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German Pages 247 [249] Year 2019
Homer im kulturellen Gedächtnis Eine intentionale Geschichte archaischer Homerrezeption bis zur Perserkriegszeit
Lars Hübner Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Band 5 Alte Geschichte Franz Steiner Verlag
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Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Herausgegeben von Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christian Brockmann (Klassische Philologie, Gräzistik), Christine Büchner (Katholische Theologie), Christoph Dartmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Stephan Faust (Klassische Archäologie), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchengeschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Riess (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie, Latinistik), Martina Seifert (Klassische Archäologie), Giuseppe Veltri ( Jüdische Philosophie und Religion)
Band 5 Verantwortlicher Herausgeber für diesen Band: Werner Riess
Homer im kulturellen Gedächtnis Eine intentionale Geschichte archaischer Homerrezeption bis zur Perserkriegszeit Lars Hübner
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Ulysse s’attendrit des evenemens [sic!] du siège de Troye que chante l’aveugle Démodocus. Publ. as the Act directs Feb. 1st 1793, Repr. in: The Odyssey Of Homer. Engraved By Thomas Piroli From The Compositions of Iohn Flaxman Sculptor. Rom 1793. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, 4° Ve 6115 (R) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12349-5 (Print) ISBN 978-3-515-12351-8 (E-Book)
Vorwort Die vorliegende Untersuchung behandelt die Frage, welche Zusammenhänge zwischen Homerrezeption und Gemeinschaftsbildungen während der griechischen Archaik bestanden haben. Sie stellt die überarbeitete Version meiner Dissertation dar, die im Wintersemester 2017/18 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg angenommen worden ist. In gewisser Weise handelt es sich bei dieser Arbeit um einen wagemutigen Kompromiss. Wagemutig ist diese Untersuchung, da sie sich zwei großen Problemfeldern zugleich nähert. Zum ersten ist der Homerkomplex zu nennen, der seit Wolfs Prolegomena zu einem kaum zu überblickenden Schauplatz philologischer Grabenkämpfe geworden ist, bei denen selbst Grundsätzliches wie die Homerische Frage nicht abschließend geklärt ist. Zum zweiten befasst sich diese Arbeit mit der griechischen Archaik, von der allenfalls bruchstückhaft gesicherte Kenntnisse bestehen, was wiederum die Geschichtswissenschaft zu allerlei Hypothesenbildung reizt. Die Sachlage ist insofern kompliziert, die philologische wie geschichtswissenschaftliche Forschungsliteratur zum Thema mannigfaltig. Dies führt zum zweiten Kennzeichen dieser Arbeit, nämlich ihrer Kompromisshaftigkeit. Denn wenn diese Untersuchung für einen interessierten Laien noch lesbar sein soll – und das ist ihr absolutes Ziel – dann muss angesichts der komplexen Problemlage und der Unübersichtlichkeit altphilologischer und geschichtswissenschaftlicher Thesen der Mut zur Vereinfachung gefunden werden, und zwar ohne dass es der wissenschaftlichen Qualität schadet. Die Kriterien für eine solchermaßen gewissenhafte Vereinfachung seien hier in aller Kürze vorangestellt: Erstens sollen die Ausführungen so verständlich wie möglich sein. Da diese Arbeit sowohl aus altphilologischer als auch aus geschichtswissenschaftlicher Sicht argumentiert, bedient sie sich zwangsläufig der Register und Fachsprachen aus beiden Forschungsrichtungen. Um weder die Leserin aus der einen noch den Leser aus der anderen Fachrichtung mit allzu spezifischem Vokabular zu irritieren, wird daher mancher Fachbegriff etwas länger, als das vielleicht in einer einseitigen Untersuchung notwendig wäre, eingeführt und erläutert. Die zentralen griechischen Texte, auf die sich diese Untersuchung stützt, sind in die Arbeit integriert, um ein unnötiges Hin- und Herblättern zwischen Textausgaben zu vermeiden. Die Übersetzungen schließlich dienen dem schnelleren Verständnis und sind grundsätzlich in Prosaform verfasst, da
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Vorwort
das griechische Metrum ohne künstliche Verrenkungen im Deutschen schlicht nicht darstellbar ist. Zweitens soll die Argumentation so geradlinig wie möglich sein. Die wissenschaftliche Redlichkeit gebietet es grundsätzlich, die Forschunsgeschichte zum jeweiligen Sachverhalt möglichst vollständig nachzuvollziehen. Bei der Komplexität der hier interessierenden Frage würde dies notwendigerweise die Vereinzelung der Gedankenführung zur Folge haben, was wiederum dem soeben genannten Kriterium des einfachen Verständnisses widerspräche. Forschungswissenschaftliche Kontroversen werden daher so weit wie möglich in die Fußnoten verlagert. Dabei hat sich der Autor bemüht, die Forschungsliteratur bis zum Herbst des Jahres 2018 zu berücksichtigen. Die gesamte Arbeit ist in Fallstudien aufgebaut, die grundsätzlich auch für sich zu lesen sind. Synthesen und Zusammenfassungen werden am Ende jeder Studie gegeben, sodass die zentrale Gedankenführung auch demjenigen, der sich nur auszugsweise informieren möchte, nicht verschlossen bleiben sollte. Drittens soll das, was unsicher ist, klar benannt werden. Dieses Postulat müsste im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch ist während der Beschäftigung mit seinem Problemfeld dem Autor aufgefallen, dass manche Forschungsarbeiten Sachverhalte als absolute Gewissheit darstellen, die bei genauerer Betrachtung allerdings kaum einer eingehenden Kritik standhalten. Dieser Mangel fällt gerade bei den hier interessierenden Untersuchungsgegenständen ins Auge. Die Auseinandersetzungen um Homer beispielsweise nehmen nicht selten quasi-religiöse Züge an. Dass einer Theorie bei der Betrachtung eines Untersuchungsobjekts eine dienende, keinenfalls eine herrschende Funktion zukommt, scheint dabei manchem in Vergessenheit geraten zu sein. Das Vetorecht der Quellen gilt gerade bei strittigen Sachverhalten uneingeschränkt. Aus diesem Grunde sind nicht wenige Passagen dieses Buches im Konjunktiv verfasst. Wo eine Lücke im Quellenbestand herrscht, wird sie als solche benannt, um dann nach Wegen ihres Umgangs zu suchen. Die aufgezeigten Lösungen gelten immer unter der Prämisse, dass sie nicht als unumstößlich anzusehen sind, sondern dass sie am ehesten als plausibel erscheinen. Es liegt nun an anderen zu beurteilen, inwieweit diese drei Vorgaben vom Autor eingelöst worden sind. Meine Tätigkeit am Margaretha-Rothe-Gymnasium in Hamburg zeigt mir jeden Tag, wie sehr Lehrerinnen und Lehrer einen – positiven wie auch negativen – Einfluss auf Biographien haben können. Daher erlaube ich mir, im Rahmen meiner Danksagungen etwas weiter auszuholen. Zuerst bin ich meinem Geschichtslehrer am Bückeburger Adolfinum, Christian Pietsch, äußerst verbunden. Seine ungeheure Präsenz sowie die Lebendigkeit seiner Erzählungen haben in mir das Interesse an Geschichte im Allgemeinen und an der Alten im Besonderen geweckt. Diese Begeisterungsfähigkeit ist mir nach wie vor ein professionelles Vorbild.
Vorwort
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Meinem Freiburger Lehrer Hans-Joachim Gehrke gilt ein besonderer Dank. Er hat mich von meinem ersten Semester bis zum Beginn meiner Promotion an der Albert-Ludwigs-Universität durch so manche Hoch- und Tiefphase meines Lebens begleitet und mein wissenschaftliches Denken nachhaltig geprägt. Ohne seine Hinweise und seine jederzeit stichhaltige Kritik hätte ich diese Arbeit niemals fertigstellen können. Meinem Lehrer Werner Rieß bin ich für die umfassende Betreuung meiner Dissertation an der Universität Hamburg zutiefst dankbar. Seine umfangreichen Korrekturen und Nachfragen haben meinen Text zu einem besseren gemacht. Darüber hinaus danke ich ihm für das Vertrauen, mich als Neu-Hamburger hinsichtlich meines Promotionsvorhabens vorbehaltslos unterstützt zu haben. Schließlich bin ich ihm sehr dafür verbunden, dass er mir als Mitherausgeber der Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne den Weg in diese Reihe geebnet hat. Christian Brockmann hat ohne zu zögern das Zweitgutachten übernommen und die Arbeit in philologischer Hinsicht betreut. Seine Korrekturen und Ratschläge haben mir als gräzistischem Dilettanten einen kaum zu überschätzenden Dienst erwiesen. Anton Bierl hat diese Arbeit zuletzt begutachtet. Seine wertvollen Hinweise in Richtung der Performancetheorie trugen dazu bei, die Arbeit theoretisch zuzuspitzen. Aleida und Jan Assmann durfte ich als Gast in einem Oberseminar an der Universität Konstanz erleben. Auch wenn diese Zeit nur kurz gewesen ist, so hat sie mir entscheidende Anstöße für die theoretische Unterfütterung meiner Fragestellung gegeben. Christian Mann hat mit seinen präzisen Anmerkungen das Pindar-Kapitel zu schärfen helfen vermocht. Nicht zuletzt hat meine Zeit am Freiburger Seminar für Alte Geschichte nachhaltig meine Ideen und Gedanken zu dieser Arbeit bestimmt. Insbesondere der Austausch mit Johannes Bernhardt war in dieser Hinsicht immer fruchtbar. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag hat mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Der ehemaligen Schulleiterin und dem derzeitigen Schulleiter des Margaretha-Rothe-Gymnasiums Hamburg, Margarete Eisele-Becker und Martin Plümpe, danke ich aufrichtig für die Unterstützung und die Freiräume, die sie mir gewährten und nach wie vor gewähren. Dies ist im Rahmen einer behördlichen Institution wahrlich nicht selbstverständlich. Was ich an meiner Mutter Ingrid Hübner am meisten bewundere, ist ihre Neugierde. Vielleicht hat sie diese Eigenschaft an mich weitergegeben und insofern die Grundlage für meine akademische Laufbahn und diese Arbeit geschaffen. Neben dieser Wissbegier verfügt sie über einen weiteren Charakterzug, den ich mir in den vergangenen Wochen und Monaten – zugegebenermaßen etwas egoistisch – zunutze machte, nämlich ihre Gewissenhaftigkeit. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie ich die umfangreichen Textkorrekturen ohne ihre Hilfe hätte bewerkstelligen können. Dafür gebührt ihr ein
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Vorwort
ganz besonderer Dank – und mehr noch für die Hilfestellung, die sie mir in jeder Lebenslage hat zukommen lassen. Weniger bedanken als vielmehr entschuldigen muss ich mich bei Sylvette Marra. Vor der Wiederaufnahme meines Projekts in Hamburg vereinbarten wir, dass ich nicht länger als drei Jahre unseres gemeinsamen Lebens darin investieren würde. Dieser Zeitplan ist grandios gescheitert. Umso höher schätze ich unsere fachlichen Gespräche und die Nachsicht, die Sylvette mir gegenüber hat walten lassen, wenn ich mich mal wieder in meine innere Emigration verabschiedet habe. Ihre jederzeit stringente und manchmal unerbittliche Logik jedenfalls verhalf mir dazu, Widersprüchlichkeiten zu erkennen und meine Argumentation zu schärfen. Nicht in Worte fassen kann ich daher meine Verbundenheit für Sylvettes selbstlose Unterstützung während der Zeit, die dieses Projekt bis zu seiner Fertigstellung in Anspruch genommen hat – und darüber hinaus. Ich widme dieses Buch unserem noch ungeborenen Kind. Möge ihm die Chance zuteilwerden, sich in Frieden und Freiheit zu entfalten. Obernkirchen, im Februar 2019
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Prolegomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung und Leitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliches zu den Quellen archaischer Homerrezeption und ihrem methodischen Umgang. Begründung der Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Grundsätzliches zu den Begriffen Homer, Homerisches sowie zum Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2 3.3
3.4
Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homerisches in Homer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteure, Themen und soziale Funktion homerischer Homerrezeption . . . . . . . Die Demodokos-Episode und das geometrisch-früharchaische Ionien . . . . . . . . Proto-aristokratische Homerrezeption im geometrisch-früharchaischen Ionien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Früharchaik und Homer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Bürgerschaftsorientierte Homerrezeption in der kallineischen Kampfparänese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Aristokratische Homerrezeption bei Mimnermos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die tyrtaiische arete-Elegie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Vergleich der Homerrezeptionen von Kallinos, Mimnermos und Tyrtaios mit einem Seitenblick auf Alkaios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte aristokratischer Homerrezeption während der Früharchaik . . . . . . . . .
