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German Pages 253 Year 2000
LOIS FERDINAND FUNK
Hypertrophiertes Design und Konsumverhalten
Beiträge zur Verhaltensforschung Herausgegeben von
Prof. Dr. Meinolf Dierkes, Berlin Prof. Dr. Gerhard Scherhorn, Hohenheim Prof. Dr. Burkhard Strümpel t, Berlin
Heft39
Hypertrophiertes Design und Konsumverhalten Wirkungsanalyse des Phänomens nebst Ansätzen zu einer Neuorientierung
Von
Lois Ferdinand Funk
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Funk, Lois Ferdinand:
Hypertrophiertes Design und Konsumverhalten : Wirkungsanalyse des Phänomens nebst Ansätzen zu einer Neuorientierung I von Lois Ferdinand Funk.Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Beiträge zur Verhaltensforschung ; H. 39) Zug!.: Hohenheim, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-09862-5
D 100 Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0522-7194 ISBN 3-428-09862-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Geleitwort Die Beziehung zwischen Konsument und Konsumgut ist in zunehmendem Maße durch das Verschwinden des Gebrauchswerts charakterisiert. Das Konsumgüterdesign hat seinen Anteil an dieser Entwicklung, wenn und indem es die beiden anderen Funktionen des Produkts - die semantische und die ästhetische Funktion - so einseitig in den Vordergrund rückt, daß das Design hypertrophiert. Der Verfasser macht dies mit den Ergebnissen einer Dokumentenanalyse anschaulich. In jeweils einem Jahrgang von zwei Zeitschriften mit hoher Verbreitung in konsumstarken Leserschichten hat er eine beträchtliche Anzahl von Konsumgütern gefunden, deren Design die Konsumenten daran hindert, das Produkt in einer an dessen Idealtyp orientierten Weise mit Bedeutung zu versehen. Es zeigt sich, daß das hypertrophierte Design nur eine eindimensionale und defizitäre Beziehung zum Objekt zuläßt. Sie resultiert aus zwei miteinander korrespondierenden Faktoren, dem Sog der einseitigen Gestaltung des Produkts auf der einen Seite und dem Druck der nach symbolischer Selbstergänzung verlangenden Persönlichkeitsdefizite der Konsumenten auf der anderen Seite. Da die beiden Faktoren sich wechselseitig verstärken, beeintlußt das Design die Motivation. Und da die Kompensation innerer Defizite zwar als Faktum akzeptiert, als Schwäche aber nicht ausgebeutet werden sollte, kann die Frage, wieweit der Gebrauchswert beim Design in den Hintergrund treten darf, nicht allein dem guten oder schlechten Geschmack der Beteiligten überlassen bleiben. Sie muß nach objektiven Kriterien entschieden werden. Der Autor zeigt, daß das möglich ist.· Stuttgart, Dezember 1998
Gerhard Scherhorn Richard Sapper
Inhaltsverzeichnis A. Einführung ................................ .. ......................................................... .. ............ .... 13
I.
