher genannten Šāfiʿiten (und damit wohl Ašʿariten) nacherzählt – vier Bedingungen, die eingehalten werden müssen, damit man einen Ausdruck statt in der eigentlichen Bedeutung in der übertragenen verstehen darf. Etwa zehn Jahre nach der Debatte verfasste er eine unter dem Titel Ḍābiṭ bekannte Antwort auf die Einwände, die ein namentlich nicht genannter mutakallim gegen die Schrift Madaniyya vorgebracht hatte.88 In diesem Traktat, das leider nur unvollständig erhalten ist, erwähnt er den mutakallim auf äußerst respektvolle Weise, jedoch ohne sich ihm in der Sache anzunähern. (9) ar-Risāla at-tadmuriyya fī taḥqīq al-iṯbāt fī l-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt wa-ḥaqīqat al-ǧamʿ bayna l-qadar wa-š-šarʿ Das Sendschreiben nach Tadmur über die Verifizierung der Position, die göttlichen Namen und Attribute anzunehmen, sowie der tatsächlichen Vereinigung von göttlicher Vorherbestimmung und offenbarten Geboten.
85 Auch bekannt unter dem Titel ar-Risāla al-madaniyya fī iṯbāt aṣ-ṣifāt an-naqliyya. 86 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, ar-Risāla al-madaniyya, hrsg. von al-Walīd Ibn ʿAbd ar-Raḥmān al-Farriyān, Riad: Dār aṭ-Ṭība, 1408 [=1987-8]. 87 Dieses Sendschreiben verschickte Ibn Taymiyya nach Medina an den Ḥanbaliten Šams ad-Dīn ad-Dibbāhī (Ibn ʿAbd al-Hādī, ʿUqūd, 83), der laut dem aḏ-Ḏahabī im Jahre 711/1311 verstarb und an seinem Lebensende Unterricht in Damaskus gegeben haben soll; siehe Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Muʿǧam aš-šuyūḫ al-kabīr, hrsg. von Muḥammad al-Ḥabīb al-Hīla, 2 Bde., Taif: Maktabat aṣ-Ṣiddīq, 1988, 2/168f. Es kann also davon ausgegangen werden, dass das Sendschreiben einige Zeit vor 711/1311 nach Medina verschickt wurde. 88 Zur Datierung siehe Ḍābiṭ, ǦM 5/44f. und 62.
20 | 1 Einleitung Handschriften und Edition: Das Werk ist in neun Handschriften erhalten89 und wurde u. a. in MF 3/1–128 herausgegeben. Die im Jahre 1985-6 erstmalig veröffentlichte wissenschaftliche Edition90 , die auf sechs Handschriften basiert, ist allen anderen Editionen vorzuziehen. Umfang: ca. 80 Seiten. Datierung: nicht möglich.91 Kurzbeschreibung: Wie Ibn Taymiyya einleitend bemerkt, wurde er darum gebeten,92 eine Schrift über Gottes Attribute sowie das Verhältnis von göttlicher Vorherbestimmung und offenbarten Geboten zu verfassen, da es hinsichtlich dieser Themengebiete viele Missverständnisse (kaṯrat al-iḍṭirāb) gebe.93 Erstere Thematik wird in den ersten zwei Dritteln der Schrift zwar nicht umfassend, aber doch ungewöhnlich systematisch behandelt und ist für die vorliegende Arbeit von hoher Relevanz. (10) Tafsīr Sūrat al-Iḫlāṣ Die Auslegung der Sure al-Iḫlāṣ (Koran 112).
Handschriften und Edition: Das Werk ist in zehn Handschriften erhalten und wurde mehrmals herausgegeben. Jedoch ist keine dieser Editionen meines Wissens nach verlässlicher als die verbreitete, nicht-kritische in MF 17/214–503. Umfang: ca. 270 Seiten. Datierung: Wahrscheinlich vor 715/1316.94
89 Siehe Šibl, Aṯbāt, 66. 90 Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, at-Tadmuriyya. Taḥqīq al-iṯbāt fī l-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt wa-ḥaqīqat alǧamʿ bayna l-qadar wa-š-šarʿ, hrsg. von Muḥammad Ibn ʿAwdat as-Saʿawī, 6. Aufl., Riad: Maktabat al-ʿUbaykān, 2000. 91 Sicher ist, dass Ibn Taymiyya sie vor dem Werk Aʿlā verfasste, da er die Schrift Tadmuriyya dort erwähnt (siehe MF 16/430). Über letztere Schrift kann jedoch leider nicht mehr ausgesagt werden, als dass sie nach Ibn Taymiyyas Ǧawāb (Ibn Taymiyya erwähnt es in MF 16/362) und damit nach 716/1316 verfasst wurde. Zur Datierung des Ǧawāb siehe oben, Fußnote 82. 92 Wie Laoust schreibt, verfasste Ibn Taymiyya dieses Werk für einen mamlukischen Emir namens Muhannā Ibn ʿĪsā (gest. 736/1335-6); siehe Henri Laoust, Ibn Taymiyya, in: Bernard Lewis u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. 3, Leiden: Brill, 1971, 951a–955a, hier 952a. 93 Diese Bitte erreichte ihn, nach dem Titel der Schrift zu urteilen, wohl aus der im heutigen Syrien befindlichen Stadt Tadmur. Leider kann nicht mehr über den historischen Kontext dieser Schrift ausgesagt werden. 94 Ibn Taymiyya geht in seinem vor 715/1316 verfassten Werk Iqtiḍāʾ aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm limuḫālafat aṣḥāb al-ǧaḥīm in wenigen Worten auf Koran 112:1–2 ein und schreibt dann, dass er diese Verse schon an anderer Stelle ausführlich behandelt habe; siehe Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya, Iqtiḍāʾ aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm li-muḫālafat aṣḥāb al-ǧaḥīm, hrsg. von Nāṣir Ibn ʿAbd al-Karīm al-ʿAql,
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Kurzbeschreibung: Anders als man aufgrund des Titels erwarten würde, handelt es sich hier um eine theologische Streitschrift. Zwar werden die Verse aus Koran 112 auch exegetisch behandelt, sie dienen jedoch in erster Linie als Aufhänger für eine Diskussion der Emanationslehre der falāsifa, der Frage, ob Gott körperlich ist, und der Termini muḥkam, mutašābih und taʾwīl aus Koran 3:7.95
2 Bde., Riad: Dār al-ʿĀṣima, 1998, 2/394 (zur Datierung des Iqtiḍāʾ siehe 1/30 in der Einleitung des Hrsg.). Hier bezieht sich Ibn Taymiyya möglicherweise auf seine Schrift Tafsīr Sūrat al-Iḫlāṣ. 95 Diese Schrift wird auch hinsichtlich Ibn Taymiyyas Methodik in der Koranexegese relativ ausführlich untersucht in Didin Syafruddin, The Principles of Ibn Taymiyya’s Qurʾanic Interpretation, McGill Universität: unveröffentl. Masterarbeit, 1994, 78–97.
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Teil I: Ibn Taymiyyas Leben und die ihm vorausgehende Ideengeschichte bezüglich der Attribute Gottes
2 Ibn Taymiyyas Leben Ibn Baṭṭūṭa (gest. 770/1368 oder 779/1377), der berühmte arabische Weltreisende und Schriftsteller aus Marokko, erreichte nach eigenen Angaben im Zuge seiner Reisen, die ihn über drei Kontinente führten, die Stadt Damaskus am Donnerstag, dem 9. Ramaḍān 726 (9.8.1326).96 In seinem Reisebericht hierzu befindet sich interessanterweise eine längere Passage, in der er sich dem Phänomen Ibn Taymiyya widmet. Auf der einen Seite beschreibt er den Gelehrten mit positiven Worten und erklärt, dass die Damaszener Bevölkerung ihn in höchsten Ehren hält. Auf der anderen Seite bescheinigt er ihm jedoch, einen Sparren im Kopf zu haben (fī ʿaqlihī šayʾ).97 Zudem – und hierbei ergibt sich die besondere Relevanz seiner Ausführungen für diese Arbeit – berichtet er, dass Ibn Taymiyya in einer Freitagspredigt Schritt für Schritt von der Kanzel (minbar) herabgestiegen ist, um damit der versammelten Zuhörerschaft zu veranschaulichen, auf welche Weise Gott von Seinem Thron in den untersten Himmel herabsteigt.98 Dass Ibn Baṭṭūṭa sich in seinen Reiseberichten nicht immer an dem orientierte, was er tatsächlich erlebt hatte, ist hinlänglich bekannt.99 So muss es nicht verwundern, wenn sich auch der erwähnte Vorfall nicht oder zumindest nicht in dieser Form ereignet hätte. Darauf deutet zum einen, dass Ibn Taymiyya etwa drei Wochen vor der Ankunft Ibn Baṭṭūṭas inhaftiert worden war und das Gefängnis lebend nicht mehr verlassen sollte. Er kann also in dieser Zeit keine Freitagspredigten in den Moscheen von Damaskus gehalten haben.100 Nimmt man nun an, dass sich Ibn Baṭṭūṭa möglicherweise bei seinem Ankunftsdatum geirrt hat und er in Wirklichkeit Damaskus einige Zeit vorher erreichte, so spricht gegen die Authentizität seines Berichtes, dass Ibn 96 Siehe Šams ad-Dīn Ibn Baṭṭūṭa, Riḥlat Ibn Baṭṭūṭa. Tuḥfat an-nuẓẓār fī ġarāʾib al-amṣār waʿaǧāʾib al-asfār, hrsg. von Muḥammad ʿAbd al-Munʿim al-ʿAryān/Muṣṭafā l-Qaṣṣāṣ, 2 Bde., Beirut: Dār Iḥyāʾ al-ʿulūm, 1987, 1/100. 97 Siehe ebd., 1/111. Die Übersetzung dieses Ausdrucks ist die Goldzihers, siehe Goldziher, Ẓāhiriten, 189. Sie fußt wiederum auf einer französischen Übersetzung von Ibn Baṭṭūṭas Werk, die es als eine Störung in seinem Kopf versteht („mais il y avait dans son cerveau quelque chose de dérangé “); siehe Šams ad-Dīn Ibn Baṭṭūṭa, Voyages d’Ibn Batoutah, hrsg. von Charles Defrémery/Beniamino Sanguinetti, Bd. 1, Paris: Imprimerie Impériale, 1853, 215. Duncan B. Macdonald übersetzte es mit dem Ausdruck eine Schraube locker haben („a screw loose“); daran knüpft Donald Little in einem Artikel an, in welchem er die Persönlichkeit Ibn Taymiyyas zu analysieren versucht; siehe Donald Little, Did Ibn Taymiyya Have a Screw Loose?, in: Studia Islamica 41 (1975), 93–111. 98 Siehe Ibn Baṭṭūṭa, Riḥla, 1/111f. 99 Siehe dazu David Waines, Ibn Baṭṭūṭa, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2016 (5), 112b–117a. 100 Siehe dazu auch Michot, Muslims, 168. https://doi.org/10.1515/9783110623673-002
2 Ibn Taymiyyas Leben
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Taymiyya an vielen Stellen seiner Werke in expliziter Form verneint, dass die Attribute und Handlungen Gottes mit denen der Menschen vergleichbar sind.101 Ob Ibn Baṭṭūṭa nun die Geschichte einfach erfunden hat oder aber lediglich vorgegeben hat, Augenzeuge eines Vorfalls gewesen zu sein, der in Form eines Gerüchts in Damaskus seine Runde machte, kann nicht geklärt werden.102 In beiden Fällen darf der Umstand, dass Ibn Baṭṭūṭa diese Geschichte in seinem Reisebericht als erwähnenswert erachtete, als ein Hinweis dafür verstanden werden, dass in Damaskus zum Zeitpunkt seines Besuchs eine hitzige Debatte über das Verständnis der Attribute Gottes im Allgemeinen und die Ansichten Ibn Taymiyyas dazu im Besonderen im Gange war. Das vorliegende Kapitel zielt nicht darauf ab, die in den arabischen Quellen reichhaltig dokumentierte Biographie Ibn Taymiyyas103 in ihren Einzelheiten nachzuzeichnen. Das ist eine Aufgabe, der in der (jedoch fast ausschließlich nichtdeutschsprachigen) Sekundärliteratur schon mehrfach nachgekommen wurde,104 101 Siehe z. B. Suʾāl ʿan al-Muršida, MF 11/482. Dort sagt Ibn Taymiyya, dass derjenige, der behauptet, dass das Herabsteigen Gottes sich wie das Herabsteigen des Menschen vollziehe, nicht nur in die Irre gegangen ist, sondern auch außerhalb des Islams steht. 102 Letzteres ist aber wahrscheinlich, da ein ähnlicher Vorfall, der sich ca. 20 Jahre zuvor ereignet haben soll, von Ibn Ḥaǧar (gest. 852/1449) berichtet wird; siehe dazu Little, Screw Loose?, 97f. 103 Little erachtet das biographische Quellenmaterial zu Ibn Taymiyya als „quite possibly greater in bulk and detail than that for any other medieval Muslim with the obvious exception of Muḥammad himself“. Ebd., 94. Die ausführlichsten Beschreibungen gehen auf drei Schüler Ibn Taymiyyas zurück und sind daher hagiographisch gefärbt: Ibn ʿAbd al-Hādī, ʿUqūd; ʿUmar Ibn ʿAlī al-Bazzār, al-Aʿlām al-ʿaliyya fī manāqib šayḫ al-islām Ibn Taymiyya, hrsg. von Ṣalāḥ ad-Dīn al-Munaǧǧid, Beirut: Dār al-Kutub al-ǧadīd, 1976; und Ibn Kaṯīrs (gest. 774/1373) Werk al-Bidāya wa-n-nihāya, in dem Ibn Taymiyyas Leben in unzusammenhängender Form bei seiner Behandlung der Jahre 661–728 nacherzählt wird. Die relevanten Passagen wurden posthum zusammengetragen bei Ibn Kaṯīr, al-Bidāya wa-n-nihāya, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 404–448. Weitere wichtige Quellen werden besprochen bei Caterina Bori, Ibn Taymiyya. Una vita esemplare. Analisi delle fonti classiche della sua biografia, Pisa und Rom: Istituti editoriali e poligrafici internazionali, 2003, Kapitel 1. Schließlich sei noch auf folgende zwei Sammelwerke verwiesen, die zusammen mehr als 86 (meist biographische) Einträge beinhalten, verfasst von Autoren, die im Zeitraum zwischen 711 und 1317 (1311–1899) gestorben sind: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2]; sowie ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), Takmilat al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1423 [=2002-3]. 104 Die mir bekannten auf Deutsch verfassten ausführlicheren Behandlungen von Ibn Taymiyyas Leben und Werk sind älteren Datums, siehe Martin Schreiner, Beiträge zur Geschichte der theologischen Bewegungen im Islām, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 52 (1898), 513–563, hier 540–563; Muḥammad Ben Cheneb, Ibn Taimīya, in: Martinus Theodorus Houtsma/
26 | 2 Ibn Taymiyyas Leben und so soll hier eine überblicksartige Darstellung genügen, die den Fokus auf die Stationen von Ibn Taymiyyas Leben setzt, in denen die polarisierende Wirkung seiner Positionen in den Debatten – v. a. denen über die Attribute Gottes – zutage tritt.105 Das Kapitel schließt mit einigen Gedanken dazu, welche Faktoren eine Rolle dabei gespielt haben könnten, dass Ibn Taymiyya mehrmals Opfer staatlicher Repressalien wurde. Taqī ad-Dīn Abū l-ʿAbbās Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm Ibn Taymiyya wurde am 10. Rabīʿ al-awwal 661 (22. Januar 1263) in der nordmesopotamischen Stadt Ḥarrān – damals Teil des Mamlukenreichs (648–932/1250–1517), heute Teil der Provinz Şanlıurfa im Südosten der Türkei –106 in eine Gelehrtenfamilie ḥanbalitischer Prägung
Arent Jan Wensinck/Thomas Walker Arnold (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. First Edition, Bd. II, Leiden und London: Brill, 1927, 447–450; sowie Carl Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, 2. den Supplementbänden angepaßte Auflage, 2 Bde. plus 3 Bde. Supplement, Leiden: Brill, 1937–49, 2/125–127 und im Supplement 2/119-126. Die nicht-deutschsprachigen Beiträge hierzu sind zahlreich, folgend eine Auswahl (zu Literatur, die sich speziell mit den sogenannten miḥan [Heimsuchungen] Ibn Taymiyyas beschäftigt, siehe unten, Fußnote 105): Bori, Una vita esemplare, Kapitel 2 und 3; Laoust, Essai sur les doctrines, 111–149; Henri Laoust, La Biographie d’Ibn Taymīya d’après Ibn Kaṯīr, in: Bulletin d’Études Orientales IX (1942–3), 115–162; Laoust, Ibn Taymiyya; Michot, Muslims, 148–169; David Waines, Ibn Taymiyya, in: The Islamic World, London und New York: Routledge, 2008, 374–379. Die arabische Sekundärliteratur hierzu ist unüberschaubar, einen Einblick gibt Bori, Una vita esemplare, 17–19, (v. a. die Fußnoten). Dort unerwähnt, aber doch nützlich nicht nur in Hinblick auf Ibn Taymiyyas Biographie ist folgende Publikation: ʿAbd ar-Raḥmān al-Maḥmūd, Mawqif Ibn Taymiyya min al-ašāʿira, 2 Bde., Riad: Maktabat ar-Rušd, 1995. 105 In der Sekundärliteratur stehen die sogenannten miḥan (Heimsuchungen), die Ibn Taymiyya deswegen erleiden musste, mehrfach im Fokus; siehe: Donald P. Little, The Historical and Historiographical Significance of the Detention of Ibn Taymiyya, in: International Journal of Middle East Studies 4.3 (1973), 311–327; Hasan Qasim Murad, Ibn Taymiya on Trial. A Narrative Account of His miḥan, in: Islamic Studies 18.1 (1979), 1–32; und Jackson, Trial. 106 Ohne eine Quelle anzugeben, behauptet Marco Schöller, Ibn Taymiyya sei in Damaskus und wohl nicht in Ḥarrān geboren; siehe Schöller, Ibn Taymiyah und nochmals die Frage nach einer Reformation im Islam, 366. Weder in der Primär- noch in der Sekundärliteratur ist mir ähnliches begegnet und so bleibt es mir verschlossen, auf welche Basis sich Schöller hierbei stützt. Unklar erscheinen mir auch die Ausführungen von Bakr Abū Zayd (gest. 1429/2008), der meint, die Stadt Ḥarrān befinde sich nicht in der (heutigen) Türkei, sondern zwischen dem Irak und aš-Šām (siehe Bakr Abū Zayd, Taqdīm, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 5–35, hier 17). Tatsächlich liegt Ḥarran jedoch sowohl zwischen den historischen Regionen Irak und aš-Šām als auch in der heutigen Türkei. Landkarten, die das relevante Gebiet zur Zeit Ibn Taymiyyas veranschaulichen, finden sich bei Heinz Halm u. a. (Hrsg.), Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO) - Teil B, Wiesbaden: Reichert, 1977–84, v. a. B VIII 1 und 15.
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geboren.107 Dies war eine Zeit der politischen Umbrüche und Unruhen, mit welchen sich die Mamluken konfrontiert sahen. So hatten z. B. nur fünf Jahre vor Ibn Taymiyyas Geburt die Mongolen Bagdad eingenommen, große Teile der dortigen Einwohner getötet und das seit etwa 500 Jahren in Bagdad (wenn auch seit Langem nur noch mit nominaler Funktion) bestehende abbasidische Kalifat gewaltsam beendet.108 Konnten die Mamluken mit der Einnahme Akkons im Jahre 1291 der fast 200 Jahre dauernden christlichen Militärpräsenz in der Levante ein Ende bereiten, so sahen sie sich nun der Gefahr der immer weiter westwärts drängenden Mongolen ausgesetzt. Aufgrund dieser Situation siedelte die Familie Ibn Taymiyyas im Jahre 667/1269 von der Stadt Ḥarrān tiefer in das mamlukische Kerngebiet nach Damaskus, einem der damaligen Zentren muslimischer Gelehrsamkeit.109 Hier beginnt Ibn Taymiyyas Leben des Lernens und Lehrens: Als Siebzehnjähriger erhält er die Erlaubnis, eigenständig fatwās zu erlassen,110 und als im Jahre 683/1284 sein Vater Šihāb ad-Dīn verstirbt, übernimmt er im Alter von 22 Jahren dessen Leitungs- und Lehrfunktionen an der Schule Dār al-Ḥadīṯ as-sukkariyya,111 in der er darüber hinaus auch wohnt.112 Ein Jahr später wird ihm in der UmayyadenMoschee ein spezieller Platz vorbehalten, an dem er Koranexegese unterrichtet. Dort kommt es im Jahre 690/1291 auch zu dem ersten dokumentierten Zwischenfall, und zwar nachdem Ibn Taymiyya über die Attribute Gottes referierte. Einige seiner 107 Zu den bekanntesten Werken, die aus dieser Familie hervorgegangen sind, gehören das alMuntaqā min aḫbār al-Muṣṭafā von Ibn Taymiyyas Großvater Maǧd ad-Dīn (gest. 652/1254) und das al-Musawwada fī uṣūl al-fiqh, welches von Ibn Taymiyya, seinem Vater Šihāb ad-Dīn (gest. 683/1284) und dem Großvater verfasst wurde. 108 Der Schock und das Trauma, die mit diesem Ereignis einhergingen, spiegeln sich in den Werken der damaligen muslimischen Chronisten deutlich wider; siehe Stefan Heidemann, Das Aleppiner Kalifat (A.D. 1261). Vom Ende des Kalifates in Bagdad über Aleppo zu den Restaurationen in Kairo, Leiden, New York und Köln: Brill, 1994, v. a. 67ff. Das Schattenkalifat der Abbasiden setzte sich hernach im mamlukischen Kairo fort, bis es 1517 durch die Osmanen endgültig beendet wurde. 109 So sollen in Damaskus in dieser Zeit mehr als 200 religiöse Bildungseinrichtungen und zahlreiche Bibliotheken existiert haben; siehe Abdul-Hakim al-Matroudi, The Ḥanbalī School of Law and Ibn Taymiyyah. Conflict or Conciliation, London und New York: Routledge, 2006, 50. 110 Diese erteilt ihm der Gelehrte Šaraf ad-Dīn al-Maqdisī (gest. 694/1295), der interessanterweise kein Ḥanbalit, sondern ein šāfiʿitischer Gelehrter ist. Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 407, und auch Michot, Muslims, 150. 111 Siehe zu dieser Schule Muṭīʿ al-Ḥāfiẓ, Dār al-Ḥadīṯ as-sukkariyya suknā šayḫ al-islām Taqī ad-Dīn Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm Ibn Taymiyya, Beirut: Dār al-Bašāʾir al-islāmiyya, 2003. 112 Normalerweise erhält man eine derartige Position erst im Alter von etwa 35 Jahren. Weitere Gelehrte, die in ungewöhnlich jungen Jahren eine ähnliche Stellung erhielten, sind Abū l-Maʿālī l-Ǧuwaynī (mit 20 Jahren) und Ibn ʿAqīl (mit 27 Jahren); siehe George Makdisi, Ibn ʿAqīl. Religion and Culture in Islam, Edinburgh: Edinburgh University Press, 1997, 24.
28 | 2 Ibn Taymiyyas Leben Zuhörer empören sich über seine Ansichten und versuchen – jedoch erfolglos – ihn mit einem Lehrverbot belegen zu lassen.113 Nach dem Tod einer seiner vielen Lehrer,114 Zayn ad-Dīn Ibn al-Munaǧǧa (gest. 695/1296), übernimmt Ibn Taymiyya dessen Lehrposition an einer angesehenen Einrichtung namens Dār al-Ḥadīṯ al-ḥanbaliyya. Zwei Jahre zuvor wurde er aufgrund seiner Beteiligung an einem Aufruhr für einige Tage inhaftiert, der dadurch zustande gekommen war, dass ein Christ den Propheten Muḥammad öffentlich beleidigt haben soll.115 Als Ibn Taymiyya im Jahre 698/1298 eine Anfrage aus der im heutigen Syrien gelegenen Stadt Hama zu einigen anthropomorphistisch anmutenden Prophetenworten erreicht, verfasst er als Antwort seine Schrift al-Fatwā l-ḥamawiyya al-kubrā.116 Mehrere Gelehrte stören sich an diesem Werk und verurteilen Ibn Taymiyya öffentlich als Anthropomorphisten (muǧassim). Der mit Ibn Taymiyya sympathisierende stellvertretende Statthalter von Damaskus tritt diesen Gelehrten jedoch entgegen und unterbindet weitere Aktionen dieser Art. Darüber hinaus stellt sich Ibn Taymiyya freiwillig einer öffentlichen Befragung durch den šāfiʿitischen Oberrichter (qāḍī l-quḍāt),117 die damit endet, dass Ibn Taymiyya von allen Anschuldigungen freigesprochen wird.118 Im selben Jahr verfasst er auch sein Werk al-ʿAqīda al-wāsiṭiyya auf Anfrage aus der irakischen Stadt Wāsiṭ, in der er auf äußerst konzise Weise die wichtigsten Inhalte islamischer Theologie zusammenfassend darstellt.119 Diese Schrift wird etwa sieben Jahre später zum Auslöser einiger der miḥan (Sing.: miḥna, Heimsuchung oder Prüfung), denen Ibn Taymiyya unterzogen wird. Bevor es jedoch dazu kommt, wird Ibn Taymiyya mit Problemen ganz anderer Art konfrontiert. So greifen die Mongolen unter der Führung des (wohl aus taktischen Gründen) zum Islam konvertierten Herrschers Ġāzān (reg. 694–704/1295–1304) die Mamluken dreimal innerhalb des Zeitraums zwischen 699 113 Siehe Murad, Ibn Taymiya on Trial, 1. 114 Siehe dazu Henri Laoust, an-Našʾa al-ʿilmiyya ʿinda Ibn Taymiyya, in: Muḥammad Abū Zahra (Hrsg.), Usbūʿ al-fiqh al-islāmī wa-mahraǧān al-imām Ibn Taymiyya, Kairo: Maṭbaʿat al-Maǧlis al-aʿlā li-riʿāyat al-funūn wa-l-adab wa-l-ʿulūm al-iǧtimāʿiyya, 1963, 831–843, v. a. 832f. und 838. 115 Der Christ konvertierte hernach unter Androhung der Todesstrafe zum Islam, wurde dafür jedoch von seiner Familie umgebracht. Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 406f. 116 Siehe zu ihr oben, S. 15. 117 Siehe zu den Oberrichterämtern, unten Fußnote 161. 118 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 408; auch Michot, Muslims, 153. 119 Die Schrift befindet sich in MF 3/129–159. In der Sekundärliteratur wurde sie bereits mehrfach behandelt und in die deutsche, französische und englische Sprache übersetzt; siehe Wein, Glaubenslehre, Henri Laoust, La profession de foi d’Ibn Taymiyya, Paris: Geuthner, 1986; und Merlin Swartz, A Seventh-Century (A.H.) Sunnī Creed. The ʿAqīda Wāsiṭīya of Ibn Taymīya, in: Humaniora Islamica 1 (1973), 91–131.
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und 702 (1299–1303) an.120 Lediglich der erste dieser Angriffe ist zu einem gewissen Grad erfolgreich, insofern die Mongolen dabei Damaskus wenigstens für ein paar Monate besetzen können. Während viele aus den mamlukischen Herrscherund Gelehrtenkreisen die Stadt fluchtartig verlassen, setzt sich Ibn Taymiyya bei den Mongolen für eine gute Behandlung der Damaszener Bevölkerung ein und arbeitet auf verschiedene Weise auf eine Beendigung der Fremdherrschaft hin.121 Einige Jahre später werden den Sultan in Kairo, Nāṣir al-Qalāwūn (reg. 693/1293, 698–708/1299–1309 und 710–741/1310–1341), Gerüchte erreichen, wonach Ibn Taymiyya versucht habe, mit den Mongolen zu kollaborieren, um politische Macht zu erlangen. Dieser wird daraufhin beim Sultan persönlich vorstellig und lässt keinen Zweifel daran, dass die Anschuldigungen erfunden sind.122 Um das Jahr 705/1305 legt Ibn Taymiyya sich mit verschiedenen sufischen Strömungen an, womit er sich einflussreiche Feinde macht.123 Auch seine zum Teil sehr harsch vorgetragene Kritik an dem in sufischen Kreisen hochverehrten Gelehrten Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī (gest. 638/1240) dürfte überwiegend auf diese 120 Ibn Taymiyya, der sich mehrfach im Heerlager der Mongolen aufhält, ist der Meinung, dass viele von ihnen, darunter auch Ġāzān, nur nach außen hin Muslime seien. Dass Ġāzān tatsächlich aus rein strategischen Erwägungen Muslim wurde, behauptet später auch sein Bruder und Nachfolger Öljeitü (reg. 703–716/1304–1316), der selbst zum schiitischen Islam konvertiert; siehe Reuven Amitai-Preiss, Ghazan, Islam, and Mongol Tradition. A View from the Mamlūk Sultanate, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 59.1 (1996), 1–10, hier 10. 121 Siehe ders., The Mongol Occupation of Damascus in 1300. A Study of Mamluk Loyalities, in: Amalia Levanoni/Michael Winter (Hrsg.), The Mamluks in Egyptian and Syrian Politics and Society, Leiden: Brill, 2004, 21–44, hier 28–31, und folgenden Artikel, der eine Übersetzung eines von Ibn Taymiyya in selbstbewusstem Ton verfassten Briefes an den mamlukischen Sultan in Kairo beinhaltet, in dem militärischer Beistand für Damaskus gefordert wird: Emmanuel Fons, À propos des Mongols. Une lettre d’Ibn Taymiyya au sultan al-Malik al-Nāṣir Muḥammad b. Qalāwūn, in: Annales Islamologiques 43 (2009), 31–73. Aus dieser Zeit stammen auch drei Anti-Mongolen-fatwās von Ibn Taymiyya, die einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben, weil sie in heutiger Zeit von islamistischen Kreisen zur Legitimation von Gewaltakten gegen muslimische Herrscher herangezogen werden. Siehe zu diesen fatwās z. B. Denise Aigle, The Mongol Invasions of Bilād al-Shām by Ghazan Khān and Ibn Taymīyah’s Three “Anti-Mongol” Fatwas, in: Mamluk Review Studies 11.2 (2007), 89–120. Eine Enthistorisierung und einen damit einhergehenden Missbrauch der Schriften Ibn Taymiyyas durch heutige extremistische Gruppierungen sieht Michot, Muslims; dessen Schüler Jon Hoover kommt in einem abwägenden Artikel, in dem er Michots Buch kritisch diskutiert, zu weniger eindeutigen Ergebnissen; siehe Hoover, Ibn Taymiyya between Moderation and Radicalism. 122 Siehe dazu Little, The Historical and Historiographical Significance, 322. 123 Siehe hierzu Nathan Hofer, The Popularisation of Sufism in Ayyubid and Mamluk Egypt, 1173-1325, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2015, 167–173, und die in der Endnote 31 angegebene Literatur.
30 | 2 Ibn Taymiyyas Leben Zeit oder auf wenige Jahre danach zu datieren sein.124 Hierzu gehört u. a. ein Brief an den mit der politischen Elite bestens vernetzten Naṣr ad-Dīn al-Manbiǧī (gest. 719/1319), einem überzeugten Anhänger Ibn ʿArabīs sowie spiritueller Mentor des stellvertretenden Herrschers und späteren Sultans Baybars al-Ǧāšnakīr (getötet 709/1310). Aus diesem Brief, der al-Manbiǧī zwar mit äußerst respektvollen Worten anredet, tritt Ibn Taymiyyas dezidiert kritische Einstellung gegenüber dem Denken Ibn ʿArabīs offen zutage. Al-Manbiǧī ist hierüber sehr verärgert und verbündet sich mit anderen Gelehrten, allen voran dem mālikitischen Oberqāḍī Kairos Zayn ad-Dīn Ibn Maḫlūf (gest. 718/1318), der sich als der erbittertste und hartnäckigste Gegner Ibn Taymiyyas erweisen soll. Sie machen nun ihren politischen Einfluss geltend und erwirken, dass ein Dekret des Sultans in Kairo nach Damaskus geschickt wird, mit der Anordnung, Ibn Taymiyya nach seinen theologischen Ansichten – v. a. denen bezüglich seiner Attributenlehre – zu befragen. Dazu finden innerhalb mehr als eines Monats drei Anhörungen statt,125 darüber hinaus werden einige der Schüler Ibn Taymiyyas geschlagen oder, wie im Falle des Ḥadīṯ-Gelehrten Ǧamāl ad-Dīn al-Mizzī (gest. 742/1341), eingesperrt. Ibn Taymiyya wird ihn wenig später, ohne dies mit den Behörden abzusprechen, aus dem Gefängnis entlassen und sich bei dem Statthalter von Damaskus über die Behandlung seines Schülers beschweren.126 Im Rahmen der Anhörungen erläutert Ibn Taymiyya seine oben erwähnte Schrift al-ʿAqīda al-wāsiṭiyya und ergreift die Möglichkeit, Traktate, die ihm zum Zwecke der Rufschädigung untergeschoben wurden, als Fälschungen auszuweisen. Schließlich wird ein Bericht verfasst und nach Kairo geschickt, der einige Zeit später mit einem Dekret des Sultans beantwortet wird, in dem Ibn Taymiyya vollkommen rehabilitiert wird.127 Die ihm feindlich gesinnten Kräfte wollen es jedoch keineswegs damit beruhen lassen und veranlassen, dass ein weiterer offizieller Erlass nach Damaskus verschickt wird, in dem die Überstellung Ibn Taymiyyas 124 Zu der Kritik und der Tatsache, dass Ibn Taymiyya keineswegs ein Gegner, sondern viel mehr ein Anhänger des taṣawwuf (Sufismus in einem allg. Sinne) gewesen ist, siehe Unterkapitel 4.4. 125 Ibn Taymiyya hat jeweils auf Anfrage in drei in Länge und Inhalt voneinander abweichenden Darstellungen seine Erinnerungen an diese Befragungen wiedergegeben; siehe Ibn ʿAbd al-Hādī, ʿUqūd, 262–306, MF 3/160–193 (übers. bei Jackson, Trial), und jüngst auch ǦM 8/181–198. Daneben gibt es viele weitere Berichte, u. a. von Ibn Taymiyyas Bruder Šaraf ad-Dīn (gest. 727/1327) [MF 3/202–210] und Ibn Taymiyyas Schülern al-Birzālī [MF 3/194–201] und Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350). Letzterer beabsichtigte keine tatsachengetreue Nacherzählung der Ereignisse, sondern verarbeitet diese literarisch; siehe dazu Livnat Holtzman, Accused of Anthropomorphism. Ibn Taymiyya’s Miḥan as Reflected in Ibn Qayyim al-Jawziyya’s al-Kāfiya al-Shāfiya, in: The Muslim World 106 (2016), 561–587. 126 Siehe Michot, Muslims, 157. 127 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 421. Ausführlich wird die Thematik behandelt bei Jackson, Trial.
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und mit ihm seine zwei im Jahre 698/1298 verfassten theologischen Schriften Ḥamawiyya und al-ʿAqīda al-wāsiṭiyya zur Überprüfung eingefordert werden.128 Als Ibn Taymiyya Ende des Monats Ramaḍān 705 (April 1306) Kairo erreicht, beginnt ein siebenjähriger Aufenthalt in Ägypten. Kurz nach seiner Ankunft wird er den vier Kairiner Oberqāḍīs sowie dem stellvertretenden Sultan Baybars vorgeführt. Als Ibn Taymiyya erfährt, dass der mālikitische Oberqāḍī Ibn Maḫlūf in dieser Sitzung sowohl Ankläger als auch Richter sein wird, prangert er dies als Ungerechtigkeit an und weigert sich, auf die Fragen der anwesenden Gelehrten zu seinen theologischen Positionen zu antworten. Dies führt zu tumultartigen Szenen, an deren Ende Ibn Maḫlūf ihn zu einer Haftstrafe verurteilt. Damit beginnt für Ibn Taymiyya ein 18-monatiger Gefängnisaufenthalt, wobei sich sein Richter bei den Behörden dafür einsetzt, dass er sie in dem untersten Kerker des Kairiner Gefängnisturms, in dem die Haftbedingen besonders miserabel sind, ableisten muss.129 Zudem wird ein Dekret nach Damaskus verschickt, dessen Inhalt dort in den Freitagspredigten öffentlich gemacht werden muss. In diesem heißt es u. a., dass Ibn Taymiyyas theologische Ansichten dem Konsens der Gelehrten (iǧmāʿ) entgegenstünden und anthropomorphistisch seien, sodass jeder, der sich diesen anschließe, mit dem Tod bestraft werden könne.130 Zudem kommt es zu öffentlichen Demütigungen und Inhaftierungen mancher der Anhänger Ibn Taymiyyas und der Ḥanbaliten allgemein. Als der ḥanafitische Oberqāḍī in Damaskus sich öffentlich für Ibn Taymiyya einsetzt und verlautbaren lässt, dass die muslimische Gemeinschaft seit über 300 Jahren keinen Gelehrten dieses Formats gesehen habe, veranlasst Ibn Maḫlūf seine Absetzung.131 Ende des Monats Rabīʿ al-awwal 707 (September 1307) kommt Ibn Taymiyya nach Fürsprache hoher politischer Funktionäre frei, allerdings unter der Auflage, Kairo nicht zu verlassen. Gerüchte machen die Runde, Ibn Taymiyya habe sich kurz vor seiner Freilassung in einer Befragung von seiner Lehre bezüglich der Attribute Gottes losgesagt, sich als Ašʿarit bezeichnet sowie ašʿaritische Kernpositionen übernommen.132 Ähnliches hatte man Ibn Taymiyya schon nach seinen Vernehmungen in Damaskus in den Mund gelegt, laut Ibn Taymiyyas Bruder Šaraf ad-Dīn (gest. 727/1327) soll dies damals der šāfiʿitische Gelehrte Zayn ad-Dīn Ibn 128 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 421f. und auch Michot, Muslims, 158. 129 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 422f. und auch Michot, Muslims, 158. 130 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 423. Das Dekret wird im Ganzen wiedergegeben bei Šihāb ad-Dīn an-Nuwayrī, Nihāyat al-arab fī funūn al-adab, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 159–187, hier 176–179. 131 Siehe ebd., 180. 132 Siehe ebd., 181 mit der Fußnote 1 des Hrsg.
32 | 2 Ibn Taymiyyas Leben al-Muraḥḥil (gest. 716/1316) erfunden haben, mit dem Ibn Taymiyya eine Debatte über die Begriffe ḥamd (Dank/Lob) und šukr (Dank) austrug.133 Ibn Taymiyya zieht erneut Ärger auf sich, nachdem er in öffentlichen Unterrichten die von Ibn ʿArabī ausgehende sufische Denktradition kritisiert hatte. Einflussreiche Sufi-Šayḫs, darunter der bekannte Gelehrte und Führer des Šāḏiliyya-Ordens Ibn ʿAṭāʾ Allāh al-Iskandarī (gest. 709/1310),134 und mit ihnen über 500 weitere Personen machen ihren Unmut darüber in den Straßen Kairos öffentlich und gelangen dabei bis zum Sultan, bei dem sie sich über Ibn Taymiyya beschweren. Daraufhin wird er erneut inhaftiert und die einzelnen Anschuldigungen werden geprüft. Da sie sich jedoch als haltlos erweisen, kommt es zu keiner Verurteilung, woraufhin die Proteste erneut aufflammen.135 So entscheidet man sich, Ibn Taymiyya vor die Wahl zu stellen, entweder nach Damaskus, nach Alexandrien oder zurück ins Kairiner Gefängnis zu gehen. Er wählt letzteres, wird jedoch dann von seinen Anhängern dazu gedrängt, doch nach Damaskus zurückzukehren. So schließt er sich dem für die Briefsendungen zuständigen Reiterzug (barīd) nach Damaskus an. Unterwegs wird er jedoch gestoppt und nach Kairo zurückbeordert. Ibn Maḫlūf hatte nämlich seinen Einfluss geltend gemacht, um zu erwirken, dass Ibn Taymiyya nun doch wieder in Kairo inhaftiert werden soll. Zwei mālikitische Richter werden nacheinander damit beauftragt, Ibn Taymiyya zu einer Haftstrafe zu verurteilen, jedoch weigern sich beide. Daraufhin gibt Ibn Taymiyya von sich aus bekannt, in das Gefängnis zurückzukehren, da dies, wie er sagt, zur Wahrung des allgemeinen Interesses (maṣlaḥa) am förderlichsten sei.136 Im Gefängnis verbleibt er weniger als drei Monate bis Anfang 708/Mitte 1308. In dieser Zeit erhält er ausgiebig Besuch, darunter von vielen politischen Amtsträgern, die ihn um religiösen Rat bitten.137 Etwa neun Monate später spitzt sich die Situation für Ibn Taymiyya erneut zu, als Baybars den Sultansthron gewaltsam übernimmt und Nāṣir al-Qalāwūn nicht anders kann, als zu fliehen. Damit übernimmt nun jemand die Führung des Mamlukenreiches, der in der Vergangenheit immer klar auf Seiten der Widersacher Ibn Taymiyyas gestanden war. Baybars befiehlt, den Damaszener Theologen nach 133 Siehe Jackson, Trial, 47, und auch Murad, Ibn Taymiya on Trial, 28, Endnote 18. Die schriftliche Nacherzählung dieser Debatte ist erhalten; siehe MF 11/135–155. 134 Eine Suche im Internet nach einer Debatte zwischen Ibn Taymiyya und Ibn ʿAṭāʾ Allāh ergibt viele Treffer. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Fälschung. Der Widerlegung des Gründers des Šāḏiliyya-Ordens hat Ibn Taymiyya ein eigenes Werk mit dem Titel ar-Radd ʿalā Abī l-Ḥasan aš-Šāḏilī gewidmet, das ediert vorliegt. 135 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 426; Michot, Muslims, 160f.; sowie Murad, Ibn Taymiya on Trial, 16. 136 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 426f., und auch Michot, Muslims, 161. 137 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 427.
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Alexandrien zu überführen und dort unter Hausarrest zu stellen.138 Einige Gelehrte aus der Stadt Tadmur, die mit Ibn Taymiyya sympathisieren, warnen ihn davor, dass Pläne zu seiner Ermordung geschmiedet worden sein sollen. Daraufhin soll Ibn Taymiyya folgende Aussage gemacht haben, die heute vielfach zitiert wird: Wenn sie mich töten, so sterbe ich einen Märtyrertod. Wenn sie mich vertreiben, so ist das meine Auswanderung (hiǧra). Selbst wenn sie mich bis nach Zypern vertreiben sollten, so werde ich die dortigen Bewohner zu dem Wege Gottes einladen und sie werden mir folgen. Falls sie mich aber einsperren wollen, so soll das [Gefängnis] mein Gebetsplatz sein. Ich bin wie ein Schaf, wie es sich auch wendet, so liegt es doch immer auf Wolle.139
In Alexandrien wird Ibn Taymiyya zwar seiner Freiheit beraubt und steht zudem unter ständiger Beobachtung, es ist ihm jedoch erlaubt, seiner Schreibtätigkeit nachzugehen. Innerhalb der nächsten acht Monate verfasst er mehrere Schriften, darunter eine erste Version seines Werkes gegen die peripatetische Logik, das den Titel ar-Radd ʿalā l-manṭiqiyyīn trägt.140 Als dann jedoch im Šawwāl 709 (März 1310) der ehemalige Sultan seine Macht wiedererlangt, wird Ibn Taymiyya nicht nur freigelassen, sondern auch von diesem ehrenvoll empfangen.141 In den drei Jahren bis 712/1313, in denen Ibn Taymiyya in Kairo verweilt, muss er keine Repressalien von staatlicher Seite mehr erleiden. Vielmehr wird er nun sogar einige Male in politisch-religiösen Fragen vom Sultan – den Ibn Taymiyya nicht zu kritisieren scheute –142 höchstpersönlich um Rat gefragt.143 Ibn Taymiyyas Popularität erreicht in diesem Zeitraum einen neuen Höhepunkt und auch viele seiner ehemaligen Kontrahenten suchen ihn auf, um sich bei ihm zu entschuldigen, woraufhin er ihnen vergibt.144 Als Ibn Taymiyya hört, dass die Mongolen mit einem Heer aufgebrochen seien, um Damaskus einzunehmen, macht er sich auf, um sich dem Kampf gegen die Angreifer anzuschließen. Noch bevor er Damaskus Ende 712/Anfang 1313 erreicht, hatten die Mamluken die Gefahr jedoch bereits gebannt. In Damaskus, wo Ibn 138 Siehe Laoust, Ibn Taymiyya, 952, und auch Michot, Muslims, 161. 139 Ibrāhīm al-Ġayāmī, Faṣl fī-mā qāma bihī Ibn Taymiyya wa-tafarrada bihī wa-ḏālika fī taksīr al-aḥǧār, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 132–150, hier 148. Little übersetzt eine geringfügig anderslautende Aussage, die Ibn Raǧab (gest. 795/1393) Ibn Taymiyya zuschreibt; siehe Little, Screw Loose?, 106. 140 Eine posthum gekürzte Fassung dieses Werkes wurde ins Englische übersetzt; siehe dazu im Verzeichnis der Schriften Ibn Taymiyyas am Ende dieser Arbeit unter dem Stichwort Radd. 141 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 429f. 142 Siehe ebd., 430f. und auch Murad, Ibn Taymiya on Trial, 19. 143 Siehe Laoust, Ibn Taymiyya, 952b. 144 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 429f. und auch Murad, Ibn Taymiya on Trial, 19.
34 | 2 Ibn Taymiyyas Leben Taymiyya mit Ehren empfangen wird, macht er sich nun daran, sein Opus magnum Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-n-naql auszuarbeiten, das er etwa 717/1317 fertigstellt. Ungefähr zu dieser Zeit stirbt Ibn Taymiyyas Mutter, zu der er in enger Beziehung stand.145 Ein Jahr später erteilt Ibn Taymiyya auf Anfrage eine fatwā, für die er nach längeren Auseinandersetzungen mit den mamlukischen Behörden im Jahre 720/1320– 21 für knapp sechs Monate in Damaskus inhaftiert wird. Der Hintergrund der fatwā ist der folgende: Zur Zeit Ibn Taymiyyas (und wohl auch schon lange davor) war es üblich, dass man Versprechungen durch einen Schwur Nachdruck und Glaubwürdigkeit verleiht, der, wenn er gebrochen werden sollte, die Scheidung von der Ehefrau nach sich ziehen sollte.146 Der Bruch des Schwures war manchmal auch mit einer dreifach ausgesprochenen Scheidung verbunden, womit nach islamischem Recht die Ehe mit derselben Frau nur dann erneut eingegangen werden kann, wenn sie zwischenzeitlich mit einem anderen Mann verheiratet war (was den Geschlechtsakt einschließt). Kam es zur Scheidung auf diese Art, war dies oftmals gar nicht im Sinne der ehemaligen Ehepartner, sodass man eine sogenannte taḥlīl-Heirat als Ausweg durchführte. Dabei heiratet die Frau kurzzeitig einen anderen Mann, wobei beide die Absicht haben, nach Vollzug der Ehe wieder auseinanderzugehen, sodass die Frau zu ihrem einstigen Ehemann zurückkehren kann.147 Ibn Taymiyya erachtet diese Praxis als unislamisch und gesellschaftsschädigend, und er argumentiert in der oben genannten fatwā und vielen sich daran anschließenden Kurztraktaten dafür, dass eine Scheidung aufgrund dieser eben beschriebenen Schwüre unwirksam ist und man lediglich eine Sühnehandlung (kaffāra) für den Bruch des Schwures abzuleisten hat. Zudem spricht er sich dafür aus, dass dreimalige Scheidungen nur dann als solche bindend sind, wenn sie nicht in einem Male, sondern in drei voneinander getrennten Zeiten ausgesprochen werden. Die Empörung, die Ibn Taymiyya aus Gelehrtenkreisen hierzu entgegenschlägt, ist enorm, da seine Position aus deren Sicht nicht nur der der vier etablierten Schulen zuwiderläuft, sondern auch dem Konsens (iǧmāʿ) der muslimischen Gemeinschaft.148 Aus Kairo wird ein Dekret entsendet, das Ibn Taymiyya 145 Einen Brief an seine Mutter übersetzt Yahya Michot, Un célibataire endurci et sa maman. Ibn Taymiyya (m. 728/1328) et les femmes, in: Christian Cannuyer u. a. (Hrsg.), La femme dans les civilisations orientales, Brüssel: Société Belge d’Études Orientales, 2001, 165–190. 146 Siehe Yossef Rapoport, Ibn Taymiyya on Divorce Oaths, in: Amalia Levanoni/Michael Winter (Hrsg.), The Mamluks in Egyptian and Syrian Politics and Society, Leiden: Brill, 2004, 191–217, 193f. 147 Siehe ebd., 193–199. 148 Siehe ebd., 211f.
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verbietet, in diesen Fragen weiter öffentlich Stellung zu beziehen. Da er sich jedoch weigert, wird er zu der erwähnten Haftstrafe verurteilt.149 Etwa fünf Jahre später spitzt sich die Situation für Ibn Taymiyya erneut zu. Grund hierfür ist eine fatwā, in der er aufbauend auf einem Prophetenwort dafür argumentiert, dass die einzig gültigen Ziele für eine religiös motivierte Reise (ziyāra) die Moschee in Mekka, die Prophetenmoschee in Medina und die al-Aqṣā-Moschee in Jerusalem sind. Die in seiner Zeit gängige Praxis, zu Grabstätten oder zu anderen als segenspendend erachteten Orten zu reisen, verurteilt er als eine unerlaubte Neuerung in der Religion (bidʿa).150 Damit löst er eine Empörung aus, die bis nach Kairo reicht und an deren Höhepunkt der mālikitische Oberqāḍī in Ägypten, Taqī ad-Dīn al-Iḫnāʾī (gest. 750/1349), Ibn Taymiyya in einer fatwā als Nichtmuslim (kāfir) bezeichnet.151 An den Sultan Nāṣir al-Qalāwūn wird die Forderung herangetragen, Ibn Taymiyya mit dem Tode zu bestrafen. Der Sultan weigert sich jedoch und verurteilt Ibn Taymiyya lediglich zu einer Haftstrafe, die er im Monat Šaʿbān 726/Juli 1326 antritt. Einen Monat später will Ibn Baṭṭūṭa seine zu Anfang dieses Unterkapitels beschriebene Beobachtung gemacht haben. Im Gefängnis verfasst Ibn Taymiyya eine Widerlegung al-Iḫnāʾīs in der ziyāra-Frage.152 Auf Drängen alIḫnāʾīs ordert der Sultan ein totales Schreib- und fatwā-Verbot für Ibn Taymiyya an.153 Sodann bleibt er bis zu seinem Tod154 am 20.11.728 (26.9.1328) in Haft und wird schließlich auf einem Damaszener Sufi-Friedhof neben seinem Bruder Šaraf ad-Dīn begraben. Der Tag des Begräbnisses wurde in dem Augenzeugenbericht seines Schülers al-Birzālī (gest. 739/1339) festgehalten, und er veranschaulicht eindrucksvoll, welch große Popularität Ibn Taymiyya bei Gelehrten, aber vor allem 149 Die Thematik wird ausführlich behandelt bei ebd. 150 Ibn Taymiyya lehnt explizit die religiös motivierte Reise ab, nicht aber den aus selbiger Motivation durchgeführten Besuch nahegelegener Friedhöfe, den er vielmehr als empfehlenswert ansieht. Dieses Thema hat auch theologischen Charakter, da es eng mit der von Ibn Taymiyya verabscheuten Heiligenverehrung verknüpft ist; siehe dazu Kabbani, Heiligenverehrung, Kapitel 4; Niels Olesen, Culte des saints et pèlerinages chez Ibn Taymiyya, Paris: Geuthner, 1991; und Christopher Taylor, In the Vicinity of the Righteous. Ziyāra and the Veneration of Muslim Saints in Late Medieval Egypt, Leiden, Boston und Köln: Brill, 1998, Kapitel 5. 151 Siehe Michot, Muslims, 167. 152 Diese Schrift, bekannt unter dem Titel ar-Radd ʿalā l-Iḫnāʾī, ist erhalten und liegt ediert vor. 153 Siehe Murad, Ibn Taymiya on Trial, 25. 154 Wie schon bezüglich des Geburtsorts Ibn Taymiyyas widerspricht Schöller auch hier ohne Angabe von Nachweisen der mir bekannten Primär- und Sekundärliteratur, indem er behauptet, Ibn Taymiyya sei hingerichtet worden; siehe Abū Zakariyā an-Nawawī, Das Buch der vierzig Hadithe. Kitāb al-Arbaʿīn mit dem Kommentar von Ibn Daqīq al-ʿĪd, übers. und erläut. von Marco Schöller, Frankfurt am Main und Leipzig: Verlag der Weltreligionen, 2010, 336.
36 | 2 Ibn Taymiyyas Leben auch beim Volk besessen haben muss.155 Ibn Taymiyya, der nie verheiratet war, hinterließ keine Nachkommen.156 Im Folgenden findet sich eine tabellarische Übersicht der miḥan Ibn Taymiyyas, deren Ursachen hernach noch eingehender beleuchtet werden sollen.157 Tabelle 1: Übersicht über die Inhaftierungen Ibn Taymiyyas. #
Grund der Inhaftierung
Zeitraum (christl. Zeitrechnung)
1
Ein Christ beleidigt den Propheten, es kommt zu tumultartigen Szenen, an denen Ibn Taymiyya beteiligt ist.
1294; für einige Tage in Damaskus.
2
Aussagen zu den göttlichen Attributen der Rede (kalām), des Sich-Erhebens (istiwāʾ) über den Thron und des Herabsteigens (nuzūl) in den untersten Himmel.158
April 1306 bis September 1307; für ca. 1,5 Jahre in Kairo.
3
Kritik an der von Ibn ʿArabī ausgehenden sufischen Denktradition.
April 1308; für wenige Tage in Kairo.
4
Diese Inhaftierung steht im Zusammenhang mit der vorhergehenden. Zwei Richter werden beauftragt, Ibn Taymiyya zu verurteilen, sie weigern sich jedoch. Er geht daraufhin freiwillig ins Gefängnis, weil dies – wie er sagt – im allgemeinen Interesse (maṣlaḥa) sei.
April 1308; für mehr als zwei Monate in Kairo.
5
Auf Anordnung des über einen Staatsstreich an die Macht gekommenen neuen Sultans Baybars.
August 1309 bis März 1310; für ca. acht Monate in Alexandrien.
6
Ibn Taymiyya erteilt eine fatwā in Fragen zu Schwüren und zur Scheidung, in der er, so der Vorwurf an ihn, dem Konsens (iǧmāʿ) der muslimischen Gemeinschaft zuwiderläuft.
August 1320 bis Februar 1321; für ca. sechs Monate in Damaskus.
7
Ibn Taymiyya verurteilt in einer fatwā die in sufischen Kreisen verbreitete Praxis, zu Grabstätten zu reisen (ziyāra), als unerlaubte Neuerung in der Religion (bidʿa).
Juli 1326 bis zu seinem Tod im September 1328; für mehr als zwei Jahre in Damaskus.
155 Der Bericht ist erhalten bei Ibn Kaṯīr, Bidāya, und wurde von Michot übersetzt; siehe Yahya Michot, Pour une tombe, à Damas…, 2006, url: http://www.saphirnews.com/Pour-une-tombe-aDamas_a4483.html. 156 Siehe dazu Michot, Un célibataire. 157 In der Tabelle werden sieben Inhaftierungen gelistet, eine mehr als in der Sekundärliteratur zumeist angegeben. Das liegt daran, dass die dritte und vierte Inhaftierung auch als eine gerechnet werden kann, da Ibn Taymiyya zwischen diesen beiden nur wenige Tage in Freiheit verbracht hat. 158 Ibn Taymiyyas Ansichten zu den Attributen kalām und istiwāʾ werden in den Unterkapiteln 10.2 und 10.3 behandelt.
2 Ibn Taymiyyas Leben
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Es stellt sich die Frage, wie weit die Inhaftierungen Ibn Taymiyyas tatsächlich
durch die oben genannten Gründe erklärt werden können oder ob diese Gründe
nicht eher als Anlässe oder vielleicht sogar lediglich als Vorwände bezeichnet
werden sollten.159 Das Verhalten der obersten politischen Spitzen gegenüber Ibn
Taymiyya ist äußerst ambig. Auf der einen Seite erweist sich Ibn Taymiyya im Kampf
gegen die Mongolen als nützlich, nicht nur weil er selbst mehrfach mit der Waffe daran teilnimmt,160 sondern weil er auch in mehreren fatwās und öffentlichen
Reden die Mamluken als sunnitisches Bollwerk gegen die Mongolen ausweist, die,
wenn überhaupt, einen schiitisch geprägten Islam favorisieren. Auf der anderen
Seite kritisiert Ibn Taymiyya aber auch die Mamlukenherrscher, wobei er jedoch
ihre Legitimation nie grundsätzlich infrage stellt. Zudem löst er mit seinen polarisierenden Ansichten mehrmals Unruhen und Proteste aus, was von staatlicher
Seite v. a. in Zeiten akuter äußerer Gefahr als besonders ärgerlich empfunden worden sein dürfte. Daher lässt sich meiner Ansicht nach das inkonsistente Verfahren
der mamlukischen Behörden gegenüber Ibn Taymiyya am besten dadurch erklären, dass sie in den jeweiligen Situationen jeweils das entschieden, was ihrem Wunsch nach Stabilität und Ruhe im Reich am meisten entgegenkam.
Die Motivlage der Gelehrten, die sich aktiv gegen Ibn Taymiyya einsetzten,
dürfte dahingegen eine andere gewesen sein. Sowohl die vier Rechtsschulen, das
Ašʿaritentum und auch verschiedene Sufi-Orden wie z. B. die Šāḏiliyya waren zur Zeit Ibn Taymiyyas im institutionellen Machtgefüge fest verankert und wirkten auf der religiösen, der sozialen und der politischen Ebene.161 Was die Rechtsschulen angeht, so war Ibn Taymiyya ja selbst Ḥanbalit, aber wie gezeigt wurde, nahm
er sich die Freiheit, fatwās zu erteilen, die inhaltlich mit keiner der von den vier
Schulen vertretenen Positionen im Einklang standen. Was die theologische Debatte betrifft, so war er keineswegs der einzige, der ašʿaritische Grundpositionen
159 Eine aufschlussreiche Behandlung dieser Frage findet sich bei Little, The Historical and Historiographical Significance. 160 Siehe z. B. Ibn Kaṯīr, Bidāya, 418. 161 Zu dem Aufstieg sufischer Strömungen im mamlukischen Ägypten allgemein siehe Hofer, Popularisation of Sufism. Was die vier Rechtsschulen betrifft, so führten die Mamluken 663/1265 für diese je ein Oberrichteramt in Kairo ein (kurz danach in weiteren Städten). Der Prozess der Institutionalisierung der Rechtsschulen und ihre damit verbundene Inkorporation in staatliche Strukturen begann jedoch schon lange vor den Mamluken. Zu Ibn Taymiyyas Zeiten waren die Šāfiʿiten die mächtigste und die Ḥanbaliten die schwächste der vier Fraktionen; siehe Joseph Escovitz, The Establishment of Four Chief Judgeships in the Mamlūk Empire, in: Journal of the American Oriental Society 102.3 (1982), 529–531.
38 | 2 Ibn Taymiyyas Leben infrage stellte.162 Der Umfang seiner hierzu verfassten Werke, die Qualität seiner Kritik und der Umstand, dass er sie auf Anfrage in verschiedenste Städte schickte, verlieh seinem Schaffen jedoch einen äußerst subversiven Charakter.163 Zudem kritisierte er vor allem die spät-ašʿaritische Gelehrsamkeit, darunter in seiner Zeit hochverehrte Denker wie al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085) und, viel mehr noch, ar-Rāzī (gest. 606/1210) sowie einflussreiche zeitgenössische Gelehrte. Ein weiterer Faktor dürfte der Umstand gewesen sein, dass es sich bei Ibn Taymiyya um alles andere als einen Stubengelehrten handelte. So verbreitete er seine Lehren mit engem Kontakt zum Volk, das ihn bewunderte. Auch beschränkte er sich nicht nur auf Worte, sondern ging aktiv gegen Praktiken vor, die er als unislamisch erachtete. Zum Beispiel zertrümmerte er Steine und Felsen, die von manchen Sufis als segenspendend bezeichnet wurden, weil er verhindern wollte, dass diese Orte weiterhin aufgesucht werden.164 Oder aber er zerstörte Weinfässer, die auf dem Damaszener Markt zum Verkauf angeboten wurden.165 Auch suchte er manche der Sufi-Šayḫs auf und bezichtigte sie der Scharlatanerie, weil sie sich heimlich mit hitzeisolierendem Fett einrieben und sich dann – um ihre Anhängerschaft zu beeindrucken – Feuer aussetzten, ohne dabei Schaden zu nehmen. Ibn Taymiyya ging zu ihnen und forderte sie in aller Öffentlichkeit auf, sich zu waschen, mit Essig abzureiben und erst hernach das Feuer zu berühren.166 Ibn Taymiyya war aber nicht nur in seinem Auftreten direkt und harsch, auch seine Schriften zeugen von wenig diplomatischem Gespür. Selbst sein Schüler aḏ-Ḏahabī merkt dies kritisch an und kommt zu dem Schluss, dass, wenn sein Lehrer feinfühliger mit seinen Gegnern umgegangen wäre, ihm viele von ihnen in der Sache recht gegeben und seine Positionen übernommen hätten.167 Schließlich ist es sehr wahrscheinlich, dass einige Gelehrte, die Ibn Taymiyya intellektuell unterlegen waren und auch im Volk nicht dieselbe Anerkennung erhielten wie er, gegen ihn aus Neid intrigierten.168 162 George Makdisis These, dass das Ašʿaritentum auch noch zu Ibn Taymiyyas Zeiten heftig um Anerkennung zu ringen hatte, stellt allerdings eine Übertreibung der Verhältnisse dar; siehe unten S. 95. 163 Neben seiner Kritik findet Ibn Taymiyya jedoch auch lobende Worte für die Ašʿariten; siehe z. B. Anjum, Politics, Law, and Community, 189–192. 164 Ġayāmī, Faṣl, 132–139. 165 Siehe Ibn Kaṯīr, Bidāya, 410f. 166 Siehe dazu ebd., 419; auch Little, Screw Loose?, 107. 167 Siehe Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Ḏayl Tārīḫ al-islām, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 267–272, hier 269. 168 Siehe z. B. Little, The Historical and Historiographical Significance, 323 und 325.
2 Ibn Taymiyyas Leben
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Um nun zu der oben gestellten Frage nach den Gründen für Ibn Taymiyyas Inhaftierungen zurückzukommen: Meiner Meinung nach wäre es falsch, davon auszugehen, dass theologische Differenzen bei den entsprechenden Auseinandersetzungen keine Rolle gespielt haben. Erachtet man sie jedoch als den einzig relevanten oder als den maßgeblichen Faktor, wird man der komplexen Interessenlage der verschiedenen Akteure, die an diesem Drama beteiligt waren, nicht gerecht werden.
3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Ibn Taymiyya hat sich, das dürfte selbst bei einer oberflächlichen Lesung seiner Werke auffallen, intensiv mit der komplexen Ideengeschichte bezüglich der Attribute Gottes bis hin zu seiner Zeit auseinandergesetzt. Nicht nur formuliert er seine eigenen Positionen mit ausführlicher Abgrenzung zu Gegenmeinungen, auch macht er von Schriften vorhergehender Gelehrter – selbst wenn diese sich in ihrem Denken stark von ihm unterscheiden – Gebrauch, indem er sie als Inspirationsquelle verwendet169 oder unterstützend zitiert.170 Dass man einen Denker immer vor dem Hintergrund der geistesgeschichtlichen Entwicklung bis hin zu seiner Zeit betrachten muss, ist allgemein gültig, trifft aber in besonderem Maße auf Ibn Taymiyya zu. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, den Leser mit diesem Hintergrund vertraut zu machen. Freilich können hierbei nicht alle Denkströmungen berücksichtigt werden, und so soll der Fokus auf den Muʿtaziliten aus Basra, den falāsifa, den Traditionalisten (und von diesen v. a. den Ḥanbaliten) und schließlich den Ašʿariten liegen. Die genannten Strömungen sind keineswegs als homogene Gebilde zu verstehen, und so können in Bezug auf sie auch lediglich Entwicklungslinien nachgezeichnet und die Ansichten wichtiger Vertreter dargestellt werden. Bevor auf die genannten Strömungen eingegangen wird, soll kurz die Entstehung der Debatte über die Attribute Gottes im Frühislam skizziert werden. Die Leserin mag bei obiger Aufzählung vielleicht die Theologie einiger Ḥanafiten vermisst haben, welche sich auf Abū Ḥanīfa (gest. 150/767) berufen und im Laufe späterer Entwicklungen in der Generation nach Ibn Taymiyya als Māturīditen (nach Abū Manṣūr al-Māturīdī, gest. 333/944) bezeichnet wurden.171 Diese Strömung war im Nordosten des heutigen Irans beheimatet und entwickelte sich dort relativ isoliert. So haben z. B. die Ašʿariten die Māturīditen wohl erst im 5./11. 169 Dieser Umstand ist in der Sekundärliteratur auch schon bezüglich anderer thematischer Kontexte angemerkt worden; siehe Anke von Kügelgen, Dialogpartner im Widerspruch. Ibn Rushd und Ibn Taymīya über die „Einheit der Wahrheit“, in: Rüdiger Arnzen/Jörn Thielmann (Hrsg.), Words, Texts and Contexts Cruising the Mediterranean Sea, Löwen: Peters, 2004, 455–481, hier 462. 170 Beispielhaft sei hier auf Ibn Taymiyyas Zitate aus den Schriften des Qarmaten Abū Yaʿqūb asSiǧistānī (gest. nach 361/971) und des Philosophen Ibn Rušd (gest. 595/1198) verwiesen; siehe unten, S. 256. Beide stammen aus Denktraditionen, denen Ibn Taymiyya äußerst kritisch gegenübersteht, und doch zieht er ihre Meinungen unterstützend heran. 171 Siehe Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdīya am Beispiel der Attributenlehre, Münster: Lit, 2014, 18. https://doi.org/10.1515/9783110623673-003
3.1 Die Entstehung der Debatte über die Attribute Gottes im Frühislam | 41
Jahrhundert wahrgenommen.172 Ein möglicher Einfluss dieser Strömung auf Ibn Taymiyya lässt sich z. B. bei dessen Theorie der menschlichen Handlung vermuten,173 im Kontext seiner Ausführungen zu den Attributen Gottes scheinen sie jedoch nur geringfügig relevant zu sein. Daher soll diese Gruppierung bei der folgenden Behandlung der Ideengeschichte hinsichtlich der Attribute Gottes bis zur Zeit Ibn Taymiyyas ausgespart werden.174
3.1 Die Entstehung der Debatte über die Attribute Gottes im Frühislam Der Streit um die Attribute Gottes ist wohl fast so alt wie der Islam selbst. Seine prominente Stellung in der islamischen Theologie nahm er aber erst ab dem 3./9. Jahrhundert ein. Zuvor waren die bestimmenden Themen die Fragen nach der göttlichen Vorherbestimmung (qadar) und der Definition des Glaubens (īmān), die insbesondere die Frage nach dem religiösen Status des schweren Sünders betrifft.175 Zu ersterer Thematik werden drei Schriften unterschiedlichen Autoren aus dem 1./8. und dem frühen 2./9. Jahrhundert zugeschrieben; sie sind jedoch bezüglich ihrer Authentizität stark umstritten.176 Zu letztgenannter Thematik ist ein Brief von Abū Ḥanīfa (gest. 150/767) erhalten.177 Auch die ersten fünf der insgesamt zehn Glaubensartikel des Werkes al-Fiqh al-akbar I, die die Ansichten des eben 172 Siehe Martin Nguyen, Abū Bakr al-Fūrakī, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2013 (4), 128b–129a, hier 129a. Aus dem gleichen Zeitraum stammt auch die älteste Erwähnung der ašʿaritischen Schule, die sich in einem der Werke der Anhänger al-Māturīdīs finden lässt; siehe Angelika Brodersen, Der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd. Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts, in Vorbereitung. 173 Siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 155f. 174 Siehe zu ihr Ulrich Rudolph, Al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden, New York und Köln: Brill, 1997, und jüngst mit Fokus auf die Attributenlehre Brodersen, Der unbekannte kalām. 175 Zur frühen islamischen Theologie im Allgemeinen siehe z. B. Montgomery Watt, The Formative Period of Islamic Thought, Edinburgh: Edinburgh University Press, 1973; Josef van Ess, Zwischen Ḥadīt ̲und Theologie. Studien zum Entstehen prädestinatianischer Überlieferung, Berlin: De Gruyter, 1975; ders., Anfänge muslimischer Theologie. Zwei antiqadaritische Traktate aus dem ersten Jahrhundert der Hiǧra, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1977; sowie Michael Cook, Early Muslim Dogma. A Source-Critical Study, Cambridge: Cambridge University Press, 1981. 176 Siehe hierzu zusammenfassend Sabine Schmidtke, Rationale Theologie, in: Rainer Brunner (Hrsg.), Islam. Einheit und Vielfalt einer Weltreligion, Stuttgart: Kohlhammer, 2016, 167–190, hier 168f. 177 Ihm wird auch ein zweiter Brief zugeschrieben, in dem es um den qadar geht. Rudolph meint, dass auch dieser sehr alt ist, aber im Gegensatz zum ersten Brief nicht aus der Feder Abū Ḥanīfas
42 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas genannten Gelehrten und/oder die seines Schülerkreises widerspiegeln dürften, befassen sich mit dieser Thematik. Von den restlichen fünf Artikeln, die keine derart frühe Datierung erlauben, thematisiert lediglich der neunte die Attribute Gottes. So heißt es dort, dass derjenige, der daran zweifelt, dass Gott Sich in der Höhe (fī s-samāʾ) befindet, ein Nichtmuslim ist.178 Das Bedürfnis, die Attribute Gottes stärker zu reflektieren, wurde in der breiteren muslimischen Gelehrsamkeit durch extreme Positionen, wie sie Ǧahm Ibn Ṣafwān (gest. 128/746) vertreten hatte, geweckt.179 Er befürwortete einen radikalen Transzendentalismus,180 demzufolge Gott nicht einmal als ein Etwas (šayʾ) bezeichnet werden darf. Damit zielte Ǧahm nicht darauf ab, die Realität Gottes zu verneinen, sondern vielmehr die Möglichkeit, Ihn mit logischen oder realen Prädikaten zu bezeichnen.181 Jedoch bleibt Ǧahm selbst eine obskure Figur. Die spärlichen Informationen, die man zu seinem Denken hat, stammen von späteren Autoren, die ihm meist feindlich gesinnt waren.182 Zwar ist die Existenz von Anhängern Ǧahms bis in das vierte islamische Jahrhundert nachweisbar,183 bei der Verwendung des Begriffs ǧahmiyya in der späteren islamischen Literatur handelt es sich jedoch nicht um eine Schulbezeichnung, sondern um einen in der Regel pejorativ verwendeten Sammelbegriff für all jene, die die Realität der Attribute Gottes verneinen (taʿṭīl; die Vertreter dieser These werden als muʿaṭṭila bezeichnet).184 stammt. Siehe seine ausführliche Besprechung sowie seine Übersetzung beider Briefe: Rudolph, Māturīdī, 30–53. 178 Siehe Arent Jan Wensinck, The Muslim Creed. Its Genesis and Historical Development, London: Cambridge University Press, 1932, 104. Die problematische Zusammenstellung des al-Fiqh al-akbar I durch Wensinck wird ausführlich behandelt bei Rudolph, Māturīdī, v. a. 61f.; und zusammenfassend bei Jon Hoover, Creed, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2014 (3), 67–73a, hier 68. 179 Siehe Josef van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, 6 Bde., Berlin und New York: De Gruyter, 1991–7, 4/439. 180 Mangels einer Alternative wird auf diesen Begriff, der auch in der thematisch relevanten Sekundärliteratur benutzt wird, nicht verzichtet. Es sei aber darauf hingewiesen, dass er nichts mit dem gleichlautenden Ausdruck aus der Philosophie der Aufklärung (v. a. der Immanuel Kants) gemein hat. 181 Siehe Cornelia Schöck, Jahm b. Ṣafwān (d. 128/745–6) and the ‘Jahmiyya’ and Ḍirār b. ʿAmr (d. 200/815), in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 55–80, hier 57f. 182 Siehe zu ihm van Ess, Theologie und Gesellschaft, 2/493–508. 183 Siehe ebd., 2/497. 184 So zumindest, wenn der Begriff im Kontext der Diskussionen über die Attribute Gottes benutzt wird. Bei Ausführungen zur Thematik des qadar versteht man unter den Ǧahmiten diejenigen, die die Willensfreiheit des Menschen im Gesamten zugunsten eines strengen Determinismus
3.2 Die Muʿtaziliten
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Je nach dem eigenen Standpunkt ist dieser Begriff weiter oder enger gefasst. So bezeichnet er bei Ibn Taymiyya z. B. oftmals nicht nur die Anhänger extremer transzendentalistischer Ansichten, sondern auch die Muʿtaziliten und sogar manche Ašʿariten.185 Die negative Theologie Ǧahms ist vor dem Hintergrund des geistigen Klimas der Spätantike zu sehen, die stark durch den Neuplatonismus geprägt war. Dies gilt auch für viele weitere Denker, wie z. B. Ḍirār Ibn ʿAmr (gest. 200/815), der der Meinung war, dass positive Aussagen über Gott lediglich die Verneinung des Gegenteils ausdrücken.186 Auch das Aufkommen der Wissenschaft des kalām (wörtl.: Rede; meist mit spekulativer Theologie übersetzt), in deren Tradition die eben genannten Denker stehen, ist stark von diesem Klima beeinflusst. Der Ursprung der Bezeichnung kalām ist nicht eindeutig zu klären. Alexander Treiger hat jüngst eine plausible These diesbezüglich aufgestellt, nach der im 1./7. Jahrhundert der mit dem kalām-Ausdruck korrespondierende griechische Ausdruck dialexis (Disputation) mit dem der theologia vermengt wurde, der im Syrischen wörtlich mit Rede über Gott übersetzt worden war und von dort in die arabische Sprache gelangte. So ist zu erklären, meint Alexander Treiger, wieso man unter dem Ausdruck kalām nicht allgemein eine Disputationspraxis versteht, sondern ausschließlich eine, die sich im Bereich der Theologie bewegt.187
3.2 Die Muʿtaziliten Mit Abū l-Huḏayl al-ʿAllāf (gest. 227/842) betritt ein Denker die Bühne, der das Muʿtazilitentum188 nachhaltig prägen sollte. Er war möglicherweise der erste, der verneinen. Siehe zu der Bezeichnung Ǧahmiten und seiner Bedeutung Watt, Formative Period, 143–148. 185 Das wird z. B. deutlich an dem vollen Titel seines Werkes Bayān, das in erster Linie gegen den Ašʿariten Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1210) gerichtet ist; siehe oben, S. 14. 186 Bezeichnet man Gott also z. B. als wissend, so ist damit ausschließlich gemeint, dass Er nicht unwissend ist; siehe Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, Kitāb Maqālāt al-islāmiyyīn wa-iḫtilāf al-muṣallīn, hrsg. von Hellmut Ritter, 2 Bde., Istanbul: Maṭbaʿat ad-Dawla, 1929–33, 1/166 Z.14f. 187 Siehe Alexander Treiger, Origins of kalām, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 27–43, hier 32–34. 188 Siehe zu dieser Schule und ihrer Nachwirkung im islamischen Denken die von verschiedenen Autoren verfassten fünf Beiträge (7–11) in Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 130–214. Darüber hinaus siehe auch dies., Neuere Forschungen zur Muʿtazila unter besonderer Berücksichtigung der späteren Muʿtazila ab dem 4./10. Jahrhundert, in: Arabica 1998, 379–408. Bezüglich der Gottesvorstellungen der Muʿtaziliten siehe z. B. Richard Frank, Beings and Their Attributes. Teaching of the Basrian School of the Muʿtazila in the Classical Period, New York: State University of New York Press, 1978; van
44 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas die fünf Fundamente der muʿtazilitischen Schule189 formulierte.190 Darüber hinaus ist er neben anderen ein einflussreicher Anhänger der in der zweiten Hälfte des 2./8. Jahrhunderts in den kalām eindringenden Atomenlehre.191 Zudem war er der erste, von dem bekannt ist, dass er die koranischen Beschreibungen Gottes einer systematischen Analyse unterzog.192 Auch ist ihm die Abwendung von einer reinen theologia negativa hin zu einer Attributenlehre im positiven Sinne zuzu-
Ess, Theologie und Gesellschaft, v. a. 3/270–286, 399–413, 4/20–33, 361–477; Jan Thiele, Theologie in der jemenitischen Zaydiyya. Die naturphilosophischen Überlegungen des al-Ḥasan ar-Raṣṣāṣ, Leiden und Boston: Brill, 2013, Kapitel 5; sowie Racha el-Omari, The Theology of Abū l-Qāsim al-Balkhī/al-Kaʿbī (d. 319/931), Leiden und Boston: Brill, 2016, Kapitel 2. Das Muʿtazilitentum spaltete sich in die Schule von Basra und in die von Bagdad, wobei es sich dabei in der Frühzeit um eine rein geographische Unterscheidung handelte, die erst im späteren Verlauf von doktrinärer Relevanz wurde. Wichtige basrische Muʿtaziliten waren Abū l-Huḏayl, sein Neffe an-Naẓẓām (gest. wohl 221/836), Muʿammar Ibn ʿAbbād (gest. 215/830), Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī (gest. 303/916) und dessen Sohn Abū Hāšim (gest. 321/933). Aus seinem Namen leitet sich die Bezeichnung Bahšamiyya ab, mit der die Gruppe seiner Anhänger, unter ihnen der bekannte al-Qāḍī ʿAbd al-Ǧabbār (gest. 415/1025), bezeichnet wird. Der Bagdader Schule hingegen war nur eine kurze Existenz beschert. Sie beginnt mit Bišr Ibn alMuʿtamir (gest. 210/825) und endet mit Abū l-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 319/931). In der Zeit dazwischen gehören al-Iskāfī (gest. 240/854) und al-Ḫayyāṭ (gest. 300/913) zu den bekanntesten Vertretern dieser Schule. Für eine ausführlichere Aufzählung der Anhänger beider Schulen siehe z. B. Louis Gardet, Dieu et la destinée de l’homme, Paris: J. Vrin, 1967, 26; auch el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 1f.; und Schmidtke, Neuere Forschungen zur Muʿtazila, 380. 189 Diese sind [1] die Einsheit Gottes (tawḥīd), [2] Seine Gerechtigkeit (ʿadl), [3] die Lehre von der Verheißung und Drohung (al-waʿd wa-l-waʿīd), [4] der religiöse Zwischenstatus des schweren Sünders zwischen dem Muslim und dem Nichtmuslim (al-manzila bayna l-manzilatayn) sowie [5] das Gebieten des Billigen und das Verbieten des Verwerflichen (al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿan al-munkar). Für eine zusammenfassende Darstellung dieser fünf Fundamente siehe ebd., 382f. Die beiden erstgenannten nehmen im Denken der Muʿtaziliten eine zentrale Stellung ein, daher nannten sie sich auch die Anhänger der Gerechtigkeit und Einsheit Gottes (ahl al-ʿadl wa-t-tawḥīd). Ausführlich werden diese beiden Fundamente erläutert bei el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 89–116 zu tawḥīd und 117–148 zu ʿadl. 190 Ob dies sein Verdienst war oder das der Gründer‘ der muʿtazilitischen Schule, Wāṣil Ibn ’ ʿAṭāʾ (gest. 131/748-9) und ʿAmr Ibn ʿUbayḍ (gest. 144/761), ist in der Forschung umstritten; siehe Schmidtke, Rationale Theologie, 173. 191 Siehe Alnoor Dhanani, Atomism, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2013 (1), 32–39a, hier 32b–34. 192 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/441. Zur Attributenlehre Abū l-Huḏayls siehe neben der im Folgenden noch angeführten Sekundärliteratur vor allem: Richard Frank, The Divine Attributes According to the Teaching of Abū l-Hudhayl al-ʿAllāf, in: Le Muséon 82 (1969), 451–506, nachgedr. als Teil II mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Early Islamic Theology. The Muʿtazilites and al-Ashʿarī, Bd. II, Aldershot: Ashgate, 2007.
3.2 Die Muʿtaziliten
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schreiben.193 Seine diesbezüglichen Ansichten wirkten, wenn auch in modifizierter Form, noch lange im basrischen Zweig des Muʿtazilitentums nach.194 Die Gottesvorstellung der Muʿtaziliten ist thematisch unter das Prinzip des tawḥīd (Einsheit Gottes) zu subsumieren, das in späteren Werken der Muʿtaziliten aufgrund seiner Wichtigkeit das erste der fünf Fundamente der Denkschule bildet.195 Nicht nur Abū l-Huḏayl, sondern auch die muʿtazilitische Schule im Ganzen verstand es als mit dem Prinzip des tawḥīd unvereinbar, Gottes Attributen eine eigenständige Existenz zuzuschreiben. Daher wurde, wie noch zu sehen sein wird, von einigen Muʿtaziliten der Standpunkt vertreten, dass Gottes Wesen und Seine Attribute identisch sind. Der bei den Ašʿariten formelhaft wiederholte Ausdruck, Gottes Attribute kommen dem Wesen Gottes zusätzlich zu (zāʾida ʿalā ḏ-ḏāt), zielt genau auf diese Vorstellung ab und verdeutlicht einen der Kernunterschiede zwischen den Gottesvorstellungen der beiden Schulen.196 Wären die Attribute reale Entitäten, die seit jeher neben Gottes Wesen existieren, dann müsste man, so die muʿtazilitische Sicht, eine Vielzahl von ewigen Existenzen annehmen. Gott allein jedoch, und das ist der Kern des tawḥīd im muʿtazilitischen Verständnis, ist das einzig Ewige.197 Unter der Einsheit Gottes ist darüber hinaus auch zu verstehen, dass Gott nicht aus Teilen zusammengesetzt ist. Eine ontologisch reale Vielheit in Seinem Wesen würde jedoch, so die Muʿtaziliten, genau dies implizieren.198 Die muʿtazilitische Sicht ist der Versuch eines Mittelwegs zwischen transzendentalistischen Gottesvorstellungen neuplatonischer Prägung und den positiv formulierten Gottesbeschreibungen der Offenbarung.199 Das Problem, in welcher Beziehung nun aber das Wesen Gottes zu den Attributen steht, hat die Muʿtaziliten lange beschäftigt. Abū l-Huḏayl formulierte seinen Lösungsversuch, so berichtet es al-Ašʿarī (gest. 324/935-6) in seinem Maqālāt al-islāmiyyīn, wie folgt: „Er [d. h. Gott] ist ein Wissender durch einen Wissensakt, der mit Ihm identisch ist (ʿālim bi-ʿilm huwa huwa). Er ist mächtig, aufgrund einer Macht, die mit Ihm identisch 193 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/442. 194 Siehe ebd., 3/272. 195 Zu den fünf Fundamenten siehe oben, Fußnote 189. 196 Dies wird weiter unten noch ausgeführt; siehe S. 89f. 197 Siehe Harry A. Wolfson, The Philosophy of the Kalam, Cambridge (Mass.) und London: Harvard University Press, 1976, 132f. Wolfsons hier gemachte Behauptung, dass die frühen mutakallimūn vom Denken der Kirchenväter beeinflusst wurden, hat sich in der Forschung nicht durchgesetzt; siehe u. a. Schöck, Jahm b. Ṣafwān, v. a. 57f. 198 Siehe Jan Thiele, Abū Hāšim al-Jubbāʾī’s (d. 321/933) Theory of ‘States’ (aḥwāl) and Its Adoption by Ashʿarite Theologians, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 364–383, hier 365 und 377f. 199 Siehe Schmidtke, Rationale Theologie, 171.
46 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas ist. Er ist lebendig, aufgrund eines Lebens, das mit Ihm identisch ist.“200 Auf diese Art, so fügt al-Ašʿarī hinzu, verhält es sich laut Abū l-Huḏayl mit allen anderen Eigenschaften wie z. B. dem Sehen (baṣar), dem Hören (samʿ), der Ewigkeit (qidam) und dem Gesicht (waǧh). Die Hände (Sing.: yad) und die Augen (Sing.: ʿayn) Gottes deutete er hingegen allegorisch.201 Auch wenn die Attribute laut Abū l-Huḏayl mit Gottes Wesen identisch sind, so sind sie doch voneinander verschieden. Dies ergibt sich dadurch, dass sie sich auf verschiedene Objekte beziehen. Wie Josef van Ess anmerkt, gehen mit dieser Begründung gewichtige Probleme einher, wie u. a. in Bezug auf diejenigen Eigenschaften, denen gar kein Objekt gegenübersteht, wie z. B. das Lebendigsein.202 In den Generationen danach wurde Abū l-Huḏayls Position aufgegriffen und modifiziert; sein Neffe an-Naẓẓām (gest. wohl 221/836) ist hier als einer der frühesten Protagonisten zu nennen. Unbehagen bereitete ihm, dass Abū l-Huḏayls Formulierungen eine Vielheit in Gottes Wesen implizieren, insofern sie den Attributen eine distinkte Realität beizumessen scheinen. Daher reduzierte er die Attribute auf bloße Namen ein und derselben Natur Gottes, die lediglich dahingehend zu unterscheiden sind, dass sie verschiedene Aspekte dieser Natur bezeichnen. Gott ist nicht wissend, durch einen Wissensakt (ʿālim bi-ʿilm), so wie es noch an-Naẓẓāms Onkel gesehen hatte, sondern wissend durch Sich Selbst (ʿālim bi-nafsihī).203 AnNaẓẓāms Reformulierung des Ansatzes von Abū l-Huḏayl beeinflusste noch den zwei Generationen später lebenden Muʿtaziliten Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī; mit seinem Sohn Abū Hāšim vollzieht sich in der Frage nach der Beziehung zwischen Gott und Seinen Attributen jedoch eine Wende. Er erkennt – und damit weicht er klar von der Position seines Vaters ab – den göttlichen Attributen eine ontologische Realität zu und versucht sich dem Problem, dadurch eine Vielheit in Gottes Wesen annehmen zu müssen, durch die von ihm begründete Theorie der aḥwāl (Sing.: ḥāl, auf Deutsch: Zustand) zu entziehen.204 Im weiteren ideengeschichtlichen Verlauf wird die Theorie nicht nur auf breite Akzeptanz unter den Muʿtaziliten stoßen, sondern auch Eingang in das ašʿaritische Denken finden,205 und daher lohnt es sich, sie näher zu betrachten.206 200 Ašʿarī, Maqālāt, 1/165 Z.5f. 201 Siehe ebd., 165 Z.6f. und Z.11–13. 202 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 3/274. 203 Dazu mehr bei ebd., 3/399f. und 4/442f. 204 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 23f. mit Endnote 37 auf S. 36; auch Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 368f. 205 Siehe dazu unten, S. 93. 206 Es sind keine Werke Abū Hāšims erhalten. Unsystematische Darstellungen seiner Theorie finden sich verstreut bei späteren muʿtazilitischen Autoren. Richard Frank hat diese Textstellen
3.2 Die Muʿtaziliten
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Abū Hāšim al-Ǧubbāʾīs Theorie der Zustände liegt die Überführung des von den Grammatikern entwickelten syntaktischen Konzepts des Zustandsakkusativs (ḥāl) in den kalām zugrunde, mit dem Ziel, damit das ontologische Fundament nicht nur der Attribute Gottes, sondern aller Dinge zu erfassen.207 Der ḥāl selbst nimmt einen ontologischen Zwischenstatus ein, insofern er weder zu den existenten noch zu den nicht-existenten Dingen gehört.208 Er ist nicht mit dem Subjekt, auf das er sich bezieht, gleichzusetzen, sondern beschreibt die Art und Weise, in der das Subjekt sich befindet. Wie noch an Beispielen zu sehen sein wird, lässt sich der ḥāl einer Sache durch Verwendung des kopulativen Verbes kāna bzw. durch das von ihm abgeleitete Verbalsubstantiv kawn sprachlich fassen. In Abū Hāšims Theorie werden nun fünf Kategorien des ḥāl unterschieden, die im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Die erste der fünf Kategorien von Zuständen bezieht sich sowohl auf den Schöpfer als auch auf die Geschöpfe und umfasst das Attribut der Essenz (ṣifat aḏ-ḏāt).209 Dieses Attribut drückt aus, was über ein bestimmtes Ding wesentlich bzw. essentialiter ausgesagt wird. Damit stiftet dieses Attribut nicht nur die Identität dieses Dinges, sondern es ist auch der Grund dafür, dass das Ding von allen anderen Dingen unterschieden werden kann. Bei den erschaffenen Dingen lässt sich dieses Attribut leicht ermitteln; es handelt sich einfach um die jeweilige Bezeichnung. So ist es z. B. bei einem Akzidens der Umstand, ein Akzidens zu sein (kawn al-ʿaraḍ ʿaraḍan ), und so kann es von allen Nicht-Akzidenzien unterschieden werden. Die Farben Weiß und Schwarz sind analog dazu dadurch zu unterscheiden, dass sich erstere im Zustand des Weißseins befindet, letztere in dem des Schwarzseins.210 Den erschaffenen Dingen, die nicht mehr oder noch nicht existieren, kommt dieses Attribut ebenfalls zu; daher rührt auch die These der Bahšamiten, also der Anhänger Abū Hāšims, dass das Nicht-Existente ein Etwas (šayʾ) ist. Da die Dinge laut ihnen allein aufgrund des Attributs der Essenz intelligibel und erst damit ein Objekt des Wissens sind, waren sie auch in der Lage zu erklären, wie es sein zusammengetragen und auf ihrer Basis die Theorie der Zustände ausführlich dargestellt; siehe Frank, Beings and Their Attributes; und in zusammengefasster Form Richard Frank, Ḥāl, in: Peri Bearman u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. XII, Leiden: Brill, 2004, 343b–348. Weitere Darstellungen, die sich alle weitgehend auf Franks Monographie beziehen, finden sich bei Thiele, Theologie in der jemenitischen Zaydiyya, v. a. 117–131 (bespricht auch weitere Sekundärliteratur); Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 367–375; el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 89–91; und Schmidtke, Rationale Theologie, 174f. 207 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 19f. 208 Siehe Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 368. 209 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 53–57. 210 Siehe ebd., 53.
48 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas kann, dass Gott nicht nur der existenten, sondern auch der nicht-existenten Dinge kundig ist.211 In der Frage, welche der Eigenschaften Gottes als das Attribut Seiner Essenz zu gelten hat, herrscht Uneinigkeit. Der Meinung, dass Gottes Essenz damit beschrieben ist, ewig (qadīman ) zu sein, steht die ablehnende Haltung gegenüber, die diese Eigenschaft mit derjenigen gleichsetzt, existent zu sein (mawǧūdan ).212 Die Eigenschaft der Existenz jedoch fällt unter die zweite Kategorie der Zustände, auf die nun der Blick gerichtet sein soll. Alle Eigenschaften, die notwendigerweise aus dem Attribut der Essenz hervorgehen (muqtaḍā oder mūǧaba ʿan), sobald dessen Subjekt in die Existenz tritt, fallen unter die zweite Kategorie.213 Bei einem Atom z. B. ist es sein Zustand, an einem Ort zu sein (kawn al-ǧawhar mutaḥayyizan ).214 Da den Zuständen in Abū Hāšims Theorie eine ontologische Realität zugesprochen wird, lässt es sich begründen, wie es sein kann, dass ein bestimmter Zustand einen anderen bewirkt.215 Bei Gott werden vier Attribute identifiziert, die – da ja auch Gottes Wesen und damit Sein Attribut der Essenz seit jeher existieren – ebenso ewig sind wie Er Selbst. Dabei handelt es sich um Seine Eigenschaft, mächtig (qādiran ), wissend (ʿāliman ), lebendig (ḥayyan ) und existent (mawǧūdan ) zu sein. Diese vier Attribute lassen sich auch in einen logischen Bezug stellen und dadurch rational beweisen. So argumentiert ʿAbd al-Ǧabbār, dass man aus der Existenz der Schöpfung und der in ihr vorhandenen Ordnung schließen kann, dass ihr Schöpfer mächtig und wissend sein muss.216 Diese zwei Attribute können jedoch nur lebendigen Wesen zukommen, wobei diese Eigenschaft wiederum von dem Wesen voraussetzt zu existieren.217 Es ist die hier besprochene zweite Kategorie der Zustände, die den substanziellsten Unterschied der Theorie Abū Hāšims zu den Ansichten seines Vaters Abū ʿAlī ausmacht. Denn nun wird den Attributen Gottes zum einen eine ontologische Realität zugesprochen, und zum anderen sind sie nicht mehr mit dem Wesen Gottes an sich gleichzusetzen, sondern bezeichnen Teilaspekte davon.218 Die dritte Kategorie beschreibt die Eigenschaften, die einem existierenden Ding nicht notwendigerweise zukommen. Der Umstand, dass sich diese Eigenschaften 211 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 54; auch Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 371. 212 Siehe ebd. 213 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 58 mit Endnote 1 auf S. 80. 214 Siehe ebd., 60 und 107. 215 Siehe Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 372. 216 Dieser Gedankengang beruht auf einem analogen Schlussverfahren, welches ausführlich unten in Kapitel 7.1 besprochen wird. 217 Siehe al-Qāḍī ʿAbd al-Ǧabbār, al-Muḫtaṣar fī uṣūl ad-dīn, in: Muḥammad ʿImāra (Hrsg.), Rasāʾil al-ʿadl wa-t-tawḥīd, 2 Bde., Kairo: Dār aš-Šurūq, 1988, 1/197–282, hier 1/210f. 218 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 80, Endnote 2.
3.2 Die Muʿtaziliten
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realisieren, kann also nicht im Wesen des Subjekts begründet sein. Die Ursache ihrer Realität ist vielmehr ein maʿnā, was sich in diesem Kontext am besten mit dem Ausdruck verursachendes Akzidens fassen lässt.219 Dieses inhäriert – mit einer Ausnahme, von der noch zu sprechen sein wird – immer in dem Subjekt, das mit der Eigenschaft beschrieben wird, das durch das Akzidens verursacht wird. So geht, wie oben schon gesagt, die Eigenschaft des Atoms, örtlich zu sein, notwendigerweise mit dessen Existenz einher, nicht jedoch die Eigenschaft, an einem bestimmten und damit nicht an irgendeinem anderen Ort zu sein. Diese kommt dem Atom aufgrund des eben erwähnten verursachenden Akzidens zu. Dasselbe gilt z. B. auch für die Eigenschaft eines Körpers, über eine Farbe zu verfügen, und für die Eigenschaften des Menschen, handlungsgmächtig (qādiran ) und wollend (murīdan ) zu sein bzw. Widerwillen zu empfinden (kārihan ).220 Diese Kategorie der Zustände bezieht sich auch auf Gott, insofern auch Ihm die Eigenschaften des Wollens bzw. des Widerwillens zukommen. Diese können sich laut den Bahšamiten nicht aus Gottes Wesen ergeben und sind daher auch nicht ewiger, sondern zeitlicher (muḥdaṯ) Natur.221 Anders als bei den erschaffenen Dingen wird das verursachende Akzidens nun nicht in Gott verortet, sondern außerhalb Seiner, wo es ohne Substrat (maḥall) existiert.222 Die vierte Kategorie der Zustände bezieht sich auf die Attribute, die durch einen Handelnden (bi-l-fāʿil) hervorgerufen werden.223 Dabei handelt es sich um Prädikate wie z. B. redend (mutakalliman ) oder wohltätig (muḥsinan ) zu sein; und sie werden sowohl Gott als auch den erschaffenen Dingen nicht als ontologisch reale Zustände oder Eigenschaften zugesprochen, sondern kommen diesen lediglich aufgrund von deren Handlungstätigkeit (ʿalā ṭarīqat al-fiʿliyya) auf sekundäre oder abgeleitete Weise zu.224 219 Siehe ebd., 93. 220 Siehe ebd., 95 und 96f. 221 Ausführlich wird diese Thematik behandelt bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ǧabbār, al-Muġnī fi abwāb at-tawḥīd wa-l-ʿadl, hrsg. von Ibrāhīm Maḏkūr u. a., 14 Bde. gedr. in 16 Bden. (Gesamtwerk besteht aus 20 Bden., von denen Bde. 1, 2, 3, 10, 18 und 19 teilweise oder ganz als verloren gelten), Kairo: Wizārat aṯ-Ṯaqāfa wa-l-iršād al-qawmī, 1960–5, 62 /105–148. 222 Die Sicht, dass ein Akzidens ohne ein Substrat existieren kann, ist sowohl von Ašʿariten als auch von Ibn Taymiyya als eine offensichtliche Absurdität klassifiziert worden. Ein ausführlicher Versuch einer Verteidigung der bahšamitischen Position findet sich bei ebd., 62 /149–202. Al-Kaʿbī, ein wichtiger Vertreter der Bagdader Schule der Muʿtaziliten, war hingegen der Meinung, dass bei Gott der Wille kein zusätzliches Attribut darstellt, sondern mit dem des Wissens identisch ist. Dafür wurde er jedoch innerhalb seiner Schule heftig kritisiert. Siehe el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 91. 223 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 124. 224 Siehe ebd., 135f.
50 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Die fünfte und letzte Kategorie der Zustände beinhaltet die Attribute, deren Grundlage weder die Essenz einer Sache, noch ein verursachendes Akzidens und auch nicht die Tätigkeit eines Handelnden ist.225 Bei lebendigen Dingen handelt es sich dabei u. a. um die Eigenschaft, wahrnehmend (mudrikan ) zu sein. Bezüglich Gott bedeutet dies, dass Er als hörend (sāmiʿan ) und sehend (baṣīran ) zu beschreiben ist. Diese Attribute kommen Ihm auf Basis Seiner Eigenschaft, lebendig zu sein, zu und sind daher ewig – dies jedoch lediglich im Sinne eines Vermögens, welches sich erst unter der Voraussetzung aktualisiert, dass auch eine Sache existiert, die wahrgenommen werden kann (bi-šarṭ wuǧūd al-mudrak).226 Auch wenn die meisten Muʿtaziliten im weiteren Verlauf durch das Denken Abū Hāšims geprägt sind, konnte sich dennoch eine weitere Strömung bilden. Diese geht auf Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī (gest. 436/1044) zurück, einem Schüler des bahšamitischen Gelehrten ʿAbd al-Ǧabbār. Er lehnte die ḥāl-Theorie ab227 und setzte den göttlichen Willen, ähnlich wie vor ihm schon al-Kaʿbī,228 mit dem Wissen Gottes gleich.229 Unschlüssig war er in der Frage, ob auch Gottes Sehen und Sein Hören mit Seinem Wissen als identisch anzusehen sind.230 Auf der Basis seines Werkes Taṣaffuḥ al-adilla,231 welches er nie vollendete, bezichtigten ihn manche Muʿtaziliten des Unglaubens (kufr), woraufhin er sein heute verlorenes Werk Ġurar al-adilla verfasste. Ibn Taymiyya bezeichnet noch zu Anfang des 8./14. Jahrhunderts die beiden eben genannten Werke als das Zabūr 232 der Muʿtaziliten späterer Zeit.233 Zu den bekanntesten Muʿtaziliten, die von Abū l-Ḥusayns Denken beeinflusst sind, gehört der Gelehrte az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144),234 aber 225 Siehe Frank, Beings and Their Attributes, 148. 226 Siehe ebd., 153f. Seit al-Iskāfī setzte sich in der Bagdader Schule hingegen die Meinung durch, dass Gottes Eigenschaft, wahrnehmend zu sein, identisch ist mit Seiner Eigenschaft des Wissens; siehe el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 99f. 227 Siehe Schmidtke, Rationale Theologie, 176. 228 Siehe oben, Fußnote 222. 229 Siehe Wilferd Madelung, Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2007 (1), 16–19, hier 18b. 230 Siehe ebd. 231 Die erhaltenen Teile dieses Werkes liegen ediert vor; siehe Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, Taṣaffuḥ al-adilla, hrsg. und mit einer Einl. vers. von Wilferd Madelung/Sabine Schmidtke, Wiesbaden: Harrassowitz, 2006. 232 Mit diesem Ausdruck werden die dem Propheten David offenbarten Psalmen bezeichnet; siehe Koran 4:163. 233 Siehe Tisʿīniyya 2/645f. 234 Siehe dazu die Einleitung des Hrsg. in Ǧār Allāh az-Zamaḫšarī, al-Minhāǧ fī uṣūl ad-dīn, hrsg. und mit einer Einl. vers. von Sabine Schmidtke, Beirut: Arabic Scientific Publishers, 2007, v. a. 79.
3.3 Die falāsifa | 51
auch der ašʿaritische Denker al-Ǧuwaynī hat Aspekte des Denkens Abū l-Ḥusayns übernommen.235 Etwas über ein Jahrhundert vor Ibn Taymiyya hingen alle Muʿtaziliten entweder der Strömung Abū Hāšims oder der Abū l-Ḥusayns an.236 In den darauffolgenden Jahrzehnten kam das Muʿtazilitentum unter Sunniten fast vollständig zum Erliegen, auch wenn seine Spuren noch bis in das 9./15. Jahrhundert nachverfolgt werden können.237 In schiitischen und auch jüdischen Kreisen wurden zahlreiche Aspekte des muʿtazilitischen Denkens hingegen übernommen,238 so z. B. auch bei dem Imāmiten und Zeitgenossen Ibn Taymiyyas Ibn Muṭahhar al-Ḥillī (gest. 726/1325),239 den Ibn Taymiyya in seinem mehrbändigen Werk Minhāǧ zu widerlegen versuchte.
3.3 Die falāsifa Auch der Universalgelehrte Abū Yaʿqūb Ibn Isḥāq al-Kindī (gest. zw. 247/861 und 252/866) wurde vom muʿtazilitischen Denken beeinflusst.240 Er jedoch gilt als der erste Repräsentant einer ganz anderen Denktradition, nämlich der der falsafa.241 Dieser Ausdruck wird meist mit Philosophie übersetzt, ist jedoch in konzeptueller 235 Siehe Madelung, Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, 19a. 236 Siehe Schmidtke, Neuere Forschungen zur Muʿtazila, 381. 237 Siehe ebd., 379 und 382 mit Fußnote 5. 238 Siehe Camilla Adang/Sabine Schmidtke (Hrsg.), A Common Rationality. Muʿtazilism in Islam and Judaism, Würzburg: Ergon, 2016. 239 Er steht hierbei in der Tradition Abū l-Ḥusayns; siehe Madelung, Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, 19a. 240 Siehe hierzu Peter Adamson, Al-Kindī and the Muʿtazila. Divine Attributes, Creation and Freedom, in: Arabic Sciences and Philosophy 2003, 45–77. 241 Die Anhänger der falsafa werden falāsifa (Sing.: faylasūf ) genannt. Bezüglich Ibn Taymiyyas komplexer Beziehung zu dieser Denktradition und ihren Vertretern siehe Thomas Michel, Ibn Taymiyya’s Critique of falsafa, in: Hamdard Islamicus 6 (1983), 3–14; Nurcholish Madjid, Ibn Taymiyya on Kalām and Falsafa. A Problem of Reason and Revelation in Islam, Universität Chicago: unveröffentl. Dissertation, 1984, Kap. 5; Yahya Michot, Misled and Misleading... Yet Central in Their Influence. Ibn Taymiyya’s Views on the Ikhwān al-Ṣafā, in: Nader El-Bizri (Hrsg.), Epistles of the Brethren of Purity. The Ikhwān al-Ṣafāʾ and Their Rasāʾil. An Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2008, 139–179, v. a. 139f.; sowie ders., From al-Maʾmūn to Ibn Sabʿīn via Avicenna: Ibn Taymīya’s Historiography of Falsafa, in: Felicitas Opwis/David Reisman (Hrsg.), Islamic Philosophy, Science, Culture, and Religion: Studies in Honor of Dimitri Gutas, Leiden: Brill, 2012, 453–475. Die Forschungsbeiträge zu der Denkströmung der falsafa sind umfangreich und können leicht recherchiert werden; es sei hier nur auf folgende zwei Publikationen verwiesen: Khaled El-Rouayheb/ Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Philosophy, New York: Oxford University Press, 2017; sowie Ulrich Rudolph (Hrsg.), Philosophie in der Islamischen Welt: 8.-10. Jahrhundert, Bd. 1. Unter Mitarbeit von Renate Würsch, Basel: Schwabe, 2012.
52 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Hinsicht keineswegs mit dieser deckungsgleich. Vielmehr handelt es sich bei der falsafa um eine bestimmte Form des philosophischen Denkens,242 deren Vertreter, so heterogen ihre Ansichten auch gewesen sein mögen, darin übereinstimmen, den griechischen Philosophen Aristoteles (gest. 322 v. Chr.) als den ersten Leh’ rer‘ (al-muʿallim al-awwal) anzuerkennen.243 Weitere wichtige Vordenker waren Plotin (gest. 270) sowie sein Anhänger Proklos (gest. 485 n. Chr.), zwei Hauptvertreter der Strömung, die seit dem 18. Jahrhundert in der Geschichtsschreibung der Philosophie als Neuplatonismus bezeichnet wird.244 Schon unter den Umayyaden und noch viel mehr unter dem frühen Abbasidenkalifen al-Manṣūr (reg. 136–158/754–775) wurden die philosophischen Werke antiker und spätantiker Autoren übersetzt. Drei später folgende Übersetzerzirkel gelten aber in der Forschung als besonders zentral. Dabei handelt es sich um den von al-Kindī, den von Ḥunayn Ibn Isḥāq (gest. 260/873) sowie den von Bišr Ibn Mattā (gest. 328/940). In dem erstgenannten Zirkel wurden u. a. das Werk Elemente der Theologie des Proklos sowie die Teile IV–VI der Enneaden des Plotin in jeweils stark bearbeiteter Form ins Arabische übertragen. Ersteres ist als Kitāb Fī l-ḫayr al-maḥḍ bekannt,245 letzteres als Kitāb al-Uṯūlūǧiyya,246 wobei beide Schriften fälschlicherweise Aristoteles zugeschrieben wurden. So ist es zu verstehen, wieso sich Denker wie al-Fārābī (gest. 339/950-1) und Ibn Sīnā (gest. 428/1037), zwei der prominentesten Vertreter der falsafa, keineswegs in der neuplatonischen, sondern eindeutig in der aristotelischen Tradition verorteten.247 Diese zwei eben erwähnten 242 Unter anderem die Gleichsetzung von Philosophie und falsafa hat in der Forschung zu der Fehlannahme geführt, dass die Philosophie in der islamischen Welt kurz nach dem 6./12. Jahrhundert ihr Ende gefunden habe. Tatsächlich trifft dies jedoch nur auf die Tradition der falsafa zu, welche eben nur eine spezifische Form des Philosophierens ist. Siehe hierzu z. B. die Ausführungen von Frank Griffel bei Abū l-Walīd Ibn Rušd, Maßgebliche Abhandlung. Faṣl al-maqāl, übers., erläut. und mit einer Einl. vers. von Frank Griffel, Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2010, 61–70; Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 5–12; sowie Rudolph, Einleitung, v. a. xivf. 243 Siehe Cristina D’Ancona, Aristotle and Aristotelianism, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2008 (1), 153b–169a, hier 153b–154a. 244 Siehe Helmut Meinhardt, Neuplatonismus, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984, 754–756. 245 Dies wird ausführlich behandelt bei Gerhard Endress, Proclus Arabus. Zwanzig Abschnitte aus der Institutio Theologica aus arabischer Übersetzung, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1973. 246 Eine eingehende Darstellung hierzu findet sich bei Peter Adamson, The Arabic Plotinus. A Philosophical Study of the Theology of Aristotle, London: Duckworth, 2002. 247 Siehe Jon McGinnis, Avicenna, New York: Oxford University Press, 2010, 8f. Ibn Sīnā hat jedoch zumindest Zweifel an der Autorschaft des Aristoteles geäußert. Siehe Dimitri Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition. Introduction to Reading Avicenna’s Philosophical Works, 2., stark erw. Aufl., Leiden und Boston: Brill, 2014, 21 mit Fußnote 2 und S. 58.
3.3 Die falāsifa | 53
Schriften bildeten einen Großteil des Fundaments, auf dem die neuplatonische Metaphysik in der Tradition der falsafa zum Tragen kam.248 Auch auf Denker wie Ibn ʿArabī, der zwar nicht der Tradition der falsafa, aber doch einer von ihr beeinflussten Strömung innerhalb des taṣawwuf (Sufismus in einem allg. Sinne) angehörte, hat das Kitāb al-Uṯūlūǧiyya einen großen Einfluss ausgeübt.249 Bereits al-Kindī hatte – und darin folgten ihm die späteren Generationen der falāsifa – den aristotelischen Unbewegten Beweger nicht nur, wie in der heutigen Forschung üblich, lediglich als Finalursache der Bewegung der himmlischen Sphären, sondern auch als Schöpfergott verstanden.250 Was den Schöpfungsvorgang betrifft, so folgte er hierbei Johannes Philoponos (gest. ca. 575), dem prominentesten Advokaten einer zeitlichen Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo), den die Spätantike hervorgebracht hatte.251 Zwei Generationen nach ihm wird al-Fārābī diesem Modell die neuplatonische Schöpfungstheorie der Emanation entgegensetzen und diese mit der ptolemäischen Sicht verbinden, derzufolge der Kosmos aus neun Himmelssphären besteht und sich in seinem Mittelpunkt die Erde befindet.252 Al-Fārābī ging davon aus, dass aus Gottes Tätigkeit, Sich Selbst zu denken, ein zweites Seiendes in die Existenz fließt,253 nämlich ein unkörperlicher Intellekt. Der Schöpfungsvorgang wiederholt sich vermittelt über diesen Intellekt, bis weitere neun Intellekte emanieren, wobei jeder von ihnen mit einer zu ihm gehörigen körperlichen und beseelten Himmelssphäre einhergeht.254 Die letzte dieser Sphären ist die des Mondes; darunter befindet sich die materielle Welt, die im Gegensatz zur supralunaren Welt durch Werden und Vergehen geprägt ist. Da Gottes Tätigkeit, Sich Selbst zu denken, ewig ist, sind es auch die daraus hervorgehenden Existenzen. Sie sind Gott also nicht zeitlich nachgestellt, sondern nur in ontologischer und kausaler Hinsicht. Während die Sphären einen Einfluss auf die irdischen materiellen Vorgänge haben, kann der sogenannte Aktive Intellekt 248 Siehe McGinnis, Avicenna, 8. 249 Siehe Michael Ebstein, Mysticism and Philosophy in al-Andalus. Ibn Masarra, Ibn al-ʿArabī and the Ismāʿīlī Tradition, Leiden und Boston: Brill, 2014, 231. Ibn ʿArabīs Ontologie und sein Gottesbild sowie die Kritik Ibn Taymiyyas dazu werden in vorliegender Arbeit in Kapitel 4.4 dargestellt. 250 Siehe Peter Adamson, Al-Kindī, Oxford und New York: Oxford University Press, 2007, 72f. 251 Siehe ebd., Kap. 4. 252 Siehe hierzu z. B. Ulrich Rudolph, Abū Naṣr al-Fārābī, in: ders. (Hrsg.), Philosophie in der Islamischen Welt: 8.-10. Jahrhundert, Basel: Schwabe, 2012, 363–457, hier 428f.; sowie Herbert Davidson, Alfarabi, Avicenna, and Averroes on Intellect. Their Cosmologies, Theories of the Active Intellect, and Theories of Human Intellect, Oxford und New York: Oxford University Press, 1992, 44–48. Auf diesen zwei Textpassagen beruht auch die folgende Zusammenfassung der Emanationslehre al-Fārābīs. 253 Arab.: yafīḍu, lat.: emanare, daher auch der Name Theorie der Emanation (fayḍ)‘. ’ 254 Diese Sphären sind in absteigender Reihenfolge: die gestirnlose Sphäre, die Fixsterne, Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond.
54 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas (al-ʿaql al-faʿʿāl), der mit der Mondsphäre einhergeht, das menschliche Denken anleiten und unterstützen. Nicht nur die Propheten erhalten ihr Wissen über ihn – daher wird er auch mit dem Engel Gabriel identifiziert.255 Auch alle anderen Menschen können, wie weiter unten noch ausgeführt wird, durch ihn zur Erkenntnis apodiktischer Universalaussagen gelangen.256 Ibn Sīnā geht von einem ähnlichen Schöpfungsmodell aus, modifiziert es aber in mancher Hinsicht auf substanzielle Weise.257 Was nun das Gottesbild angeht, so soll die folgende Darstellung aus Platzgründen auf die von Ibn Sīnā vertretene Position begrenzt werden,258 zumal auch Ibn Taymiyya, wenn er sich in seinen für die vorliegende Arbeit relevanten Schriften mit den falāsifa auseinandersetzt, meist ihn im Blick hat.259 Gott ist laut Ibn Sīnā ein reines, Sich Selbst-genügendes Sein, dessen Grund der Existenz in Ihm Selbst liegt, sodass ihr Bestehen notwendig (wāǧib) ist.260 Ein 255 Siehe hierzu Frank Griffel, Muslim Philosophers’ Rationalist Explanation of Muḥammad’s Prophecy, in: Jonathan Brockopp (Hrsg.), Cambridge Companion to Muḥammad, Cambridge: Cambridge University Press, 2010, 158–179. 256 Siehe unten, S. 113. 257 Siehe hierzu z. B. Davidson, Alfarabi, Avicenna, and Averroes on Intellect, 74–82; auch Ibn Sīnās eigene Ausführungen zu der Thematik bei Abū ʿAlī Ibn Sīnā, The Metaphysics of the Healing. Aš-Šifāʾ : al-Ilāhiyāt, übers., erläut. und mit einer Einl. vers. von Michael Marmura, Provo: Brigham Young University Press, 2005, Buch IX (S. 299–357). 258 Die Darstellung basiert hierbei auf ebd., Buch VIII, v. a. Kap. 4–7. Angegeben sei auch noch folgende Auswahl der Sekundärliteratur: Muhammad Legenhausen, Ibn Sina’s Concept of God, in: Ishraq. Islamic Philosophy Yearbook 1 (2010), 317–344; Rahim Acar, Talking about God and Talking about Creation. Avicenna’s and Thomas Aquinas’ Positions, Leiden und Boston: Brill, 2005; sowie John Rosheger, A Note on Avicenna and the Divine Attributes, in: The Modern Schoolman 77.2 (2000), 169–177. Sicher ist, dass Ibn Sīnā ein Werk namens ar-Risāla al-ʿaršiyya zumindest begonnen hat, welches in edierter Form in der Sekundärliteratur auch mehrfach behandelt oder herangezogen wurde; siehe z. B. Egbert Meyer, Philosophischer Gottesglaube. Ibn Sīnās Thronschrift, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 130.2 (1980), 226–277. Zwar ist der edierte Text thematisch gesehen äußerst relevant, insofern er vornehmlich Gottes Wesen und Seine Attribute bespricht, jedoch wurden in der jüngeren Forschung starke Zweifel daran geäußert, dass es sich bei der Edition auch tatsächlich um das eben genannte Werk Ibn Sīnās handelt; siehe Gutas, Avicenna, 484f. Daher werden im Folgenden diese Schrift und auch jegliche auf ihr basierende Ausführung in der Sekundärliteratur ausgeklammert. 259 Neben Ibn Sīnā werden weitere falāsifa mit Blick auf deren Attributenlehre dargestellt bei z. B. Ian Netton, Allāh Transcendent. Studies in the Structure and Semiotics of Islamic Philosophy, Theology and Cosmology, London: Routledge, 1989; Adamson, Al-Kindī and the Muʿtazila; und Harry Austrin Wolfson, Avicenna, Algazali and Averroes on Divine Attributes, in: Isadore Twersky/ George Williams (Hrsg.), Studies in the History and Philosophy of Religion, Nachdr. aus dem Jahr 1956 mit veränderter Pagination, Cambridge (Mass.): Harvard University Press, 1973, 143–169. 260 Siehe Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, Buch I, Kap. 6 und 7.
3.3 Die falāsifa | 55
Kernelement der neuplatonischen Gottesvorstellung, so wie sie auch von Ibn Sīnā vertreten worden ist, besteht in der Verneinung jeglicher Vielheit in Gott, der daher auch oftmals als der Eine (al-wāḥid) bezeichnet wird. Dies beinhaltet laut Ibn Sīnā, dass Gott über keine Quiddität (māhiya) verfügt außer Seiner individuellen Realität (inniya).261 So kommt Gott auch kein Genus und kein artbildender Unterschied zu, was wiederum ausschließt, Ihn mit einer Definition erfassen zu können.262 Kurzum, Gott ist das reine Sein unter der Bedingung der Verneinung der NichtExistenz sowie aller Attribute (huwa muǧarrad al-wuǧūd bi-šarṭ salb al-ʿadam wa-sāʾir al-awṣāf ʿanhu). Ibn Sīnā betont hierbei, dass dies nicht mit der Existenz im Sinne einer Universalie (kullī) verwechselt werden darf. Diese ist nämlich das von der Bedingung einer Affirmation freie Sein (al-wuǧūd lā bi-šarṭ al-iṯbāt).263 Er verdeutlicht dies weiter, indem er sagt, dass der Ausdruck Gott sich auf das bloße Sein bezieht, das frei von jeglicher Hinzufügung (ziyāda) ist, während die Existenz im Sinne der Universalie alle Dinge umfasst, ganz gleich, ob zu deren Sein noch etwas hinzugefügt werden kann oder nicht. Ersteres ist bei den erschaffenen Dingen der Fall, Letzteres bei Gott.264 Dass Gott nun die reine Existenz darstellt, bedeutet nicht, dass Er nicht auch durch andere positiv formulierte Beschreibungen erfasst werden kann. So ist Er z. B. auch das reine Gute (al-ḫayr al-maḥḍ). Denn das Gute ist dasjenige, so Ibn Sīnā weiter, auf das alle Dinge hinstreben, und das wiederum ist nichts anderes als die Existenz: „So ist sie“, resümiert Ibn Sīnā, „das reine Gute und die reine Vollkommenheit“.265 Um die Reinheit der göttlichen Existenz zu bewahren und damit jegliche Bestimmtheit in Bezug auf Ihn zu negieren, sind die positiven Beschreibungen Gottes jedoch immer nur als Negationen (Sing.: salb) des jeweiligen Gegenteils oder als Relationen (Sing.: iḍāfa) zur Schöpfung oder als eine Kombination aus beiden zu verstehen. So kann Ibn Sīnā auch viele der Gottesbeschreibungen über261 Siehe ebd., 274 Z.4. Es ist nicht klar, ob Ibn Sīnās Gleichsetzung der māhiya Gottes mit Seiner inniya eine Negation der ersteren ist oder nicht; siehe hierzu Acar, Talking about God, 82–83; und auch Olga Lizzini, Wuǧūd-Mawǧūd/Existence-Existent in Avicenna. A key ontological notion of Arabic philosophy, in: Quaestio 3 (2003), 111–138, v. a. 123. Was die erschaffenen Dinge angeht, so sind bei ihnen diese beiden laut Ibn Sīnā voneinander verschieden; siehe Rollen Houser, Essence and Existence in Ibn Sīnā, in: Richard Taylor/Luis Xavier López-Farjeat (Hrsg.), The Routledge Companion to Islamic Philosophy, London und New York: Routledge, 2016, 212–224, hier 212. 262 Siehe Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 277 Z.4–10. 263 Siehe ebd., 276–277 Z.16–1. 264 Siehe ebd., 277 Z.1–3; siehe hierzu auch die Anmerkung 7 des Übers. auf S. 415. Hilfreich ist auch Michots Darstellung der Typologie des Seins in Ibn Taymiyyas Schriften, da sie terminologisch stark an den Ausführungen Ibn Sīnās angelehnt ist; siehe Michot, Commentary – Part II, 360–363. 265 Siehe Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 283 Z.15–18.
56 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas nehmen, die üblicherweise von den Theologen vorgebracht werden. Er verdeutlicht das an verschiedenen Beispielen: Was diejenigen [Attribute] betrifft, die mit Negation einhergehen (tuḫāliṭu as-salb), so [ist das z. B.] wie wenn jemand, ohne Respekt walten zu lassen, sagt: Gott ist eine Substanz ’ (ǧawhar).‘ Damit meint er nichts anderes als diese [Seine] Existenz, und zwar hinsichtlich der Negation dessen, dass sie in einem Subjekt inhäriert. Und wenn er sagt: Gott ist einer (wāḥid)‘, so meint er nichts anderes als diese [Seine] Existenz, ’ und zwar hinsichtlich der Negation der Teilbarkeit in quantitativer oder kategorialer Hinsicht oder hinsichtlich der Negation eines Teilhabers. Und wenn er sagt: Gott ist ein Intellekt, ein Intellegierendes und ein intellektuell Erfasstes ’ (ʿaql wa-ʿāqil wa-maʿqūl)‘, dann meint er damit tatsächlich nichts anderes als die Negation dessen, dass es möglich ist, dass diese reine [Existenz] mit Materie vermischt ist oder ihr deren notwendige Begleiterscheinungen (ʿalāʾiq) zukommen, jedoch mit Rücksicht darauf, dass es eine wie auch immer geartete Relation [zu der Materie] gibt. Und wenn er sagt: Gott ist der erste (awwal)‘, dann meint er damit nichts anderes als die ’ Relation dieser [Existenz] zum Ganzen. Und wenn er sagt: Gott ist mächtig (qādir)‘, dann meint er damit nichts anderes, als dass ’ Er das notwendige Sein ist, über das hinzufügend gesagt wird, dass die Existenz anderer wahrhaftig nur aufgrund Seiner besteht, und zwar in der Art und Weise, wie das schon [an anderer Stelle] erwähnt wurde. Und wenn er sagt: Gott ist lebendig (ḥayy)‘, dann meint er damit nichts anderes als diese ’ intellektuelle Existenz, wobei [sie] – mit nachrangiger Intention – unter dem Aspekt der Relation [in der sie] zum intellektuell erfassten Ganzen [steht]. Denn der Lebendige ist nichts anderes als der Erfassende und immer wieder Handelnde. Und wenn er sagt: Gott ist wollend (murīd)‘, dann meint er damit nichts anderes, als dass ’ das notwendige Sein unter Berücksichtigung Seiner Intellektualität – also der Negation der Materialität – die Quelle der gesamten Ordnung des Guten ist und Er Sich dessen bewusst ist. Bei diesem [Attribut] liegt eine Kombination aus Relation und Negation vor.266
Aus dieser Passage, die keineswegs alle von Ibn Sīnā akzeptierten Gottesbeschreibungen enthält, wird ersichtlich, dass, auch wenn er Gott mit denselben Eigenschaften prädiziert wie viele der Theologen, er doch einen Transzendentalismus vertritt, der noch radikaler ist als der, den die Muʿtaziliten vorgebracht hatten. Auch z. B. der Umstand, dass Ibn Sīnā Gott einen Willen zuerkennt, bedeutet keineswegs, dass Gott über die Möglichkeit verfügt, aus mehreren Optionen wählen zu können. Gott konnte also nicht entscheiden, ob Er die Schöpfung in die Existenz bringen möchte oder nicht, vielmehr existiert sie durch Ihn mit Notwendigkeit, auch wenn sie per se lediglich unter das mögliche Sein fällt.267 So ist auch die Ordnung des Kosmos und aller sich darin abspielenden Vorgänge determiniert. 266 Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 296 Z.6–15. Bei der Übertragung dieser Passage ins Deutsche habe ich mich weitgehend an der englischen Übersetzung Marmuras orientiert. 267 Siehe ebd., Buch I, Kap. 6.
3.3 Die falāsifa | 57
Es könnte hier der Gedanke aufkommen, dass dies der Vollkommenheit Gottes zuwiderläuft, jedoch ist laut Ibn Sīnā genau das Gegenteil der Fall. So wählen Menschen z. B. eine unter mehreren Handlungsmöglichkeiten aus, weil äußere Umstände diese als die beste erscheinen lassen. Gott jedoch – insofern Ihn äußere Faktoren in keinster Weise beeinflussen – kommt der Grund, eine bestimmte Handlung gegenüber allen anderen vorzuziehen, wesenhaft zu. Er unterliegt also keinem Entscheidungsprozess, und zwar selbst dann nicht, wenn man dies in einem nicht-zeitlichen Sinne verstünde.268 Trotzdem erkennt Ibn Sīnā, wie gesehen, Gott einen Willen zu und beschreibt diesen an anderer Stelle sogar als frei.269 Nach Ibn Sīnā – und darin steht er im Einklang mit vielen anderen der falāsifa wie z. B. al-Fārābī, Ibn Ṭufayl (gest. 581/1185) und Ibn Rušd – soll die philosophisch ungebildete Masse der Muslime nicht mit diesem abstrakten Gottesbild konfrontiert werden.270 Vielmehr ist es notwendig, sie über Gott mit Hilfe von Symbolen und Metaphern zu unterrichten. So schreibt Ibn Sīnā: Er [d. h. der Prophet] soll sie [d. i. die philosophisch ungebildete Masse] nicht Wissen über Gott – den Erhabenen – vermitteln, was darüber hinaus geht, dass Er einer, real (ḥaqq) und ohnegleichen ist. Sollte er es aber mit ihnen aber so weit treiben, sie darauf zu verpflichten, dass sie es als wahr erachten, dass Er existiert, man allerdings in räumlicher Hinsicht auf Ihn nicht zeigen und Ihn nicht definieren (oder: beschreiben; ġayr munqasim bi-l-qawl) kann, Er sich weder innerhalb noch außerhalb der Welt befindet, sowie nichts anderes auf Ihn zutrifft, was [dem Gesagten] ähnlich ist, so hat er ihnen übermäßige Erschwernis auferlegt, ihnen ihre Religion verkompliziert, und mit etwas konfrontiert, was sich nicht auflösen lässt außer von demjenigen, dem [von Gott] Unterstützung und Erfolg gegeben wird. So jemand [aber] ist die Ausnahme [unter den Menschen] und es gibt davon nur wenige. [...] Auch schickt es keinen Menschen an, offenzulegen, dass er über eine Wahrheit verfügt, die er vor der Masse verbirgt. Sogar darf er nicht mal zulassen, dass etwas davon [durch andere] öffentlich gemacht wird. Vielmehr ist er dazu verpflichtet, ihnen die Herrlichkeit und Größe Gottes – des Erhabenen – mit Symbolen und Gleichnissen zu verdeutlichen, die unter ihnen auf Herrlichkeit und Größe weisen. Auch soll er ihnen damit diese Dinge beibringen, ich meine damit [das Wissen darüber], dass Er nicht seinesgleichen und keinen Partner hat und Ihm niemand ähnlich ist.271
268 Siehe Acar, Talking about God, 147. 269 Siehe ebd., 132ff. 270 Siehe hierzu aber auch allgemein zum Verhältnis zwischen Philosophie und Religion aus Sicht der falāsifa Michael Marmura, The Islamic Philosophers’ Conception of Islam, in: Richard Hovannisian/Jr. Speros Vryonis (Hrsg.), Islam’s Understanding of Itself, Malibu: Undena, 1983, 87–102 sowie Andrew March, Falsafa and Law, in: Anver Emon/Rumee Ahmed (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Law, Oxford: Oxford University Press, 2018 (online 2016), 146–175. 271 Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 365f.
58 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Die unter den falāsifa weit verbreitete Unterscheidung zwischen (philosophischer) Elite und ungebildeter Masse trifft bei Ibn Taymiyya auf starke Kritik. Seiner Meinung nach adressieren der Koran und die Prophetenworte die Muslime unabhängig von ihrem Wissens- und Bildungsstand gleichermaßen.272 Als besonders problematisch aus der Sicht späterer Theologen wurde Ibn Sīnās Aussage empfunden, dass Gott nur der Universalien, nicht aber der Partikularien kundig sei. So galt für al-Ġazālī z. B. diese Position der falāsifa neben zwei weiteren als Unglaube (kufr).273 Die jüngere Forschung ist jedoch geteilter Auffassung dazu, ob Ibn Sīnās Ausführungen zu dieser Thematik wirklich dahingehend zu verstehen sind, dass Gott die Partikularien nicht kennt.274 Die Denktradition der falsafa fand mit dem andalusischen Gelehrten Ibn Rušd (gest. 595/1198) ihren letzten großen Vertreter, wobei nochmalig betont werden soll, dass dies keineswegs für die Philosophie, die im islamischen Raum betrieben wurde, im Gesamten gilt. Für den Niedergang der falsafa können mehrere Gründe angegeben werden, darunter der abnehmende politische und gesellschaftliche Rückhalt, der sich besonders nach der Verdrängung der Buyiden durch die Seldschuken in den Jahren nach Ibn Sīnās Tod bemerkbar machte.275 Ein weiterer Faktor für die schwindende Akzeptanz der falsafa dürfte al-Ġazālīs Werk Tahāfut al-falāsifa gewesen sein, in welchem er, wie weiter oben erwähnt, drei Ansichten der falāsifa als unislamisch deklarierte. Ibn Sīnā hatte trotzdem einen enormen Einfluss auf al-Ġazālī. Das wird deutlich an dessen Standpunkten in der Ontologie, der Psychologie sowie der Prophetologie;276 Frank Griffel versteht al-Ġazālīs Theologie gar als „first successful fusion of Avicennism277 and Ashʿarite kalām“.278 Auch dass 272 Siehe zu seiner Kritik an der erwähnten Unterscheidung v.a. Michot, Commentary – Part I, 155–159 und die im Inhaltsverzeichnis angegebenen relevanten übersetzten Passagen (siehe 161–164); sowie von Kügelgen, Dialogpartner im Widerspruch, 461f., 474 und 476f. 273 Siehe Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 101–103. 274 Michael Marmura argumentiert dafür, dass dies zumindest für manche Partikularien gelte; siehe Michael Marmura, Some Aspects of Avicenna’s Theory of God’s Knowledge of Particulars, in: Journal of the American Oriental Society 82.3 (1962), 299–312. Rahim Acar hingegen meint, dass nach Ibn Sīnās Auffassung Gott ihrer ausnahmslos kundig sei; siehe Rahim Acar, Reconsidering Avicenna’s Position on God’s Knowledge of Particulars, in: Interpreting Avicenna. Science and Philosophy in Medieval Islam, Leiden und Boston: Brill, 2004, 142–156. 275 Siehe Frank Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Ġazālīs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktionen der Philosophen, Leiden, Boston und Köln: Brill, 2000, 186. 276 Siehe Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 7 mit der Endnote 20 auf S. 288. 277 Dieser Ausdruck ist abgeleitet von der latinisierten Form des Namens Ibn Sīnā, nämlich Avicenna. 278 Frank Griffel, Between al-Ghazālī and Abū l-Barakāt al-Baghdādī. The Dialectical Turn of Philosophy in Iraq and Iran during the Sixth/Twelfth Century, in: Peter Adamson (Hrsg.), In the Age
3.3 Die falāsifa | 59
sich unter vielen muslimischen Denkern die Ansicht durchgesetzt hat, dass die in der aristotelischen Logik vorgebrachten syllogistischen Schlusstechniken eine unverzichtbare Beweismethode in den Wissenschaften darstellen, ist al-Ġazālī zuzuschreiben.279 Im Zuge dieser Entwicklung wurde das Organon280 des Aristoteles ab dem 6./12. Jahrhundert als Propädeutikum in die Curricula der theologischen Medressen aufgenommen.281 In dieser Zeit verfasste der Philosoph Abū l-Barakāt al-Baġdādī (gest. ca. 560/1165) das erste bekannte Werk, das die Ansichten der falāsifa denen anderer Denkströmungen, darunter auch die ašʿaritischen, mit dem Ziel gegenüberstellt, diese untereinander abzuwägen und das aus seiner Sicht Plausibelste zu favorisieren.282 Dass gewichtige Elemente aus der Tradition der falsafa eindeutig in die des kalām inkorporiert wurden, zeigt sich später bei dem Ašʿariten Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1210), der nun Kommentarwerke zu den Schriften Ibn Sīnās verfasst.283 Trotz der massiven Kritik Ibn Taymiyyas an der Denktradition der falsafa im Allgemeinen und der aristotelischen Logik sowie der damit einhergehenden Ontologie im Speziellen konnte er diese geistesgeschichtliche Entwicklung nicht aufhalten. Vielmehr dürfte er sogar selbst in manchen seiner Positionen vom Denken der falāsifa, darunter Ibn Sīnā und Ibn Rušd, beeinflusst sein.284
of Averroes. Arabic Philosophy in the Sixth/Twelfth Century, London: The Warburg Institute, 2011, 45–75, hier 47. 279 Siehe Dominik Perler/Ulrich Rudolph, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Logik und Theologie. Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter, Leiden: Brill, 2005, 1–16, hier 8. 280 Unter dem Organon (Werkzeug) werden sieben Schriften subsumiert. Die erste ist die Isagoge (Einführung) des Porphyrios (gest. nach 300 n. Chr.), die anderen sechs gehen auf Aristoteles zurück und sind unter den folgenden Titeln bekannt: Kategorien, Hermeneutik, Topik, Sophistische Widerlegungen, Erste Analytiken sowie Zweite Analytiken. 281 Siehe D’Ancona, Aristotle and Aristotelianism, 156a. 282 Siehe Griffel, Between al-Ghazālī and Abū l-Barakāt al-Baghdādī, 64. 283 Ayman Shihadeh geht sogar soweit, ihn als den ersten Vertreter einer “‘Islamic Philosophy’” zu sehen. Damit meint Shihadeh, dass ar-Rāzī eine Synthese aus falsafa und kalām erarbeitet hatte, die hernach im Einklang mit der Orthodoxie gesehen wurde und zugleich der Tradition der falsafa nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand; siehe Ayman Shihadeh, From al-Ghazālī to al-Rāzī. 6th/12th Century Developments in Muslim Philosophical Theology, in: Arabic Sciences and Philosophy 15 (2005), 141–179, hier 178. 284 Siehe Jon Hoover, Ibn Taymiyya as an Avicennan Theologian: A Muslim Approach to God’s SelfSufficiency, in: Theological Review XXVII.1 (2006), 34–46; und Saʿd, Mawqif Ibn Taymiyya. Siehe zu dem Verhältnis zwischen Ibn Taymiyya und der Tradition der falsafa die in obiger Fußnote 241 angegebene Literatur.
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3.4 Die ahl al-ḥadīṯ In der Generation al-Kindīs formiert sich die Bewegung der sogenannten ahl alḥadīṯ, ein Ausdruck, der meist mit Traditionalisten übersetzt wird.285 Sie sehen sich als Anhänger und Bewahrer der Sunna, welche konzeptuell durch aš-Šāfiʿī (gest. 204/820) auf die Aussagen und Praktiken des Propheten Muḥammad, die über die Prophetenworte (Sing.: ḥadīṯ) überliefert werden, verengt wurde.286 Oft werden die ahl al-ḥadīṯ mit der ḥanbalitischen Schule assoziiert.287 Tatsächlich gibt es hier einen Zusammenhang, der über die Jahrhunderte immer deutlicher zum Vorschein trat. Jedoch ging die Zugehörigkeit zu den ahl al-ḥadīṯ keineswegs damit einher, einer oder einer bestimmten Rechtsschultradition verbunden zu sein. Die einigenden Elemente waren vielmehr die Ablehnung des kalām, dessen Anhänger man als mubtadiʿa (Leute, die unerlaubte Neuerungen in die Religion einführen) klassifizierte, sowie eine Methodik in der Theologie, die sich zuallererst am Offenbarungstext orientierte. Damit waren sie die direkten Widersacher der mutakallimūn, welche ihrerseits – und das schon mindestens seit Abū l-Huḏayl – die ahl al-ḥadīṯ bezichtigten, sich des tašbīh, also der Verähnlichung Gottes mit Seiner Schöpfung, schuldig zu machen.288 Darüber hinaus bezeichneten sie die Traditionalisten mit dem pejorativen Ausdruck ḥašwiyya (von ḥašā: füllen oder ausstopfen), der ausdrücken soll, dass sie ihre Werke mit lauter schwachen Überlieferungen füllen und diese als gültige Argumente zur Stärkung ihrer Position erachten.289 Auch wenn dies tatsächlich auf manche Werke der ahl al-ḥadīṯ zutreffen mag,290 handelt es sich dabei allerdings um eine unzulässige Verallgemeinerung, die noch in der europäischsprachigen Forschung im Zuge ihrer problematischen Rezeption 285 Zu ihnen siehe z. B. Binyamin Abrahamov, Islamic Theology. Traditionalism and Rationalism, Edinburgh: Edinburgh University Press, 1998. 286 Siehe George Makdisi, The Rise of the Colleges. Institutions of Learning in Islam and the West, Edinburgh: Edinburgh University Press, 1981, 7. 287 Siehe zu dieser Schule v. a. die zahlreichen Beiträge von Henri Laoust und George Makdisi wie z. B. die ausführliche Einleitung des Hrsg. bei Abū ʿAbdallāh Ibn Baṭṭa, La Profession de foi d’Ibn Baṭṭa, hrsg., übers. und mit einer Einl. vers. von Henri Laoust, Damaskus: Institut français de Damas, 1958; sowie Makdisi, Ibn ʿAqīl. Siehe auch Jon Hoover, Ḥanbalī Theology, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 625–659, und die dortigen Nachweise. 288 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 3/270. 289 Siehe Jon Hoover, Ḥashwiyya, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2016 (5), 86a–87, hier 86. 290 So echauffiert sich z. B. Ibn Taymiyya, der sich selbst als den ahl al-ḥadīṯ zugehörig begreift, über mehrere Autoren dieser Richtung, darunter den bekannten Gelehrten ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Mandah (gest. 470/1078), da er ihnen vorwirft, dass sie in ihren Werken lauter schwache Prophetenworte angeführt haben; siehe Aʿlā, MF 16/432–435.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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der ahl al-hadīṯ im Allgemeinen und der Ḥanbaliten im Besonderen einen Nachhall gefunden hat. Einflussreiche Orientalisten wie z. B. Ignaz Goldziher (gest. 1921) haben nachhaltig das Bild der Ḥanbaliten geprägt, welche sie meist aufbauend auf den Werken ihrer Gegner, v. a. denen der Ašʿariten, studierten und dabei als eine besonders reaktionäre, fanatische und aggressive Strömung des Islams beschrieben, welche nur von marginaler Bedeutung gewesen sei.291 Es waren v. a. die Arbeiten von Henri Laoust (gest. 1983) und seinem Schüler George Makdisi (gest. 2002), die dazu beigetragen haben, dieses schiefe Bild zu korrigieren. Darüber hinaus hat Sherman Jackson aufgezeigt, dass die in der Forschung verbreitete dichotome Verwendungsweise der Ausdrücke Rationalismus und Traditionalismus irreführend ist.292 Er argumentiert dafür, besser von „different traditions of reason“ zu sprechen.293 Er zitiert mehrfach Binyamin Abrahamov, der meint, dass es in der islamischen Theologie Traditionalismen in Reinform gegeben habe, in dem Sinne, dass man sich in Bezug auf die Herleitung der Grundlagen des Islams ausschließlich auf die Überlieferungen stützte, die auf den Propheten, seine Gefährten und deren Schüler zurückgingen, ohne dabei auch nur in irgendeiner Form von der Vernunft Gebrauch zu machen.294 Jackson widerlegt diese Sicht, indem er auf mehreren Seiten überzeugend dafür argumentiert, dass selbst die extremste Form des Traditionalismus niemals aus einer bloßen Weitergabe des überlieferten Materials besteht, sondern geprägt ist durch einen Prozess von „evaluation, amplification, suppression, refinement, and assessing the polarity between would-be tradition and indigenous innovations and/or non-indigenous ideas and practices“.295 Auf der anderen Seite, so Jackson weiter, stehen die sogenannten rationalistischen Strömungen ebenfalls in bestimmten Traditionen, wie z. B. dem des Neuplatonismus, durch welche sich ein bestimmtes Verständnis von Vernünftigkeit konstituiert. Alles, was außerhalb des durch diese Traditionen vorgegebenen Rahmens liegt, wird sodann als Irrationalität abgestuft. So schreibt Jackson: [...] there is no necessary contradiction between ‘reason’ and the ostensibly anthropomorphist doctrines of the Traditionalists. The only contradiction that exists is between these doctrines
291 Siehe George Makdisi, L’Islam hanbalisant, Nachdr. zweier Artikel, erstm. veröffentl. 1974 und 1975, Paris: Geuthner, 1983, 8–24; ders., Ibn ʿAqīl, 12f.; und auch Hoover, Ḥanbalī Theology, 625. 292 Siehe Sherman Abdul Hakim Jackson, On the Boundaries of Theological Tolerance in Islam. Abū Ḥāmid al-Ghazālī’s Fayṣal al-Tafriqa Bayna al-Islām wa al-Zandaqa, Oxford und New York: Oxford University Press, 2002, 16–29. 293 Siehe ebd., 17, Kursivierung im Original. 294 Siehe ebd., 17f. Die von ihm zitierten Stellen sind zu finden bei Abrahamov, Islamic Theology, ix und x. 295 Jackson, Boundaries, 26.
62 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas
and the Rationalists’ construction of the Aristotelian-Neoplatonic tradition. Otherwise [...] it might be no more unreasonable to affirm God’s mounting on the Throne, or His descending to the lower heavens in the last third of the night or His laughing at His penitent servant, than it would be to negate these doctrines or to explain them away.296
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde auf den Gebrauch der Ausdrücke Rationalismus und Traditionalismus zwar nicht verzichtet, es sollte aber immer bedacht werden, dass sie dabei konzeptuell nicht als sich gegenseitig ausschließende Kategorien erachtet werden. Nach diesen einleitenden Ausführungen zur Strömung der ahl al-ḥadīṯ, ihrer Rezeption und der relevanten zu ihr in Bezug stehenden Terminologie soll nun im Folgenden der Fokus auf ihren Gottesvorstellungen liegen, insbesondere auf denen der Ḥanbaliten. Die Grundhaltung der ahl al-ḥadīṯ in der Frage zu den Attributen Gottes wird in konziser Form in einer Passage im Kitāb at-Tawḥīd des Abū Bakr Ibn Ḫuzayma (gest. 311/924) wiedergegeben. Nicht nur war er selbst Anhänger dieser Richtung, er hatte auch, da er bereits 223/834 geboren wurde, bei vielen ihrer bekannten Vertreter des 3./9. Jahrhunderts studieren können.297 Sein eben angeführtes Werk, das unter den ahl al-ḥadīṯ zu einer vielzitierten Referenz wurde, wird einige Jahrhunderte später der durch das Muʿtazilitentum und die falsafa beeinflusste Ašʿarit Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1210) abfällig mit den Worten kommentieren, Ibn Ḫuzayma hätte es doch besser nicht Kitāb at-Tawḥīd (Buch über die Einsheit Gottes), sondern Kitāb aš-Širk (Buch über die Vielgötterei) nennen sollen.298 Aber auch Ibn Ḫuzayma war dem kalām gegenüber äußerst feindselig eingestellt. So drängte er zwei seiner Schüler wegen ihrer Ansichten zur Rede Gottes, die mit denen der später entstehenden ašʿaritischen Schule im Einklang stehen, öffentlich Reue zu bekunden.299 In dem genannten Werk nun schreibt Ibn Ḫuzayma das Folgende im Kontext seiner Ausführungen zu den koranischen Versen, die Gott ein Gesicht (waǧh) zusprechen:300 296 Jackson, Boundaries, 23f. In den im Zitat ausgelassenen Stellen verweist Jackson auf die Philosophie von Charles Hartshorne (gest. 2000), von der er sich bei diesen Ausführungen inspirieren ließ. 297 Siehe Fuat Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, 15 Bde., Leiden: Brill, 1967–2010, 1/601. 298 Siehe Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, at-Tafsīr al-kabīr aw Mafātīḥ al-ġayb, 32 Bde., Kairo: Maktabat al-Kulliyyāt al-azhariyya, 1934–64, 27/582. 299 Siehe Yasir Qadhi, Salafī-Ashʿarī Polemics of the 3rd & 4th Islamic Centuries, in: The Muslim World 106 (2016), 433–447, hier 443f. 300 Siehe z. B. Koran 55:27.
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Unsere Lehre (maḏhab) und auch die aller unserer Gelehrten aus dem Hedschas, Tihāma, dem Yemen, dem Irak, der Levante (aš-Šām) und aus Ägypten lautet wie folgt: Wir schreiben Gott alles das zu, was Er Sich Selbst zugeschrieben hat. Wir erkennen es mit Worten an, und wir erachten es in unserem Inneren als wahr, und zwar ohne dass wir deswegen das Gesicht Gottes mit dem Gesicht einer der Geschöpfe vergleichen, [denn] unser Herr ist erhaben darüber, den Geschöpfen zu ähneln. Auch steht Er über den Aussagen der Leugner der göttlichen Attribute und über der Aussage, dass Er nicht-existent sei, so wie das die Schwätzer behaupten. [Denn sie sagen, dass Gott keine Eigenschaften habe.] Was aber keine Eigenschaft hat, das ist etwas Nicht-Existentes. Gott ist erhaben über das, was die Ǧahmiten sagen, welche die Eigenschaften unseres Schöpfers leugnen, mit denen Er Sich im Koran und vermittelt über die Worte des Propheten Muḥammad – möge der Frieden und Segen Gottes mit ihm sein – beschrieben hat [...].301
Mit dem Begriff Ǧahmiten sind wohl zuallererst die Muʿtaziliten gemeint, welche zu den einflussreichsten Widersachern der ahl al-ḥadīṯ in der Zeit der sogenannten miḥna (wörtlich: Heimsuchung oder Prüfung) gehörten. Dieser Ausdruck referiert auf eine in den Jahren 218–237/833–851 stattfindende Auseinandersetzung zwischen den abbasidischen Herrschern – beginnend mit al-Maʾmūn (reg. 198– 218/813–833) – auf der einen Seite und den traditionalistischen Theologen auf der anderen. Im Vordergrund stand die Frage, ob der Koran erschaffen ist oder nicht;302 im Kern ging es aber wohl darum, ob die politischen Machthaber oder aber die Religionsgelehrten die Deutungshoheit in religiösen Dingen beanspruchen dürfen.303 Waren es bislang die Gelehrten, die auf Basis der Autorität überlieferter Texte religiöse Doktrinen formulierten, so sollte nun das vernunftgeleitete Urteil des Kalifen zum einzigen Maßstab für die Beantwortung religiöser Fragen erhoben werden.304 Das Credo von der Erschaffenheit des Korans (ḫalq al-Qurʾān), das die 301 Abū Bakr Ibn Ḫuzayma, Kitāb at-Tawḥīd wa-iṯbāt ṣifāt ar-Rabb ʿazza wa-ǧalla, hrsg. von ʿAbd al-ʿAzīz aš-Šahwān, Riad: Dār ar-Rušd, 1988, 1/26f. 302 Siehe hierzu das Kapitel 10.2. 303 Lange erachtete die Forschung diese Auseinandersetzung als den Höhepunkt eines schon länger andauernden Machtkampfes zwischen der politischen und der religiösen Elite. Dieser These wird jedoch zunehmend widersprochen. Siehe die kritische Besprechung der Sekundärliteratur zu der Thematik in Scott Lucas, Constructive Critics, Ḥadīth Literature, and the Articulation of Sunnī Islam. The Legacy of the Generation of Ibn Saʿd, Ibn Maʿīn, and Ibn Ḥanbal, Leiden und Boston: Brill, 2004, 192–202. Siehe zur miḥna allgemein John Nawas, Al-Maʾmūn, the Inquisition, and the Quest for Caliphal Authority, Atlanta: Lockwood Press, 2015, sowie die dort angegebene weitere Literatur und auch Nawas’ Antwort auf die Kritik, die Lucas gegenüber einer früheren seiner Publikationen zu dem Thema vorgebracht hat (S. 75f., Fußnote 110). 304 Siehe Dimitri Gutas, Die Wiedergeburt der Philosophie und die Übersetzungen ins Arabische, in: Ulrich Rudolph (Hrsg.), Philosophie in der Islamischen Welt: 8.-10. Jahrhundert, Basel: Schwabe, 2012, 55–91, hier 60. Es gibt in der Forschung aber auch Gegenstimmen, die andere Motive hinter der miḥna vermuten; siehe hierzu Nimrod Hurvitz, al-Maʾmūn (r. 198/813-218/833), in: Sabine
64 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Abbasiden in dieser Zeit zu einer Staatsdoktrin erhoben, eignete sich als Aufmacher besonders gut, da es vor allem von den Gelehrten abgelehnt wurde, die eine Aufwertung der religiösen Macht der Kalifen ablehnten.305 Obgleich die abbasidischen Herrscher inquisitorische Mittel bei der Durchsetzung ihres Standpunktes verwendeten, endete diese Periode mit einem Sieg der Gelehrtenschaft, allen voran der ahl al-ḥadīṯ.306 Ein enormer Zuwachs an Ansehen und Bekanntheit wurde in diesem Zuge dem Namensgebeber der ḥanbalitischen Schule, Aḥmad Ibn Ḥanbal (gest. 241/855), zuteil, da er laut der islamischen Geschichtsschreibung trotz Inhaftierung und Folter am Standpunkt der ahl al-ḥadīṯ, dass der Koran unerschaffen ist, eisern festgehalten haben soll.307 Was das Gottesbild Ibn Ḥanbals betrifft, so hat Wesley Williams in einem Artikel von 2002 zu zeigen versucht, dass es klar anthropomorphistisch ist.308 Diese Behauptung ist aus meiner Sicht unhaltbar. Bevor ich dies begründe, seien noch folgende Ausführungen bezüglich der Quellenlage vorgebracht: Henri Laoust identifizierte in dem Werk Ṭabaqāt al-ḥanābila des Ḥanbaliten Ibn Abī Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ (gest. 526/1133) sechs Glaubensbekenntnisse (Sing.: ʿaqīda; ab hier: GB), die alle Ibn Ḥanbal zugeschrieben werden.309 Er merkt an, dass die Authentizität dieser Schriften noch geklärt werden muss, sie jedoch zumindest als Zeugnisse des frühen Ḥanbalitentums gelten dürfen.310 Trotzdem wurden auf der Grundlage aller sechs Traktate, sowie darüber hinaus auch auf der des Werkes ar-Radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-z-zanādiqa, von vielen Autoren in der Sekundärliteratur, darunter Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 649–659, v. a. 650f. 305 Siehe Griffel, Apostasie und Toleranz, 114. Weitere Gründe dafür, warum gerade die Frage des ḫalq al-Qurʾān in den Vordergrund gestellt wurde, finden sich ausgeführt bei Nawas, Maʾmūn, 67–69. 306 Die Religionspolitik der Abbasiden in den Jahrzehnten nach der miḥna behandelt Christopher Melchert, Religious Policies of the Caliphs from al-Mutawakkil to al-Muqtadir, A.H. 232-295/A.D. 847-908, in: Islamic Law and Society 3.3 (1996), 316–342. 307 In der europäischsprachigen Forschung besteht Uneinigkeit darüber, ob Ibn Ḥanbal nicht doch noch unter der Folter die Erschaffenheit des Korans bestätigt hat; siehe hierzu Lucas, Constructive Critics, 211f., Fußnote 200. 308 Siehe Wesley Williams, Aspects of the Creed of Imam Ahmad Ibn Hanbal. A Study of Anthropomorphism in Early Islamic Discourse, in: International Journal of Middle East Studies 34.3 (2002), 441–463. 309 Siehe Henri Laoust, Les premières professions de foi Hanbalites, in: Mélanges Louis Massignon, Bd. 3, Damaskus: Institut français de Damas, 1957, 7–35, hier 12–14. Die sechs GB sind zu finden bei Ibn Abī Yaʿlā l-Farrāʾ, Ṭabaqāt al-ḥanābila, hrsg. von Muḥammad Ḥāmid al-Faqqī, 2 Bde., Kairo: as-Sunna al-muḥammadiyya, 1952, 1/24–36 (GB I); 1/130f. (GB II); 1/241–246 (GB III); 1/294f. (GB IV); 1/311–313 (GB V); 1/341–345 (GB VI). 310 Siehe Laoust, Premières professions, 14.