11 11 17 20 24 28 31 31 32 45 50 55 58 58 60 64 64 71 76 85 89
10 4 4.1 4.2
4.3
4.4
Inhaltsverzeichnis
Tyrannische und bürgerschaftliche Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Die archaischen Tyrannen und Homer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Kritik der erzählenden Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.2.1 Homerisches als argumentum ex auctoritate: die athenischen Auseinandersetzungen um Sigeion und Salamis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4.2.2 Homerisches im Rahmen öffentlicher Feste: die Panathenäen und die anti-argivische Homerrezeption im kleisthenischen Sikyon . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2.3 Ergebnisse der Quellenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos 124 4.3.1 Die ibykische Ode an Polykrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.3.2 Die stesichoreischen homerischen Narrative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.3.3 Der Apollon-Hymnos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Die Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts im Zerrspiegel der lyrischen und erzählenden Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
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Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
6
6.3 6.4 6.5
Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Perserkriege, Pindar und Homer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die historische Hintergrundfolie: der Ionische Aufstand, die Perserkriege und der Trend zur Isonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die simonideische Plataiai-Elegie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts . . . . . . . . .
7
Schlussbetrachtung: Homer und die polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
6.1 6.2
155 155 156 175 184 197
8 Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.1 Quellen und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.2 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 9 Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.1 Quellenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.2 Sach- und Namensindex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
1 Prolegomena 1.1 Problemstellung und Leitfrage Nach Homer hätten „von Anfang an alle […] gelernt“1. Mit diesen Worten hat Xenophanes von Kolophon heute mehr recht denn je. Die Rezeption von Homerischem2 ist allgegenwärtig, und zwar nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs – es sei an die Korfmann-Kolb-Debatte erinnert3 – sondern auch und vor allem in populären Genres. Wenn Brad Pitt sich als wohldefinierter Achill durch die troischen Schlachtreihen kämpft4, so zieht dies auch heute noch die Massen in ihren Bann. Und wenn man so will, ist die vorliegende Arbeit die Frucht dieser Ubiquität Homers. Homer gehört unbestritten zu denjenigen Dichtern, die besonders bedeutend für den europäischen Wissenschaftsbetrieb sind. Er ist allerdings weitaus mehr: Wenn der österreichische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Raoul Schrott Homers Heimat nach Kilikien versetzen möchte5, so berührt das viele Menschen emotional stärker als Kommentare zu vielen anderen Literaten. Wer den Dichter des Troischen Kriegs nach Asien verlegt, rüttelt an Homer als elementarem Bestandteil des „selbstgesponnene[n] Bedeutungsgewebe[s]“6, das gemeinhin europäische Kultur genannt wird7. Der Fall Schrott zeigt, dass die homerischen Epen auch heute noch Teil dieses Gewe-
1 2 3 4 5 6
7
Herodian von Alexandria, Περὶ διχρόνων II, S. 16, 20 Lentz = Xenophan. DK 21 B 10: ἐξ ἀρχῆς καθ᾽ Ὅμηρον ἐπεὶ μεμαθήκασι πάντες… Zur Definition der Begriffe Homer und Homerisches im Rahmen dieser Studie siehe S. 28–30. Vgl. KORFMANN/MANNSPERGER 1998 und KORFMANN 2001a-d; hiergegen vehement KOLB 2002; zusammenfassend COBET/GEHRKE 2002, 290–294 mit umfassender Literatur; vgl. zu den verschiedenen Aspekten des Streits die differenzierte Sammlung von ULF 2003a. Siehe PETERSEN 2004 Vgl. SCHROTT 2008. Zur Definition von Kultur als ein „vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens“ vgl. nach wie vor grundlegend WEBER 1904, 180; hiernach mit dem zitierten Schlagwort des „webs of significance [man] has spun“ GEERTZ 1973, 5. Ich verwende den m. E. schlagkräftigeren Begriff aus der deutschen Übersetzung von GEERTZ 1983, 9. Vgl. pointiert LATACZ 2008b.
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1 Prolegomena
bes sind. Sie tragen nach wie vor dazu bei, das Selbstverständnis vieler Menschen zu prägen, wenn auch anders als in der Antike8. Insofern gelten sie mit Jan Assmann als „formative Texte“9, da sie gemeinschaftsstiftende Themen bereithalten. Die eingangs erwähnten, eher resignativ zu verstehenden Worte des Mythenkritikers Xenophanes10 suggerieren, dass die homerischen Epen aufgrund ihrer Popularität eine formative Wirkung seit jeher und für alle gehabt hätten. In nuce fasst der Kolophoner in dieser Sentenz die Faszination der Alten von den homerischen Mythen zusammen. Eine kritische Hinterfragung dieser Homerbegeisterung fand im gesamten Altertum de facto nicht oder allenfalls in Ansätzen statt11. Im Gegenteil galt Homer als Verkünder historischer Wahrheit; der Troische Krieg war insofern ein nicht hinterfragter Teil der griechischen12 – und über die Aeneis auch der römischen13 – Geschichte. Doch auch die moderne Forschung hat sich der Frage, wann und warum die homerischen Epen eine fundierende Funktion für das griechische Selbstverständnis erhalten haben, bislang erstaunlich wenig gewidmet. Dies liegt wohl auch daran, dass die Epen – ganz der Vorstellung von Xenophanes gemäß – als die fundamentalen Monumente griechischer Literatur schlechthin gelten, deren ihnen innewohnende Brillanz sie sofort nach ihrem Auftauchen zum maßgeblichen kulturellen Bezugspunkt der Griechen werden ließen. Der Basler Gräzist Joachim Latacz bringt dies auf den Punkt: Homers Wirkung hatte offenbar von Anfang an gerade auf der Freiheit von direkt Zeitbedingtem beruht, also auf zeitunabhängigen Qualitäten. Die Geschichte der Homerrezeption bei den Griechen selbst, den Römern und den Neueren ist ein Beleg für diese zu allen Zeiten evidente Qualität Homers, gerade auch dort, wo versucht wurde, sie zu bestreiten.14
Der amerikanische Philologe Gregory Nagy hingegen sieht die Verbreitung der homerischen Epen weitaus differenzierter. Er kommt zum Schluss, dass nicht nur die Inhalte der Epen aufgrund ihrer sukzessiv fortschreitenden Verschriftlichung ab dem 8 9 10 11
12 13 14
Zum Wandel des Troiadiskurses vgl. GEHRKE 2004, 30–37 und HARDWICK 2004. J. ASSMANN 1992, 142. Vgl. zu diesem Aspekt des xenophaneischen Denkens die nützliche Übersicht bei MANSFELD 1983, 221–225. Neben dem genannten Xenophanes wendet sich Heraklit gegen Homer; siehe MANSFELD 1983, 249. In dieser kritischen philosophischen Tradtion befinden sich auch Kritias VS 88 B 25 und – weitaus differenzierter – der platonische Sokrates; siehe hierzu neuerdings WILKE 1997, 85–91 mit einer systematischen Aufarbeitung der einschlägigen Textstellen. Die griechische Historiographie hat die homerischen Mythen allenfalls ansatzweise kritisch rezipiert, siehe in Bezug auf Hekataios FrGrHist 1 F 26; F 19, sodann Hdt. I 3, 1 oder Thuk. I 9, 3 f. Eratosthenes stellt mit seiner radikalen Kritik an der homerischen Darstellung des Troischen Kriegs die krasse Ausnahme dar; siehe Erat. Geogr. fr. 1 A 20 Berger. Von philologischer Seite wenden sich die sog. Chorizonten in hellenistischer Zeit gegen die Vorstellung, dass Homer sowohl die Ilias als auch die Odyssee verfasst habe; vgl. COHN 1899 mit den einschlägigen Belegen. Paradigmatisch Hdt. I 3 f. und Thuk. I 9–11. Beispielhaft Liv. I 1. Vgl. neuerdings FARRELL 2004 und HARICH-SCHWARZBAUER 2008. LATACZ 1985, 29.
1.1 Problemstellung und Leitfrage
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achten vorchristlichen Jahrhundert variiert und sich verfestigt hätten, sondern dass die Rezeption Homers prinzipiell ein kulturelles Vehikel politischer Machtdemonstration gewesen sei. So habe die Rezeption Homers bei den Panathenäen dazu gedient, die imperiale Stärke Athens nach der Gründung des Attisch-Delischen Seebundes auszudrücken: The Athenian standard for performing Homer at the Panathenaia was an self-expression of the Athenian empire. The Panathenaic Homer was an imperial Homer.15
Hier sind es externe politische Faktoren, die dazu geführt hätten, dass die Epen eine Breitenwirkung entfalten hätten können. Was die Ursachen für die Popularität des Homerischen darstellen, ist demnach in der Forschung umstritten. Von den Quellen her lässt sich nun grundsätzlich zeigen, dass Homerisches wohl nicht von Anfang an und von allen gleichermaßen rezipiert worden ist. Dies wird der folgende knappe Vergleich der homerischen Demodokos-Episode mit der simonideischen Plataiai-Elegie belegen. An exponierter Stelle tritt der Aoide Demodokos im θ der Odyssee auf. Dabei erscheint er als Mittler zwischen dem Protagonisten Odysseus und den Bewohnern der Insel Scheria, den Phaiaken. Im Rahmen des übergeordneten plot der Odyssee geht es bekanntlich darum, dass Odysseus die Möglichkeit gegeben wird, endlich den Heimweg nach Ithaka anzutreten, nachdem dies zuvor immer wieder durch die göttliche Intervention Poseidons vereitelt worden ist16. In diesem Zusammenhang benötigt Odysseus die Hilfe des besagten begnadeten Seefahrervolks17, das Fremden gegenüber als eher reserviert charakterisiert wird18. Die Distanz zwischen den Gastgebern und dem unbekannten Fremden – Odysseus dürfte, nachdem er an den Strand der Phaiakeninsel Scheria gespült worden ist, einen eher verwegenen Eindruck gemacht haben – wird in der Hauptsache mittels des Aoiden Demodokos überbrückt. Seine drei Auftritte vor den phaiakischen basileis sorgen dafür, dass Odysseus bei den Phaiaken als Gastfreund aufgenommen wird (φιλεῖν)19. Insbesondere der letzte Auftritt im Rahmen eines abendlichen Gastmahls (δαίς)20, das abgeschieden in Alkinoos’ megaron stattfindet, ist in diesem Zusammenhang instruktiv. Nach Aufforderung durch Odysseus besingt Demodokos den Fall Troias gemäß der Ereignisabfolge (κατὰ κόσμον), woraufhin Odysseus in Tränen zergeht21. Auf diese Weise erkennt Alkinoos endgültig, mit wem er es zu tun hat22. Hieraufhin wird Odysseus als besonderer Gastfreund der Phaiaken geehrt23,
15 16 17 18 19 20 21 22 23
NAGY 2010, 12. Eine ausführliche Kontextualisierung findet sich auf S. 31 f. und 45 f. Hom. Od. VIII 457 ff. Hom. Od. VII 32 f. Hom. Od. VIII 40–42. Hom. Od. VIII 417–456, Zitat V. 429. Hom. Od. VIII 489–498 und 521 f. Hom. Od. VIII 536–551 und IX 16–20. Hom. Od. XIII 1–15.