Ziel der Untersuchung ....................................................................................... 13
II. Gang der Untersuchung ..................................................................................... 14 8. Begriffsbestimmung ............................................................................................... 15
I. Zur Problematik des Begriffs ,.Design" .............................................................. 15 II. Definitionstindung und Wesensspezifisches des Konsumgüter-Designs ........... 19 1. Definitionstindung ...................................................................................... 19 2. Das Wesensspezifische des Konsumgüter-Designs ..................................... 21 C. Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes ................ .............. .. .... .. ......... 23
I. Die Typologisierung als Designorientierungsmittel ........................................... 23 I. Probleme bei der Typenbildung .................................................................. 23 2. Vom Realtypus zum Idealtypus ................................................................... 26 3. Designtypologie .......................................................................................... 29 a) Typ I: Der technisch-funktionale Typ .................................................... 29 b) Typ 2: Der ästhetisch-moralische Typ .................................................... 29 c) Typ 3: Der modische Typ ....................................................................... 34 II. Exkurs: Der formale Freiheitsgrad ..... :............................................................... 37 III. Die Hypertrophie des Designs und der hypertrophierte modische Designtyp als Gegenstand der Untersuchung ..................................................................... 42 I. Von der Funktionsbetonung zur Hypertrophie des Designs ........................ 42
2. Der hypertrophierte modische Designtyp als Gegenstand der Untersuchung ....................................................................................................... 43 IV. Dokumentenanalyse: Hypertrophiertes Design im Spiegelbild der Medien ...... 46 1. Dokumentenanalyse als Erhebungsmethode ............................................... 4 7 2. Bestimmung der Erhebungseinheit.. ............................................................ 47
8
Inhaltsverzeichnis 3. Auswahl der Untersuchungseinheit.. ........................................................... 49 4. Analyseeinheit und Auswertungskategorie ................................................. 51 5. Befund......................................................................................................... 51
D. Analyse der Wechselbeziehung zwischen Konsument und hypertrophierten Designobjekten....................................................................................................... 55 I. Zur Bedeutung von Objekten filr die Persönlichkeitsentwicklung und -struktur des Menschen ..................................................................................... 56 I. Der umweltorientierte Erklärungsansatz zur Bedeutung der Mensch-Objekt-Beziehung nach UexkUil ................................................... 58 2. Bewertende Erklärungsansätze zur Bedeutung der Mensch-Objekt-Beziehung ......................................................................... 60 a) Der empirische Ansatz von Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton ........... 60 b) Der philosophische Ansatz von Martin Buher....................................... 74 3. Zusammenfassung und kritische Würdigung der verschiedenen Ansätze ... 76 II. Die real-existierende Beziehung zwischen hypertrophierten Designobjekten und dem Konsumenten ..................................................................................... 83 I. Das anthropologische Kommunikationsmodell .......................................... 85 2. Die Semiotik als Erkenntnisinstrument.. ..................................................... 91 a) Zeichendefinition sowie Beschreibung verschiedener Zeichenklassen und ihres Aussagewertes .......................................................... 92 b) VerknUpfung der semiotischen Zeichenklassen mit den Bewußtseinsstufen des anthropologischen Kommunikationsmodells ............. I 0 I 3. Zur Auswahl der untersuchten Designobjekte .......................................... 103 4. Semiotische Analyse der Objekte dieser Untersuchung ............................ 105 5. Einbindung der Ergebnisse der semiotischen Analyse in das anthropologische Kommunikationsmodell ......................................................... I 09 111. Bewertender Vergleich zwischen Ist- und Soll-Zustand ................................. III I. Vom semiotischen Defizit des Konsumartikels zur unvollkommenen Objektbeziehung ....................................................................................... III 2. Zur Motivation der Konsumenten ............................................................. 114 a) Motivation durch Unterhaltung .......................................................... 114 b) Motivation durch Status(streben) ....................................................... 120 c) Motivation durch Erlebnisassoziation und Erlebnisstimulation ......... 123 d) Motivation durch Faszination ............................................................. 126 e) Konsummotivation als Äußerung unvollkommener Persönlichkeitsentwicklung ........................................................................................ 129
Inhaltsverzeichnis
9
3. Die defizitäre Objektbeziehung: Ansätze einer Ursachenanalyse.............. 132 4. Zur Bedeutung der Motivationslage von Hersteller und Designer ............ 144
E. Ansitze zu einer Neuorientierung ....................................................................... 149 I. Kriterien ftlr gutes Design ................................................................................ 150
Il. Neuorientierung auf Konsumentenebene ......................................................... 154 I. Kinder und Jugendliche............................................................................. 154 2. Erwachsene ............................................................................................... 158 III. Neuorientierung aufUnternehmensebene........................................................ 165 1. Designmanagement Organisatorisches Hilfsmittel auf dem Weg zur sinnvollen Objektgestaltung...................................................................... 168 2. Unternehmenskultur als Unterstützungsfaktor der Designpolitik .............. 175 IV. Neuorientierung auf Designerebene ................................................................ 179 V. Neuorientierung aufder Ebene der Designinstitutionen .................................. 184
F. Zusammenfassung ................................................................................................ 187 Anhang........................................................................................................................ 190 I. Bildteil ............................................................................ :................................ 190
Il. Interview mit Ralph Quinke............................................................................. 227 III. Interview mit Prof. GUnter Horntrieb .............................................................. 236 IV. Interview mit Fritz Hahne ............................................................................... 240
Literaturverzeichnis .................................................................................................. 245.