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auch Wesley Williams, versucht, die theologischen Ansichten Aḥmads darzustellen.311 Saud al-Sarhan konnte in seiner Dissertation aus dem Jahre 2011 jedoch gewichtige Argumente gegen die Autorschaft Aḥmads vorlegen, und zwar sowohl hinsichtlich der sechs GB wie auch des Radd. Er zeigte auf, dass die Autorschaft bezüglich manchen dieser Schriften als widerlegt, bezüglich anderen als höchst zweifelhaft zu bezeichnen ist.312 Aber selbst wenn die genannten Traktate tatsächlich die theologischen Positionen Aḥmads wiedergeben sollten, ändert dies nichts daran, dass Williams’ erwähnte Behauptung wenig überzeugend ist. Um zu zeigen, dass Aḥmad Gott eine menschliche Form zugesprochen hat und er damit ein Anthropomorphist im engeren Sinne war, verweist er auf mehrere Prophetenworte, deren Authentizität von Aḥmad anerkannt wurden. In all diesen wird Gott eine Form (ṣūra) zugesprochen. So heißt es z. B., dass Gott den Propheten Ādam gemäß Seiner Form erschaffen hat (ḫalaqa llāh Ādam ʿalā ṣūratihī),313 oder auch, dass der Prophet Muḥammad Gott in der allerbesten Form (fī aḥsan ṣūra) oder, noch detaillierter, gar als Jüngling mit krausem Haar erblickt hat.314 Bei Letztgenanntem handelt es sich um ein Traumgesicht, das der Prophet gehabt haben soll. Williams argumentiert indes dafür, dass die Träume der Propheten nach muslimischer Überzeugung wahr sind und Gott damit für sie tatsächlich die Gestalt eines Jünglings zukommt. Ob dies Aḥmad auch so gesehen hat, bleibt spekulativ. Zumindest der ḥanbalitische Gelehrte Ibn al-Ǧawzī (gest. 597/1201) erklärt in einem ähnlichen Kontext, dass derlei Träume inhaltlich wahr sind, die Gestalten und Formen, in denen sie auftreten, jedoch dem Träumer selbst entstammen.315 Auch der ašʿaritische Gelehrte as-Suyūṭī (gest. 911/1505), dem man sicherlich nicht nachsagen kann, ein Anthropomorphist gewesen zu sein, sieht kein Problem darin, dass der Prophet Gott als einen Jüngling mit krausem Haar gesehen haben soll, und zwar selbst dann nicht, wenn sich dies 311 Siehe Saud Saleh al-Sarhan, Early Muslim Tradition. A Critical Study of the Works and Political Theology of Aḥmad Ibn Ḥanbal, University of Exeter: unveröffentl. Dissertation, 2011, 32. 312 Siehe ebd., 32–54. Zu dem Werk Radd siehe auch in vorliegender Arbeit S. 234. 313 Dieses Teilstück eines längeren Prophetenwortes findet sich in vielen Ḥadīṯ-Sammelwerken, darunter in dem von al-Buḫārī; siehe Muḥammad Ibn Ismāʿīl al-Buḫārī, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, 3 Bde., Vaduz: Thesaurus Islamicus Foundation, 2000, 3/1267f. (Kitāb #79, Bāb #1, Ḥadīṯ #6299). Es sei noch angemerkt, dass es stark umstritten ist, ob sich das Pronomen in dem Ausdruck ṣūratihī auf Gott bezieht oder nicht. Für die Behandlung der vorliegenden Thematik ist dies aber nicht weiter relevant. 314 Siehe Williams, Aspects of the Creed, 443, 444f. und 445f. 315 Siehe Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism. Ibn al-Jawzī’s Kitāb Akhbār aṣ-Ṣifāt, hrsg., übers., erläut. und mit einer Einl. vers. von Merlin Swartz, Leiden, Boston und Köln: Brill, 2002, 46 (im arab. Text).
66 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas außerhalb eines Traumes ereignet haben sollte.316 Was die Aussage betrifft, dass der Prophet Muḥammad Gott in der allerbesten Form erblickt habe, so wurde auch dies zumeist als ein Hinweis auf einen Traum gedeutet. Williams bringt allerdings starke Argumente dafür, dass Aḥmad dieser Interpretation nicht folgte. Daraus lässt sich jedoch nur schließen, dass Aḥmad Gott eine Form zugesprochen hatte, was sich auch bereits aus dem erstgenannten Prophetenwort, nach welchem Gott Ādam gemäß Seiner Form erschaffen habe, ergeben hatte. Selbiges vertrat auch der etwa 30 Jahre nach Aḥmad verstorbene traditionalistische Gelehrte Ibn Qutayba (gest. 276/889), der seine Ausführungen zu dieser Thematik wie folgt abschließt: Meiner Meinung nach, und Gott ist wissender, gilt folgendes: Eine Form [Gott zuzuschreiben] ist nicht erstaunlicher als [Ihm] zwei Hände,317 Finger318 und ein Auge319 [zuzuschreiben] [...]. Wir haben Gewissheit bezüglich aller [dieser Attribute] und äußern uns bei keinem von diesen bezüglich [deren] Modalität (kayfiyya) oder bezüglich einer [weiteren] Bestimmung (ḥadd).320
Die Grundhaltung, dass die Modalität des göttlichen Wesens, Seiner Attribute und Seiner Handlungen den Geschöpfen unbekannt ist und daher nicht erörtert werden darf, ist unter dem Terminus balkafa bekannt geworden. Dies wird im Folgenden noch weiter ausgeführt. Zuvor soll noch Williams Behauptung, dass Aḥmad dieser Grundhaltung nicht anhing, überprüft werden. Zu dieser Sicht gelangt Williams aufbauend auf der Beobachtung, dass weder in den sechs GB, noch im Radd Aussagen zu finden seien, die auf das balkafa-Prinzip verweisen.321 Anders als von Williams behauptet, gibt es im Radd indes eine Passage, in der nach einer Aufzählung dreier Attribute Gottes angefügt wird, dass diese anzunehmen sind, ohne deren Wann oder deren Wie zu erörtern (lā matā wa-lā kayfa).322 Außerdem hatte Ibn Ḥanbal verboten, dass man göttliche Attribute wie z. B. das der Hand erwähnt und währenddessen auf seine eigene Hand zeigt.323 Es stellt sich nun die 316 Siehe Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī, al-Laʾāliʾ al-maṣnūʿa fī l-aḥādīṯ al-mawḍūʿa, hrsg. von Ṣāliḥ ʿUwayḍa, 2 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 1996, 1/34 Z.23–25. 317 Eine derartige Beschreibung findet sich z. B. in Koran 38:75. 318 Diese Beschreibung wird in einigen Prophetenworten vorgebracht; siehe unten, Fußnote 412. 319 Siehe z. B. Koran 54:14. 320 Abū Muḥammad Ibn Qutayba, Taʾwīl muḫtalif al-ḥadīṯ, hrsg. von Salīm Ibn ʿĪd al-Hilālī, mit Erläut. von ʿUmar Ibn Maḥmūd Abū ʿUmar, Riad und Kairo: Dār Ibn al-Qayyim und Dār Ibn ʿAffān, 2009, 415. 321 Siehe Williams, Aspects of the Creed, 448f. 322 Siehe Aḥmad Ibn Ḥanbal (Pseudo), ar-Radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-z-zanādiqa, hrsg. von Daġaš Ibn Šubayb al-ʿAǧmī, Kuwait: Ġarās, 2005. 323 Siehe Livnat Holtzman, Anthropomorphism, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2011 (4), 46b–55a, hier 49b–50a.
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Frage, wieso das Zeigen auf die eigene Hand als eine erklärende Maßnahme nicht erlaubt sein sollte, wenn Williams’ Behauptung korrekt ist, dass Aḥmad sich Gott in einer menschlichen Form vorgestellt hatte. Befremdlich ist, dass Williams nun auch den Muʿtaziliten ʿAmr Ibn Baḥr alǦāḥiẓ (gest. 255/869) sowie den Zayditen al-Qāsim Ibn Ibrāhīm ar-Rassī (gest. 246/860) als Zeugen für einen angeblich unter den Traditionalisten weit verbreiteten Anthropomorphismus anführt.324 Dass diese beiden Denker dies so gesehen haben, ist wenig verwunderlich; ihre Aussagen können jedoch nicht als eine neutrale Beschreibung traditionalistischer Theologie herangezogen werden. Sollten derartige Fremdzuschreibungen ein gültiges Argument darstellen, könnten auch die Muʿtaziliten aufbauend auf der Sicht Ibn Sīnās als Anthropomorphisten identifiziert werden.325 Das weiter oben bereits angesprochene balkafa-Prinzip ist vom Gedanken her schon sehr alt, tritt in dem formelhaft vorgetragenen Ausdruck des bi-lā kayfa (ohne ein Wie) jedoch erst in der zweiten Hälfte des 3./9. Jahrhunderts in Erscheinung.326 Abrahamov hat verschiedene Bedeutungen herausgearbeitet, die alle durch das bi-lā kayfa, so wie es von den Traditionalisten verwendet wurde, ausgesagt werden. Dazu gehört, dass der tašbīh verneint wird, und zwar in dem Sinne, dass Gott weder ein Körper ist noch über eine körperliche Form verfügt. Darüber hinaus bezieht es sich auch darauf, dass alle Attribute Gottes als gleichermaßen real anerkannt werden müssen und nicht allegorisch umgedeutet werden dürfen.327 Einige wenige Autoren in der Sekundärliteratur, beginnend mit Joseph Schacht, vertreten jedoch die These, dass das balkafa-Prinzip in der Art, wie es von den Traditionalisten verwendet wurde, lediglich zum Ausdruck bringen soll, dass man theologische Überzeugungen nicht durch auf der Vernunft basierende Beweisverfahren untermauern dürfe. Damit sei es abzugrenzen von der Verwendungsweise der balkafa wie sie bei den Ašʿariten üblich war.328 Der wichtigste Unterschied in 324 Siehe Williams, Aspects of the Creed, 453. 325 Siehe Abū ʿAlī Ibn Sīnā, at-Taʿlīqāt, hrsg. von ʿAbd ar-Raḥmān Badawī, Kairo: al-Hayʾa almiṣriyya al-ʿāmma li-l-kitāb, 1973, 52 Z.17ff. 326 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/418. 327 Siehe Binyamin Abrahamov, The Bi-Lā Kayfa Doctrine and Its Foundations in Islamic Theology, in: Arabica 42.3 (1995), 365–379, hier 366f. 328 Diese Interpretation erscheint mir unplausibel. Ich habe sie in der folgenden Literatur vorfinden können, jeweils mit nur äußerst knapper oder gar keiner Begründung: Joseph Schacht, New Sources for the History of Muhammadan Theology, in: Studia Islamica 1 (1953), 23–42, hier 34; Jan Thiele, Between Cordoba and Nīsābūr. The Emergence and Consolidation of Ashʿarism (Fourth-Fifth/Tenth-Eleventh Century), in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 225–241, hier 228; sowie Schmidtke, Rationale Theologie, 179.
68 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas den Verwendungsarten des balkafa-Prinzips scheint mir indes darin zu liegen, ob damit das Wie der Attribute Gottes verneint wird oder aber lediglich das Wissen der Geschöpfe über dieses Wie.329 Ersterem hängen diejenigen an, die meinen, dass Gott über keine Form (ṣūra) verfügt. Damit hat z. B. die Hand Gottes nicht nur keine den Geschöpfen ähnelnde, sondern überhaupt keine Form. So schreibt z. B. der ašʿaritische Ḥadīṯ-Gelehrte Abū Sulaymān al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/998): „Wovon wir und auch alle anderen Muslime überzeugt sein müssen, ist, dass Gott über keine Form (ṣūra) oder Gestalt (hayʾa) verfügt, denn eine Form impliziert notwendigerweise eine Wieheit (kayfiyya), diese ist jedoch in Bezug auf Gott und Seine Attribute zu verneinen.“330 Ähnlich sieht das sein Zeitgenosse und ašʿaritischer Schulkollege al-Bāqillānī (gest. 403/1013), wenn er schreibt: „Wenn nun einer fragt: Wie ist Gott (kayfa huwa)?‘ So wird ihm gesagt, dass, wenn er unter einer kayfiyya ’ versteht, dass Gott zusammengesetzt ist, über eine Form verfügt und einen Genus hat, Ihm weder eine Form noch ein Genus zukommt und wir dich daher nicht über diese unterrichten [können].“331 Bezüglich der ašʿaritischen Schule ergab die Sichtung mehrer Werke unterschiedlicher Autoren, dass dies wohl zumindest die Mehrheitsposition gewesen sein dürfte.332 Damit stehen sie im Gegensatz zu den Traditionalisten, unter denen Ansicht verbreitet war, dass Gott sehr wohl eine Form zukommt. Beispielhaft sei hier auf die Position Aḥmads und Ibn Qutaybas verwiesen, die weiter oben bereits besprochen wurde. Darüber hinaus verteidigte auch der ein Jahrhundert später lebende einflussreiche ḥanbalitische Theologe Ibn Baṭṭa (gest. 387/997) diesen Standpunkt.333 Die Meinungsverschiedenheit, ob Gott über ein Wie verfügt, drückt sich auch in den verschiedenen Versionen eines dem bekannten Gelehrten Mālik Ibn Anas (gest. 179/796) zugeschriebenen Diktums aus. Die Überlieferungen stimmen darin überein, dass ein Mann zu Mālik in die Prophetenmoschee von Medina mit der Frage kam, wie sich Gott über Seinen Thron erhoben hat (istawā). Dies soll Mālik so verärgert haben, sodass er ihn aus der Moschee entfernen ließ, wobei er ihm zuvor noch eine kurze Antwort 329 Dieser Unterschied findet sich auch angedeutet in den Ausführungen bei Richard Frank, Elements in the Development of the Teaching of al-Ashʿarī, in: Le Muséon 104 (1990), 141–190, nachgedr. als Teil VI mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Early Islamic Theology. The Muʿtazilites and al-Ashʿarī, Bd. II, Aldershot: Ashgate, 2007, hier 155–162. 330 Abū Sulaymān al-Ḫaṭṭābī, Aʿlām al-ḥadīṯ fī šarḥ Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, hrsg. von Muḥammad Ibn Saʿd, 4 Bde., Mekka: Umm al-Qurā Universität, 1988, 1/529. 331 Abū Bakr Muḥammad al-Bāqillānī, Kitāb at-Tamhīd, hrsg. von Richard McCarthy, Beirut: al-Maktaba aš-šarqiyya, 1957, 264 Z.7f. 332 Dieser Eindruck wird auch durch Franks Behandlung der Thematik bestätigt; siehe Frank, Elements in the Development, 155–160, v. a. 155–158 mit den Fußnoten 35–41. 333 Siehe Ibn Baṭṭa, Profession, 57 Z.9–13.
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gab, die inhaltlich aus drei Punkten besteht. Zwei dieser Punkte gleichen sich in den verschiedenen Versionen der Überlieferung zwar nicht im Wortlaut, aber doch vom Inhalt her. Diese besagen, dass erstens Gottes Erhebung über den Thron bekannt ist und dass zweitens die Frage nach der Art und Weise, wie sich diese Erhebung vollzogen hat, eine unerlaubte Neuerung in der Religion (bidʿa) darstellt. Der dritte Punkt wird – je nach Version – überliefert in dem Sinne, dass das kayfa der göttlichen Erhebung unbekannt (maǧhūl)334 oder aber nicht intelligibel (ġayr maʿqūl)335 ist oder aber der Erhebung überhaupt kein Wie zukommt (wa-kayfa ʿanhu marfūʿ).336 Alle drei Versionen lassen sich so lesen, dass Mālik ein Vertreter der balkafa-Doktrin war. Nach den beiden erstgenannten Versionen verstand er aber wohl darunter, dass Gott über eine Wieheit verfügt, die den Geschöpfen jedoch unbekannt ist; gemäß der letztgenannten hat Mālik die Wieheit wohl an sich verneint. Ebenfalls zwei Meinungen, wobei auch hier jeweils Mālik als Gewährsmann herangezogen wurde, gibt es hinsichtlich der Frage, ob die Bedeutung der Gottesbeschreibungen, die entweder eine Körperlichkeit oder eine Örtlichkeit Gottes auszudrücken scheinen, gewusst werden kann oder nicht. Die Methode, bei der dies verneint wird, ist bekannt als tafwīḍ (Überlassung; d. h. das Wissen über die Bedeutung wird allein Gott überlassen).337 Beispielhaft sei dies an der Beschreibung Gottes erläutert, nach der Er über ein yad verfügt. Dieser Ausdruck hat im Arabischen mehrere Bedeutungen, wird aber meist im Sinne von Hand benutzt. Demgemäß steht für den Gegner des tafwīḍ fest, dass Gott eine Hand hat. Insofern es sich bei diesem nicht um einen Anthropomorphisten handelt, wird dann zu 334 Siehe Ibn ʿAbd al-Barr, at-Tamhīd li-mā fī l-Muwaṭṭaʾ min al-maʿānī wa-l-asānīd, hrsg. von Muḥammad al-Falāḥ u. a., 26 Bde., Rabat: al-Awqāf al-maġribiyya, 1967–92, 7/138. 335 Siehe Abū Nuʿaym al-Iṣfahānī, Ḥilyat al-awliyāʾ wa-ṭabaqāt al-aṣfiyāʾ, 10 Bde., Beirut: Dār al-Fikr, 1996, 6/325f. 336 Siehe Abū Bakr al-Bayhaqī, al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt, hrsg. von ʿAbdallāh al-Ḥāšidī, 2 Bde., Dschidda: Maktabat as-Sawādī, 1993, 2/304f. 337 Siehe Sayf al-ʿAṣrī, al-Qawl at-timām bi-iṯbāt at-tafwīḍ maḏhaban li-s-salaf al-kirām, Amman: Dār al-Fikr, 2010, 103. Das Werk ist informativ, es sollte jedoch bedacht werden, dass der Autor offensichtlich ein überzeugter Anhänger des tafwīḍ ist. Während die arabischsprachige Literatur zum Thema unüberschaubar ist, konnte ich keine tiefgehenden Untersuchungen in einer europäischen Sprache finden; am Rande wird die Thematik behandelt bei Khaled El-Rouayheb, From Ibn Ḥajar al-Haytamī (d. 1566) to Khayr al-Dīn al-Ālūsī (d. 1899). Changing Views of Ibn Taymiyya Among Non-Ḥanbalī Sunni Scholars, in: Yossef Rapoport/Shahab Ahmed (Hrsg.), Ibn Taymiyya and His Times, Karachi: Oxford University Press, 2010, 269–318, hier 282; sowie Gharaibeh, Attributenlehre der Wahhābīya, v. a. 133–135. Bei der dort in Fußnote 445 angeführten weiteren Literatur handelt es sich um eine Fehlangabe, da sie zwar den Terminus tafwīḍ bespricht, jedoch in einer anderen als der hier relevanten Bedeutung.
70 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas erwarten sein, dass er dieser Aussage die balkafa folgen lässt. Diese Methodik wird als iṯbāt (Bestätigung) bezeichnet; und da Ibn Taymiyya einer ihrer Vertreter ist, wird sie in dieser Arbeit am ausführlichsten behandelt. Die gegenteilige Position drückt die Überzeugung aus, dass die Zuschreibung einer Hand notwendigerweise zu einem Anthropomorphismus führt, der sich damit auch nicht durch den Verweis auf das balkafa-Prinzip auflösen lässt. Daher wird, insofern Gott Sich Selbst ein yad zugeschrieben hat, diese Eigenschaft bestätigt, wobei – und genau dabei handelt es sich um den tafwīḍ – das Wissen über die Bedeutung des Ausdrucks yad alleine Gott zuerkannt wird.338 Wie schon angesprochen, gilt auch hier, dass die oben angeführte Aussage Māliks mehrdeutig ist. Ein Anhänger des tafwīḍ wird Māliks Aussage, dass der istiwāʾ bekannt ist, dahingehend deuten, dass die Bedeutung des Wortes im Arabischen (aber nicht im Koran) bekannt ist oder aber gewusst wird, dass der Koran Gott das Attribut des istiwāʾ zuschreibt. Ein Gegner des tafwīḍ wird Māliks Aussage dahingehend verstehen, dass die Bedeutung des istiwāʾ allgemein bekannt ist, also ganz gleich, ob der Ausdruck im Koran zur Beschreibung Gottes gebraucht wird oder nicht.339 Unter den Ašʿariten setzte sich die Ansicht durch, dass der tafwīḍ eine gültige Methode darstellt.340 Bei den Traditionalisten hingegen war dieser Punkt stärker umstritten. Beispiele für Anhänger des tafwīḍ sind die Gelehrten Ibn Surayǧ341 (gest. 306/918) und eine Vielzahl ḥanbalitischer Gelehrte wie z. B. Ibn Qudāma342 (gest. 620/1223), hingegen erachteten u. a. Muḥammad Ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923) und Ibn Taymiyya die Methodik des tafwīḍ als ungültig.343 Mit dieser Haltung stand Ibn Taymiyya im Widerspruch zur gängigen
338 Siehe ʿAṣrī, Qawl, 103f. 339 Siehe hierzu auch Ibn Taymiyyas Behandlung der Aussage Māliks auf S. 319 der vorliegenden Arbeit. 340 Siehe George Makdisi, Ashʿarī and the Ashʿarites in Islamic Religious History I, in: Studia Islamica 1962, 37–80, hier 51f. Auf die Position der Ašʿariten wird im vorliegenden Kapitel noch detaillierter eingegangen. 341 Dass er die Methodik des tafwīḍ vertrat, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit seiner Aussage zu entnehmen, dass die Eigenschaften Gottes nicht aus dem Arabischen in eine andere Sprache übersetzt werden dürfen; siehe Ibn Surayǧ, al-Imām Aḥmad Ibn ʿUmar Ibn Surayǧ (t 306 h) warisālatuhū fī ṣifāt Allah taʿālā, hrsg. von Saʿd aš-Šahrānī, mit einer Einl. von Saʿd aš-Šahrānī, o. O.: o. V., 2005, ohne Pagination (eigene Zählung: S. 46f.). Die Echtheit dieser Schrift ist jedoch umstritten; siehe ebd., 18 in der Einleitung des Hrsg. 342 Siehe Muwaffaq ad-Dīn Ibn Qudāma al-Maqdisī, Rawḍat an-nāẓir wa-ǧannat al-munāẓir, hrsg. von Muḥammad Mirābī, Beirut: Muʾassasat ar-Risāla nāširūn, 2009, 95. 343 So sind nach beiden alle Ausdrücke im Koran, und damit auch die, die Gott beschreiben, bezüglich ihrer Bedeutung erkennbar; siehe hierzu unten, Kapitel 6.1.3.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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traditionalistischen Position seiner Zeit, was ihm Kritik aus den eigenen Reihen einbrachte.344 Die Mehrdeutigkeit der äußerst knapp gehaltenen Aussagen, die sowohl Aḥmad als auch den salaf (Altvorderen) zugeschrieben werden, wie auch die Meinungsverschiedenheiten darüber, welche von diesen Ansichten als gesichert gelten dürfen und welche nicht, haben dazu geführt, dass sowohl die Anhänger des tafwīḍ als auch die des iṯbāt und in einem geringeren Maße auch die des taʾwīl (allegorische Deutung)345 meinten, sich auf die Autorität der frühen Gelehrten des Islams stützen zu können.346 Die Frage, inwiefern der jeweilige Anspruch der eben genannten drei Gruppen berechtigt ist, lässt sich meiner Meinung nach auf Basis der Quellenlage nicht klären, die aufgrund der angesprochenen Mehrdeutigkeit sowie der zweifelhaften Zuverlässigkeit problematisch ist, auch wenn dies in der Sekundärliteratur jüngst anders gesehen wurde.347 Eindeutig lässt sich jedoch feststellen, dass in frühen traditionalistischen Kreisen des 3./.9. Jahrhunderts die allegorischen Deutungen nur in sehr begrenzten Fällen Anwendung fanden. Bemerkenswert ist hier der historisch relativ gut gesicherte Gebrauch dieser Methodik durch den Ḥadīṯ-Gelehrten Muḥammad Ibn Ismāʿīl al-Buḫārī (gest. 256/870) bezüglich des Verses 28:88, in welchem Gott ein waǧh (Gesicht) zugesprochen wird,348 sowie bezüglich des in einem Prophetenwort erwähnten göttlichen Attributs des Lachens (ḍaḥik).349 Ersteres hat al-Buḫārī wohl im Sinne von Herrschaft (mulk) Gottes gedeutet, letzteres möglicherweise als 344 Siehe hierzu v.a. Jon Hoover/Marwan Abu Ghazaleh Mahajneh, Theology as Translation: Ibn Taymiyya’s Fatwa permitting Theology and its Reception into his Averting the Conflict between Reason and Revealed Tradition (Darʾ Taʿāruḍ al-ʿAql wa l-Naql), in: The Muslim World 108.1 (2018), 40–86. 345 Diese Übersetzung ist verkürzend, da mit dem Konzept des taʾwīl auch eine bestimmte Auffassung von dem Verhältnis von Ausdrücken und Bedeutung einhergeht. Dies wird ausführlich in Kapitel 5.1.1 behandelt. 346 Der zeitgenössische Gelehrte Yūsuf al-Qaraḍāwī (geb. 1926) hat jüngst versucht, alle drei Methodiken als auf die salaf zurückgehend zu deklarieren. Es ist jedoch offensichtlich, dass es ihm dabei in erster Linie darum ging, die Streitigkeiten, die es in der muslimischen Gemeinschaft aufgrund verschiedener Ansichten zu den Attributen Gottes gibt, einzudämmen und damit die Einheit der Muslime zu fördern; siehe hierzu Farid Suleiman, A Call to Unity. Yūsuf al-Qaraḍāwī’s Middle Way Approach to the Interpretation of the Divine Attributes, in: Abbas Poya/Farid Suleiman (Hrsg.), Unity and Diversity in Contemporary Muslim Thought, Cambridge: Cambridge Scholars, 2017, 63–84. 347 So meint Gharaibeh, die salaf hätten wohl zum tafwīḍ tendiert; siehe Gharaibeh, Attributenlehre der Wahhābīya, 179. 348 Im Koran wird an mehreren Stellen Gott ein waǧh zugeschrieben. Ob al-Buḫārī all diese Stellen allegorisch deutete oder nicht, kann nicht beantwortet werden. 349 Siehe z. B. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 2/550 (Kitāb #56, Bāb #28, Ḥadīṯ #2863).
72 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Barmherzigkeit (raḥma). Geht man von der oben zitierten Aussage Ibn Ḫuzaymas aus, in der ja auch das Attribut des waǧh im Fokus stand, dürfte al-Buḫārī – und das deckt sich auch mit meinen Recherchen – mit dieser Deutung einen Sonderweg gegangen sein. Beide Deutungen finden sich in Kapitelüberschriften seines Ṣaḥīḥ-Werks, und um deren historische Zuverlässigkeit zu evaluieren, bedarf es einer kurzen Ausführung dazu, wie dieses Werk überliefert wurde. Jonathan Brown hat überzeugend dafür argumentiert, dass al-Buḫārīs Werk bereits in seiner Lebenszeit vollendet wurde und dass die Kapitelüberschriften weitgehend auf ihn zurückgehen.350 Al-Buḫārī lehrte sein Werk innerhalb von mehreren Jahren vielen seiner Schüler, von denen die wichtigsten Yūsuf al-Firabrī (gest. 320/932) und Ibrāhīm Ibn Maʿqil an-Nasafī (gest. 295/907-8) waren. Im 7./13. Jahrhundert erstellte der ḥanbalitische Gelehrte Šaraf ad-Dīn al-Yūnīnī (gest. 701/1302) eine Rezension des Ṣaḥīḥ-Werks aufbauend auf allen ihm vorliegenden Rezensionen, die sich bei dem Überlieferer al-Firabrī treffen. Al-Yūnīnī bediente sich einer ausgefeilten Methode und seine Rezension war, wie Rosemarie Quiring-Zoche schreibt, „probably very close to the original“.351 Der Text selbst ist verloren, kann aber durch den Kommentar, den der Gelehrte al-Qasṭallānī (gest. 923/1517) zum Ṣaḥīḥ al-Buḫārī verfasste, rekonstruiert werden. Darauf fußen alle heutigen Editionen des Werkes.352 Was nun die Deutung des Attributs des waǧh nicht im Sinne von Gesicht, sondern im Sinne von Herrschaft betrifft, so findet sie sich in den heutigen Editionen.353 Der Gelehrte Ibn Ḥaǧar (gest. 852/1449), dessen Ṣaḥīḥ-Kommentar Zeugnis davon ablegt, dass er eine Vielzahl von Handschriften vorliegen gehabt haben muss, schreibt zwar, dass al-Buḫārī diese allegorische Deutung in einer Rezension, die auf an-Nasafī zurückgeht, nicht selbst vorbringt, sondern dem Gelehrten Abū ʿUbayda Maʿmar Ibn al-Muṯannā (gest. 210/825) zuschreibt.354 Dass al-Buḫārī sie unkommentiert in einer seiner Kapitelüberschriften vorbringt ist indes ein deutlicher Hinweis darauf, dass er sie auch als richtig erachtete. 350 Siehe Jonathan Brown, The Canonization of al-Bukhārī and Muslim. The Formation and Function of the Sunnī Ḥadīth Canon, Leiden und Boston: Brill, 2007, 384–386, auch 72f. Für einen Überblick über die Sekundärliteratur, die sich mit der Überlieferung von al-Buḫārīs Ṣaḥīḥ-Werk beschäftigt, siehe ebd., 292, Fußnote 100. 351 Rosemarie Quiring-Zoche, How al-Buḫārī’s Ṣaḥīḥ Was Edited in the Middle Ages. ʿAlī al-Yūnīnī and His Rumūz, in: Bulletin d’études orientales 1998, 191–222, hier 192. 352 Ebd. 353 Siehe Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 2/983 mit Bezug auf Koran 28:88. 354 Siehe Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Fatḥ al-Bārī šarḥ Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, hrsg. von Muḥammad Fuʾād ʿAbd al-Bāqī, 13 Bde., Beirut: Dār al-Maʿrifa, 1370 [=1959-60], 8/505.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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Weniger gut gesichert ist al-Buḫārīs Gleichsetzung des göttlichen Attributs des Lachens mit dem der Barmherzigkeit. Der Gelehrte al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/998) schreibt in seinem Ṣaḥīḥ-Kommentar – welcher der älteste erhaltene ist –, dass die entsprechende Deutung des Ausdrucks ḍaḥik durch al-Buḫārī in einer Rezension zu finden sei, die über al-Firabrī überliefert wurde.355 Ibn Ḥaǧar kommentiert alḪaṭṭābīs Worte damit, dass er Derartiges in den ihm vorliegenden Handschriften, die sich auf al-Firabrī berufen, nicht ermitteln konnte.356 Auch fehlt dies in den heutigen Editionen, was jedoch nicht bedeuten muss, dass al-Buḫārī die erwähnte Deutung des Attributs des Lachens nicht doch selbst vorgebracht hat. (riḏā)357 Bei dem Werk Šarḥ as-sunna handelt es sich um ein weiteres Zeugnis früher traditionalistischer Theologie. In der Forschung wird das Werk in der Regel dem Ḥanbaliten al-Barbahārī (gest. 329/941) zugeschrieben. Maher Jarrar und Sebastian Günther haben jedoch in jüngerer Zeit die These vorgebracht, dass es von dem Gelehrten Ġulām Ḫalīl358 (gest. 275/888) verfasst wurde.359 Unabhängig davon, wer nun der Autor war, lässt sich festhalten, dass das Werk von einem aggressiven Grundton geprägt ist. Es gibt vor, die Glaubensüberzeugungen der ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa (Anhänger der Sunna und der Gemeinschaft) darzustellen, welche mit dem Propheten und seinen Gefährten gleichgesetzt wird, denen man ausnahmslos zu folgen habe.360 Dies bedeutet, dass man nur über die theologischen Angelegenheiten sprechen dürfe, zu denen eine Überlieferung (aṯar) vorliege. An dieser sei festzuhalten und über das, was sie inhaltlich aussage, dürfe man nicht hinausgehen.361 Was die Ǧahmiten, und damit sind wohl vor allem die Muʿtaziliten gemeint, zu Abtrünnigen gemacht habe, sei, so der Autor weiter, der Umstand, dass sie die Überlieferungen ignoriert und angefangen hätten, über das Wie (kayfa) des 355 Siehe Ḫaṭṭābī, Aʿlām, 2/1367. 356 Siehe Ibn Ḥaǧar, Fatḥ al-Bārī, 8/632. 357 Zumindest die Möglichkeit, dass al-Ḫaṭṭābī dies lediglich erfunden hat, ist unwahrscheinlich, da er in selbiger Passage das Lachen Gottes als dessen Zufriedenheit gedeutet wissen will. Hätte al-Ḫaṭṭābī dem al-Buḫārī wissentlich etwas in den Mund gelegt, dann doch wohl etwas, das auch seine eigene Position stützt. 358 Ob auch er Ḥanbalit war oder nur mit dem Ḥanbalitentum sympathisierte, ist umstritten; siehe Maher Jarrar, Ghulām Khalīl, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2015 (4), 145–149, hier 146a. 359 Zwischen den beiden eben genannten Forschern und Christopher Melchert ist darüber eine Debatte entstanden; siehe Christopher Melchert, al-Barbahārī, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2007 (3), 160–161, hier 161 und Jarrar, Ghulām Khalīl, 146b–148a sowie die jeweils dort angegebene weitere Literatur. 360 Siehe al-Barbahārī (oder Ġulām Ḫalīl), Šarḥ as-sunna, hrsg. von Ḫālid ar-Ridādī, Medina: Maktabat al-Ġurabāʾ al-aṯariyya, 1993, 67f. 361 Siehe ebd., 69.
74 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas göttlichen Wesens und das Warum (lima) Seiner Handlungen nachzudenken.362 Der Autor selbst vertritt die unter traditionalistischen Gelehrten gängige Position, dass alle überlieferten Beschreibungen Gottes unter Berücksichtigung des balkafa-Prinzips anzunehmen seien. Die Attribute Gottes stellen nur eines von vielen theologischen Themen dar und werden daher in diesem Werk eher am Rande behandelt. Vielmehr pocht der Autor viele Male darauf, dass man sich von denjenigen fernhalten solle, die unerlaubte Neuerungen in die Religion einführten (ahl al-bidaʿ). Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der Autor von der Richtigkeit seiner Schrift so überzeugt ist, dass er jeden zu einem Nichtmuslim erklärt, der auch nur einer der darin befindlichen Aussagen widerspreche.363 Das Kitab as-Sunna von Ibn Abī ʿĀṣim (gest. 287/900) stellt eines dieser für die traditionalistische Strömung typischen Werke dar, die theologische Themen fast ausschließlich dadurch behandelt, indem relevante Überlieferungen angeführt werden. Aufschlussreich ist v. a. der Schlussteil des Werkes, in dem Ibn Abī ʿĀṣim 25 Glaubensüberzeugungen anführt, die aus seiner Sicht unter den Traditionalisten einheitlich vertreten werden. Lediglich zwei davon beziehen sich auf die Frage nach den Attributen Gottes. Dabei handelt es sich zum einen um die Rede (kalām) Gottes, die als unerschaffen deklariert wird, und zum anderen um die Gottesschau (ruʾyat Allāh) im Jenseits. Diese ist, so Ibn Abī ʿĀṣim, real in dem Sinne, dass die Menschen Gott mit ihren Augen erblicken werden.364 Die restlichen Glaubensüberzeugungen, die Ibn Abī ʿĀṣim vorbringt, dienen nicht ausschließlich, aber doch überwiegend, der Abgrenzung von den Muʿtaziliten in Fragen des qadar und von den Schiiten in der Frage nach dem Status der Prophetengefährten.365 Die Muʿtaziliten und die Schiiten stellen auch die Hauptgegnerschaft der sich nun immer weiter formierenden Gruppe der Ḥanbaliten dar, die vornehmlich in der Heimatstadt ihres Schulgründers, also Bagdad, wirkte. Dort traten die Ḥanbaliten vor allem als eine politisch-religiöse Strömung auf, die sich durch Aktivismus und durch große Anhängerschaft unter der breiten Masse auszeichnete. Gemäß ihrem Leitprinzip, dass man das Gute gebieten und das Verwerfliche verbieten soll, gingen sie aktiv gegen alles vor, was ihnen unislamisch erschien.366 Zu ihren prominentesten Opfern zählt der Exeget aṭ-Ṭabarī, der sich den Zorn der Ḥanba362 Siehe Barbahārī (oder Ġulām Ḫalīl), Šarḥ as-sunna, 100f. 363 Siehe ebd. 364 Siehe Abū Bakr Ibn Abī ʿĀṣim, as-Sunna, hrsg. von Bāsim al-Ǧawābirī, Riad: Dār aṣ-Ṣumayʿī, 1998, 1028. 365 Siehe ebd., 1027–1032. 366 Viele der im 4./10. Jahrhundert wirkenden Ḥanbaliten wie al-Barbahārī und deren Anhänger waren deutlich gewaltbereiter als noch die ihnen vorhergehenden Schulkollegen. Auf diese Entwicklung wird eingegangen bei Michael Cook, Commanding Right and Forbidding Wrong in Islamic
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liten wohl deswegen zuzog, weil er in einem seiner Werke über die bestehenden Meinungsverschiedenheiten im islamischen Recht die Ansichten des Aḥmad Ibn Ḥanbal komplett ausgespart hatte.367 Führende traditionalistische Theologen des 4./10. Jahrhunderts waren alBarbahārī, Ibn Baṭṭa und al-Aǧurrī (gest. 360/970). Letztgenannter war, anders als die beiden erstgenannten, kein Ḥanbalit, sondern ein Šāfiʿit, was jedoch, wie schon weiter oben ausgeführt wurde, kein Hindernis darstellte, in theologischen Fragen auf demselben traditionalistischen Boden zu stehen. Zu dieser Zeit hatten die abbasidischen Kalifen nur noch eine nominale Herrschaftsfunktion. Das Reich selbst stand unter Kontrolle einer Vielzahl lokaler Dynastien. Dass mit Beginn etwa der zweiten Hälfte des 4./10. Jahrhunderts nun auch weite Teile der islamischen Welt von schiitischen Machthabern beherrscht wurden,368 dürfte den Abbasiden, die sich als Repräsentanten der Sunniten sahen, zusätzlichen Unmut bereitet haben. So herrschten die ismailitischen Fatimiden über Ägypten und Teile der Levante; die ebenfalls ismailitischen Qarmaten setzten sich am Persischen Golf fest; die Zayditen kontrollierten Teile der Arabischen Halbinsel; und die zwölferschiitischen Hamdaniden übernahmen eine Region, die sich von Aleppo bis nördlich des Tigris erstreckte. Für die Abbasiden von unmittelbarer Bedeutung waren die schiitischen Buyiden, da sie, immer weiter westwärts drängend, im Jahre 334/946 die Kalifenstadt Bagdad sowie große Teile des Iraks einnahmen.369 Nicht zuletzt aufgrund dieser politisch-religiösen Situation förderte das abbasidische Kalifat die Ḥanbaliten, welche nicht nur besonders antischiitisch eingestellt waren, sondern in Bagdad ein ernstzunehmender gesellschaftlicher Faktor waren.370 Dass der damit einhergehende Einfluss der Ḥanbaliten wohl sehr weit gegangen sein muss, lässt sich einer Aussage des Ḥanbaliten Ibn Baqqāl (gest. 440/1048) entnehmen. So verglich er das abbasidische Kalifat mit einem Zelt, das durch die Stricke der Ḥanbaliten gehalten wird.371 Thought, Cambridge: Cambridge University Press, 2001, 121f.; siehe auch Melchert, Barbahārī, 160b. 367 Die Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Ḥanbaliten wurden jedoch von späteren Geschichtsschreibern mit antiḥanbalitischer Einstellung dramatisiert; ausführlich findet sich die Thematik behandelt bei Franz Rosenthal, The History of al-Ṭabarī. General Introduction and From the Creation to the Flood, Bd. 1, Albany: State University of New York Press, 1989, 69–78. Siehe auch Fußnote 1496 in der vorliegenden Arbeit. 368 Siehe hierzu Gudrun Krämer, Geschichte des Islam, München: Beck, 2005, 112–131. 369 Siehe ebd., 127–131. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob die Buyiden ihre schiitische Ausrichtung näher bestimmten, und im Falle, dass sie das taten, ob sie sich als Zayditen oder als Zwölferschiiten sahen. 370 Siehe Cook, Commanding Right, 122. 371 Siehe ebd.
76 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Einen enormen Machtzuwachs erhielten die Ḥanbaliten, als zu Anfang des 5./11. Jahrhunderts der abbasidische Kalif al-Qādir (reg. 381–422/991–1031) im Zuge von handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen paramilitärischen Banden, sogenannten ʿayyārūn, klar für erstere Partei ergriff. Im Jahre 409/1017 tat er das Gleiche, was al-Maʾmūn knapp 200 Jahre zuvor unter umgekehrten Vorzeichen versucht hatte. Al-Maʾmūn wollte, wie oben ausgeführt, eine rationalistische Theologie zur Staatsdoktrin erheben, wodurch Denkschulen wie die Muʿtaziliten deutlich profitiert hätten. Nun waren es jedoch genau deren Ansichten – und darüber hinaus wohl auch die, die in ašʿaritischen Kreisen zu den Attributen Gottes vertreten wurden –, die al-Qādir im Jahre 409/1017 öffentlich verurteilen ließ, wobei er im selben Zuge die traditionalistische Sicht zur einzig richtigen erklärte. George Makdisi setzt hier den Beginn der im 5./11. Jahrhundert stattfindenden sunnitischen Wiederbelebung (Sunnī revival) an und meint dabei mit dem Begriff Sunniten ausschließlich die Traditionalisten.372 Der Ḥanbalit Ibn al-Ǧawzī überliefert den Text, der unter dem Namen al-Iʿtiqād al-qādirī (Das Glaubensbekenntnis) des al-Qādir) bekannt ist.373 Der Text gibt vor, die Position der ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa wiederzugeben, und behandelt überwiegend die Attribute Gottes, die Definition und Merkmale der inneren Glaubensüberzeugung (īmān) sowie die Vorzüglichkeit der Prophetengefährten. Die erstgenannte Thematik soll im Folgenden zusammengefasst werden. So heißt es dort, dass jede Eigenschaft, mit der der Koran oder die Sunna Gott beschreibt, im wörtlichen Sinne (ḥaqīqiyya) anzuerkennen ist und nicht allegorisch (maǧāziyya) gedeutet werden darf. Gott ist sehend und hörend, wobei die Beschaffenheit (kunh) dieser beiden Attribute durch kein Geschöpf erkannt werden kann. So hat Er Sich über Seinen Thron auf die vom Ihm gewünschte Art und Weise erhoben. Dies tat Er nicht deswegen, weil Er etwa wie die Geschöpfe einer Ruhepause bedurfte. Darüber hinaus unterliegt Er weder der Zeit, noch dem Raum; wie sollte Er auch, heißt es weiter, wo Er doch der Schöpfer dieser beiden ist? Was die Rede Gottes angeht, so ist sie unerschaffen, 372 Siehe George Makdisi, The Sunnī Revival, in: Donald Sidney Richards (Hrsg.), Islamic Civilisation 950-1150, Oxford: Cassirer, 1973, 155–168, hier 157. Der Ausdruck Sunnī Revival und die Frage, was genau darunter zu verstehen ist, haben in den letzten 50 Jahren zu Kontroversen in der Forschung geführt; zusammenfassend wird dies dargestellt bei Vanessa van Renterghem, Controlling and Developing Bagdad. Caliphs, Sultans, and the Balance of Power in the Abbasid Capital (Mid-5th/11th to Late 6th/12th Centuries), in: Christian Lange/Songül Mecit (Hrsg.), The Seljuqs. Politics, Society and Culture, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2011, 117–138, hier 120–123. 373 Siehe Ibn al-Ǧawzī, al-Muntaẓam fī tārīḫ al-mulūk wa-l-umam, hrsg. von Muṣṭafā ʿAṭā/ Muḥammad ʿAṭā, 37 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 1995, 15/279–282 (im Eintrag zu dem Jahr 433). Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Adam Mez, Die Renaissance des Islāms, Heidelberg: Carl Winters, 1922, 198–201.
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und zwar sowohl in der rezitierten, memorierten, geschriebenen wie auch gehörten Form. Wer sie hingegen als erschaffen erachtet, fällt dadurch vom Islam ab und kann, sofern er nicht reuig umkehrt, mit dem Tode bestraft werden.374 Die Erhebung dieser Glaubensüberzeugungen zur abbasidischen Staatsdoktrin ist, wie bereits gesagt, als ein Sieg des Traditionalismus über den Rationalismus zu verstehen. Die Passage über die Attribute Gottes steht inhaltlich den Positionen der Muʿtaziliten wie auch denen der Ašʿariten entgegen. Erstere hielten die Rede Gottes für grundsätzlich erschaffen; letztere waren der Meinung, dass es sich bei dem Koran in rezitierter, memorierter, geschriebener und gehörter Form gar nicht um die unerschaffene Rede Gottes handelt, sondern nur um etwas, das auf diese verweist.375 Das Attribut des istiwāʾ hatten die Muʿtaziliten seit jeher allegorisch gedeutet; darin folgten ihnen viele Ašʿariten in der Zeit, als das QādirīGlaubensbekentnis erstmalig verlesen wurde.376 Dass in dem Text die Attribute des Sehens und des Hörens gesondert mit dem Verweis auf das balkafa-Prinzip aufgeführt werden, könnte speziell gegen die Bagdader Muʿtaziliten gerichtet sein, welche diese beiden Attribute üblicherweise auf das des göttlichen Wissens reduzierten.377 Aber nicht nur die Positionen der Muʿtaziliten wurden angegriffen, vielmehr galt es nun als ein Verbrechen, dieser Schule anzugehören. Allerdings beschränkte sich eine Gesinnungsprüfung zumeist auf Staatsbedienstete wie z. B. Richter, und dies, obwohl die Anzahl muʿtazilitischer Gelehrter in Bagdad groß und deren Aufenthaltsorte bekannt waren.378 Der inhaltliche Urheber des Qādirī-Glaubensbekenntnisses) scheint der europäischsprachigen Sekundärliteratur unbekannt zu sein.379 Der Text des Bekenntnisses ist, so erfährt man es u. a. von Ibn Taymiyya und aḏ-Ḏahabī, entnommen aus dem Werk as-Sunna des Abū Aḥmad al-Qaṣṣāb al-Karaǧī380 (gest. 360/971 oder 374 Siehe Ibn al-Ǧawzī, Muntaẓam, 15/280. 375 Ausführlich wird die Thematik unten in Kapitel 10.2 behandelt. 376 Siehe unten, S. 94, und die ausführliche Behandlung des Attributs istiwāʾ in Kapitel 10.3. 377 Siehe oben, Fußnote 226. 378 Siehe Makdisi, Ibn ʿAqīl, 11f. und 41. 379 Wichtige Beiträge der Forschung bestehen aus Ibn Baṭṭa, Profession, XCVI; Makdisi, Ibn ʿAqīl, 8–16; Erika Glassen, Der mittlere Weg. Studien zur Religionspolitik und Religiösität der späteren Abbasidenzeit, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1981, 11; Griffel, Apostasie und Toleranz, 109–113 und 116–120; sowie Udjang Tholib, The Reign of the Caliph al-Qādir Billāh (381/991-422/1031), McGill Universität: unveröffentl. Dissertation, 2002, 258–267. 380 Seine nisba wurde auch als al-Karḫī, bezogen auf den Stadtteil Karḫ in Bagdad, angegeben. Dabei handelt es sich wohl um einen Fehler; siehe Abū Aḥmad Muḥammad Ibn ʿAlī al-Qaṣṣāb al-Karaǧī, Nukat al-Qurʾān ad-dālla ʿalā l-bayān fī anwāʿ al-ʿulūm wa-l-aḥkām, hrsg. von ʿAlī Ibn Ġāzī t-Tuwayǧirī (Bd. 1)/Ibrāhīm Ibn Manṣūr al-Ǧunaydil (Bd. 2 u. 3)/Šāyiʿ Ibn ʿAbduh Ibn Šāyiʿ
78 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas kurz zuvor).381 Er war ein traditionalistischer Gelehrter, der sich keiner Rechtsschultradition zugehörig fühlte.382 Die biographischen Angaben, die sich zu ihm finden lassen, sind äußerst spärlich.383 Es ist eher unwahrscheinlich, dass er die Ašʿariten bereits als eine Strömung wahrgenommen hat;384 und so dürften die antiašʿaritischen Aussagen des Qādirī-Glaubensbekenntnisses) bezüglich der göttlichen Rede wohl ursprünglich gegen die Ansichten Ibn Kullābs gerichtet gewesen sein. Da sich diese jedoch weitgehend auch im Ašʿaritentum finden, eignete sich der Text zu der Zeit al-Qādirs, um auch diese Strömung zu verurteilen. Tilman Nagel argumentiert zwar gegen die Position George Makdisis dafür, dass das Qādirī-Glaubensbekenntnis) „[d]er ašʿaritischen Theologie [...] verpflichtet“ gewesen sei.385 Nagels Ausführungen hatte indes bereits Madelung – aus meiner Sicht zu Recht – als wenig überzeugend eingestuft.386 Vor dem Hintergrund der eben besprochenen Autorschaft des Glaubensbekenntnisses) erscheinen sie nun als gänzlich unhaltbar. Die Religionspolitik von al-Qādir wurde bereits in seiner Zeit, aber auch in der seines Sohnes al-Qāʾim (reg. 422–467/1031–1075) von den sunnitischen Seldschuken umgesetzt, die im Jahre 447/1055 den Buyiden die Herrschaft über Bagdad entrissen hatten. Das Glaubensbekenntnis) von al-Qādir wurde zu einem Standardtext, der im offiziellen Rahmen viele Male öffentlich verlesen wurde. Meist geschah dies, wenn in Bagdad Streitigkeiten theologischer Art ausbrachen. Besondere Bekanntheit erlangten hierbei zum einen die handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen dem Ašʿariten Abū n-Naṣr Ibn al-Qušayrī387 (gest. 514/1120) und seinen Anhängern auf der einen Seite und manchen Ḥanbaliten auf der anderen; diese al-Asmarī (Bd. 4), 4 Bde., Dammam und Kairo: Dār Ibn al-Qayyim und Dār Ibn ʿAffān, 2003, 1/19–22 in der Einleitung des Hrsg. 381 Siehe Qaṣṣāb al-Karaǧī, Nukat, 1/34f. in der Einleitung des Hrsg. 382 Siehe ebd., 1/43–45 in der Einleitung des Hrsg. 383 Siehe ebd., 1/23f. in der Einleitung des Hrsg. 384 Dies wird auch dadurch bestätigt, dass al-Qaṣṣāb in seinem Tafsīr-Werk mehrfach rationalistische Strömungen anführt, darunter v. a. die Muʿtaziliten, jedoch kein einziges Mal die Ašʿariten; siehe die von den Hrsg. erstellten Indices am Ende eines jeden Bandes bei ebd. 385 Siehe Tilman Nagel, Die Festung des Glaubens. Triumph und Scheitern des Rationalismus im 11. Jahrhundert, München: Beck, 1988, 120 mit Endnote 118. 386 Siehe Wilferd Madelung, Rezension von Tilman Nagel, Die Festung des Glaubens, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 53.1 (1990), 130f. Hier 130. Er bekräftigt dort jedoch die Sicht Nagels, dass die Aussagen über den Koran als Rede Gottes, die in dem QādirīGlaubensbekenntnis) vorgebracht werden, im Einklang mit der ašʿaritischen Position stehen. Wie zu sehen war, bin ich Madelung hierbei nicht gefolgt. 387 Er ist ein Sohn des ašʿaritischen Gelehrten Abū l-Qāsim al-Qušayrī (gest. 465/1072), welcher v. a. aufgrund seines Werkes Risāla fī ʿilm at-taṣawwuf Bekanntheit erlangte.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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ereigneten sich im Jahre 469/1077, nachdem Ibn al-Qušayrī den Ḥanbaliten öffentlich vorgeworfen hatte, Gott als ein körperliches Wesen zu beschreiben (taǧsīm). Zum anderen nahm im Jahre 461/1068-9 eine innerḥanbalitische Auseinandersetzung ihren Anfang, in der der Gelehrte Ibn ʿAqīl (gest. 513/1119), weil man ihm Sympathien für das Muʿtazilitentum und für den Sufi al-Ḥallāǧ (getötet 309/922) nachsagte, derartig bedrängt wurde, dass er erst für vier Jahre ins Exil flüchtete und hernach für manche seiner theologischen Positionen öffentlich Reue (tawba) bekunden musste.388 An einem der Lehrer Ibn ʿAqīls, al-Qāḍī Abū Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ (gest. 458/1065), lassen sich zwei entwicklungsgeschichtlich relevante Vorgänge deutlich aufzeigen. Dabei handelt es sich zum einen um die enge Kooperation zwischen dem Staat und den Ḥanbaliten, zum anderen um das Eindringen des kalām in das Denken der letztgenannten. Aḥmad Ibn Ḥanbal im Speziellen und das frühe Ḥanbalitentum im Allgemeinen waren noch sehr darum bemüht, sich jeder Zusammenarbeit mit dem Staat zu entziehen. Abū Yaʿlā hingegen war ein Richter im Dienste der Abbasiden, und der Umstand, dass seine Schulkollegen bei der Nennung seines Namens meist den Titel al-Qāḍī (Richter) vorausgehen ließen, zeigt, dass man daran keinen Anstoß nahm.389 Abū Yaʿlā war darüber hinaus einer der ersten Ḥanbaliten, die ein theologisches Werk verfassten, welches nicht nur vom Aufbau und vom Argumentationsstil, sondern auch bezüglich der inhaltlichen Positionen vom ašʿaritischen kalām inspiriert ist. Dabei handelt es sich um sein al-Muʿtamad fī uṣūl ad-dīn, in welchem er, so beschreibt es Jon Hoover, einen Mittelweg zwischen dem Rationalismus des kalām und dem Traditionalismus der Ḥanbaliten zu beschreiten versuchte.390 Was seine Attributenlehre betrifft, so lehnte er es dezidiert ab, Gott als einen Körper zu erachten (taǧsīm) und folgte der Methodik des tafwīḍ mit klarer Positionierung dahingehend, dass die Gottesbeschreibungen in den Offenbarungstexten nicht allegorisch gedeutet werden dürfen. Dabei ging er so weit, dass er aufbauend auf einem Prophetenwort, welches indes unter Gelehrten des ḥadīṯ als schwach eingestuft wurde, dafür argumentierte, dass man Gottes Backenzähne und Sein Gaumenzäpfchen sehen kann, wenn Er lacht.391 388 Beide Ereignisse werden behandelt bei Livnat Holtzman, The miḥna of Ibn ʿAqīl (d. 513/1119) and the fitnat Ibn al-Qushayrī (d. 514/1120), in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 660–678. 389 Siehe Cook, Commanding Right, 123f. 390 Siehe Hoover, Ḥanbalī Theology, 630f. 391 Siehe Livnat Holtzman, “Does God Really Laugh?” – Appropriate and Inappropriate Descriptions of God in Islamic Traditionalist Theology, in: Albrecht Classen (Hrsg.), Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times, Berlin und New York: De Gruyter, 2010, 165–200, hier 186–188; zusammengefasst wird dies auch behandelt bei Hoover, Ḥanbalī Theology, 631.
80 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Für den Ḥanbaliten Ibn al-Ǧawzī392 (gest. 597/1201) war dies Grund genug, seinem Schulkollegen das taǧsīm vorzuwerfen, auch wenn dieser sich, wie gesagt, davon deutlich distanziert hatte. Diese Anschuldigung, die Ibn al-Ǧawzī auch gegen zwei weitere wichtige ḥanbalitische Gelehrte, nämlich Ibn Ḥāmid (gest. 403/1012) und az-Zāġūnī (gest. 527/1132), richtete, brachte er in seinem Werk Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt 393 vor. Dort schreibt er auch, dass es vor allem die Schuld dieser drei Gelehrten sei, dass den Ḥanbaliten der Ruf anhänge, mušabbiha394 zu sein.395 Auf der anderen Seite distanziert sich Ibn al-Ǧawzī zwar ganz deutlich vom kalām,396 sein Werk ist aber in vielerlei Hinsicht der ašʿaritischen Theologie näher als der ḥanbalitischen. So sieht er, wie auch viele Ašʿariten, die rationale Gotteserkenntnis nicht nur als die erste Pflicht eines erwachsenen Menschen an,397 sondern er folgt auch in der Art und Weise, wie die Existenz Gottes zu beweisen ist, der Sicht der mutakallimūn.398 Darüber hinaus vertritt er, ebenfalls wie viele Ašʿariten, die Meinung, dass auf Basis der Gottesbeschreibungen in den Offenbarungstexten lediglich dann auf ein bestimmtes Attribut Gottes geschlossen werden darf, wenn diese Texte über so viele unterschiedliche Überlieferungswege tradiert wurden, dass sie als authentisch gelten können (mutawātir).399 Auch folgt er dem Ašʿariten al-Ġazālī, indes ohne ihn zu nennen, in der Ansicht, dass man dem gemeinen Volk (ʿawāmm) die Gottesbeschreibungen nach der Methodik des tafwīḍ erklären muss, in der Gelehrtenschaft aber auch allegorische Deutungen dieser Beschreibungen vorbringen darf.400 So interpretiert er z. B. die zwei Hände Gottes, mit 392 Biographie und Attributenlehre werden in der Einleitung des Hrsg. behandelt bei Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt). 393 Dabei handelt es sich möglicherweise um eine längere Fassung des bekannteren Werkes Dafʿ šubah at-tašbīh; siehe ebd., xf. in der Einleitung des Hrsg. 394 Unter diesen Ausdruck fallen diejenigen, die Gott mit der Schöpfung vergleichen (oft mit Anthropomorphisten übersetzt). 395 Siehe Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt), 17–20 (im arab. Text). 396 Siehe ebd., 12–17 (im arab. Text). 397 Siehe ebd., 1 (im arab. Text). Die ašʿaritische Position wird ausgeführt bei Richard Frank, Knowledge and Taqlīd. The Foundations of Religious Belief in Classical Ashʿarism, in: Journal of the American Oriental Society 109.1 (1989), 37–62, nachgedr. als Teil VII mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Classical Islamic Theology: The Ashʿarites. Texts and Studies on the Development and History of Kalām, Bd. III, Aldershot: Ashgate, 2008, v. a. 45f. und 54f. 398 Siehe Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt), 2f. (im arab. Text). 399 Siehe ebd., 7f. (im arab. Text). Siehe auch das Kapitel 7.2 der vorliegenden Arbeit; dort v. a. S. 266f. 400 Siehe ebd., 21–23 (im arab. Text). Zu al-Ġazālī siehe Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 266ff.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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denen Er den Propheten Ādam laut Koran 38:75 erschaffen hat, als Seine Wohltat (niʿma) und Kraft (qudra);401 das Herabsteigen (nuzūl) Gottes im letzten Drittel der Nacht versteht er dahingehend, dass Gott Seiner Schöpfung Seine Barmherzigkeit offeriert (yuqarribu raḥmatahū);402 und die Beschreibung, dass Gott Sich in der Höhe (fī s-samāʾ) befindet, als einen lediglich der Glorifizerung (taʿẓīm) dienenden Ausdruck. Dies begründet er damit, dass Gott nicht räumlich ist und Sich somit weder innerhalb noch außerhalb der Welt befindet.403 Ibn al-Ǧawzī ist einer der Hauptrepräsentanten eines Flügels innerhalb des Ḥanbalitentums, der in weiten Teilen vom Denken des kalām beeinflusst ist, was sich u. a. in der allegorischen Deutung einer Vielzahl der Attribute Gottes bemerkbar macht.404 Diesem stand der weitaus mächtigere traditionalistische Flügel gegenüber, welchem in der Zeit Ibn al-Ǧawzīs Gelehrte wie ʿAbd al-Qādir al-Ǧīlī (gest. 561/1166), der Namensgeber des Qādiriyya-Ordens,405 Abū l-Faḍl al-ʿAlṯī (gest. 634/1236), der deutliche Kritik an Ibn al-Ǧawzī übte,406 sowie der berühmte Gelehrte Ibn Qudāma al-Maqdisī407 (gest. 620/1223) anhingen. 401 Siehe Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt), 26f. (im arab. Text). 402 Siehe ebd., 71f. (im arab. Text). 403 Siehe ebd., 35 und 39f. (im arab. Text). 404 Ibn Taymiyya wird später über ihn kritisch bemerken, dass er in der Theologie dem Ḥanbalitentum ferner stand als Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī und dessen frühe Anhänger; siehe Aṣfahāniyya 517–520. 405 Siehe zu seiner Person Jaqueline Chabbi, ʿAbd al-Qādir al-Jīlānī, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2009 (1), 11b–14; und zu seinen theologischen Einstellungen Ibn Baṭṭa, Profession, cxix–cxxi in der Einleitung des Hrsg. Ibn Taymiyya hat ihn nicht nur in besonderen Ehren gehalten, sondern auch seinem Werk Futūḥ al-ġayb (dessen Echtheit laut Chabbi nicht gesichert ist) eine Schrift gewidmet, welche in MF 10/455–548 zu finden ist. 406 Siehe die Ausführungen von Merlin Swartz mit einer Übersetzung der teilweise erhaltenen Kritik al-ʿAlṯīs bei Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt), 283–297. 407 Seine theologischen Positionen werden in knapper Form behandelt bei Ibn Baṭṭa, Profession, cxxxiii–cxxxv in der Einleitung des Hrsg. und Hoover, Ḥanbalī Theology, 633. Eines seiner antikalām-Werke wurde von George Makdisi ediert und ins Englische übersetzt; siehe Muwaffaq ad-Dīn Ibn Qudāma al-Maqdisī, Ibn Qudāma’s Censure of Speculative Theology. Translation and Edition of Ibn Qudāma’s Taḥrīm an-naẓar fī kutub ahl al-kalām, hrsg., übers. und mit einer Einl. vers. von George Makdisi, London: Luzac, 1962. Ein anderes theologisches Werk, nämlich das Ḏamm at-taʾwīl, in welchem Ibn Qudāma die Gültigkeit allegorischer Deutungen der Beschreibungen Gottes verneint, ist u. a. als eine Kritik an Ibn al-Ǧawzī zu verstehen, auch wenn dieser nicht explizit genannt wird; siehe Ibn al-Ǧawzī, A Medieval Critique of Anthropomorphism (Kitāb Aḫbār aṣ-ṣifāt), 42, Fußnote 35, und S. 62, Fußnote 62 in der Einleitung des Hrsg.
82 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Die Stadt Bagdad verlor bereits im 6./12. Jahrhundert für das Ḥanbalitentum an Bedeutung – ein Trend, der sich mit dem immer weiteren Vordringen der Mongolen nach Westen verstärkte und der schließlich im Jahre 656/1258, als die Stadt von diesen eingenommen wurde, unumkehrbar wurde. Die zentralen Wirkstätten der Ḥanbaliten waren nun Jerusalem und Damaskus, wobei erstgenannte Stadt im Zuge der Besatzung durch die Kreuzfahrer schnell wieder an Bedeutung verlor.408 Mit dem zwei Generationen nach Ibn Qudāma lebenden Gelehrten Naǧm adDīn aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316), der bei einem Kurzaufenthalt in Damaskus auch Ibn Taymiyya traf,409 soll die Darstellung über die Ḥanbaliten ihren Schlusspunkt finden. Interessant ist hierbei sein kürzlich ediertes Werk Ḥallāl al-ʿuqad, in welchem er in einer Passage einen (freilich subjektiven) Einblick in den Attributenlehrenstreit seiner Zeit (und damit auch der von Ibn Taymiyya) bietet. Es lohnt sich daher, seine Ausführungen im Ganzen zu betrachten: Die Leute vertreten unterschiedliche Auffassungen bezüglich [der korrekten Interpretation] der Koranverse und Prophetenworte, die Gott Eigenschaften zusprechen. Dazu gehören z. B. [die Verse] „vielmehr sind Seine beiden Hände (yadāhu) ausgestreckt“, „und das Gesicht (waǧh) deines Herrn wird bestehen bleiben“ sowie „und an dem Tag, an dem das Schienbein sāqin entblößt werden wird“.410 Oder die Prophetenworte bezüglich des Fußes (qadam),411 des Fingers (iṣbaʿ),412 des Lachens (ḍaḥik),413 der Ekstase (tawāǧud)414 sowie viele weitere dieser Art.
408 Siehe Montgomery Watt, Islamic Philosophy and Theology. An Extended Survey, Edinburgh: Edinburgh University Press, 1962, 142. 409 Dabei nahm er auch Unterricht bei Ibn Taymiyya, auf den er in seinen Werken mit dem Ausdruck unser Lehrmeister‘ (šayḫunā) referiert. Siehe Lejla Demiri, Muslim Exegesis of the Bible ’ in Medieval Cairo. Najm al-Dīn al-Ṭūfī’s (d. 716/1316) Commentary on the Christian Scriptures, Leiden und Boston: Brill, 2013, 5f. 410 Siehe Koran 5:64, 55:27 und 68:42. 411 Die Eigenschaft, einen Fuß zu haben, wird Gott zugesprochen u. a. bei Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 2/1008 (Kitāb #65, Bāb #1, Ḥadīṯ #4897). 412 Mehrere Prophetenworte schreiben Gott Finger zu; siehe z. B. die Gott beschreibenden Aussagen eines Juden, die der Prophet bestätigt bei ebd., 3/1496f. (Kitāb #97, Bāb #19, Ḥadīṯ #7503). 413 Siehe oben, Fußnote 349. 414 Die älteste bekannte Erwähnung des sogenannten ḥadiṯ at-tawāǧud (Prophetenwort über die Ekstase) findet sich in einem Werk des Sufi-Gelehrten Ibn Ṭāhir al-Maqdisī (gest. 507/1113-4). Es handelt davon, dass der Prophet und seine Gefährten nach Hören zweier Gedichtverse über Gott in einen Zustand der Ekstase gefallen sein sollen. Sowohl aṭ-Ṭūfī als auch viele andere Gelehrte stuften die Überlieferung als erfunden (mawḍūʿ) ein. Siehe hierzu Muḥammad Ibn ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Hādī, Ǧuzʾ fī kalām al-ʿulamāʾ ʿalā ḥadīṯ al-mansūb li-n-nabī ṣallā llāh ʿalayhi wa-sallama ʿan tawāǧudihī wa-tamzīq riḍāʾihī, hrsg. von Muḥammad at-Takla, Beirut: Dār al-Bašāʾir, 2005. Bei all dem bleibt jedoch unklar, warum aṭ-Ṭūfī dieses Prophetenwort überhaupt anführt, da es für den Attributenlehrenstreit nicht relevant zu sein scheint.
3.4 Die ahl al-ḥadīṯ
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Manche haben sie [d. h. die Eigenschaften] gemäß dem äußeren Sinn (ẓāhir) interpretiert, der sich aus der sichtbaren und bekannten Welt ergibt. So haben sie Gott verkörperlicht und der Schöpfung angeglichen. Um [dem Fallstrick], Gott zu verkörperlichen, zu entfliehen, haben andere wiederum den Gott beschreibenden Ausdrücken Bedeutungen zugesprochen, auf welche diese Ausdrücke im Allgemeinen verweisen können (taʾawwala ʿalā maʿānin muḥtamala fī l-ǧumla); so haben sie Gottes Eigenschaften geleugnet und entleert. Und manche haben die Gott beschreibenden Ausdrücke als Homonyme (alfāẓ muštaraka) erachtet, welche auf die Attribute der geschaffenen Dinge verweisen und auf die Attribute Gottes – machtvoll und prächtig ist Er415 – im Sinne von Realitäten, die sich auf Sein edles Wesen beziehen. Wie z. B. der Ausdruck ʿayn, der homonym verwendet werden kann im Sinne von Wasserquelle und von Gold. So sagt man: „Mir kommt eine Hand (yad) im eigentlichen Sinne zu, und auch Gott hat eine tatsächliche yad.416 “ Abgesehen von der gleichnamigen Bezeichnung hat die eine yad nichts mit der anderen gemeinsam. Was das durch es [d. h. das Wort yad] Bezeichnete (madlūl) angeht, so ist die yad Gottes etwas Reales, das Ihm auf eine Ihm gebührende Weise zukommt; so wie auch mir ein Wesen und Gott ein Wesen zukommt, wobei beide sich lediglich in der gleichnamigen Bezeichnung treffen. Dies ist der Standpunkt der Ḥanbaliten und der meisten unter den ahl as-sunna. Wer ihn verstanden hat, erachtet ihn als eine gute, richtige und klare Position. Die vorliegende Thematik kann auch, ohne dass daran etwas Schlechtes wäre, noch weiter im Detail behandelt werden, und zwar insofern, als dass die [oben genannten] Positionen vereinigt werden. So gilt Folgendes für alle [Gott beschreibenden] Ausdrücke: Entweder geht mit ihnen ein zwingender Beweis dafür einher, dass sie im eigentlichen Sinne (ḥaqīqa) oder aber im übertragenen Sinne (maǧāz) intendiert wurden; so folgt man dem zwingenden Beweis. Oder aber einer der beiden [Sinne] ist wahrscheinlicher als der andere, so folgt man dem Wahrscheinlicheren, solange dieses nicht einer anderen [Bedeutung] widerspricht, die noch wahrscheinlicher ist. Oder aber beide Sinne sind gleichermaßen oder ähnlich wahrscheinlich, dann handelt es sich um einen ambigen Ausdruck (muǧmal). Oder sie sind es gemäß der [subjektiven] Bewertung, so bedarf er [d. h. die Bestimmung des intendierten Sinnes] einer [weiteren] Klarlegung oder er wird gemäß dem festgelegt, von dem der Interpret glaubt, dass es der Erhabenheit Gottes am angemessensten ist. Dieser Weg ist – so Gott will – der vorzüglichste (al-amṯal). Ihm gemäß interpretieren wir alle [Gott beschreibenden] Verse und Prophetenworte; und diese sind viele an der Zahl.417
Die Methodik, die aṭ-Ṭūfī in dieser Passage den Ḥanbaliten im Besonderen und den ahl as-sunna im Allgemeinen zuschreibt, ist die des tafwīḍ. Er selbst jedoch hängt ihr, und das hat er mit Ibn Taymiyya gemeinsam, offensichtlich nicht an. Die Alternative, die er vorbringt, bleibt indes unkonkret. Die anthropomorph erscheinenden Attribute Gottes wie z. B. die Hand oder das Gesicht thematisiert er in seinem Werk nicht, vielmehr beschränkt er sich auf die 99 Namen Gottes, anhand derer seine Po415 Für die bessere Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf dieses Zitats auf die Übersetzung von Eulogien verzichtet. 416 Dem Gedankengang aṭ-Ṭūfīs folgend wurde der Ausdruck nun bewusst nicht übersetzt. 417 Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī, Ḥallāl al-ʿuqad fī bayān aḥkām al-muʿtaqad or Qudwat al-muhtadīn ilā maqāṣid ad-dīn, hrsg. von Lejla Demiri/Islam Dayeh, Beirut: Dār al-Fārābī, 2016, 32f.
84 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas sition im Attributenlehrenstreit schwierig zu fassen ist. Am aufschlussreichsten ist hier seine Behandlung des Gottesnamens al-ʿAlī (der Hochstehende), den er ganz im Sinne der traditionalistischen Position und im Widerspruch zu den Ašʿariten interpretiert. So schreibt er, dass die ahl as-sunna wa-l-ḥadīṯ aufbauend auf diesem Gottesnamen die Ansicht vertreten, dass Gott und die Schöpfung zueinander in einer Richtung (ǧiha) stehen sowie dass Er Sich nicht nur in abstrakter (maʿnawī) Form in der Höhe befindet, sondern in einer, die mit den Sinnen erfahrbar (ḥissī) ist.418 Bereits im Bagdad der späteren Zeit, und noch viel mehr in Damaskus, waren es nicht mehr die nun immer mehr an Bedeutung verlierenden Muʿtaziliten, die die Hauptgegnerschaft der traditionalistisch ausgerichteten Ḥanbaliten darstellten, sondern die Ašʿariten.419 Deren ideengeschichtlicher Werdegang soll im folgenden Unterkapitel mit dem Fokus auf ihre Lehren bezüglich der Attribute Gottes skizziert werden.
3.5 Die Ašʿariten Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, der Namensgeber der ašʿaritischen Schule,420 wurde im Jahre 260/873-4 in Basra geboren und verstarb 324/935-6 in Bagdad. Obwohl er zu den bekanntesten Theologen der islamischen Geschichte gehört, ist nicht nur sein Leben spärlich dokumentiert, sondern sind auch die allermeisten seiner Werke verloren.421 Bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr war er ein enger Schüler von Abū 418 Ṭūfī, Ḥallāl al-ʿuqad, 19 Z.15–17. Die Ašʿariten, die aṭ-Ṭūfī nicht explizit nennt, interpretieren diesen Gottesnamen dahingehend, dass Gott hierarchisch über der Schöpfung steht (also im Sinne eines Ranges), um der sonst aufkommenden Implikation zu entgehen, Gott sei räumlich verortet. Siehe z. B. Abū Bakr Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt aš-šayḫ Abī l-Ḥasan al-Ašʿarī, hrsg. von Daniel Gimaret, Beirut: Dār al-Mašriq, 1987, 47 Z.3–9; Rāzī, Tafsīr, 7/14; und Daniel Gimaret, Les noms divins en Islam. Exégèse lexicographique et théologique, Paris: Patrimoines, 1988, 206f. 419 Siehe Makdisi, Ibn ʿAqīl, 7. 420 Siehe zu dieser Schule z. B.: Michel Allard, Le problème des attributs divins dans la doctrine d’al-Ašʿarī et de ses premiers grands disciples, Beirut: Imprimerie Catholique, 1965; Daniel Gimaret, La doctrine d’al-Ashʿarī, Paris: Patrimoines, 1990; und die zahlreichen Veröffentlichungen von Richard Frank, z. B. seine gesammelten Schriften in Richard Frank, Classical Islamic Theology: The Ash’arites. Texts and Studies on the Development and History of Kalâm, hrsg. von Dimitri Gutas, Bd. 3, Aldershot: Ashgate, 2008. 421 Relativ ausführlich wurden al-Ašʿarīs Leben und Werk von Wilhelm Spitta behandelt, dessen Beitrag – trotz seines Alters – nach wie vor einen guten Einstieg in die Thematik bietet: Wilhelm Spitta, Zur Geschichte Abû’l-Ḥasan al-Aśʿarî’s, Leipzig: J. C. Hinrich’sche Buchhandlung, 1876. Siehe auch Allard, Attributs divins, 25–72. Eine Übersicht über die Sekundärliteratur jüngerer Zeit findet sich bei David Thomas, Al-Ašʿarī, in: David Thomas/Alex Mallett (Hrsg.), Christian-Muslim
3.5 Die Ašʿariten
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ʿAlī al-Ǧubbāʾī (gest. 303/916), dem führenden Repräsentanten des basrischen Muʿtazilitentums seiner Zeit. Wenige Jahre vor dem Tod seines Lehrers verkündete al-Ašʿarī nach einem Freitagsgebet in der Moschee von Basra, dass er mit der muʿtazilitischen Schule gebrochen hat.422 Dort soll er, so berichtet es die älteste erhaltene biographische Notiz zu seinem Leben, auf einen Stuhl (kursī) gestiegen sein und der versammelten Menge folgendes zugerufen haben: Ich bin denen bekannt, die mich kennen. Wer mich nicht kennen sollte, dem stelle ich mich vor: Ich bin der Soundso (fulān ibn fulān). Ich war der Meinung, dass der Koran erschaffen sei; dass Gott nicht durch die Blicke (bi-l-abṣār) [der Menschen] wahrgenommen werden könne; und dass ich schlechte Taten selbst verursache. Davon wende ich mich ab und zwar mit Reue und der festen Überzeugung, die Muʿtaziliten widerlegen zu müssen und dabei ihre Schändlichkeiten und Fehler aufzuzeigen.423
Wenige Zeit nach diesem Ereignis siedelte al-Ašʿarī nach Bagdad über, wo er Unterricht in der Rechtslehre bei dem bekannten Šāfiʿiten Abū Isḥāq al-Marwazī (gest. 340/951) genommen haben soll. Mit Verweis darauf erachtete die spätere šāfiʿitische Gelehrtenschaft al-Ašʿarī als einen der ihren und stellte sich damit gegen die Behauptung, er sei Mālikit gewesen.424
relations. A bibliographical history, Bd. 2, Leiden und Boston: Brill, 2010, 209–216, hier 209–212. Die beiden wichtigsten vormodernen Ausführungen zu al-Ašʿarīs Leben und Werk, die beide jedoch hagiographisch gefärbt sind, sind Abū l-Qāsim Ibn ʿAsākir, Tabyīn kaḏib al-muftarī fī-mā nusiba ilā l-imām Abī l-Ḥasan al-Ašʿarī, hrsg. von Ḥuṣām ad-Dīn al-Qudsī, Damaskus: Maṭbaʿat atTawfīq, 1347 [=1928-9]; und Tāǧ ad-Dīn as-Subkī, Ṭabaqāt aš-šāfiʿiyya al-kubrā, hrsg. von Maḥmūd aṭ-Ṭanāḥī/ʿAbd al-Fattāḥ al-Ḥulw, 10 Bde., Kairo: Dār Iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1964, 3/343–373. Erstgenanntes Werk wird zusammengefasst und teilweise übersetzt bei Richard McCarthy, The Theology of al-Ashʿarī, Beirut: Imprimerie Catholique, 1953. Darüber hinaus verfasste auch Abū ʿAlī al-Ahwāzī (gest. 446/1055) – Anhänger einer sufisch-theologischen Strömung namens sālimiyya – eine kleine Abhandlung über al-Ašʿarīs Biographie. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung übelster Beschimpfungen, die für die Rekonstruktion von al-Ašʿarīs Leben von geringem Wert sind, wohl aber Zeugnis über das besonders raue Klima ablegen, in welchem sich das frühe Ašʿaritentum behaupten musste. Al-Ahwāzīs Traktat wurde ediert und ins Französische übersetzt; siehe Michel Allard, Un pamphlet contre al-Ašʿarī, in: Bulletin d’études orientales 23 (1970), 129–165. Schließlich sei noch angemerkt, dass al-Ahwāzī derjenige ist, auf den sich der Ausdruck Lügner (al-muftarī im Titel des Werkes von Ibn ʿAsākir bezieht. 422 Siehe hierzu Daniel Gimaret, Sur la conversion. L’exemple du théologien musulman Abū lḤasan al-Ašʿarī (m. 324 h./935 AD), in: Jean-Christophe Attias (Hrsg.), De la Conversion, Paris: Patrimoines, 1997, 107–118. 423 Ibn an-Nadīm, The Fihrist of al-Nadīm, hrsg. von Ayman Fuʾād Sayyid, 2 Bde. in vier Teilen gedr., London: Al-Furqan Islamic Heritage Foundation, 2009, 12 /648f. 424 Siehe Subkī, Ṭabaqāt, 3/352.
86 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Von den mehreren hundert Werken al-Ašʿarīs sind lediglich sechs erhalten, wobei alle zum einen theologischer Natur sind und zum anderen nach seiner Abkehr vom Muʿtazilitentum verfasst wurden. Dabei handelt es sich um das Maqālāt al-islāmiyyīn,425 das al-Lumaʿ fī r-radd ʿalā ahl az-zayġ wa-l-bidaʿ, das Risāla ilā ahl aṯ-ṯaġr bi-Bāb al-Abwāb, das Masʾala fī l-īmān,426 das al-Ibāna ʿan uṣūl addiyāna sowie das al-Ḥaṯṯ ʿalā l-baḥṯ.427 Die Authentizität der beiden letztgenannten Werke wurde in der Forschung lange Zeit debattiert, u. a. deswegen, weil sie sich inhaltlich so stark zu widersprechen scheinen, dass es nur schwer vorstellbar war, dass sie von ein und demselben Autor verfasst wurden. So ist das Ibāna, und zwar sowohl in Bezug auf den Argumentationsstil als auch auf den Inhalt ganz klar der traditionalistischen Theologie verpflichtet. Angeblich soll al-Ašʿarī es gar mit der Intention verfasst haben, die Gunst al-Barbahārīs im Speziellen und die der Ḥanbaliten im Allgemeinen zu erlangen.428 Dahingegen ist das Ḥaṯṯ als ein Plädoyer für die Methodik des kalām zu verstehen. Unter anderem wird darin argumentiert, dass der Prophet Muḥammad nur deswegen nicht über die Erschaffenheit des Korans, über das Atom und über die Theorie des Sprungs (ṭafra)429 redete, weil es dazu keinen Anlass gab.430 In der Forschung hat sich schließlich die Meinung durchgesetzt, dass beide Werke auf al-Ašʿarī zurückgehen und der Widerspruch zwischen diesen nur scheinbar besteht. Im Ḥaṯṯ wird lediglich für den kalām als Methodik Stellung bezogen, aber es werden keine konkreten theologischen Positionen angeführt; daher kann es dahingehend mit dem Ibāna nicht kollidieren. Dass nun im Ibāna keine Argumente im Stile des kalām angeführt 425 Dieses Werk wird ausführlich besprochen bei Josef van Ess, Der Eine und das Andere, 2 Bde., Berlin und New York: De Gruyter, 2011, 1/456–501. Es sei noch darauf hingewiesen, dass al-Ašʿarī den ersten Teil des Werkes vor seinem Bruch mit den Muʿtaziliten verfasst hatte; siehe ebd., 1/459. 426 Dieses Traktat findet sich ediert bei Spitta, Geschichte, 138–140. 427 Diese Schrift ist auch bekannt unter dem unechten Titel Risālat Istiḥsān al-ḫawḍ fī ʿilm al-kalām. 428 Siehe Gimaret, Sur la conversion, 116f. 429 Mit dieser Theorie versuchte der Muʿtazilit an-Naẓẓām vor dem Hintergrund seiner Ansicht, dass sich Körper unendlich oft teilen lassen, zu erklären, wie es sein kann, dass ein Objekt eine unendlich oft teilbare Strecke in einer begrenzten Zeit durchqueren kann. Demgemäß nahm er an, dass das Objekt bei der Durchquerung der Strecke eine endliche Anzahl von Punkten durchläuft und dabei die unendliche Anzahl der dazwischenliegenden Punkte überspringt (daher der Name der Theorie). Eine ausführliche Behandlung dieser Thematik findet sich bei Alnoor Dhanani, The Physical Theory of Kalām. Atoms, Space, and Void in Basrian Muʿtazilī Cosmology, Leiden, New York und Köln: Brill, 1994, 176–181. 430 Siehe Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, Al-Ashʿarī’s Kitāb al-Ḥathth ʿalā l-baḥth, hrsg., erläut. und mit einer Einl. vers. von Richard Frank, in: MIDEO 1988, 83–152, nachgedr. als Teil IX mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Early Islamic Theology. The Muʿtazilites and al-Ashʿarī, Bd. II, Aldershot: Ashgate, 2007, hier 149a, Abschnitt 2.314 (engl. Zusammenfassung auf S. 102).
3.5 Die Ašʿariten |
87
werden, bedeutet nicht, dass der Autor deswegen ein Gegner des kalām gewesen sein muss, und so lässt es sich auch von dieser Warte aus mit dem Ḥaṯṯ in Einklang bringen.431 Al-Ašʿarī rückte also nach seiner Abkehr vom Muʿtazilitentum in doktrinärer Hinsicht näher an die ahl al-ḥadīṯ, blieb jedoch von seiner Methodik her dem kalām treu. Aḥmad Ibn Ḥanbal, den er zweifelsohne in Ehren hält,432 gehört damit nicht oder nur begrenzt zu seinen intellektuellen Vorgängern. Diese sind vielmehr – wie der ašʿaritische Doxograph ʿAbd al-Qāhir al-Baġdādī (gest. 429/1037) sie nennt – die frühen Generationen der spekulativen Theologen unter den Traditionalisten (al-mutaqaddimūn min mutakallimī ahl al-ḥadīṯ);433 allen voran Ibn Kullāb (gest. 241/855), aber auch Denker wie al-Muḥāsibī (gest. 243/857) und al-Qalānisī (bl. in der zweiten Hälfte des 3./9. Jhs.).434 Auch wenn der Geograph al-Muqaddasī (gest. nach 380/990) bereits um das Jahr 375/985 die Ašʿariten als eine eigene Schule wahrgenommen hatte, erachtete man al-Ašʿarī auch in den Jahrzehnten danach noch manchmal als nur einen von vielen Gelehrten in der Tradition Ibn Kullābs.435 Im Folgenden soll nun die Attributenlehre al-Ašʿarīs aufbauend auf seinen vorhandenen Werken und auch auf dem Muǧarrad al-Maqālāt des zwei Generationen später lebenden Ibn Fūrak436 skizziert werden.437
431 Siehe Frank, Elements in the Development; auch Thiele, Between Cordoba and Nīsābūr, 227, Fußnote 2. 432 So z. B. lässt er der Erwähnung seines Namens die Eulogie raḍiya llāh ʿanhu (möge Gott mit ihm zufrieden sein) folgen. 433 Siehe ʿAbd al-Qāhir al-Baġdādī, Kitāb Uṣūl ad-dīn, Istanbul: Maṭbaʿat ad-Dawla, 1928, 254 Z.16f. 434 Siehe hierzu Harith Bin Ramli, The Predecessors of Ashʿarism. Ibn Kullāb, al-Muḥāsibī and al-Qalānisī, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 215–224. 435 Siehe Josef van Ess, Ibn Kullāb, in: Peri Bearman u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. XII, Leiden: Brill, 2004, 391b–392, hier 392a. 436 Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt. Daniel Gimaret, der Herausgeber dieses Werkes, der sich darüber hinaus auch intensiv mit den theologischen Ansichten al-Ašʿarīs befasst hat, ist der Ansicht, dass Ibn Fūrak die Positionen al-Ašʿarīs korrekt wiedergibt; siehe Gimaret, Doctrine, 16–21. Martin Nguyen hingegen meint, ohne dabei die Sicht Gimarets zu diskutieren: „the work more properly reflects the developing arguments made by some of the earliest Ashʿarī scholars to follow Abū l-Ḥasan al-Ashʿarī, particularly Ibn Fūrak, rather than by al-Ashʿarī himself“. Martin Nguyen, Ibn Fūrak, Abū Bakr Muḥammad, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2017 (2), 130b–132, hier 131b. 437 Ausführlich wird die Attributenlehre al-Ašʿarīs behandelt bei Allard, Attributs divins, 173–285; und Gimaret, Doctrine, 211–365.
88 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas Al-Ašʿarī unterscheidet zwischen den göttlichen Wesens- und den Tatattribu-
ten (ṣifāt aḏ-ḏāt und ṣifāt al-afʿāl).438 Diese Kategorisierung, die in der späteren
islamischen Ideengeschichte zu einer Selbstverständlichkeit wird, wurde erstmalig Mitte des 3./9. Jahrhunderts von Muʿtaziliten vorgebracht.439 Laut al-Ašʿarī müssen
alle Attribute aus der Offenbarung entnommen werden;440 wobei manche von
ihnen zusätzlich durch die Vernunft erkannt werden können (sog. ṣifāt ʿaqliyya) und andere nicht (sog. ṣifāt ḫabariyya). Bei den durch die Vernunft bestätigten
Wesensattributen handelt es sich ihm zufolge um die folgenden acht:441 [1] mawǧūd
(existent) oder bāqin (beständig) oder wāḥid (einer); [2] ḥayy (lebendig); [3] qādir (mächtig); [4] ʿalīm (wissend); [5] murīd (wollend); [6] mutakallim (redend);442 [7]
samīʿ (hörend) sowie [8] baṣīr (sehend).443 Diejenigen Wesensattribute, über die man nur deshalb Bescheid weiß, weil die Offenbarung über sie berichtet, sind die folgenden: [1 und 2] yadān (zwei Hände); [3] waǧh (Gesicht); [4] ǧanb (Seite) sowie [4 und 5] ʿaynān (zwei Augen).444
Neben diesen Wesensattributen kennt al-Ašʿarī noch vier Tateigenschaften.
Diese sind [1] istiwāʾ (die Erhebung) über Seinen Thron;445 [2] ityān (das Auf438 Siehe Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, Risāla ilā ahl aṯ-ṯaġr bi-Bāb al-Abwāb, hrsg. von ʿAbdallāh al-Ǧunaydī, Medina: Maktabat al-ʿUlūm wa-l-ḥikam, 2002, 177. Die ṣifāt aḏ-ḏāt werden in gleichbedeutender Weise oft auch als ṣifāt an-nafs bezeichnet. 439 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 3/272f. und 401. Dort sagt van Ess auch, dass Abū l-Huḏayl diese Unterscheidung noch nicht gekannt habe. Sabine Schmidtke hingegen identifiziert ihn, jedoch ohne Angabe einer Referenz, als ihren Urheber; siehe Schmidtke, Rationale Theologie, 172. 440 Siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 42 Z.1–3. 441 Zu den Werkstellen, in denen al-Ašʿarī sie mit Vernunftargumenten zu untermauern versucht, siehe unten, Fußnote 1077. 442 Dieses Attribut steht im Fokus in Unterkapitel 10.2 der vorliegenden Arbeit. 443 Diese letztgenannten sieben Attribute sowie die Eigenschaft der Existenz gibt al-Ašʿarī in selbiger Reihenfolge an bei Ašʿarī, Ṯaġr, 213 (iǧmāʿ #3). An anderen Stellen ersetzt er den Ausdruck mawǧūd durch wāḥid; siehe Allard, Attributs divins, 56f. Später folgende Ašʿariten, die wohl auf eine Vielzahl weiterer (heute verlorener) Schriften al-Ašʿarīs Zugriff hatten, listen bei der Behandlung seiner Ansichten statt wāḥid und mawǧūd das Attribut bāqin auf; siehe hierzu Richard Frank, Al-Ustādh Abū Isḥāḳ. An ʿAḳīda Together with Selected Fragments, in: MIDEO 1989, 129–202, nachgedr. als Teil XIV mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Classical Islamic Theology: The Ashʿarites. Texts and Studies on the Development and History of Kalām, Bd. III, Aldershot: Ashgate, 2008, hier 189f. zu Fragment 47. 444 Siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 41 Z.3–5; auch Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, al-Ibāna ʿan uṣūl ad-diyāna, hrsg. von Fawqiyya Ḥusayn Maḥmūd, Kairo: Dār al-Anṣār, 1977, 120–140 (zu allen außer 4), und Ašʿarī, Ṯaġr, 225f. (iǧmāʿ #7; zu 1 und 2). 445 Dieses Attribut wird ausführlich in Unterkapitel 10.3 der vorliegenden Arbeit behandelt.
3.5 Die Ašʿariten |
89
etwas-Zugehen); [3] nuzūl (das Herabsteigen) sowie [4] maǧīʾ (das Herbeikommen).446 Alle Attribute Gottes müssen unter Berücksichtigung des balkafa-Prinzips verstanden werden447 und unter strenger Wahrung der Prämisse, dass Gott weder aus Teilen zusammengesetzt ist noch in Seinem Wesen zeitliche Vorgänge und damit auch keine Veränderungen stattfinden.448 Die Wesensattribute sind daher – anders als die Tatattribute, die, wie noch zu sehen sein wird, nicht in Gott selbst verortet sind – unveränderlich und ewig (qadīm). Auch kommen sie dem Wesen Gottes zusätzlich zu (zāʾida ʿalā ḏ-ḏāt), wobei sie weder mit Gott identisch (nafsuhū) noch etwas anderes als Gott (ġayruhū) sind.449 Das Verhältnis zwischen dem Wesen Gottes und Seinen Attributen wurde bereits von dem basrischen Theologen Ibn Kullāb mit bewusster Abgrenzung zu den Muʿtaziliten auf diese Weise definiert.450 Dadurch, dass Gottes Attribute nicht identisch mit Seinem Wesen sind, wird ihnen eine ontologische Realität zugesprochen; mit anderen Worten: Ein Attribut (ṣifa) Gottes ist nicht einfach reduzierbar auf eine Beschreibung (waṣf ) Gottes, so wie das noch die Muʿtaziliten bis in die Zeit von Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī vertraten.451 Dass das Attribut nun aber auch nicht etwas anderes ist als Gott, ist als Antwort auf die muʿtazilitische Position zu verstehen, nach der die Annahme, dass die ewigen Attribute Gottes reale Entitäten darstellen, dazu führt, dass man neben Gott weitere ewige Existenzen annehmen muss. Festzuhalten ist hier, dass al-Ašʿarī den Ausdruck ṣifa, wenn er auf Gott gemünzt wird, nicht im Sinne von Akzidens (ʿaraḍ) versteht. Vielmehr macht er deutlich, dass Gott – anders als die erschaffenen Dinge – weder aus einer Substanz 446 Siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 41 Z.7–9; auch Ašʿarī, Ibāna, 30 und 114 (zu 3 und 4), 108–119 (zu 1); sowie Ašʿarī, Ṯaġr, 232–234 (iǧmāʿ #9; zu 1) und 227–229 (iǧmāʿ #8; zu 3 und 4). 447 Siehe z. B. ebd., 236 (iǧmāʿ #10). 448 Siehe z. B. Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, Kitāb al-Lumaʿ fī r-radd ʿalā ahl az-zayġ wa-l-bidaʿ, hrsg. von Ḥammūda Ġurāba, Kairo: Maktabat Miṣr, 1955, 23 und 43. Dass allem Veränderlichen die Nicht-Existenz vorhergeht, ist eine der Kernprämissen der ašʿaritischen Theologie und markiert einen der gewichtigsten Unterschiede zur Position Ibn Taymiyyas; siehe hierzu Kapitel 9 in der vorliegenden Arbeit. 449 Siehe Ašʿarī, Ṯaġr, 218. 450 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/443f. 451 Die Begriffe waṣf und ṣifa sowie deren Verwendung in der Theologie werden behandelt bei Gimaret, Doctrine, 235–243; Daniel Gimaret, Ṣifa (2. In theology), in: Clifford Bosworth u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. IX, Leiden: Brill, 1997, 551b–552a; Richard Frank, Attribute, Attribution, and Being. Three Islamic Views, in: Parviz Morewedge (Hrsg.), Philosophies of Existence. Ancient and Medieval, New York: Fordham University Press, 1982, 258–278, nachgedr. als Teil V mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Classical Islamic Theology: The Ashʿarites. Texts and Studies on the Development and History of Kalām, Bd. III, Aldershot: Ashgate, 2008; sowie Frank, Ḥāl, 343f.
90 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas noch aus Akzidenzien besteht.452 In diesem Sinne hat der ṣifa-Ausdruck in den Theologien verschiedenster Prägung bereits starke Verwendung erfahren; umso mehr verwundert es, dass mehr als ein Jahrhundert nach al-Ašʿarī der andalusische Gelehrte Ibn Ḥazm (gest. 456/1064) dafür argumentiert, dass der Ausdruck ṣifa gar nichts anderes als Akzidens bedeutet und seine Verwendung in Bezug auf Gott eine von der Offenbarung nicht gedeckte Neuerung in der Religion (bidʿa) darstellt.453 Was nun die Tatattribute betrifft, so führt al-Ašʿarī nicht viel mehr an als das, was bereits dargestellt wurde – also dass sie dem balkafa-Prinzip unterliegen und dass sie keine zeitlich aufkommenden Zustände in Gott darstellen. Die spätere Doxographie fügt speziell zum Attribut des istiwāʾ noch hinzu, dass es sich dabei laut al-Ašʿarī um einen Akt Gottes handelt, den Er in Bezug auf Seinen Thron ausführte und welchen Er dann in der Offenbarung als Erhebung bezeichnete (faʿala fī l-ʿarš fiʿlan sammāhu istiwāʾ).454 Alle weiteren in der Offenbarung vorgebrachten Beschreibungen Gottes führt al-Ašʿarī jeweils auf eines der oben genannten Attribute zurück. So spricht der Koran z. B. Gott die Eigenschaften zu, zufrieden oder zornig zu sein; al-Ašʿarī bestätigt diese Eigenschaften auch, reduziert sie inhaltlich jedoch auf den göttlichen Willen, die Rechtschaffenen zu loben bzw. die Ungläubigen zu bestrafen.455 Trotz der prominenten Stellung des ašʿaritischen Denkens in der islamischen Ideengeschichte ist die Entwicklung dieser Schule keineswegs ausreichend erforscht. Da in den letzten 15 Jahren einige wichtige Werke ašʿaritischer Gelehrter ediert wurden,456 darf darauf gehofft werden, dass in naher Zukunft einige der ausstehenden Forschungsdesiderata erfüllt werden. Zweifelsohne gilt, dass das frühe Ašʿaritentum in besonderem Maße von drei Gelehrten geprägt wurde, die alle bei unmittelbaren Schülern al-Ašʿarīs ausgebildet wurden. Diese sind Abū Bakr al-Bāqillānī (gest. 403/1013), Abū Bakr Ibn Fūrak (gest. 406/1015) und Abū Isḥāq al-Isfarāyīnī (gest. 418/1027). Ersterer war in Bagdad ansässig und stand als Richter 452 Siehe Ašʿarī, Ṯaġr, 218. 453 Siehe Abū Muḥammad Ibn Ḥazm, al-Fiṣal fī l-milal wa-l-ahwāʾ wa-n-niḥal, 5 Bde., Kairo: al-Maktaba al-adabiyya, 1317 [=1899-1900], photograph. Nachdr., Kairo: Maktabat as-Salām alʿālamiyya, o. J. 2/95f. 454 Siehe Gimaret, Doctrine, 328. 455 Siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 42ff. und 74f.; für das angeführte Beispiel siehe 45 Z.11ff.; auch Ašʿarī, Ṯaġr, 231 (iǧmāʿ #9). Dies gilt auch für alle weiteren Eigenschaften, die al-Ašʿarī in seinen Werken (hierbei ist v. a. das Ibāna zu nennen) und die über die in den obigen Ausführungen aufgezählten Attribute hinausgehen. 456 Siehe Sabine Schmidtke, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 1–23, hier 11–14.
3.5 Die Ašʿariten |
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und darüber hinaus zweitweise als Diplomat im Dienst der schiitischen Buyiden.457 Eine Schlüsselrolle kam ihm bei der Verbreitung ašʿaritischen Gedankenguts in Nordafrika zu.458 Was seine Gottesvorstellung betrifft, so ist sie, wie Michel Allard darlegt, nah an der des Schulgründers.459 In seinen Werken lassen sich aber auch Einflüsse aus der griechischen Logik erkennen460 und darüber hinaus entlehnte er den Ausdrucks des wāǧib al-wuǧūd (das notwendige Sein; d. h. Gott) der falsafa.461 Das Zentrum ašʿaritischer Gelehrsamkeit befand sich zu dieser Zeit nicht in Bagdad, der Wirkstätte al-Ašʿarīs und al-Bāqillānīs, sondern in Ḫurāsān; dort vor allem in Naysābūr im Osten des heutigen Irans. Sowohl Ibn Fūrak als auch al-Isfarāyīnī ließen sich in dieser Stadt nieder, um an einer jeweils extra für sie errichteten Schule zu lehren. Beide hatten großen Anteil an der zunehmenden Verbreitung des Ašʿaritentums innerhalb der šāfiʿitischen Gelehrsamkeit. Dass die Ašʿariten sich in dieser Zeit zu konsolidieren begannen, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihnen auch heftige Feindschaft von verschiedener Seite entgegenschlug. In Naysābūr waren ihre theologischen Hauptgegner die Karrāmiten.462 Ibn Fūrak verfasste sein Werk Muškil al-ḥadīṯ wohl vor dem Hintergrund der aus seiner Sicht anthropomorphistischen Positionen dieser Schule. Seine Ansichten in der Attributenlehre, die er dort vorbringt, decken sich zwar nicht vollständig, aber doch zu
457 Zu seinem Leben und Werk sowie der wichtigsten Sekundärliteratur siehe David Thomas, Al-Bāqillānī, in: David Thomas/Alex Mallett (Hrsg.), Christian-Muslim relations. A bibliographical history, Bd. 2, Leiden und Boston: Brill, 2010, 446–450. 458 Siehe hierzu Delfina Serrano Ruano, Later Ašʿarism in the Islamic West, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 515–533, v. a. 516 mit weiteren Nachweisen zu der Thematik. 459 Siehe Allard, Attributs divins, 310 und 311. 460 Siehe ebd., 308f. 461 Dies also noch bevor der Ausdruck aufgrund seiner Verwendung durch Ibn Sīnā starke Verbreitung fand; siehe Thiele, Between Cordoba and Nīsābūr, 231. 462 Der Namensgeber dieser Schule ist Abū ʿAbdallāh Muḥammad Ibn Karrām (gest. 255/869), der überwiegend in der östlichen Region Siǧistān (persisch: Sīstān) lebte. Die Karrāmiten wirkten vom 3.-7./9.-13. Jahrhundert; allerdings verstarb deren letzter großer Repräsentant, Muḥammad Ibn al-Hayṣam, bereits im Jahre 409/1019. Wie auch die ḥanbalitische Schule steht sie nicht nur für eine bestimmte theologische Richtung, sondern auch für eine im Recht; wobei viele der Karrāmiten im letztgenannten Bereich Ḥanafiten waren. Da von ihnen keine theologisch relevanten Werke erhalten sind, können ihre Ansichten nicht aus erster Hand in Erfahrung gebracht werden. Einen Überblick über diese Schule bietet z. B. Aron Zysow, Karrāmiyya, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 252–262. Für weitere Literatur siehe die dortigen Nachweise.
92 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas weiten Teilen mit denen al-Ašʿarīs.463 Glaubt man der späteren Geschichtsschreibung, sollen die Karrāmiten Ibn Fūrak vergiftet haben, nachdem sie ihm in einer theologischen Debatte am Hof der Seldschuken unterlegen waren.464 Dem eher konservativ eingestellten al-Bāqillānī steht sein Zeitgenosse alIsfarāyīnī gegenüber, der nicht nur neuartige Ansichten vertrat, sondern sich auch von der muʿtazilitischen Theologie inspirieren ließ.465 Von ihm ist lediglich ein kurzes Glaubensbekenntnis (ʿaqīda) erhalten, in welchem er 26 Glaubensartikel vorbringt. Dieses, so meint er, soll muslimischen Kindern vorgelesen werden, sobald sie in das Erwachsenenalter eintreten, sodass sie dadurch zu Gläubigen (muʾminūn) werden.466 Da nach manchen Anhängern der Wahrheit (ahl al-ḥaqq), so al-Isfarāyīnī weiter, erwachsene Personen nur dann über einen vollkommenen Glauben (īmān kāmil) verfügen, wenn sie diese 26 Artikel nicht nur kennen, sondern auch durch rationale Beweise untermauern können, liefert er diese im Anschluss an seine Ausführungen nach.467 Der theologische Hintergrund hierzu ist das, was Frank Griffel als die „Jugendsünde“ der Ašʿariten bezeichnet.468 Dabei handelt es sich um die Ansicht, dass die ungelehrte Masse der Muslime nur dann wirklich gläubig ist, wenn sie die Grundlagen der (ašʿaritischen) Theologie nicht in einem Akt blinder Nachahmung, sondern aufgrund rationaler Beweise als wahr bestätigt. Die Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft, darunter auch die im kalām ungebildeten Seldschuken, die Naysābūr im Jahre 427/1038 einnahmen, galten demnach vielen Ašʿariten als nicht wirklich gläubig. Den Karrāmiten bot sich hierdurch eine Chance, die Ašʿariten bei der politischen Elite in Verruf zu bringen. Damit lieferten sie einen der Gründe für die im Jahr 445/1053 beginnende staatlich angeordnete Verfolgung der Ašʿariten in Naysābūr, die erst mit dem Tod des seldschukischen Sultans Tughrul Beg (gest. 455/1063) enden sollte. Die Ašʿariten wurden in den Freitagspredigten verflucht, und viele ihrer hochstehenden Gelehrten, darunter auch der bekannte Abū l-Maʿālī l-Ǧuwaynī mussten fliehen oder wurden, wie z. B. Abū l-Qāsim al-Qušayrī (gest. 465/1072), eingesperrt. Im Nachgang dieser Ereignisse änderte das Ašʿaritentum sein Konzept vom Glauben 463 Siehe Abū Bakr Ibn Fūrak, Kitāb Muškil al-ḥadīṯ aw Taʾwīl al-aḫbār al-mutašābiha, hrsg. von Daniel Gimaret, Damaskus: Institut français d’études arabes de Damas, 2003, 42–44 in der arabischsprachigen Einleitung des Hrsg. 464 Siehe Nguyen, Ibn Fūrak, 131b. 465 Siehe Angelika Brodersen, Abū Isḥāq al-Isfarāyīnī, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2008 (2), 19b–21a, hier 19. 466 Siehe Frank, Knowledge and Taqlīd, 133, I. 467 Siehe ebd., 136, IV. 468 Griffel, Apostasie und Toleranz, 208.
3.5 Die Ašʿariten |
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ab, sodass nun auch ungebildete Menschen in den Rang von wahren Gläubigen aufsteigen konnten.469 Die Religionspolitik der Seldschuken wandelte sich indes unter dem Wesir Niẓām al-Mulk (getötet 485/1092) dramatisch zugunsten der Ašʿariten. Er ließ eine Vielzahl von Schulen in verschiedenen Städten errichten, darunter eine in Naysābūr, die er al-Ǧuwaynī widmete, sowie eine in Bagdad, in der al-Ǧuwaynīs Schüler al-Ġazālī im Jahre 484/1091 seine Lehrtätigkeit als Professor aufnahm.470 Es sollte bei all dem allerdings nicht vergessen werden, dass den Ašʿariten auch mächtige Gegner gegenüberstanden; in Bagdad waren es, wie bereits ausgeführt, die Ḥanbaliten.471 Wie in Bezug auf die in obigen Unterkapiteln besprochenen Denkschulen, können auch bei der ašʿaritischen Ideengeschichte hinsichtlich der Attributenlehre aufgrund der innerschulischen Meinungsvielfalt lediglich Entwicklungstrends aufgezeigt werden. So lässt sich eine methodische und inhaltliche Annäherung sowohl zu den Muʿtaziliten als auch zu den falāsifa erkennen. Bereits al-Bāqillānī und später auch einige andere ašʿaritische Theologen wie al-Ǧuwaynī übernahmen die ḥāl-Theorie der Bahšamiten, wenn auch in modifizierter Form.472 Al-Ǧuwaynī wurde darüber hinaus auch in der Art, wie er die Existenz Gottes zu beweisen versuchte, von dem Muʿtaziliten Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī beeinflusst.473 Wie bereits ausgeführt, wurden schrittweise auch gewichtige Elemente aus der Tradition der falsafa in den ašʿaritischen kalām inkorporiert.474 Damit einher ging auch die Verwendung avicennistischer Terminologie; so unterschied al-Ġazālī nun wie Ibn Sīnā zwischen den Attributen der Negation (salb) und denen der Relation (iḍāfa).475 Die für die vorliegende Arbeit bedeutsamste Entwicklung ist die stetige Annäherung des ašʿaritischen Gottesbildes an transzendentalistischere Positionen wie die der Muʿtaziliten. Die Ašʿariten haben sich bereits früh auf die Realität der rational erkennbaren Wesensattribute geeinigt; diese jedoch anders als al-Ašʿarī auf sieben begrenzt. Demnach erachteten sie Gott als lebendig, mächtig, wissend, wollend, redend, hörend und sehend.476 Was nun die Wesensattribute, von de469 Siehe ebd., 204–215. 470 Zur Religionspolitik Niẓām al-Mulks siehe Glassen, Der mittlere Weg, 63ff. 471 Siehe oben, S. 78. 472 Siehe Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 377–382. 473 Siehe Madelung, Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, 19a. 474 Dies wurde bereits im Unterkapitel zu den falāsifa thematisiert; siehe oben, S. 58f. 475 Zu Ibn Sīnās Gebrauch dieser Ausdrücke siehe oben, S. 55f. Zu al-Ġazālī siehe Gimaret, Noms divins, 110–113. 476 Auszunehmen ist hierbei al-Bāqillānī, der auch noch in seinem Spätwerk Hidāyat almustaršidīn als achtes Attribut die Beständigkeit (baqāʾ) Gottes listet; siehe Sabine Schmidtke,
94 | 3 Gottes Attribute in der islamischen Ideengeschichte bis zur Zeit Ibn Taymiyyas nen man lediglich aufgrund der Gottesbeschreibungen in den Offenbarungstexten Kenntnis hat, sowie die Handlungsattribute betrifft, so tendierte das Ašʿaritentum mit fortschreitender Entwicklung dazu, diese allegorisch zu deuten. Weniger als ein Jahrhundert nach dem Ableben al-Ašʿarīs weiß Abū Manṣūr Ibn Ayyūb (gest. 421/1030), ein führender Repräsentant der ašʿaritischen Schule in Transoxanien sowie Schüler und Schwiegersohn Ibn Fūraks,477 zu berichten, dass viele seiner Schulkollegen der späteren Generationen (mutaʾaḫḫirī aṣḥābinā) die Erhebung (istiwāʾ) Gottes über den Thron als Gottes Unterwerfung (qahr) und Bezwingung (ġalaba) Seiner Schöpfung interpretieren.478 Auch Ibn Ayyūbs Zeitgenosse ʿAbd al-Qāhir al-Baġdādī (gest. 429/1037) nähert sich den Muʿtaziliten an, wenn er entgegen der Position al-Ašʿarīs und al-Bāqillānīs anthropomorphistisch erscheinende Attribute wie z. B. die Hände Gottes allegorisch deutet.479 Die noch eine Generation nach ihm von dem prominenten Gelehrten al-Bayhaqī vetretene konservative Ausrichtung der ašʿaritischen Theologie480 gerät jetzt weiter in den Hintergrund, da auch al-Ǧuwaynī sowie al-Ġazālī eine allegorische Deutung der oben angsprochenen Wesens- und Handlungsattribute vorbringen.481 Diese Entwicklung kulminiert im Denken ar-Rāzīs, der mit seiner Sicht, dass die Sprache über einen sehr hohen Grad an Vagheit verfügt, das legitimatorische Fundament allegorischer Deutungen der Offenbarungstexte weiter stärkt. Von zentraler Bedeutung ist hierbei ar-Rāzīs Systematisierung und umfassende Anwendung dessen, was seit al-Ġazālī als Allgemeine Regel (al-qānūn al-kullī) bezeichnet wird. Diese Thematik ist für die vorliegende Arbeit besonders relevant und wird daher in Unterkapitel 6.2 einer gesonderten Betrachtung unterzogen. Es ist also vor allem das späte Ašʿaritentum (vor allem ar-Rāzī), das Ibn Taymiyya im Attributenlehrenstreit als seinen Hauptgegner erachtet. Dahingegen findet er Early Ašʿarite Theology. Abū Bakr al-Bāqillānī (d. 403/1013) and His Hidāyat al-mustaršidīn, in: Bulletin d’études orientales 60 (2011), 39–71, hier 49, 21 verso. 477 Zu Ibn Ayyūb siehe Wilferd Madelung, Abu l-Muʿīn al-Nasafī and Ashʿarī Theology, in: Carole Hillenbrand (Hrsg.), Studies in Honour of Clifford Edmund Bosworth. The Sultan’s Turret: Studies in Persian and Turkish Culture, Bd. 2, Leiden, Boston und Köln: Brill, 2000, 318–330, hier 324f. 478 Ibn Ayyūb soll dies al-Bayhaqī in einem Brief mitgeteilt haben; siehe Bayhaqī, al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt, 2/309. 479 Siehe Allard, Attributs divins, 339 und 342 sowie die Fußnote 968 in vorliegender Arbeit. 480 Seine Attributenlehre wird dargestellt bei ebd., 342–372. 481 Zu al-Ǧuwaynī siehe unten, Fußnote 968; ausführlich wird seine Position dargestellt bei Mohammed Saflo, Al-Juwaynī’s Thought and Methodology. With a Translation and Commentary on Lumaʿ al-adillah, Berlin: Klaus Schwarz, 2000, 118–156; und Allard, Attributs divins, 372–404. Siehe auch die Ausführungen Tariq Jaffers, der dabei auch auf die Ansichten al-Ġazālīs eingeht, bei Tariq Jaffer, Rāzī. Master of Qurʾānic Interpretation and Theological Reasoning, New York: Oxford University Press, 2015, 73–77.
3.5 Die Ašʿariten |
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für al-Ašʿarī und dessen eher konservativ eingestellten Nachfolger al-Bāqillānī und al-Bayhaqī lobende Worte.482 Anders als es George Makdisi zu erweisen versuchte, hatte sich die ašʿaritische Schule spätestens seit der Mitte des 6./12. Jahrhunderts zu einer festen Größe in der islamischen Denktradition entwickelt;483 und so hatte sich Ibn Taymiyya, wie auch seine Biographie zeigt, mächtige Widersacher ausgesucht.
482 Siehe z. B. Aṣfahāniyya 517–519. Ibn Taymiyyas Sicht auf al-Ašʿarī wird auch behandelt bei Racha el-Omari, Ibn Taymiyya’s ‘Theology of the Sunna’ and His Polemics with the Ashʿarites, in: Yossef Rapoport/Shahab Ahmed (Hrsg.), Ibn Taymiyya and His Times, Karachi: Oxford University Press, 2010, 101–119. 483 Siehe Wilferd Madelung, The Spread of Māturīdism and the Turks, in: Biblios 46 (1970), 109– 168, nachgedr. als Teil II mit selbiger Pagination in: Wilferd Madelung (Hrsg.), Religious Schools and Sects in Medieval Islam, London: Variorum Reprints, 1985, 109f. mit Fußnote 3; sowie Frank, Elements in the Development. Makdisi kommt aber das Verdienst zu, aufgezeigt zu haben, dass das Ašʿaritentum bis zu seiner Konsolidierung auf viel mehr Widerstand getroffen ist, als es die ašʿaritische Geschichtsschreibung – von der die Forschung stark beeinflusst wurde – oftmals glauben lassen möchte; siehe hierzu v. a. folgende Beiträge: Makdisi, Ash’arī and the Ash’arites I; George Makdisi, Ashʿarī and the Ashʿarites in Islamic Religious History II, in: Studia Islamica 1963, 19–39; und Makdisi, The Sunnī Revival.
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Teil II: Die methodischen Grundlagen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas
4 Seinstheoretische Grundlagen 4.1 Der Begriff des wuǧūd – Bedeutung und Abstufungen Der Begriff wuǧūd hat nach Ansicht Ibn Taymiyyas drei Bedeutungen. Zum einen ist es das Verbalsubstantiv des Verbes waǧada (finden, vorfinden), zum anderen kann es auch die Bedeutung des passivischen Partizips (also: mawǧūd) annehmen, ähnlich wie man z. B. auch al-ḫalq (die Schöpfung) mit al-maḫluq (das Geschaffene) gleichsetzen kann.484 Ein Objekt ist demnach als wuǧūd bzw. mawǧūd zu bezeichnen, wenn es tatsächlich vorgefunden wurde oder aber – und das ist der Kern von Ibn Taymiyyas Existenzbegriff – wenn es sich um etwas handelt, das zumindest vorgefunden werden kann. Diese Bedeutung ist laut Ibn Taymiyya mit der Zeit einer anderen – der nun dritten und letzten Bedeutung – gewichen, nämlich der des Bestand-Habens (ṯubūt) bzw. des Seins (kawn) bzw. des Stattfindens (ḥuṣūl).485 Die Eigenschaft, potenziell vorfindbar zu sein oder tatsächlich vorgefunden zu werden, ist zwar untrennbar mit der eben angeführten neueren Bedeutung verbunden (lāzim lahū), wird aber bei der Verwendung des Wortes weder vom Sprecher noch vom Hörer bewusst wahrgenommen.486 Existenz bzw. wuǧūd ist laut Ibn Taymiyya also mit potenzieller Vorfindbarkeit gleichzusetzen. Hier, aber auch an anderer Stelle, erläutert er den Begriff der Vorfindbarkeit in der Bedeutung der Wahrnehmbarkeit durch die Sinne, wobei er sich explizit auf die fünf Sinne des Menschen bezieht.487 Andersherum ist ein Objekt genau dann nicht-existent (maʿdūm), wenn es sich einer (menschlich-)sinnlichen Wahrnehmung grundsätzlich entzieht.488 Nach Ibn Taymiyya bestätigt die natürliche Veranlagung (fiṭra) des Menschen, dass die Negation der Vorfindbarkeit eines Objekts mit der Negation seiner Existenz gleichzusetzen ist.489 Aus der Vorfindbarkeit, so Ibn Taymiyya weiter, ergibt sich dann auch notwendigerweise, dass das Seiende über ein Wo (ayna) und über ein Wohin (ḥayṯu) charakterisiert wer484 Bayān 2/351f. 485 Siehe hierzu z. B. Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 24 Z.7f. In der Tradition der falsafa wurde und wird gewöhnlich zwischen Existenz und Sein unterschieden; siehe z. B. Lizzini, ExistenceExistent, 111ff. Ibn Taymiyya verwendet diese Ausdrücke jedoch synonym. 486 Bayān 2/352. In seiner Schrift Akmaliyya bezeichnet Ibn Taymiyya den Terminus wuǧūd wie auch māhiya (Quiddität) und kayfiyya (Modalität) als durch fremde Einflüsse entstandene Neologismen (alfāẓ muwallada); siehe Akmaliyya, MF 6/99; Ed. Sālim 25. 487 Bayān 2/341, 352, und 3/565f. 488 Die Betonung liegt hier auf grundsätzlich, da Ibn Taymiyya an anderer Stelle bemerkt, dass der Umstand, ein Objekt nicht vorgefunden zu haben, nicht notwendigerweise bedeutet, dass dieses Objekt nicht existiert (ʿadam al-wiǧdān lā yastalzimu ʿadam al-wuǧūd). Siehe Radd 100. 489 Bayān 2/354. https://doi.org/10.1515/9783110623673-004
4.1 Der Begriff des wuǧūd – Bedeutung und Abstufungen
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den kann. Das Wo bezieht sich auf den vom Objekt eingenommenen Ort (ḥayyiz), ohne den sich ein Vorfinden nicht denken lässt, und das Wohin auf die Richtung (ǧiha), die sich notwendigerweise aus der Relation zwischen dem Vorgefundenen und dem Vorfindenden ergibt. Ein Seiendes ist für Ibn Taymiyya also, um das mit deutschen Begriffen einzufangen, hinsichtlich seiner Eigenschaft, auf die Sinne einzuwirken, ein Wirk-liches und hinsichtlich seiner Eigenschaften, die aus seiner Vorfindbarkeit folgen, ein Da-seiendes. Die Ansicht, dass existente Dinge auch wahrnehmbar sein müssen, schreibt Ibn Taymiyya der Mehrheit der salaf und der ṣifātiyya490 zu. Die gegenteilige Position sei von den Ǧahmiten vertreten worden.491 Tatsächlich findet sich eine entsprechende Diskussion in dem frühen Werk ar-Radd ʿalā Bišr al-Marīsī des Abū Saʿīd ad-Dārimī (gest. zw. 280–2/893–5),492 einem Traditionarier und Schüler Aḥmad Ibn Ḥanbals. Diese Schrift stellt einen Widerlegungsversuch eines nicht näher genannten Kontrahenten (muʿāriḍ) dar, der ein Anhänger von Bišr Ibn Ġiyāṯ al-Marīsī (gest. 218/833) gewesen sein soll und damit aus der traditionellen häresiographischen Sicht dem ǧahmitischen Lager zuzuordnen ist. Laut ad-Dārimī soll sein Kontrahent die Position vertreten haben, dass Gott mit keinem der fünf Sinne wahrgenommen werden kann. Dagegen argumentiert ad-Dārimī u. a. mit Verweis auf die Hörbarkeit der göttlichen Rede und der Sichtbarkeit Gottes am Jüngsten Tag.493 Letzteres bildet den theologischen Hintergrund, vor der die ašʿaritische (und auch māturīditische494 ) Position zu verstehen ist, dass alles Existierende auch potenziell wahrnehmbar sein müsse.495 Der Ašʿarit Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 490 So bezeichnet Ibn Taymiyya diejenigen der mutakallimūn wie z. B. die Ašʿariten, die manche der Attribute Gottes als real bestätigen; siehe Bayān 1/69. 491 Bayān 3/565f. 492 Siehe zu ihm: Binyamin Abrahamov, al-Dārimī, Abū Saʿīd, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2015 (3), 74b–75. Er ist nicht zu verwechseln mit Abū Muḥammad ad-Dārimī (gest. 255/869), Verfasser einer Ḥadīṯ-Kompilation, die unter dem Titel Sunan ad-Dārimī bekannt ist. 493 Siehe Abū Saʿīd ad-Dārimī, Radd al-imām ad-Dārimī ʿUṯmān Ibn Saʿīd ʿalā Bišr al-Marīsī l-ʿanīd, hrsg. von Muḥammad Ḥāmid al-Faqqī, Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 2004, 13–19. 494 So erachtete z. B. der māturīditische Gelehrte Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār (gest. 534/1139) Wahrnehmbarkeit und Existenz bzw. Nicht-Wahrnehmbarkeit und Nicht-Existenz als jeweils austauschbar; siehe Brodersen, Der unbekannte kalām, 418. 495 Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī listet mehrere Meinungen zu der Frage auf, was es bedeutet, dass Gott als mawǧūd bezeichnet wird. Darunter ist auch die seines Lehrers Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī, von dem al-Ašʿarī sich bekanntlich in einer späteren Phase seines Lebens abwandte. Dieser verstand den Begriff mawǧūd im Sinne von gewusst (maʿlūm) und existent (kāʾin). Siehe Ašʿarī, Maqālāt, 520. Daniel Gimaret, der diese Stelle bespricht, stellt mit Verweis auf Ibn Fūraks Muǧarrad al-Maqālāt fest, dass al-Ašʿarī eine identische Ansicht vertreten habe; siehe Gimaret, Noms divins, 133–136,
100 | 4 Seinstheoretische Grundlagen 606/1210), der in einer späten Phase seines Lebens eine skeptische Haltung hinsichtlich der Beweisbarkeit einiger ašʿaritischer Auffassungen eingenommen hatte, erklärt, dass die Frage nach der Möglichkeit der Gottesschau auf rationalem Wege nicht zu beantworten ist, und bezeichnet das in dieser Diskussion von den Ašʿariten vorgebrachte Argument, existente Dinge müssten auch grundsätzlich sichtbar sein, als schwach.496 Ibn Taymiyya schreibt, aber ohne Bezug auf das eben Ausgeführte, dass ar-Rāzī, beeinflusst durch die peripatetischen Philosophen (al-mutafalsifa al-maššāʾiyyūn), zu der Ansicht gekommen ist, dass Existenz und sensuelle Wahrnehmbarkeit nicht logisch miteinander verknüpft sind. Dies hat ar-Rāzī, so Ibn Taymiyya weiter, dann durch die Behauptung zu exemplifizieren versucht, dass sich z. B. der Seelenkörper grundsätzlich jeglicher sensueller Perzeption entziehe.497 Tatsächlich haben in der Tradition von Aristoteles stehende Philosophen wie al-Fārābī (gest. 339/950-1) dezidiert zwischen der allgemeinsprachlichen und der philosophischen Bedeutung des Begriffs mawǧūd unterschieden.498 Ibn Sīnā (gest. 428/1037) konstatiert in seinem Werk at-Tanbīh wa-l-išārāt, dass fälschlicherv. a. 133f. Dies ist richtig, wobei jedoch al-Ǧubbāʾīs Verständnis von mawǧūd im Sinne von maʿlūm theologisch motiviert sein dürfte, insofern es ihm als Muʿtazilit ein Anliegen gewesen sein dürfte, dass Gottes Vorfindbarkeit mit Wissbarkeit und keinesfalls mit sensueller Wahrnehmbarkeit gleichzusetzen ist. Ganz anders sieht dies jedoch al-Ašʿarī, der in einem seiner Werke dafür argumentiert, dass Gott geschaut und gehört werden könne, und der sogar erklärt, in welcher Weise laut manchen seiner Mitstreiter (aṣḥāb) auch die anderen drei Sinne Gott erfahren könnten; siehe Ašʿarī, Lumaʿ, 61–63; siehe auch Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 80 Z.6–8. Spätestens bei al-Ǧuwaynī findet sich dann die Aussage, dass ein Objekt, das als mawǧūd beschrieben wird, potenziell sichtbar sein muss; siehe Abū l-Maʿālī al-Ǧuwaynī, Kitāb al-Iršād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād, hrsg. von Muḥammad Yūsuf Mūsā/ʿAlī ʿAbd al-Munʿim ʿAbd al-Ḥamīd, Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, 1950, 174. Für weitere Untersuchungen, die auch auf die Etymologie des Begriffs wuǧūd eingehen, siehe Richard Frank, The Ašʿarite Ontology. I Primary Entities, in: Arabic Sciences and Philosophy 9 (1999), 163–231, nachgedr. als Teil IX mit selbiger Pagination in: Dimitri Gutas (Hrsg.), Classical Islamic Theology: The Ashʿarites. Texts and Studies on the Development and History of Kalām, Bd. III, Aldershot: Ashgate, 2008; sowie Lizzini, Existence-Existent. 496 Er favorisiert dennoch die Ansicht, dass die Gottesschau möglich ist, da die Überlieferungen, die auf die Propheten und auf diejenigen, denen göttliche Inspiration zuteil wird (aṣḥāb al-kašf ), zurückgehen, darauf deuten. Siehe Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, al-Maṭālib al-ʿāliya, hrsg. von Aḥmad al-Ḥiǧāzī as-Saqqā, 9 Bde., Beirut: Dār al-Kitāb al-ʿarabī, 1987, 2/87. Die Aussage, dass alles Existierende auch sinnlich wahrnehmbar sein muss, schreibt er in einer anderen Schrift seinen nicht näher genannten Widersachern – wahrscheinlich ḥanafitischen Karrāmiten – zu (siehe zu der Schule der karrāmiyya oben, Fußnote 462). Leider schweigt er jedoch dazu, welche Position er in dieser Frage einnimmt; siehe Rāzī, Asās at-taqdīs, 63. 497 Bayān 2/344. 498 Siehe Tiana Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, Leiden und Boston: Brill, 2009, 189ff., v. a. 194f. Koutzarova bemerkt, dass ihres Wissens nach Ibn Sīnā diese Fragestellung nicht behandelt hat; siehe 192.
4.1 Der Begriff des wuǧūd – Bedeutung und Abstufungen |
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weise behauptet worden sei, dass existente Dinge grundsätzlich mit den Sinnen erfasst werden können. Er hält fest, dass dies nur für das körperliche Sein gilt, nicht aber – und dieses Argument setzt die Gültigkeit der von ihm vertretenen realistischen Auffassung von Allgemeinbegriffen voraus – für z. B. Universalien wie das Menschsein.499 An verschiedenen Stellen seiner Werke unterteilt Ibn Taymiyya das Sein in vier Stufen (marātib).500 Ohne explizit zu sagen, auf wen er sich bei seiner Unterteilung beruft, beginnt er seine Ausführungen meist mit den Worten Es wurde gesagt‘ ’ oder Ähnlichem und teilt mit, dass sich das vierstufige Seinskonzept schon im Koran finden lässt.501 Demzufolge kann die Existenz in den Einzeldingen (aʿyān), den Köpfen (aḏhān), der Zunge (lisān) und den Fingerkuppen (banān) verortet werden. Die Begriffswahl zielt hier mit Blick auf die gleichlautenden Endungen offensichtlich mehr auf Einprägsamkeit als auf Verständlichkeit ab. Im Weiteren verdeutlicht Ibn Taymiyya, was mit dieser Einteilung gemeint ist. So wird hier die Existenz in ihrer konkreten (ʿaynī), ihrer konzeptuellen (ʿilmī), ihrer gesprochenen (lafẓī) und ihrer geschriebenen (rasmī) Form ausgedrückt. Er exemplifiziert das am Beispiel der Sonne, welcher eine konkrete außenweltliche Existenz zukommt. Diese wird intramental in einem ihr entsprechenden (muṭābiq) Abbild konzeptionalisiert. Der Ausdruck Sonne bildet das sprachliche Gegenstück, der auf das Bild im Kopf verweist. Schließlich weisen die aneinandergereihten Buchstaben S, o, n, n und e auf das gesprochene Wort.502 Im Koran ist laut Ibn Taymiyya, wie schon erwähnt, diese Vierteilung bereits implizit angesprochen, als da zu lesen ist, dass Gott dem Menschen Wissen über das Schreibrohr lehrte.503 Laut Ibn Taymiyya ist die Vermittlung des Wissens hier bewusst nicht mit der Fähigkeit des Denkens oder des Sprechens verbunden, sondern mit der Fähigkeit des Schreibens. Denn letztere setzt die beiden erstgenannten voraus. Andersherum muss ein Denkender aber nicht unbedingt sprechen und ein Sprechender nicht unbedingt schreiben können.504 499 Siehe Abū ʿAlī Ibn Sīnā, al-Išārāt wa-t-tanbīhāt, hrsg. von Muǧtabā z-Zirāʿī, 3. Aufl., Qom: Būstān, 1434 [=2012-3], 263f. 500 Siehe z. B. Bayān 6/480–483, Ǧawāb 3/340 und 397; Ṣafadiyya 2/156 und 277; Darʾ 5/91; und Minhāǧ 5/450. 501 Ideengeschichtlich lässt sich das vierstufige Seinskonzept mindestens bis zu Ibn Sīnā zurückverfolgen, der es in seinem al-Išārāt wa-t-tanbīhāt anführt. Nach ihm findet sich das Konzept dann in den Werken einer Reihe unterschiedlicher Gelehrter; siehe Sajjad Rizvi, Mullā Ṣadrā and Metaphysics, London und New York: Routledge, 2009, 1 mit Endnote 6 auf S. 137 (diesen Literaturhinweis verdanke ich Zeynep Yucedogru). 502 Ǧawāb 3/340 und 397. 503 Siehe Koran 96:4–5. 504 Manbiǧī, MF 2/470.
102 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Diese koranexegetischen Ausführungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eben behandelte Unterteilung des Seins in vier Stufen theologisch motiviert ist. Das gilt auch schon für Gelehrte vor Ibn Taymiyya; so hat z. B. laut Richard Frank al-Ġazālī mit der Anführung dieses Modells mindestens auch beabsichtigt, das ašʿaritische Verständnis des Korans als göttliche Rede gegen den von den Ḥanbaliten vorgebrachten Einwand, die Begriffe qirāʾa (wörtlich: Lesung) und maqrūʾ (wörtlich: Gelesenes) könnten austauschbar verwendet werden, ontologisch abzusichern.505 Es könnte aber auch sein, dass al-Ġazālī hier die Muʿtaziliten im Hinterkopf hatte. So bringt z. B. Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī (gest. 793/1390) ein Argument vor, welches er explizit den Muʿtaziliten zuschreibt. Demnach ist es mutawātir 506 überliefert worden, dass Koran eine Name für das ist, was zwischen den zwei Buchdeckeln des Muṣḥaf geschrieben steht. Daraus ergibt sich, dass er in diesem verschriftlicht ist, durch die Zungen gelesen und durch die Ohren gehört wird. Derartiges ist eine Eigenschaft der zeitlichen Dinge, sodass der Koran nicht ewig sein kann. Im Anschluss daran versucht at-Taftāzānī dieses Argument mit Rückgriff auf das vierstufige Seinsmodell al-Ġazālīs zu entkräften.507 Auch Ibn Taymiyya führt das Modell im Kontext der Diskussionen über Gottes Eigenschaft der Rede heran,508 wie in Kapitel 10.2 noch ausführlich dargestellt wird. Viel öfter jedoch dient es ihm als Stütze in der Widerlegung der aristotelischrealistischen Auffassung von den Allgemeinbegriffen, der er, wie noch ausgeführt werden wird, eine konzeptualistische Sicht entgegensetzt.
4.2 Die Gleichartigkeit (miṯl bzw. tamāṯul) und die Ähnlichkeit (šibh bzw. tašābuh bzw. ištibāh) zwischen existenten Dingen Gemäß Ibn Taymiyya kommen jedem real existierenden Einzelding seine ihm spezifischen Eigenschaften vollkommen abgetrennt von allen anderen Einzeldingen 505 Siehe Richard Frank, Al-Ghazālī and the Ashʿarite School, Durham und London: Duke University Press, 1994, 82 mit Endnote 14 auf S. 132. Siehe auch Martin Whittingham, Al-Ghazālī and the Qurʾān. One book, many meanings, Abingdon: Routledge, 2007, 24. 506 Mit dem Ausdruck mutawātir werden in der klassischen Ḥadīṯ-Wissenschaft diejenigen Überlieferungen beschrieben, die über so viele Tradentenketten überliefert werden, dass eine Absprache der Überlieferer über eine Falschaussage oder aber ein Irrtum bei der Weitergabe vernunftgemäß ausgeschlossen werden kann. 507 Siehe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī, Šarḥ al-ʿAqāʾid an-nasafiyya, hrsg. von Šuʿbat al-kutub addirāsiyya (Gremium), 2. Aufl., Karatschi: Maktabat al-Madīna, 2012, 167–170. 508 Siehe Afʿāl al-ʿibād, MF 8/424f.
4.2 Die Gleichartigkeit und die Ähnlichkeit zwischen existenten Dingen
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zu, wobei sie sich in jedem Objekt auf eine ihm eigentümliche Weise verwirklichen. Dabei gilt, dass zwei oder mehrere existierende Objekte weder in jeder Hinsicht ununterscheidbar noch vollkommen unähnlich sein können. Wäre ersteres der Fall, dann würde es sich um ein Objekt und nicht um mehrere handeln.509 Letzteres ist nicht möglich, da Objekte sich mindestens in ihrer Eigenschaft, zu existieren, ähneln müssen.510 Das höchste Ausmaß an Vergleichbarkeit besteht bei den Dingen, bei denen eine Gleichartigkeit (miṯl bzw. tamāṯul) vorliegt. Ibn Taymiyya stellt hierbei die Regel auf, dass die Gleichartigkeit zweier Dinge hinsichtlich ihrer Eigenschaften (sifāt) sowie ihrer Handlungen die Gleichartigkeit ihrer Essenzen (ḏawāt) voraussetzt.511 Als Beispiel führt er das zweier Menschen an. Auf der anderen Seite des Spektrums der Vergleichbarkeit erschaffener Dinge nennt er die diesseitigen und jenseitigen Dinge, zwischen denen es neben einer gewissen Ähnlichkeit (šibh bzw. tašābuh bzw. ištibāh) eine noch viel größere Unähnlichkeit gibt. Diese wird nur noch übertroffen durch die Unähnlichkeit zwischen dem Geschaffenen und dem Schöpfer, der damit erst recht den Geschöpfen nicht gleichartig ist, und zwar sowohl hinsichtlich Seines Wesens, als auch Seiner Eigenschaften und Handlungen.512 Zwei oder mehr Objekte sind genau dann gleichartig – und hier steht Ibn Taymiyya im Einklang mit Denkern wie z. B. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī und anderen mutakallimūn – wenn all jenes, was dem einen Objekt notwendiger-, möglicher- sowie unmöglicherweise zukommt, auch jeweils allen anderen Objekten auf jeweils gleiche Weise zukommt.513 Darüber hinaus unterscheidet Ibn Taymiyya terminologisch zwischen den Ausdrücken tamṯīl und tašbīh. Ersterer verweist auf die Handlung, zwei oder mehrere Objekte als gleichartig zu klassifizieren; gemäß letzterem gelten sie nicht als gleichartig, sondern lediglich einander ähnlich. Er grenzt sich dabei ganz bewusst von den mutakallimūn ab, die beide Termini synonym verwenden.514 Wenn man den Ausdruck tašbīh indes rein im Sinne von tamṯīl verwendet, ist das laut Ibn Taymiyya unproblematisch und bereits im Sprachgebrauch mancher der salaf zu finden. Erachtet man sie jedoch als synonym, weil man nicht zwischen Gleichartigkeit und Ähnlichkeit unterscheidet, dann begeht man laut Ibn Taymiyya den Fehler, 509 Darʾ 10/275. 510 Darʾ 5/83f. 511 Nuzūl, MF 5/325; Ed. Ḫamīs 73. 512 Nuzūl, MF 5/325 und 348f.; Ed. Ḫamīs 72f. und 108. 513 Tadmuriyya, MF 3/87; Ed. Saʿawī 145. Das, was hier mit dem Ausdruck unmöglicherweise wiedergegeben wurde, fehlt in MF. Ibn Taymiyya wiederholt aber diese Definition entweder wörtlich oder inhaltlich an vielen Stellen seiner Werke; siehe z. B. Bayān 1/289 und 3/134. Zur Position ar-Rāzīs siehe Rāzī, Asās at-taqdīs, 35f. und 75. 514 Bayān 3/134–136.
104 | 4 Seinstheoretische Grundlagen dessen sich bereits die Attributenleugner (nufāh) der Ǧahmiten schuldig gemacht haben. So haben sie Gott, um dem tamṯīl zu entgehen, nicht nur jede Gleichartigkeit, sondern auch jedwede Ähnlichkeit mit den existenten Dingen abgesprochen und Ihn dadurch – ohne dies zu beabsichtigen – mit dem nicht-existenten Sein gleichgesetzt.515 Nun ist auch nach Ibn Taymiyya der tamṯīl durch den Koran eindeutig verboten worden; Gott und Schöpfung sind also nicht von gleicher Art.516 Der tašbīh im Sinne der Feststellung einer Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf ist hingegen nicht nur erlaubt, sondern, wie eben gesehen, zwingend notwendig.517 Ibn Taymiyya konstatiert, dass die Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf von den sogenannten muʿaṭṭila518 in unterschiedlichem Ausmaß geleugnet wurde. In seiner Schrift Tadmuriyya führt er aus, wie innerhalb dieser Gruppe kontrovers diskutiert wurde, welche Beschreibungen Gottes zu tamṯīl führen und welche nicht. Demnach haben die Muʿtaziliten argumentiert, dass sich ein jeder des tamṯīl schuldig macht, der Gott eine urewige Eigenschaft (ṣifa qadīma) zuschreibt, also z. B. behauptet, dass Ihm ein urewiges Wissen oder eine urewige Kraft zukommt – dies, weil die Eigenschaft, urewig zu sein, von der allerspeziellsten Beschreibung Gottes (min aḫaṣṣ waṣf al-ilāh) ist, sodass die Annahme einer urewigen Eigenschaft damit einhergeht, Gott etwas Gleichartiges (miṯl) zur Seite zu stellen.519 Die muṯbita,520 entgegnen den Muʿtaziliten laut Ibn Taymiyya, dass Gottes allerspeziellste Eigenschaften die sind, die der Schöpfung nicht zukommen, wie z. B. die, der Herr der Welten, allwissend, allmächtig und ein einziger Gott zu sein. Manche unter ihnen haben, so Ibn Taymiyya, auch argumentiert, dass es unsinnig ist zu sagen, dass Gott und Seine Attribute unterschiedliche urewige Existenzen sind. Vielmehr ist, konstatieren die muṯbita, Gott mit all Seinen Eigenschaften urewig, sodass das Attribut der Urewigkeit nicht allein auf Seine von allen Eigenschaften losgelösten Essenz (ḏāt muǧarrada) zu begrenzen ist, die in dieser Form nicht einmal existiert. Wenn also die Muʿtaziliten den muṯbita vorwerfen, sich 515 Bayān 3/136. 516 Nuzūl, MF 5/325; Ed. Ḫamīs 72f. Die Passage nimmt Bezug auf Koran 42:11. 517 An anderer Stelle verweist Ibn Taymiyya auch auf die Meinung, dass Gott weder als existent noch als nicht-existent, weder als lebendig noch als nicht-lebendig usw. bezeichnet werden darf, um Ihn nicht mit dem existenten bzw. nicht-existenten und dem lebendigen bzw. nicht-lebendigen Sein zu vergleichen. Laut Ibn Taymiyya führt dies dazu, dass Gott letztlich mit dem unmöglichen Sein gleichgesetzt wird; siehe Nuzūl, MF 5/327; Ed. Ḫamīs 75. 518 Ein pejorativer Ausdruck, mit dem diejenigen bezeichnet werden, von denen man meint, dass sie die Attribute Gottes ihrer Realität berauben und damit inhaltlich entleeren. 519 Tadmuriyya, MF 3/70; Ed. Saʿawī 117. 520 Mit diesem Ausdruck bezeichnet Ibn Taymiyya manchmal allgemein alle, die Gott Eigenschaften zuerkennen, manchmal aber auch speziell darunter fallende Gruppierungen wie die Ašʿariten oder die ahl al-ḥadīṯ.
4.2 Die Gleichartigkeit und die Ähnlichkeit zwischen existenten Dingen
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des tašbīh bzw. des tamṯīl schuldig zu machen, dann legitimiert sich dieser Vorwurf lediglich auf Basis bestimmter Grundannahmen, die letztere jedoch nicht teilen.521 So könnten diese antworten, dass, selbst wenn dies bei manchen Leuten als tašbīh definiert werde, es sich dabei doch um einen tašbīh handelt, der von der Vernunft und der Überlieferung gestützt wird.522 Darüber hinaus sagen die Muʿtaziliten, dass Eigenschaften ausschließlich in einem Platz greifenden (mutaḥayyiz) Körper (ǧism) inhärieren können. Körper wiederum – und hier spielt Ibn Taymiyya auf einen von vielen mutakallimūn angeführten Beweis namens dalīl tamāṯul al-aǧsām an, den er selbst jedoch, wie gleich zu sehen sein wird, ablehnt – sind alle von gleicher Art. Damit führt die Ansicht, dass Gott Eigenschaften hat, notwendigerweise zu dem Schluss, dass Er körperlich ist, was wiederum notwendigerweise zu tašbīh führt, da die Körper gleichartig sind. Dieser Logik, sagt Ibn Taymiyya, folgen bedingt auch die muṯbita; sie jedoch unterscheiden zwischen Eigenschaften, die auch unkörperliche Wesen haben können, und anderen, auf die das nicht zutrifft. Zu letzteren zählen sie u. a. Gottes Eigenschaften, über Seinem Thron zu sein sowie der, dass willentliche Handlungen in Ihm inhärieren (qiyām al-afʿāl al-iḫtiyāriyya bihī), und so lehnen sie – Ibn Taymiyya bezieht sich hier explizit auf die Ansichten al-Ǧuwaynīs – diese Eigenschaften ab, da sie ihre Affirmation als einen unerlaubten tašbīh erachten. Zu den Eigenschaften, die auch unkörperliche Wesen haben können, zählen sie u. a. das Hören, das Sehen und das Sprechen, sodass diese Gott zugeschrieben werden können. Ibn Taymiyya macht deutlich, wie auch manche Ḥanbaliten von diesem Denken beeinflusst wurden. Er selbst jedoch sieht eine wie auch immer geartete Grenzziehung zwischen den Eigenschaften, deren Annahme notwendigerweise damit einhergeht, Gott als mit Seiner Schöpfung gleichartig einzustufen, und denen, bei denen das nicht der Fall ist, als reine Willkür an. Auch verwirft er die Gültigkeit der Aussage, dass alle Körper von gleicher Art seien, ganz gleich, ob man nun Körper als dasjenige definiert, auf das gezeigt werden kann (mā yušāru ilayhi), als dasjenige, was durch sich selbst subsistiert (al-qāʾim bi-nafsihī), als dasjenige, was existiert, oder als dasjenige, was sich aus Materie und Form zusammensetzt. Der Beweis wäre lediglich dann gültig, wenn man annehmen würde, 521 An späterer Stelle vergleicht er das mit dem Umstand, dass die Schiiten die Sunniten als nawāṣib bezeichnen (pejorativer Ausdruck, mit dem man den damit Bezeichneten vorwirft, den vierten Kalifen ʿAlī Ibn Abī Ṭālib angefeindet zu haben). Dies baut auf dem Verständnis auf, dass Sympathie für die ersten zwei Kalifen des Islams mit einer Anfeindung ʿAlīs gleichzusetzen ist; siehe Tadmuriyya, MF 3/72.; Ed. Saʿawī 122f. Man gewinnt hier den Eindruck, dass Ibn Taymiyya Ausdrücke wie mumaṯṯila und mušabbiha als polemische Kampfbegriffe sieht. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) wendet er genau diese Begriffe sowohl auf die Muʿtaziliten als auch auf die Ašʿariten an, wie in Kapitel 7.1.3 noch ausgeführt wird. 522 Tadmuriyya, MF 3/70f.; Ed. Saʿawī 118f.
106 | 4 Seinstheoretische Grundlagen dass sich Körper aus Atomen zusammensetzen, und diese wiederum als gleichartig eingestuft würden. Die Meinung, es gebe Atome, ist aber laut Ibn Taymiyya sowohl unbewiesen als auch von der Mehrheit der Vernunftbegabten (ǧumhūr al-ʿuqalāʾ) als falsch erachtet worden.523 Aufgrund der Annahme, dass es keine zwei Objekte gibt, zwischen denen keine Ähnlichkeit besteht, hält Ibn Taymiyya das Konzept des tašbīh für ungeeignet, zwischen den Eigenschaften, die Gott zukommen, und denen, die Ihm nicht zukommen, zu unterscheiden. Er schlägt als Alternative das argumentum a fortiori (qiyās awlā) vor,524 das in Kapitel 7.1.2 besprochen wird. Die Ähnlichkeit der Dinge wird sprachlich in den Allgemeinbegriffen erfasst, sodass es dann auch möglich ist, metaphysische Objekte wie z. B. den Wein im Paradies, aber auch Gott, sinnvoll zu beschreiben. Gäbe es diese Ähnlichkeit nicht, dann könnte man nur das beschreiben, was man auch sinnlich wahrgenommen hat.525 Eine sprachtheoretische Untersuchung der Allgemeinbegriffe und ihrer Funktion wird in Kapitel 5.2 vorgenommen, wenn es um Ibn Taymiyyas Alternative zu der von ihm abgelehnten ḥaqīqa-maǧāz-Theorie geht. Im Folgenden soll nun untersucht werden, welchen ontologischen Status Ibn Taymiyya den Allgemeinbegriffen zuerkennt, wobei sich herausstellen wird, dass er eine konzeptualistische Position vertritt.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie Die Frage nach dem ontologischen Status der Allgemeinbegriffe, erstmalig gestellt vielleicht von Platon (gest. 347 v. Chr.), zieht sich durch die Geschichte der Philosophie und ist bis heute nicht geklärt. Die Diskussionen dazu entflammten in Europa zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert (mit Einfluss übersetzter Werke arabischer Denker ab dem Ende des 12. Jahrhunderts) auf so heftige Weise, dass die Auseinandersetzung heute unter dem Ausdruck Mittelalterlicher Universalienstreit bekannt ist.526 Aus dieser Zeit stammt auch das bis heute gebräuchliche Begriffsinventar, durch welches die verschiedenen Positionen in der Debatte bezeichnet 523 Tadmuriyya, MF 3/72; Ed. Saʿawī 121f. 524 Tadmuriyya, MF 3/74; Ed. Saʿawī 124. Ibn Taymiyya benutzt den Begriff qiyās awlā im Gegensatz zu vielen anderen Stellen seiner Werke hier nicht, aber seine Ausführungen machen deutlich, dass er genau diese Schlusstechnik im Sinn hat. 525 Nuzūl, MF 5/346; Ed. Ḫamīs 104f. 526 Hintergrund und Geschichte des lateinisch-mittelalterlichen Universalienstreits werden eingehend beschrieben bei Hans-Ulrich Wöhler (Hrsg.), Texte zum Universalienstreit. Band 1 - Vom Ausgang der Antike bis zur Frühscholastik, Berlin: Akademie Verlag, 1992, 1/307–339, und daran anknüpfend in ders. (Hrsg.), Texte zum Universalienstreit. Band 2 - Hoch- und spätmittelalterliche Scholastik, Berlin: De Gruyter, 1994, 2/263–315. Wöhler zeichnet auch, jedoch weniger ausführlich,
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie | 107
werden. Bevor konkret auf Ibn Taymiyyas Sicht eingegangen werden kann, ist es notwendig, die Verwendungsweise der in diesem Kapitel benutzten Terminologie, die hinsichtlich ihrer Definitionen nicht unumstritten ist, zu erläutern. Unter den Universalien‘ werden die fünf Prädikabilien verstanden, die Por’ phyrios (gest. nach 300 n. Chr.) in seiner Isagoge anführt und erklärt. Demzufolge können sich Allgemeinbegriffe in der Anwendung auf ein konkretes Objekt in der Außenwelt auf unterschiedliche Dinge beziehen: entweder auf dessen Gattung (lat. genus; arab. ǧins), dessen Art (lat. species; arab. nawʿ), dessen artbildenden Unterschied (lat. differentia; arab. faṣl), dessen Eigentümlichkeit (lat. proprium; arab. ʿaraḍ ḫāṣṣ), oder eine seiner unwesentlichen Eigenschaften (Sing.: lat. accidens; arab. ʿaraḍ ʿāmm). Der Mensch – um das an dem von Porphyrios selbst gewählten Beispiel zu verdeutlichen – ist demnach ein Lebewesen (Gattung), ein Mensch (Art), vernunftbegabt (artbildender Unterschied), er besitzt die Fähigkeit zu lachen (Eigentümlichkeit) und verfügt über Akzidenzien wie z. B. weiß oder schwarz zu sein und zu sitzen (unwesentliche Eigenschaften).527 Die Frage nach der ontologischen Beziehung zwischen den Allgemeinbegriffen und dem, was sie bezeichnen, wirft Porphyrios explizit auf, ohne sie jedoch zu beantworten. Antwortversuche finden sich in den zahlreichen arabischen und lateinischen Kommentaren zur Isagoge. Der Meinung, Allgemeinbegriffe verwiesen auf in der Außenwelt existierende Objekte (lat. res) stand der Meinung, Allgemeinbegriffe seien lediglich Namen (lat. nomina) gegenüber. Die Verfechter wurden im lateinischen Mittelalter dementsprechend als Realisten bzw. als Nominalisten bezeichnet.528 Ein strenger Realismus, wie er u. a. von Platon vertreten wurde, geht davon aus, dass ein Allgemeinbegriff wie Pferd – um ein anderes klassisches Beispiel anzuführen – selbstständig und damit von den einzelnen Pferden abgetrennt existiert. Der Nominalismus in seiner extremen Ausprägung hingegen, der in dieser Form wohl niemals vertreten wurde, behauptet, dass die partikularen Pferde, die in der Außenwelt existieren, keine andere Gemeinsamkeit haben als die, dass sie alle durch den Ausdruck Pferd bezeichnet werden.529 Viele Denker haben sich jedoch für mittlere Positionen ausgesprochen und vertraten daher entweder eine moderat-realistische, den Werdegang des Universalienstreits in der arabischen Philosophie der klassischen Phase nach; siehe ders., Universalienstreit - Bd. 1, 339–345. 527 Siehe die deutsche Übersetzung: Porphyrios, Isagoge, in: Hans-Ulrich Wöhler (Hrsg.), Texte zum Universalienstreit. Band 1 - Vom Ausgang der Antike bis zur Frühscholastik, Berlin: Akademie Verlag, 1992, 3–20, hier 4. 528 Siehe Iwakuma Yukio, ‘Vocales,’ or Early Nominalists, in: Traditio 47 (1992), 37–111, hier 37. 529 Siehe Anthony Woozley, Universals, A Historical Survey, in: Donald Borchert (Hrsg.), Encyclopedia of Philosophy - 2nd edition, Bd. 9, New York: Thomson Gale, 2006, 587b–603a, hier 599b.