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1 Prolegomena
nachdem er bereits zuvor aufgrund ebenbürtiger Leistungen im Rahmen sportlicher Wettkämpfe (ἄεθλα) im Kreise der phaiakischen basileis aufgenommen worden ist24. Das Wissen um den Troischen Krieg hat im Rahmen der Demodokos-Episode eine ähnliche soziale Funktion wie überragende athletische Fähigkeiten. In der Ilias wird dieses besondere, aus Sicht der epischen Gegenwart zeithistorische Genre mit dem Begriff κλέα ἀνδρῶν bezeichnet25. Deren Kenntnis kata kosmon stellt gleichsam die Zugangsberechtigung für Odysseus zum exklusiven sozialen Raum der phaiakischen basileis dar. Auf diese Weise grenzt sich diese Gruppe von den übrigen laoi ab, eine soziale Differenz wird mithin konstruiert. Diese Distinktion26 wird auch räumlich hergestellt. Während die athletischen Wettkämpfe noch unter den neugierigen Blicken des gemeinen Volks (πουλὺς ὅμιλος) vollzogen werden27, findet das abendliche Gastmahl im separierten megaron Alkinoos’, zu dem ebenso wenig Frauen einen Zutritt haben, statt28. Unter Berücksichtigung philologischer und anthropologischer Vorüberlegungen sowie archäologisch-historischer Korrelierungen lassen sich die homerischen Dichtungen wenigstens bedingt historisch auswerten29. Vorzugsweise in deren Hintergrundhandlungen, zu denen auch die phaiakische dais zählt, spiegelt sie die historische Welt des achten vorchristlichen Jahrhunderts wider. Die athletischen, materiellen, aber eben auch kulturellen Distinktionsstrategien, welche die phaiakischen basileis gegenüber den übrigen laoi praktizieren, passen zu einer Aristokratie in statu nascendi , wie sie insbesondere im kleinasiatischen Ionien der spätgeometrisch-früharchaischen Übergangszeit archäologisch nachweisbar ist30. In diesem Kulturraum existierte offenbar ein reger kultureller Austausch ausgerechnet mit den Lydern, welche die spätgeometrisch-früharchaische koine Kleinasiens zunehmend kriegerisch bedrohten31. Dennoch übernahm eine ionische leisure class von den Lydern einen bestimmten, betont ostentativen Lebensstil, zu dem wohl auch auch das Zu-Tische-Liegen während des Symposions gehörte. Materiell ist diese besondere Form der Symposionskultur ab Mitte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts in Kleinasien, dann recht schnell auch in der restlichen griechischen oikumene bezeugt32. In dieser aristokratischen Symposionskultur findet sich der historisch verifizierbare Rahmen für das, was die homerische Demodokos-Episode literarisch abbildet. Die soziale Funktion des Homerischen besteht demnach darin, das Selbstwertgefühl einer sich etablierenden kleinasiatisch-io-
24 25 26 27 28 29 30 31 32
Hom. Od. VIII 100–416, Zitat V. 145. Hom. Il. IX 189. Zu diesem im Rahmen der vorliegenden Arbeit elementaren Begriff vgl. grundlegend BOuRDIEU 1987, 62, 107 f. und 382 f. Hom. Od. VIII 109. Siehe hierzu S. 53 f. Siehe zu diesem komplexen Problem S. 32–45. Siehe hierzu S. 50–55. Siehe hierzu S. 52 f. Siehe hierzu S. 53.
1.1 Problemstellung und Leitfrage
15
nischen Aristokratie herzustellen. Nur wer um die klea andron der Überlieferung gemäß weiß, gehört dazu. Das Homerische wurde demnach von der selbsternannten sozialen Elite der aristoi getragen; sein Ort war das Symposion. Gut 300 Jahre später scheint sich der Befund um die sozialen Träger, die soziale Funktion und den sozialen Ort des Homerischen eklatant geändert zu haben, wie sich anhand der simonideischen Plataiai-Elegie zeigen lässt. Inhaltlich geht es in dieser Dichtung, die Teil einer hellenistischen Simonides-Anthologie gewesen ist, im Großen und Ganzen um zwei Aspekte. Nachdem es zuerst in einem hymnenartigen Prooimion den Tod Achilleus’, den die Danaer mit der Zerstörung Troias gerächt hätten, besungen hat, wechselt das lyrische Ich in einen längeren narrativen Teil33. Dort wird entgegen der hymnischen Tradition nicht ein Mythos rezitiert, sondern das lyrische Ich kündet selbstbewusst von dem offenbar unmittelbar selbst erfahrenen, als wundersam empfundenen Sieg des Hellenenbundes gegen die persische Übermacht. Es sind gerade diese Abweichungen von der homerischen Tradition, die das Selbstbewusstsein, welches das lyrische Ich angesichts offenbar selbst erlebter, bewegter Zeiten empfindet, markiert. Diese Modifikationen betreffen nicht nur die besagte formale Uminterpretation der Homerischen Hymnen. So lässt sich inhaltlich bis ins Detail nachweisen, wie das lyrische Ich zwischen der Tötung Achills, der als Racheakt inszenierten Zerstörung Troias durch die Danaer und dem als wundersam empfundenen Sieg des Hellenenbunds gegen die Perser einen werkimmanent begründeten Sinnzusammenhang spinnt: Was die heldenhaften Danaer in längst vergangenen Zeiten geschaffen hatten, egalisierten, wenn nicht übertrafen die Plataiomachoi. Insofern bilden die Tötung Achills, die Zerstörung Troias und der Sieg bei Plataiai nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine geschichtsteleologische Klimax: Auf den Triumph des Hellenbundes unter spartanischer Führung gegen die Perser läuft alles hinaus. Es ist vor diesem Hintergrunde sinnfällig, dass auch in der Plataiai-Elegie unsterblicher Ruhm (κλέος ἀθάνατον) das verbindende Element zwischen der als historisch empfundenen mythischen und der rezenten Vergangenheit darstellt. Folgerichtig gibt sich das simonideische lyrische Ich nicht mehr, wie in der homerischen Tradition üblich, als Sprachrohr einer höheren göttlichen Wahrheit, sondern selbstbewusst als Berichterstatter, der unmittelbar erfahrene Zeitgeschichte verkündet. Vergleicht man nun die beiden troischen Erinnerungsdiskurse, also die homerische Demodokos-Episode mit der simonideischen Plataiai-Elegie, so fällt viererlei auf. Erstens ähnelt sich der Mechanismus der Vergangenheitsbezüge. Zwischen erinnernder Gegenwart und erinnerter Vergangenheit besteht keine rational begründete Distanz, wie man sie im Sinne einer modernen Altertumswissenschaft erwarten würde. Ganz im Gegenteil erscheint in beiden Fällen die troische Vergangenheit als Referenzfolie der jeweiligen Gegenwart. Diese Verklammerung von erinnerter Vergangenheit und
33
Siehe hierzu ausführlich S. 178 f.
16
1 Prolegomena
erinnernder Gegenwart umfasst das, was Hans-Joachim Gehrke als „intentionale Geschichte“ bezeichnet; ich komme auf dieses Konzept im Rahmen der methodischen Vorüberlegungen zurück34. Zweitens bestehen jedoch zwischen beiden Rekursen Unterschiede hinsichtlich ihrer sozialen Träger und sozialen Orte. Während sich Demodokos als Aoide an einen exklusiven, kleinen Kreis, dem er vom Troischen Krieg kata kosmon berichtet, wendet, so ist das Anliegen des simonideischen lyrischen Ichs ein anderes. Indem es das κλέος von Plataiomachoi und Danaer gleichsetzt, zielt es auf ein breiteres Publikum ab. Demodokos’ Homerrekurs verbindet die phaiakischen basileis mit Odysseus, gleichzeitig manifestiert er die soziale Distinktion zwischen aristoi und laoi. Sein Ort war demnach das Symposion. Der Homerrekurs in der Plataiai-Elegie hingegen setzt das kleos von Troiakämpfern und Plataiomachoi jenseits aller sozialen Schranken gleich. In diesem Sinne wendet sich die simonideische Homerrezeption in Richtung des gesamten demos. Folgerichtig war der soziale Ort des Homerischen bei Simonides ein öffentlicher. Drittens hat sich mit dem Publikum und dem Ort auch die Funktion des Troiarekurses gewandelt. Galten die homerischen klea andron bei Demodokos noch als Normative aristokratischen Handelns, so dienen sie nun bei Simonides der Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung wenn nicht aller Griechen, so doch derer, die bei Plataiai dabei gewesen sind. Auf diese Weise wird das vormals aristokratische κλέος-Ideal popularisiert. Mit dem Troiabezug findet sich gleichsam der Platz in der Geschichte – sowohl chronologisch als auch qualitativ: Man ist wieder wer. Spätestens mit den Perserkriegen ist Homerisches daher mit Jan Assmanns Definition formativ35, also sinnstiftend für alle Griechen geworden. Den homerischen Epen wohnte demnach keineswegs – wie Xenophanes suggeriert und wie Latacz postuliert – eine überzeitliche Qualität inne. Ihr Erfolg war, so die hier vertretene Hypothese, von externen sozialen wie politischen Faktoren abhängig. Es stellt sich demnach die Leitfrage dieser Arbeit, wann und warum das Homerische im wahrsten Wortsinne populär, eben formativ geworden ist. Eng damit verbunden sind die Folgefragen nach den sozialen Trägern, dem sozialen Ort sowie der sozialen Funktion des Homerischen. Insofern positioniert sich diese Arbeit im Spannungsfeld zwischen Altphilologie und Geschichtswissenschaft. Ihr Schwerpunkt liegt aufgrund des besagten soziopolitischen Schwerpunkts auf letzterer.
34 35
Vgl. GEHRKE 1994; siehe unten S. 20–23. Vgl. J. ASSMANN 1992, 142.
1.2 Forschungsüberblick
17
1.2 Forschungsüberblick Die Geschichtswissenschaft nun ist eine Antwort auf die Frage, wann und warum Homerisches eine breite, gemeinschaftsstiftende Wirkung entfalten konnte, bisher schuldig geblieben. Nachdem die Assmanns das Konzept kultureller und formativer Erinnerungstechniken in der wissenschaftlichen Diskussion in Anlehnung an den französischen Soziologen Maurice Halbwachs reetabliert und differenziert haben36, rückte dieses schwierige Problemfeld mit eher diskursiven Arbeiten von Jan Assmann selbst, Hans-Joachim Gehrke und Barbara Patzek kurz in den Blickpunkt37. Alle drei Autoren betonen, dass die „Einverseelung des Homertextes“38 einen maßgeblichen Beitrag zur hellenischen Ethnogenese trotz aller innergriechischen Auseinandersetzungen der archaisch-klassischen Zeit geleistet habe. Dabei unterstreicht insbesondere Gehrke die Interdependenz, die zwischen dem „Subjekt und dem Objekt der Erinnerung“ herrsche39. In diesem Sinne habe der Bezug auf das kleos der homerischen Helden einer sich konstituierenden früharchaischen Aristokratie dazu gedient, die exzeptionelle soziale Stellung letzterer zu begründen40. Augenscheinlicher noch werde die gemeinschaftsstiftende Funktion homerischer Erinnerungspflege nach dem Sieg des Hellenenbunds gegen die Perser. So habe der Bezug auf den als historisch und panhellenisch erachteten Sieg der Danaer vor Troia die besondere Qualität des Sieges bei Plataiai erst veranschaulichen können. Die Erinnerung der homerischen Vergangenheit habe insofern die Heroizität der sie erinnernden Gegenwart geschaffen41. Welche Funktionen der Bezug auf Homerisches während der sozialen Umbruchszeit der griechischen Archaik generell gehabt hat, wie einzelne soziale Rezeptionsmuster aufeinander Bezug oder voneinander Abstand genommen haben, all das wird in diesen Aufsätzen nicht richtig deutlich. An diesen Stellen wird diese Arbeit ansetzen. Vielleicht hängt die Zurückhaltung, welche die Geschichtswissenschaft hinsichtlich der Erforschung der sozialen Implikationen archaischer Homerrekurse geübt hat, auch mit der Tatsache zusammen, dass von altphilologischer Seite her bis vor Kurzem nur Untersuchungen zu Teilaspekten der griechischen Homerrezeption vorgelegen haben42. Zuletzt jedoch hat Gregory Nagy mit seinen beiden opera magna Homer the Clas36 37 38 39 40 41 42
Grundlegend J. ASSMANN 1988; hiernach ders. 1992 und A. ASSMANN 1999; beide nach HALBWACHS 1925; zu letzterem besonders J. ASSMANN 2005. Vgl. J. ASSMANN 1992, 272–280; daraufhin anlässlich der Korfmann-Kolb-Debatte COBET/GEHRKE 2002, 311–318; ebenso GEHRKE 2003, 2004 und 2006; ähnlich PATZEK 2006. J. ASSMANN 1992, 276. GEHRKE 2003, 64 nach J. ASSMANN 1992, 39 f. Vgl. GEHRKE 2003, 74–76. Vgl. COBET/GEHRKE 2002, 313; GEHRKE 2003, 77 f.; ders. 2004, 26 f. und 2006, 214–216; PATZEK 2006, 69 f. Vgl. STANFORD 1968; HOMEYER 1977; CLARKE 1981; LAMBERTON/KEANEY 1992; PALLANTZA 2005 sowie die Aufsatzsammlung von ZANETTO 2004a. Neuerdings liegen mit HUNTER 2004 und BIERL 2008 übergreifende, allerdings recht kursorische Untersuchungen zur Homerrezeption vor.