Abbildungsverzeichnis· Abb. I:
Definitionen, Zitate und Stellungnahmen zum Begriff Design ................... 17
Abb. 2:
Interdisziplinarität des Designs ................................................................... 20
Abb. 3:
Zuordnungskriterien und Erscheinungsformen des Designs ....................... 21
Abb. 4:
Polaritätenprofil .......................................................................................... 33
Abb. 5:
Beispiele filr die beiden Grenzwerte des formalen Freiheitsgrades ............38
Abb. 6:
Beispiele filr die Stückzahl-Varianz ...........................................................39
Abb. 7:
Beziehung zwischen technischer Komplexität und formalem Freiheitsgrad ............................................................................................................. 40
Abb. 8:
Gesamtdarstellung der Parameter des formalen Freiheitsgrades ................ .41
Abb. 9:
Bewertungskontinuum ................................................................................ 46
Abb. 10:
Exemplarische Abgrenzung der Erhebungseinheit ..................................... 49
Abb. 11:
Auflagenstruktur und sonstige Angaben ..................................................... 50
Abb. 12:
Soziodemographische Daten über die Leserschaft der Untersuchungseinheiten ..................................................................................................... 50
Abb. 13:
Tabellarische Auflistung der in den Zeitschriften ,,Schöner Wohnen" und "Playboy" gefundenen hypertrophierten Designobjekte ......................53
Abb. 14:
Schematische Darstellung, wie Subjekt und Objekt ineinander eingepaßt sind und somit ein planmäßiges Ganzes ergeben ........................................ 59
Abb. 15:
Mensch-Objekt-Beziehung .........................................................................69
Abb. 16:
Übersicht allgemein bekannter Bedeutungsarten, die sich in einem Designobjekt vereinigen können .....................................................................82
Abb. 17:
Kommunikationsschema ............................................................................. 83
Abb. 18:
Zusammenschau des anthropologischen Kommunikationsmodells ............91
Abb. 19:
Schema der triadischen Zeichenrelation ..................................................... 94
Abb. 20:
Überblick über die Feineinteilung der triadischen Zeichenrelation ............ 97
s.
Der Untersuchung ist außerdem ein gesonderter Bildteil beigegeben (Anhang 1., 19~222).
Abbildungsverzeichnis
11
Abb. 21:
Die zehn Hauptzeichenklassen nach Peirce ............................................... 99
Abb. 22:
Zusammenfassende Charakterisierung der Kausalitätsorientierungen ..... 136
Abb. 23:
Designmanagement im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses ....... 171
Abb. 24:
Ziele des Designmanagements ................................................................. 172
Abb. 25:
Unternehmenskultur als implizites Bewußtsein eines Unternehmens ...... 175
Abb. 26:
Die drei Ebenen der Unternehmenskultur ................................................ 176
A. Einführung I. Ziel der Untersuchung Betrachten wir die Gegenstände unserer alltäglichen Umgebung kritisch, so stellen wir fest, daß allenthalben ein umfassendes und kaum etwas aussparendes Ästhetisierungsbestreben im Gange ist. Ästhetik hat Hochkonjunktur, "von der Theorie Uber den Alltag bis zur Umwelt und zum persönlichen Styling". 1 Zu denken ist hier beispielsweise an das Facelifting postmoderner oder pseudopostmoderner Art, dem zahlreiche Einkaufszonen, Boutiquen, Cafes und Museen in den letzten Jahren unterzogen wurden. 2 Oder an die Bahnhöfe, die zur ästhetischen und emotionalen "Erlebniswelt mit Gleisanschluß"3 wurden, und Kaufhäuser, deren Verkaufskulissen derart ästhetisiert und emotionalisiert sind, daß die angebotenen Produkte zur reinen Nebensache werden. Auch das Design der KonsumgUter selbst kann sich diesem Trend zur Sensation nicht entziehen. Entsprechend der Architektur im Großen soll es elegant, chic oder grell und witzig, einfach um jeden Preis anders sein; das Erlebnis wird als Marketingfaktor instrumentalisiert So trifft man denn auch allerorts (in Geschäftsauslagen, Werbung etc.) auf ein Design, das versucht, den Ansproehen immer noch postmoderner Vorgaben Genüge zu leisten. Design, das doch strenggenommen nichts anderes bedeutet als Entwerfen oder Entwurf, präsentiert sich somit gewollt als Eigenwert im Sinn einer besonders betonten Gestalt. Es wird zum mehr oder weniger - reinen Selbstzweck. In vielen Fällen läßt sich nun beobachten, daß das Design von Konsumgiltern einer so extremen Ausprägung unterzogen wird, daß für den Betrachter nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist, welchen Zweck ein bestimmter Gegenstand erfüllen soll: so wird beispielsweise ein Wasserkessel mit dem ästhetischen Anspruch einer Skulptur ausgestattet, taugt dabei jedoch nicht mehr zur Erfüllung seines eigentlichen Gebrauchszwecks. Zahlreiche Anschauungsbei-
Welsch, Wolfgang, Ästhetisierung- Heil oder Unheil? Zwei Wege der Ästhetisierung, Vortrag, gehalten flir die Siemens AG am 16.12.1991, zitiert nach dem Manuskript, S. I. 2 V gl. eben da. Klein, Hemjö, zitiert nach o.V., Riecher fllr Rendite, DER SPIEGEL, 9/ 1993, S. 125.