108 | 4 Seinstheoretische Grundlagen eine konzeptualistische oder eine moderat-nominalistische Sicht. Ersteres fand seinen Anfang in den Schriften des Aristoteles, der in bewusster Abgrenzung zu Platon davon ausging, dass der Allgemeinbegriff zwar ontologisch real ist, aber lediglich in den einzelnen Pferden als etwas Partikulares existiert. Der Konzeptualismus hingegen versteht die Allgemeinbegriffe lediglich als mentale Konzepte. Anders verhält es sich mit dem moderaten Nominalismus, der die Existenz der Allgemeinbegriffe sowohl in außenweltlicher als auch in mental-konzeptueller Form verneint und daher der Auffassung ist, dass die Beziehung zwischen Ausdrücken und ihren Denotata ohne ein vermittelndes Etwas aufrechterhalten werden kann.530 Mit der hier etwas breiter ausgeführten Terminologie soll auch im Folgenden gearbeitet werden, wobei der Leser dabei zwei Dinge im Hinterkopf behalten sollte. Erstens entwickelte sich der Universalienstreit des lateinischen Mittelalters entlang theologischer und ontologischer Problemfelder, die für die Scholastik spezifisch sind. Bei der Bezeichnung der Positionen muslimischer Denker mit aus dem Universalienstreit bekannter Terminologie darf daher nicht notwendigerweise eine inhaltliche Vergleichbarkeit zu den Positionen der Scholastiker angenommen werden. Zweitens besteht zwischen den oben aufgeführten drei mittleren Positionen bezüglich der Universalien lediglich ein schmaler Grat und eine – damit verbundene – konzeptuelle Unschärfe, sodass in der Sekundärliteratur die Aussagen ein und desselben Denkers ganz unterschiedlich eingestuft wurden. So z. B. schreibt Woozley über den mittelalterlichen Denker Peter Abaelard (gest. 1142), seine Nachfolger hätten ihn als Nominalisten gesehen, man könne ihn jedoch auch als einen Konzeptualisten oder vielleicht sogar als einen moderaten Realisten bezeichnen.531 Dieselbe Problematik findet sich auch in der Sekundärliteratur hinsichtlich der ontologischen Positionen mancher muslimischer Denker. So wurde z. B. – wie im Folgenden noch weiter ausgeführt wird – auch Ibn Sīnās Sicht in der Universalienfrage auf ganz unterschiedliche Weise charakterisiert. Ibn Taymiyyas Universalienkonzeption wurde in der Sekundärliteratur mehrfach untersucht,532 meist im Kontext seiner Kritik an der peripatetischen Logik.533 530 Siehe Woozley, Universals, 594. 531 Siehe ebd., 599a. 532 Neben der im Folgenden noch zitierten Literatur sind für das vorliegende Kapitel besonders relevant: Hallaq, Against the Greek Logicians, xi–xvii; Michot, Commentary – Part II, 360–363; von Kügelgen, Ibn Taymīyas Kritik, 181–187; sowie dies., The Poison of Philosophy, 291–312. 533 Zu Ibn Taymiyyas Logikkritik siehe Wael Hallaqs Einleitung und Übersetzung von Ibn Taymiyyas Schrift ar-Radd ʿalā l-manṭiqiyyīn in der von as-Suyūṭī unter dem Titel Ǧahd al-qarīḥa fī taǧrīd an-Naṣīḥa gekürzten Fassung: Hallaq, Against the Greek Logicians; für weitere Literatur siehe die Angaben in Anke von Kügelgen, The Poison of Philosophy. Ibn Taymiyya’s Struggle for and Against Reason, in: Birgit Krawietz/Georges Tamer (Hrsg.), Islamic Theology, Philosophy and
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie | 109
Dabei kam man einhellig – mit einer noch zu nennenden Ausnahme – zu dem Ergebnis, dass Ibn Taymiyya ein Nominalist war.534 Manche Autoren gingen dabei so weit zu behaupten, dass er mit dieser Position und der damit verbundenen empiristischen Haltung den (v. a. britischen) Nominalismus und Empirismus vorweggenommen hat, wie man ihn z. B. bei John Locke (gest. 1704) oder John Stuart Mill (gest. 1873) findet. Anke von Kügelgen konnte in einem Aufsatz jedoch zeigen, dass diese Annahme nicht zu halten ist, da trotz verblüffender Parallelen zwischen Ibn Taymiyyas Denken und dem der späteren Nominalisten und Empiristen auch gewichtige Unterschiede ausgemacht werden können, und zwar sowohl in Bezug auf den Inhalt als auch auf die Absicht, die von den jeweiligen Denkern verfolgt wurde.535 Hatte von Kügelgen aber bis dahin noch bestätigt, dass Ibn Taymiyyas Position als nominalistisch zu bezeichnen ist, rückte sie, wie sie selbst in einem im Jahre 2013 veröffentlichten Artikel schreibt, aufgrund weiterer Nachforschungen von dieser Meinung ab.536 Dort argumentiert sie nun dafür, dass Ibn Taymiyya trotz aller Polemik gegen die peripatetische Philosophie einige ihrer Grundannahmen explizit und implizit übernommen hat, darunter die eines moderaten Realismus.537 Dieser Ansicht wird im Folgenden widersprochen, indem zu zeigen versucht wird, dass Ibn Taymiyya in der Universalienfrage als ein Konzeptualist mit Tendenzen zum Nominalismus zu identifizieren ist. Um dies zu untermauern, wird die Universalienfrage nun aus verschiedenen Perspektiven aufgeworfen. Zuerst wird die ontologisch-sprachphilosophische Dimension beleuchtet, in der es um die Frage geht, auf welche Weise die Allgemeinbegriffe sich auf Außenweltliches beziehen. Hernach wird die epistemologische Perspektive eingenommen und gefragt, ob Ibn Taymiyya den Dingen eine unveränderliche Natur zuschreibt, sodass es möglich ist, apodiktische Allaussagen auf Basis empirisch beobachteter Kausalzusammenhänge zu generieren. Im Kontext dieser Thematik hat Anke von Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin und Boston: De Gruyter, 2013, 253–328, hier 268, Fußnote 63. Von Kügelgens Artikel wurde zwar 2013 veröffentlicht, aber 2008 fertiggestellt (siehe 253, Fußnote 1). Daher sind folgende Veröffentlichungen noch hinzuzufügen: Sobhi Rayan, Nominal Definition in the Writings of Ibn Taymiyya, in: International Studies in the Philosophy of Science 23.2 (2009), 123–141; ders., Ibn Taymiyya’s Criticism of the Syllogism, in: Der Islam 86 (2011), 93–121; ders., Translation and Interpretation in Ibn Taymiyya’s Logical Definition, in: British Journal for the History of Philosophy 19.6 (2011), 1047–1065. 534 Siehe z. B. Muhammad Umar Memon, Ibn Taymīya’s Struggle Against Popular Religion. With an Annotated Translation of His Kitāb Iqtiḍāʾ aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm muḫālafat aṣḥāb al-jaḥīm, Den Haag: Mouton, 1976, 35f. und 39; Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 50–52 und 65, sowie Tamer, The Curse of Philosophy, 337 und 361ff. 535 Siehe von Kügelgen, Ibn Taymīyas Kritik, 215–218. 536 Siehe von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 255. 537 Siehe ebd., v. a. 255 und 306.
110 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Kügelgen Ibn Taymiyya als einen moderaten Realisten beschrieben, sodass es sich anbietet, diese Thematik vor dem Hintergrund ihrer Ausführungen zu behandeln. Danach tritt der Universalienstreit aus einer naturphilosophischen Perspektive in den Fokus, wobei Ibn Taymiyyas Sicht auf den ontologischen Status von Raum und Zeit untersucht wird.538 Durch diese mehrdimensionale Untersuchung seiner Position wird einerseits versucht zu zeigen, dass die in der Sekundärliteratur vertretene Mehrheitsmeinung, dass es sich bei Ibn Taymiyya um einen Nominalisten handelt, weiter qualifiziert werden kann, und andererseits, dass von Kügelgens Einstufung Ibn Taymiyyas als ein moderater Realist nicht zu halten ist.
4.3.1 Die ontologisch-sprachphilosophische Perspektive: Das Verhältnis zwischen dem Allgemeinbegriff und der Außenwelt Der Frage, über welchen ontologischen Status die Allgemeinbegriffe verfügen, geht Ibn Taymiyya in vielen seiner Werke nach. Tatsächlich hat er zu dieser Problemstellung auch eine eigene Abhandlung verfasst, die jedoch leider nicht erhalten ist.539 Die Aufmerksamkeit, die er dieser Thematik schenkt, begründet sich wohl dadurch, dass er die Ansicht, dass die Universalien eine extramentale Realität haben, für einen der Urgründe (aṣl) des Irregehens zahlreicher Gelehrter verschiedener Strömungen in Fragen zur Existenz Gottes und Seiner Attribute hält.540 Laut Ibn Taymiyya finden sich in allen Sprachen Allgemeinbegriffe, mit denen dann sowohl der Schöpfer als auch das Geschöpf bezeichnet werden können. Theologisch ist das unproblematisch, sofern man keine realistische Auffassung von diesen Begriffen vertritt. So schreibt er: Wenn die Menschen sagen, Zwischen zwei [durch einen Ausdruck] Bezeichneten gibt es ’ etwas, an dem beide teilhaben (qadr muštarak)‘, dann meinen sie damit nicht, dass es eine extramental existierende Sache gibt, an welcher der Schöpfer und das Geschöpf partizipieren. Denn wenn es nicht einmal zwischen dem einen Geschöpf und dem anderen Geschöpf eine Sache gibt, an der sie teilhaben, wie verhält es sich dann erst zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf? Solcherlei bildeten sich lediglich die Anhänger der griechischen Logik sowie deren Nachfolger ein, sodass sie glaubten, es gebe in der Außenwelt absolute Quidditäten (māhiyāt), an welchen die sinnlich wahrnehmbaren Einzeldinge partizipierten. Darüber
538 Als Inspirationsquelle für die Unterteilung der Themen, die mit der Universalienfrage zusammenhängen, diente mir Wöhler, Universalienstreit, 1/viiif. 539 Diese trägt den Titel Qāʿida fī l-kulliyyāt (Grundlehren über die Universalien). Siehe dazu auch Minhāǧ 2/595 mit der Anmerkung des Hrsg. in Fußnote 10. 540 Minhāǧ 2/584 und 595.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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hinaus haben unter ihnen diese [d. h. die Quidditäten] als von den Einzelobjekten abgetrennt gesehen, wie z. B. Platon. [Andere] von ihnen meinten, dass sie nicht von den Einzeldingen losgelöst seien, wie z. B. Aristoteles, Ibn Sīnā und ihresgleichen.541
Ibn Taymiyya verneint hier sowohl die platonische Ideenlehre als auch die aristotelische Variante eines moderaten Begriffsrealismus. Beiden setzt er seine konzeptualistische Auffassung entgegen. Der Mensch erfasst demnach durch seine Sinne die Ähnlichkeiten, die zwischen den existierenden Dingen bestehen, und bringt sie über den Verstand in einem Prozess der Abstraktion auf einen Allgemeinbegriff, der ausschließlich als ein mentales Konstrukt existiert und daher über keine Realität in der Außenwelt verfügt.542 Im Minhāǧ findet sich eine Passage, die Ibn Taymiyyas Standpunkt inhaltlich weiter verdeutlicht. Dort schreibt er, dass zwei Objekten, die beide als existent bezeichnet werden, eine ihnen jeweils eigentümliche, konkrete Existenz zukommt, die sich von der jeweils anderen unterscheidet; so gilt z. B. für den Ausdruck des Menschseins, dass die Objekte, auf die dieser Ausdruck referiert, alle durch ihr eigenes und lediglich im Konkreten existierendes Menschsein charakterisiert sind.543 Untersucht man Ibn Sīnās Universalienkonzept, so scheint dieses auf den ersten Blick mit dem von Ibn Taymiyya im Einklang zu stehen. Ibn Taymiyya sah Ibn Sīnā jedoch, wie obiges Zitat zeigt, als einen seiner peripatetischen Widersacher. Es lohnt sich, Ibn Sīnās Position – mit der Ibn Taymiyya bestens vertraut war und die er an mehreren Stellen seiner Werke, ohne sie zu werten, beschreibt544 – zu skizzieren, da ihr ein moderat-realistisches Verständnis der Universalien zugrunde liegt, vor dessen Hintergrund Ibn Taymiyyas eigene Position an Kontur gewinnt. Ibn Sīnā unterscheidet drei Arten von Universalien (Sing.: kullī), nämlich die natürliche (ṭabīʿī), die mentale (ʿaqlī) und die logische (manṭiqī).545 Die natürliche Universalie ist die Essenz einer Sache, also z. B. bei einem Pferd die Pferdheit. Auch 541 Irbiliyya, MF 5/203. 542 Tadmuriyya, MF 3/76; Ed. Saʿawī 127f. Auch Bayān 4/568f. 543 Minhāǧ 8/34f. 544 Siehe v. a. Darʾ 6/275, sowie Ṣafadiyya 1/113 und 304. 545 Siehe Abū ʿAlī Ibn Sīnā, aš-Šifāʾ. al-Manṭiq - al-madḫal, hrsg. von al-Ab Qanawātī/Maḥmūd al-Ḫuḍayrī/Fuʾād al-Ihwānī, Kairo: Wizārat al-Maʿārif al-ʿumūmiyya, 1952, Buch I, Kap. xii, S. 65–72. Bei seinen Ausführungen bezieht sich Ibn Sīnā nicht auf die porphyrischen fünf Universalien allgemein, sondern beispielhaft auf die der Gattung und benutzt daher nicht den Begriff kullī, sondern den des nawʿ. Die am Anfang der Fußnote angegebene Passage findet sich übersetzt und erläutert bei Michael Marmura, Avicenna’s Chapter on Universals in the Isagoge of His Shifāʾ, in: Probing in Islamic Philosophy. Studies in the Philosophy of Ibn Sina, al-Ghazali and Other Major Muslim Thinkers, Nachdr. der Erstaufl. von 1979, New York: Global Academic Publishing, 2005, 33–59.
112 | 4 Seinstheoretische Grundlagen wenn sie Universalie genannt wird, so ist sie doch nach Ibn Sīnā weder universal noch partikular sowie weder eines noch vieles. Denn wäre sie universal, dürfte es keine konkreten, sondern nur universale Pferde geben; wäre sie dahingegen etwas Partikulares, dann könnte es nur ein einziges konkretes Pferd geben und nicht mehrere. Universalität als eine hinzugedachte Eigenschaft ist das, was Ibn Sīnā die logische Universalie nennt. Die Verknüpfung der natürlichen und der logischen Universalie, also die Berücksichtigung der Essenz eines Pferdes unter der Bedingung der Universalität, erfolgt durch den Prozess der mentalen Abstraktion. Ergebnis dieses Prozesses ist die mentale Universalie, welche über keine außenweltliche Existenz verfügt.546 Michael Marmura bemerkt den antirealistischen Unterton dieser Dreiteilung,547 stellt jedoch zu Recht fest: „It is true that Avicenna’s insistence that the universal is only a mental concept is a move towards conceptualism, but his theory is not purely conceptualist and at most represents a variation on the realism of Aristotle, not a repudiation of it“.548 Die mentale Universalie ist Ergebnis allein des Prozesses, in dem die Vielheit konkreter Einzeldinge in der sublunaren Welt durch mentale Abstraktion auf einen Begriff gebracht wird. Allaussagen, die auf Grundlage empirischer Beobachtung gemacht werden, sind daher fehlbar.549 In Ibn Sīnās neuplatonischer Theorie von der Entstehung der Welt verläuft dieser Prozess jedoch auch in die entgegengesetzte Richtung, nämlich von der Einheit zur Vielheit. Demnach kommt den Essenzen der Dinge eine Existenz im Aktiven Intellekt zu, die ihre Instantiierung und Vervielfältigung innerhalb 546 Das Konzept der natürlichen, der mentalen und der logischen Universalie findet sich auch erklärt bei Marmura, Avicenna’s Chapter on Universals, 39–43; und Hallaq, Against the Greek Logicians, xxi mit Fußnoten in der Einleitung des Hrsg.; sowie Farīd Ǧabr u. a., Mawsūʿat muṣṭalaḥāt ʿilm al-manṭiq ʿinda l-ʿarab, Beirut: Maktabat Lubnān nāširūn, 1996, 507 und 745f. 547 Anders als man vielleicht vermuten möchte, muss die Ansicht, dass Universalien nur eine intramentale Existenz zukommt, jedoch keineswegs einer nominalistischen Position entspringen. Siehe dazu in der Scholastik, die in diesem Punkt von Ibn Sīnā beeinflusst wurde: Sven Knebel, Universalien - I. Antike, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, 179– 187, hier 180f. 548 Marmura, Avicenna’s Chapter on Universals, 34. In der Literatur finden sich zahlreiche, jedoch widersprüchliche Kategorisierungen der Position Ibn Sīnās in der Universalienfrage. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Aussage von Parviz Morewedge an Plausabilität, der dafür argumentiert, dass sich Ibn Sīnā je nach Wissensgebiet manchmal einer realistischen, einer konzeptualistischen oder auch einer nominalistischen Auffassung von Universalien bedient hat. Siehe Parviz Morewedge, Universal and Particular, in: Ibrahim Kalin (Hrsg.), The Oxford Encyclopedia of Philosophy, Science, and Technology in Islam, Bd. 2, New York: Oxford University Press, 2014, 395–398, hier 396f. Ähnlich äußert sich auch Wöhler; siehe Wöhler, Universalienstreit, 1/341 mit Endnote 178 auf S. 353. 549 Siehe dazu Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 208f.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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des Emanationsprozesses erst in der sublunaren Welt erfahren.550 Auch wenn sie dort dann partikularer Natur sind, so sind sie laut Ibn Sīnā zumindest zueinander deckungsgleich, da sie dem Urbild entsprechen, welches in mentaler Form im Aktiven Intellekt existiert.551 Erhält die menschliche Seele Wissen direkt durch den Aktiven Intellekt, lassen sich darauf aufbauend dann apodiktische Universalaussagen bilden.552 Nach Ibn Taymiyya jedoch – und hier wird der Unterschied zu Ibn Sīnās moderat-realistischer Universalienkonzeption deutlich – sind Essenzen nicht nur partikular, sie sind auch voneinander verschieden. Das Menschsein von Zayd, so Ibn Taymiyya, ist nicht das Menschsein von ʿAmr. Ihre Partizipation an der Universalie Menschsein, welche nur mental existiert, gründet lediglich in der Ähnlichkeit der außenweltlichen Partikularien zueinander.553 Daraus lässt sich schließen, dass Allgemeinbegriffe kein reales ontologisches Fundament in den Einzeldingen haben, womit Ibn Taymiyya sich eindeutig vom moderaten Realismus, wie er von Ibn Sīnā vertreten wurde, abgrenzt. Ibn Taymiyya nennt eine Reihe von Fragestellungen, die seiner Meinung nach gar nicht erst aufgekommen wären, hätte man sauber unterschieden zwischen dem, was rein im Kopf, und dem, was extramental existiert.554 Dazu zählt er die Frage, ob die Existenz identisch mit der Quiddität ist oder ihr zusätzlich zukommt. Ibn Sīnā hatte ja, wie bereits angedeutet, die beiden bezüglich Gott als identisch und bezüglich der erschaffenen Dingen als voneinander verschieden angesehen.555 Ibn Taymiyya lehnt diese Sicht dezidiert ab. Vielmehr ist, so schreibt er, „die außenweltliche Existenz einer jeden Sache identisch mit ihrer außenweltlichen Quiddität (wuǧūd kull šayʾ fī l-ḫāriǧ huwa māhiyatuhū l-mawǧūda fī l-ḫāriǧ)“.556 Im Einklang mit seiner konzeptualistischen Ontologie ist er der Meinung, dass die Dinge nicht aus Teilen wie Substanz und Attributen oder dem Stoff und der Form zusammengesetzt sind. Vielmehr existieren diese allein in der Vorstellung der Menschen als 550 Siehe dazu Michael Marmura, Quiddity and Universality in Avicenna, in: Parviz Morewedge (Hrsg.), Neoplatonism and Islamic Thought, New York: Suny Press, 1992, 77–87, hier 83f. 551 Das ist nicht mit der platonischen Ideenlehre zu verwechseln, von der sich Ibn Sīnā klar abgrenzt. Denn nach Platon existieren die Urbilder extramental. 552 Siehe dazu Davidson, Alfarabi, Avicenna, and Averroes on Intellect, 83–94; Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 208f.; sowie Seyyed Hossein Nasr, An Introduction to Islamic Cosmological Doctrines. Conceptions of Nature and Methods Used for Its Study by the Ikhwān al-Šafāʾ, al-Bīrūnī, and Ibn Sīnā, Cambridge (Mass.): Belknap Press, 1964, 201f. 553 Diese und ähnliche Aussagen finden sich an vielen Stellen in den Werken Ibn Taymiyyas. Die hier gemachten Ausführungen beziehen sich konkret auf Īmān, MF 7/406; Ed. Aḥmad 2/628; engl. Übers. 392f. 554 Radd 24f., und auch Tadmuriyya, MF 3/76f.; Ed. Saʿawī 128f. 555 Siehe oben, Fußnote 261. 556 Tadmuriyya, MF 3/77; Ed. Saʿawī 129.
114 | 4 Seinstheoretische Grundlagen voneinander abgrenzbare Teile, nicht aber in der Außenwelt.557 Der Ansicht, die man bei den mutakallimūn und den falāsifa findet, nämlich, dass Gott nicht aus Teilen zusammengesetzt sein kann, stimmt er zu. Im Gegensatz zu diesen versteht er dies aber lediglich im Sinne von materiellen oder sinnlich wahrnehmbaren Teilen, so wie sich z. B. der menschliche Körper aus Gliedmaßen, dem Rumpf und dem Kopf zusammensetzt.558 Die Frage also, die v. a. die mutakallimūn lange beschäftigte, wie man sich das Verhältnis zwischen Gottes Wesen und Seinen Attributen vorstellen kann, ohne Gott deshalb als aus Teilen zusammengesetzt zu betrachten, löst sich bei Ibn Taymiyya als ein Scheinproblem auf.
4.3.2 Die ontologisch-epistemologische Perspektive: Über die Kausalität Wie bereits dargestellt, widersprach Anke von Kügelgen in einem Artikel von 2013 der bis dato in der Forschung einhellig vertretenen Meinung, dass Ibn Taymiyya als ein Nominalist zu bezeichnen ist. Sie ist der Ansicht, dass in seinen Werken Aussagen gefunden werden können, in denen er „explicitly and implicitly confirms an essential tenet of Peripatetic epistemology, namely man’s capability to grasp the essences of things, i. e., the universals in rebus559 “.560 Sie nennt Ibn Taymiyya einen moderaten Realisten und sagt, dass seine harsche Ablehnung der Universalien in rebus, die man an vielen Stellen seiner Werke finden kann, möglicherweise lediglich durch die großen Unterschiede zwischen seinem und dem peripatetischen Denksystem innerhalb der Metaphysik motiviert sei.561 Im Folgenden soll gezeigt werden, wieso ihre Argumente diesbezüglich nicht überzeugen können. Von Kügelgen konstatiert, dass bereits Wael Hallaq herausgearbeitet hat, dass Ibn Taymiyya zwei Arten von Allaussagen als absolut wahr („absolutely true“) angesehen hatte. Diese sind zum einen die axiomatischen Aussagen, die z. B. logische Grundprinzipien ausdrücken, und zum anderen die Aussagen, die der göttlichen Offenbarung entspringen.562 Sie ist nun der Meinung, dass sich eine dritte Kategorie 557 Ibn Taymiyya legt diese Sicht an vielen Stellen seiner Werke dar; siehe z. B. Radd 224. 558 Bayān 3/128f. 559 Dieser Ausdruck beruht auf einer neuplatonischen Kategorisierung der Positionen im Universalienstreit. Universalien existieren demnach entweder laut den strengen Realisten vor den Dingen (also getrennt von ihnen), laut den moderaten Realisten in den Dingen oder laut den Nominalisten als mentale Abstraktion nach den Dingen (bezeichnet als: ante res, in rebus bzw. post res). Siehe dazu Knebel, Universalien, 184. 560 Von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 306. 561 Von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 311. 562 Siehe ebd., 296f. mit der Fußnote 189.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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hinzufügen lässt, die die Akzeptanz der Ansicht voraussetzt, dass die Universalien in den Dingen sind, und zwar in der Hinsicht, dass es eine in den Wesenheiten der Dinge verortete natürliche Kausalität gibt.563 Dabei handelt es sich um Allaussagen, die sich induktiv auf Grundlage empirischer Beobachtung ergeben, wie z. B. diejenige, dass Essen satt macht und Wasser Durst löscht. Von Kügelgen zitiert nun einige Textpassagen, in denen Ibn Taymiyya dafür argumentiert, dass im Zusammenspiel von Empirie und Vernunft der gültige Schluss gezogen werden darf, dass Wasser Durst löscht. Es ist hierbei anzumerken, dass Ibn Taymiyya nirgends sagt, dass dieser Schluss ausnahmslos und notwendigerweise gültig sei, weil etwa dem Wasser die Eigenschaft, durstlöschend zu sein, essenziell zukomme. Im Gegenteil, so schreibt er einer Stelle, die von Kügelgen auch zitiert, dass man z. B. nicht auf Grundlage der Empirie mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass Feuer immer verbrennt. Von Kügelgen will diese Passage jedoch so verstanden wissen, dass Ibn Taymiyya nicht beabsichtigt zu verneinen, dass die Eigenschaft zu verbrennen dem Feuer wesenhaft ist, sondern lediglich sagen möchte – und dabei ist er ganz im Einklang mit der peripatetischen Position – dass es eben Dinge gibt, die aufgrund wesenhafter Merkmale nicht brennbar sind.564 Dass der Brennvorgang bei ihnen nicht zustande kommt, liegt damit nicht am Wesen des Feuers. Im Kontext dieser Ausführungen fasst von Kügelgen einen Abschnitt über Ibn Taymiyyas Theorie der Kausalität aus der von ihr lobend erwähnten Monographie Jon Hoovers zusammen. So schreibt sie: If God does not will something to happen that would result from a cause or a combination of causes He created, He does not perfect the combination of causes and conditions or He creates an impediment. However, God does not alter the order He has fixed for the things, because otherwise He would undermine His own all-embracing wise purpose. Thus, He cannot create „contraries simultaneously in one place, and He cannot create a son before his father“. God’s wise purpose, thus, entails that his [sic] creatures follow a fixed order and are bestowed with specific powers. The essences He bestowed things with, for instance His bestowal on fire of the power to burn, are their necessary concomitants and aren’t lost when God does not will them to „act“ or to „react,“ but are rendered ineffective by impediments God creates.565
Zwar sagt Hoover tatsächlich, dass Gott nach Ibn Taymiyya keine Objekte erschaffen kann, in denen sich ein logischer Widerspruch befindet. Dies hat aber nichts mit der Weisheit Gottes oder aber einer festen Ordnung der Schöpfung zu tun, son563 Siehe ebd., 297. Ausgeführt wird dies auf S. 306–312. 564 Siehe ebd., 308f. 565 von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 311. Der Abschnitt, den von Kügelgen zitiert, ist zu finden bei Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 133.
116 | 4 Seinstheoretische Grundlagen dern damit, dass derartige Objekte zum unmöglichen Sein gehören – oder in den Worten Hoovers: „God is bound to the rules of logic.“566 Daher sind die Beispiele, die von Kügelgen hier unter Rückgriff auf Hoover anführt, fehl am Platz. Auch trifft es zu, dass laut Ibn Taymiyya Gottes schöpferisches Wirken Seiner Weisheit folgt. Ibn Taymiyya übernimmt hier die Auffassung al-Ġazālīs, dass die existierende Welt die bestmögliche ist. Dabei ist es Ibn Taymiyya jedoch wichtig zu betonen, dass Gott auch eine weniger gute Welt hätte erschaffen können, wenn Er denn gewollt hätte.567 Darüber hinaus kann – wenn es die Weisheit Gottes verlangt – die uns bekannte Ordnung in der Schöpfung aufgehoben werden, und sie wurde es auch. Ibn Taymiyya exemplifiziert das anhand mehrerer Prophetenwunder, darunter dasjenige, dass aus einem Felsen Wasserquellen entsprangen, nachdem Moses auf diesen mit seinem Stock geschlagen hatte.568 Überdies hat selbst Hoover, auf den sich von Kügelgen an vielen Stellen bezieht, eindeutig dargelegt, dass Ibn Taymiyya Kausalzusammenhänge weder als rein natürlich noch als notwendig ansieht, auch wenn er einräumt, dass diese aus menschlicher Perspektive so erscheinen mögen.569 So schreibt Hoover: The shaykh [d. h. Ibn Taymiyya] goes on in Kasb to explain that God has bound certain causes to certain effects with a „firm bond (rabṭ muḥkam)“ such that, from the perspective of creatures, the operation of the secondary causes is that of natural causality. Someone who eats gets full. Someone who drinks quenches his thirst. Yet, this account, even from the human perspective, is not entirely naturalistic. According to Ibn Taymiyya, God can break this causal bonds if He wills. He can take the potency out of food or place an impediment in the stomach. He can even make people full or quench their thirst by some other means if He so wills.570
566 Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 133. 567 Siehe ebd., 226f. 568 Siehe Sunna, ǦR 1/52. Ibn Taymiyya bezieht sich dabei implizit auf Koran 2:60. Er argumentiert in der angeführten Schrift Sunna dafür, dass die Gepflogenheit Gottes (sunnat Allāh), von der der Koran an mehreren Stellen sagt, dass sie keiner Veränderung (tabdīl; siehe z. B. Koran 33:62) unterliegt, sich nur auf religiöse Angelegenheiten (umūr dīniyya; zusammengefasst ist damit gemeint, dass die prophetische Botschaft letztlich siegt und die Gegner dieser letztlich das Nachsehen haben) beziehe, nicht aber auf natürliche (ṭabīʿiyya; gemeint sind Naturzusammenhänge). Ibn Taymiyya kritisiert die falāsifa – er nennt dabei explizit as-Suhrawardī (getötet 587/1191) –, die diese Verse als Beleg für die Ewigkeit der Welt und einen darin befindlichen logisch-notwendigen Kausalzusammenhang angeführt haben sollen. Hier unterschiedet sich Ibn Taymiyya auch von al-Ġazālī, der diese Verse ebenfalls – jedoch mit ganz anderen Absichten als die falāsifa – auf das schöpferische Handeln Gottes bezieht, sodass – zumindest nach der Interpretation Frank Griffels – selbst Wunder, so erstaunlich sie auch sein mögen, nicht gegen die Gesetze der Natur („the laws of nature“) verstoßen; siehe Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 198. 569 Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 162–164. 570 Ebd., 163f.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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Im vorletzten Satz dieses Zitats bezieht sich Hoover auf eine Stelle, die sich im Arabischen folgendermaßen liest: imma an lā yaǧʿala fī ṭ-ṭaʿām quwwa [...].571 Ibn Taymiyya erkennt Gott also – anders als von von Kügelgen behauptet – die Möglichkeit zu, dem Essen die Kraft zu nehmen, satt zu machen. Dabei bleibt das Essen auch dann noch ein Essen, wenn ihm diese Kraft genommen wurde. Diese Auffassung tritt in Ibn Taymiyyas Schriften auch an anderer Stelle zum Vorschein, jedoch weniger explizit. Dort antwortet er auf einen Einwand, der sich dann ergibt, erachtet man die Fähigkeit zu verbrennen als einen Teil der substanziellen Form des Feuers (aṣ-ṣūra an-nāriyya), sodass eine jede Sache, welche nicht über diese Fähigkeit verfügt, auch nicht als Feuer bezeichnet werden. Der größere thematische Zusammenhang und auch Ibn Taymiyyas Antwort sollen hier unbeachtet bleiben; relevant ist hier lediglich, dass er diese Sicht bezüglich der Wesenheit des Feuers unter dem Vorbehalt diskutiert, dass man sie als richtig erachtet, was darauf deutet, dass er sie lediglich arguendo akzeptiert.572 Als einen weiteren Beleg für ihre Position zieht von Kügelgen eine Passage aus Darʾ heran, in der Ibn Taymiyya über den menschlichen Willen spricht. In seinen Ausführungen, die von Kügelgen fälschlicherweise auch als einen Versuch versteht, die Existenz Gottes zu beweisen,573 fällt der Satz wa-l-kullī lā wuǧūd lahū fī l-aʿyān illā muʿayyanan .574 Diesen paraphrasiert von Kügelgen mit den Worten: „The universal feature, however, does not exist separately, but as a particular in rebus [...]“; und meint anschließend daran, dass Ibn Taymiyya seine Übereinstimmung mit den Peripatetikern nicht deutlicher hätte zum Ausdruck bringen 571 Kasb, MF 8/397. Auf Deutsch: Entweder indem Er in das Essen keine Kraft legt [...]. 572 Siehe Radd 300. 573 Siehe von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 309. Tatsächlich geht es Ibn Taymiyya darum, dass jeder Mensch einen ilāh (Gottheit) – hier im Sinne einer Sache, die um ihrer selbst Willen angestrebt wird – haben muss. Sein Argument ist wie folgt aufgebaut: Der Mensch ist als ein notwendigerweise wollendes Wesen erschaffen. Dabei ist es möglich, dass ein bestimmtes Objekt nicht aufgrund seiner selbst, sondern zur Verwirklichung eines höheren Ziels gewollt wird. Es ist aber ausgeschlossen, dass alles immer nur aufgrund eines anderen gewollt wird, da dies eine unendliche Kette von Wirk- und Finalursachen voraussetzt, welche aber unmöglich ist. Daher muss jede Willensverkettung ihren Abschluss in einem Willen finden, der sich auf ein Objekt bezieht, das aufgrund seiner selbst gewollt wird. Dies ist der ilāh des Menschen, der, wie er an anderer Stelle sagt, der Schöpfer sein kann, aber auch etwas von den Geschöpfen, wie z. B. ein König. Es wird deutlich, dass es Ibn Taymiyya nicht um einen Beweis der Existenz Gottes geht, sondern darum, dass der Mensch nicht anders kann, als sich einem Gott‘ hinzugeben, wobei dies ’ dann entweder der Schöpfergott oder ein vergöttlichtes Geschöpf sein kann. Siehe Darʾ 8/464–466 und auch Islām, ǦM 6/229. Auf die selbe Weise hatte bereits Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik (siehe 1094a) für die Existenz eines höchsten Guts argumentiert. 574 Darʾ 8/466.
118 | 4 Seinstheoretische Grundlagen können.575 Eine derartige Einschätzung ist auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Tatsächlich jedoch wiederholt Ibn Taymiyya hier aus meiner Sicht lediglich seine an vielen Stellen seiner Werke vorgebrachte konzeptualistische Auffassung576 – wenn auch die Wortwahl zu Recht als unpräzise eingestuft werden kann. Dies lässt sich durch andere Textstellen stützen, in denen Ibn Taymiyya eine ähnliche Formulierung verwendet. So sagt er z. B. im ersten Band des gleichen Werkes, dass „dasjenige, welches als Absolutes und Universales sich in den Köpfen der Menschen befindet, im Partikularen nur als Konkretes, Individuiertes und Distinguiertes existiert (fa-mā huwa muṭlaq kullī fī aḏhān an-nās lā yūǧadu illā muʿayyanan mušaḫḫaṣan mutamayyizan fī l-aʿyān).“577 Es handelt sich hierbei inhaltlich um die selbe Aussage, die von Kügelgen herangezogen hatte, wenn auch die Formulierung abweicht. Interessant ist hier nun, dass Ibn Taymiyya gleich im Anschluss daran die platonische sowie die aristotelische Position im Universalienstreit skizziert und diese Passage mit folgenden Worten enden lässt: „Bei beiden Meinungen handelt es sich um einen offensichtlichen Irrtum (wa-kilā l-qawlayn ḫaṭaʾ ṣarīḥ).“578 Daher ist es sehr plausibel, anzunehmen, dass Ibn Taymiyya auch bei der Aussage, auf die sich von Kügelgen beruft, keineswegs seine Zustimmung zur moderat-realistischen Position der Peripatetiker zum Ausdruck bringen wollte. Darüber hinaus verdeutlicht er in diesem Sinne seine Position, indem er an selbiger Stelle auf das vierstufige Seinsmodell rekurriert, das in vorliegender Arbeit in Kapitel 4.1 ausgeführt wurde. Der entsprechende Abschnitt sei im Folgenden im Ganzen zitiert, wobei die Aussage, aus der sich eine deutliche Abgrenzung zur Position des Aristoteles ergibt, kursiv gesetzt ist: Wir wissen aufgrund der Sinneserfahrung und einer notwendigen Vernunftwahrheit, dass in der Außenwelt nichts außer dem konkreten, eigentümlichen Ding existiert, in welchem grundsätzlich keine [ontologische] Teilhaberschaft [mit anderen Dingen] besteht (lā širka fīhi aṣlan ). Vielmehr sind die Bedeutungen im Kopf, welche universal, allgemein und unspezifisch sind, wie die unspezifischen und allgemeinen Wörter auf der Zunge und wie die Schrift, die auf diese Wörter verweist. Die Schrift entspricht (yuṭābiqu) dem Wort und das Wort der Bedeutung. Jedes der drei bezieht sich auf die Partikularien, die in der Außenwelt existieren, und umfasst und erstreckt sich auf diese. Dies nicht, weil es in der Außenwelt etwas gebe, welches sich auf dieses und jenes erstreckt oder in diesem und jenem existiert, oder weil dieses und jene daran teilhabe. Denn so etwas sagt niemand, der sich darüber bewusst ist, was
575 von Kügelgen, The Poison of Philosophy, 310. 576 Siehe hierzu oben, Kapitel 4.3.1. 577 Darʾ 1/216. Eine ähnliche Formulierung, die Ibn Taymiyya im Minhāǧ vorbringt, ist übersetzt und kommentiert bei Michot, Commentary – Part II, 360f. und auch 362f. Siehe auch Ibn Taymiyyas Ausführungen zum ontologischen Status der natürlichen Universalie in Darʾ 6/275. 578 Darʾ 1/216.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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er sagt. So etwas sagt nur derjenige, der die mentalen und außenweltlichen Objekte nicht zu trennen vermag (ištabaha ʿalayhi), oder aber wer denjenigen blind nachfolgt, die so etwas gesagt haben von der Gruppe derjenigen, die [in der Universalienfrage] einen Irrtum begangen haben.579
Ibn Taymiyya verneint hier explizit, dass Allgemeinbegriffe ein ontologisch-reales Fundament in der Außenwelt besitzen. Daher, aber auch mit Blick auf die in Kapitel 4.3.1 gemachten Ausführungen, bin ich der Meinung, dass die bei von Kügelgen zitierte Phrase nicht als Ausdruck eines moderat-realistischen Universalienverständnisses zu interpretieren ist. Nachdem die ontologisch-epistemologische Perspektive in der Universalienfrage behandelt wurde, rückt nun Ibn Taymiyyas Verständnis von Raum und Zeit in den Fokus. Auch hier wird zu sehen sein, dass er eine antirealistische Haltung vertritt.
4.3.3 Die ontologisch-naturphilosophische Perspektive: Über Raum und Zeit Die irrigen Ansichten über den ontologischen Status von u. a. dem Raum und der Zeit, schreibt Ibn Taymiyya, speisen sich aus derselben Fehlerquelle, die auch dem Universalienproblem zugrunde liegt, nämlich der fehlenden Unterscheidung zwischen mentalen Vorstellungen und der außenweltlichen Wirklichkeit.580 Ibn Taymiyyas eigene Position muss in dieser Debatte vor dem Hintergrund theologischer Streitfragen, aber auch vor dem Hintergrund ihm vorhergehender Auffassungen von Raum581 und Zeit582 gesehen werden. Diese Auffassungen sollen im Folgenden skizziert werden. Aristoteles hatte wohl den größten Einfluss auf die unter muslimischen Denkern kontrovers geführte Debatte über Raum und Zeit. Laut ihm ist der Raum „die unmittelbare (d. h. nächstgelegene) nicht in Bewegung begriffene Angrenzungs579 Darʾ 1/216f. 580 Bayān 2/288. 581 Zur vorhandenen Sekundärliteratur siehe neben der im Folgenden angeführten auch Hans Daiber, Bibliography of Islamic Philosophy, 3 Bde., Leiden, Boston und Köln: Brill, 1999 und 2007, 2/493 und 3/411 (s.v. space). Für die jüngere Sekundärliteratur siehe den folgenden Lexikoneintrag inkl. der am Ende aufgeführten Literaturhinweise: Alnoor Dhanani, Space, in: Ibrahim Kalin (Hrsg.), The Oxford Encyclopedia of Philosophy, Science, and Technology in Islam, Bd. 2, New York: Oxford University Press, 2014, 273b–277. 582 Zur vorhandenen Sekundärliteratur siehe neben der im Folgenden angeführten auch Daiber, Bibliography, 2/519–521 und 3/416 (s.v. time).
120 | 4 Seinstheoretische Grundlagen fläche des (den Gegenstand) umschließenden Körpers“.583 Raum ist demnach etwas Zweidimensionales und wäre z. B. bei einem auf einem Tisch liegenden Stift nach unten hin die Oberfläche des Tisches und zu den restlichen Seiten hin die an den Stift angrenzende Oberfläche der Luft.584 Alle innerweltlichen Objekte sind räumlich, nur die Welt als Ganzes nicht, da es nichts außerhalb ihrer Liegendes gibt, welches sie umfasst. Die Existenz leerer Räume (arab.: ḫalāʾ oder faḍāʾ), ganz gleich, ob innerhalb oder außerhalb der Welt, lehnt Aristoteles ab. Der Raum verfügt über eine objektive Existenz, welche jedoch von der der raumbildenden Körper abhängt. Was die Zeit angeht, so ist sie die Maßeinheit der Bewegung585 bzw., wie er an anderer Stelle sagt, „die Anzahl für die Bewegung hinsichtlich ihrer Phasenfolge“.586 Da die aristotelische Kosmologie von der Anfangslosigkeit der sich bewegenden Himmelssphären ausgeht, gibt es auch eine unbegrenzte Anzahl vergangener Zeitpunkte, die sich jedoch in ihrer Gesamtheit nicht zu einem aktual, sondern nur zu einem potenziell Unendlichen fassen lassen. Die Abfolge der Zeitpunkte verläuft nicht diskret, sondern kontinuierlich, und sie bildet darüber hinaus eine Einheit, sodass Aristoteles nicht davon ausgeht, dass einzelne sich bewegende Objekte von ihrer ihnen jeweils eigentümlich zukommenden Zeit begleitet werden. Da Zeit per Definition die einzige Funktion hat, Bewegung abzählbar zu machen, ist die Existenz einer abzählenden Seele notwendige Vorbedingung für das Zustandekommen von Zeit. Laut Otfried Höffe folgt daraus nicht, dass Aristoteles Zeit als ein psychologisches Phänomen versteht, da die Seele eben nur eine Bedingung und nicht die Ursache des Entstehens von Zeit ist.587 Analog zum Raum, dessen Existenz von der der Körper abhängt, ist auch die Existenz der Zeit an die der Bewegung gebunden. Anders als hinsichtlich des Raumes ist indes unklar, ob Aristoteles der Zeit ebenso eine objektive Realität zuerkennt. 583 Aristoteles, Aristoteles. Physikvorlesung, übers. von Hans Wagner, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1979, IV, 4, 212a20–22 (die Klammern entstammen dem Übersetzer Wagner). In der arabischen Übersetzung von Isḥāq Ibn Ḥunayn (gest. 298/910-1) liest sich das wie folgt: fa-nihāyat al-ḫaṭṭ iḏan ġayr al-mutaḥarrika al-ūlā hiya l-makān; siehe ders., aṭ-Ṭabīʿa. Tarǧamat Isḥāq Ibn Ḥunayn maʿa šurūḥ Ibn as-Samḥ wa-Ibn ʿAdī wa-Mattā Ibn Yūnus wa-Abī l-Faraǧ Ibn aṭ-Ṭayyib, hrsg. von ʿAbd ar-Raḥmān Badawī, photomechanischer Nachdr. der Erstaufl., Bd. 1, Kairo: al-Hayʾa al-miṣriyya al-ʿāmma li-l-kitāb, 1984, (die Seitenangabe ist dieselbe, da auch diese Edition der Bekker-Pagination folgt). 584 Siehe auch Otfried Höffe, Aristoteles, 2. Aufl., München: Beck, 1999, 128. 585 Aristoteles, Physikvorlesung, IV, 12, 220b32–221a1. In der arabischen Übers. steht: az-zamān miqdār al-ḥaraka wa-t-taḥarruk; siehe Aristoteles, aṭ-Ṭabīʿa. Tarǧamat Isḥāq Ibn Ḥunayn. 586 Aristoteles, Physikvorlesung, IV, 11, 219b2. In der arabischen Übers. steht: [...] az-zamān huwa ʿadad al-ḥaraka min qibal al-mutaqaddim wa-l-mutaʾaḫḫir; siehe Aristoteles, aṭ-Ṭabīʿa. Tarǧamat Isḥāq Ibn Ḥunayn. 587 Siehe Höffe, Aristoteles, 129.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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Die bekanntesten muslimischen Vertreter und Verteidiger einer aristotelischen Konzeption von Raum und Zeit sind Ibn Sīnā588 und Ibn Rušd589 . Eine andere RaumZeit-Konzeption findet sich bei den Gelehrten des kalām, von denen im Folgenden ausschließlich auf eine unter den Ašʿariten verbreitete Ansicht Bezug genommen wird. Demzufolge entspringen Raum und Zeit lediglich der Vorstellung (mutawahham), sind selbst also nicht-existent (maʿdūm).590 Zumindest in Bezug auf die Zeit gibt es jedoch auch Stimmen, die behaupten, die Ašʿariten hätten ihre Existenz bejaht.591 Auch widersprechen die Ašʿariten der aristotelischen Auffassung, dass sich die Zeit und der Raum beliebig teilen lassen und damit ein Kontinuum bilden. Die Ašʿariten setzen dem eine atomistische Auffassung entgegen, in der nicht weiter teilbare Grundeinheiten von Raum und Zeit angenommen werden. Konzeptuell wird der Raum in drei Arten unterteilt, nämlich in ḥayyiz, makān und ḫalāʾ. Nach dem Lexikographen aš-Šarīf al-Ǧurǧānī (gest. 816/1413) bezeichnet Ersteres „den vorgestellten Leerraum (al-farāġ al-mutawahham), welcher entweder durch ein ausgedehntes Objekt, wie z. B. ein Körper, oder ein nicht-ausgedehntes Objekt, wie z. B. ein Atom, ausgefüllt wird“.592 Der Begriff makān deckt sich teilweise mit dem des ḥayyiz, insofern er als der Raum verstanden wird, der durch das Ausfüllen eines ausgedehnten Objekts mehrdimensionale Ausdehnung erfährt.593 Demnach ist also ein Raum im Sinne des makān auch immer als ein ḥayyiz zu bezeichnen, was jedoch umgekehrt nicht gilt. Unter dem Begriff ḫalāʾ werden innerweltliche Leerräume verstanden, die potenziell von Atomen oder Körpern ausgefüllt werden, 588 Siehe zu ihm z. B. Ḥusām al-Ālūsī, az-Zamān fī l-fikr ad-dīnī wa-l-falsafī l-qadīm, Beirut: alMuʾassasa al-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našr, 1980, 101–104, und Jon McGinnis, The Topology of Time. An Analysis of Medieval Islamic Accounts of Discrete and Continuous Time, in: The Modern Schoolman LXXXI (Nov. 2003), 5–25. Anders als der Titel es vielleicht vermuten lässt, behandelt der letzte Artikel überwiegend Ibn Sīnās Ansichten und zeigt dabei seinen innovativen Umgang mit der aristotelischen Konzeption von Zeit auf. Siehe darüber hinaus auch ders., Avicenna, 67–71 (über Raum) und 71–75 (über Zeit). 589 Siehe zu ihm Ālūsī, Zamān, 104–109, und die angegebene Literatur oben in Fußnote 581. 590 Dies ist zumindest die in der Sekundärliteratur verbreitete Meinung, die sich dafür zumeist auf ʿAḍud ad-Dīn al-Īǧī (gest. 756/1355) als den frühesten Gewährsmann stützt; siehe z. B. Abdelhamid Sabra, The Simple Ontology of Kalām. An Outline, in: Early Science and Medicine 14 (2009), 68–78, hier 71 mit der dort in Fußnote 5 angegebenen Literatur; oder auch ʿAbd al-Muḥsin Sulṭān, Fikrat az-zamān ʿinda l-ašāʿira, Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, 2000, 51–56. Auch über den bekannten Sufi Ibn ʿArabī (gest. 638/1240) lässt sich sagen, dass er Zeit und Raum derartig beschrieb; siehe William Chittick, Time, Space and the Objectivity of Ethical Norms. The Teachings of Ibn al-ʿArabī, in: Islamic Studies 39.4 (2000), 581–596. 591 Diese werden aufgeführt bei Ālūsī, Zamān, 148–150. 592 aš-Šarīf al-Ǧurǧānī, Muʿǧam at-taʿrīfāt, hrsg. von Muḥammad Ṣiddīq al-Minšāwī, Kairo: Dār al-Faḍīla, 2004, 83a. 593 Siehe ebd., 191b.
122 | 4 Seinstheoretische Grundlagen es aber aktual nicht sind.594 Im Gegensatz zu den Peripatetikern erkennen die Ašʿariten das Zustandekommen von Leerräumen an, wobei noch einmal darauf hingewiesen sei, dass es sich bei den Denotata aller drei eben vorgestellten Begriffe lediglich um mentale Vorstellungen handelt und ihnen somit keine außenweltliche Realität zukommt. Ganz anders positioniert sich Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, wenn er schreibt, dass unter den vielen Konzeptionen über Raum und Zeit die des Platon zu favorisieren ist. Ar-Rāzī ist somit der Auffassung, dass Zeit und Raum Objekte mit eigenständiger Existenz (qāʾim bi-nafsihī) und damit unabhängig von Bewegungen und Körpern sind. Daher existieren laut ihm auch leere Räume und eine leere Zeit.595 Anders als sein Namensvetter Abū Bakr ar-Rāzī (gest. 313/925 oder 323/935) ging er jedoch nicht davon aus, dass der Raum und die Zeit mit Gott seit aller Ewigkeit existieren,596 sondern betrachtete sie, im Einklang mit der Position der mutakallimūn, als erschaffen.597 Auch steht stimmt er der Position der falāsifa und der meisten mutakallimūn zu, wenn er sagt, dass Gott die Zeit transzendiert.
594 Siehe Ǧurǧānī, Taʿrīfāt, 191b. 595 Bezüglich seiner Konzeption von Zeit siehe z. B. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, Šarḥ ʿUyūn al-ḥikma, hrsg. von Aḥmad al-Ḥiǧāzī as-Saqqā, Nachdr. der Erstaufl. Kairo, o. J. [ca. 1986], Teheran: Muʾassasat aṣ-Ṣādiq, 1415 [=1995-6], 2/148f.; Ālūsī, Zamān, 86–88; Muḥammad Ṣāliḥ az-Zarkān, Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī wa-ārāʾuhū l-kalāmiyya wa-l-falsafiyya, Kairo: Dār al-Fikr, 1963, 450–462; Peter Adamson/ Andreas Lammer, Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s Platonist Account of the Essence of Time, im Erscheinen; sowie Peter Adamson, The Existence of Time in Faḫr al-Dīn al-Rāzī’s al-Maṭālib al-ʿāliya, in: Daag Nikolaus Hasse/Amos Bertolacci (Hrsg.), The Arabic, Hebrew, and Latin Reception of Avicenna’s Physics and Cosmology, Boston und Berlin: De Gruyter, 2018, 65–100. Dankenswerterweise stellte Adamson mir diesen Artikel vor seiner Veröffentl. bereit. Bezüglich ar-Rāzīs Ansichten über den Raum siehe z. B. Rāzī, Maṭālib, 5/119 und 155; Zarkān, Rāzī wa-ārāʾuhū, 438–450; Peter Adamson, Fakhr al-Dīn al-Rāzī on Place, in: Arabic Sciences and Philosophy 27 (2017), 205–236. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Kapitels noch unveröffentlicht und mir daher nicht vorliegend war Jules Janssens, Avicennian Elements in Faḫr al-Dīn al-Rāzī’s Discussion of Place, Void and Directions in the al-Mabāḥiṯ al-mašriqiyya, in: Daag Nikolaus Hasse/ Amos Bertolacci (Hrsg.), The Arabic, Hebrew, and Latin Reception of Avicenna’s Physics and Cosmology, Boston und Berlin: De Gruyter, 2018, 65–100. 596 Darüber hinaus erachtete er auch die Seele und die Materie als ewig. Dazu und zu Abū Bakr ar-Rāzīs möglicher Beeinflussung durch Galen (gest. 210 n. Chr.) siehe Peter Adamson, Galen and al-Rāzī on Time, in: Rotraud Hansberger/Afifi al-Akiti/Charles Burnett (Hrsg.), Medieval Arabic Thought. Essays in Honour of Fritz Zimmermann, London und Turin: Warburg Institute und Nina Aragno Editore, 2012, 1–14. 597 Auch wenn die Ašʿarʿiten Zeit und Raum lediglich als Vorstellungen erachteten, handelt es sich bei ihnen um zwei erschaffene Dinge, denen das absolute Nichtsein vorausgeht (muḥdaṯān); siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 135 Z.4.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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Vor ihm drückte das bereits al-Ġazālī598 in folgendem Diktum aus: inna llāh taʿālā fawqa z-zamān.599 Ibn Taymiyya führt seine Konzeption von Raum und Zeit an verschiedenen Stellen seiner Werke aus,600 meist im Kontext theologischer Fragestellungen, die er in kritischer Auseinandersetzung mit den Schriften Faḫr ad-Dīn ar-Rāzīs diskutiert. Ibn Taymiyya kennt die Vorgängerpositionen bezüglich Raum und Zeit601 und kann sich daher von diesen inspirieren lassen. Wie zu sehen sein wird, ist seine Position der des Aristoteles am nächsten, wobei Ibn Taymiyyas Erörterung der Raum/Zeit-Frage weniger philosophisch als theologisch motiviert ist. Ibn Taymiyya unterzieht den Begriff des ḥayyiz einer ausführlichen sprachlichen Untersuchung.602 Anders als bei dem Begriff des wuǧūd hat seine Vorstellung von Raum indes wenig mit der sprachlichen Grundbedeutung zu tun, sodass seine Analyse hierzu ausgespart werden kann. Relevant ist die folgende Aussage Ibn Taymiyyas, nach der ein Platz greifendes Objekt (mutaḥayyiz) sich genau dann an einem Ort (ḥayyiz) befindet, wenn es von existenten Dingen, die außerhalb seiner selbst liegen, umschlossen wird. In diesem Sinne befindet sich alles Innerweltliche in einem existenten Raum, die Welt an sich jedoch nicht, da sie von 598 Ernst Behler stellt bei seiner Untersuchung der Raum/Zeit-Konzeption al-Ġazālīs fest, dass sie die subjektivistisch anmutenden Theorien von Gottfried Leibniz (gest. 1716) beeinflusste und damit zum Erwachen der kritischen Philosophie in Deutschland beitrug; siehe Thomas Behler, Die Ewigkeit der Welt. Problemgeschichtliche Untersuchungen zu den Kontroversen um Weltanfang und Weltunendlichkeit in der arabischen und jüdischen Philosophie des Mittelalters, München: Ferdinand Schöningh, 1965, 162–171, v. a. 166f. Raum und Zeit im Denken al-Ġazālīs werden auch ausführlich besprochen bei Muhammed Yasin El-Taher Uraibi, Al-Ghazalis Aporien im Zusammenhang mit dem Kausalproblem, Universität Bonn: unveröffentl. Dissertation, 1972, 38–54. 599 Auf deutsch: Wahrlich, Gott, der Erhabene, steht über der Zeit. Abū Ḥāmid al-Ġazālī, alMaʿārif al-ʿaqliyya, hrsg. von ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān, Damaskus: Dār al-Fikr, 1963, 64. Die Vorstellung von der Unzeitlichkeit Gottes ist platonisch und lässt sich in den monotheistischen Religionen mindestens bis Ignatius von Antiocha (gest. im 2. Jh. n. Chr.) zurückverfolgen; siehe Thomas Sören Hoffmann, Zeitlosigkeit, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004, 1274–1277, hier 1275. 600 Siehe über den Raum z. B. Darʾ 6/312–321; Iḫlāṣ, MF 17/342–351; Minhāǧ 2/350–358 und 2/555– 557; und in Bayān an verschiedenen Stellen, v. a. in den ersten fünf Bänden. Siehe über die Zeit z. B. Bayān 2/276–289, 5/215–225 und an vielen anderen Stellen in den ersten fünf Bänden. 601 Ibn Taymiyya schreibt der Mehrheit der mutakallimūn zu, zwischen dem Begriff ḥayyiz und makān insoweit unterschieden zu haben, als ersterer einen nicht-existenten und letzterer einen existenten Raum bezeichne; siehe z. B. Radd 239 und Minhāǧ 2/555f. Zumindest für die Ašʿariten scheint dies nach der gängigen Meinung nicht zu gelten. Welche Gruppierungen unter den mutakallimūn Ibn Taymiyya hier im Sinne hatte, ist mir nicht bekannt. 602 Siehe z. B. Iḫlāṣ, MF 17/343f.
124 | 4 Seinstheoretische Grundlagen nichts umschlossen wird.603 Da laut Ibn Taymiyya alles in dieser Welt von Körpern umschlossen sein muss, lässt sich folgern, dass er die Möglichkeit innerweltlicher Leerräume verneint. Auch die Existenz eines extrakosmischen Leerraums lehnt er ab604 sowie die Möglichkeit unbegrenzter Räume bzw. unbegrenzt großer Platz greifender Objekte – dies deswegen, weil es sich dabei dann um ein aktual Unendliches handeln würde, dessen Existenz er jedoch für unmöglich hält.605 Bei den mutakallimūn, so fährt Ibn Taymiyya fort, ist der Ausdruck ḥayyiz allgemeiner gefasst (aʿamm)606 als der des makān, insofern man damit auch nicht-existente Orte bezeichnen kann. Und in diesem Sinne befindet sich dann auch die Welt in einem ḥayyiz. Ibn Taymiyya arbeitet mit dieser Unterscheidung an vielen Stellen seiner Werke, sodass davon ausgegangen werden darf, dass er sich in diesem Punkt den mutakallimūn anschließt. Im Minhāǧ unterteilt er die existenten Orte, also in diesem Falle den ḥayyiz als Synonym des makān, in diejenigen, derer die Platz greifenden Objekte als tragende Element bedürfen, und diejenigen, für die das nicht gilt. Ersteren exemplifiziert er mit einem Hausdach, auf dem ein Mensch steht, letzteren u. a. mit dem Himmel, der sich über der Atmosphäre (ǧaww) befindet.607 Gott, und nun zeigt sich der theologische Hintergrund der Diskussion über den Raum, darf nicht als ein Platz greifendes Wesen (mutaḥayyiz) beschrieben werden, wenn damit gemeint ist, dass Er von existenten Körpern umschlossen ist oder aber Er Körper bedarf, die Ihn tragen.608 Es ist jedoch unproblematisch, Gott als mutaḥayyiz zu beschreiben, wenn damit gemeint ist, dass Er Sich, wie auch die Welt, an einem nicht-existenten (ʿadamī) Ort befindet oder man damit meint, dass Er separat (bāʾin) von der Schöpfung existiert.609 Darüber hinaus ist dies auch dann unproblematisch, wenn der Ort als existent betrachtet wird, sofern damit intendiert wird, dass er Teil des Platz greifenden Wesens ist, welches durch seinen Umfang und in Abgrenzung zu anderen außerhalb ihm liegender Wesen notwendiger einen Raum aufspannt. Der Raum also, in dem Gott Platz greift, ist entweder nicht-existent – und das scheint die Meinung zu sein, die Ibn Taymiyya favorisiert – oder aber Teil des göttlichen Wesens im Sinne eines Nebenprodukts, welches nicht nur Gott, sondern auch jedem anderen existierenden Objekt notwendigerweise 603 Iḫlāṣ, MF 17/344. 604 Bayān 1/161. 605 Bayān 5/180. 606 In der Edition steht ahamm, was jedoch unter Berücksichtigung des Textzusammenhangs unplausibel ist; siehe Iḫlāṣ, MF 17/344f. 607 Minhāǧ 2/356. 608 Minhāǧ 2/144f., auch 556. 609 Minhāǧ 2/556, auch Radd 239.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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Raum makān existiert, aber nur innerhalb der Welt, welche finit und ohne Leerräume (Sing. ḫalāʾ/faḍāʾ) ist
tragend
ḥayyiz
keine oder keine vom Platz greifenden Objekt nicht-tragend abgetrennte Existenz (Ibn Taymiyya scheint Ersteres zu favorisieren)
vom Platz greifenden Objekt abgetrennte Existenz (hier ḥayyiz, synonym zu makān).
Abbildung 1: Ibn Taymiyyas Konzept von Raum (makān/ḥayyiz).
zukommt.610 In beiden Fällen ist verneint, und darum geht es Ibn Taymiyya hier, dass Gott an einem existenten, außerhalb Seiner Selbst liegenden Ort Platz greift. Zur weiteren Verdeutlichung fasst Abbildung 1 die eben gemachten Ausführungen graphisch zusammen. Bei dem im Folgenden in den Fokus rückenden Konzept der Zeit, das Ibn Taymiyya vertritt, wird die Ähnlichkeit zur Position des Aristoteles noch deutlicher zum Vorschein kommen. Ibn Taymiyya schreibt Aristoteles fälschlicherweise die Ansicht zu, Zeit sei nicht die Maßeinheit der Bewegung an sich, sondern die der Himmelssphären. Damit ist Ibn Taymiyya wohl einem Irrtum zum Opfer gefallen, der sich bei manchen arabischen Autoren – darunter die iḫwān aṣ-ṣafāʾ611 – findet612 . Er fährt fort, dass, selbst dann, wenn man die Zeit als den Maßstab der Bewegung erachte, höchstens eine bestimmte Zeit an eine bestimmte Bewegung geknüpft werden könne, der Genus der Zeit (ǧins az-zamān) sich jedoch auf den Genus der Bewegung beziehen müsse. Der Genus der Zeit ist ohne Ende, sodass dann auch nach dem Vergehen der Himmelssphären die Bewegung im Paradies von der Zeit begleitet sei.613 Im Bayān 610 Bayān 3/605 und 610f., auch Darʾ 6/323. 611 Auf deutsch: die lauteren Brüder. Das ist der Name einer im Irak des 4./10. Jahrhunderts anonym agierenden Gruppe, die ein Kompendium aus 52 Sendschreiben, bekannt unter dem Titel Rasāʾil iḫwān aṣ-ṣafāʾ, der Nachwelt hinterlassen hat. Siehe zu ihnen und dem genannten Werk Nader El-Bizri (Hrsg.), Epistles of the Brethren of Purity. The Ikhwān al-Ṣafāʾ and Their Rasāʾil. An Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2008. 612 Siehe dazu Brian Ogren, Time and Eternity in Jewish Mysticism. That Which Is Before and That Which Is After, Leiden und Boston: Brill, 2015, 54 mit Fußnote 4. 613 Ṣafadiyya 2/167.
126 | 4 Seinstheoretische Grundlagen erklärt Ibn Taymiyya, dass die Existenz der Zeit auf die Existenz der Bewegung angewiesen (muftaqira) ist, weil Letztere der notwendig machende Grund (sabab mūǧib) des Ersteren ist. Zeit und Bewegung können nicht voneinander getrennt auftreten (lā yanfakku). Die Bewegung geht der Zeit nur wesenhaft (ḏātī), nicht aber zeitlich voraus.614 Ibn Taymiyyas Wortwahl ist auffällig, weil er die falāsifa in vielen seiner Werke dafür kritisiert, Gott als die Ursache einer seit jeher mit Ihm existierenden Wirkung, nämlich der Welt, zu begreifen. Die falāsifa, so Ibn Taymiyya, verdeutlichten ihre Position mit dem Beispiel eines Ringes an einem Finger, dessen Bewegung sich zeitgleich mit der des Fingers vollzieht.615 Ibn Taymiyya ist jedoch der Meinung, dass Ursachen ihren Wirkungen zeitlich vorhergehen müssen, und er verwirft das Beispiel, insofern er die Bewegung des Fingers lediglich als eine Bedingung für die Bewegung des Ringes identifiziert und nicht als dessen Ursache.616 Hat Ibn Taymiyya sich also in einen Widerspruch verstrickt, wenn er die Bewegung als den sabab der Zeit identifiziert, wobei Erstere Letzterer lediglich wesenhaft vorausgeht? Zur Klärung dieser Frage muss eine andere Stelle im Bayān herangezogen werden, die zeigt, dass Ibn Taymiyya eine etwas eigentümliche Begriffswahl pflegt. Dort schreibt er, dass der sabab konzeptuell auf der Ebene der Bedingung anzusetzen ist (as-sabab bi-manzilat aš-šarṭ).617 Der sabab ist also lediglich eine Bedingung für das Zustandekommen der Wirkung, der Grund hingegen, den er mit dem Wort ʿilla bezeichnet, besteht aus der Gesamtheit (maǧmūʿ) der Bedingungen (asbāb, Sing.: sabab), zu welcher auch immer der Wille Gottes gehört, dass das Bedingte zustande kommt. Bedingungen müssen nach Ibn Taymiyya nun aber nicht dem Bedingten zeitlich vorausgehen. Damit ist der Widerspruch jedoch noch nicht unbedingt aufgelöst, da Ibn Taymiyya, wie oben gezeigt, die Bewegung nicht nur als eine Bedingung von vielen, sondern als einen sabab mūǧib beschreibt, was sich im Lichte der eben gemachten Ausführungen nun am besten mit hinreichende Bedingung übersetzen lässt. Ist laut Ibn Taymiyya nun auch die hinreichende Bedingung konzeptuell vom Grund im Sinne einer ʿilla zu trennen? Mir ist in den Schriften Ibn Taymiyyas keine Passage bekannt, die eine Antwort auf diese Frage bietet. Ibn Taymiyyas Verständnis von dem Verhältnis von Bewegung und Zeit klärt sich hier aus meiner Sicht jedoch auf, wenn man es analog zum Verhältnis vom existenten Objekt und seinem nicht-existenten ḥayyiz betrachtet. So wie die Existenz eines Objekts in seinem Da-Sein notwendigerweise einen Raum 614 Bayān 2/282. 615 Siehe z. B. Ibn Sīnās Ausführungen, in denen ähnliche Beispiele wie dieses vorgebracht werden, bei Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 201–205. 616 Siehe z. B. Minhāǧ 1/170–172. 617 Bayān 5/201.
4.3 Ibn Taymiyyas Konzeptualismus in der Ontologie
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aufspannt, so konstituiert Bewegung in ihrer Abfolge von davor und danach notwendigerweise das Element der Zeitlichkeit.618 So sagt Ibn Taymiyya über die Zeit, dass sie dasjenige darstellt, durch das sich das Vorhergehen und das Nachfolgen denken lässt (az-zamān mā yuʿqalu fīhi t-taqaddum wa-t-taʾaḫḫur).619 An anderer Stelle, an der er ar-Rāzīs Auffassung zu widerlegen versucht, dass Gott der Welt nicht in einem zeitlichen Sinne vorausgeht, da Er außerhalb der Zeit existiert, lässt sich die oben gemachte Analogie zum nicht-existenten ḥayyiz noch deutlicher herauslesen. In den vier Argumenten, die Ibn Taymiyya vorbringt,620 beschreibt er die Zeit als eine der Folgeerscheinungen von Bewegung (min lawāḥiq al-ḥaraka), die entweder nicht-existent (maʿdūm) ist – und das scheint Ibn Taymiyya hier zu favorisieren – oder einen Teil des sich bewegenden Objekts darstellt.621 Da Ibn Taymiyya davon ausgeht, dass sich Bewegung innerhalb des göttlichen Wesens ereignet,622 ist damit die Zeit auch eine der Folgeerscheinungen der Existenz Gottes (min tawābiʿ wuǧūd al-Ḥaqq). Gottes Vorhergehen gegenüber der Welt müsse, so Ibn Taymiyya, keineswegs damit einhergehen, Zeit als eine ewig-existente Entität annehmen zu müssen.623 Die Menge aller Zeitpunkte, die aufgrund ihrer Verknüpfung mit dem ewigen Wesen Gottes unbegrenzt ist, stellt nach Ibn Taymiyya kein aktual Unendliches dar, da sich ihre Elemente nicht zeitgleich, sondern sukzessiv ereignen.624 Anders verhält es sich mit dem Raum, der sich, wie oben dargestellt, laut Ibn Taymiyya deswegen nicht unendlich weit ausdehnen kann. Ibn Taymiyya führt, ähnlich wie in seiner Diskussion über den Raum, verschiedene Bedeutungen des Begriffs zamān an, ohne diese zu bewerten. So schreibt 618 Im Minhāǧ gibt er ar-Rāzī Recht in der Aussage, dass der Umstand, dass die Winkelsumme eines Dreiecks zwei rechte Winkel ergibt, notwendigerweise und zeitgleich mit der Existenz des Dreiecks einhergeht. Wenn meine Interpretation der Ausführungen Ibn Taymiyyas richtig ist, dann gilt dies auf gleiche Weise bezüglich der Zeit in Hinblick auf die Bewegung. Seine inkonsistente Verwendungsweise des Begriffs sabab wird deutlich, wenn er nun dafür argumentiert, dass das Dreieck auf keinen Fall als sabab verstanden werden darf, da ein sabab dem musabbab (Wirkung) immer zeitlich vorausgehen muss. Hier gebraucht er den Ausdruck sabab also im Sinne von Grund (ʿilla) und nicht im Sinne von Bedingung; siehe Minhāǧ 1/280–284. 619 Bayān 5/221. 620 Bayān 5/222–224. 621 Bayān 5/222f. 622 Er betont hierbei, dass auch ar-Rāzī zugeben musste, dass diese Annahme mit der Vernunft vereinbar ist. Die Thematik und auch ar-Rāzīs Position werden in Kapitel 9 unten behandelt. 623 Bayān 5/223. An anderer Stelle schreibt Ibn Taymiyya, dass ein tatsächliches Vorhergehen (taqaddum ḥaqīqī) immer zeitlich ist, nicht aber nur wesenhaft (ḏātī) oder mental (ʿaqlī); siehe Ṣafadiyya 2/228. 624 Bayān 5/179f.
128 | 4 Seinstheoretische Grundlagen er an einer Stelle, dass dieser Ausdruck auch im Sinne von Tag und Nacht625 verstanden worden ist, so wie man auch unter dem makān die Himmel und die Erde verstehen kann.626 Dies ist insofern relevant, als dass Ibn Taymiyya in den oben diskutierten Passagen im Bayān den zamān explizit als nicht-existent, an anderen Stellen derselben Schrift aber auch explizit als existent ausweist.627 Der Widerspruch besteht nur scheinbar und ist der uneinheitlichen Verwendungsweise des Ausdrucks zamān geschuldet. Abschließend soll nun noch das theologische Motiv hervorgehoben werden, das klar erkennbar hinter den Ausführungen Ibn Taymiyyas zu Raum und Zeit steht. Ibn Taymiyya ist von der Gültigkeit folgender Aussagen überzeugt: Gott ist durch Sich Selbst bestehend (qāʾim bi-nafsihī), oberhalb der Schöpfung und von ihr abgetrennt. Darüber hinaus ist es möglich, Ihn zu sehen und auf Ihn zu zeigen.628 Dies alles kann durch die Beschreibung Gottes als mutaḥayyiz erfasst werden, wobei er betont, dass es sich bei diesem Begriff in Bezug auf seine Anwendung auf Gott um eine unerlaubte Neuerung (bidʿa) handelt und er darüber hinaus wegen seiner unterschiedlichen Verwendungsweisen und der damit einhergehenden Mehrdeutigkeit irreführend ist, sodass man besser auf ihn verzichtet.629 Ibn Taymiyyas Ansicht, dass der ḥayyiz etwas Nicht-Existentes ist, ermöglicht ihm, folgende theologisch-philosophischen Fallstricke zu umgehen: Gott werde durch Seinen ḥayyiz getragen, Er sei auf ihn angewiesen, oder aber der ḥayyiz existiere als eigenständige Entität neben Gott seit aller Ewigkeit, sowie die Aussage, Gottes Vorzug, in einem bestimmten ḥayyiz und nicht in irgendeinem anderen ḥayyiz Platz zu greifen, stelle eine Verletzung des auch von Ibn Taymiyya akzeptierten Postulats dar, dass es keine Bevorzugung ohne ein die Bevorzugung rechtfertigendes Element geben kann630 (bekannt als: imtināʿ tarǧīḥ bi-lā muraǧǧiḥ)631 . In Bezug auf die Zeit möchte Ibn Taymiyya gewahrt wissen, dass Gottes Vorhergehen vor der Schöpfung zeitlicher Natur ist. Wie in Bezug auf den ḥayyiz entzieht sich Ibn Taymiyya durch die Annahme, dass die Zeit im Sinne der Menge aller Zeitpunkte 625 Ibn Taymiyya macht wenig später deutlich, dass die Nacht u. a. lediglich als Abwesenheit von Licht und damit als nicht-existent verstanden werden kann; siehe Bayān 2/283. 626 Bayān 2/282. 627 Siehe z. B. Bayān 5/179. 628 Siehe z. B. Bayān 3/606. 629 Darʾ 5/57. 630 Siehe dazu seine Diskussion in Bayān 3/811f., und Darʾ 6/318f. Er argumentiert darüber hinaus auch mit Gottes Wille und Seiner Kraft, mittels welcher Er einen bestimmten ḥayyiz vor allen anderen bevorzugen kann. 631 Das lässt sich zurückführen auf das Prinzip vom zureichenden Grund. Ibn Taymiyya beruft sich darauf u. a. bei der Widerlegung der Ansicht der mutakallimūn, die Welt sei ex nihilo erschaffen worden; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 84–86.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 129
nicht-existent ist, dem theologischen Problem, eine neben Gott seit jeher existente Entität annehmen zu müssen.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der im spekulativen Sufismus vertretenen Lehre von der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd) In der langen Geschichte der kontrovers geführten Debatte bezüglich der Doktrin der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd)632 stellt Ibn Taymiyyas hochpolemische Kritik nur ein Kapitel dar – wenn auch ein sehr einflussreiches. Es ist daher sinnvoll, die Hintergründe der Debatte, insofern sie die Einordnung dieser Kritik in den größeren ideengeschichtlichen Rahmen erleichtern, zu skizzieren. Ibn Taymiyya hatte in diesem Kontext eine Reihe von Gelehrten kritisiert633 – und einen davon, auf den die folgenden Ausführungen sich auch beschränken sollen, besonders häufig. Dabei handelt es sich um den im andalusischen Murcia geborenen SufiGelehrten Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī634 (gest. 638/1240), der sich selbst zum Siegel der Gottesfreunde (ḫātam al-awliyāʾ) ausgerufen hatte. Er gilt weithin als der erste muslimische Denker, der das Konzept des waḥdat al-wuǧūd auf einer theoretischen Ebene ausbuchstabierte, wobei jedoch zu betonen ist, dass er den Terminus selbst nie benutzte.635 Weite Teile der sunnitischen Gelehrsamkeit haben Ibn ʿArabī für diese und andere Lehren kritisiert, wobei manche so weit gegangen sind, ihn – und das hat er mit Ibn Taymiyya gemeinsam – als einen Abtrünnigen zu bezeichnen.636 632 In der Sekundärliteratur hat sich dieser Ausdruck bzw. das englische Äquivalent unity of being als Übersetzung für waḥdat al-wuǧūd durchgesetzt. Im Folgenden soll auch der Begriff Seinsmonismus synonym dazu verwendet werden. 633 Zu diesen gehören Ibn al-Fāriḍ (gest. 632/1235), Ṣadr ad-Dīn al-Ḥammūya (gest. 649/1252), Ibn Sabʿīn (gest. 669/1270), Ṣadr ad-Dīn al-Qūnawī (gest. 673/1274) und ʿAfīf ad-Dīn at-Tilimsānī (gest. 690/1291). 634 Ein kommentiertes Verzeichnis der wichtigsten Veröffentlichungen zu Ibn ʿArabīs Person und seinem Denken, das jedoch unverständlicherweise die deutschsprachige Forschung weitgehend unberücksichtigt lässt, findet sich bei Alexander Knysh/Ali Hussain, Ibn al-ʿArabī, Oxford Bibliographies Online, Feb. 2016, url: http://www.oxfordbibliographies.com/view/document/obo9780195390155/obo-9780195390155-0206.xml. 635 Siehe William Chittick, Rūmī and waḥdat al-wujūd, in: Amin Banani/Richard Hovannisian/ Georges Sabagh (Hrsg.), Poetry and Mysticism in Islam. The Heritage of Rūmī, Cambridge: Cambridge University Press, 1994, 70–111, hier 71f. Auch die Bezeichnung Sufi entspricht nicht dem gängigen Vokabular Ibn ʿArabīs, der anstattdessen in der Regel den Begriff ʿārif (Wissender oder Gnostiker) verwendet. 636 Allein aus der Zeit zwischen dem 7./13. und dem 9./15. Jahrhundert sind mindestens 34 Werke und 138 Fatwās bekannt, in denen dem Denken Ibn ʿArabīs mit Ablehnung begegnet wird; siehe
130 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Ibn ʿArabī hat seine Ansichten in einem – zumindest vom Umfang her – leicht zugänglichen Werk mit dem Titel Fuṣūṣ al-ḥikam zusammengefasst, welches laut eigener Aussage die getreue Niederschrift von Eingebungen über den Propheten Muḥammad darstellt.637 Vor allem diese Schrift löste heftige Kritik an Ibn ʿArabī aus und selbst unter seinen Anhängern gab es welche, die dieses Werk entweder ignorierten oder aber dessen Authentizität in Zweifel zu ziehen versuchten.638 Auch in der europäischsprachigen Forschung, in der man sich zumindest weitgehend darin einig ist, dass es sich bei Ibn ʿArabī um einen Denker mit großem intellektuellem Tiefgang handelt, gibt es verschiedene Positionen zu der Frage, inwieweit seine Positionen mit dem koranischen Gottes- und Weltbild in Einklang gebracht werden können. Abul Ela Affifi z. B. identifiziert Ibn ʿArabī als einen akosmischen Pantheisten, dessen Gottesbild, wie auch jede andere Form von Pantheismus, mit dem ethisch-personalen Gott der Religion nicht zu vereinbaren sei.639 Kürzlich merkte Binyamin Abrahamov an, dass ihm Ibn ʿArabīs Gedanken selbst bei Anlegen eines Maßstabes einer extremen Form von Sufitum („extreme sufism“) noch als ungewöhnlich erscheinen und sich außerhalb des durch den Islam gesetzten Rahmens bewegen.640 Ganz anders sieht das William Chittick, wenn er schreibt: „Ibn al-ʿArabī places himself squarely in the mainstream of Islam by basing all his teachings upon the Koran and the Hadith“.641 Mit Blick auf derartige Meinungsverschiedenheiten in der Sekundärliteratur stellen Annemarie Schimmel sowie auch viele andere Forscher vor und nach ihr fest, dass die Interpretation der Schriften dazu die Liste in Osman Yahya, Histoire et classification de l’œuvre d’Ibn Arabī, Damaskus: Institut français de Damas, 1964, 113–135. Michel Chodkiewicz merkt dazu an, dass diese Liste wohl nur einen kleinen Teil der tatsächlich existierenden Anti-Ibn-ʿArabī-Literatur dieses Zeitraums erfasst; siehe Michel Chodkiewicz, Seal of the Saints. Prophet and Sainthood in the Doctrine of Ibn ʿArabī, ins Engl. übers. von Liadain Sherrard (Orig.: Le Sceau de Saints, 1986), Cambridge: The Islamic Texts Society, 1993, 19f. 637 Siehe Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ al-ḥikam, hrsg. von Abū l-ʿAlā ʿAfīfi, Beirut: Dār al-Kitāb al-ʿarabī, 1946, 47. 638 Siehe Khaled El-Rouayheb, Islamic Intellectual History in the Seventeenth Century. Scholarly Currents in the Ottoman Empire and the Maghreb, New York: Cambridge University Press, 2015, 246, 248 und 270. 639 Siehe Abul Ela Affifi, The Mystical Philosophy of Muḥyid Dín-Ibnul ’Arabí, Cambridge: Cambridge University Press, 1939, 58. Es ist zu vermuten, dass der Ausdruck Religion sich hierbei allgemein auf das Judentum, das Christentum und den Islam bezieht. 640 Siehe Binyamin Abrahamov (Hrsg.), Ibn al-ʿArabī’s Fuṣūṣ al-Ḥikam. An Annotated Translation of “The Bezels of Wisdom”, New York: Routledge, 2015, 1. 641 William Chittick, The Sufi Path of Knowledge. Ibn al-ʿArabi’s Metaphysics of Imagination, New York: State University of New York Press, 1989, xv.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 131
Ibn ʿArabīs ein äußerst schwieriges Unterfangen ist.642 Auch Ibn Taymiyya hatte offensichtlich seine Probleme damit. So schreibt er: Nur in früheren Zeiten gehörte ich zu denen, die eine gute Meinung von Ibn ʿArabī hatten und ihn in hohen Ehren hielten. Dies tat ich auf Grundlage dessen, was ich an Nützlichem in seinen Aussagen an vielen Stellen des al-Futūḥāt [al-makkiyya], des al-Kunh [mā lā budda minhu li-l-murīd], des [al-Amr] al-muḥkam al-marbūṭ [fī-mā yalzamu ahl ṭarīq Allāh min aš-šurūṭ], des ad-Durra al-fāḫira [fī ḏikr man intafaʿtu bihī fī ṭarīq al-āḫira], des Maṭāliʿ643 an-nuǧūm [wa-maṭāliʿ ahillat al-asrār wa-l-ʿulūm] und derartigem vorgefunden hatte. Da hatten wir noch nicht erkannt, was er [d. h. Ibn ʿArabī] tatsächlich zu sagen beabsichtigt [...].644
Den Zeilen, die Ibn Taymiyya darauf folgen lässt, ist zu entnehmen, dass sein Wandlungsprozess von einem Ibn-ʿArabī-Bewunderer zu einem seiner heftigsten Kritiker durch das Studium der oben genannten Schrift Fuṣūṣ al-ḥikam ausgelöst wurde. Dieses Ereignis lässt sich auf das Jahr 703/1303-4 datieren,645 woraus sich ergibt, dass Ibn Taymiyya bis ca. zu seinem 40. Lebensjahr anscheinend äußerst positiv über Ibn ʿArabī dachte.646 Daher liegt der Gedanke nahe, dass Ibn Taymiyya von dem Denken Ibn ʿArabīs womöglich beeinflusst wurde. In der sowohl europäisch- als auch arabischsprachigen Sekundärliteratur werden jedoch in aller Regel die Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit der Positionen der beiden Denker hervorgehoben.647 Dass diese antagonistischen Darstellungen die Komplexität des Verhältnisses nur ungenügend erfassen, versucht Abdel Hakim Ajhar in einer
642 Siehe Annemarie Schimmel, Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus, Frankfurt a. M. und Leipzig: Insel Verlag, 1995, 374f. und 377f. 643 In Yahyas bibliographischem Verzeichnis der Schriften Ibn ʿArabīs heißt es Mawāqiʿ; siehe Yahya, Histoire et classification, 375. 644 Manbiǧī, MF 2/464f. 645 Siehe Abū Bakr ad-Dawādārī, Kanz ad-durar wa-ǧāmiʿ al-ġurar, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 224–240, hier 236. 646 Der Ausdruck anscheinend wurde hier bewusst benutzt, da obiges Zitat aus einem Sendschreiben stammt, welches an den Gelehrten Naṣr ad-Dīn al-Manbiǧī (gest. 719/1319), einen politisch einflussreichen Ibn-ʿArabī-Verehrer, gerichtet wurde. Dort spart Ibn Taymiyya nicht mit Kritik an Ibn ʿArabī, wohingegen er den Adressaten des Briefes auf höchst respektvolle Weise anspricht. Es ist nicht auszuschließen, dass Ibn Taymiyya sich hier als einen ehemaligen Bewunderer Ibn ʿArabīs ausgibt, um al-Manbiǧīs Sympathie zu gewinnen und so dessen Bereitschaft zu erhöhen, seine Kritik aufzunehmen. Da Ibn Taymiyya auch innerhalb eines anderen Kontextes auf eine ähnliche Weise über sein ehemaliges Verhältnis zu Ibn ʿArabī spricht, sehe ich jedoch keinen Grund darin, an der Richtigkeit seiner Darstellung zu zweifeln; siehe Ṣūra, ǦM 7/249. 647 Siehe z. B. Knysh, Ibn ʿArabī in the Later Islamic Tradition, 107.
132 | 4 Seinstheoretische Grundlagen 2011 erschienen Monographie zu zeigen.648 Darüber hinaus hat kürzlich Khaled El-Rouayheb herausgearbeitet, dass eine Reihe von Gelehrten des 11./17. und 12./18. Jahrhunderts, wie z. B. Ibrāhīm al-Kūrānī (gest. 1101/1690), die in der Tradition Ibn ʿArabīs standen oder zumindest mit diesem sympathisierten, keinen Widerspruch darin sahen, sich auch für das Denken Ibn Taymiyyas stark zu machen. Dadurch leisteten diese Gelehrten einen signifikanten Beitrag zur Wiederentdeckung der Schriften Ibn Taymiyyas und folglich – und das ist die Ironie der Geschichte – zum Aufkommen der modernen Salafiyya-Bewegung, die Ibn ʿArabī zutiefst verachtet.649 Lange hatte man in der europäischsprachigen Forschung die ḥanbalitische Schule allgemein, dabei speziell Ibn Taymiyya, aufgrund der Ablehnung des spekulativen Sufismus als Gegner des taṣawwuf an sich betrachtet.650 Damit beging man einen ähnlichen Fehler wie den, den man machte, als man al-Ġazali aufgrund seiner falsafa-kritischen Schriften als einen Gegner der Philosophie an sich beschrieb.651 Unter den Begriff taṣawwuf fallen verschiedenste Ausdrucksformen von Spiritualität, sodass die Kritik Ibn Taymiyyas am Denken Ibn ʿArabīs keine Ablehnung des taṣawwuf an sich bedeutet, sondern nur mancher ihrer Spielarten (hier: der Theosophie bzw. des spekulativen Sufismus652 ).653 Hikmet Yaman argu648 Ajhar, Suʾāl al-ʿālam. Es bedarf jedoch weiterer Forschung, um ein Urteil darüber fällen zu können, inwieweit ihm das gelungen ist. 649 Siehe El-Rouayheb, Islamic Intellectual History, 271, und Kapitel 8, v. a. 307–311. Ähnlich verhält es sich auch mit später kommenden Gelehrten wie z. B. Abū ṯ-Ṯanāʾ al-Ālūsī (gest. 1270/1854) und Ǧamāl ad-Dīn al-Qāsimī (gest. 1332/1914); siehe Mun’im Sirry, Jamāl al-Dīn al-Qāsimī and the Salafi Approach to Sufism, in: Die Welt des Islams 51.1 (2011), 75–108. 650 Siehe hierzu George Makdisi, The Hanbali School and Sufism, in: Humaniora Islamica 2 (1974), 61–72. 651 Zu der oft wiederholten, jedoch absolut irrigen Annahme, al-Ġazālī sei der Totengräber der islamischen Philosophie gewesen, die ihr Ende angeblich mit dem Tod Ibn Rušds (gest. 595/1198) gefunden habe, siehe oben, Fußnote 242. 652 Auf den oft synonym verwendeten Begriff der Mystik wird verzichtet, da seine Verwendung in Bezug auf nicht-europäische Phänomene eurozentristisch ist; siehe hierzu Hofer, Popularisation of Sufism, 3. 653 Das Verhältnis Ibn Taymiyyas zum taṣawwuf wurde bereits in mehreren Untersuchungen beleuchtet; siehe z. B. George Makdisi, Ibn Taimiya. A Sufi of the Qadiriya Order, in: American Journal of Arabic Studies 1 (1973), 118–129 (Makdisis Artikel wird kritisch diskutiert in Diego Sarrio, Spiritual Anti-Elitism. Ibn Taymiyya’s Doctrine of Sainthood (walāya), in: Islam and ChristianMuslim Relations 22.3 (2011), 275–291, hier 276f.); Meier, Das sauberste über die vorbestimmung; Thomas Michel (Hrsg.), A Muslim Theologian’s Response to Christianity. Ibn Taymiyya’s al-Jawab al-Sahih, Ann Arbor: Caravan Books, 1985, Kap. 3 der Einleitung; Thomas Emil Homerin, Ibn Taymīya’s al-Ṣūfīyah wa-al-Fuqarāʾ, in: Arabica 32 (1985), 219–244; Muhammad Abdul Haq Ansari, Ibn Taymiyya and Sufism, in: Islamic Studies 24.1 (1985), 219–244 (hier sind auch die kritischen
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 133
mentiert sogar dafür, „that Ibn Taymiyya’s condemnation of Akbarian654 ideas was not supposed to be considered as a criticism of Sufism; instead as a criticism of philosophy in the context of his other well-known attack directed to the Muslim philosophers, especially Ibn Sīnā. [...] He does not consider Ibn ʿArabī as a genuine Sufi, rather a pseudo Sufi whose mind is confused with philosophical argumentations, especially with metaphysical speculations and exegeses“.655 Ibn Taymiyya war es wichtig, dass seine Kritik an Ibn ʿArabī nicht als eine Kritik am taṣawwuf verstanden wird, was an folgender Aussage deutlich wird, die er auf die hochpolemische Weise formuliert, die für seine Ausführungen innerhalb dieser Thematik typisch ist: „[...] Ibn ʿArabī und seinesgleichen, falls sie behaupten, zu den Sufis zu gehören, so gehören sie zu den Sufis unter den Häretikern (Sing.: mulḥid) [und] den falāsifa, nicht aber zu den Sufis unter den Anhängern des Wissens“.656 Im Folgenden wird nun Ibn ʿArabīs Lehre von der Einheit des Seins zusammenfassend dargestellt.657 Dieser Lehre zufolge bezeichnet der Existenzbegriff keine Gattung, welche sich in den existenten Dingen instantiiert, sondern eine einzige Realität (ḥaqīqa wāḥida). Diese ist identisch mit Gott,658 welcher absolut und unbegrenzt ist. In dieser Hinsicht ist Gott auch unbestimmbar und folglich unerkennbar, denn eine wie auch immer geartete Bestimmung würde notwendigerweise mit einer Begrenzung einhergehen. Die Anerkennung der Vorstellung, dass Gottes Wesen hinter einem undurchdringbaren Schleier der Transzendenz verborgen liegt, wird in dem für Ibn ʿArabīs Denken wichtigen Konzept des tanzīh (wörtl.: etwas für erhaben Erklären) erfasst. Dieses beschreibt jedoch nur eine Seite der Medaille. Genauso wichtig wie der tanzīh ist nämlich das zu ihm sowohl konträr als auch komplementär stehende Konzept des tašbīh (wörtl.: etwas als ähnlich Anmerkungen des Hrsg. der Zeitschrift in den Endnoten zu beachten); Hikmet Yaman, Ḥanbalīte Criticism of Sufism. Ibn Taymiyya (d. 795[sic]/1328), a Ḥanbalīte Ascetic (Zāhid), in: Ekev Akademi Dergisi 14.43 (2010), 37–56; und Qais Assef, Le soufisme et les soufis selon Ibn Taymiyya, in: Bulletin d’Études Orientales LX (2012), 91–122. 654 Ibn ʿArabī ist auch unter seinem Titel aš-šayḫ al-akbar (der größte Meister) bekannt. Davon leitet sich das in der Sekundärliteratur verbreitete Adjektiv akbaritisch ab. 655 Yaman, Ḥanbalīte Criticism of Sufism, 54. 656 Furqān II, MF 11/233. 657 Zur Lehre des waḥdat al-wuǧūd gibt es zahlreiche Untersuchungen, von denen folgende beispielhaft genannt werden: Affifi, Mystical Philosophy, Kap. 1; Toshihiku Izutsu, Sufism and Taoism. A Comparative Study of Key Philosophical Concepts, London: University of California Press, 1983, v. a. Kap. II und IV–XIII; Schimmel, Mystische Dimensionen, 374–387; William Chittick, Imaginal Worlds. Ibn al-ʿArabī and the Problem of Religious Diversity, Albany: State University of New York Press, 1994, Kap. 1; und Fateme Rahmati, Der Mensch als Spiegelbild Gottes in der Mystik Ibn ʿArabīs, Wiesbaden: Harrassowitz, 2007, 17–43. 658 Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 111 Z.4.
134 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Ausweisen), bei dem Gott nicht mehr in Seiner Eigenschaft, transzendent zu sein, betrachtet wird, sondern in der Eigenschaft, Sich durch die Schöpfung Selbst zu manifestieren. Hier nimmt Ibn ʿArabī viele Male Bezug auf ein Prophetenwort, das zwar, wie er selbst zugibt, ḥadīṯ-wissenschaftlich unhaltbar (ḍaʿīf ) ist, ihm jedoch über den Weg der göttlichen Eingebung (kašf ) als gesichert (ṣaḥīḥ) ausgewiesen worden sei.659 In diesem ḥadīṯ wird Gott mit folgenden Worten zitiert: „Ich war ein verborgener Schatz, niemand hatte Kenntnis von Mir. Doch liebte Ich es, erkannt zu werden, so erschuf Ich die Schöpfung und gab Mich ihr zu erkennen, so erkannte sie Mich.“660 Den Ausdruck Schatz versteht Ibn ʿArabī als eine „Bestätigung für (das Vorhandensein) der feststehenden Entitäten (al-aʿyān aṯ-ṯābita), für die sich auch die Muʿtaziliten ausgesprochen hatten.“661 Die feststehenden Entitäten sind das Ergebnis der allerreinsten Emanation (al-fayḍ al-aqdas) und stellen die unendliche Menge aller möglichen Objekte und ihrer Zustände dar, die Gott in einer Selbstschau erkennt.662 Die Entitäten sind nicht-existent (maʿdūm), haben aber doch in einem ontologischen Sinne Bestand (ṯubūt) im Wissen Gottes. Sie sind nicht zu verwechseln mit den platonischen Ideen, da sie weder Universalien noch Urbilder darstellen.663 Vielmehr sind sie im göttlichen Schöpfungsprozess der erste Schritt hin zu mehr Bestimmtheit (taʿayyun).664 Diesem folgt die reine Emanation (al-fayḍ al-muqaddas), in der den feststehenden Entitäten Existenz verliehen wird, welche ihnen aber nur im übertragenen Sinne zukommt, da nur Gott allein existiert.665 Das ist die sichtbare Welt, die identisch mit der Summe aller loci der Manifestationen (maẓāhir) der in der Anzahl unbegrenzten göttlichen 659 Zur Funktion der ḥadīṯe in der sufischen Tradition im Allgemeinen siehe Jonathan Brown, Hadith. Muhammad’s Legacy in the Medieval and Modern World, Oxford: Oneworld Publications, 2009, Kap. 7, zu Ibn ʿArabī speziell, 193–195. 660 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, al-Futūḥāt al-makkiyya, Kairo: Būlāq, 1852–7, 2/443 Z.16–18. Weder die spätere und höherwertige Edition von 1911 noch die nun vollständige und wissenschaftlich gesehen beste Edition durch ʿAbd al-ʿAzīz Ṣulṭān al-Manṣūb (veröffentl. 2010) waren mir zugänglich. Die von ʿUṯmān Yaḥyā 1972 begonnene kritische Edition lag mir dahingegen vor, ist jedoch unvollendet und umfasst daher die eben behandelte Passage nicht. 661 Ders., al-Futūḥāt al-makkiyya, hrsg. von ʿUṯmān Yaḥyā, 2. unverändert. Aufl., 14 Bde., unvollendet, Kairo: al-Hayʾa al-miṣriyya al-ʿāmma li-l-kitāb, 1977–92, 14/409 Z.9f. 662 Siehe Suʿād al-Ḥakīm, al-Muʿǧam aṣ-ṣūfī. al-Ḥikma fī ḥudūd al-kalima, Beirut: Dandara, 1981, 889. 663 Diese in der Sekundärliteratur verbreitete Missdeutung ist in der Forschung mehrfach thematisiert worden; siehe z. B. Egbert Meyer, Ein kurzer Traktat Ibn ʿArabī’s über die -aʿyān aṯ-ṯābita, in: Oriens 27-28 (1981), 226–265, hier 228 mit Fußnote 9. 664 Siehe Ḥakīm, Muʿǧam, 889f. 665 Siehe William Chittick, The Self-Disclosure of God, New York: State University of New York Press, 1998, 30a.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 135
Namen ist. Der Ursprung der Welt bzw. des Kosmos, so schreibt William Chittick, „is God, while the cosmos is nothing but the Being of God within which appear the properties of the nonexistent entities, properties which themselves are the effects of the divine names. So what we see are the names, and the cosmos is the outward form of all the names in differentiated mode“.666 Die Welt als Schauplatz der unendlich vielen Namen Gottes wechselt in ihrem Zustand seit Urewigkeiten667 – und hier ist man an das ašʿaritisch-okkasionalistische Schöpfungsverständnis erinnert – zwischen der ihr eigentümlichen Nicht-Existenz und der durch Gott verliehenen Existenz, wobei sie bei jeder Neu-Werdung niemals ein zweites Mal die gleiche Form annimmt.668 Welche Namen sich in welcher Intensität offenbaren, ist durch den Grad der Empfänglichkeit (istiʿdād) determiniert, den die feststehenden Entitäten im Prozess der göttlichen Selbstoffenbarung besitzen.669 Hier liegt für Ibn ʿArabī das Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung (sirr al-qadar). Denn kennt man die Beschaffenheit der feststehenden Entitäten, kann man auch den Werdegang innerweltlicher Phänomene vorhersehen.670 Ibn ʿArabīs Ausführungen über die Gott-Welt-Relation erscheinen, und das wohl bewusst, paradox und höchst ambig. Sich darauf einzulassen, bedeutet von dem entweder/oder-Denken, das man bei den rational argumentierenden mutakallimūn und bei Ibn Taymiyya findet, Abstand zu nehmen und die Kategorien des gleichzeitigen sowohl/als auch bzw. des weder/noch anzunehmen. Z. B. antwortete Ibn ʿArabī auf die Frage, ob die erschaffenen Dinge identisch mit Gott seien, sowohl mit einem Nein als auch mit einem Ja sowie damit, dass sie sowohl Er als auch nicht-Er (huwa lā huwa) sind.671 So gibt einerseits die Welt der Manifestation der göttlichen Namen eine Form. Da Formen jedoch Begrenzungen darstellen, Gott aber unbegrenzt ist, können sie andererseits nicht mit Ihm identisch sein. Ihnen kommt aber keine tatsächliche Existenz zu, noch sind sie durch sich selbst bestehende Substanzen, sodass, und diese Erkenntnis ist die Quintessenz des tawḥīd bei Ibn ʿArabī, nichts existiert außer Gott.672 Ibn ʿArabī versucht die Widersprüchlichkeiten durch eine Reihe von 666 Chittick, Sufi Path of Knowledge, 114. 667 Ibn ʿArabī vertritt damit jedoch nicht die Position der falāsifa von der Ewigkeit der Welt, aber auch nicht die der mutakallimūn einer creatio ex nihilo; dazu mehr bei ebd., 84b–85a; und Rahmati, Mensch als Spiegelbild Gottes, 19 und 21. 668 Siehe Chittick, Sufi Path of Knowledge, 19a. 669 Ebd., 91b. 670 Der kašf ist das Mittel, um die feststehenden Entitäten zu betrachten; dies passiert jedoch nur selten und nur bei sehr wenigen Menschen; siehe Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 99 Z.2–6. 671 Siehe Chittick, Sufi Path of Knowledge, 81a, und Mohamed Haj Yousef, Ibn ʿArabī. Time and Cosmology, London und New York: Routledge, 2008, 133. 672 Ḥakīm, Muʿǧam, 1173f.
136 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Gleichnissen begreifbar zu machen, von der eines, welches er als das treffendste ausweist, in wenigen Worten angeführt werden soll.673 Demgemäß sieht Gott Sich in der Welt, wie ein Betrachter sich in einem Spiegel sieht. Die Schöpfung „ist Sein Spiegel, in dem Er Seine Namen schaut und in dem deren Bestimmungen (aḥkām) offenbar werden, die nichts anderes sind als Er Selbst“.674 Da die Welt die materialisierte Form der göttlichen Namen ist, ist auch Gott ein Spiegel, in dem sich die Schöpfung sehen kann.675 Wenn man Gott schaut, so sieht man die Welt. Der nicht-manifeste Gott hingegen, der mit der sich jeder Bestimmung entziehenden reinen Existenz identisch ist, bleibt unerkennbar in der Transzendenz verborgen. Im Folgenden soll nun die in der Sekundärliteratur schon mehrfach untersuchte Kritik Ibn Taymiyyas676 in den Vordergrund rücken.677 Seine Argumentationsstrategie ist dreiteilig, insofern sie sich auf konkrete doktrinale Inhalte dieser 673 Weitere Gleichnisse werden beschrieben bei Ḥakīm, Muʿǧam, 1152–1157. 674 Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 62. 675 Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 62; das Spiegel-Gleichnis findet sich weiter ausgeführt bei Rahmati, Mensch als Spiegelbild Gottes, 34f. 676 Ibn Taymiyya formuliert seine Kritik in mehreren Werken, kleineren Traktaten und fatwās. Von zentraler Relevanz sind das Sendschreiben Manbiǧī, das 703/1303-4 verfasste; und das nicht vollständig erhaltene Ḥaqīqa; sowie das Ḥuǧaǧ. Michel vertritt die Ansicht, dass es sich bei den zwei letztgenannten Werken aufgrund ihrer Ähnlichkeit um zwei Fassungen ein und desselben Werkes handeln könnte; siehe Michel (Hrsg.), Muslim Theologian’s Response, 383f., Endnote 5. Ich halte das jedoch für wenig plausibel. Das Traktat Ḥaqīqa verfasste Ibn Taymiyya wohl auf Anfrage vom bekannten ḥanbalitischen Gelehrten Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316); siehe Ibn Rušayyiq, Asmāʾ muʾallafāt šayḫ al-islām Ibn Taymiyya, in: Muḥammad ʿUzayr Šams/ʿAlī Ibn Muḥammad al-ʿImrān (Hrsg.), al-Ǧāmiʿ li-sīrat šayḫ al-islām Ibn Taymiyya ḫilāla sabʿat qurūn, 2. Aufl., Riad: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422 [=2001-2], 282–311, hier 303. Die Schrift mit dem vielversprechenden Titel ar-Radd al-aqwam ʿalā kitāb Fuṣūṣ al-ḥikam (MF 2/362–451) enthält für die hier zu behandelnde Thematik nur wenig relevantes Material. Schließlich seien noch die Traktate Ḥammūya und Ṣūra angeführt, die erst vor wenigen Jahren ediert wurden. 677 Zwei Veröffentlichungen möchte ich dabei besonders hervorheben: Cyrille Chodkiewicz, Les premières polémiques autour d’Ibn ʿArabī. Ibn Taymiyya (661-728/1263-1328), Universität Paris: unveröffentl. Dissertation, 1984, 30–69 (eine Zusammenfassung dieser Dissertation findet sich bei Michel Chodkiewicz, Le procès posthume d’Ibn ʿArabī, in: Frederick De Jong/Bernd Radtke (Hrsg.), Islamic Mysticism Contested. Thirteen Centuries of Controversies and Polemics, Leiden: Brill, 1999, 93–123, v. a. 101–103); sowie aus meiner Sicht die bislang überzeugendste Behandlung der Thematik in Knysh, Ibn ʿArabī in the Later Islamic Tradition, 87–111 (hier die Errata beachten, die aufgelistet werden in Jon Hoover, Rezension von Alexander Knysh, Ibn ʿArabī in the Later Islamic Tradition. The Making of a Polemical Image in Medieval Islam, in: Islam and ChristianMuslim Relations 10.3 (1999), 392–394). Siehe darüber hinaus auch Memon, Struggle, 35–46 in der Einleitung; Nūr al-Dīn Aliyu, Ibn Taymiyya’s Attitude towards Ṣūfism and His Critique of Ibn al-ʿArabī’s Mystical Philosophy, University of Edinburgh: unveröffentl. Dissertation, 1981; Michel (Hrsg.), Muslim Theologian’s Response, Kap. 1 der Einleitung; Hallaq, Against the Greek Logicians, v. a. xxii–xxvii; Chittick, Rūmī and waḥdat al-wujūd, 85–87; Thomas Würtz, Reactions of
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Lehre bezieht, auf die Methode ihrer Begründung sowie auf ihre Konsequenzen für die religiöse Praxis. Er wirft Ibn ʿArabī vor, sich mit der Annahme in einen Widerspruch zu verstricken, dass Gottes Äußerliche (ẓāhir) die Schöpfung und das von Ihm versteckte Innere (bāṭin) Sein ḥaqq, also das Wirkliche bzw. die reine Existenz ist. Denn dadurch ist Gott in Seinem Sein zweigeteilt; es handelt sich also um zwei voneinander zu unterscheidende Existenzen, was dem Grundgedanken der Lehre von der Einheit des Seins zuwiderläuft. Ibn Taymiyya antizipiert das Gegenargument, welches auf der Unterscheidung zwischen dem Sein an sich und den partikularen Dingen, deren Realität sich nur durch Teilhabe an Ersterem ergibt, beruht, und betont daher, dass eine derartige Unterscheidung reine Fiktion sei.678 Dass Ibn Taymiyya es hier ablehnt, beide Seinsformen Gottes zugleich anzunehmen, bedeutet nicht, dass er sich dafür ausspricht, sich auf eines der zwei zu begrenzen. Im Gegenteil: Er lehnt es genauso ab, dass Gott mit auch nur einer der beiden ausgeführten Seinsformen beschrieben wird. So ist die Gleichsetzung Gottes mit dem unerkennbar in der Transzendenz verorteten absoluten Sein (wuǧūd muṭlaq), also Gottes bāṭin, gleichbedeutend mit Seiner Nicht-Existenz, denn das absolute Sein ist lediglich ein mentales Konstrukt ohne außenweltliches Gegenstück. Erachtet man dahingegen Gottes Wesen als das durch die Schöpfung Manifestierte, also lediglich in Bezug auf Sein ẓāhir, führt das laut Ibn Taymiyya zur inhaltlichen Entleerung (taʿṭīl) Seiner Eigenschaft, der Herrscher und Versorger (rabb) der Schöpfung zu sein, und beraubt die Sendung von Offenbarungen und Propheten ihres Sinnes.679 Hier wird die Grundfrage des Streits deutlich: In welchem ontologischen Verhältnis steht Gott zu Seiner Schöpfung? Sowohl Ibn Taymiyya als auch die mutakallimūn vertreten die Ansicht, dass Gott und die Welt voneinander vollkommen abgetrennte, durch sich selbst subsistierende680 und durch ein ihnen jeweils zukommendes Sein nebenher 681 existierende Entitäten sind. Dieser Gott-Welt-Dualismus wird in der Lehre des Seins vollkommen aufgehoben, und er führt aus der Sicht Ibn Taymiyyas nicht nur zu logischen Widersprüchen, sondern bringt auch weitgreifende, inakzeptable Implikationen für die Theologie mit sich. Ersteres thematisiert Ibn Taymiyya an vielen Stellen seiner Werke; an einer in Form einer Anekdote. So Ibn Taymiyya and Taftazānī upon the Mystic Conception of Ibn ʿArabī, in: Heike Stamer (Hrsg.), Mysticism in East and West. The Concept of the Unity of Being. Lahore: Multi Media Affairs, 2013, 41–52, hier 42–48 (beruht überwiegend auf der Studie von Knysh). 678 Ḥuǧaǧ, MF 2/307. 679 Ḥaqīqa, MF 2/229f. 680 Im Sinne von qāʾim bi-nafsihī. 681 Erst in der Frage, ob und inwiefern sich dieses Nebenher weiter qualifizieren lässt, beginnt die Uneinigkeit zwischen Ibn Taymiyya und den mutakallimūn.
138 | 4 Seinstheoretische Grundlagen soll ein Gelehrter unter den Vertretern des Seinsmonismus gesagt haben, jeder lügt, der behauptet, dass es im Sein noch etwas anderes als Gott gibt. Einer der Anwesenden fragte, wer denn dann lügt, wenn es wahr ist, dass niemand anderes als Gott existiert. Der Gelehrte konnte darauf jedoch keine Antwort geben.682 Denn entweder ist es Gott, der lügt, oder aber man müsste doch noch eine andere, von Gott abgetrennte Existenz annehmen, die man der Lüge bezichtigen könnte. Laut Ibn ʿArabī, so führt Ibn Taymiyya fort, ist alles in der Welt – darunter das Gute und das Schlechte bzw. das auf Basis der Religion und der Sitte Lobens- und Verachtenswerte – nichts anderes als Gott, der Sich durch Seine Attribute Selbst manifestiert.683 Ibn Taymiyya führt in diesem Kontext mehrfach einen Vers aus Ibn ʿArabīs Gedichten an, in dem es heißt: Wahrlich, alles in der Existenz Gesagte ist Seine Rede, wobei es für uns keine Rolle spielt, ob es prosaisch oder lyrisch ist.
Ibn Taymiyya versteht diese Zeilen so, dass nach Ibn ʿArabī die Rede der Geschöpfe – selbst die häretische und lügenhafte – in Wirklichkeit die Rede Gottes ist. Er meint, dass eine solche Aussage nur konsequent ist, da Ibn ʿArabīs Lehre von der Einheit des Seins ansonsten neben Gott etwas weiteres in der Existenz annehmen muss. Es sei jedoch der Konsens der Muslime, dass die Schöpfung weder mit Gottes Wesen noch mit Seinen Attributen gleichgesetzt werden dürfe.684 Ibn Taymiyya meint darüber hinaus, dass die Lehre von der Einheit des Seins einen perfekten Nährboden für antinomistische Strömungen bietet,685 auch wenn Ibn ʿArabī selbst, wie Ibn Taymiyya an anderer Stelle anerkennt, das Befolgen der religiösen Gebote als verpflichtend ansah.686 So schreibt Ibn Taymiyya: Des Weiteren sind in Angelegenheiten von Gebot und Verbot laut ihm [d. h. Ibn ʿArabī] der Gebietende, der Verbietende, der, dem geboten wurde, und der, dem verboten wurde, alle ein und derselbe. Und daher sagte er ganz zu Anfang in seinem al-Futūḥāt al-makkiyya, welches sein umfangreichstes Werk darstellt: „Der Herr ist real (ḥaqq) und der Diener ist real, o wüsste ich doch nur, wer mit der Umsetzung der Gebote beauftragt ist. Sagst du: Der Diener!‘, so ist das doch der Herr, ’ oder sagst du: Der Herr!‘, ja wie kann denn Er damit beauftragt sein?“687 ’
682 Ḥuǧaǧ, MF 2/305. Diese Begebenheit wird auch nacherzählt bei Chodkiewicz, Procès posthume, 103f. 683 Ḥuǧaǧ, MF 2/305f. Ibn Taymiyya bezieht sich hier auf Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 79. 684 Ḥuǧaǧ, MF 2/352f. 685 Ḥaqīqa, MF 2/173f. 686 Manbiǧī, MF 2/470f. 687 Siehe Ibn ʿArabī (Ed. Yaḥyā), Futūḥāt, 1/42.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 139
Und an anderer Stelle las ich so ist er doch tot,688 geschrieben in seiner [d. h. Ibn ʿArabīs] Handschrift. Und diese [Aussage] baut sich auf seinem Grundgedanken auf, dass es keinen Diener und kein Seiendes außer dem Sein des Herrn gibt. Wer also soll der mit der Umsetzung der Gebote Beauftragte sein?689
Nach Ibn Taymiyya unterminiert die Lehre der Einheit des Seins jedoch nicht nur das normative System des Islams, sondern den Islam im Allgemeinen, denn die Gleichsetzung Gottes mit Seiner Schöpfung führt dazu, dass es nicht möglich ist, etwas anderes anzubeten als Gott. Ibn ʿArabī zieht dazu einen Koranvers unterstützend heran, in dem es heißt: „Und dein Herr hat festgesetzt, dass nichts außer Ihm angebetet wird.“690 Er versteht den Vers so, dass auch dann, wenn man vor Steinen niederkniet, nichts anderes außer Gott angebetet wird; insofern es ja nichts anderes als Ihn im Sein gibt.691 Ibn Taymiyya betrachtet eine derartige Interpretation des angeführten Koranverses als eine Sinnverfälschung (taḥrīf ) und wirft Ibn ʿArabī an mehreren Stellen seiner Werke vor, sich einer bāṭinitischen bzw. esoterischen Koranhermeneutik zu bedienen.692 Nach Ibn Taymiyya sagt der Vers nicht aus, dass Gott beschlossen habe, dass nichts anderes angebetet werden könne, sondern, dass nichts anderes angebetet werden solle.693 Ibn Taymiyya zitiert darüber hinaus auch seitenweise Passagen aus dem Fuṣūṣ al-ḥikam, in denen Ibn ʿArabī die koranischen Geschichten über den Disput zwischen Moses und dem Pharao, dem Disput zwischen Moses, Aaron und den Juden, welche das goldene Kalb anbeteten, sowie dem Disput zwischen Noah und seinem Volk auslegt. Nach Ibn ʿArabīs unkonventioneller Deutung agieren dabei die Propheten mit wenig Weisheit und (bzw. oder) ihre Widersacher bringen Aussagen vor, die von einem tiefgehenden Wissen über Gott zeugen. So stellt Ibn Taymiyya an mehreren Stellen seiner Werke dar, wie laut Ibn ʿArabī der Prophet Noah694 bei der Ermahnung seines Volkes lediglich auf Gottes Transzendenz, nicht aber auf Seine Immanenz 688 So steht es auch in Futūḥāt (Ed. Yaḥyā) anstelle von so ist das doch der Herr. 689 Ḥaqīqa, MF 2/242. 690 Koran 17:23. 691 Ibn ʿArabī bezieht sich mehrfach auf diesen Vers; siehe z. B. Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 192. 692 Unter die Bezeichnung bāṭiniyya fallen alle Gruppierungen, die davon ausgehen, der Koran beinhalte versteckte (bāṭin) Bedeutungen, die nur Eingeweihten zugänglich seien. Diese Ansicht ist vor allem den ismailitischen Schiiten zugeschrieben worden; siehe Paul Walker, Bāṭiniyya, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2009 (1), 170–174a. Mehrfach stellt Ibn Taymiyya in seinen Schriften auch eine intellektuelle Verbindung zwischen Ibn ʿArabī und der ismailitischen Denktradition her, wohingehend er auch durch die Forschung bestätigt wird; siehe Ebstein, Mysticism and Philosophy in al-Andalus. 693 Ḥaqīqa, MF 2/263. 694 Seine Geschichte wird mit starkem Bezug zu Koran 71 im dritten Kapitel des Fuṣūṣ al-ḥikam ausgeführt. Eine ausführliche Behandlung dieses Kapitels findet sich bei Ian Almond, Sufism and
140 | 4 Seinstheoretische Grundlagen verwiesen habe. Hätte er in seinem Aufruf beides kombiniert, so hätte sein Volk die Botschaft angenommen.695 Der Koran zitiert bei seiner Erzählung der Geschichte eine Gruppe aus dem Volk, die gemeinhin als Gegner Noahs gedeutet werden, mit folgenden Worten: „Lasst ja nicht ab von euren Göttern und lasst ja nicht ab von Wadd und nicht von Suwāʿ und nicht von Yaġūṯ und nicht von Yaʿūq und Nasr.“696 Ibn ʿArabī verkehrt das gängige Verständnis dieses Verses ins Gegenteil, indem er anfügt: „Denn würden sie von ihnen ablassen, so würden sie bezüglich Gott (al-Ḥaqq) in dem Ausmaße unwissend werden, in dem sie von ihnen [d. h. den Götzen] ablassen. Denn al-Ḥaqq hat einen Anteil (waǧh) an jedem angebeteten Objekt, dessen sich manch einer bewusst ist und andere eben nicht.“697 Ibn Taymiyya kritisiert, dass eine solche Vorstellung dazu führen könnte, den Exklusivitätsanspruch des Islams zu untergraben und alle Weltanschauungen als gleichermaßen wahr einzustufen. William Chittick macht bei seiner Behandlung der Ansichten Ibn ʿArabīs über andere Religionen eine Bobachtung, die Ibn Taymiyyas Kritik zu bestätigen scheint. So schreibt er: „The idea that there are no errors and that all beliefs are true rises up logically from waḥdat al-wujūd“.698 Wahr bedeutet hier indes, dass die verschiedenen Weltanschauungen jeweils einen Aspekt der Selbstmanifestation Gottes in der Welt darstellen, und nicht unbedingt, dass sie auch alle zum jenseitigen Heil führen.699 Auch Ibn Taymiyya ist sich des Umstands bewusst, dass Ibn ʿArabī nicht alle Religionen als erlösend angesehen hat. Er kritisiert jedoch, dass nach ihm z. B. der Unglaube (kufr) der Christen nicht darin bestanden habe, Gottes Immanenz in Jesus anzuerkennen, sondern sie auf ihn zu beschränken. Auch die Polytheisten seien lediglich deswegen in die Irre gegangen, weil sie ihre Anbetungsobjekte auf z. B. Steine oder Planeten begrenzten.700 Dass, wie oben ausgeführt, das Sein eine Einheit darstellt und nur Gott zukommt, ist laut Ibn Taymiyya eine der zwei Säulen der monistischen Lehre Ibn Deconstruction. A Comparative Study of Derrida and Ibn ʿArabi, London und New York: Routledge, 2004, 55–60. 695 Almond macht die interessante Bemerkung, dass Ibn ʿArabīs „unflattering portrayal of Noah“ auch als eine Kritik an den kalām-Theologen und manchen Philosophen gedeutet werden könne, bei denen ebenfalls die Transzendenz Gottes im Fokus steht. Siehe Almond, Sufism and Deconstruction, 57. 696 Koran 71:23. 697 Ibn ʿArabī, Fuṣūṣ, 72. Ibn Taymiyya greift diese Passage auf u. a. in Ḥaqīqa, MF 2/251, und Manbiǧī, MF 2/467. 698 Chittick, Imaginal Worlds, 140. 699 Siehe dazu auch Mohammad Hassan Khalil, Islam and the Fate of Others. The Salvation Question, New York: Oxford University Press, 2012, 58f. 700 Manbiǧī, MF 2/467f.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 141
ʿArabīs.701 Bei der zweiten handelt es sich um den auch unter schiitischen und muʿtazilitischen Theologen verbreiteten Standpunkt, dass das Nicht-Existente (maʿdūm) ein Bestand habendes Etwas (šayʾ ṯābit) ist.702 Während diese Theologen gemäß Ibn Taymiyya wenigstens anerkennen, dass diesem Etwas, sobald es zu einem realen Gegenstand wird, sein eigenes Sein zukommt,703 hat Ibn ʿArabī vertreten, dass sein Sein identisch mit dem Sein Gottes ist und es sich von Gott und untereinander lediglich durch seine in der Nicht-Existenz feststehenden Wesenheit (ḏātuhā ṯ-ṯābita fī l-ʿadam) unterscheidet. Ibn ʿArabīs Sicht führt laut Ibn Taymiyya daher zu zwei irrigen Annahmen, die aus der Position der schiitischen und muʿtazilitischen Theologen nicht folgen: Erstens, die realen Objekte sind lediglich die mit dem göttlichen Sein überschütteten ewigen und feststehenden Entitäten und können daher nicht als ein Produkt eines Schöpfungsaktes gesehen werden; und zweitens, alle möglichen Objekte sind seit jeher real.704 Ibn Taymiyya führt Letzteres nicht weiter aus. Der Gedankengang ist hier wohl der, dass, wenn man davon ausgeht, dass alle kontingenten Objekte als feststehende Entitäten Bestand haben und Gottes Existenz sich seit jeher über diese ergießt, so wie es Ibn ʿArabī mit seinem Konzept des fayḍ dāʾim behauptet, dann auch alle diese Objekte zu jeder Zeit real sein müssen. Ibn Taymiyya kritisiert das Konzept der aʿyān ṯābita, also der feststehenden Entitäten, auch mit Rekurs auf das vierstufige Seinsmodell. So argumentiert er, dass das Bestand-Haben (ṯubūt) der Dinge vor ihrer Realisierung nicht mit diesen direkt verknüpft ist, sondern lediglich bedeutet, dass sie Teil des göttlichen Wissens sind.705 Inwiefern Ibn Taymiyyas Kritik an der von Ibn ʿArabī vertretenen Lehre über die Einheit des Seins fundiert und berechtigt ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Am treffendsten hat es wohl Alexander Knysh formuliert, wenn er schreibt: „A final judgment on the validity of Ibn Taymiyya’s antimonistic discourse is in the eye of 701 Ḥaqīqa, MF 2/160. 702 Siehe zu dieser Lehre: Josef van Ess, Die Erkenntnislehre des ʿAḍudaddīn al-Īcī, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1966, 192–210, mit kurzem Bezug zu Ibn ʿArabī auf S. 197. 703 Dadurch bleibt die Eigenschaft der Welt, eine Schöpfung zu sein, bedeutungsvoll. Zwar rückt Ibn Taymiyya die Lehre, dass das Nicht-Existente eine Bestand habende Sache ist, konzeptuell in die Nähe der Position, dass die Welt bzw. die Materie ewig ist, möchte sie aber keinesfalls als mit ihr gleichgesetzt sehen; siehe Ḥaqīqa, MF 2/144f. 704 Ḥaqīqa, MF 2/143f. 705 Ḥaqīqa, MF 2/151f. und 155. Ibn Taymiyyas Kritik an dem Konzept der feststehenden Entitäten geht weit über das bisher Ausgeführte hinaus und dringt ein in Fragen über Gottes Selbstgenügsamkeit und Seine Allmacht sowie über die Vorherbestimmung (qadar). Da dieses Unterkapitel sich aber auf die Fragestellungen mit Relevanz zur Ontologie begrenzen möchte, wurden diese Punkte hier ausgespart.
142 | 4 Seinstheoretische Grundlagen the beholder“.706 Knysh fügt an, dass es die hohe Mehrdeutigkeit der Schriften Ibn ʿArabīs zweifelsohne erlaubt, eine Interpretation vorzuschlagen, die mit der Ibn Taymiyyas zu großen Teilen im Widerspruch steht.707 Darüber hinaus könne Ibn Taymiyya durchaus der Vorwurf gemacht werden, bestimmte Aspekte in Ibn ʿArabīs Denken nur unzureichend verstanden oder sie unzulässig vereinfacht zu haben. So habe Ibn Taymiyya z. B. die feststehenden Entitäten konzeptuell fälschlicherweise in die Nähe der platonischen Ideen gerückt. Knysh resümiert jedoch: „Ibn Taymiyya’s insensitivity to subleties does not necessary imply his failure to grasp the cardinal implications of Ibn ʿArabīs doctrine for the Muslim community“.708 Mit Blick auf die soziale Ebene führt Knysh u. a. an, dass Ibn ʿArabīs Gedanken durchaus das Fundament lieferten, auf dem sich antinomistisches Gedankengut ausbreiten könne.709 Auf der doktrinalen Ebene sei nicht zu leugnen, dass Ibn ʿArabīs Schöpfungstheorie keinen Raum für das Konzept einer creatio ex nihilo lasse und damit mit der in den Religionen vertretenen Mehrheitsauffassung kollidiere. Knyshs Ausführungen am Schlussteil seines Artikels, die meines Erachtens weitgehend zutreffen, bedürfen einer Präzisierung. Erstens ist festzuhalten, dass, was auch immer Ibn Taymiyya an persönlichen Erfahrungen gemacht haben mag, die Geschichte bewiesen hat, dass der Umstand, die Lehre von der Einheit des Seins zu vertreten, nicht korreliert mit der Ansicht, dass die islamischen Ge- und Verbote unbeachtet bleiben dürfen.710 Was das Konzept der Schöpfung aus dem Nichts angeht, dass Knysh als unvereinbar mit der Position Ibn ʿArabīs erachtet, so ist es auch in Ibn Taymiyyas Denken nicht zu finden. Vielmehr vertritt er eine Lehre von der creatio ex creatione (Schöpfung aus dem Erschaffenen).711 Es ist jedoch richtig, dass das Verständnis von Schöpfung ein Streitpunkt zwischen Ibn ʿArabī und Ibn Taymiyya war. Denn ersterer verstand darunter, dass seit Ewigkeiten in der Nicht-Existenz feststehende Entitäten mit der Existenz Gottes – also nicht mit einer diesen selbst zukommenden Existenz – überströmt werden. Ibn Taymiyya dagegen meinte, dass sich die Anwendung des Schöpfungsbegriffs auf die Welt 706 Knysh, Ibn ʿArabī in the Later Islamic Tradition, 108. 707 Ebd. 708 Ebd., 109. 709 Da Knysh sich in seinem Artikel nicht auf die ontologiebezogene Kritik Ibn Taymiyyas begrenzt, führt er als weiteres Beispiel an, dass es durchaus sein könne, dass die durch Ibn ʿArabī vertretene Theorie der Gottesfreundschaft sowie seine Selbstproklamation zum Siegel der Gottesfreunde das Entstehen subversiv-messianischer Gruppierungen begünstigt habe. 710 Siehe El-Rouayheb, Islamic Intellectual History, 270f. Damit soll keineswegs verneint werden, dass es antinomistische Strömungen gibt und gab, die sich zur Stützung ihrer Haltung auf Ibn ʿArabī berufen, wie El-Rouayheb auch selbst betont. 711 Siehe zu Ibn Taymiyyas Schöpfungslehre unten, S. 291.
4.4 Ibn Taymiyyas Kritik an der Lehre von der Einheit des Seins | 143
nur dann begründen lässt, wenn den sich in ihr befindlichen Objekten die reine Nicht-Existenz vorausgeht und sie zudem mit einer von Gott abgetrennten Existenz ausgestattet werden. Den Ausführungen von Knysh sind noch zwei weitere Punkte hinzuzufügen, die meines Erachtens von zentraler Bedeutung sind. Erstens, das größte Unbehagen, welches die Lehre von der Einheit des Seins Ibn Taymiyya bereitete, dürfte durch die darin vorhandene Aufhebung des Gott-Welt-Dualismus zustande gekommen sein. Zur Entfaltung der Spiritualität bedarf es nach Ibn Taymiyya einer klaren Abgrenzung zwischen dem Angebeteten und dem Anbetenden, wobei man auch nicht in die Übertreibung der mutakallimūn verfallen dürfe, Gottes Wesen und Eigenschaften durch den Schleier der Transzendenz so stark inhaltlich zu entleeren, dass Er einem nicht-existenten Objekt angeglichen wird. Laut Ibn Taymiyya ist das so, weil der Gottesdienst ein Streben, eine Absicht, einen Willen und die Liebe beinhaltet. Und das kann nicht auf etwas Nicht-Existentes gerichtet werden, denn das Herz strebt nach einem existenten Objekt. Wenn es nichts oberhalb der Welt vorfindet, dann strebt es nach etwas in ihr [...]. Und daher siehst du, dass manch einer von ihnen [d. h. den mutakallimūn], solange er räsoniert und sich im Studium betätigt, zur Negation [der Attribute Gottes] tendiert. Wenn er jedoch gottesdienstliche Handlungen ausübt und sich im taṣawwuf betätigen will, tendiert er zum Pantheismus (ḥulūl). Wenn ihm dann gesagt wird, dass das eine dem anderen widerspricht, so antwortet er: „Das eine ergibt sich aus meiner Vernunft und meinem Räsonieren und das andere aus meiner direkten Erfahrung (ḏawq) und meiner Gnosis.“712
Implizit macht Ibn Taymiyya hier den mutakallimūn den Vorwurf, durch ihre Idee eines über-transzendenten Gottes pantheistische Vorstellungen begünstigt zu haben.713 Die Lösung sieht Ibn Taymiyya in der Position, die aus seiner Sicht nicht nur die salaf und die führenden Gelehrten vertreten haben, sondern die auch mit dem Koran, der Sunna, dem Konsens der Gemeinschaft, der Vernunft und der natürlichen Veranlagung (fiṭra) des Menschen im Einklang steht. Demnach hat Gott Sich über den Himmeln auf Seinen Thron erhoben und ist in Seiner Existenz vollkommen abgetrennt von Seiner Schöpfung.714 Der zweite Punkt besteht darin, dass Ibn Taymiyya starken Anstoß an der esoterischen Koranhermeneutik Ibn ʿArabīs nimmt. Ich halte Ibn Taymiyyas Kritik für überzeugend, da Ibn ʿArabīs Interpretationen des Korans aus meiner Sicht weit außerhalb des Rahmens liegen, der durch die arabische Sprache und den Textzusammenhang gesetzt wird. Ich stimme den Einschätzungen aus der Sekundärliteratur zu, die die Lehre von der 712 Ḥuǧaǧ, MF 2/298f. 713 Dies stützt die von Almond gemachte Bemerkung, die oben in Fußnote 695 dargelegt wurde. 714 Ḥuǧaǧ, MF 2/298.
144 | 4 Seinstheoretische Grundlagen Einheit des Seins, zumindest in der Form, wie sie Ibn ʿArabī vertreten hat, als dem Korantext aufgezwungen beschreiben. Befremdlich erscheint mir dabei die von Chittick vorgebrachte Behauptung, von Ibn ʿArabīs Auslegungspraxis werde lediglich das unreflektierte Gemüt ins Schwanken gebracht.715
715 Siehe William Chittick, Ibn ʿArabi. Heir to the Prophets, Oxford: Oneworld Publications, 2012, 120. Chittick hat ohne Zweifel einen enormen Beitrag zum Verstehen von Ibn ʿArabīs Denken geleistet, und seine Veröffentlichungen erwiesen sich bei der Ausarbeitung dieses Unterkapitels als äußerst hilfreich. Sie sind indes offensichtlich geprägt von seiner Sympathie für Ibn ʿArabī, die teilweise groteske Züge annimmt. Beispielhaft sei hierfür folgende Passage zitiert: „Ibn ʿArabi’s claim to be the Seal of the Muhammadan Friends has appeared pretentious and even outrageous to many people over the centuries. Hostile and critical scholars have dismissed it out of hand. The fact remains, however, that no author writing after him has come close to matching the profundity, freshness, and detail of his interpretation of the sources of the Islamic tradition. Whether or not one would like to call him the Seal of the Muhammadan Friends, it is difficult to deny him the title ‘Greatest Master’.“ Ebd., 16f.
5 Sprachliche Grundlagen 5.1 Die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie Unter den Theologen, den Philologen und den Rechtstheoretikern – und das über die Schulgrenzen hinweg – herrschte in der islamischen Geistesgeschichte weitgehende Einigkeit über die grundsätzliche Gültigkeit der dichotomischen Kategorisierung sprachlicher Ausdrücke in ḥaqīqa und maǧāz. Erstere bezeichnen diejenigen Ausdrücke, die im Sinne ihrer eigentlichen, letztere diejenigen, die im Sinne ihrer übertragenen Bedeutung verwendet werden.716 Dieser Annahme, die in klar formulierter Weise spätestens schon bei Aristoteles (gest. 322 v. Chr.) gefunden werden kann,717 verweigerten sich nur wenige Denker, darunter Ibn Taymiyya.718 Die Tatsache, dass seine Kritik an dieser Dichotomie einerseits erhal716 Wolfhart Heinrichs folgend wurde die Übersetzung metaphorische Bedeutung bewusst verworfen, da unter den Begriff maǧāz neben der Metapher auch viele weitere rhetorische Stilmittel fallen; siehe Wolfhart Heinrichs, On the Genesis of the ḥaqīqa-majāz Dichotomy, in: Studia Islamica 1984, 111–140, hier 111, Fußnote 1. Pierre Larcher widerspricht hier zwar mit den Worten, der Ausdruck maǧāz „refers not to every figurative expression, but more specifically to metaphorical expression“. Dieser Einwand ist aber, wenn überhaupt, erst für die Zeit nach dem 5./11. Jahrhundert gültig, in der im Zuge der fortschreitenden Systematisierung der arabischen Rhetorik der Begriff des maǧāz an konzeptueller Schärfe gewann. Dahingegen hält Bernard Weiss bei seiner Analyse der rechtstheoretischen Ansichten al-Āmidīs (gest. 631/1233) die Begriffe ḥaqīqa und maǧāz für unübersetzbar und belässt sie daher im Arabischen; siehe Bernard Weiss, The Search for God’s Law. Islamic Jurisprudence in the Writings of Sayf al-Dīn al-Āmidī, 2., überarb. Auflage, Salt Lake City und Herndon: University of Utah Press, 2010, 131f. Larcher macht darüber hinaus auf eine in der Sekundärliteratur weit verbreitete begriffliche Ungenauigkeit aufmerksam, wenn er zu Recht feststellt, dass die Termini ḥaqīqa und maǧāz eben nicht die eigentliche bzw. übertragene Bedeutung von Ausdrücken bezeichnen, sondern die Ausdrücke selbst, insofern sie im eigentlichen bzw. übertragenen Sinne verwendet werden; siehe Pierre Larcher, Arabic Linguistic Tradition II: Pragmatics, in: Jonathan Owens (Hrsg.), The Oxford Handbook of Arabic Linguistics, Oxford und New York: Oxford University Press, 2013, 185–212, hier 196 (dort findet sich auch das oben angeführte Zitat). 717 Ein geschichtlicher Abriss zur Metapher in der westlichen Geistesgeschichte bis hin zu ihrer völligen Neubewertung ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet sich bei Mark Johnson, Metaphor in the Philosophical Tradition, in: ders. (Hrsg.), Philosophical Perspectives on Metaphor, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1981, 3–47. 718 Al-Maṭʿanī (gest. 1429/2008) zählt in seiner umfangreichen Analyse zum Thema zehn Gelehrte vor Ibn Taymiyya auf, die dem maǧāz ablehnend gegenüberstanden. Zu den prominentesten darunter gehören der Gründer der ẓāhiritischen Schule Dāwūd Ibn ʿAlī (gest. 270/884) und der šāfiʿitische Ašʿarit Abū Isḥāq al-Isfarāyīnī (gest. 418/1027). Interessanterweise soll sich unter ihnen auch ein Muʿtazilit befunden haben, nämlich Abū Muslim al-Aṣfahānī (gest. 322/934; vgl. am Ende dieser Fußnote, dass dem wohl nicht so ist). Unter ihnen bestand keine Einigkeit in der https://doi.org/10.1515/9783110623673-005
146 | 5 Sprachliche Grundlagen ten und andererseits besonders gründlich und elaboriert ist, dürfte den Umstand
begünstigt haben, dass seine Ansichten in der thematisch relevanten und sehr
überschaubaren Sekundärliteratur besonders oft im Fokus standen. Den wichtigsten Beitrag leistete Mohamed M. Y. Ali im Jahre 2000, der mit seiner tiefgehenden
Untersuchung die sprachwissenschaftlich relevanten Ansichten Ibn Taymiyyas
im Allgemeinen und seine ablehnenden Haltung gegenüber der ḥaqīqa-maǧāzDichotomie im Speziellen erstmalig in einer der europäischen Sprachen zugänglich machte.719 Ali konnte zeigen, dass es sich bei Ibn Taymiyyas Ablehnung des maǧāz
keineswegs um einen „dogmatic denial“, noch um einen „naive call directed at the adherents of taʾwīl“720 handelt und so ist sein Beitrag, wie Robert Gleave es
Frage, ob der maǧāz im Ganzen oder lediglich auf den Koran bezogen abzulehnen sei. Ihnen allen ist gemein, dass ihre diesbezüglichen Schriften verloren sind und man über ihre Haltung lediglich aus zweiter Hand erfährt. Für die Zeit nach Ibn Taymiyya weiß al-Maṭʿanī nur von drei Gelehrten, dass sie der Mehrheitsmeinung bezüglich der Gültigkeit der Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz widersprachen. Diese sind Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350), ein Schüler Ibn Taymiyyas, sowie die beiden Gelehrten Muḥammad al-Amīn aš-Šinqīṭī (gest. 1393/1974) und Muḥammad Ibn Ṣāliḥ al-ʿUṯaymīn (gest. 1421/2001), die alle drei eindeutig in der Tradition von Ibn Taymiyya zu verorten sind. Siehe ʿAbd al-ʿAẓīm Ibrāhīm al-Maṭʿanī, al-Maǧāz fī l-luġa wa-l-Qurʾān al-karīm bayna l-iǧāza wa-l-manʿ. ʿArḍ wa-taḥlīl wa-naqd, 2 Bde., Kairo: Maktabat al-Wahba, 1985, Bd. 2. Letztgenannter Gelehrter wird dort allerdings nicht behandelt. Zu ihm siehe Gharaibeh, Attributenlehre der Wahhābīya, 139–144 und 321f. In Bezug auf den Muʿtaziliten Abū Muslim alAṣfahānī und einen weiteren seiner Schulkollegen stellt Maḏbūḥī Muḥammad überzeugend dar, dass die Ansicht, sie hätten den maǧāz abgelehnt, unhaltbar ist; siehe Maḏbūḥī Muḥammad, al-Maǧāz fī l-Qurʾān al-karīm bayna l-muʿtazila wa-l-ašāʿira fī l-qarnayn al-ḫāmis wa-s-sādis alhiǧriyyayn, Universität Abou Bekr Belkaid Tlemcen: unveröffentl. Dissertation, 2005, 34–47. 719 Mohamed Ali, Medieval Islamic Pragmatics. Sunni Legal Theorists’ Models of Textual Communication, London: Curzon, 2000, siehe vor allem Kapitel 4 (Ibn Taymiyyah’s Contextual Theory of Interpretation), 87–140. Weitere Literatur, in der Ibn Taymiyyas Kritik an der maǧāz-Theorie besprochen wird, ist: El-Tobgui, Reason, 210–213 (aufgrund fehlender Verweise kann nur vermutet werden, dass El-Tobgui sich hier auf Ali bezieht, auf den er zu Anfang referiert); Paul-A. Hardy, Epistemology and Divine Discourse, in: Timothy Winter (Hrsg.), Oxford Companion to Classical Theology, Oxford: Oxford University Press, 2008, 288–306, hier 293–296; Muhammad Izharul-Haq, Ibn Taymiyyah and the Literal and Non-Literal Meaning of the Qurʾan, in: Pharos, Research Journal of the Shaykh Zayed Islamic Centre, University of Peshawar 3.11 (1996), 43–57 (war mir leider nicht zugänglich); Robert Gleave, Islam and Literalism. Literal Meaning and Interpretation in Islamic Legal Theory, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2012, 22 und 181–184; sowie Abdessamad Belhaj, Ibn Taymiyya et la négation de la métaphore, in: Kristof D’Hulster/Jo Van Steenbergen (Hrsg.), Continuity and Change in the Realms of Islam. Studies in Honour of Professor Urbain Vermeulen, Löwen: Peeters, 2008, 65–75, hier 67–72. Letztgenannter Beitrag findet sich in leicht umgearbeiteter Form auch bei ders., Questions théologique dans la rhétorique arabe, Piliscsaba: Avicenna Institute of Middle Eastern Studies, 2009, 90–96. 720 Ali, Medieval Islamic Pragmatics, 88f.
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ausdrückt, „a welcome corrective to the portrayal of Ibn Taymiyya as a ‘literalist’ who simply rejected majāz“.721 Die hier vorliegende Untersuchung wird neben einer Darstellung der Kritik Ibn Taymiyyas an der ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion auch die Frage beleuchten, ob Ibn Taymiyya diesbezüglich widersprüchliche Positionen vertreten hatte. Ali hatte diese Fragestellung nicht berücksichtigt, dafür wird sie in der arabischen Sekundärliteratur ausführlich und äußerst kontrovers diskutiert. 5.1.1 Ibn Taymiyyas Kritik an der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie Bevor die Kritik Ibn Taymiyyas an der besagten Dichotomie dargestellt wird, ist es sinnvoll, erst einmal die Mehrheitsposition in dieser Sache zu skizzieren.722 Die die Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz legitimierende Grundannahme besagt, dass jedem sprachlichen Zeichen in einem intendierten und bewussten Prozess eine ihm eigentümliche, vordergründige und primäre Bedeutung zugeschrieben wurde. Dieser Akt der Setzung der Sprache ist unter dem Terminus waḍʿ bekannt.723 In einem konkreten Sprechakt – bezeichnet als istiʿmāl – kann ein sprachliches Zeichen entweder gemäß seiner primären oder aber gemäß 721 Gleave, Islam and Literalism, 22. 722 Die klassisch-arabische und die moderne Forschungsliteratur dazu sind unüberschaubar und entsprechende Werke können leicht recherchiert werden. Es sei hier lediglich auf die Ansichten von ʿAbd al-Qāhir al-Ǧurǧānī (gest. 471/1078) verwiesen, der ausgewählt wurde, weil er zum einen als der große Theoretiker und Systematisierer der arabischen Rhetorik gilt und zum anderen seine hier relevanten Ausführungen ins Deutsche übersetzt wurden: ʿAbd al-Qāhir al-Ǧurǧānī, Kitāb Asrār al-balāġa, hrsg. von Maḥmūd Muḥammad Šākir, Kairo: Maṭbaʿat al-Madanī, 1991, 350ff. Für die Übersetzung siehe ders., Die Geheimnisse der Wortkunst (Asrār al-balāġa) des ʿAbdalqāhir al-Curcānī, hrsg. von Hellmut Ritter, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 1959, 377ff. 723 Für den Zweck der vorliegenden Darstellung ist es unerheblich, ob diese Setzung göttlichen (tawqīfī) oder menschlichen (iṣṭilāḥī) Ursprungs ist. Bernard Weiss schreibt dazu, nachdem er die muslimischen Standpunkte diesbezüglich in groben Zügen referiert hat: „In the end, the controversy over the origin of the Lugha (Sprache), whether Arabic or Adamic, was not deemed sufficiently momentous to require resolution. [...] What is really important is the view that all parties shared, which became a definite hallmark of orthodoxy: whoever the inventor or inventors of the Arabic Lugha may have been, the sound-meaning correlations that make up the Lugha are unquestionably the result of deliberate, consciously undertaken rational action.“ Weiss, Search for God’s Law, 117–119, Zitat aus 119. Für die innerislamische Debatte über den Ursprung der Sprache siehe auch Bernard Weiss, Medieval Muslim Discussions of the Origin of Language, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 124.1 (1974), 33–41. Ganz anders sieht das Mustafa Shah, der in einem zweiteiligen Beitrag u. a. zu zeigen versucht, dass die Forschung die theologische Signifikanz der Debatte übergangen habe („glossed over“). Aber auch nach Lektüre beider Teile erschließt sich mir das nicht. Mustafa Shah, The Philological Endeavours of the Early Arabic
148 | 5 Sprachliche Grundlagen einer nachrangigen, jedoch mit der primären semantisch in Beziehung (munāsaba) stehenden Bedeutung benutzt werden.724 Im erstgenannten Fall handelt es sich bei dem sprachlichen Zeichen um einen ḥaqīqa-Ausdruck, in letzterem Fall um einen maǧāz-Ausdruck, dessen Benutzung dem Rezipienten immer durch zusätzliche Hinweise bzw. Indizien (qarāʾin, Sing.: qarīna) kenntlich gemacht werden muss. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel der folgenden Aussage: Ich habe einen Löwen mit einem Schwert in der Hand gesehen. Das sprachliche Zeichen Löwe verweist mittels waḍʿ auf die bekannte Raubkatze. Die Information, dass der Löwe ein Schwert in der Hand trug, ist die qarīna, die es rechtfertigt, den Ausdrück Löwe als maǧāz zu verstehen und dem Ausdruck somit die Bedeutung tapfere Person zuzuweisen. Die Tapferkeit, die sowohl der Raubkatze als auch der Person nachgesagt wird, bildet die semantische Schnittmenge zwischen der eigentlichen und der übertragenen Bedeutung. Die hierarchisch höherstufige, eigentümliche und apriorisch durch waḍʿ etablierte Bedeutung des Ausdrucks Löwe muss hier also einer sekundären und rein durch den istiʿmāl begründeten Bedeutung weichen.725 Den Vorgang der allegorischen Deutung des Ausdrucks bezeichnet die islamische Geistesgeschichte mit dem Terminus taʾwīl,726 häufig definiert als das ’ Abwenden eines Ausdrucks weg von der wahrscheinlichen Bedeutung und hin zu der unwahrscheinlicheren Bedeutung aufgrund eines mit ihm [d. h. dem Ausdruck] verknüpften Hinweises‘ (ṣarf al-lafẓ ʿan al-maʿnā r-rāǧiḥ ilā l-maʿnā l-marǧūḥ li-dalīl yaqtarinu bihī).727 Ibn Taymiyya erwähnt die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie an vielen Stellen seiner Werke, eine ausdrückliche Kritik an ihr findet sich meines Wissens nach jedoch Linguists: Theological Implications of the tawqīf-iṣṭilāḥ Antithesis and the majāz Controversy (Part I), in: Journal of Qur’anic Studies 1.1 (1999), 27–46, die Behauptung findet sich auf S. 28; und Mustafa Shah, The Philological Endeavours of the Early Arabic Linguists: Theological Implications of the tawqīf-iṣṭilāḥ Antithesis and the majāz Controversy (Part II), in: Journal of Qur’anic Studies 2.1 (2000), 43–66. Shah kommt indes das Verdienst zu, die ungenaue Beschreibung Ibn Taymiyyas durch Weiss als einen Verfechter der tawqīfī-Theorie zu korrigieren. Vielmehr versteht Ibn Taymiyya Sprache als ein menschliches Produkt, welches aber die von Gott durch ilhām eingegebene Disposition der Sprachbefähigung voraussetzt. Siehe ebd., 49–51. 724 Ist der semantische Bezug nicht gegeben, handelt es sich um ein Homonym, wie z. B. der Ausdruck Bank, der sowohl das Geldinstitut als auch die Sitzgelegenheit bezeichnet. 725 Apriorisch in dem Sinne, dass den Ausdrücken bereits vor ihrer Verwendung in einem konkreten Sprechakt eine bestimmte erkennbare Bedeutung zukommt. 726 Um diese Verwendungsweise des Ausdruck von anderen abzugrenzen, über die in dieser Arbeit noch zu sprechen sein wird, wird er im Folgenden, wie auch in der arabischen Sekundärliteratur üblich, durch den Begriff taʾwīl maǧāzī ersetzt. 727 Diese Definition entspricht in ihrem Wortlaut der, die auch Ibn Taymiyya in seiner Schrift Iklīl anführt; siehe MF 13/288. Sie findet sich in leichten Abwandlungen in einer Vielzahl verschiedener Werke anderer Autoren; siehe z. B. Ibn Qudāma, Rawḍat an-nāẓir, 217.
