Hörbuch. Eine Entdeckungsreise für Predigthörerinnen und Predigthörer 3846902462, 9783846902455, 9783846902462

Es gibt viele Predigtlehren - geschrieben für die, die predigen, aber kaum Bücher, die sich damit befassen, was eigentli

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German Pages 139 Year 2016

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Hörbuch. Eine Entdeckungsreise für Predigthörerinnen und Predigthörer
 3846902462, 9783846902455, 9783846902462

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Christoph Barnbrock Hörbuch Eine Entdeckungsreise für Predigthörerinnen und Predigthörer mit Illustrationen von Marie-Luise Voigt

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Mit 20 Abbildungen. Für die Umschlagabbildung wurde Bild 203771752 von shutterstock.com verwendet © veronchick84. Bibelzitate folgen der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durch­ gesehene Ausgabe © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

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MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Eine eBook-Ausgabe ist erhältlich unter DOI 10.2364/3846902462. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 17 16, 37007 Göttingen – 2016 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Christoph Barnbrock Layout: mm interaktiv, Dortmund Umschlaggestaltung: klartext GmbH, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach ISBN: 978-3-8469-0245-5 (Print), 978-3-8469-0246-2 (eBook)

Inhaltsverzeichnis 1

Anstelle eines Vorworts: Eine Expeditionsvorbereitung .............................8

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Erste Schritte: Hören .......................................................................................... 14

3

Vielfalt entdecken: Unterschiedliche Arten zu hören ............................... 20

4

Erste Hindernisse überwinden: Verstehen und Missverstehen .............. 26

5

Eine besondere Begegnung auf dem Weg: Hören und Glauben ........... 34

6

Frühere Etappen: Predigt und Predigtgeschichte(n) ................................. 40

7

Landschaftswechsel: Predigtformen und Predigtarten ............................. 46

8

Unterschiedliche Ferngläser: Zugänge zum Predigthören ...................... 52

9

Das Ziel im Blick: Hörerwartungen................................................................ 60

10

Die Entdecker sind beteiligt: Aktiv zuhören ................................................ 66

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Noch mehr Entdeckungen: Predigthören in Lebenszusammenhängen .. 72

12

Personen auf Entdeckungsreise: Als ganzer Mensch hören .................... 78

13

Vor dem nächsten Aufbruch: Vorbereitung auf die Predigt ................... 84

14

Hindernisse bewältigen: Hörprobleme und Predigtirritationen ............ 90

15

Wo es etwas zu entdecken gibt: Blickrichtungen fürs Predigthören ..... 96

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Am Zielort im Café: Predigten nachklingen lassen ................................. 102

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Fotos anschauen: Predigtnachgespräche..................................................... 108

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Reisefeedback: Predigtkritik ........................................................................... 116

19

Und nächstes Mal ganz woanders: Predigthören in der Ökumene ..... 122

20

Die Wege dieses Buches: Ein Rückblick ..................................................... 128

21

Abschied: Was ich noch zu sagen hätte ....................................................... 130

22

Meine Begleiter: Ich sage „Danke!“ .............................................................. 132

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Das Kartenmaterial: Literatur und Internetangaben .............................. 133

Für Anke, die erste Hörerin meiner Predigten und die Begleiterin auf den Entdeckungsreisen meines Lebens

Eine Expeditionsvorbereitung

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Anstelle eines Vorworts: Eine Expeditionsvorbereitung „Wie war’s in der Kirche?“ „Gut.“ „Worüber hat der Pfarrer gepredigt?“ „Über die Sünde.“ „Und, was hat er gesagt?“ „Er war dagegen.“

Dieser Witz gehört zu den Klassikern unter den Kirchenwitzen. Leicht lässt sich eine kleine Szene vorstellen, in der ein Mann im Wohnzimmer sitzt, die Sonntagszeitung liest und seine von der Kirche zurückkehrende Frau begrüßt und mit ihr in dieses – zugegebenermaßen eher oberflächliche – Gespräch über die Sonntagspredigt kommt. Nun decken Witze oftmals tiefe Wahrheiten auf, legen den Finger in Wunden, die so offensichtlich sind, dass viele sie gar nicht mehr wahrnehmen. Dabei lässt sich dieser Witz in mindestens dreifacher Weise lesen. Ein erster Zugang könnte darin bestehen, das Verhältnis der beiden Gesprächspartner untereinander näher zu betrachten. Nehmen wir einmal die von mir vorgestellte Szene vom daheimgebliebenen Mann und der zurückgekehrten Frau an, dann beleuchtet dieser Witz auf subtile Art und Weise deren Miteinander, das nur noch von oberflächlichem Interesse füreinander geprägt ist. Der Mann stellt ein paar Fragen, weil es sich so gehört. Und die Frau antwortet so knapp und banal, wie es überhaupt nur möglich ist. Einen Erkenntnisgewinn hat der Mann am Ende jedenfalls nicht. Und die Frau gibt nicht mehr von sich und ihrem Erleben preis, als unbedingt nötig. Von Ferne betrachtet scheint in dieser Beziehung nicht mehr alles im Lot zu sein. Ein zweiter Zugang könnte so aussehen, dass ich wahrnehme, wie bedeutungslos die Predigt für viele Menschen zu sein scheint. Es ist eben jeden Sonntag dasselbe. Der Pfarrer verkündigt von der Kanzel Botschaften, die so wenig überraschend sind wie die, dass der FC Bayern München Deutscher Fußballmeister wird. Irgendwie hat man sich längst daran gewöhnt, dass sich das Geschehen Jahr für Jahr bzw. Sonntag für Sonntag gleicht. Und wenn es dann doch einmal anders kommt, ist die Überraschung groß. Allerdings wird in vielen Predigten heute das Thema „Sünde“ eher umschifft. Längst sind andere Predigtthemen und Predigtschemata an die Stelle der alten getreten.

Anstelle eines Vorworts: Eine Expeditionsvorbereitung

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Dass es spannend und aufregend wäre, Predigten zu hören, würden eine Reihe von Zeitgenossen wohl bestreiten. Dies führt zu einem dritten möglichen Zugang, nämlich der offenkundigen Leidenschaftslosigkeit der im Witz beschriebenen Kirchgängerin. Die Erkenntnis, die sie aus der Predigt gezogen hat, war etwas, was sie längst schon vorher gewusst haben dürfte. Dennoch ist ihr keine Enttäuschung über dieses Predigthörerlebnis anzumerken. Es ist einfach so. Und wahrscheinlich war es auch gar nicht anders zu erwarten. Woche für Woche hören allein in Deutschland 100.000e Menschen in den Gottesdiensten der verschiedenen großen und kleinen Kirchen Predigten. Wie vielen von ihnen mag es so ähnlich gehen wie der Frau im Witz? Ich fürchte, es wird ein nicht zu unterschätzender Prozentsatz sein – und das, obwohl die Predigt in den evangelischen Kirchen über Jahrhunderte ein, wenn nicht der Höhepunkt schlechthin im Gottesdienst war und für viele bis heute ein außerordentlich bedeutsamer Gottesdienstbestandteil ist. Und trotzdem: Die Begeisterung hält sich in der Regel in Grenzen. In anderen kulturellen Kontexten scheint es nicht anders zu sein. Der Untertitel eines Buches zum Predigthören aus den USA trägt von daher sicherlich nicht zufällig den pointierten Titel „Surviving the Sermon. A Guide to Preaching for Those Who Have to Listen“ (frei übersetzt: „Die Predigt überleben. Ein Predigtführer für die, die zuhören müssen“). Nun ließe sich die Schuld für solches Erleben ganz bei den Predigenden suchen. Und als einer, der selbst predigt und Theologinnen und Theologen ausbildet, bin ich fest davon überzeugt: Da ist immer neu und immer noch viel Arbeit zu tun, um die Predigtqualität zu erhöhen. Andererseits haben es auch die, die predigen, nicht immer leicht. Diejenigen, die in die Gottesdienste kommen, sind es längst nicht mehr gewohnt, einem längeren Vortrag zuzuhören. Und überhaupt: Wo lernt man Predigthören? Ich selbst habe es jedenfalls nirgendwo gelernt, obwohl ich im Leben schon rund 1.500 Predigten gehört haben dürfte. Der Verfasser einer neueren Predigtlehre, Hans Martin Müller, hat deswegen gemahnt: „Freilich will das Predigthören auch gelernt sein. Darum ist es eine der wichtigsten Aufgaben des kirchlichen Unterrichts, den Hörer an das Aufnehmen und aktive Hören der Predigt heranzuführen.“ (Müller, 283). In die Praxis umgesetzt worden ist dieser Impuls meiner Wahrnehmung nach aber (fast) nirgendwo. Naheliegend wäre es nun, mit diesem Buch ein Konzept zu präsentieren, mit dem sich das Predigthören optimieren lässt. Auch dazu liegt aus dem USamerikanischen Bereich schon Literatur vor: „Be Careful How You Listen.

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How to Get the Most out of a Sermon“ (frei übersetzt: „Pass auf, wie du zuhörst. Wie sich möglichst viel aus einer Predigt mitnehmen lässt“). Solch ein Titel befremdet mich allerdings. Ich finde es abschreckend, wenn der Optimierungszwang, der uns schon überall in Arbeitswelt und Alltag begegnet, nun auch noch in den Gottesdiensten Einzug hält. Wenn ich die Predigt als eine Rede begreife, in der ich Gott als liebevoller Vater in seinem Wort reden höre, der mich (wieder) zu sich ruft und mich seiner Liebe versichert, dann passt das nicht. Dann geht es nicht darum, ob ich die Predigt möglichst vollständig wiederholen kann, ob ich auch wirklich alles mitbekommen habe und es angemessen „verdauen“ kann, sondern dann kommt es doch auf etwas ganz anderes an: dass ich als ein Kind Gottes zuhöre und getröstet wieder in den Alltag zurückgehe – unabhängig von meiner Leistungsfähigkeit im Predigthören. Ein anderes Bild halte ich an dieser Stelle für weitaus hilfreicher. Alexander Deeg hat die Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern einmal mit der eines Expeditionsleiters verglichen, der seine Hörerinnen und Hörer in die fremde Welt biblischer Texte einführt und sie dort ihre Entdeckungen machen lässt. Wer privat (und nicht von wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Interessen getrieben) eine solche Wanderung oder Entdeckungsreise unternimmt, wird kaum leistungsorientiert an diesen Weg herangehen. Nach der Expedition wird es keinen Wettstreit darum geben, wer sich am meisten gemerkt hat, sondern es wird darum gehen, sich in der Reisegruppe über das, was sich an beeindruckenden Aussichten auf dem Weg aufgetan hat, auszutauschen. Da wird der eine von den Schmetterlingen berichten, die er gesehen hat, auf die andere aber überhaupt nicht geachtet haben. Dagegen wird eine weitere Person vielleicht vom Vogelgesang erzählen, den der Erste womöglich überhört hat. Ein solches Predigthören schwebt mir vor: Kein Wettstreit um das beste, weil aufmerksamste Predigthören, sondern ein Hören, das die kostbaren Augen- und „Ohren“-blicke, die sich während einer Predigt ergeben, wertschätzt. Da müssen die, die einen Gottesdienst besuchen, nicht den ganzen Weg der Predigt von A bis Z nacherzählen können. Aber wie schön wäre es, wenn sie mit einem Gedanken, einem Bild oder einer Anregung in die neue Woche gehen könnten – vielleicht sogar jede und jeder in unterschiedlicher Weise. Ich möchte Sie in diesem Buch auf eine solche Expedition mitnehmen und Freude an Entdeckungsreisen beim Predigthören wecken. Dabei werde ich Ihnen Gedanken vorstellen, wie vielschichtig und interessant das Hören

Anstelle eines Vorworts: Eine Expeditionsvorbereitung

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allgemein und das Predigthören insbesondere ist und sein kann. Ich hoffe, dass das dazu beitragen wird, dass Sie auch in den Predigten aufs Neue – und hoffentlich mit größerer Erwartung als die Frau im Witz zu Beginn – auf Entdeckungsreise gehen. In den Überschriften dieses Bandes nehme ich das Bild von der „Entdeckungsreise“ oder „Expedition“ auf, allerdings ohne es im eigentlichen Text immer wieder erschöpfend aufzugreifen. In jedem Kapitel dieses Buches entfalte ich einen Aspekt zum Hören und Predigthören. Es schließen sich dann jeweils Fragen an, die zum eigenen Weiterdenken oder zum Gespräch in Gemeindekreisen dienen können. Auch hier geht es nicht um Optimierung („Habe ich auch alle Fragen richtig beantwortet?“). Deswegen gibt es auch keinen Lösungsbogen oder Vergleichbares. Sondern ich biete hier Anregungen, damit Sie selbst ins Nachdenken und mit anderen ins Gespräch kommen können. Im Anschluss sind einige Buchoder Zeitschriftentitel aufgeführt, in denen entweder einiges von dem, was ich beschrieben habe, schon vorgedacht ist oder in denen sich Gedanken zum Weiterdenken finden. Alle in den Kapiteln genannte Titel (und noch weitere) sind auch am Ende des Buches noch einmal im Gesamtliteraturverzeichnis zusammengestellt. Im Buch lässt sich aber auch problemlos weiterlesen, ohne dass die Fragen beantwortet oder die weiterführenden Literaturangaben eingesehen worden wären. Eine besondere Freude ist es mir, dass dieses Buch zum Anfang jedes Kapitels auch einen Impuls zum Sehen enthält. In einer Kultur wie der unsrigen, die geprägt ist von Bildern, kann es eine Hilfe sein, Gedanken nicht nur lesend nachzuverfolgen, sondern auch einen optischen Impuls zu erhalten. Ich bin dankbar, dass sich mit Marie-Luise Voigt eine junge Künstlerin für dieses Buchprojekt auf die Zusammenarbeit mit mir eingelassen hat. Ihre Bilder reflektieren die Gedanken des jeweiligen Kapitels auf ganz eigene Weise. Die Bildsprache mag dem einen oder der anderen auf den ersten Blick fremd vorkommen, aber gerade das unterscheidet diese Zeichnungen von den Bildern der Werbewelten, die letztlich nur darauf abzielen, unsere eigenen Erwartungen zu bestätigen. Die Illustrationen von Marie-Luise Voigt laden dagegen ein zur Auseinandersetzung, zu Beobachtungen im Detail und so auf ganz eigene Art auch zu Entdeckungsreisen. Die Kapitel bauen zwar grundsätzlich aufeinander auf, allerdings ist es auch möglich, Kapitel zu überspringen. Jedes Teilkapitel stellt auch eine in sich geschlossene Einheit dar. Einige formale Hinweise finden Sie noch am Ende des Buches unter „Was ich noch zu sagen hätte“ und sollen hier das Weitergehen nicht länger aufhal-

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Christoph Barnbrock Hörbuch

ten. Ich lade Sie ein, nun mitzukommen auf die Entdeckungsreise ins Land des Predigthörens.

Eindrücke sortieren und austauschen • Mit welchen Begriffen würden Sie die Predigten, die Sie gewöhnlich hören, am ehesten beschreiben: tröstlich – langweilig – aufregend – horizonterweiternd – erwartbar – ermutigend – unverständlich – liebevoll – kreativ – nichtssagend – biblisch – unterhaltsam …? Ergänzen Sie die Liste gerne auch durch eigene Begriffe. • Würden Sie sich selbst eher als jemanden beschreiben, der/die Predigten gut zuhören kann, oder er als jemanden, dem/der das schwerfällt? Woran würden Sie das festmachen? • Versuchen Sie Ihre Erwartungen an eine Predigt in Worte zu fassen. Was trägt der Prediger, was tragen Sie dazu bei, damit diese Erwartungen erfüllt werden?

Stehenbleiben und verweilen Helmut Barié, Predigt hören will gelernt sein, Pastoralblätter 149 (2009), Heft Januar, 74–79. Alexander Deeg, Pastor legens. Das Rabbinat als Impulsgeber für ein Leitbild evangelischen Pfarramts, Pastoraltheologie 93 (2004), 411–427. Hans Martin Müller, Homiletik. Eine evangelische Predigtlehre, Berlin/New York 1996, 282–287.

Erste Schritte: Hören

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Erste Schritte: Hören

Hören scheint für die meisten so selbstverständlich zu sein. Im Alltag nehmen wir normalerweise gar nicht mehr bewusst wahr, dass wir hören. Wir tun es einfach – so wie wir atmen, ohne uns besonders darauf zu konzentrieren. Der Wert des Hörens wird vor allem dann erkennbar, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden ist oder nachlässt. Seniorinnen und Senioren könnten davon ebenso erzählen wie Menschen, die gehörlos oder mit erheblichen Höreinschränkungen geboren sind. Eine Freundin erzählte mir etwa von dem Glück, mit ihrem Cochlea Implantat als Hörprothese auch die Vögel zwitschern hören zu können und ein besseres Verständnis für Sprache zu erwerben. Dass Menschen sich im Alltag miteinander verständigen können, hat wesentlich damit zu tun, dass wir in der Lage sind zu hören und zu reden. Das Hören ist eine wichtige Voraussetzung dafür, das Sprechen zu lernen. Im Normalfall lernen Kinder die eigene Sprache dadurch, dass sie Laute und Wörter aus ihrer Umgebung aufnehmen und nachzubilden versuchen. Die doppelte Bewegung jedes Gesprächs aus Reden und Hören beginnt ohne Frage mit dem Hören. Würde jemand immer nur reden und niemals hören, bliebe er ganz bei sich und verstellte sich alle Möglichkeiten, Neues wahrund aufzunehmen. Uns ist das Hören im Normalfall geschenkt worden, schon bevor wir in die Wiege gelegt werden. Das Innenohr ist das Organ, das sich im Embryo als erstes entwickelt und in der Regel schon nach 20 Wochen komplett funktionsfähig und endgültig ausgebildet ist (so Thomas Nisslmüller [nach Karl Karst], 37). Dabei ist das Ohr ein Sinnesorgan, das wir von uns aus nicht verschließen können. Vor unangenehmen visuellen Eindrücken können wir die Augen schließen. Wenn es irgendwo stinkt, können wir jedenfalls zum Teil dem Geruch entgehen, indem wir nicht durch die Nase atmen. Aber das Hören ® können wir allenfalls durch Ohropax oder ähnliche Hilfsmittel von außen stoppen. Jeder, der nachts schon einmal Straßenlärm, den legendären tropfenden Wasserhahn oder die Mücke, die im Zimmer herumsurrt, gehört hat, weiß, wovon ich rede. Von allerfrühester Zeit an also können, ja müssen wir hören. Ich brauche wahrscheinlich nur an das Geräusch quietschender Kreide oder von Fingernägeln auf einer alten Tafel zu erinnern, um bei Ihnen mehr als ein bloß leicht unangenehmes Gefühl auszulösen.

Erste Schritte: Hören

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Umgekehrt kennen viele, die mit kleinen Kindern zu tun hatten oder zu tun haben, die beruhigende Wirkung eines Gute-Nacht-Liedes. Durch das Hören einer vertrauten Stimme und einer bekannten Melodie erfährt ein Kind Sicherheit und Geborgenheit und findet so leichter in den Schlaf. Im Hören gerate ich dabei mit am intensivsten in Kontakt zur Außenwelt. Blaue Flecken, die ich mir in der Kindheit in Prügeleien zugezogen habe, sind längst vergessen. Aber verletzende Worte aus dieser Zeit klingen und wirken bis heute nach. Das Gehörte prallt eben nicht an der äußeren Schicht meines Körpers ab, sondern dringt tief ein in Herz und Seele. Nun ist „Hören“ allerdings noch nicht identisch mit „Hören“. Wenn einer beim anderen nachfragt: „Hast du nicht gehört, was ich gerade gesagt habe?“, dann erkundigt er sich ja nicht danach, ob das rein akustische Geschehen erfolgreich war: ob die Schallwellen auch beim anderen angekommen und dort auf ein funktionierendes Sinnesorgan gestoßen sind. Sondern es geht ganz offensichtlich beim hier gemeinten Hören um ein Wahrnehmen, ein Aufnehmen, darum, das Gehörte zu verstehen und Schlüsse daraus zu ziehen. Im Englischen wird in diesem Zusammenhang zwischen einem Hören als „hearing“ (Hören) und einem Hören als „listening“ (Zuhören) unterschieden. Die deutsche Sprache kennt auch etliche Wörter, die mit dem Hören zusammenhängen und uns so gerade auf die Komplexität dessen hinweisen, was wir so einfach mit „Hören“ bezeichnen. So gibt es Worte, die davon reden, dass wir hören und gleichzeitig irgendwie doch nicht richtig hören: Da können wir davon sprechen, dass wir etwas „überhört“ haben, bewusst oder unbewusst, wir also nicht alle Informationen einer Nachricht aufgenommen haben oder aufnehmen wollten. Was auf den ersten Blick vor allem ein Defizit zu sein scheint, ist in Wirklichkeit lebensnotwendig. Wenn wir alle Geräusche in unserer Umgebung bewusst wahrnehmen würden, wäre es schlicht unmöglich, uns auf das zu konzentrieren, womit wir uns im Moment beschäftigen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind Urlaub in einer Kleinstadt gemacht habe und dort im Bett bewusst den Glockenschlag der nahegelegenen Stadtkirche gehört habe. Wenn ich heute gelegentlich einmal in derselben Stadt übernachte, nehme ich den Glockenschlag längst nicht mehr wahr. Ich habe das „Überhören“ gelernt – und kann viel besser schlafen und arbeiten. Oder eine andere stellt fest, dass sie sich „verhört“ hat. Vielleicht hat sie, wie man so sagt, nur mit einem Ohr hingehört, den Zusammenhang nicht erfasst. Dass ein solches „Verhören“, mehr noch als das „Überhören“, ein Problem darstellt oder zumindest darstellen kann, ist offensichtlich. Anderer-

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Christoph Barnbrock Hörbuch

seits gibt es auch Situationen, in denen Missverständnisse keineswegs die Kommunikation blockieren, sondern ganz im Gegenteil ein ganz eigenes Potenzial entfalten können. Wohl alle, die predigen, kennen die Situation, dass sich Gemeindeglieder an der Kirchentür für diesen oder jenen Satz in der gerade gehörten Predigt bedanken, der in der Predigt aber niemals gefallen ist. Und spätestens seit den Beobachtungen aus dem Buch „Der weiße Neger Wumbaba“ weiß auch eine größere Öffentlichkeit um das überaus kreative Potenzial des Verhörens, das bisweilen aber natürlich auch Irritationen auslösen kann. Störende Missverständnisse lassen sich dadurch vermeiden, dass einer sich darum bemüht hinzuhören und achtsam zuzuhören. „Hinhören“ ist ein faszinierendes Wort, weil es eine Bewegung bezeichnet, die es nüchtern betrachtet beim Hören ja gar nicht gibt. Aber es beschreibt wie das „Zuhören“ eine Haltung, in der einer dem anderen zugewandt ist, sich zum anderen hinwendet und genau hören will, was es zu hören gibt. Der, der hört, bleibt nicht bei sich, will in dem, was die andere sagt, nicht nur die Bestätigung seiner eigenen Meinung, seiner eigenen Vorurteile hören, sondern öffnet sich dem, was die andere meint. Ein Gespräch, vielleicht sogar eine lebendige Diskussion beginnt, Beziehung entsteht. Solches Hören ist ein ganz anderes Hören als das Wahrnehmen oder das Nicht-mehr-Wahrnehmen des Straßenlärms der Durchgangsstraße unter dem Schlafzimmerfenster. Zugleich ist solch ein zuhörendes Hören eine wichtige Voraussetzung für Kommunikation überhaupt, aber auch für gelingendes Predigthören. Dazu später mehr.

Eindrücke sortieren und austauschen • Stellen Sie sich vor, Sie könnten nichts mehr hören. Was würde Ihnen am meisten fehlen? • Gibt es Geräusche, die Sie besonders stören? Was würden Sie am liebsten überhören? Erinnern Sie sich in ihrer eigenen Lebensgeschichte an Worte, die Sie am liebsten überhört hätten? • Haben Sie schon Situationen erlebt, in denen Sie jemanden missverstanden haben, in denen das aber gerade kein Problem darstellte, sondern eine positive Wirkung hatte?

Erste Schritte: Hören

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Stehenbleiben und verweilen Axel Hacke/Michael Sowa, Der weiße Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens, München 2004. Thomas Nisslmüller, Homo audiens. Der Hör-Akt des Glaubens und die akustische Rezeption im Predigtgeschehen, Göttingen 2008. Francesc Torralba, Die Kunst des Zuhörens, München 2007.

Vielfalt entdecken: Unterschiedliche Arten zu hören

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Vielfalt entdecken: Unterschiedliche Arten zu hören

Hören ist nicht gleich Hören. Das ist schon im vorhergehenden Kapitel deutlich geworden. Und doch ist damit bisher nur die Spitze des Eisbergs in den Blick geraten. Thomas Nisslmüller unterscheidet in seinem Buch zum Hören im Predigtgeschehen nicht weniger als 95 Hörmodi, also Hörarten. Hier ist nicht der Raum, alle 95 Hörweisen näher in den Blick zu nehmen. Aber einige möchte ich doch vorstellen, weil allein anhand dieser Auswahl deutlich wird, wie unterschiedlich die Voraussetzungen und Zugangsweisen derer sein können, die in einer Kirche einer Predigt lauschen. Längst nicht alle Menschen, die etwas hören, sehnen sich nach dem, was sie hören. „Erzwungenes Hören“ nennt Nisslmüller einen Hörtyp, den viele von uns aus ganz alltäglichen Zusammenhängen kennen. Es ist der Hörmodus, der sich einstellt, wenn wir in Supermärkten, Cafés und Restaurants dauerhaft mit Musik oder Werbung berieselt werden. Es bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als zuzuhören. Aber mit Interesse sind die wenigsten dabei. Auch in Gottesdiensten wird es Besucher geben, die die Predigt in einem solchen Modus über sich ergehen lassen: Jemand, der aus Liebe zu seinem Partner oder seiner Partnerin mit in den Gottesdienst kommt, oder ein Kind, das heute nur hier ist, weil ihm noch Unterschriften in seinem KonfirmandenPass fehlen. Es ist naheliegend, dass unter solchen Voraussetzungen das Kommunikationsgeschehen „Predigt“ nur schwer gelingen dürfte. Auf der anderen Seite einer gedachten Skala dürfte das stehen, was Nisslmüller „flirtendes“, „fasziniertes“ oder „begehrendes Hören“ nennt und was ich an dieser Stelle einmal zu einer Kategorie zusammenfasse. Am ehesten ist dies vielleicht bekannt von Konzerten, in denen vor dem Beginn die Spannung steigt, alle dem ersten Ton entgegenfiebern und sie im Konzert selbst dann vor Faszination Raum und Zeit vergessen. Aber auch bei gut gemachten Lesungen kann man ein solches Hören erleben: Die Freude an den Worten, die voller Bedacht komponiert sind und mit großem Können vorgetragen werden, das Aufgehen im Moment des Hörens und der Wunsch nach „Mehr“. Zugegeben: Das dürfte nicht der durchschnittliche Hörmodus beim Hören von Predigten sein. Zu den Grundformen des Hörens in unserer bilderreichen Zeit dürfte viel eher das „szenische Hören“ bzw. das „Bilder-Hören“ zu zählen sein. Wenn jemand spricht, zum Beispiel in der Predigt, werden im Kopf der Hörenden Bilder, Szenen und Handlungssequenzen wachgerufen

Vielfalt entdecken: Unterschiedliche Arten zu hören

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(Nisslmüller nennt dies „erinnerndes Hören“). Redet das Gegenüber vom Vaterhaus im Gleichnis vom verlorenen Sohn, so ist es wahrscheinlich, dass sich die Hörenden Aspekte aus ihrem eigenen Elternhaus in Erinnerung rufen. Ist von einer Konfliktsituation die Rede, werden Situationen der Auseinandersetzung und des Konflikts aus der eigenen Lebenserfahrung damit verbunden. Zugleich aber erschaffen die Worte, die wir hören, auch eigene Bilder und eigene Szenen. Fremde Bilder und Erfahrungshorizonte erschließen sich für uns: etwa Erlebnisse anderer, die wir selbst so noch nicht gemacht haben, oder Eindrücke aus einem Land, das wir selbst noch nicht bereist haben. Bei all unserem Hören nehmen wir das, was laut wird, nicht unvoreingenommen wahr. Es gibt Menschen, die sich, auch in Predigten, schnell angegriffen fühlen und im Hören (wie auch sonst im Leben) sofort in den Verteidigungsmodus schalten und auf alles Neue, was sie hören, eher abweisend reagieren („apologetisches Hören“). Verwandt damit ist eine Art und Weise zu hören, indem ich in dem, was die andere sagt, ohnehin immer nur das höre, wovon ich selbst überzeugt bin. Predigten werden dann so zu einer Veranstaltung, in der Menschen im Wesentlichen Bestätigung und Vergewisserung für ihr Leben suchen. Thomas Nisslmüller nennt das „domestizierendes Hören“, so wie man ein zunächst wildes Tier versucht zu zähmen. Ich setze mich also nur in dem Maße dem Fremden, was ich gehört habe, aus, dass es mein Lebenshaus nicht allzu sehr durcheinander bringt. Die Extremform dessen wäre dann das „ignorante Hören“, das gar nicht wahrnimmt, was die andere gesagt hat. In Gesprächen zwischen zwei (oder mehreren Menschen) ist das fatal. Dabei nehmen die Hörenden auch bestimmte Hörpositionen beim Hören ein. Da ist die eine, die meint, sowieso alles besser zu wissen, die mit kritischem Blick (bzw. mit kritischem Gehör) das untersucht, was sie zu hören bekommt, und nur darauf wartet, dass sich zeigt, dass der andere weniger Ahnung vom Gesprächsthema hat („überlegenes Hören“). Dies gilt zum Beispiel für diejenigen, die mit kritischem Ohr unter der Kanzel sitzen und jede Predigt am Mittagstisch sezieren und gegebenenfalls zerreißen. Auf der anderen Seite der Skala steht derjenige, der um seine Grenzen weiß, der sich bewusst ist, nicht alles zu wissen, und der darauf wartet, im Hören etwas zu erfahren, was ihm für sein Leben weiterhilft („bescheidenes/demütiges Hören“ bei Nisslmüller). Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Hören keineswegs immer ein „Genuss“ sein muss, selbst wenn jemand (zunächst) mit Interesse zugehört hat. Thomas Nisslmüller kann deswegen auch von einem „frustrierten Hören“ reden. Nun sind mit den letzten Hörweisen schon etliche Aspekte benannt worden, die nicht zuletzt auch zu Kommunikationsproblemen oder zumindest