18
1 Prolegomena
sic sowie Homer the Preclassic43 diese Lücke zu schließen versucht. Für die vorliegende Arbeit ist insbesondere das letztere Werk von Relevanz. Dessen theoretische Grundlage ist die an anderer Stelle vom Autoren entwickelte These, dass die homerischen Epen erst in hellenistischer Zeit in ihrer endgültigen Form schriftlich fixiert worden seien44. Zuvor seien die Dichtungen vornehmlich oral überliefert worden; eine inhaltliche Festigkeit hätten sie durch stetige recomposition in performance erst entwickelt. Dabei hätten die Rhapsoden-Wettkämpfe im Rahmen der Panathenäen45 eine herausragende Rolle eingenommen. Die Rezitation von Homerischem in diesem besonderen öffentlichen Rahmen versinnbildliche nämlich die imperiale Stärke Athens, die es als Hegemon des Attischen Seebunds über die ionischen Städte gehabt habe46. Die enge Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Rezeption von Homerischem bildet nun den roten Faden in der komplexen Argumentation Nagys. Diese Verknüpfung werde bereits prototypisch in der homerischen Demodokos-Episode deutlich. Dort hätten sich der besagte Sänger und Odysseus einen lang andauernden poetischen agon im Rahmen eines Festes geliefert47. In historischer Zeit jedoch finde die athenische Hegomonialpolitik klassischer Zeit in einem panionisch orientierten Vormachtstreben der Peisistratiden während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ihren Vorläufer. Dabei habe Homerisches eine entscheidende Rolle gespielt, und zwar in zweierlei Weise. Zuerst sei eine Tradition öffentlicher Rhapsodenwettkämpfe, wie sie im kleinasiatisch-ionischen und äolischen Raum bis in früharchaische Zeit hineingereicht habe, übernommen worden48. So stünden die Panathenäen am Ende einer Kette, die von den Delia des samischen Tyrannen Polykrates über die von Milet maßgeblich bestimmten Panionia bis schließlich zu den mytilenischen Kallisteia reiche. Die Homerrezitation im Rahmen der Delia habe der Zurschaustellung der thalassokratischen Stärke Polykrates’ im ionischen Raum gedient49, mithilfe der Homerrezeption während der Panionia habe Milet seine Vormacht innerhalb der ionischen Dodekapolis demonstriert50, die Darbietung von Homerischem während der Kallisteia habe die Vormachtstellung Mytilenes innerhalb der äolischen koine untermauert51. Mit dem Vormarsch der Perser sei durch die erzwungene Verschiebung politischer Machtzentren folgerichtig auch die Homer43 44 45 46 47 48 49 50 51
NAGY 2009 und 2010. Vgl. NAGY 1995, 1996 und 1998. Siehe zum „evolutionary model“ Nagys zusammenfassend BIERL 2015b 186–191 mit weiterer Literatur. Hier wie im Folgenden sind mit diesem Begriff die Großen, vierjährig stattfindenden Panathenäen gemeint; vgl. DEUBNER 1959, 22–35. Vgl. NAGY 2010, 10–12. Vgl. a. a. O., 79–93. Vgl. a. a. O., 12–19. Vgl. NAGY 2010, 19–28 und 218–228 mit maßgeblichem Bezug auf BURKERT 1979, 60; WEST 1999, 382 und ALONI 1986, 46–63 und 122 f. Dort sei auch die wesentliche inhaltliche Struktur der insgesamt 48 Gesänge von Ilias und Odyssee geprägt worden; vgl. NAGY 2010, 224 f. und 228–232 nach FRAME 2009, 551–585. Vgl. NAGY 2010, 234–250.
1.2 Forschungsüberblick
19
rezeption im öffentlichen Rahmen in Richtung Athen gewandert52. Die Übernahme dieser homerischen Rezitationspraxis betrifft laut Nagy nun den ersten Teil peisistratidischer Hegemonialpolitik. Als zweiten Bereich erachtet er die athenische Eroberung von Sigeion, einer mytilenisch-äolisch geprägten, in der Troas gelegenen polis, die in vielfacher Weise als homerischer Erinnerungsort aufgeladen gewesen sei53. Letzteres betrifft in erster Linie das Grab Achills, dessen uneindeutige topographische Verortung in den späten erzählenden Quellen Nagy als Beleg widerstrebender äolischer und athenischer Machtansprüche erachtet54. In ähnlicher Weise interpretiert er die unterschiedlichen Identifikationen des homerischen Troia mit verschiedenen historischen Orten in der Troas, wie sie in den späten erzählenden Quellen vorkommen. So spiegelten diese unterschiedlichen Verortungen konkurrierende äolische, milesisch-panionische und schließlich athenisch-panionische Vereinnahmungen Troias während der wechselvollen früharchaischen Geschichte der Troas wider55. Sämtliche dieser drei Phasen der Homerrezeption ließen sich sowohl an aitiologischen Einfärbungen der Homerviten als auch der überlieferten Epen selbst nachweisen56. Die Argumentation Nagys besticht durch ihre detailreiche Fülle. Der Autor vermag es, weit verstreute Quellen zur Homerrezeption miteinander zu verknüpfen, sodass seine Kernthese, „that poetry was a currency used by federations of cities as a self-expression of their federalism“57, als tragfähig erscheint. Am Ende habe sich demnach Athen in dieser Tradition zuerst als panionischer, dann als panhellenischer Hegemon inszenieren können58. Trotz oder gerade wegen dieser argumentativen Opulenz lässt sich zweierlei bemängeln. Das betrifft zuerst Methodisches. An keiner Stelle unterzieht der Autor seine Quellen einer eingehenden Kritik. So wird in der vorliegenden Arbeit das vierte Kapitel zeigen, dass die Aussagen Herodots und anderer, noch späterer Autoren zur tyrannischen Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts mit Vorsicht zu genießen sind. In diesen Werken wird cum grano salis ein anderes Bild in Bezug auf die sozialen Träger, die sozialen Funktionen und insbesondere die sozialen Orte des Homerischen gezeichnet, als man dies alles aus den lyrischen Quellen der archaischen Dichter herausdestillieren kann59. Mit diesem Quellenbereich ist der zweite Kritikpunkt hinsichtlich der Überlegungen Nagys benannt, wird doch dieses Korpus von ihm überhaupt nicht berücksichtigt. Wenn man so will, mangelt es Nagys
52 53 54 55 56 57 58 59
Eine Ausnahme bildeten Nagy gemäß die Ephesia, die den kleinasiatischen Festlandioniern während der persischen Okkupation weiterhin als Versammlungsort gedient hätten; vgl. NAGY 2010, 218–228. Vgl. a. a. O., 143–177. Strab. XIII 1, 31 f. C 595 und XIII 1, 39 C 600; vgl. NAGY 2010, 177–189. Vgl. NAGY 2010, 189–211. Vgl. a. a. O., 133–146, 205 f., 241–250, 314–325. A. a. O., 252. Vgl. a. a. O., 253. Siehe zusammenfassend S. 146–150.
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1 Prolegomena
Argumentation an einem Korrektiv. Gerade die lyrischen Quellen bieten nämlich die Möglichkeit, gleichsam aus erster Hand die soziale Funktion des Homerischen und auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Homerrezeptionen zu erörtern. An dieser Leerstelle innerhalb der besagten Monographie wird diese Arbeit ansetzen. Dabei wird sich zeigen, dass Nagys ausschließlich imperiale Interpretation der Homerrezeption wohl zu eindimensional ist. 1.3 Methodisches Methodisch fährt diese Arbeit im poststrukturalistischen Fahrwasser des linguistic turn60. Dies verrät allein schon die Leitfrage, wann und warum Homerisches, genauer: homerisch geprägte Texte ein griechisches Gemeinschaftsgefühl definiert haben. Es geht demnach im Folgenden um den Zusammenhang von Literatur61 und Gesellschaft. Es war Anton Bierl, der sich in der deutschsprachigen altphilologischen Forschung um diesen Komplex im Rahmen seiner lingustisch und ethnologisch begründeten Performanceforschung verdient gemacht hat62. Zentral in diesem Zusammenhang ist die These, dass archaische Lyrik im Allgemeinen sowie der Chor in der Alten Komödie im Besonderen sich in einem doppelten Referenzrahmen befänden. Zum einen stünden sie in einer diachronen Traditionslinie, die in einer Rezeption überkommener inhaltlicher oder formaler Muster des Mythos bestehe63. Zum anderen nähmen sie einen synchronen Bezug auf ein „äußere[s], lebensweltliche[s] Kommunikationssystem“64. Im Falle der Alten Komödie sei das die polis gewesen65. Soziopolitische Wertvorstellungen hätten diesem Ansatz gemäß einen unmittelbaren Einfluss auf das literarische Werk, mehr noch: Erst in der Performance erfahre der literarische Text seine Vollendung. In diesem Zusammenhang sei die Beteiligung der Zuhörer oder Zuschauer von eminenter Bedeutung: „Die Herstellung des künstlerischen Akts fällt mit der Reaktion auf diesen zusammen […].“66 Kontext und Text würden sich gegenseitig bedingen;
60
61 62 63 64 65 66
Die zentralen Etappen dieser auf der Sprachtheorie de Saussures basierenden kulturwissenschaftlichen Denkrichtung zeichnet präzise BACHMANN-MEDICK 2014, 33–43 nach. Zum Poststrukturalismus vgl. DANIEL 2002, 120–124. Für die Geschichtswissenschaft ist nach wie vor TOEWS 1987 grundlegend. Die dort fassbare Auffassung, „that we have no access, not even potentially, to an unmediated world of objective things and processes“ (S. 901 f.), hat bekanntlich zu einer tiefgreifenden Verunsicherung der Historiographie in Abgrenzung zu literarisch-fiktionalen Genres geführt; vgl. bereits zuvor H. WHITE 1973, 1–41 und später mit erheblicher Wirkung innerhalb der Geschichtswissenschaften ders. 1986, 101–122; schließlich ders. 1987, 57–106. Zum hier vertretenen Literaturbegriff siehe im Folgenden S. 21. Vgl. grundlegend BIERL 2001, 11–63. BIERL 2001, 16 f. mit Bezug auf Aristot. Poet. 1450af. A. a. O., 18. Vgl. a. a. O., 11 f. A. a. O., 16.