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nur an zweien davon, nämlich im Ḥ/M und in einer längeren Passage im Īmān. Bei seiner Kritik an der maǧāz-Theorie bezieht er sich nicht nur auf inhaltliche Aspekte, sondern greift auch ihre Entstehungsgeschichte auf. So schreibt er: Bei dieser Unterscheidung handelt es sich um eine Konvention, die zeitlich nach den ersten drei Generationen (qurūn) [des Islams] entstanden ist. Über sie redeten weder die Prophetengefährten noch die ihnen in guter Weise nachfolgende zweite Generation und auch keiner der aufgrund ihres Wissens bekannten führenden Gelehrten (aʾimma) wie z. B. Mālik, aṯ-Ṯawrī, al-Awzāʿī, Abū Ḥanīfa und aš-Šāfiʿī. Ja nicht einmal die führenden Gelehrten der Sprache und Grammatik wie al-Ḫalīl [al-Farāhīdī, gest. 175/791 oder 170/786 oder 160/776], Sībawayh [gest. ca. 180/796], Abū ʿAmr Ibn al-ʿAlāʾ [gest. 154/771] und ihresgleichen erwähnten sie.728
Die Anfänge der bewussten Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz in ihrer Funktion als sprachtheoretisches Gegensatzpaar verortet Ibn Taymiyya im muʿtazilitischen Denkmilieu des dritten Jahrhunderts, wobei er nicht ausschließen möchte, dass sich frühere Tendenzen dazu bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Allgemeine Verbreitung habe diese Unterscheidung jedoch erst im vierten Jahrhundert erfahren.729 Ibn Taymiyya verkennt freilich nicht, dass die konzeptuelle Gültigkeit der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie nicht vom Alter der ihr zugehörigen Fachbegriffe abhängt. So räumt er ein, dass auch die Unterscheidung z. B. zwischen ism, fiʿl und ḥarf (Nomen, Verb und Partikel) auf späterer Konvention beruht, wodurch ihre Gültigkeit jedoch keineswegs geschmälert wird.730 Was also ist es, das Ibn Taymiyya hier bezweckt? Einen seiner Beweggründe erfahren wir von ihm selbst. In seiner Zeit hatte die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie längst schulübergreifende Akzeptanz erfahren und wurde mit einer Selbstverständlichkeit behandelt, dass der Eindruck entstehen konnte, es handele sich bei ihr um eine seit jeher bekannte und überzeitlich gültige Kategorisierung von Begriffen, welche der arabischen Sprache auf Basis einer in ihr angelegten Endgültigkeit entnommen wurde (uḫiḏa min al-kalām al-ʿarabī tawqīfiyyan ).731 Die von Ibn Taymiyya oben zusammengefassten Ausführungen zur Entstehungsgeschichte der Termini ḥaqīqa und maǧāz zielen darauf ab, diese Annahme zu widerlegen. Darüber hinaus darf man noch einen weiteren Zweck vermuten, auch wenn dieser von Ibn Taymiyya nicht offen angesprochen wird. So eignet sich der Verweis auf die 728 Īmān, MF 7/88; Ed. Aḥmad 2/140f.; engl. Übers. 99. 729 Īmān, MF 7/88f.; Ed. Aḥmad 2/142–145.; engl. Übers. 99–101. 730 Ḥ/M, MF 20/452. 731 Ḥ/M, MF 20/402f. So argumentiert der Ašʿarit al-Āmidī (gest. 631/1233), und Ibn Taymiyya zitiert dies, dass die ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion über die Jahrhunderte hindurch in Aussagen und Büchern bis auf die Urheber der Sprache (ahl al-waḍʿ) zurückgehend überliefert worden sei. Siehe Āmidī, Iḥkām, 1/68; siehe bei Ibn Taymiyya Ḥ/M, MF 20/406 und nochmal bei 451.
150 | 5 Sprachliche Grundlagen Muʿtaziliten als Urheber der Dichotomie dazu, das Misstrauen ihr gegenüber nicht nur beim ḥanbalitisch, sondern auch beim ašʿaritisch geprägten Leser zu erhöhen. Damit soll nun nicht gesagt werden, dass die historische Genauigkeit seiner Analyse der Entstehung und Entwicklung der Termini einem taktischen Kalkül untergeordnet wurde. So wurde, v. a. in der europäischsprachigen Forschung, Ibn Taymiyyas Sicht mehrfach bestätigt.732 Auf der anderen Seite argumentiert ʿAbd al-ʿAẓīm al-Maṭʿanī mit einiger Plausibilität dafür, dass der Grundgedanke der ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion älter ist als von Ibn Taymiyya behauptet. Beispielhaft bringt er dafür die von Sībawayh (gest. ca. 180/796) gemachte Unterscheidung zwischen einer wohlgeformt-gutartigen Rede (kalām mustaqīm ḥasan) und einer wohlgeformt-unwahren Rede (kalām mustaqīm kaḏib). Letztere hat Ähnlichkeiten mit dem maǧāz und wird u. a. exemplifiziert durch die Aussage, man habe einen Ozean ausgetrunken. Diese Aussage ist insofern unwahr, als dass es unmöglich ist, einen Ozean auszutrinken, aber andererseits ist sie auch annehmbar, da es in der Sprache erlaubt ist, auf eine solche Weise auszudrücken, dass man große Mengen Wasser zu sich genommen hat.733 Offensichtlich betrachtet Sībawayh, indem er diese Aussage als unwahr kategorisiert, die Bedeutung des Ausdrucks Ozean im Sinne des Meeres als höherrangig. Ob er damit tatsächlich den Grundgedanken der später aufkommenden ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion vorwegnimmt, hängt davon ab, ob er diese Höherwertigkeit als apriorisch-sprachimmanente Eigenschaft versteht oder sie aber sie nur auf Grundlage dessen anerkennt, dass der Ausdruck Ozean zufälligerweise meist in der Bedeutung Meer gebraucht wird. Von der Antwort darauf hängt die Richtigkeit der Ansicht al-Maṭʿanīs ab; Sībawayh bleibt diese Antwort allerdings schuldig, wobei die Fragestellung ihm zu seiner Zeit wohl nicht bewusst war. Ibn Taymiyyas Hauptargument, das auf das Fundament der ḥaqīqa-maǧāzDistinktion abzielt, ist, dass sich die Bedeutung sprachlicher Zeichen immer nur in konkreten Sprechakten, also im istiʿmāl konstituieren. Das Konzept des waḍʿ, welches eine apriorische Verbindung zwischen dem sprachlichen Zeichen und seiner 732 Siehe z. B. Heinrichs, Genesis, 115ff., und van Ess, Der Eine und das Andere, 1/474f. Einen lesenswerten historischen Überblick findet man bei Naṣr Ḥāmid Abū Zayd, der wie Wolfhart Heinrichs (siehe bei ihm Genesis, 132–136) den Muʿtaziliten al-Ǧāḥiẓ (gest. 255/869) als denjenigen identifiziert, bei dem sich der dichotome Gebrauch der Begriffe ḥaqīqa und maǧāz erstmals erkennen lässt. Siehe Naṣr Ḥāmid Abū Zayd, al-Ittiǧāh al-ʿaqlī fī t-tafsīr. Dirāsa fī qaḍiyyat almaǧāz fī l-Quʾrān ʿinda l-muʿtazila, 3. Aufl., Casablanca und Beirut: al-Markaz aṯ-ṯaqāfī al-ʿarabī, 1996, 91–137, v. a. 93 und 111–117; und ebenfalls ausführlich in einem späteren Artikel von Heinrichs; siehe Wolfhart Heinrichs, Contacts between Scriptural Hermeneutics and Literary Theory in Islam, in: Mustafa Shah (Hrsg.), Tafsīr. Interpreting the Qurʾān, London und New York: Routledge, 2013, 25–49 [Nachdr., 25–49 [Nachdr., 7 (1992), 253–284]. 733 Siehe Maṭʿanī, al-Maǧāz fī l-luġa, 1/6ff.
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Bedeutung postuliert, lehnt er kategorisch ab. In seinen Ausführungen rückt er die der waḍʿ-istiʿmāl-Distinktion zugrunde liegende Auffassung von Sprache in die Nähe einer realistischen Konzeption der ontologischen Unterscheidung zwischen Universalien und Partikularien.734 So wie aber nach Ibn Taymiyyas konzeptualistischer Auffassung allein die Partikularien real sind und ihnen keinesfalls die Universalien als das Wahre-Eigentliche vorausgehen, existieren auch die sprachlichen Zeichen einzig und allein im istiʿmāl – also im konkreten Sprechakt.735 Auch sie haben somit kein ihnen vorausgehendes Wahres-Eigentliches, vor dessen Hintergrund sie dann je nach Art und Weise ihrer Verwendung in ḥaqīqa bzw. maǧāz eingeteilt werden könnten. Der Ausdruck Löwe in der Aussage Ich habe einen Löwen mit einem Schwert in der Hand gesehen – um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben – hat keine dem partikularen Sprechakt vorhergehende Existenz. Er existiert nur dort, und zwar in der Bedeutung tapfere Person, die sich aus dem sprachlichen Zeichen Löwe und der jeden Sprechakt notwendigerweise begleitenden Indizien (qarāʾin736 ) ergibt.737 Die Indizien werden von Ibn Taymiyya unterschiedlich kategorisiert und bezeichnet, wobei es inhaltlich immer auf ihre Einteilung in verbale (lafẓiyya), situative (ḥāliyya) und rationale (ʿaqliyya) Indizien hinausläuft.738 Zudem kann auch das Fehlen bestimmter Indizien selbst wieder ein Indiz sein.739 Der Ausdruck Löwe kann neben der ihm oben zugewiesenen Bedeutung auch, sofern auf entsprechende Weise verwendet, auf das bekannte Raubtier verweisen. In beiden Fällen handelt es sich bei dem sprachlichen Zeichen Löwe um einen ḥaqīqa-Ausdruck, denn es ist die etablierte Bedeutung des Ausdrucks,740 die ihm in der jeweiligen Verwendung zukommt.741 Der Ausdruck maǧāz hingegen fällt 734 Īmān, MF 7/106f.; Ed. Aḥmad 2/172–174; engl. Übers. 117f. 735 Īmān, MF 7/100–102; Ed. Aḥmad 2/162–166; engl. Übers. 112f.; siehe auch Ḥ/M, MF 20/410–415. 736 Ibn Taymiyya nutzt daneben auch oft den Ausdruck dalālāt in austauschbarer Weise. 737 Siehe Īmān, MF 7/114; Ed. Aḥmad 2/184f.; engl. Übers. 125f. Siehe auch Ḥ/M, MF 20/431f. 738 Siehe z. B. Ḥ/M, MF 20/413f. und 495. 739 Ibn Taymiyya exemplifiziert dies u. a. am Beispiel der arabischen Buchstaben, deren Mehrdeutigkeit durch das Setzen diakritischer Punkte beseitigt werden kann. So ist es bei dem Buchstaben ǧ der untenstehende, bei dem Buchstaben ḫ der obenstehende und bei dem Buchstaben ḥ der abwesende Punkt, der als Indiz dafür dient, welcher von ihnen gemeint ist. Genauso kann auch der Umstand, dass der Sprecher etwas nicht sagt, ein Indiz dafür sein, welche Bedeutung er den Ausdrücken in seiner Rede zuweisen möchte. Siehe Ḥ/M, MF 20/413f. 740 Das Konzept der eigentlichen/wortwörtlichen Bedeutung bzw. des Literalsinns hat in Ibn Taymiyyas kontextbasierter Sprachtheorie, in der sich Bedeutung immer im Zusammenspiel von sprachlichem Zeichen und den den Sprechakt begleitenden Indizien konstituiert, keinen Platz. Ich schlage daher den Ausdruck etablierte Bedeutung vor. Siehe auch Gleave, Islam and Literalism, 22f. 741 Siehe dazu Ḥ/M, MF 20/437f.
152 | 5 Sprachliche Grundlagen als Gegensatzbegriff weg, wobei ihn Ibn Taymiyya in seinem vorterminologischen und zu dem Ausdruck ḥaqīqa nicht gegensätzlich stehenden Gebrauch im Sinne von min mā yaǧūzu fī l-luġa (zu dem gehörig, was in der Sprache erlaubt ist), den er bei Aḥmad Ibn Ḥanbal ausfindig macht, gelten lässt.742 Mit seiner kontextbasierten Bedeutungstheorie entzieht Ibn Taymiyya der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie das Fundament. Er möchte darüber hinaus aber auch noch zeigen, dass jedweder Versuch, aus den möglichen Bedeutungen, die einem sprachlichen Zeichen in einem konkreten Sprechakt zukommen können, eine bestimmte Bedeutung allen anderen hierarchisch überzuordnen, auf reiner Willkür basiert. Ziel einer solchen Hierarchisierung ist es, die höchstwertige Bedeutung an die Stelle der waḍʿ-Bedeutung treten zu lassen, von der alle niederwertigen istiʿmālBedeutungen zu unterscheiden sind. So könnte man einen Ausdruck, sofern er im Einklang mit der höchstwertigen Bedeutung benutzt wird, als ḥaqīqa einstufen und in allen anderen Fällen als maǧāz. Nachfolgend sollen nun Ibn Taymiyyas Einwände gegen drei Kriterien dargestellt werden, die als Identifikationsmerkmal eines ḥaqīqa-Ausdrucks eine Abgrenzung zu den maǧāz-Ausdrücken erlauben würden. Erstens, ein Ausdruck ist dann ḥaqīqa, wenn er in der Bedeutung benutzt wird, die die Araber ihm bei seinem ersten Gebrauch (al-istiʿmāl al-awwal) zugewiesen haben. Ibn Taymiyya entgegnet, dass die arabische Sprache viel zu alt ist, als dass sich diese Bedeutung noch ermitteln lässt.743 Ein Ausdruck wie z. B. Löwe könnte schon immer, möglicherweise aber auch erst zu einem späteren Zeitpunkt, innerhalb der tausende Jahre alten Geschichte der arabischen Sprache auf das bekannte Raubtier verwiesen haben. Aber auch eine Abschwächung des genannten Kriteriums vom ersten istiʿmāl auf den ältesten bekannten istiʿmāl kann nach Ibn Taymiyyas Auffassung von Sprache keine Grundlage für eine Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz sein. Dies exemplifiziert er anhand der im Koran überlieferten Aussage des Propheten Zacharias wa-ištaʿala r-raʾsu šayban ,744 welche sich in einer die Bildhaftigkeit des Ausdrucks bewahrenden Weise am besten als [mein] Haupthaar erfunkelt in [gleißendem] Weiß übersetzen lässt, womit Zacharias auf sein fortgeschrittenes Alter verweist. Ibn Taymiyya erkennt nicht nur an, dass der Gebrauch des Verbes ištaʿala in Verbindung mit dem Wort nār (Feuer) – und zwar im Sinne von: das Feuer erfunkelte auf gleißende Weise – seinem Gebrauch in Verbindung mit dem Wort raʾs (hier: Haupthaar) zeitlich vorausgeht, sondern bekräftigt auch, dass es sich bei letzterem um einen bildhaften Vergleich 742 Siehe Īmān, MF 7/89; Ed. Aḥmad 2/145; engl. Übers. 101. 743 Īmān, MF 7/97; Ed. Aḥmad 2/159; engl. Übers. 109. 744 Koran 19:3.
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sowie eine Entlehnung (tašbīh und istiʿāra) handelt. Da nun aber sprachliche Zeichen in Ibn Taymiyyas kontextbasierter Bedeutungstheorie nicht an sich, sondern ausschließlich zusammen mit ihren sie im konkreten Gebrauch umgebenden bedeutungskonstituierenden Indizien existieren, sind auch die Ausdrücke ištaʿala r-raʾs und ištaʿala n-nār zwei gänzlich voneinander zu unterscheidende Instanziierungen des Wortes ištaʿala.745 Denn, so Ibn Taymiyya, „auch wenn ein Vergleich (tašbīh) der einen Bedeutung mit der anderen Bedeutung intendiert wurde, so schwächt das [meine Theorie] nicht (fa-lā yaḍurru), denn das ist in der Natur der Allgemeinbegriffe begründet. Notwendigerweise besteht zwischen den beiden Bedeutungen [des Ausdrucks ištaʿala] eine Schnittmenge (qadr muštarak), in der sie sich in ihren spezifischen Verwendungsweisen (afrād) treffen.“746 Obige Ausführungen bilden auch das Fundament der Widerlegung des zweiten vorgeschlagenen Unterscheidungskriteriums zwischen ḥaqīqa und maǧāz. Dieses lautet: Ein Ausdruck ist dann ḥaqīqa, wenn er nicht negiert werden kann (mā lā yaṣiḥḥu nafyuhū).747 Am Beispiel des Ausdrucks Löwe lässt sich dies wie folgt verdeutlichen: Den bekannten Großkatzen kann niemals wahrheitsgemäß die Eigenschaft abgesprochen werden, Löwen zu sein. Einer tapferen Person darf diese Eigenschaft jedoch sowohl zu-, als auch aberkannt werden, wobei es sich auch im Falle, dass ihre Tapferkeit außer Frage steht, beide Male um eine wahrheitsgemäße Aussage handelt.748 Somit ist der Ausdruck Löwe in der Bedeutung der Raubkatze ḥaqīqa und in der Bedeutung der tapferen Person maǧāz. Die Pronomen mā und hū in dem das Kriterium beschreibenden Ausdruck mā lā yaṣiḥḥu nafyuhū beziehen sich auf das abstrakte sprachliche Zeichen, in diesem Fall auf den Ausdruck Löwe. Da aber, wie im Einwand gegen das erste Kriterium ausgeführt, sprachliche Zeichen laut Ibn Taymiyya nicht an sich existieren, können sich auch die beiden Pronomen lediglich auf die in den konkreten Sprechakten in ihren dort jeweilig zugewiesenen Bedeutungen vorkommenden Wörter beziehen. Das Pronomen mā würde sich also bei der Person, die tatsächlich tapfer ist, auf den Ausdruck Löwe in seiner Bedeutung tapfere Person beziehen. Das Pronomen hū referiert auf das Pronomen mā, das in dem eben genannten Sinne aber nicht negiert werden darf. Damit erfüllt der Ausdruck Löwe auch in seiner Bedeutung tapfere Person das oben genannte Kriterium und müsste ebenfalls als ḥaqīqa eingestuft werden. Was hier für das 745 Ḥ/M, MF 20/464f. 746 Ḥ/M, MF 20/464f. Dies wird in der Untersuchung des Gegenentwurfs Ibn Taymiyyas zur maǧāz-Theorie ausgeführt; siehe unten, Kapitel 5.2. 747 Siehe Īmān, MF 7/100; Ed. Aḥmad 2/162f.; engl. Übers. 111; und Ḥ/M, MF 20/440 und 455. 748 So lässt sich auch das Bild La trahison des images (1929; wörtl.: Der Verrat der Bilder) des französischen Künstlers René Magritte deuten, auf dem eine Tabakpfeife zu sehen ist, unter der geschrieben steht: „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Tabakpfeife).
154 | 5 Sprachliche Grundlagen Wort Löwe ausgeführt wurde, macht Ibn Taymiyya am Beispiel des Ausdrucks ištaʿala r-raʾs deutlich: „und so ist es auch nicht erlaubt, den Ausdruck ištaʿala r-raʾs šayban zu negieren. Vielmehr muss gesagt werden, dass das weiß[gleißende] Funkeln (ištiʿāl) des Haupthaares dem [gleißenden] Funkeln (ištiʿāl) des Brennholzes nicht gleicht, auch wenn sie sich in mancher Hinsicht ähneln.“749 Ibn Taymiyya lehnt das oben genannte Kriterium aber nicht nur aus inhaltlichen Gründen ab, sondern auch deswegen, weil es aus seiner Sicht einer ontologischen Entleerung der Attribute Gottes Vorschub leistet. So darf nun behauptet werden, Gott sei im eigentlichen Sinne z. B. weder gnädig (raḥīm) noch barmherzig (raḥmān), sondern nur im übertragenen.750 Daraus entstehe der Eindruck, Gottes Eigenschaften seien in geringerer Intensität realisiert als bei den Objekten, die im ḥaqīqa-Sinne als gnädig und barmherzig beschrieben werden.751 Drittens, ein Ausdruck ist dann ḥaqīqa, wenn er in der Bedeutung benutzt wird, die dem Hörer des Ausdrucks bei Abwesenheit aller bedeutungsanzeigender Indizien als erstes in den Sinn kommt (mā yasbiqu ilā ḏ-ḏihn ʿinda l-iṭlāq). Hört man z. B. das Wort Löwe, so ist das Bild, das einem als erstes in den Kopf kommt, das des bekannten Raubtieres.752 Ibn Taymiyya lehnt dieses Kriterium schon alleine deswegen ab, weil es für ihn keine sprachlichen Zeichen geben kann, die völlig frei von bedeutungsanzeigenden Indizien gebraucht werden. Sie sind es, die bestimmen, welche Bedeutung dem Hörer als erstes in den Sinn kommen wird. So muss jedes Wort notwendigerweise in einem Nominal- oder Verbalsatz gebraucht werden und dabei auch immer einen Sprecher haben, dem eine bestimmte ge749 Ḥ/M, MF 20/465. An einer anderen Stelle zum selben Thema wird deutlich, auf welche Vordenker sich Ibn Taymiyya stützen kann. Dort zitiert er eine längere Passage aus dem Kitāb al-Funūn seines ḥanbalitischen Schulkollegen Ibn ʿAqīl, der darin diesem Kriterium für maǧāz mit ähnlichen Argumenten entgegentritt, wie sie auch bei Ibn Taymiyya zu finden sind; siehe Ḥ/M, MF 20/490f. Auf diesen Seiten lässt Ibn Taymiyya auch wissen, dass Ibn ʿAqīl widersprüchliche Positionen gegenüber der ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion vertreten hat. Leider gilt der Großteil des Kitāb al-Funūn als verloren, wobei der erhaltene Teil von George Makdisi ediert und herausgegeben wurde. Dort konnte ich die von Ibn Taymiyya zitierte Passage jedoch nicht ausfindig machen. Bemerkt sei noch Robert Gleaves Beschreibung von Ibn Taymiyyas kontextbasierter Sprachtheorie als einen „outgrowth of the contextually informed‘ Ḥanbalī position developed by Ibn Qudāma“. ’ Gleave, Islam and Literalism, 182. 750 Diese Meinung schreibt er an einer anderen Stelle den Ǧahmiten und den Bāṭiniten zu; siehe Ḥ/M, MF 20/441; dortige Passage wurde in vorliegender Arbeit übersetzt; siehe unten S. 160. 751 Ḥ/M, MF 20/455. 752 Ḥ/M, MF 20/402f. Dieses Kriterium in Verbindung mit dem angeführten Beispiel wird auch bei al-Āmidī vorgebracht; siehe Āmidī, Iḥkām, 1/68; Ibn Taymiyya zitiert diese Passage in Ḥ/M, MF 20/406.
5.1 Die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie
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wohnheitsmäßige Sprechweise zukommt.753 Auch hängt es u. a. vom Hörer selbst ab, welches mentale Bild ein Ausdruck erzeugt. Dies kann z. B. bei einem Araber etwas ganz anderes sein als bei einem Nabatäer.754 Zudem stellen auch der Ort, an dem eine Aussage getroffen wird, sowie der breitere thematische Kontext bedeutungskonstituierende Indizen dar. So zählt Ibn Taymiyya drei verschiedene Verwendungsweisen des Wortes Dinar auf und erklärt, dass die Bedeutung, unter der man es jeweils verstehen muss, vom Ort und der Art des Kaufvertrages abhängen kann.755 Eine wichtige Rolle spielt auch, wie ein bestimmter Ausdruck am häufigsten verwendet wird und worin der für den Hörer naheliegendste Bezug liegt. Ibn Taymiyya nennt als Beispiel den Ausdruck ẓahr (Rücken), der laut allen Gelehrten ḥaqīqa ist, ganz gleich auf welches Lebewesen er sich bezieht. Und doch ist das durch den Ausdruck im Verstand des Hörers induzierte Bild das eines menschlichen Rückens, nicht aber derjenige eines Fuchses, einer Laus oder eines anderen Tieres. Dies liegt nun nicht darin begründet, dass das Wort Rücken zuvörderst einen menschlichen bezeichnet, sondern es ist darauf zurückzuführen, dass es in dieser Weise am häufigsten benutzt wird und der Mensch aufgrund des Eigenbezugs sich diese Bedeutung am leichtesten verbildlichen kann.756 Analog gilt somit auch für den Ausdruck Löwe, den Ibn Taymiyya in seinen Beispielen jedoch nicht anführt, dass der Umstand, dass er das Bild des entsprechenden Raubtieres induziert, nicht dadurch begründet ist, dass es sich bei dieser Bedeutung nicht sprachtheoretisch privilegierte handelt, sondern lediglich diejenige ist, in der der Ausdruck am meisten verwendet wird. Deutlicher wird Ibn Taymiyyas Einwand, wenn man sich das an dem Wort Virus oder Rabenmutter vergegenwärtigt. Ersterer wird gängigerweise sowohl in der Bedeutung Krankheitserreger als auch in der Bedeutung Schadsoftware verwendet, und es lässt sich – sofern man sich nicht unter Ärztinnen bzw. Computerfachleuten bewegt – schwer vorhersagen, mit welchen der beiden Bedeutungen der Begriff im konkreten Gebrauch zuerst assoziiert werden wird. Bei letzterem Wort darf man davon ausgehen, dass es nicht das Bild der biologischen Mutter eines Raben sein wird, das einem Hörer spontan in den Sinn kommt. Somit kann durch das oben genannte Kriterium lediglich ermittelt werden, auf welche Weise ein bestimmter Ausdruck an einem bestimmten Ort 753 Ḥ/M, MF 20/412. Zudem kann, wie oben schon ausgeführt, das Fehlen eines Indizes selbst ein Indiz sein. 754 Īmān, MF 7/105f.; Ed. Aḥmad 2/171; engl. Übers. 116f., dort von den Übersetzern mit einer informativen Fußnote versehen, in der erklärt wird, dass es sich bei den Nabatäern, die Ibn Taymiyya hier im Sinn hatte, um ein Mischlingsvolk („mixed people“) handelte, das eine arabische Mundart sprach, deren Regeln von denen des Arabischen als Literatursprache abwich. 755 Ḥ/M, MF 20/436f. 756 Ḥ/M, MF 20/436f.
156 | 5 Sprachliche Grundlagen und zu einer bestimmten Zeit am häufigsten verwendet wird, nicht aber, was die Bedeutung ist, von der ausgesagt wird, dass sie dem ḥaqīqa-Ausdruck zukommt. Ibn Taymiyya behauptet, dass man sich zur Aufrechterhaltung des Kriteriums genötigt sah, zwischen einer linguistischen, einer šarīʿa-konformen und einer alltagssprachlichen ḥaqīqa (luġawiyya, šarʿiyya und ʿurfiyya) zu unterscheiden.757 Unter Letzteres würde dann der Ausdruck Rabenmutter fallen, sofern er in seinem Gebrauch auf eine Frau referiert, die ihre Kinder vernachlässigt. Da Ibn Taymiyya davon ausgeht, dass die Termini ḥaqīqa und maǧāz sich nicht aus der Struktur der Sprache heraus begründen lassen, basiert laut ihm auch jedes behauptete Kriterium zu ihrer Unterscheidung auf reiner Willkür. Zudem sei es möglich bei jedem der vorgeschlagenen Kriterien zu zeigen, dass Ausdrücke, von denen die Befürworter der Dichotomie meinen, dass sie ḥaqīqa seien, eigentlich als maǧāz eingestuft werden müssten und umgekehrt.758 Und damit ist diese Dichotomie, konstatiert Ibn Taymiyya, von der oben erwähnten Distinktion zwischen Nomen, Verb und Partikel zu unterscheiden, bei der es sich tatsächlich um eine sinnvolle Konvention (iṣṭilāḥ mustaqīm al-maʿnā) handelt.759 Ibn Taymiyya hat die der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie zugrunde liegende Auffassung von Sprache jedoch nicht nur kritisiert, sondern auch eine Alternative dazu formuliert. Diese wird in Kapitel 5.2 beleuchtet und komplettiert die Darstellung seiner Position zu dieser Dichotomie, weshalb die Evaluation dieser Position nicht hier, sondern erst im Anschluss danach erfolgen wird.
5.1.2 Vertrat Ibn Taymiyya unterschiedliche Positionen hinsichtlich der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie? Neben den Schriften, in denen Ibn Taymiyya seine ablehnende Haltung gegenüber der Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz dezidiert zum Ausdruck bringt, finden sich in seinen Werken auch viele Stellen, in denen er diese Termini ganz im Sinne der Mehrheitsposition gebraucht, ohne sich erkennbar von ihr zu distanzieren. Während dieser Umstand in der europäischsprachigen Forschung gänzlich unberücksichtigt geblieben ist, wird er in der arabischen Sekundärliteratur ausführlich und kontrovers diskutiert. Al-Maṭʿanī konstatiert zunächst, dass Ibn Taymiyya die Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz wahrscheinlich 757 Īmān, MF 7/96f.; Ed. Aḥmad 2/157–159; engl. Übers. 107–109. 758 Ibn Taymiyya wiederholt Ähnliches an mehreren Stellen; siehe z. B. Ḥ/M, MF 20/407f., 450f. und 460f. 759 Ḥ/M, MF 20/452.
5.1 Die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie
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zuerst ablehnte, dann jedoch annahm. Dies vertritt al-Maṭʿanī jedoch unter Vorbehalt, da er einräumt, die Chronologie der relevanten Werke nicht ausreichend bestimmen zu können.760 Abschließend scheint er sich jedoch für die Ansicht zu entscheiden, dass Ibn Taymiyya die beiden Positionen zeitgleich vertrat. Seine Ablehnung der Dichotomie sei polemisch-theoretischer (ǧadalī naẓarī) Natur gewesen und habe lediglich dazu gedient, dem ausufernden Gebrauch des taʾwīl maǧāzī einen Riegel vorzuschieben. Die Akzeptanz der Dichotomie hingegen sei seine in der Praxis angewandte Position (maḏhab ʿamalī sulūkī) gewesen.761 In einem früheren Werk argumentiert al-Maṭʿanī ähnlich. Dort spricht er sich zudem dafür aus, dass Ibn Taymiyya, wenn er auch nach außen hin den maǧāz ablehnte, tatsächlich die letztgenannte Position als die richtige erachtete.762 Auch Hādī š-Šuǧayrī steht in seiner Untersuchung der Thematik vor dem Problem, die Chronologie der Werke Ibn Taymiyyas nicht ermitteln zu können. Anders als al-Maṭʿanī favorisiert er jedoch die Ansicht, dass die Ablehnung der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie die spätere und abschließende Position Ibn Taymiyyas war. Er begründet dies zum einen mit dem höheren Reflexionsgrad, durch den sich die die Dichotomie kritisierenden Ausführungen von denen unterscheiden, die ihr neutral oder sogar zustimmend begegnen. Das deute auf eine spätere Phase im Denken Ibn Taymiyyas hin. Darüber hinaus führt er als Argument an, dass Ibn Taymiyyas Schüler Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350) die Kritik seines Lehrers bekanntermaßen aufgriff und verteidigte, was er wohl nicht getan hätte, wenn Ibn Taymiyya diese selbst am Ende seines Lebens verworfen hätte.763 Letzteres Argument findet sich auch bei Ibrāhīm at-Turkī, der durch Verweis auf verschiedene Schriften Ibn Taymiyyas versucht, eine schrittweise Veränderung in dessen Denken von der Akzeptanz hin zur völligen Ablehnung der Dichotomie zu beweisen.764 Er steht dabei vor dem Problem, die in den Schriften Ǧawāb (verf. 716/1316 oder kurz danach765 ) und Minhāǧ (verf. nach 713/1313 und möglicherweise vor 717/1317766 ) gemachten Aussagen, in denen Ibn Taymiyya auf sein damit offensichtlich recht frühes Werk Īmān zu verweisen scheint, erklären zu müssen. Denn neben der Schrift Ḥ/M ist es dieses Werk, in 760 ʿAbd al-ʿAẓīm Ibrāhīm al-Maṭʿanī, al-Maǧāz ʿinda l-imām Ibn Taymiyya wa-talāmīḏihī bayna l-inkār wa-l-iqrār, Kairo: Maktabat al-Wahba, 1995, 17. 761 Ebd., 22. 762 Siehe Maṭʿanī, al-Maǧāz fī l-luġa, 2/881–884. 763 Siehe Hādī Aḥmad Farḥān aš-Šuǧayrī, ad-Dirāsā al-luġawiyya wa-n-naḥwiyya fī muʾallafāt šayḫ al-islām Ibn Taymiyya wa-aṯaruhā fī istinbāṭ al-aḥkām aš-šarʿiyya, Beirut: Dār al-Bašāʾir al-islāmiyya, 2001, 198. 764 Siehe Turkī, Inkār al-maǧāz, 57–63. 765 Siehe oben, Fußnote 82. 766 Vgl. die Diskussion dazu in Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 10f. mit Fußnoten 23 und 24.
158 | 5 Sprachliche Grundlagen dem Ibn Taymiyya die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie eindeutig kritisiert. At-Turkī ist bemüht, die Ausführungen in Ǧawāb und Minhāǧ als Verweise auf eine andere Schrift, nämlich al-Īmān al-awsaṭ zu identifizieren. Die Art und Weise, wie at-Turkī seine Position zu untermauern versucht, ist geschickt, kann jedoch aus meiner Sicht nicht überzeugen. Dies aus zwei Gründen: Erstens, den Titel al-Īmān al-awsaṭ scheint diese Schrift erst einige Zeit nach dem Tod Ibn Taymiyyas erhalten zu haben, denn ich konnte ihn in den Schriften Ibn Taymiyyas als auch in Werkverzeichnissen, die seine Schüler angefertigt haben, nicht finden. Dort wird die Schrift unter dem Titel Šarḥ ḥadīṯ Ǧibrīl fī l-īmān wa-l-islām geführt, während das Werk Īmān tatsächlich auch als Kitāb al-Īmān bezeichnet wird. Und dieses Werk datiert der ḥanbalitische Gelehrte Ibn Raǧab, der ein Schüler von Ibn al-Qayyim war und somit als verlässliche Quelle angenommen werden darf, in die Phase, in der Ibn Taymiyya in Ägypten weilte, also auf die Zeit zwischen 705/1306 und 712/1313.767 Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, diese Datierung, die at-Turkī im Übrigen nicht erwähnt, zu verwerfen. Zweitens, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Schrift tatsächlich in die Spätphase von Ibn Taymiyya zu datieren ist, so finden sich in anderen, eindeutig als früh datierbaren Werken Aussagen, die auf eine Ablehnung, aber auch Aussagen, die auf eine Akzeptanz der ḥaqīqa-maǧāzDichotomie weisen. So erklärt Ibn Taymiyya in der frühen Schrift Ḥamawiyya seine kontextbasierte Bedeutungstheorie an mehreren Stellen.768 Auch wenn er sich dort nicht explizit gegen die maǧāz-Theorie ausspricht, entzieht er ihr dadurch das Fundament, auf dem sie gebaut ist. Ähnliche Ausführungen finden sich auch in der ebenfalls frühen Schrift Iʿtirāḍāt, dort sogar mit denselben Beispielen, die Ibn Taymiyya später in seiner Schrift Ḥ/M anführen wird, die er in seinen letzten zehn Lebensjahren verfasste und in der er die Ablehnung des maǧāz-Konzepts explizit macht.769 Noch stärker scheint seine maǧāz-kritische Haltung im Bayān durch, das er im Jahre 707/1307 und damit in einer noch recht frühen Phase verfasst hat.770 Auf der anderen Seite finden sich in seinen Werken zahlreiche Stellen, in denen er die Termini ḥaqīqa und maǧāz benutzt, ohne sich von dem dahinterstehenden Konzept zu distanzieren. Ein Jahr vor seinem Tod verfasst er eine Schrift, in der er zwölf Gründe anführt, wieso es trotz Vorhandenseins auf akzeptable Weise überlieferter (ṣaḥīḥ) Belege und des von allen Gelehrten geteilten Willens, dem Propheten zu folgen, so viele Meinungsverschiedenheiten in religiösen Fragen gibt. Mit unterschiedlichem Bezug führt er dabei im sechsten und im achten Grund 767 768 769 770
Siehe oben, Fußnote 77. Siehe z. B. Ḥamawiyya, MF 5/103ff.; Ed. Tuwayǧirī 521ff. Vgl. z. B. Iʿtirāḍāt 129–131 mit den Passagen in Ḥ/M, MF 20/424 und 427f. Bayān 8/477f.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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die Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz an, die er damit offensichtlich anerkennt.771 Ich folge al-Maṭʿanī in seiner Ansicht, dass Ibn Taymiyya sich in seinen Schriften widersprüchlich gegenüber der maǧāz-Theorie äußert. Anders als er bin ich aber davon überzeugt, dass Ibn Taymiyyas tatsächliche Haltung die Ablehnung der maǧāz-Theorie ist. Dies begründet sich dadurch, dass Ibn Taymiyya seine kontextbezogene Bedeutungstheorie und sein sprachtheoretisches Gegenmodell zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie – welches im folgenden Unterkapitel in den Fokus rücken wird – an zahlreichen Stellen seiner Werke darbringt, erläutert und in sein theologisches Gesamtkonzept einbaut. Derartiges wird man meines Wissens nach bei Ibn Taymiyya bezüglich der maǧāz-Theorie vergeblich suchen. Wieso er aber nach außen zwei widersprüchliche Positionen vertritt, lässt sich aus meiner Sicht besser verstehen, wenn man dabei die Frage berücksichtigt, welche Konsequenzen die Annahme bzw. Ablehnung dieser Theorie für die Theologie mit sich bringt. Der Versuch einer Antwort wird in Kapitel 5.3 unternommen.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke – Ibn Taymiyyas sprachtheoretischer Gegenentwurf zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie Ibn Taymiyya geht an vielen Stellen seiner Werke darauf ein, wie sich gleichnamige sprachliche Zeichen kategorisieren lassen. Jedoch verfolgt er dabei nie ein rein sprachwissenschaftliches, sondern vielmehr ein theologisches Interesse, und so finden sich seine Ausführungen meist im Kontext der Debatten zur Ontologie, zur Erkennbarkeit Gottes oder – und das seltener – im Kontext seiner Kritik an der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie. Zudem sind seine Darstellungen sehr knapp gehalten, was offensichtlich daranliegt, dass Ibn Taymiyya sich sowohl terminologisch als auch inhaltlich auf etwas bezieht, das bis in seine Zeit schon in den einleitenden Kapiteln vieler Werke zur Logik und zu den uṣūl al-fiqh behandelt wurde und das im Kern mindestens bis auf Aristoteles zurückgeht. Demgemäß können Objekte entweder durch unterschiedliche oder durch gleichnamige sprachliche Zeichen benannt werden. Im ersten Fall handelt es sich dann entweder um bedeutungsgleiche (mutarādif ) Ausdrücke, wie z. B. bei asad und layṯ, die beide Löwe bedeuten, oder aber um bedeutungsverschiedene (mutabāyin) Ausdrücke, wie z. B. samāʾ 771 Rafʿ, MF 20/244–246; für eine englische Übersetzung siehe Abdul-Hakim al-Matroudi, The Removal of Blame from the Great Imāms. An Annotated Translation of Ibn Taymiyyah’s. [sic] Rafʿ al-Malām ʿan al-Aʾimmat al-Aʿlām, in: Islamic Studies 46.3 (2007), 317–380, hier 340 und 342.
160 | 5 Sprachliche Grundlagen (Himmel) und arḍ (Erde).772 Im Fokus stehen im Folgenden aber hinsichtlich ihrer Bedeutungsbeziehung zueinander nicht die unterschiedlichen, sondern die
gleichnamigen sprachlichen Zeichen, die auf verschiedene Objekte angewendet
werden. So werden z. B. sowohl Gott als auch der Mensch, das Tier und die Pflanze
als existent und lebendig bezeichnet. Als Ausgangspunkt der Darstellung der Ansichten Ibn Taymiyyas, bei der dann auch auf die bestehende Sekundärliteratur eingegangen wird,773 soll das folgende, etwas längere Zitat dienen,774 in dem Ibn
Taymiyya den Existenzbegriff und seine Anwendung auf den Schöpfer und das Geschöpf diskutiert:
Unter den Leuten gibt es welche, die sagen: „Jeder Name, mit dem das Geschaffene bezeichnet wird, wird nicht auf den Schöpfer angewandt, außer dass der Name in seinem uneigentlichen Sinne (maǧāz) benutzt wird.“ Dies ist selbst bei dem Ausdruck etwas (šayʾ) so. Das ist die Meinung von Ǧahm und denjenigen der Bāṭiniten, die ihm zustimmen. Diese bezeichnen Ihn nicht als existent (mawǧūd) und nicht als etwas (šayʾ) und wenden auch keine anderen Namen auf Ihn an. Und von den Leuten gibt es welche, die gegenteilig verfahren. Sie sagen: „Vielmehr ist alles, womit Gott bezeichnet wird, ein Ausdruck, der im eigentlichen Sinne (ḥaqīqa) benutzt wird, bei allen anderen hingegen wird er im uneigentlichen Sinne benutzt.“ Dies ist die Ansicht von Abū l-ʿAbbās an-Nāšī [gest. 293/906] von den Muʿtaziliten. Die Mehrheit [der Gelehrten] sagt: „Er [d. h. der Existenzbegriff] wird bezüglich beider [d. h. Schöpfer und Geschöpf] in seinem eigentlichen Sinne (ḥaqīqa) verwendet.“ Von diesen aber meinen die allermeisten, dass er univok (mutawāṭiʾ) ist, und zwar im Sinne der allgemeinen Univozität (tawāṭuʾ ʿāmm), oder aber analog (mušakkik), insofern man den mušakkik-Ausdruck als eine eigene Kategorie verstehen will. Er ist abzugrenzen von der reinen Univozität (tawāṭuʾ ḫāṣṣ), bei der sich ihre Bedeutungen bezüglich des gemeinsamen semantischen Ableitungsortes ihrer Ausdrücke (mawārid al-alfāẓ) gleichen (tatamāṯal). Lediglich eine kleine Gruppe (širḏima) der Gelehrten späterer Generationen (al-mutaʾaḫḫirūn) sahen ihn [d. h. den Existenzbegriff] als äquivok (muštarak) an [...].775 772 Sowohl die Terminologie als auch die Beispiele sind entnommen aus: Abū Ḥāmid al-Ġazālī, al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl, hrsg. von Ḥamza Ḥāfiẓ, 4 Bde., Medina: Islamische Universität, 1413 [=1992-3], 1/95f. 773 Meiner Kenntnis nach wurden Ibn Taymiyyas Ansichten hierzu bis jetzt nicht tiefergehend untersucht. Die ausführlichste Darstellung findet sich bei Ali, Medieval Islamic Pragmatics, 116f. und 124. Sehr knapp und inhaltlich problematisch ist Jackson, Trial, 53–56. Seine Ausführungen werden im Folgenden noch diskutiert. Siehe zudem die Fußnotenkommentare, die sich in Wael Hallaqs Übersetzung der Schrift Ibn Taymiyyas Radd in der von as-Suyūṭī unter dem Titel Ǧahd alqarīḥa fī taǧrīd an-Naṣīḥa gekürzten Fassung befinden; siehe Hallaq, Against the Greek Logicians, 74, Fußnote 1; 75, Fußnote 2; 76, Fußnote 1; 77, Fußnote 2. 774 Als Zitat hätte sich auch eine Passage aus Ibn Taymiyyas Schrift ar-Radd ʿalā l-manṭiqiyyīn gut geeignet. Da diese aber bereits ins Englische übersetzt wurde, habe ich eine andere, ähnlich relevante Textstelle ausgewählt, sodass sich der Nutzen für den nicht-arabischsprachigen Leser erhöht. Die englische Übersetzung findet sich bei ebd., 74–77. 775 Ḥ/M, MF 20/441f.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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Ibn Taymiyya bedient sich hier einer Reihe von Ausdrücken, die nun auch unter Rückgriff auf andere seiner Werke bestimmt werden sollen. Den Terminus muštarak definiert er ganz konventionell als dasjenige, das sich im Ausdruck gleicht, sich in der Bedeutung aber unterscheidet (mā ittafaqa lafẓuhū wa-iḫtalafa maʿnāhu).776 Als Beispiel dafür gibt er an anderer Stelle den Ausdruck muštarī an, der sowohl Käufer als auch Planet Jupiter bedeuten kann.777 Der Begriff mutawāṭiʾ steht ebenfalls für gleichnamige Ausdrücke, die jedoch auch hinsichtlich ihrer Bedeutung überlappen (mā ittafaqa lafẓuhū wa-maʿnāhu).778 In seiner allgemeinen Form, von Ibn Taymiyya als mutawāṭiʾ ʿāmm bezeichnet, setzt er diesen Begriff mit dem gleich, was die Grammatiker als ism ǧins (Gattungsbegriff) und die Logiker als kullī (Universalie) bezeichnen. Ein Ausdruck ist nach Ibn Taymiyya genau dann als mutawāṭiʾ einzustufen, wenn er in seinen verschiedenen Verwendungsweisen eine allen Denotata zukommende Gemeinsamkeit (qadr muštarak) begrifflich erfasst. Zu unterscheiden ist dann, ob diese Gemeinsamkeit in den bezeichneten Objekten gleichermaßen oder aber auf unterschiedliche Weise realisiert ist. In ersterem Falle wird der gleichnamige Ausdruck als mutawāṭiʾ ḫāṣṣ (rein univok), in letzterem Falle als mušakkik (analog) bezeichnet. Beide Arten fallen unter die Oberkategorie des mutawāṭiʾ ʿāmm (allgemein univok).779 Zur Verdeutlichung der beschriebenen Bedeutungsbeziehung zwischen den mušakkik-Ausdrücken in ihren jeweiligen Verwendungsweisen listet Ibn Taymiyya nun eine Reihe solcher Ausdrücke sowie jeweils zwei ihrer Denotata auf. Diese sind die Ausdrücke abyaḍ (weiß, angewandt auf Schnee und Elfenbein), aswad (schwarz, angewandt auf Pech und Abessinier), al-ʿuluww (die Höhe, angewandt auf Himmel und Dach), wāsiʿ (ausgedehnt, angewandt auf Ozean und Villa), wuǧūd (Sein, angewandt auf notwendiges Sein und mögliches Sein), qadīm (alt/ewig, angewandt auf Dattelpalmenstiel780 und das Anfangslose), al-muḥdaṯ (das Hervorgebrachte, angewandt auf das am Tag Produzierte und das von Gott aus dem Nichts Erschaffene) und ḥayy (lebendig, angewandt auf Mensch, Tier, Pflanzen und Gott).781 Was die Ausdrücke angeht, die als mutawāṭiʾ ḫāṣṣ einzustufen sind, also diejenigen, die in all ihren verschiedenen Verwendungsweisen eine in allen Denotata gleichermaßen verwirklichte Gemein776 Iʿtirāḍāt 10. 777 Irbiliyya, MF 5/210. 778 Iʿtirāḍāt 10. 779 Ibn Taymiyya wiederholt mehrfach, dass der mušakkik von manchen fälschlicherweise als eine eigenständige Kategorie aufgefasst wurde; siehe z. B. Ǧawāb 4/425f. Ibn Taymiyyas Ansicht zur Kategorisierung dieser Begriffe wird an späterer Stelle dieses Unterkapitels noch einmal aufgegriffen und kommentiert. 780 Ibn Taymiyya bezieht sich hier implizit auf Koran 36:39. 781 Minhāǧ 8/35f.
162 | 5 Sprachliche Grundlagen samkeit begrifflich erfassen, so meint Ibn Taymiyya, dass diese in der Sprache entweder in sehr geringer Anzahl oder aber überhaupt nicht vorhanden sind.782
Aufbauend auf dem Vorhergehenden sollten die Termini muštarak und mutawāṭiʾ
aus meiner Sicht mit äquivok bzw. univok übersetzt werden.783 Laut Ibn Taymiy-
ya ist der Ausdruck al-wuǧūh wa-n-naẓāʾir 784 das aus den Koranwissenschaften gebräuchliche terminologische Pendant, wobei wuǧūh für muštarak-Ausdrücke
und naẓāʾir für mutawāṭiʾ-Ausdrücke steht. Was den Terminus mušakkik (wört-
782 Ǧawāb 4/426. Es scheint so zu sein, dass Ibn Taymiyya die mutawāṭiʾ-Ausdrücke, wenn überhaupt, nur dann als mutawāṭiʾ ḫāṣṣ ansieht, wenn man sie nur hinsichtlich derjenigen Denotata betrachtet, die derselben Gattung angehören. Als Beispiel: Der Ausdruck lebendig ist mutawāṭiʾ ḫāṣṣ, wenn er auf Zayd und ʿAmr angewendet wird, da sie beide der Gattung Mensch angehören. Wird er aber gattungsübergreifend auf Zayd, ʿAmr und Pferde angewendet, so ist er mušakkik. In diese Richtung verstehe ich die Ausführungen in Šarḥ ḥadīṯ an-nuzūl, MF 5/325f. und 328f.; Ed. Ḫamīs 72f. und 77. 783 Sherman Jackson übersetzt muštarak als denotative (denotativ) und mutawāṭiʾ als connotative (konnotativ) und ist der Meinung, „‘equivocal’ and ‘univocal’ are better reserved for terms like mujmal, ẓāhir, naṣṣ“. Jackson, Trial, 54 mit Fußnote 75. Es bedarf einiger Ausführungen, um zu erklären, wieso ich Jacksons Position nicht folge: Die von ihm vorgeschlagenen Termini werden sowohl in der Logik als auch in der Linguistik gebraucht und selbst innerhalb dieser Disziplinen ganz unterschiedlich definiert; siehe zur Begriffsgeschichte des Wortes Konnotation und seinem Verhältnis zum Wort Denotation: Bettina Birk, Konnotation im Deutschen. Eine Untersuchung aus morphologischer, lexikologischer und lexikographischer Perspektive, LudwigMaximilians-Universität München: unveröffentl. Dissertation, 2012, 1–84. Der einzige mir bekannte Gebrauch des Begriffpaares denotativ-konnotativ, der dem der Ausdrücke muštarak-mutawāṭiʾ nahekommt, findet sich bei John Stuart Mill, sodass vermutet werden darf, dass Jackson sich bei seiner Begriffswahl auf diesen Denker bezieht; zu dessen Definition der Termini siehe John Stuart Mill, A System of Logic, Ratiocinative and Inductive. Being a Connected View of the Principles of Evidence and the Methods of Scientific Investigation, 2 Bde., London: John W. Parker, 1843, 1/37–50. Gegen die Übersetzung von muštarak und mutawāṭiʾ als denotativ und konnotativ in diesem Sinne spricht nun, dass es zum einen trotz inhaltlicher Ähnlichkeit auch deutliche Unterschiede gibt, und zum anderen, dass die von Mill terminologisierten Begriffe nicht zum gängigen Begriffsinventar der Sprachphilosophie gehören. Im Gegensatz dazu ist die Übersetzung als äquivok bzw. univok inhaltlich sehr treffend, und darüber hinaus wurden die Termini muštarak und mutawāṭiʾ schon im lateinischen Mittelalter so übersetzt (aequivoca bzw. univoca), was bis heute auch in der Sekundärliteratur sehr verbreitet ist; siehe z. B. die lateinische Übersetzung von al-Ġazālīs Maqāṣid al-falāsifa: Charles Lohr, Logica Algazelis. Introduction and Critical Text, in: Traditio 21 (1965), 223–290, hier 245f. Im arabischen Original zu finden in Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Maqāṣid al-falāsifa, hrsg. von Maḥmūd Bīǧū, Damaskus: Maṭbaʿat aṣ-Ṣabāḥ, 2000, 16f. 784 Unter diesem Ausdruck entstand ein eigenes literarisches Genre, das sich mit der semantischen Analyse mehrdeutiger Begriffe im Koran auseinandersetzt. Das älteste erhaltene Werk in diesem Genre stammt von Muqātil Ibn Sulaymān (gest. 150/767) und liegt ediert vor; siehe Muqātil Ibn Sulaymān, al-Wuǧūh wa-n-naẓāʾir fī l-Qurʾān al-ʿaẓīm, hrsg. von Ḥātim aḍ-Ḍāmin, Bagdad: Markaz Ǧumʿa al-Māǧid li-ṯ-ṯaqāfa wa-t-turāṯ, 2006.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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lich: das in Zweifel Versetzende) angeht, so hat sich diese Bezeichnung laut Ibn Taymiyya deswegen herausgebildet, weil die darunter fallenden Ausdrücke den Hörer in Zweifel versetzen, ob sie nun als univok oder aber als äquivok einzustufen sind – dies weil sie ein Universales bezeichnen, an dem zwar alle ihre Denotata teilhaben, diese Teilhaberschaft jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt ist.785 Der Begriff mušakkik sollte jedoch keineswegs wörtlich in andere Sprachen übertragen werden, auch wenn diese Information dadurch verloren geht. Vielmehr ist er als analog zu übersetzen.786 Auch der Ausdruck mutawātiʾ ḫāṣṣ sollte nicht 785 Siehe Ḥamawiyya, MF 5/105; Ed. Tuwayǧirī 524. Selbige Erklärung wurde auch von al-Ġazālī vorgebracht; siehe Ġazālī, Maqāṣid al-falāsifa, 17. Bei diesem Werk handelt es sich nicht ausschließlich, aber überwiegend um eine inhaltliche Wiedergabe einiger Teile von Ibn Sīnās persischer Schrift Dānešnāmeh-ye ʿAlāʾī. Die angesprochenen Aussagen al-Ġazālīs konnte ich dort jedoch nicht finden. Es sei noch darauf hingewiesen, dass in der jüdisch-arabischen Tradition das Partizip Passiv, also mušakkak im Sinne von das in Zweifel Versetzte, eher gebräuchlich gewesen zu sein scheint; siehe Alexander Treiger, Avicenna’s Notion of Transcendental Modulation of Existence (taškīk al-wuǧūd, analogia entis) and Its Greek and Arabic Sources, in: Felicitas Opwis/David Reisman (Hrsg.), Islamic Philosophy, Science, Culture, and Religion. Studies in Honor of Dimitri Gutas, Leiden und Boston: Brill, 2012, 327–363, hier 328, Fußnote 1. 786 In seinem Werk Maqāṣid al-falāsifa erklärt al-Ġazālī, dass die Termini muttafiq und mušakkik austauschbar verwendet werden. In der lateinischen Übersetzung seiner Schrift wird Ersteres mit convenientia (Übereinstimmung), Letzteres mit ambiguum (mehrdeutig) übersetzt; siehe Ġazālī, Maqāṣid al-falāsifa, 17 und die lateinische Übersetzung in Lohr, Logica Algazelis, 246. Albertus Magnus (gest. 1280) übernimmt al-Ġazālīs Einteilung der Begriffe, ohne sich explizit auf ihn zu beziehen, schlägt aber den aus dem Griechischen entlehnten Begriff analoga (ähnlich bzw. verhältnismäßig) als Alternative für convenientia vor; siehe Jan Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez, Leiden: Brill, 2012, 98. Im lateinischen Mittelalter des späten 13. Jahrhunderts setzt sich diese Bezeichnung nicht nur durch, sondern erhält auch eine besondere Prominenz durch die Schriften des Thomas von Aquin (gest. 1274), der dafür argumentiert, dass auf Gott und Geschöpf angewandte Prädikate weder rein univok noch rein äquivok, sondern analog ausgesagt werden. Zu dieser Position, der ähnlich wie bei Ibn Taymiyya die Auffassung zugrunde liegt, dass Gottes Verschiedenheit vom Geschöpf nicht in Seiner absoluten Unerkennbarkeit münden dürfe, siehe in der äußerst umfangreichen Literatur z. B. Seung-Chan Park, Die Rezeption der mittelalterlichen Sprachphilosophie in der Theologie des Thomas von Aquin. Mit besonderer Berücksichtigung der Analogie, Leiden, Boston und Köln: Brill, 1999. Wolfson, der die Verwendungsweisen des Terminus mušakkik in der arabischen Tradition der falsafa untersucht, identifiziert den von Alexander von Aphrodisias (bl. um 200 n. Chr.) in seinem Kommentar zur Topik des Aristoteles verwendeten Begriff amphibola (ambig) als den begrifflichen und konzeptuellen Ursprung des arabischen mušakkik-Terminus und übersetzt diesen daher wahlweise als amphibolous oder ambiguous; siehe Harry Austrin Wolfson, The Amphibolous Terms in Aristotle, Arabic Philosophy and Maimonides, in: The Harvard Theological Review 31.2 (1938), 151–173, hier 151f. Treiger, der in seinem lesenswerten Artikel ebenfalls die Geschichte des Ausdrucks mušakkik untersucht, stimmt mit Wolfson darin überein, dass es sich dabei um eine Übersetzung des von Alexander verwendeten Terminus amphibola
164 | 5 Sprachliche Grundlagen wörtlich übersetzt werden, sondern als rein univok. Die Abbildung 2 fasst die oben gemachten Ausführungen zu den Termini hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer Kategorisierung grafisch zusammen.787 Nach der eingehenden Beleuchtung der relevanten Termini soll der Blick nun wieder auf obiges Zitat über den Existenzbegriff und seine Anwendung gerichtet werden. Laut Ibn Taymiyya gab es in der islamischen Denktradition vier Meinungen hinsichtlich der Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke, die sowohl auf den Schöpfer als auch auf das Geschöpf angewendet werden. Die ersten zwei Positionen, die er nennt, stimmen darin überein, dass es sich um eine ḥaqīqa-maǧāz-Beziehung handelt, unterscheiden sich jedoch in der Frage, ob die Bedeutung der Ausdrücke bei Gott oder aber bei Seiner Schöpfung im eigentlichen Sinne besteht. Ibn Taymiyya kann sich keiner der beiden Positionen anschließen, da er die magāz-Theorie ja von Grund auf ablehnt. Wie noch an Beispielen verdeutlicht wird, stuft er alle Ausdrücke, die sich in ḥaqīqa und magāz einteilen lassen, als analoge Begriffe ein. Das terminologische Pendant zur munāsaba, das die semantische Beziehung zwischen dem Ausdruck in seiner Verwendung als ḥaqīqa bzw. als maǧāz beschreibt, ist der Begriff qadr muštarak, der auf die durch einen Ausdruck erfasste Gemeinsamkeit aller Denotata verweist. Die in dem Zitat an vierter Stelle aufgezählte Meinung besagt, dass die gleichnamigen Ausdrücke, die auf Gott und die Geschöpfe angewendet werden, als äquivoke Begriffe zu gelten haben – dies ist der Standpunkt der Anhänger der Methodik des tafwīḍ.788 Das lehnt Ibn Taymiyya vor allem deswegen ab, weil dann die im Koran und in der Sunna erwähnten Ausdrücke, die Gott beschreiben, für den Menschen nicht mehr als eine Buchstabenfolge ohne erkennbaren Informationsgehalt darstellen. Dies würde nämlich bedeuten, dass sich der Ausdruck lebendig auf Gott und den Mensch in derselben Art und Weise bezieht, wie der Ausdruck muštarī auf den handelt, er meint jedoch im Gegensatz zu Wolfson, dass dieser inhaltlich nicht mit dem mušakkikAusdruck vergleichbar sei. Treiger selbst übersetzt mušakkik als modulated terms; siehe Treiger, Transcendental Modulation, zu seiner Kritik an Wolfson siehe 343–345. Keine der eben vorgestellten Übersetzungsmöglichkeiten des mušakkik-Ausdrucks die hinter diesem Terminus stehende konzeptuelle Breite. Das gilt auch für den Ausdruck analog, für den ich mich jedoch entschieden habe, da er – bedingt durch seinen Gebrauch im lateinischen Mittelalter – der gängigste Terminus zur Bezeichnung von Begriffen ist, die weder als rein univok, noch als rein äquivok zu kategorisieren sind. Diese Begriffswahl soll jedoch keineswegs über die gewichtigen Unterschiede zwischen der Attributionsanalogie des Thomas und der des Ibn Taymiyya hinwegtäuschen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht herausgearbeitet werden können. 787 Die dort dargestellte Kategorisierung der Begriffe wurde von Ibn Taymiyya in dem obigen Zitat zwar nur angedeutet, aber unter Zuhilfenahme anderer Textstellen konnte sie eindeutig ausgemacht werden; siehe z. B. Ṣafadiyya 1/122f., auch 2/6; Ǧawāb 4/425f.; und Radd 156. 788 Siehe zu dieser Methoben oben, S. 69ff.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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gleichnamige Ausdrücke
mutawāṭiʾ ʿāmm (allgemein univok)
muštarak (äquivok)
begriffliche Struktur erfasst keine allen Denotata zukommende Gemeinsamkeit (qadr muštarak)
mutawāṭiʾ ḫāṣṣ (rein univok)
begriffliche Struktur
mušakkik (analog)
begriffliche Struktur
erfasst eine allen
erfasst eine allen
Denotata zukommende
Denotata zukommende
Gemeinsamkeit (qadr muštarak),
Gemeinsamkeit (qadr muštarak),
die in diesen
die in diesen
gleichermaßen
unterschiedlich
realisiert ist
realisiert ist
Abbildung 2: Ibn Taymiyyas Kategorisierung gleichnamiger Ausdrücke hinsichtlich ihrer Bedeutungsbeziehung zueinander.
Käufer und den Planeten Jupiter.789 Es ist die im Zitat an dritter Stelle aufgeführte Position, die Ibn Taymiyya vertritt und, zumindest hinsichtlich des Existenzbegriffs, der Mehrheit der Gelehrten zuschreibt. Im Folgenden soll nun Ibn Taymiyyas theoretisches Konzept hinter den analogen Begriffen beleuchtet und anhand von Beispielen verdeutlicht werden. 789 Jackson schreibt: Wären die Begriffe, mit denen Gott beschrieben wird, äquivok, so wären sie „abstract and essentially devoid of any concrete meaning“. Jackson, Trial, 55. Ich stimme mit Jackson inhaltlich mit einer Ausnahme überein, die aber möglicherweise nur einer unpräzisen Formulierung Jacksons entspringt. Denn wären die Gott beschreibenden Ausdrücke äquivok, würde sich lediglich ergeben, dass der Mensch die Bedeutung der Begriffe nicht erkennen kann, keinesfalls aber, dass die Begriffe an sich über keine konkrete Bedeutung verfügen.
166 | 5 Sprachliche Grundlagen Wie im Kapitel zur Ontologie Ibn Taymiyyas dargestellt, können verschiedene Objekte, seien sie metaphysisch oder auch nicht, niemals vollkommen unterschiedlich voneinander sein. Zwischen ihnen gibt es entweder eine strukturelle Gleichheit oder zumindest eine Ähnlichkeit. Der Mensch kann diese Gleichheit bzw. Ähnlichkeit sinnlich erfassen, sie durch mentale Abstraktion in einer Universalie (qadr muštarak) zusammenbringen und schließlich mit einem einzigen Ausdruck bezeichnen. So entstehen mušakkik-Ausdrücke wie Existenz (wuǧūd), Lebewesensein (ḥayawāniyya) und Menschsein (insāniyya).790 Wird der Existenzbegriff nun ohne weitere Spezifizierung gebraucht, so verweist er auf die lediglich mental existierende gemeinsame Schnittmenge alles Existenten. Möchte man neben dieser Schnittmenge auch die Charakteristika benennen, die mit der Existenz mancher, aber nicht aller Denotata zusammenhängen, so muss der Begriff der Existenz weiter spezifiziert werden. Wendet man diesen Begriff auf Gott und den Menschen gleichzeitig an, so ist er einerseits analog hinsichtlich der abstrahierten Universalie des Existentseins, die Gott jedoch mit größerer Berechtigung und mit stärkerer Abgrenzung zur Nicht-Existenz zukommt (aḥaqq bi-l-wuǧūd wa-abʿad ʿan al-ʿadam), andererseits äquivok hinsichtlich der Charakteristika wie z. B. der Anfangslosigkeit und der Notwendigkeit, die der Existenz Gottes, nicht aber der des Menschen zukommen. Genau nach demselbem Prinzip lassen sich auch Engel, Paradiesbewohner, Fliegen und Mücken unter dem Begriff Lebewesen subsumieren.791 Ibn Taymiyya breitet noch eine Vielzahl weiterer Beispiele aus. Für ein besseres Verständnis empfiehlt es sich, eines zu wählen, bei dem ein Begriff angeführt wird, der bezüglich seiner Verwendungweisen üblicherweise in ḥaqīqa und maǧāz eingeteilt wird. Dies ist der Fall bei dem Ausdruck wollen, der auf Lebewesen angewendet als ḥaqīqa und auf unbelebte Materie angewendet als maǧāz gilt. Der Aufhänger der Diskussion bildet der Vers 18:77, in dem von einer Wand die Rede ist, die – wörtlich übersetzt – einstürzen will (ǧidāran yurīdu an yanqaḍḍa). Ibn Taymiyya wendet einige der Gegenargumente gegen die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie auf dieses Beispiel an, um zu zeigen, dass es keine überzeugende Begründung gibt, derzufolge sich eine bestimmte Verwendung des Begriffs irāda (Wille) als höherwertig bzw. als primär kategorisieren lässt. Da diese Argumente im Kern schon in Kapitel 5.1.1 dargestellt wurden, soll hier lediglich Ibn Taymiyyas Konzeption der mušakkik-Ausdrücke als Gegenentwurf zum maǧāz-Konzept im Vordergrund stehen. Ibn Taymiyya konstatiert, dass der Ausdruck Wille im Sinne von mayl (Neigung bzw. Tendenz) sowohl in Bezug auf belebte Objekte, bei denen die Neigung 790 Ḥ/M, MF 20/448. 791 Ḥ/M, MF 20/442–448. Die Wortwahl Ibn Taymiyyas (aḥaqq bi-l-wuǧūd wa-abʿad ʿan al-ʿadam) ist einer anderen Textstelle entnommen, nämlich Akmaliyya, MF 6/136.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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von einem Bewusstsein (šuʿūr) begleitet wird, als auch auf unbelebte Objekte, bei denen dies nicht der Fall ist, gebraucht wird (ustuʿmila).792 Diese auf den ersten Blick unscheinbar anmutende Behauptung ist tatsächlich das wichtigste Glied in seiner Argumentationskette. Es geht ihm darum, den aufgrund des überwiegenden Gebrauchs des Ausdrucks irāda im Zusammenhang mit Lebewesen entstandenen, aus seiner Sicht aber irrigen Eindruck zu zerstören, eine Neigung, die nicht von einem Bewusstsein begleitet wird, könne nicht im wirklichen Sinne als irāda bezeichnet werden. Bei Ibn Taymiyya wird das von Bewusstsein begleitet sein zu einem semantischen Nebenprodukt, das sich konstituiert, wenn der Begriff irāda in einem bestimmten Sprechakt ausschließlich auf lebende Objekte angewendet wird. Er will damit nicht sagen, dass der Begriff irāda im Sinne von Wille und mayl im Sinne von Neigung bzw. Tendenz synonym sind. Vielmehr ist der Begriff mayl der qadr muštarak – in diesem Fall auch gleichzusetzen mit dem, was die Rhetoriker munāsaba nennen –, also der begriffliche Dreh- und Angelpunkt (mawrid at-taqsim), an dem sich alle Verwendungsweisen des Ausdrucks irāda semantisch treffen.793 Die Tatsache, dass der Begriff irāda, aber auch alle anderen Ausdrücke, die auf Eigenschaften (aʿrāḍ) von Objekten referieren, niemals abgesondert von einem bedeutungsfestlegenden Komplementär verwendet werden können, ist laut Ibn Taymiyya dem Zweck der Sprache geschuldet, der daraus besteht, dasjenige, was in der Realität existiert, und dasjenige, was einem üblicherweise in den Sinn kommt (mā yūǧadu fī l-qulūb fī l-ʿāda), benennen zu können. So spricht man z. B. nicht vom Wollendsein, Mächtigsein, Langsein, Wissendsein und Weißsein an sich, sondern benutzt diese Begriffe immer in Bezug auf ein bestimmtes Objekt, dem eine solche Eigenschaft zugesprochen wird.794 Anders ist das bei Begriffen wie z. B. Mensch und Pferd, bei denen sich das menschliche Denken daran gewöhnt hat (taʿawwadat al-aḏhān), nicht den konkreten Menschen, sondern die mentalabstrahierte Konzeptualisierung des Menschseins (taṣawwur al-insān) zu verstehen, da die Denotata dieser Ausdrücke – anders als die, die auf Eigenschaften referieren – selbstständig und mit anderen Objekten unverbunden existieren.795 Zur weiteren Verdeutlichung der Thematik soll nun das eben beschriebene Prinzip hinter den mušakkik-Ausdrücken auf das Beispiel Löwe angewendet werden, das in Kapitel 5.1.1 mehrfach angeführt wurde, auf das sich Ibn Taymiyya selbst in diesem Kontext aber nicht bezieht. 792 Īmān, MF 7/108; Ed. Aḥmad 2/174f.; engl. Übers. 119. 793 Īmān, MF 7/108; Ed. Aḥmad 2/175f.; engl. Übers. 119f. 794 Īmān, MF 7/109; Ed. Aḥmad 2/176; engl. Übers. 120. Ibn Taymiyya nimmt hier die Lexikographen aus, denen es darum gehe, unter den verschiedenen Verwendungsweisen eines Begriffs den gemeinsamen semantischen Nenner zu erkennen. 795 Īmān, MF 7/109; Ed. Aḥmad 2/176; engl. Übers. 120.
168 | 5 Sprachliche Grundlagen Der Position Ibn Taymiyyas gemäß lässt sich dafür argumentieren, dass die Verwendung des Ausdrucks Löwe im Sinne des Raubtieres und im Sinne der tapferen Person objektiv nachweisbar ist. Als nicht nachweisbar, sondern als rein willkürlich bezeichnet er hingegen jedwede hierarchische Kategorisierung dieser Verwendungsarten, so wie sie in der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie vorgenommen wird. Abstrahiert man von den beiden Verwendungsweisen, so kommt man zu der allen Denotata zukommenden Gemeinsamkeit, die im Begriff des Löwen erfasst wird. Dabei handelt es sich um die Bedeutung der Tapferkeit. Diese ist aber nur ein mentales Konstrukt und keinesfalls die eigentliche Bedeutung des Wortes Löwe. Diese ist vielmehr diejenige, die dem Begriff Löwe in einem konkreten Sprechakt zugeschrieben wird. In diesem Sinne ist er somit immer als ein ḥaqīqa-Ausdruck zu bezeichnen und hinsichtlich der Bedeutungsbeziehung zu jeweils anderen Verwendungsweisen als mušakkik zu kategorisieren. Ibn Taymiyyas sprachwissenschaftliche Kategorisierung gleichnamiger Begriffe birgt gewichtige Vorteile gegenüber Ansätzen, die mit der Differenzierung zwischen ḥaqīqa und maǧāz arbeiten, ist jedoch in der von ihm vorgestellten Form nur ungenügend ausgearbeitet. Seine Argumentation gegen die maǧāz-Theorie ist überzeugend, und mit seinem Gegenmodell gewinnt die begriffliche Kategorisierung gleichnamiger Begriffe an Objektivität und intersubjektiver Plausibilität.796 Denn dass gleichnamige Begriffe auf verschiedene Weise benutzt werden, ist unstrittig, ein objektives Kriterium, nach der diese hierarchisch geordnet werden könnten, scheint es jedoch tatsächlich nicht zu geben.797 Der Umstand, dass sich auch in der modernen Linguistik eine breite Front gegen die Priorisierung des Literalsinns gegenüber den übertragenen Bedeutungen herausgebildet hat,798 ist ein weiteres Indiz dafür, dass es als ein Versäumnis gelten muss, dass Ibn Taymiyyas sprachwissenschaftliche Ansätze weder in den Büchern der Theologie noch in
796 Zu dieser Bewertung kommt auch Ali, Medieval Islamic Pragmatics, 124. 797 Dies vertritt auch Gleave, Islam and Literalism, 10, Fußnote 20. Siehe auch die Literaturangaben in Fußnote 798. 798 Dazu gibt es nun eine Reihe an wissenschaftlicher Literatur; siehe z. B. François Recanati, The Alleged Priority of Literal Interpretation, in: Cognitive Science 19 (1995), 207–232; Sam Glucksberg, How Metaphors Create Categories – Quickly, in: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, New York: Cambridge University Press, 2008, 67–83; und Dan Sperber/Deirdre Wilson, A Deflationary Account of Metaphors, in: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought, New York: Cambridge University Press, 2008, 84–105; Robert Gleave zeigt darüber hinaus auch Schnittmengen der Position von Ibn Taymiyya und Ludwig Wittgenstein hinsichtlich Sprache und Bedeutung auf; siehe Gleave, Islam and Literalism, 65.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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denen zur Rechtstheorie aufgegriffen und weiterentwickelt wurden.799 Letzteres ist nötig, da Ibn Taymiyyas sprachwissenschaftlicher Gegenentwurf zur ḥaqīqamaǧāz-Dichotomie Probleme beinhaltet, die von ihm selbst nicht thematisiert, geschweige denn aufgelöst wurden. Dies mag damit zusammenhängen, dass er mit seinen Ausführungen – wie schon zu Anfang des Kapitels erwähnt – kein rein sprachwissenschaftliches, sondern eher ein theologisches Interesse verfolgte und daher seine Ausführungen dazu sehr knapp ausfallen. Zur Verdeutlichung der angesprochenen Probleme soll wieder das Beispiel des Begriffs Löwe herangezogen werden, dieses Mal jedoch in einem dreifachen Sinne: Einmal in der Bedeutung des Raubtieres (ab hier: L1 ), einmal in der Bedeutung tapfere Person (ab hier L2 ), und darüber hinaus sei auch angenommen, dass der Ausdruck Löwe sich durch eine kreative Begriffserweiterung auch auf Menschen beziehen kann, die eine voluminöse, wild-zerzauste und goldfarbene Frisur haben (ab hier: L3 ), und zwar aufbauend auf der Ähnlichkeit zu einer Löwenmähne. Die Frage ist nun, ob der Begriff Löwe hinsichtlich aller drei Verwendungsweisen als analog gelten darf. Offensichtlich steht L1 jeweils zu L2 und L3 semantisch in Beziehung, gilt dies aber auch für L2 und L3 untereinander? Um zu vermeiden, dass diese beiden nun als äquivok eingestuft werden müssen, könnte man Ähnlichkeit zu L1 als die gemeinsame Schnittmenge beider Begriffe betrachten. Da dies aber keine Bedeutung von L1 darstellt, eignet sich dies nicht als der kleinste gemeinsame semantische Nenner aller drei Begriffe. Hinter Ibn Taymiyyas Einordnung der Analogie als Teilkategorie der Univozität darf ein strategisches Moment vermutet werden. Er wiederholt an vielen Stellen seiner Schriften, dass die Analogie bisher konzeptuell entweder als mittlere Kategorie zwischen der Univozität und der Äquivozität oder als Unterkategorie der ersteren angesehen wurde.800 Letzteres soll die Position der frühen Denker unter den Philosophen und anderer (al-mutaqaddimūn min nuẓẓār al-falāsifa wa-ġayrihim) gewesen sein, die, ohne einen speziellen Terminus für die analogen Begriffe zu verwenden, diese einfach als univok bezeichneten.801 Ibn Taymiyya nennt keine Namen, aber es kann festgehalten werden, dass in den zentralen Texten der Philosophen, darunter Aristoteles, Alexander von Aphrodisias (bl. um 200 n. Chr.), Porphyrios (gest. nach 300 n. Chr.), Elias (gest. ca. 580 n. Chr.), al-Fārābī, Ibn Sīnā, Ibn aṭ-Ṭayyib (gest. 435/1043), Ibn Bāǧǧa (gest. 533/1139) und Ibn Rušd (gest. 799 Robert Gleave, der sich in seinem Buch mit letzterer Disziplin auseinandersetzt, behandelt die Ansichten Ibn Taymiyyas bewusst nur am Rande, da sie bis heute ohne nennenswerten Einfluss geblieben seien; siehe Gleave, Islam and Literalism, 23, Fußnote 66, und auch 181–184. 800 Siehe z. B. Radd 156; Minhāǧ 2/586, und Ǧawāb 4/425f. 801 Radd 156.
170 | 5 Sprachliche Grundlagen 595/1198), die Analogie entweder als Mittleres zwischen der Univozität und der Äquivozität oder aber, und das ist verbreiteter, als Unterkategorie der letzteren aufgefasst wird.802 Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu der oben angeführten Behauptung Ibn Taymiyyas. Lediglich im Bereich der uṣūl al-fiqh, in dem meiner Einschätzung zufolge al-Ġazālī diese Termini erstmalig verwendete,803 gab es einige Autoren, die den mušakkik-Ausdruck vor Ibn Taymiyya in dessen Sinne unter die Kategorie der namens- und bedeutungsgleichen Ausdrücke subsumierten.804 Auch führt Ibn Taymiyya zur Stützung seiner Position das plausible Argument an, dass eine Erweiterung der Verwendungsweisen eines mušakkik-Ausdrucks immer vom semantisch Gemeinsamen ausgeht und somit der univoke und nicht der äquivoke Charakter dieser Ausdrücke ausschlaggebend ist.805 Trotzdem macht es stutzig, dass Ibn Taymiyya, der mit den Werken der Philosophen vertraut war, zwar an mehreren Stellen seiner Schriften die verschiedenen Kategorisierungsweisen des mušakkik-Ausdrucks diskutiert, dabei jedoch kein einziges Mal erwähnt, dass dieser Ausdruck auch (und ja sogar üblicherweise) als äquivok angesehen wurde. 802 Zu den ersten sieben der aufgezählten Denker siehe Treiger, Transcendental Modulation, v. a. 332ff. Elias hält fest, dass Platon den mehrdeutigen Begriff der Existenz als univok, Aristoteles ihn hingegen als äquivok erachtet hat. In neuplatonischer Manier versucht er die Positionen der beiden Denker dadurch zu versöhnen, dass er argumentiert, dass der Begriff Existenz sowohl univoke als auch äquivoke Züge hat und er somit als ein Mittleres korrekterweise als univok bzw. äquivok bezeichnet werden kann; siehe ebd., 340f. Siehe zu Ibn Sīnā auch Acar, Talking about God, und Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, 211ff. Zu Ibn Bāǧǧa siehe David Wirmer, Vom Denken der Natur zur Natur des Denkens. Ibn Bāǧǧas Theorie der Potenz als Grundlegung der Psychologie, Berlin, München und Boston: De Gruyter, 2014, 196–210. Zu Ibn Rušd siehe Oliver Leaman, Averroes and His Philosophy, New York: Oxford University Press, 1988, 178–196, v. a. 183. 803 In seinem Werk al-Mustaṣfā (Ed. Būlāq, 1/32 und in der in dieser Arbeit verwendete bessere, aber weniger verbreiteten Ed. Ḥāfiẓ, 1/97f.) benutzt al-Ġazālī sowohl den Terminus muštarak als auch mutawāṭiʾ und schlägt für die analogen Begriffe, die er als muškil beschreibt, die Bezeichnung mutašābih vor (fa-l-nusammi ḏālika mutašābihan ). Diese längere Passage hat er wortwörtlich aus seinem Werk Miḥakk an-naẓar übernommen, wobei die Edition des letzteren mušakkik statt muškil vorgibt; siehe Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Miḥakk an-naẓar fī l-manṭiq, hrsg. von Muḥammad Badr ad-Dīn an-Naʿsānī/Muṣṭafā al-Qabbānī, Kairo: al-Maṭbaʿa al-adabiyya, o. J. [1925], 13. Die Lesung mušakkik ist meiner Ansicht nach plausibler und so ist die Abweichung vielleicht einem Abschreibefehler späterer Kopisten geschuldet, zumal sich diese beiden Wörter im Schriftbild ähneln. 804 So z. B. explizit der šāfiʿitische Gelehrte Ibn ad-Dahhān (gest. 592/1196); siehe Muḥammad Ibn ad-Dahhān, Taqwīm an-naẓar fī masāʾil ḫilāfiyya ḏāʾiʿa wa-nubaḏ maḏhabiyya nāfiʿa, hrsg. von Ṣāliḥ al-Ḫuzaym, 5 Bde., Riad: Maktabat ar-Rušd, 2001, 1/66f. 805 Ḥamawiyya, MF 5/105; Ed. Tuwayǧirī 524. In Darʾ 325 erklärt er zudem, dass alle kategorisierbaren Ausdrücke nicht äquivok sein können. So ist z. B. der analoge Begriff der Existenz kategorisierbar in notwendige Existenz und mögliche Existenz und somit unter die univoken Begriffe zu subsumieren. Dahingegen können äquivoke Begriffe wie z. B. Ṣuhayl nicht in Planet Jupiter und Person namens Ṣuhayl kategorisiert werden.
5.2 Über die Bedeutungsbeziehung gleichnamiger Ausdrücke
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Bedenkt man indes, dass die Anhänger der von Ibn Taymiyya stark kritisierten Methode des tafwīḍ806 eine Vielzahl der Begriffe, mit denen Gott, und aber auch die Geschöpfe beschrieben werden, als muštarak, also als äquivok, erachten, dann wird deutlich, wieso Ibn Taymiyya bemüht ist, das für seine Attributenlehre so wichtige Konzept des taškīk in keinem Falle mit der Äquivokation in Verbindung zu bringen. Ihm geht es darum, die im mušakkik-Ausdruck eingefangene Ähnlichkeit der Denotata zu betonen. Sie erlaubt es, einen Eindruck, wenn auch nur einen sehr vagen, von der transzendenten Welt zu bekommen. Auch viele der kalāmTheologen erkennen an, dass die Gleichnamigkeit der Ausdrücke, mit denen Gott, aber auch die Schöpfung beschrieben werden, nicht rein zufällig, sondern durch eine Ähnlichkeit der Denotata zueinander begründet ist. Diese Ähnlichkeit wird z. B. schon bei al-Ġazālī in der von ihm vorgeschlagenen Terminologie eingefangen, wenn er anstatt des Begriffs mušakkik den des mutašābih vorschlägt.807 Der Ausdruck Licht ist für ihn ein solcher mutašābih-Ausdruck, da er sowohl für das Licht der Sonne verwendet wird, aber auch als Bezeichnung für den Verstand (ʿaql) dient, der durch dunkle bzw. schwer verständliche Gedankengänge leitet.808 Auch der Begriff Lebewesen ist für al-Ġazālī von derartiger Kategorie, aber es geht ihm, im Gegensatz zu Ibn Taymiyya, bei seinen Ausführungen darum, die Andersartigkeit der Denotata herauszustellen. So schreibt er: Ähnlich wie mit dem Begriff Licht verhält es sich mit dem Ausdruck das Lebendige (al-ḥayy), insofern er auf die Pflanze und auf das Tier angewandt wird. Hierbei handelt es sich um eine reine Äquivokation (ištirāk maḥḍ). Dies ist so, weil bei den Pflanzen die Komponente (maʿnā) intendiert wird, von der das Wachstum ausgeht, und bei den Tieren809 die Komponente, durch welches es fühlt und auf Basis eines Willens handelt. Bei seiner Anwendung [d. h. der des Ausdrucks das Lebendige] auf Gott – den Erhabenen – weißt du, wenn du tief genug nachsinnst, dass es für eine dritte Bedeutung steht. Und diese ist ungleich zu den beiden [erstgenannten] Fällen.810
Al-Ġazālīs Insistieren auf die Andersartigkeit der Denotata, die unter den Ausdruck das Lebendige fallen, bringt ihn zu der widersprüchlichen Ansicht, dass der Begriff zwar nicht rein zufällig, sondern wie der Begriff Licht aufgrund eines gemeinsamen semantischen Nenners sowohl auf die Pflanze und das Tier als auch auf Gott angewendet wird, es sich bei ihm aber trotzdem um einen rein äquivoken Begriff 806 807 808 809 810
Siehe zu ihr oben, S. 69ff. Siehe oben, Fußnote 803. Ġazālī, Mustaṣfā, 1/97f. Darunter fällt auch der Mensch. Ġazālī, Mustaṣfā, 1/97.
172 | 5 Sprachliche Grundlagen handelt.811 Stellt man diese Position in Kontrast zu von Ibn Taymiyya, so wird ersichtlich, wie selbst unverdächtig erscheinende Kategorisierungen in der Sprachwissenschaft durch theologische Vorannahmen beeinflusst sein können. Ob nun die Ablehnung der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie und Ibn Taymiyyas Gegenkonzept tatsächlich auch substanzielle theologische Implikationen mit sich bringen, soll im nächsten Unterkapitel eingehend beleuchtet werden.
5.3 Welche Konsequenzen für die Theologie ergeben sich aus Ibn Taymiyyas Alternative zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie? Es wurde deutlich, dass zwischen Ibn Taymiyya und den Befürwortern des maǧāz zumindest auf der sprachtheoretischen Ebene – und zwar insbesondere in der Frage, in welchem Verhältnis sprachliche Zeichen und Bedeutung stehen – keine terminologische, sondern eine substanzielle Meinungsverschiedenheit besteht. Diese, so könnte man meinen, erstreckt sich auch in den Bereich der Rhetorik, beachtet man den folgenden Einwand des Burhān ad-Dīn az-Zarkašī (gest. 794/1392), den er gegen eine Gruppe von Gelehrten richtet, die die Existenz des maǧāz zwar in der Sprache anerkennen, aber in Bezug auf den Koran verneinen: „Fiele der maǧāz im Koran weg, fiele [damit auch] die Hälfte [seiner] Schönheit weg.“812 Inwiefern dieser Einwand in Bezug auf die eben genannte Gruppe berechtigt ist, kann hier nicht beurteilt werden, klar ist jedoch, dass er nicht auf die Position Ibn Taymiyyas ausgeweitet werden kann. Er nämlich macht deutlich, dass manche Ausdrucksformen schöner (aḥsan) und rhetorisch höherwertig (ablaġ) sind als andere.813 Damit ist es aus seiner Sicht also auch stilistisch schöner, z. B. eine Person als Löwen anstatt als tapfer zu bezeichnen. Zumindest diesbezüglich bleibt der Streit um den maǧāz folgenlos. Für dieses Kapitel stellt sich nun die Frage, ob das auch für den 811 Ähnliches findet sich schon bei Aristoteles. Er ist der Meinung, dass der Ausdruck Lebewesen von z. B. Menschen und Rindern univok (bzw. aristotelisch: synonym) ausgesagt wird, hinsichtlich seiner darüber hinausgehenden Verwendung auf Pflanzen aber als äquivok (bzw. aristotelisch: homonym) einzustufen. Die Grenzlinie wird durch die Wahrnehmungsfähigkeit markiert, die den Menschen und Rindern zukommt, nicht aber den Pflanzen. Trotzdem möchte Aristoteles, wie auch später al-Ġazālī, die begriffliche Einheit des Ausdrucks Lebewesen in seinen verschiedenen Verwendungsweisen nicht vollkommen aufgeben. Siehe Uwe Voigt, Von Seelen, Figuren und Seeleuten. Zur Einheit und Vielfalt des Begriffs des Lebens (ζωή) bei Aristoteles, in: Sabine Föllinger (Hrsg.), Was ist Leben‘? Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von ’ Leben, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2010, 17–34, v. a. 19–21 und 26–31. 812 Badr ad-Dīn az-Zarkašī, al-Burhān fī ʿulūm al-Qurʾān, hrsg. von Muḥammad Abū l-Faḍl Ibrāhīm, 4 Bde., Kairo: Dār at-Turāṯ, o. J. [1957], 2/255. 813 Ḥ/M, MF 20/462f.
5.3 Welche Konsequenzen für die Theologie ergeben sich?
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Bereich der Theologie gilt. In der Sekundärliteratur finden sich dazu unterschiedliche Antworten, wobei erschwerend hinzukommt, dass selbst Ibn Taymiyya sich zu dieser Thematik widersprüchlich geäußert hat. Al-Maṭʿanī ist überzeugt davon, dass die Meinungsverschiedenheit zwischen den Befürwortern und den Gegnern der maǧāz-Theorie ein terminologischer Streit (nizāʿ lafẓī) ist, und er zitiert eine Passage, in der Ibn Taymiyya dies selbst zum Ausdruck bringt.814 Die Position al-Maṭʿanīs muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass er, wie oben ausgeführt wurde, der Ansicht war, dass Ibn Taymiyyas Ablehnung der maǧāz-Theorie polemisch-theoretischer Natur war und er die Gültigkeit des maǧāz in Wirklichkeit anerkannte.815 Dahingegen ist aš-Šuǧayrī der Meinung, dass Ibn Taymiyya seine abschließende Position in dieser Frage in seinem Werk Īmān vorgebracht hat, in dem er schreibt, dass es sich sehr wohl um eine substanzielle Meinungsverschiedenheit handelt.816 Dieser Sicht schließt sich auch at-Turkī an, der zudem selbst die Position vertritt, dass die Meinungsverschiedenheit nicht terminologisch ist, da – und hier pflichtet er wiederum al-Maṭʿanī bei – die Annahme der maǧāz-Theorie eine scheinbare Legitimationsbasis für eine in Ibn Taymiyyas Augen unzulässige Umdeutung der Quellentexte bietet.817 At-Turkī schreibt darüber hinaus Ibn Taymiyya die Ansicht zu, die at-Turkī ebenfalls zu vertreten scheint, dass es zwischen der Annahme der maǧāz-Theorie und der Ablehnung der Attribute Gottes eine logische Verknüpfung gibt.818 Zu einem ähnlichen Ergebnis in diesem Punkt kommt auch Belhaj – meiner Kenntnis nach der einzige, der diese Thematik in der europäischsprachigen Forschung nicht nur am Rande behandelt819 –, insofern er konstatiert: „Zwangsläufig stellt die Negation [der Gültigkeit] des maǧāz (métaphore) eine Form der Bejahung der [göttlichen] Attribute dar.“820 Als Beispiel führt Belhaj den Ausdruck die Hand Gottes an, der nach Ibn Taymiyya auf Basis der Indizien auf eine göttliche und eben nicht auf eine menschliche Hand verweist. 814 Siehe Maṭʿanī, al-Maǧāz fī l-luġa, 863ff., das Zitat führt er auf S. 865 an. Das Original ist zu finden in Tawba, MF 12/277; siehe auch Maṭʿanī, al-Maǧāz ʿinda l-imām Ibn Taymiyya, 16f. 815 Siehe oben, S. 157. 816 Siehe Šuǧayrī, Dirāsāt luġawiyya, 204–206. Aš-Šuǧayrī bezieht sich auf Īmān, MF 7/113; Ed. Aḥmad 2/183; engl. Übers. 125. 817 Siehe Turkī, Inkār al-maǧāz, 63. 818 Siehe ebd., 77. 819 Mohamed Alis Untersuchung ist auf der sprachtheoretischen Ebene sehr ausführlich, blendet aber bewusst die theologische Relevanz des Themas weitgehend aus; siehe Ali, Medieval Islamic Pragmatics, 88. Mustafa Shahs Artikel behandelt diesen Aspekt, anders als der Titel vermuten lässt, nur am Rande; siehe Shah, Philological Endeavours II. 820 Siehe Belhaj, Négation de la métaphore, 74. Selbige Aussage wiederholt Belhaj auch ein Jahr später in seiner Monographie, in der er den wechselseitigen Einfluss zwischen Rhetorik und Theologie untersucht; siehe Belhaj, Questions théologique, 97.
174 | 5 Sprachliche Grundlagen Demnach sei es falsch, den Ausdruck Hand zuerst in der Bedeutung der menschlichen Hand zu verstehen, dann zu folgern, dass dies nicht gemeint sein könne, um dann abschließend eine Neudeutung des Ausdrucks Hand nach ašʿaritischer Manier vorzunehmen.821 Darüber hinaus identifiziert Belhaj die Distinktion zwischen der eigentlichen und der übertragenen Bedeutung als das rhetorische Pendant zu der in der Theologie bekannten ontologischen Unterscheidung zwischen dem Wesen (essence) einer Sache und ihren Eigenschaften (attributs) in der Theologie.822 Durch die Ablehnung des waḍʿ im Sinne einer apriorischen Verknüpfung zwischen Ausdruck und Bedeutung habe Ibn Taymiyya Platz für seine alternative Bedeutungstheorie geschaffen, die die Verwendungsmöglichkeiten der Begriffe in einen nicht-hierarchischen Bezug zu ihrem gemeinsamen semantischen Kern setze. Dadurch, so Belhaj weiter, konnte Ibn Taymiyya dem Widerspruch entgehen, der sich ergibt, wenn man einerseits die Handlungsattribute und die Wesensattribute als gleichermaßen real erachtet und andererseits die ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie bei der Interpretation der Gottesbeschreibungen im Koran weiterhin anwendet.823 Belhajs Behauptung, es gebe eine logische Verknüpfung zwischen der Annahme bzw. Ablehnung der maǧāz-Theorie und der Ablehnung bzw. Annahme der göttlichen Attribute, ist aus meiner Sicht nicht haltbar. Dies soll mithilfe der folgenden beispielhaften Aussage verdeutlicht werden: „Der König regierte den Irak mit harter Hand.“ Der Ausdruck mit harter Hand kann problemlos sowohl von einem Befürworter als auch von einem Gegner des maǧāz-Konzepts, wie Ibn Taymiyya einer ist, im Sinne von streng bzw. kompromisslos verstanden werden. Für den Befürworter verweist der Ausdruck Hand zuallererst auf eine körperlichmenschliche Hand, aufgrund der in diesem Sprechakt vorkommenden Indizien muss jedoch eine allegorische Deutung erfolgen. Der Gegner würde argumentieren, dass dem Ausdruck Hand unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden können, wobei die intendierte sich immer nur im konkreten Sprechakt durch Indizien konstituiert und keine von ihnen über eine apriorische Gültigkeit verfügt. Das eben Ausgeführte gilt ebenso für das von Belhaj vorgebrachte Beispiel der Hand Gottes, und daher kann ich die von ihm behauptete zwangsläufige Verbindung zwischen der Negation der Gültigkeit des maǧāz und der Affirmation der göttlichen Attribute nicht nachvollziehen. Wenn auch die Annahme der maǧāz-Theorie nicht notwendigerweise zur Ablehnung der Attribute Gottes führt, so bereitet sie doch einen günstigen Boden für deren Legitimation. Die Behauptung, die Wolfhart Heinrichs schon 1984 vorbrach821 Siehe ders., Négation de la métaphore, 74. 822 Siehe Belhaj, Négation de la métaphore, 66 und 75. 823 Ebd., 74f.
5.3 Welche Konsequenzen für die Theologie ergeben sich?
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te und die danach in der Sekundärliteratur oft wiederholt wurde, dass es sich bei
der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie um ein Instrument handelt, das die Muʿtaziliten
zur Stützung ihrer Lesart des Korans in den theologischen Diskurs eingeführt haben, ist äußerst plausibel.824 Dies insofern, als dass die maǧāz-Theorie auf der
Annahme fußt, dass sich sprachliche Zeichen in ihrer vordergründigen Bedeutung
auf innerweltliche Phänomene beziehen, woraus sich eine wesenhafte Unzulänglichkeit der Sprache bei Beschreibungen metaphysischer Sachverhalte begründen
lässt. Damit ist ein Boden bereitet, auf dem sich auch tiefgreifende Umdeutungen
der Quellentexte leichter legitimieren lassen. Aus meiner Sicht dürfte dies der Hauptgrund sein, wieso Ibn Taymiyya sich in zwei seiner Schriften so kritisch mit der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie auseinandersetzt. Dass er sich dieses Punkts
bewusst war, sieht man an folgendem Zitat, das er inhaltlich an einigen Stellen seiner Werke wiederholt:
Der Unwissende geht durch [folgende] Behauptung der mutakallimūn in die Irre: „Die Araber wiesen [ursprünglich] dem Ausdruck istiwāʾ (das Platz-Nehmen bzw. das Sitzen bzw. das Sich-[über-etwas]-Erheben) die Bedeutung des Platz Nehmens des Menschen an einem Absteigeort bzw. in einem Schiff825 oder des (Auf-)sitzens des Schiffes auf dem Berg al-Ǧūdī826 oder Ahnliches hinsichtlich des Platz Nehmens mancher der Geschöpfe zu.“ Das ist so, wie wenn man sagt: „Sie wiesen den Ausdrücken Hören (samʿ), Sehen (baṣar) und Reden (kalām) ursprünglich ausschließlich die Bedeutung zu, die sich auf einen Ort bezieht, an dem Pupillen, Augenlieder, ein Gehörgang, Ohrmuscheln und zwei Lippen sind.“ Dies alles ist ein Irrweg in der Religion und eine Lüge. [Oder die Aussage:] „Sie wiesen den Ausdrücken Barmherzigkeit (raḥma), Wissen (ʿilm) und Willen (irāda) ursprünglich ausschließlich die Bedeutung zu, die sich auf einen Ort bezieht, an dem es ein Stück Fleisch (muḍġat laḥm) und ein Herz (fuʾād) gibt.“ Auch dies alles ist ein Ausdruck von Unwissenheit. Vielmehr haben die Araber nur diejenigen [Begriffe] in Bezug auf den Menschen geprägt, die sie ihm auch [konkret] zuschrieben. Wenn sie von der Hörfähigkeit des Menschen, seiner Sehkraft, seinem Reden, seinem Wissen, seinem Willen und seiner Barmherzigkeit sprachen, so ist das, was durch ihn [den Ausdruck Mensch] spezifiziert wird, dasjenige, was die Charakteristika des Menschen miteinbezieht. Und wenn von der Hörfähigkeit Gottes, Seiner Sehkraft, Seinem Reden, Seinem Wissen, Seinem Willen und Seiner Barmherzigkeit gesprochen wird, so umfasst das alles, was Gott an Charakteristika zukommt, wobei nichts von den Spezifika der Geschöpfe dort Eingang findet. Wer also meint, dass der Begriff istiwāʾ, insofern er ḥaqīqa ist, auf Charakteristika der Geschöpfe verweist, obwohl der Textbeleg (naṣṣ) ihn durch den Bezug auf Gott spezifiziert, ist enorm unwissend bezüglich der Semantik der Sprachen und der ḥaqīqa bzw. dem maǧāz.827
824 825 826 827
Siehe Heinrichs, Genesis, 139. Entlehnt aus Koran 23:28. Entlehnt aus Koran 11:44. Irbiliyya, MF 5/208.
176 | 5 Sprachliche Grundlagen Aus dieser von Ibn Taymiyya kritisierten Auffassung von Sprache lässt sich folgern, dass die äußere Bedeutung (ẓāhir, im Sinne der maǧāz-Befürworter) der Koranverse und der Prophetenworte Gott auf anthropomorphistische Weise beschreiben. Wäre dem so, meint Ibn Taymiyya, dann wären sie keine Quellen der Rechtleitung, sondern der Irreführung, und dann wären es erst die Gelehrten der späteren Generationen gewesen, die mit Hilfe von u. a. den Persern, den Juden und den Philosophen durch die Praxis der Umdeutung eine korrekte Theologie aus den islamischen Quellen ableiteten.828 Nach Ibn Taymiyya ist die ẓāhir-Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks diejenige, die unter Berücksichtigung aller diesen Ausdruck begleitenden Indizien gewonnen wird. Sie ist also, wie an anderer Stelle schon gesagt wurde, nicht die äußere, sondern die etablierte Bedeutung.829 Aus der Sicht des Sprechers – im Falle der zwei genannten Hauptquellen sind das Gott und Sein Prophet – ist die ẓāhir-Bedeutung eine einzige und identisch mit der intendierten. Die Hörer des Ausdrucks jedoch verfügten nicht alle über das Wissen über die Indizien, womit ihre Bewertung in der Frage, was die ẓāhir-Bedeutung ist, eine relative (nisbī) ist.830 Es ist Ibn Taymiyyas Gegenmodell zum maǧāz, in dem sich Bedeutung immer nur kontextuell konstituiert, das ihm den Boden dafür bereitet, um der aus seiner Sicht theologisch höchst problematischen Annahme zu entgehen, dass die ẓāhir-Bedeutung der Gott beschreibenden Aussagen in den zwei Hauptquellen irreführend ist. Dass die Frage der Gültigkeit der maǧāz-Theorie keinen Scheideweg zwischen den verschiedenen Interpretationen der Attribute Gottes bildet, wurde schon gesagt. Ibn Taymiyya, der sich dazu widersprüchlich äußerte, hat dies aus meiner Sicht an einer Stelle seiner Werke mit bestechend klaren Worten formuliert und dabei gezeigt, worum es im Streit um den maǧāz tatsächlich geht. Nämlich um die Grenzziehung des Rahmens, innerhalb dessen der taʾwīl maǧāzī seine Anwendung finden darf. Wo sich die Schrift befindet, in der Ibn Taymiyya diese Aussage macht, ist heute leider unbekannt. Die relevante Stelle wurde jedoch von Ǧamāl ad-Dīn al-Qāsimī (gest. 1332/1914), einem Kenner Ibn Taymiyyas, in seinem Tafsīr-Werk zitiert: Er [d. h. Ibn Taymiyya] – möge Gott Sich seiner erbarmen – sagte in einer seiner FatwāSchriften: „Wir befürworten den maǧāz, der durch einen Beweis gestützt ist, und den taʾwīl [maǧāzī], der nach einer korrekten Methodik durchgeführt wurde. Weder in unseren Aussagen noch in denen einer der unsrigen (aḥad minnā) findet sich etwas, worin wir den maǧāz oder den taʾwīl nicht befürworten. Und Gott ist Zeuge eines jeden Sprechers (wa-llāh ʿinda lisān
828 Ḥamawiyya, MF 5/15f.; Ed. Tuwayǧirī 221–223. 829 Siehe oben, Fußnote 740. 830 Ḥamawiyya, MF 5/108; Ed. Tuwayǧirī 528f.
5.3 Welche Konsequenzen für die Theologie ergeben sich?
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kull qāʾil). Aber wir lehnen von diesem dasjenige ab, was der Wahrheit und der Richtigkeit zuwiderläuft und wodurch das Tor geöffnet wird zur Zerstörung der Sunna und des Korans sowie zu einem Sich-Anschließen an die Sinnverdreher (muḥarrifa) unter den Schriftbesitzern. Das über den imām Aḥmad und die Mehrzahl seiner Anhänger textlich Überlieferte ist, dass es im Koran maǧāz-Ausdrücke gibt. Außer von ihm ist von den führenden Gelehrten dazu keine Aussage bekannt. Tatsächlich haben auch eine Gruppe von den Gelehrten, die seine Anhänger waren, und andere als diese, wie z. B. Abū Bakr Ibn Abī Dāwūd [gest. 316/929], Abū l-Ḥasan al-Ḫarazī [gest. 391/1001], Abū l-Faḍl at-Tamīmī [gest. 410/1020] und – soweit ich weiß – auch Ibn Ḥāmid [gest. 403/1012] sowie weitere, die Position vertreten, dass es im Koran keinen maǧāz gibt. Dazu hat sie aber lediglich dasjenige gebracht, was sie von den Sinnverdrehern des Korans an textentstellenden Interpretationen gesehen hatten, welche sie durch Anführen der maǧāz-Theorie zu legitimieren suchten. So entgegneten sie [d. h. die Gelehrten] dem Irrweg und der Verdorbenheit durch Austrocknung der Quelle (bi-ḥasm al-mawādd). Die besten Angelegenheiten sind jedoch der Mittelweg und der Ausgleich (iqtiṣād).“)831
Sowohl Form und Sprachstil als auch der Umstand, dass al-Qāsimī die Schriften Ibn Taymiyyas in der Regel gewissenhaft wiedergibt, deuten darauf hin, dass diese Worte tatsächlich aus dessen Feder stammen.832 Dass Ibn Taymiyya hier verneint, sich jemals gegen den maǧāz ausgesprochen zu haben, könnte daran liegen, dass diese Schrift den explizit maǧāz-kritischen Werken womöglich zeitlich vorausgeht. Aber auch wenn das Zitat nicht auf Ibn Taymiyya zurückgehen oder wenn er seine Meinung zu diesem Thema geändert haben sollte, legt es meiner Ansicht dennoch auf treffende Weise den Hintergrund offen, vor dem die Debatte um die Gültigkeit des maǧāz zu verstehen ist. Damit lässt sich abschließend festhalten, dass das sprachtheoretische maǧāz-Konzept ohne Zweifel als legitimatorisches Instrument einer aus Ibn Taymiyyas Sicht textentstellenden Reinterpretation der Attribute Gottes angeführt wurde, dass es aber letztlich die Frage ist, welchen Raum man dem hermeneutischen Instrument des taʾwīl maǧāzī zuerkennt, die sich entscheidend auf die eigene Position im Attributenlehrenstreit auswirkt. Im obigen Zitat sagt Ibn Taymiyya deutlich, dass er dieses Instrument anerkennt, sofern seine Anwendung einer korrekten Methodik folgt. Was er darunter versteht, hat er in seiner Schrift Madaniyya dargelegt, welche diesbezüglich in Kapitel 6.2.2 eingehend untersucht wird.
831 Zitiert nach: Ǧamāl ad-Dīn al-Qāsimī, Tafsīr al-Qāsimī al-musammā Maḥāsin at-taʾwīl, hrsg. von Muḥammad Fuʾād ʿAbd al-Bāqī, 17 Bde., o.O.: Dār Iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1957, 17/6156 (zu Koran 89:22. 832 Auch aš-Šuǧayrī und Yūsuf al-Qaraḍāwī zitieren diese Stelle nach al-Qāsimī, wobei sie beide nicht anzweifeln, dass diese Worte auf Ibn Taymiyya zurückgehen. Siehe Šuǧayrī, Dirāsāt luġawiyya, 203; und Yūsuf al-Qaraḍāwī, Fuṣūl fī l-ʿaqīda bayna s-salaf wa-l-ḫalaf. Āyāt wa-aḥādīṯ aṣ-ṣifāt al-awliyāʾ wa-karāmātuhum - al-qubūr wa-mubtadaʿātuhā - at-tawassul, Kairo: Maktabat Wahba, 2005, 175.
6 Hermeneutische Grundlagen 6.1 Der Vers 3:7 – Ibn Taymiyyas Verständnis der Begriffe muḥkam, mutašābih und taʾwīl Die folgenden Ausführungen gliedern sich wie folgt: Zuerst werden der Vers 3:7833 und die damit verbundenen exegetischen Schwierigkeiten beleuchtet. Anschließend wird auf die in diesem Kontext relevante Sekundärliteratur eingegangen, wobei eine in der Forschung oft wiederholte, meines Erachtens in dieser Form jedoch unhaltbare Behauptung im Fokus stehen wird. Die Kritik an ihr wird indes erst nach der Darstellung der Ansichten Ibn Taymiyyas zu dem Vers 3:7 – dem vornehmlichen Zweck dieses Abschnitts – ausgeführt und untermauert. Dabei werden auch die Ansichten aṭ-Ṭabarīs und az-Zamaḫšarīs aufgezeigt, und zwar in dem zur Erläuterung der Kritik nötigen Ausmaß. Dem Vers 3:7 wurde in der islamischen Tradition ohne Zweifel besondere Beachtung geschenkt.834 Schon der frühe Exeget aṭ-Ṭabarī weiß von einer erstaunlichen Vielfalt an Interpretationen zu berichten, wird dabei aber von dem Gelehrten Abū Ḥayyān (gest. 745/1344), einem Zeitgenossen Ibn Taymiyyas, noch übertroffen. Dieser listet alleine zu dem in dem Vers vorkommenden Begriffspaar muḥkam/mutašābih rund zwanzig Interpretationen auf.835 Der Streit um die korrekte Deutung des Verses entzündete sich aber nicht nur zu diesem Begriffspaar, 833 Diese Angabe richtet sich nach der heute gängigen kufischen Zähltradition der Verse, der auch die Kairiner Standardausgabe des Korans (erstm. ersch. 1342/1924) folgt. In der Sekundärliteratur wird der Vers selten auch als 3:6 ausgegeben, was mit der syrischen (šāmī) Zähltradition übereinstimmt. In der Koranausgabe von Gustav Flügel (gest. 1870), die sich auf keine der islamischen Zähltraditionen stützt, wird der Vers als 3:5 ausgewiesen. In der Orientalistik galt diese Edition bis mindestens zum Erscheinen der Kairiner Ausgabe als autoritativ, und so findet sich diese Zählung vor allem in älteren Beiträgen, z. B. in denen von Ignaz Goldziher (gest. 1921). 834 So werden die in ihm vorkommenden Begriffe muḥkam und mutašābih, die in der Regel als Gegensatzpaar aufgefasst werden, in den Werken des tafsīr, der Koranwissenschaften (ʿulūm al-Qurʾān) und der Rechtstheorie (uṣūl al-fiqh) behandelt. Auch wurden der Thematik eigene Werke gewidmet, vor allem von muʿtazilitischen Autoren (siehe dazu unten, S. 197), aber auch z. B. von dem frühen Exegeten Muqātil Ibn Sulaymān (gest. 150/767). Diese tragen meist Titel wie Mutašābih al-Qurʾān und sind nicht zu verwechseln mit den Kompilationen ähnlich lautender Koranverse, die als Merkhilfe für den Koranrezitator gedacht sind und ebenfalls meist mit Mutašābih al-Qurʾān tituliert wurden. Zu Muqātils Werk, das teilweise erhalten ist, siehe van Ess, Der Eine und das Andere, 1/652–654 und die Literatur dazu in Fußnote 151. Zu den Werken der Muʿtaziliten siehe Bruce Fudge, Qurʾānic Hermeneutics. Al-Ṭabrisī and the Craft of Commentary, London und New York: Routledge, 2011, 114–142, v. a. 115f. 835 Siehe Muḥammad Ibn Yūsuf Abū Ḥayyān, Tafsīr al-Baḥr al-muḥīṭ, hrsg. von ʿĀdil ʿAbd alMawǧūd u. a., 8 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 1993, 2/396f. https://doi.org/10.1515/9783110623673-006
6.1 Der Vers 3:7
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sondern auch zu dem in diesem Vers verwendeten Ausdrücken taʾwīl, umm alkitāb, ar-rāsiḫūna fī l-ʿilm, fitna und zayġ sowie darüber hinaus auch um einen Abschnitt, dessen Sinn sich ändert, je nachdem, ob man bei seiner Lesung an einer bestimmten Stelle eine Rezitationspause836 macht oder nicht. Da die nach dem Terminus taʾwīl aufgezählten vier Ausdrücke im Kontext dieser Arbeit weniger relevant sind, werden sie hier nicht weiter diskutiert, sondern nachfolgend in der in den deutschen Koranübertragungen üblichen Art und Weise übersetzt, die sich auch mit dem Verständnis Ibn Taymiyyas deckt. Anders verhält es sich mit den drei erstgenannten Ausdrücken muḥkam, mutašābih und taʾwīl. In der Forschung werden die ersten beiden oftmals als ein Gegensatzpaar verstanden, wobei ersterer gewöhnlich mit eindeutig (engl. decisive, frz. clair) und letzterer mit mehrdeutig (engl. ambiguous, frz. èquivoque) übersetzt wird.837 Der Ausdruck taʾwīl hingegen findet sein Äquivalent meist in dem Begriff Deutung (engl. interpretation, frz. interpretation). Tatsächlich deckt sich dieses Verständnis mit einer in der islamischen Tradition weit verbreiteten Lesart dieser Begriffe.838 Trotzdem erfordert die Komplexität der Debatte um diesen Vers, den Bedeutungsumfang der arabischen Begriffe im Gesamten zu berücksichtigen.839 Daher muss auf eine Übersetzung, die dies wegen der Mehrdeutigkeit dieser Ausdrücke nicht leisten kann, verzichtet werden. Die folgende Übertragung des Verses 3:7 ins Deutsche berücksichtigt seine Bedeutung, insofern er mit besagter Rezitationspause gelesen wird, wobei der Abschnitt, dessen Sinn von der Pause abhängt, kursiv formatiert ist: Er [d. h. Gott] ist derjenige, Der auf dich [d. h. den Propheten Muḥammad] das Buch (kitāb) herabsandte. Zu ihm gehören Verse, welche muḥkam sind – diese sind die Grundlage des Buches (umm al-kitāb; wörtl. Mutter des Buches) – und andere, welche mutašābih sind. Diejenigen nun, die in ihren Herzen Krankheit (zayġ; wörtl. Abschweifung) haben, folgen dem, was von ihm [d. h. dem Buch] mutašābih ist im Verlangen nach Zwietracht (fitna) und im
836 Damit ist eine Unterbrechung gemeint, die die Funktion des Punktes einnimmt, also das Ende des Satzes signalisiert. 837 So wird in der dritten Auflage der Encyclopaedia of Islam der mutašābih-Ausdruck nicht mehr unter dem gleichlautenden Stichwort behandelt, sondern unter Ambiguity. Siehe Eric Chaumont, Ambiguity, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2013 (4), 50b–54a. 838 Afnan Fatani jedoch vertritt die extravagante These, die Begriffe mutašābih und ambigiuous träfen sich semantisch nicht und ersterer sei darüber hinaus auch von der islamischen Tradition nie auf diese Weise verstanden worden; siehe Afnan Fatani, Aya, in: Oliver Leaman (Hrsg.), The Qurʾān. An Encyclopedia, London und New York: Routledge, 2006, 85b–103, hier 97b–98a. 839 Die Nichtberücksichtigung der Mehrdeutigkeit v. a. der Begriffe mutašābih und taʾwīl ist Ursache einer in der Sekundärliteratur verbreiteten Fehlannahme, auf die später noch eingegangen wird.
180 | 6 Hermeneutische Grundlagen
Verlangen nach seinem taʾwīl. Doch niemand kennt seinen taʾwīl außer Gott. [Rezitationspause] Und die im Wissen fest Verankerten (ar-rāsiḫūna fī l-ʿilm) sagen: „Wir sind von seiner Wahrheit tief überzeugt, es stammt alles von unserem Herrn.“ Doch nur die Einsichtigen lassen sich ermahnen.
Unterlässt man die Rezitationspause jedoch, so liest sich der kursiv markierte Abschnitt wie folgt: „Doch niemand kennt seinen taʾwīl außer Gott und die im Wissen fest Verankerten. Sie sagen: [...].“ Die Antwort auf die Frage, ob der Vers 3:7 neben Gott auch zumindest einem Teil Seiner Schöpfung die Kenntnis des taʾwīl der mutašābih-Verse zuschreibt oder nicht, hängt also davon ab, ob man als Leser an der entsprechenden Stelle pausiert oder in einem Atemzug weiterliest. In der Tradition finden sich alle vier theoretisch möglichen Meinungen zu der Rezitationspause. So sah sie z. B. aṭ-Ṭabarī als verbindlich an. Er argumentierte dabei u. a. mit zwei vor-ʿuṯmānischen Lesarten, die die im ʿuṯmānischen Konsonantentext gründende Ambiguität840 entweder durch eine veränderte Syntax oder durch eine Worthinzufügung beseitigen, sodass der Vers nun – ganz gleich, ob er mit oder ohne Rezitationspause gelesen wird – in eindeutiger Weise Gott allein die Kenntnis des taʾwīl zuerkennt.841 Da aṭ-Ṭabarī die Edition des verschriftlichten Korans durch ʿUthmān Ibn ʿAffān (reg. 23–35/644–56) aber selbst als die einzig verbindliche ansah, glaubte er wohl selbst nicht daran, mit diesem Argument den Streit um die 840 So können Lesarten, die mit dem ʿuṯmānischen Text im Einklang stehen, diese Mehrdeutigkeit nicht aufheben. Auch kann die Literatur, die sich mit der Thematik des Aussetzens und Beginnens der Koranrezitation (al-waqf wa-l-ibtidāʾ) auseinandersetzt, kein letztgültiges Urteil fällen, da sie sich nach ihrem Selbstverständnis lediglich auf den iǧtihād und nicht etwa auf allgemeinverbindliche Offenbarungstexte stützt. So lässt sich auch erklären, warum die heutzutage stark verbreitete Koranedition aus Medina (erstm. ersch. 1985) laut Angaben der Herausgeber an insgesamt 555 Stellen den Grad der Verbindlichkeit einer Rezitationspause (verbindlich - empfohlen - optional - nicht empfohlen - verboten) anders bewertet als die Kairiner Standardausgabe des Korans (erstm. ersch. 1924). Darunter fällt auch diejenige im Vers 3:7, die von erstgenannter Koranedition als empfohlen und von letztgenannter als verbindlich eingestuft wird. Siehe dazu ʿAbd al-ʿAzīz Qāriʾ, at-Taqrīr al-ʿilmī ʿan muṣḥaf al-Madīna an-nabawiyya, Medina: Wizārat al-Ḥaǧǧ wa-l-awqāf, 1985, 51 und 54f. 841 Siehe Ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Tafsīr aṭ-Ṭabarī. Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān, hrsg. von Maḥmūd Šākir/Aḥmad Šākir, bis jetzt 16 Bde., Kairo: Dār al-Maʿārif, 1954–, 6/204. In der einen Lesart, die aṭ-Ṭabarī den Prophetengefährten Ubayy Ibn Kaʿb (gest. zw. 19/640 und 35/656) und Ibn ʿAbbās (gest. 68/687-8) zuschreibt, heißt es wa-yaqūlu r-rāsiḫūna statt wa-r-rāsiḫūna yaqūlūna. Die andere Lesart, die auf Ibn Masʿūd (gest. 32/652-3 oder 33/653-4) zurückgehen soll, gibt Folgendes vor: inna taʾwīlahū illā ʿinda llāhi wa-r-rāsiḫūna fī-l-ʿilmi yaqūlūna. Die Disambiguierung erfolgt dadurch, dass durch die Hinzufügung der Präposition ʿinda eine Kasusungleichheit zwischen den Begriffen Allāhi und ar-rāsiḫūna entsteht, sodass deren konjunktionale Verkettung ausgeschlossen werden kann.
6.1 Der Vers 3:7
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181
Rezitationspause beenden zu können.842 Keinesfalls ausschließlich, aber doch vor allem im muʿtazilitischen Lager finden sich die Gegner der Rezitationspause. Zu ihnen gehört az-Zamaḫšarī, der dem Vers 3:7 in seinem Werk al-Kaššāf jedoch relativ wenig Raum widmet und auch seine Ablehnung der Pause nicht durch Argumente zu untermauern versuchte. Möglicherweise erachtete er dies als entbehrlich, da eine ablehnende Haltung gegenüber der Pause bis in die Frühzeit des Islams – schon aṭ-Ṭabarī listete sie auf – zurückverfolgt werden kann.843 Die dritte Meinung stuft die Rezitationspause als optional ein und kann somit als ein Mittelweg betrachtet werden. Diesen beschreitet, neben anderen Gelehrten, Ibn Taymiyya, wie später noch ausgeführt wird. Die vierte Haltung, die man in dieser Frage haben kann, soll der šāfiʿitische Uṣūl-Gelehrte al-Qaffāl aš-Šāšī (gest. 365/976) vertreten haben, dem nachgesagt wird, zumindest zeitweise Muʿtazilit gewesen zu sein. Er soll in einem seiner Uṣūl-Werke die Ansicht geäußert haben, dass die Argumente für und gegen die Rezitationspause gleichstark sind, und die Angelegenheit daher unentscheidbar ist.844 Ibn Taymiyya hat die hier vorliegende Thematik an vielen Stellen seiner Werke aufgegriffen, wobei er sie in der Regel nur spärlich ausführt. Eingehend und zusammenhängend verdeutlicht er seine Position in der eigens dieser Thematik gewidmeten Schrift Iklīl, aber auch in der zweiten Hälfte des achten Bandes von Bayān sowie in den Schriften Iḫlāṣ und Tadmuriyya.845 Die folgende Darstellung seiner Ansichten fußt zwar nicht ausschließlich, aber doch vornehmlich auf diesen Texten. In der Sekundärliteratur wurden Ibn Taymiyyas Ansichten zum Vers 3:7 trotz dieser umfangreichen Quellenlage meines Wissens nach nur am Rande behandelt. Die Dissertationsschrift Carl El-Tobguis stellt hierzu eine Ausnahme dar, wobei in ihr jedoch aufgrund ihres thematischen Rahmens ausschließlich Ibn Taymiyyas Werk Darʾ herangezogen wurde.846 Erwähnt sei noch der Artikel von Michel Lagarde, der zwar die Ansichten von Muḥammad ʿAbduh (gest. 1323/1905) darstellt, jedoch bemerkt, dass diese mit denen Ibn Taymiyyas weitgehend identisch sind.847 842 So sagt er, dass die vor-ʿuṯmānischen Lesarten zwar der Offenbarung entspringen, indes keine gesicherte Überlieferung erfahren haben. Siehe ebd., 1/64. 843 Siehe Andrew Lane, A Traditional Muʿtazilite Qurʾān Commentary. The Kashshāf of Jār Allāh al-Zamakhsharī (d. 538/1144), Leiden und Boston: Brill, 2006, 108–113. 844 Dies wird berichtet bei u. a. az-Zarkašī (gest. 794/1392). Siehe Badr ad-Dīn az-Zarkašī, al-Baḥr al-muḥīṭ fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von ʿAbd al-Qādir al-ʿĀnī, 2. Aufl., 11 Bde., Hurghada: Dār aṣ-Ṣafwa, 1992, 1/445. 845 Siehe Iklīl, MF 13/270–313; Bayān 8/215–549, v. a. 337–549; Iḫlāṣ, MF 17/359–448; Tadmuriyya, MF 3/54–68; Ed. Saʿawī 89–116. 846 Siehe El-Tobgui, Reason, 202–209. 847 Siehe Michelle Lagarde, De l’ambiguïte (mutašābih) dans le Coran. Tentatives d’explication des exégètes musulmans, in: Quaderni di Studi Arabi 3 (1985), 45–62, hier 54.
182 | 6 Hermeneutische Grundlagen 6.1.1 Der Ausdruck taʾwīl Das Wort taʾwīl ist das Verbalsubstantiv des II. Stammes der Wurzel ʾ-w-l. Laut Ibn Taymiyya bedeutet das Verb des I. Stammes āla zu etwas zurückkehren‘ (ʿāda ilā ’ kaḏā oder raǧaʿa lahū), während es sich beim II. Stamm um die Transitivierung (taʿdiya) dieser Bedeutung handele, also etwas zu etwas zurückkehren lassen‘ .848 ’ Darüber hinaus lässt er wissen, dass der Ausdruck taʾwīl ein äquivoker (muštarak) Begriff ist, da er im Sprachgebrauch auf drei ganz unterschiedliche Weisen erscheint, wobei nur die im Folgenden zuletzt dargestellte Weise einen direkten Bezug zu der eben ausgeführten sprachlichen Grundbedeutung des Ausdrucks taʾwīl hat. Der Begriff taʾwīl findet erstens als fachspezifischer Terminus innerhalb des kalām Verwendung. Dort wird er definiert als das Abwenden eines Ausdrucks ’ weg von der wahrscheinlichen Bedeutung hin zu der unwahrscheinlicheren Bedeutung aufgrund eines mit ihm [d. h. dem Ausdruck] verknüpften Hinweises‘ (ṣarf al-lafẓ ʿan al-maʿnā r-rāǧiḥ ilā l-maʿnā l-marǧūḥ li-dalīl yaqtarinu bihī).849 Ein derartiger Gebrauch des Begriffes taʾwīl ist laut Ibn Taymiyya nicht vor Ende des dritten Jahrhunderts islamischer Zeitrechnung anzusetzen. Zwar haben Gelehrte späterer Generationen den Ausdruck taʾwīl in Vers 3:7 auf diese Weise verstanden, dabei handelt es sich jedoch, so Ibn Taymiyya, um eine grobe anachronistische Fehlinterpretation.850 In der zweiten Bedeutung, die dem Begriff taʾwīl zukommt, ist er synonym zu dem Begriff tafsīr oder steht ihm zumindest semantisch nahe. Den Ausdruck tafsīr setzt Ibn Taymiyya gleich mit bayān (Klarlegung) und īḍāḥ (Verdeutlichung).851 Taʾwīl in diesem Sinne bedeutet somit, das Intendierte einer Rede (al-murād bi-lkalām) klarzulegen und zu verdeutlichen. Die Bedeutung (maʿnā) einer Rede wird in einem mentalen Bild (ṣūra ʿilmiyya) im Kopf des Rezipienten repräsentiert.852 Dieser fasst das Bild dann wieder in Worte, und insofern es mit der intendierten Bedeutung der Rede übereinstimmt, handelt es sich um einen korrekt durchgeführten taʾwīl. Der taʾwīl einer Rede im Sinne des tafsīr besteht also – anders als bei der dritten Bedeutung, die gleich in den Fokus rücken wird – selbst auch aus einer 848 Iklīl, MF 13/291. 849 Iklīl, MF 13/288. Siehe auch Fußnote 727 in vorliegender Arbeit. Diese Art des taʾwīl wird hier als taʾwīl maǧāzī bezeichnet; siehe oben, Fußnote 726. Die Bedingungen, die Ibn Taymiyya an seine Gültigkeit knüpft, werden weiter unten in Kapitel 6.2.2 besprochen. 850 Iklīl, MF 13/288 und Iḫlāṣ, MF 17/401. 851 Bayān 8/278. 852 Iklīl, MF 13/283.
6.1 Der Vers 3:7
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183
Rede (min ǧins al-kalām)853 und existiert daher, wie Ibn Taymiyya an anderer Stelle mit Rückgriff auf das vierstufige Seinsmodell schreibt, ausschließlich in mentaler, mündlicher oder schriftlicher Form (lahū l-wuǧūd aḏ-ḏihnī wa-l-lafẓī wa-r-rasmī).854 Der Ausdruck taʾwīl in diesem Sinne ist im Sprachgebrauch der salaf und speziell auch der frühen Exegeten wie Muǧāhid (gest. 104/722) und aṭ-Ṭabarī zu finden.855 Darüber hinaus kommt er im Koran an einer einzigen Stelle in dieser Bedeutung vor, und zwar im Vers 3:7, sofern dieser ohne Rezitationspause gelesen wird.856 Diese Art von taʾwīl der mutašābih-Verse kennen also, neben Gott, auch die im Wissen fest Verankerten. Es ist Ibn Taymiyya ein besonderes Anliegen zu zeigen, dass eine korrekte Darlegung der intendierten Bedeutung der koranischen Rede maximal voraussetzungsreich, jedoch niemals unmöglich ist. Der Begriff taʾwīl in Vers 3:7 muss daher bei Einhaltung der Rezitationspause etwas anderes als tafsīr bedeuten. Damit soll nun zu der dritten Weise, in der das Wort taʾwīl benutzt werden kann, übergeleitet werden. Hier ist der Ausdruck taʾwīl, wie schon erwähnt, eng verknüpft mit der oben ausgeführten sprachlichen Grundbedeutung des Begriffs. So schreibt Ibn Taymiyya: Hier bezeichnet der taʾwīl dasjenige, zu dem die Rede zurückgebracht wurde oder zu dem die Rede zurückgebracht werden wird oder zu dem sie selbst zurückkehrt. Und die Rede kehrt zurück (yarǧiʾu) und kommt zurück (yaʿūdu) und findet ihren endgültigen Verweilort (yastaqirru) und kehrt wieder (yaʾūlu) und wird zurückgeführt (yuʾawwalu) ausschließlich auf ihre Wirklichkeit (ḥaqīqa), welche ihr Denotat (ʿayn al-maqṣūd bihī) ist. So erklärten manche der salaf Seine Worte „Jede Botschaft hat einen Bestimmungsort (li-kulli nabaʾin mustaqarrun )“857 mit „[Jede Botschaft hat] eine ḥaqīqa (Wirklichkeit).“858
853 Iḫlāṣ, MF 17/369. 854 Iklīl, MF 13/289. 855 Iklīl, MF 13/288–289. Ibn Taymiyya bemerkt, dass spätere Exegeten wie aṯ-Ṯaʿlabī (gest. 427/1035), al-Baġawī (gest. 516/1122) und Ibn al-Ǧawzī semantische Unterschiede zwischen den Begriffen taʾwīl und tafsīr ausgemacht haben wollen. Diese führt er an und diskutiert sie teilweise; siehe Iḫlāṣ, MF 17/367f., und ausführlicher in Bayān 8/263–281. Dabei lobt Ibn Taymiyya Ibn alǦawzī dafür, dass er bei seinen Ausführungen zum Vers 3:7 den Begriff taʾwīl im Sinne des später aufkommenden Fachterminus der kalām-Wissenschaft unerwähnt ließ; siehe Bayān 8/269. 856 Wie weiter unten noch ausgeführt wird, geht Ibn Taymiyya ausführlich auf das Wort taʾwīl im Koran ein, in dem es insgesamt siebzehn mal Verwendung findet. Claude Gilliot zählt achtzehn Stellen, dabei handelt es sich jedoch um einen Fehler; siehe Claude Gilliot, Exegesis of the Qurʾān. Classical and Medieval, in: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.), Encyclopaedia of the Qurʾān, Bd. 2, Leiden und Boston: Brill, 2002, 99b–124a, hier 100a. 857 Koran 6:67. 858 Iklīl, MF 13/293f.
184 | 6 Hermeneutische Grundlagen Laut Ibn Taymiyya ist der taʾwīl einer Rede also das mit der intendierten Bedeutung einer Rede korrespondierende Objekt oder Ereignis in der realen Welt – und dies unabhängig davon, ob dieses Objekt/Ereignis schon existiert bzw. eingetreten ist oder nicht.859 Handelt es sich um einen wahren Aussagesatz, wie z. B. Die ’ Sonne ist aufgegangen‘ , so ist sein taʾwīl der Sonnenaufgang selbst. Sollte der im Aussagesatz dargestellte Sachverhalt erlogen sein, dann gibt es auch kein mit der intendierten Bedeutung korrespondierendes Objekt und folgerichtig auch keinen taʾwīl.860 Der taʾwīl eines Aufforderungssatzes hingegen ist die Handlung, zu deren Durchführung aufgefordert wird. Auch hier übersteigt der Begriff taʾwīl die semantische Ebene, da er die ontologisch realisierte Handlung bezeichnet, auf die die intendierte Bedeutung des Aufforderungssatzes verweist. Ibn Taymiyya versteht somit die Aussage as-sunna taʾwīl al-amr wa-n-nahy, die er Sufyān Ibn ʿUyayna (gest. 196/811) zuschreibt, in dem Sinne, dass die sunna des Propheten die Umsetzung und Realisierung der im Koran erwähnten Ge- und Verbote darstellt.861 So gebietet der Koran z. B. die Verrichtung des Gebets, wobei dann in der sunna der eigentliche Akt seiner Verrichtung stattfindet, und zwar in genau der Weise, die der Koran intendiert hatte. Jedoch verfügt nicht nur Rede über einen taʾwīl, sondern auch Träume und Handlungen. Träume, sofern sie wahr sind, beziehen sich, wie die Rede, auf ein extramentales Objekt. Ibn Taymiyya führt hier u. a. die im Koran festgehaltene Aussage des Propheten Yūsuf an, der die Niederwerfung mancher seiner Familienmitglieder als den taʾwīl seines Traumes bezeichnete.862 Der taʾwīl von Wahrträumen ist damit also das in der Außenwelt existierende Objekt selbst, auf das der Traum verweist (nafs madlūl ar-ruʾyā).863 Der taʾwīl von Handlungen hingegen ist dasjenige, was sich aus ihnen ergibt, also deren Ausgang und Folge (ʿāqiba wa-maṣīra). Um dies zu untermauern, führt Ibn Taymiyya u. a. die koranische Geschichte von Moses und al-Ḫiḍr an. Demnach vollzieht al-Ḫiḍr eine Reihe von Handlungen, deren Sinnhaftigkeit Moses hinterfragt. Daher erläutert ihm al-Ḫiḍr die Konsequenzen seiner Taten, wobei er diese explizit als deren taʾwīl identifiziert.864 Sowohl die zweite als auch die dritte Bedeutung des Ausdrucks taʾwīl findet sich laut Ibn Taymiyya im Vers 3:7. Hält man die Rezitationspause ein, dann besagt der Vers, dass allein Gott den taʾwīl kennt, und so muss der Begriff gemäß der 859 Iklīl, MF 13/289f. 860 Iklīl, MF 13/294. 861 Iḫlāṣ, MF 17/368, auch Tadmuriyya, MF 3/56f.; Ed. Saʿawī 94. 862 Siehe Koran 12:100. Der Traum selbst wird in Koran 12:4 beschrieben. 863 Iḫlāṣ, MF 17/290. 864 Iḫlāṣ, MF 17/291. Siehe auch Koran 18:65–82, wobei der Begriff taʾwīl in 18:78 und 18:82 gebraucht wird.
6.1 Der Vers 3:7
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dritten Bedeutung verstanden werden (im Folgenden bezeichnet als ontischer taʾwīl). Wird der Vers jedoch so gelesen, dass auch die im Wissen fest Verankerten Kenntnis des taʾwīl haben, so hat der Begriff die zweite Bedeutung (im Folgenden bezeichnet als semantischer taʾwīl).865 „Ein Mensch“, so schreibt Ibn Taymiyya, „kennt vielleicht den tafsīr [d. h. den semantischen taʾwīl] einer Rede sowie ihre Bedeutung, deswegen kennt er jedoch nicht zwangsläufig auch ihren ontischen taʾwīl. Denn [die Kenntnis über den ontischen] taʾwīl erfordert das Wissen über die extramental existierende Quiddität (al-māhiya al-mawǧūda fī l-ḫāriǧ) und die Unterscheidung zwischen ihr und anderen [ihr ähnlichen Quidditäten].“866 So reiche es nicht, die Verse und prophetischen Aussprüche über die Örtlichkeiten und die korrekte Verrichtung der Pilgerfahrt hinsichtlich ihrer semantisch intendierten Bedeutung verstehen, um auch den ontischen taʾwīl von Ausdrücken wie Kaʿba, aṣṢafā und al-Marwa zu kennen.867 Wie bei der Erläuterung des mutašābih-Begriffs noch ausführlich dargestellt wird, geht es Ibn Taymiyya darum, die Erkennbarkeit der intendierten Bedeutung der koranischen Rede zu bewahren und das NichtErkennbare ausschließlich auf die ontischen Eigenschaften der von dieser Rede angesprochenen Objekte oder Ereignisse, insofern sie entweder zukünftig oder metaphysisch sind, zu begrenzen. Es ist unstrittig, dass die erste Bedeutung des Begriffs taʾwīl in der Frühzeit des Islams unbekannt war und sich somit auf eine spätere Konvention gründet.868 Ebenso ist nicht daran zu zweifeln, dass die Begriffe taʾwīl und tafsīr, so wie Ibn Taymiyya das ausführt, in dieser Zeit synonym verwendet wurden.869 Komplizierter wird es, wenn man die dritte von ihm vorgebrachte Bedeutung des Ausdrucks taʾwīl mit den Ansichten früherer Gelehrten vergleicht. Zu diesem Zweck sollen nun die für den Vergleich relevanten Standpunkte Ibn Taymiyyas noch mal ins Gedächtnis gerufen werden: Ibn Taymiyya unterscheidet den taʾwīl, der sich auf Handlungen bezieht, von dem, der auf Rede oder Träume referiert. Ersteren setzt er gleich mit dem Ausgang und der Folge (ʿāqiba wa-maṣīra) der Handlung. Letzteren mit dem das der intendierten Bedeutung einer Rede oder eines Traumes korrespondierenden Objekt in der extramentalen Welt, wobei er hier den taʾwīl 865 Ibn Taymiyya wiederholt dies an vielen Stellen, an einer jedoch besonders griffig: at-taʾwīl al-manfī ġayr at-taʾwīl al-muṯbat. Sinngemäß bedeutet das, dass der von der Schöpfung nichtwissbare taʾwīl nicht mit dem wissbaren gleichzusetzen ist. Siehe Iḫlāṣ, MF 17/400. 866 Bayān 8/291. 867 Bayān 8/291. Siehe auch Iḫlāṣ, MF 17/426f. 868 In dieser Bedeutung ist er untrennbar verknüpft mit der ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion, welche im dritten Jahrhundert entstand; siehe dazu die Literatur in der Fußnote 732. 869 Siehe dazu auch z. B. Ismail Poonawala, Taʾwīl, in: Peri Bearman u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. X, Leiden: Brill, 2000, 390a–392a, hier 390b–391a.
186 | 6 Hermeneutische Grundlagen einer Rede in einem Zwischenschritt erst mit ihrer ḥaqīqa gleichsetzt und diese dann mit eindeutigen Ausdrücken wie ʿayn al-maqṣūd bihī,870 nafs al-murād bi-lkalām, nafs aš-šayʾ al-muḫbar bihī 871 und al-māhiya al-mawǧūda fī l-ḫāriǧ.872 Die Gleichsetzung des Ausdrucks taʾwīl mit Ausgang und Folge (ʿāqiba wa-maṣīra) findet sich in unzähligen Schriften von Gelehrten vor Ibn Taymiyya, wobei jedoch nicht unterschieden wird, ob sich der taʾwīl dabei auf Handlungen, Sprache oder Träume bezieht. Die oben genannte Unterscheidung und damit auch die Bedeutung des Ausdrucks taʾwīl als das Denotat einer Rede oder eines Traumes, ist mir in dieser Eindeutigkeit lediglich bei Ibn Taymiyya begegnet.873 So setzt z. B. der frühe Exeget Muqātil Ibn Sulaymān den taʾwīl in der Regel – die Ausnahme wird weiter unten ausgeführt874 – mit der ʿāqiba (Ausgang) gleich.875 Bezugnehmend auf den Vers 3:7 deutet er den taʾwīl, dessen Kenntnis er alleine Gott zuspricht, als die Anzahl der Jahre, die der Gemeinschaft des Propheten Muḥammad bis zum Eintreffen des Jüngsten Tages verbleiben.876 Aṭ-Ṭabarī ist der Meinung, die Araber verstanden den Begriff taʾwīl als at-tafsīr wa-l-marǧaʿ wa-l-maṣīr (der tafsīr [einer Sache], [ihr] Ursprung und [ihre] Folge). Ähnlich wie sein Vorgänger Muqātil setzt er den in Vers 3:7 angesprochenen taʾwīl, dessen Kenntnis auch aṭ-Ṭabarī allein Gott zuerkennt, mit den Zeitpunkten des Eintreffens zukünftiger Ereignisse gleich.877 Einer ähnlichen Lesart folgt auch der zwei Generationen später lebende Sprachgelehrte Ibn Fāris (gest. 395/1004).878 Darüber hinaus scheint auch dem berühmten Lexikographen Ibn Manẓūr (gest. 711/1311) die von seinem Zeitgenossen Ibn Taymiyya vorgebrachte Unterscheidung zwischen dem taʾwīl von Rede und Träumen auf der einen Seite und dem taʾwīl von Handlungen auf der anderen unbekannt zu sein. Er führt verschiedene Koranverse an, in denen der Begriff gebraucht wird, und kommentiert diese mit Aussagen früherer Gelehrter. Dabei wird 870 Siehe das Zitat oben, S. 183. 871 Siehe Iklīl, MF 13/289. 872 Siehe oben, S. 185. 873 Selbst Ibn Taymiyya teilt seinem Leser mit, dass bei der Erläuterung des Begriffs taʾwīl zumindest die Exegeten späterer Generationen (mutaʾaḫḫirū l-mufassirīn) diese Bedeutung unerwähnt ließen. Siehe Iḫlāṣ, MF 17/367f. 874 Siehe Fußnote 885. 875 Siehe Muqātil Ibn Sulaymān, Tafsīr Muqātil Ibn Sulaymān, hrsg. von ʿAbdallāh Maḥmūd Šiḥāta, 5 Bde., Beirut: Muʾassasat at-Tārīḫ al-ʿarabī, 2002, 1/383 (zu Koran 4:59), 2/40 (zu Koran 7:53), 2/530 (zu Koran 17:35), 2/597 (zu Koran 18:78) und 2/599 (zu Koran 18:82). 876 Siehe ebd., 1/264. 877 Siehe Ṭabarī (Ed. Šākir), Tafsīr, 6/200 und 204. 878 Siehe seine Ausführungen über den Unterschied zwischen maʿnā (Bedeutung), tafsīr und taʾwīl in Aḥmad Ibn Fāris, aṣ-Ṣāḥibī fī fiqh al-luġa al-ʿarabiyya wa-masāʾilihā wa-sunan al-ʿarab fī kalāmihā, hrsg. von Aḥmad Ḥasan Basǧ, Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 1997, 144f.
6.1 Der Vers 3:7
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taʾwīl mit mā yaʾūlu ilayhi l-amr gleichgesetzt, also mit demjenigen, auf das eine Angelegenheit zurückgeht. Damit ist aber keineswegs ihre ontologische Realität gemeint, so wie Ibn Taymiyya das versteht, sondern dasjenige, worin eine Angelegenheit ihren Ursprung und ihre Folge (al-marǧaʿ wa-l-maṣīr) findet.879 Gemäß dem Sprachgelehrten Ḥammād al-Ǧawharī (gest. 393/1002-3) muss der taʾwīl sogar nicht unbedingt als der Ursprung bzw. Folge selbst verstanden werden, sondern kann sich lediglich auf deren Erläuterung beziehen (at-taʾwīl tafsīr mā yaʾūlu ilayhi š-šayʾ).880 Nichts anderes vertritt der māturīditische Gelehrte Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār (gest. 534/1139), wenn er den taʾwīl als bayān mā yaʾūlu ilayhi l-ʿāqiba fī l-murād verstanden wissen will.881 Tatsächlich kann der Begriff taʾwīl in allen Versen, die Ibn Taymiyya zur Untermauerung seiner Ansichten zitiert, problemlos auch in den von Ibn Manẓūr oder von al-Ǧawharī bzw. aṣ-Ṣaffār vorgebrachten Bedeutungen verstanden werden. Auch in der von mir konsultierten europäischsprachigen Forschungsliteratur wird der Begriff ausführlich diskutiert. Die Auffassung, der taʾwīl einer Rede sei mit ihrem Denotat gleichzusetzen, bleibt hier jedoch gänzlich unerwähnt.882 Damit soll nicht gesagt sein, dass Taymiyya der erste war, der den taʾwīl einer Rede als ihre ḥaqīqa verstand. Schon aṭ-Ṭabarī berichtet, dass Ibn Zayd883 den Ausdruck taʾwīl in den koranischen Aussagen an dem Tag, an dem sein taʾwīl kommt‘ ’ (Koran 7:53), und niemand kennt seinen taʾwīl außer Gott‘ (Koran 3:7) mit dem ’ Ausdruck ḥaqīqa gleichgesetzt hat.884 Was aber ist die ḥaqīqa eines mutašābih879 Diese Konsequenzen werden auch exemplifiziert, so sind diese z. B. Gottes Belohnung bzw. Bestrafung oder aber das Hereinbrechen des Jüngsten Tages und die darauffolgenden Ereignisse. Siehe Muḥammad Ibn Manẓūr, Lisān al-ʿarab, hrsg. von ʿAbdallāh ʿAlī al-Kabīr/Muḥammad Aḥmad Ḥasb Allāh/Hāšim Muḥammad aš-Šāḏilī, 6 Bde., Kairo: Dār al-Maʿārif, o. J., 1/172b. 880 Siehe ebd., 172b. 881 Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār, Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tawḥīd, hrsg. von Angelika Brodersen, 2 Bde., Beirut: Orient-Institut Beirut, 2011, 2/794 Z.5–11. Brodersen gibt das korrekte Todesdatum im arabischen Vorwort an (siehe 1/7), im unpaginierten deutschen Vorwort (Ende von Band 2) und auch auf dem Titelblatt jedoch fälschlicherweise als 543/1139. 882 Siehe z. B. Hussein Abdul-Raof, Schools of Qur’anic Exegesis, London und New York: Routledge, 2010, 102–110; Poonawala, Taʾwīl; Gilliot, Exegesis; und Adnan Demircan/Atay Rifat, Tafsir in Early Islam, in: Oliver Leaman (Hrsg.), The Qurʾān. An Encyclopedia, London und New York: Routledge, 2006, 624a–631. 883 Damit ist ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Zayd Ibn Aslam al-Madanī (gest. 182/798-9) gemeint, dessen Korankommentar aṭ-Ṭabarī möglicherweise vorliegen hatte. Siehe Heribert Horst, Zur Überlieferung im Korankommentar aṭ-Ṭabarīs, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 103 (1953), 290–307, hier 305 und 307. 884 Ṭabarī (Ed. Šākir), Tafsīr, 12/479f. Ibn Abī Ḥātim (gest. 327/939) überliefert in seinem Korankommentar hingegen, dass selbiger Ibn Zayd den Begriff taʾwīl im Vers 3:7 im Sinne von taḥqīq (Realisierung) verstanden hat. ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Abī Ḥātim, Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm musnadan
188 | 6 Hermeneutische Grundlagen Verses? Ist damit tatsächlich, wie Ibn Taymiyya behauptet, die ontische Realität des mit der Bedeutung des Verses korrespondierenden Objekts in der Außenwelt gemeint? Sprachlich ist das möglich, und vielleicht hatte auch Ibn Zayd diese Bedeutung im Sinn. Vielleicht meinte er aber auch bloß die dem Vers tatsächliche oder wirklich zukommende Bedeutung, die nur Gott in umfassender Weise kennt. Diese kann dann auch die Beschreibung der ontischen Eigenschaften beinhalten, der taʾwīl ist dann aber nicht das Denotat selbst, sondern lediglich dessen tiefgehender tafsīr.885 Das ist ein substanzieller Unterschied zu Ibn Taymiyya, auch wenn er sich bei der Interpretation des Ausdrucks mā yaʿlamu taʾwīlahū illā llāh in Vers 3:7 nicht auswirkt. Es bleibt also die Erkenntnis, dass die Gleichsetzung des Ausdrucks taʾwīl einer Rede mit ihrer ḥaqīqa und dann deren Gleichsetzung mit der ontischen Wirklichkeit des Denotats in dieser Eindeutigkeit mit Ibn Taymiyya ihren Anfang gefunden zu haben scheint.886 Die nun folgenden Ausführungen zu den Begriffen muḥkam und mutašābih zeigen, dass die Art und Weise, wie Ibn Taymiyya den Ausdruck taʾwīl interpretiert, es ihm erlaubt, den Vers 3:7 – unabhängig davon, ob er mit der Rezitationspause gelesen wird oder nicht – zur Stützung seiner Attributenlehre heranzuziehen.
ʿan rasūl Allāh ṣallā llāh ʿalayhi wa-sallama wa-ṣ-ṣaḥāba wa-t-tābiʿīn, hrsg. von Asʿad aṭ-Ṭayyib, 9 Bde., Riad: Maktabat Nizār Muṣṭafā l-Bāz, 1997, 2/598, Überlieferungsnummer 3204. 885 Dieses Verständnis von taʾwīl ist mehrfach bezeugt; siehe z. B. die Unterredung zwischen dem Ismailiten Abū Ḥātim ar-Rāzī (gest. 322/934-5) und dem Philologen Ṯaʿlab (gest. 291/904), dargestellt in Poonawala, Taʾwīl, 391a. Auch Muqātils Interpretation des Verses 12:37 läuft darauf hinaus. Dort heißt es: „Keine Speise wird zu euch beiden kommen, außer dass ich euch zuvor über ihren taʾwīl berichte.“ Diesen zu berichten bedeutet nach Muqātil, über Arten bzw. Farben (alwān) der Speise Auskunft zu geben; siehe Muqātil, Tafsīr, 2/334. Auch ar-Rāġib al-Aṣfahānī (gest. nach 409/1018) lässt wissen, dass der Gott vorbehaltene taʾwīl von manchen als dasjenige verstanden worden ist, „worauf die Wesenheiten der Dinge zurückgehen hinsichtlich ihrer Quiddität, ihrer Zeiten [in denen sie existieren] und vieler ihrer Zustände (mā taʾūlu ilayhi ḥaqāʾiq al-ašyāʾ min kayfiyyātihā wa-azmānihā wa-kaṯīr min aḥwālihā)“. Abū l-Qāsim ar-Rāġib al-Aṣfahānī, Muqaddimat Ǧāmiʿ at-tafāsīr maʿa tafsīr al-Fātiḥa wa-maṭāliʿ al-Baqara, hrsg. von Aḥmad Ḥasan Faraḥāt, Kuwait: Dār ad-Daʿwa, 1984, 87. Ein ähnliches Verständnis des Ausdrucks taʾwīl schreibt der Muʿtazilit ʿAbd al-Ǧabbār seinem Schulkollegen Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī zu; siehe ʿAbd al-Ǧabbār, Muġnī, 16/379. 886 Nach ihm findet sich das in unzähligen Werken, vor allem in denen moderner Autoren, aber auch schon z. B. bei dem ḥanafitischen Gelehrten Ibn Abī l-ʿIzz (gest. 792/1390). Dass er sich in seinen Ausführungen auf Ibn Taymiyya stützt, ist mehr als offensichtlich, auch wenn er ihn nicht explizit erwähnt; siehe Ibn Abī l-ʿIzz, Šarḥ al-ʿAqīda at-ṭaḥāwiyya, hrsg. von ʿAbdallāh at-Turkī/ Šuʿayb al-Arnaʾūṭ, 2 Bde., Beirut: Muʾassasat ar-Risāla, 1990, 2/251–258.
6.1 Der Vers 3:7
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189
6.1.2 Das Gegensatzpaar muḥkam und mutašābih Die Ausdrücke iḥkām887 und tašābuh888 sowie ihre Ableitungen werden im Koran an mehreren Stellen selbstreferenziell benutzt. Nach Ibn Taymiyya geschieht dies einmal auf eine allgemeine (ʿāmm) und einmal auf eine spezielle (ḫāṣṣ) Weise, wobei bei ersterer jeweils alle Koranverse beschrieben werden, während bei letzter das Begriffspaar als gegensätzliche Kategorisierung der Verse zu verstehen ist.889 Das Wort iḥkām versteht Ibn Taymiyya als Abtrennung (faṣl), Unterscheidung (tamyīz), Teilung (farq) und Spezifizierung (taḥdīd) einer Sache, sodass diese sich herauskristallisiert (yataḥaqqaqu) und ihre Vollendung eintritt (ḥaṣala itqānuhū).890 Bezogen auf die Eigenschaft des Korans, im Ganzen muḥkam zu sein, bedeute es, dass die Verse mit erzählerischem Charakter eine Unterscheidung (tamyīz) zwischen der Wahrheit und der Lüge und die normativen Verse eine solche zwischen der Rechtleitung und dem Irregehen herbeiführen.891 Hier bezieht Ibn Taymiyya den iḥkām ʿāmm also auf die inhaltliche Bedeutung des Korans, an anderer Stelle seiner Schriften tut er das darüber hinaus auch auf die Modalitäten seiner Offenbarung. Dabei unterscheidet er zwischen dem iḥkām ʿāmm hinsichtlich der Herabsendung (tanzīl) und der Bewahrung der Herabsendung (ibqāʾ at-tanzīl). Ersteres – und hier hat Ibn Taymiyya Koran 22:52 im Blick – negiert eine Vermischung der offenbarten Gottesworte mit den Einflüsterungen des Teufels. Der iḥkām ʿāmm in Bezug auf die Bewahrung der Herabsendung ist die Klarlegung der letztgültig gemeinten Bedeutung der Koranverse – also der Bedeutung, die keiner weiteren Abrogation (nasḫ) oder Spezifizierung (taḫṣīṣ) unterliegen wird.892 Daher, so Ibn Taymiyya, haben manche der salaf die muḥkam-Verse den mit nasḫ belegten Versen gegenübergestellt.893 Der iḥkām verwirklicht sich auch noch in einer dritten Form, und zwar hinsichtlich des semantischen taʾwīl und der Bedeutung (al-iḥkām fī t-taʾwīl wa-l-maʿnā). In dieser Weise kommt er nur einem Teil des Korans zu, und zwar den Versen, die dem anderen Teil des Korans seine semantische Mehrdeutigkeit soweit nimmt, bis 887 Verbalsubstantiv aus der Wurzel, aus der sich auch das Wort muḥkam ableitet. 888 Verbalsubstantiv aus der Wurzel, aus der sich auch das Wort mutašābih ableitet. 889 Iklīl, MF 13/273, und Tadmuriyya, MF 3/61f.; Ed. Saʿawī 105. Siehe dazu auch in der vorliegenden Arbeit die Abbildung 1, S. 125, die im Folgenden auch weiter erläutert wird. 890 Iklīl, MF 13/274. 891 Tadmuriyya, MF 3/60; Ed. Saʿawī 102f. 892 Iklīl, MF 13/272–274. 893 Im Sprachgebrauch der salaf, so Ibn Taymiyya, wird terminologisch nicht zwischen Abrogation und Spezifizierung unterschieden, sodass beide als nasḫ bezeichnet werden. Siehe Iklīl, MF 13/274.