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Christoph Barnbrock Hörbuch

Irritationen führen können. Dagegen soll es in diesem Buch ja vor allem darum gehen, wie Reden und Hören, Hören und Reden als bereichernder Gesamtzusammenhang entdeckt werden können. Gelingende Kommunikation setzt zuallererst voraus, dass die Hörenden bereit sind, sich auf das, was der Redende ihm sagt, einzulassen. Es ließe sich hier von einem Vertrauensvorschuss reden, mit dem die Hörerin einem Redenden begegnet. Mit einem Menschen, dem ich vollständig misstraue, kann ich kein Gespräch führen. Ganz im Gegenteil: Ich würde mich gerade bemühen, nicht auf das zu hören, was er mir sagt. Ein Hören, das dem anderen mit einem Vertrauensvorschuss begegnet, wird dann auch einhergehen mit einem gewissen Maß an Achtsamkeit. Thomas Nisslmüller beschreibt das „achtsame Hören“ so: „Dabei ist das Hören als ein Raum des feinen Empfindens und Empfangens markiert.“ (349). Ich stelle gewissermaßen meine Ohren scharf, möchte auch auf die Feinheiten achten, mein Gegenüber auf diese Weise wirklich verstehen und wahrnehmen, was und wie er oder sie es meint. So entsteht auch Anteilnahme und die Bereitschaft zur Einfühlung in andere („empathisches Hören“ und „anteilnehmendes Hören“). Ich bleibe nicht bei mir selbst, sondern mache mich im Hören gedanklich auf den Weg zur anderen Person, denke und fühle mich ein in ihre Weltsicht und ihren Standpunkt. So ereignet sich Verstehen, dass ich versuche, die Welt aus den Augen eines anderen zu sehen – und dies selbst dann, wenn ich am Ende zu dem Schluss komme, dass ich seine Weltsicht nicht teile. Die Chance solchen verständnisvollen Hörens besteht darin, dass sich mein Verständnis des Lebens und mein Blick auf die Welt weiten können („innovatives Hören“). Ob ich mir diese Weltsicht dann zu eigen mache, steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt und hängt von vielen Faktoren ab, die zu einem guten Teil dem eigenen Zugriff entzogen sind. Aber ich kann diese neue Weltsicht ausprobieren wie Kleidung, die ich vor dem Kauf anziehe. So lässt sich schließlich im Hören ein neuer Lebensentwurf gewinnen, der noch nicht meiner ist, aber meiner werden kann und werden soll und der die bisherigen Gewissheiten und Prioritäten in Frage stellt („Entwurfshören“). Schließlich will ich noch Hörweisen benennen, die sich als spezifisch religiös fassen lassen oder die zumindest in religiösen Zusammenhängen besonders präsent sind. Wer ein Kloster oder eine Kommunität besucht, wird in Andachten, Tagzeitgebeten und Gottesdiensten etwas davon erfahren, dass hier die verbale Kommunikation auf ein Mindestmaß reduziert wird. Die Lieder bestehen aus

Vielfalt entdecken: Unterschiedliche Arten zu hören

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kurzen Textzeilen, die wiederholt werden. An die Textlesung schließt sich gelegentlich eine Phase der Stille an, die weit länger dauert als die Verlesung des Bibeltextes. Hören ist gerade im religiösen Kontext nicht ein quantitatives Phänomen, bei dem es darum geht, möglichst viel zu hören. Sondern hier geht es darum, etwas zu hören und zu verinnerlichen. Thomas Nisslmüller nennt das ein „ruhendes Hören“. Erst wo Stille und Ruhe ihren Platz haben, kann ein Hören in seiner ganzen Tiefe einsetzen. Wo der Mensch aufhört, pausenlos zu reden oder sich die eigene Reaktion auf das gerade Gehörte zurechtzulegen, wird Gottes Stimme klarer zu hören sein. Ein solches Hören ist verwandt mit dem „andächtigen Hören“: Solches Hören „entstresst, reduziert Geschwindigkeiten von Gedanken, Geschehnissen und Gefahren“. Und: „Wirkliche Andacht macht uns bewusst, wer wir – vor Gott – sind.“ (363). Ein solches Hören ist dann geprägt von der Erwartung, dass uns im Hören auf das Wort Gottes oder im Hören im Gottesdienst allgemein nicht einfach nur Informationen übermittelt werden, zu denen ich mich so oder so verhalten kann, sondern dass in solchem Hören etwas geschieht („eucharistisches oder anmutiges Hören“ bei Nisslmüller): Gott begegnet mir – und zwar als der, der in Christus für mich da ist. Ich höre Worte, an denen sich mein Glaube festmachen kann, und im Glauben habe ich, was die Worte sagen, so wie es Martin Luther in der Erklärung zum Fünften Hauptstück im Kleinen Katechismus sagt: „Und wer diesen Worten [= „Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden“, CB] glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich: Vergebung der Sünden.“ (zitiert nach: Unser Glaube, 480)

Eindrücke sortieren und austauschen • Kennen Sie Augenblicke, in denen Sie sich gezwungen gefühlt haben, zuzuhören? Gab es vielleicht auch Momente in Ihrem Leben, als Sie gar nicht genug kriegen konnten von dem, was sie gerade gehört hatten? • In diesem Kapitel sind viele Hörweisen vorgestellt worden. Haben Sie etwas aus eigener Erfahrung wiedererkannt? – Welche Hörweisen sind Ihnen vielleicht fremd geblieben? • Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei: Was würden Sie sich für Ihr eigenes Hören wünschen?

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Christoph Barnbrock Hörbuch

Stehenbleiben und verweilen Martin Luther, Der Kleine Katechismus, in: Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde, 6. völlig neu bearb. Aufl., Gütersloh 2013, 461–499. Thomas Nisslmüller, Homo audiens. Der Hör-Akt des Glaubens und die akustische Rezeption im Predigtgeschehen, Göttingen 2008, 215–379.

Erste Hindernisse überwinden: Verstehen und Missverstehen

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Erste Hindernisse überwinden: Verstehen und Missverstehen

Die ersten Kapitel haben versucht, deutlich zu machen, was für ein komplexes Geschehen menschliche Kommunikation, hier vor allem Reden und Hören, ist. Es ist eher ein Wunder, dass wir Menschen uns im Normalfall relativ gut verstehen. Weniger überraschend ist es, dass es gelegentlich auch einmal zu Missverständnissen kommt. Unzählig viele Forscher haben sich genau damit beschäftigt, wie wir Menschen eigentlich miteinander reden und aufeinander hören und warum es zu Missverständnissen kommt und wie diese sich überwinden lassen. Was lässt sich daraus für das Hören und Verstehen – eben auch von Predigten – lernen? Besonders bekannt geworden ist das Konzept von Friedemann Schulz von Thun, von dem der Mensch als ein Wesen mit gewissermaßen vier Ohren gedacht wird. Mit einem Ohr hört er aus dem Gesagten eine Sachinformation heraus, mit einem Ohr hört er eine Aussage über die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer heraus, mit einem Ohr hört er, ob in dem Gesagten ein Appell versteckt ist und mit dem letzten Ohr hört er auf das, was der Sprechende über sich selbst zu erkennen gibt. Und das Gleiche gilt auf der anderen Seite für die Sprecherin: Auch sie redet gewissermaßen mit diesen vier Mündern. Für gelingende Kommunikation kommt es nun darauf an, ob der Hörer das hört, was die Sprecherin meint bzw. ob der Hörer so hört, wie es die Sprecherin gemeint hat. Um deutlich zu machen, was das für die Praxis des Predigthörens bedeuten könnte, wähle ich ein frei erfundenes, um der Anschaulichkeit willen etwas überzeichnetes und doch lebensnahes Praxisbeispiel: Ein Pfarrer predigt am Erntedankfest in einer Landgemeinde über das Gleichnis vom reichen Kornbauer. In dieser Erzählung Jesu baut der genannte Bauer nach einer reichen Ernte noch größere Scheunen, um so in Ruhe und in Frieden leben zu können. Allerdings wird er dann inmitten dieser Planungen aus dem Leben gerissen (Lukas 12,16–21). Der Prediger beendet seine Predigt über diesen Text mit dem Satz: „Wichtig ist nicht, wie festlich wir die Kirche heute für das Erntedankfest geschmückt haben, sondern wichtig ist, dass wir an Gott glauben, der uns all diese Gaben geschenkt hat, ohne dass wir sie uns je verdienen könnten.“

Frau X, eine Landwirtin in der Gemeinde, reagiert deutlich irritiert auf die Predigt. Als Sachinformation nimmt sie mit: „Das Schmücken der Kirche

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zum Erntedankfest ist nicht wichtig.“ Und: „Die Ernte haben wir uns nicht verdient.“ Da Frau X wie jedes Jahr mit ihrem Bruder die Kirche geschmückt hat, nimmt sie einen ausdrücklichen Appell des Predigers wahr: „Schmücken Sie nächstes Jahr die Kirche nicht mehr! Es ist ohnehin unwichtig!“ Vom Prediger hat Frau X ohnehin nichts anderes erwartet. Immer wieder lässt dieser ihrer Meinung nach erkennen, dass er als Pfarrer etwas Besonderes ist. Kein Wunder, dass er die Erträge aus der Landwirtschaft jetzt als „unwichtig“ und den Glauben, auf den die Arbeit des Predigers zielt, als besonders wichtig herausstellt. Frau X ist sich sicher: Ganz offensichtlich wollte der Pfarrer auch in dieser Predigt mal wieder deutlich machen, wer in der Kirche das Sagen hat. So stellt er sich offensichtlich die Beziehung zwischen Pfarrer und der Gemeinde vor: Hier derjenige, der das Sagen hat, und dort diejenigen, die einfach kuschen. Soweit die Gedanken von Frau X. Kurzentschlossen blafft sie den Pfarrer nach dem Gottesdienst an: „Na gut, dann suchen Sie sich für nächstes Jahr jemand anderes, der die Kirche für das Erntedankfest schmückt, wenn Sie das denn überhaupt noch wollen.“ Den Pfarrer erwischt dieser Kommentar völlig auf dem falschen Fuß. Er hatte sich mit diesem vorgeschriebenen Predigttext, gerade zu diesem Anlass, bei der Vorbereitung der Predigt schwergetan. Als Stadtmensch fühlt er sich zum Erntedankfest immer besonders unsicher, weil er den Eindruck hat, dass er nie wirklich verstehen wird, was die Ernte für einen Landwirt und seine Familie bedeutet. Sein Hauptgedanke bei dieser Predigt war, dass es vor Gott nicht um das geht, was wir leisten, sondern was er uns schenkt. Und das hatte er am Beispiel des Kirchenschmucks veranschaulichen wollen. Dass er gerade dieses Beispiel gewählt hatte, hatte auch damit zu tun, dass ihn ein anderer Landwirt, Herr Y, noch am Vortag, während er an seiner Predigt saß, angerufen hatte. In diesem Telefonat hatte sich Herr Y darüber beschwert, wie bescheiden seiner Meinung nach Frau X mit ihrem Bruder die Kirche geschmückt habe. Dem Pfarrer gefiel der schlichte, aber stilvolle Erntedankfestschmuck dagegen ganz gut, und so hatte er den letzten Satz seiner Predigt auch als ein Zeichen der Solidarität zu Frau X verstanden und als einen Aufruf an alle Kritiker, sich nicht in Nörgeleien an der Arbeit der anderen zu verlieren. Dass nun gerade Frau X ihm am Kircheneingang die Brocken vor die Füße warf, überraschte ihn von daher völlig. Diese erdachte, aber dennoch nicht unrealistische Szene verdeutlicht, wie sehr das, was eine mit ihren vier Ohren hört bzw. was der andere zu sagen meint, sich voneinander unterscheiden kann. Die Unsicherheit des Pfarrers wird von der Hörerin als Arroganz wahrgenommen. Der verdeckte Appell an

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die Kritiker von Frau X, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wird von Frau X selbst als ein Aufruf wahrgenommen, in Zukunft beim Kirchschmuck gar nicht mehr mitzuwirken. Und der Versuch, sich zu Frau X solidarisch zu verhalten, wird von dieser so verstanden, als wolle der Pfarrer deutlich machen, wie wichtig die pastorale Arbeit im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Arbeit ist. Entsprechend wird auch die Sachaussage des Pfarrers, der die Alleinwirksamkeit Gottes gegenüber allen menschlichen Werken betonen wollte, von der Predigthörerin so verstanden, dass ihr mühevolles Handeln tagein, tagaus überhaupt keinen Wert habe. Nun lässt sich keinem der Beteiligten vorschnell und einseitig die Schuld für dieses Missverständnis in die Schuhe schieben. Vielleicht hat der Pfarrer, von dessen Predigt wir nur diesen letzten Satz kennen, auch etwas verkürzt gesprochen. Oder Frau X hat nur oberflächlich hingehört und ihren Pfarrer von daher missverstanden. Doch insgesamt ist die Frage danach, wer die Schuld an einem solchen Missverständnis trägt, wenig zielführend. Erkennbar ist aber, wie hilfreich ein sachliches Predigtnachgespräch zwischen dem Pfarrer und Frau X sein könnte, in dem beide ihre jeweiligen Anliegen darstellen und miteinander besprechen könnten (siehe dazu Kapitel 17). Die Art und Weise, wie ich höre, ist dabei auch immer von den Erfahrungen aus meinem bisherigen Leben geprägt. So mag es sein, dass es Frau X tatsächlich schon mit Pfarrern zu tun hatte, die sich ihr als Landwirtin gegenüber arrogant verhalten haben. Diese Erfahrungen überträgt sie nun, bewusst oder unbewusst, einfach auf den neuen Pfarrer. Jeder und jede Einzelne trägt darüber hinaus auch Prägungen mit sich, die etwas mit den Erfahrungen in der eigenen Herkunftsfamilie zu tun haben. Manche kindlichen oder elterlichen Verhaltensmuster aus der Kindheit beeinflussen das Handeln der Erwachsenen. Die psychologische Schule der Transaktionsanalyse hat solche Zusammenhänge umfangreich beschrieben. Es ist nicht der Raum, dies hier im Detail auszuführen. Aber einige Beobachtungen möchte ich trotzdem benennen und auf das Beispiel beziehen. Wenn Frau X aus dem Affekt heraus alles hinschmeißt, dann handelt sie wie ein bockiges Kind. Ihr Bruder reagiert vielleicht ganz anders und entschuldigt sich beim Pfarrer dafür, dass der Eindruck entstanden ist, dass sie sich mit dem Kirchschmuck in den Mittelpunkt rücken wollten. Dies würde dem Verhaltensmuster eines Kindes entsprechen, das Konflikte mit seinen Eltern schlecht aushalten kann, möglichst schnell mit dem Gegenüber wieder in Frieden leben möchte und dafür die eigenen Interessen aufgibt. Landwirt Y dagegen, der deutlich wahrgenommen hat, dass der letzte Satz des Pfarrers

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sich an ihn gerichtet hat, könnte so reagieren, wie er es in seiner Kindheit von seinen Eltern gekannt hat: Fehlverhalten wird mit einer Sanktion belegt. So könnte er gegenüber dem Pfarrer gewissermaßen in die Elternrolle schlüpfen und am Kirchausgang sagen: „Wenn Sie nicht auf mich hören wollen, Herr Pfarrer, dann muss ich eben andere Saiten aufziehen: Meine angekündigte Sonderspende für die Kirchrenovierung nehme ich hiermit zurück.“ In anderen Gottesdienstbesuchern könnten dagegen Elterngefühle für den jungen Pfarrer erwachen. Als sie mitbekommen, wie der Pfarrer zwischen alle Stühle gerät, sagen sie: „Ach, Herr Pfarrer, nehmen Sie’s nicht so schwer: Sie haben Ihr Bestes getan! Das wird schon wieder!“ Hier steht dann der fürsorgliche Trost, ganz unabhängig von der inhaltlichen Auseinandersetzung, im Mittelpunkt. Keines der geschilderten Hör- und Reaktionsmuster ist aber wirklich hilfreich, um ein Verstehen der Predigt zu ermöglichen. Frau X und Herr Y brechen die Kommunikation letztlich auf je eigene Weise ab. Der Bruder von Frau X geht dem Thema aus dem Weg, indem er sich vorschnell entschuldigt, wo es von seiner Seite gar nichts zu entschuldigen gibt. Und die anderen genannten Gottesdienstbesucher meinen es zwar gut, aber letztlich nehmen sie dabei den Pfarrer mit dem, was er gesagt hat, gar nicht wahr. Ein echtes Verstehen dessen, was der Pfarrer gemeint hat, bzw. dessen, was die beiden Kontrahenten so erbost hat, findet so nicht statt. Die Beteiligten werden sich erst dann verstehen, wenn sie einander als erwachsene Menschen wahrnehmen, die darum bemüht sind, jeweils zu erfassen, was der andere gemeint hat und was sein Anliegen dabei war. Frau X etwa könnte am Kircheingang sagen: „Herr Pfarrer, irgendwie hat mich die Predigt heute auf dem falschen Fuß erwischt. Können wir nachher noch einmal in Ruhe darüber reden?“ Oder Herr Y könnte sich so äußern: „Herr Pfarrer, mir scheint, Sie haben mich heute bewusst in der Predigt aufs Korn genommen. Habe ich das nur so wahrgenommen? Oder haben Sie das tatsächlich auch so gemeint?“ So könnte ein Gespräch angestoßen werden und eine Verständigung über das gelingen, was der eine gesagt und gemeint und die anderen gehört und verstanden haben. Zum verstehenden Hören gehört also, dass ich immer wieder auch infrage stelle, ob das, was ich gehört habe, tatsächlich auch das ist, was der andere, in diesem Fall der Prediger, gemeint hat. Dazu hilft auch selbstkritisch wahrzunehmen, auf welchem Ohr ich besonders hellhörig bin, zum Beispiel dann, wenn ich an einer Stelle besonders sensibel bin, wenn jemand meine eigene Leistungsfähigkeit infrage stellt. Andersherum hilft es, dass ich immer wieder

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überprüfe, ob das Bild, das ich mir von meinem Gesprächspartner, in diesem Fall einem Prediger oder Predigerin, gemacht habe, zutreffend ist. Francesc Torralba beschreibt es so: „Wenn wir jemandem zuhören wollen, müssen wir zunächst die Vorurteile, die das Bild vom anderen trüben könnten, ausräumen. Das ist nur möglich, indem wir das Bild, das wir uns vom anderen gemacht haben, infrage stellen.“ „Wir müssen dem anderen die Gelegenheit geben, dieses so eingebrannte Bild, das wir uns von ihm geschaffen haben, zu verändern.“ (Torralba, 15)

Eine wohlwollende, erwartungsvolle Hörhaltung gegenüber Predigenden und eine selbstkritische Haltung gegenüber dem eigenen Höreindruck ist also eine Grundbedingung für ein gutes, gelingendes (Predigt-)Hören. Dass darüber hinaus gutes Predigthören auch so geschehen kann und geschehen wird, dass ich als Hörer anderes und mehr höre, als der Prediger sich gedacht hat, gilt unbeschadet dessen. Dazu an späterer Stelle in diesem Buch mehr (Kapitel 10).

Eindrücke sortieren und austauschen • In einer über Matthäus 6,24 („Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“) fällt der folgende Satz: „Eine dauernde Beschäftigung mit Geld nimmt uns wertvolle und lebenswichtige Zeit mit Gott.“ Unter der Kanzel sitzt unter anderem Frau Z., die im Bankensektor arbeitet. • Wie könnte Frau Z. diesen Satz hören? (Welche Sachaussage mag sie hören? Welche Aussage trifft die Predigerin nach Meinung von Frau Z. über sich selbst? Welchen Appell könnte Frau Z. aus diesem Satz heraushören? Was sagt dieser Satz nach Meinung von Frau Z. über die Beziehung zwischen der Predigerin und ihr als Hörerin aus?) • Wie (ganz anders?) könnte das gewesen sein, was die Predigerin sagen wollte? (Mit Blick auf die Sache, die sie zum Ausdruck bringen wollte. Mit Blick auf das, was sie über sich selbst preisgegeben hat. Mit Blick auf einen Appell, der in diesem Satz versteckt sein könnte. Mit Blick auf die Beziehung zwischen ihr selbst und den Hörern, wie sie in diesem Satz zum Ausdruck kommt.)

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• Was könnte Frau Z. helfen, die Predigerin besser zu verstehen (vielleicht sogar ohne mit ihr nach dem Gottesdienst ein längeres Gespräch zu führen)? • Gibt es bestimmte Reaktionsmuster, die Ihnen mit Blick auf sich selbst besonders vertraut sind? (Zum Beispiel: Bei Konflikten sofort um jeden Preis um Frieden bemüht sein, indem ich die eigene Position aufgebe? Schnell die Brocken hinwerfen? Konflikte durch Drohungen oder Sanktionsankündigungen verschärfen? Sich immer auf die Seite des Schwächeren schlagen?) Inwieweit können solche Reaktionsmuster ein angemessenes Zuhören und damit auch Predigthören erschweren? • Denken Sie an diejenigen, die Sie derzeit am häufigsten predigen hören: Welche Vorurteile ihnen gegenüber bringen Sie mit? (Zum Beispiel: „Er ist ein guter oder schlechter Prediger!“, „Sie hat so ihre Lieblingsthemen.“, „Er predigt zu lang oder zu kurz.“, „Das Niveau ihrer Predigten ist zu hoch.“, „Ihre Predigten sind zu banal.“) Geben Sie denen, die predigen, eine Chance, diese Vorurteile zu entkräften oder stehen diese Urteile fest?

Stehenbleiben und verweilen Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Reinbek bei Hamburg 2005 [1981], 25–68. Manfred Gührs/Claus Nowak, Das konstruktive Gespräch. Ein Leitfaden für Beratung, Unterricht und Mitarbeiterführung mit Konzepten der Transaktionsanalyse, 5. überarb. Aufl., Meezen 2002, 93–117. Hanneke Schaap-Jonker, Ohne den Hörer geht es nicht. Über die Rolle des Hörers und seiner psychischen Struktur im Predigtgeschehen, in: Gottfried Bitter/Heye Heyen (Hg.), Wort und Hörer. Beispiele homiletischer Perspektiven, Homiletische Perspektiven, Bd. 5, Berlin 2007, 30–43. Francesc Torralba, Die Kunst des Zuhörens, München 2007, 15–17.

Eine besondere Begegnung auf dem Weg: Hören und Glauben

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Eine besondere Begegnung auf dem Weg: Hören und Glauben

Wer sich am Sonntagmorgen auf den Weg zur Kirche begibt, erwartet sich davon im Normalfall etwas – einmal vorausgesetzt, dass die normale Predigthörerin doch nicht der Frau aus dem Witz aus dem ersten Kapitel gleicht. Wer kommt, wird sich vom Besuch des Gottesdienstes wahrscheinlich etwas religiös Erbauliches versprechen: dass er oder sie Gott näherkommt, dass sein oder ihr Glaube neue Impulse erhält. Aber welche Bedeutung hat dafür die gottesdienstliche Rede, die Predigt? Warum sollte gerade eine Predigt dazu beitragen, dass Menschen Gott begegnen und ihr Glaube gestärkt wird? Der Gott der Bibel begegnet den Menschen von Anfang an als ein redender Gott. Schon die Schöpfung ereignet sich, indem Gott spricht (1. Mose 1). Zwar begreifen die Menschen vieles, was ihnen in ihrem Geschick wiederfährt (etwa die Befreiung aus Ägypten, 2. Mose 1–20) als Gottes Handeln. Und doch stellen die Worte Gottes, die er ausrichten lässt, die entscheidenden Fixpunkte für das Gottesverhältnis und damit für den Glauben dar. Dabei redet Gott nur außerordentlich selten unmittelbar zu einzelnen Menschen, seinem Volk und damit zu den Menschen, die an ihn glauben und ihm vertrauen. Er spricht meistens durch Boten, etwa durch Mose und die Propheten, durch Apostel und Evangelisten und durch seinen Sohn Jesus Christus, der selbst als Mensch auf und in die Welt gekommen ist. Solches Reden Gottes durch Menschen geschieht bis heute, wenn Predigende das Wort ergreifen. Gottes Wort finden wir einerseits aufgezeichnet in den biblischen Büchern, andererseits trifft es in das Leben von Menschen, wenn Predigerinnen und Prediger eben dieses Wort Gottes auslegen, verkündigen, sie zu Gott (zurück-)rufen und den Hörerinnen und Hörern Gottes frohe Botschaft unmittelbar zusprechen – gerade auch in der Predigt. Gott stellt sich auf diese Art und Weise vor und sagt, wie er es mit uns Menschen meint. Er weckt in uns, indem er redet, das Vertrauen zu ihm. Denn um jemandem vertrauen zu können, muss ich ihn kennen. Gott also macht sich in seinem Wort bekannt. Würde mich jemand Fremdes in der Fußgängerzone bitten, ihm 100 Euro zu leihen, würde ich diese Bitte sicher ausschlagen. Würde mich dagegen jemand, von dem ich über Freunde schon viel gehört habe, um dasselbe bitten, würde ich dieser Bitte wahrscheinlich viel eher nachkommen. Das, was ich über ihn gehört habe, hat Vertrauen

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wachsen lassen. Und entsprechend lässt auch das, was Menschen von Gott in seinem Wort hören, Vertrauen, also Glauben an ihn wachsen. Dennoch bleibt es überraschend, dass Gott nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift auf dem Weg des Redens und Hörens mit Menschen kommuniziert. Zwar ist es einerseits nahliegend. Schließlich ist das Hören etwas, was dem Menschen schon früh in seiner Entwicklung geschenkt ist und was ihn tief im Innersten anrühren kann. Andererseits ist es auch ein Wagnis. Wo einer redet und andere hören, sind, wie wir gesehen haben, Missverständnisse vorprogrammiert. Die Kommunikation ist immer auch gefährdet. So lässt sich das Reden Gottes, das auf ein Hören der Menschen zielt, schon als ein Akt der Erniedrigung Gottes verstehen. Gott nimmt es auf sich, dass seine Worte überhört werden, dass Menschen sich verhören, dass sie nicht hinhören, dass sie hören und gleichzeitig doch auch nicht hören. Entsprechend ist die Geschichte Gottes mit seinen Menschen immer auch eine Geschichte von redenden und hörenden Menschen, von Menschen, die hören, zuhören und darum auch glauben. Aber die Bibel erzählt auch von Menschen, die sich verhören und Entscheidendes überhören. Immer wieder ist davon die Rede, dass Ohren und Herzen „verstockt“ (wir würden vielleicht sagen: verstopft) sind. Und trotzdem meldet sich Gott immer wieder zu Wort. So ist es wenig überraschend, dass es in zentralen Texten der Bibel immer wieder um das Hören geht. Einige wenige möchte ich herausgreifen. Prominent in der Tora, den fünf Büchern Mose, ist folgender Text: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ (5. Mose 6,4f.)

Hier wird das erwählte Volk Israel zum Hören aufgerufen, zu einem Hören, das nicht – wie wir es sagen – zu einem Ohr rein- und zum anderen Ohr rausgeht, sondern das das Leben prägt und gestaltet. Aus dem Hören erwächst die Liebe zu Gott. Auch in Jesu Verkündigung spielt das Hören eine besondere Rolle. Markant ist seine Aufforderung in den Gleichnisreden: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Markus 4,9.23). Dieser Satz zielt auf ein aufmerksames, achtsames Hören, das sich nicht verhört und das Gesagte nicht überhört. Im Evangelium nach Johannes werden dann das Reden und Hören zum wesentlichen Merkmal der Gemeinschaft zwischen dem guten Hirten, Jesus Christus, und seiner Herde:

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„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ (Joh 10,27f.)