1.3 Methodisches
21
ersterer habe eine unmittelbare Wirkung auf die textliche Gestaltung. Die inhaltliche Fixierung eines literarischen Werkes im Rahmen seiner Performance könne allerdings nur von begrenzter Dauer sein. Werde ein literarisches Werk im Rahmen einer Reperformance erneut dargebracht, könnten dessen inhaltlichen Schwerpunkte angesichts eines neuen Publikums neu definiert werden67. Bierls Literaturbegriff ist demnach nicht nur ein streng paradigmatischer, sondern auch ein fluider. Literatur passe sich demnach ihrem Kontext an; sie spiegele immer – mal mehr, mal weniger – ihren „Sitz im Leben“68. Diese Tendenz werde durch die Ritualisierung der Performances, worunter Bierl die Einbettung in einen festen zeremoniellen Rahmen wie das Symposion oder das Fest versteht, noch verstärkt69. Bierls Überlegungen sind so neu nicht; sie fußen zu einem nicht geringen Teil auf der wohlbegründeten, oralistisch orientierten Forschung zur archaischen Lyrik70. Im Anschluss an diese Denkrichtung steht letzlich auch die vorliegende Arbeit, die archaische Lyrik grundsätzlich pragmatisch interpretiert. Literatur wird daher in diesem Sinne hier wie im Folgenden streng situationsbezogen verstanden71; ihre Erschließung ist mitnichten nur auf die Analyse des geschriebenen und auch überlieferten Wortes beschränkt. Ein Fokus wird im Folgenden auf den Wechselwirkungen zwischen Texten und ihren Kontexten liegen: Welche Rückschlüsse lassen sich von der Komposition eines literarischen Kunstwerks auf das sie hervorbringende – oder besser: fordernde – soziopolitische Umfeld ziehen? Gleichwohl geht diese Arbeit in dem performanceorientierten Ansatz, der das synchrone Verhältnis von Literatur zu ihrem sozialen Umfeld betrachtet, nicht vollständig auf72. Denn ihr Schwerpunkt zielt gemäß der oben formulierten Leitfrage darauf ab, welchen Beitrag Homerrezeption zur Sinnstiftung von Gruppen gehabt habe. In diesem Zusammenhang erhält die diachrone Bezugnahme archaischer Lyrik auf tatsächlich oder vermeintlich Vergangenes eine besondere Relevanz. Es war Hans-Joachim Gehrke, der, in Anlehnung an das „kulturelle Gedächtnis“ der Assmanns73, zuletzt das Verhältnis von Vergangenheit und Gemeinschaftsbildung näher betrachtet und in sein Konzept der „intentionalen Geschichte“ gegossen hat74. Zentral ist dabei die Auffassung, dass das „Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart […] immer eine wech67 68 69 70 71 72 73 74
Vgl. BIERL 2001, 26f. A. a. O. 13. Vgl. a. a. O., 24 f. Siehe insbesondere RÖSLER 1980, GENTILI 1984 und ders. 1990. Vgl. BIERL 1991, 13, Anm. 5 und 22 f. Vgl. BAGORDO 2011, 127 f. Mit dieser Schwerpunktsetzung wird in Bezug auf die archaische Lyrik demnächst die Hamburger Dissertation von A. v. d. DECKEN, die sich insbesondere mit Sprechakten auseinandersetzt, vorliegen. Vgl. J. ASSMANN 1992 und A. ASSMANN 1999. Dieses Konzept entwickelt der Autor seinem Kern nach in zwei Aufsätzen; vgl. GEHRKE 1994 und ders. 2000; hiernach in verschiedenen Variationen und befeuert von der Korfmann-Kolb-Debatte GEHRKE 2001; 2003; 2004; zuletzt ders. 2014.
22
1 Prolegomena
selseitige Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Erinnerung“ ausmache75. In dieser Interdependenz zeigt sich ein diskursives, genuin poststrukturalistisches Geschichtsverständnis76. Vergangenheit existiere demnach „nicht als unabhängige Größe, sondern nur in bezug auf die [sie] erinnernde Gemeinschaft“77. Insofern könne Geschichte einen Beitrag zur Konstituierung eines kulturellen Wir-Gefühls im Assmann’schen Sinne78 unabhängig davon, ob sie nun unter modernen wissenschaftlichen Gesichtspunkten valide ist oder nicht, leisten. Diese pragmatische Form von Erinnerung kennzeichnet Gehrke mit Rekurs auf den Völkerkundler Wilhelm Mühlmann als „intentionale Geschichte“. Letztere bezeichne das, „was in einer Gruppe von der Vergangenheit gewußt, wie über sie geurteilt, was mit ihr gemeint ist“ 79. Gehrkes Konzept hat in der kulturwissenschaftlich orientierten Forschung auch über die geschichtswissenschaftliche Disziplin hinweg viel Resonanz gefunden80. Gleichwohl wurde auch Kritik geäußert. Diese betrifft insbesondere eine gewisse definitorische Unschärfe grundlegender Begriffe wie „Mythos“ und „Geschichte“ oder, wie Gehrke auch sagt, „wirklicher Geschichte“81, innerhalb derer sich das Konzept der
75 76 77 78
79
80
81
GEHRKE 2003, 64. Vgl. ähnlich TOEWS 1987, 901 f. und analog in Bezug auf den Kulturbegriff GEERTZ 1983, 20 f. Zu diskursiven Modellen in der Geschichtswissenschaft vgl. HUNT 1990. GEHRKE 2003, 63. Das Zitat folgt der originalen Orthographie. Vgl. GEHRKE 1994, 245 und J. ASSMANN 1992, 130–133. Hier und im Folgenden bezeichnet der Begriff Wir-Gefühl das soziale Selbstbild von Gruppen, zu dem Sprache, Vorstellungswelten, Werte und Normen, aber eben auch eine als gemeinsam erachtete Vergangenheit gehören können. Die Verwendung dieses statt des Begriffs kollektive Identität, den Gehrke und Assmann vorzugsweise benutzen, erfolgt im Rahmen der vorliegenden Arbeit mit Bedacht. Bereits NIETHAMMER 2000, 28–56 und 625 f. hat auf die semantischen Unschärfen des Identitätsbegriffs hingewiesen. Nicht selten leisteten demnach gerade diese begrifflichen Unbestimmtheiten essentialistischen Argumentationen Vorschub. Diese Warnungen haben in der aktuellen politischen Diskussion, in der eine selbsternannte Identitäre Bewegung, aber auch ihre Geschwister im Geiste in bundesdeutschen und anderen europäischen Parlamenten diesen Begriff für sich zu vereinnahmen versuchen, eine neue Aktualität erhalten; vgl. hierzu JULLIEN 2017, insbes. 45–52. Die hier vertretene Position beruht demgegenüber ganz dezidiert auf der Erkenntnis, dass jegliches Gemeinschaftsgefühl auf der Imagination von angeblich Gemeinsamem beruhe; vgl. nach wie vor grundlegend ANDERSON 1983 und HOBSBAWM 1983; zuvor bereits WEBER 1922, 527–530. Vgl. GEHRKE 1994, 246 f. mit einem über WENSKUS 1961, 1–3 vermittelten Bezug auf MÜHLMANN 1938, 109. Das Zitat folgt der originalen Orthographie. Gehrke hat, wohl weil der Mühlmann’sche Begriff der Intentionalität nicht-rassisch konzipiert ist, erst spät auf die Wissenschaftsbiographie Mühlmanns während des Nationalsozialismus verwiesen; vgl. GEHRKE 2014, 5. Jener Autor hat seine „Methodik“ „am Tage der Rückkehr Österreichs ins Reich“ (S. IV) herausgegeben, von seinen im besten Falle befremdlichen Überlegungen an anderer Stelle zu einer sog. „Volkwerdung“ ganz zu schweigen; vgl. MÜHLMANN 1944; hierzu MENDE 2011, 535–537. Das betrifft insbesondere den Freiburger Sonderforschungsbereich „Identitäten und Alteritäten (1997–2003); vgl. dazu im Rahmen dieser Arbeit FLUDERNIK/GEHRKE 1999 und dies. 2004. Darüber hinaus ist die nützliche Aufsatzsammlung von FOXHALL et al. 2010 als Frucht einer Freiburger Fachtagung zum Thema zu nennen. GEHRKE 1994, 251 und 253.
1.3 Methodisches
23
intentionalen Geschichte demnach nur uneindeutig verorten lasse82. Diese Schwäche scheint Gehrke selbst erfasst zu haben. Jedenfalls unterscheidet er später weniger unterschiedliche historische Gattungen, sondern noch stärker die Rezeptionsmodi von Vergangenheit. So differenziert er zwischen „Geschichte als Gegenstand von Erinnerung und als Gegenstand von Erforschung“.83 Beide Formen von Vergangenheitsbezügen existierten lediglich „idealtypisch […], während sie doch in der Wirklichkeit durchaus vielfältig miteinander verquickt“ seien84. Intentionale Geschichte betreffe demnach die „soziokulturelle Funktion des Umgangs mit Vergangenheit“, die – ganz im Sinne von Maurice Halbwachs’ mémoire collective – einen Beitrag zur Gemeinschaftsbildung von Gruppen leiste85. In Bezug auf die Antike jedenfalls sieht Gehrke hinsichtlich jeglichen Umgangs mit Geschichte trotz kritisch-akribischer Tendenzen ab Hekataios ein hohes Maß an Intentionalität86. Auf der anderen Seite sei die moderne Geschichtsschreibung, selbst wenn sie sich wissenschaftlichen Kriterien verschreibe, nicht frei von intentionalen Färbungen87. Wenn es nun richtig ist, dass zwischen Erinnerung und Bildung von Wir-Gefühlen ein Kausalzusammenhang besteht, so muss gemäß Gehrke nach den sozialen Modi dieser intentionalen Form von Erinnerung gefragt werden88. Denn eine Vergangenheit, deren Rezeption ein Wir-Gefühl, mithin Beständigkeit konstruiert, muss über Generationen hinweg gepflegt und zelebriert werden – im Fest, im Kult oder in anderen institutionalisierten Veranstaltungskontexten89. Erst auf diese Weise wird sie dem alltäglichen Zugriff enthoben oder – in den Worten Berger/Luckmanns nach Marx – verdinglicht90. Bezogen auf den hier interessierenden zeitlichen und geographischen Raum bedeutet dies, dass die Homerrezeption bei archaischen Symposien oder Festen in den Blick genommen wird. Daher erfordert die besagte Leitfrage eine Spezifizierung: Wer erinnert Homerisches? Wo wird erinnert? Und zu welchem Zweck wird erinnert? Die folgenden Fallstudien werden versuchen, auf diese Fragen Antworten zu finden. Dabei wird zuerst die Performance eines literarischen Werks innerhalb eines sozialen Kontextes zu rekonstruieren versucht, um daraufhin die intentionale Funktion des Homerischen zu eruieren.
82 83 84 85 86 87 88 89 90
Vgl. KÜHR 2006, 28–30. GEHRKE 2003, 64. GEHRKE 2014, 3. A. a. O., 4. Der Bezug zu HALBWACHS 1950 findet sich bei GEHRKE 2003, 63 f. Vgl. GEHRKE 1994, 248–257. Der hier gewählte Begriff der akribeia folgt Thuk. I 22, 3. Vgl. GEHRKE 1994, 257–264. Vgl. ders. 2003, 65–70. Vgl. zu diesem Prinzip von „ritueller Kohärenz“ J. ASSMANN 1992, 17 f. Vgl. BERGER/LUCKMANN 1969, 94–98; der Bezug zu Marx findet sich auf S. 94, Anm. 59.