190 | 6 Hermeneutische Grundlagen alle Bedeutungen ausgeschlossen sind, die von Gott nicht intendiert wurden. Das ist, und Ibn Taymiyya bezieht sich nun ausschließlich auf Vers 3:7, der spezielle iḥkām, der dem speziellen tašābuh gegenübersteht.894 Der Ausdruck tašābuh bedeutet nach Ibn Taymiyya ganz allgemein, dass zwei oder mehrere Objekte sich einander derart ähneln, dass einem Betrachter eine Unterscheidung zwischen ihnen nicht möglich ist.895 Laut Ibn Taymiyya ist der allgemeine tašābuh, also derjenige, der allen Koranversen zukommt, dahingehend zu verstehen, dass sich Gottes Aussagen im Koran gegenseitig stützen und widerspruchsfrei sind.896 Der spezielle tašābuh kommt, wie bereits angedeutet, nur manchen Versen zu und steht dem speziellen iḥkām entgegen. War es beim allgemeinen tašābuh noch die Widerspruchsfreiheit, die aus der Ähnlichkeit der Worte Gottes zueinander folgt, so ist es hier die Unklarheit. Diesen ausschließlich im Vers 3:7 angesprochenen tašābuh unterteilt Ibn Taymiyya in einen absoluten (kullī) und einen relativen bzw. akzidentellen (nisbī bzw. iḍāfī). Bei den mutašābih-Versen, die unter die erstgenannte Kategorie fallen, ist die Unklarheit unauflösbar, und daher bleibt das Wissen über deren taʾwīl Gott vorbehalten. Liest man also den Vers 3:7 mit Einhaltung der Rezitationspause, so ist der taʾwīl, wie oben dargestellt, der ontische und der tašābuh der absolute. Ohne die Pause muss der taʾwīl als der semantische verstanden werden und der tašābuh als relativ bzw. akzidentell. Hier ist die Auflösung der durch diesen tašābuh verursachten Unklarheit abhängig vom Vorwissen des Rezipienten. Im Folgenden soll dies an einem Beispiel erläutert werden, das Ibn Taymiyya an mehreren Stellen seiner Werke anführt. Ibn Taymiyya sieht es als von der Tradition einwandfrei bezeugt an, dass der Besuch der christlichen Delegation aus Naǧrān beim Propheten Muḥammad in Medina und die dabei geführten Debatten den historischen Kontext bilden, in dem der Vers 3:7 offenbart worden ist.897 Er konkretisiert seine Ausführungen über den Herabsendungsanlass, indem er sagt, die Christen haben das im Koran häufig verwendete Pronomen Wir (naḥnu bzw. innā), das sich auf Gott bezieht, als 894 Iklīl, MF 13/274f. 895 Bayān 8/347. 896 Tadmuriyya, MF 3/61; Ed. Saʿawī 104. 897 Iḫlāṣ, MF 17/377. Laut einer anderen Meinung ist der Vers offenbart worden, als die Juden in Medina die Einzelbuchstaben, mit denen manche Suren beginnen, als Chronogramme verwenden wollten, um den Niedergang der muslimischen Gemeinschaft bzw. das Eintreten des Jüngsten Tages zu errechnen. Ibn Taymiyya verwirft diese Ansicht, u. a. weil dieses Ereignis seiner Ansicht nach unzuverlässig überliefert wurde; siehe Iḫlāṣ, MF 17/398f. Interessanterweise hält auch aṭṬabarī an einer Stelle seines Kommentars die dazu existierenden Überlieferungen für absolut unglaubwürdig, trotzdem gibt er an anderer Stelle dieses Ereignis als den Offenbarungsgrund von Vers 3:7 an; siehe Ṭabarī (Ed. Šākir), Tafsīr, 2/225 mit Fußnote 5 des Hrsg. und 6/179f.
6.1 Der Vers 3:7
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191
einen Beleg dafür angeführt, dass der Islam die Trinitätslehre anerkennt.898 Ibn Taymiyya bestreitet nicht, dass eine derartige Interpretation semantisch möglich ist. So sagt er, dass jemand, der von sich in der Wir-Form spricht, sich und seine Unterstützer meinen kann, die ihm entweder hierarchisch untergeordnet oder aber – und so verstand es die christliche Delegation – hierarchisch ebenbürtig sind.899 An anderer Stelle führt er eine dritte Möglichkeit an, das Pronomen Wir zu deuten. Demnach kann man es als einen pluralis majestatis verstehen.900 Der Ausdruck Wir ist also mutašābih aufgrund seiner Mehrdeutigkeit. Der richtige semantische taʾwīl bzw. das Wissen über die Bedeutung, die mit dem Ausdruck intendiert wurde, hängt hier vom Wissensstand der Rezipientin ab. Kennt die Interpretin die muḥkam-Verse, die auf klare Weise die Existenz jeglicher hierarchisch ebenbürtiger Teilhaber Gottes verneint,901 so weiß sie auch, dass die von der christlichen Delegation vorgebrachte Interpretation des Ausdrucks Wir als falsch verworfen werden muss und die beiden anderen Bedeutungen den richtigen semantischen taʾwīl ausmachen.902 Geht man nun aber einen Schritt weiter und fragt nach der ontischen Beschaffenheit des Verhältnisses zwischen dem allmächtigen und autarken Gott und Seinen Unterstützern, so stößt man in einen metaphysischen Bereich vor. Man darf sich zwar sicher sein, dass dies nicht mit dem Verhältnis zwischen einem menschlichen König und seinen Anhängern zu vergleichen ist, da ersterer auf die Loyalität seiner Untergebenen angewiesen ist.903 Eine positive Beschreibung dieses Verhältnisses, die sich auf das Wissen um den ontischen taʾwīl stützen muss, kann hier jedoch nicht gemacht werden, da das Wissen darüber Gott vorbehalten ist, so wie auch das Wissen über die Anzahl und die genauen Eigenschaften der Unterstützer. Dabei beruft sich Ibn Taymiyya auf die koranische Aussage: „Niemand kennt die Soldaten deines Herren außer Ihm.“904 Das im Koran verwendete und sich auf Gott beziehende Pronomen Wir ist also in einem doppelten Sinne mutašābih: einmal auf semantischer und einmal auf ontischer Ebene, wobei nur auf ersterer die Kenntnis des taʾwīl neben Gott noch zumindest manchen Menschen zugeschrieben werden kann. Was für das in diesem Beispiel behandelte Pronomen Wir gilt, kann nun auf alle koranischen 898 Ibn Taymiyya führt diese Geschichte an mehreren Stellen in unterschiedlicher Ausführlichkeit an; siehe Iḫlāṣ, MF 17/377f. und 398; Iklīl, MF 13/276; Bayān 8/498f.; Ǧawāb 3/448; Furqān I, MF 13/145. 899 Iḫlāṣ, MF 17/377. 900 Iklīl, MF 13/276. 901 Ibn Taymiyya bezieht sich hier u. a. auf Koran 2:163 und 25:2. 902 Iklīl, MF 13/276. 903 Iḫlāṣ, MF 17/377f. 904 Koran 74:31. Siehe Iḫlāṣ, MF 17/378.
192 | 6 Hermeneutische Grundlagen Ausdrücke übertragen werden, insofern sie entweder von einer in der Zukunft liegenden Tatsache oder aber von metaphysischen Objekten sprechen. Ein Koranvers, der den Jüngsten Tag thematisiert, ist auf semantischer Ebene allenfalls in einem relativen Sinne mutašābih; geht es aber um den ontischen taʾwīl, so ist er es in einem absoluten, da den Zeitpunkt des Eintretens des Jüngsten Tages nur Gott kennt. Spricht der Vers über die Wohlgaben im Paradies, wie z. B. die Flüsse aus ḫamr, dann darf man das sehr wohl so verstehen, dass es sich dabei um Flüsse aus Wein handelt. Dass Menschen nun auch Kenntnis der ontischen Eigenschaften des Weines wie Farbe, Geschmack und Geruch haben können, wird im Vers 3:7, sofern er mit entsprechender Rezitationspause gelesen wird, jedoch verneint. Auch die Verse, die von Gottes Eigenschaften reden, erachtet Ibn Taymiyya hinsichtlich ihrer intendierten Bedeutung auf der semantischen Ebene als absolut verständlich und damit als muḥkam. So sei es klar, was es bedeutet, wenn Gott sagt, dass Er z. B. raḥīm (barmherzig), samīʿ (hörend) und baṣīr (sehend) ist. Man könnte hier noch die Beispiele von Gottes yad (Hand), waǧh (Gesicht) und ʿayn (Auge) zur weiteren Verdeutlichung nennen, da sich hier klar zeigt, dass Ibn Taymiyyas Interpretation des Verses 3:7 der Methodik des tafwīḍ ihre Grundlage nimmt.905 Um jedoch zu wissen, wie diese Eigenschaften sich bei Gott konstituieren und realisieren, bedarf es der Kenntnis des ontischen taʾwīl; und diesen kennt nur Gott. Es ist also festzuhalten, dass nach Ibn Taymiyya die Ausdrücke, die auf Gottes Attribute weisen, je nach Wissensstand des Rezipienten muḥkam oder mutašābih nisbī sind und darüber hinaus auch immer mutašābih kullī. Ob und in welcher Weise sie vom Vers 3:7 angesprochen werden, hängt davon ab, ob man ihn mit der Rezitationspause liest oder nicht.906 Um das Bild von Ibn Taymiyyas tašābuh-Kategorisierung zu vervollständigen, sei hier noch angemerkt, dass sich der relative tašābuh in den unbestimmten (muṭlaq) und den bestimmten (muʿayyan) unterteilen lässt.907 Beim unbestimmten tašābuh liegt die Ungewissheit über die intendierte Bedeutung ganz allein im Rezipienten begründet. So wird z. B. ein vollkommen eindeutiger Ausdruck wie Ramaḍān von manchen der Nuṣayriten nicht als ein Monat verstanden, sondern als eine Anzahl ihrer Gelehrten (ism li-ʿadad min šuyūḫihim).908 Der unbestimmte tašābuh ist also keine Eigenschaft, die einem Vers oder einem koranischen 905 Zum tafwīḍ siehe oben, S. 69ff. 906 Siehe dazu und zu den oben angeführten Beispielen Tadmuriyya, MF 3/57–59; Ed. Saʿawī 97–101. Ähnliche Passagen mit weiteren Beispielen finden sich auch in Iklīl, MF 13/278f.; Iḫlāṣ, MF 17/379f.; sowie Bayān 8/296f. 907 Bayān 8/378f. Ibn Taymiyya nimmt diese weitere Kategorisierung meines Wissens nach nur hier vor. 908 Bayān 8/367.
6.1 Der Vers 3:7
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193
Die Begriffe iḥkām und tašābuh im Koran
iḥkām
iḥkām ʿāmm Koran 11:1 und 22:52
tašābuh
iḥkām ḫāṣṣ Koran 3:7
tašābuh ḫāṣṣ Koran 3:7
tašābuh iḍāfī nisbī (ohne Rezitationspause)
tašābuh muṭlaq
tašābuh ʿāmm Koran 39:23
tašābuh kullī (mit Rezitationspause)
tašābuh muʿayyan
Abbildung 3: Ibn Taymiyyas Kategorisierung der koranischen Begriffe iḥkām und tašābuh.
Ausdruck zukommt, sondern wird allein durch die Unwissenheit des Rezipienten erzeugt und kann sich auf jeden Ausdruck beziehen. Der bestimmte tašābuh hingegen gründet sowohl in der Mehrdeutigkeit der Worte Gottes als auch in dem Rezipienten, der aufgrund geringen Wissens unfähig ist, die intendierte Bedeutung von der nicht-intendierten zu unterscheiden. Die Frage nach dem Pronomen Wir im oben ausgeführten Beispiel fällt unter diese Kategorie. Die Abbildung 3 fasst die obigen Ausführungen hinsichtlich der Kategorisierung der koranischen Begriffe muḥkam und tašābuh noch einmal anschaulich zusammen.
6.1.3 Der Vers 3:7 – ein Scheideweg der Koranhermeneutik? Nachdem nun Ibn Taymiyyas Position zu dem Vers 3:7 dargestellt worden ist, soll im Folgenden eine in der Sekundärliteratur häufig wiederholte Annahme kritisch betrachtet werden, da das dabei hilft, Ibn Taymiyyas Ansichten besser in die islamische Rezeptionsgeschichte des Verses zu verorten. Zweifellos sind nur wenige Verse im Koran innerhalb der islamischen Tradition derart ausführlich und zu-
194 | 6 Hermeneutische Grundlagen gleich widersprüchlich diskutiert wurden. Es ist also völlig richtig, den Vers, wie Angelika Neuwirth das macht, als eine crux interpretum zu bezeichnen.909 Andere Forscher gingen noch weiter und meinten, dass das Verständnis des Verses sich nicht allein in seiner Auslegung selbst, sondern auch in der Beantwortung hermeneutischer Grundfragen niederschlägt und der Vers somit einen Scheideweg in der Koranhermeneutik darstellt. Dabei geht es nicht nur um die Interpretation der in diesem Vers genannten Termini wie muḥkam und mutašābih, sondern vor allem um die bedeutungsrelevante Rezitationspause, über die John Wansbrough schreibt, sie „may be understood to symbolize all argument about the limits of exegetical activity“.910 Eine dieser hermeneutischen Grundfragen lautet, ob es im Koran Ausdrücke gibt, deren intendierte Bedeutung dem Menschen auf der sprachlichen Ebene verschlossen bleibt, weil nur Gott sie kennt. Gerne werden dann die Ansichten aṭ-Ṭabarīs und az-Zamaḫšarīs gegenübergestellt, die, wie weiter oben beschrieben, konträre Meinungen hinsichtlich der Rezitationspause vertraten. Aus deren unterschiedlichen Haltungen erwächst dann die voreilige Schlussfolgerung, wie man sie u. a. bei Orhan Elmaz findet, aṭ-Ṭabarī vertrete „die genügsame Meinung, dass Gott allein das Wissen um die Interpretation der Ambiguitäten in Seiner Rede hat“, während laut az-Zamaḫšarī „Religionsgelehrte sehr wohl bzw. notwendigerweise mehrdeutige Stellen deuten“ können.911 In diesem Sinne versteht es auch Sahiron Syamsuddin, wenn er schreibt, dass diese beiden Gelehrten hinsichtlich der Möglichkeit, die mutašābih-Verse interpretieren zu können, diametral entgegengesetzte Ansichten vertraten.912 Was hier als Streitigkeit um eine exegetische Grundannahme dargestellt wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als eine rein terminologisch bedingte Meinungsverschiedenheit, die in der Mehrdeutigkeit der Ausdrücke mutašābih und taʾwīl gründet. So liest 909 Angelika Neuwirth, Reclaiming Babylon. The Multiple Languages of the Qurʾān, in: Anna Akasoy/Wim Raven (Hrsg.), Islamic Thought in the Middle Ages: Studies in Text, Transmission and Translation, in Honour of Hans Daiber (Islamic Philosophy, Theology and Science), Leiden: Brill, 2008, 565–592, hier 586f. 910 John Wansbrough, Quranic Studies: Sources and Methods of Scriptural Interpretation, New York: Prometheus Books, 2004, 152. 911 Orhan Elmaz, Wenn Pausen Grenzen setzen. Über den Koranvers Q 3:7 und die Qualität einer Rezitationspause, in: Marianne Grohmann/Ursula Ragacs (Hrsg.), Religion übersetzen: Übersetzung und Textrezeption als Transformationsphänomene von Religion, Wien: V&R unipress, 2012, 203–216, hier 213; an selbiger Stelle behauptet Elmaz fälschlicherweise auch, Ibn Taymiyya habe das in Vers 3:7 als nicht-wissbar Eingestufte auf die Wirklichkeit der Eigenschaften Gottes begrenzt. Die Literatur, auf die er sich dabei beruft, stützt diese Behauptung jedoch nicht; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 54. 912 Siehe Sahiron Syamsuddin, Muḥkam and Mutashābih. An Analytical Study of al-Ṭabarī’s and al-Zamakhsharī’s Interpretations of Q. 3:7, in: Journal of Qur’anic Studies 1.1 (1991), 63–79, hier 73.
6.1 Der Vers 3:7
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195
man schon bei dem ḥanbalitischen Gelehrten al-Mardāwī (gest. 885/1480) folgende Einschätzung zum Streit über die Rezitationspause: Es wurde gesagt: „Die Meinungsverschiedenheit bezüglich ihr ist terminologisch (lafẓī). Denn wer behauptet, dass der im Wissen fest Verankerte seinen taʾwīl [d. h. den eines mutašābih-Verses] kennt, meint damit, dass dieser seine [vom Sprecher intendierte] Bedeutung (ẓāhiruhū), nicht aber seine Realität (ḥaqīqatuhū) weiß. Und wer behauptet, dass er [d. h. der taʾwīl] nicht in Erfahrung gebracht werden kann, meint damit seine Realität, dessen Kenntnis Gott, dem Erhabenen, vorbehalten ist.“913
Es ist gut möglich, dass al-Mardāwī, als er diese Zeilen schrieb, seinen ḥanbalitischen Kollegen Ibn Taymiyya im Sinn hatte, der sich für diese Meinung stark machte.914 Und doch ist diese Position auch schon lange vor ihm vertreten worden, und das auch von Gelehrten außerhalb der ḥanbalitischen, ja sogar außerhalb der sunnitischen Richtung915 . Zum Beispiel führt der andalusische Koranexeget Ibn ʿAṭiyya (gest. 541/1147) unterschiedliche Meinungen in der Frage an, ob Gott allein die Kenntnis über den taʾwīl hat oder nicht. Er beendet seine Ausführungen mit den Worten: „In dieser Fragestellung, wenn man sie eingehend betrachtet, nähert sich der [scheinbare] Dissens einem Konsens an.“916 Wieso das so ist, erklärt auch er dadurch, indem er den von der Einhaltung der Rezitationspause abhängigen Bedeutungswandel des taʾwīl- und mutašābih-Ausdrucks darstellt.917 Genau auf dieser Grundlage löst sich auch die scheinbare Meinungsverschiedenheit zwischen dem Verfechter der Rezitationspause Abū ʿAlī al-Ǧubbāʾī (gest. 303/915-6) und seinen Mitstreitern in der muʿtazilitischen Denkschule auf, die der Pause in aller Regel ablehnend gegenüberstanden. Al-Ǧubbāʾī war überzeugt, dass die intendierte Bedeutung des gesamten Korans erkannt werden kann, sprach sich aber für die Rezitationspause aus, weil er den Ausdruck taʾwīl in dem fraglichen Vers auf die Beschreibung der ontischen Eigenschaften metaphysischer Objekte bezog.918 Wie der Muʿtazilit ʿAbd al-Ǧabbār (gest. 415/1025) bemerkt, muss man bei diesem Ver913 ʿAlī al-Mardāwī, at-Taḥbīr šarḥ at-Taḥrīr fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von ʿAbd ar-Raḥmān al-Ǧibrīn, 8 Bde., Riad: Maktabat ar-Rušd, 2000, 3/1411. 914 Darauf weist auch der Herausgeber in der Fußnote zu obigem Zitat hin, indem er Iḫlāṣ, MF 17/381 anführt. Dort bringt Ibn Taymiyya inhaltlich die gleiche Aussage vor. 915 So findet man sie in bestechender Klarheit auch bei dem schiitischen Denker aš-Šarīf alMurtaḍā (gest. 436/1044); siehe ʿAlī Ibn Ḥusayn aš-Šarīf al-Murtaḍā, Amālī l-Murtaḍā. Ġurar al-fawāʾid wa-durar al-qalāʾid, hrsg. von Muḥammad Abū l-Faḍl Ibrāhīm, 2 Bde., Kairo: Dār Iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1954, 1/439–41. 916 Ibn ʿAṭiyya, al-Muḥarrar al-waǧīz fī tafsīr al-kitāb al-ʿazīz, hrsg. von ʿAbd as-Salām Muḥammad, 6 Bde., Beirut: Dār Ibn Ḥazm, 2001, 1/403. 917 Ebd. 918 Siehe Fudge, Qurʾānic Hermeneutics, 119.
196 | 6 Hermeneutische Grundlagen ständnis des Ausdrucks taʾwīl die Notwendigkeit der Rezitationspause annehmen. Er selbst lehnt sie jedoch ab, weil er den taʾwīl im Vers 3:7 lediglich als die Darlegung der intendierten Bedeutung der semantisch mehrdeutigen Verse versteht.919 Genauso verhält es sich mit den Ansichten von aṭ-Ṭabarī und az-Zamaḫšarī, die sich damit einem Vergleich in der Art, wie ihn Elmaz und Syamsuddin vollzogen, entziehen.920 Vielmehr kann Folgendes über die Positionen dieser beiden Gelehrten, aber auch die von Ibn Taymiyya, festgehalten werden: Auch wenn alle drei voneinander abweichende Meinungen bezüglich der Rezitationspause im Speziellen und zum Vers 3:7 im Allgemeinen vertreten, so sind sie sich doch auch alle drei darin einig, dass die intendierte Bedeutung aller Koranverse erkennbar ist und die Kenntnis sowohl über den Zeitpunkt des Eintretens zukünftiger Ereignisse als auch über die ontischen Eigenschaften metaphysischer Objekte Gott vorbehalten ist.921 Die Relevanz des Verses liegt nicht darin begründet, ob und inwiefern er die Grenzen der Koranexegese definiert, sondern in der unterschiedlichen theologi919 Siehe al-Qāḍī ʿAbd al-Ǧabbār, Mutašābih al-Qurʾān, hrsg. von ʿAdnān Zarzūr, 2 Bde., Kairo: Dār at-Turāṯ, 1969, 1/15. Dieser Abschnitt wird auch dargestellt bei Fudge, Qurʾānic Hermeneutics, 125f. 920 Es soll nicht negiert werden, dass ein unterschiedliches Verständnis des Verses 3:7 nicht auch Auswirkungen auf die Grenzsetzung möglicher Koranexegese haben kann. So ist z. B. Ibn Qudāma ganz im Gegensatz zu aṭ-Ṭabarī und az-Zamaḫšarī der Meinung, im Koran gebe es unverständliche Ausdrücke. Dies kann er mit dem Vers 3:7 untermauern, weil er sich für die Rezitationspause ausspricht und den Ausdruck taʾwīl im Sinne von tafsīr versteht. Siehe Ibn Qudāma, Rawḍat an-nāẓir, 94–96. In einem anderen theologischen Kontext, aber ebenfalls unter Rückbezug auf Vers 3:7 argumentierten auch die Murǧiʾiten für die Möglichkeit, dass die Bedeutung mancher Koranverse dem Menschen erst am Jüngsten Tag offenbar wird. Dazu und zu der Kritik dieser Ansicht durch ʿAbd al-Ǧabbār siehe Cornelia Schöck, Koranexegese, Grammatik und Logik. Zum Verhältnis von arabischer und aristotelischer Urteils-, Konsequenz- und Schlusslehre, Leiden und Boston: Brill, 2006, 388–393. 921 Auch wenn aṭ-Ṭabarī nicht behauptet, dass die ontischen Eigenschaften metaphysischer Objekte erkennbar sind, so wird ihre Nicht-Erkennbarkeit seiner Meinung nach vom Vers 3:7 gar nicht thematisiert. Der dortige mutašābih-Ausdruck umfasst laut ihm nur die Zeitpunkte des Eintretens zukünftiger Ereignisse wie z. B. des Jüngsten Tages. Darunter fallen z. B. die Einzelbuchstaben (al-ḥurūf al-muqaṭṭaʿa), mit denen manche Suren des Korans eingeleitet werden. Werden sie zur Berechnung des Zeitpunktes des Eintreffens des Jüngsten Tages verwendet, so sind sie mutašābih. Hinsichtlich der ihr zukommenden, von Gott intendierten Bedeutung sind sie jedoch, wie alle Verse im Koran, erkennbar und damit muḥkam. Siehe Ṭabarī (Ed. Šākir), Tafsīr, 1/220–223, 6/180– 182 und 6/200f. Aṭ-Ṭabarī bezieht diese Zweiteilung eindeutig auf alle Verse, die über zukünftige Ereignisse sprechen. Somit ist McAuliffes Behauptung, sein mutašābih-Ausdruck umfasse lediglich die Einzelbuchstaben des Korans, unhaltbar; siehe Jane Damen McAuliffe, Text and Textuality: Q 3:7 as a Point of Intersection, in: Issa Boullata (Hrsg.), Literary Structures of Religious Meaning in the Qur’ān, Richmond: Curzon, 2000, 56–76, hier 58.
6.2 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī
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schen Tragweite, die ihm in der islamischen Rezeptionsgeschichte beigemessen wurde. Bei aṭ-Ṭabarī sind die mutašābih-Verse so eng definiert, dass sich der Vers 3:7 nur begrenzt innerhalb theologischer Streitfragen anführen lässt. In der muʿtazilitischen Tradition, und damit auch bei az-Zamaḫšarī, handelt es sich bei der im Vers 3:7 gemachten Unterscheidung zwischen den muḥkam- und den mutašābih-Versen hingegen um einen hermeneutischen Grundbaustein in der Exegese theologisch relevanter Passagen im Koran. Suleiman Mourad schreibt hierzu: „This is why the Muʿtazila, more than any other group, were attracted to the genre of mutashābih al-Qurʾān (books and treatises on the ambiguous verses of the Qurʾān), and that was precisely because it allowed them to identify the ambiguous verses, but more importantly to offer the ‘true’ interpretation of these verses in a way that helps them determine and validate the tenets of their theological system.“922 Speziell in der Diskussion um das richtige Verständnis der Attribute Gottes wurde auch außerhalb der muʿtazilitischen Strömung, z. B. in den Werken der Ašʿariten923 und Māturīditen924 , viele Male auf den Vers 3:7 Bezug genommen – und dies schon lange vor Ibn Taymiyya. Die Debatte um das richtige Verständnis des Verses war inzwischen derart theologisch aufgeladen, dass es nicht verwundert, dass er ihn in seinen Werken einerseits so ausführlich diskutiert und andererseits auf eine Weise interpretiert, die sich von der des aṭ-Ṭabarī unterscheidet, der in seinen langen Ausführungen den Vers in keinster Weise mit der Streitfrage bezüglich der Attribute Gottes verknüpft.
6.2 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī – ein Versuch der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Allgemeinen Regel (al-qānūn al-kullī ) 6.2.1 Die Ašʿariten und die Allgemeine Regel Unter anderem in seiner Schrift Tadmuriyya macht Ibn Taymiyya eine Beobachtung, in der aus meiner Sicht einer der Kernpunkte des Streits um die Attribute Gottes zwischen den Ašʿariten und den ahl al-ḥadīṯ zusammengefasst wird. Dort 922 Suleiman Ali Mourad, Towards a Reconstruction of the Muʿtazilī Tradition of Qurʾanic Exegesis. Reading the Introduction to the Tahdhīb of al-Ḥākim al-Jishumī (d. 494/1101) and Its Application, in: Karen Bauer (Hrsg.), Aims, Methods and Contexts of Qurʾanic Exegesis (2nd/8th–9th/15th C.) New York: Oxford University Press, 2013, 101–137, hier 111f. 923 Siehe z. B. Allard, Attributs divins, 328f. 924 Siehe z. B. Brodersen, Der unbekannte kalām, 159f.
198 | 6 Hermeneutische Grundlagen schreibt er, dass viele der Gelehrten des kalām ihre Theologie auf der Grundlage eines Prämissengerüsts ausbuchstabieren, das sie als die vernunftgemäßen Fundamente (uṣūl ʿaqliyya) erachten, ohne welche die Wahrheit des Prophetentums und damit auch die Wahrheit der Offenbarung nicht zu beweisen ist. Eine von Ibn Taymiyya nicht näher spezifizierte Gruppe – er meint wohl die Ašʿariten – hat die Beweisbarkeit der Existenz Gottes – eine Voraussetzung der Beweisbarkeit der Wahrheit der Offenbarung – daran geknüpft, dass die zeitliche Entstehung der Welt bewiesen werden kann. Deren Beweisbarkeit wiederum fußt auf der Prämisse, dass die Körper zeitlich entstanden sind, welche sich auf der Annahme stützt, dass die den Körpern inhärierenden Eigenschaften bzw. Handlungen von zeitlicher Natur sind.925 Die Beweisbarkeit der Offenbarung steht und fällt also mit der Richtigkeit dieser vernunftgemäßen Grundannahmen, sodass bei einem Widerspruch zwischen diesen und der Offenbarung letztere gedeutet (yuʾawwalu) oder ihre Bedeutung als unerkennbar ausgemacht (yufawwaḍu) werden muss.926 Dieser Gedankengang, den Ibn Taymiyya beschreibt, findet sich schon in den Schriften al-Ašʿarīs927 und seiner frühen Anhänger (riḍā)928 , ist aber mit al-Ġazālī erstmalig in die Form einer – wie er sie selbst nennt – Allgemeinen Regel (qānūn kullī)929 gegossen worden, welche dann mit dem zwei Generationen später lebenden ar-Rāzī 925 Diese Thematik wird in Kapitel 9 der vorliegenden Arbeit behandelt. 926 Tadmuriyya, MF 3/alif–bāʾ; Ed. Saʿawī 147f. Dies ist Teil der in der Schrift Tadmuriyya vorgebrachten siebten Regel (qāʿida), bei der es sich möglicherweise um eine spätere Hinzufügung Ibn Taymiyyas handelt (siehe dazu Ed. Saʿawī 146, Fußnote 9). Die Pagination in MF erfolgt hier nicht wie üblich durch Ziffern, sondern durch die Buchstaben alif bis sīn. Aufgrund der großen inhaltlichen Ähnlichkeit könnte es sein, dass Ibn Taymiyya sich hier auf eine Passage in ar-Rāzīs Taʾsīs at-taqdīs bezieht. Diese wird in Kürze besprochen und findet sich bei Rāzī, Asās at-taqdīs, 221. 927 Siehe el-Omari, Ibn Taymiyya’s ‘Theology of the Sunna’, 109–114, v. a. das Beispiel der Rede Gottes auf S. 114. 928 Typisch ašʿaritisch ist z. B. al-Bāqillānīs Deutung der göttlichen Eigenschaften der Zufriedenheit und des Zornes (ġaḍab). Er versteht diese ausschließlich als Gottes Willen, jemandem Wohltaten zukommen zu lassen bzw. jemanden zu bestrafen. Denn, so lautet eine seiner Begründungen, die inneren Zustände des Zufrieden- bzw. Zornigseins sind notwendigerweise mit einer Zustandsänderung ihre Subjekts begleitet, und von diesen ist Gott freizusprechen. Bāqillānī, Tamhīd, 27. 929 Siehe Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Qānūn at-taʾwīl, hrsg. von Maḥmūd Bīǧū, o. O.: o. V., 1993, 15. Frank Griffel gibt Aufschluss über die Hintergründe, die Autorschaft, die Datierung und den Inhalt dieser knappen, aber einflussreichen Schrift und behandelt darüber hinaus auch Ibn Taymiyyas Position gegenüber der darin formulierten Allgemeinen Regel. Siehe Frank Griffel, Al-Ghazālī at His Most Rationalist. The Universal Rule for Allegorically Interpreting Revelation, in: Georges Tamer (Hrsg.), Islam and Rationality. The Impact of al-Ghazālī. Papers Collected on His 900th Anniversary, Bd. 1, Leiden und Boston: Brill, 2015, 89–120; siehe auch Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 111–116.
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nicht nur ihre weitere Systematisierung, sondern auch ihre umfassende Anwendung erfuhr.930 Letzterer schreibt in seinem Werk Taʾsīs at-taqdīs,931 dass es vier mögliche Vorgehensweisen gibt, mit einem Widerstreit zwischen apodiktischen Vernunftbelegen (dalāʾil qaṭʿiyya ʿaqliyya) und der äußeren Bedeutung (ẓāhir) von Offenbarungsbelegen (adilla samʿiyya) zu verfahren.932 Die ersten beiden Möglichkeiten, die ar-Rāzī aufzählt, bestehen aus der Annahme bzw. Ablehnung sowohl der Vernunft- als auch der Offenbarungsbelege. Beide Möglichkeiten verwirft er aufbauend auf dem logischen Prinzip, dass kontradiktorische Aussagen nicht zugleich wahr bzw. zugleich falsch sein können. Ein weiterer Weg besteht darin, der Offenbarung den Vorzug vor der Vernunft zu geben. Aber auch das ist laut ar-Rāzī nicht die richtige Verfahrensweise, denn – und das ist die Prämisse, auf der die Allgemeine Regel fußt – die Erkenntnisquelle der Vernunft als das Fundament (aṣl) der Offenbarung zu sehen, insofern die Wahrheit der Letzteren nur auf rationalem Wege erschlossen werden kann. Es ist also nicht möglich, die Glaubwürdigkeit der Vernunft infrage zu stellen, ohne damit im selben Zuge auch die Offenbarung als Erkenntnisquelle anzuzweifeln. Für ar-Rāzī bleibt damit nur eine Möglichkeit, nämlich der Vernunft den Vorzug zu geben und den ihr widersprechenden Offenbarungsbeleg gemäß einer ihr nicht offenkundig zukommenden Bedeutung zu interpretieren (taʾwīl) oder aber, falls dies nicht möglich sein sollte, von einer Interpretation ganz abzulassen (tafwīḍ)tafwīḍ. Dies, so resümiert ar-Rāzī, ist die Allgemeine Regel, an die man sich im Umgang mit mehrdeutigen Aussagen (mutašābihāt) in der Offenbarung zu halten hat. Bei seinem Versuch, die Ungültigkeit dieser Regel darzulegen, führt Ibn Taymiyya 44 Argumente an, die er in seinem Werk Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-n-naql auf über 500 Seiten ausführt.933 Neben der zusammenfassenden Darstellung der Gegenposition Ibn Taymiyyas durch Nicholas Heer von 1993,934 liegen nun neuerdings auch umfassendere Untersuchungen dazu vor.935 Eine der Hauptstrategien bei 930 Siehe dazu auch Jaffer, Rāzī, 73f. 931 Ähnliche Passagen finden sich auch in seinem Werk al-Masāʾil al-ḫamsūn fī uṣūl ad-dīn sowie in seinem bekannten Tafsīr. Die relevanten Textstellen werden dargestellt bei ebd., 89–94. 932 Dies und das Folgende bezieht sich auf Rāzī, Asās at-taqdīs, 220. Diese Passage findet sich auch vollständig ins Englische übersetzt bei Nicolas Heer, The Priority of Reason in the Interpretation of Scripture. Ibn Taymīyah and the Mutakallimūn, in: Mustansir Mir (Hrsg.), The Literary Heritage of Classical Islam. Arabic and Islamic Studies in Honor of James A. Bellamy, Princeton: Darwin Press, 1993, 181–195, hier 184; auch Jaffer, Rāzī, 90 und 93. 933 Diese sind überwiegend in Bd. 1 und 5 zu finden. 934 Siehe Heer, Priority of Reason, 188–192. 935 Siehe Qadhi, Reconciling, v. a. 116–206 (Kap. 2); El-Tobgui, Reason, v. a. 132–197 (Kap. 3). Weniger ausführlich, aber trotzdem lesenswert sind: el-Omari, Ibn Taymiyya’s ‘Theology of the Sunna’, 107–114; Jaffer, Rāzī, v. a. 117–129; sowie Griffel, Ghazālī at His Most Rationalist, v. a. 119f.
200 | 6 Hermeneutische Grundlagen Ibn Taymiyyas Widerlegung der Allgemeinen Regel ist es, die von ihr behauptete Dichotomie zwischen der Vernunft und der Offenbarung durch die des Wissens und der Mutmaßung zu ersetzen.936 Nach Ibn Taymiyya hat somit die besser gesicherte Erkenntnis Vorrang, ganz gleich, ob diese der Quelle der Vernunft oder der Offenbarung entspringt. Die Möglichkeit, dass es zu Widersprüchen zwischen einer rationalen und einer den Offenbarungstexten entnommenen Erkenntnis kommt, wobei beide auf der Stufe des gesicherten Wissens anzusiedeln sind, lehnt er entschieden ab.937 Jüngst argumentierte Frank Griffel in einem Artikel dafür, dass Ibn Taymiyyas Position einen „vicious cycle“, also einen Zirkelschluss enthält. In Griffels Artikel mache ich jedoch einige Schwierigkeiten aus, die mich davon abhalten, mich seinem Urteil anzuschließen. Diese Schwierigkeiten sind begründet in Griffels inkonsistenter Verwendung der Begriffe ʿaql (Vernunft) und ẓāhir (von Griffel durchgängig übersetzt als „outward sense“), wobei ich ihm sehr wohl darin folge, dass Ibn Taymiyya selbst viel Verwirrung stiftet, indem er diese Begriffe in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, ohne dies explizit anzumerken. Griffel unterscheidet in seinem Artikel sinnvollerweise zwischen Vernunft und Vernunft*. Erstgenannter Ausdruck verweist auf diejenige Vernunft, die Ibn Taymiyya seinen Gegnern zuschreibt und die er für fehlerhaft hält. Letztgenannter Ausdruck steht für das, was Ibn Taymiyya als ṣārīḥ al-ʿaql bezeichnet. Griffel übersetzt das, dabei Anke von Kügelgen folgend, als unkontaminierte Vernunft. Diese bringt laut Ibn Taymiyya, wie Griffel schreibt, notwendigerweise wahre (ḍarūrī) Urteile hervor und solche, die in der natürlichen Veranlagung (fiṭra) des Menschen gründen.938 Kommen wir nun zu der ersten Schwierigkeit in Griffels Ausführungen. So beschreibt er an einer Stelle die Position Ibn Taymiyyas wie folgt: 1) Reason* verifies revelation. 2) Revelation verifies reason*. 3) Cases of conflict between reason* and the outward sense of revelation are impossible. If such a case appears, a mistake had been made about what reason* mandates.939
Den Ausdruck „outward sense“ hat Griffel zuvor nur in Bezug auf ašʿaritische Positionen verwendet, und da ist dieser tatsächlich die richtige Übersetzung des arabischen Wortes ẓāhir. Dort bezeichnet er das, was einem beim Lesen eines Textes als Erstes in den Sinn kommt. Das Wort ẓāhir hat bei Ibn Taymiyya jedoch 936 Siehe dazu v. a. El-Tobgui, Reason, 170–179. 937 Siehe dazu auch ebd., und Qadhi, Reconciling, 197–206. 938 Frank Griffel, Ibn Taymiyya and His Ashʿarite Opponents on Reason and Revelation: Similarities, Differences, and a Vicious Circle, in: The Muslim World 108.1 (2018), 11–39, hier 34. 939 Ebd., 35. Meine Hervorhebung.
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eine andere Bedeutung,940 und so wäre es wohl angebracht gewesen, analog zu der Vernunft* von einem ẓāhir* zu reden. Falsch ist es, zu behaupten, dass nach Ibn Taymiyyas Meinung der ẓāhir, so wie die Ašʿariten ihn verstanden, nicht mit der Vernunft* in Konflikt kommen kann. Genau das scheint Griffel hier aussagen zu wollen und widerspricht sich damit selbst, da er einige wenige Seiten vorher schreibt: Fakhr al-Dīn only admits conflict with the outward sense of revelation, which in his opinion is not the true meaning (maʿnā ḥaqīqī) of the text but a mere metaphor (majāz) that stands in for what the text wishes to express. Like Ibn Taymiyya, he claims that there is no contradiction between reason and what revelation wishes to express.941
Nimmt man die beiden zitierten Stellen zusammen, müsste es also korrekterweise an der ersten zitierten Stelle heißen: 3) Cases of conflict between reason* and what the revelation wishes to express are impossible. Im Anschluss an das erste Zitat schreibt Griffel weiter: This, however, is a circular argument. If the truth of what is mandated by reason is verified by recourse to revelation, then there is no verification of reason independent of revelation. And if that is the case, how can reason verify revelation?942
Hier muss man fragen, wie Ibn Taymiyya denn zu dem kommt, was die Offenbarung auszudrücken wünscht. Tatsächlich erfolgt das in erster Linie durch die Vernunft*. Selbst unproblematisch erscheinende Textstellen sind, auch wenn uns das nicht bewusst sein mag, erst aufgrund des Zutuns der Vernunft* unproblematisch. So heißt es zum Beispiel im Koran, dass Gott der Schöpfer aller Dinge ist. Die Selbstverständlichkeit jedoch, dass damit nicht ausgesagt werden soll, dass Gott Sich Selbst erschaffen hat, erkennen wir durch die Vernunft*.943 Textsinn (in der Bedeutung von Griffels „what the text wishes to express“) und Vernunft* sind also untrennbar miteinander verwoben. Die eben zitierte Aussage Griffels scheint allerdings auf der Ansicht zu fußen, dass Textsinn und Vernunft zwei nebeneinander existierende Dinge sind, welche sich unabhängig voneinander konstituieren und es dann zu Widersprüchen zwischen beiden kommen kann. Eine zweite Schwierigkeit besteht in der Frage, welche Art von „verification“ Griffel denn verlangt, wenn er selbst sagt, dass laut Ibn Taymiyya die Vernunft* aus den notwendigerweise wahren Urteilen besteht und aus solchen, die sich aus 940 Siehe oben, S. 176. 941 Griffel, Ibn Taymiyya, 31; meine Hervorhebung. 942 Ebd., 35. 943 Madaniyya, MF 6/361; Ed. Farriyān 42f. Siehe auch Bayān 285f.
202 | 6 Hermeneutische Grundlagen der fiṭra des Menschen speisen. Denn damit ist ja nichts anderes ausgesagt, als dass sie keiner Begründung bedürfen und dass sie selbstevident sind. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: In der Offenbarung heißt es, dass Gott Sich in der Höhe befindet (fī s-samāʾ). Das notwendige und/oder fiṭragemäße (und somit nicht weiter begründbare) Urteil der Vernunft* erkennt laut Ibn Taymiyya, dass es Gott nicht gebührt, sich unter unseren Füßen oder neben uns zu befinden, vielmehr ist Er oberhalb von uns. Darauf deutet auch die fiṭragemäße Handlung des Menschen, sich beim Bittgebet gen Himmel zu wenden. So ist das, was die Offenbarung mit der Aussage fī s-samāʾ auszudrücken wünscht bzw. der ẓāhir* dieser Aussage im Einklang mit dem nach Ibn Taymiyya selbstevidenten Urteil der Vernunft*, nämlich dass Gott Sich von uns aus gesehen in obiger Richtung befindet. Diese Interpretation kollidiert allerdings mit der Vernunft (ohne Stern!) z. B. der Ašʿariten, denn diese ist ja laut Ibn Taymiyya fehlerbehaftet. Die dritte Schwierigkeit liegt darin, dass Griffel Ibn Taymiyya so zu verstehen scheint, dass die Vernunft* nur dazu verwendet werden dürfe, die Offenbarung als Ganzes als wahr anzuerkennen, nicht aber einzelne Aussagen innerhalb der Offenbarung. Dazu übersetzt Griffel folgende Parabel, die Ibn Taymiyya zur Erläuterung seiner Position darlegt: Reason* points to the trustworthiness (ṣidq) of the prophet in a general and absolute way. [Reason*] is like an untrained man (ʿāmmī), who, if he knows the expertise of the muftī [M] and points someone else [S] towards him, explains to the latter [S] that the former [M] is a scholar and a muftī. When the untrained man, who points to the muftī, disagrees with the muftī, it is incumbent upon the one who requests a fatwā [S] to submit to the teachings of the muftī. Now, consider the untrained man says to the one who requests a fatwā [S]: „I am the foundation (al-aṣl) of your knowledge that he is a muftī. Now that his teachings oppose my teachings, if you give preference to his teachings over mine you dismiss (qadaḥta) the source by which you found out that he is a muftī.“ The one who requests the fatwā [S] answers: „Once you acknowledged that he is a muftī and once you pointed to this fact, you acknowledged the necessity of following him rather than following you, and this is what your pointing (dalīl) acknowledged. My agreement with you regarding this particular knowledge [namely knowing who is the muftī] does not mean that I also agree with you in your knowledge about other issues. Your mistake in disagreeing with the muftī, who is more knowledgeable than you, does not mean that you are also mistaken in knowing that he is a muftī.“944
Darauf aufbauend schreibt Griffel nun: In Ibn Taymiyya’s parable, reason* is dismissed once it has done its job of pointing to revelation.945
944 Griffel, Ibn Taymiyya, 36f. Original in Darʾ 1/138. 945 Ebd., 37.
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Vor dem Hintergrund meiner obigen Ausführungen sollte jedoch klar geworden sein, dass der ungebildete Mann aus der Parabel die Aussagen des Muftis nicht mit der Vernunft*, sondern mit der Vernunft infrage stellt. Noch einmal: Die Vernunft* enthält notwendige und/oder von der fiṭra induzierte Urteile, und die können laut Ibn Taymiyya dem, was die Offenbarung auszudrücken wünscht (in der Parabel stehen dafür die Fatwas des Muftis), nicht widersprechen. Wäre es wirklich die Vernunft*, die bei der Lesung der Offenbarung auszuschalten ist, so wie Griffel das hier auszudrücken scheint, dann wäre Ibn Taymiyya nicht nur ein Literalist, sondern hätte zudem auch nicht verstanden, dass der Textsinn sich nie ohne Zuhilfenahme einer wie auch immer gearteten Vernunft erschließen lässt. Da aber Vernunft* und Textsinn (in der Bedeutung, was der Text auszudrücken wünscht) bei Ibn Taymiyya nicht geschieden sind, zeigt, dass er ein so simplistisches Verständnis von Hermeneutik nicht hat, wie Griffel ihm nicht explizit, aber doch in der Konsequenz unterstellt. Griffel merkt jedoch zu Recht an, dass bei genauerem Hinsehen die Position der Befürworter der Allgemeinen Regel der Position Ibn Taymiyyas ähnlicher ist, als es bei oberflächlicher Lesung der oft polemisch formulierten Texte Ibn Taymiyyas den Anschein haben mag.946 Der eigentliche Konfliktpunkt ist meiner Ansicht nach darin zu sehen, dass in der Entwicklung der ašʿaritischen Schule auf der einen Seite die Anzahl der Vernunfturteile, welche als gesichertes Wissen sowie als mit der ẓāhir-Bedeutung der Offenbarung im Konflikt stehend klassifiziert wurden, stark erhöht und auf der anderen Seite der Grad der semantischen Schärfe der Offenbarungstexte heruntergestuft wurde. Konnten also einige Ašʿariten der ersten Generation, darunter der Gründer selbst, noch z. B. die Hände, die Augen und das Gesicht als feststehende Attribute Gottes mit der Begründung annehmen, dass diese textlich gesichert sind und in keinem Widerspruch zu einem apodiktischen Vernunfturteil stehen, verstanden ihre späteren Schulkollegen diese aufgrund der Allgemeinen Regel lediglich in einem übertragenen Sinne.947 Diese Entwicklung kulminierte im Denken ar-Rāzīs, der, wie Tariq Jaffer konstatiert, von seinen theologischen Positionen her zwar als Ašʿarit, von seiner Methodik her jedoch eher als Muʿtazilit zu bezeichnen ist.948 ar-Rāzī war es auch, der im Vergleich 946 Griffel, Ghazālī at His Most Rationalist, 119; und auch Griffel, Ibn Taymiyya, 38. 947 Siehe dazu unten, Fußnote 968. Für eine Übersicht über die Entwicklung der Attributenlehre bei den Ašʿariten siehe auch Kapitel 3.5. 948 Siehe Jaffer, Rāzī, v. a. ab 54 und ab 68. Es sei noch darauf verwiesen, dass ar-Rāzīs Methodik und manche seiner Ansichten auch stark durch die falāsifa beeinflusst sind, sodass er in der Forschung als ein wichtiges Element in dem schrittweisen Prozess der Inkorporation avicennistischen Gedankenguts in die kalām-Wissenschaft identifiziert wird. Siehe Frank Griffel, Fakhr al-Dīn al-Rāzī, in: Henrik Lagerlund (Hrsg.), Encyclopedia of Medieval Philosophy. Philosophy between
204 | 6 Hermeneutische Grundlagen zu seinen vorhergehenden ašʿaritischen Kollegen der Sprache einen besonders hohen Grad an Unschärfe und Vagheit attestierte und damit die Aussagevalenz überlieferter Texte deutlich einschränkte.949 Durch die damit einhergehende Ausweitung des Anwendungsrahmens des hermeneutischen Instruments des taʾwīl maǧāzī wurde dieses in seiner Funktion gestärkt, den Offenbarungssinn an als apodiktisch erachtete Vernunfturteile anzugleichen. Wenig erstaunlich ist, dass es keine über Schulgrenzen hinweg bestehende Einigkeit darüber gibt, welche Urteile der Vernunft denn nun tatsächlich auch als gesichert gelten dürfen. So bemerkt al-Ġazālī schon in seinem Fayṣal at-tafriqa, dass der Ḥanbalit Gott oberhalb (fawqa) der Schöpfung verortet, da er dem Vernunfturteil des Ašʿariten, das Derartiges als unmöglich ausweist, nicht folgt. Genau andersherum verhält es sich mit dem Ašʿariten gegenüber dem Muʿtaziliten in der Frage nach der Möglichkeit einer Gottesschau.950 Neben der in Ibn Taymiyyas Darʾ vorgebrachten Kritik, die die Gültigkeit der Allgemeinen Regel grundsätzlich infrage stellt, lassen sich in seinen Schriften auch zwei andere Argumentationsstrategien erkennen, die mehr auf eine Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Regel abzielen. Die eine besteht darin, die Unrichtigkeit der von den mutakallimūn als apodiktisch ausgewiesenen Vernunfturteile aufzuzeigen, die andere darin, das Instrument des taʾwīl maǧāzī so stark zu begrenzen, dass eine Deutung der offenbarten Texte im Einklang mit diesen Vernunfturteilen unmöglich wird. Erstere Strategie wird begleitend zu den Ausführungen im Part III der vorliegenden Arbeit, in dem Ibn Taymiyyas Attributenlehre konkret dargestellt wird, deutlich zum Vorschein kommen, letztere in der nun folgenden eingehenden Untersuchung der Schrift Madaniyya. Ihr wurde, obgleich sie einen wichtigen Aspekt der Hermeneutik Ibn Taymiyyas in einer für seine Schriften ungewöhnlich systematischen Form offenlegt, in der Sekundärliteratur bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt.951 Dass die Schrift ein Nachspiel hatte, in welchem 500 and 1500. Bd. 1, Dordrecht u. a.: Springer, 2011, 341–345, hier 342–345, und in vorliegender Arbeit oben, S. 58f. mit Fußnote 283. 949 Siehe dazu Kapitel 7.2 der vorliegenden Arbeit. 950 Siehe Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Fayṣal at-tafriqa bayna l-islām wa-z-zandaqa, hrsg. von Maḥmūd Bīǧū, o. O.: o. V., 1993, 47f. Es wäre falsch, zu vermuten, dass sich hinter diesen Zeilen eine relativistische Auffassung von Wahrheit verbirgt. Im Gegenteil, nach al-Ġazālī ist bezüglich der angeführten Fragestellungen allein die ašʿaritische Position korrekt, wobei er jedoch festhalten möchte, dass die ihr widersprechenden Meinungen zwar Irrwege bzw. unerlaubte Neuerungen sind, aber noch innerhalb des Islams stehen. 951 Die einzige Untersuchung in einer europäischen Sprache, die sich nicht nur am Rande mit dieser Schrift befasst, ist meines Wissens nach Izharul-Haq, Literal and Non-Literal Meaning. Diese lag mir jedoch leider nicht vor.
6.2 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī
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Ibn Taymiyya das Traktat Ḍābiṭ verfasste, wurde bereits erwähnt.952 Dieses Traktat, das wohl äußerst aufschlussreich gewesen wäre, ist leider nur in geringem Umfang erhalten. Es wird im Anschluss an die Analyse der Schrift Madaniyya in den Fokus rücken. 6.2.2 Die Bedingungen der Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī Die einleitenden Worte des Sendschreibens Madaniyya953 machen deutlich, dass der Empfänger – nämlich der Ḥanbalit Šams ad-Dīn ad-Dibbāhī (gest. 711/1311) – kein Widersacher, sondern wohl eher ein Freund oder aber ein Schüler Ibn Taymiyyas war. So z. B. bedankt sich Ibn Taymiyya bei ihm für die Zusendung dreier Bücher.954 Der Anlass des Schreibens ist ad-Dibbāhīs Anfrage nach den Bedingungen, unter denen eine allegorische Auslegung (taʾwīl) offenbarter Texte erlaubt ist.955 Zum Zwecke der Beantwortung referiert Ibn Taymiyya eine Debatte, die zwischen ihm und einem nicht näher genannten Šāfiʿiten – und damit höchstwahrscheinlich einem Ašʿariten – stattgefunden haben soll. Zu dieser Debatte sei es gekommen, als Ibn Taymiyya den Šāfiʿiten sagen hörte, dass man in der Frage um den richtigen Umgang mit den Stellen in der Offenbarung, die Gott beschreiben, zwei Wege beschreiten kann. Der erste ist der Weg aš-Šāfiʿīs, nämlich der der Sicherheit (salāma) und des Schweigens (sukūt). Demzufolge werden die offenbarten Texte in der Bedeutung, die von Gott und dem Propheten intendiert wurden, als wahr bestätigt, ohne diese Bedeutung auf exegetischem Wege eruieren zu wollen. Möchte man aber den Weg der Untersuchung (baḥṯ) und Verifizierung (taḥqīq) beschreiten, so findet man die Wahrheit in den von den mutakallimūn vorgeschlagenen allegorischen Deutungen der koranischen und prophetischen Gottesbeschreibungen. Ibn Taymiyya habe dem Šāfiʿiten darauf entgegnet, dass der zuerst beschriebene Weg tatsächlich gültig ist, der letztgenannte jedoch keineswegs zu den Deutungen der mutakallimūn führt, sondern diese vielmehr widerlegt. Von dieser Antwort provoziert, habe der Šāfiʿit angeboten, diese Streitfrage in einer Debatte zu klären, worin Ibn Taymiyya eingestimmt habe.956 Ibn Taymiyya berichtet, dass für diese Debatte drei Streitfragen angesetzt worden seien, in denen die Ašʿariten späterer Zeit (al-mutaʾaḫḫirūn) im Widerspruch zur Position 952 Siehe oben, S. 19. 953 Zu ihr siehe oben, S. 19. 954 Madaniyya, MF 6/353f.; Ed. Farriyān 22. In Ḍābiṭ bezeichnet Ibn Taymiyya ihn als einen [seiner Schul-]Kollegen (baʿḍ al-aṣḥāb); siehe ǦM 5/44. 955 Madaniyya, MF 6/354; Ed. Farriyān 26. 956 Madaniyya, MF 6/354; Ed. Farriyān 26–28.
206 | 6 Hermeneutische Grundlagen der Traditionalisten (ahl al-ḥadīṯ) standen. Dabei handelt es sich erstens um die göttliche Selbstbeschreibung, Sich in der Höhe über dem Thron zu befinden (waṣf Allāh bi-l-ʿuluww ʿalā l-ʿarš), zweitens um die Frage, in welcher Weise der Koran die göttliche Rede darstellt (masʾalat al-Qurʾān), und drittens um die Gültigkeit allegorischer Deutungen der Gott beschreibenden Offenbarungstexte (masʾalat taʾwīl aṣ-ṣifāt). Ibn Taymiyya schreibt, dass er seinem Widersacher zu Anfang der Debatte darum gebeten habe, mit der letztgenannten Thematik zu beginnen,957 da diese der Urgrund (al-umm) aller Streitigkeiten ist und die beiden erstgenannten lediglich als Ausläufer (Sing.: farʿ) dessen verstanden werden sollten.958 Die restlichen Ausführungen in der Schrift Madaniyya kreisen inhaltlich um eine Passage, in der die vier Bedingungen, deren Einhaltung aus seiner Sicht eine conditio sine qua non für einen korrekten taʾwīl maǧāzī darstellen, in einer für Ibn Taymiyyas Schreibstil ungewöhnlich strukturierten Weise aufgezählt werden. Diese Stelle soll im Folgenden im Ganzen zitiert und hernach erläutert werden: Ich sagte ihm [d. h. dem šāfiʿitischen Widersacher]: „Wenn Gott Sich Selbst mit einer Eigenschaft beschreibt oder aber Sein Gesandter Ihn mit dieser beschreibt oder aber die Muslime (al-muʾminūn), über deren Rechtleitung und deren Wissen sich die Muslime einige sind, Ihn mit dieser beschreiben, so ist ihre Abwendung weg von der etablierten Bedeutung (ẓāhir),959 welche mit der Erhabenheit Gottes – dem Gepriesenen – im Einklang steht, bzw. weg von ihrer ḥaqīqa, welche man von ihr versteht, und hin zu einer versteckten Bedeutung (bāṭin), welche dem ẓāhir zuwiderläuft, bzw. hin zu einem maǧāz, der die ḥaqīqa negiert, nur unter [Einhaltung von] vier Bedingungen erlaubt: Die erste von ihnen ist, dass der Ausdruck auch in der maǧāz-Bedeutung verwendet werden kann, denn der Koran, die Sunna und auch die Aussagen der salaf sind in arabischer Sprache. Es kann also nicht sein, dass durch den Ausdruck etwas intendiert wurde, was der arabischen Sprache zuwiderläuft oder [gar] im Widerspruch zu den Sprachen allesamt steht. So ist es notwendig, dass die maǧāz-Bedeutung etwas ist, was durch den Ausdruck intendiert werden kann. Wäre dem nicht so, könnte irgendein Schwätzer (mubṭil) einen beliebigen Ausdruck gemäß einer beliebigen Bedeutung interpretieren, die ihm gerade in den Sinn kommt, selbst wenn diese keinen Bestand in der Sprache hat. Zweitens: [Es muss] mit ihm [d. h. dem Ausdruck] ein Hinweis (dalīl) einhergehen, der eine Abwendung weg von seiner ḥaqīqa und hin zu seinem maǧāz notwendig macht. Wenn dem nicht so ist und er in einer Bedeutung mittels ḥaqīqa und in einer Bedeutung mittels maǧāz verwendet wird, ist es gemäß dem Konsens aller Vernunftbegabten nicht erlaubt, ihn ohne einen die Abwendung notwendig machenden Hinweis gemäß der maǧāz-Bedeutung zu verstehen. Darüber hinaus gilt, dass, wenn die Notwendigkeit seiner Abwendung von der ḥaqīqa behauptet wird, es einen eindeutigen Hinweis – sei er textlicher oder rationaler Natur – geben
957 So wie Ibn Taymiyya den Verlauf der Debatte in Madaniyya nacherzählt, ist letztlich wohl auch nur diese Streitfrage behandelt worden. 958 Madaniyya, MF 6/354f.; Ed. Farriyān 28f. 959 Zu dieser Übersetzung des Ausdrucks ẓāhir siehe oben, Fußnote 740.
6.2 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī
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muss, der die Abwendung notwendig macht. Und wenn [lediglich] die Augenscheinlichkeit (ẓuhūr) seiner Abwendung weg von der ḥaqīqa behauptet wird, dann muss es einen Hinweis geben, der das Verstehen [des Ausdrucks] als maǧāz überwiegen lässt. Drittens: Es ist notwendig, dass dieser [eben genannte] Hinweis, welcher die Abwendung hervorruft, keinem ihm widersprechenden Hinweis gegenübersteht. Gibt es einen koranischen (qurʾānī) oder theologischen Grundsätzen folgenden (īmānī) Hinweis, der offenlegt, dass die ḥaqīqa [des Ausdrucks] intendiert ist, darf sie nicht verworfen werden. Darüber hinaus gilt, dass, wenn dieser Hinweis eindeutig ist, man sich einem gegensätzlichen Hinweis erst gar nicht zuwenden darf. Wenn er [lediglich] offensichtlich ist, ist eine abwägende Prüfung geboten. Viertens: Wenn der Prophet eine Aussage macht, mit der er etwas intendiert, was der etablierten Bedeutung und der ḥaqīqa zuwiderläuft, dann muss er notwendigerweise der muslimischen Gemeinschaft klarlegen, dass er nicht die ḥaqīqa, sondern den maǧāz gemeint hat. Dies [gilt] ganz gleich, ob er [sich bei seiner Erklärung] explizit eine [Aussage] bestimmt oder nicht (sawāʾun ʿayyanahū aw lam yuʿayyinhu). Dies gilt ganz besonders für die deskriptiven Aussagen [des Propheten], bei denen von ihnen [d. h. den Muslimen] Glaubensgewissheit und das Wissen über sie eingefordert wird, ohne dass sich daraus körperliche Handlungen ableiten lassen [...].960
Auch wenn in der Schrift Madaniyya keine explizite Ablehnung des maǧāzKonzepts zu finden ist, ja Ibn Taymiyya sogar im Gegenteil die damit verbundene Terminologie an vielen Stellen benutzt, so sieht man doch an der Art, wie er die Begriffe ẓāhir und ḥaqīqa verwendet, dass er die dem maǧāz-Konzept zugrunde liegende Logik nicht teilt. Aus der eben zitierten Passage, aber auch aus anderen Stellen, geht deutlich hervor, dass es sich nach Ibn Taymiyya bei der ẓāhir-Bedeutung eines Gott beschreibenden Ausdrucks um eine handelt, die dem Wesen Gottes angemessen ist. Ibn Taymiyya führt u. a. das Beispiel des Ausdrucks der Hand (yad) Gottes an und lässt wissen, dass jemand, der eine Deutung auf der Basis zu legitimieren versucht, dass das Wort Hand (yad) in seiner ẓāhir-Bedeutung auf eine menschliche Gliedmaße verweist, zwar insofern Recht hat, als dass Gott keinesfalls auf diese Art beschrieben werden darf, jedoch in der Annahme fehlgeht, dass dies tatsächlich auch die ẓāhir-Bedeutung ist.961 Im Folgenden werden Ibn Taymiyyas Ausführungen zu den oben genannten vier Bedingungen dargestellt, die er in vier Abschnitte (Sing.: maqām) einteilt. Dies geschieht unter Verwendung des von ihm selbst gewählten Beispiels des Ausdrucks Hand, wobei noch einmal darauf verwiesen sei, dass es Ibn Taymiyya nicht darum geht, den Ausdruck im Sinne einer menschlichen Hand vor einer Umdeutung zu bewahren, sondern im Sinne einer Gott angemessenen Hand, deren Modalität nur dahingehend bekannt ist, als dass sie über keine Charakteristika erschaffener Hände verfügt. 960 Madaniyya, MF 6/360f.; Ed. Farriyān 39–41. 961 Madaniyya, MF 6/356f.; Ed. Farriyān 30f.
208 | 6 Hermeneutische Grundlagen Ibn Taymiyya führt eine Reihe von Beispielen aus dem Sprachgebrauch der Araber an, in denen der Ausdruck Hand im Sinne der Wohltat (niʿma), der Gabe (ʿaṭiyya) und der Kraft (qudra) verwendet wurde.962 Auch führt er den Vers 5:64 an, der Gottes beide Hände als weit ausgestreckt beschreibt, wobei laut Ibn Taymiyya damit Gottes Güte (ǧūd) und Freigiebigkeit (saʿat al-iʿṭāʾ) gemeint ist.963 Und doch verwehrt er sich gegen die Schlussfolgerung, dass der Vers 5:64 nicht auch ein Beweis dafür ist, dass Gott tatsächlich zwei Hände hat.964 Wieso dies so ist, macht er später deutlich, wenn er sagt, dass es in der arabischen Sprache nicht erlaubt ist, Objekten Hände in einer übertragenen Bedeutung zuzuschreiben, wenn diese nicht auch über Hände im ḥaqīqa-Sinne verfügen.965 Nachdem Ibn Taymiyya klargelegt hat, dass eine allegorische Deutung der Attribute Gottes keineswegs mit der Nicht-Realität dessen, was diese im eigentlichen Sinne besagen, einhergeht, konzentriert er seine Betrachtung auf den folgenden Koranvers: „Er [d. h. Gott] sagte: O Iblīs, was hinderte dich daran, dich vor dem ’ [d. h. Ādam] niederzuwerfen, welchen Ich mit Meinen beiden Hände erschuf? [...]‘ “966 Es geht Ibn Taymiyya nun darum, zu prüfen, ob der Ausdruck beide Hände unter Einhaltung der oben genannten vier Bedingungen in einem übertragenen Sinne, also z. B. als Kraft oder als Wohltat, verstanden werden darf. Laut Ibn Taymiyya ist der Ausdruck Hand in der Dual-Form (also: yadān bzw. yadayn) in der arabischen Sprache niemals in der Bedeutung von Kraft oder Wohltat verwendet worden. Zwar könne ein Singular im Sinne eines Plurals, ein Plural im Sinne eines Singulars sowie ein Plural im Sinne eines Duals verwendet werden, jedoch niemals ein Dual im Sinne eines Singulars, noch ein Singular im Sinne eines Duals, noch ein Dual im Sinne eines Gattungsbegriffs. Damit ist es dann auch unsinnig, mit dem Ausdruck beide Hände auf die Kraft zu referieren, welche eine Eigenschaft (ṣifa wāḥida) Gottes ist oder aber auf die Wohltaten Gottes, da diese unzählig sind.967 Eine ähnliche Argumentation, jedoch weniger elaboriert, findet sich auch bei frühen Ašʿariten wie z. B. al-Bāqillānī, welche die Eigenschaft der Hand im Gegensatz späteren Schulkollegen wie z. B. al-Ǧuwaynī noch als ein Wesensattribut (ṣifat aḏ-ḏāt) Gottes anerkannten und verteidigten.968 Darüber hinaus macht Ibn Tay962 Madaniyya, MF 6/363f.; Ed. Farriyān 46–49. 963 Madaniyya, MF 6/363; Ed. Farriyān 45. 964 Madaniyya, MF 6/364; Ed. Farriyān 49. 965 Madaniyya, MF 6/370; Ed. Farriyān 60f. 966 Koran 38:75. 967 Madaniyya, MF 6/365; Ed. Farriyān 50f. 968 Siehe Bāqillānī, Tamhīd, 258f. Al-Ǧuwaynī erkennt an, dass manche der führenden ašʿaritischen Gelehrten (aʾimma) Gott zwei Hände, zwei Augen und ein Gesicht als feststehende Eigenschaften zugeschrieben haben. Er selbst favorisiert jedoch die Ansicht, dass die Hände für
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miyya deutlich, dass sich der Ausdruck beide Hände auch nicht auf das göttliche Wesen selbst beziehen darf,969 da in diesem Falle die Handlung des Erschaffens den Händen hätte zugeschrieben werden müssen. Ibn Taymiyya veranschaulicht dies unter Verweis auf verschiedene Koranverse,970 in denen Händen Taten direkt zugeschrieben werden. In dem hier im Zentrum der Untersuchung stehenden Vers 38:75 heißt es jedoch: „[...] welchen Ich mit Meinen beiden Händen erschuf (li-mā ḫalaqtu bi-yadayya)“. Der Handelnde ist hier einerseits schon eindeutig genannt, andererseits ist auch der Ausdruck yadayya mit der Partikel bi verknüpft, was darauf verweist, dass den Händen lediglich eine instrumentelle Funktion bei der Durchführung der Handlung zugesprochen wird. Somit ist schon die erste Bedingung, nämlich dass der im Vers 38:75 befindliche Ausdruck bi-yadayya als maǧāz verwendet werden darf, nicht erfüllt. Ibn Taymiyya fügt hinzu, dass man – so Gott will – keinen Kenner der arabischen Sprache, ja nicht einmal einen einer anderen Sprache finden wird, der sich in seiner Rede in dieser Weise des maǧāz bedient.971 Ibn Taymiyya fährt fort, dass es, selbst wenn man die erste Bedingung als erfüllt betrachtet, keinen Hinweis gibt, der eine Umdeutung des Ausdrucks yadayya notwendig macht. Er antizipiert den möglichen Einwand, dass die Hände Gliedmaßen sind und diese Gott nicht zugeschrieben werden dürfen. Daraus lasse sich jedoch lediglich folgern, dass der Ausdruck nicht dahingehend verstanden werden darf, dass er die Charakteristika erschaffener Hände einschließt, genau wie auch die Attribute des Wissens, der Kraft, des Wesens und der Existenz Gott auf eine Ihm gebührende und von den Geschöpfen verschiedene Art und Weise zukommen und somit keiner Umdeutung bedürfen.972 Daher ist nach Ibn Taymiyya Gottes Kraft, die Augen für Seine Sehfähigkeit und das Gesicht für Seine Existenz stehen. Siehe Ǧuwaynī, Iršād, 155. Ähnliches findet sich auch eine Generation früher bei seinem Schulkollegen ʿAbd al-Qāhir al-Baġdādī (gest. 429/1037); siehe Baġdādī, Uṣūl ad-dīn, 110 Z.2ff. und 111 Z.9ff. Siehe dazu auch oben, S. 93f. 969 Die Ansicht, dass mit den Händen das Wesen Gottes gemeint ist, schreibt aṯ-Ṯaʿlabī dem Koranexegeten der islamischen Frühzeit Muǧāhid (gest. 104/722) zu, verwirft sie jedoch aus exegetischen Erwägungen. Siehe in der mangelhaften, jedoch einzig vorhandenen Edition seines Tafsīr-Werkes: Abū Isḥāq Aḥmad aṯ-Ṯaʿlabī, al-Kašf wa-l-bayān, hrsg. von Abū Muḥammad Ibn ʿĀšūr, 10 Bde., Beirut: Dār Iḥyāʾ at-turāṯ al-ʿarabī, 2002, 8/216. Es ist noch darauf hinzuweisen, dass aṭ-Ṭabarī bei seiner recht knappen Behandlung dieses Koranverses eine Überlieferung anführt, in deren Tradentenkette sich besagter Muǧāhid befindet, die jedoch in offensichtlichem Widerspruch zu der Position steht, die aṯ-Ṯaʿlabī ihm zuschreibt. Siehe Ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Tafsīr aṭ-Ṭabarī. Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān, hrsg. von ʿAbdallāh at-Turkī, 30 in 24 Bden. plus 2 Bde. Indices, Kairo: Dār Haǧr, 2001, 23/185. 970 Nämlich Koran 22:10, 3:182 und 36:71. 971 Madaniyya, MF 6/366; Ed. Farriyān 52. 972 Madaniyya, MF 6/367; Ed. Farriyān 54f.
210 | 6 Hermeneutische Grundlagen auch die zweite der vier Bedingungen, die einem korrekten taʾwīl maǧāzi zugrunde liegen, nicht erfüllt. Im dritten Abschnitt bezieht sich Ibn Taymiyya nicht auf die im Zitat an dritter Stelle genannte Bedingung, sondern auf die vierte, wenn er schreibt, dass weder im Koran, noch in der Sunna, noch in den Aussagen der salaf – trotz zahlreicher Erwähnung der göttlichen Hände – eine entsprechende Deutung gefunden werden kann. Er stellt die rhetorische Frage, ob es denn denkbar ist, dass weder der Prophet, noch diejenigen, die der muslimischen Gemeinschaft vorstehen (ulū lamr), den Menschen je erklärt haben, dass diese Beschreibungen Gottes nicht im eigentlichen Sinne bzw. gemäß der ẓāhir-Bedeutung zu verstehen sind, sodass die Muslime erst in der Zeit nach den Prophetengefährten durch Personen wie Ǧahm Ibn Ṣafwān (gest. 128/746) und dessen geistigen Nachfolger Bišr Ibn Ġiyāṯ al-Marīsī (gest. 218/833) die korrekte Bedeutung dessen, was Gott auf sie herabgesandt hatte, erfahren konnten. Ibn Taymiyya fragt weiter, wie es sein kann, dass der Prophet alle Angelegenheiten im Detail erklärt hat – darunter selbst die Verrichtung der Notdurft – aber über die intendierte Bedeutung der Gott beschreibenden Ausdrücke in der Offenbarung geschwiegen haben soll, obwohl sie gemäß ihrer ẓāhir-Bedeutung angeblich anthropomorphistisch und somit irreführend sind.973 Die einzigen Belege, die man aus der Offenbarung anführen kann, sind die Verse, die Gottes Andersartigkeit gegenüber der Schöpfung betonen.974 Damit lässt sich aber lediglich beweisen, dass man Gott weder als körperlich, noch als gleichartig zu etwas Geschaffenem darstellen darf, und nicht, dass Ihm keine Hände, die Seiner angemessen sind, zukommen dürfen.975 Damit ist laut Ibn Taymiyya auch die vierte Bedingungen nicht eingehalten, und er wendet sich im vierten und letzten Abschnitt der dritten Bedingung zu, laut der eine durch einen Hinweis legitimierte Deutung eines Ausdrucks nur bei Abwesenheit eines Gegenhinweises gültig ist. Derlei Gegenhinweise lassen sich laut Ibn Taymiyya tatsächlich finden. Wäre nämlich eine Deutung des Ausdrucks beide Hände im Sinne der Wohltat, der Kraft oder aber des göttlichen Wesens tatsächlich korrekt, dann würde sich die Erschaffung Ādams nicht von der des Iblīs oder irgendeines anderen Geschöpfes unterscheiden. Ādam ist jedoch durch den Umstand, durch Gottes beide Hände erschaffen worden zu sein, eine Vorrangstellung (tafḍīl) gegeben worden, aufgrund der die Anordnung erfolgte, dass sich die Engel und Iblīs vor ihm niederwerfen sollen.976 973 974 975 976
Madaniyya, MF 6/368f.; Ed. Farriyān 57f. Ibn Taymiyya führt beispielhaft Koran 112:1, 42:11 und 19:65 an. Madaniyya, MF 6/368; Ed. Farriyān 56. Madaniyya, MF 6/369; Ed. Farriyān 59.
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Bei der Schrift Madaniyya ließ sich Ibn Taymiyya offensichtlich durch seinen ḥanbalitischen Schulkollegen Abū l-Ḥasan az-Zāġūnī (gest. 527/1132) inspirieren, der in seinem Werk al-Īḍāḥ fī uṣūl ad-dīn drei Bedingungen für die Gültigkeit allegorischer Interpretationen formulierte und diese u. a. am Beispiel von Koran 38:75 diskutierte.977 Zwar findet man in Madaniyya keinen Verweis auf diese Schrift, aber die Ähnlichkeit in Aufbau und Inhalt sowie der Umstand, dass Ibn Taymiyya az-Zāġūnīs Ausführungen kannte,978 lassen kaum einen Zweifel daran, dass sie ihm als Vorlage dienten. Az-Zāġūnī allerdings zählt, wie schon gesagt, lediglich drei Bedingungen auf, die er darüber hinaus auch schon jede für sich als hinreichend für die Gültigkeit des taʾwīl beschreibt. Diese sind: Erstens, dass ein äußerer Umstand die Auslegung eines Begriffs gemäß seiner ḥaqīqa verhindert. Zweitens, dass ein Indiz vorliegt, durch das eine allegorische Deutung legitimiert werden kann. Und drittens – aus meiner Sicht jedoch inhaltlich eher eine Unterkategorie der ersten Bedingung –, dass ein Begriff in einer Weise verwendet wird, in der seine eigentliche Bedeutung untauglich ist (lā yaṣluḥu).979 Anders sieht das Ibn Taymiyya, der einen deutlich schärferen Kriterienkatalog für die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzi formuliert. Dabei sind die ersten drei der von ihm genannten vier Bedingungen – also dass eine allegorische Deutung nur bei den Ausdrücken erfolgen darf, die (1) der Sprache nach auch als maǧāz verwendet werden können und deren Deutung (2) durch einen Hinweis, der (3) durch keinen Gegenhinweis aufgehoben werden kann, gestützt ist – bezüglich ihrer grundsätzlichen Gültigkeit unstrittig.980 Diese Einigkeit endet aber in der Frage, ob bei konkreten Deutungen diese Bedingungen nun eingehalten wurden oder nicht.981 Der vierten Bedingung nun liegt eine Forderung zugrunde, die im traditionalistischen Lager verbreitet und auch ganz im Sinne der salaf -zentrierten Koranhermeneutik Ibn Taymiyyas ist. Sie fußt auf der Prämisse, dass die Koraninterpretationen der ersten drei Generationen überwiegend auf den Propheten zurückgehen, der den Koran im Gesamten erläutert hat.982 In den Schriften der mutakallimūn wird man diese vierte Bedingungen jedoch meines Wissens nach vergeblich suchen. Viele von ihnen gaben 977 Siehe Abū l-Ḥasan az-Zāġūnī, al-Īḍāḥ fī uṣūl ad-dīn, hrsg. von ʿIṣām Sayyid Maḥmūd, Riad: Markaz al-Malik Fayṣal li-l-buḥūṯ wa-d-dirāsāt al-islāmiyya, 2003, 284–290. 978 Ibn Taymiyya zitiert diese vollständig in Bayān 1/260–269. 979 Siehe Zāġūnī, Īḍāḥ, 286. 980 Dass sprachliche Ausdrücke zuallererst als ḥaqīqa und nur bei Vorhandensein eines Belegs als maǧāz aufgefasst werden dürfen, wurde auf konzise Weise in der Regel al-aṣl al-ḥaqīqa bzw. al-maǧāz ḫilāf al-aṣl zusammengefasst. Siehe z. B. Ali, Medieval Islamic Pragmatics, 78f. 981 Siehe z. B. al-Ġazālīs Anwendung des taʾwīl, u. a. in Bezug auf die Eigenschaft Gottes, Hände zu haben: Griffel, Ghazālī’s Philosophical Theology, 106–109. 982 Zu Ibn Taymiyyas Koranhermeneutik siehe Suleiman, Ibn Taymīyas Theorie der Koranexegese.
212 | 6 Hermeneutische Grundlagen offen zu, dass die Praxis des taʾwīl erst nach den salaf aufgekommen ist, sahen ihre Gültigkeit dadurch jedoch nicht geschmälert.983 Dies wurde von manchen mutakallimūn in dem Diktum ausgedrückt, der Weg der salaf sei der sicherere (aslam), der der ḫalaf (Nachfolger) jedoch der weisere (aḥkam).984 Den von Ibn Taymiyya genannten vier Bedingungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Koran und die Sunna sich, sofern sie im Gesamten berücksichtigt werden, hinsichtlich ihrer intendierten Bedeutung selbst aufklären.985 Davon nimmt Ibn Taymiyya in seiner Schrift Madaniyya – und noch eindeutiger in Bayān – diejenigen Bedeutungen aus, die aufgrund der Vernunft oder der Erfahrung eindeutig ausgeschlossen werden müssen. Wenn z. B. Gott sagt, dass Er der Schöpfer aller Dinge ist, dann darf man daraus nicht schließen, dass Er auch Sich Selbst erschaffen hat.986 Die Trivialität dieses Beispiels zeigt, welch begrenzten Umfang dem Vernunft- bzw. Erfahrungsurteil im hermeneutischen Prozess der allegorischen Auslegung hier zukommt. Trotzdem wäre es falsch, Ibn Taymiyya damit als einen Literalisten zu identifizieren. Das Konzept des Literalsinns hat in seiner Auffassung von Sprache keinen Platz, wie in Kapitel 5 ausführlich dargelegt wurde.987 Genauso kann man nach der seiner Auffassung zugrunde liegenden Logik auch nicht von einer allegorischen Um-deutung sprechen, wenn Ibn Taymiyya, 983 Siehe dazu z. B. Louis Gardet, Allāh, in: Peri Bearman u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. I, Leiden: Brill, 1960, 406a–417, hier 412. 984 Siehe zu den Ašʿariten: Makdisi, Ash’arī and the Ash’arites I, 51f., und beispielhaft die Aussagen der Māturīditen Nūr ad-Dīn aṣ-Ṣābūnī (gest. 580/1184) und Abū l-Barakāt an-Nasafī (gest. 710/1310) bei Brodersen, Der unbekannte kalām, 145 und 150f. Ibn Taymiyya lehnt dieses Diktum dezidiert ab und schreibt es einigen Törichten (baʿḍ al-aġbiyāʾ) zu (siehe Ḥamawiyya, MF 5/8; Ed. Tuwayǧirī 185). In MF fügt Ibn Taymiyya noch an, dass die Losung, je nachdem, wie man sie verstehe, als wahr aufgefasst werden dürfe (MF 5/9). Dieser Satz fehlt in der Ed. Tuwayǧirī, und der Herausgeber legt in einer Fußnote überzeugend dar, dass es sich hierbei um eine nicht von Ibn Taymiyya stammende Randbemerkung in einem der Manuskripte handelt, die in den vorhandenen Editionen fälschlicherweise Eingang in den Haupttext fand (siehe 187, Fußnote 1). Es sei noch darauf verwiesen, dass sich auch unter den Befürwortern des kalām Stimmen regten, die dieses Diktum zu relativieren versuchten oder es ganz ablehnten. Siehe z. B. Murṭaḍā z-Zabīdī (gest. 1205/1791), der Aussagen von Ibn Haǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852/1449) unterstützend heranzieht: Murtaḍā z-Zabīdī, Itḥāf sādat al-muttaqīn bi-šarḥ Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn, 20 Bde., Kairo: al-Maymaniyya, 1893, 2/112. 985 In seiner Untersuchung des Werkes Darʾ konstatiert Carl El-Tobgui, dass Ibn Taymiyyas Methodik des taʾwīl intertextuell ausgelegt ist. El-Tobgui, Reason, 216–218. Damit ist derselbe Gedanke ausgedrückt, jedoch habe ich den Begriff der Intertextualität hier bewusst vermieden, da er aufgrund seiner andersartigen Verwendung in der jüngeren Literaturwissenschaft irreführend ist. 986 Madaniyya, MF 6/361; Ed. Farriyān 42f. Siehe auch Bayān 285f. 987 Siehe auch El-Tobgui, Reason, 216.
6.2 Ibn Taymiyyas Anforderungen an die Gültigkeit des taʾwīl maǧāzī
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wie oben angesprochen, die beiden weit ausgestreckten Hände Gottes als Verweis auf Seine Güte und Freigiebigkeit versteht. Dies gilt ebenso für seine Deutung der koranischen Aussage, Abū Lahabs beiden Hände mögen zugrunde gehen, als ein Bittgebet dafür, dass ihm sein Reichtum abhandenkommen möge (duʿāʾ ʿalayhi bi-l-ḫusr),988 wie für seine Gleichsetzung des Ausdrucks aydin (Hände) im Vers „Und den Himmel erbauten Wir mit Händen (wa-s-samāʾa banaynāhā bi-aydin )“989 mit dem der quwwa (Kraft).990 Es geht Ibn Taymiyya also nicht um den Erhalt der Bedeutung, die man üblicherweise als die wörtliche bezeichnet. Vielmehr ist es sein Anliegen, den hermeneutischen Rahmen in der Exegese offenbarter Texte stark einzuschränken, um damit den mutakallimūn Einhalt zu gebieten, die aus seiner Sicht ihre Theologie nicht dem Text entnehmen, sondern ihm diese mittels des Instruments des taʾwīl aufzwingen. Wie Yasir Qadhi gezeigt hat, hat sich Ibn Taymiyya mindestens in einer Frage das Instrument des taʾwīl in einer Weise zunutze gemacht, die er hier so stark kritisiert.991 Dabei geht es um die Interpretation des Verses 7:172, der sich in der Übersetzung folgendermaßen liest: Damals, als dein Herr aus den Kindern Ādams, nämlich ihrer Lende [wörtlich: Rücken], ihre Nachkommenschaft entnahm und sie über sich selbst Zeugnis ablegen ließ: „Bin Ich nicht euer Herr?!“, [da] antworteten sie: „Doch, wir bezeugen es!“ Dies, damit ihr am Tage der Auferstehung nicht sagt: „Das haben wir gar nicht gewusst!“
Yasir Qadhi legt dar, dass man sich im traditionalistischen Lager bei der Annahme, dass die Menschheit, wie in diesem Vers augenscheinlich geschildert, tatsächlich vor Gott versammelt wurde und es dabei zu dieser Unterredung kam, auf den Konsens der salaf berief. Selbst die Mehrheit der Ašʿariten interpretierte den Vers auf diese Weise. Andere, wie ar-Rāzī, schlossen sich der muʿtazilitischen Position an, nach der der Vers allegorisch zu verstehen ist, sodass er lediglich darauf verweist, dass Gott den Menschen mit einer Vernunft ausgestattet hat, mit der er die Existenz und Herrschaft Gottes erkennen kann.992 Qadhi beschreibt ausführlich, wie Ibn Taymiyya an einer Stelle seiner Schriften die Existenz des erwähnten Konsenses bestätigt, an anderer Stelle jedoch diesen Vers sowie die sich auf ihn beziehenden Überlieferungen über die salaf auf Basis von sprachlichen, ḥadīṯwissenschaftlichen und rationalen Argumenten auf eine Weise deutet, die der der 988 Tabbat, MF 16/602. Ibn Taymiyya stützt sich dabei auf die Meinung des Grammatikers und Exegeten Abū Ǧaʿfar an-Naḥḥās (gest. 338/950). 989 Koran 51:47. 990 Suʾāl ʿan al-Muršida, MF 11/485; auch Irbiliyya, MF 5/195. 991 Siehe Qadhi, Reconciling, 284–292. 992 Ebd., 284 mit Fußnote 1.
214 | 6 Hermeneutische Grundlagen Muʿtaziliten nahekommt. So versteht auch er den Vers allegorisch, wobei dieser laut ihm aber nicht auf die Vernunft, sondern auf die natürliche Veranlagung (fiṭra) des Menschen verweist.993 Seine hier angewandte Methodik ähnelt, wie Qadhi festhält, „the very method of taʾwīl that he finds problematic amongst the mutakallimūn“.994 Qadhi kennt keine andere Fragestellung, in der Ibn Taymiyya auf diese Weise vorgeht und ist daher bemüht, diese Anomalie zu erklären. Laut ihm muss man diese innerhalb des Kontexts der Bemühungen Ibn Taymiyyas verstehen, die fiṭra des Menschen gegenüber der von den mutakallimūn so hochgehaltenen Vernunft als Quelle der Erkenntnis aufzuwerten.995 Die Debatte zwischen Ibn Taymiyya und dem namentlich nicht bekannten Šāfiʿiten sollte jedoch noch ein Nachspiel haben, in dessen Zuge Ibn Taymiyya etwa zehn Jahre später die Schrift Ḍābiṭ verfasste.996 Dabei handelt es sich um eine Antwort auf die Einwände eines mutakallim, die dieser nach seiner Lektüre der Schrift Madaniyya vorbrachte. Ibn Taymiyya lobt diese Person,997 nennt aber leider ihren Namen nicht. Unglücklicherweise ist die Schrift, die in der edierten Fassung knapp sechzig Buchseiten umfasst, nur teilweise erhalten. Außerdem wendet sich Ibn Taymiyya erst ab ca. der Hälfte des erhaltenen Teils den Einwänden des mutakallim zu. Dabei geht es ihm vorwiegend darum, zu zeigen, dass diese inhaltlich an seinem in der Debatte vertretenen Standpunkt vorbeigehen und daher eigentlich keiner Antwort bedürfen. Trotzdem kündigt er an, diese Einwände im (nicht erhaltenen) zweiten Abschnitt der Schrift zu behandeln.998 Die Haupterkenntnis, die der erhaltene relevante Teil vermittelt, liegt darin, dass Ibn Taymiyya sich auch zehn Jahre nach der Debatte, wie auch in seiner Schrift Madaniyya, eindeutig dahingehend positioniert, die Gültigkeit des taʾwīl grundsätzlich anzuerkennen. Diese sieht er jedoch an Bedingungen geknüpft, welche die konkreten Deutungen, die die mutakallimūn im Gegensatz zu den ahl al-ḥadīṯ befürworten, nicht 993 Diese Deutung ist wohl auch schon vor Ibn Taymiyya vorgebracht worden; siehe Geneviève Gobillot, La conception originelle. Ses interprétations et fonctions chez les penseurs musulmans, Kairo: Institut français d’archéologie orientale, 2000, 46-53. 994 Qadhi, Reconciling, 290. 995 Ebd., 292. Ibn Taymiyyas fiṭra-Konzept und dessen Wichtigkeit innerhalb seines Denkens ist in der Sekundärliteratur viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Siehe z. B. ebd., v. a. 250–283; ElTobgui, Reason, passim (v. a. 276–279); Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, v. a. 39–44; Mehmet Sait Özervarli, Divine Wisdom, Human Agency and the fiṭra in Ibn Taymiyya’s Thought, in: Birgit Krawietz und Georges Tamer (Hrsg.), Islamic Theology, Philosophy and Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin und Boston: De Gruyter, 2013, 37–60; und Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, passim (siehe dort unter dem Stichwort fiṭra im Index auf S. 337). 996 Zur Datierung siehe oben, Fußnote 88. 997 Ḍābiṭ, ǦM 5/62. 998 Ḍābiṭ, ǦM 5/64.
6.3 Grundsätze und Grundregeln der Auslegung der Attribute Gottes |
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erfüllen.999 Der Streit über das Instrument des taʾwīl entzündet sich also auch hier nicht an der Frage ihrer grundsätzlichen Gültigkeit, sondern an der nach der Breite ihres Anwendungsrahmens. Dies steht im Einklang mit den Beobachtungen, die in Kapitel 5.3 gemacht wurden, als die theologische Relevanz der Kritik Ibn Taymiyyas an der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie untersucht wurde.
6.3 Die zwei Grundsätze und die sieben Grundregeln der Auslegung der Attribute Gottes Die erste Hälfte seiner Schrift Tadmuriyya1000 kann als Versuch Ibn Taymiyyas gedeutet werden, die Theorie seiner Attributenlehre in einer Reihe von Grundsätzen (Sing.: aṣl) und Regeln (Sing.: qāʿida) zusammenzufassen. So legt er in zwar keineswegs umfassender, doch aber ungewöhnlich strukturierter Form seine Herangehensweise an das Thema der Attribute Gottes anhand von zwei Grundsätzen und sieben Regeln dar. Nicht vom Inhalt, aber von der Funktion her erinnert diese Schrift an sein Traktat Muqaddima fī uṣūl at-tafsīr, welches als eine Art Handbuch für Koranexegeten verstanden werden kann.1001 Im Folgenden sollen nun die Grundsätze und Regeln, die Ibn Taymiyya in diesem Werk vorbringt, dargestellt und erörtert werden. Erster Grundsatz: Was bezüglich einer bestimmten Eigenschaft Gottes gilt, gilt auch für alle anderen (al-qawl fī baʿḍ aṣ-ṣifāt ka-l-qawl fī baʿḍ).1002 Diesen Grundsatz formuliert Ibn Taymiyya in erster Linie vor dem Hintergrund der Attributenlehre der Ašʿariten. Zwar werden diese nicht explizit genannt, er bezieht sich jedoch auf sie, wenn er argumentiert, dass diejenigen sich in einen Widerspruch verstricken, die zum einen die sieben Attribute Gottes, nämlich das Leben, das Wissen, die Kraft, das Sehen, das Hören, das Sprechen und das Wollen, als reale Eigenschaften anerkennen, zum anderen jedoch die Eigenschaften der Liebe, der Zufriedenheit, des Zornes und der Missbilligung als bloße Ausdrucksformen des Willens oder als die erschaffenen Konsequenzen von Belohnung und Strafe ansehen und diese Eigenschaften damit in einem übertragenen Sinne (maǧāz) deuten. Mit anderen Worten: Wenn die erstgenannten Eigenschaften Gott auf eine Ihm gebührende Weise zukommen können, ohne dass Er deswegen auf anthropomorphistische Weise beschrieben wird, dann ist das auch bei den letztgenannten 999 Ibn Taymiyya bringt diese Position mehrfach zum Ausdruck; siehe z. B. Ḍābiṭ, ǦM 5/69f. 1000 Siehe zu ihr oben, S. 19. 1001 Siehe zu dieser Schrift Suleiman, Ibn Taymīyas Theorie der Koranexegese. 1002 Diesen Grundsatz erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/17–24; Ed. Saʿawī 31–43.
216 | 6 Hermeneutische Grundlagen möglich. Würde nun der Einwand vorgebracht, dass Gott nicht als tatsächlich zornig beschrieben werden darf, da der Zorn nichts anderes ist als das Aufkochen des Herzblutes aufgrund des Wunsches nach Rache (ġalayān dam al-qalb li-ṭalab alintiqām), so ist zu antworten, dass auch der Wille nichts anderes ist als das Streben nach der Erlangung des Nützlichem (ǧalb al-manfaʿa) und nach der Abwehr des Schädliche (dafʿ al-maḍarra). Demgemäß sollte es dann auch verboten sein, Gott als wollend zu beschreiben. Würde darauf geantwortet, dass Ebengenanntes allein den menschlichen Willen beschreibt, so ist zu entgegnen, dass Vorheriges allein für den menschlichen Zorn gilt.1003 Es könnte nun damit argumentiert werden, so Ibn Taymiyya, dass die sieben Eigenschaften im Gegensatz zu den anderen durch die Vernunft bestätigt sind. So kann man – und nun fasst er das gebräuchliche Argumentationsmuster der Ašʿariten zusammen – über die Schöpfung, insofern sie existiert, auf Gottes Kraft, insofern sie so und nicht anders beschaffen ist, auf Seinen Willen, und insofern sie in bester Ordnung erschaffen wurde, auf Sein Wissen schließen. Diese drei Eigenschaften können nur lebenden Objekten zukommen, wodurch sich Gottes Lebendigkeit beweisen lässt. Alles Lebendige ist nun entweder hörend, sehend und sprechend oder nicht. Ibn Taymiyya bricht den Gedankengang hier ab, zur Vollständigkeit gehört noch die Schlussfolgerung, dass Hören, Sprechen und Sehen als Vollkommenheitsattribute gesehen werden und sie manchen Geschöpfen zukommen; da nun Gott vollkommener ist als die Schöpfung, kommen sie Ihm erst recht zu.1004 Aus zwei Gründen ist Ibn Taymiyya indes nicht von obigem Versuch überzeugt, die Vernunft als ein Kriterium darzustellen, nach der eine Unterscheidung zwischen sieben beweisbaren realen Eigenschaften Gottes und allen anderen, denen keine reale Existenz zukommt, möglich ist. Zum einen, so sagt er nun, ist selbst dann, wenn es richtig wäre, dass die anderen Eigenschaften nicht durch die Vernunft bestätigt werden können, nicht bewiesen, dass Gott nicht trotzdem durch sie beschrieben werden darf. Zum anderen können in derselben Weise, wie für die Akzeptanz der sieben Eigenschaften auf Basis der Vernunft argumentiert wurde, auch die anderen Eigenschaften untermauert werden. Ibn Taymiyya führt dies 1003 Tadmuriyya, MF 3/17f.; Ed. Saʿawī 31f. Interessant ist, dass auch al-Ašʿarī, der verneint, dass Gott über die Eigenschaft des Zorns verfügt, hinsichtlich der göttlichen Eigenschaft der Hände nach demselben Muster argumentiert wie Ibn Taymiyya. So bringt al-Ašʿarī folgendes Argument vor, um es zu widerlegen: Gottes Hände sind unbedingt allegorisch zu deuten, da Hände nur in Form von Gliedmaßen gesichtet wurden, diese aber Gott nicht zukommen dürfen. Al-Ašʿarī entgegnet nun, dass man nach dieser Denkart auch Gottes Leben verneinen müsste, da gesichtete lebendige Objekte immer auch Körper sind, Gott aber unkörperlich ist. Siehe Ašʿarī, Ibāna, 136. 1004 Siehe dazu die Ausführungen al-Ġazālīs bei Abū Ḥāmid al-Ġazālī, al-Iqtiṣād fī l-iʿtiqād, hrsg. von Agâh Çubukçu/Hüseyin Atay, Ankara: Nur Matbaasi, 1962, 110f.
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an einer Reihe von Beispielen aus. Um seinen Standpunkt zu illustrieren, dürfte es ausreichen, lediglich das folgende zu betrachten: Demnach erachtet er Gottes Wohltaten, die Er den Menschen zukommen lässt, als einen Beweis dafür, dass Er über die Eigenschaft verfügt, barmherzig zu sein.1005 Im Folgenden wendet Ibn Taymiyya sich den Positionen der Muʿtaziliten – die er explizit nennt – sowie denen der falāsifa zu. Erste akzeptierten die Namen Gottes, nicht aber Seine Eigenschaften, da sie der Meinung waren, dass letztere die Körperlichkeit Gottes voraussetzen. Ibn Taymiyya entgegnet, dass nach diesem Argument auch die Namen Gottes abgelehnt werden müssten, da nicht ersichtlich ist, wieso lediglich Eigenschaften, nicht aber Namen die Körperlichkeit eines Objekts voraussetzen.1006 Er führt diesen Gedankengang nicht weiter aus; es ist aber anzunehmen, dass er auf das Grundproblem verweisen möchte, mit dem sich die Muʿtaziliten in ihrer Theologie konfrontiert sahen und für welches sie verschiedene Lösungen zu entwickeln versuchten, nämlich auf die Frage nach dem ontologischen Verhältnis zwischen den unterscheidbaren Namen Gottes zueinander sowie zwischen ihnen und dem göttlichen Wesen.1007 Schließlich kritisiert Ibn Taymiyya auch die falāsifa, die er nicht direkt nennt, dafür, da sie die Eigenschaften Gottes mit dem Argument ablehnten, dass diese verschiedene Entitäten darstellen, Gott aber nicht aus verschiedenen Teilen bestehen kann. Ibn Taymiyya versucht auch ihnen einen Widerspruch nachzuweisen, indem er sagt, dass auch sie der Meinung waren, dass Gott u. a. ein Intellekt (ʿaql), ein Intellegierendes (ʿāqil) und ein intellektuell Erfasstes (maʿqūl) ist.1008 Wenn man diese Eigenschaften anerkennen kann, so resümiert Ibn Taymiyya, ohne damit Gott als ein aus Teilen zusammengesetztes Wesen betrachten zu müssen, dann lässt sich auf diese Weise auch in Bezug auf alle anderen Eigenschaften verfahren.1009 Zweiter Grundsatz: Was bezüglich der Eigenschaften Gottes gilt, gilt ebenso für Sein Wesen (al-qawl fī ṣ-ṣifāt ka-l-qawl fī ḏ-ḏāt).1010 Die Kernaussage dieses Grundsatzes lautet, dass Gott ein Wesen im wirklichen Sinne (ḥaqīqa) zugeschrieben wird, genauso wie Ihm auch Eigenschaften in diesem Sinne zugeschrieben werden. Sowohl das Wesen als auch die Eigenschaften kommen Ihm dabei auf eine von denen der erschaffenen Objekte unterschiedene Weise 1005 Tadmuriyya, MF 3/18f.; Ed. Saʿawī 33f. Wie Ibn Taymiyya diese und andere Eigenschaften über die Vernunft zu beweisen versucht, beschreibt ausführlich Kapitel 7.1.2 der vorliegenden Arbeit. 1006 Tadmuriyya, MF 3/20; Ed. Saʿawī 35. 1007 Die muʿtazilitische Sicht hierzu wurde in Kapitel 3.2 ausgeführt. 1008 Siehe hierzu die Ausführungen Ibn Sīnās auf S. 56. 1009 Tadmuriyya, MF 3/23; Ed. Saʿawī 40f. 1010 Diesen Grundsatz erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/25–27; Ed. Saʿawī 43–46.
218 | 6 Hermeneutische Grundlagen zu. Fragt jemand, so Ibn Taymiyya, wie denn z. B. das Herabsteigen Gottes aus der Höhe zum untersten Himmel vonstattengehe, so ist die Gegenfrage zu stellen, wie denn Gottes Wesen beschaffen sei. Ibn Taymiyya führt dies folgendermaßen weiter aus: Wenn er nun darauf antwortet, Seine Beschaffenheit (kayfiyya) nicht zu kennen, dann wird ihm gesagt, dass auch wir nicht wissen, wie Sein Herabsteigen [aus der Höhe] vonstattengeht. Denn das Wissen über die Beschaffenheit der Eigenschaften setzt das Wissen über das mit den Eigenschaften beschriebene Objekt voraus. (Ersteres) setzt [Letzteres] voraus und folgt aus diesem. Wie kannst du also von mir das Wissen über die Beschaffenheit Seines Hörens, Seines Sehens, Seines Redens, Seines Sich-Erhebens (istiwāʾ) und Seines Herabkommens erfragen wollen, wenn du nicht die Beschaffenheit Seines Wesens kennst [und auch nicht kennen kannst]?1011
Ibn Taymiyya wiederholt darüber hinaus auch den Gedanken, der schon im ersten Grundsatz ausgedrückt wurde, nämlich, dass die Attributenleugner über kein konsistentes Kriterium (qānūn mustaqīm) verfügen, welches die Idee rechtfertigt, dass Gott über ein Wesen und manche Eigenschaften verfügen kann, über andere hingegen nicht. Die zwei Beispiele: Das Paradies und die Seele (rūḥ)1012 Um die zwei oben ausgeführten Grundsätze zu erläutern, führt Ibn Taymiyya zwei Beispiele an. Ersteres bezieht sich auf die erschaffenen Objekte im Paradies, wie z. B. die Milch, den Honig, den Wein, das Wasser und die Kleidung. Dass diese Dinge andersgeartet sind als die mit demselben Namen bezeichneten Dinge unserer Welt, untermauert Ibn Taymiyya mit einem Ausspruch des Prophetengefährten Ibn ʿAbbās, nach dem sich die Gegenstände des Diesseits und die des Jenseits lediglich im Namen treffen. Was Ibn Taymiyya hier nicht hervorhebt, ist, dass er die Position vertritt, dass es aber doch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den diesseitigen und den jenseitigen Objekten geben muss, durch die sich die parallele Namensgebung rechtfertigt.1013 Ihm geht es hier vielmehr darum, zu betonen, dass, wenn zwischen den Objekten dieser Welt und der denen Paradieses, obwohl sie ja gleichermaßen als erschaffen einzustufen sind, eine so große Andersartigkeit besteht, dass wir von den Realitäten der ersteren nicht auf die der letzteren schließen können, es dann erst recht nicht möglich ist, von den Realitäten der erschaffenen Eigenschaften auf die der unerschaffenen Eigenschaften des Schöpfers zu schließen, insofern sie namensgleich sind. 1011 Tadmuriyya, MF 3/25; Ed. Saʿawī 44. 1012 Diese zwei Beispiele führt Ibn Taymiyya aus in Tadmuriyya, MF 3/28–34; Ed. Saʿawī 46–57. 1013 Siehe dazu oben, S. 106 und 192.
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Das zweite Beispiel thematisiert die Seele des Menschen, wobei Ibn Taymiyya aufzeigen möchte, dass die Meinungsverschiedenheiten in dieser Sache ähnlich groß und zahlreich sind wie in der Frage über die Attribute Gottes. Er resümiert: Damit soll gezeigt werden, dass die Seele, so sie doch existiert, lebt, wissend ist, über eine Kraft verfügt, hört, sieht, auf- und herabsteigt, geht und kommt und über andere Eigenschaften verfügt, bei denen die Vernunft nicht dazu imstande ist, ihre Beschaffenheit zu beschreiben und sie [d. h. die Seele] zu definieren. Dies ist so, weil sie [d. h. die Vernunft] kein ihr Vergleichbares (naẓīr) kennt. Die Dinge werden aber nur erkannt durch direkte Sichtung oder aber durch die Sichtung einer vergleichbaren Sache.1014
Wenn die Vernunft die Modalität dieser Handlungen in Bezug auf die erschaffene Seele nicht erkennen kann, so Ibn Taymiyya weiter, dann ist dies hinsichtlich des Wesens und den Eigenschaften des Schöpfers erst recht nicht möglich. Erste Regel: Gott wird durch Affirmation (iṯbāt) und Negation (nafy) beschrieben.1015 Laut Ibn Taymiyya wird durch die Affirmation der göttlichen Attribute die Vollkommenheit Gottes bestätigt und durch die Negation aller nicht-göttlichen Eigenschaften jedweder Mangel auf Seiner Seite verneint. Da er sich bei seinen Ausführungen vor allem gegen die Gruppierungen richtet, deren Interpretationen der göttlichen Attribute zu deren Entleerung (taʿṭīl) führen, bespricht Ibn Taymiyya vor allem die Negation. So meint er, dass das bloße Negieren bestimmter Attribute noch kein Lob (madḥ) Gottes und keine Affirmation Seiner Vollkommenheit bedeutet, ja ohne eine sie begleitende Affirmation Gott sogar mit den mängelbehafteten Dingen (manqūṣāt) oder gar mit den nicht-existenten Dingen (maʿdūmāt) gleichgesetzt wird. Daher gehen mit den verneinenden Beschreibungen Gottes im Koran auch immer die bejahenden einher.1016 Erst recht lehnt Ibn Taymiyya es ab, wenn eine bestimmte Eigenschaft und ihr Gegenteil verneint werden, so wie z. B. die Ašʿariten – die er nicht explizit nennt – meinten, dass Gott Sich weder innerhalb noch außerhalb der Schöpfung befindet, oder aber wenn Gott als weder sehend noch blind, als weder hörend noch taub, und als weder lebendig noch tot beschrieben wird. Ibn Taymiyya antizipiert das Gegenargument, dass die Negation der gegenteiligen Attribute widerspruchsfrei erfolgt, weil Gott gar nicht innerhalb dieser Kategorien beschrieben werden darf, ähnlich wie man auch eine Wand widerspruchsfrei als weder sehend noch blind beschreiben kann. Er meint dazu, dass dieser Ansicht eine Neudeutung dieser Ausdrücke zugrunde liegt, da aus seiner Sicht sehr wohl alle Gegenstände mit 1014 Tadmuriyya, MF 3/33; Ed. Saʿawī 56. 1015 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/35–40; Ed. Saʿawī 57–65. 1016 Tadmuriyya, MF 3/35–38; Ed. Saʿawī 57–61.
220 | 6 Hermeneutische Grundlagen den eben angeführten Eigenschaften oder ihrem Gegenteil beschrieben werden dürfen. Er bringt das Beispiel des Stabes des Propheten Mose, welchen Gott lebendig gemacht hat.1017 So wie es nun sprachlich gültig ist, den Stab als lebendig (ḥayy) zu beschreiben, kann er auch in seinem vorhergehenden Zustand als tot (mayyit) bezeichnet werden. Aber auch unter dem Vorbehalt, dass unbelebte Dinge (ǧamādāt) wie z. B. Wände tatsächlich widerspruchsfrei weder mit der einen Eigenschaft noch mit ihrem Gegenteil bezeichnet werden dürfen, bedeutet dies nicht, dass dies auch auf Gott zutrifft. Vielmehr muss Derartiges abgelehnt werden, da Gott sonst mit der unbelebten Materie gleichgesetzt würde. Damit wäre Gott mit einem stärkeren Mangel behaftet als ein Blinder, da dieser zumindest über eine potenzielle Sehfähigkeit verfügt.1018 In seinen Ausführungen zur siebten Regel, die weiter unten dargestellt werden, sieht Ibn Taymiyya sich veranlasst, die eben beschriebene Thematik ausführlicher zu behandeln. Zweite Regel: Alles, was uns über den Koran, die Sunna sowie über den Konsens der muslimischen Gemeinschaft und ihrer führenden Gelehrten erreicht hat, ist als wahr anzunehmen, selbst dann, wenn wir die Bedeutung nicht verstehen.1019 In der knapp gehaltenen Erläuterung zu dieser Regel erklärt Ibn Taymiyya nicht, was er damit meint, dass die Bedeutung mancher Aussagen aus dem Koran oder der Sunna unverständlich sein können. Es ist jedoch mit Blick auf sein mutašābih-Konzept klar, dass diese Unverständlichkeit nicht absolut ist, sondern vom Vorwissen des Rezipienten abhängt.1020 Der Umkehrschluss dieser Regel besagt, wie Ibn Taymiyya darlegt, dass Aussagen, die Begriffe beinhalten, die weder im Koran noch in der Sunna zu finden sind, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen sind. Er exemplifiziert das u. a. an der Fragestellung, ob Gott als mutaḥayyiz (Platz greifend) bezeichnet werden darf, und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass dies – wie weiter oben dargestellt – davon abhängt, was derjenige, der diese Begriffe verwendet, darunter versteht.1021 Dritte Regel: Ob eine Aussage gemäß der äußeren Bedeutung (ẓāhir) interpretiert werden muss, hängt davon ab, wie man den Terminus ẓāhir definiert.1022 Falls, so schreibt Ibn Taymiyya, bei der Interpretation der Eigenschaften Gottes dasjenige als die offenkundige Bedeutung (ẓāhir) definiert wird, das die Charak1017 Siehe Koran 20:20. 1018 Tadmuriyya, MF 3/37f.; Ed. Saʿawī 61f. 1019 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/41f.; Ed. Saʿawī 65–68. 1020 Siehe dazu oben, Unterkapitel 6.1.2. 1021 Siehe oben, Unterkapitel 4.3.3. 1022 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/43–46; Ed. Saʿawī 69–78.
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teristika der Geschöpfe umfasst, so ist diese Deutung mit Sicherheit abzulehnen. Diese Aussage findet sich in mehreren Schriften Ibn Taymiyyas und wurde schon an anderen Stellen dieser Arbeit behandelt.1023 Im Einklang damit lehnt er auch in der Schrift Tadmuriyya ab, dass der Terminus ẓāhir auf diese Weise definiert wird, da zum einen dies zu dem Schluss führen würde, dass Gottes Selbstbeschreibungen in ihrer äußeren Bedeutung Unglaube (kufr) und Falschheit (bāṭil) vermitteln, und zum anderen auch die ersten drei Generationen der Muslime und die führenden Gelehrten den ẓāhir-Ausdruck nicht in dieser Weise verwendeten. Diejenigen nun, die den ẓāhir-Begriff in dieser eben kritisierten Form benutzen, begehen laut Ibn Taymiyya bei der Deutung der Gott beschreibenden Verse und Prophetenworte zwei Fehler: Sie interpretieren entweder eine falsche (fāsid) Bedeutung in den Text hinein, sodass sie sich gezwungen sehen, eine allegorische Deutung (taʾwīl) vorzunehmen, oder aber sie erkennen die wahre Bedeutung, verwerfen diese jedoch fälschlicherweise aufgrund der Annahme, dass Gott damit nicht beschrieben werden dürfe.1024 Bei der Darstellung der zuletzt genannten Fehlerart verwickelt sich Ibn Taymiyya offensichtlich in einen Widerspruch, denn, wie zu Anfang ausgeführt, verstehen diejenigen, über die er hier schreibt, die Gott beschreibenden Koranverse nicht in der Bedeutung, die er als wahr bezeichnet, sondern in einer anthropomorphistischen Weise, sodass sie sich zu einer allegorischen Deutung gezwungen sehen. Ibn Taymiyya führt zur Verdeutlichung eine Vielzahl an Beispielen an, von denen sich keines auf die zweite Fehlerart bezieht, was aufgrund ihrer eben beschriebenen Widersprüchlichkeit auch gar nicht möglich ist. Im Folgenden soll lediglich eines dieser Beispiele besprochen werden.1025 Dabei handelt es sich um ein Prophetenwort, das laut Ibn Taymiyya wohl aber eine Aussage des Prophetengefährten Ibn ʿAbbās ist: „Der schwarze Stein ist die rechte [Hand] Gottes auf Erden. Wer auch immer ihn berührt und küsst, so ist es, als ob (fa-ka-annamā) er Gottes rechte Hand berührt und geküsst hätte.“ Ibn Taymiyya sieht in diesem Ausspruch keine Legitimationsgrundlage für die Anwendung des taʾwīl. Denn dass Gottes rechte [Hand] auf Erden tatsächlich der schwarze Stein ist, behauptet dieser Ausspruch nicht, da die Partikel ka darauf verweist, dass es sich nur um ein Gleichnis (tašbīh) handelt und „es allgemein bekannt ist, dass der mušabbah (das, was verglichen wird) nicht identisch ist mit dem mušabbah bihī (das, womit der 1023 Siehe oben, S. 176 und 210. 1024 Tadmuriyya, MF 3/43; Ed. Saʿawī 69. 1025 Eines der Beispiele, das im Folgenden nicht behandelt worden soll, bezieht sich auf Gottes Aussage, Ādam mit Seinen beiden Hände erschaffen zu haben (siehe Koran 38:75). Ibn Taymiyya argumentiert hier ähnlich wie in Madaniyya; zu der dortigen Passage siehe oben, S. 208.
222 | 6 Hermeneutische Grundlagen mušabbah verglichen wird).1026 Gegen wen diese Kritik gerichtet ist, erfährt man in Ibn Taymiyyas Ausführungen nicht. Tatsächlich ist unter den mutakallimūn dieses scheinbare Prophetenwort mehrfach besprochen worden, wobei verschiedene Deutungen vorgebracht wurden.1027 Vierte Regel: Wer meint, manche oder alle der Eigenschaften Gottes inhaltlich entleeren zu müssen, weil dies sonst zu einer Gleichsetzung Gottes mit der Schöpfung (tamṯīl) führe, wird sich in vier Arten von Fallstricken (maḥāḏīr) verheddern.1028 Die erste dieser vier Arten von Fallstricken ist, so Ibn Taymiyya, dass der Interpret Gott und Seinem Propheten mit einer negativen Grundeinstellung (sūʾ aẓẓann) begegnet, indem er annimmt, dass das vorrangig Verstandene (mafhūm) der Gott beschreibenden Koranverse und Prophetenworte die verbotene Gleichsetzung Gottes mit Seiner Schöpfung beinhaltet. So wird z. B. bei der Selbstbeschreibung Gottes, Sich über Seinen Thron erhoben zu haben, fälschlicherweise angenommen, dass dies nicht anders vonstattengehen könne als beim Menschen und dass Gott von Seinem Thron getragen werde.1029 Um nun dem aus dieser Fehlannahme resultierenden Anthropomorphismus zu entgehen, verheddert sich der Interpret im zweiten Fallstrick, indem er die in diesen Koranversen und Prophetenworten vorgebrachten Gottesbeschreibungen inhaltlich entleert (ʿaṭṭala).1030 Darüber hinaus lässt er sich zuschulden kommen, dass er – ohne das entsprechende Wissen über die Realität Gottes haben zu können – sich eigenmächtig entscheidet, die göttlichen Attribute zu negieren. Daraus folgt nun unweigerlich, dass Gott mit den unvollkommenen und den nicht-existenten Objekten gleichgesetzt wird, insofern von diesen ebenfalls diese Attribute teilweise oder insgesamt negiert werden.1031 Fünfte Regel: Gottes Selbstbeschreibungen können in mancher Hinsicht verstanden werden, in anderer nicht.1032 Bei dieser Regel geht es Ibn Taymiyya darum festzuhalten, dass alle Ausdrücke, mit denen Gott im Koran und in der Sunna beschrieben wird, auf der semantischen Ebene sehr wohl verstanden werden können. Damit stellt er sich gegen die Position der Anhänger des tafwīḍ, nach der das Wissen über die Bedeutung dieser Ausdrücke Gott vorbehalten ist. Die ontische Beschaffenheit der mit diesen Ausdrücken 1026 Tadmuriyya, MF 3/44; Ed. Saʿawī 71f. 1027 Siehe z. B. Ibn Fūrak, Muškil al-ḥadīṯ, 55f. 1028 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/48–53; Ed. Saʿawī 79–89. 1029 Tadmuriyya, MF 3/49f.; Ed. Saʿawī 81f. 1030 Auf ähnliche Weise argumentiert Ibn Taymiyya auch in Akmaliyya; siehe dazu unten, S. 254. 1031 Tadmuriyya, MF 3/49; Ed. Saʿawī 80f. 1032 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/54–68; Ed. Saʿawī 89–116.
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bezeichneten Eigenschaften, die durch Erfassen der semantischen Bedeutung allein nicht in Erfahrung gebracht werden kann, bleibt den Geschöpfen jedoch gänzlich verborgen. Im Zuge der Erläuterung dieser Regel führt Ibn Taymiyya sein Verständnis der Termini taʾwīl, muḥkam und mutašābih an und geht auch, jedoch weniger ausführlich, auf sein Konzept des tawāṭuʾ ein. Da dies in der vorliegenden Arbeit schon ausführlich behandelt wurde,1033 erübrigt sich die Darstellung seiner Ausführungen hierzu. Sechste Regel: Bezüglich einer Eigenschaft, mit welcher Gott durch etwas anderes als die Offenbarung beschrieben wurde, gilt: Sie wird bestätigt, wenn sie zur Perfektion gereicht, abgelehnt, wenn sie auf eine Unzulänglichkeit hinweist, und ansonsten weder angenommen noch bestätigt.1034 Ibn Taymiyya beginnt seine Ausführungen damit, dass man unbedingt über ein Kriterium (ḍābiṭ) verfügen muss, um zwischen den annehmbaren und den abzulehnenden Gottesbeschreibungen unterscheiden zu können. Dieses Kriterium ist in der obigen Regel formuliert, wobei Ibn Taymiyya am Ende des Kapitels mitteilt, nicht alle Wege zur Prüfung der Annehmbarkeit einer bestimmten Eigenschaft behandelt zu haben, da er dies schon an anderer Stelle geleistet hat.1035 Er beschreibt aber – wenn auch nur sehr knapp – einen Weg, der in der oben formulierten Regel nicht erhalten ist. So argumentiert er, dass alle Eigenschaften, die sich notwendigerweise aus den Eigenschaften ergeben, bei denen sichergestellt ist, dass sie Gott zukommen, Gott ebenfalls zugeschrieben werden müssen. Dabei sei jedoch zu beachten, dass ein solches angenommenes notwendiges Verhältnis zwischen zwei Eigenschaften allgemein und nicht nur im Bereich der Schöpfung besteht.1036 Ibn Taymiyya führt hierzu kein Beispiel an, sagt jedoch an anderer Stelle, dass Gottes Eigenschaft, lebendig zu sein, notwendigerweise beinhaltet, dass eine wie auch immer geartete Aktivität in Ihm stattfindet bzw. von Ihm ausgeht.1037 Ibn Taymiyya führt nun die Meinung an, dass die Offenbarung als Kriterium für die Ermittlung der Attribute Gottes ausreicht, und zwar in dem Sinne, dass alle dort vorzufindenden Beschreibungen Gottes angenommen und alle darin unerwähnt gebliebenen abgelehnt werden. Letzteres lehnt er mit der Begründung ab, dass man aus dem Umstand, dass eine bestimmte Eigenschaft in der Offenbarung unerwähnt blieb, nicht schließen darf, dass diese damit Gott auch tatsächlich nicht 1033 Siehe die Kapitel 6.1 und 5.2. 1034 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/69–88; Ed. Saʿawī 116–146. 1035 Tadmuriyya, MF 3/88; Ed. Saʿawī 146. Auf welche Schrift sich Ibn Taymiyya hier bezieht, ist mir nicht bekannt. 1036 Tadmuriyya, MF 3/75; Ed. Saʿawī 127. 1037 Kaylāniyya, MF 12/365. Eingehender wird dies in Kapitel 9 der vorliegenden Arbeit behandelt.
224 | 6 Hermeneutische Grundlagen zukommt.1038 In seinen Ausführungen zu der genannten Regel führt Ibn Taymiyya ausschließlich Beispiele an, die sich auf in der Offenbarung unerwähnt gebliebene Eigenschaften beziehen, die man aber alle ablehnen muss, da sie Gott als mängelbehaftet beschreiben. Es fehlen also Beispiele von ebenfalls unerwähnten Eigenschaften, die Gott dennoch zukommen. Ibn Taymiyya veranschaulicht seine Methodik u. a. unter Verweis auf eine Aussage, die er den Juden zuschreibt: Gott habe nach der Sintflut getrauert und geweint, bis sich Seine Augen entzündeten und die Engel gegen Ihn aufbegehrten.1039 Ibn Taymiyya echauffiert sich über die mutakallimūn, die solche Zuschreibungen auf der Basis zu widerlegen versuchten, dass die Eigenschaft, weinen zu können, notwendigerweise mit der Eigenschaft der Körperlichkeit und der örtlichen Gebundenheit (taḥayyuz) einhergeht.1040 Zwar stimmt er zu, dass Gott nicht als weinend beschrieben werden darf, dies aber auf der Basis, dass diese Eigenschaft Seiner Vollkommenheit zuwiderläuft. Dieses Argument gegen die von den Juden vorgebrachte Gottesbeschreibung ist seiner Meinung nach im Gegensatz zu dem der mutakallimūn anschaulich, einleuchtend und unwiderlegbar. Denn den mutakallimūn könnte erwidert werden, dass Gott auf eine Seinem Wesen gebührende Weise weint, die sich von der der erschaffenen Dinge unterscheidet, und damit das Weinen nicht notwendigerweise mit einer Körperlichkeit oder einer Ortsgebundenheit einhergeht.1041 Demgemäß, so Ibn Taymiyya an späterer Stelle, könnte man dann soweit gehen, Gott nicht nur als weinend, sondern auch als essend, trinkend, grämend, lachend, Sich freuend sowie redend zu beschreiben oder Ihm sogar verschiedene Körperteile und Glieder zuzusprechen.1042 Es ist nicht ersichtlich, wieso in dieser Passage, in der Ibn Taymiyya offensichtlich inakzeptable Eigenschaften aufzählen möchte, auch die Eigenschaften des Lachens, des Sich-Freuens und 1038 Tadmuriyya, MF 3/83; Ed. Saʿawī 137. 1039 Die Auffassung, dass Gott die Sintflut bereute und über ihre Konsequenzen trauerte, ist in der rabbinischen Tradition vertreten worden; siehe dazu Peter Kuhn, Gottes Trauer und Klage in der rabbinischen Überlieferung (Talmud und Midrasch), Leiden: Brill, 1978, 55f. 1040 Ibn Taymiyya bezieht sich hier nicht auf bestimmte Gelehrte. Beispielhaft sei auf die Ausführungen des frühen Zayditen al-Qāsim Ibn Ibrāhīm ar-Rassī (gest. 246/860) verwiesen, der dafür argumentiert, dass die Unaufmerksamkeit (ġafla) Gott nicht zugeschrieben werden darf, weil diese ausschließlich zeitlichen Dingen zukommen kann; siehe al-Qāsim Ibn Ibrāhīm ar-Rassī, Munāẓara maʿa l-mulḥid, in: ʿAbd al-Karīm Aḥmad Ǧadbān (Hrsg.), Maǧmūʿ kutub wa-rasāʾil li-l-imām alQāsim Ibn Ibrāhīm ar-Raṣṣī, Bd. 1, Sanaa: Dār al-Ḥikma al-yamāniyya, 2001, 293–318, hier 309. Zur Frage der Authentizität dieser Schrift siehe Binyamin Abrahamov, al-Ḳāsim ibn Ibrāhīm’s Argument from Design, in: Oriens 29/30 (1986), 259–284, hier 281ff. Diese Literaturhinweise verdanke ich Mahmoud Abushuair. 1041 Tadmuriyya, MF 3/79f.; Ed. Saʿawī 132f. 1042 Tadmuriyya, MF 3/82; Ed. Saʿawī 136f.
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des Redens genannt werden, da Gott in der Offenbarung mit diesen beschrieben wird und sie Ihm laut Ibn Taymiyya auch tatsächlich zukommen.1043 An späterer Stelle schreibt er, dass „das Weinen und der Gram Schwäche und Unfähigkeit voraussetzen, welche [als Eigenschaften] von Gott fernzuhalten sind, die Freude und der Zorn dagegen zu den Eigenschaften der Vollkommenheit gehören“.1044 Eine Begründung für diese aus meiner Sicht nicht selbst-evidente Behauptung bleibt Ibn Taymiyya dem Leser hier schuldig. Diese bringt er, wenn auch aus meiner Sicht nicht auf überzeugende Weise, in seiner Schrift Akmaliyya vor, welche in Kapitel 7.1.2 ausführlich behandelt werden wird. Siebte Regel: Viele der Eigenschaften Gottes lassen sich nicht nur durch die Überlieferung, sondern auch durch die Vernunft beweisen.1045 Diese Regel hat Ibn Taymiyya der Schrift Tadmuriyya wohl später hinzugefügt.1046 Da er in der sechsten Regel überwiegend darüber sprach, wie nichtgöttliche Eigenschaften als solche erkannt werden können, schien es ihm wohl angebracht, noch darzustellen, wie die göttlichen Eigenschaften als solche bewiesen werden können. Der Königsweg hierbei stellt der qiyās awlā (argumentum a fortiori) dar, der in Kapitel 7.1.2 noch ausführlich dargestellt wird. Ibn Taymiyya betont jedoch ausdrücklich, dass er hier ein anderes Beweisverfahren vorstellen möchte. Es handelt sich dabei um das Argument, dass aufbauend auf dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten Gott notwendigerweise eine bestimmte Eigenschaft oder dessen Gegenteil zukommen muss. Gott ist also z. B. entweder tot oder lebendig, entweder hörend, sehend und fähig zu reden oder aber taub, blind und stumm sowie entweder in der Welt oder außerhalb von ihr. Diese Ansicht ist, wie er sagt, sowohl von den führenden Gelehrten (aʾimma) als auch den ihnen folgenden spekulativen sunnitischen Denkern (nuẓẓār as-sunna) vorgebracht worden.1047 Eine Gruppe unter den Attributenleugnern (ṭāʾifa min an-nufāh), darunter al-Āmidī, hat sich dieser Methodik verweigert.1048 1043 Siehe z. B. zur Eigenschaft des Lachens unten, S. 249. 1044 Tadmuriyya, MF 3/86; Ed. Saʿawī 144. 1045 Diese Regel erläutert Ibn Taymiyya in Tadmuriyya, MF 3/alif–sīn; Ed. Saʿawī 146–164. 1046 Siehe dazu die Worte des Hrsg. in Tadmuriyya, Ed. Saʿawī 146, Fußnote 9. 1047 Tadmuriyya, MF 3/dāl f.; Ed. Saʿawī 151. So argumentiert z. B. al-Ašʿarī u. a. dafür, dass Gott sehend sein müsse, da Er ansonsten als blind zu bezeichnen sei; siehe Ašʿarī, Lumaʿ, 25f. Siehe auch die gleichartige Argumentation in Bezug auf die Attribute des Wollens, Lebens und Wissens; S. 37f. 1048 Tadmuriyya, MF 3/wāw; Ed. Saʿawī 152–155. Siehe für al-Āmidīs Ausführungen, die Ibn Taymiyya auch auszugsweise zitiert: Sayf ad-Dīn al-Āmidī, Abkār al-afkār fī uṣūl ad-dīn, hrsg. von Aḥmad Muḥammad al-Mahdī, 5 Bde., Kairo: Dār al-Kutub wa-l-waṯāʾiq al-qawmiyya, 2004, 1/271ff.
226 | 6 Hermeneutische Grundlagen Sowohl al-Āmidī als auch Ibn Taymiyya beziehen sich bei ihren Ausführungen zu dieser Thematik auf Ansichten des Aristoteles, der in seiner Kategorienschrift vier Arten von Gegensatzpaaren (mutaqābilān) unterscheidet. Diese sollen zum besseren Verständnis in groben Zügen erläutert werden.1049 Die erste Art von Gegensatz ist die der Relation (taḍāyuf ). So können zwei Objekte in gegensätzlicher Beziehung stehen, wie z. B. die Zahl zehn das Doppelte der Zahl fünf bzw. letztere die Hälfte von ersterer ist. Darüber hinaus kann es sich bei Gegensätzen um eine Kontrarietät (taḍādd) handeln, wie etwa bei den Farben weiß und schwarz oder bei den Eigenschaften, gesund oder krank zu sein. Bei ersterem Gegensatzpaar kann es ein Mittleres geben, bei letzterem nur dann, wenn das prädizierte Subjekt entweder nicht existiert oder aber von Natur aus keine der beiden Eigenschaften annehmen kann. Ansonsten ist ein Mittleres ausgeschlossen und es muss daher entweder gesund oder krank sein. Gleiches gilt für die dritte Art von Gegensatz, welche als Beraubung und Innehaben (ʿadam wa-malaka) bezeichnet wird. Darunter fällt z. B. die Eigenschaft, entweder sehend oder blind zu sein. Die vierte und letzte Art des Gegensatzes ist als Verneinung und Bejahung (salb wa-īǧāb) bekannt. So muss z. B. Zayd entweder leben oder nicht leben. Hier gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten unabhängig davon, ob das prädizierte Subjekt, in diesem Fall Zayd, existiert oder nicht. Relevant für die vorliegende Diskussion ist nun, dass unter Berücksichtigung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten z. B. über einen Stein zwar nicht ausgesagt werden kann, dass er z. B. sowohl lebendig als auch nicht-lebendig ist, jedoch durchaus, dass er nicht-lebendig und nicht-tot ist. Dies beruht auf der Annahme, dass auf einen Stein die Kategorien lebendig und tot gar nicht anwendbar sind. Gilt dies nun auch in Bezug auf Gott bei diesen und anderen Eigenschaften, so dürfte man Ihn z. B. als weder sehend noch blind beschreiben. In Ibn Taymiyyas relativ langen und komplizierten Ausführungen lassen sich drei Hauptargumentationsstrategien erkennen, mit denen er das eben Ausgeführte zu widerlegen versucht: So versucht er erstens zu zeigen, dass es keinen Grund für die Annahme gibt, dass Gott Eigenschaften wie z. B. die der Lebendigkeit, des Hörens und des Sehens transzendiert. Vielmehr, so sagt er, kommen Ihm diese Eigenschaften notwendigerweise zu.1050 Zweitens argumentiert er dafür, dass die 1049 Die Ausführungen im folgenden Absatz fußen inhaltlich auf Aristoteles, Kategorien. Lehre vom Satz. Lehre vom Schluß oder Erste Analytik. Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik. Übers. von Eugen Rolfes, Hamburg: Meiner, 1995, X, 11b–13b; sowie ders., Kitāb al-Maqūlāt, in: ʿAbd ar-Raḥmān Badawī (Hrsg.), Manṭiq Arisṭū, übers. von Isḥāq Ibn Ḥunayn, Bd. 1, Beirut: Dār alQalam, 1980, 33–76, hier 63–69. Die Wahl der von mir angegebenen arabischen Termini geht auf Ibn Taymiyya zurück, ist allerdings nah an der des eben angeführten Kitāb al-Maqūlāt. 1050 Tadmuriyya, MF 3/ṭāʾ f.; Ed. Saʿawī 157f.
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Aussage, dass bestimmte Objekte wie z. B. Steine weder als lebendig noch als tot bezeichnet werden können, auf reiner Konvention (iṣṭilāḥ maḥḍ) fußt. Diese läuft indes der arabischen Sprache zuwider, wie er unter Rückgriff auf den Vers 16:21 zu zeigen versucht, in dem die Götzen der Polytheisten als Tote (amwāt) bezeichnet werden.1051 Drittens meint Ibn Taymiyya, dass selbst wenn es tatsächlich so sein sollte, dass bestimmte Dinge wie z. B. Steine weder lebendig, noch tot sind, es doch bereits an sich einen Mangel darstellt, nicht-lebendig zu sein. Gott, der frei von allen Mängeln ist, darf daher die Eigenschaft, nicht-lebendig zu sein, nicht zugesprochen werden, sodass Er als lebendig gelten muss.1052 Neben der eben vorgestellten Methode, Gottes Eigenschaften durch den Verweis auf ihre jeweiligen Gegensätze zu untermauern, kennt Ibn Taymiyya, wie bereits angesprochen, auch die, bei der das argumentum a fortiori (qiyās awlā) zur Anwendung kommt. Im nun folgenden Kapitel wird dieses Beweisverfahren, welches einen methodischen Grundbaustein bei Ibn Taymiyyas Untermauerung seiner Attributenlehre darstellt, in den Fokus rücken.
1051 Tadmuriyya, MF 3/lām; Ed. Saʿawī 160. 1052 Tadmuriyya, MF 3/nūn f.; Ed. Saʿawī 163f.
7 Epistemologische Grundlagen 7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie Der Terminus qiyās wird sowohl in der juristischen als auch in der philosophischen Tradition verwendet, jedoch jeweils in unterschiedlicher Bedeutung. In ersterer umfasst er eine Vielzahl verschiedener Schlusstechniken, allen voran den Analogieschluss. Dieses Verfahren dient dazu, einen rechtlich noch ungeklärten Fall (genannt farʿ) mit einer Rechtsnorm (genannt ḥukm al-farʿ) zu versehen, indem man ihn analog zu einem rechtlich bereits geklärten Fall (genannt aṣl) setzt. Als Vergleichsmoment (ǧāmiʿ) dient dabei eine in beiden Fällen vorhandene Eigenschaft, auf deren Basis sich die Übertragung der Rechtsnorm des aṣl auf die des farʿ rechtfertigen lässt. Als besonders stichhaltig gilt der Schluss dann, wenn es sich bei der gemeinsamen Eigenschaft um diejenige handelt, die auch als die ratio legis (ʿilla) der Rechtsnorm des aṣl ausgemacht werden kann. So lässt sich z. B. ein in den Quellen vorhandenes Verbot des Trinkens von Wein auf den Konsum von Bier übertragen, insofern beide Getränke über die Eigenschaft der Rauschwirkung verfügen, welche wiederum als der Grund für das Verbot des Weinkonsums identifiziert werden kann. In theologischen Fragestellungen ist, wie weiter unten ausgeführt wird, diese Form des Schließens als qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid1053 (Schluss vom Sichtbaren auf das Unbekannte) bezeichnet worden, wobei, wie al-Ašʿarī konstatiert, der šāhid äquivalent ist mit dem aṣl und der ġāʾib mit dem farʿ.1054 In der Tradition der falsafa bezeichnet der qiyās den Syllogismus, der sich Ibn Sīnā folgend in den kategorischen (iqtirānī) und den hypothetischen (istiṯnāʾī) unterteilen lässt,1055 von denen hier nur auf erstgenannten weiter eingegangen werden soll. Diesen exemplifiziert Ibn Sīnā an folgendem Beispiel:1056
1053 In gleicher Bedeutung wird auch folgende Formulierung oft verwendet: al-istidlāl bi-š-šāhid ʿalā l-ġāʾib. Gebräuchlich ist auch die Unterscheidung des qiyās in Bezug auf sein Anwendungsgebiet in šarʿī und ʿaqlī, was mit juristisch und theologisch zu übersetzen ist; siehe z. B. Abū Isḥāq aš-Šīrāzī, al-Lumaʿ fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von Muḥyī d-Dīn Dīb Mistū/Yūsuf ʿAlī Badīwī, Beirut: Dār al-Kalim aṭ-ṭayyib und Dār Ibn Kaṯīr, 1995, 199. 1054 Siehe Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 286 Z.19; siehe auch z. B. Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Miʿyār al-ʿilm fī fann al-manṭiq, Kairo: al-Maṭbaʿa al-ʿarabiyya, 1927, 105. 1055 Siehe Ibn Sīnā, Išārāt, 139. 1056 Siehe ebd. https://doi.org/10.1515/9783110623673-007
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
(Obersatz)
Jeder ǧ ist ein b.
(Untersatz)
Jeder b ist ein ā.
(Konklusion)
Jeder ǧ ist ein ā.
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Dieser qiyās besteht aus zwei Prämissen (Sing.: muqaddima) und einer Konklusion (natīǧa). Wie Ibn Sīnā weiter ausführt, handelt es sich bei dem Element, das in beiden Prämissen vorkommt (hier: b), um den Mittelbegriff (ḥadd awsaṭ), bei dem in der Konklusion zuerst genannten Element (hier: ǧ) um den Unterbegriff (ḥadd aṣġar) und bei dem in der Konklusion letztgenannten Element (hier: ā) um den Oberbegriff (ḥadd akbar).1057 Zur Unterscheidung des rechtstheoretischen Instruments des qiyās von dem des kategorischen Syllogismus bezeichnet Ibn Taymiyya ersteren in der auch vor ihm schon gängigen Weise als qiyās tamṯīl,1058 letzteren jedoch nicht, wie man erwarten würde, als qiyās iqtirānī, sondern als qiyās šumūl1059 . Anders als die Tradition der falsafa, in der in der Regel der Syllogismus den auf der Analogie basierenden Schlusstechniken vorgezogen wird,1060 vertritt Ibn Taymiyya die Auffassung, dass sich jeder Analogieschluss problemlos in die syllogistische Form bringen lässt, und erachtet beide Schlusstechniken daher als gleichwertig.1061 Der Glaube an die Überlegenheit des Syllogismus fußt nämlich auf dem von Ibn Taymiyya abgelehnten ontologischen Realismus, der den in dieser Schlusstechnik verwendeten Allgemeinbegriffen universale Gültigkeit zuerkennt.1062 Im Mittelpunkt dieses Unterkapitels soll nun die folgende Frage stehen: Wie steht es um die Anwendbarkeit des qiyas in der Theologie? In der Sekundärlite-
1057 Siehe ebd., 140f. 1058 Siehe z. B. ebd., 138. 1059 Wael Hallaq merkt an, dass Ibn Taymiyya diesen Ausdruck möglicherweise selbst geprägt hat; siehe Hallaq, Against the Greek Logicians, xiv. Amir Dziri behauptet, dass der Ausdruck sīlūǧism (Syllogismus) unter den falāsifa üblich gewesen sei und es „[j]ene muslimischen Scholastiker, die auf eine arabisch-islamische Kulturautonomie setzten“, gewesen sein sollen, die ihn durch den Ausdruck qiyās zu ersetzen versuchten. Aufgrund seiner begrifflichen Unschärfe sei er dann durch den Zusatz šumūl präzisiert worden. Siehe Amir Dziri, Die Ars Disputationis in der islamischen Scholastik. Grundzüge der muslimischen Argumentations- und Beweislehre, Freiburg: kalam, 2015, 178. Tatsächlich findet der qiyās-Ausdruck in den Schriften der falāsifa jedoch zahlreiche Verwendung, daher erscheinen mir Dziris Ausführungen als unhaltbar. 1060 So bezeichnet Ibn Sīnā z. B. den qiyās tamṯīl als schwach (ḍaʿīf ); siehe Ibn Sīnā, Išārāt, 138. 1061 Dies bringt er an mehreren Stellen seiner Werke vor; siehe z. B. Darʾ 7/153 und Radd 364. Siehe auch von Kügelgen, Ibn Taymīyas Kritik, v. a. 209–212. 1062 Siehe ebd., v. a. 206f., sowie in der vorliegenden Arbeit das Kapitel 4.3.2.
230 | 7 Epistemologische Grundlagen ratur wurden Ibn Taymiyyas Ansichten dazu bereits behandelt.1063 Die hier vorliegende Untersuchung knüpft daran an, geht jedoch insofern darüber hinaus, als sie erstens Ibn Taymiyyas Position ideengeschichtlich verorten und dabei u. a. Ähnlichkeiten zu der Position al-Āmidīs aufzeigen wird. Zweitens werden auch Argumentationslinien in den Ausführungen Ibn Taymiyyas nachgezeichnet und drittens Widersprüche in seinen Ansichten aufgedeckt. Um die ideengeschichtliche Verortung vornehmen zu können, ist es erforderlich, die Stellung des qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid (ab hier nun: QĠŠ) in der Theologie vor Ibn Taymiyya zu skizzieren,1064 was im nun folgenden Unterkapitel geleistet werden soll.
7.1.1 Der qiyās im theologischen Denken vor Ibn Taymiyya Der QĠŠ hat wohl schon in der Frühzeit des Islams eine breite Anwendung in der Theologie erfahren. So konstatiert z. B. der bekannte Literat und muʿtazilitische Theologe ʿAmr Ibn Baḥr al-Ǧāḥiẓ (gest. 255/869) in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts, es gebe in der Theologie nur zwei Beweisformen, nämlich den reinen Schriftbeweis sowie den QĠŠ.1065 Auf eine weit verbreitete Akzeptanz des Schlusses 1063 Siehe v. a. Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 56–67; und auch von Kügelgen, Ibn Taymīyas Kritik, 212–214. 1064 Siehe dazu in den europäischen Sprachen: van Ess, Erkenntnislehre, 381–394; ders., The Logical Structure of Islamic Theology, in: Gustav Edmund von Grunebaum (Hrsg.), Logic in Classical Islamic Culture, Wiesbaden: Harrassowitz, 1970, 21–50, hier 34–42; Ahmed Alami, L’ontologie modale. Étude de la théorie des modes d’Abū Hāšim al-Ǧubbāʾi, Paris: J. Vrin, 2001, 121–139; Khaled El-Rouayheb, Theology and Logic, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 408–431; mit speziellem Fokus auf al-Fārābī: Joep Lameer, Al-Fārābī and Aristotelian Syllogistics. Greek Theory and Islamic Practice, Leiden, New York und Köln: Brill, 1994, 204–232; sowie mit Fokus auf ʿAbd al-Ǧabbār: Jan Peters, God’s Created Speech. A Study in the Speculative Theology of the Muʿtazilī Qāḍī l-Quḍāt Abū l-Ḥasan ʿAbd al-Jabbār bn Aḥmad al-Hamaḏānī, Leiden: Brill, 1976, 225–231. In der arabischen Sekundärliteratur sind folgende Untersuchungen hervorzuheben: Aḥmad ʿAbd al-Laṭīf, Manhaǧ imām al-ḥaramayn fī dirāsat al-ʿaqīda. ʿArḍ wa-naqd, Riad: Markaz al-Malik Fayṣal li-l-buḥūṯ wa-d-dirāsāt al-islāmiyya, 1993, 143–166; Ḥasan aš-Šāfiʿī, al-Āmidī wa-ārāʾuhū l-kalāmiyya, Kairo: Dār as-Salām, 1998, 141–148; Zakariyā Bašīr, Qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid, in: Maǧallat aš-Šarīʿa wa-l-qānūn 8 (1994), 143–202; und Abū l-Qāsim al-Anṣārī, al-Ġunya fī l-kalām, hrsg. von Muṣṭafā Ḥusayn ʿAbd al-Hādī, 2 Bde., Kairo: Dār as-Salām, 2010, 1/137–156 in der Einleitung des Hrsg. Mir leider nicht zugänglich ist: ʿAbd al-ʿAzīz al-Muršidī, Qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid fī l-fikr al-islāmī, Azhar Universität: unveröffentl. Dissertation. 1065 Siehe Abū ʿUṯmān al-Ǧāḥiẓ, Ḥuǧaǧ an-nubuwwa, in: ʿAbd as-Salām Muḥammad Hārūn (Hrsg.), Rasāʾil al-Ǧāḥiẓ, 3. Bd., Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, 1979, 223–281, 226. In seinen Worten heißt es da: šāhid ʿiyān yadullu ʿalā l-ġāʾib.
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vom Wahrnehmbaren auf das nicht-Wahrnehmbare in der Theologie deutet auch eine Formulierung al-Fārābīs hin, der in seinem frühen1066 Werk Kitāb al-Qiyās aṣ-ṣaġīr ʿalā ṭarīqat al-mutakallimīn über den QĠŠ zu berichten weiß, dass seine Zeitgenossen (ahl zamāninā) – und damit meint er höchstwahrscheinlich mindestens auch die mutakallimūn1067 – ihn unter dem Ausdruck al-istidlāl bi-š-šāhid ʿalā l-ġāʾib kennen. Al-Fārābī selbst unterzieht der Schlusstechnik einem, wie Joep Lameer es nennt, „critical appraisal“ und bescheinigt ihm, zwar nicht logischnotwendige, aber doch zumindest plausible Konklusionen zu generieren.1068 Eine ähnliche Ansicht vertritt einige Jahrhunderte später Ibn Rušd, der den QĠŠ nicht grundsätzlich ablehnt, aber doch in bestimmten Fällen, und ihn darüber hinaus lediglich als einen rhetorischen Beweis identifiziert,1069 insofern die Eigenschaft, die das Vergleichsmoment darstellt, nicht durch sich selbst, sondern nur durch den Verweis auf die wahrnehmbare Welt auf rationalem Wege untermauert werden kann (wa-huwa dalīl ḫiṭābī illā ḥayṯu n-nuqla maʿqūla bi-nafsihā).1070 Ein früher Gegner des QĠŠ dürfte, wie Alami herausstellt, Ǧahm Ibn Ṣafwān gewesen sein, insofern er von der absoluten Unvergleichbarkeit und Unähnlichkeit der sichtbaren und der transzendenten Welt ausging. Seiner Meinung nach soll es schon ausreichend gewesen sein, Gott mit einer Eigenschaft zu bezeichnen, die auch 1066 Siehe Lameer, al-Fārābī, 205. 1067 So vermutet es Nicholas Rescher [siehe Nicholas Rescher (Hrsg.), Al-Fārābī’s Short Commentary on Aristotle’s Prior Analytics, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 1963, 93 mit Fußnote 1], und er wird nun auch von der kritischen Edition des Werkes unterstützt, insofern zumindest ein Manuskript nach dem Ausdruck ahl zamāninā noch folgenden Zusatz gibt: min al-mutakallimīn wa-l-fuqahāʾ (unter den spekulativen Theologen und den Juristen); siehe Abū Naṣr al-Fārābī, Kitāb al-Qiyās aṣ-ṣaġīr ʿalā ṭarīqat al-mutakallimīn, in: Rafīq al-ʿAǧam (Hrsg.), al-Manṭiq ʿinda l-Fārābī, Bd. 2, Beirut: Dār al-Mašriq, 1986, 65–93 und 45–64, hier 45 mit Fußnote 2. 1068 Siehe Lameer, al-Fārābī, Zitat auf S. 205. 1069 Siehe zu dieser und vier weiteren Beweisarten, die Ibn Rušd der aristotelischen Logik folgend unterscheidet, die Ausführungen von Frank Griffel bei Ibn Rušd, Maßgebliche Abhandlung, 163f. 1070 Siehe Abū l-Walīd Ibn Rušd, al-Kašf ʿan manāhiǧ al-adilla fī ʿaqāʾid al-milla, hrsg. von Muḥammad ʿĀbid al-Ǧābirī, Beirut: Markaz Dirāsāt al-waḥda al-ʿarabiyya, 1998, 109, Absatz 39. Ibn Taymiyya zitiert diese Passage in Darʾ 9/85. Ibn Rušds Ansichten zum QĠŠ werden auch relativ ausführlich behandelt bei Bašīr, Qiyās al-ġāʾib, 179–186. Zumindest am Rande behandelt auch Griffel die Thematik in seinem Kommentar zu einem Abschnitt im sogenannten Appendix (Ḍamīma) zur Schrift Faṣl al-maqāl, in welchem sich Ibn Rušd kritisch über den QĠŠ äußert. Griffels Ausführungen gehen jedoch zwangsläufig am Text vorbei, da er diesen nicht korrekt übersetzt. So versteht er den von Ibn Rušd verwendeten Ausdruck des qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid nicht als einen Schluss vom Bekannten auf das Unbekannte, sondern als einen vom Unbekannten auf das Bekannte; siehe Ibn Rušd, Maßgebliche Abhandlung, 55 Z.19–24 sowie den dazugehörigen Kommentar auf S. 211. Eine dem Textsinn entsprechende Analyse dieser Passage findet sich bei Bašīr, Qiyās al-ġāʾib, 184f.
232 | 7 Epistemologische Grundlagen Seiner Schöpfung zugesprochen wird, um sich des verbotenen tašbīh schuldig zu machen.1071 Aber auch in weniger extremen Kreisen war man sich bewusst, dass der QĠŠ ohne ein Vergleichsmoment nicht auskommt und ihm daher die Gefahr innewohnt, in einen Anthropomorphismus abzugleiten. Bei der Anwendung des QĠŠ galt es daher sicherzustellen, die Kreatürlichkeit des Ausgangsfalles als einen für den Aufbau des Arguments irrelevanten Nebenumstand zu identifizieren. So sieht z. B. der stark muʿtazilitisch beeinflusste1072 Zaydit al-Qāsim ar-Rassī (gest. 246/860) in der Vollkommenheit der schöpferischen Ordnung einen Beweis dafür, dass Gott mächtig (qādir), lebendig (ḥayy) und weise (ḥakīm) ist. Denn „wir befinden einen einwandfreien und weisheitsvollen Akt als unmöglich, außer [wenn er] von einem Mächtigen, Lebendigen, Weisen und Wissenden [durchgeführt wird]“.1073 Einem nicht näher genannten Kontrahenten, den ar-Rassī durchweg als mulḥid (Häretiker) adressiert, legt er das Gegenargument in den Mund, dass man ja auch nur Menschen als weise und mächtige Handelnde beobachtet habe und man nach dieser Logik zu dem Schluss kommen müsse, Gott sei ein Mensch. Ar-Rassī zeigt nun auf, wieso dies seiner Meinung nach keineswegs aus seinem vorgebrachten Argument zum QĠŠ folgt: Auch wenn ich tatsächlich niemals einen [Handelnden] vorgefunden habe, außer dass er ein Mensch ist, so hat sich doch die Handlung von diesem nicht aufgrund dessen, dass er ein Mensch ist, realisiert. Schließlich haben wir doch Menschen gesehen, die unfähig sind zu handeln. Als wir gesehen haben, dass sie nicht handeln können, hat uns dies aufgezeigt, dass es einen Handelnden geben kann, der kein Mensch ist.“1074
Ar-Rassī bedient sich hier bei der Verifizierung des Vergleichsmoments des Gültigkeitskriteriums des ṭard (Koextensivität), welches besagt, dass Eigenschaft a nur dann ursächlich für Eigenschaft b sein kann, wenn gilt: wenn a (hier: Mensch), dann b (hier: Handelnder). Da er aber davon ausgeht, dass es nicht-handelnde Menschen gibt, sieht ar-Rassī diese Bedingung als nicht erfüllt an, sodass die Eigenschaft des Menschseins als irrelevant für den obigen QĠŠ eingestuft werden kann. In einer ähnlich gearteten Diskussion versucht zwei Generationen später al-Ašʿarī diesen QĠŠ als Fehlschluss zu entlarven, der besagt, dass man keinen Handelnden wahrgenommen hat, außer dass dieser körperlich ist, woraus dann 1071 Siehe Alami, L’ontologie modale, 122, und in vorliegender Arbeit oben, S. 42. 1072 Ob sich dieser Einfluss direkt oder indirekt vollzog, ist in der Sekundärliteratur umstritten. Binyamin Abrahamov argumentiert gegen Wilferd Madelung überzeugend für Ersteres; siehe z. B. in der Einleitung von Binyamin Abrahamov (Hrsg.), Al-Ḳāsim b. Ibrāhīm on the Proof of God’s Existence. Kitāb al-dalīl al-kabīr, Leiden u. a.: Brill, 1990, 6ff. 1073 Rassī, Munāẓara, 307f. Diesen Literaturhinweis verdanke ich Mahmoud Abushuair. 1074 Ebd., 308.