Weil Menschen aus Gottes Wort hören, wer Gott ist und wie er ist, können sie ihn auch von anderen vermeintlichen Göttern und Herren der Welt unterscheiden. Es ist diese Hörfähigkeit der Herde, den rechten vom falschen Hirten zu unterscheiden, an der Martin Luther mit seiner Beschreibung dessen, was Kirche ist, ansetzt: „Denn es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche ist, nämlich die heiligen Gläubigen und ‚die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören‘. Denn so beten die Kinder: ‚Ich glaube eine heilige, christliche Kirche.‘ Diese Heiligkeit besteht nicht in Chorhemden, Tonsuren, langen Gewändern und ihren anderen Zeremonien, die von ihnen über die Heilige Schrift hinaus erdichtet worden sind, sondern im Wort Gottes und im rechten Glauben.“ (Schmalkaldische Artikel, Dritter Teil, XII. Von der Kirche; zitiert nach: Unser Glaube, 426)

Hören und Glauben rücken in diesen Texten eng aneinander, wobei dieser Glaube doch niemals als bloße Kopfsache verstanden wird, sondern das ganze Leben umgreift, weshalb der Jakobusbrief einem tatenlosen Glauben auch deutlich entgegentreten kann: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“ (Jakobus 1,22) So zielt die Botschaft des Evangeliums auf ein hörendes Hören, ein echtes Zuhören, gewissermaßen mit Leib und Seele. Dieses Hören aber schafft Glauben, wie Paulus es im Anschluss an Jesaja 53,1 fassen kann: „So kommt der Glaube aus der Predigt [im griechischen Urtext: aus dem Hören, CB], das Predigen [bzw. das Hören, CB] aber durch das Wort Christi.“ (Römer 10,17) In solchem Hören bleibt der Mensch einerseits ganz passiv. Wer nicht nur sich selbst hören will, ist darauf angewiesen, dass ein anderer redet. Ganz vergleichbar kann kein Christ selbst etwas dazu beitragen, dass er zum Glauben kommt. Sondern es ist ein Geschehen, das von außen auf ihn zukommt. Martin Luther kann es so fassen: „Hören ist nicht ein Werk, nichts machen wir, sondern wir empfangen im Hören.“ (WA 34/II, 351,28f. – sprachlich angepasst und übersetzt) Das Hören ist dabei aber andererseits doch kein Prozess, in dem die Hörenden unbeteiligt blieben, sondern im Hören (und ganz vergleichbar im Glauben) wird ein Mensch durch das Wirken des Heiligen Geistes aktiviert. Er oder sie hört und glaubt, bringt dabei eigene Hör- und Lebenserfahrungen ein. So finden Menschen zwar nicht aus eigener Kraft, aber doch auch nicht

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an der eigenen Person vorbei zu einer eigenen Hörerfahrung, zum Glauben und damit zu einem neuen Leben. Dass dies in der Form mündlicher Rede geschieht, liegt in der Natur der Botschaft, die da laut wird. Martin Luther beschreibt das Evangelium folgendermaßen: „Evangelium aber heißet nichts anders, denn eine Predigt und Geschrei von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, durch den Herren Christum mit seinem Tod verdienet und erworben, und ist eigentlich nicht das, das in Büchern stehet und in Buchstaben verfasst wird, sondern mehr eine mündliche Predigt und lebendig Wort, und eine Stimme, die da in der ganzen Welt erschallet und öffentlich wird ausgeschrien, damit man’s überall höret.“ (WA 12, 259,8–13, sprachlich angepasst)

Mit dem Lautwerden des Wortes bin ich als Hörer anders in das Geschehen einbezogen als beim Lesen eines Textes oder beim Anschauen eines Films. Papier ist geduldig. Ich kann einen Text, der vor mir liegt, lesen oder es auch bleiben lassen. Ein Film kann mich zwar fesseln, und doch hat er nur in den seltensten Fällen mit mir selbst zu tun. Aber das Wort Gottes als frohe Botschaft unterscheidet sich von solchen Informationen oder filmischen Inszenierungen in der Weise, dass es laut werden will, sodass es nicht nur schwarz auf weiß gedruckt ist, nicht nur auf einer Leinwand abgespielt wird, sondern dass der, der es hört, wahrnimmt: Ich bin gemeint. Dieses Wort gilt mir. Es ist ein „Geschrei, davon man singet, saget und fröhlich ist“, wie Luther es an anderer Stelle fassen kann (WA.DB VI, 3,24f., sprachlich angepasst) Wenn in einem Film jemand in die Kamera sagt „Ich liebe dich!“ werden nur sehr verschrobene Zuschauer auf die Idee kommen, dass diese Liebeserklärung ihnen persönlich gilt. Begegnet mir allerdings eine Frau, die mich persönlich anspricht und mir auf dieselbe Weise ihre Liebe erklärt, dann tue ich gut daran, davon auszugehen, dass sie tatsächlich mich liebt. Das Evangelium ist eine solche Zusage, die dem Einzelnen gilt und die dadurch, dass sie ihm oder ihr zugesprochen wird, das Leben verändert – wie eine Liebeserklärung. Die Sätze „Dir sind deine Sünden vergeben“ oder „Gott liebt dich und meint es gut mit dir“ sind eben nicht bloß dogmatische Aussagen, die reflektieren, wer Gott ist und wie im Allgemeinen sein Verhältnis zur Menschheit aussieht. Sondern im Lautwerden dieser Worte in der mündlichen Rede, im Zuspruch, geschieht an denjenigen, die hören und glauben, genau das, was der Satz besagt: Sünden werden und sind in Gottes Namen vergeben. Gott erklärt seine Liebe den Menschen, die es hören – und

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wie eine Liebeserklärung unter Menschen verändert auch dieser Satz das ganze Leben. Ein Mensch steht in diesem Moment vor Gott, vor anderen und vor sich selbst anders dar als zuvor. Ja, mehr noch, Gott selbst redet in diesen Worten. Dies gilt gerade auch für die Predigt. Sie ist ihrem Wesen nach niemals bloßer Informationsvortrag, sondern Anrede und Zuspruch: Dies gilt dir, dies ist eine Botschaft Gottes für dich. So ist von einer Predigt als Entdeckungsreise tatsächlich Großes zu erwarten: Ein verwandeltes Leben. Eine von Gott geschenkte neue Sicht auf die Welt, auf das eigene Leben – ja mehr noch: eine Begegnung mit Gott, der sich in, mit und unter der Stimme derer, die predigen, als redender Gott von den Hörern finden lässt. Wo ein Predigthörer oder eine Predigthörerin sich im Glauben an Gottes Worten festmacht und so Gott selbst als liebevoll zugewandtem Gott begegnet, hat die Predigtreise zu der wichtigsten Entdeckung überhaupt geführt.

Eindrücke sortieren und austauschen • Fallen Ihnen noch weitere biblische Geschichten ein, in denen vom Reden Gottes und vom (Nicht-)Hören der Menschen die Rede ist? • An welchen Alltagsbeispielen ließe sich noch veranschaulichen, dass Hören und Vertrauen eng zusammengehören? • Ein Pfarrer beschließt, seine Predigten durch die Ausstrahlung von Folgen eines Jesusfilms zu ersetzen. Was geht dadurch (neben manchem möglichen Vorteil) in Sachen „Anrede und Zuspruch“ verloren?

Stehenbleiben und verweilen Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003, 41–61. Achim Behrens, Verstehen des Glaubens. Eine Einführung in die Fragestellung evangelischer Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 2005, 117–137 und 177–198. Joachim Ringleben, Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her, Tübingen 2010, 406–432. Silvia Schroer/Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Gütersloh ²2005, 99–108.

Frühere Etappen: Predigt und Predigtgeschichte(n)

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Frühere Etappen: Predigt und Predigtgeschichte(n)

Schon seit Jahrtausenden haben Menschen mehr oder weniger regelmäßig in Gottes Auftrag in der Öffentlichkeit geredet. Propheten haben sich an das Volk Israel, manchmal auch in besonderer Weise an bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen im Volk, gewandt, um Gottes Willen für ihre Zeit zu verkündigen, ihre Zeitgenossen zu warnen und zu trösten. Spätestens hier beginnt die Vorgeschichte christlicher Predigt. Im Judentum, in das Jesus Christus hineingeboren wurde, war es dann längst üblich geworden, dass die Heiligen Schriften von Gelehrten – zum Teil auch in Streitgesprächen – ausgelegt und auf ihre Bedeutung für die Gegenwart hin befragt wurden. Auch im Synagogengottesdienst hatte die Auslegung des Wortes Gottes ihren Platz. Entsprechend suchte der Apostel Paulus an vielen Orten seiner Missionsreisen zunächst die Synagogen auf, um dort Jesus Christus als den Messias Israels und der ganzen Welt zu verkündigen. Doch das Phänomen „Predigt“ war auch zur Zeit Jesu und der Urkirche längst nicht auf die Zusammenhänge des Synagogengottesdienstes beschränkt. Die Bergpredigt (Matthäus 5–7) hielt Jesus in freier Natur. Gleichnisse, auch eine Form von öffentlicher Verkündigung, erzählte Jesus zu verschiedenen Anlässen an unterschiedlichsten Orten. Zu Pfingsten wendet sich Petrus an die Massen, die auf den Straßen Jerusalems zusammengeströmt waren. Dann wieder erfahren wir davon, dass die Apostel bei den gottesdienstlichen Versammlungen der Christen in den Häusern geredet haben. Die Briefe, die wir heute im Neuen Testament finden, sind wahrscheinlich als eine Art „Lesepredigt“ in den Gottesdiensten der frühen Christengemeinden vor der Abendmahlsfeier verlesen und von Gemeinde zu Gemeinde weitergegeben worden. Dabei war die Ordnung der Gottesdienste vielerorts wahrscheinlich anders, als wir das heute aus vielen Gottesdiensten in Deutschland gewohnt sind. Wir haben es in neutestamentlicher Zeit mit ganz unterschiedlichen Formen der Verkündigung zu tun: Da traten Lehrer auf, daneben auch Prophetinnen und Propheten, aber auch Christen, denen die Gabe der Zungenrede geschenkt war, die von wieder anderen ausgelegt wurde (1. Korinther 14). Dass schon damals nicht alle Predigten die Zuhörenden fesselten bzw. die anstrengende Arbeit des Tages manchem Hörer die Augen zufallen ließ, lässt sich der kleinen Geschichte von Eutychus entnehmen, der während einer

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Predigt des Apostels Paulus eingeschlafen und aus dem Fenster gefallen ist (Apostelgeschichte 20,6–12). Im Laufe der Zeit wurden die Rollen im Gottesdienst immer klarer erkennbar. Die Predigt war Aufgabe des Bischofs, der auf seinem Predigtstuhl, der Kathedra, saß, während die Gemeinde stand und ihm zuhörte. In den Jahrhunderten bis zur Reformationszeit wurde allerdings keineswegs in jedem Gottesdienst gepredigt. In der Form der lateinischen Messe, die sich in Westeuropa als Normalform des Gottesdienstes herauskristallisierte, hatte die Predigt lange keinen festen Platz. Nicht zuletzt die Predigerorden sorgten im Spätmittelalter aber für einen Aufschwung der Predigt in der jeweiligen Landessprache. In manchen Kirchen waren die Kanzeln auch gar nicht ausschließlich innen in der Kirche eingebaut, sondern an der Außenwand der Kirche, zum Marktplatz gewandt. Dies hatte zum einen praktische Gründe, zum anderen wurde damit architektonisch auch deutlich: Die Predigt hat ihren Platz an der Schnittstelle zwischen Gottesdienst und Welt. Selbst Martin Luther hat in einem seiner Entwürfe für eine Gottesdienstordnung („Formula Missae Et Communionis“, 1523) als eine Möglichkeit die Predigt nicht im Gottesdienst, sondern vor dem Gottesdienst als eine Art missionarische Verkündigung vorgesehen. Mit der Reformation erlebte die Predigt einen bis dahin ungekannten Aufschwung. So konnte Martin Luther fordern, keine Gottesdienste mehr ohne Wortverkündigung stattfinden zu lassen („Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde“, 1523). Dies war eine deutliche Akzentverschiebung in der damaligen Kirche. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes zur Zeit Luthers, der römischen Messe, stand die Eucharistie-, also die Abendmahlsfeier. Der Gottesdienst wurde in den wesentlichen Stücken in lateinischer Sprache gehalten, und die Gottesdienstbesucher verstanden so kaum das, was dort geschah. Verballhornungen wie das Wort Hokuspokus, das sich von den lateinischen Worten „Hoc est corpus meum“ („Das ist mein Leib“) aus den Einsetzungsworten der Abendmahlsliturgie ableiten lässt, zeugen noch davon. Der Gottesdienst war so für den durchschnittlichen Christen mehr ein Seh- als ein Hörgeschehen. Die Reformatoren, allen voran Martin Luther, verstanden dagegen die Verkündigung als ein Wort- und Hörgeschehen. Der Glaube, der sich an den Worten Gottes festmacht, stand nun im Mittelpunkt. Das wurde jetzt stärker betont als das Tun der Menschen, sei es in gottesdienstlichen Vollzügen, sei es in guten Werken.

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Joachim Ringleben hat an dieser Stelle Martin Luthers Theologie so zusammengefasst, dass dieser davon ausging, dass „Gott im Wort“ gegenwärtig sei und im Glauben zu fassen ist. Wort und Glaube bildeten für Luther ein Zwillingspaar, in dem die Einzelgrößen jeweils aufeinander bezogen waren: Das Wort schafft Glauben, und der Glaube hat, wenn er sich am Wort festmacht, das, was das Wort sagt. Im Glauben hört der Glaubende das Wort Gottes in angemessener Weise. Besonders wichtig war Martin Luther, dass die Rechtfertigung des Sünders, die durch Sündenvergebung um Christi willen geschieht, ganz Werk Gottes und nicht Werk des Menschen ist. Das sah er durch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Predigt gegeben, durch die der Mensch zu der Erkenntnis kommt, dass er aus eigener Kraft vor Gott nichts erreichen kann und ihm gleichzeitig doch im Glauben alles von Gott geschenkt ist. Die Predigt rückte also ins Zentrum. Allerdings wird man sich die Verhältnisse in der Reformation und in der Zeit nach der Reformation, gerade auf dem Land, wo die Prediger nur ein knappes Auskommen hatten und nebenbei noch die Ländereien der Pfarrstelle zu bestellen hatten, nicht zu ideal vorstellen dürfen. Entsprechend ist die Klage über die Predigtnot, also über schlechte Predigten, fast so alt wie das Phänomen „Predigt“ selbst. In der Zeit, die auf die Reformation folgte, dienten die Predigten häufig auch der konfessionellen Abgrenzung und Identitätsvergewisserung. Hatte es bis zur Reformationszeit in Westeuropa im Wesentlichen nur eine Kirche gegeben, existierten nun verschiedene Kirchen, zunächst territorial getrennt, nebeneinander: etwa die römisch-katholische Kirche, lutherische und reformierte Kirchen. Pietistische Theologen kritisierten Predigten, die einseitig die Lehre darstellten. Nun kam es stärker darauf an, dass die Predigten das Herz des Menschen erreichten und ihn nicht nur intellektuell ansprachen. In der Zeit der Aufklärung dagegen versuchten die Pfarrer in ihren Predigten herauszustellen, wie Glaube und Vernunft miteinander vereinbar sind und welche Relevanz der christliche Glaube auch für das Leben hier und jetzt hat. So haben Predigten auch immer Anteil an dem gehabt, was ihre jeweilige Zeit geprägt und ausgemacht hat. Dabei ist es dann auch immer wieder zu einem Missbrauch der Predigt gekommen, wenn Predigten etwa zu Instrumenten der Volkserziehung wurden oder – fataler – in der Zeit des Nationalsozialismus in den Dienst der Verfolgung derer gestellt wurden, die zum Gottesvolk Israel gehören.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Predigten zunächst neue Aufmerksamkeit erfahren. Auch in der römisch-katholischen Kirche entdeckte man die Bedeutung der Predigt mit den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils für die sonntäglichen Messgottesdienste wieder neu. Doch seit rund vierzig Jahren wird auch erkennbar, dass die Predigten vor erheblichen Herausforderungen stehen. Mit der Durchsetzung des Fernsehens eroberte sich ein anderes Leitmedium seinen Platz. Waren Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das (Zu-)Hören noch weitgehend gewohnt, auch weil man viele Neuigkeiten entweder durch das Dorf- oder Stadtgespräch bzw. über das Radio erfuhr, traten nun die bewegten Bilder ihren Siegeszug an. Längst ist auch das Fernsehen ein Medium von gestern, das vom Internet mit seinen vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten abgelöst worden ist. Geblieben aber ist die Akzentverschiebung, dass das Sehen wichtiger ist als das Hören. Jugendliche wachsen mit Videos auf, die in kurzen Sequenzen geschnitten sind. Die Konzentration auf einen Vortrag, der kaum mit optischen Hilfsmitteln arbeitet, ist vielen Menschen heute fremd. Viele haben die Fähigkeit konzentrierten Zuhörens verloren. Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern hier Unterstützung anzubieten, wird eine der Herausforderungen für die Zukunft sein. Gleichzeitig wird auch immer wieder danach zu fragen sein, wie Predigten so zu gestalten sind, dass sie heutige Hörerinnen und Hörer mit ihren Wahrnehmungsfähigkeiten nicht völlig abhängen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Stellen Sie sich einen Gottesdienst vor, in dem es keine Predigt gibt oder in dem die Predigt vor dem Gottesdienst gehalten wird. Was würde Ihnen fehlen? Was würde ein Gottesdienst aber vielleicht auch gewinnen? • In früheren Zeiten, in denen Gottesdienstbesucher erst die Pferde an- und später wieder ausspannen mussten und lange Wege zum Gottesdienst zurücklegen mussten, traf man Sorge dafür, dass die Predigten nicht zu kurz ausfielen und sich der Aufwand für den Gottesdienstbesuch auch lohnte. Heute klagen Menschen eher über zu lange Predigten. Wie lang sollte Ihrer Meinung nach eine „ideale Predigt“ sein? • In einer Zeit, in der die Fähigkeit des Hörens/Zuhörens weniger verbreitet ist als in früheren Zeiten, stellt sich die Frage nach Hilfen für die Hörerin-

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nen und Hörer. Gibt es etwas, was Sie sich als Hilfen fürs Zuhören wünschen und erwarten würden?

Stehenbleiben und verweilen [Luthers Gottesdienstordnungen, in:] Wolfang Herbst (Hg.), Evangelischer Gottesdienst. Quellen zu seiner Geschichte, Göttingen ²1992, 13–49 und 69–87. Hans Martin Müller, Homiletik. Eine evangelische Predigtlehre, Berlin/New York 1996, 7–155. Joachim Ringleben, Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, Bd. 57, Tübingen 2010.

Landschaftswechsel: Predigtformen und Predigtarten

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Landschaftswechsel: Predigtformen und Predigtarten

Wie sieht eigentlich eine Predigt aus und was macht die gottesdienstliche Rede zur Predigt (etwa im Unterschied zu einer Begrüßung im Gottesdienst, die ja auch gottesdienstliche Rede ist, manchmal sogar auch mit Bezug auf einen Bibeltext)? Für viele, die Predigten hören, dürfte die Antwort ohne großes Nachdenken so ausfallen: Predigt ist die freie Rede im Gottesdienst, die am Ende des Verkündigungsteils und vor der Abendmahlsfeier ihren Platz hat. Vielerorts ist die Predigt gerahmt durch eine kleine Liturgie, den Kanzelgruß und ein Gebet vor der Predigt und ein Gebet und den Kanzelsegen nach der Predigt. Traditionell ist die Predigt auch dadurch zu erkennen gewesen, dass die Predigenden dafür einen hervorgehobenen Ort, nämlich die Kanzel, aufsuchten. Heute hat sich das vielerorts verändert. Diejenigen, die predigen, bevorzugen oft Lesepulte als Ort für die Predigt, da sie sich denen näher fühlen, die den Predigten zuhören. Auch wenn es gerade in kleinen Verhältnissen manches gibt, was für einen solchen Ortswechsel spricht, könnte sich doch auch die Scheu dahinter verbergen, in Gottes Namen und im Gegenüber zur Gemeinde das Wort Gottes für die Gegenwart auszulegen und zu verkündigen. Was die Form der Predigt angeht, gibt es keine Festlegung. Schon in der Bibel finden sich ganz unterschiedliche Verkündigungsweisen. Propheten unterstreichen ihre Verkündigung durch zum Teil sogar drastische Zeichenhandlungen (z. B. Hosea). Jesu Bergpredigt enthält Seligpreisungen, Bildworte, sogar ein Gebet (das Vaterunser). An anderer Stelle predigt Jesus in Form von Gleichnissen. Und in den neutestamentlichen Briefen, die vermutlich auch in den Gottesdiensten der Empfängergemeinden verlesen worden sind, begegnen wir eher argumentativen Texten. Dabei bezieht sich solche Auslegung immer auf Gottes Heilshandeln und die Heilige Schrift. Für die ersten Christen waren dies die Bücher, die wir das Alte Testament nennen und die die Christen mit dem Judentum als Heilige Schrift teilen. Später gewannen auch die Bücher des Neuen Testaments für die Christenheit den Rang heiliger Schriften und wurden in der gleichen Weise im Gottesdienst ausgelegt. Im Hauptgottesdienst am Sonntag wurde vor allem über die Evangeliumslesung gepredigt, zu anderen Gelegenheiten auch über die Epistellesung, über alttestamentliche Texte oder auch Katechismusstücke. Seit über hundert Jahren ist es in den evangelischen Kirchen

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in Deutschland üblich, dass über die biblischen Texte gepredigt wird, die in einer von heute sechs Perikopenreihen vorgesehen sind. In diesen Reihen sind für jeden Sonntag jeweils unter anderem die Alttestamentliche Lesung, die Epistel und das Evangelium des Tages sowie weitere Predigttexte vorgesehen, die in besonderer Weise zur Prägung des jeweiligen Sonn- oder Feiertags passen bzw. beitragen. Die in der Kirchengeschichte lange Zeit verbreitetste Predigtform war die der Homilie. Darunter versteht man eine Auslegung, in der die Predigenden am auszulegenden Bibeltext Vers für Vers entlanggehen, jeweils einen Vers erklären und auf die Gegenwart beziehen, um dann zum nächsten Vers zu kommen. Noch Martin Luther legte biblische Texte in seinen Predigten häufig so aus. In der Gegenwart scheint mir diese Predigtform weniger verbreitet zu sein. Im 19. und 20. Jahrhundert dagegen hatte die eher thematisch orientierte „Zwei- oder Drei-Punkte-Predigt“, die einigen Leserinnen und Lesern dieses Buches noch als klassische Predigtform vertraut sein dürfte, besondere Verbreitung gefunden. Der Predigttext wurde oftmals auf ein Thema konzentriert, das dann zunächst erläutert und häufig im zweiten Teil bzw. am Schluss der Predigt in seiner Bedeutung für die, die zuhören, erschlossen wurde. Während in den Homilien gerade bei der Auslegung biblischer Geschichten die erzählende Form auch in der Auslegung eher erhalten blieb, tendierten die „Punkte-Predigten“ häufig dazu, als Lehrpredigten im abstrakteren Sinn vor allem Wissen zu vermitteln und auf die jeweilige Lebenswirklichkeit anzuwenden. Der Vorteil der Homilie besteht so darin, häufig sehr nah am Text zu bleiben, während der Vorteil der thematisch orientierten Predigten darin zu sehen ist, auch komplexere Zusammenhänge nicht nur von einem einzigen Text, sondern vom Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift her zu behandeln. So haben auch nicht alle Predigten notwendigerweise einen biblischen Text, der unmittelbar als Predigttext ausgelegt wird. Manche Predigten beziehen sich sogar ausdrücklich zunächst auf andere Texte, die dann allerdings ihrerseits auf die Botschaft der Bibel verweisen. So haben Katechismuspredigten eine lange Tradition, aber auch Liedpredigten und Kantatenpredigten sind verbreitet. Schon vor einigen Jahrzehnten hat man die Form der Erzählung in narrativen Predigten wiederentdeckt. Biblische Szenen wurden so in der Predigt neu lebendig. Aber auch Gegenstände und Symbole werden in Predigten genutzt, weil sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass das Gesagte leichter

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verstanden und erinnert wird, wenn es mit einem sichtbaren Impuls verbunden wird. Seit dem Ende der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts erinnerte man sich neu an die soziale und politische Dimension der Predigt. Die Einsicht wuchs, dass die Kirche die sozialen und gesellschaftlichen Missstände nicht einfach hinnehmen durfte. So ergriffen Predigende in der Tradition der alttestamentlichen Propheten gerade auch in dieser Weise das Wort. Das immer neue Suchen nach angemessenen Predigtformen zeigt, dass es die eine ideale Predigtform wohl nicht gibt und alle Predigtformen auch Probleme mit sich bringen. So kann sich eine Homilie leicht in den Details eines Textes verlieren oder eine Themenpredigt am Leben vorbeigehen. Narrative Predigten können die Hörerin an den alten Geschichtenonkel erinnern, dem man gerne zuhört, der aber letztlich nichts Bedeutsames zu sagen hat. Symbolpredigten können als etwas Neues durchaus die Aufmerksamkeit wecken, aber wenn Predigerinnen und Prediger an jedem Sonntag einen Ziegelstein, einen Schuh oder einen Rucksack mit auf die Kanzel bringen, ist auch dieser Effekt schnell verpufft. Auch das Ansprechen gesellschaftlicher und sozialer Missstände wird in der Predigt immer wieder seinen Platz haben. Aber wenn daraus dann Reden werden, die auch bei einem Parteitag einer politischen Partei gehalten werden könnten, geht die Eigenart der Predigt verloren. Wenn es sich Predigende wie Hörende darin bequem einrichten, moralische Appelle in die Welt auszusenden, verfehlt auch diese Predigtform das Ziel, das die Verkündigung des Wortes Gottes hat. Derzeit profitiert die Predigtlehre in Deutschland von Impulsen aus den USA, die nicht zuletzt Martin Nicol nach Deutschland gebracht hat. Leitbild für die Predigt soll demnach nicht mehr ein Vortrag oder eine akademische Vorlesung sein, bei der ich mich als Hörer oder Hörerin zurücklehnen kann, um mehr oder weniger interessiert bzw. distanziert zu lauschen. Sondern die Predigt soll sich stärker am Vorbild des Films orientieren, der aus einzelnen Szenen besteht und doch einen Gesamtspannungsbogen hat. Die Hörerinnen und Hörer sollen nicht einen Vortrag über ein Thema hören, sondern in ein Geschehen einbezogen werden. Martin Nicol beschreibt es so: „Viele Predigten behandeln einen Anwesenden wie einen Abwesenden. So gesehen erscheint es absurd, in der Gegenwart des Auferstandenen über ihn zu reden, als sei er eine historische Figur oder ein Text. Christus ist keines von beiden. Predigt ist insofern Ereignis, als die Gegenwart des auferstandenen Herrn nur als Ereignis wahrgenommen werden kann.“ (Nicol, 52)

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Zu einem gewissen Teil deckt sich dies durchaus mit dem, was Martin Luther mit der Wechselbeziehung von Verheißung und Glauben gemeint hat. Christus mischt sich in seinem Wort unter die, die es hören. Dieses Wort wirkt und sucht Glauben bei denen, die es hören. Und der Glaube macht sich seinerseits an diesem wirkmächtigen Wort des auferstandenen Herrn fest. Darüber hinaus es gibt es noch weitere Suchbewegungen in der Predigtpraxis. Da gibt es Predigten, in denen Filme bzw. Filmsequenzen oder Popmusik eingespielt und ausgelegt werden. Oder in Literaturgottesdiensten werden belletristische Bücher als Ausgangspunkt für die Verkündigung genommen. Wie bei allen experimentellen Suchbewegungen lässt sich auch hier in der Praxis manches beobachten, was gelungen ist, daneben aber auch wieder anderes, was sich nicht bewährt. Aus dem Bereich jüdischer Bibelauslegung stammt der sogenannte Bibliolog, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeweils für einen Moment die Innenperspektive derjenigen einnehmen, die in einer biblischen Erzählung handeln. Eine Person kann dabei für einen Moment in die Rolle einer Figur aus dem biblischen Text schlüpfen und dementsprechend ihre Wahrnehmung der biblischen Szene beschreiben. Diese Auslegungsform ist auch für die Verkündigung fruchtbar gemacht worden und kann dazu dienen, dass die Hörerinnen und Hörer gegenüber den biblischen Geschichten nicht distanziert bleiben, sondern sie in diese eintauchen und eigene Lebenserfahrung und die Welt der biblischen Geschichte miteinander verbunden werden. In vielen Gemeinden ist die Anzahl der Gottesdienstbesucher außerordentlich überschaubar. Dass in solchen Verhältnissen ein starres Gegenüber von Prediger und Hörergemeinde als befremdlich erlebt wird, ist leicht nachvollziehbar. An dieser Stelle setzen die Versuche an, die Predigt durch ein Verkündigungsgespräch zu ersetzen und so die Kleinheit der Gottesdienstgemeinde als Chance zu begreifen. Die eine Predigtart gibt es also nicht. Die Vielfalt biblischer Verkündigungsformen spiegelt sich bis heute in der Vielfalt der Predigtformen und lädt ein zu immer neuen Entdeckungen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Welchen der dargestellten Predigtarten sind Sie schon einmal begegnet? • Welche Form trifft Ihre Predigterwartungen? • Welche der dargestellten Predigtarten finden Sie von der Darstellung her am interessantesten, welche finden Sie am befremdlichsten?