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1 Prolegomena
1.4 Grundsätzliches zu den Quellen archaischer Homerrezeption und ihrem methodischen Umgang. Begründung der Quellenauswahl Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit stellt die gemeinhin Archaik genannte Epoche, die neuerdings von der frühen Eisenzeit bis zum Ende der Perserkriege datiert wird91, dar. Zwei Quellenbereiche werden für das Folgende von Relevanz sein. Zum ersten Komplex zählen die homerischen Epen, auch wenn deren Kategorisierung als historische Quelle in Bezug auf einen bestimmten chronologischen wie geographischen Raum durchaus voraussetzungsreich ist92, sowie die Dichtungen archaischer Lyriker. Den zweiten Bereich umfassen die späteren erzählenden Quellen ab Herodot. Die homerischen Epen sowie die archaischen Dichtungen bilden die maßgebliche Erkenntnisgrundlage in Bezug auf die Homerrezeption während des achten und siebten vorchristlichen Jahrhunderts. Dieser Quellenkomplex ist insofern bemerkenswert, als er unmittelbar auf die Modi archaischer Homerrezeption schließen lässt, er demnach im Droysen’schen Sinne als Überrest einzuordnen ist93. Aus diesem Grunde bildet er die maßgebliche Argumentationsbasis dieser Arbeit; neben diesen Texten werden materielle Quellen wie archäologische Zeugnisse als Korrektiv herangezogen. Hinsichtlich des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts finden sich allerdings mit Ibykos, 91
92 93
Die Datierung von GROTE 1851, I vii–xii setzt den Beginn der Archaik mit einer Unterscheidung zwischen den dort „Legendary“ und „Historical Greece“ genannten Zeiträumen mit der ersten Olympiade im Jahre 776 v. Chr. an; vgl. in dieser Folge mit Betonung einer von der hellenischen Geschichte grundsätzlich separierten mykenischen Epoche BUSOLT 1893; weiterhin BELOCH 1913, 1–9 und mit besonders nachhaltiger Wirkmächtigkeit HEUSS 1946, insb. 27 sowie ders. 1982; schließlich SNODGRASS 1980, 15–48. Neuere Erkenntnisse hinsichtlich der sog. dark ages nach dem Kollaps der mykenischen Kultur haben zu einer Vordatierung der archaischen Epochengrenzen geführt; vgl. in diesem Sinne grundlegend OSBORNE 1996, 35–65; in dieser Denkart weiterhin HALL 2007, 320–325; MORGAN 2009; schließlich STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 11–14 und BRINGMANN 2016, 27–53; vorsichtiger wiederum SHAPIRO 2007, 1–3. Einen umfassenden Überblick zur Forschungsgeschichte der Archaik bietet J. K. DAVIES 2009. Vgl. S. 32–45. Vgl. zur Unterscheidung historischer Materialien in „Überrest“, „Denkmal“ und „Quelle“ DROYSEN 1857, 71–79, 79–87 und 87–100; zu den maßgeblichen Differenzierungskriterien für diese Materialien von Mittelbarkeit, Absicht und Subjektivität siehe S. 71 f., 79 f. und 89 f. Diese Droysen’sche Dreiteilung wurde bekanntlich in der Folge von BERNHEIM 1926, 104–132 auf die Zweiteilung von den nunmehr „Quellen“ genannten Materialien reduziert; dieser Autor spricht von unmittelbaren „Überresten“ und vermittelten „Traditionen“; vgl. in dieser Folge auch HEUSS 1934, 134 f., Anm. 3. Vgl. zu dieser geschichtstheoretischen Diskussion den hervorragenden Überblick von OEXLE 2004, 170–176. Diese Arbeit folgt der Terminologie Bernheims, die für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft zur Konvention geworden ist. Gleichzeitig ist sie dem kritizistischen Ansatz Droysens verpflichtet. So versucht sie, methodisch gesteuert und auf Basis des vorhandenden historischen Materials, „einen Lichtkegel in die Nacht der Vergessenheit rückwärts strahlen zu lassen“ und auf diese Weise gewisse sozio-politische „Erscheinungsformen“ von Homerrezeption plausibel zu machen (Zitat bei DROYSEN 1857, 10; der Bezug zur Kant’schen Erkenntnistheorie auf S. 17). Es versteht sich vor diesem Ansatz von selbst, dass es die eine intentionale Geschichte archaischer Homerrezeption nicht geben kann.
1.4 Grundsätzliches zu den Quellen archaischer Homerrezeption
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Stesichoros und dem Apollon-Hymnos nur relativ wenige, zudem teils stark fragmentierte lyrische Fragmente. Aus diesem Grunde erhält gerade hinsichtlich dieses Zeitraums die spätere historiographisch-philologische Tradition ab Herodot, die über die hellenistischen Grammatiker bis zur Suda in byzantinische Zeit reicht, an Gewicht. Von diesen Texten aus lässt sich allenfalls indirekt die Rezeption des Homerischen rekonstruieren. Für die Perserkriegszeit finden sich in Pindar und Simonides wieder aussagekräftige lyrische Quellen. Auf den ersten Blick erscheint die Quellengrundlage für die Erörterung der hier interessierenden Fragestellung als einigermaßen solide. Immerhin besteht in den lyrischen Fragmenten ein mehr oder weniger durchgehender Quellenbestand, den – so viel sei vorausgeschickt – seine Homerrezeption geradezu kennzeichnet94. Insofern ist eine solide Argumentationsbasis, die sich durch ihre Authentizität gegenüber späteren, erzählenden Darstellungen auszeichnet, gegeben. Jedoch offenbaren sich bei näherem Hinsehen massive Quellenprobleme, und zwar in dreierlei Hinsicht. Der erste Problemkomplex betrifft die Überlieferungsqualität der archaischen Lyriker. Joachim Latacz spricht diesbezüglich nicht zu Unrecht von einer „lyrische[n] Trümmerlandschaft“95. Eine große Herausforderung besteht demnach in der textlichen Rekonstruktion dieser Quellengattung. Hinzu kommt die Art und Weise der Überlieferung archaischer Lyriker. Nicht selten exzerpieren spätere Autoren jene im Sinne ihrer eigenen, tendenziösen Absichten, weswegen die ursprüngliche Autorenintention verschleiert werden kann. Dies ist insbesondere beim moralisierenden Stobaios der Fall96. Schließlich sind noch die massiven Datierungsprobleme zu nennen. Auch wenn die ältere Tradition, vornehmlich die Suda, Hinweise auf die Lebensdaten der Dichter gibt, so ist man doch hinsichtlich einer genaueren Datierung auf die Texte der Dichter selbst angewiesen. Aus deren Anspielungen lassen sich in Kombination mit anderen Quellen die jeweiligen historischen Kontexte wenigstens eingrenzen97. All diese schwierigen Sachverhalte werden in den folgenden Fallstudien mithilfe der einschlägigen philologisch-textkritischen Literatur fallbezogen erörtert. Mit den besagten Fragen der Datierung archaischer Lyriker ist der zweite große Problemkomplex in Bezug auf die Quellenlage der Archaik angerissen: Inwieweit darf grundsätzlich von den archaischen Dichtungen im Allgemeinen und von den homerischen Epen im Besonderen auf eine außerliterarische Realität geschlossen werden? Dieses Problem wird sich mit Vehemenz im Rahmen der ersten Fallstudie hinsichtlich der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der historischen Auswertung von Ilias und Odyssee, aber auch innerhalb des fünften Kapitels in Bezug auf die historische Interpretation Pindars achter Isthmie stellen98. Zwei philologische Grundpositionen stehen
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Vgl. bereits SCHADEWALDT 1944, 93. LATACZ 1998, 147. Vgl. LATACZ 1998, 154 f. Dies ist zum Beispiel bei Kallinos oder Mimnermos der Fall, siehe S. 63 f. Siehe S. 32–45 und 192–194.
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1 Prolegomena
sich diesbezüglich gegenüber. Auf der einen Seite ist die ältere positivistische Position zu nennen. Sie versteht jegliche archaische Lyrik biographisch-historisch99. Deren Gegenpol besteht in der poststrukturalistischen Sichtweise, dass „der Autor […] tot“ sei, sich jegliche außerliterarische Bezugnahme demnach verbiete100. Für diese geschichtswissenschaftliche Arbeit bedeutete ein solcher Ansatz in letzter Konsequenz, dass der gesamte Quellenbereich der lyrischen Überreste als historischer Erkenntnisgrundlage wegfiele. Allerdings hält eine solche Annahme den Eigenheiten der archaischen Lyrik nicht stand. Auf den besonderen „Sitz im Leben“ der archaischen Dichtung ist bereits hingewiesen worden101. Insbesondere Rösler und Gentili haben auf Basis sensibler sprachlicher Analysen gezeigt, wie jene permanent auf außerliterarische Kontexte verweist102. Zwischen historischem Kontext und literarischem Text bestehe ein symbiotisches Verhältnis103. Demnach könnte man archaische Lyrik in besonderer Weise als „poetics of culture“ im Sinne Stephen Greenblatts verstehen104. Vor diesem Gesamthintergrund vertritt diese Arbeit eine mittlere Position. Prinzipiell interpretiert sie archaische Lyrik als literarische Kunstwerke, die eigenen Gesetzen gerade in Bezug auf mögliche intertextuelle Homerreferenzen folgt. Diese literaturimmanente Referentialität wird sich bei allen der im Folgenden zu untersuchenden Lyriker von Kallinos bis Pindar zeigen. Die lyrischen Artefakte stehen allerdings ebenfalls in einem dialektischen Verhältnis zum sie jeweils umgebenden historischen Kontext105. So spiegelt die archaische Lyrik in mehr oder weniger umfangreichen Maße das, was unabhängig von ihr aus anderen Quellen über ihre Zeit rekonstruierbar ist, wider. Die lyrischen Quellen befinden sich demnach in einem doppelten, nämlich literarischen wie historischen Abhängigkeitsverhältnis. Folgerichtig geht ihre Auswertung in den folgenden Fallstudien zweischrittig vonstatten. Zuerst wird eine inhaltlich-formale Analyse die intertextuell feststellbaren Schwerpunktsetzungen von Homerrekursen herausarbeiten. Dann werden diese Ergebnisse mit dem, was aufgrund anderweitiger Quellen von dem jeweiligen historischen Kontext rekonstruierbar ist, abgeglichen. Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen intertextuellen und historischen Bezügen lassen sich belastbare Aussagen über die sozialen Modi archaischer Homerrezeption im Sinne der Fragestellung ableiten. Dabei wird sich zeigen, wie sehr die Modi der lyrischen Homerrezeption von den soziopolitischen Entwicklungen während der Archaik abhängen. Beispielhaft in diesem Sinne WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 61–88. So der Tenor des berühmten Aufsatzes von BARTHES 1968. Siehe oben S. 20 f. Vgl. RÖSLER 1980, 9–25; ebenso GENTILI 1983, 15–47. Vgl. analog zu rituellen und performativen Aspekten der Alten Komödie BIERL 2001, 11–30 und 362–376; siehe neuerdings und genreübergreifend ders. et al. 2017. 104 Vgl. grundlegend GREENBLATT 1980; mit dem Schlagwort des „poetics of culture“ vgl. ders. 1988, 33. Mit der Interpretation von Kultur als Text folgt der Autor GEERTZ 1983, 14–16. 105 Vgl. in dieser Hinsicht insb. MONTROSE 2001, 67 f. und 72 f. 99 100 101 102 103
1.4 Grundsätzliches zu den Quellen archaischer Homerrezeption