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folgt, dass Gott als ein Handelnder auch körperlich sein muss. Al-Ašʿarī entgegnet: „Der Handelnde wurde nicht zum Handelnden, weil er körperlich ist, und [andersherum] kann man auch einen Körper nicht aufgrund des Umstandes, dass er handelt, als einen solchen erkennen. Dies ist so, weil er ein Körper ist, ganz gleich, ob er handelt oder nicht.“1075 Sowohl in der ašʿaritischen als auch in der muʿtazilitischen Tradition war man sich überwiegend einig, dass der QĠŠ in der Theologie angewendet werden darf.1076 Al-Ašʿarī selbst hatte mit dieser Methodik – und unter seinen Anhängern wurde dies dann zum Standardverfahren – sieben ewige Wesensattribute Gottes und die Gottesschau der Vernunft nach bestätigt.1077 Dass seine ehemaligen Schulkollegen, die Muʿtaziliten, diesen Weg bekanntlich nicht mitgegangen sind, bewegte ihn dazu, sein (verlorenes) Werk al-Istišhād zu verfassen, in dem er eigenen Aussagen zufolge gezeigt hat, dass die Muʿtaziliten, insofern sie den QĠŠ als Beweisgrund akzeptieren, auch das Wissen Gottes und Seine Macht sowie alle anderen Attribute anerkennen müssen.1078 Im Gegensatz zu den Ašʿariten verwendeten sie den QĠŠ jedoch, um ihre Position zu untermauern, Gottes Handlungen müssen, um nicht ungerecht zu sein, den irdischen Maßstäben von Gerechtigkeit entsprechen.1079 Damit handelten sie sich bei den Ašʿariten, die u. a. das Gegenargument anführten, dass Gott gar nicht ungerecht handeln kann, da Er der Eigentümer der Schöpfung ist und über diese damit frei verfügen darf,1080 das Etikett mušabbiha fī l-afʿāl (Anthropomorphisten bezüglich der Handlungen) ein.1081 Auch Ibn Taymiyya bekräftigt diesen Vorwurf,1082 er geht jedoch mit den Ašʿariten nicht darin 1075 Ibn Fūrak, Muǧarrad Maqālāt, 289 Z.16f. Diese Passage wird auch besprochen bei ElRouayheb, Theology and Logic, 408. 1076 Wie schon zu muḥkam und mutašābih scheinen vor allem die Muʿtaziliten hierzu Werke verfasst zu haben, so z. B. das (verlorene) Kayfiyyat al-istidlāl bi-š-šāhid ʿalā l-ġāʾib des Abū l-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 319/931), welches dem Titel nach vielleicht eine Anleitung zur Durchführung gültiger Analogieschlüsse in der Theologie darstellt (siehe el-Omari, Theology of Abū l-Qāsim, 20). Ein ähnliches Werk hat wohl auch schon vor ihm Abū l-Ḥusayn al-Ḫayyāṭ (gest. 300/913) verfasst; siehe Anṣārī, Ġunya, 1/144 in der Einleitung des Hrsg. 1077 Siehe Ašʿarī, Lumaʿ, 24f. zu der Eigenschaft des Wissens; 25 Z.3–6 zu Macht und Leben; 25 Z.7–12 zu Hören und Sehen; v. a. 36–38 zu Rede und Wille; und 61f. zur Gottesschau. 1078 Diese Passage entstammt dem ebenfalls verlorenen Werk al-ʿUmad fī r-ruʾyā, und ist als Zitat bei Ibn ʿAsākir (gest. 571/1175) erhalten; siehe Ibn ʿAsākir, Tabyīn, 131 Z.17–19. 1079 Für eine ausführlichere Behandlung der Thematik siehe Majid Fakhry, Ethical Theories in Islam, Leiden, New York und Köln: Brill, 1994, 31–35 und 40–45; sowie jüngst Ayman Shihadeh, Theories of Ethical Value in Kalām. A New Interpretation, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 384–407. 1080 Siehe dazu Kapitel 10.1, dort v. a. S. 293. 1081 Siehe z. B. Rāzī, Tafsīr, 26/177f. 1082 Siehe z. B. Minhāǧ 1/447.
234 | 7 Epistemologische Grundlagen konform, dass Gottes Taten sich jeglicher moralischer Beurteilungsmöglichkeit entziehen.1083 Als ein Gegner des QĠŠ wurde bereits Ǧahm Ibn Ṣafwān identifiziert. Dieselbe Position – jedoch mit ganz anderer Motivation – vertraten die frühen Traditionalisten, darunter die Ḥanbaliten. Theologie bestand hier fast ausschließlich aus dem Anführen von Belegstellen aus dem Koran und den Prophetenworten, eine darüber hinausgehende spekulative Beschäftigung mit diesen war verpönt. Zwar blieben die Ḥanbaliten ihrer traditionalistischen Grundhaltung weitestgehend treu, aber die textzentrierte Methodik ihres Schulgründers Aḥmad Ibn Ḥanbal (gest. 241/855) ließ sich im Zuge der Rivalitäten mit den Anhängern des kalām nicht halten. Um eine Legitimationsgrundlage für einen Wandel zu schaffen, wurde etwa zwei Jahrhunderte nach Aḥmads Tod dieser zum Autor einer Schrift mit dem Titel ar-Radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-z-zanādiqa1084 ernannt, in der theologisch unliebsame Positionen durch rationale Argumente entkräftet werden.1085 Zwar hatte noch im 8./14. Jahrhundert der traditionalistische Šāfiʿit Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī (gest. 748/1348) diesen Schwindel angeprangert,1086 bis in seine Zeit hatten die führenden ḥanbalitischen Gelehrten – darunter aḏ-Ḏahabīs Lehrer Ibn Taymiyya1087 – Aḥmads Autorschaft bestätigt und sie damit im kollektiven Gedächtnis über Schulgrenzen hinweg gefestigt. Von den erhaltenen Werken, in denen der Einfluss des kalām auf die ḥanbalitische Tradition deutlich wird, ist das älteste das al-Muʿtamad fī uṣūl ad-dīn des Abū Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ (gest. 458/1066).1088 Dort werden die Eigenschaften Gottes, wie die Kraft und das Leben, unter Rückgriff auf 1083 Dies wird in Kapitel 10.1 ausführlich behandelt. 1084 Diese Schrift wurde mehrfach ediert; siehe z. B. (Pseudo-)Ibn Ḥanbal, Radd. Der in der Einleitung polemisch vorgetragene Versuch des Hrsg., die Authentizität der Autorschaft Ibn Ḥanbals zu beweisen, ist wenig überzeugend. Dem Radd gehen aber möglicherweise doch zwei Vorgängerversionen voraus, die zumindest im Kern auf Ibn Ḥanbal zurückgehen könnten. Die frühere besteht ausschließlich aus zitierten Koranversen (siehe ʿAbdallāh Ibn Aḥmad, Kitāb asSunna, hrsg. von Muḥammad Ibn Saʿīd Ibn Sālim al-Qaḥṭānī, 2 Bde., Dammam: Dār Ibn al-Qayyim, 1986, 2/512–520), die spätere aus Selbigem mit zusätzlicher Anführung der 99 Namen Gottes (siehe Abū Bakr al-Ḫallāl, Kitāb as-Sunna, hrsg. von ʿAṭiyya az-Zahrānī, 7 Bde., Riad: Dār ar-Rāya, 1989, 6/48–73). Beide Traktate haben jedoch nur wenig mit der oben angesprochenen Schrift Radd gemein. 1085 Eine ausführliche Behandlung dieser Thematik findet sich bei al-Sarhan, Early Muslim Traditionalism, 48–53. Siehe auch Christopher Melchert, Ahmad ibn Hanbal, Oxford: Oneworld Publications, 2006, 101f., und Hoover, Ḥanbalī Theology, 627. 1086 Siehe Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Siyar aʿlām an-nubalāʾ, hrsg. von Šuʿayb al-Arnaʾūṭ (Leitung), 25 Bde., Beirut: Muʾassasat ar-Risāla, 1996, 11/286f., siehe auch die Fußnote 1 des Hrsg. auf S. 287, in der aḏ-Ḏahabīs Sicht auf überzeugende Weise untermauert wird. 1087 Siehe Darʾ 1/221. 1088 Siehe Hoover, Ḥanbalī Theology, 630.
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den QĠŠ auf eine ähnliche Weise bestätigt, wie es weiter oben von ar-Rassī und al-Ašʿarī beschrieben wurde.1089 In Abū Yaʿlās Werk zur Rechtstheorie al-ʿUdda fī uṣūl al-fiqh heißt es dann auch dezidiert, dass schon Aḥmad den qiyās in theologischen Fragen angewandt hatte und er daher einen zulässigen Beweisgrund darstellt.1090 In dieser Haltung folgten ihm namhafte Gelehrte unter den Ḥanbaliten, darunter sein Schüler al-Kalwaḏānī1091 (gest. 510/1116), Ibn ʿAqīl1092 (gest. 513/1119) und az-Zāġūnī1093 (gest. 527/1132), sodass unter den Ḥanbaliten zur Zeit Ibn Taymiyyas die Gültigkeit des QĠŠ in der Theologie als weitgehend unstrittig erachtet worden sein dürfte. Zwar kennt Ibn Taymiyya ḥanbalitische Gelehrte, die dem QĠŠ ablehnend gegenüberstanden, er deutet dies jedoch als eine rein terminologische Meinungsverschiedenheit. So nennt er das Sendschreiben des aš-Šayḫ Abū Muḥammad an die Bewohnern von Raʾs al-ʿAyn1094 – und meint damit das Taḥrīm an-naẓar fī kutub al-kalām des Abū Muḥammad Ibn Qudāma al-Maqdisī (gest. 620/1223) –1095 als ein Beispiel einer ḥanbalitischen Schrift, in der der QĠŠ kritisiert wird.1096 Ibn Qudāmas Kritik soll sich aber rein auf die Namensgebung des QĠŠ als qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid bezogen haben, insofern šāhid für die wahrnehmbare Welt und ġāʾib für Gottes Wesen und Seine Eigenschaften steht. Dies laufe, so Ibn Qudāma, dem Koran zuwider, in dem es heißt, dass Gott nie ġāʾib (hier im Sinne von abwesend) ist.1097 Um das zu umgehen, meint Ibn Taymiyya, hätte man diesen Vernunftschluss besser qiyās al-ġāyb ʿalā š-šāhid1098 1089 Siehe Abū Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ, al-Muʿtamad fī uṣūl ad-dīn, hrsg. von Wadi Zaidan Haddad, Beirut: Dar El-Machreq Éditeurs, 1974, 46f. 1090 Abū Yaʿlā bezieht sich auf die oben besprochene Schrift ar-Radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-zzanādiqa; siehe ders., al-ʿUdda fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von Aḥmad al-Mubārakī, 6 Bde., Riad: o. V., 1993, 4/1273–1275. 1091 Siehe Abū l-Ḫaṭṭāb al-Kalwaḏānī, at-Tamhīd fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von Mufīd Abū ʿAmša, 4 Bde., Dschidda: Markaz al-Baḥṯ al-ʿilmī wa-iḥyāʾ at-turāṯ al-islāmī, 1985, 3/360ff. 1092 Siehe Abū l-Wafāʾ Ibn ʿAqīl, al-Wāḍiḥ fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von ʿAbdallāh at-Turkī, 5 Bde., Beirut: Muʾassasat ar-Risāla, 1999, 5/283f. 1093 Siehe Zāġūnī, Īḍāḥ, 260. 1094 Zu Ibn Taymiyyas Zeiten eine große Stadt, heute nur noch ein kleines Dorf, das grenzüberschreitend sowohl in Syrien als auch in der Türkei (dort bezeichnet als Resülayn oder Ceylânpinar) liegt; siehe Ernst Honigmann, Raʾs al-ʿAyn, in: Clifford Bosworth u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. VIII, Leiden: Brill, 1995, 433b–435a. 1095 Dass es sich bei diesem Werk um ein Sendschreiben an die Bewohner von Raʾs al-ʿAyn handelt, geht zwar nicht aus dem Text in den von mir verwendeten Editionen hervor, ist aber auf der Titelseite der einzig erhaltenen Handschrift als eine Art Untertitel vermerkt; siehe hierzu Ibn Qudāma, Taḥrīm an-naẓar, xi in der Einleitung des Hrsg. 1096 Ġāʾib, MF 14/51f. 1097 Siehe Koran 6:7. 1098 Die Übersetzung Schluss vom Sichtbaren auf das Unbekannte ändert sich dadurch nicht.
236 | 7 Epistemologische Grundlagen nennen sollen.1099 Tatsächlich lässt sich die Stelle bei Ibn Qudāma, auf die sich Ibn Taymiyya aller Wahrscheinlichkeit nach bezieht, auch so deuten.1100 An anderer Stelle zählt Ibn Taymiyya selbigen Ibn Qudāma hinsichtlich seiner Kritik am QĠŠ zu den „spekulativen Denker späterer Zeit (mutaʾaḫḫirū n-nuẓẓār) wie Abū l-Maʿālī [l-Ǧuwaynī], Abū Ḥāmid [al-Ġazālī] und [Faḫr ad-Dīn] ar-Rāzī.“1101 Auch hier erachtet Ibn Taymiyya die Meinungsverschiedenheit mit den Befürwortern des QĠŠ als eine terminologische, jedoch bezieht sich diese nicht, wie oben ausgeführt, bloß auf eine ungünstig gewählte Namensgebung für diese Schlusstechnik. Um darzustellen, was in diesem Fall Stein des Anstoßes gewesen sein soll, bedarf es einer ausführlicheren Darstellung der breiteren Diskussion. Ibn Taymiyya nennt vier Vergleichsmomente bzw. tertia comparationis (Sing.: ǧāmiʿ), die von der Gruppe der ṣifātiyya angewandt würden. Dabei handelt es sich um den Hinweis (dalīl), den Grund (ʿilla), die Bedingung (šarṭ) sowie die Definition (ḥadd). Vor al-Ǧuwaynī habe ich unter den mutakallimūn keinen Autor finden können, der diese Vergleichsmomente systematisch und in weitgehender Kongruenz mit der von Ibn Taymiyya vorgebrachten Terminologie behandelt.1102 Anhand der von 1099 Ġāʾib, MF 14/52f. Anders als Ibn Qudāma empfindet van Ess die Namensgebung des QĠŠ als naheliegend und bezieht sich dabei ebenfalls auf den Koran (jedoch auf eine andere Stelle); siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/664f. 1100 Siehe Ibn Qudāma, Taḥrīm an-naẓar, 50f., engl. Übers. 34f. Zwar kritisiert Ibn Qudāma anschließend den QĠŠ als eine Form des Anthropomorphismus, jedoch bezieht er sich dabei auf einen konkreten Anwendungsfall, den auch ein Befürworter des QĠŠ wie Ibn Taymiyya ablehnen würde. 1101 Siehe Radd 366. 1102 Auch die Erläuterung der vier Vergleichsmomente deckt sich überwiegend mit der von Ibn Taymiyya, welche im Folgenden wiedergegeben wird. Al-Ǧuwaynī benutzt jedoch den Terminus ḥaqīqa (Wesenheit) anstatt ḥadd; siehe Abū l-Maʿālī al-Ǧuwaynī, al-Burhān fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von ʿAbd al-Aẓīm ad-Dīb, 2 Bde., Qatar: Ḫalīfa Ibn Ḥamad Āl Ṯānī, 1399 [=1979-80], 1/127f. Auch ʿAbd al-Ǧabbār führt in seinem al-Muḥīṭ bi-t-taklīf, welches soweit nur über Ibn Mattawayhs (bl. 5./11. Jh.) kritischen Kommentar zugänglich ist, vier Wege an, wie der QĠŠ angewendet werden kann. Trotz mancher Gemeinsamkeiten weicht seine Darstellung jedoch deutlich von der al-Ǧuwaynīs ab; siehe Abū Muḥammad Ibn Mattawayh, al-Maǧmūʿ fī l-Muḥīṭ bi-t-taklīf, hrsg. von Jean Joseph Houben, Bd. 1, Beirut: al-Maṭbaʿa al-kāṯūlīkiyya, 1965, 165f. Diese Stelle wird auch behandelt bei Peters, Created Speech, 229–231. Omar Hamdan und Gregor Schwarb arbeiten zurzeit an einer kritischen Edition des Muḥīṭ. Zwar wird die Thematik ebenso von al-Ǧuwaynīs Zeitgenossen al-Mutawallī š-Šāfiʿī (gest. 478/1086) in seinem al-Ġunya fī uṣūl ad-dīn behandelt (siehe ʿAbd ar-Raḥmān al-Mutawallī š-Šāfiʿī, al-Ġunya fī uṣūl ad-dīn, hrsg. von ʿImād ad-Dīn Aḥmad Ḥaydar, Beirut: Muʾassasat al-Kutub aṯ-ṯaqāfiyya, 1987, 90f.), dabei handelt es sich jedoch, wie Gimaret feststellt, weitgehend um ein Plagiat von al-Ǧuwaynīs Werk Kitāb al-Iršād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād; siehe Daniel Gimaret, alMutawallī, in: Clifford Bosworth u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. VII, Leiden: Brill, 1993, 781, hier 781a.
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ihm angeführten Beispiele wird deutlich, was unter diesen Vergleichsmomenten zu verstehen ist: (1) Findet man in der sichtbaren Welt ein Produkt, dass perfekt und vollkommen ist, so ist dies ein Hinweis darauf, dass sein Urheber bzw. Hersteller über Wissen verfügt. Selbiges gilt auch in der nicht-wahrnehmbaren Welt. (2) In der wahrnehmbaren Welt ist der Grund des Wissenden, wissend zu sein, der Umstand, dass Wissen in ihm inhäriert. Genauso verhält es sich auch in der nichtwahrnehmbaren Welt. (3) Die Möglichkeit wissend zu sein setzt die Bedingung voraus, lebendig zu sein, was ebenfalls für beide Welten gilt. Was die Definition angeht, so ist z. B. der Wissende dadurch definiert, dass in ihm Wissen inhäriert, was wiederum in beiden Welten gilt.1103 Wie im letztgenannten Beispiel ersichtlich wird, ist mit ḥadd nicht die aristotelische Definition gemeint.1104 Vielmehr umfasst der ḥadd eines Begriffs die Merkmale, die, wenn man den Begriff damit prädizieren würde, eine Tautologie ergäben.1105 Al-Ǧuwaynī macht in seinem Burhān deutlich, dass er von dem Argument des QĠŠ wenig hält. Auch die Eingrenzung der Vergleichsmomente auf die oben erwähnten vier schreibt er der Gruppe der muʿaṭṭila zu, wobei er mit diesem pejorativen Ausdruck wohl die Muʿtaziliten meint, die aus seiner Sicht die Beschreibungen Gottes in den Quellen ihrer Bedeutung berauben.1106 Ob diese Art der Darstellung als ein Versuch zu werten ist, den QĠŠ als ein spezifisch muʿtazilitisches Instrument und damit als nicht-ašʿaritisch zu klassifizieren, ist unklar. Sicher lässt sich sagen, dass selbst al-Ǧuwaynī in seinen dem Burhān wohl vorausgehenden theologischen Werken1107 Iršād und Šāmil den QĠŠ unter Verwendung der erwähnten Vergleichsmomente zur Anwendung gebracht hatte1108 und weniger als zwei Jahrhunderte später al-Āmidī (gest. 631/1233) schreiben wird, dass unter seinen ašʿaritischen Schulkollegen weitgehende Einigkeit (ittifāq1109 ) darüber besteht, dass der QĠŠ, sofern er auf einem der vier Vergleichsmomente fußt, Gültigkeit hat.1110 Zumindest auf die Ašʿariten bis zur Zeit von al-Ǧuwaynī wird al-Āmidīs Behauptung wohl zutreffen. Spätestens jedoch mit al-Ǧuwaynīs Werk Burhān ist in der ašʿaritischen Schule eine dezidiert qiyās-kritische Haltung formuliert worden, der sich dann 1103 Siehe Radd 367. 1104 Siehe dazu auch van Ess, Logical Structure, 37f. 1105 Siehe Ǧuwaynī, Burhān, 1/127f. 1106 Siehe ebd., 1/127. 1107 Zur Chronologie seiner Werke siehe ʿAbd al-Laṭīf, Manhaǧ imām al-ḥaramayn, 65–68. 1108 Siehe ebd., 154ff. 1109 Auch wenn ittifāq genau wie der Begriff iǧmāʿ Konsens bedeuten kann, wird er oft – und damit in Abgrenzung zu letzterem – im Sinne von weitgehender Einigkeit verwendet. 1110 Siehe Āmidī, Abkār al-afkār, 1/212.
238 | 7 Epistemologische Grundlagen auch – wie ja auch Ibn Taymiyya bemerkt hatte – al-Ġazālī,1111 ar-Rāzī1112 sowie weitere bekannte Persönlichkeiten wie al-Āmidī,1113 ʿAḍud ad-Dīn al-Īǧī1114 (gest. 756/1355) und Tāǧ ad-Dīn as-Subkī1115 (gest. 771/1370) anschlossen. Al-Ǧuwaynī verwarf das Vergleichsmoment der ʿilla auf der Grundlage des ašʿaritischen Okkasionalismus.1116 Auch hielt er es für unmöglich, eine Gemeinsamkeit zwischen Gott und Seiner Schöpfung durch das Vergleichsmoment des ḥadd bzw. der ḥaqīqa einzufangen, da Gottes Attribute ewig und die der Menschen zeitlich und somit in ihrem Wesen gänzlich unterschiedlich sind. Wenn man nun meint, dass sie sich im Konzept des Wissendseins (ʿilmiyya) treffen, so ist dies laut al-Ǧuwaynī eine auf der Annahme der Gültigkeit der ḥāl-Theorie beruhende Fehlmeinung.1117 Er resümiert seine Sicht mit folgenden Worten: Um es nun auf den Punkt zu bringen: Steht der Beweis für das, was man hinsichtlich der nicht-wahrnehmbaren Welt beweisen möchte, so ist das Ziel erreicht, und dann spielt das Anführen eines Vergleichsfalles in der sichtbaren Welt keine Rolle mehr. Gibt es jedoch keinen Beweis für das, was man hinsichtlich der nicht-wahrnehmbaren Welt beweisen möchte, so ist das Anführen eines Vergleichsfalles in der sichtbaren Welt ohne jeden Nutzen (lā maʿnā lahū).
1111 Siehe El-Rouayheb, Theology and Logic, 612f. mit den dort angegebenen Belegstellen. 1112 Zu seiner qiyās-kritischen Position, auf die im weiteren Verlauf noch eingegangen wird, siehe v. a. Ḫadīǧa Ḥammādī al-ʿAbdallāh, Manhaǧ al-imām Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī bayna l-ašāʿira wa-l-muʿtazila, 2 Bde., Damaskus, Beirut und Kuwait: Dār an-Nawādir, 2012, 1/146–173, v. a. 160ff., und Shihadeh, From al-Ghazālī to al-Rāzī, 165. Dort wird auf ar-Rāzīs Werk Nihāyat al-ʿuqūl in Manuskriptform verwiesen. Das Werk wurde zwischenzeitlich ediert, die relevante Passage findet sich bei Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, Nihāyat al-ʿuqūl fī dirāyat al-uṣūl, hrsg. von Saʿīd ʿAbd al-Laṭīf Fūda, 4 Bde., Beirut: Dār aḏ-Ḏaḫāʾir, 2010, 1/133. 1113 Siehe Āmidī, Abkār al-afkār, 1/212f. 1114 In seinem Werk al-Mawāqif fī ʿilm al-kalām zählt er den QĠŠ zu den problematischen Beweisverfahren, ohne ihn jedoch grundsätzlich abzulehnen. Die entsprechende Passage ist übersetzt und besprochen in van Ess, Erkenntnislehre, 381–394. 1115 Siehe Taqī ad-Dīn as-Subkī/Tāǧ ad-Dīn as-Subkī, al-Ibhāǧ fī šarḥ al-Minhāǧ, hrsg. von Aḥmad Ǧamāl az-Zamzamī/Nūr ad-Dīn ʿAbd al-Ǧabbār Ṣaġīrī, 7 Bde., Dubai: Dār al-Buḥūṯ li-d-dirāsāt al-islāmiyya wa-li-iḥyāʾ at-turāṯ, 2004, 6/2254–2257. Die angegebene Passage ist nicht von Taqī ad-Dīn, sondern von seinem Sohn Tāǧ ad-Dīn verfasst; siehe dazu auch in der Einleitung der Hrsg. 1/237. 1116 Demnach gibt es weder primäre, noch sekundäre oder instrumentelle wirkursächliche Beziehungen zwischen erschaffenen Objekten, vielmehr ist jeder Vorgang in der Schöpfung direkt von Gott verursacht. Unter dieser Annahme hat das Vergleichsmoment des Grundes (ʿilla) tatsächlich keinen Bestand. 1117 Siehe Ǧuwaynī, Burhān, 1/130. Zur ḥāl-Theorie des Muʿtaziliten Abū Hāšim al-Ǧubbāʾī (gest. 321/933) und ihrem Bezug zum QĠŠ-Argument siehe Alami, L’ontologie modale, 132–136; siehe auch die kritischen Anmerkungen zu Alamis Werk bei Thiele, Jubbāʾī’s Theory, 370. Die ḥāl-Theorie, der auch al-Ǧuwaynī zumindest zeitweise anhing, wurde oben in Kapitel 3.2 erläutert.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
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In der Theologie kann es den Analogieschluss nicht geben (wa-laysa fī l-maʿqūl qiyās);1118 und das bezieht sich [auch] auf [die Vergleichsmomente des] šarṭ und [des] dalīl.1119
Diese Passage dürfte es gewesen sein, die Ibn Taymiyya im Blick gehabt hatte, als er – wie oben ausgeführt – dafür argumentiert, dass es sich bei dieser Meinungsverschiedenheit über die Gültigkeit des QĠŠ um eine rein terminologische handelt. So schreibt er, es gehe den qiyās-Gegnern lediglich darum, in der Theologie das Argument ohne eine Unterscheidung zwischen einem Ausgangsfall (aṣl) und einem Zielfall (farʿ) aufzubauen. Vielmehr soll sich der Beweis bei ihnen eigenständig und unmittelbar auf die Objekte beziehen, die in der Analogie als Ausgangs- und Zielfall bezeichnet werden.1120 Ibn Taymiyya scheint al-Ǧuwaynī dahingehend zu verstehen, dass dieser den Analogieschluss in der Theologie nur dann akzeptiert, wenn er in einen Syllogismus umgewandelt wird. Denn dieser bezieht sich nicht mehr auf einen bestimmten Ausgangs- bzw. Zielfall, sondern umfasst beide durch diejenige Prämisse, die als Allaussage formuliert ist. So gibt Ibn Taymiyya folgendes Beispiel:1121 (Obersatz)
Alle Handelnden, die ihre Handlung auf perfekte Weise vollziehen, sind Wissende.
(Untersatz)
Jener ist ein Handelnder, der seine Handlung auf perfekte Weise vollzieht.
(Konklusion)
Jener ist ein Wissender.1122
Was Ibn Taymiyya hier beschreibt, ist der wohl mit al-Ǧuwaynī eintretende Prozess der Substitution des QĠŠ als das kalām-theologische Pendant zu dem juristischen Analogieschluss durch den Syllogismus der falāsifa.1123 Da, wie bereits gesagt, der Analogieschluss und der Syllogismus laut Ibn Taymiyya in die Form des jeweils anderen umgewandelt werden kann und beide Schlusstechniken damit qualitativ auf gleicher Stufe stehen, macht es Sinn, dass er die Meinungsverschiedenheit um 1118 Der Ausdruck maʿqūl bezeichnet hier nicht jede Art von Vernunftangelegenheit, sondern ist als das Gegenstück zu den šarʿiyyāt (rechtsrelevante Angelegenheiten) zu sehen, in denen der qiyās nach al-Ǧuwaynī sehr wohl erlaubt ist. Daher habe ich maʿqūl mit Theologie übersetzt; siehe auch oben, Fußnote 1053. 1119 Ǧuwaynī, Burhān, 1/130. 1120 Wörtlich: bal al-iʿtibār bi-d-dalīl aš-šāmil li-ṣ-ṣūratayn; Radd 366. 1121 Siehe Radd 367. 1122 Ibn Taymiyya nennt hier nur die Prämissen. Zum besseren Verständnis wurde die Konklusion von mir hinzugefügt. 1123 Siehe dazu auch van Ess, Erkenntnislehre, 382f. und 391f., sowie v. a. El-Rouayheb, Theology and Logic, 411–416.
240 | 7 Epistemologische Grundlagen die Gültigkeit des QĠŠ in diesem Falle als terminologisch betrachtet. Al-Ǧuwaynīs Kritik scheint mir jedoch tiefergehend zu sein, als von Ibn Taymiyya angenommen. Denn dieser hatte in seinem Burhān ja nicht nur gefordert, dass ein Beweis in der Theologie sich unmittelbar auf die nicht-wahrnehmbare Welt beziehen muss. Vielmehr hatte er ja auch die Vergleichsmomente mit dem Argument kritisiert, dass Gott und die Welt nicht miteinander verglichen werden dürfen. Das Vergleichsmoment in der Analogie entspricht jedoch dem, was im Syllogismus als Mittelbegriff bezeichnet wird. Durch die Umwandlung des Analogieschlusses in einen Syllogismus ist also nur erreicht, dass das Argument von der Form her weniger anthropomorphistisch erscheint. Al-Ġazālī hält dies für einen Gewinn, jedoch betont er, dass die syllogistische Form allein die Beweiskraft des Arguments nicht erhöht. Diese hängt nämlich von der Gültigkeit des Obersatzes im Syllogismus ab, welche zur ihrer Untermauerung eines weiteren Syllogismus bedarf.1124 Den Worten Faḫr ad-Dīn ar-Rāzīs, den Ibn Taymiyya bei seiner Aufzählung der Gegner des QĠŠ mitaufgeführt hatte, kann man klar entnehmen, dass er mit dem Obersatz des oben angeführten Syllogismus nicht einverstanden gewesen wäre. So bringt er gegen die unter den Ašʿariten gängige Methodik, das Wissen Gottes auf Basis der Perfektion seines schöpferischen Wirkens zu beweisen, eine Vielzahl von Einwänden vor, von denen hier zwei in wenigen Worten beschrieben werden sollen: Erstens, auch die Biene ist in der Lage, sechseckige Waben zu errichten, und dies ohne Lineal oder Zirkel. Selbst die Vernünftigsten unter den Menschen würden es nicht schaffen, Ähnliches aus Wachs herzustellen. So verhält es sich auch mit dem Netz der Spinne und dem Bau der Ameise. Wegen der Perfektion dieser Dinge müsste man, wenn die Methodik der Ašʿariten gültig wäre, zu dem ungültigen Schluss kommen, dass diese Tiere wissender seien als der Mensch.1125 Zweitens, in der ašʿaritischen Schule, so ar-Rāzī, geht man davon aus, dass die Art und Weise der Zusammensetzung der einzelnen Teile in der Welt weder Nutzen (manāfiʿ) mit sich bringen noch Interessen (maṣāliḥ) realisieren. So kann man z. B. weder sagen, dass Gott das Auge auf die bekannte Weise erschaffen habe, um die Sehfähigkeit zu vervollkommnen, noch dass er den Magen auf die bekannte Weise erschaffen habe, um den Verdauungsvorgang zu perfektionieren. Daher ist es auf Basis der ašʿaritischen Position auch nicht möglich, zu behaupten, Gott habe die Schöpfung in bester Ordnung (iḥkām) und auf vollkommene Weise (itqān) 1124 Siehe El-Rouayheb, Theology and Logic, 412f. 1125 Rāzī, Maṭālib, 3/110. Dieses Argument wurde auch schon vor ar-Rāzī angeführt. So versuchte der Ḥanbalit Ibn ʿAqīl (gest. 513/1119) es zu entkräften, indem er sagt, dass diese Tiere nur das ausführen, was Gott ihnen eingibt. Gott als der Eingebende ist es also, dem das Wissen zuerkannt werden muss, auf welches die komplexen Bauwerke der Tiere deuten; siehe Makdisi, Ibn ʿAqīl, 112.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie
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erschaffen und es sei folglich auch nicht gestattet, Sein Wissen auf diesem Wege beweisen zu wollen.1126 Nach diesem ideengeschichtlichen Abriss, auf den im Folgenden weiter rekurriert wird, soll nun Ibn Taymiyyas eigene Position im Fokus stehen.
7.1.2 Ibn Taymiyyas Sicht auf den qiyās – eine Weiterentwicklung der Position al-Āmidīs Ibn Taymiyya positioniert sich zu der der Frage des qiyās auf deutliche Weise. So schreibt er: Du weißt, dass wir nichts, was sich unserer Wahrnehmung entzieht (mā ġāba ʿannā), erkennen können außer durch das Wissen über das, was wir bereits wahrgenommen haben (mā šahidnāhu). So können wir die Dinge nur über unsere äußeren und inneren Sinne1127 erkennen, wobei es sich bei [der dadurch gewonnenen] Erkenntnis immer um eine partikularspezifische (muʿayyana maḫṣūṣa) handelt. Sodann erkennen wir Nicht-Wahrnehmbares (ġāʾib) über das Wahrnehmbare (šāhid). So ergeben sich in unserem Verstand allgemeine und universale Urteile (qaḍāyā ʿāmma kulliyya). Wenn uns sodann eine Beschreibung von etwas, das für uns nicht wahrnehmbar ist, gegeben wird, verstehen wir von dem, was uns gesagt wird, nichts außer vermittelt über die Kenntnis dessen, was von uns bereits wahrgenommen wurde.1128
1126 Siehe Rāzī, Maṭālib, 3/116. ar-Rāzīs Einwand ist nicht nachvollziehbar. Al-Ašʿarī selbst referiert in einem seiner Werke über die Ordnung in der Schöpfung und entwickelt daraus einen teleologischen Gottesbeweis. Hierbei bespricht er sogar die Funktionsweise des Magens; darüber hinaus konstatiert er explizit, dass die Anordnung der Schöpfung die Interessen (maṣāliḥ) der Menschen realisiert; siehe Ašʿarī, Ṯaġr, 147–155. Womit die Ašʿariten ein Problem hatten, und darauf könnte ar-Rāzī abgezielt haben, ist die Behauptung, dass Gott einer Handlungsmotivation (dāʿin oder bāʿiṯ) unterliegt, die Ihn dazu bringt, die Schöpfung in bester Ordnung zu gestalten. So sind sie der Meinung, dass Gott aus allen Handlungsoptionen willkürlich wählt und man lediglich durch Beobachtung der Schöpfung induktiv zu der Regel gelangt, dass Sein Wirken in der Schöpfung dem Interesse der Menschen dient; dazu und zu der muʿtazilitischen Gegenposition siehe: Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, 162–164. 1127 Diese Unterteilung geht auf Ibn Sīnā zurück, der dabei aristotelisches Gedankengut verarbeitet, und wurde nach ihm unterschiedlich ausdifferenziert. Ibn Sīnā bezeichnet die fünf bekannten Sinne als die äußeren und fasst unter die inneren Sinne den Gemeinsinn (ḥiss muštarak), die Vorstellungskraft (ḫayāl), die gestaltende Vorstellung (mutaḫayyila), die Einschätzungskraft (wahm) und die Erinnerungskraft (ḏākira); siehe Jari Kaukua, Avicenna on the Soul’s Activity in Perception, in: José Filipe Silva/Mikko Yrjönsuuri (Hrsg.), Active Perception in the History of Philosophy. From Plato to Modern Philosophy, Cham u. a.: Springer, 2014, 99–116, hier 100–102. 1128 Nuzūl, MF 5/346; Ed. Ḫamīs 104.
242 | 7 Epistemologische Grundlagen Ibn Taymiyya verdeutlicht diesen Gedankengang weiter, indem er nachfolgend dafür argumentiert, dass die Beschreibungen des Paradieses1129 und diejenigen Gottes1130 unverständlich blieben, wenn über die begriffliche Struktur der dabei verwendeten Ausdrücke keine sich über die wahrnehmbare sowie die transzendente Welt erstreckende Gemeinsamkeit erfasst würde. Diese Gemeinsamkeit bzw. Ähnlichkeit – und hier wird der rote Faden sichtbar, der sich durch Ibn Taymiyyas Theorie der Attributenlehre zieht – besteht auf der ontologischen Ebene notwendigerweise1131 und wird auf der sprachlichen Ebene im mutawāṭiʾ- bzw. mušakkikAusdruck erfasst.1132 Damit ist die Legitimationsgrundlage für die Anwendung des qiyās in der Theologie bereitet. An mehreren Stellen seiner Werke macht er sich jedoch dafür stark, dessen Anwendungsrahmen einzugrenzen. Da Gott, so schreibt Ibn Taymiyya, Seinesgleichen nicht hat (lā miṯla lahū), darf weder der qiyās tamṯīl noch der qiyās šumūl angewendet werden, um Wissen über das Wesen Gottes und Seine Eigenschaften zu gewinnen. Denn im Syllogismus gleichen sich die partikularen Elemente hinsichtlich ihrer Bewertung (tastawī afrāduhū fī l-ḥukm) und in der Analogie stehen der Ausgangsfall (aṣl) und der Zielfall (farʿ) auf derselben Stufe.1133 Vielmehr, so Ibn Taymiyya weiter, darf in Bezug auf Gott von diesen [d. h. den qiyās-Arten] ausschließlich das argumentum a fortiori (qiyās awlā) gebraucht werden, so wenn beispielsweise gesagt wird: „[Für] jede Unzulänglichkeit (naqṣ), von der man ein Geschöpf von den Geschöpfen freispricht (nazzaha), [gilt], dass der Schöpfer erst recht von ihr freizusprechen ist. Und [für] jede uneingeschränkte Vollkommenheit (kamāl muṭlaq), die man einem Geschöpf zuerkennt, [gilt], dass dem Schöpfer diese uneingeschränkte Vollkommenheit, in der sich in keinerlei Hinsicht ein Mangel befindet, erst recht zuzuerkennen ist.“1134
Das argumentum a fortiori kann hier als eine Modifikation des Syllogismus bzw. des Analogieschlusses gesehen werden, insofern bei ersterem der Mittelbegriff und bei letzterem die Eigenschaft, welche als Vergleichsmoment dient, erstens entweder einen Mangel oder eine Vollkommenheit bezeichnen und zweitens nicht in einer rein univoken, sondern in einer analogen (mušakkik) Weise gebraucht werden muss. Ibn Taymiyya meint, dass die Anwendung des QĠŠ in der Form des argumentum a fortiori sowohl im Koran als auch in den Prophetenworten zu 1129 Nuzūl, MF 5/347; Ed. Ḫamīs 105f. 1130 Nuzūl, MF 5/350f.; Ed. Ḫamīs 111–113. 1131 Siehe Kapitel 4.2. 1132 Siehe Kapitel 5.2. 1133 Darʾ 7/362; ähnlich formuliert es Ibn Taymiyya auch in Tadmuriyya, MF 3/30; Ed. Saʿawī 50. 1134 Darʾ 7/362.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie
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finden sind.1135 Er führt eine Überlieferung an, in der ein Prophetengefährte den Propheten fragt, ob es möglich ist, dass alle Menschen Gott am Jüngsten Tag zur selben Zeit erblicken. In seiner Antwort vergleicht der Prophet die Gottesschau mit der Schau des Mondes. Da der Mond so groß ist, dass alle Menschen – ohne sich gegenseitig die Sicht zu versperren – ihn zur selben Zeit erblicken können, gilt das erst recht für Gott, da Er größer (aʿẓam) und prächtiger (aǧall) ist.1136 Ibn Taymiyya hat in seiner Schrift Akmaliyya obige Methode eingehender erläutert und ist damit einer Anfrage einer nicht näher bekannten Person nachgekommen. In dieser Anfrage werden verschiedene Gottesvorstellungen zusammenfassend dargestellt und schließlich resümiert, dass alle ihre Vertreter diese mit Verweis auf Gottes Vollkommenheit und Mangellosigkeit zu untermauern versuchten.1137 Dies exemplifiziert der Fragesteller z. B. am Standpunkt der Muʿtaziliten, nach dem Gott, wenn Er über in Ihm Platz greifende Attribute verfügen würde, von deren Existenz abhängig wäre. Zudem können Attribute laut den Muʿtaziliten nur Körpern inhärieren, welche wiederum aus Teilen zusammengesetzt sind. Abhängigkeit, Körperlichkeit und die Eigenschaft, aus Teilen zusammengesetzt zu sein, sind jedoch Mängel, und daher kann Gott keine Attribute haben, die in Ihm Platz greifen.1138 Der Fragesteller erwähnt darüber hinaus u. a. auch eine von Polytheisten vertretene Ansicht, nach der Gott so erhaben und hochstehend ist, dass es sich nicht ziemt, sich im Gottesdienst direkt an Ihn zu wenden. Es lassen sich aber nicht nur verschiedene Gottesbilder, so der Fragesteller weiter, durch Verweis auf die göttliche Vollkommenheit und Mangellosigkeit untermauern, sondern die Kategorien Vollkommenheit und Mangellosigkeit gehören auch zu den relativen Angelegenheiten (umūr nisbiyya), sodass ein und dasselbe Attribut in verschiedenen Kontexten entweder unter die eine oder die andere Kategorie fallen kann.1139 Die Anfrage endet mit der Bitte um eine Klarstellung bezüglich dieser Themen. In seiner Antwort versucht Ibn Taymiyya, die von dem Fragesteller vorgebrachten Gottesvorstellungen als falsch zu erweisen. Zu diesem Zweck ist es – wie er einleitend sagt – notwendig, zwei Grundannahmen zu untermauern und auszu1135 Rosalind Gwynne argumentiert dafür, dass das argumentum a fortiori erst im Recht, zeitgleich oder später in den Sprachwissenschaften und zuletzt in der Theologie Anwendung fand; siehe Rosalind Gwynne, The A Fortiori Argument in Fiqh, Naḥw and Kalām, in: Cornelis Henricus Maria Versteegh/Michael Carter (Hrsg.), Studies in the History of Arabic Grammar II, Amsterdam und Philadelphia: John Benjamins, 1990, 165–177. 1136 Bayān 4/443f. 1137 Die gesamte Anfrage findet sich in Akmaliyya, MF 6/68–71; Ed. Sālim 3–6. 1138 Siehe Akmaliyya, MF 6/69; Ed. Sālim 4. 1139 Akmaliyya, MF 6/70; Ed. Sālim 5f.
244 | 7 Epistemologische Grundlagen führen: Erstens, Gott kommt der höchstmögliche Grad an Vollkommenheiten zu (aqṣā mā yumkinu min al-akmaliyya) und Ihm ist jede Form von Mangelhaftigkeit abzusprechen.1140 Zweitens, göttliche Vollkommenheitsattribute können anhand bestimmter Kriterien eindeutig als solche identifiziert werden.1141 Im Folgenden seien Ibn Taymiyyas Hauptargumentationslinien dazu nachgezeichnet. Die erste Grundannahme sieht Ibn Taymiyya durch den Koran, die Vernunft (ʿaql) und die natürliche Veranlagung (fiṭra) als erwiesen an. So beschreibt der Koran Gott mit den verschiedensten lobenswerten Eigenschaften und zeichnet Ihn als das höchste Ideal (al-maṯal al-aʿlā)1142 aus. Darüber hinaus bezeichnet der Koran Gott als aṣ-ṣamad,1143 ein Ausdruck, der laut Ibn Taymiyya, wobei er sich wiederum auf eine Aussage von Ibn ʿAbbās stützt, auf denjenigen verweist, dem jedwede Vollkommenheit verdientermaßen zugeschrieben werden kann und dessen Vollkommenheitsattribute in bestmöglicher Form realisiert sind.1144 Dass Gott vollkommen und frei von Mangel ist, wurde, so Ibn Taymiyya weiter, weder in der muslimischen Gemeinschaft noch unter den Menschen allgemein bezweifelt. Dies ist so, weil das Wissen darum, wie das Wissen über die Existenz Gottes, ein notwendiger Teil der natürlichen Veranlagung (fiṭra) des Menschen ist. Nur wenn sich diese in keinem gesunden Zustand befindet, mag es sein, dass der Mensch auf rationale Beweise angewiesen ist, um dieses Wissen zu erwerben.1145 Ibn Taymiyya echauffiert sich in diesem Kontext über manche mutakallimūn späterer Generationen wie al-Ǧuwaynī, ar-Rāzī und al-Āmidī, denen er die Meinung zuschreibt, dass der Umstand, dass Gott vollkommen und mangelfrei ist, nicht durch rationale Argumente, sondern nur über die Quelle des iǧmāʿ bewiesen werden kann. Laut Ibn Taymiyya favorisierten sie die Methodik, ein bestimmtes Attribut genau dann als göttlich anzuerkennen, wenn es in den Quellen überliefert wurde, und es genau dann als nicht-göttlich zu bestimmen, wenn es aus ihrer Sicht die Körperlichkeit oder die Ortsgebundenheit des Objekts, dem es inhäriert, voraussetzt. Ersteres bezieht sich dann nämlich direkt auf den Koran und die Sunna, sodass sich der Umweg über die Quelle des iǧmāʿ, dessen Autorität man erst in 1140 Akmaliyya, MF 6/71; Ed. Sālim 7. 1141 Akmaliyya, MF 6/85; Ed. Sālim 21. 1142 Siehe Koran 16:60 und 30:27. 1143 Siehe Koran 112:2. 1144 Akmaliyya, MF 6/72; Ed. Sālim 8. Die Überlieferung über Ibn ʿAbbās, auf die sich Ibn Taymiyya hier bezieht, findet sich bei Ṭabarī, Tafsīr (Ed. at-Turkī), 30/346. Die exegetische Tradition hat eine Vielzahl von Deutungsversuchen des Wortes ṣamad – ein hapax legomenon im Koran – vorgebracht. Für eine ausführlichere Analyse des Begriffs durch Ibn Taymiyya siehe Iḫlāṣ, MF 17/214–234, sowie in Auseinandersetzung mit den Ansichten ar-Rāzīs, Bayān 7/486–601. 1145 Akmaliyya, MF 6/72f.; Ed. Sālim 8f.
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einem zusätzlichen Beweisschritt untermauern müsste, erübrigt.1146 Ibn Taymiyya kritisiert dieses Vorgehen und versucht in seinen darauffolgenden Ausführungen, die erste Grundannahme – also dass Gott absolut vollkommen und mangelfrei ist – auf Basis zweier Vernunftargumente zu beweisen. Bei dem ersten Argument rekurriert er auf die, wie er sie nennt, wohlbekannte Methode (aṭ-ṭarīqa al-maʿrūfa), über welche bewiesen wird, dass Gott zum notwendigen Sein gehört. Es ist offensichtlich, dass Ibn Taymiyya hier den von Ibn Sīnā vorgetragenen Gottesbeweis im Sinn hat, nach dem das kontingente Sein (al-wuǧūd al-mumkin) einen außer ihm liegenden Grund für seine Existenz haben muss. Dieser Grund – und dabei handelt es sich um Gott – kann, insofern er außerhalb des kontingenten Seins liegt, selbst nicht unter die Kategorie der Kontingenz fallen und gehört damit zum notwendigen Sein (al-wuǧūd al-wāǧib).1147 So wie nun das kontingente Sein das notwendige Sein voraussetzt, bedarf z. B. – und damit entfaltet sich das Argument Ibn Taymiyyas – das zeitliche, das abhängige und das nicht durch sich selbst bestehende Sein des ewigen, des selbstgenügsamen und des durch sich selbst bestehenden Seins.1148 Mit anderen Worten: Das mängelbehaftete Sein ist abhängig von der Existenz des vollkommenen Seins. Da die kontingente Schöpfung mängelbehaftet ist, muss Gott notwendigerweise vollkommen sein. Der zweite Vernunftsbeweis Ibn Taymiyyas findet seinen Anfang in der Form des argumentum ex remotione (sabr wa-taqsīm). So kann eine reine Vollkommenheitseigenschaft, die ontologisch möglich ist,1149 Gott möglicherweise zukommen oder auch nicht. Letzteres ist allerdings ausgeschlossen, da diese selbst dem zeitlichen, abhängigen und kontingenten Sein zukommen kann, und damit erst recht dem notwendigem Sein.1150 So wie in diesem letzten Schritt für die Möglichkeit göttlicher Vollkommenheitsattribute über einen qiyās awlā argumentiert wurde, wird nun auf selbige Weise deren Wirklichkeit bewiesen. Demnach sind die Vollkommenheiten, insofern sie das Geschöpf durch den Schöpfer erhalten hat, bei Letzterem erst recht realisiert. Ibn Taymiyya fügt hier noch an, dass diesen Punkt auch die falāsifa anerkennen, da sie der 1146 Akmaliyya, MF 6/73f.; Ed. Sālim 9f. 1147 Ibn Sīnā führt diesen Gedankengang in mehreren seiner Werke aus; für eine deutsche Übersetzung der relevanten Passagen mit zusätzlicher Anführung des arabischen Originaltextes siehe Koutzarova, Das Transzendentale bei Ibn Sīnā, 396–400. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Ibn Sīnās Gottesbeweis siehe Peter Adamson, Philosophical Theology, in: Sabine Schmidtke (Hrsg.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford: Oxford University Press, 2016, 297–312, hier 306f. 1148 Akmaliyya, MF 6/76; Ed. Sālim 12. 1149 Ibn Taymiyya unterscheidet zwischen den möglichen und den unmöglichen Vollkommenheitsattributen, worauf im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird. 1150 Akmaliyya, MF 6/76f.; Ed. Sālim 12f.
246 | 7 Epistemologische Grundlagen Meinung sind, dass jede Vollkommenheit, die der Wirkung zukommt, sich aus der Ursache speist, sodass ihr diese Vollkommenheit erst recht zukommt.1151 Nachdem nun nach Ibn Taymiyya die Vollkommenheit Gottes bewiesen wurde, macht er sich daran zu zeigen, dass diese Ihm wesenhaft ist und sich somit nicht erst durch außerhalb von Ihm liegende Gründe realisiert. Seine relativ langen und abstrakt gehaltenen Ausführungen lassen sich inhaltlich an einem Beispiel verdeutlichen: Es geht Ibn Taymiyya darum, zu beweisen, dass ein Vollkommenheitsattribut, wie z. B. barmherzig zu sein (ab hier: a), Gott nicht erst dann zukommt, wenn Er auf barmherzige Weise agiert (ab hier: b). Das Argument lautet dazu wie folgt: Wäre dem so, dann wäre a die Ursache für b und b die Ursache für a. Dies stellt eine sich unmöglich realisierende zirkulär-rekursive Kette (dawr qablī) an Ereignissen dar, womit bewiesen ist, dass die Existenz von Gottes Vollkommenheitsattributen nicht auf außerhalb Gottes liegende Faktoren angewiesen ist.1152 Ibn Taymiyya schließt die Beweisführung zur Untermauerung der ersten Grundannahme ab, indem er eine Vielzahl von Koranstellen anführt und diese im Lichte der eben besprochenen rationalen Argumente kommentiert.1153 Ibn Taymiyya wendet sich sodann der zweiten Grundannahme zu, auf der die Anwendbarkeit des QĠŠ im Modus des a-fortiori-Arguments fußt. Diese besagt, dass ein Vollkommenheitsattribut, welches Gott notwendigerweise zukommt, als solches auch eindeutig bestimmt werden kann. Ibn Taymiyya formuliert dazu zwei Kriterien: erstens, dass es sich um eine Vollkommenheit handelt, deren Existenz möglich ist (an yakūna l-kamāl mumkin al-wuǧūd),1154 und zweitens, dass es sich um ein Vollkommenheitsattribut handelt, welches keinen Mangel beinhaltet (alkamāl allaḏī lā yataḍammanu naqṣan ).1155 Das erste Kriterium führt Ibn Taymiyya gegen die Aussage an – und hier hat er wohl die Position der falāsifa und der 1151 Akmaliyya, MF 6/77; Ed. Sālim 13. In letztgenannter Edition fehlt Ibn Taymiyyas Bemerkung über die falāsifa. Da Sālim sonst auf die Unterschiede zu der Edition MF aufmerksam macht, es in diesem Fall jedoch unterlässt, könnte es sein, dass er diese Textstelle bloß versehentlich ausgelassen hat. Dass Ursachen hochwertiger sind als ihre jeweiligen Wirkungen ist eine der Grundannahmen des Neuplatonismus, diesem jedoch keineswegs eigentümlich. Sie findet sich sowohl bei Plotin als auch bei Proklos, die beide die Tradition der falsafa stark beeinflusst haben; siehe z. B. Proclus, The Elements of Theology, übers., erläut. und mit einer Einl. vers. von Eric Dodd, Nachdr. der 2. verbesserten Aufl. von 1963, Oxford: Clarendon Press, 1971, 193f. (Kommentar des Hrsg.) und 9 (Übersetzung). 1152 Akmaliyya, MF 6/77–79; Ed. Sālim 13–15. 1153 Akmaliyya, MF 6/79–83; Ed. Sālim 15–19. 1154 Akmaliyya, MF 6/85; Ed. Sālim 21. Ab hier unterscheiden sich die beiden Editionen voneinander in der Anordnung der Textabschnitte. 1155 Akmaliyya, MF 6/87; Ed. Sālim 33.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie
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Muʿtaziliten im Blick –, dass es eine Form von Vollkommenheit darstellt, wenn ein Wesen (ḏāt) keiner existenten Eigenschaften (ṣifāt wuǧūdiyya) bedarf. Ibn Taymiyya entgegnet – ganz im Einklang mit seiner konzeptualistischen Ontologie –, dass es ein eigenschaftsloses Wesen (ḏāt muǧarrada ʿan aṣ-ṣifāt) bzw. ein absolutes Sein (wuǧūd muṭlaq) nur als mentales Konstrukt geben kann. Selbst wenn es also eine Form der Vollkommenheit darstellen sollte, über keine Eigenschaften zu verfügen, so gehört sie doch zum unmöglichen Sein und kann Gott daher nicht zugesprochen werden.1156 Ibn Taymiyya stellt nun klar, dass Gottes Wesen und Seine Eigenschaften lediglich in Gedanken voneinander abtrennbare Entitäten darstellen, die in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden können, in der Außenwelt jedoch untrennbar (mutalāzim) sind, sodass es falsch ist, zu behaupten, Gottes Wesen bedürfe irgendwelcher Eigenschaften.1157 Daran anschließend führt er viele Beispiele an, in denen das erstgenannte Kriterium zum Tragen kommt, darunter die folgende Aussage, die er den falāsifa zuschreibt: „Die Schöpfung seit Urewigkeiten (fī l-azal) erschaffen zu haben, ist eine Eigenschaft der Vollkommenheit und muss Ihm daher zugeschrieben werden.“1158 Ibn Taymiyya entgegnet, dass die Schöpfung notwendigerweise aus zeitlich aufeinanderfolgenden Dingen besteht und daher unmöglich im Gesamten seit jeher existieren kann.1159 Aber selbst wenn dies möglich wäre, so Ibn Taymiyya weiter, so gereicht es Gott zu noch größerer Vollkommenheit, wenn Sein Schöpfungsvorgang dauerhaft und ununterbrochen ist und jede einzelne Schöpfungshandlung durch einen vorhergehenden auf Weisheit beruhenden Willensakt in Gang gesetzt wird.1160 Das zweite Kriterium exemplifiziert Ibn Taymiyya an der Eigenschaft, Appetit zu haben. Zwar ist diese vollkommener als die der Appetitlosigkeit, welche z. B. durch Krankheit ausgelöst wird, aber trotzdem handelt es sich bei ihr nicht um ein Vollkommenheitsattribut, welches man Gott zuschreiben darf. Dies ist so, weil mit ihr notwendigerweise mängelbehaftete Eigenschaften einhergehen, wie z. B., das Angewiesensein auf Nahrung.1161 Nachdem er nun den theoretischen Boden für den QĠŠ im Modus des qiyās awlā bereitet hat, behandelt Ibn Taymiyya eine Vielzahl von Attributen, die der Fragesteller in seiner Anfrage aufgeführt hatte. Dabei verfolgt Ibn Taymiyya das 1156 Akmaliyya, MF 6/98; Ed. Sālim 24. 1157 Akmaliyya, MF 6/100f.; Ed. Sālim 25f. 1158 Akmaliyya, MF 6/85; Ed. Sālim 31. Lediglich der Ed. Sālim ist über den Textzusammenhang zu entnehmen, dass Ibn Taymiyya diese Aussage den falāsifa zuschreibt. 1159 Akmaliyya, MF 6/85; Ed. Sālim 31f. 1160 Akmaliyya, MF 6/86; Ed. Sālim 32f. Zu Ibn Taymiyyas Konzept von Gottes schöpferischem Wirken siehe S. 142 oben und 291 unten. 1161 Akmaliyya, MF 6/87; Ed. Sālim 33.
248 | 7 Epistemologische Grundlagen Ziel, auf rationalem Wege aufzuzeigen, ob diese Attribute Gott zugesprochen werden müssen oder nicht. Seine Ausführungen veranschaulichen, wie er den QĠŠ verwendet, weshalb sie im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Laut Ibn Taymiyya muss Gott die Fähigkeit besitzen, jederzeit eigenständig zu handeln, sodass Er z. B. herangehen (yaʾtī),1162 kommen (yaǧīʾu)1163 sowie herabund hinaufsteigen (yanzilu1164 und yaṣʿadu1165 ) kann. Denn dazu imstande zu sein, ist vollkommener, als dies nicht zu können.1166 Ibn Taymiyya erkennt zwar an, dass dies zeitlich auftretende Zustände bzw. Handlungen in Gottes Wesen (qiyām al-ḥawādiṯ bihī) voraussetzt,1167 er sieht darin jedoch keinen Hinderungsgrund, Gott die eben erwähnten Eigenschaften zuzusprechen. Dies ist so, weil ein Wesen, dem zeitlich aufkommende Eigenschaften zukommen, vollkommener ist als eines, bei dem dies nicht der Fall ist.1168 Als nächstes bespricht Ibn Taymiyya die Eigenschaften der Liebe (maḥabba1169 ), der Zufriedenheit (riḍā1170 ), der Freude (faraḥ1171 ) und der Abscheu (buġḍ1172 ). Stelle man sich zwei Wesen vor, wobei eines sich über vorzügliche Dinge freuen, sie lieben und mit ihnen zufrieden sein kann sowie in der Lage ist, Dinge wie Ungerechtigkeit, Ignoranz und Lüge zu verabscheuen, während das andere gegenüber diesen Dingen indifferent ist, so ist eindeutig das erstgenannte Wesen vollkommener als das letztgenannte. Daraus ergibt sich, dass diese Eigenschaften Gott zuzusprechen sind.1173 Nach dem gleichen Muster argumentiert Ibn Taymiyya dafür, dass Gott zwei Hände (yadān1174 ) und ein Gesicht (waǧh1175 ) hat. Zwar ist es richtig, dass es vollkommener ist, in der Lage zu sein, 1162 Siehe z. B. Koran 6:158. 1163 Siehe z. B. Koran 89:22. 1164 Siehe z. B. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 1/215 (Kitāb #19, Bāb #14, Ḥadīṯ #1153). 1165 Ich habe weder im Koran noch in der Sunna eine entsprechende Beschreibung Gottes finden können. Ohne konkrete Angaben zu machen, meint Ibn Taymiyya in seiner Schrift Nuzūl, dass es Überlieferungen gibt, in denen die Eigenschaft, hinaufzusteigen (laut Ibn Taymiyya ist sowohl yaṣʿadu als auch yaʿruǧu überliefert worden), Gott zugeschrieben wird; siehe Nuzūl, MF 5/521f.; Ed. Ḫamīs 394. 1166 Akmaliyya, MF 6/90; Ed. Sālim 36. 1167 Zu dieser Thematik siehe unten, Kapitel 9. 1168 Akmaliyya, MF 6/90f.; Ed. Sālim 36f. 1169 Siehe z. B. Koran 2:195. 1170 Siehe z. B. Koran 5:119. 1171 Siehe z. B. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 3/1284 (Kitāb #80, Bāb #4, Ḥadīṯ #6382). 1172 Sie z. B. Muslim, Ṣaḥīḥ Muslim, 2 Bde., Vaduz: Thesaurus Islamicus Foundation, 2000, 2/1115 (Kitāb #46, Bāb #48, Ḥadīṯ #6873). 1173 Akmaliyya, MF 6/92; Ed. Sālim 37f. 1174 Siehe z. B. Koran 38:75. 1175 Siehe z. B. Koran 55:27.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie
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Handlungen ohne den Gebrauch von Händen durchzuführen. Aber Gott vermag dies ja und so gereicht es Ihm lediglich zu zusätzlicher Vollkommenheit, auch über die Option zu verfügen, sie mittels Seiner Hände durchzuführen. Auch die Fähigkeit, sich anderen mit dem Gesicht zuzuwenden (yuqbilu bi-waǧhihī) zählt Ibn Taymiyya zu den Vollkommenheiten Gottes.1176 Weiter wendet sich Ibn Taymiyya der göttlichen Eigenschaft der Barmherzigkeit (raḥma) zu. Hier möchte er die Aussage widerlegen, dass die Barmherzigkeit lediglich ein Ausdruck von Schwäche ist. So schreibt schon der Koran die Barmherzigkeit vor, verbietet jedoch Schwäche und Weinerlichkeit.1177 Er bestreitet jedoch nicht, dass es im zwischenmenschlichen Bereich vorkommen kann, dass Schwächen durch angebliche Barmherzigkeit überspielt werden. Bei anderen Eigenschaften wie z. B. dem Wissen, der Kraft, dem Hören, dem Sehen und dem Reden, insofern sie auf den Menschen gemünzt sind, ist es sogar notwendigerweise so, dass sie mit Mangelhaftigkeiten einhergehen. Denn der Mensch ist von Natur aus ein bedürftiges Wesen und dieser Umstand spiegelt sich auch in seinen Eigenschaften wider. Für Gott aber gilt das nicht, und so kommen Ihm diese Eigenschaften zu, ohne mit irgendeinem Mangel behaftet zu sein.1178 Auf ähnliche Weise untermauert Ibn Taymiyya im Anschluss, dass auch z. B. der Zorn (ġaḍab1179 ), die Eifersucht (ġīra1180 ),1181 das Lachen (ḍaḥik 1182 )1183 und die Verwunderung (taʿaǧǧub1184 ) als Eigenschaften Gottes zu gelten haben.1185 Es fällt auf, dass die soweit besprochenen Attribute auch schon innerhalb der überlieferten Quellen Gott zugesprochen werden.1186 Daraus darf man jedoch nicht schließen, dass Ibn Taymiyya den qiyās awlā nicht auch dazu verwendet, in den Quellen nicht genannte Eigenschaften als göttlich zu identifizieren. Dies ergibt Sinn vor dem Hintergrund, dass seiner Meinung nach die Anzahl der göttlichen Eigenschaften unbegrenzt ist.1187 So bespricht er in seiner Schrift Akmaliyya die Frage, ob Gott über die Wahrnehmungen (idrākāt) verfügt, die den Menschen über 1176 Akmaliyya, MF 6/92f.; Ed. Sālim 38. 1177 Er bezieht sich dabei auf Koran 90:17 und 3:139. 1178 Akmaliyya, MF 6/117f.; Ed. Sālim 51f. 1179 Siehe z. B. Koran 4:93. 1180 Siehe z. B. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 3/1382 (Kitāb #87, Bāb #27, Ḥadīṯ #6931). 1181 Akmaliyya, MF 6/119; Ed. Sālim 53f. 1182 Siehe z. B. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 2/550 (Kitāb #56, Bāb #28, Ḥadīṯ #2863). 1183 Akmaliyya, MF 6/121; Ed. Sālim 55f. 1184 Siehe z. B. Koran 37:12 in der Lesart von Ḥamza, al-Kisāʾī und Ḫalaf al-ʿĀšir. 1185 Akmaliyya, MF 6/123; Ed. Sālim 57f. 1186 Das gilt laut Ibn Taymiyya zumindest implizit auch für die Eigenschaft Gottes, dass Ihm zeitliche Zustände und Handlungen inhärieren; dazu mehr in Kapitel 9. 1187 Siehe Laoust, Essai sur les doctrines, 161.
250 | 7 Epistemologische Grundlagen die fünf Sinne zugänglich sind.1188 Über die ṣifātiyya unter den mutakallimūn weiß er zu berichten, dass sie in dieser Frage drei verschiedene Positionen vertreten. Zu denen, die Gott alle Wahrnehmungen zusprechen, die man über die menschlichen Sinne erlangen kann, zählt er al-Bāqillānī, al-Ǧuwaynī1189 und – jedoch mit dem Hinweis, sich hier nicht sicher zu sein – al-Ašʿarī. Auch soll diese Ansicht von den Muʿtaziliten aus Basra sowie von dem Ḥanbaliten Abū Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ vertreten worden sein. Eine zweite Gruppe, unter ihnen viele der ṣifātiyya, der šāfiʿitischen und ḥanbalitischen Rechtsgelehrten sowie der Anhänger al-Ašʿarīs, meinte laut Ibn Taymiyya, dass Gott lediglich über die Wahrnehmungen des Seh- und des Hörsinns verfügt. Selbige Position mit dem Zusatz, dass Gott auch über die Wahrnehmungen verfügt, die der Mensch über den Tastsinn erhält, schreibt er der Mehrheit der ahl al-ḥadīṯ, der Mālikiten und der Ḥanbaliten zu, und diese ist es auch, die er selbst einnimmt. Wieso Gott nicht über die Wahrnehmungen verfügt, die dem Menschen über den Geruchssinn zuteil werden, erklärt Ibn Taymiyya nicht, wohl aber, wieso nicht über die des Geschmackssinns. So sind diese untrennbar mit der Eigenschaft verbunden, essen und trinken zu können. Dieser wiederum liegt die Eigenschaft zugrunde, auf Nahrung angewiesen zu sein, und ist damit mängelbehaftet.1190 Auch die vom Fragesteller vorgebrachten Vorstellungen, die von ihren jeweiligen Vertretern u. a. über den Verweis auf Gottes Vollkommenheit untermauert wurden, behandelt Ibn Taymiyya. Um sein Argumentationsmuster bei der Widerlegung dieser Gottesvorstellungen aufzuzeigen, reicht es, exemplarisch darzustellen, wie Ibn Taymiyya aufbauend auf dem QĠŠ im Modus des qiyās awlā die Meinung der Polytheisten zu entkräften versucht, Gottes Erhabenheit und Größe erlaube es nicht, Ihn direkt anzubeten. Sein Gegenargument lautet wie folgt: Ein Wesen ist entweder in der Lage, die Gesuche seiner Untertanen direkt wahrzunehmen und sie zu beantworten, oder nicht. Letzteres stellt einen Mangel dar, sodass Gott nicht auf diese Weise beschrieben werden darf. Was Ersteres angeht, so kann es sein, dass dieses Wesen tatsächlich auch in dieser Weise mit seinen Untergebenen verfährt, z. B. aufgrund von Gutmütigkeit und weil es seine Untergebenen nicht zu fürchten hat. Es kann aber auch sein, dass es die Bittgesuche nur über Dritte vermittelt annimmt, z. B. weil es schwach oder hochmütig ist oder aus anderen Gründen. Ersteres ist vollkommener, so resümiert Ibn Taymiyya. Zudem hat Gott in 1188 Akmaliyya, MF 6/123f.; Ed. Sālim 57f. In letzterer Edition hat der Hrsg. diesen Abschnitt mit folgender Überschrift versehen: „Meinungen bezüglich [der Frage], ob Ihm, dem Erhabenen, die fünf Sinne (al-ḥawāss al-ḫams) zugeschrieben werden können.“ Tatsächlich geht es in diesem Abschnitt jedoch nicht darum, ob Gott fünf Sinne hat, sondern ob Er über die Wahrnehmungen (idrākāt) verfügt, die der Mensch über die fünf Sinne erlangt. 1189 Siehe dazu Ǧuwaynī, Iršād, 186. 1190 Akmaliyya, MF 6/135f.; Ed. Sālim 68f.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
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den Quellen ausdrücklich erlaubt, ja sogar geboten, dass man sich in den gottesdienstlichen Handlungen direkt an Ihn wendet, sodass ausgeschlossen ist, dass man sich dadurch – wie von manchen Polytheisten behauptet – gegenüber Gott respektlos verhält.1191 Obwohl Ibn Taymiyyas Ansichten hierzu in der europäischsprachigen Forschung schon mehrfach behandelt wurden, ist meiner Kenntnis nach nicht auf ihre frappierende Ähnlichkeit zu den Ansichten al-Āmidīs hingewiesen worden.1192 Möchte man dem Letztgenanntem glauben, so war er sogar der erste, der die Untermauerung der sieben von den Ašʿariten bestätigten Attribute Gottes in einem eigenständigen Verfahren, das auf Gottes Vollkommenheit rekurriert, ausarbeitete. So schreibt er im Anschluss an eine Passage, in der er sich kritisch mit dem QĠŠ auseinandersetzt: Wisse, dass es hier [auch] eine elegante Methode gibt: eine, die das Streitgespräch leicht macht, die leicht zu verstehen ist, die es dem Gerechten und in den Wissenschaften Bewanderten schwermacht, sich außerhalb ihrer zu bewegen und sie hinsichtlich ihrer Beweiskraft zu tadeln. Es ist möglich, sie auf konsistente Weise zur Bestätigung aller Wesensattribute (aṣ-ṣifāt an-nafsāniyya) zu verwenden. Sie gehört zu denen, die mir Gott, der Erhabene, eingegeben hat. Bei keinem anderen habe ich sie in dieser Form und Elaboriertheit finden können.1193
Hernach erläutert al-Āmidī sein neues Beweisverfahren wie folgt: Dasjenige, was man unter den sieben Eigenschaften versteht, ist entweder eine Vollkommenheitseigenschaft oder nicht. Al-Āmidī konstatiert hierbei, diese Aussage ganz unabhängig davon betrachten zu wollen, wem diese Eigenschaft im Konkreten zugesprochen wird. Dadurch möchte er offensichtlich jegliche Nähe seines Arguments zu dem des QĠŠ vermeiden, in welchem der Blick zuerst auf die Geschöpfe gerichtet wird. Schon sein nächster Gedanke zeigt aber, dass ihm das nicht gelingt. So schreibt al-Āmidī nun, dass es ausgeschlossen ist, dass es sich bei den sieben Eigenschaften nicht um Vollkommenheiten handelt, denn man weiß nach Sichtung der wahrnehmbaren Welt mit Notwendigkeit, dass derjenige, der mit diesen Eigenschaften beschrieben wird, über dem steht, für den das nicht gilt. Daraus lässt sich schließen, dass diese Eigenschaften an sich Vollkommenheiten darstellen. Da es nun aber so ist, dass Gott in keiner Weise unter Seinen Geschöpfen steht, folgt, dass 1191 Akmaliyya, MF 6/133f.; Ed. Sālim 66f. 1192 In der arabischen Sekundärliteratur wurde die Thematik zumindest am Rande behandelt; siehe Šāfiʿī, Āmidī wa-ārāʾuhū, 230, sowie die Anmerkung des Hrsg. in Āmidī, Abkār al-afkār, 1/276 Fußnote 2. 1193 Ebd., 1/276.
252 | 7 Epistemologische Grundlagen Ihm diese Eigenschaften zuzuschreiben sind.1194 Al-Āmidī bringt nun drei mögliche Einwände gegen seine Methodik vor: Erstens, es könnte sein, dass diese Eigenschaften zwar in der wahrnehmbaren Welt als Vollkommenheiten gelten, dies für die nicht-wahrnehmbare Welt jedoch nicht gilt. Zweitens, selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Eigenschaften in beiden Welt als Vollkommenheiten zu bezeichnen sind, so müsste man dann Gott auch als riechend, schmeckend und fühlend bezeichnen, da diese Eigenschaften in der wahrnehmbaren Welten Vollkommenheiten darstellen. Drittens, es gibt Beweise, die darauf deuten, dass diese Eigenschaften Gott nicht zukommen können, denn wäre es so, dann wären sie entweder gleichartig wie die Eigenschaften, die den Geschöpfen zukommen, oder nicht. Ersteres ist ausgeschlossen, weil Gott dann z. B. körperlich wäre und sich an einem Ort befände. Sind sie jedoch nicht gleichartig, dann sind diese Eigenschaften durch ihre Andersartigkeit nicht mehr intelligibel, sodass obige Methodik zu ihrer Verifizierung nicht angewendet werden darf.1195 Al-Āmidī entgegnet diesen Einwänden wie folgt: Das erste Gegenargument ist abzuweisen, da die Eigenschaften nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten entweder eine Vollkommenheit darstellen oder nicht. Er hat nun offensichtlich seine Schwierigkeiten damit, ohne Rückgriff auf den QĠŠ zu zeigen, dass diese Eigenschaften in der nicht-wahrnehmbaren Welt als Vollkommenheiten zu gelten haben. Seine Strategie ist es, die Beweislast umzukehren. So sagt er, dass sie in der wahrnehmbaren Welt Vollkommenheiten darstellen. Sollte jemand meinen, dass dies nicht für die andere Welt gelte, so hat er einen Beweis zu erbringen. Den zweiten Einwand bespricht er nicht explizit, aber zumindest erklärt er, dass man die Vollkommenheitsattribute, die mit einem Mangel einhergehen, nicht als göttlich identifizieren darf. Hier läuft seine Argumentation wohl auf das hinaus, was Ibn Taymiyya bezüglich der Eigenschaft vorgebracht hatte, über einen Geschmackssinn zu verfügen. Hinsichtlich des dritten Einwandes macht al-Āmidī deutlich, dass er kein Problem darin sieht, zu sagen, dass die Eigenschaften Gottes von derselben Gattung sind wie die der Geschöpfe, zumindest, wenn damit gemeint ist, dass sie kontingent sind in dem Sinne, dass ihre Notwendigkeit nicht durch sie selbst begründet ist, sowie dass es sich bei ihnen um Akzidenzien handelt, in dem Sinne, dass sie in etwas Platz greifen müssen.1196 Es ist zwar richtig, wie auch der ideengeschichtliche Überblick in Unterkapitel 7.1.1 gezeigt hat, dass al-Āmidīs Methode zur Untermauerung der Eigenschaften Gottes in der Zeit vor ihm keine bedeutende Rolle gespielt hat. So innovativ, wie 1194 Siehe Āmidī, Abkār al-afkār, 1/276f. 1195 Siehe ebd., 1/277. 1196 Siehe ebd.
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von al-Āmidī behauptet, ist diese Methode jedoch keineswegs. Der Gedanke, die Eigenschaften Gottes unter Verweis auf Dessen Vollkommenheit zu untermauern, findet sich, wie Ibn Taymiyya richtigerweise in seiner Anmerkung zu der eben besprochenen Stelle in al-Āmidīs Werk Abkār betont, bei Gelehrten sowohl der frühen als auch der später folgenden Generationen und wurde von ihnen auf verschiedene Weise formuliert.1197 Al-Āmidī war jedoch vielleicht tatsächlich der erste, der diese Methodik als den Königsweg zur Untermauerung der göttlichen Eigenschaften zu etablieren versuchte. Darin folgte ihm Ibn Taymiyya – jedoch nicht ohne die von al-Āmidī beschriebene Vorgehensweise zu verändern und zu erweitern. So wendet er sie auf alle Attribute an und nicht nur auf die sieben, die von den Ašʿariten bestätigt werden. Darüber hinaus kritisiert er al-Āmidī dafür, dass er das Argument nicht gebraucht, dass die Ablehnung der Vollkommenheitsattribute notwendigerweise zur Annahme ihres jeweiligen Gegenteils führt,1198 sodass z. B. die Aussage, dass Gott nicht lebt, gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass Er tot ist.1199 Abschließend ist noch festzuhalten, dass al-Āmidī mit der Darbietung der oben besprochenen Methode beabsichtigt, eine Alternative zu dem von ihm als schwach bezeichneten Argument des QĠŠ anzubieten. Dies ist jedoch keineswegs das Anliegen Ibn Taymiyyas, der sich damit zumindest in diesem Punkt aus meiner Sicht eine höhere methodische Konsistenz bewahrt, wie in Unterkapitel 7.1.4 noch ausgeführt wird. Nachdem nun die Position Ibn Taymiyyas dargestellt wurde, soll der Blick im Folgenden auf seine Kritik an seinen Widersachern gerichtet werden.
7.1.3 Ibn Taymiyyas Kritik an seinen Widersachern Ibn Taymiyya wirft den mutakallimūn – und damit sind vor allem die Ašʿariten und die Muʿtaziliten gemeint – vor, das Vergleichsmoment des QĠŠ bzw. den Mittelbegriff des Syllogismus auch dann auf univoke Weise gebraucht zu haben, wenn diese eigentlich als analog oder als äquivok zu identifizieren sind. Zu Letzterem ist es gekommen, als in den kalām mehrdeutige Begriffe, die in den Quellentexten unerwähnt sind, eingeführt wurden. Um seinen Kritikpunkt zu verdeutlichen, zitiert Ibn Taymiyya folgende Verse aus einem Gedicht des ʿUmar Ibn Abī Rabīʿa (gest. 93/712 oder 103/721): 1197 Darʾ 4/38. Siehe beispielhaft al-Ġazālīs Ausführungen zu den Eigenschaften des Sehens und Hörens bei Ġazālī, Iqtiṣād, 110–113, und allgemein Ibn Rušd, Kašf , 137f. 1198 Darʾ 4/38. 1199 Dies wurde oben bereits behandelt; siehe S. 225ff.
254 | 7 Epistemologische Grundlagen
O du, der du Ṯurayyā an Suhayl verheiratest! Wie nur – möge Gott dich bewahren – sollen sie zusammenkommen? Sie ist doch – wenn sie aufgeht – eine Syrerin, er jedoch ist – wenn er aufgeht – ein Yemenit.1200
Der Hintergrund dieser Verse ist die Liebe des Ibn Abī Rabīʿa zu der Frau Ṯurayyā, die jedoch einen Mann namens Suhayl heiratete.1201 Im ersten Vers beziehen sich diese beiden Namen auf die entsprechenden Personen, in den restlichen Versen bezeichnet Ṯurayyā jedoch einen als Plejaden bezeichneten Sternhaufen, der am Himmel in nördlicher Richtung erscheint (daher als Syrerin bezeichnet), und Suhayl den Stern Canopus, der in südlicher Richtung erscheint (daher als Jemenit bezeichnet). Ibn ʿUmar nutzt die Mehrdeutigkeit dieser Begriffe, um seinem Unmut über die Heirat in Form eines Sprachbildes Ausdruck zu verleihen. Was in der Dichtkunst erlaubt sein mag, führte im kalām laut Ibn Taymiyya zu einer Reihe von Fehlschlüssen, als man Begriffe wie z. B. murakkab (zusammengesetzt), mutaḥayyiz (Platz greifend), ǧawhar (Substanz), ǧiha (Richtung) und ʿaraḍ (Akzidens) in ein und derselben Fragestellung ohne Rücksicht auf deren äquivoken Charakter verwendete.1202 Was die von Ibn Taymiyya kritisierte univoke Anwendung von eigentlich analogen Begriffen betrifft, so ist sie der Grund dafür, dass er die mutakallimūn als Anthropomorphisten (mušabbiha) bezeichnet.1203 Dieser Vorwurf wird ja sonst vonseiten des kalām gegen die traditionalistischen Strömungen vorgebracht, Ibn Taymiyya jedoch ist der Ansicht, dass die der Position des Verneinens der Attribute Gottes (taʿṭīl) zugrunde liegende Logik auf einem Anthropomorphismus beruht.1204 Das folgende Beispiel stammt zwar nicht aus der Feder Ibn Taymiyyas, hilft jedoch dabei, seinen Kritikpunkt zu verdeutlichen. Dazu soll einleitend folgender Syllogismus betrachtet werden:
1200 Furqān I, MF 13/146f. In seiner Gedichtsammlung finden sich die Verse bei ʿUmar Ibn Abī Rabīʿa, Dīwān ʿUmar Ibn Abī Rabīʿa, hrsg. von Fayz Muḥammad, Beirut: Dār al-Kitāb al-ʿarabī, 1996, 494. 1201 Dazu mehr bei Mònica Aparicio, ʿUmar Ibn Abī Rabīʿa and Ṯurayyā in Rawḍat al-Qulūb wa-Nuzhat al-Muḥibb wa-al-Maḥbūb, in: Quaderni di Studi Arabi 5/6 (2010-1), 187–198. 1202 Furqān I, MF 13/146f. 1203 Siehe dazu auch die Ausführungen oben auf S. 222 zur Vierten Regel in Ibn Taymiyyas Schrift Tadmuriyya. 1204 Irbiliyya, MF 5/209. Siehe auch Laoust, Essai sur les doctrines, 157 mit Fußnote 4; Swartz, Sunnī Creed, 105 mit Fußnote 6; sowie Hoover, Ḥanbalī Theology, 637.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
(1)
Alle Weine sind berauschend.
(2)
Manche Getränke im Paradies sind Weine.
Also:
255
Manche Getränke im Paradies sind berauschend.
Die Konklusion widerspricht jedoch der koranischen Aussage, dass es zwar im Paradies Getränke wie Wein gibt, jedoch keines davon zu einem Rauschzustand führt.1205 Dieser Widerspruch lässt sich – und das würde der Methodik Ibn Taymiyyas entsprechen – dadurch auflösen, dass man obiges syllogistisches Argument aufgrund der univoken Verwendung des eigentlich analogen Mittelbegriffs Wein verwirft. Mit anderen Worten: Der Wein im Paradies und der Wein auf Erden sind sich zwar derart ähnlich, dass sie beide gerechtfertigterweise als Wein bezeichnet werden können, jedoch sind sie in ihren Wesen so unterschiedlich, dass der obige Syllogismus einen Fehlschluss darstellt. Nach der Methodik der mutakallimūn, so sieht es Ibn Taymiyya, würde diese Unterschiedlichkeit in den Wesenheiten jedoch ignoriert und damit der Syllogismus anerkannt werden, was dann über den nächsten Gedankenschritt – um die Gültigkeit der koranischen Aussage zu bewahren, im Paradies gebe es keine berauschenden Getränke – zu einer Entleerung (taʿṭīl) des bei den Beschreibungen des Paradieses verwendeten Begriffs Wein führen würde. Was für den Begriff des Weines gilt, über den es derartige Diskussionen wohl nie gegeben hat, gilt in derselben Weise – und daher wurde es als Beispiel angeführt – für die Attribute Gottes und damit auch für folgenden Syllogismus: (1)
Alle Hände (Sing.: yad) sind Gliedmaßen.
(2)
Gott hat eine Hand (yad).
Also:
Gott hat eine Gliedmaße.
Es ist die Akzeptanz dieses Arguments, in dem der Begriff yad in anthropomorphistischer Manier auf univoke Weise verwendet wird, die die Grundlage für die Entleerung der Attribute Gottes darstellt. Auf diese innere Logik des taʿṭīl bezieht sich Ibn Taymiyya, wenn er schreibt: „Und diese Ignoranten setzen am Anfang ihres Verstehensprozesses (fī ibtidāʾ fahmihim) die Attribute des Schöpfers mit den Attributen der Geschöpfe gleich, sodann verneinen sie diese und berauben es [d. h. das Attribut] seiner Bedeutung (yuʿaṭṭilūnahū).“1206 Ein anderer Kritikpunkt Ibn Taymiyyas richtet sich gegen die aus seiner Sicht willkürliche Verwendungsweise des QĠŠ bei den mutakallimūn und den falāsifa. 1205 Siehe z. B. Koran 37:47. 1206 Irbiliyya, MF 5/209. Der Vorwurf des Anthropomorphismus ist auch deutlich formuliert in Aṣfahāniyya 457.
256 | 7 Epistemologische Grundlagen So wenden diese ihn aus seiner Sicht nur dann an, wenn das Ergebnis ihren vorgefassten theologischen Meinungen entspricht. Ihr Umgang mit dem qiyās gleicht, so Ibn Taymiyya, dem mit den schriftlichen Quellen. Auch hier lehnen sie missliebige Textbelege ab, selbst wenn diese nach ḥadīṯ-wissenschaftlichen Kriterien einwandfrei überliefert sind, und akzeptieren andere, die ihre theologischen Positionen stützen, selbst dann, wenn Einigkeit besteht, dass diese erfunden sind.1207 Diese Kritik wurde bereits innerhalb verschiedener theologischer Strömungen formuliert – ein Umstand, dessen Ibn Taymiyya sich bewusst ist. Zu den Kritikern, die er auch an verschiedenen Stellen seiner Werke unterstützend anführt, gehören u. a. der frühe Qarmate Abū Yaʿqūb as-Siǧistānī (gest. nach 361/971), der sich dabei gegen eine nicht näher genannte theologische Strömung – wahrscheinlich die Muʿtaziliten – richtet,1208 sowie Ibn Rušd, der mit seiner Kritik die Ašʿariten im Blick hat.1209 Neben diesen hatte sogar al-Āmidī seinen eigenen ašʿaritischen Mitstreitern Willkür bei der Anwendung des QĠŠ vorgeworfen. Eine konsequente Anwendung des QĠŠ würde laut al-Āmidī erfordern, Gott als ein Sich durch den Willen bewegtes (mutaḥarrik bi-l-irāda), schlafendes, auf Nahrung angewiesenes und sich fortpflanzendes Lebewesen (ḥayawān) anzusehen.1210 Auch Ibn Taymiyya konkretisiert seine Einwände an vielen Stellen, von denen im Folgenden eines beispielhaft dargestellt werden soll. So zitiert er aus dem Werk Taʾsīs at-taqdīs des ar-Rāzī eine Stelle, in der dafür argumentiert wird, dass Gott keinen Umfang haben darf, also z. B. nicht gewaltig groß (ʿaẓīm) ist.1211 Denn dies setzt voraus, teilbar zu sein (munqasim), was ar-Rāzī und auch Ibn Taymiyya in Bezug auf Gott für unmöglich halten. Ar-Rāzī untermauert diese Begründung mit der Aussage, dass man bei einem Wesen, das über einen Umfang verfügt, auf einen Punkt zeigen kann. Dieser ist zu unterscheiden von allen Punkten, auf die man nicht gezeigt hat, und somit ergibt sich, dass dieses Wesen aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt sein muss. Ar-Rāzī sagt dabei explizit, dass dieser Gedankengang keinen QĠŠ, sondern ein apodiktisches Argument (burhān qaṭʿī) darstellt.1212 Ibn Taymiyya lässt dies jedoch nicht gelten, da aus seiner Sicht jede Beweisführung, mit der etwas hinsichtlich der nicht-wahrnehmbaren Welt bewiesen werden soll, ihren Anfang in dieser 1207 Bayān 345f. 1208 Siehe Abū Yaʿqūb as-Siǧistānī, al-Maqālīd al-malakūtiyya, hrsg. von Ismail Poonawala, Tunis: Dār al-Ġarb al-islāmī, 2011, 79f. Ibn Taymiyya zitiert seitenlang aus diesem Werk, die relevante Passage befindet sich in Aṣfahāniyya 525f. 1209 Siehe Ibn Rušd, Kašf , 154f. Diese Passage zitiert Ibn Taymiyya in Darʾ 6/229. 1210 Siehe Āmidī, Abkār al-afkār, 1/271. 1211 Siehe Rāzī, Asās at-taqdīs, 63. Diese Thematik ist eingebettet in die breitere Diskussion zu den Fragen, ob Gott örtlich (mutaḥayyiz) ist und ob man auf Ihn zeigen kann. 1212 Siehe ebd., 63.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
257
Welt nehmen muss und damit notwendigerweise irgendeine Art des QĠŠ beinhaltet (yataḍammanu nawʿan min qiyās al-ġāʾib ʿalā š-šāhid).1213 Darüber hinaus, und das ist nun der eigentliche Kritikpunkt Ibn Taymiyyas, vertritt ar-Rāzī die Auffassung, dass Gott weder in der Welt noch außerhalb von ihr ist, und dass Er gesehen werden kann, ohne Sich relativ zum Sehenden in einer bestimmten Richtung zu befinden. Beide Positionen sind laut Ibn Taymiyya durch die Vernunft noch schwieriger zu begreifen als der Sachverhalt, dass ein Wesen einen großen Umfang besitzt, aber nicht aus Teilen besteht. Daher sieht er es als reine Willkür an, die ersten zwei Auffassungen im Gegensatz zu letzterer als akzeptabel zu erachten.1214 7.1.4 Bewertung der Position Ibn Taymiyyas Ibn Taymiyya argumentiert auf plausible Weise dafür, dass die Intelligibilität einer jeden positiven Theologie nur dann gewahrt bleibt, wenn man eine Ähnlichkeit zwischen der erfahrbaren und der transzendenten Welt, die durch die Sprache erfasst wird, annimmt. Durch seine ontologischen und sprachtheoretischen Ansichten entgeht er dem Widerspruch, in den sich die Ašʿariten, die Māturiditen und die Muʿtaziliten verstricken, insofern sie auf der einen Seite positive Aussagen über Gott machen, auf der anderen Seite aber eine vollkommene Unähnlichkeit zwischen Ihm und Seiner Schöpfung postulieren. Daniel Gimaret schreibt hierzu: Es ist schon eine gewisse Paradoxie, zu behaupten, dass Gott den Geschöpfen in nichts gleicht, während kraft eben der von der Gesamtheit der sowohl sunnitischen wie auch muʿtazilitischen Theologen übernommenen Verfahrensweise alles, was wir von Gott auf rationalem Wege hinsichtlich Seiner Existenz und hinsichtlich Seiner Attribute bestätigen, auf einer Analogie zwischen dem Menschen und Ihm gegründet ist. […] In dieser Sache ist die einzige logische Position, wenn es darum geht, eine radikale Unähnlichkeit zwischen Gott und dem Menschen zu behaupten, die einer negativen Theologie, wie sie die Ǧahmiten oder die Ismailiten betreiben […]: Alles, was auf positive Weise vom Menschen ausgesagt wird, muss bezüglich Gott negiert werden (und umgekehrt).1215
Gimaret stellt hiermit aus meiner Sicht ein Grundproblem der kalām-Theologie heraus, mit dem auch die Ašʿariten spätestens dann zu kämpfen hatten, als al1213 Bayān 3/495ff., Zitat bei 496. 1214 Bayān 3/502 und 506f. 1215 Gimaret, Doctrine, 248f. Ähnlich wie Gimaret äußert sich auch Brodersen im Kontext ihrer Untersuchung einer Aussage des Māturīditen Abū l-Muʿīn an-Nasafī (gest. 508/1114), in der dieser jedwede Ähnlichkeit zwischen Gott und der Welt verneint; siehe Brodersen, Der unbekannte kalām, 499. Vergleichbar hiermit sind auch die kritischen Anmerkungen Ibn Sīnās zum Gebrauch des QĠŠ in der muʿtazilitischen Theologie; siehe Ibn Sīnā, Taʿlīqāt, 52 Z.17ff.
258 | 7 Epistemologische Grundlagen Ǧuwaynī die Gültigkeit des QĠŠ mit der Begründung infrage stellte, dass Gott und die Welt nicht miteinander verglichen werden dürfen.1216 Die Konsequenz einer solchen Position ist, wie Gimaret treffend erklärt, dass sich positive Aussagen über Gott nicht mehr kohärent begründen lassen. Dies gilt auch dann, wenn man den QĠŠ durch syllogistische Beweisverfahren ersetzt, wie das in der Zeit ab alǦuwaynī der Fall war.1217 Auch die Methodik al-Āmidīs kann, wie gezeigt wurde, dem Grundmechanismus des QĠŠ nicht entgehen. Was die konkrete Anwendung des QĠŠ angeht, so hat Ibn Taymiyya wohl als erster Vertreter einer traditionalistischen Theologie ein rationales Beweisverfahren für die Absicherung der göttlichen Attribute entwickelt, wobei ihm v. a. al-Āmidī als Quelle der Inspiration diente. So sehr Ibn Taymiyya sich hierbei auch bemühte, ist seine Vorgehensweise nicht immer einleuchtend. Bei der Art wie er z. B. das Attribut des Lachens als göttlich beweisen möchte, entsteht der Eindruck, dass hier letztlich nur bestätigt werden soll, was auf Basis der Prophetenworte von vornherein angenommen wurde. Hätten die Quellen das Lachen als eine Eigenschaft beschrieben, die Gott nicht gebührt, so hätte Ibn Taymiyya wohl ebenso einen Weg gefunden, sie auf Basis seiner Methodik als nicht-göttlich auszuweisen. Eine weitere Inkonsistenz in den Ansichten Ibn Taymiyyas besteht darin, dass er seiner von ihm in mehreren Schriften aufgestellten Forderung, dass in Bezug auf Gott der qiyās nur im Modus des argumentum a fortiori angewendet werden darf, nicht immer treu bleibt. Mehrere Aussagen, die man verstreut in seinen Werken findet, deuten darauf hin, dass er den QĠŠ auch dann akzeptiert, wenn er nicht in dieser Form gebraucht wird. Im folgendem Fall stellt Ibn Taymiyya Gott und Seine Schöpfung explizit auf dieselbe Stufe bzw. inkludiert sie in ein und derselben Allaussage. Dabei handelt es sich um ein Argument, das auch schon im Kapitel zur Ontologie Ibn Taymiyyas behandelt wurde:1218
1216 Siehe oben, S. 237ff. Aufbauend auf einer Passage aus al-Bāqillānīs Tamhīd kommt Michel Allard zu dem Schluss, dass dieser, um die Rechtmäßigkeit des QǦŠ zu wahren, die Meinung vertreten habe, Gott sei den erschaffenen Dingen weder vollkommen ähnlich, noch vollkommen unähnlich; siehe Allard, Attributs divins, 303. Allard missversteht die Passage jedoch, denn alBāqillānī bespricht hier gar nicht das Verhältnis zwischen Gott und Seiner Schöpfung, sondern das zwischen Ihm und Seinen Attributen. Als Ašʿarit hängt er hier erwartungsgemäß dem Credo an, dass Gott weder identisch mit Seinen Attributen ist, noch dass die Attribute etwas anderes sind als Gott; siehe Bāqillānī, Tamhīd, 210f. Allards Verweis auf S. 311 dieser Edition ist falsch. 1217 Siehe oben, S. 240. 1218 Siehe oben, Kapitel 4.1.
7.1 Zur Anwendbarkeit des qiyās in der Theologie |
(1)
Alles, was existent (mawǧūd) ist, kann durch die Sinne wahrgenommen werden.1219
(2)
Gott ist existent (mawǧūd).
Also:
259
Gott kann durch die Sinne wahrgenommen werden.
An anderer Stelle wandelt Ibn Taymiyya, ohne obigen Syllogismus für ungültig zu erklären, das Argument tatsächlich in die Form des argumentum a fortiori um. So schreibt er: „Die [potenzielle] Sichtbarkeit [einer Sache] setzt lediglich existente Dinge (umūr wuǧūdiyya) voraus. Dasjenige, was lediglich existente Dinge voraussetzt, kommt dem notwendige Sein [d. h. Gott] im Vergleich zu dem möglichen Sein [d. h. der Schöpfung] erst recht zu.“1220 Um seiner Methodik indes nicht zuwiderzulaufen, hätte Ibn Taymiyya nun zeigen müssen, dass der Umstand, als existentes Objekt sichtbar zu sein, dem Objekt zur Vollkommenheit gereicht. Denn auch das eben angeführte argumentum a fortiori basiert auf der Gültigkeit der Allaussage, dass die Sichtbarkeit eines jeden Objekts nur dessen Existenz voraussetzt. Die Sichtbarkeit erklärt Ibn Taymiyya meines Wissens jedoch zu keiner Stelle seiner Werke zu einem Vollkommenheitsattribut. Hätte er dies gemacht, dann hätte er gemäß seiner Methodik argumentieren können, dass zumindest manche der Geschöpfe sichtbar sind und, insofern es sich dabei um eine Vollkommenheit handelt, Gott erst recht sichtbar sein muss. Eine weitere Inkonsistenz findet sich in Ibn Taymiyyas Werk Aṣfahāniyya, in dem er behauptet, dass der Mensch auf Basis der natürlichen Veranlagung (fiṭra) weiß, dass ein jeder Handelnder notwendigerweise über eine Kraft (qudra) verfügt.1221 Wenn Ibn Taymiyya diese Meinung vertritt, dann sollte er doch Gottes Kraft auch ohne das a-fortiori-Argument beweisen können. Tatsächlich entgegnet er in seinem Werk Darʾ al-Āmidīs Kritik an der bei den Ašʿariten üblichen Weise, Gottes Kraft über den QĠŠ – also nicht in der Form des argumentum a fortiori – zu beweisen, dass dieses Beweisverfahren grundsätzlich gültig ist, aber in der Form des qiyās awlā an Kraft gewinnt.1222 An einer anderen Stelle seines Darʾ und auch in Aṣfahāniyya hatte er sich jedoch dafür ausgesprochen, dass der qiyās awlā der einzig gültige Weg ist, Gottes Attribute rational zu untermauern.1223 1219 In seiner Schrift Tadmuriyya ändert er diese Allaussage ab in: „Alles, was durch sich selbst besteht (qāʾim bi-nafsihī), kann gesehen werden.“ Er fügt an, dass dies inhaltlich richtiger (aṣaḥḥ) ist; siehe Tadmuriyya, MF 3/dāl; Ed. Saʿawī 150. Für die Frage, inwiefern sich Ibn Taymiyya hier in einen Widerspruch verwickelt, ist dies unerheblich. 1220 Tadmuriyya, MF 3/dāl; Ed. Saʿawī 150f. 1221 Aṣfahāniyya 398. 1222 Darʾ 4/34. 1223 Aṣfahāniyya 456 und Darʾ 7/362.
260 | 7 Epistemologische Grundlagen
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise – Ibn Taymiyya in der Auseinandersetzung mit ar-Rāzī Nachdem im vorhergehenden Kapitel die Frage nach der Gültigkeit der auf der Analogie gebauten rationalen Schlusstechniken gestellt wurde, soll nun die für die Theologie (und ebenso für die Rechtstheorie) nicht minder relevante Frage bezüglich der Beweiskraft der Überlieferungen in den Fokus rücken. Zwei Termini – mutawātir und āḥād – sind in dieser Diskussion zentral und sollen daher einführend behandelt werden. Dabei ist zwischen ihrer Verwendungsweise bei den Gelehrten des Ḥadīṯ und bei den Theologen zu unterscheiden. Die beiden Termini beziehen sich bei den Ḥadīṯ-Gelehrten auf die Anzahl gänzlich voneinander verschiedener Tradentenketten, über die eine Überlieferung tradiert wurde. Unter den Ausdruck mutawātir fallen nach einer gängigen Definition alle Überlieferungen, die über so viele Tradentenketten überliefert wurden, dass eine Absprache der Überlieferer zur Falschaussage oder aber ein Irrtum bei der Weitergabe vernunftgemäß ausgeschlossen werden kann. Die Echtheit dieser Überlieferungen gilt daher als zweifelsfrei gesichert (yaqīnī oder qaṭʿī). Ab welcher Anzahl an Ketten dies gegeben ist, ist strittig, die Meinung, die sich durchsetzte, besagt, dass dies immer im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, also keine konkrete Mindestzahl festgesetzt werden kann.1224 Eine Überlieferung nun, die über zu wenige Ketten überliefert wurde, um als mutawātir zu gelten, fällt unter die Kategorie āḥād. Im Gegensatz zu der mutawātir-Überlieferung muss durch weitere Maßnahmen der ihr zukommende Grad an Zuverlässigkeit1225 (daraǧat aṣ-ṣiḥḥa) festgestellt werden.1226 Nach Ansicht der Mehrheit der Gelehrten, und das wird im 1224 Siehe Aron Zysow, The Economy of Certainty. An Introduction to the Typology of Islamic Legal Theory, Atlanta: Lockwood Press, 2013, 9–12. 1225 Dieser in der Sekundärliteratur weniger gängige Ausdruck wurde hier bewusst verwendet, um den der Echtheit bzw. Authentizität zu vermeiden. Denn wie Wael Hallaq hervorhebt, ging es den Ḥadīṯ-Gelehrten bei den āḥād-Überlieferungen in aller Regel lediglich darum, zu bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Überlieferung korrekt tradiert wurde, sodass sie nicht in den dichotomen Kategorien von authentisch/nicht-authentisch gedacht haben; siehe Wael Hallaq, The Authenticity of Prophetic Ḥadīth. A Pseudo-Problem, in: Studia Islamica 89 (1999), 75–90. 1226 Ohne zu weit in diese Thematik vorzudringen, seien die fünf Kriterien in überblicksartiger Form dargestellt, über welche man in der Ḥadīṯ-Wissenschaft den Grad der Zuverlässigkeit einer Überlieferung festzustellen versucht: 1. Die Tradentenkette ist lückenlos. 2. Die Integrität (ʿadāla) aller Tradenten ist bezeugt. 3. Die Merkfähigkeit bzw. Präzision (ḍabṭ) bei der Verschriftlichung aller Tradenten ist bezeugt. 4. Es liegt kein šuḏūḏ vor, d. h. die Überlieferung steht nicht im Widerspruch zu einer besser bezeugten Überlieferung. 5. Es liegt keine schwerwiegende ʿilla (versteckter Fehler) vor. Erfüllt die Überlieferung alle fünf Kriterien, ist sie ṣaḥīḥ (wörtl.: gesund)
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise |
261
Weiteren noch ausgeführt, kann eine āḥād-Überlieferung für sich allein genommen maximal als wahrscheinlich gesichert (ẓannī) gelten. Bei den Theologen hingegen wurden die Begriffe mutawātir und āḥād oftmals rein im Sinne einer epistemologisch relevanten Kategorisierung gebraucht, und zwar gleichbedeutend mit den Begriffen qaṭʿī bzw. ẓannī, sodass der Blick also nicht auf die Anzahl der Tradentenketten gerichtet war.1227 Bevor nun auf Ibn Taymiyyas Sicht und seine Auseinandersetzung mit arRāzī eingegangen wird, soll zur besseren Einordnung die breitere Debatte über den epistemischen Status der Überlieferungsbeweise in der Theologie dargestellt werden. Eine große Skepsis gegenüber der Gültigkeit der Überlieferungen findet sich vor allem – aber keineswegs ausschließlich – in muʿtazilitischen Kreisen. Wie Racha el-Omari herausgearbeitet hat, lassen sich bei diesen in der frühen Phase drei Grundhaltungen gegenüber dem ḥadīṯ unterscheiden: Zum einen gab es Gelehrte wie z. B. ʿAmr Ibn ʿUbayd (gest. 144/761), die sich am Prozess der Weitergabe der Überlieferungen beteiligten, jedoch nur diejenigen darunter akzeptierten, die mit ihren theologischen Positionen im Einklang standen.1228 Andere wie z. B. Abū l-Huḏayl al-ʿAllāf (gest. 227/841) erkannten Überlieferungen in der Theologie an, wenn sie durch zwanzig Gewährsleute gestützt werden, von denen mindestens einer muslimischen Glaubens sein muss.1229 Die dritte Position ist die der Skeptiker, durch sich selbst (li-nafsihī). Erfüllt die Überlieferung alle Kriterien mit leichten Abstrichen bei Punkt 3, wird jedoch durch andere Überlieferungen inhaltlich gestützt, so ist sie ṣaḥīḥ durch andere (li-ġayrihī). Wird sie nicht gestützt, so ist sie nach wie vor akzeptabel und als ḥasan (wörtl.: gut) einzustufen. Als ḍaʿīf (wörtl.: schwach) und damit als abgelehnt ist sie dann zu bewerten, wenn Bedingung 1, 2, 4 oder 5 nicht erfüllt oder bei Bedingung 3 schwere Abstriche zu verzeichnen sind. Dazu mehr bei Brown, Hadith, 100–103. 1227 Diese Verwendungsweise geht laut Hüseyin Hansu derjenigen der Ḥadīṯ-Gelehrten zeitlich voraus; siehe Hüseyin Hansu, Notes on the Term Mutawātir and its Reception in Ḥadīth Criticism, in: Islamic Law and Society 16 (2009), 383–408. Zu ähnlichen Ergebnissen wie Hansu kommt auch al-ʿAwnī, der diese Ansicht überzeugend unter Rückgriff einer Vielzahl von Primärquellen darlegt. Darüber hinaus ist er der Meinung, dass diese terminologische Mehrdeutigkeit Quell vieler Missverständnisse war; siehe Ḥātim al-ʿAwnī, al-Yaqīnī wa-ẓ-ẓannī min al-aḫbār. Siǧāl bayna Abī l-Ḥasan al-Ašʿarī wa-l-muḥaddiṯīn, 2. Aufl., Beirut: Arab Network for Research and Publishing, 2013, u. a. 133. 1228 Siehe Racha el-Omari, Accommodation and Resistance. Classical Muʿtazilites on Ḥadīth, in: Near Eastern Studies 71.2 (2012), 231–256, hier 234a. 1229 Siehe ebd. In rechtlich-praktischen Angelegenheiten erachtete er vier Tradenten als ausreichend; siehe Josef van Ess, L’Autorité de la tradition prophétique dans la théologie mu’tazilite, in: George Makdisi/Dominique Sourdel/Janine Sourdel-Thomine (Hrsg.), La notion d’autorité au Moyen Age. Islam, Byzance, Occident, Paris: Presses Universitaires de France, 1982, 211–226, hier 217.
262 | 7 Epistemologische Grundlagen allen voran an-Naẓẓām (gest. wohl 221/836), der selbst in der eigenen Schule als zu extrem galt, in manchen schiitischen Kreisen jedoch mehr Gehör fand.1230 Er war der Meinung, dass unabhängig davon, wie oft eine (nicht-koranische) Überlieferung bezeugt ist, ihre Authentizität niemals bestätigt werden kann und damit ihr Wahrheitswert allein durch die Vernunft oder die Sinne zu ermitteln ist.1231 Schon sein Schüler al-Ǧāḥiẓ widersprach, indem er dafür argumentierte, dass die mutawātir-Überlieferungen über jeden Zweifel erhaben sind.1232 Neben an-Naẓẓām haben sich auch Ḍirār Ibn ʿAmr (gest. 180/796) und Abū l-Ḥusayn al-Ḫayyāṭ (gest. 300/913) als äußerst ḥadīṯ-kritisch hervorgetan. Ersteren erkannten die Muʿtaziliten trotz einiger Überschneidungen mit ihren Auffassungen aufgrund seiner antiqadaritischen Haltung nicht als einen der ihren an,1233 letzteren versuchte schon sein Schüler und Kopf der Bagdader Muʿtaziliten, Abū l-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 319/931), in einer (nicht erhaltenen) Schrift zu widerlegen. Al-Kaʿbī lieferte dazu einen Nachtrag unter dem Titel Qabūl al-aḫbār wa-maʿrifat ar-riǧāl, da er – wie er in der Einleitung schreibt – befürchtete, dass die Schrift, die er gegen seinen Lehrer verfasst hatte, dahingehend missverstanden werden könne, dass er selbst die ḥadīṭe bedingungslos anerkenne. Diesen Nachtrag, der erhalten und ediert ist,1234 identifiziert el-Omari als das unter den Muʿtaziliten früheste umfangreichere Plädoyer für die (wenn auch nur sehr eingeschränkte) Gültigkeit der āḥād-Überlieferungen.1235 Ebenfalls in der Einleitung legt al-Kaʿbī seine Haltung zum epistemischen Wert der Überlieferungsbeweise dar. Zwar fehlen in dem erhaltenen Manuskript mindestens vier Zeilen der relevanten Passage, doch kann Folgendes zusammenfassend festgehalten werden: al-Kaʿbī akzeptiert in der Thematik der Einsheit Gottes (tawḥīd) und 1230 Siehe Josef van Ess, Ein unbekanntes Fragment des Naẓẓām, in: Wilhelm Hoenerbach (Hrsg.), Der Orient in der Forschung. Festschrift für Otto Spies zum 5. April 1966, Wiesbaden: Harrassowitz, 1967, 170–201, hier 197. 1231 Siehe el-Omari, Accommodation and Resistance, 234b–235a, und auch van Ess, Unbekanntes Fragment, 184f. 1232 Siehe ebd., 200. 1233 Zur Person des Ḍirār Ibn ʿAmr siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 3/32–63, und zu der eben gemachten Aussage speziell 35 und 45. 1234 Abū l-Qāsim al-Kaʿbī, Qabūl al-aḫbār wa-maʿrifat ar-riǧāl, hrsg. von Abū ʿAmr al-Ḥusaynī Ibn ʿAmr Ibn ʿAbd ar-Raḥīm, 2 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 2000, al-Kaʿbīs eben vorgebrachte Aussage findet sich bei 1/17. Aufgrund der äußerst ḥadīṯ-kritischen Ausrichtung des Werkes schreibt Josef van Ess 1982: „Die Kritik an dem Metier der ahl al-ḥadīṯ ist wahrlich bissig, so bissig, dass niemand in der arabischen Welt es bislang gewagt hat, den Text zu edieren.“ Van Ess, Autorité de la tradition prophétique, 222. Diese Aussage, der eine bestimmte Sicht auf die arabische Welt zugrunde liegt, ist offenkundig problematisch. Es lässt sich jedenfalls festhalten, dass das Werk nun, wie oben angeführt, ediert vorliegt. 1235 Siehe el-Omari, Accommodation and Resistance, 233.
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise |
263
Seiner Gerechtigkeit (ʿadl), also in zweien der fünf Grundsätze der Muʿtaziliten, allein die Vernunft als Beweisgrund. Die Überlieferungen können hierbei maximal als zusätzliche Bekräftigung (tawkīd) dessen herangezogen werden, was bereits durch die Vernunft erkannt wurde. In den übrigen Fundamenten der Theologie, über die Einigkeit herrscht (uṣūl al-kalām al-muǧtamaʿ ʿalayhā),1236 dürfen nur die mutawātir-Überlieferungen herangezogen werden, bei denen sich ja aufgrund der Vielzahl der Überlieferungswege eine Tradentenkritik erübrigt. Dies gilt ebenso, und nun scheint al-Kaʿbī sich dem Feld der Jurisprudenz zuzuwenden, für die Angelegenheiten, die eine Allgemeinheit betreffen, sodass die Mehrheit der Menschen auf deren normative Regelung angewiesen ist (al-amr al-ʿāmm allaḏī yaḥtāǧu ilayhi l-akṯar). Die Überlieferungen hingegen, die über zwei oder drei Stränge tradiert wurden, können unter bestimmten Bedingungen in den furūʿ (Detailfragen der Jurisprudenz)1237 herangezogen werden, jedoch muss man sich hierbei bewusst sein, dass sie nur zu einem begründeten Dafürhalten und nicht zu Gewissheit (bi-akṯar ar-raʾy lā bi-l-yaqīn)1238 führen.1239 Es lässt sich also festhalten, dass alKaʿbī in der Theologie mit Ausnahme der Thematik des tawḥīd und ʿadl lediglich die mutawātir-Überlieferungen als autoritativ erachtet.1240 Da er, wie gesehen, nach der Behandlung der Überlieferungen, die als mutawātir gelten, diejenigen bespricht, die über zwei oder drei Ketten verfügen, scheint er der Meinung zu sein, dass Überlieferungen, die über weniger als vier Ketten tradiert wurden, niemals als mutawātir kategorisiert werden können. Auch sein Zeitgenosse al-Ǧubbāʾī, der führende Gelehrte des basrischen Muʿtazilitentums seiner Zeit, ließ in theologischen Angelegenheiten ausschließlich die mutawātir-Überlieferung gelten.1241 Die aus der formativen Phase des Muʿtazilitentums bekannte radikal-ablehnende Haltung gegenüber den Überlieferungsbeweisen konnte sich nicht durchsetzen, und so findet man in der klassischen Periode des Muʿtazilitentums, dass füh1236 Ich folge hier der Übersetzung von van Ess (van Ess, Autorité de la tradition prophétique, 223). El-Omari hingegen, die diese kennt, übersetzt den Ausdruck uṣūl al-kalām mit principles of language; siehe el-Omari, Accommodation and Resistance, 242. 1237 Wie el-Omari bin auch ich der Meinung, dass al-Kaʿbī hier nicht auch die Detailfragen der Theologie im Sinn hat. Dies geht aus meiner Sicht aus dem Textzusammenhang hervor. 1238 El-Omari übersetzt diesen Ausdruck mit „according to the majority, but (these reports) are not acceptable for establishing certainty“. Siehe el-Omari, Accommodation and Resistance, 242a. 1239 Siehe Kaʿbī, Qabūl al-aḫbār, 17. 1240 El-Omari, die, wie eben erklärt, den Ausdruck uṣūl al-kalām anders versteht, argumentiert dafür, dass die Überlieferungen laut al-Kaʿbī in der Theologie niemals über eine eigenständige Beweiskraft verfügen; siehe el-Omari, Accommodation and Resistance, 241b. 1241 Siehe ebd., 246b.
264 | 7 Epistemologische Grundlagen rende Köpfe wie ʿAbd al-Ǧabbār,1242 Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī1243 (gest. 436/1044), Abū Rašīd an-Naysābūrī1244 (gest. 460/1068) und al-Ḥākim al-Ǧišumī1245 (gest. 494/1101) in der Theologie die mutawātir- und in der Jurisprudenz die āḥād-Überlieferungen anerkennen, ja teilweise sogar verteidigen.1246 Man hatte sich hier also deutlich der Gruppe der ahl al-ḥadīṯ angenähert, was sich u. a. erklären lässt durch deren Sieg in der miḥna,1247 durch die massive Niederschrift der ḥadīṯe im 3./9. Jahrhundert und der Ḥanafisierung der Muʿtaziliten, wobei manche, wie ʿAbd al-Ǧabbār, sogar noch stärker ḥadīṯ-zentrierten Schulen wie der šāfiʿitischen angehörten.1248 Anders verhält es sich mit den Ẓāhiriten, deren Theologie zum Unmut der ahl al-ḥadīṯ zwar muʿtazilitische Züge trug, die in der Frage der Autorität der Überlieferungsbeweise jedoch unter dem Einfluss aš-Šāfiʿīs standen.1249 So erachtete z. B. Dāwūd Ibn ʿAlī (gest. 270/884), den die ẓāhiritische Schule als ihren Gründer 1242 So in seinem Werk Šarḥ al-Uṣūl al-ḫamsa, welches in einer kritisch annotierten Rezension durch Mānkdīm Šašdīw (gest. ca. 425/1034) vorliegt: Aḥmad Mānkdīm Šašdīw, [Taʿlīq] Šarḥ al-Uṣūl al-ḫamsa, hrsg. von ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān, (fälschl. al-Qāḍī ʿAbd al-Ǧabbār zugeschrieben), Kairo: Maktabat al-Wahba, 1965, 796. 1243 Für seine ausführliche Verteidigung der āḥād-Überlieferungen im Bereich der Jurisprudenz siehe Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, al-Muʿtamad fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von Muhammad Hamidullah, Damaskus: Institut français de Damas, 1964–65, 2/583–608. 1244 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/653 mit Fußnote 37. 1245 Siehe al-Ḥākim al-Ǧišumī, Taḥkīm al-ʿuqūl fī taṣḥīḥ al-uṣūl, hrsg. von ʿAbd as-Salām Ibn ʿAbbās al-Waǧīh, Amman: Muʾassasat al-Imām Zayd Ibn ʿAlī aṯ-ṯaqāfiyya, 2001, 35. 1246 Interessant, aber wohl mit Vorbehalt zu betrachten, ist die Aussage eines Anhängers der ahl al-ḥadīṯ namens Abū Aḥmad al-Qaṣṣāb al-Karaǧī (gest. 360/971 oder kurz zuvor; siehe zu ihm oben, S. 77), der in einem theologischen Zusammenhang allgemein über die Muʿtaziliten zu berichten weiß, dass sie an die āḥād-Überlieferungen glauben, ja sogar mit ihnen in ihren Werken argumentieren (yuʾminūna bi-l-aḫbār al-āḥād bal yaḥtaǧǧūna bihā fī muṣannafātihim); siehe Qaṣṣāb al-Karaǧī, Nukat, 2/28f. 1247 Siehe oben, Seite 63. 1248 Siehe hierzu van Ess, Autorité de la tradition prophétique, 220 und 222; Brown, Canonization, 178–181; Usman Ghani, The Concept of Sunna in Muʿtazilite Thought, in: Adis Duderija (Hrsg.), The Sunna and its Status in Islamic Law. The Search for a Sound Hadith, New York: Palgrave, 2015, 59–73, hier 68–70, und Hassan Ansari/Sabine Schmidtke, The Muʿtazilī and Zaydī Reception of Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī’s Kitāb al-Muʿtamad fī Uṣūl al-Fiqh. A Bibliographical Note, in: Islamic Law and Society 20 (2013), 90–109, hier 93. Zur Stellung der āḥād-Überlieferungen bei den Ḥanafiten siehe Sahiron Syamsuddin, Abū Ḥanīfah’s Use of Solitary Ḥadīth as a Source of Islamic Law, in: Islamic Studies 40.2 (2001), 257–272. 1249 Der Name der Ẓāhiriten geht darauf zurück, dass sie die in den Quellen im Imperativ formulierten Anordnungen gemäß ihrem äußeren Sinn (ẓāhir) grundsätzlich als verpflichtend erachteten, also nicht, wie in anderen Schulen, je nach Textzusammenhang z. B. lediglich als Empfehlungen. Siehe die Ausführungen von Christopher Melchert, der diese Position auf den Einfluss der Bagdader Muʿtaziliten zurückführt, bei Christopher Melchert, Dāwūd b. Khalaf, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2011 (4), 127f. Im Bereich
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identifiziert, āḥād-Überlieferungen nicht nur als autoritativ, sondern auch als eine Gewissheit bringende Quelle.1250 Einige Jahrhunderte später machte sich noch der wohl bekannteste Ẓāhirit Ibn Ḥazm (gest. 456/1064) für diese Position stark.1251 Aber wie bei den Muʿtaziliten ist auch hier das Bild nicht einheitlich: Dāwūds Sohn und Schüler Muḥammad (gest. 297/909) stand, anders als sein Vater, dem ḫabar wāḥid – also der Überlieferung, deren Anzahl an Tradentenketten zu gering ist, um als mutawātir zu gelten – skeptisch gegenüber und akzeptierte sie nicht einmal in Fragen der Jurisprudenz.1252 Die traditionalistischen Strömungen des dritten Jahrhunderts, in der englischsprachigen Sekundärliteratur oft als proto-ahl-al-ḥadīṯ bezeichnet, vertraten ebenso keinen einheitlichen Standpunkt hinsichtlich des epistemischen Wertes der Überlieferungsbeweise. Wie ʿAbd al-Maǧīd Aḥmad ʿAbd al-Maǧīd darlegt, dessen Standpunkt plausibel erscheint, hingen sie in ihrer Mehrheit jedoch derselben Meinung an, die auch Dāwūd Ibn ʿAlī vertrat, also, dass āḥād-Überlieferungen autoritativ und potenziell Gewissheit bringend (qaṭʿī) sind.1253 Dem im Nachgang der miḥna zu einer Leitfigur der ahl al-ḥadīṯ erwachsenen Aḥmad Ibn Ḥanbal werden, wie so oft, zwei widersprüchliche Ansichten zugeschrieben. Neben der eben beschriebenen Mehrheitsmeinung soll er auch die Position vertreten haben, dass die āḥād-Überlieferungen zwar als eigenständige Beweisgrundlage sowohl in der Theologie als auch in der Jurisprudenz dienen können, sie für sich gesehen jedoch ẓannī, also lediglich wahrscheinlich gesichert sind.1254 Diese Position ist es auch, die sich bei den Ḥanbaliten durchsetzte1255 und der auch Ibn Taymiyya anhing, der Jurisprudenz nehmen die Ẓāhiriten laut Amr Osman eine Mittelstellung zwischen den ahl ar-raʾy und den ahl al-ḥadīṯ ein, dabei, anders als man vielleicht vermuten würde, mit Tendenz zu erstgenannter Gruppe; siehe Amr Osman, The Ẓāhirī Madhhab (3rd/9th-10th/16th Century). A Textualist Theory of Islamic Law, Leiden und Boston: Brill, 2014, Kap. 4. 1250 Siehe ebd., 152. 1251 Siehe Abū Muḥammad Ibn Ḥazm, al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, hrsg. von Iḥsān ʿAbbās, 8 Bde., Beirut: Dār al-Āfāq al-ǧadīda, o. J. [ca. 1980], 1/119ff., v. a. 119 und 121. Seine Ausführungen werden behandelt bei Abdel Magid Turki, Polémiques entre Ibn Ḥazm et Bāǧī sur les principes de la loi musulmane. Essai sur le littéralisme zahirite et la finalité malikite, Algier: o. V., o. J. [ca. 1973], 100–112. 1252 Siehe Osman, Ẓāhirī Madhhab, 46. 1253 Siehe ʿAbd al-Maǧīd Maḥmūd ʿAbd al-Maǧīd, al-Ittiǧāhāt al-fiqhiyya ʿinda aṣḥab al-ḥadīṯ fī l-qarn aṯ-ṯāliṯ al-hiǧrī, Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, 1979, v. a. 242f. 1254 Siehe Ibn Qudāma, Rawḍat an-nāẓir, 126f. 1255 Die zweite Meinung Aḥmads entspricht laut Ibn Qudāma dem Standpunkt der Mehrheit und der späteren Generationen der Ḥanbaliten (qawl al-akṯarīn wa-l-mutaʾaḫḫirīn min aṣḥābinā); siehe ebd., 126.
266 | 7 Epistemologische Grundlagen wie noch ausführlich dargestellt werden wird. Zuvor soll nun aber die Position der frühen Ašʿariten im Allgemeinen und die ar-Rāzīs im Speziellen skizziert werden. Sowohl al-Ašʿarī selbst als auch seine wichtigsten Nachfolger der Frühzeit, nämlich al-Bāqillānī, Ibn Fūrak und al-Isfarāyīnī, waren – wie Ḥātim al-ʿAwnī unter Anführung einiger Passagen aus deren Werken herausgearbeitet hat – der Meinung, dass die Überlieferungsbelege in der Theologie angeführt werden dürfen.1256 Bei seiner Behandlung der Thematik trifft al-ʿAwnī auf den schon angesprochenen Sprachgebrauch der Theologen, nach dem die Begriffe mutawātir bzw. āḥād Überlieferungen bezeichnen, die ein gesichertes Wissen bzw. ein gut gestütztes Dafürhalten begründen. Es handelt sich hier also um eine erkenntnistheoretische Unterscheidung und nicht um eine, die auf die Anzahl der Tradentenketten abzielt.1257 Al-ʿAwnī verweist mehrfach auf die inhaltliche Nähe der Position der Ašʿariten zu der der ahl al-ḥadīṯ.1258 Tatsächlich war auch Ibn Taymiyya der Meinung, dass seine Ansicht im Einklang mit der ašʿaritischen Mehrheitsmeinung steht. Das mag erklären, wieso er relativ wenig über den epistemischen Status dieser Beweise verfasst hat. In seiner Zeit ging es schon lange nicht mehr um die reine Akzeptanz der Überlieferungsbeweise, sondern um deren Interpretation, also v. a. um den gültigen Rahmen des taʾwīl. Wenn nun auch die āḥād-Überlieferung akzeptiert wird, so wird sie doch in ihrem epistemischen Status abgewertet, insofern sie grundsätzlich auf eine Weise interpretiert werden muss, dass Gott keine Eigenschaft zugesprochen wird, die nicht schon durch gesicherte Belege bewiesen ist. So vertritt z. B. al-Bayhaqī (gest. 458/1066) im Kontext seiner Ausführungen zu Gottes Eigenschaft, aṣābiʿ (Finger) zu haben, die Position, dass bei den Attributen, die zum einen in nicht eindeutig gesicherten Prophetenworten tradiert wurden und zum anderen weder wortwörtlich noch inhaltlich durch den Koran oder durch eindeutig gesicherte Überlieferungen aus der Sunna gestützt werden, Folgendes gilt: Man ist verpflichtet, Abstand davon zu nehmen, Gott mit diesen Eigenschaften zu benennen (fa-t-tawaqquf ʿan iṭlāq al-ism huwa l-wāǧib), und muss sie dahingehend interpretieren, dass eine Verähnlichung Gottes mit Seiner Schöpfung ausgeschlossen ist. Al-Bayhaqī stützt sich hierbei auf Abū Sulaymān al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/998), den er zitiert.1259 Die Überlieferungen über die Finger Gottes fallen nach Ansicht der beiden Gelehrten unter dieses Prinzip und werden dementsprechend mit einem taʾwīl belegt.1260 So schreibt al-Bayhaqī Gott keine Finger zu, im Gegensatz dazu 1256 1257 1258 1259 1260
Siehe ʿAwnī, Yaqīnī, 36ff. Siehe ebd., 48–57. Siehe ebd., 127–129. Die zitierte Passage findet sich bei Ḫaṭṭābī, Aʿlām, 3/1898f. Siehe Bayhaqī, al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt, 2/167f.
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise |
267
aber zwei Hände (yadān), da diese durch gesicherte koranische Überlieferungen bestätigt wurden. Eine radikalere Position vertritt ar-Rāzī, und so widmet Ibn Taymiyya dieser im Zuge seiner Ausführungen zur Frage der Autorität der Überlieferungsbeweise auch die meiste Aufmerksamkeit. In der ideengeschichtlichen Rückschau lässt sich sagen, dass Ibn Taymiyya gar nicht so viel Aufwand hätte betreiben müssen. Wie van Ess zu Recht feststellt, handelt es sich bei ar-Rāzīs Standpunkt, ähnlich wie bei dem von an-Naẓẓām, um einen Extremfall, der selbst in der ašʿaritischen Schule auf Ablehnung stieß.1261 Unter anderem in einer Passage seines Tafsīr-Werkes verdeutlicht ar-Rāzī, wieso er den Überlieferungsbeweisen einen geringen epistemischen Wert zuerkennt, wodurch sie – und das ist Teil der Allgemeinen Regel1262 – den Vernunftsbeweisen grundsätzlich untergeordnet sind. So schreibt er: Das Festhalten (tamassuk) an den sprachlichen Belegen (dalāʾil lafẓiyya) führt nicht zu Gewissheit. Das Festhalten jedoch an den Vernunftbeweisen (dalāʾil ʿaqliyya) führt sehr wohl zu Gewissheit. Nun ist es so, dass die Vermutung nicht mit dem Wissen in Widerstreit geraten kann (al-maẓnūn lā yuʿāriḍu l-maqṭūʿ).1263 Wir sind der Meinung, dass die sprachlichen Belege keine Gewissheit bringen können, weil die sprachlichen Belege auf Fundamenten gebaut sind, die alle für sich genommen ungewiss sind. Dasjenige nun, das auf etwas gebaut ist, das ungewiss ist, ist [erst recht] ungewiss. Dass sie auf unsicheren Fundamenten gebaut sind, ist [aus folgenden Gründen] unsere Ansicht: Weil sie [bzw. ihre korrekte Interpretation] auf der Tradierung [1] der Lexikographie, [2] der Grammatik und [3] der Morphologie fußen. Von den Überlieferungen dieser Dinge ist jedoch nicht bekannt, dass sie [von ihrer Anzahl der Überlieferungswege her] die Grenze des weitläufig Überlieferten erreichen (lā yuʿlamu bulūġuhum ilā ḥadd at-tawātur). So ist ihre Überlieferung nur wahrscheinlich gesichert (maẓnūna). Darüber hinaus fußen sie [d. h. die sprachlichen Belege bzw. ihre korrekten Interpretationen] auf der Abwesenheit (ʿadam) [4] der Äquivozität (ištirāk), [5] der bildhaften Sprachverwendung (maǧāz), [6] der Spezifikation (taḫṣīṣ), [7] des Pleonasmus (iḍmār bi-zziyāda) und [8] der Ellipse (iḍmār bi-n-nuqṣān) sowie dem Nicht-Vorliegen [einer unüblichen
1261 Siehe van Ess, Erkenntnislehre, 410 und 412. Neben dem von van Ess behandelten Kritiker al-Īǧī seien beispielhaft auch noch al-Āmidī, Šaraf ad-Dīn Ibn at-Tilimsānī (gest. 658/1260), atTaftāzānī und az-Zarkašī genannt; siehe Āmidī, Abkār al-afkār, bei 4/324f. referiert er ar-Rāzīs Sicht, ohne ihn zu nennen, auf S. 326 folgt dann al-Āmidīs Kritik an ihr. Siehe weiter Šaraf ad-Dīn Ibn at-Tilimsānī, Šarḥ Maʿālim uṣūl ad-dīn, hrsg. von Nizār Ḥammādī, Amman: Dār al-Fatḥ, 2010, 94f., und Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī, Šarḥ at-Talwīḥ ʿalā t-Tawḍīḥ li-matn at-Tanqīḥ fī uṣūl al-fiqh, 2 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, o. J. [1957], 1/128f., auch hier wird ar-Rāzī nicht namentlich genannt. Schließlich noch Zarkašī, Baḥr, 1/39, wobei er unterstützend die Kritik al-Qurṭubīs heranzieht. 1262 Diese wurde oben in Kapitel 6.2.1 behandelt. 1263 In dem Sinne, dass im Falle eine Widerspruchs das auf Wissen Gebaute den Vorrang erhält, sodass sich der Widerspruch immer auflöst.
268 | 7 Epistemologische Grundlagen Wortfolge in einem Satz durch] [9] ein Voran- oder Nachstellen (taqdīm wa-taʾḫīr).1264 Dies alles sind [lediglich] wahrscheinlich gesicherte Dinge (umūr ẓanniyya). Darüber hinaus fußen sie auch auf der Abwesenheit [10] eines rationalen Gegenbeweises. Im Falle, dass es diesen gibt, ist es unmöglich, beide gleichzeitig als richtig oder als falsch zu erachten. Den Überlieferungsbeweis nun aber voranzustellen, ist unmöglich, denn die Vernunft ist das Fundament der Überlieferung. Eine Kritik (ṭaʿn) an der Vernunft führt [also] unweigerlich zur Kritik an der Vernunft und der Überlieferung zugleich. Dass nun der rationale Gegenbeweis tatsächlich nicht existiert, ist [stets] ungewiss.1265
ar-Rāzī legt die zitierten Worte an dieser Stelle einer nicht näher identifizierten Gruppe von Muslimen in den Mund, die davon ausgehen, dass Nichtmuslime im Jenseits keine Bestrafung erleiden werden.1266 Mit ziemlicher Sicherheit ist die in dem Zitat vorgebrachte Ansicht jedoch von niemandem anderen als ar-Rāzī selbst vertreten worden.1267 Es kann eindeutig festgestellt werden, dass ar-Rāzī diese Extremposition weder lediglich zeitweise, noch erst zu Ende seiner Lebenszeit – in der er eine außergewöhnliche Skepsis entwickelte.1268 Denn inhaltlich findet sie sich in mehreren seiner sowohl frühen als auch späten Werke. Ich konnte nach ausgiebiger Suche neun Schriften ausmachen, verfasst in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren, in denen er die im obigen Zitat enthaltene Sicht vertritt.1269 Bedeutet dies nun, dass ar-Rāzī den Überlieferungsbelegen zuschreibt, grundsätz1264 Van Ess übersetzt diesen Ausdruck anders – im Glauben, er sei der Philosophie entlehnt. Er führt dies weiter an einem Beispiel aus, das sich auf das aristotelische Substanzverständnis bezieht; siehe van Ess, Erkenntnislehre, 410. Jedoch ist der Ausdruck taqdīm wa-taʾḫīr hier aus meiner Sicht gar nicht aus der Philosophie entlehnt. Vielmehr ist er der Sprachwissenschaft zuzuordnen, wo er bereits in sehr frühen Werken in der Weise, der gemäß er hier übersetzt wurde, Verwendung fand; siehe Cornelis Henricus Maria Versteegh, Arabic grammar and Qurʾānic exegesis in early Islam, Leiden: Brill, 1993, z. B. 122f. 1265 Rāzī, Tafsīr, 2/57 (zu Koran 2:7). 1266 Seine diesbezüglichen Ausführungen werden weiter unten behandelt, siehe S. 295f. 1267 Wie oben ausgeführt, bemerkte schon van Ess, dass es sich bei ar-Rāzīs Position um einen Extremfall handelt, und auch die spätere ašʿaritische Literatur bringt, soweit ich sehe, niemanden anderen als ihn hiermit in Verbindung. 1268 Siehe dazu Ayman Shihadeh, The Theological Ethics of Fakr al-Dīn al-Rāzī, Leiden: Brill, 2006, 155–203. 1269 Siehe Rāzī, Nihāyat al-ʿuqūl, 1/142–145; ders., al-Maḥṣūl fī ʿilm uṣūl al-fiqh, hrsg. von Ǧābir al-ʿAlwānī, 9 Bde., Beirut: Muʾassasat ar-Risāla, 1987, 1/390–407; ders., Muḥaṣṣal afkār almutaqaddimīn wa-l-mutaʾaḫḫhirīn min al-ʿulamāʾ wa-l-ḥukamāʾ wa-l-mutakallimīn, hrsg. von Ṭahā ʿAbd ar-Raʾūf Saʿd, Kairo: Maktabat al-Kulliyyāt al-azhariyya, o. J. [1978], 51; Ibn at-Tilimsānī, Šarḥ Maʿālim uṣūl ad-dīn, 94 (ar-Rāzīs Werk Maʿālim uṣūl ad-dīn lag mir lediglich in der durch at-Tilimsānī annotierten Version vor); Rāzī, Asās at-taqdīs, 234f.; ders., al-Arbaʿīn fī uṣūl ad-dīn, hrsg. von Aḥmad al-Ḥiǧāzī as-Saqqā, 2 Bde., Kairo: Maktabat al-Kulliyyāt al-azhariyya, 1986, 2/251–253; ders., Tafsīr, siehe hier neben der oben zitierten Passage auch 1/28; sowie ders., Maṭālib, 9/113–118. Zur Datierung der Werke siehe Frank Griffel, On Fakhr al-Dīn al-Rāzīs Life and the Pa-
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lich nur gut gestützte Vermutungen bewirken zu können? Tariq Jaffer und Mohd Shahran, die einzigen mir bekannten Autoren, die die vorliegende Thematik in einer europäischen Sprache nicht nur am Rande behandeln, bejahen dies.1270 Ḥātim al-ʿAwnī hingegen erkennt an – und das unter Verweis auf den Gelehrten Muḥammad Zāhid al-Kawṯarī (gest. 1371/1952), der zu zeigen versuchte, dass arRāzīs Standpunkt weniger extrem ist als behauptet –, dass es wohl Fälle gibt, in denen ar-Rāzī den Überlieferungsbeweisen zuspricht, Gewissheit zu bringen.1271 An genau einer Stelle, die in der eben erwähnten Literatur jedoch nirgends herangezogen wird, macht ar-Rāzī eine eindeutige Aussage, die die eben gestellte Frage beantwortet. So schreibt er: Wisse, dass diese Ausführungen [über den epistemischen Wert der Überlieferungsbelege] in dieser allgemeinen Form nicht richtig sind. Denn es kann sein, dass die Überlieferungsbelege mit Dingen einhergehen, deren Existenz durch weitläufig überlieferte Berichte (aḫbār mutawātira) gewiss ist, [wobei] diese Dinge dann diese Möglichkeiten [d. h. die im obigen Zitat angeführten zehn Möglichkeiten, aufgrund derer Überlieferungsbelege ungewiss bleiben] verneinen. Dieser Annahme gemäß führen die Überlieferungsbelege, die mit den Hinweisen einhergehen, die durch weitläufig überlieferte Berichte gesichert sind, zu Gewissheit.1272
Inwiefern und in welchem Umfang diese theoretische Aussage in der Theologie arRāzīs ihre Anwendung findet, kann hier nicht untersucht werden. Fest steht, dass Ibn Taymiyya davon überzeugt ist, dass ar-Rāzī die epistemische Entwertung der Überlieferungsbeweise auf die Spitze getrieben hat, um seiner – aus Ibn Taymiyyas Sicht zu den Quellen im Widerspruch stehenden – Theologie einen günstigeren Boden zu bereiten. Bevor auf die Kritik Ibn Taymiyyas eingegangen wird, soll zunächst seine eigene Position zum epistemischen Status der Überlieferungsbeweise beleuchtet werden. Nur die mutawātir-Überlieferungen führen laut Ibn Taymiyya ausnahmslos zu Gewissheit. Er schließt sich der Mehrheitsmeinung an, nach der die Anzahl an Tradentenketten, die dafür nötig sind, nicht im Allgemeinen, sondern immer nur im konkreten Einzelfall ermittelt werden kann.1273 Was die āḥād-Überlieferungen tronage He Received, in: Islamic Studies 18.3 (2007), 313–344, 323, 326 und 344; sowie Shihadeh, Theological Ethics, 7–11. Es sei noch angemerkt, dass ar-Rāzī manchmal auch weniger als zehn Gründe anführt oder diese leicht abändert. So führt er z. B. auch den Grund an, man könne sich nie gewiss sein, ob ein bestimmter Textbeleg nicht abrogiert (mansūḫ) ist oder aber ein anderer Textbeleg existiert, der zu ersterem im Widerspruch stehend (muʿāriḍ samʿī) ist. 1270 Siehe Jaffer, Rāzī, 81–83, und Mohd Farid Mohd Shahran, The Priority of Rational Proof in Islam. The View of Fakhr al-Dīn al-Rāzī, in: Tafhim 8 (2015), 1–18. 1271 Siehe ʿAwnī, Yaqīnī, 138f. mit Fußnote 1. 1272 Rāzī, Arbaʿīn, 2/253. 1273 Siehe Ḥadīṯ, MF 18/40.
270 | 7 Epistemologische Grundlagen angeht, so ist er sich des Umstands bewusst, dass manche Gelehrte unter den frühen ahl al-ḥadīṯ diesen ebenfalls einen hohen epistemischen Wert zuerkannt haben. Er führt Isḥāq Ibn Rāhwayh (gest. 238/853) an, einen Lehrer al-Buḫārīs, dem laut Ibn Taymiyya die Meinung zugeschrieben wird, dass der Leugner einer von vertrauenswürdigen Tradenten übermittelten āḥād-Überlieferung eines Prophetenwortes als ein vom Islam Abgefallener gilt.1274 Ibn Taymiyya selbst – und damit steht er, wie oben ausgeführt, im Einklang mit der in der ḥanbalitischen Schule mehrheitlich vertretenen Position – vertritt die Auffassung, dass die āḥādÜberlieferung für sich betrachtet lediglich zu einer gut gestützten Vermutung führt. Sie eignet sich daher nicht dazu, theologische Grundlagen, über welche Gewissheit herrschen muss, zu untermauern. Sehr wohl darf man sie aber in den Detailfragen (daqīq al-masāʾil) heranziehen, wenn es also z. B. um die Interpretation der Namen Gottes geht.1275 Ibn Taymiyya nennt nun Fälle, in denen die āḥād-Überlieferung ebenfalls den höchsten epistemischen Wert erlangen kann. Dies ist der Fall, wenn entweder, erstens, die Überlieferung zwar nur über zwei Tradenten überliefert wurde, jedoch eine Absprache unter diesen beiden sowie ein Irrtum ausgeschlossen werden können;1276 oder zweitens, wenn die Überlieferung inhaltlich über viele weitere Überlieferungen gestützt wird – in der Fachsprache als mutawātir maʿnawī bezeichnet –; oder drittens, wenn die Überlieferung von der muslimischen Gemeinschaft – Ibn Taymiyya verweist hier auf das Prinzip des iǧmāʿ – als akzeptabel erachtet wurde (ḫabar al-wāḥid al-mutalaqqī bi-l-qabūl); oder viertens, wenn äußere Indizien die Korrektheit bestätigen (ḫabar al-wāḥid al-muḥtaff bi-lqarāʾin).1277 Die Mehrheit der Überlieferungen, die in den Ṣaḥīḥ-Werken al-Buḫārīs und Muslims überliefert werden, erfüllen aus Ibn Taymiyyas Sicht mindestens die dritte Bedingung und sind damit Gewissheit bringend.1278 Dass er diese Meinung vertritt, ist bemerkenswert und dürfte wohl überwiegend ideologisch motiviert sein. Zwar wurde seine Position auch schon vor ihm vertreten, allen voran von dem großen Systematisierer der Ḥadīṯ-Wissenschaft Ibn aṣ-Ṣalāḥ (gest. 643/1245),1279 sie fußt jedoch auf einem Konzept des iǧmāʿ, welches Ibn Taymiyya ablehnt. So ist das Zustandekommen eines iǧmāʿ laut Ibn Taymiyya zwar theoretisch zu allen Zeiten möglich und dieser dann auch bindend. Ob aber wirklich alle Gelehrte in 1274 Siehe Musawwada 245. 1275 Siehe Bayān 8/454f., auch Musawwada 248. 1276 Siehe Musawwada 243f., auch Muqaddima, MF 13/347f.; Ed. Zarzūr 63; dt. Übers. 38f. 1277 Siehe Ḥadīṯ, MF 18/41. Was die dritte Bedingung angeht, so zählt Ibn Taymiyya auch eine Reihe von Befürwortern und einige wenige Gegner auf; siehe Muqaddima, MF 13/351f.; Ed. Zarzūr 67f.; dt. Übers. 42. 1278 Siehe Tawassul, MF 1/257, und Ḥadīṯ, MF 18/41. 1279 Siehe Brown, Canonization, 253f. und Kap. VII.
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise
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einer Sache übereingestimmt haben, lässt sich laut Ibn Taymiyya lediglich für die Frühzeit des Islams feststellen. Er beruft sich hierbei auf Aḥmad Ibn Ḥanbal, der aufgrund der großen Anzahl an Gelehrten in seiner Zeit und ihrer räumlichen Distanz zueinander gesagt haben soll: „Wer auch immer einen iǧmāʿ behauptet, so hat er gelogen. Woher soll er wissen, dass die Menschen sich nicht doch uneinig waren? So soll er [besser] sagen: Mir ist keiner bekannt, der eine andere Meinung ’ vertritt.‘ “1280 Bloß keine Gegenmeinung zu kennen, konstituiert laut Ibn Taymiyya jedoch nur einen stillen Konsens (iǧmāʿ sukūtī), welcher lediglich wahrscheinlich gesichert, also ẓannī ist.1281 Ibn Taymiyya wurde in seinem Leben mehrfach vorgeworfen, gegen den Konsens der den salaf nachfolgenden Generationen (ḫalaf ) verstoßen zu haben. Unter anderem mit dieser Sicht auf den iǧmāʿ versuchte er sich gegen diese Anschuldigungen zu verteidigen.1282 Nun verwickelt er sich aber in einen Widerspruch, wenn er behauptet, die Autorität und den hohen epistemischen Wert der zwei genannten, im 3./9. Jahrhundert verfassten Ṣaḥīḥ-Werke mit dem Argument absichern zu können, dass die allermeisten der dort angeführten Überlieferungen von der muslimischen Gemeinschaft akzeptiert worden seien. Tatsächlich dürfte Ibn Taymiyyas Vorgehen nicht so sehr der hohen Qualität der beiden Werke geschuldet sein, die ohne Zweifel bei den Sunniten als weitgehend unstrittig gilt, sondern vielmehr ihrem Inhalt. Jonathan Brown fasst es treffend zusammen, wenn er schreibt: „The two works served as powerful weapons in polemics against Ashʿarīs over issues such as God’s attributes, the nature of the Qurʾān and invoking the intercession of dead saints.“1283 Al-Buḫārī und Muslim (gest. 271/875) waren respektierte Gelehrte, die man nicht verdächtigte, beim Verfassen ihrer Schriften eine bestimmte theologische Agenda verfolgt zu haben. Ihre Ṣaḥīḥ-Werke jedoch enthalten viele Prophetenworte, in denen Gott auf eine Weise beschrieben wird, die sich nur mit Mühe mit der Gottesvorstellung der Ašʿariten in Einklang bringen lässt. Es ist also eindeutig in Ibn Taymiyyas Interesse, diesen beiden Werken eine möglichst hohe Autorität und Zuverlässigkeit zu bescheinigen, und so lässt sich nachvollziehen, wieso er sich hier eines iǧmāʿ-Verständnisses bedient, welches er ansonsten ablehnt. Das soll nun aber nicht bedeuten, dass Ibn Taymiyya die zwei Ṣaḥīḥ-Werke als über jede Kritik erhaben ansieht. Im Gegenteil, er identifiziert in beiden Werken mehrere ḥadīṯe, die aus seiner Sicht abzulehnen sind.1284 Zwar richtet Ibn Taymiyya seine Kritik meist gegen diejenigen, die aus seiner Sicht den Prophetenworten bei der Beantwortung theologischer Fragen zu wenig 1280 Siehe Iḫnāʾiyya 459. 1281 Siehe Al-Matroudi, The Ḥanbalī School of Law and Ibn Taymiyyah, 57–59 und 186f. 1282 Siehe z. B. Iḫnāʾiyya 459f. 1283 Brown, Canonization, 224. 1284 Siehe ebd., 313f. und 333.
272 | 7 Epistemologische Grundlagen Raum geben, er tadelt jedoch auch das andere Extrem. So haben viele, wie er schreibt, die zu den Anhängern der Sunna gezählt werden und die die Quelle der Sunna in Ehren halten – er nennt hier u. a. ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Mandah (gest. 470/1078) – zu der Thematik der Attribute Gottes eine Vielzahl erlogener oder schwacher Überlieferungen zusammengesammelt.1285 Auch hält der Großteil der āḥād-Überlieferungen, die nur über eine Kette verfügen, also (ġarīb) sind, einer ḥadīṯ-wissenschaftlichen Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit nicht stand und ist daher abzulehnen.1286 Im Folgenden soll der Blick nun auf Ibn Taymiyyas Kritik an der oben beschriebenen Position ar-Rāzīs gerichtet werden. An mehreren Stellen seiner Werke verweist er in knappen Worten auf ar-Rāzīs Sicht, sie dabei meist kritisch kommentierend. Er geht so weit, ar-Rāzīs epistemische Entwertung der Überlieferungsbeweise als einen methodischen Grundbaustein der Häresie (zandaqa) zu klassifizieren, fügt jedoch an, dass ar-Rāzī zumindest die theologischen und rechtlichen Fundamente der Religion anerkennt:1287 „So entleert er“, wie Ibn Taymiyya schreibt, „[die Religion] weder nach Art der sabäischen falāsifa, noch erkennt er [sie] an, so wie es die gläubigen und gelehrten Rechtschaffenen tun.“1288 Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Position ar-Rāzīs findet sich meines Wissens nur in Ibn Taymiyyas Bayān.1289 Auf den knapp sechzig Seiten bringt Ibn Taymiyya 17 Argumente (wuǧūh), die sich jedoch inhaltlich sehr ähnlich sind und nun zusammenfassend dargestellt werden sollen. Eine wichtige Rolle in seinen Ausführungen spielt das argumentum ad consequentiam. Wenn ar-Rāzīs Position richtig sein sollte, dann seien alle Überlieferungsbelege von sekundärer Bedeutung und die alles entscheidende Grundlage sei ausschließlich die Vernunft. Dass Gott Propheten sandte und Sich offenbarte, werde dadurch seiner Sinnhaftigkeit beraubt.1290 Darüber hinaus dürfe dann selbst der Koran keine theologischen Grundlagen benennen, denn für diese brauche man Gewissheit bringende Belege.1291 Ibn Taymiyya verweist hierbei auch auf die von den mutakallimūn vertretene Allgemeine Regel, die in Verbindung mit der Sicht ar-Rāzīs über den geringen epistemischen Wert der Überlieferungsbelege der Vernunft nun die absolute Vorrangstellung zuweist.1292 Doch für Ibn Taymiyya ist 1285 Siehe oben, Fußnote 290. 1286 Siehe Ḥadīṯ, MF 18/39. 1287 Intiṣār, 153f. 1288 Intiṣār, 154. 1289 Bayān 8/439–494. 1290 Bayān 8/449f., auch 490f. 1291 Bayān 8/450. 1292 Bayān 8/448f.
7.2 Der epistemische Wert der Überlieferungsbeweise
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ar-Rāzīs Position nicht nur falsch – womit auch nicht die eben beschriebenen Konsequenzen folgen –, sondern gehört gar zur größten Sophisterei, die es je gegeben hat (min aʿẓam as-safsaṭa fī l-wuǧūd). Zwar kann es sein, dass das mit einer Rede Intendierte nicht eindeutig ermittelt werden kann, dass dies aber nicht grundsätzlich und ausnahmslos so ist, wissen die Menschen notwendigerweise.1293 Wenn z. B. die Eltern mit ihrem Kind sprechen, dann weiß dieses in der Regel, was sie meinen. Es ist eben nicht so, dass die Bedeutung der von den Eltern vorgebrachten Rede – und in dieser Passage schwingt ein spöttischer Unterton mit – aufgrund der zehn von ar-Rāzī genannten Möglichkeiten, die Ibn Taymiyya hier alle aufzählt, von dem Kinde als ungewiss wahrgenommen wird.1294 In der Regel trifft dies auch auf das gesprochene und das geschriebene Wort zu, welches die Menschen im gemeinen Volk austauschen. Wenn dies so ist, dann ist erst recht anzunehmen, dass das Wort der Gelehrten noch eindeutiger ist. Was in Bezug auf die Gelehrten gilt, gilt erst recht für die Propheten, und schließlich noch viel mehr für die Rede Gottes zu den Menschen.1295 Zudem seien die sprachlichen Überlieferungsbeweise meist eindeutiger als die Vernunftbeweise. Daher gebe es in den Völkern, die lediglich auf Basis der Vernunftargumente miteinander diskutieren, mehr Differenzen als in den Gemeinschaften, denen eine Offenbarung zuteil wurde. Je enger sie sich an dieser orientieren, desto seltener kommt es laut Ibn Taymiyya zu Meinungsverschiedenheiten.1296 Abschließend lässt sich festhalten, dass die Muʿtaziliten die Auseinandersetzung mit den ahl al-ḥadīṯ über die Autorität der Überlieferungsbeweise zwar auf den ersten Blick verloren haben mögen. So war man sich zu Ibn Taymiyyas Zeiten, aber auch bereits lange davor, weitgehend einig, dass diese Beweise in theologischen Fragen angeführt werden dürfen und auch bindend sind. Auf den zweiten Blick jedoch ergibt sich, dass die späteren Generationen unter den Ašʿariten über die Allgemeine Regel und die damit einhergehende Ausweitung des hermeneutischen Rahmens des Instruments des taʾwīl eine Methodik in der Theologie etablierten, die der Methodik der Muʿtaziliten viel näher kommt als der der ahl al-ḥadīṯ.1297 Auch wenn sich ar-Rāzī nicht durchsetzen konnte, so hatte er diese Methodik doch nicht begründet, sondern nur mit seinem Versuch, den epistemischen Wert der Überlieferungsbeweise deutlich abzusenken, auf die Spitze getrieben.
1293 1294 1295 1296 1297
Bayān 8/465, auch 481f. Bayān 8/462–464. Bayān 8/464. Bayān 8/465–467. Siehe dazu oben, Kapitel 6.2.1.