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• Welche Predigtform wirkt am ehesten lebensverändernd? Welche Art der Predigt trifft besonders das Leben? Wann haben Sie den Eindruck, Sie würden hineingenommen in die biblische/in Gottes Welt?

Stehenbleiben und verweilen Lars Charbonnier/Konrad Merzyn/Peter Meyer (Hg.), Homiletik. Aktuelle Konzepte und ihre Umsetzung, Göttingen 2012. Achim Härtner/Holger Eschmann, Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis, Darmstadt [Göttingen] ²2008, 111–140. Martin Nicol, Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik, Göttingen 2002. Uta Pohl-Patalong/Frank Muchlinsky (Hg.), Predigen im Plural. Homiletische Perspektiven, Hamburg 2001.

Unterschiedliche Ferngläser: Zugänge zum Predigthören

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Unterschiedliche Ferngläser: Zugänge zum Predigthören

Dass Menschen verschieden sind, ist eine Binsenweisheit. Es gibt Junge und Alte, Cholerische und Zurückhaltende, Frauen und Männer. In der Schule gibt es Schülerinnen und Schüler, die sich vor allem für die naturwissenschaftlichen Fächer erwärmen können und dann auch wieder solche, die besonderes Interesse und besondere Begabungen für Sprachen oder die musisch-künstlerischen Fächer mitbringen. Menschen lernen auch auf unterschiedliche Art und Weise. In der Pädagogik unterscheidet man deswegen verschiedene Lernstile bzw. Lerntypen, denen dann auch guter Unterricht in möglichst vielfältiger bzw. individueller Gestaltung entsprechen sollte. In der Predigtlehre spielen Gedanken wie diese, dass es unterschiedliche Hörweisen gibt, bisher erst ansatzweise eine Rolle. Thomas Nisslmüller hat mit seinen Hörmodi (Kapitel 3) sicherlich die umfangreichste Unterscheidung vorgenommen, die bisher aber, soweit ich sehen kann, kaum aufgenommen worden ist. Zudem ist die Unterscheidung von 95 Hörweisen dann schon wieder derart kleinteilig, dass sie für die Praxis nur schwer handhabbar ist. Zwei weitere Versuche, unterschiedliche Zugänge zu Predigten zu unterscheiden, möchte ich in diesem Kapitel vorstellen. Die Schnittmengen zu dem, was oben schon allgemein als Hörweisen nach Nisslmüller beschrieben worden war, sind dabei leicht erkennbar. Ein erster Zugang stammt aus dem skandinavischen Bereich: Marianne Gaarden und Marlene Ringgaard Lorensen haben in einer Veröffentlichung zur Auswertung einer empirischen Studie eine Unterscheidung von drei Hörtypen oder Hörweisen vorgenommen: Sie unterscheiden zwischen einem assoziativen, einem kritischen und einem kontemplativen Hörtyp. Diese etwas gröbere Unterscheidung mag Ihnen als Lesern helfen, einmal zu überlegen, welcher Gruppe Sie sich zuordnen würden bzw. welchem Hörtyp Sie schwerpunktmäßig angehören. Die assoziative Hörweise zeichnet sich dadurch aus, dass die Hörenden nur einzelne Impulse aus einer Predigt aufnehmen. Sie bleiben an einzelnen Formulierungen hängen, gehen Fragen gedanklich nach und lassen sich von den Predigenden zu eigenen Überlegungen anregen. Bei dieser Hörweise wird besonders deutlich, dass Hören niemals nur das Empfangen einer fremden Botschaft ist, sondern dass im Hören das Gehörte mit eigenen Überlegungen, Gedanken und Vorstellungen verknüpft und weiterentwickelt wird.

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Die kritische Hörweise lässt sich so beschreiben, dass solche Hörerinnen und Hörer bestimmte Erwartungen an eine Predigt mitbringen. Sehr genau nehmen Hörer, die sich diesem Typ zuordnen lassen, wahr, was die Predigenden sagen, und unterziehen dies einer kritischen Prüfung. Etwa so: Deckt sich das Gesagte mit der eigenen Lebenserfahrung? Oder: Inwieweit passt dies zu meinem Verständnis der biblischen Botschaft oder zu meiner eigenen theologischen Auffassung? Auch an diesem Punkt spielt die eigene Person der Hörenden eine Rolle. Das Gehörte wird mit eigenen Vorannahmen abgeglichen. Ist der Unterschied zwischen der eigenen Weltsicht und dem, was die Predigerin oder der Prediger sagt, zu groß, kann dies entweder zu einem Abbruch des Hörprozesses führen oder dazu, dass die Hörenden einen eigenen Zugang zum Thema entwerfen und für sich folgern: Dem Gehörten kann ich zwar nicht zustimmen, aber ich überlege, wie ich mich zu dem entsprechenden Predigtgegenstand stellen würde. Die kontemplative Hörweise wiederum hat anders als die beiden erstgenannten einen weniger rationalen Zugang. Hörer dieses Typs genießen die Zeit, die sie in der Predigt haben, träumen, lassen sich von den Predigenden mitnehmen in eine andere Welt, entspannen, finden in der Predigt ihren inneren Frieden, ohne jedem Gedankengang, der auf der Kanzel entwickelt wird, im Einzelnen zu folgen. Ein Hörer wird in der genannten Studie folgendermaßen zitiert: „Wenn ich ehrlich sein soll: Ich träume oft, ich … schaue bloß aus dem Fenster, ich höre die Worte und manchmal schließe ich meine Augen … und ich höre die Wörter, aber ich bin weit weg. Ich versuche mir in Erinnerung zu rufen, was gesagt worden ist, aber ich kann mich nicht erinnern [lacht].“ (Gaarden/Ringgaard Lorensen, 42 – aus dem Englischen übersetzt)

In dieser Untersuchung wurde allerdings auch deutlich, dass sich die ersten beiden Hörweisen gegenüber der letztgenannten deutlich häufiger beobachten lassen. Eine Untersuchung aus den USA, die von John S. McClure u. a. durchgeführt und ausgewertet worden ist, bedient sich für die Unterscheidung verschiedener Zugänge zu Predigten traditioneller Kategorien. Der griechische Philosoph Aristoteles hatte die Dimensionen von Ethos, Logos und Pathos unterschieden. Mit Ethos ist gemeint, wie die Hörer den Redner, in diesem Fall den Prediger, wahrnehmen, mit Logos die vernunftgesteuerte Zugangsweise und mit Pathos die gefühlsgesteuerte Zugangsweise zu Reden bzw. in diesem Fall Predigten.

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In Interviews unter Predigthörerinnen und Predigthörern konnte nachgewiesen werden, dass alle drei Dimensionen bei fast jedem, der Predigten hört, eine Rolle spielt, die Gewichtung der drei Dimensionen aber bei jeder und jedem Einzelnen unterschiedlich ausfällt. Da gibt es Hörende, für die das rationale, vernunftgesteuerte Verständnis des Gehörten besonders wichtig ist, während für andere die Beziehung zu denen, die predigen, am wichtigsten ist. Und wieder andere nehmen eine Predigt vor allem auf einer emotionalen Ebene wahr, während das, was als Gedankengang mit dem Verstand nachzuvollziehen ist, in den Hintergrund tritt. Dabei erweiterte diese Studie die Dimension des Ethos noch um die Dimension der „Gemeindekultur“. Die Glaubwürdigkeit einer Predigt hängt, so war die Überlegung, nicht nur von dem einzelnen Prediger ab, sondern auch von der Gemeinde insgesamt. Wenn zum Beispiel in der Predigt davon die Rede ist, dass alle Christen Brüder und Schwestern sind, ein Predigthörer dann aber vor der Kirchentür erlebt, dass alle anderen Gottesdienstbesucher in Gruppen zusammenstehen und nur er alleine bleibt, wird dies die Wahrnehmung der Predigtaussage beeinflussen und beeinträchtigen. Fühlt er sich als Fremder dagegen sofort in die Gemeinschaft aufgenommen, wird dies andererseits eher die Botschaft der Predigt unterstreichen. Mit Blick auf den eigenen Zugang zu Predigten ließe sich nach dem Ansatz dieser Studie unter anderem folgendermaßen fragen: Ethos Wie wichtig ist mir die Person des Predigers/der Predigerin? Frage ich danach, ob derjenige, der predigt, selbst auch das lebt, was er sagt? Wie stark lege ich Wert darauf zu sehen, dass in der Gemeinde das verwirklicht wird, wovon in der Predigt die Rede ist? Logos Möchte ich in der Predigt intellektuell herausgefordert werden? Wie wichtig ist mir, dass ich in der Predigt etwas Neues erfahre? Ärgere ich mich über Argumentationsgänge in der Predigt, die nicht bis ins Letzte durchdacht sind? Pathos Bin ich dankbar dafür, wenn ich in der Predigt auch einmal lachen darf oder zu Tränen gerührt werde?

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Ärgert es mich, wenn ich das Gefühl habe, in der Predigt wird ein Thema nur sachlich abgehandelt – ohne Bezug auf mein eigenes Fühlen und Erleben? Ist es mir wichtiger, in der Predigt getröstet zu werden als ein Thema besser zu verstehen? Darauf, dass die Gefühlsebene besonders bedeutsam für das Predigthören zu sein scheint, weisen schon ältere Studien hin: „Sterk fand in seiner Untersuchung heraus, dass nur 22 % der Hörer gut wiedergeben konnten, was gesagt worden war. 35 % hatten eine klare Erinnerung und 43 % erinnerten sich schwach. Dagegen blieb der emotionale Eindruck, den die Predigt hinterlassen hatte, den Hörern tagelang gegenwärtig. Entsprechend gaben in einer deutschen Untersuchung 82 % der evangelischen und 69 % der katholischen Hörer ihren emotionalen Eindruck gut oder sehr gut wieder, während nur 4 bzw. 6 % richtige Antworten gaben über den Inhalt der Predigt.“ (Schaap-Jonker, 33)

Für das Predigthören wird es wenig hilfreich sein, wenn die Hörenden nur auf einem „Kanal“ wahrnehmen. Jemand, der nur auf der Gefühlsebene angesprochen wird, aber kein Ohr für die Sache hat, wird Gefahr laufen, sich in den Gefühlen zu verlieren. Und am Ende ist es dann auch egal, wo diese Gefühlserlebnisse entstehen: ob in einem christlichen Gottesdienst, einem Rockkonzert oder im Kino. Wer sich dagegen ganz auf die Beziehungsebene konzentriert, kann leicht zu einem „Prediger-Groupie“ werden, für den die Person an die Stelle der Botschaft tritt. Damit kann erstens die Person überfordert werden, andererseits kann ein Wechsel im Pfarramt schließlich auch zu Enttäuschungserfahrungen führen, die nicht mehr aufzufangen sind. Oder im negativen Fall: Spielt die Beziehung zum Prediger oder zur Predigerin in einem gestörten Beziehungsverhältnis eine dominante Rolle, wird die Sachbotschaft nicht mehr hörbar sein. Und wer vor allem rein rational hört, könnte Gefahr laufen, den christlichen Glauben zu einer reinen Kopfsache zu machen und dabei zu übersehen, dass im Glauben der ganze Mensch gemeint und betroffen ist – mit all seinen Gefühlen und Beziehungen. In vergleichbarer Weise birgt auch ein rein assoziatives Predigthören Probleme, weil es das, was mein Gegenüber sagt, bestenfalls partiell wahrnimmt. Wer vor allem kritisch hört, kann es leicht am Vertrauensvorschuss für den anderen fehlen lassen, der aber für alle Kommunikation wesentlich ist. Und wer immer nur kontemplativ hört, bleibt im freien Spiel der Gedan-

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ken und in der Besinnung am Ende vielleicht doch eher bei sich als bei dem Gott, der in der Predigt verkündigt wird. Predigthören zu lernen, kann also nicht darin bestehen, sich für eine der genannten Hörweisen zu entscheiden und es in einer dieser Weisen zu einer Meisterschaft zu bringen. Sondern es scheint mir lohnenswert zu sein, Predigten mehrdimensional zu folgen. Das hieße zum Beispiel: nicht nur nach dem abstrakten Sinngehalt einer Predigt, sondern auch nach Gefühlen zu fragen; nicht nur kontemplativ zu hören, sondern immer wieder auch darauf zu achten, was die Predigenden sagen, und daran eigene Gedankengänge festzumachen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Welcher der dargestellten Zugänge zu Predigten entspricht am ehesten ihrem eigenen? • Hier sind einige Statements zusammengestellt. Was halten Sie davon? • „Als der Prediger zu Beginn der Predigt keinen Bibeltext vorgelesen hat, habe ich gleich abgeschaltet.“ • „Eine Predigt, die nicht zu Herzen geht, ist auch keine gute Predigt.“ • „Als der Pfarrer von den Nächsten sprach, habe ich gleich an die Tagesschau von gestern gedacht, an die Flüchtlinge, die in unserem Land leben. Wie könnten wir ihnen am besten helfen?“ • „Wenn ich mit dem Prediger nichts anfangen kann, sagt mir in der Regel auch seine Predigt nichts.“ • „In der Predigt kann ich endlich einmal zur Ruhe kommen.“ • „In der Predigt stellt sich die Kirche öffentlich dar. Das, was da gesagt wird, muss auch Hand und Fuß und ein gewisses Niveau haben.“ • Wenn Sie mögen, können Sie auch versuchen, die einzelnen Aussagen den dargestellten Hörweisen zuzuordnen.

Stehenbleiben und verweilen Marianne Gaarden/Marlene Ringgaard Lorensen, Listeners as Authors in Preaching: Empirical and Theoretical Perspectives, Homiletic 38 (2013), No. 1,28–45, http://dx.doi.org/10.15695/hmltc.v38i1.3832 (Stand: 21.3.2016). John S. McClure/Ronald J. Allen/Dale P. Andrews/L. Susan Bond/Dan P. Moseley/G. Lee Ramsey, Jr., Listening to Listeners. Homiletical Case Studies, St. Louis, MO 2004.

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Hanneke Schaap-Jonker, Ohne den Hörer geht es nicht. Über die Rolle des Hörers und seiner psychischen Struktur im Predigtgeschehen, in: Gottfried Bitter/Heye Heyen (Hg.), Wort und Hörer. Beispiele homiletischer Perspektiven, Homiletische Perspektiven, Bd. 5, Berlin 2007, 30–43.

Das Ziel im Blick: Hörerwartungen

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Das Ziel im Blick: Hörerwartungen

Mit den Hörweisen und den Zugängen zum Hören hängen auch unmittelbar die unterschiedlichen Hörerwartungen zusammen: Was erwarte ich mir von einer Predigt? Was soll eine Predigt für mich leisten? In einer empirischen Studie zum Erleben des evangelischen Gottesdienstes hat ein Team um Uta Pohl-Patalong auch Erwartungen an die Predigt in den Blick genommen. Neun verschiedene „Erlebnislogiken“ bzw. Erwartungen an eine Predigt lassen sich demnach unterscheiden, die zum Teil bei denselben Personen nebeneinander zu finden sind, zum Teil aber auch einander widersprechen: 1. Die „Predigt als Zuhörereignis“, der die Hörenden gut folgen können. Die Erwartungen, die unter diesem Punkt zusammengefasst sind, betreffen nicht zuletzt die äußere Gestalt. Die Predigt soll in ihrem Aufbau nachvollziehbar sein, nicht zu lang, möglichst auch etwas aufgelockert und sich nicht in einer Vielfalt von Gedankengängen verlieren. Es sind scheinbar selbstverständliche Anforderungen an Predigten, die aber offensichtlich längst nicht in allen Predigten erfüllt werden. 2. Die „Predigt als ‚Kunstwerk‘“, die handwerklich gut gemacht ist. Menschen die auch in anderen Zusammenhängen mit Sprache zu tun haben oder sich an sorgfältig formulierten Texten freuen, stellen in sprachlicher Hinsicht auch besondere Ansprüche an die Predigt. Es soll erkennbar werden, dass diejenigen, die predigen, achtsam mit der Sprache umgehen, ihre Worte bewusst wählen und insgesamt ein nicht zu niedriges Sprachniveau wählen. Eine Predigt soll die Hörer auch intellektuell herausfordern und weiterbringen. 3. Die „Predigt als Anregung zum Nachdenken“, die Impulse gibt. Hierbei haben wir es mit einer Erwartung zu tun, die unter den Befragten am verbreitetsten zu sein scheint: „Quer durch die Generationen und Lebensstile scheinen sich nahezu alle Befragten einig zu sein, dass eine Predigt zum eigenen Nach- und Weiterdenken anregen soll.“ (Lüdtke/Pohl-Patalong, 117)

Das heißt, die Erwartung derer, die Predigten hören, besteht nicht darin, von den Predigenden fertige Antworten präsentiert zu bekommen, die es nun zu schlucken gelte. Sondern Hörende erwarten sich von Predigten, dass sie nicht passiv bleiben, sondern Denkprozesse angestoßen werden und sie selbst zu Akteuren im Predigtgeschehen werden. 4. Die „Predigt als inhaltliche Aussage“, die eine klare Botschaft vermittelt. Im Gegensatz zu den ersten beiden Erwartungen, die sich stärker auf

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formale Aspekte der Predigt beziehen, rückt mit diesem Erwartungsbereich der Inhalt der Predigt in den Mittelpunkt. Hier erwarten sich Menschen von der Predigt weniger Wortspielereien als vielmehr klare Positionierungen, etwa eine Verkündigung, bei der Christus in der Mitte steht, und relevante Aussagen zu bedeutsamen Themen des Lebens und Glaubens. 5. Die „Predigt als Spiegelung des Alltags“, in der sich die Hörerinnen und Hörer wiederfinden können. Diese Erwartungen an die Predigt rücken den gewünschten Lebensbezug der Predigt in den Mittelpunkt. Eine Predigt soll nicht nur richtige Aussagen enthalten, nicht einfach nur ein gelungenes Stück Sprachkunst sein, sondern soll etwas mit den Zuhörenden und dem alltäglichen Leben zu tun haben. 6. Die „Predigt als Erläuterung des biblischen Textes“, die den Predigttext besser verstehen lässt. Diese Erwartungshaltung rückt ebenfalls einen inhaltlichen Aspekt der Predigt in den Vordergrund. Predigt wird hier vorrangig als Textauslegung verstanden. Die Hörenden wünschen sich, den gepredigten Text durch die Predigt besser verstehen zu können, was aber nicht heißt, dass ein Alltagsbezug nun nicht mehr gewünscht wäre. 7. Die „Predigt als Impulsgeberin“ für das Handeln im Alltag. Diese Erwartungshaltung ist mit dem Alltagsbezug eng verwandt, betont aber noch einmal stärker den Aspekt, dass sich Hörer Hinweise dazu erwarten, wie sie im Alltag agieren können. Was bedeutet es ganz praktisch, Christ zu sein? 8. Die „Predigt als Äußerung einer Person“, in der die Person des Predigers und die Botschaft als zueinander passend wahrgenommen werden. In diesem Erwartungsbereich rücken nun die Predigenden in besonderer Weise in den Blick. Die Botschaft soll nicht einfach an und für sich überzeugend sein, sondern soll lebendig und überzeugend durch diejenigen, die predigen, vermittelt werden. „In dieser Logik wird die Predigt nicht nur als inhaltliche Größe wahrgenommen, sondern mit der sie haltenden Person in Beziehung gesetzt.“ (Lüdtke/Pohl-Patalong, 121)

9. Die „Predigt als emotionale Berührung“, die die Hörer auf der Gefühlsebene bewegt. Viele der genannten Erwartungen an Predigten haben etwas mit ihrem Inhalt zu tun und dem Verstehen. Dieser letzte Erwartungsbereich rückt nun auch die Emotionen in den Blick. Einzelne Befragte erhoffen und erwarten sich von Predigten, dass sie von dem Gesagten angerührt werden. Bei genauem Hinsehen lässt sich entdecken, dass die hier geschilderten Erwartungen die Rückseite dessen sind, was im Kapitel vorher an Hörweisen

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geschildert worden ist. Menschen, deren Hören sich in besonderer Weise im Bereich des Pathos bewegt, werden von der Predigt sicherlich eine „emotionale Berührung“ erwarten. Diejenigen, deren Hörverhalten sich besonders im Bereich des Ethos bewegt, werden die Predigt als Äußerung einer Person verstehen. Und diejenigen, für die der Bereich des Logos eine besondere Bedeutung hat, werden von der Predigt eine Auslegung eines biblischen Textes, eine Anregung zum Weiterdenken oder eine klare inhaltliche Aussage erwarten. Die hier gemachten Beobachtungen decken sich im Wesentlichen auch mit Erwartungshaltungen, die Helmut Schwier und Sieghard Gall in einer anderen Untersuchung erhoben haben: Predigten sollen nicht zu lang, klar gegliedert, gut nachvollziehbar und verständlich sein. Sie sollen nicht nur Althergebrachtes reproduzieren, sondern auch neue, überraschende Gedanken entfalten (allerdings nur als „inhaltliche Variationen innerhalb des Bereichs des gemeinsam Geglaubten“ [Schwier, 83]) und sowohl Bibel- als auch Lebensbezug bieten. Dabei wird von denen, die predigen, „Authentizität“ erwartet. Während die Erwartungshaltungen, die Helmut Schwier benennt, sich in einer einzigen Predigt durchaus umsetzen lassen, dürfte dies mit Blick auf die unterschiedlichen Erwartungen, die in der Studie von Uta Pohl-Patalong herausgearbeitet worden sind, schon wesentlich schwerer fallen. Sucht zum Beispiel der eine vor allem eine emotionale Ansprache und die andere aber stärker eine Erklärung eines biblischen Textes, ist fast nicht zu vermeiden, dass einer von beiden von der Predigt enttäuscht wird.

Eindrücke sortieren und austauschen • Welche Erwartungen bringen Sie an eine Predigt mit? Finden Sie Ihre Erwartungen in der Aufstellung oder würden Sie gerne noch weitere Erwartungen ergänzen? • Spielen Sie einmal an einzelnen Predigterwartungen durch: Was wäre der Vorteil, wenn die Predigenden vor allem diesen Erwartungen entgegenkommen würde, was wäre der Nachteil? • Offensichtlich können die Predigenden niemals alle Erwartungen ihrer Hörerschaft bedienen. Hilft Ihnen der Gedanke, dass eine Predigt, die Sie selbst nicht anspricht, womöglich genau die richtige Predigt für Ihre Banknachbarin in der Kirche ist?

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Stehenbleiben und verweilen Antonia Lüdtke/Uta Pohl-Patalong, „Eine Predigt ist keine Fastfood-Veranstaltung …“. Gottesdienst und Predigt erleben. Ergebnisse einer qualitativ-empirischen Studie, in: Alexander Deeg (Hg.), Erlebnis Predigt, Leipzig 2014, 98–122. Helmut Schwier, Inhalte, Formen, Hörerinnen und Hörer. Homiletische Aspekte zur empirischen Untersuchung der Predigtrezeption, in: Alexander Deeg (Hg.), Erlebnis Predigt, Leipzig 2014, 81–97.

Die Entdecker sind beteiligt: Aktiv zuhören

10 Die Entdecker sind beteiligt: Aktiv zuhören Mancher, der sich für einen schlechten Predigthörer hält, kommt vielleicht auch deswegen zu diesem Schluss, weil er ein bestimmtes Idealbild vom Predigthören im Kopf hat und er oder sie diesem Bild nicht entspricht. Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass es ganz unterschiedliche Zugänge zu und Erwartungshaltungen an Predigten gibt, die sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Menschen hören Predigten unterschiedlich, so wie Menschen an und für sich verschieden sind. Aus der Literaturwissenschaft stammen Überlegungen, die erklären, was für ein kreatives und auch aktives Geschehen das Lesen von Texten oder eben auch das Hören von einem Vortrag, in diesem Fall, einer Predigt ist. Stellen Sie sich vor, Sie lesen einen Krimi. Natürlich wird der ermittelnde Kommissar beschrieben. Vor Ihrem inneren Auge entsteht langsam, aber sicher ein Bild dieser Person. Dieses Bild ist einerseits geprägt durch die Informationen, die Sie im Text erhalten. Der Kommissar ist groß, etwas korpulent, hat ungepflegte Haare. Wie die Lesenden aber diese Informationen genau mit „Leben“ füllen, hängt von Ihnen und Ihrer eigenen Vorstellung ab. Eine Person, die selbst 1,60 m ist, stellt sich den „großen“ Kommissar vielleicht kleiner vor als ein Mensch, der selbst 1,90 m ist. Auch unter einem „korpulenten“ Menschen verstehen zwei verschiedene Menschen nicht unbedingt dasselbe. Und schließlich kann die Beschreibung der „ungepflegten Haare“ ganz unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. All das sind „Leerstellen“, wie es in der Literaturwissenschaft genannt wird, die vom Leser gefüllt werden. Und so entsteht in einer Gruppe von 10 Menschen, die alle dasselbe Buch lesen, im Kopf doch jeweils ein anderer „Film“. Vergleichbares geschieht in einer Predigt. Während jede Predigt natürlich einen roten Faden hat (oder haben sollte), den alle, die zuhören, wenn sie aufmerksam sind, auch erfassen sollten, gibt es gleichzeitig eine große Anzahl an „Leerstellen“, die es zu füllen gilt. Die einzelnen Hörerinnen und Hörer nehmen zum Beispiel die Begriffe jeweils unterschiedlich wahr, die die Predigenden verwenden. Heißt es in einer Predigt etwa, dass wir „unsere Mitmenschen lieben sollen“, versteht die Erste darunter vielleicht eine Haltung, die alle eigenen Interessen zurückstellt, der Zweite versteht darunter eine Partnerschaft auf Augenhöhe und die Dritte versteht darunter eine Haltung, in der sie als die Stärkere einem Schwächeren, der es im Leben einfach nicht packt, generös zur Seite steht. Im Normalfall wird ein solcher Satz in einer Predigt noch weiter ausgeführt, sodass die „Leerstellen“ reduziert werden und bestimmte Interpretationsmöglichkeiten ausscheiden. Und doch wird

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auch dann noch genug Raum für Interpretation und das eigene Ausfüllen dieser „Leerstellen“ bleiben. An manchen Stellen wird in Predigten sogar ausdrücklich dazu ermuntert, eine bestimmte Szene aus dem jeweils eigenen Alltag vorzustellen. Ein Prediger, der über das Thema „Nächstenliebe“ spricht, sagt zu der Gemeinde: „Denken Sie an einen Ihrer Freunde oder einen Ihrer Nachbarn. Wo braucht er Hilfe? Was fehlt ihm?“ Eine Konfirmandin denkt dabei vielleicht an ihre Schulfreundin, die in Mathe schlecht mitkommt. Ein verwitweter Mann, der von einer kleinen Rente im sozialen Wohnungsbau lebt, denkt vielleicht an seine Nachbarin, die sich montags und donnerstags müht, ihren Einkauf in den vierten Stock zu schleppen. Eine Beschäftigte im mittleren Management, die sich gerade ein neues Haus gebaut hat, fällt in diesem Moment ein, dass ihr Nachbar erzählt hat, dass er seinen Steuerberater verloren hat. Deswegen hat er sie letztens gefragt, ob sie ihm nicht einen Tipp geben könne, wo er einen guten neuen Steuerberater finden könne. Die gehörte Predigt ist also nicht einfach identisch mit der aufgeschriebenen oder von den Predigenden gehaltenen Predigt. Wilfried Engemann spricht in seiner Predigtlehre davon, dass so, wie die meisten Prediger ein Manuskript verfassen, jeder einzelne Predigthörer für sich ein „Hörskript“ verfasst. Er nennt das „Auredit“. Und dieses Hörskript unterscheidet sich eben von Predigthörer zu Predigthörer. Gerade das aber ist kein „Störfall“ für die Predigt, sondern das, was die Predigt zu einer Ansprache an den Einzelnen macht, worin sich die Predigt mit der jeweiligen Lebenswelt des Einzelnen verknüpft. Nehmen wir an, der Prediger hätte im oben genannten Beispiel keinen Raum für eigene Überlegungen gelassen, sondern selbst ein Beispiel bis ins Letzte ausgeführt: „Nächstenliebe kann darin bestehen, dass ich meinem Nachbarn, der mir von der Suche nach einem Steuerberater erzählt, eine Adresse weitergebe.“ Bestenfalls hätte sich die Managerin in diesem Beispiel wiedergefunden. Der Witwer hätte dagegen vielleicht festgestellt: „Das ist nicht meine Welt!“ Und die Konfirmandin hätte womöglich noch nicht einmal genau gewusst, was der Prediger an diesem Punkt meint, was überhaupt ein Steuerberater ist. Räume, um sich in unterschiedlicher Weise selbst in der Predigt wiederzufinden, sind also gerade das, was Predigten zur Anrede für die ganz unterschiedlichen Menschen, die zuhören, machen. Deswegen sind sie ganz besonders wertvoll.