14
A. Einfiihrung
spiele fiir diese Zeiterscheinung sind im weiteren Verlauf dieser Untersuchung ausruhrlieh dargestellt. Ziel dieser Untersuchung ist es also, das bei unbefangener Betrachtung übertriebene, mit Reizen überladene Erscheinungsbild vieler Gebrauchsgegenstände phänomenologisch einzugrenzen, es zu beschreiben und seine Ursachen zu ergründen. Auf der Grundlage derart gewonnener Erkenntnisse über das von uns so bezeichnete hypertrophierte Design und seine Konsumenten wollen wir abschließend mögliche sinnvolle Alternativen nachweisen und damit einen Beitrag zu einer rationalen, zukunftsorientierten Designpolitik sowie zu einem vernünftigen Designbewußtsein leisten.
II. Gang der Untersuchung Zunächst werden wir den vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten und -Schwierigkeiten des Begriffs Design nachgehen, eine Begriffsklärung vornehmen und so zu einer gültigen und fiir diese Untersuchung geeigneten Designdefinition gelangen. Wir nehmen dann eine Typologisierung der verschiedenen Designausprägungen vor, die es dem Leser ermöglicht, sich zuverlässig und gezielt im Wirrwarr der verschiedenen Designvarianten zu orientieren. Die Typologisierung wird auch dazu dienen, unseren Untersuchungsgegenstand das hypertrophierte Designobjekt - zu konkretisieren und abzugrenzen. Im darauffolgenden Abschnitt werden wir mit Hilfe einer Dokumentenanalyse nachweisen, daß das zu untersuchende Phänomen in unserer Gesellschaft auf eine breite Akzeptanz trifft. An diese Analyse schließt sich der Hauptteil der Untersuchung an; er ist der Darlegung und Erforschung jener Beziehung gewidmet, die zwischen den Käufern/Konsumenten einerseits und den von uns als hypertrophiert bezeichneten Konsumgütern andererseits besteht. In diesem Zusammenhang werden wir auch der Frage nachgehen, welche Motivationen den Konsumenten zum Kauf solcher Objekte veranlassen können und welche individuellen oder auch gesamtgesellschaftlichen Ursachen den Konsumenten zu einem abnormen, nämlich auf hypertrophiertes Design gerichteten Nachfrageverhalten bewegen. Vor dem Hintergrund der dabei gewonnenen Untersuchungsergebnisse werden dann Ansätze zu einer Neuorientierung im Design aufgezeigt; dabei wollen wir Konsument und Produzent, Designer und Designinstitutionen gleichermaßen berücksichtigen.