8 Zusammenfassung In Part II der vorliegenden Arbeit wurden eine Reihe komplexer, miteinander verwobener Thematiken analysiert, welche nun im Folgenden inhaltlich in konziser Form zusammengefasst werden sollen. In der Ontologie lassen sich drei Annahmen Ibn Taymiyyas als tragende Elemente seines methodischen Gerüsts identifizieren. Die erste besagt, dass zwischen zwei beliebigen existenten Dingen, ganz gleich, ob sie beide der diesseitigen Welt zugehören oder mindestens eines davon diese transzendiert, entweder eine Gleichartigkeit oder aber zumindest eine gewisse Form von Ähnlichkeit besteht. Dahingegen sind sie niemals identisch oder aber vollkommen ungleich. Wie noch ausgeführt wird, aber schon ab hier im Hinterkopf behalten werden sollte, bildet diese Sicht das Fundament für die Position Ibn Taymiyyas, dass zum einen – anders als von vielen der mutakallimūn behauptet – Sprachen sich sehr wohl dazu eignen, sowohl den Schöpfer als auch das Geschöpf zu beschreiben, und zum anderen, dass sich Erkenntnisse über Gottes Wesen und Seine Attribute über analoge Schlussverfahren gewinnen lassen, die auf die diesseitige Welt rekurrieren. Die Annahme von Ähnlichkeiten zwischen Gott und der Welt fasst Ibn Taymiyya unter den Begriff des tašbīh, den er terminologisch von dem des tamṯīl abgrenzt, also von der Sicht, dass Gott und die Welt von gleicher Art sind bzw. Gott über spezifische Eigenschaften erschaffener Objekte verfügt. Bei welchen Eigenschaften es sich um Charakteristika der Schöpfung handelt, sodass Gott nicht durch sie beschrieben werden darf, lässt sich, und das wird im Folgenden noch weiter ausgeführt, über das analoge Beweisverfahren des qiyās awlā ermitteln. Die zweite der drei Annahmen lautet, dass der Mensch nach Sichtung der existenten Objekte in der Außenwelt Kategorien und Allgemeinbegriffe bildet, denen eine rein mentale Existenz zukommt und die daher keinesfalls verdinglicht oder als ontologisch reale Entitäten angesehen werden dürfen, aus denen sich die Dinge zusammensetzen. So hat das in Aussagesätzen aufgespannte Verhältnis zwischen dem Subjekt und den ihm zugesprochenen Prädikaten kein reales Gegenstück, sondern bildet lediglich eine im menschlichen Denken bestehende Konzeptualisierung der Außenwelt ab. Damit löst sich die in der Theologie kontrovers diskutierte Frage nach dem Verhältnis zwischen dem göttlichen Wesen und Seinen Attributen als ein Scheinproblem auf. Im Einklang mit seiner konzeptualistischen Auffassung in der Ontologie vertritt Ibn Taymiyya die Ansicht, dass Kausalzusammenhänge weder rein natürlich, noch notwendigerweise bestehen. Des Weiteren stellen der Raum (hier: ḥayyiz) und die Zeit keine eigenständigen Existenzen dar, sondern existieren entweder überhaupt nicht oder lediglich als Teil der Existenz eines Platz greifenden bzw. unter Veränderung stehenden Objekts – sozusagen als dessen https://doi.org/10.1515/9783110623673-008
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Nebenprodukt. Die dritte und letzte Annahme Ibn Taymiyyas bezieht sich auf das Sein (wuǧūd) an sich, insofern sie besagt, dass jedem existenten Ding sein eigenes wuǧūd zukommt. Damit richtet er sich gegen die von dem Sufi-Gelehrten Ibn ʿArabī vertretene Lehre von der Einheit des Seins, die aus der Sicht Ibn Taymiyyas die für einen innig gelebten Glauben wichtige Unterscheidung zwischen Gott als dem Angebeteten und der Schöpfung als dem Anbetenden aufhebt und darüber hinaus dem Antinomismus Vorschub leistet. Zudem interpretiert Ibn Taymiyya den Ausdruck wuǧūd, im Einklang mit seiner sprachlichen Bedeutung, als Vorfindbarkeit. Dass Gott ein wuǧūd zukommt, bedeutet also, dass Er – und damit lässt sich die Möglichkeit einer Gottesschau am Jüngsten Tag untermauern – von den Geschöpfen wahrgenommen werden kann. Daraus schließt Ibn Taymiyya wiederum, dass Gott Sich gegenüber der Schöpfung in einer (jedoch nicht-existenten) Richtung (ǧiha) befindet. Dies bereitet die ontologische Basis für die von ihm vertretene Ansicht, die in Kapitel 10.3 behandelt werden wird, dass Gott Sich oberhalb der Schöpfung befindet. Mit seiner Ablehnung der sprachtheoretischen Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz, an deren Stelle er das Konzept von den mutawāṭiʾ- bzw. mušakkik-Begriffen setzt, stärkt Ibn Taymiyya das theoretische Fundament seiner Position, dass sich die Sprache gleichermaßen zur Beschreibung der diesseitigen und jenseitigen Welt eignet. Er widerspricht also der Meinung, dass die Sprache in unserer Welt verhaftet ist und sich daher primär auf diesseitige und bloß in abgeleiteter und defizitärer Weise auf jenseitige Objekte bezieht. Der Grundannahme, auf der die ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion gebaut ist, nämlich, dass Ausdrücken vor ihrer Verwendung in einem konkreten Sprechakt bereits eine Bedeutung zukommt, setzt er seine kontextbasierte Bedeutungstheorie entgegen. Demnach existieren sprachliche Zeichen allein dann, wenn sie verwendet werden, sodass sie lediglich auch dort über eine konkrete Bedeutung verfügen. Gleichnamige Ausdrücke, die je nach Verwendungsweise als ḥaqīqa oder maǧāz eingestuft würden, gelten bei Ibn Taymiyya unabhängig von der Bedeutung, die ihnen in konkreten Sprechakten zugeschrieben wird, immer als ḥaqīqa. Das Konzept des wörtlichen Sinns hat damit in Ibn Taymiyyas Bedeutungstheorie keinen Platz, und so ist es falsch, ihn als einen Literalisten zu beschreiben, so wie das in der Sekundärliteratur des Öfteren gemacht wurde. Auch kann der Begriff des ẓāhir im Kontext seiner Theorie nicht, wie sonst üblich, mit der äußeren Bedeutung gleichgesetzt werden, sondern mit der etablierten. Damit ist diejenige Bedeutung gemeint, die sich unter Berücksichtigung aller Indizien (Sing.: qarīna) etabliert hat, die mit der Verwendung eines Ausdrucks in einem konkreten Sprechakt einhergehen. Wenn Gott also im Koran Sich Selbst oder Phänomene der jenseitigen Welt beschreibt, dann entlehnt Er keine Wörter aus einer in der diesseitigen Welt ver-
276 | 8 Zusammenfassung hafteten Sprache, der eine wesenhafte Unzulänglichkeit bei der Beschreibung transzendenter Objekte zukommt. Er kreiert vielmehr neue Verwendungsweisen der von Ihm benutzten Ausdrücke, deren Bezug auf voneinander unterschiedliche Denotata in der diesseitigen und transzendenten Welt auf Grundlage von zueinander bestehenden Ähnlichkeiten gerechtfertigt ist, die den Denotata – wie im Kapitel zur Ontologie deutlich gemacht wurde – trotz aller Unterschiedlichkeit notwendigerweise zukommen. Und so können z. B. sowohl der diesseitige als auch der paradiesische Wein sowie sowohl die menschliche als auch die göttliche Barmherzigkeit mit den jeweiligen gleichnamigen Ausdrücken in einer gleichberechtigten Weise benannt werden, auch wenn zwischen ihren jeweiligen Denotata große Unterschiede bestehen. Die Analyse verschiedener Schriften, die Ibn Taymiyya innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahrzehnten verfasste, hat ergeben, dass er die Gültigkeit des maǧāz ablehnte, auch wenn er sich dazu widersprüchlich geäußert hat. Dass er sich hierzu nicht in konsistenter Weise positionierte, mag damit zusammenhängen, dass eine wie auch immer geartete Ansicht zum maǧāz keine bestimmte Haltung bezüglich der Interpretation der Gott beschreibenden Aussagen in Offenbarungstexten notwendig macht. Da er die Thematik überwiegend aus einer theologischen Motivation heraus behandelte, empfand er es möglicherweise nicht nur als entbehrlich, bei jeder Erwähnung der ḥaqīqa-maǧāz-Distinktion auf seine ablehnende Haltung zu ihr aufmerksam zu machen, sondern sogar für notwendig, wie im Folgenden noch angesprochen wird, Bedingungen für die Gültigkeit einer allegorischen Deutung (taʾwīl maǧāzī) zu definieren. Während die Ablehnung des maǧāz für die Theologie keine notwendigen Konsequenzen hat, gilt dies nicht für die Sprachwissenschaft. Ibn Taymiyyas Ausführungen zur Bedeutungstheorie, die keinem sprachwissenschaftlichen, sondern einem theologischen Interesse geschuldet sind, sind hier jedoch nicht genügend elaboriert. An sie lohnt es sich anzuknüpfen, zumal sich in der jüngeren Sprachwissenschaft die Stimmen häufen, die wie Ibn Taymiyya davon ausgehen, dass sich die Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz nicht aus der Sprache selbst ableiten lässt, sondern auf reiner Willkür beruht.1298 Da der Vers 3:7 Interpreten vor besondere exegetische Herausforderungen stellt, verwundert es nicht, dass er ganz unterschiedlich gedeutet wurde. Streitpunkte beziehen sich nicht alleine, aber vorwiegend, auf die in dem Vers vorkommenden Termini muḥkam, mutašābih und taʾwīl sowie auf den Umstand, dass der Vers seine Bedeutung ändert, je nachdem, ob man an einer bestimmten Stelle durch eine 1298 Erinnert sei hier an die Literaturangaben in Fußnote 798 oben.
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Rezitationspause ein Satzende anzeigt oder nicht. In Koran 3:7 werden die koranischen Verse in die Kategorien muḥkam und mutašābih unterteilt, wobei diejenigen, die unter letztere fallen, hinsichtlich ihres taʾwīl allein von Gott oder aber – wenn man die besagte Rezitationspause vollzieht – von Gott und den Gelehrten erkannt werden können. Ibn Taymiyya stuft hier mehrere Deutungsmöglichkeiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, als gültig ein und betrachtet die Rezitationspause als optional. Die muḥkam-Verse sind seiner Meinung nach diejenigen, aus denen die von Gott intendierte Bedeutung klar hervorgeht. Die mutašābih-Verse hingegen sind, wenn man den Vers mit der Pause liest, diejenigen, die metaphysische Dinge oder zukünftige Ereignisse erwähnen. Der jeweilige taʾwīl dieser Verse ist das von ihnen angesprochene Ding bzw. Ereignis selbst, wobei die Kenntnis seiner Modalität und/oder der Zeitpunkte seines Eintretens Gott vorbehalten ist. Auf der rein semantischen Ebene sind diese Verse immer mindestens manchen der Geschöpfe verständlich, sodass sie also ihre Deutung – und dies ist die zweite gültige Bedeutung des Begriffs taʾwīl – kennen. Wird der Vers hingegen ohne Rezitationspause gelesen, fallen unter die Verse, die als mutašābih gelten, diejenigen, deren taʾwīl – und zwar in seinen beiden Bedeutungen – von Gott und den Wissenden unter den Geschöpfen gekannt wird. Ibn Taymiyyas komplexer und teilweise origineller Standpunkt hinsichtlich der Bedeutung des Verses 3:7 stützt nicht nur seine eigene Auffassung von der Art und Weise, wie die Gott beschreibenden Verse zu verstehen sind, sondern nimmt auch der von ihm kritisierten Methode des tafwīḍ ihre Gültigkeit. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass der Vers 3:7, anders als in der Sekundärliteratur behauptet, nur bedingt einen Scheideweg innerhalb der Koranexegese darstellt. Seine Relevanz und Tragweite besteht vielmehr darin, dass er, anders als das noch bei früheren Exegeten wie z. B. aṭ-Ṭabarī der Fall war, stark theologisch aufgeladen wurde. Ein hermeneutischer Grundsatz in der ašʿaritischen Tradition, dort bekannt als qānūn kullī (Allgemeine Regel), besagt, dass bei einem Widerstreit zwischen der Vernunft und der Offenbarung ersterer der Vorzug gegeben werden soll und letztere in ihrem Lichte neu zu deuten ist. Dies wird damit begründet, dass die Vernunft die Grundlage darstellt, auf der die Wahrheit der Offenbarung erkannt werden kann, sodass ein fehlendes Vertrauen in die Vernunft notwendigerweise damit einhergeht, die Glaubwürdigkeit der Offenbarung zu untergraben. Dieser Gedankengang, der sich inhaltlich schon in den Schriften von al-Ašʿarī selbst finden lässt, wurde von al-Ġazālī explizit zu einem hermeneutischen Prinzip im Umgang mit den Gott beschreibenden Aussagen in der Offenbarung erhoben. Zwei Generationen später erweiterte ar-Rāzī dessen Anwendungsrahmen deutlich, indem er, wie noch ausgeführt wird, der Sprache einen hohen Grad an Vagheit attestierte. Ibn Taymiyya kritisierte die oben ausgeführte Allgemeine Regel und ihre weitere Zuspitzung im Denken ar-Rāzīs scharf. So sind Ibn Taymiyya zufolge Beweise aus
278 | 8 Zusammenfassung der Vernunft und der Offenbarung, die sich widersprechen, nie von gleicher Kraft, sodass stets der stärkere vorzuziehen ist. Darüber hinaus formuliert er in seiner Schrift Madaniyya einen strengen Kriterienkatalog für die Gültigkeit allegorischer Deutungen (Sing.: taʾwīl maǧāzī). Demnach dürfen sprachliche Ausdrücke nur dann allegorisch gedeutet werden, wenn folgende vier Bedingungen erfüllt sind: Erstens, es ist gesichert, dass diese Ausdrücke überhaupt auf allegorische Weise in der arabischen Sprache verwendet werden dürfen; zweitens, der Sprecher macht durch Indizien kenntlich, dass er mit den von ihm verwendeten Ausdrücken eine allegorische Bedeutung intendiert; drittens, es liegt kein Hinweis vor, der die eben genannte Intention des Sprechers unwahrscheinlich macht; und schließlich viertens – und das gilt für Aussagen, die in der Offenbarung vorgebracht werden –, dass der der Prophet Muḥammad, dem die Erläuterung der Worte Gottes oblag, auf deren allegorische Bedeutung aufmerksam gemacht hat. In der vorliegenden Arbeit wurde dafür argumentiert, dass der Hauptkonfliktpunkt zwischen Ibn Taymiyya und den Ašʿariten bzw. den mutakallimūn im Allgemeinen nicht etwa – wie eben ausgeführt wurde – in der Frage liegt, ob der maǧāz in der Sprache existiert, sondern in der Frage nach dem gültigen Anwendungsrahmen des taʾwīl maǧāzī. Wie auch schon bereits in der Sekundärliteratur aufgezeigt wurde, hat sich Ibn Taymiyya in zumindest einem Fall selbst widersprochen, indem er sich dieses Instruments auf eine Weise bediente, bei der die oben vier genannten Bedingungen nicht erfüllt werden. Auch die für Ibn Taymiyya ungewöhnlich systematische Schrift Tadmuriyya befasst sich zu weiten Teilen mit hermeneutischen Fragen. Dort stellt er zwei Grundsätze und sieben Regeln für die korrekte Interpretation der Gott beschreibenden Aussagen in der Offenbarung auf und erläutert sie ausführlich. Dabei zielt er vor allem darauf ab, die Anwendung des taʾwīl maǧāzī durch die mutakallimūn im Allgemeinen und die Ašʿariten im Besonderen als widersprüchlich zu erweisen, und ihr eine alternative Methodik im Umgang mit den Offenbarungstexten gegenüberzustellen, die seine Vorstellung von Gott untermauert. Ohne den Rückgriff auf analoge Schlussverfahren (Sing.: qiyās), die die wahrnehmbare Welt zum Ausgangspunkt nehmen, lässt sich, wie Ibn Taymiyya auf plausible Weise darlegt, keine positive Theologie begründen. So findet sich die Anwendung solcher Verfahren im islamischen Denken bereits sehr früh; darüber hinaus bilden sie in der (v. a. frühzeitlichen) ašʿaritischen Tradition das Standardbeweisverfahren zu Absicherung der sieben Wesensattribute Gottes. Al-Ǧuwaynī jedoch lehnt diese Methodik mit dem Argument ab, dass Gott nicht mit der Welt verglichen werden darf, worin ihm viele seiner Schulkollegen folgen. Al-Āmidī behauptet auf Basis der Annahme, dass Gott ein absolut vollkommenes Wesen ist, ein neuartiges Beweisverfahren zur Untermauerung der sieben Wesensattributen
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gefunden zu haben, dass ohne das anthropomorphistische Element auskommen soll, das al-Ǧuwaynī in dem Schlussverfahren des qiyās identifiziert haben wollte. Wie gezeigt wurde, gelingt ihm das nicht; bemerkenswert an seiner Methode ist jedoch, dass sie als ein Vorläufer von Ibn Taymiyyas Vorgehensweise verstanden werden kann. Ibn Taymiyya ist meines Wissens der erste traditionalistische Theologe, der ein rationales Beweisverfahren zur Absicherung aller in der Offenbarung angeführten Eigenschaften Gottes erarbeitet hatte. Zwar meint er sich dabei auf Aḥmad Ibn Ḥanbal stützen zu können, er tut dies aber aufbauend auf dem Werk ar-Radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-z-zanādiqa, welches, wie die Forschung gezeigt hat, in Wahrheit nicht von Aḥmad verfasst wurde. Ibn Taymiyya argumentiert dafür, dass sich weder das analoge Verfahren des qiyās tamṯīl, das in der Gebotenlehre (fiqh) gängig ist, noch Syllogismen dazu eignen, Erkenntnisse über Gott zu gewinnen; und das, weil beide Verfahren sich auf Gott und die Welt in gleicher Weise beziehen, Gott aber hinsichtlich des Vergleichsmoments vorrangig behandelt werden sollte. Daher spricht er sich für das argumentum a fortiori (qiyās awlā) aus, das er folgendermaßen zur Anwendung bringt: Jede Eigenschaft, die eine absolute Vollkommenheit darstellt und zumindest manchen Dingen in der Schöpfung potenziell zukommt, ist Gott erst recht zuzusprechen. Dahingegen muss jede Eigenschaft, die eine Mangelhaftigkeit darstellt und von der zumindest manche Dinge in der Schöpfung potenziell freizusprechen sind, bezüglich Gott erst recht negiert werden. Ibn Taymiyya behauptet dabei nicht wie al-Āmidī, sich einem Vergleich zwischen Gott und der Welt entziehen zu können. Dies ist in seinem Fall auch gar nicht nötig, hat er doch bereits in seiner Ontologie dafür argumentiert, dass es keine zwei existenten Objekte geben kann, seien sie von dieser Welt oder transzendent, die einander nicht in gewisser Weise ähneln. Diese Ähnlichkeit wird in den muašakkik-Begriffen eingefangen und stellt die gemeinsame semantische Schnittmenge (qadr muštarak) dar, in der sich die verschiedenen möglichen Verwendungsweisen dieser Begriffe treffen. Alle Ausdrücke, mit denen sowohl die Eigenschaften Gottes als auch die der Schöpfung benannt werden, sind von dieser Kategorie. Die Muʿtaziliten und Ašʿariten haben diese Ausdrücke hingegen laut Ibn Taymiyya in univoker Weise gebraucht und sich damit eines Anthropomorphismus schuldig gemacht, auf dessen Grundlage sie die betreffende Eigenschaft als nicht-göttlich identifizierten. Mit der sich sowohl auf die jenseitige als auch auf die diesseitige Welt (und damit auch auf Gott) beziehenden Allaussage, dass jedes Sein (wuǧūd) potenziell über die fünf menschlichen Sinne wahrzunehmen ist, wird Ibn Taymiyya seinem Anspruch jedoch nicht gerecht, lediglich über das argumentum a fortiori Erkenntnisse über Gott zu gewinnen bzw. abzusichern. Darüber hinaus erachtet er, ohne dies plausibel zu begründen, Attribute wie z. B. das Lachen als Vollkommenheiten und man ist daher geneigt, anzunehmen, dass dies lediglich deswegen der Fall ist,
280 | 8 Zusammenfassung weil Gott in der Offenbarung als lachend beschrieben wird. Wäre dort das Lachen als eine Eigenschaft ausgewiesen worden, die Gott nicht gebührt, dann hätte Ibn Taymiyya wohl auch Wege gefunden, dieses Attribut als einen Mangel darzustellen, sodass es Gott nun nicht zugesprochen werden darf. Hinsichtlich des epistemischen Wertes der Überlieferungsbeweise hat es in der vorklassischen Periode des Islams deutliche Unterschiede zwischen den Standpunkten der ahl al-ḥadīṯ und denen der mutakallimūn gegeben. Zwar haben sich die Unterschiede auch im weiteren ideengeschichtlichen Verlauf nie aufheben lassen, Letztere haben sich den Positionen der Ersteren jedoch mit der Zeit angenähert. Ibn Taymiyyas Auffassung von den für die Theologie relevanten Überlieferungsbeweisen deckt sich mit denen, die innerhalb der sunnitischen Rechtstheorie Verbreitung gefunden haben. So erachtet er die mutawātir-Überlieferungen als Gewissheit (yaqīn) bringend, während er meint, dass diejenigen, die als āḥād kategorisert werden, grundsätzlich maximal als wahrscheinlich gesichert (ẓann) gelten können. Erfüllen die āḥād-Überlieferungen jedoch bestimmte Bedingungen, schreibt auch er ihnen den höchsten epistemischen Wert zu. Dass darunter seiner Ansicht nach die große Mehrheit der in den Ṣaḥīḥ-Werken von al-Buḫārī und von Muslim vorhandenen Überlieferungen fällt, versucht er indes durch ein Konzept des iǧmāʿ zu begründen, das er in anderen thematischen Kontexten ablehnt. Dass er diese zwei genannten Werke als möglichst verlässlich einstufen wollte, ist wohl dadurch begründet, dass sie viele Überlieferungen beinhalten, die mit den Gottesvorstellungen der mutakallimūn im Widerspruch zu stehen scheinen. Unter den Ašʿariten findet sich zwar die verbreitete Meinung, dass die in den āḥād-Überlieferungen vorgebrachten Gottesbeschreibungen auf eines der durch einen mutawātir-Beleg abgesicherten Attribute Gottes zurückgeführt werden müssen. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Debatte zwischen den Ašʿariten und Ibn Taymiyya nicht über den epistemischen Wert der āḥād-Überlieferungen ausgetragen wurde, sondern über ihre Interpretation. Die Ausnahme stellt hier ar-Rāzī dar, den Ibn Taymiyya heftig dafür kritisiert, der Meinung gewesen zu sein, dass ein Rezipient grundsätzlich nie sicher sein kann, was ein Sprecher – ob nun Gott oder ein Mensch – mit einer Rede intendiert. Dafür formulierte ar-Rāzī zehn Gründe; allerdings konnte durch eine Analyse seiner Schriften gezeigt werden, dass er, anders als auch in der Sekundärliteratur angenommen, diese auch im kalām als extrem erachtete Position lediglich mit weiteren Einschränkungen vertrat. Part II der vorliegenden Arbeit hat gezeigt, dass Ibn Taymiyya eine grundsätzlich nachvollziehbare und konsistente Methodik für die Interpretation der Beschreibungen Gottes in den Offenbarungstexten erarbeitet hat. Ob er diese in seiner Attributenlehre auch konsequent zur Anwendung brachte oder nicht, wird eine der Hauptfragen sein, die im nun folgenden Part III beantwortet werden soll.
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Teil III: Gottes Wesen und Seine Attribute im Fokus
9 Zeitlich aufkommende Zustände bzw. Handlungen (ḥawādiṯ) in Gottes Wesen Mit der Ansicht, dass das Wesen Gottes ein Substrat zeitlich aufkommender Zustände und Ereignisse ist, steht Ibn Taymiyya im Widerspruch zu einer der Grundannahmen, auf denen die kalām-Theologie gebaut ist. Diese besagt, dass die Existenz aller veränderlichen Dinge einen zeitlichen Anfang hat.1299 Bewiesen werden soll das durch den sogenannten dalīl ḥudūṯ al-aǧsām (Beweis der Zeitlichkeit der Körper),1300 der im kalām, wie Davidson es ausdrückt, zur „demonstration par excellence“ für die Erschaffenheit der Welt wurde.1301 Dieser Beweis findet sich in zahlreichen Werken des kalām ausgebreitet,1302 wobei Muḥammad aš-Šahrastānī (gest. 548/1143) in seinem Werk Nihāyat al-iqdām fī ʿilm al-kalām eine besonders konzise Darstellung liefert. Dort schreibt er: So haben die meisten von ihnen [d. h. den mutakallimūn] den Weg der Bestätigung [der Zeitlichkeit der Welt] dadurch beschritten, dass sie als erstes die Existenz der Akzidenzien (Sing.: ʿarāḍ) und dann als zweites deren Zeitlichkeit bewiesen. Als drittes zeigten sie auf, dass eine Substanz (ǧawhar, auch: Atom) nicht frei von diesen [d. h. den Akzidenzien] sein kann, und als viertes, dass ein infiniter Regress unmöglich ist. Aus all diesen Grundannahmen
1299 In der westlichen Philosophie findet sich ein ähnlicher Gedanke, ausgedrückt in dem Prinzip: Nullum mutabile est necessarium hinc omne mutabile est contingens (Kein Veränderliches existiert notwendigerweise, also ist alles Veränderliche zufällig). Siehe Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica, 7. Aufl., Halae Magdebvrgicae: C. H. Hemmerde, 1779, §131; auch Christian Wolff, Erste Philosophie oder Ontologie: Lateinisch-Deutsch, hrsg. von Dirk Effertz, Hamburg: Meiner, 2005, §296. 1300 Auch bekannt unter dem Namen dalīl ḥudūṯ al-aʿrāḍ (Beweis für die Zeitlichkeit der Akzidenzien). 1301 Herbert Davidson, Proof for Eternity, Creation, and the Existence of God in Medieval Islamic and Jewish Philosophy, Oxford und New York: Oxford University Press, 1987, 134. Zu den wenigen mutakallimūn, die diesen Beweis ablehnten, gehört ʿAbbād Ibn Sulaymān (gest. nach 260/874); siehe Suleiman A. Mourad, ʿAbbād b. Salmān, in: Gudrun Krämer u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2009 (3), 2–3, hier 2. 1302 Siehe z. B. Bāqillānī, Tamhīd, 22 Z.6–16 (das wird besprochen bei Lameer, al-Fārābī, 211– 215); Yaḥyā Ibn al-Ḥusayn an-Nāṭiq bi-l-ḥaqq, Baṣran Muʿtazilite Theology. Abū ʿAlī Muḥammad b. Khallād’s Kitāb al-uṣūl and Its Reception. A Critical Edition of the Ziyādāt Sharḥ al-uṣūl by the Zaydī Imām al-Nāṭiq bi-l-ḥaqq Abū Ṭālib Yaḥyā b. al-Ḥusayn b. Hārūn al-Buṭḥānī (d. 424/1033), hrsg. von Camilla Adang/Wilferd Madelung/Sabine Schmidtke, Leiden und Boston: Brill, 2011, 5–48; Ǧuwaynī, Iršād, 17–21; Ġazālī, Iqtiṣād, 26ff.; und Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn, 4 Bde., Kairo: Laǧnat Našr aṯ-ṯaqāfa al-islāmiyya, 1937–39, 1/183f. https://doi.org/10.1515/9783110623673-009
9 Zeitlich aufkommende Zustände bzw. Handlungen (ḥawādiṯ) in Gottes Wesen |
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folgt, dass dasjenige, welches den in der Zeit in die Existenz gekommenen Dingen nicht vorhergeht,1303 selbst eine in der Zeit in die Existenz gekommene Sache ist.1304
Um das Zitierte weiter zu verdeutlichen, soll im Folgenden in knapper Form erläutert werden, wie die mutakallimūn die Zeitlichkeit und damit die Nicht-Ewigkeit der Körper zu beweisen versuchten, und zwar am Beispiel von Sokrates’ Ehefrau Xanthippe. Sie besteht aus einem Körper, dem Akzidenzien zukommen, z. B. dasjenige, in Bewegung zu sein (wenn sie z. B. gerade mit Sokrates streitet) oder in einer Ruhelage zu sein (wenn sie z. B. gerade schläft). Wie jeder Körper, kann auch Xanthippe nicht frei von Akzidenzien sein, so kann sie z. B. nicht zugleich weder in Bewegung noch in einer Ruhelage sein. Würde Xanthippe seit aller Ewigkeit existieren, dann müsste ein regressum ad infinitum (tasalsul fī l-māḍī, ab hier: tasalsul) zeitlich aufkommender Akzidenzien – wie z. B. in Bewegung oder in einer Ruhelage zu sein – angenommen werden, der nun mit Xanthippes aktuellem Zustand ein Ende fände. Dies ist aber unmöglich, da eine unendliche in die Vergangenheit zurückreichende Verkettung verschiedener zeitlich aufkommender Akzidenzien niemals ein Ende finden kann, also auch der aktuelle Zustand nie hätte erreicht werden können. Was für Xanthippe gilt, gilt für alle anderen Körper und somit für die Welt im Gesamten, sodass gezeigt ist, dass diese nicht ewig ist. Hier sei der Beweis in übersichtlicher Form noch mal dargestellt: (1)
Körper kommen notwendigerweise Akzidenzien zu (wie z. B. entweder in Bewegung oder in Ruhe zu sein).
(2)
Akzidenzien sind zeitlich.
(3)
Ein infiniter Regress zeitlicher Dinge ist unmöglich.
Also:
Körper sind zeitlich.
Auf diesen Beweis gründen die mutakallimūn ihre feste Überzeugung, dass in Gottes Wesen keinerlei Veränderung vonstattengehen kann, da Gott sonst wie die Welt zeitlich wäre.1305 Wie oben deutlich wurde, hängt die Gültigkeit des Beweises in erster Linie von der Richtigkeit der Annahme ab, dass es keine unendlich in die Vergangenheit zurückreichende Kette von zeitlich aufkommenden Dingen bzw. Ereignissen geben kann. Ibn Taymiyya stimmt hier nur bedingt zu. Er sieht 1303 Statt yasbiquhū lese ich yasbiqu. 1304 Muḥammad Ibn ʿAbd al-Karīm aš-Šahrastānī, Nihāyat al-iqdām fī ʿilm al-kalām, hrsg. von Alfred Guillaume, London: Oxford University Press, 1934, 11 Z.7–10. 1305 Für eine ašʿaritische Darstellung dieses Beweises, die inhaltlich mit den obigen Ausführungen übereinstimmt, siehe die Ausführungen von Abū Isḥāq al-Isfarāyīnī bei Frank, Knowledge and Taqlīd, 136f.
284 | 9 Zeitlich aufkommende Zustände bzw. Handlungen (ḥawādiṯ) in Gottes Wesen die Unmöglichkeit nur dann gegeben, wenn die einzelnen Glieder der Kette in einem kausalen Verhältnis zueinander stehen. Diese Art des tasalsul haben laut Ibn Taymiyya nicht nur die mutakallimūn, sondern auch die falāsifa, ja sogar alle Vernunftbegabten (sāʾir al-ʿuqalāʾ) abgelehnt.1306 In einer anderen Art des tasalsul stehen die einzelnen Glieder in der unendlich langen Kette nicht in einem kausalen, sondern in einem konditionalen Verhältnis zueinander. So gilt also für jedes in der Zeit eintretende Ereignis en der Kette, dass es nur unter der Bedingung in die Existenz kommt, dass das unmittelbar zuvorkommende Ereignis en−1 bereits eingetreten ist. Letztgenanntes ist dabei nicht der Grund, sondern lediglich die Bedingung dafür, dass sich das erstgenannte Ereignis realisiert. Im Gegensatz zu Ibn Taymiyya und bekannten Denkern aus der Tradition der falsafa wie al-Fārābī und Ibn Sīnā unterscheiden die mutakallimūn hinsichtlich der Möglichkeit endloser Regresse nicht zwischen verschiedenen Arten von diesen; vielmehr halten sie sie alle gleichermaßen für ausgeschlossen.1307 In seinem Werk al-Iršād versucht al-Ǧuwaynī, diese Sicht zu untermauern, wobei er auch gegen namentlich nicht genannte Kritiker argumentiert, die meinen, dass dann gleichermaßen auch ein infiniter Progress unmöglich sein müsse, also eine niemals endende Kette zeitlicher Ereignisse, die einen Anfang hat.1308 Al-Ǧuwaynī zitiert diese Kritiker, die den regressus ad infinitum an folgender Aussage exemplifizieren: „Ich werde dir keinen Dirham aushändigen, außer in dem Falle, dass ich dir zuvor schon einen Dinar gegeben habe. Und ich werde dir keinen Dinar geben, außer in dem Falle, dass ich dir zuvor schon einen Dirham ausgehändigt habe.“1309 Al-Ǧuwaynī stimmt mit seinen Kontrahenten soweit überein, dass in dem genannten Beispiel weder jemals ein Dirham, noch ein Dinar ausgehändigt 1306 Diese Aussage findet sich an vielen Stellen seiner Werke; siehe z. B. Darʾ 1/334 und 8/271. Tatsächlich ist die Ansicht, dass ein auf einem Verhältnis von Ursache und Wirkung basierender regressus ad infinitum unmöglich ist, wohl so alt wie die Philosophie selbst. Nachweisbar ist sie erstmals für den vorsokratischen Philosophen Anaximander von Milet (gest. ca. 550 v. Chr.), dem darin Platon und Aristoteles folgten; siehe dazu ausführlich Nicholas Rescher, Infinite Regress. The Theory and History of Varieties of Change, New Brunswick: Transaction Publishers, 2010, 99ff. Auch Ibn Sīnā vertritt dezidiert die Meinung, dass jegliche Kausalkette nicht unendlich in die Vergangenheit zurückreicht, sondern ihren Anfang bei dem notwendigen Sein, also Gott, nimmt; siehe Ibn Sīnā, Metaphysics-Ilāhiyāt, 257–261. 1307 Tatsächlich ähnelt sich hier die Position Ibn Taymiyyas mit der der beiden genannten Denker der falāsifa. Letzteren ging es jedoch anders als Ibn Taymiyya darum, sowohl ihre Ansicht über die Ewigkeit der Welt (damit auch einer ewigen Zeit und einer ewigen Kreisbewegung der Himmelssphären) und ihre Ablehnung eines infiniten Regresses kausaler Art auf konsistente Weise zu vertreten; siehe dazu Davidson, Proof for Eternity, 128f. und 367f. 1308 Ein Beispiel dafür sind die nacheinander ablaufenden zeitlichen Ereignisse im Paradies. 1309 Ǧuwaynī, Iršād, 26f.
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werden wird. Er meint nun aber, dass es sich hier keineswegs um eine gültige Analogie zum infiniten Progress handelt und das Beispiel damit auch kein Argument für dessen Unmöglichkeit darstellt. Denn bei diesem ist es so, als ob jemand sagen würde: „Ich werde dir keinen Dinar aushändigen, außer in dem Falle, dass ich dir hernach einen Dirham gebe. Und ich werde dir keinen Dirham aushändigen, außer in dem Falle, dass ich dir hernach einen Dinar gebe.“1310 Al-Ǧuwaynī erklärt nun, dass jeder Dinar und jeder Dirham sukzessive ausgehändigt werden wird und der infinite Progress niemals zu einem Ende kommen wird. Ibn Taymiyya stimmt mit al-Ǧuwaynī darin überein, dass der infinite Progress möglich und das von ihm angeführte Beispiel gültig ist.1311 Nach Ibn Taymiyya muss ein korrektes Beispiel für einen infiniten Regress dem gleichen Aufbau folgen und sich nur darin unterschieden, dass es nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit referiert.1312 Es ist jedoch so, dass al-Ǧuwaynīs Beispiel für den infiniten Progress lediglich eine Abfolge sukzessiv auftretender Ereignisse beschreibt, während das Beispiel für den infiniten Regress diese Ereignisse in ein Verhältnis gegenseitiger Bedingung setzt.1313 Laut Ibn Taymiyya exemplifiziert folgendes Beispiel einen infiniten Regress auf korrekte Weise: „Ich habe dir niemals einen Dirham ausgehändigt, außer in dem Falle, dass ich dir zuvor schon einen Dinar gegeben hatte. Und ich habe dir niemals einen Dinar ausgehändigt, außer in dem Falle, dass ich dir zuvor schon einen Dirham gegeben hatte.“1314 Sodann fährt er fort: Hier wird ausgesagt, dass jedem Dinar ein weiterer Dinar und jedem Dirham ein weiterer Dirham vorausgegangen ist. Und das ist die Analogie (naẓīr) [einer Kette] von zeitlichen Ereignissen, in welcher jedem Ereignis ein anderes vorausgeht. Nach dem gleichen Prinzip
1310 Ebd., 27. 1311 Siehe Darʾ 9/186. Ibn Taymiyya diskutiert die Ausführungen al-Ǧuwaynīs an zwei Stellen, nämlich in Darʾ 9/186–188 und Minhāǧ 4/435–438. Diese Passagen wurden auch schon in der Sekundärliteratur untersucht; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 93f., und Kāmila al-Kawārī, Qidam al-ʿālam wa-tasalsul al-ḥawādiṯ bayna šayḫ al-islām Ibn Taymiyya wa-l-falāsifa maʿa bayān man aḫṭaʾa fī l-masʾala min as-sābiqīn wa-l-muʿāṣirīn, Amman: Dār Usāma, 2001, 132f. 1312 Siehe Minhāǧ 1/436. 1313 Al-Ǧuwaynīs erstgenanntes Beispiel scheint dem nahezukommen, was Ibn Taymiyya eine zirkulär-rekursive Kette (dawr qablī) sukzessiv stattfindender Ereignisse nennt. Hier, wie auch in al-Ǧuwaynīs Beispiel, hängt die Realisierung beider Ereignisse e1 und e2 davon ab, dass das jeweils andere bereits eingetreten ist. Folglich finden sie beide niemals statt. Für eine ausführlichere Behandlung der Ansichten Ibn Taymiyyas zum dawr qablī und auch zum dawr maʿī (wechselseitige Bedingtheit zweier [oder mehrerer] gleichzeitig auftretender Ereignisse; al-mutalāzimāni allaḏāni yakūnāni fī zamān wāḥid) siehe Minhāǧ 1/438, Ǧawāb 4/297 und die Ausführungen dazu bei Hallaq, Against the Greek Logicians, 35, Fußnote 5. 1314 Darʾ 9/186.
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ist auch seine [d. h. al-Ǧuwaynīs] Aussage, dass ich dir keinen Dirham geben werde, außer in dem Falle, dass ich dir hernach einen Dinar gebe, sowie keinen Dinar außer hernach einen Dirham, eine [korrekte] Exemplifizierung zukünftiger Ereignisse, bei der jedem einzelnen Ereignis ein nächstes folgt. Wenn es ihm nun möglich erschien, seine Aussage bezüglich der Zukunft [d. h. des infiniten Progresses] als wahr anzuerkennen, so hätte es ihm auch als möglich erscheinen sollen, diese anzuerkennen, wenn sie in Bezug auf die Vergangenheit [d. h. den infiniten Regress] formuliert ist.1315
Ibn Taymiyya ist es wichtig zu zeigen, dass seine Position logisch aus der der salaf folgt. So zitiert er bei seiner Behandlung des Verses 96:1 Aussagen des Prophetengefährten Ibn ʿAbbās, nach denen Gott seit aller Ewigkeit über Seine Eigenschaften verfügt. Wenn Gottes Eigenschaften ewig sind, schlussfolgert nun Ibn Taymiyya, dann muss ebenso auch eine unendliche Kette von Objekten, die aus Gottes Eigenschaften und Seiner Wirktätigkeit resultiert, möglich sein.1316 Und so versteht er seine Ausführungen lediglich als eine auf Vernunftargumenten basierende Ausbuchstabierung der implizit schon bei den salaf zu findenden Ansicht, dass der regressus ad infinitum möglich ist.1317 Ibn Taymiyya argumentiert nicht nur für die Möglichkeit, sondern vielmehr für die Realität zeitlich aufkommender Ereignisse in Gottes Wesen, wie im Folgenden ausgeführt wird. Sein Hauptargument hat die Form des qiyās awlā. Er versucht zu zeigen, dass es zu Gottes Perfektion gehört, dass in Seinem Wesen zeitliche Zustände und Ereignisse stattfinden. So schreibt er im Einklang mit seiner in Kapitel 7.1.2 vorgestellten Methodik: Man stelle sich zwei Wesen vor: Das Eine wird mit den vollkommenen Eigenschaften beschrieben, welche in eurer Terminologie [d. h. in der der mutakallimūn] als Akzidenzien und zeitliche Ereignisse bezeichnet werden, so wie z. B. die Kraft, die Tat und das Greifen. Dem anderen dagegen können diese Eigenschaften, welche Akzidenzien und temporäre Ereignisse darstellen, nicht zukommen. So ist das erstgenannte Wesen vollkommener, in der Form wie das lebendige Objekt, welches mit diesen Eigenschaften beschrieben wird, vollkommener ist als die unbelebte Materie.1318
Darüber hinaus ist Ibn Taymiyya der Meinung, und dabei stützt er sich auf eine Passage in al-Buḫārīs Werk Ḫalq afʿāl al-ʿibād, in der dieser seinen Lehrer Nuʿaym Ibn Ḥammād (gest. 228/843) zitiert, dass man niemanden als lebendig bezeichnen 1315 Darʾ 9/186. 1316 Siehe Aʿlā, MF 16/367–370. 1317 Im Selbstverständnis Ibn Taymiyyas gilt dies nicht nur für seine Ansichten hierzu, sondern für sein Denken allgemein; siehe Hoover, Perpetual Creativity, 295. 1318 Akmaliyya, MF 6/91; Ed. Sālim 37.
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kann, von dem keine Aktivität ausgeht.1319 Mit anderen Worten: Wenn Gottes Wesen keinerlei Veränderung unterliegt und in Ihm keine Aktivitäten vor sich gehen, mit welchem Recht könne Er dann in Abgrenzung zur unbelebten Materie als lebendig bezeichnet werden? Aus meiner Sicht verstößt Ibn Taymiyya hier jedoch gegen die Bedeutungstheorie, die er durch sein Konzept des tawāṭuʾ erarbeitet hatte.1320 Demnach verfügt der Ausdruck Lebendigkeit über keine semantische Essenz, sondern kann als analoger (mušakkik) Begriff in voneinander unterschiedlichen Bedeutungen ausgesagt werden. So wie also z. B. ein Mensch entweder aufgrund seiner Tapferkeit oder aber aufgrund seiner mähnenhaften Frisur als ein Löwe bezeichnet werden kann, könnte auch Gott als lebendig beschrieben werden, insofern seine Art der Lebendigkeit auf irgendeine Weise ähnlich zu einer der Arten von Lebendigkeit bei den erschaffenen Wesen ist. Wenn Ibn Taymiyyas Argument gültig wäre, ließe sich dieses darüber hinaus auf gleiche Weise auch bei anderen Eigenschaften anwenden. Nimmt man also an, dass Gottes Eigenschaft der Lebendigkeit nichts anderes besagt, als dass in Seinem Wesen zeitliche Ereignisse vonstattengehen, dann könnte man ebenso behaupten, dass sich aus Seiner Eigenschaft, zwei Hände zu haben, ergibt, dass Gott über Gliedmaße verfügt. Das aber verneint Ibn Taymiyya mit der Begründung, dass dies lediglich hinsichtlich erschaffener Hände gilt. Darauf aber könnte man entgegnen, dass sein Verständnis von Lebendigkeit lediglich die der erschaffenen Objekte erfasst und nicht auf Gott ausgeweitet werden darf. Zur weiteren Stützung seiner Position zieht Ibn Taymiyya den Philosophen Abū l-Barakāt al-Baġdādī (gest. ca. 560/1165) heran, der in seinem Werk al-Muʿtabar fī l-ḥikma gesagt haben soll, dass der Koran Gott nur dann berechtigterweise einen [Welten-]lenker (mudabbir) nennen kann, wenn in Seinem Wesen innere Aktivitäten stattfinden.1321 Und wie Ibn Taymiyya an vielen Stellen seiner Werke wohl 1319 Siehe Kaylāniyya, MF 12/365. Die Passage, auf die sich Ibn Taymiyya bezieht, findet sich bei Muḥammad Ibn Ismāʿīl al-Buḫārī, Ḫalq afʿāl al-ʿibād wa-r-radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-ahl at-taʿṭīl, hrsg. von Fahd Ibn Sulaymān al-Fahīd, 2 Bde., Riad und Damaskus: Dār Aṭlas al-ḫaḍrāʾ, 2005, 2/192. 1320 Siehe dazu Kapitel 5.2. 1321 Siehe Ḥudūṯ 114 und 145. Die Beschreibung Gottes als mudabbir findet sich z. B. in Koran 32:5. Al-Baġdādīs Werk ist erhalten und liegt ediert in drei Bänden vor (Bd. 1: Logik; Bd. 2: Physik; Bd. 3: Metaphysik). Auf welche Passage sich Ibn Taymiyya bezieht, konnte nicht ermittelt werden, sie dürfte sich jedoch im dritten Band befinden. Dort kritisiert al-Baġdādī ausführlich die Ansicht, dass ein ewiges Wesen frei von zeitlichen Zuständen oder Ereignissen sein müsse. Zudem sagt er deutlich, dass Gottes partikularer Willenszustand aus Seinem partikularen Wissenszustand resultiert (irādatuhū l-ǧuzʾiyya al-mutasabbiba min maʿārifihī l-ǧuzʾiyya). So will Gott z. B. den Sünder bestrafen, nach dessen reuiger Umkehr möchte Er ihm jedoch verzeihen, und daher ist Gott wirklich auch als einer zu bezeichnen, der die Bittgebete hört (samīʿ ad-duʿāʾ). Siehe Abū
288 | 9 Zeitlich aufkommende Zustände bzw. Handlungen (ḥawādiṯ) in Gottes Wesen mit einiger Genugtuung schreibt,1322 hatte selbst der Ašʿarit Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī zugegeben, dass die Ansicht, dass Gottes Wesen Substrat für zeitliche Ereignisse ist, zwar nur von den Karrāmiten1323 offen vertreten wurde,1324 sich jedoch als notwendige Konsequenz aus den Positionen der allermeisten Denkschulen ergibt, darunter die Ašʿariten und auch die falāsifa.1325 Abschließend sei noch an Ibn Taymiyyas Konzept der Zeit erinnert, die er im Einklang mit den beschriebenen Ansichten als ewig versteht, da sie notwendigerweise mit Bewegung bzw. Veränderung einhergeht. Ihr kommt laut ihm keine selbstständige Existenz zu, vielmehr ist sie – und das vor dem Hintergrund der inneren Aktivität Gottes – eine Folgeerscheinung Seiner Existenz (tawābiʿ wuǧūd al-Ḥaqq).1326 Im Folgenden sollen nun ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute beleuchtet werden, wobei auch mehrfach Gottes innere Wirktätigkeit angesprochen wird.
l-Barakāt al-Baġdādī, Kitāb al-Muʿtabar fī l-ḥikma, 3 Bde., Hayderabad: o. V., 1358 [=1939], 3/179 Z.17ff. Dies alles deutet darauf hin, dass al-Baġdādī, wie von Ibn Taymiyya behauptet, der Meinung war, dass sich in Gottes Wesen zeitliche Vorgänge ereignen. Gleiches hat auch ar-Rāzī über ihn berichtet, siehe Rāzī, Asās at-taqdīs, 1/170. 1322 Siehe z. B. Bayān 5/223. 1323 Siehe zu ihnen oben, Fußnote 462. 1324 Auch Ibn Taymiyya berichtet, dass die Karrāmiten diese Position vertraten. Er fügt noch hinzu, dass sie sich außerdem für die Unmöglichkeit eines infiniten Regresses (infiniter Regress) aussprachen und daher der Ansicht waren, dass die Kette der inneren Zustandsänderungen Gottes einen Anfang in der Zeit gehabt haben müsse; siehe Ḥudūṯ 131. 1325 Diese Behauptung führt ar-Rāzī nachfolgend auf mehreren Seiten aus und diskutiert sie; siehe Rāzī, Maṭālib, 2/106–111, v. a. 106f.; auch Rāzī, Asās at-taqdīs, 1/168–173, v. a. 168f. 1326 Siehe dazu oben, S. 127.
10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute 10.1 al-ʿadl – die Gerechtigkeit Gottes Ibn Taymiyyas Vorstellung von der Gerechtigkeit (ʿadl) – in der Regel verwendet er diesbezüglich den Begriff der Weisheit (ḥikma) –1327 ist in seinem Denken von hoher theologischer (und auch rechtstheoretischer) Relevanz. Zwei Definitionen der Gerechtigkeit, die sich inhaltlich überschneiden, können in seinen Schriften ausgemacht werden. So ist sie einmal „das Realisieren der Dinge im Einklang mit ihrem Wesen sowie ihre Vervollkommnung (taḥqīq al-umūr ʿalā mā hiya ʿalayhi wa-takmīluhā).“1328 Zum anderen bedeutet Gerechtigkeit, die Dinge an ihren sachgerechten Platz zu stellen (waḍʿ kull šayʾ fī mawḍiʿihī).1329 Dabei handelt es sich um die Beachtung und Wahrung des der Schöpfung inhärenten Ordnungsgefüges, und so ist es zu verstehen, dass Ibn Taymiyya die Gerechtigkeit als den (normativen) Unterbau allen Seins beschreibt (mabnā l-wuǧūd kullihī ʿalā l-ʿadl).1330 Unabhängig von der Religionszugehörigkeit gilt laut Ibn Taymiyya, dass derjenige, der Gerechtigkeit walten lässt, zumindest im Diesseits erfolgreich sein wird.1331 Er exemplifiziert dies an einem Bauwerk, das der Erbauer nur dann vor einem Einsturz bewahren kann, wenn er die einzelnen Bauteile wohl proportioniert, an die richtige Stelle setzt und aufeinander abstimmt. Ähnlich verhält es sich mit einem Kleidungsstück, das seinem Träger nur dann gerecht wird, wenn es seinen Maßen entsprechend geschnitten ist.1332 Das Konzept der Gerechtigkeit ist bei Ibn Taymiyya, in Hinsicht auf sowohl materielle als auch auf immaterielle Dinge, eng verknüpft mit der Idee des Guten (ḥusn), die wiederum mit der der Nützlichkeit (manfaʿa oder maṣlaḥa) gleichgesetzt wird.1333 Die Ungerechtigkeit hingegen fällt unter die Schlechtigkeit (qubḥ), welche wiederum mit dem Schaden (maḍarra) identisch ist. Das Wissen darüber, so Ibn Taymiyya, befindet sich bereits in der natürlichen Veranlagung (fiṭra) des Menschen. So schreibt er:
1327 Siehe z. B. Nubuwwāt 1/473. Dort definiert er das Wort ḥikma nicht nur auf die gleiche Weise, wie er das bei dem Begriff ʿadl macht, sondern stellt es auch dem Begriff der Ungerechtigkeit (ẓulm) gegenüber. Siehe auch Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, 20, auch 138 und 140. 1328 Radd 436. 1329 Istiqāma 1/464. 1330 Radd 436. 1331 Siehe MF 28/146. 1332 Radd 436. 1333 Radd 436f. https://doi.org/10.1515/9783110623673-010
290 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute
Wenn die Menschen sagen: „Die Gerechtigkeit ist gut und das Unrecht ist abscheulich“, so meinen sie, dass die Gerechtigkeit von der anerschaffenen natürlichen Veranlagung des Menschen (fiṭra) geliebt wird und das Zustandekommen von ihr [d. h. der Gerechtigkeit] zu Genuss und Freude führt und Nutzen für den Gerechten und für die gerecht Behandelten bringt, und so erquicken sich die Seelen daran. Und wenn sie sagen: „Das Unrecht ist abscheulich“, dann meinen sie, dass es einen Schaden für den unrecht Handelnden und Behandelten darstellt und es verhasst ist. Mit ihm geht Schmerz und Kummer einher, womit die Seelen gequält werden.1334
Im Folgenden soll nun Ibn Taymiyyas Konzept der göttlichen Gerechtigkeit ausgeführt werden. Dabei soll v. a. geklärt werden, was es bedeutet, dass Gott gerecht ist, wieso Er gerecht ist und ob Er die Wahl hat, ungerecht zu sein. Zudem soll aufgezeigt werden, welchen Einfluss Ibn Taymiyyas Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes auf die Beantwortung theologischer Fragen hat; exemplarisch wurden hierzu die nach der Ewigkeit der Hölle und die nach dem Werdegang der im Kindesalter verstorbenen Nachkommen der Nichtmuslime am Jüngsten Tag ausgewählt. In beiden Fragestellungen wird deutlich werden, dass Ibn Taymiyya seiner Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes ein hohes argumentatives Gewicht zuerkennt und er von ihr ausgehend die für diese Fragestellungen relevanten Schriftbeweise deutet. Damit wird ein Aspekt beleuchtet, den die Forschung, in der Ibn Taymiyyas Konzept der Gerechtigkeit bereits mehrfach untersucht worden ist,1335 eher am Rande behandelt hat. Laut Ibn Taymiyya war Gott niemals ungerecht, „vielmehr hat Er jedes Ding an seinen Platz gestellt, obwohl Er die Macht hat, Gegenteiliges zu tun“.1336 Gott wählt aus allen Handlungsoptionen also immer die beste, wodurch sich auch Seine Eigenschaft des Willens konstituiert.1337 Gott hat damit die beste aller möglichen Welten erschaffen, verfügt aber über die Freiheit, eine andersgeartete Welt in die Existenz zu bringen.1338 Ibn Taymiyya merkt an, dass die Handlungsmotivation Gottes in der Zeit entstanden sein muss, da ansonsten das Produkt der Handlung 1334 Radd 423. 1335 Die wichtigsten Arbeiten hierzu sind Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, und Vasalou, Ibn Taymiyya’s Theological Ethics, v. a. Kapitel 4. 1336 ʿĀdil, ǦR 1/129. 1337 ʿĀdil, ǦR 1/141. 1338 ʿĀdil, ǦR 1/141f. Ibn Taymiyya folgt damit der Meinung al-Ġazālīs, welche er auch anführt. Jon Hoover hat hier einen Einfluss Ibn Sīnās auf al-Ġazālī festgstellt; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 225. So eindeutig ist dies jedoch nicht auszumachen, denn das Credo von der realen Welt als der bestmöglichen wurde auch schon lange vor Ibn Sīnā vertreten. So z. B. durch den Muʿtaziliten ʿAbbād Ibn Sulaymān (gest. nach 260/874) und zwar aufbauend auf der aṣlaḥ-Theorie, auf der laut van Ess auch al-Ġazālīs Position aufbaut; siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/32.
10.1 al-ʿadl – die Gerechtigkeit Gottes | 291
ewig wäre. Mit anderen Worten: Wenn es seit jeher gerechter bzw. weiser gewesen wäre, ein bestimmtes Ereignis en in die Existenz zu bringen, dann müsste dieses Ereignis auch seit jeher existieren bzw. vonstattengehen. Ibn Taymiyya antizipiert den einen möglichen Einwand gegen diese Sicht: Wenn die Handlungsmotivation in der Zeit entstanden ist, dann ist sie entweder grundlos entstanden, was unmöglich ist,1339 oder sie hat einen Grund für ihre Entstehung, der jedoch ebenso wieder durch etwas verursacht sein muss, was dazu führen würde, dass ein infiniter Regress angenommen werden muss.1340 Um zu erklären, wie Ibn Taymiyya diesem Einwand entgegnet, bedarf es einer Übersicht über seine Schöpfungslehre, die meines Erachtens am besten als Lehre von der creatio ex creatione (Schöpfung aus dem Erschaffenen) zu bezeichnen ist. Dieser Lehre zufolge ist das schöpferische Wirken Gottes anfangslos, wobei Gott seit jeher in einem dynamischen und komplexen Verhältnis zu Seiner Schöpfung steht. Ibn Taymiyya erklärt, dass alles außer Gott unter den Oberbegriff muḥdaṯ (in der Zeit geworden) fällt. Jedem der darunter fallenden Einzeldinge (Sing.: šaḫṣ) geht seine Nicht-Existenz voraus, zusammen ergeben sie aber den anfangslosen Genus (nawʿ) an erschaffenen Einzeldingen. Gemäß der konzeptualistischen Ontologie Ibn Taymiyyas existiert dieser Genus indes nur als Abstraktion im Kopf und damit nicht als ein extramentales ewiges Sein neben Gott.1341 Jede neuartige Formation der Einzeldinge und ihrer Beschaffenheit löst die Existenzwerdung eines göttlichen Willens aus, im Einklang mit der Weisheit bzw. Gerechtigkeit einen neuen Schöpfungsvorgang durchzuführen. In Gottes weisem Schöpfungsplan führt jedes beliebige Ereignis en dazu, dass das Entstehen des Ereignisses en+1 besser ist als dessen Nichtentstehen. Das Ereignis en ist also die Vorbedingung (šarṭ) für die Formierung des göttlichen Willens, en+1 entstehen zu lassen.1342 Dieser Prozess wiederholt sich dann mit dem Ereignis en+2 und hat weder einen Anfang noch ein Ende. Eine derartige unendliche Kette an Vorbedingungen (tasalsul fī š-šurūṭ) ist laut Ibn Taymiyya, wie in Kapitel 9 schon zum Teil ausgeführt wurde, im Gegensatz zu einem infiniten Regress an Wirkursachen (tasalsul fī l-ʿilal) möglich.1343 Was die Kette der Wirkursachen und ihrer Wirkungen angeht, so endet sie in Ibn Taymiyyas Schöpfungslehre immer bei Gott.1344 1339 Dies aufbauend auf dem Satz vom zureichenden Grund. 1340 Aqwam, MF 8/151f. und 155. 1341 Ḥudūṯ 132 und 107f. 1342 Ḥudūṯ 89. 1343 Siehe auch Ḥudūṯ 87, auch Aqwam, MF 8/152. 1344 Aʿlā, MF 16/445.
292 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Auch Ibn Taymiyya war sich nun der Tatsache bewusst, dass es in der Schöpfung Böses (šarr) gibt. Dies steht aber aus seiner Sicht nicht im Widerspruch dazu, dass Gott die bestmögliche Welt erschaffen hat. So schreibt er: Gott hat nichts erschaffen außer aufgrund einer Weisheit. So sagte der Erhabene: „Der, der alles, was Er erschaffen hat, gut gemacht hat“1345 und Er sagte: „Das Werk Gottes, der alles auf perfekte Weise gestaltete.“1346 Das Erschaffene ist also hinsichtlich der Weisheit, aufgrund derer es erschaffen wurde, gut und weise, und zwar selbst dann, wenn in diesem aus einer anderen Sicht auch Böses liegt. Denn diese Sache [d. h. das Böse] ist akzidentell und partiell, nicht aber ein reines Böses (fa-ḏālika l-amr ʿāriḍ ǧuzʾī laysa šarran maḥḍan ). Vielmehr ist es so, dass das Böse, durch welches ein [das Böse] überwiegendes Gut angestrebt wird, dem weise Handelnden als Gutes zugeschrieben wird. Dies gilt auch dann, wenn es für den, welchem es [d. h. das Böse] inhäriert, etwas Böses darstellt.1347
Ibn Taymiyya ist also der Meinung, dass manche Menschen von etwas Bösem, das Gott erschaffen hat, getroffen werden können, in der Gesamtschau auf die Schöpfung dieses Böse indes stets mit einem ihn überwiegenden Guten einhergeht. Ibn Taymiyya fügt diesem Gedanken noch an, dass die Wesenheiten der Dinge und ihre Verflechtung (ḥaqāʾiq al-umūr wa-irtibāṭ baʿḍihā bi-baʿḍ) es unmöglich machen, eine Welt zu erschaffen, die frei von allem Bösen ist.1348 Es kann nun sein, dass manche Menschen oder auch alle in manchen Fällen die Weisheiten, die hinter dem relativ Bösen stecken, nicht erkennen. Ibn Taymiyya exemplifiziert dies an einer Aussage, die Ǧahm Ibn Ṣafwān zugeschrieben wird. So soll er, nachdem er einen Leprakranken gesehen hatte, verneint haben, dass ein barmherziger Gott eine derartige Krankheit erschaffen hat und schlussfolgerte daraus, dass Gott allein aufgrund Seines Willens handelt. Ibn Taymiyya entgegnet: „Das ist seiner Unwissenheit [d. h. der Ǧahms] geschuldet. Er wusste nicht, was in der Heimsuchung [wie z. B. der Leprakrankheit] an Weisheit, Barmherzigkeit und Nützlichkeit enthalten ist.“1349 Dass Gott über die Möglichkeit verfügt, Ungerechtigkeiten zu begehen, wiederholt Ibn Taymiyya an mehreren Stellen seiner Werke, meist in Abgrenzung zu den Muʿtaziliten und den Ašʿariten.1350 Erstere meinen, dass Gott denselben moralischen Standards unterliegt wie die Menschen, diesen Standards aber mit 1345 1346 1347 1348 1349 1350
Koran 32:7. Koran 27:88. Ǧabr, MF 8/512. Ǧabr, MF 8/512. Nubuwwāt 2/915. Siehe z. B. ʿĀdil, ǦR 1/129; Abū Ḏarr, MF 18/146, und Minhāǧ 1/137.
10.1 al-ʿadl – die Gerechtigkeit Gottes | 293
einer in Seinem Wesen begründeten Notwendigkeit niemals zuwiderläuft.1351 Nach den Ašʿariten hingegen kann Gott per definitionem nicht ungerecht sein. So bedeutet Ungerechtigkeit für sie, dass man entweder mit dem Eigentum anderer ohne deren Erlaubnis zugange ist oder dass man die Befehle eines Höhergestellten missachtet. Gott ist aber der Eigentümer der Schöpfung und es gibt auch niemanden, der Ihm vorsteht, also kann Er, ganz gleich welche Handlung Er durchführt, niemals ungerecht sein.1352 Nach den Ašʿariten könnte Gott die Propheten also in die Hölle und die Sünder ins Paradies eingehen lassen, ohne deswegen ungerecht zu sein.1353 Ibn Taymiyya ist der Ansicht, dass sowohl aus der muʿtazilitischen als auch aus der ašʿaritischen Sicht folgt, dass Gott keinen Dank und kein Lob verdient. Denn das setzt voraus, dass Er ungerecht handeln könnte, wenn Er denn wollte, dies aber lobenswerterweise nicht tut.1354 Darüber hinaus untermauert Ibn Taymiyya seine Sicht, dass Gott die Wahlmöglichkeit hat, ungerecht zu sein, mit einer Überlieferung, in der der Prophet Gott mit den folgenden Worten zitiert: „O meine Diener, Ich habe Mir selbst die Ungerechtigkeit verboten [...] (yā ʿibādī innī ḥarramtu ẓ-ẓulm ʿalā nafsī [...]).“ Wenn, so Ibn Taymiyya, Gott gar nicht ungerecht sein könne, dann wäre dieses Verbot, das Er Sich Selbst auferlegt hat, sinnlos. Den gleichen Gedankengang führt Ibn Taymiyya auch bezüglich der koranischen Aussage an, dass Gott Sich Selbst die Barmherzigkeit vorgeschrieben hat.1355 Auch hier gilt: Könnte Gott gar nicht anders, als barmherzig zu handeln, dann verlöre diese Selbstverpflichtung ihren Sinn.1356 Woher aber kann man die Gewissheit nehmen, dass Gott auch immer gerecht handeln wird? Ibn Taymiyya verweist bei der Beantwortung dieser Frage erstens auf die eben genannte Selbstverpflichtung Gottes. Zweitens schließt er durch Beobachtung der Weisheit und Gerechtigkeit in der Schöpfung auf induktive Weise auf die Regel, dass Gott grundsätzlich weise und gerecht handelt, sodass man allen Grund hat, davon auszugehen, dass dies auch in Zukunft so sein wird.1357 Demnach hat Gott z. B. aus weisen Gründen das Wasser im Meer salzig, das Wasser in den Ohren bitter und das Wasser im Mund süß gemacht. Auch die Anordnung 1351 Das ist die wohlbekannte Sicht, die den Muʿtaziliten zugesprochen wird. Sie wurde jedoch von ihnen keineswegs einheitlich vertreten; siehe Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, Taṣaffuḥ al-adilla, 88, auch van Ess, Theologie und Gesellschaft, 3/403–407. 1352 Siehe z. B. Ašʿarī, Ṯaġr, 241, und Ġazālī, Iqtiṣād, 183f. 1353 Siehe z. B. Bāqillānī, Tamhīd, 343 Z.3–10. 1354 Abū Ḏarr, MF 18/146. 1355 Siehe Koran 6:12. 1356 Abū Ḏarr, MF 18/145. 1357 Im Gegensatz zu Ibn Taymiyya beschränken sich die Ašʿariten auf diese induktive Vorgehensweise. Siehe oben, S. 241.
294 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute der Glieder des Menschen und selbst die Wimpern des Auges zeugen davon, dass Gott voller Weisheit erschafft. Wenn Gott also in diesen Dingen mit Weisheit und Gerechtigkeit vorgeht, dann ist erst recht anzunehmen, dass Er die Menschen voller Weisheit und Gerechtigkeit richten wird; also sündiges Verhalten nicht belohnen und frommes Verhalten nicht bestrafen wird.1358 Das dritte und letzte Argument für Gottes Gerechtigkeit besteht darin, dass die Ungerechtigkeit einen Mangel darstellt und Gott von jeglichem Mangel freizusprechen ist.1359 An mindestens einer Stelle seiner Werke beschreibt er die Weisheit bzw. Gerechtigkeit Gottes als notwendigerweise aus Seinem Wesen folgend. Da er in mehreren Traktaten, wie oben ausgeführt, Gott in konsistenter Weise zuspricht, auch ungerecht handeln zu können, ja diese Aussage für ihn von zentraler theologischer Wichtigkeit ist, da sich nur so Gottes Lobenswürdigkeit begründen lässt, bleibt unklar, ob Ibn Taymiyya sich hier widerspricht oder seine Worte anders zu deuten sind. Die relevante Passage liest sich wie folgt: Wenn nun bewiesen ist, dass Er weise ist und dass Seine Weisheit notwendigerweise aus Seinem Wissen und Seinem Willen folgt, wobei beide [d. h. Wissen und Wille] sich notwendigerweise aus Seinem Wesen ergeben, so gilt auch, dass Seine Weisheit sich notwendigerweise aus Seinem Wesen ergibt. So ist es unmöglich, dass Er etwas macht, außer dass Er dieses [zur Realisierung] einer Weisheit und aufgrund einer Weisheit macht. Und es ist unmöglich, dass Er etwas macht, was der Weisheit entgegensteht.1360
Jon Hoover hat den eben genannten Widerspruch dadurch erklärt, und seine Ausführungen erscheinen plausibel, dass Ibn Taymiyya wohl der Meinung, dass eine sich notwendigerweise aus dem Wesen Gottes ergebende Weisheit, insofern sie durch die Attribute der Macht und des Willens vermittelt ist, nicht der Freiheit Gottes entgegensteht, ungerecht handeln zu können.1361 Es soll nun zu den in der Einleitung des vorliegenden Unterkapitels zwei aufgeworfenen theologischen Fragen übergegangen werden. Dabei wird sich zeigen, inwiefern Ibn Taymiyyas Vorstellung eines gerechten Gottes seine Interpretation der oft mehrdeutigen Quellentexte beeinflusst. Ibn Taymiyya widerspricht, wie bereits ausgeführt, sowohl der Sicht der Muʿtaziliten, dass Gott und die Menschen denselben moralischen Standards unterworfen sind, als auch der der Ašʿariten, dass Gottes Handlungen sich der Bewertung anhand ethischer Kriterien vollends entziehen. Es ist ihm zufolge also durchaus möglich, mit Verweis auf Gottes Gerechtigkeit dafür zu argumentieren, dass Gott bestimmte Handlungen durchführen 1358 Nubuwwāt 2/922–927, v. a. 922 und 927. 1359 Abū Ḏarr, MF 18/146. 1360 Nubuwwāt 2/926. 1361 Siehe Hoover, Ḥanbalī Theology, 640; auch ders., God Acts, 65f.
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und andere unterlassen wird. Das bringt uns zur ersten der zwei theologischen Fragen, und zwar der, ob Gottes Höllenstrafe ewig ist. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī breitet diese Thematik in seinem Tafsīr-Werk an mehreren Stellen aus. In einer dieser Passagen, die sich über knapp fünf Seiten erstreckt,1362 bringt er zuerst Argumente, die er einer nicht weiter spezifizierten Gruppe von Muslimen zuschreibt, die der Meinung sind, dass es überhaupt keine Höllenbestrafung im Jenseits geben wird. Etwa in der Mitte der Passage führt er die Position an – und auch hier sagt er nicht, wer diese vertreten haben soll –, dass es zwar eine Hölle gibt, diese aber vergehen wird. Diese Ansicht wird untermauert mit der Aussage, dass auch bei dem schlechtesten und hartherzigsten Menschen die Rachegelüste gegenüber seinen Gegnern, nachdem diese von ihm bestraft wurden, nachlassen werden und er der anhaltenden Bestrafung überdrüssig wird. Würde er seine Feinde endlos quälen, so würde jeder Außenstehende dies als tadelnswert erachten. Darüber hinaus kann der Mensch sich nur bis zu seinem Tod sündhaft und strafwürdig verhalten, und so ist es nicht nachvollziehbar, wieso er für diesen begrenzten Zeitraum, in dem er seine Missetaten vollzog, unendlich lange bestraft werden soll. Dies sind nur einige der von ar-Rāzī angeführten Argumente. Den gegensätzlichen Standpunkt legt er auf den fünf Seiten in nur drei Zeilen dar. So schreibt er: Was nun diejenigen betrifft, die meinten, dass das Zustandekommen der [jenseitigen] Bestrafung gesichert ist, so sagten sie: „Dass die Strafe eintreten wird, ist uns weitläufig (mutawātir) über den Propheten – möge Gott Frieden und Segen auf ihn legen – überliefert worden, sodass das Leugnen [der Strafe] bedeutet, den Propheten der Lüge zu zeihen. Was die Scheinargumente (šubah) angeht, an denen ihr bei eurer Verneinung der Strafe festgehalten habt, so gründen sie auf [der Idee der rationalen Erkennbarkeit von] Gut und Böse (mabniyya ʿalā l-ḥusn wa-l-qubḥ), und dies vertreten wir in Bezug auf die [Handlungen] Gottes nicht. Und Gott weiß es besser.“1363
Ar-Rāzī bringt diese Meinung aber nicht nur vor, vielmehr hängt er ihr auch selbst an. So schreibt er in seinem Maṭālib, dass in der erschaffenen Sphäre das Erkennen des Guten und Bösen auf rationale Wege möglich ist, für die Handlungen Gottes gilt dies hingegen nicht.1364 Umso erstaunlicher ist es, dass er der Position, dass eine ewige Strafe nicht mit Gottes Weisheit und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen ist, so viel Raum gibt. Vielleicht lässt sich dies dadurch erklären, dass manche Ašʿariten – wie der māturīditische Gelehrte Šayḫzādah (gest. 944/1537) darlegt – eben mit dem Argument, dass die ewige Höllenstrafe zwar real, aber zugleich ohne 1362 Rāzī, Tafsīr, 1/54–58. 1363 Ebd., 1/58. 1364 Siehe Rāzī, Maṭālib, 3/289.
296 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Weisheit ist, ihre Position zu untermauern versuchten, dass Gottes Handlungen nicht unbedingt Seiner Weisheit entspringen müssen.1365 Šayḫzādah selbst entgegnet diesem Argument, dass der Umstand, dass der Mensch keine Weisheit hinter der ewigen Strafe im Jenseits erkennen kann, nicht bedeutet, dass diese Weisheit nicht existiert.1366 Auch Ibn Taymiyya ist der Meinung, wie das oben schon am Beispiel der Aussage Ǧahms exemplifiziert wurde, dass die Weisheit hinter den Taten Gottes manchen oder aber auch allen Geschöpfen verborgen sein kann. Er hätte hierzu also auch eine ähnliche Antwort geben können wie Šayḫzādah. Und doch vertritt er die Meinung, dass es nicht von Weisheit zeugt, jemanden unbegrenzt lange in der Hölle zu bestrafen, weshalb die Strafe als zeitlich begrenzt angenommen werden muss. So schreibt er: Den bösen und ungerechten Seelen [verstorbener Menschen], die – wenn sie [aus dem Jenseits] ins Diesseits zurückgebracht werden würden, bevor ihnen eine Strafe zuteil wurde – sich wieder den verbotenen Dingen zukehren würden,1367 geziemt es nicht, sich im Paradies aufzuhalten, [denn] dies steht im Widerstreit mit [der Eigenschaft der Seelen] zu lügen sowie ungerecht und böse zu sein. Wenn sie nun im Feuer soweit bestraft werden, dass sie vom Bösen gereinigt werden, ist die Weisheit [hinter der Bestrafung] rational erkennbar. Daher gibt es [auch schon] im Diesseits Bestrafung. Die Weisheit hinter der Erschaffung von jemandem, in dem Böses ist, das durch Strafe beseitigt wird, ist [also] rational erkennbar. Die Erschaffung von Seelen jedoch, die Böses im Diesseits und im Jenseits tun und die [deswegen] ewig bestraft werden, ist ein Widerspruch, in dem die Abwesenheit von Weisheit und Barmherzigkeit so klar zum Vorschein kommt wie in sonst keiner anderen Sache.1368
Zwar argumentiert Ibn Taymiyya auch mit Schriftbeweisen, es scheint indes so, dass diese im Lichte seiner Vorstellung und Erwartung von der Gerechtigkeit Gottes gelesen werden und somit nicht den Ausgangspunkt seiner Überlegungen darstellen. Ähnlich verhält es sich bei der zweiten theologischen Frage, und zwar der, was am Jüngsten Tag mit den im Kindesalter verstorbenen Nachkommen der Nichtmuslime geschehen wird. Der ašʿaritische Gelehrte Taqī ad-Dīn as-Subkī (gest. 756/1355), ein Zeitgenosse Ibn Taymiyyas, zählt zu dieser Frage vier Meinungen und ihre jeweiligen Belege auf. Die erste Meinung besagt, dass sie ins Paradies eintreten werden, die zweite, dass sie in die Hölle kommen, die dritte, dass das 1365 Siehe ʿAbd ar-Raḥīm Ibn ʿAlī Šayḫzādah al-Ḥanafī, Naẓm al-farāʾid wa-ǧamʿ al-fawāʾid fī bayān al-masāʾil allatī waqaʿa fīhā l-iḫtilāf bayna l-māturīdiyya wa-l-ašʿariyya fī l-ʿaqāʾid maʿa ḏikr adillat al-farīqayn, in: Bassām al-Ǧābī (Hrsg.), al-Masāʾil al-ḫilāfiyya bayna l-māturīdiyya wa-l-ašāʿira, Beirut: Dār Ibn Ḥazm, 2003, 165–266, hier 209. 1366 Siehe ebd. 1367 Das ist ein inhaltlicher Verweis auf Koran 6:28. 1368 Fanāʾ 82f.
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Urteil Gottes hierzu unbekannt ist, und die vierte, dass sie am Jüngsten Tag einer Prüfung unterzogen werden und je nach Ergebnis ins Paradies bzw. in die Hölle kommen werden.1369 As-Subkī selbst scheint sich nicht festlegen zu wollen, welche der vier Meinungen er favorisiert, und lässt am Ende der Passage gar wissen, dass er nur ungern über solche theologischen Fragestellungen redet.1370 Der hier eben angeführten dritten Meinung hing al-Ašʿarī an und darüber hinaus schrieb er sie auch allgemein den Anhängern der Sunna (ahl as-sunna) zu.1371 ʿAbd al-Qāhir al-Baġdādī lässt – vielleicht mit Blick auf al-Ašʿarī – wissen, dass sich die vorsichtig Zurückhaltenden (al-mutaḥarriǧūn) der ahl as-sunna aufgrund der widersprüchlichen Überlieferungslage einer Antwort enthielten. Er selbst jedoch scheint die an vierter Stelle angeführte Meinung zu favorisieren.1372 Selbiges gilt für Ibn Taymiyya,1373 im Kontext der vorliegenden Arbeit ist relevant, dass er im Gegensatz zu den Ašʿariten auf Gottes Weisheit und Gerechtigkeit verweist, um die Meinung zu verneinen, dass Gott Menschen, die im Kindesalter verstorben sind, in der Hölle peinigen wird. Wie oben bereits ausgeführt, wäre Gott laut den Ašʿariten selbst dann nicht ungerecht, wenn Er die Propheten straft und die Frevler belohnt. Ibn Taymiyya echauffiert sich an einer Stelle über die muǧbira,1374 ein Ausdruck, den er im Kontext der Debatten um die Willensfreiheit des Menschen auf die Ašʿariten münzt, „die die Gerechtigkeit nicht als ein Gegenstück zu möglicher Ungerechtigkeit begreifen, die Er [indes] nicht macht. Vielmehr sagen sie: Das ’ Begehen von Ungerechtigkeit [ist Gott] nicht möglich.‘ Und sie sehen es als erlaubt an, dass Kinder und andere, die niemals eine Sünde begangen haben, bestraft werden.“1375 Sowohl in dieser Frage als auch in der zuvor behandelten bezüglich der Dauer der Höllenstrafe ist deutlich geworden, dass Ibn Taymiyyas Vorstellung der göttlichen Gerechtigkeit eine substanzielle Auswirkung darauf hat, wie er die relevanten Aussagen in der Offenbarung interpretiert. Zu bedenken ist hierbei, dass zu Ibn Taymiyyas Zeiten und danach die Meinung vorherrschte, dass das unendliche Fortdauern der Hölle durch den iǧmāʿ bestätigt ist, zumal ja auch der Koran darauf zu verweisen scheint. Unter anderem deshalb klassifizierte Taqī ad-Dīn as-Subkī 1369 Siehe Taqī ad-Dīn as-Subkī, Fatāwā s-Subkī fī furūʿ al-fiqh aš-šāfiʿī, hrsg. von Muḥammad ʿAbd as-Salām Šāhīn, 2 Bde., Beirut: Dār al-Kutub al-ʿilmiyya, 2004, 2/328–332. 1370 Siehe ebd., 2/332. 1371 Siehe Ašʿarī, Maqālāt, 1/296 Z.13–15. 1372 Siehe Baġdādī, Uṣūl ad-dīn, 261. 1373 Siehe Fiṭra, MF 4/246f. 1374 Gruppenbezeichnung für jene, nach denen der Mensch über keinen freien Willen verfügt. 1375 ʿĀdil, ǦR 1/125.
298 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute die Position Ibn Taymiyyas als Unglaube (kufr).1376 Die Tatsache, dass sich Ibn Taymiyya darüber bewusst gewesen sein dürfte, dass seine Position als skandalös empfunden werden wird, er aber dennoch nicht bereit war, wie z. B. der Māturidit Šayḫzādah für eine unerkennbare, aber doch vorhandene Weisheit hinter einer ewigen Höllenstrafe zu argumentieren, unterstreicht den oben genannten Befund dieses Unterkapitels zusätzlich.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes Laut Ibn Taymiyya gibt es in der Theologie eine Reihe diffiziler Detailfragen (maqāmāt daqīqa muškila), die die muslimische Gemeinde in verschiedene Gruppierungen gespalten haben.1377 Mit dieser Beobachtung möchte er keineswegs den eigenen Anspruch auf Wahrheit relativieren, vielmehr geht es ihm darum, um Nachsicht für die Vertreter der aus seiner Sicht falschen Meinungen zu werben. Insbesondere bei der Fragestellung über den Koran (masʾalat al-Qurʾān), so schreibt er einige Seiten zuvor, ist nicht jeder, der einen Fehler gemacht, eine unerlaubte Neuerung eingeführt, auf Basis von Unwissen argumentiert oder einen Irrweg eingeschlagen hat, als außerhalb des Islams stehend zu betrachten, ja nicht einmal als ein Übertreter (fāsiq) oder Sünder (ʿāṣin ).1378 Tatsächlich hat diese Fragestellung, der in den theologischen Werken besonders der klassischen Phase des Islams – wohl vor allem aufgrund der miḥna des Ibn Ḥanbal – besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, auch unter den ahl al-ḥadīṯ zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt. Das prominenteste Opfer dürfte dabei al-Buḫārī gewesen sein, wie im Weiteren noch ausgeführt wird. Vor dem Hintergrund dieser Streitigkeiten ist auch Ibn Taymiyyas Plädoyer für einen großmütigen Umgang mit anderen Meinungen zu deuten. Das Hauptziel dieses Unterkapitels besteht darin, herauszuarbeiten, wie Ibn Taymiyya die göttliche Eigenschaft der Rede versteht1379 und mit welchen der in Part III dargestellten theoretischen Grundlagen er seine Position argumentativ zu untermauern versucht. Auffällig ist, dass Ibn Taymiyya in dieser Frage viel stärker als sonst bemüht ist, zu zeigen, dass seine Ansichten sich mit denen des 1376 As-Subkī geht aber nicht so weit, Ibn Taymiyya deswegen aus dem Islam ausschließen zu wollen; siehe Jon Hoover, Islamic Universalism. Ibn Qayyim al-Jawziyya’s Salafī Deliberations on the Duration of Hell-Fire, in: The Muslim World 99 (2009), 181–201, hier 187. 1377 Miṣriyya I, MF 12/188f. 1378 Miṣriyya I, MF 12/180. 1379 In der Sekundärliteratur wurde dies schon zusammenfassend dargestellt bei Laoust, Essai sur les doctrines, 169–172, und Hoover, Perpetual Creativity, 296–299.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes |
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Ibn Ḥanbal decken. Bei der Untersuchung wird sich zeigen, dass Ibn Taymiyya die spärlichen und teilweise widersprüchlich erscheinenden Aussagen Ibn Ḥanbals auf äußerst kreative Weise deutet, sodass sie mit seiner eigenen Position im Einklang stehen. In diesem Zuge soll auch auf die Behauptung Wilferd Madelungs eingegangen werden, Ibn Taymiyyas Ansicht, dass der Koran unerschaffen, aber doch zeitlicher Natur ist, decke sich zwar mit der der salaf („pious ancestors“), nicht aber mit der Ibn Ḥanbals, insofern dieser den Koran als ewig (qadīm) erachtet habe.1380 Ein beträchtlicher Anteil der für dieses Unterkapitel relevanten Schriften Ibn Taymiyyas1381 setzt sich auch mit der Widerlegung anderer Auffassungen von der Rede Gottes auseinander. Diese Widerlegungen sollen indes nur soweit zur Sprache kommen, als sie dem oben beschriebenen Erkenntnisinteresse dieses Unterkapitels dienlich sind. Es lohnt sich aber, die Positionen der Muʿtaziliten und der Ašʿariten zu skizzieren,1382 da dadurch Ibn Taymiyyas eigene Ansichten, die 1380 Siehe Wilferd Madelung, The Origins of the Controversy Concerning the Creation of the Koran, in: J. M. Barral (Hrsg.), Orientalia Hispanica sive studia F. M. Pareja octogenario dicata, Bd. I/1, Leiden: Brill, 1974, 504–525, nachgedr. als Teil V mit selbiger Pagination in: Wilferd Madelung (Hrsg.), Religious Schools and Sects in Medieval Islam, London: Variorum Reprints, 1985, hier 512f. und 515. 1381 Zu den wichtigsten gehören: Tisʿīniyya, Azhariyya, und der zwölfte Band des MF, dort v. a. die Schriften Kalām Allāh I, Aḥruf, Baʿlabakkiyya, Miṣriyya I, Miṣriyya II, Kalām Allāh II, Taḥqīq, Kaylāniyya sowie die auf den letzten 100 Seiten des Bandes befindlichen Kurzschriften: Taklīm, Tilāwa, Qurʾān masmūʿ, Mutakallim, Muṣḥaf, Ḥurūf, Šakl, Kalām fī l-Qurʾān und Ḥarf wa-ṣawt. 1382 Auch innerhalb dieser Schulen war man sich nicht in allen Detailfragen einig. Für die Erfüllung des vorliegenden Zweckes genügt es, sich auf die Ansichten zweier prominenter Vertreter ihrer jeweiligen Schulen, nämlich ʿAbd al-Ǧabbār und al-Ǧuwaynī, zu beschränken. Eine darüber hinausgehende Darstellung der Debatte findet sich bei Daniel Gimaret, Kalām, in: Emery van Donzel u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. IV, Leiden: Brill, 1978, 468b– 471a. Weitere wichtige Forschungsbeiträge sind: Madelung, Origins; Josef van Ess, Lafẓ (2. In theology), in: Peri Bearman u. a. (Hrsg.), The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Bd. XII, Leiden: Brill, 2004, 546b; ders., Theologie und Gesellschaft, 3/446–520 (v. a. zur miḥna), 4/179–227 und 625– 630; ders., Ibn Kullāb; Griffel, Rationalist explanation, behandelt die Sicht der falāsifa; Hans Daiber, The Quran as a “Shibboleth” of Varying Conceptions of the Godhead. A 12th Century ḤanbaliteAshʿarite Discussion and Its Theological Sequel in the Protocol of Ibn Qudāma al-Maqdisī, in: Ilai Alon/Ithamar Gruenwald/Itamar Singer (Hrsg.), Israel Oriental Studies. Concepts of the Other in Near Eastern Religions, Leiden: Brill, 1994, 249–295; Michael Cooperson, Classical Arabic Biography. The Heirs of the Prophets in the Age of al-Maʾmūn, Cambridge: Cambridge University Press, 2000, Kap. 4 (zu Aḥmad Ibn Ḥanbal); Allard, Attributs divins, v. a. 146–150 und 232–244; Peters, Created Speech, Kap. 3; sowie Gimaret, Doctrine, 201–208 und 309–322. Die dritte Edition der Encyclopaedia of Islam behandelt die Thematik nun unter einem eigenen Stichwort, jedoch liegt der entsprechende Artikel bezüglich seines Informationsgehalts weit hinter den eben angeführten Einträgen aus der zweiten Edition; siehe Richard Martin, Createdness of the Qurʾān, in: Kate Fleet u. a. (Hrsg.), Encyclopaedia of Islam. Three, Leiden und Boston: Brill, 2015 (3), 70b–72a. Eine
300 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute er oft vor deren Hintergrund und in Abgrenzung zu diesen formuliert, mehr an Kontrast gewinnen. Da sowohl aus der muʿtazilitischen, als auch aus der ašʿaritischen Sicht Gott kein – wie in Unterkapitel 9 dargestellt wurde – Substrat für zeitlich aufkommende Ereignisse darstellt, sind sich beide theologischen Strömungen darin einig, dass es sich bei Gottes Redetätigkeit nicht um einen in Ihm dynamisch stattfindenden Akt handeln kann. Die Muʿtaziliten waren von der Zeitlichkeit und damit auch Erschaffenheit der Rede überzeugt. Rede ist laut ʿAbd al-Ǧabbār dasjenige, „in dem sich eine bestimmte Anordnung dieser [aus dem Alphabet bekannten] intelligiblen Buchstaben zugetragen hat“ (mā ḥaṣala fīhi niẓām maḫṣūṣ min hāḏihī l-ḥurūf al-maʿqūla),1383 wobei eine solche Anordnung immer aus getrennt-artikulierten Lauten (aṣwāt muqaṭṭaʿa) besteht.1384 Die Rede als ein Akzidens bedarf eines Substrats (maḥall), in welchem es Platz greift.1385 Im Falle der göttlichen Rede kann dies, wie zu Anfang dieses Absatzes dargestellt, nun nicht das Wesen Gottes sein. Vielmehr erschafft Gott die Rede außerhalb von Sich Selbst, so diente z. B., als Er zu Moses redete, ein Baum (šaǧara)1386 als Substrat der göttlichen Rede.1387 Dem Einwand, dass somit der Baum bzw. das jeweilige erschaffene Substrat und nicht Gott der tatsächliche Redner (mutakallim) ist, versuchten die Muʿtaziliten durch eine kreative Begriffsdefinition zu entkommen. Ein mutakallim zu sein, bedeutet demnach nicht, dass man ein Substrat für das Akzidens der Rede darstellt, sondern dass man die Rede macht (faʿala) und in die Existenz bringt (aḥdaṯa).1388 Einen anderen Weg gingen die Ašʿariten, die sich der von Ibn Ḥanbal in der miḥna verteidigten Lehre von der Unerschaffenheit der göttlichen Rede anschlossen. Damit lesenswerte Behandlung der Thematik in arabischer Sprache findet sich bei Buḫārī, Ḫalq afʿāl al-ʿibād, 1/321–462 in der Einleitung des Hrsg. Madelung beschreibt Ibn Taymiyya hinsichtlich des Streits über die Rede als ein Attribut Gottes zu Recht als „unusually well informed about the doctrinal issues in the early Muslim community“ (Madelung, Origins, 512f.,) und so stellen auch dessen überblicksartigen Zusammenfassungen der verschiedenen Positionen eine nützliche Quelle dar. Diese sind zu finden in Kalām Allāh I, MF 12/14–36; Aḥruf, MF 12/42–53; Baʿlabakkiyya, MF 12/149–161; Miṣriyya I, MF 12/162–185; Taḥqīq, MF 12/308–322; und Taklīm, MF 12/523–530. 1383 ʿAbd al-Ǧabbār, Muġnī, 7/6. 1384 Ebd., 7/7. 1385 Ebd., 7/26–30. 1386 ʿAbd al-Ǧabbār bezieht sich hier auf Koran 28:30, wo dieser Ausdruck vorkommt. Darunter fällt jedes Gewächs, das einen Stiel oder einen Stamm hat; siehe Aḥmad Ibn Fāris, Muʿǧam maqāyīs al-luġa, hrsg. von ʿAbd as-Salām Muḥammad Hārūn, 6 Bde., o.O.: Dār al-Fikr, 1979, 3/246. Es muss also nicht unbedingt ein Baum gemeint sein. 1387 ʿAbd al-Ǧabbār, Muġnī, 7/90. 1388 Ebd., 7/48.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes | 301
endet jedoch die Einigkeit, und so handelt es sich beim Vordenker der ašʿaritischen Sicht auf das göttliche Attribut der Rede auch nicht um einen Anhänger der ahl al-ḥadīṯ, sondern um den bekannten mutakallim Abū Muḥammad Ibn Kullāb (gest. 241/855).1389 Auf konzise Weise erklärt al-Ǧuwaynī in einem Argument des reductio ad absurdum, wieso die Ašʿariten der Ansicht widersprachen, dass es sich bei der göttlichen Rede um ein in der Zeit entstandenes Phänomen handelt. Ginge man davon aus, dass es sich bei dieser Rede um ein in der Zeit entstandenes Akzidens handelt, so könne nur eines der drei folgenden Sachverhalte zutreffen: Erstens, es inhäriert Gottes Wesen; zweitens, es inhäriert außerhalb von Ihm einem Körper; und drittens, es handelt sich um ein durch sich selbst bestehendes Sein, welches keines Substrats bedarf. Letzteres hält al-Ǧuwaynī für ausgeschlossen, und er begründet das damit, dass Akzidenzien grundsätzlich nicht zu dem Sein gehören, das durch sich selbst besteht. Auch die zweite Möglichkeit scheidet nach al-Ǧuwaynī aus, da er im Gegensatz zu den Muʿtaziliten nicht den Macher (fāʿil) der Rede als den Redenden (mutakallim) ansieht, sondern denjenigen, in dem die Rede inhäriert, sodass bei Annahme der Gültigkeit dieser Möglichkeit Gott Selbst nicht der Redende wäre. Schließlich ist auch die erste Option zu verneinen, da Gott ansonsten, insofern Er das Substrat zeitlicher Rede wäre, Selbst auch zeitlich sein müsste. Die Annahme, dass die Rede zeitlich ist, ist nach al-Ǧuwaynī also dadurch widerlegt, dass sich jede auf ihr aufbauende denkbare Verortung der Rede als falsch erweist. Der einzig gangbare Weg ist seiner Meinung nach, die göttliche Rede als ewig anzusehen, womit sie sich problemlos im Wesen Gottes verorten lässt.1390 Folgerichtig lehnt al-Ǧuwaynī auch die oben angeführte muʿtazilitische Definition der Rede ab. Bestünde die Rede nämlich aus in der Zeit entstandenen getrennt-artikulierten Lauten, müsste sie sich unter der Annahme ihrer Ewigkeit zu einer unendlichen Kette einzelner Laute zusammenfügen; dies jedoch ist laut der ašʿaritischen Position nicht möglich. Die Anhänger der Wahrheit, so al-Ǧuwaynī – und damit meint er natürlich die Ašʿariten – erachten die Rede als ein der Seele inhärierendes Phänomen, das gleichzusetzen ist mit den Gedanken, die im Geiste kreisen (al-fikr allaḏī yadūru fī l-ḫalad).1391 Im ašʿaritischen Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff des kalām nafsī (innere Rede) etabliert. Die ewige, Gott inhärierende Rede 1389 Siehe hierzu oben, S. 78 und 87. 1390 Siehe Abū l-Maʿālī al-Ǧuwaynī, Lumaʿ al-adilla fī qawāʿid iʿtiqād ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa, hrsg. von Fawqiyya Ḥusayn Maḥmūd, 2. Aufl., Beirut: ʿĀlam al-Kutub, 1987, 102f. So ist Gottes Attribut der Rede auch kein Akzidens, da Er laut den Ašʿariten weder aus einer Substanz noch aus Akzidenzien besteht; siehe oben, S. 90. 1391 Siehe Ǧuwaynī, Iršād, 105.
302 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute ist eine Einheit, in der es, anders als bei den Buchstaben und Lauten, keine Abfolge oder Anordnung gibt.1392 Ausdrücke der Sprache oder sonstige Zeichen, so al-Ǧuwaynī weiter, deren durch Konvention Bedeutungen zugeschrieben werden, sind selbst nicht Teil der Rede, sondern verweisen bloß auf diese.1393 Werden diese Ausdrücke als Rede bezeichnet, so geschieht das nach einer unter den Ašʿariten vertretenen Meinung auf eine übertragene und nach al-Ǧuwaynīs persönlicher Sicht homonyme Weise.1394 Gott kann Seine ewige Rede entweder unvermittelt hörbar machen, wie im Falle Seines Gesprächs mit Moses, oder aber auf vermittelte Weise.1395 Dasjenige, was bei diesem Vorgang unter das Verstandene (mafhūm) fällt, gehört zur ewigen Rede Gottes. Die Buchstaben hingegen, die als Laute oder in schriftlicher Form auf die ewige Rede deuten, sind Teil der erschaffenen Welt und damit zeitlich.1396 Ibn Taymiyya erachtet die muʿtazilitische und die ašʿaritische Position als Irrwege, wobei die eine in mancher und die andere in anderer Hinsicht dem Standpunkt der ahl as-sunna näherstehe.1397 So haben die Muʿtaziliten recht in ihrer Annahme, dass die Buchstaben und Laute unter den Begriff der Rede fallen. Ibn Taymiyya begrüßt, dass sie damit, anders als die Ašʿariten, erstens Gottes Redetätigkeit an Seinen Willen knüpfen, zweitens die vom Engel Gabriel an den Propheten Muḥammad überbrachten Koranverse in einem tatsächlichen Sinne als die Rede Gottes anerkennen und sich drittens dem Problem entziehen, erklären zu müssen, wie eine unteilbare, ewige Rede auf verschiedene Bedeutungen verweisen kann.1398 Auf der anderen Seite haben die Ašʿariten richtigerweise angenommen, dass nur derjenige als redend bezeichnet werden kann, dem das Attribut der Rede inhäriert, genauso wie man auch nur dann als wissend, mächtig oder lebendig beschrieben werden kann, wenn die entsprechenden Attribute in einem vorhanden sind.1399 Wenn man nun beide Meinungen zur Rede zusammennimmt, kommt man zu dem, was laut Ibn Taymiyya alle Völker dieser Erde wissen: Die Rede besteht sowohl aus Buchstaben und Lauten als auch aus Bedeutung, ähnlich wie der Mensch aus Körper und Seele besteht.1400 Wie die Ašʿariten erachtet Ibn Taymiyya die göttliche Rede als unerschaffen (ġayr maḫlūq); im Gegensatz zu ihnen beschreibt 1392 Siehe Ǧuwaynī, Lumaʿ, 105. 1393 Siehe Ǧuwaynī, Iršād, 105, und auch Ǧuwaynī, Lumaʿ, 103f. 1394 Siehe Ǧuwaynī, Iršād, 108. 1395 Siehe ebd., 134. 1396 Siehe ebd., 132. 1397 Tisʿīniyya 3/961f. 1398 Tisʿīniyya 3/962 und 963. 1399 Tisʿīniyya 3/962. 1400 Tisʿīniyya 3/967.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes | 303
er die Rede Gottes jedoch als zeitlich (muḥdaṯ) und damit nicht als ewig (qadīm). Damit läuft er der ašʿarītischen Grundannahme zuwider, die besagt, dass Zeitlichkeit und Erschaffenheit logisch miteinander verknüpft sind. Die Verknüpfung negierten laut Ibn Taymiyya viele Muʿtaziliten wie z. B. Abū l-Huḏayl al-ʿAllāf, und darüber hinaus ergebe sie sich auch nicht aus dem Sprachgebrauch (iṣṭilāḥ) der ahl al-ḥadīṯ und der Sprache des Korans (luġat al-Qurʾān).1401 Der Gedanke, dass Unerschaffenheit Ewigkeit impliziert, scheint sich auch bei manchen Autoren in der Sekundärliteratur verfestigt zu haben, sodass dort voreilig auf Basis der Ansicht, dass Ibn Taymiyya den Koran als unerschaffen angesehen hat, geschlossen wurde, dass er ihn auch als ewig beschrieben haben muss.1402 Ibn Taymiyya führt nun einige Koranverse, Prophetenworte und Aussagen der Prophetengefährten an, die aus seiner Sicht dafür sprechen, dass Gott über eine Stimme verfügt.1403 In seiner Schrift Kalām fī l-Qurʾān verweist er darüber hinaus auf eine Stelle im Ṣaḥīḥ-Werk des al-Buḫārī, an der Gott ebenfalls eine Stimme zugeschrieben wird.1404 Weiterhin zitiert er folgende Passage aus al-Buḫārīs Schrift, die aus einer Kapitelüberschrift und einem Kommentar dazu besteht: Kapitel bezüglich dem, was überliefert wurde hinsichtlich der Erschaffung (taḫlīq) der Himmel und der Erde sowie anderer Geschöpfe. Sie ist eine Handlung und ein Befehl (amr) des Herrn – voller Segen und erhaben ist Er. Der Herr ist mitsamt Seiner Attribute, Seiner Handlungen, Seines Befehls und Seiner Rede unerschaffen (ġayr maḫlūq), der Schöpfer und Existenzverleihende (mukawwin). Und was sich aus Seiner Handlung, Seinem Befehl, Seiner Schöpfungstätigkeit und Seiner [Handlung], Existenz zu verleihen, ergibt, so ist dies gemacht (mafʿūl), erschaffen (maḫlūq) und in die Existenz gebracht (mukawwan).1405
Ibn Taymiyya scheint anzunehmen, dass al-Buḫārī, – wenn dieser einerseits von der Unerschaffenheit der göttlichen Rede ausgeht, er Gott aber andererseits als mit einer Stimme sprechend versteht, die in einem bestimmten Moment von den Hörern vernommen wird – auch die Position vertreten haben muss, dass die göttliche Rede zeitlich ist. Diese Annahme ist zwar plausibel, aber einen zwingenden Beweis dafür liefert Ibn Taymiyya nicht.1406 Aus der Sicht Ibn Taymiyyas, und er sieht sich damit 1401 Tisʿīniyya 2/427f. 1402 Siehe Haque, Ibn Taimīyyah, 803; Abdallah, Ibn Taymiyyah’s Theological Approach, 60; und Travis Zadeh, ‘Fire Cannot Harm It’. Mediation, Temptation and the Charismatic Power of the Qur’an, in: Journal of Qur’anic Studies 2008, 50–72, hier 62f. 1403 Tisʿīniyya 2/429. 1404 Siehe Kalām fī l-Qurʾān, MF 12/580 sowie die Kapitelüberschrift bei Buḫārī, Ṣaḥīḥ, 3/1513, Bāb #32. 1405 Ebd., 3/1507, Bāb #27. Ibn Taymiyya zitiert dies in Tisʿīniyya 2/429. 1406 Auf den Standpunkt der ahl al-ḥadīṯ zu der Frage, ob Gottes Rede ewig ist, soll später noch einmal eingegangen werden.
304 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute im Einklang mit der Position der ahl al-ḥadīṯ, ist die Rede Gottes nur insofern ewig, als Ihm dieses Attribut seit jeher zukommt. Konkrete göttliche Sprachakte, also z. B. Seine Unterhaltung mit Moses, entstehen in der Zeit, und zwar genau dann, wenn z. B. Gott mit Moses sprechen will. Als unerschaffen gelten diese Sprechakte, weil ihre Existenz dem Attribut der Rede entspringt und damit nicht durch Gottes Schöpfungstätigkeit hervorgebracht ist. Über das argumentum a fortiori (qiyās awlā) versucht Ibn Taymiyya zu untermauern, dass ein dynamisch in der Zeit redendes Wesen vollkommener ist als eines, das – so die Ansicht der Ašʿariten – mit einer ewigen, wesenhaften Rede ausgestattet ist. So schreibt er: Der durch einen Willen und eine Kraft Redende ist vollkommener als derjenige, dem die Rede notwendigerweise zukommt (lāzim lahū). Auch ist derjenige, der seit aller Ewigkeit reden kann, wann immer er möchte, vollkommener als der, dem es möglich wurde zu reden, nachdem die Rede ihm nicht möglich gewesen war.1407
Mit letzterem Satz wendet sich Ibn Taymiyya gegen die von den Ašʿariten vertretene Ansicht, dass Gott, obwohl Er ewig ist, nicht unendlich oft gesprochen haben kann. Gott müsse demnach irgendwann damit begonnen haben, Laute und Buchstaben zu erschaffen, die auf Seine ewige Rede deuten. Denn wäre dies ohne Beginn, dann müssten die göttlichen Sprachakte von unendlicher Anzahl sein, was jedoch der von den ašʿaritischen Prämisse von der Unmöglichkeit infiniter Regresse zuwiderlaufen würde. Ibn Taymiyya hingegen erachtet die Anzahl göttlicher Sprechakte, und damit die Anzahl der von Gott gesprochenen Wörter, für unbegrenzt. Als Beleg führt er den Vers 18:109 an, in dem es heißt: „Sprich: Selbst wenn der Ozean aus ’ Tinte für die Worte Gottes bestünde, so würde der Ozean versiegen, bevor die Rede Gottes versiegte, selbst dann, wenn wir noch mal so viel an Tinte bereitstellen würden.‘ “1408 Folgt nun aus der Annahme, dass Gott unendlich oft gesprochen hat, dass die Buchstaben und Laute als ewig anzusehen sind? Ibn Taymiyya verneint dies dezidiert und versucht das über seine konzeptualistische Ontologie zu untermauern. So schreibt er: Und wenn gesagt wird: „Er [d. h. Gott] ruft mit Lauten und spricht mit Lauten“, so folgt daraus nicht, dass deswegen ein bestimmter Laut (ṣawt muʿayyan) ewig ist. Daher ist es möglich, insofern Er bereits durch Seinen Willen und Seine Macht [den Inhalt] der Thora, des Korans und des Evangeliums in Worte gefasst hat (takallama), dass Er [den Buchstaben] bāʾ vor dem
1407 Baʿlabakkiyya, MF 12/158. Ibn Taymiyya führt den qiyās awlā auch an anderen Stellen seiner Werke an; siehe z. B. Tisʿīniyya 2/506 und Aḥruf, MF 12/52. 1408 Aḥruf, MF 12/38.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes | 305
sīn ausspricht.1409 Denn auch wenn die Universalien der Buchstaben bāʾ und sīn ewig sind, so bedeutet dies nicht, dass ein bestimmter Buchstabe bāʾ bzw. sīn ewig ist. Dies gründet auf dem, was bekannt ist bezüglich des Unterschieds zwischen dem Universalen und dem Partikularen. Und dieser Unterschied besteht hinsichtlich [der göttlichen Eigenschaft] des Willens, des Redens, des Hörens, des Sehens und anderer solcher Eigenschaften. Damit lösen sich die bestehenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Einheit und Vielheit dieser Eigenschaften und ihrer Ewigkeit bzw. Zeitlichkeit auf. Auch lösen sich die aufgekommenen Schwierigkeiten hinsichtlich der Handlungen Gottes, ihrer Ewigkeit und Zeitlichkeit sowie hinsichtlich der Entstehung der Welt (ḥudūṯ al-ʿālam) auf. Und wenn gesagt wird: „Die Buchstaben des Alphabets sind ewig“ – wobei die Universalie gemeint ist –, so ist das möglich. Dies gilt im Gegensatz dazu, wenn gesagt würde: „Der von Zayd und ʿAmr konkret ausgesprochene Ausdruck ist ewig.“ Damit würde man sich hochmütig über alle Sinneserfahrung stellen. Dahingegen weiß ein Redner, dass vor ihm auch schon die Buchstaben des Alphabets als Universalien existierten. Was aber einen bestimmten Laut betrifft, in dem eine bestimmte Trennung und Anordnung [bei der Lauterzeugung] vonstattengeht, so weiß er [d. h. der Redner], dass dieser [Laut] an sich nicht vor ihm [d. h. dem Redner] existierte. Und die Überlieferungen, die auf Aḥmad [Ibn Ḥanbal] und andere führende Gelehrte der Sunna zurückgehen, stehen mit dieser Ansicht im Einklang. So haben sie jedem widersprochen, der meinte, dass die Buchstaben des Alphabets erschaffen sind.1410
Eine andere Fragestellung, die in der islamischen Geistesgeschichte kontrovers diskutiert wurde, betrifft das Verhältnis zwischen dem Koran als Rede Gottes auf der einen Seite und dem Koran in verschriftlichter Form (muṣḥaf ) sowie in vom Menschen rezitierter Form auf der anderen. Henri Laoust meint, die Thematik habe Ibn Taymiyya arg zu schaffen gemacht und seine Unschlüssigkeit spiegelt sich in seinen unklaren Ausführungen wider.1411 Meines Wissens hat Ibn Taymiyya diese Fragestellung zwar nirgends in zusammenhängender Form behandelt, unter Berücksichtigung aller seiner relevanten Schriften lässt sich jedoch eindeutig feststellen, dass er eine klare Position hatte.1412 Im Rahmen seiner Ausführungen rekurriert er auf das in Kapitel 4.1 behandelte Vierstufen-Modell des Seins. Wie dort schon angemerkt, hatte Frank darauf aufmerksam gemacht, dass auch al-Ġazālī dieses Modell verwendete, um das ašʿaritische Verständnis des Attributs der Rede Gottes zu untermauern. Demnach ist diese Rede eine in der Außenwelt existierende Entität, auf welche der muṣḥaf und die menschliche Lesung des Korans lediglich verweisen. Das Verhältnis zwischen der Rede Gottes auf der einen Seite und dem 1409 In den Debatten zur Rede Gottes werden meist, wenn Buchstaben beispielhaft angeführt werden, diese beiden ausgewählt, weil sie am Anfang der basmala stehen, mit welcher der Koran beginnt. 1410 Baʿlabakkiyya, MF 12/158f. 1411 Siehe Laoust, Essai sur les doctrines, 172. 1412 Laousts Urteil ist möglicherweise auch dem Umstand geschuldet, dass ihm im Jahre 1939 viele der Schriften Ibn Taymiyyas nicht zugänglich waren.
306 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute geschriebenen bzw. rezitierten Koran auf der anderen gleicht damit – um das an einem Beispiel zu verdeutlichen – dem Verhältnis des realen Berges Sinai zu dem schriftlich oder mündlich vorgetragenen Wort Sinai aus dem Koran.1413 Ibn Taymiyya widerspricht dieser Ansicht dezidiert. Dieser Vergleich gilt nach ihm nur dann, wenn auf die Rede Gottes verwiesen wird, wie z. B. im Vers 26:196, in dem es heißt: „Wahrlich, er [d. h. der Koran] befindet sich in den Schriften der Früheren.“ Ibn Taymiyya erklärt, dass hiermit gemeint ist, dass in diesen Schriften die Offenbarung des Korans prophezeit wurde, nicht aber dass sich der Wortlaut oder der Inhalt des Korans darin befunden habe. Dies ist zu unterscheiden von der Aussage, dass sich der Koran in schriftlicher Form in einem wohlverwahrten Buch (kitāb maknūn) befindet.1414 „Denn,“ so schreibt er, „der Koran ist eine Rede und der Rede kommt die dritte Stufe [im Seinsmodell] zu. Zwischen ihr und den Blättern [auf denen die Rede geschrieben wird] gibt es keine Zwischenstufe. Vielmehr ist es die Rede selbst (nafs al-kalām), bloß in schriftlicher Form.“1415 Was für die schriftliche Form, also den muṣḥaf gilt, gilt ebenso für das, was vom Koran mündlich rezitiert wird. Es handelt sich dabei also jeweils um die Rede Gottes selbst (nafs kalām Allāh).1416 Dies gilt laut Ibn Taymiyya auch für die nicht-göttliche Rede, also wenn z. B. Prophetenworte oder Verse eines Gedichts zitiert werden. Seinen Standpunkt führt Ibn Taymiyya folgendermaßen weiter aus: Eine Rede hat kein in jeglicher Hinsicht Gleiches, sodass dieses dann ihr ähneln würde. Vielmehr ist sie eine durch sich selbst erkennbare Angelegenheit (amr maʿqūl bi-nafsihī). So gilt für die erschaffene Rede Zayds, auch wenn sie z. B. nicht mehr existieren sollte und auch die Eigenschaft [der Rede] in ihm [d. h. in Zayd] nicht mehr existiert: Wenn sie von einem Überlieferer tradiert werden sollte, so sagen wir: „Das ist die Rede Zayds.“ [Damit] verweisen wir lediglich auf die Realität (ḥaqīqa), die durch Zayd ihren Anfang nahm und mit der er beschrieben wird. Diese und die andere [Realität] sind ein und dieselbe (hāḏihī hiya tilka biʿaynihā), und damit meine ich die Realität der Form (ḥaqīqa ṣūriyya) und nicht die des Stoffs (mādda). Denn der absolute Laut (aṣ-ṣawt al-muṭlaq) steht zu den getrennt-artikulierten Lautbuchstaben (ḥurūf ṣawtiyya muqaṭṭaʿa) im selben Verhältnis wie der Stoff zur Form. Sie [d. h. die Rede] ist die Rede dessen, der sie zuerst getätigt hatte [in diesem Fall: Zayd], nun nicht aufgrund des absoluten Lautes, an dem die Menschen, die [für den Menschen] unverständlichen Tiere (al-bahāʾim al-ʿaǧam) und die unbelebte Materie teilhaben, sondern aufgrund der Form, die Zayd zusammengestellt hat (allafa), sowie der Bedeutungen, die er ihr zugewiesen hat (maʿa taʾlīfihī li-maʿānīhā). Das Vorkommen der Form in den beiden Stoffen ist nicht wie das Vorkommen der Universalien (anwāʿ) und der Partikularien (ašḫāṣ) in den Einzeldingen und nicht wie das Vorkommen
1413 1414 1415 1416
Dieser wird erwähnt in Koran 95:2. Ibn Taymiyya verweist hier auf Koran 56:77–8; siehe Kaylāniyya, MF 12/384 und 385f. Kaylāniyya, MF 12/385. Kaylāniyya, MF 12/384.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes | 307
der Akzidenzien in den Substanzen und nicht wie alle anderen Formen in deren substanzkonstituierenden Stoffen (mawādd ǧawhariyya). Vielmehr ist sie [d. h. die Rede] eine durch sich selbst bestehende Realität, und nicht zu jeder Realität gibt es ein Gleiches, das mit dieser in jeder Hinsicht übereinstimmt.1417
Da diese Passage nicht ganz leicht zu verstehen ist, lohnt es sich, sie inhaltlich noch einmal in anderen Worten zu formulieren. Ibn Taymiyya ist der Ansicht, dass ein Redender in einem Sprechakt Buchstaben anordnet und damit eine bestimmte Bedeutung intendiert. Das Ergebnis bezeichnet er nun als die Realität der Form, sie geht einher mit der Realität des Stoffes, womit die artikulierten Laute des Redners gemeint sind. Die Realität der Form kann nun von einem anderen als dem Redner reproduziert werden, wobei diesem dann nicht die Rede, sondern nur die Reproduktion der Rede zugeschrieben werden darf. Es handelt sich um die Rede selbst, die dabei reproduziert wird, und nicht um etwas, das lediglich der Rede ähnelt. Das Vorhandensein der Rede im Sprechakt des Redners und in den Sprachakten anderer, die diese Rede reproduzieren, ist daher nicht wie z. B. das Vorhandensein des Menschseins in verschiedenen Menschen zu begreifen. Denn Letzteres ist von Mensch zu Mensch verschieden und kann lediglich aufgrund seiner Ähnlichkeiten zueinander unter den gemeinsamen Begriff des Menschseins gefasst werden.1418 Bei der Rede handelt es sich aber jeweils um ein und dieselbe Rede. Wird in zwei oder mehreren Sprachakten die gleiche Rede vorgebracht, handelt es sich – wie Ibn Taymiyya an anderer Stelle erklärt – nur dann um verschiedene Partikularien, die unter eine Universalie subsumiert werden, wenn keiner der Sprecher die Reproduktion der Rede des anderen Sprechers intendiert hat. Ibn Taymiyya verdeutlicht das an einem Beispiel: Würde jemand einen Gedichtvers ersinnen, ohne zu wissen, dass dieser schon in genau dieser Form und Bedeutung z. B. von dem Dichter Labīd ersonnen wurde, so wäre ihnen beiden jeweils eine eigentümlich zukommende Rede zuzuschreiben.1419 Dass es beim verschriftlichten oder mündlich vorgetragenen Koran um die unerschaffene Rede Gottes handelt, bedeutet laut Ibn Taymiyya nun aber keineswegs, dass der muṣḥaf oder bzw. die Koranrezitation ebenfalls unerschaffen sind. Im Gegenteil sind seiner Ansicht nach die Blätter und die Tinte des muṣḥaf sowie die Bewegungen des Koranrezitators und die dadurch hervorgebrachten Laute und Buchstaben sehr wohl erschaffen. Auch wird bei der Koranlesung die göttliche 1417 Kaylāniyya, MF 12/414f. 1418 Dieses Beispiel bringt Ibn Taymiyya selbst vor; siehe Aḥruf, MF 12/75, und auch Tilāwa, MF 12/547. 1419 Ḥurūf, MF 12/574.
308 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Rede gehört, jedoch vermittelt über den Koranrezitator und nicht direkt,1420 wie dies z. B. bei Moses der Fall war, als Gott mit ihm sprach. An einer anderen Stelle führt Ibn Taymiyya dies weiter aus, wenn er schreibt: Schon Aḥmad [Ibn Ḥanbal] hat deutlich bekundet, dass die Rede der Menschen erschaffen ist. In ihrer Rede benutzen sie lediglich dieselben Wörter und Buchstaben, dessen Gleichartiges (naẓīr) in der Rede Gottes – dem Erhabenen – vorkommt. Jedoch hat Gott – der Erhabene – diese durch eine Ihm zukommende Stimme und durch Ihm zukommende Buchstaben ausgedrückt, wobei diese nicht erschaffen sind. Die Eigenschaften Gottes sind denen der Menschen ungleich, denn es gibt nichts, was Gott gleicht,1421 und zwar weder bezüglich Seines Wesens, noch Seiner Eigenschaften, noch Seiner Handlungen. Die Stimme, mit der Er am Jüngsten Tag die Menschen rufen wird, und die Stimme, die Moses vernommen hat, ist ungleich der Stimmen erschaffener Objekte.1422
Ähnliches formuliert Ibn Taymiyya auch an anderer Stelle, er bringt dort darüber hinaus inhaltlich auch den Ersten Grundsatz der Auslegung der Attribute Gottes vor, welchen er in seiner Schrift Tadmuriyya ausgeführt hatte.1423 Demnach gilt: Wenn es unproblematisch ist, Gott z. B. ein Wissen, eine Kraft und ein Leben zuzuschreiben, die jedoch anders als die der erschaffenen Wesen sind, dann ist es ebenso unproblematisch, Ihm auf gleiche Weise eine bedeutungsvolle Rede, eine Stimme und Buchstaben zuzuschreiben.1424 Wie zu Anfang dieses Kapitels erwähnt, war Ibn Taymiyya darum bemüht, zu zeigen, dass seine Position im Einklang mit der des Aḥmad Ibn Ḥanbal steht. Vielfach führt er folgende Aussage an, die er explizit Aḥmad, aber auch weiteren nicht namentlich genannten Gelehrten zuschreibt: „Wer sagt, dass mein Aussprechen (lafẓī) des Korans erschaffen sei, ist ein Ǧahmit. Und wer sagt, dass mein Aussprechen des Korans unerschaffen sei, der ist einer, der unerlaubte Neuerungen in die Religion einführt (mubtadiʿ).“1425 Zwar nicht von der Formulierung, aber doch zumindest vom Inhalt her berichtet diesen Gedanken schon Aḥmads Sohn von seinem Vater.1426 Sein Zeitgenosse Ibn Qutayba (gest. 276/889) zitiert den Ausspruch in fast denselben Worten, erachtet ihn jedoch als widersprüchlich und urteilt schließlich, dass Aḥmad derart Absurdes nicht gesagt haben kann.1427 1420 Aḥruf, MF 12/98. 1421 Ibn Taymiyya entnimmt die Formulierung dem Koran 42:11. 1422 Aḥruf, MF 12/64f. 1423 Siehe dazu oben, Kapitel 6.3. 1424 Tisʿīniyya 2/541f. 1425 Siehe z. B. Aḥruf, MF 12/74. 1426 Ibn Aḥmad, Kitāb as-Sunna, 1/165f. 1427 Abū Muḥammad Ibn Qutayba, al-Iḫtilāf fī l-lafẓ wa-r-radd ʿalā l-ǧahmiyya wa-l-mušabbiha, mit Erläut. von ʿUmar Ibn Maḥmūd Abū ʿUmar, Riad: Dār ar-Rāya, 1991, 59f.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes | 309
Laut Ibn Taymiyya haben al-Ašʿarī, al-Bāqillānī, Abū Yaʿlā und spätere Gelehrte wie z. B. az-Zāġūnī die Aussage als tatsächlich auf Aḥmad zurückgehend erachtet. Sie verstanden sie jedoch, so Ibn Taymiyya, auf falsche Weise. Denn sie dachten, Aḥmad habe sich damit lediglich gegen die Verwendung des Ausdrucks lafẓ in Bezug auf den Koran ausgesprochen, weil der Ausdruck wörtlich Schleudern (ṭarḥ) und Werfen (ramy)1428 bedeutet und damit die Lesung des Korans auf ungebührliche Weise beschreibt.1429 Ibn Taymiyya legt eine ganz andere Deutung der Aḥmad zugeschriebenen Aussage vor, wobei es sich meiner Kenntnis entzieht, ob er auch ihr Urheber ist. In jedem Fall veranschaulicht sie eindrücklich, wie Ibn Taymiyya durch einen geschickten Umgang mit den meist knappen Aussagen der Gelehrten der ersten drei Jahrhunderte versucht, diese zu Vorläufern seiner meist komplexen und elaborierten theologischen Standpunkte zu machen. So ist laut Ibn Taymiyya die Mehrdeutigkeit des lafẓ-Ausdrucks der Grund dafür, dass sich Aḥmad in der oben zitierten Aussage auf diese Weise geäußert hat. Denn unter dem Wort lafẓ, so Ibn Taymiyya, kann entweder der Akt des Aussprechens verstanden werden, aber auch das Ausgesprochene selbst. Ersteres ist eine Handlung des Menschen, die erschaffen ist, Letzteres der Koran, der unerschaffen ist. Eine undifferenzierte Antwort bezüglich der Frage, ob der von einem Menschen hervorgebrachte lafẓ des Korans erschaffen ist oder nicht, ist also aufgrund der eben beschriebenen Mehrdeutigkeit verboten.1430 Aus meiner Sicht ist es jedoch wahrscheinlicher, dass Aḥmads Aussage Ausdruck seiner wohlbekannten Abneigung ist, über theologische Themen, die nicht explizit in den Quellentexten behandelt werden, zu sprechen.1431 Darüber hinausgehende Fragestellungen wie die, ob der eigene lafẓ des Korans erschaffen ist oder nicht, werden hingegen nicht von Aḥmad selbst, sondern von den von ihm scharf kritisierten spekulativen Theologen aufgeworfen. Nun vertraten aber doch einige unter den ahl al-ḥadīṯ die Meinung, dass der eigene lafẓ des Korans grundsätzlich unerschaffen ist, wobei sie fest davon überzeugt waren, dass auch Aḥmad dies so gesehen hat. Dazu gehört Muḥammad Ibn Yaḥyā 1428 Der Ausdruck lafẓ bezeichnet insofern das Aussprechen von Wörtern, als diese aus dem Mund des Sprechers geschleudert bzw. geworfen werden. 1429 Miṣriyya, MF 12/209, auch Kaylāniyya, MF 12/362. Ohne auf die Position Aḥmads einzugehen, bespricht al-Ašʿarī dies auf die dargestellte Weise bei Ašʿarī, Ibāna, 101. 1430 Ibn Taymiyya führt diese Gedanken an mehreren Stellen seiner Werke aus; siehe z. B. Miṣriyya, MF 12/210; Taḥqīq, MF 12/306f., sowie Kaylāniyya, MF 12/373f. Die gleiche Argumentation, die auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs lafẓ (oder auch qirāʾa) verweist, findet sich bei Ibn Qutayba. Wie oben ausgeführt, löste er damit jedoch im Gegensatz zu Ibn Taymiyya nicht die oben zitierte widersprüchlich erscheinende Aussage Aḥmads auf. Siehe Ibn Qutayba, Iḫtilāf fī l-lafẓ, 63–65. 1431 Siehe dazu z. B. Cooperson, Classical Arabic Biography, 121.
310 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute ḏ-Ḏuhlī (gest. 258/873), der sich mit al-Buḫārī aufgrund dieser Thematik zerstritten hatte und ihn deshalb aus Naysābūr vertreiben ließ.1432 Ibn Taymiyya erkennt aḏ-Ḏuhlī zwar einen hohen Status zu, ergreift jedoch klar Partei für al-Buḫārī.1433 An vielen Stellen seiner Werke berichtet er von einer Unterhaltung zwischen Aḥmad und dessen Schüler Abū Ṭālib,1434 in der ersterer letzteren dafür tadelte, zu behaupten, dass der eigene lafẓ des Korans unerschaffen ist.1435 Ibn Taymiyya beschreibt al-Buḫārī als ein Opfer mancher Ḥanbaliten aus Ḫurāsān, die, wie er schreibt, weniger Wissen über Aḥmads Positionen hatten als ihre Schulkollegen im Irak.1436 Darüber hinaus verweist er auf eine Stelle in al-Buḫārīs Werk Ḫalq afʿāl al-ʿibād, in welchem der Ḥadīṯ-Gelehrte sagt, dass Aḥmads komplizierte Ansichten in dieser Frage wohl nur unzureichend verstanden wurden.1437 Schließlich schreibt Ibn Taymiyya in einem anderem Werk: Folgendes habe ich auf der Rückseite des Buches Kitāb al-ʿUdda gelesen, geschrieben in der Handschrift von al-Qāḍī Abū Yaʿlā: „Ich habe aus dem letzten Teil des Buches Kitāb ar-Risāla von al-Buḫārī zitiert, dass die Lesung (qirāʾa) nicht mit dem Gelesenen (maqrūʾ) gleichzusetzen ist.1438 Zudem sagte er:1439 Mir liegen 22 Überlieferungen vor, die auf Aḥmad ’ zurückgehen sollen, wobei sie sich alle gegenseitig widersprechen. Das aus meiner Sicht Richtige ist, dass noch nie ein Gelehrter behauptet hat, dass der eigene lafẓ des Korans unerschaffen ist.‘ Darüber hinaus sagte er: Die Anhänger Aḥmads haben sich in etwa 50 ’ Gruppierungen gespalten.‘“1440
Ibn Taymiyyas Ausführungen müssen so verstanden werden, dass er seine eigene Position in der Frage der Unerschaffenheit des Korans als diejenige präsentieren möchte, die auch Aḥmad schon vertrat. In keiner anderen Fragestellung ist 1432 Wie Jonathan Brown ausführt, hatte aḏ-Ḏuhlīs Abneigung gegenüber al-Buḫārī andere Gründe, weshalb es sich bei der lafẓ-Thematik mehr um einen Vorwand handelte, auf dessen Grundlage er seine Vertreibung forderte; siehe Brown, Canonization, 66f. 1433 Miṣriyya I, MF 12/207f. 1434 Laoust und ihm folgend Gimaret identifizieren diese Person als Abū Ṭālib al-Makkī (siehe Laoust, Essai sur les doctrines, 172, Fußnote 2, und Gimaret, Kalām, 470a). Dieser ist jedoch im Jahre 386/996 verstorben und war somit kein Zeitgenosse Aḥmads. Tatsächlich handelt es sich um Aḥmad Ibn Ḥamīd Abū Ṭālib al-Miškānī (gest. 244/858-9); zu ihm siehe Ibn Abī Yaʿlā, Ṭabaqāt al-ḥanābila, 1/39f. 1435 Siehe z. B. Miṣriyya I, MF 12/168, und Kaylāniyya, MF 12/350f. 1436 Miṣriyya I, MF 12/208. 1437 Miṣriyya I, MF 12/168. Die Originalstelle findet sich bei Buḫārī, Ḫalq afʿāl al-ʿibād, 2/119 #228. 1438 Es handelt sich dabei um dieselbe Diskussion wie über den lafẓ. 1439 Es ist nicht klar, ob Ibn Taymiyya diese Worte sagt, sodass sich das Pronomen er auf Abū Yaʿlā bezieht, oder ob letzterer der Sprecher ist, sodass damit al-Buḫārī gemeint ist. Aufgrund des Textzusammenhangs halte ich Letzteres für plausibler. 1440 Kaylāniyya, MF 12/366.
10.2 al-kalām – die Rede Gottes |
311
dieses Anliegen derart evident, was damit zusammenhängen dürfte, dass es aus ḥanbalitischer Sicht besonders wichtig ist, dass die eigene Position mit der des Schulgründers in der während der miḥna so zentralen Frage nach dem göttlichen Attribut der Rede auch in Detailfragen im Einklang steht. Ibn Taymiyya muss aber nun erklären, wieso selbst treue Anhänger Aḥmads diesen ganz anders verstanden haben, und er verweist daher, wie dargestellt, auf deren Unwissenheit, die Komplexität der Ansichten Aḥmads und die schwierige Quellenlage. Wie zu Beginn dieses Unterkapitels erwähnt, hat Wilferd Madelung dafür argumentiert, dass Ibn Taymiyyas Ansicht, dass die göttliche Rede zwar unerschaffen, aber nicht ewig ist, zwar mit den salaf im Einklang steht, nicht aber mit Aḥmad. Er stützt sich u. a. auf einen Brief Aḥmads an den Kalifen al-Mutawakkil (reg. 232–247/847–861). Dort habe Aḥmad den Koran als einen Teil des unerschaffenen göttlichen Wissens beschrieben und so sei laut Madelung davon auszugehen, dass der Koran selbst auch unerschaffen sein müsse.1441 Madelungs Behauptung erscheint mir aber nur dann plausibel, wenn man davon ausgeht, dass Aḥmad der Meinung war, dass die Rede Gottes einzig aus der Bedeutung besteht und nicht auch aus Buchstaben und Lauten, bei denen wohl ausgeschlossen werden darf, dass Aḥmad sie als Teil des göttlichen Wissens gesehen hatte. Interessanterweise hat sich Ibn Taymiyya zu diesem Thema geäußert, wobei er die Ansicht, die Madelung hier zu vertreten scheint, u. a. Ibn Ḥazm zuschreibt. So schreibt Ibn Taymiyya: Eine Gruppe, darunter Ibn Ḥazm, interpretierten die Aussagen Aḥmads dahingehend, dass er unter dem lafẓ des Korans rein die Bedeutung verstand und dass er der Meinung war, dass die Bedeutung des Korans letztlich zum Wissen Gottes gehört. So wäre er [d. h. der Koran] vom Wissen Gottes und er [d. h. Aḥmad] hätte mit dem Begriff des Korans nicht sowohl die Buchstaben als auch die Bedeutung gemeint [...]. Dass Aḥmad aber nun gesagt haben soll, dass Gott nicht mit Buchstaben spricht, steht im Widerspruch zu eindeutigen Textbelegen, die von ihm überliefert werden. Was man aber [richtigerweise] sagen könnte, ist, dass der Koran, der ewig und nicht mit Seinem Willen verknüpft ist, die Bedeutung darstellt, die Gott als Wissen bezeichnet hat. Dieser [Koran] ist es, bei dem derjenige, der ihn als zeitlich ansieht, als außerhalb des Islams stehend betrachtet wird.1442
Sollte es stimmen, dass Gott Aḥmad zufolge mit Lauten und Buchstaben redet, dann greift, wie gesagt, Madelungs Argumentation zu kurz, da sie lediglich auf die Bedeutung der Rede Gottes abzielt. Aber auch dann bleibt der genaue Standpunkt Aḥmads, anders als Ibn Taymiyya dies darstellen möchte, unklar. Denn er könnte ja auch die Laute und die Buchstaben als ewig erachtet haben, so wie 1441 Madelung, Origins, 515. 1442 Tisʿīniyya 2/587f.
312 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute das in der ḥanbalitischen Tradition im Gegensatz zu Ibn Taymiyya von vielen Gelehrten vertreten wurde. Jon Hoover stellt daher folgende Vermutung auf: „On the verbal level, Ibn Taymiyya is faithful to the traditional Ḥanbalī doctrine of the Qurʾān’s uncreatedness and he claims that his position is that of Aḥmad b. Ḥanbal. But his introduction of temporal sequence into the speech act of God may be novel in Ḥanbalism.“1443 Es gibt indes ein Indiz dafür, dass zumindest manche Ḥanbaliten schon vor Ibn Taymiyya der Ansicht anhingen, dass der Koran sowohl unerschaffen als auch zeitlich und damit nicht qadīm ist. So echauffiert sich der Māturīdit Abū l-Yusr Muḥammad al-Bazdawī (gest. 493/1099) etwas mehr als zwei Jahrhunderte vor Ibn Taymiyya genau über die eben dargestellte Meinung und schreibt sie explizit den Karrāmiten1444 und den Ḥanbaliten zu.1445 Es bedarf jedoch einer systematischen Untersuchung der ḥanbalitischen Ideengeschichte zu dieser Frage, um sicher feststellen zu können, ob, und wenn ja, von wem, Ibn Taymiyyas Position in der ḥanbalitischen Schule auch schon vor ihm vertreten wurde.1446
10.3 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron Die Frage, wie die koranische Aussage zu verstehen ist, dass Gott Sich über Seinen Thron erhoben hat (istawā),1447 wird von Ibn Taymiyya nicht nur an zahlreichen Stellen seiner Schriften behandelt, er widmet ihr auch mehrere Kurztraktate, von denen einige auf Anfrage verfasst wurden.1448 Ibn Taymiyyas Eifer hierzu verwundert nicht, hatte die Thematik doch, ähnlich wie die Frage nach dem Attribut der Rede, in seiner Zeit längst symbolhaften Charakter erlangt, insofern der größere 1443 Hoover, Ḥanbalī Theology, 639f. 1444 Siehe zu ihnen oben, Fußnote 462. 1445 Siehe Abū l-Yusr Muḥammad al-Bazdawī, Uṣūl ad-dīn, hrsg. von Hans Peter Linss, Erstveröffentl. 1963, Kairo: al-Maktaba al-azhariyya li-t-turāṯ, 2003, 65. Diese Passage wird inhaltlich wiedergegeben bei Brodersen, Der unbekannte kalām, 325. 1446 Yasir Qadhi erachtet den traditionalistischen Gelehrten Ibn Ḫuzayma (gest. 311/923), der jedoch kein Ḥanbalit war, in dieser Frage als einen Vorgänger Ibn Taymiyyas; siehe Qadhi, Polemics, 443f. 1447 Diese wird an sieben Stellen vorgebracht; siehe Koran 7:54, 10:3, 13:2, 20:5, 25:59, 32:4 und 57:4. 1448 Siehe hierzu v. a. den Bd. 1 des Werkes Bayān und den vom Hrsg. erstellten Index in MF 36/102–105 unter den Stichwörtern ʿuluww (Gottes Attribut, Sich in der Höhe zu befinden) und istiwāʾ. Die meisten Verweise dort beziehen sich auf den fünften und sechsten Bd. des MF, in welchen auch die eben erwähnten Kurztraktate zu finden sind. Weitere kurze Schriften sind in dem Sammelwerk ǦM inkludiert; siehe dort 1/61–64, 3/183–192, 3/193–209, 7/335–343 und 7/347–353.
10.3 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron |
313
Disput zwischen den ahl al-ḥadīṯ und den spekulativen Theologen über die korrekte Vorgehensweise bei der Interpretation der Gottesbeschreibungen in den Quellen oft mit besonderem Bezug auf diese zwei Attribute ausgefochten wurde.1449 Laut Abū Ḥafṣ ʿUmar Ibn ʿAlī al-Bazzār (gest. 749/1349), einem Schüler Ibn Taymiyyas, soll sein Lehrer sogar ca. 35 Lagen (Sing.: kurrāsa) allein zu dem Vers „Der Allbarmherzige hat Sich über den Thron (al-ʿarš) erhoben“1450 verfasst haben,1451 was etwa 560 oder 840 Manuskriptseiten entsprechen dürfte.1452 Dass Ibn Taymiyyas Ausführungen so umfangreich sind, bedeutet jedoch keineswegs, dass er auch eine inhaltsreiche Bestimmung des göttlichen Attributs des Sich-Erhebens (istiwāʾ) vorgebracht hat. Im Gegenteil zeigt Ibn Taymiyya in seinen Ausführungen den für die Gruppe der ahl al-ḥadīṯ typischen Widerwillen, bei der Beschreibung der 1449 Dem Attribut des istiwāʾ wurden zahlreiche Schriften gewidmet. Meist erkennt man sie am Titel, insofern dort die Ausdrücke istiwāʾ, ʿuluww oder ʿarš (Thron) vorkommen. Drei solcher Schriften, die alle aus der ersten Häfte des 8./14. Jahrhunderts stammen, seien hier beispielhaft angeführt: Die Schrift Irbiliyya von Ibn Taymiyya (für den vollen Titel siehe das Schriftenverzeichnis der vorliegenden Arbeit), das Werk ar-Risāla al-ʿaršiyya von Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī sowie Ibn ʿAbd al-Hādīs al-Kalām ʿalā masʾalat al-istiwāʾ ʿalā l-ʿarš. 1450 Siehe Koran 20:5. Es ist nicht möglich, diesen Vers frei von theologischen Vorannahmen, welche sich nicht aus dem Text ergeben, ins Deutsche zu übertragen. Nachfolgend seien drei weitere Übersetzungen angeführt, die dieses Problem verdeutlichen. So übersetzt Rudi Paret den Vers auf eine Weise, die im kalām wohl als unzulässiger Anthropomorphismus gedeutet werden würde: „Der Barmherzige hat sich auf den Thron zurechtgesetzt (um die Welt zu regieren).“ Frank Bubenheim und Nadeem Elyas übertragen den Vers in einer vom saudischen Ministerium für Religionsangelegenheiten herausgegebenen Übersetzung wie folgt ins Deutsche: „Der Allerbarmer ist über dem Thron erhaben.“ Über eine Fußnote wird man auf den Anhang verwiesen, in dem dieser Vers unter Rückgriff auf Gelehrte der ahl al-ḥadīṯ nach der Methode des bi-lā kayfa erläutert wird (siehe Frank Bubenheim/Nadeem Elyas, Der edle Qurʾān und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache, Medina: König-Fahd-Komplex, 1422 [=2001-2], 611; interessanterwerweise handelt es sich hierbei um den mit Abstand längsten Eintrag im Anhang). Nach der Übersetzung und Erläuterung von Amir Zaidan, die ganz der spät-ašʿaritischen Theologie folgt (siehe zu ihr unten, Haupttext mit Fußnoten 1453 und 1454), bedeutet der Vers, dass Gott über al-ʿarš – ein Ausdruck, den Zaidan unübersetzt lässt – komplett herrscht. Im Anhang des Buches wird dann die linguistische Bedeutung des Ausdrucks al-ʿarš behandelt und lediglich in negativer Weise dargelegt, was dieser Begriff, insofern er in Bezug auf Gott verwendet wird, nicht bedeutet. So „verstehen die Muslime [...] [darunter] nichts Materielles (Thron oder Ahnliches), auf dem ALLAH (ta’ala) sitzt, da ALLAH (ta’ala) erhaben darüber ist, von Ort oder Zeit abhängig zu sein, und da Seine Attribute mit denen der Menschen nicht vergleichbar sind.“ Amir Zaidan, at-Tafsir. Eine philologisch, islamologisch fundierte Erläuterung des Quran-Textes, Offenbach: Adib, 2000, 409, der Text in den runden Klammern stammt von Zaidan. 1451 Siehe Bazzār, al-Aʿlām, 24. 1452 Eine Lage (engl.: quire) besteht gewöhnlich aus vier oder sechs Bifolia, welche wiederum aus acht bzw. zwölf Blättern (engl.: leaves) und damit aus 16 bzw. 24 Seiten bestehen; siehe Adam Gacek, Arabic Manuscripts. A Vademecum for Readers, Leiden und Boston: Brill, 2009, 213.
314 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Attribute Gottes inhaltlich über die als autoritativ angesehenen Überlieferungen hinauszugehen. Und so lässt sich der Umfang seiner für dieses Unterkapitel relevanten Darstellungen zum einen durch ein hohes Maß an inhaltlicher Redundanz erklären, zum anderen aber auch dadurch, dass sie in erster Linie darauf abzielen, die von ihm in dieser Streitfrage als falsch erachteten Positionen – vor allem die der Ašʿariten – zu entkräften. Er beschränkt sich bei seiner Kritik an den Ašʿariten jedoch weitgehend auf al-Ǧuwaynī und ihm zeitlich nachfolgende Gelehrte wie z. B. al-Ġazālī und v. a. ar-Rāzī, welche sich im Gegensatz zu dem Namensgeber ihrer theologischen Schule eindeutig dafür ausgesprochen hatten, Gottes Attribut des istiwāʾ durch das hermeneutische Instrument des taʾwīl maǧāzī als istīlāʾ (Beherrschen/sich Bemächtigen) oder Ähnliches zu deuten.1453 Al-Ašʿarī hatte sich jedoch, wie gesagt, dezidiert gegen eine derartige Deutung dieses Attributs ausgesprochen,1454 und sein Vordenker Ibn Kullāb, ebenfalls ein spekulativer Theologe, hatte womöglich sogar angenommen, dass Gott den Thron, über den Er Sich erhoben hatte, auch berührt.1455 Dieser Gedanke, den man auch bei Ibn Taymiyya finden kann,1456 galt in der spekulativen Theologie zumindest späterer Zeit jedoch als absolut inakzeptabel.1457 Nach dieser einleitenden Betrachtung soll nun zu dem Zweck des vorliegenden Unterkapitels übergegangen werden, nämlich der Darstellung von Ibn Taymiyyas Ansichten zum Attribut des istiwāʾ. Dabei soll der Fokus vor allem auf die Frage gelegt werden, inwiefern seine Argumente mit seiner in Part II dargestellten Methodik im Einklang stehen. Laut Ibn Taymiyya gehört die Eigenschaft des istiwāʾ zu den Tatattributen (ṣifāt al-afʿāl), welche Gott auf Basis Seines Willens und Seiner Macht entweder ausführen oder unterlassen kann. Daher kann die Eigenschaft auch lediglich durch Schriftbeweise in Erfahrung gebracht werden. Die Tatattribute sind von den Attributen zu unterscheiden, deren Existenz nicht vom göttlichen Willen abhängt, 1453 Siehe Ǧuwaynī, Iršād, 40 (Interpetation des istiwāʾ als qahr [Unterwerfung] und ġalaba [Bemächtigung]); Ġazālī, Iqtiṣād, 51ff., v. a. 55f. (allegorische Deutung als Methode für die Gelehrten [ʿulamāʾ], nicht aber für die Masse [ʿawāmm]); und Rāzī, Asās at-taqdīs, 9. 1454 So schreibt er: „Und Sein Erheben (istiwāʾ) über den Thron darf keineswegs als ein Beherrschen (istīlāʾ) gedeutet werden, so wie das die Anhänger des qadar [d. h. die Muʿtaziliten] vertreten, denn der Mächtige und Hocherhabene beherrscht [sowieso] schon seit jeher alle Dinge.“ Ašʿarī, Ṯaġr, 233f. 1455 Siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/192 mit Fußnote 75. 1456 Dazu später mehr. 1457 Schon über hundert Jahre vor Ibn Taymiyya versuchte der Ḥanbalit Ibn al-Ǧazwī (gest. 597/1201) gegen diese unter seinen Schulkollegen verbreitete Annahme anzuschreiben; siehe van Ess, Theologie und Gesellschaft, 4/408f.
10.3 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron | 315
sondern Seinem Wesen notwendigerweise zukommt. Sie werden als Wesensattribute (ṣifāt aḏ-ḏāt) bezeichnet; zu diesen gehört z. B. auch, dass Gott über der Schöpfung in der Höhe (ʿuluww) ist sowie über eine gewaltige Größe (ʿaẓama) und Macht (qudra) verfügt.1458
Konsequenterweise geht Ibn Taymiyya daher davon aus, dass es eine Zeit gab,
in der Gott das Attribut des istiwāʾ nicht zukam. So ist die Handlung des istiwāʾ
erst nach der Schöpfung der Himmel und der Erde erfolgt und bezieht sich ausschließlich auf den Thron.1459 Bevor nun die spärlichen Aussagen Ibn Taymiyyas zu der Frage zusammengetragen werden, was man unter der Eigenschaft des istiwāʾ
verstehen darf, soll zuerst dargestellt werden, was diese Eigenschaft für ihn keinesfalls bedeuten kann. Nämlich – und dies wiederholt er an vielen Stellen seiner
Werke – dass Gott Sich in der Art über Seinen Thron erhoben habe, wie das auch
erschaffene Wesen, z. B. Könige, tun. Dieser Gedanke ist laut Ibn Taymiyya nicht
nur falsch, sondern auch der Grund dafür, dass man es als notwendig erachtete, die Attribute Gottes umzudeuten. So schreibt er:
Was den Ursprung des Irrwegs [der zur Entleerung der Attribute führte] betrifft, so ist dieser, dass man meint, die Attribute Gottes seien wie die Attribute der Geschöpfe, sodass angenommen wird, dass Gott Sich auf Seinem Thron befinde genau wie ein König auf seinem Stuhl. Das [aber] stellt einen Anthropomorphismus (tamṯīl) und einen Irrglauben dar. Dies ist so, weil der König seines Stuhls bedarf und wenn dieser [d. h. der Stuhl] nicht mehr wäre, so würde er [d. h. der König] herunterfallen. Gott aber ist weder auf den Thron noch auf irgendeine andere Sache angewiesen. Der Thron und alles weitere außer Ihm sind auf Ihn angewiesen. Er trägt den Thron und die, die den Thron tragen.1460 Seine Eigenschaft, Sich über ihm zu befinden, führt nicht notwendigerweise dazu, dass Er seiner bedarf. Denn Gott hat auch in der Schöpfung manches als obenstehend und anderes als untenstehend erschaffen. Dabei hat Er das Obenstehende so kreiert, dass es nicht auf das unter ihm Befindliche angewiesen ist. So hat Er [z. B.] die Luft über die Erde platziert, ohne dass sie dabei auf letztere angewiesen ist. Auch hat Er den Himmel über der Luft erschaffen, wobei auch er ihrer nicht bedarf. Entsprechend gilt in Bezug auf den Hocherhabenen, den Allerhöchsten und den Herrn der Himmel und der Erde und [von allem] was zwischen ihnen liegt, erst recht, dass Er nicht auf den Thron und alle [weiteren] Geschöpfe angewiesen ist, selbst wenn Er Sich über diesen befindet.1461
1458 Nuzūl, MF 5/523; Ed. Ḫamīs 395. Ähnliches wird vorgebracht in Ǧamʿ, MF 5/226f. Die Unterscheidung zwischen Wesens- und Tatattributen geht auf muʿtazilitische Gelehrte des 3./9. Jahrhunderts zurück und fand starke Verbreitung; siehe dazu oben, S. 88. 1459 Ǧamʿ, MF 5/225f. Ibn Taymiyya entnimmt dies dem Wortlaut der Koranverse zum Thema istiwāʾ. 1460 Zu den Trägern des Throns siehe Koran 40:7 und 69:17. 1461 Fāṣil, ǦM 3/201. Hervorhebungen von mir.
316 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute In diesem Zitat kommt Ibn Taymiyyas Haltung gegenüber dem qiyās, die in Kapitel 7.1 eingehend beleuchtet wurde, klar zum Ausdruck. In der ersten Hälfte des Zitats versucht er darzulegen, dass die Position des taʿṭīl, also der Entleerung und Verneinung der Attribute, auf dem qiyās tamṯīl und damit auf einem Anthropomorphismus fußt, in dem Gott Seiner Schöpfung gleichgesetzt wird. In Bezug auf den istiwāʾ auf dem Thron ist dies der Gedankengang, dass dieser Begriff umzudeuten ist, da Gott sonst wie ein menschlicher König auf den Thron als tragendes Element angewiesen wäre. Dass dieser Gedankengang jedoch falsch ist und sich damit auch die allegorische Deutung des Begriffs istiwāʾ erübrigt, versucht Ibn Taymiyya in der zweiten Hälfte des Zitats unter Rückgriff auf den Analogieschluss im Modus des argumentum a fortiori (qiyās awlā) zu demonstrieren. Untersucht man weitere relevante Stellen in Ibn Taymiyyas Werken, so zeigt sich jedoch, dass er seinem Anspruch, nur diese Form des qiyās anzuwenden, ähnlich wie bei der Thematik der Gottesschau1462 nicht gerecht wird. Seine Beweisführung gründet dabei auf der Überzeugung, die im Kapitel zur Ontologie dargestellt wurde, nämlich dass ein jedes Sein zugleich ein Da-Sein ist, in dem Sinne, dass es sich relational zu anderen Seienden verorten lässt. Die von ašʿaritischen Gelehrten wie ar-Rāzī vertretene Meinung, dass sich Gott weder innerhalb noch außerhalb der Welt befindet (lā dāḫil al-ʿālam wa-lā ḫāriǧahū), beschreibt daher laut Ibn Taymiyya lediglich das Nicht-Seiende (al-maʿdūm) oder sogar vielmehr das unmöglich Seiende (al-mumtaniʿ).1463 Auf dieser Basis bringt Ibn Taymiyya eine erhabene Regel (qāʿida ǧalīla) vor, die aufzeigen soll, dass Gott Sich in der Höhe über Seinem Thron befindet, „so wie das im Koran, in der Sunna, durch den Konsens der Gelehrten, durch die klare und richtig angewandte Vernunft und durch die gesunde menschliche Veranlagung (fiṭra), die sich noch in ihrem Urzustand befindet, bestätigt wird“.1464 So schreibt er: Diese [Regel] besteht darin, dass man sagt: „Gott existierte, und neben Ihm existierte nichts, woraufhin Er die Welt erschuf. So kann es nur sein, dass Er sie entweder in Sich erschaffen hat und mit ihr zusammenhängt. Das ist jedoch unmöglich, wegen der Erhabenheit Gottes – des Mächtigen, des Gewaltigen – darüber, dass Er mit dem Schmutz und den rituell unreinen Substanzen und den Teufeln in Berührung ist und mit diesen in Verbindung steht. Oder aber erschuf Er sie außerhalb Seiner Selbst und trat hernach in sie ein. Aber auch das ist unmöglich, weil Gott darüber erhaben ist, Seinen Geschöpfen einzuwohnen (ḥalla). Bezüglich [der Falschheit] dieser zwei Denkmöglichkeiten gibt es keine Meinungsverschiedenheiten
1462 Siehe dazu oben, S. 258. 1463 Bayān 1/322. Zur Position ar-Rāzīs siehe Rāzī, Asās at-taqdīs, 15. 1464 ʿUluww, ǦM 1/63.
10.3 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron | 317
unter den Muslimen. Oder aber Er erschuf sie außerhalb Seiner Selbst und wohnte ihr nicht ein. So ist das die Wahrheit, neben der keine Alternative gültig sein kann.“1465
Möglicherweise hat Ibn Taymiyya selbst erkannt, dass seine Behauptung, dass alles Seiende zueinander in örtlicher Beziehung stehen muss, eine Gott und die Schöpfung umfassende Allaussage konstituiert, die sich durch keinen qiyās awlā absichern lässt und seine Position daher angreifbar macht. Zumindest merkt er an einer Stelle seiner Werke, wenn auch nur beiläufig, an, dass besagte Allaussage gar nicht durch einen qiyās untermauert werden muss, da ihre Richtigkeit bereits von der natürlichen Veranlagung des Menschen erkannt wird.1466 Ibn Taymiyya war sich aber wohl bewusst, dass er mit dieser Argumentation Andersdenkende nicht überzeugen wird. So führt er – und das ist typisch für die Werke der ahl al-ḥadīṯ – zahlreiche Überlieferungen an, die auf bekannte und geachtete Gelehrte der Frühzeit zurückgehen und sich inhaltlich darin überschneiden, dass sie Gott über dem Thron verorten, und zwar manchmal mit dem ausdrücklichen Zusatz bi-ḏātihī (mit Seinem Wesen).1467 Ibn Taymiyya erklärt, dass man sich unter den ahl al-ḥadīṯ uneinig war, ob Gott auch dann mit Seinem Wesen über dem Thron ist, wenn Er, wie es in einem Prophetenwort heißt, im letzten Drittel einer jeden Nacht zum untersten Himmel der Schöpfung herabsteigt. Ibn Taymiyya selbst ist sich jedoch sicher, dass dies der Fall ist und er versucht über einen qiyās awlā zu belegen, dass dies nicht widersprüchlich ist. Denn auch die Seele werde, wenn der Mensch schläft, in den obersten Himmel zu dem Thron befördert, um sich dort vor Gott niederzuwerfen,1468 bleibt währenddessen aber doch in dem Schlafenden verortet.1469 Ibn Taymiyya möchte also sagen, dass, wenn die Seele zu Derartigem in der Lage ist, Gott es erst recht vermag, mit Seinem Wesen über dem Thron zu bleiben, während Er in den untersten Himmel herabsteigt. Darüber hinaus bespricht Ibn Taymiyya die Form des Thrones und kommt aufbauend auf Überlieferungen zu dem Schluss, dass dieser gewölbt ist und wohl den äußersten Himmel der Schöpfung umschließt. Ibn Taymiyya bringt den möglichen Einwand vor, dass, wenn Gott oberhalb des Thrones ist, und dieser die Schöpfung umschließt, Gott aus Sicht der Erdenbewohner in allen Richtungen verortet sein müsse und nicht nur in der obigen. Um dies zuzuspitzen: Wenn Gott für einen bestimmten Menschen als oberhalb von ihm gesehen wird, dann würde sich Gott 1465 ʿUluww, ǦM 1/63. 1466 Bayān 2/311. 1467 Siehe z. B. Bayān 1/167–218, und Marrākušiyya, MF 5/180–193; Ed. Haque 310–318. 1468 Siehe dazu Koran 6:60 und 39:42, wozu die Tradition inhaltlich weitergehende Überlieferungen kennt, die auf den Propheten zurückgehen sollen. 1469 Ǧamʿ, MF 5/242f.