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Natürlich hat es auch Kritik an einem solchen Verständnis der Textwahrnehmung gegeben. Ist der Beliebigkeit hier nicht Tor und Tür geöffnet? Wenn jede und jeder einfach hört, was er hören will, was ist dann der Text, was ist dann die Predigt überhaupt noch wert? Ist dann jedes Verständnis gleich richtig? Und was ist, wenn sich die einzelnen Deutungen widersprechen? Es ist wichtig wahrzunehmen, dass auch die „Leerstellen“ in Predigten keine beliebige Deutung ermöglichen. Auch bei einem solchen Verständnis der Predigt als kreativem Prozess, an dem sowohl der Prediger als auch die Hörenden aktiv beteiligt sind, gibt es Grenzen. Das Überschreiten dieser Grenzen ließe sich als Missverständnis ausweisen. Nehmen wir das Beispiel vom Anfang: Stelle ich mir den Kommissar aus dem Krimi als kleine, schlanke, gepflegte Person vor, dann habe ich den Text ganz offensichtlich missverstanden. Oder fülle ich den Aufruf zur Nächstenliebe so, dass ich gerade montags und donnerstags, wenn die Nachbarin ihre schweren Taschen nach oben trägt, demonstrativ das Treppenhaus putze, dann ist auch das ein deutliches Missverständnis der Predigt. Daneben drohen auch bei einem vermeintlich richtigen Verständnis des Wortsinns noch die Missverständnisse, die sich ohnehin in jeder Kommunikationssituation ergeben können und von denen in Kapitel 4 die Rede war. Mit einem Bild könnte man es so ausdrücken. Die Predigt eröffnet einen bestimmten Korridor, in dem Entdeckungen möglich sind. Welche Entdeckungen die Hörenden aber genau in diesem Korridor machen, das kann und wird dann durchaus ganz verschieden sein. Ein solches vielfältiges Predigthören, das am Ende zu einer bereichernden Vielfalt und nicht zu widersprüchlichen Irritationen führt, lässt sich dabei durchaus auch als ein geistliches Geschehen verstehen. Das Geschehen zu Pfingsten wird ja so beschrieben, dass die Gabe des Heiligen Geistes sich darin auswirkt, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Kontexten zusammenkommen und doch „ein jeder […] sie [= die Apostel, CB] in seiner eigenen Sprache reden [hörte]“ (Apostelgeschichte 2,6). Vergleichbares ereignet sich immer wieder in Predigten. Menschen hören einen Kanzelvortrag, und doch hört jeder und jede ihn in einer „eigenen Sprache“: die Konfirmandin in der Sprache ihrer Lebenswelt, der Witwer in den Worten, die ihn ansprechen, und wiederum die Managerin mit Blick auf das, was sie bewegt. Die Botschaft ist dieselbe, aber sie erreicht die Einzelnen auf jeweils ganz eigene Art und Weise. So ist die Vielfalt beim Hören am Ende weniger ein

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Betriebsunfall, sondern notwendige Voraussetzung dafür, dass die Predigt tatsächlich auch persönliche Anrede an mich als Predigthörer wird. Dass all dies kein neumodisches Phänomen ist, lässt sich schon an Bildern und Predigten der Reformationszeit ablesen. So selbstverständlich wie die Maler der Reformationszeit auf ihren Kunstwerken die biblischen Geschichten in ihre eigenen Städte und Gegenden verlegen konnten und Zeitgenossen, ja zum Teil auch sich selbst unter das Kreuz Jesu stellen konnten, hat auch Martin Luther in seinen Predigten die „Leerstellen“, die er in den biblischen Texten wahrgenommen hat, mit dem gefüllt, was ihn in besonderer Weise bewegt hat. Biblische Botschaft und eigenes Leben rückten so ganz nah zusammen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Sprechen Sie mit anderen über die Eindrücke der letzten Predigt. Welche Eindrücke stimmen überein? Lassen sich auch Unterschiede in der Wahrnehmung entdecken? • Können Sie an der einen oder anderen Stelle ausmachen, warum Sie gerade an diesem Punkt anders gehört haben als die anderen? • Was halten Sie von folgender Aussage: „Die Vielfalt des Predigthörens ist die Voraussetzung dafür, dass das eine Evangelium bei ganz unterschiedlichen Menschen als Gottes Wort, das für sie bestimmt ist, ankommt.“?

Stehenbleiben und verweilen Christoph Barnbrock, Rezeptionsästhetik. Überlegungen zu ihrer Bedeutung im Rahmen lutherischer Hermeneutik, Lutherische Theologie und Kirche 31 (2007), 105–127. Ders., „Da werden gewislich diese gedancken zu geschlagen sein“. Rezeptionsästhetische Beobachtungen zu einer Lutherpredigt, Lutherische Theologie und Kirche 37 (2013), 115–129. Wilfried Engemann, Einführung in die Homiletik, Tübingen/Basel ²2011, 1–14. Gerhard Marcel Martin, Offene Kunstwerke schaffen, in: Lars Charbonnier/Konrad Merzyn/Peter Meyer (Hg.), Homiletik. Aktuelle Konzepte und ihre Umsetzung, Göttingen 2012, 102–118.

Noch mehr Entdeckungen: Predigthören in Lebenszusammenhängen

11 Noch mehr Entdeckungen: Predigthören in Lebenszusammenhängen Die Art und Weise, wie die „Leerstellen“ (siehe Kapitel 10) gefüllt werden, hängt nicht zuletzt von den jeweiligen Lebenszusammenhängen, den jeweiligen Kontexten ab, in denen wir uns bewegen. Ein erster ist der gesellschaftliche und politische Kontext. Hätte eine Predigerin am Sonntag nach dem 11. September 2001 als Predigttext Jesaja 54,10 gewählt („Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“), wären vermutlich schon beim Verlesen des Predigttextes andere Bilder im Kopf der Hörenden entstanden als an einem gewöhnlichen Sonntag in der Sommerzeit, in der manche Gottesdienstbesucher gerade aus dem Urlaub in den Bergen zurückgekehrt sind. Aber nur selten sind die Wirkungen gesellschaftlicher und politischer Ereignisse so tiefgreifend wie am 11. September 2001, beim Tsunami zu Weihnachten 2004 oder beim Fall der Mauer am 9. November 1989. Obwohl jede Nachrichtensendung voll von Dramen und Schicksalen ist, fast täglich von Krieg, Terror und Katastrophen berichtet wird, prägen diese scheinbar unspektakuläreren Ereignisse die Wahrnehmung beim Predigthören eher wenig – vielleicht auch, weil wir uns instinktiv angesichts der Fülle der Katastrophenmeldungen davor schützen (müssen), alles nah an uns heranzulassen. Noch viel wichtiger sind dagegen die alltäglichen Erfahrungen, die jeder Mensch aus der Woche in den Gottesdienst mitbringt: Streit in der Familie, Dankbarkeit nach einem runden Geburtstag, das Gefühl, den Kindern nicht gerecht worden zu sein, ein Erfolg bei der Arbeit, Einsamkeit nach dem Tod eines lieben Menschen, Glücksgefühle nach dem ersten Kuss. Erfahrungen wie diese – und die Liste ließe sich noch beliebig verlängern – bilden einen wichtigen Nährboden, auf dem dann Hörwahrnehmungen von Predigten wachsen können. Es ist nicht zufällig so, dass Jesus in seinen Gleichnissen solche Alltagssituationen aufnimmt, die seinen Hörern allzu vertraut waren. Dies tut er, um sie mit dem Reich Gottes in Verbindung zu bringen, ja mehr noch: um Gottes Handeln von solchen Alltagssituationen her zu erklären: Da ist die Frau, die ein Geldstück verloren hat (Lukas 15,8–10), der Mann, der unerwartet Besuch bekommt und seinen Freund deswegen aus dem Bett klingelt (Lukas 11,5–13) oder der schlitzohrige Verwalter, der versucht, angesichts der ausge-

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sprochenen Kündigung seine Schäfchen ins Trockene zu bringen (Lukas 16,1–9). Predigten wie diese knüpfen an alltägliche Erfahrungen an und vermitteln schon durch die Wahl der Bilder und Beispiele, dass das, wovon die Rede ist, etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat. Alltägliche Szenen und Erfahrungen werden aufgerufen, Gefühle aktiviert und Glauben und Leben miteinander verbunden. Gottes Handeln wird so durch den Alltag veranschaulicht. Der Alltag wird durch das gepredigte Wort gedeutet und in ein anderes Licht getaucht. Ebenso bedeutsam ist die Gemeinde als Kontext des Predigthörens. Eine Predigt höre ich im Normalfall ja nicht als Einzelperson, sondern als einer unter mehreren, die in einer Gemeinde zusammengeschlossen sind, die ihrerseits ein bestimmtes Profil, ein bestimmtes Gepräge hat. Würde man in einer Gruppe von Fußballfans von Borussia Dortmund den Namen des Erzrivalen „Schalke 04“ in den Mund nehmen, würde auch ein emotional wenig Betroffener das Knistern im Saal wahrnehmen und würde vermutlich hochaufmerksam zuhören – in der Gewissheit: Hier liegt Spannung in der Luft! Würde jemand in einer anderen Runde den Namen „Schalke 04“ nennen, wäre die Spannung vermutlich nicht einmal halb so groß. Dass die theologische Prägung der Hörerschaft für das Hören von Predigten ebenfalls eine Rolle spielt, lässt sich vielleicht an folgendem Beispiel verdeutlichen: Wenn in einer lutherischen Gemeinde vom Trost der Kindertaufe die Rede ist, dann werden dies die Zuhörenden als Erinnerung an etwas verstehen, was ihnen längst schon vertraut ist. Auch ein Fremder, der sich an diesem Sonntag gerade in dieser Kirche verirrt hat, wird unter seinen Mithörern keine besondere Anspannung wahrnehmen. Würde jemand dieselbe Predigt zu irgendeinem ökumenischen Anlass in einer baptistischen Gemeinde halten, wäre womöglich ein gewisses Maß an Unruhe wahrnehmbar, da die Betonung der sog. Gläubigentaufe von Erwachsenen hier eine besondere Bedeutung hat. Was in einer Gemeinde gilt, wie ihr Gemeindeleben aussieht und wie die einzelnen Gemeindeglieder miteinander verbunden sind, prägt auch das Hörverhalten. Zusammenhänge zum Gemeindeleben werden hergestellt (siehe auch Kapitel 8), Abweichungen vom gemeinsam Geglaubten und Bekannten werden dagegen leicht als Irritationen wahrgenommen. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise wird das Gesagte gehört und in den eigenen Verstehenshorizont eingebaut.

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Natürlich spielt im Zusammenhang der Gemeinschaft in besonderer Weise auch die Person des oder der Predigenden eine Rolle. Habe ich sie zum Beispiel bei der Beerdigung eines Angehörigen als wenig taktvoll erlebt, wird es mir schwerer fallen, mich auf das einzulassen, was sie sagt. Verbinden einen andersherum eine lange gemeinsame Wegstrecke und ein Vertrauensverhältnis mit dieser Person, wird dies eher ein Zuhören ermöglichen, sodass ich verstehe, was mein Gegenüber meint und ich die „Leerstellen“ so auffülle, dass am Ende nicht solche Missverständnisse entstehen, wie sie in Kapitel 10 (und 4) geschildert worden sind. Schließlich bildet der Gottesdienst einen nicht zu vernachlässigenden Kontext für das Predigthören. Denn der Gottesdienst spricht ja eine ganz eigene Sprache. Indem Menschen im Gottesdienst zu Gott reden (Gebet) und sie in seinem Wort sein eigenes Reden erwarten, unterscheidet sich die Predigt von einem anderen Vortrag (siehe auch Kapitel 5). Bevor die Predigenden das Wort ergreifen, ist schon viel geschehen: Menschen sind im Namen Gottes gegrüßt worden, der Friede des Herrn ist ihnen zugesprochen worden. Der Übergang vom Alltag zum Gottesdienst ist womöglich durch ein Rüstgebet oder einen anderen Akt des Sündenbekenntnisses und der Sündenvergebung gestaltet worden. Die Gottesdienstbesucher haben gesungen, gebetet, vielleicht Momente der Stille erlebt und biblische Worte gehört. All das bildet den unmittelbaren Kontext der Predigt. Die anderen Lesungen ergeben mit dem Predigttext und der Predigt einen Gesamtklang, denn ein Teil der Gebete, die Lesungen, der Predigttext und das Hauptlied des Sonntags sind im Regelfall einer Ordnung entnommen, die jedem Sonntag ein erkennbares eigenes Gepräge gibt. An den hohen Festtagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten ist das relativ einfach wahrzunehmen. Aber selbst bei den Sonntagen in der sommerlichen Trinitatiszeit lässt sich bei genauem Hinsehen entdecken, dass hier – im Bild gesprochen – zusammenpassende Klangfarben gewählt sind, die miteinander einen Akkord ergeben, kleinere Dissonanzen nicht ausgeschlossen. Schließlich geht der Gottesdienst auch nach der Predigt noch weiter. Das Lied nach der Predigt nimmt häufig einen Gedanken der Predigt wieder auf und führt ihn weiter. Im Allgemeinen Kirchengebet, dem Fürbittengebet, werden gelegentlich auch gezielt Anliegen aufgegriffen, die sich aus dem Gedankengang der Predigt ergeben haben. In der Feier des heiligen Abendmahls begegnen die Gottesdienstbesucher dem, der eben schon im Wort gegenwärtig war, Jesus Christus. Nun ist er auch leiblich unter den Gaben von Brot und Wein anwesend, sodass die Abendmahlsgäste in, mit und unter

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diesen Gaben seinen Leib und sein Blut empfangen. Mit dem letzten Wort der Predigt bricht der Kontakt zwischen denen, die reden, und denen, die hören, aber auch zwischen Gott und der Gemeinde nicht ab, sondern wird auf andere Art und Weise fortgesetzt. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass das, was die Gottesdienstbesucher reden, hören und tun, nicht völlig gedankenlos geschieht, dann werden sie im Gottesdienst immer wieder auch Verknüpfungen entdecken: „Diesen Gedanken hatten wir doch schon im Evangelium!“ oder: „Wie gut dieses Lied zur Predigt passt!“ So prägt die Predigt den Gottesdienst, gleichzeitig aber bereichert der Gottesdienst als Ganzer auch das Hören der Predigt und erschließt neue Zugänge, die über den eigentlichen Text der Predigt hinausgehen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Denken Sie an besondere Ereignisse der letzten Tage und Wochen zurück. Gibt es etwas, von dem Sie sich wünschen würden, dass in Predigten darauf Bezug genommen würde? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? • Versuchen Sie einmal das Gleichnis vom verlorenen Groschen in Ihre Lebenswelt zu übertragen. Wie könnte es aussehen? • Vielleicht achten Sie beim nächsten Gottesdienst einmal drauf: Nehmen Sie die Predigt als einen Block wahr, der für sich steht, oder gibt es Verbindungslinien zu anderen Teilen im Gottesdienst?

Stehenbleiben und verweilen Ernst Lange, Auf der Suche nach einem neuen homiletischen Verfahren, in: Wilfried Engemann/Frank M. Lütze (Hg.), Grundfragen der Predigt. Ein Studienbuch, Leipzig 2006, 175–185. Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche Anhalts, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg u. a., Berlin 1994, Nr. 954 (Liturgischer Kalender). Evangelisch-Lutherisches Kirchengesangbuch, Hannover 1987, Nr. 01–0112.

Personen auf Entdeckungsreise: Als ganzer Mensch hören

12 Personen auf Entdeckungsreise: Als ganzer Mensch hören Wer das Lied „Musik nur, wenn sie laut ist“ von Herbert Grönemeyer kennt, weiß darum, dass Hören ein Geschehen ist, dass den ganzen Körper einbezieht oder jedenfalls einbeziehen kann. In diesem Lied beschreibt Grönemeyer eine Frau, deren Hörvermögen eingeschränkt ist und die darum Musik eben nur mag, wenn sie laut ist, weil das alles ist, was sie wahrnehmen kann: das Kribbeln im Bauch oder die Schallwellen, die den Boden zum Beben bringen. Hören ist kein rein intellektuelles Geschehen, bei dem es nur um das Verstehen geht, der Rest des Körpers aber unbeteiligt bliebe. Schon die Klangfarbe der Stimme des Predigers oder der Predigerin kann bei den Hörern positive oder negative Empfindungen auslösen. Erinnert mich diese Stimme an jemanden, den ich sympathisch finde, oder eher an jemanden, der mir unsympathisch ist? Aber auch mein eigenes Verhalten prägt die Art und Weise wie ich höre. Denn Körpersprache ist nicht nur Ausdruck meines Empfindens, sondern andersherum beeinflusst auch meine Körperhaltung mein eigenes Wahrnehmen. Wer immer nur mit gesenktem Kopf durch die Gegend geht, wird anders empfinden als jemand, der „erhobenen Hauptes“ durch die Welt läuft. Wer Predigthörer beim Predigen beobachtet, kann ganz unterschiedliche Körperhaltungen und eine jeweils verschiedene Mimik wahrnehmen. Da gibt es auf der einen Seite diejenigen, die mit geschlossenen Augen in der Bank oder auf dem Stuhl sitzen, um die Predigt zu hören, während andere der Predigt mit geöffneten Augen folgen. Wer einer Predigt mit geschlossenen Augen zuhört – einmal vorausgesetzt, er oder sie ist nicht in einen seligen „Predigtschlaf“ gefallen – müht sich offensichtlich um besondere Konzentration. Optische Störungen, die vom Prediger selbst, von der Hörergemeinde oder von anderswoher innerhalb oder außerhalb des Kirchgebäudes ausgehen, sollen so ausgeschlossen werden. Die Predigt wird dadurch ganz auf ein Hörereignis konzentriert. Wer einer Predigt mit geschlossenen Augen folgt, gewinnt zwar womöglich ein höheres Maß an Konzentration, aber er verliert auch etwas. Denn ein Gutteil der Kommunikation zwischen Menschen geschieht nicht nur über den Austausch von Worten, sondern durch das gegenseitige Wahrnehmen der Körpersprache. All dies entgeht dem, der mit geschlossenen Augen dasitzt und hört.

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Wer mit geöffneten Augen zuhört, kann den Prediger entsprechend umfassend wahrnehmen: mit dem, was er sagt, wie er es sagt, wie er seine Worte mit seiner Körpersprache unterstreicht und wo er vielleicht auch mit Verlegenheitsgesten seine eigene Unsicherheit offenbart. Darüber hinaus nimmt eine Hörerin, die mit geöffneten Augen dasitzt, die Predigt als ein Geschehen im Raum wahr. Ihr Blick kann während der Predigt durch den Raum wandern, kann an der Einrichtung des Kirchraums, etwa am Kruzifix, hängen bleiben. Sie kann ihre Mithörerinnen und Mithörer sehen und all das mit dem Hören der Predigt verknüpfen. Das bietet Chancen, mehr wahrzunehmen als der, der mit geschlossenen Augen der Predigt folgt. Andererseits ist natürlich auch die Gefahr der Ablenkung größer. Darüber hinaus eröffnet der Blickkontakt zwischen Predigenden und Zuhörenden auch die Gelegenheit, dass beide während der Predigt miteinander kommunizieren. Haben die, die hören, die Augen geöffnet, kann ein Prediger eher Reaktionen auf das, was er gesagt hat, an den Gesichtern ablesen. Er kann, wenn er halbwegs geübt ist, auf die nonverbalen Rückmeldungen der Hörenden reagieren und zum Beispiel offensichtlich Irritierendes noch einmal erklären. Wer als Prediger in die Gesichter einer durchschnittlichen, traditionell geprägten Hörergemeinde schaut, wird dabei überwiegend in ernste und konzentrierte Gesichter schauen. Vielen Hörerinnen und Hörern scheint es schwer zu fallen, während einer Predigt Gefühle zu zeigen. Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren. Mancher wird sagen, er habe den Eindruck, es sei in der Kirche nicht angemessen, Gefühle zu zeigen. Eine andere wird vielleicht auch einfach zugestehen, dass sie das, was sie von der Kanzel hört, einfach nicht so sehr berührt. Stewardessen im Flugzeug können bei der Demonstration der Sicherheitshinweise bei den Fluggästen schließlich auch nicht mit einem Überschwang der Gefühle rechnen. Es könnte sich aber lohnen, einmal danach zu fragen, warum ich von meiner Mimik her auf eine Predigt so reagiere, wie ich reagiere. Vielleicht hindert mich ja ein über Jahre eingeübtes Verhaltensmuster daran, anders zu hören und mit Mimik und Gestik auf das Gehörte zu reagieren. Vielleicht würde ich andernfalls die Predigt noch einmal ganz anders wahrnehmen. Schließlich beeinflusst auch der Raum, in dem ich eine Predigt höre, und meine Position im Raum die Art und Weise, wie ich höre. Traditionell sind Kirchgebäude vom Eingang aus gesehen lang gestreckt und auf den Altar ganz vorne in der Mitte ausgerichtet. Die Kanzel ist meist seitlich, etwas erhöht im Kirchraum angebracht. Dies eröffnet den Predigenden die Gele-

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genheit, tatsächlich auch alle Hörerinnen und Hörer zu sehen, und unterstreicht raumsprachlich, dass hier ein Wort von oben, also im Namen Gottes laut wird. Wo aber finde ich als Predigthörer oder Predigthörerin meinen Platz? Menschen, die regelmäßig Gottesdienste besuchen, haben oftmals einen Stammplatz in der Kirche. Früher war es üblich, dass zumindest die wohlhabenden Glieder einer Gemeinde ihren Platz in der Kirche kauften und dies mit einem Vermerk an der Bank ausgeschildert war. Auch wenn dies heute nicht mehr üblich ist, kann es einem Gast noch heute passieren, dass er von einer später kommenden Gottesdienstbesucherin darauf hingewiesen wird, dass dies „ihr“ Platz ist. Nun könnte man dies schnell als dumpfen Traditionalismus abtun, andererseits lässt sich hier auch der Wunsch wahrnehmen, in der Kirche eine „Heimat“, eine Heimat bei Gott zu finden. Dies ist häufig verbunden mit dem Wunsch nach Vertrautheit. Ein fester Sitzplatz in der Kirche, die immer gleiche Perspektive auf den Gottesdienstraum neben womöglich immer denselben Nachbarn verstärkt den Eindruck, eine Heimat gefunden zu haben. Wo ich mich heimisch fühle, kann ich im Normalfall auch besser zuhören, muss mich nicht ständig absichern, sondern kann mich ganz auf das konzentrieren, was mir gesagt ist. Gewöhnlich liegen die Stammplätze derer, die einen Gottesdienst besuchen, eher im mittleren, wenn nicht sogar hinteren Bereich der Kirche. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Erstens sind es oftmals die Plätze, die vom Eingang aus am schnellsten erreichbar sind. Zweitens habe ich, wenn ich hinten sitze, die ganze Kirche vor mir. Ich sehe, wie die anderen sich verhalten, wann sie aufstehen, sich setzen oder sich hinknien. Das heißt, ich kann mich, gerade wenn ich unsicher bin, ungestört an den anderen orientieren. Drittens bieten mir die letzten Reihen eher eine Beobachtungsposition als die ersten Reihen, in denen ich mich womöglich viel unmittelbarer ins Geschehen einbezogen fühlen würde. Und viertens mag mancher auch instinktiv ein Gespür für die Raumsprache haben, in der der Bereich des Altars als „heiliger Bereich“ gestaltet ist, der bewusst abgesetzt ist. Einzelne wissen noch darum: Dem „Heiligen“ nähert man sich behutsam, hält eher Abstand. So praktisch ein Stammplatz in den letzten Reihen auch sein mag, so sehr bringt er doch bisweilen auch Hindernisse mit sich. Nicht selten beschweren sich gerade Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, die in den letzten Reihen sitzen, dass die Predigt schwer zu verstehen war. Zwar gibt es heute Hilfsmittel wie Übertragungsanlagen, allerdings zeigt die Erfahrung, dass sie

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selten so gut sind, dass sie die unverstärkte Kommunikation 1:1 ersetzen könnten. Ein Platzwechsel könnte solchen Gemeindegliedern das Zuhören deutlich erleichtern, da sie dann nicht nur den Originalton besser hören, sondern auch die Lippen leichter ablesen könnten. Überdies wäre es ein Akt der Solidarität gegenüber Kirchenfremden, die als Gast in einen Gottesdienst kommen, ihnen einen Platz in den letzten Reihen freizuhalten. Wer mit Kirche wenig anzufangen weiß und sich in den Ritualen eines Gottesdienstes nicht auskennt, hat einen Ort, an dem er aus der Distanz mit dem Gottesdienst warmwerden kann, in besonderer Weise nötig. Der Raum, in dem die Predigt gehalten wird, ist aber auch jenseits des Sitzplatzes der Zuhörenden von Bedeutung. Denn gerade für Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte einer Gemeinde angehören, birgt ein Kirchraum viele Erinnerungen: an die eigene Taufe und Konfirmandenzeit, an die Trauung und an besondere Feste im Kirchenjahr, die noch in Erinnerung geblieben sind. Wie intensiv Kirchgebäude mit solchen Erfahrungen und Erinnerungen aufgeladen sind, zeigt sich immer dann, wenn Kirchgebäude abgerissen werden und scheinbar distanzierte Gemeindeglieder in unerwartet heftiger Weise diesen Verlust beklagen. Kirchen sind eben nicht zuletzt Symbole für Gottes Gegenwart in unserer Zeit und Welt, an den Orten, an denen wir leben. All das ist schon unausgesprochen im Raum, bevor jemand anfängt zu predigen. Die mit dem Kirchraum verbundenen Erfahrungen können dabei durchaus ambivalent sein. Es können Erinnerungen an Ereignisse sein, auf die einer dankbar zurückblickt. Es kann aber auch sein, dass sich mit dem Kirchraum Erfahrungen von Druck und Bloßstellung verbinden: „Immer haben mich meine Eltern in die Kirche gezwungen.“ Oder: „Ich weiß noch genau, wie die Gemeinde gelacht hat, als ich mich bei der Konfirmandenprüfung verhaspelt habe.“ So können sich die Erinnerungen, die sich mit dem Kirchraum verbinden, sowohl förderlich auf das Predigthören auswirken als auch hinderlich dafür sein, indem Verletzungen oder problematische Dynamiken wieder an die Oberfläche gespült werden.

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Eindrücke sortieren und austauschen • Hören Sie gewöhnlich mit geschlossenen oder mit offenen Augen Predigten zu? Machen Sie es doch nächstes Mal genau andersherum. Haben Sie die Predigt nun anders wahrgenommen? • Reagieren Sie mit Ihrer Mimik auf die Predigt oder bleibt die Sprache ihres Gesichts während des Zuhörens weitgehend unverändert? Welche Chancen (oder auch Probleme) würden sich für diejenigen, die predigen, ergeben, wenn sie in Ihrem Gesicht „lesen“ könnten, was die Predigt in diesem Moment bei Ihnen auslöst? • Wo sitzen Sie gewöhnlich in der Kirche? Warum haben Sie sich diesen Platz ausgesucht? Ist die Wahrnehmung des Gottesdienstes und der Predigt eine andere, wenn sie auf einem anderen Platz sitzen? • Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Kirchgebäude, in dem Sie normalerweise Predigten hören? Sind es eher positive oder eher negative Erinnerungen? Welchen Einfluss hat das auf Ihr Predigthören?

Stehenbleiben und verweilen Meinhard Dufner, Kirchen verstehen, Münsterschwarzach ²2011 (aus römisch-katholischer Perspektive). Manfred Josuttis, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst aus verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, Gütersloh ²1993. Caroline Krüll/Christian Schmid-Egger, Körpersprache. Wahrnehmen, erkennen, deuten, München 2012. Hartmut Rupp (Hg.), Handbuch der Kirchenpädagogik. Kirchenräume wahrnehmen und erschließen, Stuttgart ²2008 (aus evangelischer Perspektive).