B. Begriffsbestimmung I. Zur Problematik des Begriffs "Design" Design ist heute ein schillernder, sowohl undifferenziert als auch uneinheitlich verwendeter Begriff. 1 Die einen halten ihn in sozialistischer Tradition filr ein Täuschungsmanöver der die kapitalistische Warenwelt beherrschenden Unternehmer und einen Betrug am Käufer, der auf den schönen Schein der Ware hereinfällt, weil er mehr fiir sie bezahlt, als sie in Wirklichkeit wert ist. 2 Die anderen sehen im Design, namentlich im Industriedesign, eine Möglichkeit, den ästhetischen und praktischen Wert der Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens zu erhöhen und damit ein Stück zur Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität beizutragen: 3 "Design ist ein Teil unserer Lebensqualität und gestaltet ganz entschieden die Alltagswelt mit."4 Eine dritte Gruppe betrachtet das Design als neuartiges Mittel, ein Produkt zu einem "Renner" und Markterfolg zu machen, sofern es nur gelingt, den Geschmacksnerv der jeweiligen Zielgruppe zu treffen. Im Rahmen einer solchen Intention wird der Begriff selbst oftmals auch als Zusatz zur Produktbezeichnung verwendet und soll eine höhere Wertigkeit, eine besondere Qualität des Produktes suggerieren. So entstehen dann immer häufiger anzutreffende Bezeichnungen wie Designer-Jeans, Designer-Rad, Designer-Brille, Designer-Uhr und Designer-Telefon (Abbild. I im Anhang). 5 Den Höhepunkt einer solchen Verwendung bildet eine eigene Markenamens "Design", die fiir eine Hairstyling-Produktserie steht (Abbild. 2 im Anhang).
Vgl. Trappschuh, Elke, Interview mit Dieter Rams, in: Rams, Dieter, Designer. Die leise Ordnung der Dinge, Hannover, 1990, S. 181, sowie Skrypa/le, Ulrich, Design - ein Akzeptanzfaktor der. Benutzerfreundlichkeit, in: Helmreich, Reinhard (Hrsg.), Bürokommunikation und Akzeptanz, Heidelberg, 1991, S. 14. 2 Zu dieser Haltung vgl. Haug, Wolfgang Fritz, Kritik der Warenästhetik, Frankfurt, 1974, insbesondere S. I 0, 18 und 26. 3 Als Initiatoren und Wegbereiter einer solchen Haltung sind hauptsächlich das Bauhaus und die Hochschule flir Gestaltung Ulm zu nennen. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird hierzu noch näher Stellung genommen. 4 Rosen/ha/, Philipp, in: Rat ftir Formgebung (Hrsg.), Design x SO Zitate (unpaginierte Loseblattsammlung), Frankfurt, 1990. 5 Der Vermerk "Abbild." verweist jeweils auf den gesonderten Bildteil in Anhang I. dieser Untersuchung (S. 190-225).
16
B. Begriffsbestimmung
Eine vierte und weitere Interpretation des Wortes stellt darauf ab, Design könne in zunehmendem Maße auch im Dienste einer Corporate-Design-Politik gezielt als Mittel der Unternehmensstrategie eingesetzt werden. Diese Ansicht dokumentiert sich etwa in Aussagen wie: "Design ist die Umsetzung des gesamten Unternehmens. Der Designer ist ein Katalysator." 6 oder "Design ist eine hervorragende Möglichkeit zur Profilierung und damit eine Strategie des Unternehmens."7 bzw. "Design umfaßt alle Bereiche der Unternehmerischen Perspektiven, nämlich Produktplanung und -entwicklung, Organisation des Materials, der Produktionsstätten und Produktionsweisen, die Logistik innerhalb und außerhalb des Unternehmens, Arbeitsformen, die interne und externe Kommunikation, die Präsentation sowie Funktion, Brauchbarkeit und Attraktivität der Produkte (... )."8
Esslinger, Hartmut, in: Rat fllr Formgebung (Hrsg.), Design x 50 Zitate (unpaginierte Loseblattsammlung). Frankfurt, 1990. 7 Hahne, Fritz. in: Rat flir Formgebung (Hrsg.), Design x 50 Zitate (unpaginierte Loseblattsammlung), Frankfurt. 1990. 8 O.V., in: Rat für Formgebung (Hrsg.), Design Fibel, Informationen über den Umgang mit Design und Designern, Frankfurt 1989, S. 7.