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Nun zum dritten und letzten Problemkomplex, der die spätere erzählende Tradition betrifft: Dass die Rekonstruktion der griechischen Frühgeschichte problembehaftet ist, haben bekanntlich bereits die großen Historiographen Herodot und Thukydides erkannt. Nur mit Mühe konnten sie die Fülle an mündlicher Überlieferung, die zur griechischen Frühzeit im Allgemeinen und zum Tyrannizid an Hipparchos im Besonderen in Athen kursierte, ordnen106. Der modernen Wissenschaft ergeht es diesbezüglich nicht anders. Dies betrifft in besonderem Maße den bei Thukydides angesprochenen Quellenbereich der akoe. Inwieweit sind diese mündlichen Quellen, die sich für uns insbesondere in den Lokalgeschichten späterer Autoren107, aber eben auch bei den großen Historiographen nachvollziehen lassen, belastbar? Die frühere Forschung war diesbezüglich eindeutig. Jacoby verwarf die Lokalhistoriographie mit Verweis auf einen „allerbeschränktest[en] Lokalpatriotismus“ als unglaubwürdig108. Im Vergleich dazu galten die beiden großen Historiographen gerade wegen ihrer vergleichsweise modernen methodischen Ansätze als verlässlich109 . Mit den Erkenntnissen der neueren, anthropologisch orientierten oral-history-Forschung neigt mancher nun zu einer Revision dieser überkommenen Urteile. Es hat sich nämlich gezeigt, dass mündlich überliefertes Wissen einen Zeitraum von ca. drei Generationen überdauern kann. Danach klaffe die Erinnerungslücke des „floating gap“, nach dem wiederum eine breitere Memorierung einsetze, bei der allerdings „faktische Erinnerung in erinnerte […] transformiert“ werde. Jan Assmann unterscheidet diesbezüglich zwischen einem „kommunikativen“ und einem „kulturellen“ Gedächtnis110. Ersteres beziehe sich auf Alltägliches, letzteres auf die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens; ersteres werde im persönlichen Austausch, letzteres in institutionalisierten Kontexten wie Festen geformt. Das alles hat nun zweierlei Auswirkungen in Bezug auf die Auswertung der erzählenden Quellen. Zuerst ist die vormals grundsätzlich positive Einschätzung der beiden großen Historiographen hinsichtlich ihrer historischen Aussagekraft ins Wanken geraten. Dies bezieht sich vornehmlich auf die zeitlich wie räumlich vom jeweiligen Autorenstandpunkt weit entfernten, demnach zwangsläufig auf akoe basierenden Ereignissen wie den Tyrannizid oder den Ionischen Aufstand111. Auf der anderen Seite gibt es Ansätze, welche die spätere lokalhistoriographische Tradition, die vielleicht doch einen „core of historical truth“ aufgrund ihrer stetigen Perpetuierung
Athen. deipn. 15, 50 = PMG 893, 895 f.; Hdt. V 55–57, 1; Thuk. I 20, 1 f. und VI 53, 3–60, 1. Siehe hierzu S. 93 und 113 f. 107 Vgl. JACOBY 1909, 49–59. 108 Ebd., 49. 109 Vgl. JACOBY 1909, 152–168, insb. 161–166. 110 Vgl. J. ASSMANN 1992, 48–53, Zitat 52, mit maßgeblichem Bezug auf VANSINA 1985, 23 f. 111 Vgl. nach wie vor grundlegend EVANS 1980; COBET 1988; THOMAS 1989, 238–251; hiernach mit einer Übersicht in Bezug auf mögliche orale Traditionsträger MURRAY 2001a; weiterhin GEHRKE 1993b und R. NICOLAI 2001. 106
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1 Prolegomena
im Rahmen festlicher Kontexte in sich trage, wenigstens in Maßen zu rehabilitieren versuchen112. Dieser Problemkomplex in Bezug auf die spätere Tradition wird vorwiegend in der dritten Fallstudie virulent; dort wird es um die Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts gehen. Um diese vielschichtigen Probleme in den Griff zu bekommen, werden die erzählenden Quellen zuerst auf ihre narrativen Strukturen und emplotments untersucht113. Auf diese Weise ist es möglich, grundlegende Autorenintentionen zu markieren, was eine erste Einschätzung der jeweiligen historischen Aussagekraft ermöglicht. Sodann werden Vergleiche zwischen der erzählenden Tradition und den lyrischen Überresten gezogen, um die historischen Plausibilitäten herauszuarbeiten114. Dabei wird sich zeigen, wie die erzählenden Quellen archaischer Homerrezeption überwiegend rhetorisch stilisiert sind und darüber hinaus die Zustände ihrer jeweiligen Gegenwart auf das Vergangene projizieren. Ihre historische Geltungskraft ist dementsprechend als geringer im Vergleich zu den lyrischen Materialien einzuschätzen115. Es liegt demnach in der Natur der schwierigen Quellenlage zwischen den frühen lyrischen Überresten und der späteren erzählenden Tradition, dass der Vergleich die zentrale heuristische Methode darstellen wird116, um die sozialen Modi archaischer Homerrezeption wenigstens annäherungsweise in den Griff zu bekommen. Im Rahmen der folgenden Fallstudien werden die Quellenfragen im Detail noch einmal aufgeworfen sowie die genauere Quellenauswahl detailliert begründet. 1.5 Grundsätzliches zu den Begriffen Homer, Homerisches sowie zum Aufbau der Arbeit Diese Arbeit hat Homer und die Rezeption von Dichtungen, die mit diesem Namen verbunden sind, zum Thema. Hinter dieser banalen Feststellung verbergen sich massive Folgeprobleme: Wer ist Homer und was sind seine Werke? Über diese Fragen herrschte bekanntlich bei den Alten beredte Uneinigkeit. Der Name Homer ist uns zuerst im sechsten vorchristlichen Jahrhundert bei Xenophanes und Heraklit überliefert117. In diesem Zusammenhang wird gemeinhin auch der Beginn der Homerallegore-
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Vgl. paradigmatisch KOIV 2003, 19–33, Zitat 30. Zum Begriff des emplotment vgl. H. WHITE 1986, 103–105. Siehe S. 146–150. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 110–121 nach einem Vergleich primärer und sekundärer Quellen in Bezug auf die Gründungen der griechischen Kolonien Metapont, Sitis und Incoronata. Vgl. analog mit seinem Konzept des contextual fit HALL, 19. Herodian von Alexandria, Περὶ διχρόνων II, S. 16, 20 Lentz = Xenophan. DK 21 B 10; Sext. Emp. adv. math. IX 193 = Xenophan. DK 21 B 11; Hippol. haer. IX 9,6 = Heraklit DK 22 B 56; Diog. Laert.
1.5 Grundsätzliches zu den Begriffen Homer, Homerisches sowie zum Aufbau der Arbeit
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se mit dem Rhapsoden Theagenes von Rhegion gesehen118. Die späteren bioi Homers, insbesondere das Certamen Homeri et Hesiodi und die pseudoherodoteische Vita Herodotea, sind in höchstem Maße widersprüchlich und besitzen daher allenfalls legendarischen Charakter119. Betrachtet man die moderne Forschung zur Homerischen Frage, bietet sich seit Wolfs Prolegomena ein noch verworreneres Bild120. Ähnliche Konfusion herrscht um die Werke Homers. Neben der Ilias und der Odyssee wurden der Person dieses Namens eine ganze Reihe von Dichtungen zugesprochen, darunter die Hymnen, der gesamte Epische Zyklus sowie weitere apokryphe Texte121. Homer und Homerisches sind demnach sowohl bei den Alten als auch in der modernen Forschung kaum zu fassen. Vor diesem Hintergrund erfolgt für diese Arbeit eine definitorische Eingrenzung. Homerisches denotiert im Folgenden metonymisch den Troischen Krieg als zentrales Thema von Ilias, Odyssee sowie darüber hinaus den gesamten Epischen Zyklus, der die Vor- und Nachgeschichte dieses Ereignisses beinhaltet. Homer bezeichnet diejenige Gestalt, die mit diesem Thema als Autor gemeinhin in Verbindung gebracht wird. Es sei hier noch einmal betont, dass es in dieser Arbeit um die Rezeption von Homerischem samt der soziopolitischen Wechselwirkungen letzterer geht. An der verworrenen Diskussion um die Homerische Frage braucht sich daher nicht beteiligt werden. Im Folgenden werden die intentionalen Modi der Homerrezeption von den Anfängen bis in die Perserkriegszeit analysiert. Um den großen Untersuchungszeitraum überschaubar zu gestalten, ist die Arbeit in Fallstudien, die jeweils grob ein Jahrhundert überblicken, unterteilt. Die Kapitel sind so angelegt, dass sie zuerst auf die Eigenheiten der Quellensituation eingehen, um dann die sozialen Träger, Orte und Funktionen der jeweils betreffenden Homerrezeptionen anhand des genannten methodischen Vorgehens zu erörtern. Dabei werden sich zwei Hauptstränge von Homerrezeption zeigen. Zuerst dient die Erinnerung von Homerischem dazu, aristokratische Distinktionsbewegungen von den übrigen laoi hinfort zu legitimieren. Später allerdings werden die Modi dieser aristokratisch orientierten Form der Homerrezeption umgedeutet, um eine bürgerschaftliche Integration voranzubringen. Bei beiden, sowohl den aristo-
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120 121
IX 1 = Heraklit DK 22 B 42. Tat. Ad Graecos 31, S. 31, 16 ff. Schwartz = Theagenes DK 8 B 1; vgl. JACOBY 1933, 9; PFEIFFER 1978, 25–27; VOGT 1991, 368 f. Siehe die Editionen von ALLEN 1912, 184–268; WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1916, SCHADEWALDT 1942 und WEST 2003; vgl. hierzu umfassend und mit skeptischer historischer Beurteilung RADDATZ 1913; hiernach ähnlich JABOBY 1933, 10–44; LESKY 1967, 1–7; HEUBECK 1974, 213–228; VOGT 1991, 367–369; LATACZ 2003, 32–49 und REICHEL, 12–14. Zuletzt hat NAGY 2010, 29–58 versucht, die bioi als Reflektionen athenisch-panionischer oder äolischer Vereinnahmungsstrategien in Bezug auf Homerisches zu interpretieren. Für die ältere Forschung bietet HEUBECK 1974, 1–152 eine hervorragende Zusammenfassung; neuerdings WEST 1999; GRAZIOSI 2002 und LATACZ 2008a. Eine nützliche Übersicht bietet die Edition der Apokryphen von WEST 2003, 224–293; weiterhin REICHEL 2011, 66–71. Vgl. zu diesem ganzen Komplex auch GRAZIOSI 2004.
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1 Prolegomena
kratisch als auch den bürgerschaftlich orientierten Rezeptionsmodi, wird der genuin homerische Begriff des κλέος eine zentrale Rolle spielen. Die Homerrezeption stellt insofern ein Spiegelbild der soziopolitischen Entwicklungen während der Archaik dar. Diese grundsätzlich soziopolitische Funktion der archaischen Homerrezeption wird nun innerhalb von vier Fallstudien nachgewiesen.
2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts 2.1 Homerisches in Homer Das θ der Odyssee beinhaltet mit dem Auftritt des blinden Sängers Demodokos eine wichtige thematische Scharnierstelle innerhalb des Epos. Nachdem in den ersten vier Gesängen die beiden zentralen Handlungsstränge Odyssee und Telemachie exponiert worden sind, kommt es zum entscheidenden Götterbeschluss: Dem Protagonisten wird seine Heimfahrt gewährt. Nach siebenjährigem Aufenthalt bei der Nymphe Kalypso darf Odysseus endlich seine Heimfahrt nach der Schlacht um Troia antreten, wird allerdings durch die Intervention Poseidons auf die Phaiakeninsel Scheria verschlagen. Dort organisiert der Herrscher mit dem sprechenden Namen Alkinoos ein ausschweifendes Gastmahl für den noch unbekannten Fremden. In diesem Zusammenhang tritt der besagte Sänger drei Mal auf. Zuerst erinnert er an eine Episode aus der Vorgeschichte des Troianischen Kriegs, in der Odysseus mit Achill in Streit gerät1. Später besingt Demodokos die humoristische Episode, wie Hephaistos seine Ehefrau Aphrodite in flagranti mit Ares entdeckt2. Schließlich berichtet der Sänger auf Drängen des Protagonisten von der Eroberung Troias mithilfe Odysseus’ berühmter Erfindung, dem Troianischen Pferd. Besonders dieser letzte Auftritt des Sängers rührt Odysseus zu Tränen. Sein Gastgeber Alkinoos bemerkt das und erkennt auf diese Weise Odysseus, der bislang inkognito gewesen ist3. Odysseus berichtet daraufhin zwei Tage lang von seinen berühmten Irrfahrten, bis er schließlich von den Phaiaken in seine Heimat Ithaka geleitet wird, wo er sich mit seinem Sohn Telemachos vereint und seine Ehefrau und Ithaka von der Belagerung der Freier befreit. Narratologisch betrachtet, bedient sich der Ependichter mit der gesamten Demodokos-Episode eines Kunstgriffes, nämlich der Erzählung in einer Erzählung. Die Grenzen zwischen diesen beiden Ebenen sind aufgehoben, Binnen- und Rahmenerzählung be1 2 3
Hom. Od. VIII 72–85. Hom. Od. VIII 261–369. Hom. Od. VIII 486–586.