Vor dem nächsten Aufbruch: Vorbereitung auf die Predigt

13 Vor dem nächsten Aufbruch: Vorbereitung auf die Predigt Viel war bisher in diesem Buch davon die Rede, was beim Hören eigentlich geschieht, welche Faktoren für das Predigthören eine Rolle spielen und was für Erwartungen die Hörenden mitbringen. Wie aber kann ich mich ganz praktisch auf das Predigthören vorbereiten? Jay E. Adams empfiehlt in seinem Buch zum Predigthören zunächst ausreichend Schlaf in der Nacht von Samstag auf Sonntag, eine zeitige Ankunft in der Kirche und ein ordentliches Frühstück. Auch wenn ich den Grundansatz von Adams nicht teile, mit dem er durch eine Veränderung von Haltungen und Verhalten das Predigthören optimieren möchte, sind diese Hinweise dennoch einen Gedanken wert. Dass man einem anderen besser zuhören kann, wenn man selbst ausgeruht ist, ist eine Erfahrung, die vermutlich die meisten schon gemacht haben. Wer Predigten aufmerksam folgen will, tut wahrscheinlich auch gut daran, das zu berücksichtigen. Andererseits ist der Samstagabend einer der wenigen Abende in der Woche, in der Arbeitnehmer etwas unternehmen können, ohne dabei an die Verpflichtungen des nächsten Tages zu denken. Oftmals liegt schon der Gottesdienstbesuch am Sonntagmorgen quer zur sonstigen Wochenendplanung. Ist dann der Hinweis auf genügend Schlaf nicht eine weitere „Spaßbremse“ für eine lustvolle Gestaltung des Wochenendes? Vom Judentum kann man unter anderem das Feiern des wöchentlichen Ruhetages lernen. Fromme Juden erleben den Sabbat nicht als eine mühsame Pflicht, nicht als einen Tag, an dem sie dieses oder jenes nicht dürfen, sondern begrüßen den Sabbat wie einen guten Freund. Dazu gehört ein Festmahl, die bewusste Gestaltung des Tages, der tatsächlich auch Leib und Seele guttut. Ich würde mir wünschen, dass es uns gelänge, Wege zu finden, den Sonntag als einen besonderen Tag im immer wiederkehrenden Ablauf der Wochentage wiederzuentdecken – auch als einen Tag, an dem von Samstagabend bis Sonntagabend die Erledigung aller lästigen Aufgaben (Putzen, Aufräumen, Hausaufgaben etc.) unterbleibt und ich zur Ruhe komme. Warum nicht auch am Samstagabend Freunde zu einem Festmahl einladen, am Sonntagmorgen ein gemütliches Frühstück einnehmen und dann in aller Ruhe zur Kirche aufbrechen? Sicher: Es gibt Phasen und Situationen im Leben, wo das schwierig ist, wenn etwa Kleinkinder noch gewickelt oder unaufschiebbare Arbeiten erledigt werden müssen. Aber in anderen Zeiten

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des Lebens würden sich bei genauerem Hinsehen Räume für eine solche Sonntagsgestaltung auftun. Dass es für das Erleben eines Gottesdienstes hilfreich ist, nicht erst mit dem letzten Glockenschlag gehetzt zur Kirche zu kommen, bedarf keiner großen Erklärungen. Wer ins Theater oder zu einem Rockkonzert geht, wird kaum erst auf den letzten Drücker da sein wollen. Man will auf keinen Fall etwas verpassen – und irgendwie gehört es auch dazu, rechtzeitig vor Ort zu sein, seinen Platz zu finden und die Atmosphäre schon auf sich wirken zu lassen. Wenn das Erleben von Stille eine wesentliche Voraussetzung für ein angemessenes Zuhören ist, dann finde ich vermutlich kaum besser Momente der Ruhe als in den Minuten vor Beginn des Gottesdienstes (allen Störgeräuschen zum Trotz), da in den normalen Gottesdiensten leider nur wenig Zeit für Stille ist. Überhaupt sind die ersten Minuten bedeutsam, gerade auch beim Predigthören selbst. Eine neuere empirische Studie zum Predigthören von Helmut Schwier und Sieghard Gall hat gezeigt, dass sich meist schon in den ersten Minuten einer Predigt entscheidet, wie sehr sich die Hörenden von einer Predigt angesprochen fühlen. Das heißt: Interessiert mich der Beginn der Predigt, ist es höchst wahrscheinlich, dass ich auch dem Rest der Predigt engagiert folge. Bewegen mich schon die ersten Sätze der Predigt kaum, ist es höchst unwahrscheinlich, dass ich im späteren Verlauf der Predigt Feuer fange. Was den Tipp von Adams angeht, vor dem Besuch des Gottesdienstes ein ordentliches Frühstück zu sich zu nehmen, so ist allerdings auch zu bedenken, dass es eine lange Tradition in der Kirche gibt, sich auf den Gottesdienstbesuch, das Hören von Predigten und vor allem den Empfang des heiligen Abendmahls durch Fasten, also gerade durch den Verzicht aufs Essen, vorzubereiten. Ohne an dieser Stelle alle Gründe aufzählen zu wollen, die für das Fasten als sinnvolle Gottesdienstvorbereitung sprechen, dürfte unmittelbar einleuchten, dass ein voller Magen genauso müde machen kann wie ein knurrender Magen vom Gehörten ablenken dürfte. Zugegeben: Dies sind reichlich äußerliche Faktoren, die die Konzentration beim Predigthören vielleicht erhöhen können und in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen sind. Doch abhängen wird das Wohl und Wehe des Predigthörens davon nicht. Adams ergänzt nun noch drei weitere Punkte: Vorbereitung des Predigthörens, Gebet und eine Regelmäßigkeit beim Predigthören. Diese Punkte berühren nun schon eher das Zentrum des Predigthörens.

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Welche Form der Predigtvorbereitung ist für Hörer möglich? In den meisten Gesangbuchausgaben sind die Lesungen des jeweiligen Sonntags angegeben. Internetseiten wie kirchenjahr-evangelisch.de oder daskirchenjahr.de geben für den evangelischen Bereich einen schnellen Überblick darüber, welcher Sonntag im Kirchenjahr am kommenden Wochenende bevorsteht, wie er thematisch geprägt ist und welche Lesungen und welcher Predigttext vorgesehen sind. Zwar ist es auch möglich, dass die Predigenden von diesen Vorgaben abweichen, aber im Normalfall sind die an diesen Stellen genannten Texte tatsächlich auch die Predigttexte. Ansonsten wäre es auch denkbar, im Pfarramt anzuregen, die Predigttexte im Gemeindebrief oder auf der Gemeindehomepage bekannt zu geben. Wer sich so vorbereiten möchte, kann dies entweder allein, im Kreis der Familie oder aber auch in Gemeindekreisen tun. Als für beide Seiten besonders anregend habe ich es erlebt, wenn Predigende und Hörende sich gemeinsam auf eine Predigt vorbereiten. Ich habe in Jugendkreisabenden und in Bibelkreisen gerne gemeinsam am Predigttext des nächsten und übernächsten Sonntags gearbeitet und mich über manche Entdeckung gefreut, auf die ich alleine niemals gestoßen wäre. Außerdem habe ich meistens die eine oder andere Frage mitgenommen, an der ich mich dann im Laufe der weiteren Predigtvorbereitung abgearbeitet habe. Die Predigthörerinnen und Predigthörer wiederum, die sich mit mir so gemeinsam auf die Predigt vorbereitet hatten, wussten wiederum davon zu berichten, dass sie an diesen Sonntagen der Predigt viel aufmerksamer und interessierter gefolgt sind, als das normalerweise der Fall war. Sprechen Sie, wenn Sie Interesse haben, diejenigen, die in Ihrer Gemeinde predigen, doch einmal an. Meistens werden solche Impulse für die Gestaltung von Gemeindeaktivitäten gerne angenommen. Was die von Adams empfohlene Regelmäßigkeit des Gottesdienstbesuchs angeht, so könnte man dahinter leicht einen „Marketingtrick“ eines Theologen vermuten. Was sollte ein Theologe auch sonst empfehlen, als dass man die Angebote der Kirche möglichst regelmäßig wahrnimmt? Aber auch hier könnten Beispiele aus anderen Lebensbereichen helfen wahrzunehmen, dass an diesem Tipp doch mehr dran ist. Seit meinen Jugendzeiten habe ich gerne Fußballspiele in den unterschiedlichsten Stadien der Republik besucht und tue es nach Möglichkeit auch noch heute. Längst sind mir Regeln, Rituale und das Spielgeschehen vertraut. Ich kann das Spiel weitgehend lesen und verstehe, was vor sich geht. Seit einigen Jahren allerdings wohne ich mit meiner Familie im Taunus und nutze seitdem die Gelegenheit, mit meinen Kindern auch Spiele in anderen Sportarten anzuschau-

Vor dem nächsten Aufbruch: Vorbereitung auf die Predigt

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en, etwa Basketballspiele der „Frankfurt Skyliners“ oder Eishockeyspiele der „Frankfurter Löwen“. Auch wenn mir dabei die Regeln jeweils grob vertraut sind und ich meinen Kindern auch manches erklären kann, was sie nicht verstehen, fühle ich mich bei diesen Spielen deutlich fremder als im Fußballstadion. Ich merke, dass es mir schwerer fällt, das Geschehen genau zu verstehen, jedes einzelne Ereignis richtig einzusortieren und im Detail wahrzunehmen, was vor sich geht. Predigthörern, die nur selten Gottesdienste besuchen, dürfte es ähnlich gehen. Natürlich bekommen sie irgendwie mit, was im Gottesdienst und in einer Predigt passiert und gesagt wird, aber ein Fremdheitsgefühl bleibt doch oft. Dieses wird dann einem tieferen Wahrnehmen und Verstehen weichen, wenn jemand häufiger an diesem Geschehen teilnimmt und so immer tiefer eintaucht in das, was passiert. Es hilft dabei, mir persönlich über meine Erwartungshaltung klar zu werden. Was erhoffe ich mir von der Predigt? Dass dies durchaus von Person zu Person, aber auch von Sonntag zu Sonntag verschieden aussehen kann, war in früheren Kapiteln dieses Buches (8 und 9) schon deutlich geworden. Warum nicht einmal auf dem Weg zum Gottesdienst überlegen, was mich in der letzten Woche bewegt und umgetrieben hat und auf welche Fragen ich eine Antwort suche? Ich könnte so schon einmal gedanklich dem nachgehen, was mir fehlt. Je bewusster mir all das ist, desto erkennbarer könnte es für mich im Nachhinein werden, ob eine Predigt mir Impulse gegeben hat, ich Bezüge zwischen der Predigt und meinem (Glaubens-)Alltag entdecken konnte und ob ich etwas von dem gefunden habe, was ich gesucht habe. Der Gedanke, im Vorfeld der Predigt zu beten, entspricht der Logik von Kommunikation überhaupt. Verstehe ich die Predigt als durch Menschen vermittelte Anrede Gottes an mich und das Gebet als mein Reden zu Gott, dann ist es naheliegend, schon vor der Predigt in dieses Wechselgespräch mit Gott und Menschen einzusteigen. Schon der Gottesdienst selbst bietet im Eingangsteil eine solche Vorbereitung auf die Lesungen und die Predigt. Wer sich schon zu Hause oder vor Gottesdienstbeginn entsprechend auf dieses Geschehen zwischen Gott und Menschen im Gebet einstimmen will, findet auch dazu in den Gebetsteilen der verbreiteten Gesangbücher Formulierungshilfen.

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Eindrücke sortieren und austauschen • Gönnen Sie sich ein kleines kreatives Brainstorming: Wie sähe Ihr ideales Wochenende inklusive Gottesdienstbesuch aus? Was hindert Sie daran, Ihre Wochenenden so zu gestalten? Und was könnte ein kleiner Schritt sein, um einem entspannten Gottesdienstbesuch ein wenig näher zu kommen? • Beschäftigen Sie sich einmal im Vorfeld eines Gottesdienstes mit den Lesungen und dem Predigttext des Sonntags. Verändert sich dadurch Ihre Wahrnehmung von Predigten? • Folgende Fragen könnten Sie vor dem Besuch eines Gottesdienstes einmal bedenken: Warum gehen Sie zum Gottesdienst? Was erwarten Sie von der Predigt? Nach dem Gottesdienst ließe sich fragen: Wozu hat der Gottesdienst gedient? Was nehmen Sie mit? Was würde Ihnen fehlen, wenn Sie nicht im Gottesdienst gewesen wären und die Predigt nicht gehört hätten? • Für alle, die ein Gesangbuch zur Hand haben, lohnt es sich, im Gebetsteil zu blättern und sich die Gebete für die Vorbereitung zum Gottesdienst anzuschauen. Können Sie diese Worte zu Ihren Worten machen? Oder andernfalls: Was würden Sie gerne im Gebet im Vorfeld eines Gottesdienstes benennen? Schreiben Sie es auf oder sprechen Sie es ruhig laut oder still aus.

Stehenbleiben und verweilen Jay E. Adams, Be Careful How You Listen. How to Get the Most out of a Sermon, Birmingham, AL 2007 (1991), 23–30. Klaus Eickhoff, Die Predigt beurteilen. Gemeinde denkt mit, Wuppertal 1998, 53–56. Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche Anhalts, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg u. a., Berlin 1994, Nr. 954 (Liturgischer Kalender), Nr. 762–774 (Gebete zum Gottesdienst). Evangelisch-Lutherisches Kirchengesangbuch, Hannover 1987, 34–251 (Lesungen zu den einzelnen Sonntagen), 1178–1187 (Gebete zur Vorbereitung auf den Gottesdienst). Helmut Schwier/Sieghard Gall, Predigt hören. Befunde und Ergebnisse der Heidelberger Umfrage zur Predigtrezeption, Heidelberger Studien zur Predigtforschung, Bd. 1, Berlin 2008, 229–323.

Hindernisse bewältigen: Hörprobleme und Predigtirritationen

14 Hindernisse bewältigen: Hörprobleme und Predigtirritationen Immer wieder wird es einmal passieren, dass Sie beim Hören von Predigten auf Probleme und Irritationen stoßen. Eine Predigt scheint Ihnen nichts zu sagen. Es ist einfach alles allzu vorhersehbar, langweilig, Ihrer Meinung nach bedeutungslos. Die Gründe dafür können, wie schon erwähnt, vielfältig sein. Vielleicht ist die Predigt tatsächlich schlecht, vielleicht stört Sie Ihre Nachbarin oder die Art der Predigerin. Vielleicht haben Sie heute einfach einen schlechten Tag erwischt, schlecht geschlafen oder einfach zu viel Stress. Vielleicht haben Sie aber auch schlichtweg anderes erwartet und sind nun enttäuscht. Für einige Probleme lassen sich vergleichsweise einfach Lösungen schaffen. Akustische Hörprobleme lassen sich oftmals durch einen neuen Platz in der Kirche oder dadurch beheben, dass Sie den zuständigen Küster oder die zuständige Kirchenvorsteherin darauf aufmerksam machen, dass die Übertragungsanlage nicht gut funktioniert. Oftmals bewirken kleine Veränderungen an den Einstellungen schon Wunder. Auch Hörhilfen oder ausgelegte Kopien des Predigtmanuskripts können den Nachvollzug erleichtern. Ideen, wie Sie selbst ausgeruht und entspannt in den Gottesdienst starten können, habe ich ansatzweise im vorherigen Kapitel vorgestellt. Atmosphärische Störungen zwischen Hörenden und Predigenden lassen sich bisweilen dadurch verkleinern oder sogar überwinden, dass man einander nicht nur punktuell im Gottesdienst wahrnimmt, sondern man einander auch anderswo, etwa in Gemeindekreisen, auf Gemeindefesten oder in anderen Gesprächszusammenhängen im Dorf oder der Stadt begegnet. Verständnis füreinander und Vertrauen untereinander können so wachsen. Inhaltliche Irritationen können in Nachgesprächen (siehe Kapitel 17) benannt und diskutiert werden. Aber auch Kritik an der Predigt hat in der rechten Form und zum richtigen Zeitpunkt ihren Platz und kann dazu beitragen, Predigtprobleme und Irritationen zu minimieren oder ganz zu überwinden. Viel tiefer reicht aber ein Problemzusammenhang, der bisher noch nicht in den Blick gekommen ist. Die Predigthörmüdigkeit muss nicht nur mit äußeren Faktoren zu tun haben, sondern kann auch eine geistliche Dimension haben. Heinzpeter Hempelmann hat einmal eine „Kleine Pathologie geistlichen Hörens“, eine Krankheitslehre für das geistliche Hören, verfasst und damit auf genau diesen Zusammenhang hingewiesen.

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Es ist ja keineswegs so, dass die christliche Botschaft für jeden halbwegs vernünftig denkenden Zeitgenossen besonders überzeugend wäre. Der Apostel Paulus spricht von der „Torheit“, die „das Wort vom Kreuz“ (1. Korinther 1,18) darstellt. Die in der Kirche verkündigte Botschaft ist nicht einfach mainstreamkompatibel, sondern stößt auf Widerstände – bei denen, die nicht an diese Botschaft glauben, aber auch immer wieder bei denen, die Christen sind. Dass wir Menschen nicht nur an der einen oder anderen Stelle renovierungsbedürftig, sondern ganz im Gegenteil grundsätzlich erlösungsbedürftig sind, ist ein sperriger Gedanke. Dass wir Leben gerade nicht dann finden, wenn wir das Leben selbst in die Hand nehmen, sondern dort, wo wir Gott finden und Gott uns findet, widerspricht gängigen Denkmustern unserer Zeit. Martin Luther konnte davon sprechen, dass der Mensch von Natur in sich verkrümmt ist, ganz auf sich selbst bezogen. Eine solche Verkrümmung in uns selbst, lässt sich da entdecken, wo Menschen den Anspruch stellen, umfassend über ihr Leben zu bestimmen und das Leben in allem selbst gestalten zu dürfen und müssen. Sie zeigt sich aber auch dort, wo Normen letztlich als Einengung des eigenen Lebens verstanden werden. Viel mehr als in dieser oder jener moralischen Fehlleistung zeigt sich hier grundlegend das, was mit „Sünde“ gemeint ist. Der Mensch kreist um sich selbst, verliert sich in sich selbst und dabei die Beziehung zu Gott. Bleiben die Fragen nach dem, was für mich richtig ist, was mir guttut, wie ich mein Leben gestalten möchte, nicht eingebettet in die Gemeinschaft mit Gott, lässt mich all dies am Ende mit mir allein. So führt all das – jedenfalls für sich genommen – dazu, dass die Geschwindigkeit des „Um-mich-selbstKreisens“ nur noch zunimmt, ohne dass ich jemals ans Ziel komme. Das Wechselspiel von Predigen und Predigthören gelingt nicht zuletzt auch da, wo dieses Kreisen des Menschen um sich selbst unterbrochen wird, indem eine Predigt auf Gott hinweist und neu in die Gemeinschaft mit ihm hineinführt. So können heillose Gedanken- und Handlungsmuster entlarvt werden. Umfassend sichtbar wird dieses Heil, das Gott schenkt, erst am Ende der Zeit werden, wenn er einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft. Eine solche Botschaft wird in unserer Zeit leicht entweder als befremdlich erlebt („Ich lasse mir doch von einer Predigerin nicht erzählen, wie ich zu leben habe!“) oder als irrelevant und nichtssagend wahrgenommen („Für meine Suche nach einem möglichst erfüllten, erlebnisreichen und aufregenden Leben bringt mir die Predigt nichts.“).

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Probleme beim Predigthören und der Eindruck, eine Predigt habe mir nichts zu sagen, können also auch darin wurzeln, dass ich mich in meinen (und den in der Gesellschaft gängigen) Grundannahmen über das Leben nicht irritieren lassen möchte. Martin Luther benennt häufig dreierlei, nämlich Teufel, Welt und mein eigenes Fleisch, die dem Glauben und in diesem Zusammenhang auch dem Hören auf Gottes Wort entgegenstehen. Etwas salopp könnte man das eigene Fleisch mit dem sprichwörtlichen „inneren Schweinehund“ identifizieren, der mich daran hindert, anders zu hören, anders zu denken und anders zu leben, als ich es immer schon getan habe. Er sorgt dafür, dass die Stimme der Gewohnheit möglichst laut und Gottes Stimme nur leise zu hören ist. Die Welt lässt sich auch als Chiffre für all das verstehen, was an (unhinterfragbaren) Grundannahmen in Gesprächen mit unseren Arbeitskollegen, Freundinnen und Nachbarinnen, aus Fernsehen und Internet auf uns einprasselt: „Gestalte dein Leben so, wie du es persönlich für richtig hältst!“ oder, ohne weitere Begründung: „Dieses oder jenes kann man heute so nicht mehr sagen.“ Manches davon steht im Widerspruch zu der Botschaft, die sonntags von den Kanzeln verkündigt wird oder jedenfalls verkündigt werden sollte. Die Rede vom Teufel schließlich ist heute völlig befremdlich geworden. Das hat sicherlich auch mit den Karikaturen zu tun, die wir vom Teufel mit Dreizack und Pferdefuß noch im gesellschaftlichen Bewusstsein mit uns herumschleppen und die uns den Teufel wie eine Märchenfigur erscheinen lassen. Doch ich fürchte, es gehört zu den Krankheitssymptomen neuzeitlichen Christentums, dass es die Rede von Gott und Teufel und den Machtkampf, der um die Menschen tobt, vernachlässigt. Wenn von „Sünde“ gar nicht mehr die Rede ist oder sie, wenn überhaupt, zu einer moralischen Verfehlung verharmlost wird, fehlt ein wesentlicher Baustein im Gebäude der christlichen Botschaft. Wo die Dimension der Gottesferne und die Realität einer gottesfeindlichen Macht, aus der Menschen um Christi willen gerettet werden, weitgehend geleugnet oder jedenfalls nicht mehr benannt wird, wird leicht auch die Rede von Gott banal. Er wird dann zum freundlichen Lebensbegleiter, der uns wohlwollend über die Schulter guckt, an den Wendepunkten des Lebens als Gast vorbeischaut und sich ansonsten am anderen Ende der Leitung, die über eine Notfallnummer erreichbar ist, bereithält. Von Luther ließe sich an dieser Stelle lernen, dass es auch grundlegende geistliche Widerstände beim Predigthören gibt. Es lohnt sich wahrzunehmen, dass wir uns beim Predigthören auf einen geistlichen Kampfplatz begeben.

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Gott spricht in der Predigt und ergreift so Raum in unserem Leben, der auch durch vieles andere, was Gott entgegensteht, längst schon besetzt ist. Dieser Herrschaftswechsel im Raum des Lebens erfolgt nicht geräuschlos, sondern kann – immer wieder – mit erheblichen Konflikten einhergehen. Gerade das aber ist ein immer neues Rettungsgeschehen: Das Kreisen des Menschen um sich selbst wird immer wieder durch das Reden Gottes aufgebrochen. Glauben wird durch Gottes Wort immer neu geweckt und damit das vertrieben, was einem Leben im Glauben an Gott entgegensteht. Wenn ich um all das weiß, mag das meinen Zugang zum Predigthören noch einmal verändern. Es lohnt sich, Irritationen nicht nur als unliebsame Störungen wahrzunehmen, sondern danach zu fragen, ob das, was mich hier ärgert, vielleicht eine am Ende heilsame Irritation ist. Es könnte hilfreich sein, beim Hören von Predigten gerade auf das zu achten, was meinem gewöhnlichen Denken entgegensteht und nicht so einfach „verdaubar“ ist. Es könnte sich um das handeln, was in einer Predigt besonders wertvoll ist. Heinzpeter Hempelmann fasst es so: „Die securitas [= Sicherheit, CB] ist der Feind aller certitudo [= Gewissheit, CB], die der Geist Gottes selbst durch die Texte hindurch wirken will; die er aber doch nur wirken kann, wenn er sie wirken darf – in Kampfprozessen, im Ringen mit der Schrift, bei dem wir nicht mehr über ihr stehen, vielleicht auch nicht einfach gehorsam unter ihr, sondern auf Augenhöhe mit ihr, aber doch immerhin so, dass Gott eine Chance hat, nicht von vornherein zensiert und mundtot gemacht zu werden; sich in der Auseinandersetzung durchsetzen zu können.“ (Hempelmann, 290)

Ich finde, die Überlegungen von Hempelmann weisen auch fürs Predigthören in die richtige Richtung: Predigthören als eine Haltung, in der ich bereit bin, tatsächlich auch eine fremde Botschaft zu hören. Es gilt, mich auf etwas einzulassen, was ich nicht immer schon gewusst habe. Und manchmal bedeutet es auch, im Ringen mit dem, was da verkündigt wird, zu einer neu zu gewinnenden Lebenshaltung im Glauben zu finden. Eine solche Offenheit, die Hörer nicht selbst herstellen können, um die sie aber den Heiligen Geist bitten können, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Kanzelrede nicht wirkungslos verhallt, sondern Glauben weckt. Dass damit nicht jede Irritation beim Predigthören als geistliches Geschehen geadelt sein soll, versteht sich hoffentlich von selbst. Es gibt weiterhin die Predigtirritationen und Probleme beim Predigthören, die ihren Grund

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darin haben, dass Predigten nachlässig erarbeitet worden sind, die Kommunikationssituation problematisch ist oder es aus sonst einem vielleicht auch banalen Grund zu Störungen kommt. Und doch ist die geistliche Dimension ein Aspekt, der im Zusammenhang von Irritationen und Problemen nicht ungenannt bleiben soll.

Eindrücke sortieren und austauschen • Welche Aussagen und Grundgedanken der biblischen Botschaft stimmen Ihrer Meinung nach mit dem überwiegenden Konsens in unserer Gesellschaft überein? Wo ergeben sich Spannungen? • Denken Sie zurück an eine Irritation, die Sie einmal beim Predigthören erlebt haben. Worin war die Irritation begründet? Hat es damit zu tun gehabt, dass die Botschaft „unbequem“ war oder hat es einen anderen Grund gehabt? • Was steht Ihnen beim Predigthören immer wieder im Weg? Lässt sich etwas davon als ein geistliches Hindernis verstehen?

Stehenbleiben und verweilen Heinzpeter Hempelmann, Wenn die Bibel nicht mehr spricht: Kleine Pathologie geistlichen Hörens, Theologische Beiträge 39 (2008), 280–298. Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003. 160–176.