I. Zur Problematik des Begriffs "Design"
17
.Design: Plan, Entwurf, Muster, Modell, Formgebung, Gestalt, Gestaltung, Vorhaben, Konstruktion." (Knaurs Etymologiewörterbuchl .Design ist ein Prozeß der Anpassung gegenständlicher Umwelt an die physischen und psychischen Bedürfnisse der Menschen, der Gesellschaft." (Bemd Löbach) 10 .Design is the process of seeking to optimize consumer satisfaction and company profitability through the creative use of major design elements (performance, quality, durability, appearance and cost) in connection with products, environments, information and corporate identities." (Philip Kotler) 11 .Design ist eine objektbezogene Aktion, die auf Subjekt-Objekt-Relationen abzielt. (...) Inhalt, Ausmaß und einzusetzende Mittel der ,Aktion Design' werden somit von den der Aktion zugrundeliegenden Subjekt-Objekt-Beziehungen bzw. den daraus resultierenden Subjekt-Anforderungen an das Objekt bestimmt." (Norbert Wieselhuber) 12 .Design macht die spezifische Qualität eines Produktes und damit die Leistungsfähigkeit des Herstellers sichtbar." (Walter Hirche) 13 "Design ist ein Instrument im Marketing-Mix, bei dem man Kompetenz und Haltung unter Beweis stellen kann." (Manfred Lamy) 14 .Design ist eine Handschrift unserer Zeit - und wer nicht auf die Handschrift achtet, der beweist Charakterlosigkeit." (Volker Hauff) 15 Abb. 1: Definitionen, Zitate und Stellungnahmen zum Begriff "Design"
Insbesondere beim produzierenden Gewerbe und seinen betriebswirtschaftliehen Beratern wird der Ruf nach Designmanagern immer lauter, und Designseminare werden oft als die Lösung filr Marketingprobleme angepriesen. 16 9 Herrmann, Ursula, Knaurs Etymologiewörterbuch, Knaurs Lexikografisches Institut, München, 1982, S. 107. 10 Löbach, Bemd, Industriedesign, München, 1976, S. 14. 11 Kot/er, Philip, Design - A powerfill but neglected marketing tool, in: Die Unternehmung, Nr. 3/1983, S. 205. 12 Wiese/huber, Norbert, Konzeption und Realisation von Produkt-Design in der Konsumgüterindustrie, Berlin, 1981, S. 7. 13 Hirche, Walter, in: Rat für Fonngebung (Hrsg.), Design x 50 Zitate (unpaginierte Loseblattsarnmlung), Frankfurt, 1990. 14 Lamy, Manfred, in: Rat für Fonngebung (Hrsg.), Design x 50 Zitate (unpaginierte Loseblattsarnmlung), Frankfurt, 1990. 15 Haujf. Volker, in: Rat für Fonngebung (Hrsg.), Design x SO Zitate (unpaginierte Loseblattsammlung), Frankfurt, 1990.
2 Funk
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B. Begriffsbestimmung
Somit kann festgestellt werden, daß sich der Begriff "Design" zunehmend verselbständigt und von seiner ursprünglichen Bedeutung des Entwerfens oder der Formgebung von Produkten loslöst: "Design wird inzwischen auf zwei verschiedenen oder getrennten Ebenen produziert. Es ist I. die eigentliche Ebene, die historische, die gestalterische Ebene und 2. die verbale Ebene. (...) Der Begriff hat sich nicht nur popularisiert, sondern er ist variabel geworden. Eine Variable ist eine Leerstelle. Eine Tendenz, mit der wir uns beschäftigen müssen, auch in der Theorie." 17 In vielen Fällen verkommt der Begriff dabei zu einem undifferenzierten Schlagwort im allgemeinen Zeitgeist- und Lifestylevokabular und wird willkürlich benutzt, um ein Produkt im Sinne von teuer, edel oder exklusiv zu bewerten. 18 Die Designer selbst zeigen sich wenig geneigt, dieser Begriffsinflation entgegenzutreten. Im Gegenteil: Es gibt fast so viele Designauffassungen und Designdefmitionen, wie es von Designern verfaßte Schriften über Design gibt. Einer der bekannteren Designer versteigt sich sogar zu der Behauptung: "Alle Menschen sind Designer. Fast alles, womit wir uns beschäftigen, ist Design. Es ist Design, wenn man ein Epos schreibt, ein Fresco malt, ein Konzert komponiert. Design ist es aber auch, eine Schreibtischschublade zu säubern und neu aufzuräumen, einen schlechten Zahn zu ziehen, einen Apfelkuchen zu backen oder ein Kind zu erziehen." 19 So ist es nicht verwunderlich, wenn jemand zu der Feststellung kommt: "Design ist seiner Bedeutung nach kein feststehender Begriff, sondern eher eine Denkrichtung, ähnlich wie das Marketing, in deren Mittelpunkt das Nützlichkeits-, Darstellungs-, und ästhetische Motiv des Menschen steht, mit allen sich daraus ergebenden interdisziplinären Einflußgrößen"20 oder gar zu der die Auflösung des Begriffs andeutenden Aussage: "Was Design ist, weiß keiner so recht.'m