318 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute aus Sicht eines Menschen, der sich auf der anderen Seite der Erdkugel aufhält, in unterer Richtung befinden. Diesem Einwand begegnet Ibn Taymiyya, indem er den Mittelpunkt der Erde als den absoluten Nullpunkt setzt. Wenn zwei Menschen, so sagt er, die sich jeweils auf der entgegengesetzten Seite der Erdkugel befinden, in den Boden gleiten würden, bis sich ihre Fußsohlen im Erdmittelpunkt träfen, dann wäre keiner der beiden unterhalb des jeweils anderen. Denn das Unten endet am Mittelpunkt der Erde. Der Himmel hingegen ist für beide Personen oben. Ibn Taymiyya kritisiert nicht nur den aus seiner Sicht anthropomorphistischen Gedankengang, auf dessen Basis sich die mutakallimūn dazu verpflichtet sehen, das göttliche Attribut des istiwāʾ umzudeuten. Er wendet sich auch gegen die allegorische Deutung selbst, und zwar konkret gegen die weitläufige Ansicht, den istiwāʾ Gottes über Seinen Thron als eine Metapher für die Beherrschung (istīlāʾ) der Schöpfung anzusehen. Er bringt dazu zwölf (teilweise inhaltlich sehr ähnliche) Argumente vor,1470 die im Folgenden zusammengefasst und in Bezug zu den in Ibn Taymiyyas Schrift Madaniyya angeführten vier Bedingungen für einen korrekten taʾwīl maǧāzī gesetzt werden sollen.1471 So sagt er, dass keiner der Prophetengefährten und keiner ihrer Schüler den istiwāʾ-Ausdruck umgedeutet haben. Darüber hinaus meint er, dass die führenden Gelehrten zahlreiche Werke verfassten haben, in denen sie sich gegen eine allegorische Deutung ausgesprochen haben. Sie alle müsste man daher eines Irrtums bezichtigen, wolle man darauf beharren, dass der istiwāʾ im Sinne des istīlāʾ zu verstehen sei.1472 Auch wenn Ibn Taymiyya sich nicht direkt auf seine Schrift Madaniyya bezieht, lässt sich seinen Ausführungen entnehmen, dass er damit die dort an vierter Stelle erwähnte Bedingung – nämlich, dass eine bestimmte allegorische Deutung eines Begriffs bereits vom Propheten gelehrt worden sein muss – als nicht eingehalten ansieht. Im Rahmen seiner zwölf Argumente geht er auf einen Gedichtvers ein, den die Befürworter einer allegorischen Deutung vorbringen, um zu zeigen, dass es sprachlich möglich ist zu sagen, dass man sich über eine Sache erhoben hat, und damit meint, dass man sie beherrscht: „Sodann erhob sich (istawā) Bišr über den Irak, ohne ein Schwert [benutzt] oder Blut vergossen zu haben.“ Laut Ibn Taymiyya ist dieser Vers jedoch schwach überliefert und kann daher nicht als Beweis dafür dienen, dass der istiwāʾ-Begriff in der Sprache auf diese Weise verwendet werden kann. Zudem sollen die Sprachgelehrten, explizit nennt er al-Ḫalīl al-Farāhīdī (gest. 175/791 oder 170/786 oder 160/776), ausdrücklich verneint haben, dass eine derartige Verwendung des istiwāʾ-Ausdrucks im Arabischen gültig ist. Damit ist 1470 Istiwāʾ, MF 5/144–149. 1471 Siehe dazu oben, Kapitel 6.2.2. 1472 Istiwāʾ, MF 5/144 und 147f.
10.3 al-istiwāʾ – die Erhebung Gottes über Seinen Thron |
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nun auch die erste Bedingung, die in der Schrift Madaniyya dargelegt wurde, nicht eingehalten. Andere Sprachgelehrte haben haben sich zwar für die sprachliche Gültigkeit ausgesprochen, fügten jedoch hinzu, dass man den Ausdruck istiwāʾ nur dann im Sinne des istīlāʾ verwenden darf, wenn damit ausgedrückt werden soll, dass jemand erst schwach war und dann mächtig wurde. Über Gott darf so etwas jedoch nicht ausgesagt werden.1473 Folglich läuft eine allegorische Deutung der in der Schrift Madaniyya ausgeführt dritten Bedingung zuwider. Selbiges gilt für die dort angeführte zweite Bedingung, nämlich dass jede allegorische Deutung eines Wortes durch Indizien (Sing.: qarīna) gestützt sein muss. Denn laut Ibn Taymiyya gibt es weder im Koran noch in der Sunna einen Hinweis dafür, dass der istiwāʾ im Sinne des istīlāʾ zu verstehen ist.1474 Im Folgenden seien noch das zweite, dritte und vierte der zwölf Argumente Ibn Taymiyyas zitiert, durch die er zeigen möchte, dass die Bedeutung des Begriffs istiwāʾ den frühen Gelehrten wohlbekannt war und sie dennoch nicht versuchten, ihn allegorisch zu deuten. Wie zu sehen sein wird, stehen Ibn Taymiyyas Ausführungen dazu mit seinem mutašābih-Konzept im Einklang.1475 Das zweite [Argument lautet]: Die Bedeutung dieses Wortes [istiwāʾ] ist wohlbekannt. Und so kam es dazu, als Rabīʿa Ibn Abī ʿAbd ar-Raḥmān (gest. 133/750-1 oder 136/753-4) und Mālik Ibn Anas nach Seiner Aussage „Der Allbarmherzige hat Sich über den Thron erhoben (istawā)“1476 befragt wurden, dass sie beide sagten: „Der [Ausdruck] istiwāʾ ist [hinsichtlich seiner Bedeutung] bekannt, das Wie [der göttlichen Handlung des istiwāʾ] ist unbekannt, die innere Überzeugung [dass Gott den istiwāʾ vollzogen hat] ist eine Pflicht, und die Frage danach [d. h. nach dem Wie] ist eine unerlaubte Neuerung.“1477 Und er [d. h. der Ausspruch] sagt nicht aus, dass die Bedeutung des istiwāʾ nur in der Sprache bekannt ist, nicht aber in dem Koranvers. Denn die Frage bezog sich auf den Begriff des istiwāʾ in dem Vers [und nicht allgemein in der Sprache], ob dieser so gemeint ist, wie die Menschen den istiwāʾ vollziehen.1478 Das dritte [Argument lautet]: Wenn er [d. h. der Ausdruck istiwāʾ] [hinsichtlich seiner Bedeutung] in der arabischen Sprache, in der der Koran offenbart wurde, bekannt ist, ist er [folglich] ebenso im Koran bekannt.
1473 Istiwāʾ, MF 5/146. 1474 Istiwāʾ, MF 5/147. 1475 Siehe dazu oben, Kapitel 6.1. 1476 Koran 20:5. 1477 Im Arabischen liest sich dieser bekannte Ausspruch wie folgt: al-istiwāʾ maʿlūm wa-l-kayfa maǧhūl wa-l-īmān bihī wāǧib wa-s-suʾāl ʿanhu bidʿa. 1478 Der Text scheint mir hier entstellt zu sein. Im Folgenden ist das betreffende Teilstück zitiert, wobei meine Hinzufügung in eckigen Klammern angegeben ist: li-anna s-suʾāl ʿan al-istiwāʾ fī l-āya [hal huwa] ka-mā yastawī n-nās. Jedenfalls geht es Ibn Taymiyya hierbei darum zu untermauern, dass Mālik sich bei seiner Antwort nicht der Methodik des tafwīḍ bedient hatte. Siehe hierzu auch oben, S. 69ff.
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Das vierte [Argument lautet]: Wenn er [d. h. der Ausdruck istiwāʾ] [hinsichtlich seiner Bedeutung] in dem Vers nicht bekannt wäre, so wäre es überflüssig zu sagen, dass das Wie unbekannt ist. Denn das Wissen über das Wie zu negieren, erfolgt [sinnvollerweise] nur bei etwas, das im Grundsatz bekannt ist. So wie wir sagen, dass wir Gott annehmen und innerlich [von Seiner Existenz] überzeugt sind, aber Sein Wie nicht kennen.1479
Auch unter ašʿaritischen Gelehrten wird die Aussage Rabīʿas und Māliks herangezogen, jedoch mit dem Ziel, sie damit als Anhänger des tafwīḍ auszuweisen.1480 Darüber hinaus interpretieren diese Ašʿariten die Aussage dahingehend, dass durch sie nicht nur verneint wird, dass man das Wie der Attribute Gottes kennen kann, sondern auch, dass ihnen überhaupt ein Wie bzw. eine Modalität zukommt.1481 Diese Sicht ist unvereinbar mit Ibn Taymiyyas mutašābih-Konzept, nach dem es keine Wörter im Koran gibt, deren Bedeutung von keinem Menschen gewusst wird. Das Wie des göttlichen Wesens und der Attribute ist den Geschöpfen dagegen unbekannt, wobei es jedoch tatsächlich existiert. In der Tat erscheint eine damit konform gehende Deutung der Aussage Rabīʿas und Māliks plausibel, denn, wie Ibn Taymiyya selbst argumentiert, wäre es schwierig zu erklären, wieso dort das Wie als nicht wissbar beschrieben wird, wenn angenommen wird, dass es gar kein Wie gibt. Allerdings wurde diese Aussage in verschiedenen Formulierungen überliefert, wobei die folgende der ašʿaritischen Auffassung näher kommt. So soll Mālik auf die Frage, wie sich der istiwāʾ Gottes vollzieht, gesagt haben: „ Der ’ Allbarmherzige hat Sich über den Thron erhoben‘ ,1482 genau wie Er [d. h. Gott] Sich Selbst beschrieben hat. Und nach dem Wie darf nicht gefragt werden. Ein Wie [der Handlung des istiwāʾ] ist zu negieren (wa-kayfa ʿanhu marfūʿ)“.1483 Wie bereits ausgeführt, betont Ibn Taymiyya mehrfach, dass man die göttlichen Eigenschaften nicht über einen Vergleich mit den Geschöpfen begreifen kann. Dies gilt ebenso für den istiwāʾ, wobei Ibn Taymiyya im Sinne der in seiner Schrift Tadmuriyya dargelegten zwei Grundsätze1484 argumentiert, nach denen alles, was für Gottes Wesen oder einer bestimmtem Seiner Eigenschaften gilt, auch für alle anderen göttlichen Eigenschaften angenommen werden muss. So schreibt er: 1479 Istiwāʾ, MF 5/144f. 1480 Siehe oben, S. 69ff. 1481 Siehe z. B. Baġdādī, Uṣūl ad-dīn, 112f. und Subkī, Ṭabaqāt, 4/287f. 1482 Siehe Koran 20:5. 1483 Interessanterweise haben al-Baġdādī und as-Subkī diese Version nicht herangezogen. Zu den verschiedenen Versionen dieser Überlieferung und den dahinterstehenden Diskussionen siehe oben, S. 67ff. 1484 Zu diesen siehe oben, Kapitel 6.3.
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Gott hat ein Wesen im eigentlichen Sinne, und auch der Mensch hat ein Wesen im eigentlichen Sinne, aber Sein Wesen ist nicht wie das der Geschöpfe. Und genauso kommt Ihm auch [das Attribut des] Wissens, des Hörens und des Sehens im eigentlichen Sinne zu, und auch dem Menschen kommt [das Attribut des] Wissens, des Hörens und des Sehens im eigentlichen Sinne zu, wobei sein Wissen, sein Hören und sein Sehen nicht wie das Wissen Gottes und Sein Hören und Sein Sehen ist. Und Gott verfügt über [das Attribut] der Rede im eigentlichen Sinne, und der Mensch verfügt über [das Attribut] der Rede im eigentlichen Sinne, die Rede des Schöpfers ist jedoch nicht wie die Rede der Geschöpfe. Und Gott – dem Erhabenen – kommt das Sich-Erheben über den Thron (istiwāʾ ʿalā l-ʿarš) zu, und auch dem Mensch kommt das Besteigen eines Schiffes (istiwāʾ ʿalā l-fulk)1485 zu. Der istiwāʾ des Schöpfers ist jedoch nicht wie der istiwāʾ der Geschöpfe, denn Gott ist weder abhängig von einer Sache, noch bedarf Er einer Sache, vielmehr ist Er über alle Dinge erhaben. Gott trägt den Thron und die Träger des Throns und hält die Himmel und die Erde, sodass sie nicht vergehen.1486 Wer also glaubt, dass sich aus der Aussage der führenden Gelehrten, dass Gott Sich im tatsächlichen Sinne über den Thron erhoben habe, notwendigerweise ergebe, dass Sein istiwāʾ wie der istiwāʾ des Menschen auf ein Schiff oder auf ein Reittier sei, der muss auch annehmen, dass ihre Aussage [d. h. die der führenden Gelehrten], dass Gott über das Attribut des Wissens, des Hörens, des Sehens und des Redens im eigentlichen Sinne verfügt, notwendigerweise bedeutet, dass Sein Wissen, Sein Hören, Sein Sehen und Sein Reden wie das der Geschöpfe ist.1487
Dem antianthropomorphistischen Grundton dieser Passage stehen jedoch andere Aussagen in Ibn Taymiyyas Werken gegenüber, die er anscheinend mit einigem Widerwillen in äußerst knapper Form und nur an wenigen Stellen vorbringt. Es geht dabei um fünf Fragestellungen, zu denen er sich offensichtlich verpflichtet sieht, Stellung zu nehmen, womöglich, weil sie ein Bestandteil der vor ihm stattfindenden Diskurse waren. Wenn Ibn Taymiyya seine Position, dass die Modalität des istiwāʾ unerkennbar bleibt, jedoch konsequent vertreten hätte, hätte er aus meiner Sicht zumindest einige dieser Fragen als ungültig und nicht beantwortbar klassifizieren müssen. Die erste dieser Fragen lautet, ob zwischen Gott und dem Thron eine Berührung (mumāssa) stattfindet. Die anderen vier beziehen sich auf die Gültigkeit von Überlieferungen, in denen es heißt, dass Gott auf dem Thron sitzt (yaǧlisu), dass auch der Prophet am Jüngsten Tag neben Gott auf dem Thron sitzen wird, dass neben Gott noch eine vier Finger breite Fläche auf dem Thron unbesetzt geblieben ist und dass der Thron aufgrund des Gewichts Gottes ächze (yaʾiṭṭu). Im Folgenden sollen Ibn Taymiyyas Antworten auf diese Fragen dargelegt werden. Was die Frage nach der mumāssa angeht, so ist mir in Ibn Taymiyyas umfangreichem Schriftkorpus nur eine Stelle bekannt, an der er sich hierzu positioniert. 1485 Dies ist angelehnt an Koran 23:28. 1486 Hierbei handelt es sich um ein Teilstück von Koran 35:41. 1487 Irbiliyya, MF 5/198f.
322 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Dort schreibt er, dass an den Überlieferungen, die die Möglichkeit der mumāssa
untermauern, nichts Verwerfliches ist, denn auch der Koran deutet darauf, insofern er u. a. Gott auf dem Thron verortet und von Ādams Erschaffung durch die Hände
Gottes spricht. Wenn man Gott sehen kann, so Ibn Taymiyya, dann ist auch anzunehmen, dass eine Berührung zwischen Ihm und etwas Geschaffenem stattfinden
kann.1488 Ibn Taymiyya räumt indes ein, dass nicht nur einige Anhänger des kalām,
sondern auch einige ahl al-ḥadīṯ, darunter Ḥanbaliten, die Möglichkeit einer Berührung zwischen Gott und Seiner Schöpfung verneinten. Tatsächlich zitiert er
nur wenige Seiten zuvor eine dahingehende Aussage, ohne dieser in irgendeiner
Weise zu widersprechen.1489 Wenn Ibn Taymiyyas Ansicht in manchen Kreisen der frühen ahl al-ḥadīṯ verbreitet gewesen sein dürfte,1490 so scheint sie doch in seiner Zeit selbst unter seinen Schülern inakzeptabel gewesen zu sein.1491
Auch die Frage, ob der istiwāʾ dahingehend verstanden werden darf, dass Gott
auf dem Thron sitzt (yaqʿudu oder yaǧlisu), bejaht Ibn Taymiyya, wobei er sich auf
verschiedene Überlieferungen stützt. Darüber hinaus führt er Prophetenworte an, in denen es heißt, dass der Tote im Grab während der Befragung durch die Engel aufrecht sitzen wird. Da dessen materieller Körper aber von der Erde umschlossen
ist, muss es sich, wie Ibn Taymiyya feststellt, um eine andere als die uns bekannte Form des Sitzens handeln.1492 So resümiert er unter Verwendung eines argumentum a fortiori (qiyās awlā):
Wenn nun das Sitzen des Verstorbenen in seinem Grab anders ist als das Sitzen der menschlichen Körper, so ist auch das, was in den Überlieferungen, die auf den Propheten – möge der Frieden und Segen Gottes mit ihm sein – an Ausdrücken wie al-quʿūd und al-ǧulūs in Bezug auf Gott – den Erhabenen – tradiert wurde, [...] erst recht [so zu verstehen], dass sie den Eigenschaften der Körper der Menschen unähnlich sind.1493
1488 Bayān 4/342f. 1489 Bayān 4/281. 1490 Siehe Mustafa Shah, Al-Ṭabarī and the Dynamics of tafsīr. Theological Dimensions of a Legacy, in: Journal of Qur’anic Studies 15.2 (2013), 83–139, hier 105–113, v. a. 112. Auch Ibn Kullāb scheint, wie erwähnt, diesem Gedanken angehangen zu haben; siehe oben, Fußnote 1455. 1491 Sowohl Ibn Qayyim al-Ǧawziyya als auch aḏ-Ḏahabī lehnen die Vorstellung ab, dass Gott den Thron berührt; siehe die Ausführungen des Hrsg. von aḏ-Ḏahabīs Werk Kitāb al-ʿArš, die auch insofern interessant sind, als dass dabei Ibn Taymiyya nicht nur mit keinem Wort als ein Befürworter der Möglichkeit der mumāssa erwähnt wird, sondern auch der Eindruck entsteht, als ob er sie verneint habe: Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Kitāb al-ʿArš, hrsg. von Muḥammad Ibn Ḫalīfa at-Tamīmī, 2 Bde., Riad: Maktabat Aḍwāʾ as-salaf, 1999, 1/231–235. 1492 Nuzūl, MF 5/524–527; Ed. Ḫamīs 396–400. 1493 Nuzūl, MF 5/527; Ed. Ḫamīs 400. Hervorhebungen von mir.
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Die Frage, ob der Prophet am Jüngsten Tag neben Gott auf dem Thron Platz nimmt, scheint Ibn Taymiyya ebenfalls nur an einer Stelle seiner Werke zu beantworten, und das in explizit affirmativer Form.1494 Er beruft sich hierbei auf eine Aussage, die dem bekannten Tafsīr-Gelehrten Muǧāhid (gest. 104/722) zugeschrieben wird. Dieser soll den lobenswerten Platz (maqām maḥmūd), den Gott laut Vers 17:79 dem Propheten am Jüngsten Tag zuerkennen wird, mit dem Thron identifiziert haben. Ibn Taymiyya stellt richtigerweise fest, dass diese Überlieferung in manchen Versionen auch dem Propheten direkt zugeschrieben wird, sagt jedoch nicht, dass diese als nicht gesichert gelten.1495 Darüber hinaus zitiert er noch aus dem TafsīrWerk des aṭ-Ṭabarī, der sich ebenfalls dafür ausspricht, dass der Prophet neben Gott auf dem Thron Platz nehmen wird.1496 Ibn Taymiyya schließt sich damit einer Position an, die im 3./9. Jahrhundert von den ahl al-ḥadīṯ nicht nur mit aller Vehemenz vertreten, sondern sogar zu einem identitätsstiftenden Merkmal erhoben wurde.1497 Hatte man damals jedoch noch eigene Bücher dazu verfasst,1498 widmet Ibn Taymiyya diesem Thema innerhalb seiner zahlreichen Schriften nur noch wenige Zeilen. Als interessante Randbemerkung sei hier noch angefügt, dass der moderne Gelehrte Nāṣir ad-Dīn al-Albānī (gest. 1420/1999), der sich selbst in der Tradition der ahl al-ḥadīṯ begriffen hatte, die Möglichkeit, dass der Prophet neben Gott auf dem Thron sitzen wird, dezidiert verneinte und hochstehende Gelehrte wie Ibn al-Qayyim und aḏ-Ḏahabī dafür kritisierte, Gegenteiliges vertreten zu 1494 Siehe Tafḍīl, MF 4/374. Nāṣir Ibn Ḥamad al-Fahd zieht die Authentizität dieser Schrift in Zweifel, in erster Linie aufbauend auf der Beobachtung, dass diese von anderen Schriften bezüglich des Schreibstils und der Wortwahl abweicht; siehe Nāṣir Ibn Ḥamad al-Fahd, Ṣiyānat Maǧmūʿ al-fatāwā min as-saqṭ wa-t-taṣḥīf, Riad: Maktabat Aḍwāʾ as-salaf, 2003, 8 und 38–43. Seine Argumente sind bedenkenswert, aber nicht zwingend. Zudem lässt Ibn Taymiyya an anderer Stelle wissen, dass er eine eigenständige Schrift zu der Frage verfasst hat, ob die gottesfürchtigen Menschen als höherwertig einzustufen sind als die Engel (siehe MF 4/344). Genau darum geht es in Tafḍīl, und mir ist nicht bekannt, dass sich in Ibn Taymiyyas Schriftkorpus ein weiteres Traktat zu selbiger Thematik befindet. Was den Schreibstil und die Wortwahl angeht, die für Ibn Taymiyya tatsächlich untypisch erscheinen, so lassen sie sich vielleicht dadurch erklären, dass es sich hier möglicherweise um eine sehr frühe Schrift handelt. 1495 Siehe z. B. Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Kitāb al-ʿUluww li-l-ʿAlī al-ʿAẓīm, hrsg. von ʿAbdallāh Ibn Ṣāliḥ al-Barrāk, 2 Bde., Riad: Dār al-Waṭan, 1999, 1/716. Siehe auch Rosenthal, History of al-Ṭabarī, 75. 1496 Da aṭ-Ṭabarī ebenso die Meinung vertritt, dass es sich bei dem lobenswerten Platz um die Erlaubnis zur Fürsprache (šafāʿa) handelt, kam in der Forschung die Vermutung auf, dass er die Sicht, dass der Prophet auf dem Thron Platz nehmen wird, lediglich auf Druck der Ḥanbaliten angenommen haben soll, mit denen er im Streit lag. Dies lässt sich jedoch, wie Rosenthal bemerkt, nicht belegen; siehe ebd., 75f. 1497 Siehe ebd., 71f. 1498 Siehe Shah, Ṭabarī, 109.
324 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute haben.1499 Ähnlich wie in der Frage der mumāssa, scheint sich hier also ein Wandel zu vollziehen bzw. vollzogen zu haben, und zwar im Sinne einer Annäherung an die Positionen der mutakallimūn.1500 Was die Überlieferung betrifft, dass Gott den Thron bis auf eine vier Finger breite Fläche ausfüllt, so könnte man meinen, dass Ibn Taymiyya sie im Lichte der vorhergehenden Thematik als akzeptabel erachtet, insofern er diese Fläche als diejenige identifizieren könnte, auf der der Prophet Platz nehmen wird.1501 Dem ist jedoch keineswegs so und in seinen Ausführungen spielt die vorhergehende Thematik auch keine Rolle. Er ist vielmehr der Meinung, dass die Überlieferung über die freie Fläche auf dem Thron zum einen schwach und zum anderen in widersprüchlichen Versionen überliefert wurde. Gesichert ist seiner Ansicht nach hingegen, dass Gott viel größer ist als der Thron, sodass diese Überlieferung auch inhaltlich abzulehnen ist.1502 Abschließend sei nun die Position Ibn Taymiyyas gegenüber dem Prophetenwort dargestellt, dem zufolge Gott über dem Thron ist und dieser „durch Ihn ächzt, so wie der Sattel aufgrund des Reiters ächzt (innahū la-yaʾiṭṭu bihī aṭīṭ ar-raḥl bir-rākib).“1503 Ibn Taymiyya berichtet, dass manche Gelehrte diese Überlieferung kritisiert haben, und zwar um die Position der Ǧahmiten zu stützen. Dies taten sie ohne die Ansichten der Ǧahmiten zu verstehen und ohne zu erkennen, wie sehr diese darauf abzielen, die Attribute Gottes inhaltlich zu entleeren.1504 Andere, wie z. B. Ibn ʿAsākir (gest. 571/1175), haben laut Ibn Taymiyya die Überlieferung aus Abscheu gegen den Begriff des Ächzens (aṭīṭ) abgelehnt und argumentiert, dass sie lediglich von Muḥammad Ibn Isḥāq (gest. 151/768) überliefert wurde und dieser nicht in klaren Worten ausgedrückt hat, es von seinem Gewährsmann direkt gehört zu haben.1505 Ibn Taymiyya entgegnet, dass die Überlieferung in verschiedenen 1499 Siehe in der Einleitung der von al-Albānī erstellten Kurzfassung von aḏ-Ḏahabīs Werk Kitāb al-ʿUluww Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī, Muḫtaṣar al-ʿUluww li-l-ʿAlī al-Ġaffār, hrsg. von Nāṣir ad-Dīn al-Albānī, Damaskus und Beirut: al-Maktab al-islāmī, 1981, 15–21. 1500 Die ideengeschichtliche Dynamik innerhalb der Gruppe der ahl al-ḥadīṯ nachzuzeichnen, stellt nach wie vor ein Desiderat der Forschung dar. 1501 Ibn Taymiyya verweist auf den nicht näher identifizierbaren Gelehrten Ibn al-ʿĀyiḏ, über den gesagt wird, dass er dies getan habe; siehe Aʿlā, MF 16/436. 1502 Siehe Aʿlā, MF 16/435–439, auch Minhāǧ 2/628–631. 1503 Siehe Bayān 3/249. Ibn Taymiyya bezieht sich in seinen Werken mehrfach auf dieses Prophetenwort und zieht dabei unterschiedliche Versionen heran, die sich jedoch in dem relevanten Punkt inhaltlich überschneiden. 1504 Bayān 3/254. 1505 Bayān 3/254f. Ibn Isḥāq, der aufgrund seines Werkes über das Leben des Propheten Muḥammad besondere Bekanntheit erlangte, gilt unter den Ḥadīṯ-Gelehrten als ein sogenannter mudallis (Verschleierer), dessen Überlieferungen nur dann angenommen werden, wenn er in expliziter
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Strängen von verschiedenen Gelehrten überliefert wurde. Er verweist u. a. auf den Ḥadīṯ-Gelehrten Abū Dāwūd (gest. 275/889), auf Ibn Ḥazm sowie auf Ibn Ḫuzayma (gest. 311/923), der sein Werk Kitāb at-Tawḥīd unter der Maßgabe verfasst hat, nur gesicherte Überlieferungen anzuführen, und dabei auch dieses Prophetenwort mit aufnahm.1506 Aus Ibn Taymiyyas Sicht steht fest, dass dieses ḥadīṯ und ähnliche andere Versionen sowie die, die ähnlich in Wortlaut und Bedeutung sind, seit jeher unter den Gelehrten im Umlauf (mutadāwil) waren und von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden. Und seit jeher überliefern es die salaf der muslimischen Gemeinschaft auf glaubhafte Weise und sie widerlegen diejenigen unter den Ǧahmiten, die es ablehnen, wobei sie [d. h. den Widerlegenden] diesbezüglich [hohe] Akzeptanz erfahren (mutalaqqīna li-ḏālika bi-l-qabūl).1507
Wenige Seiten später macht Ibn Taymiyya eine ähnliche Aussage und bezieht, die genannte Akzeptanz direkt auf die Überlieferung selbst.1508 Damit ist eine der Bedingungen erfüllt, die er in seinem Werk Musawwada vorgebracht hatte und auf deren Basis āḥād-Überlieferungen als gesichert zu gelten haben.1509 Es ist nun aber nicht in erster Linie die Frage nach der Akzeptanz des Prophetenwortes, die zum Streitpunkt zwischen den ahl al-ḥadīṯ und den mutakallimūn wurde. So sah z. B. auch der Ašʿarit Ibn Fūrak kein Problem darin, die Überlieferung als gesichert anzuerkennen. Ihm war jedoch wichtig, dabei zu betonen, dass das Ächzen des Thrones nicht durch ein Körpergewicht (ṯiql al-ǧuṯṯa) ausgelöst wird, da Gott, insofern Er kein Körper ist, auch über kein Gewicht verfügt. Das Ächzen des Thrones wird laut Ibn Fūrak vielmehr durch das Gewicht der Verherrlichung und Verehrung Gottes (ṯiql at-taʿẓīm wa-l-iǧlāl) hervorgerufen. So könne man z. B. auch über die Wahrheit sagen, dass sie schwerwiegend ist, obwohl ihr kein Körpergewicht zukommt.1510 Wie Ibn Taymiyya, der den Ausdruck ṯiql in Bezug auf Gott an wenigen Stellen seiner Werke en passant bespricht, sich hierzu positioniert, bleibt, wie noch zu sehen sein wird, unklar. So führt er eine Überlieferung an, die auf den ProphetenForm kundgibt, diese von seinem Gewährsmann bzw. seiner Gewährsfrau direkt gehört zu haben; siehe z. B. Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Taʿrīf ahl at-taqdīs bi-marātib al-mawṣūfīn bi-t-tadlīs, hrsg. von ʿĀṣim Ibn ʿAbdallāh al-Qarwītī, Amman: Maktabat al-Manār, 1983, 51. Auch al-Bayhaqī (gest. 458/1066) lehnt das Prophetenwort, das von einem Ächzen des Thrones spricht, unter Verweis auf den Überlieferer Ibn Isḥāq ab; siehe Bayhaqī, al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt, 2/319. 1506 Bayān 3/255–258. 1507 Bayān 3/255. 1508 Bayān 3/259. 1509 Siehe dazu oben, Kapitel 7.2, v. a. S. 270. 1510 Siehe Ibn Fūrak, Muškil al-ḥadīṯ, 229f. Ähnlich argumentiert auch der ašʿaritische ḤadīṯGelehrte Abū Sulaymān al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/998), ein Zeitgenosse Ibn Fūraks; siehe Bayhaqī, al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt, 2/320.
326 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute gefährten Kaʿb al-Aḥbār zurückgeht, in der es heißt, dass die Himmel, über denen der Thron und Gott ist, aufgrund des Gewichts von Gott ächzen, welches über ihnen lastet (min ṯiql al-Ǧabbār fawqahunna). Ibn Taymiyya bemerkt dazu, dass diese Überlieferung von den Ehrwürdigsten unter den Gelehrten tradiert wurde, und resümiert daher: „Wenn bei ihnen eine derartige Aussage [über das Gewicht Gottes] in der Religion des Islams als etwas Tadelnswertes (munkar) gegolten hätte, so hätten sie das nicht auf diese Weise überliefert.“1511 Ibn Taymiyya zitiert nun eine längere Stelle aus Abū Yaʿlās Werk Ibṭāl at-taʾwīlāt, in der dieser dafür argumentiert, dass das Gewicht auf dem Thron durch das Wesen Gottes zustande kommt (ṯiqluhū yaḥṣulu bi-ḏāt ar-Raḥmān). Interpretationen nach der Art Ibn Fūraks kritisiert Abū Yaʿlā deutlich.1512 Wie nun aber Ibn Taymiyya dazu steht, bleibt unklar, da er schreibt, dass er dieses Zitat nur deshalb vorgebracht hat, um aufzuzeigen, welche Meinungen zu diesem Thema existieren. Sodann sagt er, dass er die Frage von der Leichtigkeit (ḫiffa) und der Schwere (ṯiql) möglicherweise (rubbamā) noch an geeigneter Stelle behandeln wird.1513 Ob Ibn Taymiyya dem tatsächlich nachgekommen ist, ist mir nicht bekannt; jedenfalls konnte ich in seinen Werken nichts Derartiges finden.
10.4 al-maʿiyya – das Beisein Gottes In vielen Versen gibt der Koran Auskunft darüber, dass Gott bei/mit (maʿa) allen Menschen ist, unabhängig davon, wo diese sich befinden. Oftmals werden auch bestimmte Menschengruppen speziell angesprochen und gesagt, dass Gott bei/mit diesen ist.1514 Ibn Taymiyya bespricht und interpretiert diese Verse in seinen Werken vor dem Hintergrund seiner Kritik an alternativen Sichtweisen. Nach Durchsicht der relevanten Stellen in den Werken Ibn Taymiyyas1515 kann festgestellt werden, dass es sich dabei um drei Gegenpositionen handelt: Erstens, die Meinung, die laut Ibn Taymiyya von den Ǧahmiten früher Zeit (qudamāʾ alǧahmiyya) vertreten wurde, nämlich, dass diese Verse darauf deuten, dass sich Gott mit Seinem Wesen (bi-ḏātihī) an allen Orten der Schöpfung befindet. Dabei handelt es sich laut Ibn Taymiyya um einen Pantheismus (ḥulūl), der für die breite 1511 Bayān 3/268. 1512 Bayān 3/269–274. 1513 Bayān 3/274. 1514 Einige dieser Verse werden im Folgenden noch beispielhaft zitiert. 1515 Dier wichtigsten hiervon sind: Taʾwīl; Minhāǧ 8/372–382; Bayān 5/118–120 und 314–316; Ḥamawiyya, MF 5/102–106; Ed. Tuwayǧirī 520–525; sowie Nuzūl, MF 5/494–502; Ed. Ḫamīs 356– 368.
10.4 al-maʿiyya – das Beisein Gottes | 327
Masse (ʿāmma) der Ǧahmiten attraktiv war, darunter die sich dem Gottesdienst Hingebenden und Sufis unter ihnen (ʿubbād al-ǧahmiyya wa-ṣūfiyyatuhum).1516 Zweitens, die Ansicht der Ašʿariten, nach denen diese Verse nicht darauf deuten, dass Gott mit Seinem Wesen ist, sondern lediglich mit Seinem Wissen bei Seiner Schöpfung ist, oder – aber je nach Kontext des Verses – zusätzlich auch mit Seiner Unterstützung und Hilfe.1517 Wie noch zu sehen sein wird, deckt sich dies zwar inhaltlich mit der Meinung Ibn Taymiyyas, nicht aber in der Methodik, über die man zu dieser Ansicht gekommen ist. Die dritte von Ibn Taymiyya verworfene Meinung behandelt nicht wie die beiden erstgenannten das ontologische Verhältnis Gottes zu Seiner Schöpfung. Sie befasst sich speziell mit dem Vers 9:40, in dem es um zwei Menschen geht, die sich in einer Höhle befinden und von denen der eine zu dem anderen sagt: „Sei nicht traurig, wahrlich, Gott ist mit uns.“ Laut der Tradition handelt es sich bei dem Sprecher um den Propheten Muḥammad, der mit seinem Gefährten Abū Bakr während der Auswanderung von Mekka nach Medina in der Höhle Ṯawr Schutz vor der Verfolgung durch die polytheistischen Mekkaner suchte. Der Schiit Ibn Muṭahhar al-Ḥillī (gest. 726/1325) argumentiert nun dafür – und damit veranlasst er Ibn Taymiyya, die Bedeutung des Beisein Gottes in diesem Vers zu besprechen –, dass dieser Vers keineswegs dahingehend verstanden werden dürfe, dass Abū Bakr hier eine Vorzüglichkeit (faḍīla) zugesprochen wird.1518 Im Folgenden soll nun Ibn Taymiyyas eigenes Verständnis von der maʿiyya Gottes dargestellt werden, wobei deutlich werden wird, wie er sich gegenüber den eben drei genannten Ansichten positioniert. Laut Ibn Taymiyya handelt es sich bei der Partikel maʿa um einen analogen Ausdruck (mušakkik).1519 Das bedeutet, dass er in verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden kann, die über eine semantische Schnittmenge (qadr muštarak) verfügen. So deutet die Partikel maʿa grundsätzlich auf eine unspezifizierte (muṭlaq) Art des Beiseins (muǧāmaʿa), des Begleitens (muṣāḥaba) und des Verbundenseins (muqārana) hin.1520 Die Spezifizierung der semantischen Schnittmenge 1516 Siehe Minhāǧ 8/374f. und auch Ḥuǧaǧ, MF 2/298. 1517 Siehe z. B. Bāqillānī, Tamhīd, 260–262; Ibn Fūrak, Muškil al-ḥadīṯ, 110, und Ġazālī, Iqtiṣād, 53f. 1518 Minhāǧ 8/364f. und 372–374. Die Passage, auf die sich Ibn Taymiyya bezieht, befindet sich bei Ibn Muṭahhar al-Ḥillī, Minhāǧ al-karāma fī iṯbāt al-imāma, lithograph. Nachdr. eines Manuskripts, o. O. [Iran]: o. V., 1294 [=1877], 88 Z. 8ff. 1519 Siehe Ḥamawiyya, MF 5/105f.; Ed. Tuwayǧirī 524f. Ibn Taymiyyas Konzept von den mušakkikAusdrücken wurde in dieser Arbeit bereits in Kapitel 5.2 behandelt. 1520 Siehe Ḥamawiyya, MF 5/103 und 104; Ed. Tuwayǧirī 519 und 523; siehe auch Nuzūl, MF 5/499; Ed. Ḫamīs 362f. An einer Stelle ersetzt er das Wort muǧāmaʿa durch das Wort mušāraka (Teilnahme); siehe Taʾwīl, ǦM 3/166.
328 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute und das Hinzukommen weiterer Bedeutungen erfolgen aufgrund des größeren Zusammenhangs (siyāq), in dem sich ein konkreter Sprechakt ereignet.1521 Ibn Taymiyya verdeutlicht dies folgendermaßen: Sodann unterscheidet sich der Ausdruck maʿiyya hinsichtlich dessen, was darunter zu verstehen ist, je nach seinen Verwendungsweisen (mawārid). Als [Gott] sagte: „Er ist dessen kundig, was in die Erde eindringt und was aus ihr herauskommt und was vom Himmel herabsteigt und was zu ihm emporkommt. Und Er ist bei euch, wo auch immer ihr euch befindet“,1522 so deutete die etablierte Bedeutung dieser Rede (ẓāhir al-ḫiṭāb),1523 welche unter dieser maʿiyya zu verstehen ist, darauf hin, dass Er euch [d. h. die Menschen] beobachtet, ein Zeuge über euch ist, über euch wacht und euch [genauestens] kennt. Das ist die Bedeutung der Aussage der salaf, als sie sagten: „Er ist mit euch kraft Seines Wissens (bi-ʿilmihī).“ Und das ist die etablierte und wirkliche Bedeutung der Rede. Und so verhält es sich auch bei Seiner Aussage: „Es gibt keine vertrauliche Unterhaltung dreier, ohne dass Er als Vierter unter ihnen ist“ bis hin zu Seiner Aussage „und Er mit ist ihnen, wo immer sie sich auch befinden.“1524 Als der Prophet – möge der Friede und Segen Gottes auf ihm sein – in der Höhle zu seinem Gefährten sagte: „Sei nicht traurig, wahrlich, Gott ist mit uns“,1525 war das, wenn man es der etablierten Bedeutung gemäß versteht, die [reine] Wahrheit. Die Situation [des Sprechakts] deutet darauf hin, dass unter dieser maʿiyya neben der [göttlichen] Beobachtung auch die [göttliche] Hilfe (naṣr) und Unterstützung (taʾyīd) zu verstehen ist. Dies ist auch der Fall bei Seiner Aussage: „Wahrlich, Gott ist mit denen, die gottesfürchtig sind, und denen, die Gutes tun“1526 und bei Seiner Aussage zu Moses und Aaron: „Wahrlich, Ich bin mit euch, Ich höre und Ich sehe.“1527 [Auch] hier ist die maʿiyya gemäß der etablierten Bedeutung (ẓāhir) zu verstehen, und zwar im Sinne von Hilfe und Unterstützung.1528
Ibn Taymiyyas Ausführungen decken sich überwiegend mit denen von alBāqillānīs, und zwar sowohl hinsichtlich der Auswahl der Verse als auch hinsichtlich ihrer Interpretation. Dies gilt jedoch nicht für das Interpretationsverfahren. So ist al-Bāqillānī der Meinung, einen taʾwīl – und damit meint er den in Kapitel 6.2 besprochenen taʾwīl maǧāzī – anwenden zu müssen, um dem aus seiner Sicht falschen pantheistischen Verständnis zu entgehen, dass die Verse darauf deuten, dass Gott überall mit Seinem Wesen zugegen ist.1529 Selbiges findet sich auch bei 1521 Taʾwīl, ǦM 3/164f. 1522 Teilstück von Koran 57:4; Hervorhebung von mir. 1523 Die auf den ersten Blick naheliegende Übersetzung mit der äußere Sinn der Rede wurde hier nicht gewählt, da sie nicht mit Ibn Taymiyyas ẓāhir-Konzept vereinbar ist; siehe oben, Fußnote 740. 1524 Jeweils Teilstücke von Koran 58:7. 1525 Teilstück von Koran 9:40. 1526 Koran 16:128. 1527 Teilstück von Koran 20:46. 1528 Ḥamawiyya, MF 5/103f.; Ed. Tuwayǧirī 521f. 1529 Siehe Bāqillānī, Tamhīd, 261f.
10.4 al-maʿiyya – das Beisein Gottes | 329
Ibn Fūrak1530 und noch stärker bei al-Ġazālī, der der Partikel maʿa eine eigentliche und eine übertragene Bedeutung zuerkennt. Die eigentliche Bedeutung komme dem Unwissenden (ǧāhil) beim Lesen dieser Verse als erstes in den Sinn, die übertragene dem Wissenden (ʿālim).1531 Dass Ibn Taymiyya diese Sicht ablehnt, klang bereits im obigen Zitat an. Deutlicher formuliert er seine Kritik in seiner Schrift Taʾwīl. Dort bringt er, nachdem er den taʾwīl maǧāzī definiert hat, zwei Gegenargumente vor: Das erste der beiden [Argumente lautet]: Keiner der Sprachgelehrten sagte, dass die maʿiyya [von der Bedeutung her] notwendigerweise auf eine Vermischung (mumāzaǧa) oder Vermengung (muḫālaṭa) weist oder aber [mit ihr] eine [ortsbezogene Verhältnisbestimmung im Sinne von] rechts oder links einhergeht oder aber andere solcher Bedeutungen, die in Bezug auf Gottes maʿiyya mit Seiner Schöpfung negiert werden müssen. Das Einzige, was aus ihm [d. h. dem Ausdruck maʿiyya] notwendigerweise folgt, ist [die Bedeutung eines] unspezifizierten Begleitens und Verbundenseins (al-muqārana wa-l-muṣāḥaba al-muṭlaqa).1532
Im zweiten Argument führt Ibn Taymiyya einige Koranverse an, in denen vom Beisein zweier oder mehrerer Wesen die Rede ist, ohne dass dabei ein gemeinsames Zugegensein am selben Ort intendiert wird. Daraufhin fährt er mit folgenden Worten fort: Und solcherlei [Verse] gibt es viele im Buch Gottes. Und nichts dergleichen [weist darauf hin], dass die Bedeutung [des Ausdrucks] der maʿiyya beinhaltet, dass das eine in dem anderen Platz greift, sich mit ihm vermischt oder vermengt. Wer also sagt, dass die etablierte Bedeutung (ẓāhir) Seiner Aussage „Und Er ist mit euch [...]“ (wa-huwa maʿakum)1533 und weiterer, die dieser ähnlich sind, darauf weist, dass Gott mit Seinen Geschöpfen vermengt und vermischt ist und in ihnen Platz greift oder Er sie berührt (mumāssin lahum), so hat er sich der Lüge gegenüber dem Koran und der Sprache der Araber schuldig gemacht und darüber hinaus behauptet, dass dieser Unglaube aus der offensichtlichen Bedeutung (ẓāhir)1534 des Korans hervorgeht. So wäre das eine Lüge gegenüber Gott und Seinem Gesandten, welche ohne Argument oder Beweis einhergeht.1535
Dieses Zitat unterstreicht, was in dieser Arbeit schon in Kapitel 5 herausgearbeitet wurde, nämlich dass es falsch ist, aus Ibn Taymiyyas Kritik am taʾwīl maǧāzī zu schließen, dass er selbst einer literalistischen Methodik anhängt. 1530 Siehe Ibn Fūrak, Muškil al-ḥadīṯ, 110. 1531 Siehe Ġazālī, Iqtiṣād, 53f. 1532 Taʾwīl, ǦM 3/161. 1533 Aus Koran 57:4. 1534 Hier scheint mir Ibn Taymiyya den ẓāhir-Begriff in der gängigen Art zu verwenden, also nicht im Sinne von etabliert Bedeutung. 1535 Taʾwīl, ǦM 3/162.
330 | 10 Ausgewählte Beispiele göttlicher Attribute Abschließend soll noch auf die schon oben angesprochene Auseinandersetzung zwischen Ibn Taymiyya und al-Ḥillī bezüglich der richtigen Interpretation des Verses 9:40 eingegangen werden. Laut Ibn Taymiyya unterteilt sich Gottes maʿiyya in eine allgemeine (ʿāmma) und eine spezielle (ḫāṣṣa). In ihrer allgemeinen Form umfasst sie die gesamte Schöpfung, in dem Sinne, dass Gott aller Dinge kundig ist. Die maʿiyya Gottes im speziellen Sinne umfasst dagegen nur die Gottesfürchtigen und deutet auf die göttliche Unterstützung und Hilfe hin. Al-Ḥillī argumentiert, dass die in dem Vers beschriebene Tröstung Abū Bakrs durch den Propheten und seinen Aussage, dass Gott mit ihnen ist, u.a. einen Beweis für das geringe Gottvertrauen Abū Bakrs sowie seine Ungeduld und Ängstlichkeit darstellt.1536 Dahingegen erachtet Ibn Taymiyya den Vers als eine Ehrung Abū Bakrs, u. a. deswegen, weil er hier als ein Gefährte (ṣāḥib) des Propheten beschrieben wird. Ibn Taymiyya vergleicht diesen Vers mit einer anderen Stelle im Koran, in der Gott zu Moses und Aaron sagt: „Wahrlich, Ich bin mit euch, Ich höre und Ich sehe.“1537 In beiden Versen geht es um Propheten und deren Gefährten, und in beiden Versen, so Ibn Taymiyya, handelt es sich um die spezielle Form der maʿiyya, also diejenige, die auf Gottes Beistand und Hilfe verweist, die nur den Gottesfürchtigen zuteil werden.1538
1536 Siehe Ḥillī, Minhāǧ al-karāma, 88 Z. 12f., auch zitiert in Ibn Taymiyyas Minhāǧ 8/365. 1537 Teilstück von Koran 20:46. 1538 Minhāǧ 8/372–375; siehe auch oben angeführtes Zitat auf S. 328.
11 Zusammenfassung Mit seiner Position, dass infinite Regresse nicht in all ihren Formen als unmöglich klassifiziert werden müssen, widerspricht Ibn Taymiyya einer im kalām weit verbreiteten Grundannahme. Dies erlaubt ihm, sich Gott als ein seit aller Ewigkeit dynamisch agierendes Wesen vorzustellen, in welchem sich zeitliche Vorgänge ereignen. Dazu gehören z. B. Gottes innere Wirktätigkeit, einen konkreten Willen zu formen, zu reden und Sich über Seinen Thron zu erheben. Diese Sicht steht in starkem Kontrast z. B. zu der der Ašʿariten, nach der Gott ein ewig-unveränderliches Wesen ist, das jeden konkreten Willen seit jeher geformt hat, dessen Rede seit jeher in Ihm inhäriert und dessen Handlung, Sich über den Thron erhoben zu haben, entweder von Ihm abgetrennt stattgefunden hat oder aber allegorisch zu deuten ist. Was die göttliche Rede angeht, so erachtet Ibn Taymiyya sie als unerschaffen (ġayr maḫlūq) und trotzdem nicht, wie man vielleicht vermuten würde, als ewig (qadīm), sondern als zeitlich (ḥādiṯ). Unerschaffen ist sie, weil die Ursache ihrer Existenz nicht Gottes Schöpfungs-, sondern Seine Redetätigkeit ist. Als zeitlich gilt sie deswegen, weil Gott, wie weiter oben beschrieben, auf dynamische Weise mit der Schöpfung interagiert, also z. B. zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt mit dem Propheten Moses redet. Ibn Taymiyya grenzt sich damit eindeutig von der muʿtazilitischen und der ašʿaritischen Position ab; es mag sogar sein, dass seine Ansicht selbst in der ḥanbalitischen Schule ein Novum darstellt, da in ihr nicht bekannt ist, dass sie Gottes Rede als zeitlich angesehen hat. Ibn Taymiyya selbst sieht sich hier jedoch im Einklang mit Aḥmad Ibn Ḥanbal; wegen der schwierigen Quellenlage lässt sich derweil nicht ermitteln, ob er damit recht hat. Das göttliche Attribut der Erhebung (istiwāʾ) über den Thron ist unter den ahl al-ḥadīṯ allgemein anerkannt und bestätigt, in Detailfragen jedoch unterschiedlich gedeutet worden. Ibn Taymiyyas Positionen hierzu decken sich mit denen des stärker traditionalistisch und kalām-kritisch geprägten Flügels der ahl al-ḥadīṯ. So ist Ibn Taymiyya der Meinung, dass Gottes Erhebung über den Thron als ein Sitzen (ǧulūs) beschrieben werden darf; dass Er Sich durchgehend mit Seinem Wesen über dem Thron befindet (auch dann noch, wenn Er im letzten Drittel der Nacht in den untersten Himmel herabsteigt); sowie dass Er den Thron berührt. Letzteres verwarfen, ohne Ibn Taymiyya zu erwähnen, selbst manche seine Schüler wie Ibn Qayyim al-Ǧawziyya und aḏ-Ḏahabī. Darüber hinaus ächzt der Thron laut Ibn Taymiyya aufgrund des Gewichts, das auf ihm lastet, wobei er sich nicht eindeutig dazu äußert, ob es sich dabei um das Gewicht Gottes handelt oder nicht. Des Weiteren vertritt er die Ansicht, dass der Prophet Muḥammad am Jüngsten Tag damit geehrt wird, neben Gott auf dem Thron Platz nehmen zu dürfen. Was die https://doi.org/10.1515/9783110623673-011
332 | 11 Zusammenfassung Modalität (kayfiyya) von Gottes istiwāʾ angeht, so ist sie laut Ibn Taymiyya, wie bei jedem anderen göttlichen Attribut, unbekannt; die Art und Weise, wie er für seine eben genannten Ansichten argumentiert, v. a. für die Idee der Berührung zwischen Gott und dem Thron, scheint indes mit dieser Aussage im Widerspruch zu stehen. Die Koranverse, die von einem Bei- bzw. Mitsein (maʿiyya) Gottes gegenüber der Schöpfung sprechen, interpretiert Ibn Taymiyya dahingehend, dass Gott die Geschöpfe mit Seinem Wissen und die Rechtschaffenen unter ihnen auch mit Seiner Unterstützung und Hilfe begleitet. Das deckt sich mit der ašʿaritischen Sicht, die jedoch dadurch zustande kommt, dass die relevanten Verse mit einem taʾwīl maǧāzī belegt werden. Ibn Taymiyya hingegen lehnt dies ab und deutet die Verse statt dessen im Lichte seiner sprachtheoretischen Annahmen, laut denen die Partikel maʿa (bei oder mit) als mušakkik einzustufen ist. Unter der Gerechtigkeit (ʿadl), die Ibn Taymiyya auch oft mit der Weisheit (ḥikma) gleichsetzt, versteht er, dass man mit den Dingen auf eine Weise verfährt, die ihrem Wesen entspricht und die zu deren Vervollkommnung führt. Gott handelt stets gerecht, jedoch nicht aus einer sich aus Seinem Wesen ergebenden Notwendigkeit – wie manche der Muʿtaziliten meinen –, und auch nicht, weil er – wie die Ašʿariten sagen – per definitionem gar nicht ungerecht handeln kann. Vielmehr geht Ibn Taymiyya von einer Selbstverpflichtung Gottes aus. So ist er auch der Meinung, dass Gott für Seine Gerechtigkeit nur deshalb zu loben und zu preisen ist, weil Er, wenn Er denn wollte, durchaus auch ungerecht handeln könnte. Dieser Sicht, die er an vielen Stellen seiner Werke auf konsistente Weise vertritt, steht eine Passage gegenüber, in der Ibn Taymiyya Gott die Gerechtigkeit als eine wesenhafte und damit notwendige Eigenschaft zuzuschreiben scheint. Ob er sich damit in einen Widerspruch verwickelt hat, ist nicht eindeutig festzumachen. Davon unabhängig lässt sich klar erkennen, dass sein Konzept der Gerechtigkeit Gottes Auswirkungen auf seine Position in anderen theologischen Fragestellungen hat. Deutlich wurde dies hinsichtlich der Fragen, ob die Höllenstrafe endlos ist und wie am Jüngsten Tag mit den im Kindesalter verstorbenen Nachkommen der Nichtmuslime verfahren wird. Erstere Fragestellung erachtete man zur Zeit Ibn Taymiyyas (und wohl auch zu vielen anderen Zeiten) als durch den iǧmāʿ abschließend dahingehend beantwortet, dass diese Strafe niemals ein Ende finden wird; bezüglich letztgenannter Frage ist die Überlieferungslage innerhalb des autoritativen Textkorpus äußerst widersprüchlich, sodass sich eine Vielzahl von Meinungen hierzu finden lässt. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Ibn Taymiyya zum einen von der Endlichkeit der Höllenstrafe ausgeht und zum anderen entschieden die Sicht vertritt, dass die genannten Kinder am Jüngsten Tag einer Prüfung unterzogen werden, durch die sich ihr weiteres Schicksal entscheidet. Beide Positionen vertritt er dezidiert mit dem Verweis auf die Gerechtigkeit Gottes. Damit grenzt er
11 Zusammenfassung | 333
sich von der von den Ašʿariten vertretenen Ansicht ab, dass Gottes Handlungen nicht nach weltlichen Standards bewertet werden dürfen, sondern vielmehr selbst dann gerecht wären, wenn Er die Sünder belohnen und die Propheten bestrafen würde.
12 Bewertung und Schluss Die vorliegende Arbeit konnte zeigen, dass Ibn Taymiyya sehr wohl eine Theorie der Attribute Gottes formuliert hat, und widerspricht damit den Einschätzungen in der Forschung, nach denen Ibn Taymiyya lediglich die Positionen anderer zu dekonstruieren versucht habe, ohne selbst einen positiven Beitrag in die Debatte einzubringen.1539 Der Kern seiner Gottesvorstellung besteht aus seiner Überzeugung, dass Gott ein absolut mangelfreies und in jeder Hinsicht vollkommenes Wesen ist, das seit aller Ewigkeit mit Seiner Schöpfung auf dynamische – und damit zeitgebundene – Weise in vielfältiger Form interagiert und Sich – räumlich gesehen – oberhalb von ihr befindet. Wenig überraschend ist, dass Ibn Taymiyya behauptet, dass sich seine Ansichten bereits aus den Offenbarungstexten ergeben, und er in diesem Sinne auch häufig aus diesen zitiert. Dies ist jedoch nicht das einzige und auch nicht das zentrale Argumentationsverfahren, mit dem er seine Positionen abzusichern versucht. Vielmehr hat Ibn Taymiyya eine Methodik im Umgang mit den Gott beschreibenden Aussagen aus der Offenbarung erarbeitet, die sich aus seinstheoretischen, sprachlichen, hermeneutischen und epistemologischen Aspekten zusammensetzt. In der vorliegenden Arbeit wurde diese Methodik und ihre Anwendung eingehend untersucht. Da die Ergebnisse hierzu bereits in den Kapiteln 8 und 11 zusammengefasst wurden, soll nun direkt zur Beantwortung der weiteren in der Einleitung aufgeworfenen Forschungsfragen übergegangen werden. Welche Rolle spielt die Vernunft in Ibn Taymiyyas Methodik? Ibn Taymiyyas tiefgreifende Kenntnis der thematisch relevanten Überlieferungslage befähigt ihn dazu, seine theologischen Positionen so zu präsentieren, als seien sie das folgerichtige Ergebnis einer objektiv-gültigen Interpretationsweise der Offenbarungstexte. Sein Denkgebäude errichtet er dabei auf dem traditionalistischen Boden, der in den Jahrhunderten vor ihm von den Theologen unter den ahl al-ḥadīṯ bereitet wurde. So ist es nachvollziehbar, dass eine Reihe von Beiträgen in der Sekundärliteratur Ibn Taymiyyas Methodik in der Theologie als textzentriert, vernunftpessismistisch und konservativ beschreiben. Dies verkennt jedoch zum einen die je nach Fragestellung unterschiedlich große Lücke zwischen dem Text und seiner Interpretation, die Ibn Taymiyya auf äußerst kreative Weise zu nutzen vermag. Zum anderen übergeht es, dass z. B. auch bezüglich eines Gelehrten wie Ibn Sīnā – dessen Methodik man üblicherweise nicht mit diesen eben genannten 1539 Eine derartige Einschätzung findet sich, wie im Kapitel zum Forschungsstand aufgezeigt, implizit in mehreren Forschungsbeiträgen, und explizit ausgesprochen bei Sayoud, Sans comment. https://doi.org/10.1515/9783110623673-012
12 Bewertung und Schluss | 335
Adjektiven beschreibt – festgestellt werden kann, dass er seine Weltanschauung entlang eines Prämissengerüsts peripatetisch-neuplatonischer Prägung entfaltet und damit ebenfalls bestimmten Traditionen verpflichtet ist. Nimmt man Abstand von dem Credo einer vermeintlich neutralen sowie traditionsunabhängigen Rationalität und konzeptualisiert die Vernunft vielmehr vor dem Hintergrund ihrer kultur- und geistesgeschichtlichen Kontingenz, so lassen sich problemlos sowohl Ibn Taymiyya als auch Ibn Sīnā, trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen an religiöse Fragestellungen, als rationalistische Denker identifizieren. Ibn Taymiyya selbst vertritt dezidiert die Meinung, dass die Vernunft ein wertvolles Erkenntnisinstrument des Menschen ist, und so ist er bemüht, seine theologischen Ansichten im Einklang mit dieser zu formulieren, was ihm aus meiner Sicht indes keineswegs immer gelingt. So entzieht sich Ibn Taymiyya der Verpflichtung seine Ansicht zu beweisen, dass der Begriff der Existenz (wuǧūd) potenzielle Vorfindbarkeit bedeutet, indem er sagt, dass die Gültigkeit dieser Sicht bereits durch die natürliche Veranlagung (fiṭra) des Menschen bestätigt ist. Zu bedenken ist dabei, dass in der Methodik, die Ibn Taymiyyas Attributenlehre zugrunde liegt, anders als man vielleicht vermuten möchte, das Konzept der fiṭra nur eine marginale Rolle spielt. Dies ist vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass man in der Sekundärliteratur – aus meiner Sicht nach wie vor zu Recht – davon ausgeht, dass Ibn Taymiyya das Erkenntnisinstrument der fiṭra gegenüber dem der Vernunft aufwerten wollte.1540 Zumindest hinsichtlich der Methodik innerhalb seiner Attributenlehre ließ sich ein entsprechendes Vorhaben nicht erkennen, und so wurde sein Konzept der fiṭra hier auch nicht gesondert behandelt. Ibn Taymiyya ist meiner Einsicht nach der erste traditionalistische Theologe, der den Anspruch hat, bei jedem beliebigen Attribut mit Hilfe eines vernunftbasierten Verfahrens – nämlich des argumentum a fortiori (qiyās awlā) –, also ohne Rückgriff auf die Offenbarung, feststellen zu können, ob Gott dieses Attribut zukommt oder nicht. Aber auch bei seiner Deutung der Offenbarung geht Ibn Taymiyya oft entweder weit über vorhergehende konventionelle Interpretationen hinaus oder verwirft diese. So schließt er z. B. aus dem Umstand, dass Gott dort als lebendig beschrieben wird, darauf, dass Ihm damit auch eine innere Wirktätigkeit bzw. Zustandsveränderung zukommt. Des Weiteren stellt er sich gegen die von der großen Mehrheit der muslimischen Gelehrten vertretene Ansicht, dass der Koran in klarer Weise die Ewigkeit der Hölle bestätigt. Tatsächlich sind es in diesem Punkt auch weniger Schriftbeweise, die Ibn Taymiyya anführt, als vielmehr sein Konzept vom göttlichen Attribut der Gerechtigkeit. Demgemäß kann es nicht sein, dass ein 1540 Siehe oben, S. 213f.
336 | 12 Bewertung und Schluss gerechter Gott einen Menschen – egal wie sündhaft dessen zeitlich begrenztes Leben auch gewesen sein mag – einer zeitlich unbegrenzten Strafe aussetzt. Schließlich sei noch auf Ibn Taymiyyas Sicht verwiesen, nach der die Meinung der salaf von der Ewigkeit der göttlichen Attribute notwendigerweise impliziert, dass infinite Regresse möglich sind. Denn wenn Gott seit jeher z. B. als der Schöpfer beschrieben werden darf, dann sollte Er auch in der Lage gewesen sein, seit jeher Gegenstände in die Existenz zu bringen, woraus sich eine in die Unendlichkeit zurückreichende Kette erschaffener Dinge ergeben würde (und nach Ibn Taymiyya, wie gesehen, auch tatsächlich ergibt). Wendet Ibn Taymiyya die von ihm ausformulierte Methodik in der Praxis auf konsistente Weise an? Allgemein betrachtet lässt sich diese Frage mit Ja beantworten. Bei Ibn Taymiyyas Verwendung des qiyās awlā, der ein Kernelement innerhalb seiner Methodik darstellt, hat sich indes gezeigt, dass er sich einige Freiräume lässt, die es ihm erlauben, dieses Verfahren auf verschiedenartige Weise zu nutzen, ohne sich dabei methodische Inkonsistenzen vorwerfen lassen zu müssen. So baut die Schlusstechnik darauf auf, dass jedwedes Attribut als vollkommen oder als mängelbehaftet identifiziert werden kann und dementsprechend Gott zugeschrieben bzw. mit Blick auf Ihn negiert werden muss; es fehlen jedoch eindeutige und intersubjektiv nachvollziehbare Kriterien, auf deren Basis diese Kategorisierung der Attribute vorgenommen werden soll. Deutlich wurde dies in Bezug auf das in den offenbarten Quellen als göttlich ausgewiesene Attribut des Lachens, bei dem es sich nach Ibn Taymiyya dann auch, wenig überraschend, um ein Vollkommenheitsattribut handelt. Sein Argument, das ein Wesen, das lachen kann, als vollkommener zu erachten ist als eines, das dies nicht vermag, erscheint nicht zwingend, und so lässt sich vermuten, dass – wenn die Offenbarung das Attribut des Lachens mit Blick auf Gott negiert hätte – Ibn Taymiyya auf ähnliche Weise für die Mangelhaftigkeit lachender Wesen argumentiert hätte. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass sich Ibn Taymiyya in einem Fall syllogistischer Beweisverfahren bedient, in denen Allaussagen gemacht werden, die sich nicht nur auf die Schöpfung, sondern auch auf Gott beziehen – ein Verfahren, das er an mehreren Stellen seiner Werke kritisiert und für das er den qiyās awlā als Alternative stark zu machen versucht. Eine weitere Inkonsequenz unterläuft Ibn Taymiyya, wenn er zum einen die Ansicht vertritt, dass die Schöpfung keine Kenntnis von den Modalitäten (Sing.: kayfiyya) des göttlichen Wesens und Seiner Eigenschaften besitzen kann, zum anderen dann aber auf Basis der koranischen Aussage, dass Gott den Propheten Ādam mit Seinen Händen erschuf, zu dem Schluss gelangt, dass eine Berührung zwischen Gott und Seiner Schöpfung möglich ist. Bei einem konsequent vertretenen Agnostizismus bezüglich der Modalität göttlicher Attribute – und diese Sicht
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stellt ja eine der Grundpfeiler seiner Theorie der Attribute Gottes dar – hätte ein solcher Gedankengang meiner Meinung nach nicht aufkommen dürfen. Ist Ibn Taymiyyas Selbstverständnis, weder ein Literalist noch ein Anthropomorphist zu sein, gerechtfertigt? Während sich Ibn Taymiyya widersprüchlich zur ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie geäußert hat, konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, dass er dieser letztlich ablehnend gegenüberstand. Konsequenterweise hat er eine alternative Bedeutungstheorie gleichnamiger Ausdrücke erarbeitet, laut der sprachliche Zeichen niemals im Abstrakten, sondern immer nur im Zuge ihrer konkreten Verwendung über eine Bedeutung verfügen. Erkannt werden kann diese Bedeutung demgemäß nicht durch apriorische Kriterien, sondern nur anhand von Indizien (Sing.: qarīna), die mit einem konkreten Sprechakt einhergehen. Die Konzepte des wörtlichen Sinns und das der äußeren Bedeutung (ẓāhir) haben in der Bedeutungstheorie Ibn Taymiyyas keinen Platz. Diese Theorie ernst zu nehmen, bedeutet, von den Begrifflichkeiten des dominanten Mehrheitsdiskurses, der – nicht nur im islamischen Denken – von der Gültigkeit der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie ausgeht, Abstand zu nehmen. Da man das in der Forschung jedoch allzu oft versäumt hat, finden sich zahlreiche Veröffentlichungen, in denen Ibn Taymiyya als Literalist beschrieben wird. Dabei ist seine Deutung der Gott beschreibenden Ausdrücke nicht einmal mit derjenigen gleichzusetzen, die unter den maǧāz-Befürwortern als die eigentliche oder wörtliche gilt. Denn auch Ibn Taymiyya ist der Ansicht, dass Ausdrücke wie ʿayn (Auge), waǧh (Gesicht) und yad (Hand), je nachdem ob sie Gott oder der Schöpfung zugesprochen werden, ihrem Sinn nach zu unterscheiden sind. Daran anknüpfend lässt sich feststellen, dass Ibn Taymiyya – zumindest von seiner methodischen Ausrichtung her – ein entschiedener Gegner des Anthropomorphismus im Sinne des tamṯīl ist, insofern man diesen wie er selbst dahingehend versteht, dass man von den Modalitäten erschaffener Dinge auf die Modalitäten des Schöpfers schließen kann. Innerhalb des kalām und der falsafa wurde dieser Begriff bekanntermaßen viel weiter gefasst, wobei seine jeweilige Konzeptualisierung auf bestimmten Vorannahmen fußt, die von der jeweils anderen Denkrichtung nicht geteilt wurden. Es ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, eines der Verständnisse des Begriffes tamṯīl als das universal gültige zu erachten und die Gottesvorstellungen verschiedener theologischer Strömungen daran zu messen. Und so bleibt die Erkenntnis, dass Ibn Taymiyya in Bezug auf seine Theorie der Attribute Gottes zu Recht behaupten kann, keine Anthropomorphismen zu begehen. Weniger eindeutig ist dies jedoch hinsichtlich der konkreten Anwendung seiner Theorie. Im Kontext der Beantwortung der vorhergehenden Forschungsfrage wurde bereits ausgeführt, dass Ibn Taymiyya seine Meinung, dass Gott die Schöpfung berühren kann, unter Verweis auf einen Koranvers abzusichern versuchte, in dem es heißt,
338 | 12 Bewertung und Schluss dass Gott Ādam mit Seinen Händen erschaffen hat. Die Sicht, dass derartiges Berührung impliziert, erscheint mir jedoch vorauszusetzen, dass man die Modalität des Schöpfungsvorganges und die Rolle der Hände Gottes darin auf ähnliche Art und Weise versteht, wie das bei Produktion von Gegenständen durch menschliche Handarbeit der Fall ist. Wenn dem so ist, so handelt es sich dabei auch bei Anlegen von Ibn Taymiyyas eigener Definition des Begriffs tamṯīl um einen solchen. In welchem Verhältnis stehen die Positionen Ibn Taymiyyas zu der ihm vorhergehenden Ideengeschichte? In den unterschiedlichen islamischen Denktraditionen lassen sich jeweils typische Argumentationstechniken finden, von denen bei Ibn Taymiyya einige kombiniert werden. So findet sich in manchen seiner Schriften – z. B. in Ḥamawiyya – das für die ahl al-ḥadīṯ charakteristische Vorgehen, seitenlang Quellenbelege und Aussagen anerkannter Gelehrter anzuführen, um die eigene Position zu stärken. Derartigem begegnet man in den Werken der mutakallimūn gar nicht oder äußerst selten, in denen das argumentum ex remotione (sabr wa-taqsīm) das gängige Mittel zur Untermauerung der eigenen Position darstellt. Wie in Part II der vorliegenden Arbeit dargestellt wurde, ist ein Einfluss der Methodik des kalām auf die ḥanbalitischen Werke zur Theologie schon lange vor Ibn Taymiyya zu erkennen; dennoch ist sein Gebrauch von kalām-typischen Argumentationstechniken so auffallend, dass man zumindest von dieser Warte aus nachvollziehen kann, dass er in der Sekundärliteratur als ein mutakallim bezeichnet wurde. Des Weiteren bedient sich Ibn Taymiyya syllogistischer Schlussverfahren, wie sie vor allem in der falsafa verbreitet sind. Auch bezüglich der inhaltlichen Standpunkte Ibn Taymiyyas kann festgestellt werden, dass er sich von verschiedenen Denkrichtungen inspirieren ließ. Bei seiner Kritik an anderen Denktraditionen nutzt er den Umstand, dass sie sich bereits jahrhundertelang gegenseitig zu widerlegen versuchten und er somit auf eine reichhaltige Streitliteratur als Ideengeber zurückgreifen kann. Daneben ähnelt z. B. seine Konzeption von Raum und Zeit der des Aristoteles, und bei der Ausarbeitung seines qiyās-awlā-Verfahrens profitierte er vor allem von den Ideen des Ašʿariten al-Āmidī. Mit anderen Worten: Ibn Taymiyya macht sich die ihm vorhergehende Ideengeschichte als eine Inspirationsquelle zunutze, ohne dabei Berührungsängste zu zeigen oder sich ideologisch bedingte Barrieren zu setzen. Auf der anderen Seite grenzt sich Ibn Taymiyya auch klar von bestimmten Konzepten ab, die in der islamischen Ideengeschichte vorherrschend waren. So erachtet er z. B. Gott als ein Substrat (maḥall) zeitlich aufkommender Ereignisse und verkehrt damit das für die Gottesvorstellungen der meisten der mutakallimūn und der falāsifa fundamentale Credo, dass nur mängelbehaftete Objekte einem
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zeitlichen Wandel unterliegen und Unveränderlichkeit ein göttliches Vollkommenheitsattribut darstellt, in sein Gegenteil. Selbst in den Schriften der Ḥanbaliten konnte ich diese Position Ibn Taymiyyas, zumindest in dieser Eindeutigkeit, nicht finden. Er vertritt damit eine klare Minderheitenposition, auch wenn der Ašʿarit ar-Rāzī auf plausible Weise darstellt, dass sich diese – wenn auch ungewollt – implizit aus den Gottesvorstellungen der allermeisten muslimischen Denkströmungen ergibt.1541 Darüber hinaus vertritt Ibn Taymiyya eine Ontologie, in der das Wesen eines Objekts und seine Attribute ausschließlich in der mentalen Vorstellung verdinglicht und zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden können. Das Problem, mit dem sich verschiedene Gruppen unter den mutakallimūn beschäftigt hatten, nämlich die Frage, wie das göttliche Wesen und Seine Eigenschaften so konzeptualisiert werden können, ohne dabei annehmen zu müssen, dass Gott aus voneinander abgrenzbaren Teilen besteht, ergibt sich daher laut Ibn Taymiyya nur, weil man nicht ausreichend zwischen intramentaler Vorstellung und außenweltlicher Realität unterschieden hatte. Eine weitere inhaltliche Abgrenzung zum kalām, zumindest dem muʿtazilitischer und ašʿaritischer Ausrichtung, besteht darin, dass Ibn Taymiyya – wie im Zuge der Beantwortung der ersten Forschungsfrage bereits angesprochen – die Möglichkeit infiniter Regresse anerkennt. Meiner Meinung nach markiert dies – und darüber hinaus auch Ibn Taymiyyas Position in der Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das Instrument des taʾwīl auf gültige Weise angewendet wird – den Scheideweg, an dem hernach die Gottesvorstellungen der unterschiedlichen Gruppierungen auf verschiedene Weise weiter ausgearbeitet wurden. Auch mit seiner Ablehnung der ḥaqīqa-maǧāz-Dichotomie stellt sich Ibn Taymiyya der Meinung der großen Mehrheit entgegen; seine Bedeutungstheorie, die sich philosophischer Begrifflichkeiten und Konzepte bedient, dürfte darüber hinaus in ihrem Anspruch, eine sprachtheoretische Alternative zu der Dichotomie zu bieten, origineller Natur sein. Das könnte auch für seine Ansicht gelten, dass Gottes Rede unerschaffen und zeitlich zugleich ist, auch wenn sich Ibn Taymiyya hier als im Einklang mit Ibn Ḥanbal erachtete. So sehr sich Ibn Taymiyya von seiner Argumentationstechnik und seiner Methodik her von den frühen ahl al-ḥadīṯ unterscheidet, so nahe steht er ihnen doch in konkreten Fragestellungen bezüglich der Attribute Gottes – näher jedenfalls als viele der sonstigen traditionalistischen Theologen seiner Zeit. Gezeigt hat sich das vor allem bei der Besprechung der göttlichen Eigenschaft des istiwāʾ; so positionierte sich Ibn Taymiyya dahingehend, dass Gott den Thron berührt und auf ihm sitzt (yaǧlisu), dieser aufgrund eines Gewichts 1541 Zu ar-Rāzī und zu dem Umstand, dass Ibn Taymiyyas Position Ähnlichkeiten zu der der Karrāmiten und der des Gelehrten Abū l-Barakāt al-Baġdādī aufweist, siehe oben, S. 288.
340 | 12 Bewertung und Schluss (dem göttlichen?), das auf ihm lastet, ächzt und dass der Prophet Muḥammad am Jüngsten Tag neben Gott auf dem Thron Platz nehmen wird. Diese Ansichten waren innerhalb der traditionalistischen Gelehrsamkeit der frühen Phase stark verbreitet, zu Ibn Taymiyyas Zeiten wurden sie hingegen selbst von manchen seiner Schüler teilweise abgelehnt. Das Feld der weiteren Forschungen, die an diese Arbeit anknüpfen können, ist vielfältig. So könnte z. B. Ibn Taymiyyas Vorstellung eines zwar transzendenten, aber doch auch personalen Gottes, der dynamisch in der Zeit mit Seiner Schöpfung auf vielfältige Weise interagiert, sowohl für die Islamische Religionspädagogik als auch für die Islamische Seelsorge interessant sein. Dasselbe gilt für die anti-elitäre Ausrichtung der Attributenlehre Ibn Taymiyyas, die nicht – so wie man das im kalām und, mehr noch, in der falsafa vorfinden kann – unterscheidet zwischen einem der ungelehrten Masse der Muslime zugänglichen naiv-simplistischen Gottesbild und einem solchen, das der im spekulativen Denken bewanderten Gelehrtenschaft vorbehalten bleibt, intellektuell anspruchsvoller und mit einem höheren Wahrheitsgehalt ausgestattet ist. Die Attributenlehre Ibn Taymiyyas bietet insofern einen geeigneten Boden, auf dem sich für die religiös-spirituelle Mündigkeit der breiteren muslimischen Gemeinschaft argumentieren lässt. Des Weiteren sollten, und das vor allem innerhalb der uṣūl al-fiqh (Rechtstheorie), die ablehnende Position Ibn Taymiyyas in der Frage des maǧāz und die von ihm vorgelegte alternative Bedeutungstheorie aufgegriffen werden, um auszuloten, inwieweit diese im Zuge aktueller Reformbestrebungen fruchtbar gemacht werden können. Aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich zwischen Ibn Taymiyyas Ansichten und denen, die in der jüngeren Sprachwissenschaft hervorgebracht wurden, einige Parallelen finden lassen, erscheint dies besonders relevant. Schließlich sollte auch, um die Geschichte des islamischen Denkens besser zu verstehen, Ibn Taymiyyas Attributenlehre mit der von Ibn Rušd und der von Ibn ʿArabī verglichen werden. Dadurch könnte geprüft werden, ob die in der Sekundärliteratur vorgebrachte These haltbar ist, dass Ibn Taymiyyas Denken von diesen Gelehrten stark beeinflusst wurde, er ihnen also nicht so ablehnend gegenüberstand, wie es eine oberflächliche Lesung seiner Schriften vermuten lässt. Darüber hinaus würde sich auch ein Vergleich zwischen der Attributenlehre Ibn Taymiyyas und der der heutigen salafiyya lohnen, wobei an diesem theologisch zentralen Thema exemplarisch untersucht werden könnte, inwiefern diese sich zu Recht auf ihn als einen ihrer wichtigsten Vordenker beruft.
Bibliographie Gesammelte Schriften und Werke von Ibn Taymiyya sortiert nach deren Kurzbezeichnung Posthume Zusammenstellungen verschiedener Schriften ǦM
–, Ǧāmiʿ al-masāʾil, hrsg. von Muḥammad ʿUzayr Šams, 8 Bde., Mekka: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1422-32 [=2001-2 – 2010-1].
ǦR
–, Ǧāmiʿ ar-rasāʾil, hrsg. von Rašād Sālim, 2. Aufl., 2 Bde., Dschidda: Dār al-Madanī, 1984.
MF
–, Maǧmūʿ al-fatāwā šayḫ al-islām Aḥmad Ibn Taymiyya, hrsg. von ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Muḥammad Ibn Qāsim/Muḥammad Ibn ʿAbd arRaḥmān Ibn Qāsim, 37 Bde., Riad und Mekka: Maṭābiʿ ar-Riyāḍ, o. J. [1962–7].
MMF
–, al-Mustadrak ʿalā Maǧmūʿ fatāwā šayḫ al-islām Aḥmad Ibn Taymiyya, hrsg. von Muḥammad Ibn ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Qāsim, 5 Bde., o. O.: o. V., 1418 [=1997-8].
Werke und kleinere Schriften Abū Ḏarr
in: MF 18/136–209. Für diese Schrift ist kein Titel bekannt, in der Wahl des Kurztitels bin ich Jon Hoover gefolgt; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 240.
ʿĀdil
–, Risāla fī kawn ar-Rabb ʿādilan wa-fī tanazzuhihī ʿan aẓ-ẓulm, in: ǦR 1/119–142.
Afʿāl al-ʿibād
in: MF 8/406–427 (Titel unbekannt). Die an Ibn Taymiyya herangetragene Frage beginnt mit mā taqūlu s-sāda [...] fī afʿāl al-ʿibād [...]; daher die Wahl des Kurztitels.
Aḥruf
–, Masʾalat al-aḥruf allatī anzalahā llāh ʿalā Ādam, in: MF 12/37–116.
Akmaliyya
–, ar-Risāla al-akmaliyya fī-mā yaǧibu li-llāhi min ṣifāt al-kamāl, hrsg. von Rašād Sālim, Kairo: Maṭbaʿat al-Madanī, 1983. Auch: MF 6/68–140.
Aʿlā
–, Tafsīr Sūrat al-Aʿlā, in: MF 16/251–479.
https://doi.org/10.1515/9783110623673-013
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Aqwam
–, Aqwam mā qīl fī l-qaḍāʾ wa-l-qadar wa-l-ḥikma wa-t-taʿlīl, in: MF 8/81–158.
Aṣfahāniyya
–, Šarḥ al-ʿAqīda al-aṣfahāniyya, hrsg. von Muḥammad Ibn ʿAwda asSaʿawī, Riad: Dār al-Minhāǧ und Dār Ǧawda, 1430 [=2008-9].
Azhariyya
–, al-Futyā l-azhariyya fī masʾalat kalām Allāh, in: ǦM 5/123–129.
Baʿlabakkiyya
–, al-Baʿlabakkiyya, in: MF 12/117–161.
Bayān
–, Bayān talbīs al-ǧahmiyya fī taʾsīs bidaʿihim al-kalāmiyya, hrsg. von Yaḥyā Ibn Muḥammad al-Hunaydī u. a., 10 Bde., Medina: Muǧammaʿ al-Malik Fahd li-ṭibāʿat al-muṣḥaf aš-šarīf, 1426 [=2005-6]. Das Werk wurde zuvor unvollständig unter einem anderen Titel veröffentlicht: –, Naqḍ Asās at-taqdīs, hrsg. von Mūsā Ibn Sulaymān adDuwayš, Medina: Maktabat al-ʿUlūm wa-l-ḥikam, 1425 [=2004-5].
Ḍābiṭ
–, Ḍābiṭ at-taʾwīl, in ǦM 5/35–93 (nur unvollständig erhalten).
Darʾ
–, Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-n-naql, hrsg. von Rašād Sālim, 11 Bde., Riad: Muhammad Ibn Saud University, 1979.
Fanāʾ
–, ar-Radd ʿalā man qāla bi-fanāʾ al-ǧanna wa-n-nār, hrsg. von Muḥammad as-Samharī, Riad: Dār Balansiyya, 1995.
Fāṣil
–, al-Ǧawāb al-fāṣil bi-tamyīz al-ḥaqq min al-bāṭil, in ǦM 3/193–209 (dort geführt unter dem Titel Masʾala fī l-ʿuluww). Auch: –, al-Ǧawāb al-fāṣil bi-tamyīz al-ḥaqq min al-bāṭil, in: ʿAwwād Ibn ʿAbdallāh al-Muʿtiq (Hrsg.), Maǧallat al-buḥūṯ al-islāmiyya 29 (1410–11 [=1990]), 279–314, hier 282–313. Eine gekürzte Version befindet sich in MF 5/256–261.
fiṭra
–, in: MF 4/245–249. In dieser Kurzschrift ohne Titel antwortet Ibn Taymiyya u. a. auf die Frage, was der Ausdruck fiṭra bedeutet; daher die entsprechende Wahl des Kurztitels.
Furqān I
–, al-Furqān bayna l-ḥaqq wa-l-bāṭil, in: MF 13/5–229.
Furqān II
–, al-Furqān bayna awliyāʾ ar-Raḥmān wa-awliyāʾ aš-šayṭān, in: MF 11/156–310.
Bibliographie
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Ǧabr
in: MF 8/448–515 (Titel unbekannt). In der Wahl des Kurztitels bin ich Jon Hoover gefolgt; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 241.
Ġāʾib
–, in: MF 14/51–53. In dieser Kurzschrift ohne Titel wird der Ausdruck ġāʾib diskutiert; daher die Wahl des Kurztitels.
Ǧamʿ
–, Faṣl fī l-ǧamʿ bayna ʿuluww ar-Rabb ʿazza wa-ǧalla wa-bayna qurbihī min dāʿīhi wa-ʿābidīhi, in: MF 5/226–255.
Ǧawāb
–, al-Ǧawāb aṣ-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-masīḥ, hrsg. von ʿAlī Ibn Ḥasan/ʿAbd al-ʿAzīz Ibn Ibrāhīm al-ʿAskar/Ḥamdān Ibn Muḥammad al-Ḥamdān, 7 Bde., Riad: Dār al-ʿĀṣima, 1999.
Ḥadīṯ
–, in: MF 18/38–42. In dieser Kurzschrift ohne Titel werden Termini aus der Ḥadīṯ-Wissenschaft diskutiert, daraus ergab sich meine Wahl des Kurztitels.
Ḥamawiyya
–, al-Fatwā l-ḥamawiyya al-kubrā, hrsg. von Ḥamad Ibn ʿAbd al-Muḥsin at-Tuwayǧirī, Riad: Dār aṣ-Ṣumayʿī, 2004. Auch: MF 5/5–120.
Ḥammūya
–, Risāla fī r-radd ʿalā baʿḍ atbāʿ Saʿd ad-Dīn al-Ḥammūya, in ǦM: 4/387–435 (wohl unvollständig).
Ḥaqīqa
–, Ḥaqīqat maḏhab al-ittiḥādiyyīn wa-waḥdat al-wuǧūd, in MF 2/134– 285 (offensichtlich unvollständig).
Ḥarf wa-ṣawt
in: MF 12/582–598 (Titel unbekannt).
Ḥ/M
–, Qāʿida fī l-ḥaqīqa wa-l-maǧāz, in: MF 20/400–497.
Ḥudūṯ
–, Masʾalat ḥudūṯ al-ʿālam, hrsg. von Yūsuf al-Ūzbikī, Beirut: Dār alBašāʾir, 2012.
Ḥuǧaǧ
–, al-Ḥuǧaǧ al-ʿaqliyya wa-n-naqliyya fī-mā yunāfī l-islām min bidaʿ al-ǧahmiyya wa-ṣ-ṣūfiyya, in MF 2/286–361. Auch bekannt unter dem Titel: Risāla fī ibṭāl waḥdat al-wuǧūd.
Ḥurūf
in: MF 12/571–575 (Titel unbekannt).
Īḫlāṣ
–, Tafsīr Sūrat al-Iḫlāṣ, in: MF 17/214–503.
344 | Bibliographie
Iḫnāʾiyya
–, al-Iḫnāʾiyya aw ar-Radd ʿalā l-Iḫnāʾī, hrsg. von Aḥmad Ibn Muwannis al-ʿAnzī, Dschidda: Dār al-Ḫarrās, 2000.
Iḫtiyāriyya
–, Faṣl fī ṣ-ṣifāt al-iḫtiyāriyya, in MF 6/217–267 und auch in ǦR 2/3–70.
Iklīl
–, al-Iklīl fī l-mutašābih wa-t-taʾwīl, in MF 13/270–313.
Īmān
–, Kitāb al-Īmān al-kabīr li-šayḫ al-islām Ibn Taymiyya. Dirāsa wataḥqīq, hrsg. von Muḥammad Saʿīd Ibrāhīm Sayyid Aḥmad, 2 Bde., Universität Umm al-Qurā: unveröffentl. Dissertation, 1423 [=2002]. Auch: MF 7/5–460. Englische Übersetzung: –, Kitāb al-Īmān. Book of Faith, hrsg. von Salman Hassan al-Ani/Shadia Ahmad Tel, Bloomington: Iman Publishing House, 2010.
Intiṣār
–, al-Intiṣār li-ahl al-aṯar, hrsg. von ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Ḥasan Qāʾid, Mekka: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1435 [=2013-4]. Diese Schrift ist auch bekannt unter dem Titel Naqḍ al-manṭiq bekannt und in qualitativ minderwertigen Editionen veröffentlicht worden (z. B. in geteilter Form in MF 4/1–190 und 9/5–81).
Iqtiḍāʾ
–, Iqtiḍāʾ aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm li-muḫālafat aṣḥāb al-ǧaḥīm, hrsg. von Nāṣir Ibn ʿAbd al-Karīm al-ʿAql, 2 Bde., Riad: Dār al-ʿĀṣima, 1998. Englische Übersetzung: Muhammad Umar Memon, Ibn Taymīya’s Struggle Against Popular Religion. With an Annotated Translation of His Kitāb Iqtiḍāʾ aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm muḫālafat aṣḥāb al-jaḥīm, Den Haag: Mouton, 1976.
Irbiliyya
Auch bekannt unter dem Titel: Ǧawāb hal al-istiwāʾ wa-n-nuzūl ḥaqīqa wa-hal lāzim al-maḏhab maḏhab. Diese Schrift ist in MF auseinandergezogen worden; der vordere Teil befindet sich in 5/194–225, der hintere in 20/217–219.
Islām
–, Fī l-islām wa-ḍiddihī, in ǦM: 6/219–252.
Istiqāma
–, al-Istiqāma, hrsg. von Rašād Sālim, 2. Aufl., 2 Bde., o. O.: Kulturabteilung der Imam Muhammad Ibn Saud Universität, 1991.
Istiwāʾ
–, Ǧawāb fī l-istiwāʾ wa-ibṭāl man taʾawwalahū bi-l-istīlāʾ, in: MF 5/136– 149.
Iʿtirāḍāt
–, Ǧawāb al-iʿtirāḍāt al-miṣriyya ʿalā l-futyā l-ḥamawiyya, hrsg. von Muḥammad ʿUzayr Šams, Mekka: Dār ʿĀlam al-fawāʾid, 1429 [=2008].
Bibliographie | 345
Kalām Allāh I
–, Qāʿida fī l-Qurʾān wa-kalām Allāh, in: MF 12/5–36.
Kalām Allāh II
in: MF 12/258–295 (Titel unbekannt).
Kalām fī l-Qurʾān
in: MF 12/579–581 (Titel unbekannt).
Kasb
in: MF 8/386–405. Für diese Schrift ist kein Titel bekannt. In der Wahl des Kurztitels bin ich Jon Hoover gefolgt; siehe Hoover, Ibn Taymiyya’s Theodicy, 241.
Kaylāniyya
–, al-Kaylāniyya, in: MF 12/323–501.
Madaniyya
–, ar-Risāla al-madaniyya, hrsg. von al-Walīd Ibn ʿAbd ar-Raḥmān alFarriyān, Riad: Dār aṭ-Ṭība, 1408 [=1987-8]. Auch: MF 6/351–373.
Manbiǧī
–, Risāla ilā Naṣr al-Manbiǧī, in: MF 2/452–479.
Marrākušiyya
–, The Qaʿida Marrākushīya of Ibn Taymīya [Ed. Serajul Haque], in: George Makdisi (Hrsg.), Arabic and Islamic Studies in Honor of Hamilton A.R. Gibb, Leiden: Brill, 1965, 293–318, hier 296–318. Auch: MF 5/153–193.
Minhāǧ
–, Minhāǧ as-sunna an-nabawiyya fī naqḍ kalām aš-šīʿa al-qadariyya, hrsg. von Rašād Sālim, 8 in 4 Bde. nachgedr., Riad: Muʾassasat arRayyān, 2003.
Miṣriyya I
–, al-Masʾala al-miṣriyya fī l-Qurʾān, in: MF 12/162–234.
Miṣriyya II
–, al-Futyā l-miṣriyya, in: MF 12/235–245.
Muqaddima
–, Muqaddima fī uṣūl at-tafsīr, hrsg. von ʿAdnān Zarzūr, 2. Aufl., o. O.: o. V., 1972. Auch: MF 13/329–375; für eine deutsche Übersetzung siehe –, Einführung in die Methodologie der Qurʾānexegese, übers. von Elsayed Elshahed, Riad: Imam Muhammad Ibn Saud Universität, 2000.
Musawwada
Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyya/Šihāb ad-Dīn Ibn Taymiyya/Maǧd ad-Dīn Ibn Taymiyya, al-Musawwada fī uṣūl al-fiqh, hrsg. von Muḥammad Muḥyī d-Dīn ʿAbd al-Ḥamīd, Kairo: Maṭbaʿat al-Madanī, 1964.
Muṣḥaf
in: MF 12/564–568 (Titel unbekannt).
346 | Bibliographie
Mutakallim
in: MF 12/560–563 (Titel unbekannt).
Nubuwwāt
–, Kitāb an-Nubuwwāt, hrsg. von ʿAbd al-ʿAzīz aṭ-Ṭawiyān, 2 Bde., Riad: Maktabat Aḍwāʾ as-salaf, 2000.
Nuzūl
–, Šarḥ ḥadīṯ an-nuzūl, hrsg. von Muḥammad Ibn ʿAbd ar-Raḥmān al-Ḫamīs, Riad: Dār al-ʿĀṣima, 1993. Auch: MF 5/321–582.
Qurʾān masmūʿ
in: MF 12/554–559 (Titel unbekannt).
Radd
–, ar-Radd ʿala l-manṭiqiyyīn, hrsg. von ʿAbd aṣ-Ṣamad Šaraf ad-Dīn al-Kutbī, 2. Aufl., Lahore: Idārat Tarǧumān as-sunna, 1977. Für eine englische Übersetzung einer von as-Suyūṭī gekürzten Fassung siehe: Wael Hallaq, Ibn Taymiyya Against the Greek Logicians, Oxford: Oxford University Press, 1993.
Radd aqwam
–, ar-Radd al-aqwam ʿalā mā fī kitāb Fuṣūṣ al-ḥikam, in: MF 2/362–451.
Rafʿ
–, Rafʿ al-malām ʿan al-aʾimma al-aʿlām, in: MF 20/231–290. Englische Übersetzung mit Einleitung und Kommentar bei Abdul-Hakim al-Matroudi, The Removal of Blame from the Great Imāms. An Annotated Translation of Ibn Taymiyyah’s. [sic] Rafʿ al-Malām ʿan al-Aʾimmat alAʿlām, in: Islamic Studies 46.3 (2007), 317–380.
Šakl
in: MF 12/576–578 (Titel unbekannt).
Suʾāl ʿan al-Muršida
in: MF 11/476–491. Unbetitelte Antwort auf eine fatwā-Anfrage zu Ibn Tūmarts Werk al-Muršida.
Ṣūra
–, Ṣūrat kitāb ʿan Ibn ʿArabī wa-l-iʿtiqād fīhi, in: ǦM 7/245–259.
Tabbat
–, Tafsīr Sūrat Tabbat, in: MF 16/602f.
Tadmuriyya
–, at-Tadmuriyya. Taḥqīq al-iṯbāt fī l-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt wa-ḥaqīqat alǧamʿ bayna l-qadar wa-š-šarʿ, hrsg. von Muḥammad Ibn ʿAwda asSaʿawī, 6. Aufl., Riad: Maktabat al-ʿUbaykān, 2000. Auch: MF 3/1–128.
Tafḍīl
–, Tafḍīl ṣāliḥī n-nās ʿalā sāʾ ir al-aǧnās, in: MF 4/350–392. Die Authentizität dieser Schrift wurde angezweifelt; siehe dazu oben, Fußnote 1494.
Bibliographie
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Taḥqīq
–, Taḥqīq kawn al-Qurʾān kalām Allāh munazzal minhu, in: MF 12/296– 332.
Taklīm
in: MF 12/523–531 (Titel unbekannt).
Tawassul
–, Qāʿida ǧalīla fī t-tawassul wa-l-wasīla, in: MF 1/142–368.
Tawba
Mir ist kein Titel für diese Schrift bekannt. Sie ist eine Antwort auf eine Frage bezüglich der Bedeutung von Koran 9:6 und 9:19 (Sūrat at-Tawba) und befindet sich in MF 12/258–295.
Taʾwīl
–, Masʾala fī taʾwīl al-āyāt wa-imrār aḥādīṯ aṣ-ṣifāt ka-mā ǧāʾat, in: ǦM 3/157–180.
Tilāwa
in: MF 12/534–553 (Titel unbekannt).
Tisʿīniyya
–, at-Tisʿīniyya, hrsg. von Muḥammad Ibrāhīm al-ʿAǧlān, 3 Bde., Riad: Maktabat al-ʿĀrif, 1999.
ʿUluww
–, Qāʿida ǧalīla fī iṯbāt ʿuluww Allāh ʿalā ǧamīʿ ḫalqihī, in: ǦM 1/63–64.
Werke anderer Autoren in arabischer oder einer der europäischen Sprachen sowie übersetzte Werke Ibn Taymiyyas ʿAbd al-Ǧabbār, al-Qāḍī, al-Muġnī fi abwāb at-tawḥīd wa-l-ʿadl, hrsg. von Ibrāhīm Maḏkūr u. a., 14 Bde. gedr. in 16 Bden. (Gesamtwerk besteht aus 20 Bden., von denen Bde. 1, 2, 3, 10, 18 und 19 teilweise oder ganz als verloren gelten), Kairo: Wizārat aṯ-Ṯaqāfa wa-l-iršād al-qawmī, 1960–5. — al-Muḫtaṣar fī uṣūl ad-dīn, in: Muḥammad ʿImāra (Hrsg.), Rasāʾil al-ʿadl wa-t-tawḥīd, 2 Bde., Kairo: Dār aš-Šurūq, 1988, 1/197–282. — Mutašābih al-Qurʾān, hrsg. von ʿAdnān Zarzūr, 2 Bde., Kairo: Dār at-Turāṯ, 1969. al-ʿAbdallāh, Ḫadīǧa Ḥammādī, Manhaǧ al-imām Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī bayna l-ašāʿira wa-l-muʿtazila, 2 Bde., Damaskus, Beirut und Kuwait: Dār an-Nawādir, 2012. Abdallah, Ssekamanya Siraje, Ibn Taymiyyah’s Theological Approach Illustrated. On the Essence ( dhāt) and Attributes ( ṣifāt) of Allah, in: Journal of the International Institute of Islamic Thought and Civilization 9.1 (2004), 43–61. ʿAbd al-Laṭīf, Aḥmad, Manhaǧ imām al-ḥaramayn fī dirāsat al-ʿaqīda. ʿArḍ wa-naqd, Riad: Markaz al-Malik Fayṣal li-l-buḥūṯ wa-d-dirāsāt al-islāmiyya, 1993. ʿAbd al-Maǧīd, ʿAbd al-Maǧīd Maḥmūd, al-Ittiǧāhāt al-fiqhiyya ʿinda aṣḥab al-ḥadīṯ fī l-qarn aṯ-ṯāliṯ al-hiǧrī, Kairo: Maktabat al-Ḫānǧī, 1979. Abdul-Raof, Hussein, Schools of Qur’anic Exegesis, London und New York: Routledge, 2010.
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Personen- und Sachregister Aaron (Prophet), 139, 328, 330 Abaelard, Peter (gest. 1142), 108 ʿAbbād Ibn Sulaymān (gest. nach 260/874), 282, 290 Abdallah, Ssekamanya Siraje, 6 ʿAbd al-Ǧabbār, al-Qāḍī (gest. 415/1025), 44, 48, 50, 188, 195, 196, 230, 236, 264, 299, 300 ʿAbd al-Maǧīd, Aḥmad ʿAbd al-Maǧīd, 265 ʿAbduh, Muḥammad (gest. 1323/1905), 181 Abrahamov, Binyamin, 61, 67, 130, 232 Abscheu (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Abscheu Abū Dāwūd (gest. 275/889), 325 Abū Ḥanīfa (gest. 150/767), 40, 41, 149 Abū Ḥayyān al-Andalusī (gest. 745/1344), 178 Abū l-Huḏayl al-ʿAllāf (gest. 227/842), 43–46, 60, 88, 261, 303 Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī (gest. 436/1044), 50, 93, 264 Abū Lahab (gest. 2/624 oder kurz danach), 213 Abū Ṭālib al-Makkī (gest. 386/996), 310 Abū Ṭālib al-Miškānī (gest. 244/858-9), 310 Abū ʿUbayda Maʿmar Ibn al-Muṯannā (gest. 210/825), 72 Abū Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ, al-Qāḍī (gest. 458/1065), 79, 234, 235, 250, 309, 310, 326 Abū Zayd, Bakr, 26 Abū Zayd, Naṣr Ḥāmid, 150 Acar, Rahim, 58 Ādam (Prophet), 65, 66, 81, 208, 210, 213, 221, 322, 336, 338 Aǧurrī, Abū Bakr al- (gest. 360/970), 75 ahl al-ḥadīṯ, siehe Denkschulen und -weisen → ahl al-ḥadīṯ aḥwāl-Theorie, 46–50, 93, 238 Ahwāzī, Abū ʿAlī al- (gest. 446/1055), 85 Ajhar, Abdel Hakim, 8, 9, 131 Albānī, Nāṣir ad-Dīn al- (gest. 1420/1999), 323, 324
Albertus Magnus (gest. 1280), 163 Alexander von Aphrodisias (bl. um 200 n. Chr.), 163, 169 Ali, Mohamed M. Y., 146, 147 ʿAllāf, Abū l-Huḏayl al-, siehe Abū l-Huḏayl al-ʿAllāf Allāh – (Un-)Ähnlichkeit ∼s zur Schöpfung (siehe auch m-ṯ-l und š-b-h), 83–84, 103, 138, 217–219, 274, 278, 308, 315–316, 320–321 – Attribute von, 66, 143, 235, 274, 320 – Abscheu (buġḍ), 248 – Auf-etwas-Zugehen (ityān), 88, 248 – Auge (ʿayn), 46, 66, 88, 192, 203, 208, 224, 337 – Backenzahn, 79 – Barmherzigkeit (raḥma), 72, 73, 81, 154, 175, 192, 217, 246, 249, 276, 292, 293, 296, 313, 319, 320 – Beisein (maʿiyya), 13, 326–330, 332 – Beständigkeit (baqāʾ), 88, 93 – Eifersucht (ġīra), 249 – Einssein, einer (wāḥid), 55, 56, 88 – Erhöhtsein (ʿuluww; fī s-samāʾ), 42, 81, 84, 202, 206, 218, 312, 313, 315, 316 – Erster (awwal), 56 – Ewigkeit (qidam), 46, 48, 89, 104 – Existenz (wuǧūd), 48, 88, 99, 160, 259, 275 – Finger (iṣbaʿ), 66, 82, 266 – Form (ṣūra), 65–68, siehe auch balkafa-Doktrin; Allāh → Attribute von → Modalität der ∼ (kayfiyya) – Freigiebigkeit (saʿat al-iʿṭāʾ), 208, 213 – Freude (faraḥ), 224, 225, 248 – Gabe, siehe Allāh → Attribute von → Wohltat, Gabe (niʿma, ʿaṭiyya) – Gaumenzäpfchen, 79 – Gerechtigkeit (ʿadl), 13, 44, 233, 248, 263, 289–298, 332, 333, 335 – Gesicht (wahǧ), 46 – Güte (ǧūd), 208, 213
376 | Personen- und Sachregister
– Hand (yad), 46, 66, 68–70, 80, 82, 83, 88, 94, 173, 174, 192, 203, 207–211, 213, 216, 221, 248, 249, 255, 267, 287, 322, 336, 338 – Herabsteigen (nuzūl), 36, 81, 89, 248 – Herbeikommen (maǧīʾ), 89, 248 – Hören (samʿ), 46, 50, 76, 77, 88, 93, 105, 175, 192, 215, 216, 218, 219, 225, 226, 233, 253, 305, 321 – Intellegierender (ʿāqil), 56, 217 – Intellekt (ʿaql), 56, 217 – intellektuell Erfasster (maʿqūl), 56, 217 – Kraft, Macht (qudra), 45, 48, 56, 81, 88, 93, 104, 128, 167, 191, 208–210, 213, 215, 216, 219, 232–234, 259, 290, 294, 302, 304, 308, 314–316 – Lachen (ḍaḥik), 71, 73, 82, 224, 249, 258, 279, 280, 336 – Leben (ḥayāʾ), 46, 48, 50, 56, 88, 93, 104, 160, 161, 164, 171, 215, 216, 219, 223, 225–227, 232–234, 237, 286, 287, 302, 308, 335 – Liebe (maḥabba), 215, 248 – Macht, siehe Allāh → Attribute von → Kraft, Macht (qudra) – Modalität der ∼ (kayfiyya), 66–69, 73, 98, 207, 218, 219, 319–321, 332, 336–338 – Rede (kalām), 6, 13, 36, 49, 62, 74, 76–78, 88, 93, 99, 102, 105, 138, 175, 194, 198, 206, 215, 216, 218, 224, 225, 233, 273, 298–312, 321, 331, 339 – Schienbein (sāqin ), 82 – Sehen (baṣar), 46, 50, 76, 77, 88, 93, 105, 192, 215, 216, 219, 225, 226, 233, 253, 305, 321 – Seite (ǧanb), 88 – Sich-Erheben (istiwāʾ), 13, 36, 68, 70, 77, 88, 90, 94, 175, 218, 312–326, 331, 332, 339 – Sitzen (ǧulūs; quʿūd), 322, 331 – Tat∼, 88–90, 94, 314 – Unterscheidung dahingehend, ob ∼ von Vernunft erkennbar oder nicht, 88 – Unterscheidung zwischen Wesens- und Tat∼, 88, 315 – Verwunderung (taʿaǧǧub), 249
– Wahrheit, Realität (ḥaqq), 57, 138 – Weisheit (ḥikma), 115, 116, 232, 247, 289, 291–298, 332 – Wesens∼, 88–89, 93–94, 208, 233, 251, 278 – Wille (irāda), 49, 50, 56, 57, 88, 90, 93, 105, 126, 128, 175, 198, 215, 216, 233, 247, 256, 287, 290–292, 294, 302, 304, 305, 311, 314, 331 – Wissen (ʿilm), 43, 45, 46, 48–50, 77, 88, 93, 104, 134, 175, 209, 215, 216, 225, 232, 233, 237–241, 294, 302, 308, 311, 321, 327, 328, 332 – Wohltat, Gabe (niʿma, ʿaṭiyya), 81, 208 – Zorn (ġaḍab), 90, 198, 215, 216, 225, 249 – Zufriedenheit (riḍā), 73, 90, 198, 215, 248 – Beziehung zwischen Wesen und Attributen von, 45–50, 89–90, 114, 247, 274, 294, 300–301, 315, 339 – Wesen von, 8, 13, 54, 66, 74, 79, 83, 124, 133, 137, 143, 207, 209, 210, 217, 224, 235, 242, 274, 293, 317, 320, 326–328, 331, 332, 336 – Zeitlichkeit des, 89, 127, 198, 248, 282–288, 331 Allard, Michel, 91, 258 Allegorie, siehe maǧāz ʿAlṯī, Abū l-Faḍl al- (gest. 634/1236), 81 Ālūsī, Abū ṯ-Ṯanāʾ al- (gest. 1270/1854), 132 ambig, siehe mušakkik; auch š-b-h → mutašābih Āmidī, Sayf ad-Dīn al- (gest. 631/1233), 18, 145, 149, 154, 225, 226, 230, 237, 238, 241, 244, 251–253, 256, 258, 259, 267, 278, 279, 338 amphibola, siehe mušakkik ʿAmr Ibn ʿUbayḍ (gest. 144/761), 44 Analogieschluss, siehe qiyās → ∼ tamṯīl Anaximander von Milet (gest. ca. 550 v. Chr.), 284 anfangslose Ereigniskette, siehe tasalsul al-ḥawādiṯ fī l-māḍī Anjum, Ovamir, 1 Anthropomorphismus, Anthropomorphisten (mumaṯṯila,
Personen- und Sachregister
muǧassima, mušabbiha), 1, 5, 6, 11, 15, 28, 31, 61, 64, 65, 67, 69, 70, 80, 83, 91, 94, 105, 176, 210, 215, 221, 222, 232, 233, 236, 240, 254, 255, 279, 313, 315, 316, 318, 321, 337, siehe auch m-ṯ-l → tamṯīl und š-b-h → tašbīh Antinomismus, 138, 142, 275 Aquin, Thomas von (gest. 1274), 163, 164 argumentum a fortiori, siehe qiyās → ∼ awlā argumentum ex remotione, siehe sabr wa-taqsīm Aristoteles (gest. 322 v. Chr.), 52, 59, 100, 108, 111, 112, 117–120, 123, 125, 145, 159, 163, 169, 170, 172, 226, 284, 338 Ašʿarī, Abū l-Ḥasan al- (gest. 324/935-6), 45, 46, 81, 84–95, 99, 100, 198, 216, 225, 228, 232, 233, 235, 241, 250, 266, 277, 297, 309, 314 Aṣfahānī, Abū Muslim al- (gest. 322/934), 145, 146 Ašʿariten, siehe Denkschulen und -weisen → Ašʿariten aṣlaḥ-Theorie, 290 at-Turkī, Ibrāhīm, 17, 157, 158, 173 Auf-etwas-Zugehen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Auf-etwas-Zugehen Auge (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Auge äußerer Wortlaut, siehe ẓāhir Averroes, siehe Ibn Rušd Avicenna, siehe Ibn Sīnā ʿAwnī, Ḥātim al-, 261, 266, 269 Awzāʿī, Abū ʿAmr al- (gest. 157/774), 149 Baġawī al- (gest. 516/1122), 183 Baġdādī, ʿAbd al-Qāhir al- (gest. 429/1037), 87, 94, 209, 297, 320 Baġdādī, Abū l-Barakāt al- (gest. ca. 560/1165), 59, 287, 339 balkafa-Doktrin, 66–70, 74, 77, 89, 90 Bāqillānī, Abū Bakr al- (gest. 403/1013), 68, 90–95, 198, 208, 250, 258, 266, 309, 328 Barbahārī al- (gest. 329/941), 73–75, 86
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Barmherzigkeit, siehe Allāh → Attribute von → Barmherzigkeit Baṣrī, Abū l-Ḥusayn al-, siehe Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī Bāṭiniten, siehe Denkschulen und -weisen → Bāṭiniten Baybars al-Ǧāšnakīr (getötet 709/1310), 30–32, 36 Bayhaqī, Abū Bakr al- (gest. 458/1066), 94, 95, 266, 325 Bazdawī, Abū l-Yusr Muḥammad al- (gest. 493/1099), 312 Bazzār, Abū Ḥafṣ ʿUmar Ibn ʿAlī al- (gest. 749/1349), 313 Behler, Ernst, 123 Beisein (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Beisein Belhaj, Abdessamad, 173, 174 Berger, Lutz, 1 Berührung zwischen Gott und Geschöpf, siehe mumāssa bi-lā kayfa (ohne Wie), siehe balkafa-Doktrin; Allāh → Attribute von → Modalität der ∼ (kayfiyya) Birzālī, al-Qāsim Ibn Muḥammad al- (gest. 739/1339), 30 Bišr Ibn Ġiyāṯ al-Marīsī (gest. 218/833), 99, 210 Bišr Ibn al-Muʿtamir (gest. 210/825), 44 Bramsen, Dorthe, 7 Brodersen, Angelika, 187, 257 Brown, Jonathan, 72, 271, 310 Bubenheim, Frank, 313 Buḫārī, Muḥammad Ibn Ismāʿīl al- (gest. 256/870), 65, 71–73, 270, 271, 280, 286, 298, 303, 310 Buyiden, siehe Dynastien → Buyiden Böses, siehe šarr; qubḥ Chabbi, Jaqueline, 81 Chittick, William, 130, 135, 140, 144 creatio ex creatione (Schöpfung aus dem Erschaffenen), 142, 291 creatio ex nihilo (Schöpfung aus dem Nichts), 53, 128, 135, 142, 161
378 | Personen- und Sachregister
Ḏahabī, Šams ad-Dīn aḏ- (gest. 748/1348), 19, 38, 77, 234, 313, 322–324, 331 Dārimī, Abū Muḥammad ad- (gest. 255/869), 99 Dārimī, Abū Saʿīd ad- (gest. zw. 280–2/893–5), 99 Davidson, Herbert, 282 Denkschulen und -weisen – ahl al-ḥadīṯ, 5, 60–84, 87, 104, 197, 206, 214, 250, 262, 264–266, 270, 273, 280, 298, 301, 303, 304, 309, 313, 317, 322–325, 331, 334, 338, 339 – Ašʿariten, 5, 8, 19, 31, 37, 38, 40, 41, 43, 45, 46, 49, 51, 59, 61, 62, 65, 67, 68, 70, 76–80, 84–95, 99, 100, 102, 104, 105, 121–123, 135, 145, 149, 150, 174, 197, 198, 200–205, 208, 212, 213, 215, 216, 219, 233, 237, 238, 240, 241, 251, 253, 256–259, 266–268, 271, 273, 277–280, 283, 288, 292–297, 299–302, 304, 305, 313, 314, 316, 320, 325, 327, 331–333, 338, 339 – Bāṭiniten, 139, 154, 160 – falāsifa, 5, 8, 9, 21, 40, 51–59, 91, 93, 100, 114, 116, 122, 126, 132, 133, 135, 163, 169, 203, 217, 228, 229, 239, 245–247, 255, 272, 284, 288, 299, 337, 338, 340 – Ǧahmiten, 14, 42, 63, 73, 99, 104, 154, 257, 308, 324–327 – Ḥanafiten, 16, 31, 40, 91, 100, 188, 264 – Ḥanbaliten, 1, 2, 6, 19, 26–28, 31, 37, 40, 60–62, 64, 65, 68, 70, 72–76, 78–84, 86, 91, 93, 102, 105, 132, 136, 150, 154, 158, 195, 204, 205, 211, 234, 235, 240, 250, 265, 270, 310–312, 314, 322, 323, 331, 338, 339 – iḫwān aṣ-ṣafāʾ (die Lauteren Brüder), 125 – Ismailiten, 139, 188, 257 – Karrāmiten, 91, 92, 100, 288, 312, 339 – Mālikiten, 3, 30–32, 35, 85, 250 – Māturīditen, 5, 40, 99, 187, 197, 212, 257, 295, 298, 312 – muʿaṭṭila, siehe taʿṭīl – mufawwiḍa, siehe tafwīḍ – muǧassima, siehe Anthropomorphismus, Anthropomorphisten
– mumaṯṯila, siehe m-ṯ-l → tamṯīl und Anthropomorphismus, Anthropomorphisten – Murǧiʾiten, 17, 196 – mušabbiha, siehe š-b-h → tašbīh und Anthropomorphismus, Anthropomorphisten – Muʿtaziliten, 5, 9, 40, 43–51, 56, 62, 63, 67, 73, 74, 76–79, 84–89, 92–94, 99, 102, 104, 105, 134, 141, 145, 149, 150, 160, 175, 178, 181, 188, 195, 197, 203, 204, 213, 214, 217, 230, 232, 233, 237, 238, 241, 243, 247, 250, 253, 256, 257, 261–265, 273, 279, 290, 292–294, 299–303, 314, 315, 331, 332, 339 – muṯbita, siehe iṯbāt – Qadariten, 262 – Qarmaten, 40, 75, 256 – Šāfiʿiten, 19, 27, 28, 31, 37, 75, 85, 91, 145, 170, 181, 205, 206, 214, 234, 250, 264 – Ẓāhiriten, 145, 264, 265 – Zayditen, 67, 75, 224, 232 – Zwölferschiiten, 2, 29, 37, 51, 74–76, 105, 141, 195, 262, 327 Deutung, siehe taʾwīl; tafsīr Dibbāhī, Šams ad-Dīn ad- (gest. 711/1311), 19, 205 Ḍirār Ibn ʿAmr (gest. 200/815), 43, 262 Ḏuhlī, Muḥammad Ibn Yaḥyā ḏ- (gest. 258/873), 310 Dynastien – Abbasiden, 27, 52, 63, 64, 75–77, 79 – Buyiden, 58, 75, 78, 91 – Fatimiden, 75 – Hamdaniden, 75 – Mamluken, 1, 20, 26–29, 32–34, 37 – Mongolen, 27–29, 33, 37, 82 – Osmanen, 27 – Qarmaten, siehe Denkschulen und -weisen → Qarmaten – Seldschuken, 58, 78, 92, 93 – Umayyaden, 27, 52 Dziri, Amir, 229 Eifersucht (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Eifersucht eindeutig, siehe ḥ-k-m → muḥkam
Personen- und Sachregister
Einheit des Seins, siehe waḥdat al-wuǧūd Elias (gest. ca. 580 n. Chr.), 169, 170 Elmaz, Orhan, 194, 196 Elyas, Nadeem, 313 Emanationslehre (naẓariyyat al-fayḍ), 21, 53, 113, 134 Entleerung, siehe taʿṭīl epistemischer Wert der Überlieferungsbeweise, siehe ḥadīṯ ∼ epistemischer Wert des ∼ Erhöhtsein (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Erhöhtsein Ess, Josef van, 46, 88, 236, 262, 263, 267, 268, 290 etablierte Bedeutung, siehe ẓāhir Ewigkeit (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Ewigkeit Existenz (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Existenz falāsifa, siehe Denkschulen und -weisen → falāsifa (Philosophen) Fārābī al- (gest. 339/950-1), 52, 53, 57, 100, 169, 230, 231, 284 Farāhīdī, al-Ḫalīl Ibn Aḥmad al- (gest. 175/791 oder 170/786 oder 160/776), 149, 318 Fatani, Afnan, 179 Fatimiden, siehe Dynastien → Fatimiden Finger (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Finger Firabrī, Yūsuf al- (gest. 320/932), 72, 73 fiṭra (natürliche Veranlagung), 98, 143, 200, 202, 203, 214, 244, 259, 289, 290, 316, 335, 342 Flügel, Gustav (gest. 1870), 178 Form (ṣūra), siehe Allāh → Attribute von → Form (ṣūra) Frank, Richard, 46, 47, 68, 84, 102, 305 Freigiebigkeit (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Freigiebigkeit Freude (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Freude Ǧāḥiẓ, ʿAmr Ibn Baḥr al- (gest. 255/869), 67, 150, 230, 262
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Ǧahm Ibn Ṣafwān (gest. 128/746), 42, 160, 210, 231, 234, 292 Ǧahmiten, siehe Denkschulen und -weisen → Ǧahmiten Galen (gest. 210 n. Chr.), 122 Ǧawharī, Ḥammād al- (gest. 393/1002-3), 187 Ǧaylānī, ʿAbd al-Qādir al-, siehe Ǧīlī, ʿAbd al-Qādir alĠazālī, Abū Ḥāmid al- (gest. 505/1111), 9, 58, 59, 80, 93, 94, 102, 116, 123, 132, 162, 163, 170–172, 198, 204, 211, 216, 236, 238, 240, 253, 277, 290, 305, 314, 329 Ġāzān (reg. 694–704/1295–1304), 28, 29 Gerechtigkeit, 289–290 – als Attribut Gottes, siehe Allāh → Attribute von → Gerechtigkeit Gesicht (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Gesicht Gharaibeh, Muhammad, 5, 71 Ǧīlī, ʿAbd al-Qādir al- (gest. 561/1166), 81 Gimaret, Daniel, 87, 99, 236, 257, 258, 310 Ǧišumī, al-Ḥākim al- (gest. 494/1101), 264 Goldziher, Ignaz, 6, 61, 178 Gott, siehe Allāh Gottesschau (ruʾya), 74, 99, 100, 128, 204, 233, 243, 257, 259, 275, 316, 322 Griffel, Frank, 3, 4, 52, 58, 92, 116, 198, 200–203, 231 Ǧubbāʾī, Abū ʿAlī al- (gest. 303/916), 44, 46, 48, 85, 89, 99, 188, 195, 263 Ǧubbāʾī, Abū Hāšim al- (gest. 321/933), 44, 46–48, 50, 51, 238 Ġulām Ḫalīl (gest. 275/888), 73 Günther, Sebastian, 73 Ǧurǧānī, ʿAbd al-Qāhir al- (gest. 471/1078), 147 Ǧurǧānī, aš-Šarīf al- (gest. 816/1413), 121 Gut, siehe ḫayr; ḥusn Ǧuwaynī, Abū l-Maʿālī al- (gest. 478/1085), 27, 38, 51, 92–94, 100, 105, 208, 236–240, 244, 250, 258, 278, 279, 284–286, 299, 301, 302, 314 Gwynne, Rosalind, 243 Güte (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Güte
380 | Personen- und Sachregister
ḥadīṯ (überliefertes Prophetenwort) – ∼wissenschaftliche Terminologie – ʿadāla, 260 – āḥād, 260–262, 264–266, 269, 270, 272, 280, 325 – ḍabṭ, 260 – ḍaʿīf, 134, 260 – ġarīb, 272 – ḥasan, 260 – ʿilla, 260 – mawḍūʿ, 82 – mutawātir, 80, 102, 260–267, 269, 270, 280, 295 – ṣaḥīḥ, 134, 158, 260 – šuḏūḏ, 260 – epistemischer Wert des ∼, 260–273 – Weitergabeprozess der ∼-Sammlung al-Buḫārīs, 72 Ḫalīl Ibn Aḥmad al-Farāhīdī al-, siehe Farāhīdī, al-Ḫalīl Ibn Aḥmad alḤallāǧ, al-Ḥusayn Ibn Manṣūr al- (getötet 309/922), 79 Hallaq, Wael, 2, 114, 229 Hamdaniden, siehe Dynastien → Hamdaniden Ḥammūya, Ṣadr ad-Dīn al- (gest. 649/1252), 129 Ḥanafiten, siehe Denkschulen und -weisen → Ḥanafiten Ḥanbaliten, siehe Denkschulen und -weisen → Ḥanbaliten Hand (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Hand Hansu, Hüseyin, 261 Haque, Serajul, 6 Ḫarazī, Abū l-Ḥasan al- (gest. 391/1001), 177 Hartshorne, Charles, 62 Hārūn (Prophet), siehe Aaron (Prophet) Ḫaṭṭābī, Abū Sulaymān al- (gest. 388/998), 68, 73, 266, 325 ḫayr (Gut), 52, 55, siehe auch ḥusn Ḫayyāṭ, Abū l-Ḥusayn al- (gest. 300/913), 44, 233, 262 Heinrichs, Wolfhart, 145, 150, 174 Herabsteigen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Herabsteigen
Herbeikommen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Herbeikommen Ḫiḍr al- (koranische Gestalt), 184 ḥikma, siehe Weisheit; Allāh → Attribute von → Weisheit Ḥillī, Ibn Muṭahhar al- (gest. 726/1325), 51, 327, 330 ḥ-k-m – ḥikma, siehe Weisheit; Allāh → Attribute von → Weisheit – ḥukm (Urteil), 136, 228, 242 – iḥkam, 189, 190, 192, 240 – muḥkam, 18, 21, 116, 178, 179, 188, 189, 191–194, 196, 197, 223, 233, 276, 277 Hölle, 293, 296, 297 – (Nicht-)Ewigkeit der, 290, 295–298, 332, 335 Hoover, Jon, 1, 5, 8–10, 12, 29, 115–117, 290, 294, 312 ḥukm (Urteil), siehe ḥ-k-m → ḥukm ḥulūl (Pantheismus), 130, 143, 326, 328 ḥusn (Gut), 289, 295, siehe auch ḫayr Hören (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Hören Iblīs, 189, 208, 210 Ibn Kaʿb, Ubayy, siehe Ubayy Ibn Kaʿb Ibn Sulaymān, Muqātil, siehe Muqātil Ibn Sulaymān Ibn ʿAbbād, Muʿammar, siehe Muʿammar Ibn ʿAbbād Ibn ʿAbbās, ʿAbd Allāh (gest. 68/687-8), 180, 218, 221, 244, 286 Ibn Abī ʿAbd ar-Raḥmān, Rabīʿa, siehe Rabīʿa Ibn Abī ʿAbd ar-Raḥmān Ibn Abī ʿĀṣim (gest. 287/900), 74 Ibn Abī Dāwūd, Abū Bakr (gest. 316/929), 177 Ibn Abī Ḥātim (gest. 327/939), 187 Ibn Abī l-ʿIzz (gest. 792/1390), 188 Ibn Abī Rabīʿa, ʿUmar (gest. 93/712 oder 103/721), 253 Ibn Abī Yaʿlā Ibn al-Farrāʾ (gest. 526/1133), 64 Ibn al-ʿAlāʾ, Abū ʿAmr (gest. 154/771), 149 Ibn ʿAlī, Dāwūd (gest. 270/884), 145, 264, 265
Personen- und Sachregister
Ibn ʿAmr, Ḍirār, siehe Ḍirār Ibn ʿAmr Ibn ʿAqīl (gest. 513/1119), 27, 61, 79, 154, 235, 240 Ibn al-ʿArabī, Abū Bakr (gest. 543/1148), 3 Ibn ʿArabī, Muḥyī d-Dīn (gest. 638/1240), 3, 10, 29, 30, 32, 36, 53, 121, 129–135, 137–144, 275, 340 Ibn ʿAsākir (gest. 571/1175), 85, 233, 324 Ibn ʿAṭāʾ Allāh al-Iskandarī (gest. 709/1310), 32 Ibn ʿAṭāʾ, Wāṣil, siehe Wāṣil Ibn ʿAṭāʾ Ibn ʿAṭiyya (gest. 541/1147), 195 Ibn Ayyūb, Abū Manṣūr (gest. 421/1030), 94 Ibn Bāǧǧa (gest. 533/1139), 169, 170 Ibn Baqqāl (gest. 440/1048), 75 Ibn Baṭṭa (gest. 387/997), 68, 75 Ibn Baṭṭūṭa (gest. 770/1368 oder 779/1377), 24, 25, 35 Ibn ad-Dahhān (gest. 592/1196), 170 Ibn Dāwūd, Muḥammad (gest. 270/884), 265 Ibn al-Fāriḍ (gest. 632/1235), 129 Ibn Fāris (gest. 395/1004), 186 Ibn Fūrak, Abū Bakr (gest. 406/1015), 87, 90–92, 94, 99, 266, 325, 326, 329 Ibn al-Ǧawzī, Abū l-Faraǧ (gest. 597/1201), 65, 76, 80, 81, 183 Ibn Ḥaǧar (gest. 852/1449), 25, 72, 73, 212 Ibn Ḥāmid (gest. 403/1012), 80, 177 Ibn Ḥammād, Nuʿaym (gest. 228/843), 286 Ibn Ḥanbal, Aḥmad (gest. 241/855), 64–68, 71, 75, 79, 87, 99, 152, 234, 265, 271, 279, 298–300, 305, 308–312, 331, 339 Ibn al-Hayṣam, Muḥammad (gest. 409/1019), 91 Ibn Ḥazm (gest. 456/1064), 90, 265, 311, 325 Ibn Ḥunayn, Isḥāq (gest. 298/910-1), 120 Ibn Ḫuzayma, Abū Bakr (gest. 311/924), 62, 72, 312, 325 Ibn ʿĪsā, Muhannā (gest. 736/1335-6), 20 Ibn Isḥāq, Ḥunayn (gest. 260/873), 52 Ibn Isḥāq, Muḥammad (gest. 151/768), 324, 325
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Ibn Karrām, Abū ʿAbdallāh Muḥammad (gest. 255/869), 91 Ibn Kaṯīr (gest. 774/1373), 25 Ibn Kullāb (gest. 241/855), 78, 87, 89, 301, 314, 322 Ibn Maḫlūf, Zayn ad-Dīn (gest. 718/1318), 30–32 Ibn Mandah, ʿAbd ar-Raḥmān (gest. 470/1078), 272 Ibn Mandah, ʿAbd ar-Raḥmān (gest. 470/1078), 60 Ibn Manẓūr (gest. 711/1311), 186, 187 Ibn Masʿūd, ʿAbd Allāh (gest. 32/652-3 oder 33/653-4), 180 Ibn Mattā, Bišr (gest. 328/940), 52 Ibn Mattawayh (bl. 5./11. Jh.), 236 Ibn al-Munaǧǧa, Zayn ad-Dīn (gest. 695/1296), 28 Ibn al-Muraḥḥil, Zayn ad-Dīn (gest. 716/1316), 32 Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350), 30, 146, 157, 322, 331 Ibn Qudāma al-Maqdisī, Abū Muḥammad (gest. 620/1223), 70, 81, 82, 154, 196, 235, 236, 265 Ibn al-Qušayrī, Abū n-Naṣr (gest. 514/1120), 78, 79 Ibn Qutayba (gest. 276/889), 66, 68, 308, 309 Ibn Raǧab (gest. 795/1393), 16, 17, 33, 158 Ibn Rāhwayh, Isḥāq (gest. 238/853), 270 Ibn Rušd (gest. 595/1198), 10, 11, 40, 57–59, 121, 132, 169, 170, 231, 256, 340 Ibn Sabʿīn (gest. 669/1270), 129 Ibn Ṣafwān, Ǧahm, siehe Ǧahm Ibn Ṣafwān Ibn aṣ-Ṣalāḥ (gest. 643/1245), 270 Ibn Sīnā (gest. 428/1037), 10, 52, 54–59, 67, 91, 93, 100, 101, 108, 111–113, 121, 126, 133, 163, 169, 170, 217, 228, 229, 241, 245, 257, 284, 290, 334, 335 Ibn Sulaymān, ʿAbbād, siehe ʿAbbād Ibn Sulaymān Ibn Surayǧ, Aḥmad Ibn ʿUmar (gest. 306/918), 70 Ibn Ṭāhir al-Maqdisī (gest. 507/1113-4), 82 Ibn Taymiyya, Maǧd ad-Dīn (gest. 652/1254), 27
382 | Personen- und Sachregister
Ibn Taymiyya, Šaraf ad-Dīn (gest. 727/1327), 30, 31, 35 Ibn Taymiyya, Šihāb ad-Dīn (gest. 683/1284), 27 Ibn aṭ-Ṭayyib (gest. 435/1043), 169 Ibn at-Tilimsānī, ʿAfīf ad-Dīn (gest. 690/1291), 129 Ibn at-Tilimsānī, Šaraf ad-Dīn (gest. 658/1260), 267, 268 Ibn Ṭufayl (gest. 581/1185), 57 Ibn ʿUbayḍ, ʿAmr, siehe ʿAmr Ibn ʿUbayḍ Ibn ʿUyayna, Sufyān (gest. 196/811), 184 Ibn Zayd, ʿAbd ar-Raḥmān al-Madanī (gest. 182/798-9), 187 Īǧī, ʿAḍud ad-Dīn al- (gest. 756/1355), 121, 238, 267 Ignatius von Antiocha (gest. im 2. Jh. n. Chr.), 123 Iḫnāʾī, Taqī ad-Dīn al- (gest. 750/1349), 35 iḫwān aṣ-ṣafāʾ, siehe Denkschulen und -weisen → iḫwān aṣ-ṣafāʾ infiniter Regress, siehe tasalsul al-ḥawādiṯ fī l-māḍī Interpretation, siehe taʾwīl; tafsīr irāda, siehe Wille; Allāh → Attribute von → Wille Isfarāyīnī, Abū Isḥāq al- (gest. 418/1027), 90–92, 145, 266, 283 Iskāfī, Abū Jaʿfar al- (gest. 240/854), 44, 50 Ismailiten, siehe Denkschulen und -weisen → Ismailiten ištirāk (Äquivozität, Homonymie), siehe muštarak iṯbāt (Bestätigung), 70, 71, 104, 105, 219 Jackson, Sherman, 7, 61, 62, 162, 165 Jaffer, Tariq, 94, 203, 269 Jarrar, Maher, 73 Jesus (Prophet), 140 Johannes Philoponos (gest. ca. 575 n. Chr.), 53 Kaʿbī, Abū l-Qāsim al- (gest. 319/931), 44, 49, 50, 233, 262, 263 kalām (Rede; Disputation; spekulative Theologie), 9, 43–44, 47, 59, 62, 79, 81, 86, 87, 92, 93, 182, 198, 203, 212,
234, 235, 253, 254, 263, 280, 282, 313, 331, 337, 338, 340 – als Attribut Gottes, siehe Allāh → Attribute von → Rede Kalwaḏānī, Abū l-Ḫaṭṭāb al- (gest. 510/1116), 235 Karrāmiten, siehe Denkschulen und -weisen → Karrāmiten Kawṯarī Muḥammad Zāhid al- (gest. 1371/1952), 269 Kindī, Abū Yaʿqūb Ibn Isḥāq al- (gest. zw. 247/861 und 252/866), 51–53, 60 Knysh, Alexander, 2, 141–143 Konzeptualismus, ontologischer, 102, 106, 108, 109, 111–113, 118, 151, 167, 247, 274, 291, 304 Kraft (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Kraft Krawietz, Birgit, 1, 2 Kūrānī, Ibrāhīm al- (gest. 1101/1690), 132 Kügelgen, Anke von, 2, 109, 110, 114–119, 200 Lachen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Lachen Lagarde, Michel, 181 Lameer, Joep, 231 Laoust, Henri, 5–7, 60, 61, 64, 305, 310 Leben (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Leben Leibniz, Gottfried (gest. 1716), 123 Liebe (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Liebe Locke, John (gest. 1704), 109 Macdonald, Duncan B., 6, 24 Macht (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Macht Madelung, Wilferd, 78, 232, 299, 311 maǧāz (Metapher, Allegorie), 17–19, 76, 83, 106, 145–160, 164, 166, 168, 169, 172–177, 182, 185, 206, 207, 209, 211, 215, 267, 275, 276, 278, 337, 339, 340 māhiya (Quiddität), 55, 98, 110, 111, 113, 185, 188 Makdisi, George, 38, 60, 61, 78, 95
Personen- und Sachregister
Mālik Ibn Anas (gest. 179/796), 68–70, 149, 319, 320 Mālikiten, siehe Denkschulen und -weisen → Mālikiten Mamluken, siehe Dynastien → Mamluken Maʾmūn, al- (reg. 198–218/813–833), 63, 76 Manbiǧī, Naṣr ad-Dīn al- (gest. 719/1319), 30, 131 Mānkdīm Šašdīw (gest. ca. 425/1034), 264 Manṣūr al- (reg. 136–158/754–775), 52 Maqdisī, Šaraf ad-Dīn al- (gest. 694/1295), 27 Mardāwī, ʿAlī al- (gest. 885/1480), 195 Marmura, Michael, 56, 58, 112 Marwazī, Abū Isḥāq al- (gest. 340/951), 85 Maṭʿanī, ʿAbd al-ʿAẓīm al-, 145, 146, 150, 156, 157, 159, 173 Māturīdī, Abū Manṣūr al- (gest. 333/944), 40, 41 mehrdeutig, siehe š-b-h → mutašābih Melchert, Christopher, 73, 264 Metapher, siehe maǧāz Michot, Yahya, 1, 6, 29 Mill, John Stuart (gest. 1873), 109, 162 miṯl, siehe m-ṯ-l → miṯl Mizzī, Ǧamāl ad-Dīn al- (gest. 742/1341), 30 Modalität der Attribute Gottes, siehe balkafa-Doktrin; Allāh → Attribute von → Modalität der ∼ (kayfiyya) Modulation, siehe mušakkik Mongolen, siehe Dynastien → Mongolen Morewedge, Parviz, 112 Moses (Prophet), 18, 116, 139, 184, 220, 300, 302, 304, 308, 328, 330, 331 Mourad, Suleiman, 197 m-ṯ-l (siehe auch Allāh → (Un-)Ähnlichkeit zur Schöpfung) – miṯl, 102–104, 242 – tamāṯul, 102, 103, 105 – tamṯīl, 103–105, 222, 274, 315, 337, 338 Muʿammar Ibn ʿAbbād (gest. 215/830), 44 Muǧāhid Ibn Ǧabr al-Makkī (gest. 104/722), 183, 209, 323 Muḥammad (Prophet), 25, 28, 60, 63, 65, 66, 86, 130, 179, 186, 190, 278, 302, 324, 327, 331, 340
| 383
Muḥammad, Maḏbūḥī, 146 Muḥāsibī, Ḥāriṯ al-(gest. 243/857), 87 muḥkam (eindeutig), siehe ḥ-k-m → muḥkam mumāssa (Berührung zwischen Gott und Geschöpf), 314, 321, 322, 329, 331, 332, 336–339 Muqaddasī, Šams ad-Dīn al- (gest. nach 380/990), 87 Muqātil Ibn Sulaymān (gest. 150/767), 162, 178, 186, 188 Murǧiʾiten, siehe Denkschulen und -weisen → Murǧiʾiten Murṭaḍā z-Zabīdī (gest. 1205/1791), 212 mušakkik (analog), 160–164, 166–168, 170, 171, 242, 275, 287, 327, 332 Muslim Ibn al-Ḥaǧǧāǧ (gest. 261/875), 270, 271, 280 muštarak (äquivok, homonym), 83, 160–162, 164, 170, 171, 182 mutašābih, siehe š-b-h → mutašābih Mutawakkil al- (reg. 232–247/847–861), 311 Mutawallī š-Šāfiʿī al- (gest. 478/1086), 236 mutawāṭiʾ (univok), 160–162, 164, 169, 170, 242, 275 Muʿtaziliten, siehe Denkschulen und -weisen → Muʿtaziliten Mystik, siehe taṣawwuf Mūsā (Prophet), siehe Moses (Prophet) Nagel, Tilman, 78 Naḥḥās, Abū Ǧaʿfar an- (gest. 338/950), 213 Nasafī, Abū l-Barakāt an- (gest. 710/1310), 212 Nasafī, Abū l-Muʿīn an- (gest. 508/1114), 257 Nasafī, Ibrāhīm Ibn Maʿqil an- (gest. 295/907-8), 72 Nāšī, Abū l-ʿAbbās an- (gest. 293/906), 160 Nāṣir al-Qalāwūn (reg. 693/1293, 698–708/1299–1309 und 710–741/1310–1341), 29, 32, 35 natürliche Veranlagung, siehe fiṭra Naẓẓām, an- (gest. wohl 221/836), 44, 46, 86, 262, 267
384 | Personen- und Sachregister
Neuplatonismus, 43, 45, 52, 53, 55, 61, 112, 114, 170, 246, 335 Neuwirth, Angelika, 194 Nguyen, Martin, 87 Niẓām al-Mulk (getötet 485/1092), 93 Nominalismus, ontologischer, 107–110, 112, 114 ohne Wie (bi-lā kayfa), siehe balkafa-Doktrin; Allāh → Attribute von → Modalität der ∼ (kayfiyya) Öljeitü (reg. 703–716/1304–1316), 29 Omari, Racha el-, 261–263 Osmanen, siehe Dynastien → Osmanen Pantheismus, siehe ḥulūl Paradies, 106, 125, 166, 192, 218, 242, 255, 284, 293, 296, 297 Paret, Rudi, 313 Philosophen, siehe Denkschulen und -weisen → falāsifa Platon (gest. 347 v. Chr.), 106–108, 111, 113, 122, 170, 284 Plotin (gest. 270 n. Chr.), 52, 246 Porphyrios (gest. nach 300 n. Chr.), 59, 107, 111, 169 Proklos (gest. 485 n. Chr.), 52, 246 Prophetenwort, siehe ḥadīṯ Qadariten, siehe Denkschulen und -weisen → Qadariten Qadhi, Yasir, 213, 214, 312 Qādir, al- (reg. 381–422/991–1031), 76, 78 – Glaubensbekenntnis des, 76–78 Qaffāl aš-Šāšī al- (gest. 365/976), 181 Qāʾim, al- (reg. 422–467/1031–1075), 78 Qalānisī, al- (bl. in der zweiten Hälfte des 3./9. Jhs.), 87 Qaraḍāwī, Yūsuf al-, 71, 177 Qarmaten, siehe Denkschulen und -weisen → Qarmaten Qāsimī, Ǧamāl ad-Dīn al- (gest. 1332/1914), 132, 176, 177 Qaṣṣāb al-Karaǧī, Abū Aḥmad al- (gest. 360/971 oder kurz zuvor), 77, 78, 264 Qasṭallānī, Abū l-ʿAbbās al- (gest. 923/1517), 72
qiyās – ∼ awlā (argumentum a fortiori), 19, 106, 225, 227, 242, 243, 245, 247, 249, 250, 258, 259, 274, 279, 286, 304, 316, 317, 322, 335, 336, 338 – ∼ al-ġāʾib ʿalā š-šāhid (QĠŠ; Schluss vom Bekannten auf das Unbekannte), 228, 230–243, 246–248, 250–253, 255–259 – ∼ iqtirānī (Syllogismus), 59, 228–229, 239–240, 242, 253–255, 258–259, 279, 336, 338 – ∼ tamṯīl (Analogieschluss), 229, 279, 316 qubḥ (Übel, Schlechtigkeit), 289, 295, siehe auch šarr Quiddität, siehe māhiya Quiring-Zoche, Rosemarie, 72 Qūnawī, Ṣadr ad-Dīn al- (gest. 673/1274), 129 Qušayrī, Abū l-Qāsim al- (gest. 465/1072), 78, 92 Rabīʿa Ibn Abī ʿAbd ar-Raḥmān (gest. 133/750-1 oder 136/753-4), 319, 320 Rāġib al-Aṣfahānī, ar- (gest. nach 409/1018), 188 raḥma, siehe Allāh → Attribute von → Barmherzigkeit Rapoport, Yossef, 8 Rassī, al-Qāsim Ibn Ibrāhīm ar- (gest. 246/860), 67, 224, 232, 235 Rāzī, Abū Bakr ar- (gest. 313/925 oder 323/935), 122 Rāzī, Abū Ḥātim ar- (gest. 322/934-5), 188 Rāzī, Faḫr ad-Dīn ar- (gest. 606/1210), 15, 38, 43, 59, 62, 94, 99, 100, 103, 122, 123, 127, 198, 199, 203, 213, 236, 238, 240, 241, 244, 256, 257, 260, 261, 266–269, 272, 273, 277, 280, 288, 295, 314, 316, 339 Realismus, ontologischer, 101, 102, 107–114, 118, 119, 141, 151, 229 reductio ad absurdum (ḫulf ), 301 Regress, infiniter, siehe tasalsul al-ḥawādiṯ fī l-māḍī regressum ad infinitum, siehe tasalsul al-ḥawādiṯ fī l-māḍī
Personen- und Sachregister | 385
Rescher, Nicholas, 231 ruʾya, siehe Gottesschau sabr wa-taqsīm (argumentum ex remotione), 245, 338 Ṣābūnī, Nūr ad-Dīn aṣ- (gest. 580/1184), 212 Ṣaffār, Abū Isḥāq aṣ- (gest. 534/1139), 99, 187 Šāfiʿī, Muḥammad Ibn Idrīs aš- (gest. 204/820), 60, 149, 205, 264 Šāfiʿiten, siehe Denkschulen und -weisen → Šāfiʿiten Šahrastānī, Muḥammad aš- (gest. 548/1143), 282 salb wa-īǧāb (Verneinung und Bejahung), 226 ʿadam wa-malaka (Beraubung und Innehaben), 226 Sālim, Rašād, 18 Šarīf al-Murtaḍā, aš- (gest. 436/1044), 195 šarr, 292, 295, 296 šarr (Böses), siehe auch qubḥ Sarrūǧī, Šams ad-Dīn as- (gest. 710/1310), 16 Satan, der, siehe Iblīs Satz vom – ∼ ausgeschlossenen Dritten, 226, 252 – ∼ zureichenden Grund, 291 Šayḫzādah, ʿAbd ar-Raḥīm Ibn ʿAlī (gest. 944/1537), 295, 296, 298 Sayoud, Souheil, 7 š-b-h (siehe auch Allāh → (Un-)Ähnlichkeit zur Schöpfung) – ištibāh, 102, 103 – mutašābih, 17, 18, 21, 170, 171, 178–180, 183, 185, 188–192, 194–197, 199, 220, 223, 233, 276, 277, 319, 320 – šibh, 102, 103 – tašābuh, 102, 189, 190, 192, 193 – tašbīh, 60, 67, 80, 103–106, 133, 153, 221, 232, 274 Schienbein (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Schienbein Schiiten, siehe Denkschulen und -weisen → Zwölferschiiten, Zayditen, Qarmaten;
Ismailiten; auch Dynastien → Fatimiden, Buyiden, Hamdaniden Schluss vom Bekannten auf das Unbekannte, siehe qiyās → ∼ al-ġāʾib ʿalā š-šāhid Schmidtke, Sabine, 88 Schöller, Marco, 26, 35 Sehen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Sehen Seinsmonismus, siehe waḥdat al-wuǧūd Seite (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Seite Seldschuken, siehe Dynastien → Seldschuken Shahran, Mohd, 269 Sībawayh (gest. ca. 180/796), 149, 150 šibh, siehe š-b-h → šibh Sich-Erheben (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Sich-Erheben Siǧistānī, Abū Yaʿqūb as- (gest. nach 361/971), 40, 256 Šinqīṭī, Muḥammad al-Amīn aš- (gest. 1393/1974), 146 Sitzen (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Sitzen Skinner, Quentin, 12 Spitta, Wilhelm, 84 Šuʿayb (Prophet), 18 Subkī, Tāǧ ad-Dīn as- (gest. 771/1370), 238, 320 Subkī, Taqī ad-Dīn as- (gest. 756/1355), 296–298 Sufismus, siehe taṣawwuf Šuǧayrī, Hādī š-, 157, 173, 177 Suhrawardī, Šihāb ad-Dīn as- (getötet 587/1191), 116 Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn as- (gest. 911/1505), 65, 108, 160 Swartz, Merlin, 81 Syamsuddin, Sahiron, 194, 196 Syllogismus, siehe qiyās → ∼ iqtirānī Ṭabarī, Muḥammad Ibn Ǧarīr aṭ- (gest. 310/923), 70, 74, 178, 180, 181, 183, 186, 187, 190, 194, 196, 197, 209, 277, 323
386 | Personen- und Sachregister
tafsīr (Interpretation), 178, 182, 183, 185–188, 196 Taftāzānī, Saʿd ad-Dīn at- (gest. 793/1390), 102, 267 tafwīḍ (Überlassung), 9, 69–71, 79, 80, 83, 164, 171, 192, 199, 222, 277, 319, 320 Ṯaʿlab (gest. 291/904), 188 Ṯaʿlabī aṯ- (gest. 427/1035), 183 tamāṯul, siehe m-ṯ-l → tamāṯul Tamer, Georges, 9 Tamīmī, Abū l-Faḍl at- (gest. 410/1020), 177 tamṯīl, siehe m-ṯ-l → tamṯīl tašābuh, siehe š-b-h → tašābuh tasalsul al-ḥawādiṯ fī l-māḍī (infiniter Regress), 117, 283–286, 288, 291, 301, 304, 331, 336, 339 taṣawwuf (Sufismus), 30, 53, 78, 129, 130, 132, 133, 143 tašbīh, siehe š-b-h → tašbīh taškīk (Analogie), siehe mušakkik taʿṭīl (Entleerung), 42, 104, 137, 219, 222, 237, 254, 255, 316 tawāṭuʾ (Univozität), siehe mutawāṭiʾ taʾwīl ([Um-]deutung), 17, 18, 21, 71, 81, 146, 148, 157, 176, 177, 179, 180, 182–192, 194–196, 199, 204–206, 210–215, 221, 223, 266, 273, 276–278, 314, 318, 326, 328, 329, 332, 339 Ṯawrī, Sufyān aṯ- (gest. 161/778), 149 Teufel, der, siehe Iblīs Theorie der Zustände, siehe aḥwāl-Theorie Thomas von Aquin, siehe Aquin, Thomas von Tobgui, Carl El-, 146, 181, 212 Treiger, Alexander, 43, 163, 164 Ṭūfī, Naǧm ad-Dīn aṭ- (gest. 716/1316), 82–84, 136 Tughrul Beg (gest. 455/1063), 92 Ubayy Ibn Kaʿb (gest. zw. 19/640 und 35/656), 180 Übel, siehe qubḥ; šarr Überlassung, siehe tafwīḍ Umayyaden, siehe Dynastien → Umayyaden ʿUṯaymīn, Muḥammad Ibn Ṣāliḥ al- (gest. 1421/2001), 146
ʿUthmān Ibn ʿAffān (reg. 23–35/644–56), 180 Vasalou, Sophia, 7–9 Veranlagung, siehe fiṭra Verwunderung (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Verwunderung waḥdat al-wuǧūd (Einheit des Seins, Seinsmonismus), 3, 129, 133, 137–144, 275 Wansbrough, John, 194 Wāṣil Ibn ʿAṭāʾ (gest. 131/748-9), 44 Wein, Clemens, 6 Weisheit, 139, 212, 289, siehe auch Allāh → Attribute von → Weisheit Wensinck, Arent Jan, 42 Wie, das (kayfa), siehe balkafa-Doktrin; Allāh → Attribute von → Modalität der ∼ (kayfiyya) Wille, 42, 117, 143, 158, 166, 167, 171, 175, 216, 297, siehe auch Allāh → Attribute von → Wille Williams, Wesley, 64–67 Wöhler, Hans-Ulrich, 106, 112 Wohltat (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Wohltat Woozley, Anthony, 108 yad, siehe Allāh → Attribute von → Hand Yūnīnī, Šaraf ad-Dīn al- (gest. 701/1302), 72 Zacharias (Prophet), 152 Zāġūnī, Abū l-Ḥasan az- (gest. 527/1132), 80, 211, 235, 309 ẓāhir (äußerer Wortlaut; etablierte Bedeutung), 83, 162, 176, 195, 199–203, 206, 207, 210, 220, 221, 264, 275, 328, 329, 337 Ẓāhiriten, siehe Denkschulen und -weisen → Ẓāhiriten Zaidan, Amir, 313 Zakariyyā (Prophet), siehe Zacharias (Prophet) Zamaḫšarī, Ǧār Allāh az- (gest. 538/1144), 50, 178, 181, 194, 196, 197
Personen- und Sachregister
Zarkašī, Burhān ad-Dīn az- (gest. 794/1392), 172, 181, 267 Zayditen, siehe Denkschulen und -weisen → Zayditen Zorn (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Zorn
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Zufriedenheit (als Attribut Gottes), siehe Allāh → Attribute von → Zufriedenheit Zustandstheorie, siehe aḥwāl-Theorie Zwölferschiiten, siehe Denkschulen und -weisen → Zwölferschiiten
Koranstellenregister 2:7, 268 2:60, 116 2:163, 191 2:195, 248 3:5, 178 3:6, 178 3:7, 18, 21, 178–184, 186–188, 190, 192–194, 196, 197, 276, 277 3:139, 249 3:182, 209 4:59, 186 4:93, 249 4:163, 50 5:64, 82, 208 5:119, 248 6:7, 235 6:12, 293 6:28, 296 6:60, 317 6:67, 183 6:158, 248 7:53, 186, 187 7:54, 312 7:172, 213 9:6, 347 9:19, 347 9:40, 327, 328, 330 10:3, 312 11:1, 193 11:44, 175 12:4, 184 12:37, 188 12:100, 184 13:2, 312 16:21, 227 16:60, 244 16:128, 328 17:23, 139 17:35, 186 17:79, 323 18:65–82, 184 18:77, 166 18:78, 184, 186
18:82, 184, 186 18:109, 304 19:3, 152 19:65, 210 20:5, 312, 313, 319, 320 20:20, 220 20:46, 328, 330 22:10, 209 22:52, 189, 193 23:28, 175, 321 25:2, 191 25:59, 312 26:196, 306 27:88, 292 28:88, 71, 72 30:27, 244 28:30, 300 32:4, 312 32:5, 287 32:7, 292 33:62, 116 35:41, 321 36:39, 161 36:71, 209 37:12, 249 37:47, 255 38:75, 66, 81, 209, 211, 221, 248 39:23, 193 39:42, 317 40:7, 315 42:11, 104, 210, 308 51:47, 213 54:14, 66 55:27, 62, 82, 248 56:77–8, 306 57:4, 312, 328, 329 58:7, 328 68:42, 82 69:17, 315 71:23, 140 74:31, 191 89:22, 177, 248 90:17, 249
Koranstellenregister
95:2, 306 96:1, 286 96:4–5, 101
112:1, 210 112:1–2, 20 112:2, 244
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