Wo es etwas zu entdecken gibt: Blickrichtungen fürs Predigthören

15 Wo es etwas zu entdecken gibt: Blickrichtungen fürs Predigthören Entdeckungsreisen bringen es mit sich, dass man die Entdeckungen nicht machen kann. Sie stellen sich ein, sind nicht planbar – sind von Situation zu Situation ganz verschieden. Und oftmals sind gerade diejenigen Entdeckungen die allerschönsten, auf die ich von alleine stoße, ohne von jemand anderem darauf hingewiesen zu werden. Entsprechend werde ich in diesem Kapitel nichts nennen können, was Ihnen in jedem Fall die große Entdeckung in der nächsten Predigt verspricht. Aber wie ein Ranger bei einer Safari Tipps gibt, an welchen Stellen es sich hinzuschauen lohnt, wenn man nach einem Leoparden, einem Löwen oder einem Nilpferd sucht, will auch ich hier einige Blickrichtungen benennen, bei denen sich in einer Predigt Entdeckungen machen lassen. Einige von diesen Perspektiven sind schon Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte lang erprobt. Es spricht daher einiges dafür, dass es sich lohnt, dort einmal etwas genauer hinzuschauen. Im Folgenden möchte ich Ihnen einige solcher bewährten Hinweise fürs Predigthören vorstellen. Martin Luther hat einmal einem Freund einen Rat gegeben, wie man ins Gebet finden kann. Diese Überlegungen lassen sich aber auch grundsätzlich als Überlegungen lesen, wie man für sich Entdeckungen im Wort Gottes und in übertragener Weise auch in Predigten machen kann. Als Hörer könnte ich so frei nach Luther fragen: • Was habe ich gehört? (Was ist der Inhalt, den ich in einer Predigt gehört habe?) • Wofür kann ich danken? (Was ist mir von Gott geschenkt?) • Wo werde ich zur Umkehr gerufen? (Wo zeigt sich, dass ich um mich selbst kreise?) • Wofür kann ich bitten? (Was erhoffe ich mir noch für mich und andere?) Der Gewinn dieser Perspektive ist, dass das, was ich hierbei entdecke, mich wieder hineinführt in den Kommunikationsprozess, in das Gespräch mit Gott. Ich höre ihn in der Predigt und bringe meine Anliegen in Dank und Bitte wieder vor ihn. Die Predigt bleibt so keine Einbahnstraße, sondern Verständigung und Gemeinschaft entstehen. Im besten Fall bietet der Fort-

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gang des Gottesdienstes nach der Predigt Phasen der Stille, in denen Raum für solches Beten ist. Ein anderer bewährter Zugang zu Predigten und zu ihren Aussagen besteht darin, nach der Wirkung des Wortes Gottes als „Gesetz“ und „Evangelium“ zu fragen. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist eine der Grundunterscheidungen der Reformatoren. Sie wurzelt in der Erkenntnis, dass Menschen auf dem Weg ihres eigenen Handelns nicht zu einem heilvollen Leben finden können. Gerade das Scheitern an den Ansprüchen, die ich an mich selbst stelle, aber mehr noch die andere und vor allem Gott an mich richten, führt mich zu Jesus Christus. Der schenkt mir ohne menschliche Vorleistung oder die Forderung nachfolgender Bewährung Gemeinschaft mit sich, eben Liebe und Heil. So sagt mir Gottes Wort, gerade auch das in der Predigt verkündigte Wort, immer beides. Einerseits nehme ich wahr, dass ich nicht so bin, wie ich sein sollte (ohne Sünde), und nicht da bin, wo ich hingehöre (in Gemeinschaft mit Gott). Andererseits höre ich auch, dass Gott selbst den Graben zwischen sich und mir überwindet, Gemeinschaft herstellt und Sünden vergibt. In Aufnahme und Weiterführung dieser Gedanken ließe sich im Kontext des Predigthörens fragen: • Gesetz: Wo erkenne ich Grenzen in meinem Leben? Wo bin ich von Gott gefordert und wo erlebe ich Momente der Überforderung? Wo erlebe ich mich im Leben besonders unter Druck? An welchen Punkten merke ich besonders deutlich, dass ich auf Gott angewiesen bin? Wo ist mein Leben nicht in Ordnung? Wofür muss ich Verantwortung übernehmen? An welcher Stelle fällt mir auf, dass ich am liebsten Herr meines eigenen Lebens wäre, sodass Gott keinen Platz mehr hat? • Evangelium: Was bedeutet es, dass Christus die Gemeinschaft zwischen Gott und mir wiederhergestellt hat? Wo und wie prägt die Entlastung, die in der Vergebung geschieht, mein Leben? Welche neuen Lebens-, Denk- und Hoffnungshorizonte öffnen sich durch das, was ich gehört habe? Wo erlebe ich Freude und Befreiung? Was bedeutet das für den Umgang mit Druckund Belastungssituationen in meinem Leben? Ein dritter, ebenfalls Martin Luthers Gedanken entnommener Ansatz, um Entdeckungen in Predigten zu machen, könnte darin bestehen, danach zu fragen, in welcher Weise in der Predigt Jesus Christus gegenwärtig geworden ist. Luther selbst hat die Bibel ja nicht als ein Buch verstanden, in dem jeder

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Vers für Christenmenschen gleich bedeutsam ist, sondern für ihn ist die Bibel gewichtet und hat eine deutliche Ausrichtung: Luther fragte nach dem, was in der Bibel „Christus treibet“, ihn und sein Handeln für uns also besonders deutlich erkennen lässt. Ich könnte mir vorstellen, diese Fragestellung auf alle drei Personen des dreieinigen Gottes zu erweitern und eben auch so auf Entdeckungsreise durch Predigten zu gehen, indem ich folgendermaßen frage: • Was habe ich in der Predigt über Gott den Vater erfahren? Wie handelt er in dieser Welt? Wo entdecke ich das in meinem Leben? • Was habe ich in der Predigt über Jesus Christus erfahren? Wie handelt er in dieser Welt? Wo entdecke ich das in meinem Leben? • Was habe ich in der Predigt über den Heiligen Geist erfahren? Wie handelt er in dieser Welt? Wo entdecke ich das in meinem Leben? Eine weitere Blickrichtung orientiert sich daran, dass Predigt ja immer auch Anrede ist oder jedenfalls sein sollte. Entsprechend könnte ich in Anlehnung an Überlegungen von Werner Klän fragen: • Wo komme ich in der Predigt vor? • Was sagt das, was ich in der Predigt gehört habe, über mich? • Was macht das mit mir? Oder ich schaue auf die Bereiche von Vernunft, Emotion und Verbundenheit in der Gemeinde (Logos, Pathos, Ethos – siehe Kapitel 8) und könnte dementsprechend auch einmal so nachdenken: • Was habe ich verstanden? Was ist mir (neu) deutlich geworden? • Was habe ich empfunden? Welche Gefühle haben sich bei mir eingestellt? • Was bedeutet das für unsere Gemeinde? Wo erfahre ich etwas von dem Gesagten in unserem Miteinander? Wem all das zu viel ist, dem hilft es vielleicht, sich auf einen wesentlichen Gedanken zu konzentrieren, den er oder sie aus der Predigt mitgenommen hat oder mitnehmen will: • Was ist das eine, was hängen geblieben ist und was mir wichtig geworden ist?

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Eindrücke sortieren und austauschen • Können Sie sich an Predigten erinnern, die Sie besonders angesprochen haben? Was haben Sie aus diesen Predigten mitgenommen? • Erproben Sie einmal die (oder einige der) in diesem Kapitel genannten Blickrichtungen fürs Predigthören. Welche haben Sie als hilfreich wahrgenommen? Was hat sie weniger weitergebracht?

Stehenbleiben und verweilen Hans van der Geest, Du hast mich angesprochen. Die Wirkung von Gottesdienst und Predigt, Zürich 1978, 118–139. Werner Klän, „Der dir helfen und dich mit allem Guten reichlich überschütten will“ – Eine Katechismus-Meditation – mit Bildern von Regina Piesbergen, Oberurseler Heft 46, Oberursel 2006. Martin Luther, Eine einfältige Weise zu beten für einen guten Freund (1535), Weimarer Ausgabe, Bd. 38, 358–375. Frank M. Lütze, Absicht und Wirkung der Predigt. Eine Untersuchung zur homiletischen Pragmatik, Arbeiten zur Praktischen Theologie, Bd. 29, Leipzig 2006, 268– 290. John T. Pless, Unterscheidungskunst, übers. u. hg. v. Christoph Barnbrock, Göttingen 2014.

Am Zielort im Café: Predigten nachklingen lassen

16 Am Zielort im Café: Predigten nachklingen lassen Wer von einer entdeckungsreichen Wanderung kommt, wird sich zu Hause nicht sofort vor den Fernseher setzen. Oder wer von einem klassischen Konzert kommt, wird auf der Rückfahrt nicht sofort das Autoradio anstellen. Sondern die Eindrücke sollen und werden im Normalfall nachwirken. Dafür ist es aber nötig, dass nicht gleich die nächste Aufgabe wartet. Eine Tasse Kaffee oder Tee in einem Café am Zielort oder ein Glas Wein im heimischen Wohnzimmer können dazu beitragen, dass das Erlebte und Gehörte nachwirkt und nachklingt. Es gehört zu den von mir in diesem Buch schon mehrfach beklagten Gestaltungsdefiziten von vielen, wenn auch sicherlich nicht allen Gottesdiensten unserer Zeit, dass in ihnen solche Phasen der Stille, in denen das Gehörte nachklingen kann, nicht oder nur in sehr überschaubarem Umfang vorgesehen sind. Und wo Stillephasen einen Platz gefunden haben, fehlt oft bei den am Gottesdienst Beteiligten die Übung, diese Zeiten als ein bereicherndes Element im Gottesdienst ein- und auszuhalten. Inwieweit es hilft, sich zu Hause im Nachgang zum Gottesdienst solche Phasen der Stille einzuräumen, kann jeder oder jede für sich einmal erproben. Es mag sein, dass der Abstand zum Gottesdienst dann schon zu groß ist, um die Gedanken, Bilder und Worte der Predigt noch einmal Revue passieren zu lassen. In vielen Gemeinden stehen die Predigten des Sonntags auch auf der Homepage zur Verfügung – entweder als Manuskript oder als Audioaufnahme der gehaltenen Predigt. So können Predigten noch einmal nachgelesen oder nachgehört werden. Natürlich ist ein solches zweites Nachhören oder Nachlesen immer eine andere Wahrnehmung der Predigt ist als das Hören einer Predigt in der Kirche und damit in der unmittelbaren Kommunikationssituation. Dennoch kann es eine Gelegenheit sein, sich die Predigt noch einmal zu vergegenwärtigen und sich die Möglichkeit einzuräumen, die Predigt nachwirken zu lassen. Eine Hilfe kann dabei auch eine Art Predigttagebuch sein, in dem ich mir im Nachgang zu einer Predigt noch Bilder oder Gedanken notiere, die mir wichtig geworden sind. Die Blickrichtungen, die im Kapitel zuvor dargestellt worden sind, könnten dafür eine Hilfestellung geben. Oftmals regt schon das Wissen darum, später etwas zu Papier bringen zu wollen, dazu an, einer Predigt intensiver zuzuhören.

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Ich halte es auch für denkbar, während einer Predigt den einen oder anderen Gedanken mitzuschreiben, auch wenn dies in unserem Kulturkreis und den traditionell geprägten Kirchen als eher unüblich wahrgenommen werden dürfte. Denen, die in ihrer Gemeinde predigen, tun Sie deswegen vielleicht einen Gefallen, wenn Sie ihnen bei passender Gelegenheit erklären, warum Sie sich Notizen machen. Das könnte dazu helfen, dass keine unnötigen Irritationen auf Seiten der Predigenden entstehen. Für eher technikaffine Predigthörer könnte auch ein Predigtblog eine lohnende Idee sein. Hier könnte man mit anderen Predigthörerinnen und Predigthörern über die jeweiligen Predigterfahrungen im Gespräch sein. Zugegebenermaßen stellt all dies einen eher kopfgesteuerten Zugang zu Predigten dar, der manchen vielleicht eher an das Mitschreiben in der Schule oder an der Universität erinnert als an ein geistliches Geschehen, das der Gottesdienstbesuch darstellt. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, das Gehörte auf unterschiedliche Art und Weise zu verarbeiten. Warum nicht das Gehörte künstlerisch umsetzen, indem ich etwas für mich Wesentliches in einem Bild oder in einer Skulptur aus Ton oder Holz festhalte? Jemand anderes lässt sich von der Predigt vielleicht zu eigenen Worten, Melodien oder Liedern inspirieren, die das Gehörte aufnehmen, weitertragen oder weiterspinnen. Ein weiterer Ansatz der Predigtnachbereitung könnte darin bestehen, andere Stimmen zu demselben Predigttext wahrzunehmen. Leser und Leserinnen des Feste-Burg-Kalenders etwa haben die Gelegenheit, am Sonntag jeweils eine weitere (Kurz-)Auslegung zum Predigttext zur Hand zu haben. Darüber hinaus gibt es im Internet verschiedene Predigtdatenbanken, die meistens mehrere Predigten zum auszulegenden Bibeltext des jeweiligen Sonntags bieten (Angaben dazu bei den Internetlinks am Schluss des Literaturverzeichnisses). Der Reiz, Predigten in dieser Weise „nachzudenken“, könnte darin bestehen, auf die Vielfalt der Auslegungsmöglichkeiten eines Textes aufmerksam zu werden. Wie ich nur mit zwei Augen dreidimensional sehen kann, könnte auch eine Wahrnehmung zweier oder mehrerer Auslegungen dazu beitragen, mehr oder noch einmal tiefer zu sehen. Dabei könnte ich auch selbst noch mehr gefordert sein, indem ich mich frage: Was überzeugt mich eher? Was spricht mich – warum – mehr an? Würde man einen solchen Wettstreit der Auslegungen sportlich und unver-

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krampft angehen, könnte dies meiner Wahrnehmung nach durchaus eine Bereicherung für das Predigthören darstellen. Eine solche Predigtnachbereitung muss dabei natürlich keineswegs immer alleine geschehen. Ich weiß von manchen Familien, bei denen am Mittagstisch noch einmal die Predigt Gesprächsthema ist. Bei anderen ist es die Fahrgemeinschaft im Auto, bei der die Mitfahrenden sich noch einmal über die Predigt austauschen. Die Gefahr, dass der Mittagstisch dabei zum Stammtisch wird und die Predigt dabei nach Herzenslust zerpflückt wird, ist dabei allerdings nicht zu übersehen. Wo aber das Gespräch fair und interessiert verläuft (siehe dazu auch die Überlegungen in den Kapiteln 17 und 18) ergibt sich hier durchaus die Gelegenheit, dass sich Christenmenschen mit ihren vielleicht auch ganz unterschiedlichen Predigterfahrungen untereinander austauschen und so bereichern. Eine inzwischen schon erprobte Art und Weise der Predigtnachbereitung stellt das Predigtnachgespräch dar, von dem im nächsten Kapitel die Rede sein wird. Oftmals ist die Bereitschaft von Gemeindegliedern begrenzt, sich auf solche Gespräche einzulassen. Manche haben eine gewisse Scheu, Predigten, die sie als Verkündigung des Wortes Gottes schätzen, zu zerreden. Andere haben Sorge, mit ihren Anfragen an den Prediger vor diesem oder vor den anderen Teilnehmenden plötzlich dumm dazustehen. So ist oftmals der Wunsch nach Predigtnachgesprächen bei denen, die predigen, ausgeprägter als bei den Gemeindegliedern. Von daher ist jeweils zu prüfen, ob solche Nachgespräche jeweils in der derzeitigen Gemeindesituation angesagt sind. Im folgenden Kapitel werde ich einige Grundüberlegungen für Predigtnachgespräche vorstellen.

Eindrücke sortieren und austauschen • Haben Sie sich schon einmal mit anderen über eine zuvor gehörte Predigt ausgetauscht? In welchem Zusammenhang ist das geschehen? Wie haben Sie das erlebt? • Könnten Sie sich vorstellen, einmal ein „Predigttagebuch“ zu führen? Wenn ja: Welche Erfahrungen machen Sie damit? • Lesen Sie nach dem Hören einer Predigt zusätzlich noch eine andere Auslegung zum Predigttext. Auf welche zusätzlichen Gedanken sind Sie dabei gestoßen?

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Stehenbleiben und verweilen Feste-Burg-Kalender, hg. v. Gert Kelter, Neuendettelsau 2015. Die Predigtdatenbank, http://www.predigten.de (Stand: 21.3.2016). Göttinger Predigten im Internet, http://www.predigten.uni-goettingen.de (Stand: 21.3.2016). Online-Predigten, hg. v. Christoph Dinkel, Isolde Karle und Johannes Neukirch, https://predigten.evangelisch.de (Stand: 21.3.2016).

Fotos anschauen: Predigtnachgespräche

17 Fotos anschauen: Predigtnachgespräche Dass es überhaupt Predigtnachgespräche gibt, kann als Symptom für die Krise der Predigt gedeutet werden. Während die Kanzelrede früher in verschiedener Hinsicht selbstverständlich war, ist sie nun für sich nicht mehr aussagekräftig genug, sondern muss besprochen werden. Das, was in der Predigt verkündigt wird, ist keine Botschaft mehr, die ich mir so gesagt sein lasse, sondern all das muss erst einmal diskutiert, kritisiert und besprochen werden. Georg Lämmlin beschreibt das Problem so: „In dem zum Gerede gewordenen Predigtnachgespräch kann auch das Wort, das die Predigt zu sagen hat, nur untergehen. Möglicherweise aber lag der Impuls zum Predigtnachgespräch gerade darin, dass die Predigt genau dieses Wort nicht mehr zu sagen vermochte und nicht mehr zu sagen vermag. Dann hätte es seinen Sinn darin gehabt, die Predigt an das ihr aufgetragene Wort zu erinnern. Das Bedürfnis nach einem Predigtnachgespräch könnte dann verstanden werden als Folge einer Krise der Predigt, in deren Hören es nicht zum Hören des Wortes Gottes kommt.“ (Lämmlin, 45)

Einige wesentliche Probleme, die sich mit Predigtnachgesprächen verbinden können, liegen damit auf der Hand. Wenn das Predigtnachgespräch als notwendige Ergänzung der Predigt verstanden wird, bei der die Predigt erst noch einmal auf Herz und Nieren geprüft werden muss oder durch die die Predigthörerinnen und Predigthörer sich gegenseitig zu Aktionismus motivieren, als würde die Predigt erst so zu ihrem Ziel kommen, dann dienen Predigtnachgespräche tatsächlich dazu, die Predigt selbst auszuhöhlen und die Axt an ihre Wurzeln zu legen. Ich glaube aber nicht, dass das notwendigerweise so sein muss. Ein Predigtnachgespräch kann auch in einer Haltung der Wertschätzung für die eben gehörte Predigt erfolgen. Unter dieser Perspektive ist eine in vielen Stunden vorbereitete Predigt zu kostbar, um sie bloß eine Viertelstunde an sich vorbeirauschen zu lassen. Wie sich bei Tagungen oft Gesprächsgruppen an ein Referat anschließen, um dieses wertzuschätzen und Impulse zu sichern, lohnt sich dasselbe meiner Wahrnehmung nach genauso bei Predigten. Auch die Erkenntnis, dass das verkündigte Wort Gottes ein so tiefer Brunnen ist, dass er von einer Person allein niemals ausgeschöpft werden kann, legt nahe, gemeinsam über die Predigt ins Gespräch zu kommen, von den Eindrücken anderer zu profitieren und über die Vielfalt der Lebensbezüge zu staunen, die der Heilige Geist gewirkt hat.

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Was die äußerlichen Voraussetzungen für ein Predigtnachgespräch angeht, ist allerdings das eine oder andere zu bedenken. Grundsätzlich sind zwei Orte für das Predigtnachgespräch denkbar. Verbreitete Praxis ist es, ein Predigtnachgespräch im Anschluss an den Gottesdienst im Gemeinderaum, etwa im Rahmen eines Kirch-Cafés durchzuführen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Das Setting ist locker. Wer kein Interesse daran hat, am Predigtnachgespräch teilzunehmen, kann nach dem Gottesdienst einfach nach Hause gehen. Andererseits ist der Eindruck der Predigt vielleicht schon etwas verblasst. Gerade bei einem Gottesdienst mit Abendmahlsfeier liegt die Predigt womöglich schon eine knappe Stunde zurück, bevor das Predigtnachgespräch beginnt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Predigtnachgespräch in der Kirche direkt an die Predigt anzuschließen, etwa im Rahmen einer „Christenlehre“, die es in einigen Gemeinden gibt. Der Eindruck von der Predigt ist noch frisch. Das ist sicherlich der größte Vorteil. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass einige Gottesdienstbesucher sich schwerer damit tun, im Setting eines Gottesdienstes das Wort zu ergreifen, als in einer lockeren Atmosphäre im Gemeindesaal. Hinzu kommt, dass durch ein solches Predigtnachgespräch der Spannungsbogen, den ein Gottesdienst vom Eingangsteil bis zum Segen hat, unnötig unterbrochen wird. Denkbar wäre ebenfalls, dass ein Predigtnachgespräch in dem Personenkreis stattfindet, der eine Predigt vorbereitet hat. Auch wenn die Zeitspanne, die zwischen gehaltener Predigt und Predigtnachgespräch in diesem Fall noch größer sein dürfte, hat es einen gewissen Charme, mit derselben Gruppe den gesamten Zusammenhang von Predigtvorbereitung, Predigterleben und Predigtnachbereitung zu begleiten. Was die Moderation eines Predigtnachgesprächs angeht, empfiehlt es sich, dass dessen Leitung nicht die Person übernimmt, die gepredigt hat, sondern ein anderes Gemeindeglied. So muss eine Predigerin nicht immer zwischen der Rolle der Moderatorin und der Predigerin wechseln. Dies ist umso wichtiger, als ein Prediger als Einzelperson einer ganzen Gruppe von Predigthörern gegenübersteht. Eine solche Situation kann, gerade bei kritischen Anfragen an die Predigt, für den Prediger als mehr oder weniger bedrohlich erlebt werden, sodass es gut ist, wenn ein anderer für einen fairen Ablauf des Gesprächs sorgt. Entsprechend hat eine Moderatorin des Predigtnachgesprächs dafür Sorge zu tragen, dass das Predigtnachgespräch in einem Klima der Wertschätzung stattfindet. Predigende haben im Normalfall viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung der Predigt investiert. Und meistens zeigen Predigende in ihren Predigten auch etwas von ihrer eigenen Person, ihrem eigenen Wahrnehmen

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und Empfinden und sind von daher an dieser Stelle auch besonders verletzbar. Rolf Zerfaß nennt von daher als Grundregeln für ein Predigtnachgespräch: „– Ich gebe keine Wertung über die Predigt ab, sondern melde dem Prediger zurück, wie die Predigt auf mich gewirkt hat. – Ich spreche von mir, nicht von anderen; denn nur über mich kann ich zuverlässig Auskunft geben. – Ich gehe davon aus, dass 50 % der Predigtwirkung mein eigener Höreranteil sind, für den ich die Verantwortung trage, nicht der Prediger. – Ich will dem Prediger mit meiner Rückmeldung zwar helfen, überlasse es aber seiner freien Entscheidung, wie er mit meinem Feedback umgeht.“ (Zerfaß, 239)

Wie aber ließe sich ein Predigtnachgespräch konkret gestalten? Grundsätzlich eignen sich die Blickwinkel und Fragen aus Kapitel 15 auch für die Behandlung im Predigtnachgespräch. Darüber hinaus möchte ich an dieser Stelle einige Modelle vorstellen, die sich für Predigtnachgespräche eignen. Erste grundsätzliche Gedanken entnehme ich der Predigtlehre von Achim Härtner und Holger Eschmann: „Zu Beginn sollte allen das Ziel und die Methode des Predigtnachgesprächs kurz einsichtig gemacht werden. Dann werden die Predigthörerinnen mit Hilfe von Leitfragen ermuntert, ihre Eindrücke vorzutragen. Solche Fragen können zum Beispiel sein:

• Wovon war ich positiv beeindruckt? Was hat mich an der Predigt gestört? Was war meiner Meinung nach das Ziel der Predigt?

• Oder: Was für eine Botschaft hat mir die Predigerin übermittelt? Wie habe ich die Predigerin und die Predigt erlebt?

• Oder: Was ist mir an der Predigt wichtig gewesen? Worüber möchte ich mit der Predigerin ins Gespräch kommen? Alle Aussagen der Gesprächsteilnehmerinnen werden mit Hilfe eines Tageslichtschreibers oder Flipcharts festgehalten und geordnet. Wichtig ist, dass im Ich-Stil über das in der Predigt Erlebte gesprochen wird, damit die Predigerinnen dies als persönliche Äußerungen annehmen können. Pauschalurteile sind also zu vermeiden. Alle Voten der Gesprächsteilnehmerinnen sollten in Richtung der Gesprächsleitung geäußert werden. Dadurch werden sie versachlicht, was die Predigerinnen vor einer als zu persönlich oder zu hart empfundenen Kritik schützt. […] Nachdem die Zuhörenden sich zu den verschiedenen Leitfragen geäußert haben, sollte die Predigerin selbst zu Wort kommen, um mitzuteilen, wie die Predigt von ihr selbst erlebt wurde.

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Diese sammelnde und nicht wertende Phase des Predigtnachgesprächs sollte insgesamt nicht länger als zwanzig bis dreißig Minuten dauern, damit die an der Predigtauswertung Teilnehmenden noch untereinander und mit der Predigerin ins Gespräch kommen können. […] Gegen Ende des Predigtnachgesprächs sollte die Person, die das Gespräch leitet, versuchen, den Verlauf des Gedankenaustauschs noch einmal zusammenzufassen. Das kann eventuell geäußerte schroffe oder auch verletzende Einzelaussagen relativieren und dient so dem Schutz der Predigerinnen. Es empfiehlt sich, am Schluss ein Gebet oder Segenswort zu sprechen, damit die geistliche Zielrichtung des gesamten Unternehmens noch einmal in Erinnerung gerufen und die Zugehörigkeit des Predigtnachgesprächs zum Gottesdienst der Gemeinde signalisiert wird. Dieser geistliche Abschluss sollte allerdings nicht als Mittel falscher Harmonisierung missbraucht werden.“ (Härtner/Eschmann, 161–163)

Für einen weiteren, alternativen Satz an Leitfragen nehme ich Überlegungen auf, die Rolf Zerfaß für einen Predigtbeurteilungsbogen vorgesehen hat und die ich für das Predigtnachgespräch um eigene Fragen ergänzt, insgesamt weiterentwickelt und entsprechend verändert habe: 1. Was hat mir das Predigthören leicht gemacht? An welchen Stellen konnte ich gut zuhören? Was ist mir in Erinnerung geblieben? 2. Konnte ich den Gedankengang mühelos nachvollziehen? Welchen Weg ist die predigende Person mit uns Hörern gegangen? An welchen Stellen bin ich aus der Predigt ausgestiegen? 3. Wo in der Predigt konnte ich besonders gut mitfühlen? Was hat mich auch emotional angesprochen? Was war in besonderer Weise aus dem Leben gegriffen? 4. Wie hat die Predigt den biblischen Text zum Sprechen gebracht? Welche Verbindungslinien zwischen Text und Auslegung waren erkennbar? Welche überraschenden Zugänge zum Text haben sich ergeben? 5. Welche Bilder haben sich mir eingeprägt? An welchen Stellen hat der Prediger eher abstrakt geredet, an welchen Stellen eher anschaulich? Inwieweit haben die unterschiedlichen Bilder und Vergleiche meiner Wahrnehmung nach zusammengepasst? Für die Predigtauswertung über einen Fragebogen, wie Zerfaß sie vorschlägt, sieht er für jeden Unterbereich auch eine Benotung durch die Hörenden vor. Ich würde davon aber abraten. Im Rahmen eines Predigtnachgesprächs wäre die Benotung einer Predigt ohnehin unangebracht. Aber auch im Rahmen einer Fragebogenauswertung halte ich ein solches Vorgehen eher für misslich. Als jemand, der selbst regelmäßig im akademischen Bereich Predigten zu

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benoten hat, weiß ich um die Herausforderung, die es bedeutet, sich alle Aspekte einer Predigt abdeckende Kriterien für eine Benotung zu erarbeiten. Das scheint mir aber auch angesichts des von Zerfaß selbst erarbeiteten Fragebogens nur ansatzweise der Fall zu sein. Die Gefahr, dass hier Noten „aus dem Bauch heraus“ vergeben werden, scheint mir relativ groß zu sein. Das aber ist nicht unproblematisch, wenn man davon ausgeht, dass gerade negative Rückmeldungen die Predigenden empfindlich berühren. Zum Schluss möchte ich noch einen Satz von Leitfragen präsentieren, der im Wesentlichen aus dem US-amerikanischen Bereich stammt und einem längeren Fragenkatalog von David J. Schlafer entnommen ist. Ich habe die folgenden Fragen ausgewählt, übersetzt, modifiziert und um eigene erläuternde Fragen ergänzt. 1. Was sagt die Predigt darüber aus, wie der Prediger die Welt, die einzelnen Hörenden und ihr Leben wahrnimmt? Teilen Sie seine Meinung? Wo würden Sie andere Akzente setzen? 2. Welchen Bezug zur Gemeinde und zum Gemeindeleben hatte die Predigt? Welche Bedeutung hat das Gesagte für das Gemeindeleben? 3. Wie hat uns die Predigerin Gott und die Welt vor Augen gestellt? Was erschließt sich mir dadurch im Leben neu? 4. Wie hat diese Predigt die Aufmerksamkeit dafür geschärft, dass Gottes Gnade und Liebe längst schon in unserer Mitte gegenwärtig und wirksam sind? Was hat Sie dabei besonders angesprochen? 5. Inwiefern war die Predigt ein Wortgeschehen, das eine neue Wirklichkeit geschaffen hat? Inwieweit ist in ihr hier und jetzt Gottes rettendes Wort wirksam laut geworden, ohne bloß von dem zu erzählen, was in längst vergangener Zeit einmal geschehen ist?

Eindrücke sortieren und austauschen • Haben Sie schon einmal ein Predigtnachgespräch miterlebt? Was hat Ihnen daran gut gefallen? Was fanden Sie problematisch? • Wann würden Sie sich, wenn überhaupt, ein Predigtnachgespräch wünschen: im Gottesdienst unmittelbar nach der Predigt, nach dem Gottesdienst oder in einem Gemeindekreis in der Folgewoche? • Sehen Sie sich die Leitfragen in diesem Kapitel an. Kommen Ihnen noch andere Fragen in den Sinn?

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Stehenbleiben und verweilen Achim Härtner/Holger Eschmann, Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis, 2., erw. Aufl., Göttingen 2008, 155–166. Eberhard Kerlen, Gespräch über die Predigt. Die Einrichtung der Predigtkritik in der Gemeinde, Studienbriefe der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste, P 13 Predigt, Stuttgart 1987. Georg Lämmlin, Eine kurze Geschichte des Predigtnachgesprächs. Zur Unterscheidung des Gesprächs in der Kirche vom Gerede, in: Manfred Josuttis/Heinz Schmidt/ Stefan Scholpp (Hg.), Auf dem Weg zu einer seelsorglichen Kirche. Theologische Bausteine, FS Christian Möller, Göttingen 2000, 37–48. David J. Schlafer, Surviving the Sermon. A Guide to Preaching for Those Who Have to Listen, Cambridge/Boston, MA 1992, 127–132. Rolf Zerfaß, Grundkurs Predigt., Bd. 2: Textpredigt, Düsseldorf 1992, 239–241.