16 Vgl. Breckoff, Hans-Karsten I Knut S. Pau/i, Design. So stehlen Sie der Konkurrenz die Schau, in: Impulse, 111992, S. 44 und 142; Kreutz, Bemd, in: Werben und Verkaufen, 611991, S. 56. 17 Scholz, Gudrun, Was machen wir mit dem Avantgarde-Design? Und was machen wir mit dem Designbegriff?, in: form, Zeitschrift für Gestaltung, 12911991 . 18 Vgl. Bayley, Stephan, Commerce and Culture. From pre-industrial art to postindustrial value, London, 1989, S. 61. 19 Papanek, Victor, Das Papanek-Konzept, Design für eine Umwelt des Überleben, München, 1972, S. 17. 20 Schmeidler, Jürgen, Design als betriebswirtschaftlicher Faktor, Berlin, 1977, S. 10. 21 Poth, Ludwig I Gudrun Poth, Marketingfaktor Design, in: Poth. Ludwig I Gudrun Poth (Hrsg.), Marketingfaktor Design. Grundlagen für die Marketingpraxis, Landsberg a. Lech, 1986, S. 23 .
II. Definitionsfindung des Konsumgüter-Designs
19
Angesichts solcher Defmitionsvielfalt und Korruption des Begriffs Design ist es nötig, im Rahmen und fiir die Zwecke dieser Untersuchung zunächst eine brauchbare Begriffsbestimmung zu treffen. Auf der Grundlage eines präzisen und handhabbaren Designbegriffs wird sodann der Untersuchungsgegenstand zu konkretisieren und die geeignete Methodik zu ermitteln sein.
II. Definitionstindung und Wesensspezifisches des Konsumgüter-Designs 1. Definitionstindung Das englische Wortdesign geht ursprünglich auf das lateinische Verb designare (bezeichnen) zurück. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es in den deutschen Sprachgebrauch gleichlautend aus dem Englischen übemommen.22 Geht man nun der Entwicklung des Begriffs im deutschen Sprachgebrauch nach, so stößt man auf vielerlei Bedeutungen und Konnotationen des Wortes. Nach Knaurs Etymologiewörterbuch sowie weiteren Lexika und nach Übersetzungsversuchen verschiedener Autoren werden dafilr zum Beispiel die Bedeutungen Plan, Entwurf, Muster, Modell, Formgebung, Gestalt, Gestaltung, Vorhaben, Konstruktion, Ausfilhrung angeboten. 23 Durch eine solche Variabilität des Begriffs in seiner deutschen Übersetzung wie auch durch die Möglichkeit, Design "einerseits als Prozeß des Gestaltens und andererseits als gleichsam ,geronnene' Ausformung des Produktes"24 zu betrachten, wird eine randscharfe Abgrenzung und Nennung der genauen Bedeutungen des Begriffs stark beeinträchtigt. Ein solches Begriffsabgrenzungsproblem zusätzlich erschwerend kommt hinzu, daß erstens fiir den Begriff Design vielerlei Zuordnungskriterien bestehen (Abb. 3), und zweitens die Tatsache, daß in einen Gestaltungsprozeß, insbesondere wenn er auf ein Produkt
22 Vgl. Drosdowski, Günther I Wolfgang Müller I Wemer Scholze-Stubenrecht I Matthias Wermke (Hrsg.), Duden, Etymologie: Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2. Auflage, Mannheim!Wien/Zürich, 1989, S. 122. 23 Vgl. Herrmann, Ursula, S. 107; Löbach. Bemd, lndustriedesign, S. II. 24 Escherle. Hans-Jürgen, Industrie-Design rur ausländische Märkte, München, 1986, S. 47. Vgl. hierzu auch Wiese/huber, Norbert, S. 7. Wieselhuber spricht hier von einer finalen Dimension des Designbegriffs, die sich aus der Konfrontation von Menschen mit Objekten und den daraus entspringenden Äußerungen von Menschen über Objekte ergibt, sowie von einer prozessualen Dimension des Designbegriffs, die Design als eine Aktion, also die Tätigkeit des Gestaltensan sich, betrachtet. Vgl. weiterhin auch VDINDE-Richtlinien, Industrial Design. Grundlagen, Begriffe, Wirkungsweisen (VDINDE 2424), Düsseldorf, 1986, Blatt 1, S. 4. Statt einer finalen und prozessualen Dimension des Designs wird hierbei von einer qualitativen und organisatorischen Erscheinungsform des Designs gesprochen.
2*
20
B. Begriffsbestimmung
bezogen ist und vor dem Hintergrund ökonomischer Verwertungsinteressen stattfindet, immer mehrere Beteiligte involviert sind. Eine Begriffsbestimmung wird somit automatisch vor dem Hintergrund der jeweiligen Disziplin vorgenommen (Abb. 2), was wiederum zwangsläufig zu verschiedenen Prioritäten und Auffassungen vom Wesen und Inhalt des Designs filhrt?5 Die Vielfalt der im vorherigen Punkt aufgezählten und in der Abb. I aufgezeigten Defmitionen und Zitate ist somit nicht verwunderlich.
DESIGN Allgemeine Erkenntnisbereiche
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Wirtschaftswissenschaften Kybernetik Zukunftsforschung Psychologie Soziologie Philosophie Ästhetik Ethik Kulturgeschichte Politologie Pädagogik Physik Biologie
Spezielle Erkenntnisbereiche
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Produktion Konstruktion Technologie Ergonomie Patent- und Musterrecht Marktforschung Marketing Ökonomie Mathematik Operation Research Computer Science Elektronik
Quelle: Abgeändert nach Maier, Bemd, Industrial Design, Teil!, Stuttgart, 1978, S. 146.
Abb. 2: Interdisziplinarität des Designs
In Fortentwicklung einer Definition, die in einem Sonderdruck des Hauses Siemens veröffentlicht wurde/6 möchte ich hiermit eine Formulierung anbieten, die gewissermaßen einen größtmöglichen Nenner über die Gesamtheit aller Interpretationen hinweg bezeichnet. Dabei gibt sie den an einem Designprozeß
25 Vgl. Kicherer, Sibylle, Industriedesign als Leistungsbereich von Unternehmen, München, 1987, S. 23. Kicherer fUhrt hierbei die Betrachtungsstandpunkte der Ingenieure und Konstrukteure, der Architekten und Designer, der Künstler und Kulturkritiker, der Hersteller und Betriebswirte als diejenigen "points of view" auf, aus denen heraus Design im wesentlichen betrachtet wird. 26 Siemens Aktiengesellschaft I Siemens Museum (Hrsg.), Design im Wandel der Zeit, München, I 984, S. 2.
II. Definitionsfindung des Konsumgüter-Designs
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beteiligten Fachdisziplinen ein gutes theoretisches Handwerkszeug an die Hand und läßt gleichzeitig jedem "point of view'' einen individuellen Spielraum fi1r nötige Vertiefungen. Sie lautet: ,,Design ist das bewußte Erzeugen einer Wirkung durch die Produktgestalt." "Erzeugen" wollen wir hierbei so verstanden wissen, daß die Wirkung nicht zwangsläufig eintreten muß. Diese Defmition impliziert gleichzeitig, daß Design im Zusammenhang mit einem Objekt steht und sich damit immer auf etwas Dingliches bezieht. Dieses Dingliche wiederum wird dann sozusagen durch sein Design zum erkennbaren Objekt oder anders ausgedrückt: zum Designobjekt. Bezogen auf Konsumgüter als Gegenstand dieser Untersuchung soll unter Produktgestalt dabei die Summe aller sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften eines Körpers verstanden werden.
t~· OkoDesign
lndustriebetrieb: industrielles Design
ProduktDesign
MöbelDesign
GlasDesign
ReDesign
ModeDesign
etc.
Handwer1