Reisefeedback: Predigtkritik

18 Reisefeedback: Predigtkritik Viele von denen, die Predigten hören, sind zurückhaltend, wenn es darum geht, positive oder negative Kritik an einer Predigt zu üben. Das führt bisweilen dazu, dass Predigende aufgrund fehlenden Feedbacks manchmal nicht so recht wissen, ob sie in der Predigt eigentlich Worte gefunden haben, die die Hörerinnen und Hörer angesprochen haben und hilfreich waren. Daneben gibt es aber auch eine Haltung permanenter Predigtkritik. Gottesdienstbesucher meinen schon im Vorhinein zu wissen, dass von der Predigt dieser Predigerin oder dieses Predigers ohnehin nichts zu erwarten ist. Und auch in den größeren Zeitungen, die sich gerade anlässlich der großen christlichen Feste immer wieder einmal mit dem Thema „Predigt“ befassen, wird an der Predigtkultur in Deutschland häufig kein gutes Haar gelassen. Wenn dann noch in der Predigtliteratur die gegenwärtige Lage der Kanzelrede als „Predigtkatastrophe“ (Eickhoff, 23) beschrieben wird, liegt es nahe, auf der Hut zu sein und alle Äußerungen von der Kanzel mit Skepsis wahrzunehmen. Wo aber solche Vorbehalte die Grundhaltung des Predigthörens darstellen, kann die Kommunikation zwischen Predigenden und Zuhörenden gar nicht mehr gelingen. Wenn ich hören und verstehen will, muss ich dem anderen immer mit einem gewissen und zwar nicht zu geringen Maß an Vertrauensvorschuss begegnen. Sonst stehen mir meine Vorurteile beim Hören selbst im Weg und meine kritische Einstellung zum Prediger und zur Predigt wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick auf die gegenseitige Zuordnung von Prediger und Gemeinde zu werfen, die durch die Ordination des Predigers gegeben ist. Diese hat nicht zuletzt die Funktion, dem Ordinierten einen Vertrauensvorschuss der Gemeinde zu sichern. Die Apologie zum Augsburger Bekenntnis, eine der Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche, hält in ihrem siebten Artikel fest, dass die Unwürdigkeit (und ich ergänze: auch die Ungeschicklichkeit) der Ordinierten den Gnadenmitteln nicht ihre Wirkung nimmt. Weil sie berufen sind, stehen sie nicht mehr als Privatpersonen vor der Gemeinde, sondern reden im Namen Jesu Christi, verkündigen und handeln an seiner Stelle. Das ist die Vorgabe, die dazu einlädt, jeder Predigt mit einem Vorschuss an Vertrauen zu folgen und sie in der Erwartung zu hören, dass sich unter der Gestalt der menschlichen Rede Gott selbst zu Wort meldet. Aber was ist, wenn mich eine Predigt ärgert, weil ich Mühe und Not habe, ihr zu folgen? Was ist, wenn es mir so scheint, als ob die Predigenden die

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Heilige Schrift nicht angemessen auslegen? Was ist, wenn ich meine, die Predigt sei handwerklich schlecht gemacht? Es gehört nach lutherischem Verständnis zur Aufgabe und Kompetenz der Gemeindeglieder und damit der Zuhörenden, die Verkündigung auch kritisch wahrzunehmen. Martin Luther selbst ermutigte die Gemeinden zu solch mündiger Auseinandersetzung: „Siehe, hier gibt Christus nicht den Propheten und Lehrern das Urteil, sondern den Schülern oder Schafen. Denn wie könnte man sich vor den falschen Propheten hier hüten, wenn man ihre Lehre nicht sollte ins Bedenken nehmen, richten und urteilen? So kann ja kein falscher Prophet sein unter den Zuhörern, sondern allein unter den Lehrern. Darum sollen und müssen alle Lehrer dem Urteil der Zuhörer unterworfen sein mit ihrer Lehre.“ (WA 11, 410,15–20 – sprachlich angepasst)

Dass solche Mündigkeit in der Reformationszeit nicht nur ein Wunsch war, sondern sich praktisch zeigte, lässt sich daran erkennen, dass einzelne Gemeinden nach einer noch nicht reformatorischen Predigt einen evangelischen Choral anstimmten und damit der Reformation in ihrer Stadt Tor und Tür öffneten. Wo lässt sich heute noch ein Ausdruck für solche Mündigkeit finden? Eigentlich „gehört“ das „Amen“ nach der Predigt der Gemeinde. Es ist nicht der Schlusspunkt, mit dem die Predigenden selbst die Wichtigkeit des von ihnen Gesagten noch einmal mit Nachdruck unterstreichen. Sondern mit dem „Amen“ eignet sich die Gemeinde das vom Prediger Gesagte an – oder gegebenenfalls auch einmal ausdrücklich nicht. Dass in der Praxis die Gemeinde auf ihr Recht verzichtet, das „Amen“ zu sprechen, hat wohl eher praktische Gründe. Für die, die einer Predigt zuhören, ist es normalerweise schwer wahrzunehmen, wann eine Predigt zu Ende ist. Und entsprechend möchte niemand womöglich vorschnell das „Amen“ sprechen. Es lässt sich festhalten: Wo Predigthörer mit denen, die predigen, im Nachgang über die Predigt ins Gespräch kommen, haben wir es grundsätzlich mit einem Glücksfall zu tun. Der Dialog, den die Predigt anstoßen wollte, ist in Gang gekommen. Dass, wie in jedem Lebenszusammenhang, auch hier Vertrauensvorschuss, Respekt und Achtung vor der Arbeit des anderen Voraussetzung einer gelingenden Kommunikation ist, ist hier schon mehrfach erwähnt worden. Das kann aber nicht bedeuten, dass Nachfragen zur Predigt grundsätzlich unangemessen wären. Es ist eine Möglichkeit, im Anschluss an den Gottesdienst noch einmal nachzufragen, um als Hörerin selbst besser verstehen zu

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können. Und andersherum werden so die Predigenden ebenfalls zu neuem Nachdenken angeregt. Wo dies voller Wertschätzung geschieht, kann eine Gemeinde insgesamt geistlich reifen. Es gibt allerdings auch die eingangs schon erwähnten Fehlformen der Predigtkritik – eben beispielsweise da, wo ein Hörer nur darauf lauert, dass der Prediger in ein Fettnäpfchen tritt, und an wirklich jeder Predigt irgendetwas herumzumäkeln hat. Oder dort, wo jemand die Predigerin kritisiert, weil ihm die Botschaft, die diese verkündigt, schlicht zu unbequem ist. Entsprechend ist vor der Kritik an denen, die predigen, eine selbstkritische Prüfung der eigenen Motive für die Predigtkritik angesagt. Folgende Gedanken zu einer solchen Selbstprüfung könnten im Vorfeld eines Gesprächs, in dem ich Kritik an einer Predigt äußere, hilfreich sein: • Was genau hat mich an der Predigt geärgert? • Warum reagiere ich gerade an dieser Stelle so empfindlich? • Habe ich dem Prediger überhaupt eine Chance gegeben oder stand mein Urteil über die Predigt schon von vornherein fest? • Könnte es sein, dass ich mich durch die Kritik darum herumdrücke, mich einer unbequemen Wahrheit zu stellen? • Haben andere die Predigt genauso wahrgenommen wie ich? Und wenn nicht: warum gehen die Wahrnehmungen an diesem Punkt auseinander? • Was ist in der Predigt meiner Meinung nach trotzdem geglückt? (Kaum eine Predigt wird nur zu kritisieren sein). • Was könnte meinem Gegenüber helfen, meine Kritik zu hören, ohne sich sofort in eine Verteidigungshaltung zurückzuziehen? • Wie kann ich bei aller Kritik an der Predigt meine Wertschätzung gegenüber der Person (und Dankbarkeit für ihren Dienst in der Gemeinde) ausdrücken?

Eindrücke sortieren und austauschen • Denken Sie an Situationen zurück, in denen Sie kritisiert worden sind. Wann konnten Sie Kritik gut aufnehmen? Wann hatten Sie das Gefühl, mit der Kritik nicht umgehen zu können? Was ließe sich daraus für Kritik an Predigenden und Predigten lernen? • Vielleicht haben Sie schon einmal eine Predigt erlebt, über die Sie sich richtig geärgert haben. Hätten Sie genauso reagiert, wenn eine gute Freundin diese Predigt gehalten hätte?

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• Erproben Sie anhand einer beliebigen Predigt aus dem Internet, die Ihnen kritikwürdig zu sein scheint, die oben beschriebenen Fragen zur Selbstprüfung.

Stehenbleiben und verweilen Die Apologie der Augsburger Konfession, Artikel VII, in: Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde, 6. völlig neu bearb. Aufl., Gütersloh 2013, 208–221. Martin Luther, Dass ein christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursach aus der Schrift (1523), Weimarer Ausgabe, Bd. 11, 408–416 [Titel hier sprachlich angepasst].

Und nächstes Mal ganz woanders: Predigthören in der Ökumene

19 Und nächstes Mal ganz woanders: Predigthören in der Ökumene In den Tagen, in denen ich das Manuskript dieses Buches schreibe, lebe ich für einige Wochen in Tansania. Dabei werde ich an meine Predigterfahrungen erinnert, die ich auf diesem Kontinent gesammelt habe. Gottesdiensterlebnisse hier sind immer wieder auch – durchaus anregende – Fremdheitserfahrungen. Als jemand, der mit der Ortssprache nur ansatzweise vertraut ist, habe ich es hier immer wieder neu erlebt, wie Predigen und Predigthören mit dem Verstehen von Worten zu tun hat und ich frage mich: Habe ich vielleicht auch durch meine Wortwahl manchmal schon meine Hörergemeinde „abgehängt“? Gleichzeitig nehme ich in solchen fremden Kontexten aufs Neue wahr, wie vielfältig die Gottesdienstpraxis in der weltweiten Ökumene ist. Ich besuchte Gottesdienste, vor allem in lutherischen Kirchen, fand mich in der Liturgie auch halbwegs zurecht, merkte aber, wie unterschiedlich doch auch die Predigtweise in ein und derselben Konfessionsfamilie sein kann. Ohne den Inhalt zu verstehen, erlebe ich den afrikanischen Predigtstil rein akustisch als deutlich lauter, couragierter, emotionaler, irgendwie auch als bedrängender. Ich würde mich nicht trauen, in Deutschland so zu predigen, und würde solche Predigten in Deutschland aber auch nicht hören wollen. Ich würde mir mehr Behutsamkeit wünschen. Andererseits nehme ich wahr, dass die Gottesdienstgemeinde hier ganz anders in den Predigten „mitgeht“, sie anders beteiligt ist und sie dem auch Ausdruck verleiht. So wird mir an dieser Stelle auch eine gewisse Armut der Predigt(hör)praxis meines eigenen deutschen Kontextes deutlich. Neben diese Erfahrungen treten Erinnerungen an andere Predigthörerlebnisse, etwa aus den USA: In einer gut gefüllten, modernen Kirche, in der ich schon im Vorraum mit Hinweisen auf Fernsehmonitoren empfangen wurde, feierte ich den Gottesdienst mit: der Pfarrer an der E-Gitarre, und auf Großbildleinwänden wurden während der Predigt Szenen aus einem Film eingespielt. Auch das war wieder ein ganz anderes Predigterleben – zugegebenermaßen nicht so recht nach meinem Geschmack. Nach dem Gottesdienst aber wurde ich gleich zu Gemeindeveranstaltungen eingeladen. Ich fühlte mich wahrgenommen und willkommen geheißen. Gottesdienst, Predigt und Gemeindeleben waren erfreulich eng miteinander verknüpft. Auch das ist ein Teil der Predigt- und Predigthörwirklichkeit in der Ökumene.

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Ein anderes Mal habe ich einen Gottesdienst in einem kleinen Raum auf einem alten Landgut besucht: Es war der Gottesdienst einer russlanddeutschen Brüdergemeinde, zu dem ich eingeladen worden war. Ein Bruder ergriff das Wort, legte einen Bibelabschnitt aus. Und dann wurde ich als Gast gebeten, spontan ebenfalls „ein Wort“ zu sagen. Auch hier war mir manches fremd. Insgesamt erlebte ich die Verkündigung als wenig befreiend, sondern eher als beengend. Aber es faszinierte mich, wie hier die Kommunikationssituation der Predigt ernst genommen wurde. Hier wurde nicht einfach nur ein Programm abgespult. Sondern man erwartete etwas von dem Gast, erhoffte, dass auch er etwas beitragen kann von seiner geistlichen Erkenntnis. Bei dieser Spontanauslegung damals habe ich in viele aufmerksame Gesichter schauen dürfen. Eine wieder andere Predigterfahrung nehme ich aus einer römischkatholischen Messe mit. Der relativ klar vorgegebene liturgische Ablauf der Messe wurde mit einem Mal durch eine erstaunlich unterhaltsame Predigt unterbrochen. Eine klare Struktur und Form in der Liturgie und eine freie, sehr lebensnahe Predigt schlossen sich dabei offensichtlich keineswegs gegenseitig aus. Beides passte zusammen. Die Liturgie hat die Predigt eingefasst und in ihre Struktur eingebettet, und die Predigt wirkte noch einmal in besonderer Weise kommunikativ. Ich könnte die Liste nun noch weiter fortsetzen und zum Beispiel um Gottesdiensterlebnisse aus freikirchlichen Gemeinden ergänzen, in denen ich häufig eine besonders persönliche Prägung der Predigten – mit allen Vorund Nachteilen – wahrgenommen habe. Oder ich denke an Gottesdienste in neuerer Form, in denen der Predigt noch ein Anspiel zur Seite gestellt worden ist und sich damit das Wahrnehmen der Predigt auch noch einmal verändert hat. Es gibt im schier unüberschaubaren Feld der weltweiten und konfessionsübergreifenden Ökumene viel zu entdecken – auch fürs Predigen und Predigthören. Es lohnt sich entsprechend, sich durch Impulse aus mir vielleicht noch fremden kirchlichen Traditionen auch zu neuem Predigthören anstecken zu lassen. Dabei erlebe ich solche Begegnungen ganz unterschiedlich: Da ist einmal der Reiz des Neuen, der mich neu wahrnehmen und hinhören lässt und mich aus dem immer selben Trott herausreißt. Da entdecke ich immer wieder auch dankbar das, was uns Christenmenschen über die Grenzen der Konfessionen hinweg verbindet. Aber ich stoße schließlich auch immer wieder an Grenzen, nehme wahr und höre etwas, was ich nicht teilen will und teilen kann. Öku-

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mene hat eben nicht nur mit der Buntheit des Regenbogens zu tun, der erst durch die Vielfalt der Farben so schön wird, sondern die Vielfalt der Kirchen ist eben auch Ausdruck der leidvollen Erfahrung von fehlender Einigkeit im Reden und Hören, im Handeln und Bekennen. Diese Gegebenheit ist meiner Meinung nach weder als Schicksal emotionslos hinzunehmen, als wäre uns das Ringen um die Einheit der Kirche nicht aufgetragen, noch durch zu schnelles Beiseiteschieben dessen, was Kirchen und Christen trennt, zu überwinden. So nehme ich gerade in der Vielfalt ökumenischer Gottesdienst- und Predigterfahrungen wahr, wie sehr mein eigenes Predigthören in aller Regel eingebettet ist in den Zusammenhang von Verbundenheit und Verbindlichkeit. Ich höre in meiner Gemeinde, in der ich mit den Predigern und anderen Gemeindegliedern vertraut bin, anders einer Predigt zu als in einem mir fremden Kontext. Der Raum der geistlichen Heimat prägt auch mein eigenes Hören und hängt mit dem zusammen, was an anderer Stelle in diesem Buch mit der Bedeutung der Gemeindewirklichkeit für die Dimension des Ethos beim Predigthören gemeint war (siehe Kapitel 8). Die Lebenszusammenhänge prägen eben auch das Hören (siehe Kapitel 11). Dementsprechend wünsche ich mir für mein eigenes Predigthören immer wieder eine Doppelbewegung: dass ich herausgehe aus dem mir vertrauten Kontext, um Neues zu hören, anders zu hören und Anregungen für meine eigene Predigtwahrnehmung zu erhalten, und dann doch auch wieder heimkehre an die mir vertrauten Orte, die mir vertrauten Hörsituationen meiner Gemeinden, um dort, bereichert durch die Anregungen von außen, wieder neu zuzuhören.

Eindrücke sortieren und austauschen • Besuchen Sie einmal einen Gottesdienst in der ökumenischen Nachbarschaft. (Wie) Hat sich die Predigt dort von einer Predigt in Ihrer Heimatgemeinde unterschieden? Wenn es Unterschiede gab: Wie hätte wohl „Ihr“ Prediger über diesen Text gepredigt? Was hat Ihnen gut gefallen? Was ist Ihnen fremd geblieben? • Hören Sie sich einmal eine Predigt auf www.greifbar.net (dort Predigtdatenbank) an. Diese Gemeinde versucht insbesondere auch kirchenferne Menschen anzusprechen. Wie wird das in den Predigten deutlich? Denken Sie an jemanden aus ihrem Freundeskreis. Würde er oder sie eine solche Predigt eher hören wollen als eine Predigt in Ihrer Heimatgemeinde?

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• Beschreiben Sie die Gemeinde, zu der Sie sich halten. Was schätzen Sie an dieser Gemeinde ganz besonders und welchen Einfluss hat das auf Ihr Predigthören?

Stehenbleiben und verweilen Markus Mühling (Hg.), Kirchen und Konfessionen, Grundwissen Christentum, Bd. 2, Göttingen 2009.

Die Wege dieses Buches: Ein Rückblick

20 Die Wege dieses Buches: Ein Rückblick An dieser Stelle endet die Expedition, auf die ich Sie mit diesem Buch mitgenommen habe. Der Weg führte von grundsätzlichen Überlegungen zum Hören über das Wahrnehmen verschiedener Hörweisen und Hörerwartungen zu ganz praktischen Fragen, wie sich das Predigthören so gestalten lässt, dass es (wieder neu) zu einer Bereicherung wird. Sind Sie nun eine bessere Predigthörerin oder ein besserer Predigthörer geworden? – Das werden am Ende nur Sie selbst entscheiden können. Dabei ging es mir ja nicht darum, Ihr Predigthören zu perfektionieren, sondern Ihnen Lust am Predigthören zu machen, Sie einzuladen auf diese Entdeckungsreise, um Predigten neu wahrzunehmen. Am Ende ist aber das Wesentliche, was in Predigten geschieht, nicht machbar, sondern unverfügbar. Das Augsburger Bekenntnis spricht davon, dass der „Heilige Geist [durch das Evangelium und die Sakramente] wirkt und – wo und wann er will – die Herzen tröstet und Glauben gibt denen, die das Evangelium hören […]“ (Augsburger Konfession, Artikel VII, zitiert nach: Unser Glaube, 49). Erst solches Wirken macht aus dem intellektuellen oder emotionalen Vorgang des Predigthörens auch ein geistliches Geschehen, das aber von den menschlichen Aspekten des Hörens nicht zu trennen ist. Das, was im Predigen und Predigthören geschieht, finde ich noch immer besonders anschaulich in der Geschichte der beiden Jünger dargestellt, die nach Ostern nach Emmaus gehen (Lukas 24,13–35). Diese Geschichte eignet sich für eine solche Deutung nicht nur aus dem Grund, weil in ihr das Wort homilein vorkommt, das der Predigtlehre, der Homiletik, ihren Namen gegeben hat. In dieser Geschichte nehmen wir zunächst einen menschlichen Kommunikationsprozess wahr. Zwei Menschen unterhalten sich über das, was sie und andere mit Jesus von Nazareth erlebt haben. Und unerkannt tritt er, Jesus, zu ihnen. Aus dieser menschlichen Unterhaltung entwickelt sich ein Miteinander in der Gegenwart Jesu Christi. Er selbst kommt zu Wort. Später bricht er das Brot mit ihnen und ist danach nicht mehr zu greifen. Mir scheint, Ähnliches geschieht auch in unseren Gottesdiensten. Auf den ersten Blick reden und hören nur Menschen und tauschen sich über das aus, was sie und andere als Christen erfahren und erlebt haben. Aber inmitten all dessen ist eben auch Jesus Christus gegenwärtig. Er lässt sich hören, er feiert das Mahl mit denen, die zusammengekommen sind. Und doch lässt er sich nicht einfangen, nicht so in die Tasche stecken, dass man ihn bei der nächsten Gelegenheit zu Demonstrationszwecken wieder hervorholen könnte. Durch das Wirken des

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Heiligen Geistes stellt sich immer wieder die Erkenntnis ein, dass im Gottesdienst mehr zu erleben war als das Miteinander einer meist überschaubaren Schar von Menschen. Auch denen, die Predigten hören, mag es immer wieder so gehen, dass sie staunend auf einen Gottesdienst, ja auch auf eine Predigt zurückblicken und sich begeistert-bestätigend fragen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er [Jesus] mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“ (Lukas 24,32). Solche Predigterfahrungen wünsche ich Ihnen auf Ihren weiteren Entdeckungsreisen, dass unter allen menschlichen Worten Jesus Christus selbst das Wort ergreift, angefragter und zweifelnder Glauben gestärkt wird und sich geistgewirkte Freude Bahn bricht – wie damals in Emmaus.

Stehenbleiben und verweilen Die Augsburger Konfession, Artikel V, in: Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde, 6. völlig neu bearb. Aufl., Gütersloh 2013, 49.

21 Abschied: Was ich noch zu sagen hätte Mein Interesse am Predigthören ist über Jahre gewachsen und hat nicht zuletzt mit meinen eigenen Erfahrungen als Prediger zu tun. Echte oder scheinbare Missverständnisse, die sich durch meine Predigten ergeben haben, aber auch das dankbare Staunen darüber, wie einzelne Sätze in einer Predigt gewirkt haben, haben mich neugierig gemacht, sodass ich mich mit diesen Phänomenen beschäftigt habe. Immer wieder habe ich Aspekte davon in meiner Lehrtätigkeit an der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel und der Vikarsausbildung meiner Kirche behandelt. Im Jahr 2015 durfte ich vor der 13. Kirchensynode der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Hermannsburg ein Synodalreferat zum Thema „Vom Hören der Heiligen Schrift“ halten, in dem ich das Thema schon umfangreicher entfaltet habe. Inzwischen liegt dieses Referat im Druck in der Zeitschrift „Lutherische Theologie und Kirche“ (Heft 3/2015) vor. Einzelne Gedanken dieses Buches haben hier erstmals eine vorläufige Gestalt gefunden. In dem genannten Aufsatz finden sich auch weitere Literaturverweise. In diesem Buch habe ich versucht, die Literaturangaben auf ein Mindestmaß zu beschränken. Besonders hingewiesen sei von daher an dieser Stelle auf das Literaturverzeichnis am Ende dieses Buches sowie auf die Literaturangaben, die sich jeweils am Ende der Kapitel finden. Kein Buch kann ohne Impulse von außen entstehen. Jeder eigene Gedanke entsteht durch ein Weiterentwickeln von Gedanken, die andere zuvor gedacht haben. Die Literatur, die ich eingesehen habe und die das Fundament meiner eigenen Überlegungen bildet, ist so dokumentiert. Neuere Zitate habe ich ohne weitere Bemerkung an den Stand der derzeit geltenden Rechtschreibung angepasst, um stilistische Brüche im Text zu vermeiden. Beugungen von zitierten Begriffen (insbes. in Kapitel 3) habe ich nicht extra mit eckigen Klammern kenntlich gemacht. Dieses Buch habe ich als lutherischer Theologe geschrieben, der in Deutschland lebt und überwiegend lutherische Theologinnen und Theologen im Bereich der Praktischen Theologie ausbildet. Das prägt dieses Buch. Als Praktischer Theologe habe ich einen anderen Zugang als ein Systematischer Theologe. Aus römisch-katholischer oder freikirchlich-evangelikaler Perspektive wären sicherlich an dieser oder jener Stelle andere Schwerpunktsetzungen vorgenommen worden. Würde ich in einem anderen Kontext, etwa in den USA oder Afrika, leben und arbeiten, hätte ich wahrscheinlich ebenfalls andere Akzente gesetzt. Dennoch habe ich versucht, insbesondere im Kapitel 19 auch

Abschied: Was ich noch zu sagen hätte

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Perspektiven aus der Ökumene, aus anderen theologischen Richtungen und anderen Kontexten jeweils ansatzweise in den Blick zu nehmen, sodass ich hoffe, dass es auch für Hörende aus anderen Konfessionen und womöglich sogar Weltregionen lesenswert ist und ihnen Anregungen für das eigene Predigthören vermittelt.

22 Meine Begleiter: Ich sage „Danke!“ Als erstes möchte ich denen danken, die als Zuhörende an meiner eigenen Predigttätigkeit beteiligt waren: vor allem denen in den Hochschulgottesdiensten der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel, in meinen Vikariatsgemeinden der SELK in Bad Emstal-Balhorn und NaumburgAltenstädt und schließlich in den Gemeinden, denen ich als Pfarrvikar und Pastor dienen durfte, der evangelisch-lutherischen Zionsgemeinde in Verden (mit ihrem Predigtplatz in Verden-Walle) und der evangelisch-lutherischen Immanuel-Gemeinde in Rotenburg/Wümme. Ohne die vielfältigen, größtenteils liebevollen und konstruktiv-kritischen Rückmeldungen zu meinen Predigten wäre dieses Buch so nie entstanden. Als nächstes danke ich den Predigern, bei denen ich als Kind und Jugendlicher das Predigthören im Sinne eines „learning by doing“ gelernt habe. Dabei ist mir schmerzlich bewusst, dass ich (schon) in dieser Zeit längst nicht immer ein „guter“ Predigthörer war. Mein Dank gilt darüber hinaus denjenigen, die mit mir auf einem Blog zum Thema im Gespräch waren und mir den Eindruck vermittelt haben, dass es sich lohnen könnte, aus meinen Gedanken ein Buch entstehen zu lassen. Viele Einzelpersonen haben das Entstehen dieses Buches begleitet und mit Impulsen oder praktischer Hilfe unterstützt. Namentlich seien an dieser Stelle genannt: Christoph Baumann, Gerlinde Feine, Tina Fricke, Christiane Galle, Almut Höhn, Cord-Henning Lührs, Tilman Stief und Antke Züchner. Vielen Dank für alle Unterstützung! Für Druckkostenzuschüsse, die diese Veröffentlichung in dieser Ausstattung und zu diesem Preis ermöglicht haben, danke ich dem Kreis der Freunde und Förderer der Lutherischen Theologischen Hochschule e. V. und der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Marie-Luise Voigt danke ich für ihre einzigartigen Bilder. Besonders freue ich mich darüber, dass sie ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an diesem Buch auch dann nicht zurückgezogen hat, als ich das Schreiben dieses Buches Jahr um Jahr verschoben habe. Schließlich gilt meine Dankbarkeit meiner Frau Anke, der ich dieses Buch widme. Ohne sie wäre dieses Buch (und vieles andere mehr) nicht denkbar. Mwanza (Tansania) im Sommer 2015 Oberursel im Frühjahr 2016

23 Das Kartenmaterial: Literatur und Internetangaben Jay E. Adams, Be Careful How You Listen. How to Get the Most out of a Sermon, Birmingham, AL 2007 (1991). Helmut Barié, Predigt hören will gelernt sein, Pastoralblätter 149 (2009), Heft Januar, 74–79. Christoph Barnbrock, „Da werden gewislich diese gedancken zu geschlagen sein“. Rezeptionsästhetische Beobachtungen zu einer Lutherpredigt, Lutherische Theologie und Kirche 37 (2013), 115–129. Ders., Vom Hören der Heiligen Schrift, Lutherische Theologie und Kirche 39 (2015), 129–152. Ders., Rezeptionsästhetik. Überlegungen zu ihrer Bedeutung im Rahmen lutherischer Hermeneutik, Lutherische Theologie und Kirche 31 (2007), 105–127. Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003. Ders., Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, 2., durchges., um e. Vorw. erw. Aufl., Darmstadt 1989. Achim Behrens, Verstehen des Glaubens. Eine Einführung in die Fragestellung evangelischer Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 2005. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Hg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, Stuttgart 1999. Karl-Heinrich Bieritz, Liturgik, Berlin/New York 2004. Michael Brothers, Distance in Preaching. Room to Speak, Space to Listen, Grand Rapids, MI 2014. Feste-Burg-Kalender, hg. v. Gert Kelter, Neuendettelsau 2015. Lars Charbonnier/Konrad Merzyn/Peter Meyer (Hg.), Homiletik. Aktuelle Konzepte und ihre Umsetzung, Göttingen 2012. Peter Cornehl, Art. Gottesdienst VIII. Evangelischer Gottesdienst von der Reformation bis zur Gegenwart, TRE 14 (1985), 54–85. Jochen Cornelius-Bundschuh, Die Kirche des Wortes. Zum evangelischen Predigt- und Gemeindeverständnis, Arbeiten zur Pastoraltheologie 39, Göttingen 2001. Karl-Fritz Daiber u. a., Predigen & Hören, Bd. 1-3, München 1980/1983/1991. Alexander Deeg, Pastor legens. Das Rabbinat als Impulsgeber für ein Leitbild evangelischen Pfarramts, Pastoraltheologie 93 (2004), 411–427. Ders./Walter Homolka/Heinz-Günther Schöttler (Hg.), Preaching in Judaism and Christianity. Encounters and Developments from Biblical Times to Modernity, Studia Judaica, Bd. XLI, Berlin/New York 2008. Meinhard Dufner, Kirchen verstehen, Münsterschwarzacher Kleinschriften, Bd. 162, Münsterschwarzach ²2011. Karlheinz Eichhorn, Kleines ABC des Predigthörens, Berlin 1989. Klaus Eickhoff, Die Predigt beurteilen. Gemeinde denkt mit, Wuppertal 1998.

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Christoph Barnbrock Hörbuch

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Das Kartenmaterial: Literatur und Internetangaben

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Christoph Barnbrock Hörbuch

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Das Kartenmaterial: Literatur und Internetangaben

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