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2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
dingen sich gegenseitig. Die moderne Erzähltheorie hat für diese besondere Mischung den Begriff mise en abyme geprägt4. In den konkreten Fällen wird von der extradiegetischen Ebene des anonymen epischen Erzählers, der von dem Gastmahl Alkinoos’ berichtet, hin zur intradiegetischen Ebene von Demodokos’ Berichten gewechselt. Der Sänger erzählt Ereignisse, die der extradiegetischen Gegenwart vorgelagert sind, nämlich die biographischen Erlebnisse von Odysseus sowie die Göttergeschichte. Die gesamte Demodokos-Episode fingiert also eine doppelte Kommunikationssituation zwischen Demodokos, seinen Zuhörern um Odysseus, dem epischen Erzähler und dessen außerliterarischen Rezipienten. Der Grund für diesen äußerst modern anmutenden narratologischen Kunstgriff liegt darin, die Odysseusbiographie und mit ihr die gesamte Odyssee möglichst authentisch wirken zu lassen. Die von Demodokos erzählten Ereignisse bedingen immerhin den Zustand, in dem sich der Protagonist in der Rahmenhandlung befindet. Schließlich bestätigt Odysseus diese Erzählungen als realitätsgetreue Abbildungen seines Lebens. Wenn diese Binnenerzählungen als authentisch erachtet werden, dann muss es folgerichtig die Rahmenhandlung des epischen Erzählers auch sein. Die eigentliche Fiktionalität der gesamten Odyssee verblasst dadurch5. Soviel zu den inhaltlichen und narratologischen Implikationen der Demodokos-Episode. Im Folgenden wird erörtert, inwieweit diese kunstvoll ausstaffierte Darstellung von Homerrezeption in Homer historisch ausgewertet werden kann. 2.2 Quellenkritik Unter welchen Prämissen lassen sich die homerischen Epen historisch auswerten? Die homerischen Epen sind Dichtungen, verfasst im engen metrischen Korsett des Hexameters. Diese Feststellung mag banal erscheinen, hat aber eklatante Auswirkungen auf die Arbeit des Historikers. Inwieweit darf und kann man Erzählungen, in denen, wie gerade in der Demodokos-Episode deutlich wird, Götter permanent in das menschliche Geschick eingreifen6 und deren Protagonisten die Grenzen menschlicher Physis regelmäßig durchbrechen7, historisch auswerten? An dieser Frage scheiden sich bekanntlich die Geister. Die einen nehmen die epische Welt nahezu wörtlich. Für sie ist die homerische Welt samt dem Troischen Krieg in Gänze eine historische Realität,
4 5 6 7
Vgl. GENETTE 1994, 161–174. Vgl. zu diesen narratologischen Implikationen der Demodokos-Episode genauer RINON 2006, KRUMMEN 2008 und BIERL 2015a. Ähnlich auch PATZEK 1992, 146. Hom. Od. VIII 493. Hom. Od. VIII 504.
2.2 Quellenkritik
33
und zwar der mykenischen Zeit. Diese Auffassung umfasst v. a. die ältere Forschung, die noch von den Funden Schliemanns beeindruckt gewesen ist8. Sie ist allerdings auch vor dem Hintergrunde der neueren Grabungen Korfmanns und seiner Nachfolger wieder populär9. Andere sind gänzlich skeptisch, was eine historische Auswertung der Epen angeht. Sie meinen, dass die Gesänge reine poetische Fiktion seien, da sie ein derart inkohärentes Amalgam enthielten, dass sie schlichtweg kein historisches Pendant haben könnten10. Wiederum andere sind vorsichtiger und destillieren aus dem Strome homerischer Erzählungen Merkmale einer jüngeren, nachmykenischen Gesellschaft heraus. Es war M. I. Finley, der diese Denkrichtung wesentlich geprägt hat11, und zwar noch vor der Entzifferung des Linear B12. Gerade die Kenntnis der mykenischen Schrift hat dazu beigetragen, die Kontinuitäten, v. a. aber die Diskontinuitäten in politischer Hinsicht zwischen mykenischer und früharchaischer Zeit zu begreifen13. Die Situierung der homerischen Gesellschaft in nachmykenischer Zeit wird gerade vor diesem Hintergrunde nunmehr mehrheitlich akzeptiert14. Auch die Kontroversen im Rahmen der Korfmann-Kolb-Diskussion haben daran nicht viel geändert15. Gerade in diesem Zusammenhang ist viel über die methodischen Grundlagen historischer Homerinterpretationen geschrieben worden16. Im Folgenden werde ich daher in aller Kürze meine eigenen Prämissen darlegen, um die Grundlage für eine historische Auswertung der Demodokos-Episode zu legen. Dabei spielen philologische, anthropologische und schließlich historisch-archäologische Aspekte eine Rolle. Ein paar Worte noch zum Untersuchungsgegenstand und zur Terminologie. Auch wenn die hier besonders interessierende Demodokos-Episode der Odyssee entstammt, wird im Rahmen dieser Quellenkritik auf die beiden homerischen Epen gleichermaßen zurückgegriffen. Inwieweit Ilias und Odyssee von einem oder unterschiedlichen Autoren stammen und in welchem exakten chronologischen Verhältnis sie zueinander stehen, hat bereits die hellenistische, mehr noch die moderne Philologie in extenso beschäftigt17. Im Rahmen dieser historischen Arbeit ist diesbezüglich eine genauere
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Hervorragend nachgezeichnet und mit reichhaltigen Literaturhinweisen bei PATZEK 1992, 22–54 und COBET/GEHRKE 2002, 297–300. Vgl. insbesondere KORFMANN/MANNSPERGER 1998, 18 f.; KORFMANN 2001a-d; LATACZ 2001b, 330–334; hiergegen grundlegend KOLB 2002. Zum Amalgam-Begriff vgl. KIRK 1962, Kap. 9; zur poetischen Fiktion vgl. SNODGRASS 1974, neuerdings auch CARTLEDGE 2001, 157. Vgl. M. I. FINLEY 1954. Vgl. VENTRIS/CHADWICK 1953. Vgl. grundsätzlich HEUBECK 1979, X 137 f. und 145 f.; zusammenfassend RAAFLAUB 1991, 208 f. mit Anm. 10 und 11. Vgl. bereits früh SCHADEWALDT 1944, 90–96; umfassend RAAFLAUB 1991; ebenso ULF 1990, 213–268; WEES 1992, 262–264; COBET/GEHRKE 2002, 305–310. Vgl. umfassend ULF 2003a; konzentrierter COBET/GEHRKE 2002, 309 f. Hier besonders ULF 2002; ebenso ders. 2003b. Vgl. nach wie vor grundlegend LESKY 1967, 132–135.
34 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts Differenzierung unerheblich. Es wird sich zeigen, dass beide Dichtungen gleichermaßen eine ähnliche historische Welt, die sich innerhalb eines Entwicklungsprozesses befindet, widerspiegeln. Insofern wird im Folgenden immer wieder metonymisch von einem Ependichter die Rede sein – auch wenn sich hinter diesem Begriff tatsächlich mehrere Personen sammeln mögen. Beginnen möchte ich mit der Grundlage aller Auswertung der Epen, also den Dichtungen selbst. Philologisch gesehen ist es mittlerweile unbestritten, dass uns die homerischen Gesänge zwar schriftlich überliefert sind, sie allerdings konzeptionell mündlich einzuordnen sind18. Es waren Milman Parry und sein Schüler Albert L. Lord, die unter dem Eindrucke des Strukturalismus de Saussures als erste aufgrund philologischer und anthropologischer Beobachtungen eine konzise Theorie homerischer oral poetry aufgestellt haben. Die Epen sind demnach in besonderer Weise durch die strikte Form des Hexameters geprägt. Um dieser starren Diktion zu genügen, werden in den Epen ähnliche Signifikate durch regelmäßig wiederkehrende Signifikanten, die Parry Formeln nennt, ausgedrückt. Ein markantes Beispiel sind die zahlreichen Epitheta, welche die homerischen Helden in den unterschiedlichsten Kontexten identisch kennzeichnen19. Als Beispiel hierfür mag aus der gegebenen Textstelle die Qualifizierung Odysseus’ als πολύμητις dienen20, was in diesem Kontext keinen inhaltlichen Sinn ergibt, wohl aber den Hexameter füllt. Hinzu kommt eine hohe Anzahl nahezu wörtlich wiederholter Verse. Diese insgesamt stark formalisierte Dichtungsform eignet sich in besonderer Weise dazu, auch komplexe Inhalte zu memorieren21, was Parry am Beispiele analphabetischer serbischer Wandersänger studierte22. Er schließt daraus dreierlei. Erstens spiegele die besondere formelhafte Sprache der Epen deren Entstehung in einer schriftlosen Gesellschaft wider. Zweitens übertreffe die schiere Fülle homerischer Formeln die intellektuellen Kapazitäten eines individuellen Dichters. Vielmehr sei das Formelsystem Ausdruck einer oralen Tradition, die den uns überlieferten Epen vorgelagert ist. Drittens bestehe zwischen der Produktion und der Rezeption dieser stark formalisierten mündlichen Dichtung eine besondere Wechselbeziehung. Die Zuhörer erwarteten Bekanntes; allzu weitgehende, individuelle inhaltliche Modifikationen durch einen Sänger widersprächen dem Konzept oraler Tradition23. 18 19 20 21 22 23
Zum Begriff der konzeptionellen Mündlichkeit vgl. KOCH/OESTERREICHER 1985. Vgl. M. PARRY 1928, 8–19. Hom. Od. VIII 486. Vgl. M. PARRY 1930, 314–324. Vgl. M. PARRY 1933. Vgl. M. PARRY 1932, insbes. 358. Zum Wechselverhältnis von Zuhörern und Sängern vgl. insbes. LORD 1964, 17–29. Telemachos’ Urteil in Hom. Od. I 351, dass den neuesten Gesängen das höchste Lob gebühre, steht dieser Erkenntnis nicht entgegen, da es sich hier um eine Feststellung innerhalb des fiktiven Rahmens der Odyssee handelt. Für die Dichter und Sänger der historischen Zeit gehören die nostoi zu einer fernen heroischen Vergangenheit; vgl. zu diesem Komplex der Imagination des Historischen grundlegend PATZEK 1992, 98–102. Zu den neuesten Modifikationen der Parry-Lord-Hypothese vgl. zusammenfassend BIERL 2015b, 182–194 mit umfassender Literatur.
2.2 Quellenkritik
35
Die Gesänge seien daher mitnichten das Ergebnis einer Zeitschicht, sie reichten mit ihrem Formelsystem in die Vergangenheit hinein. Bestätigung findet diese These auch von inhaltlicher Seite. Die motivgeschichtliche Homerforschung um Wolfgang Kullmann hat festgestellt, dass die Epen mannigfach Anspielungen auf ein Hintergrundwissen enthalten, ohne dessen Kenntnis ein Verständnis der Gesänge wenigstens erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werde24. Dies betrifft auch die gegebene Textstelle. Demodokos deutet nur kurz einen Streit zwischen Odysseus und Achill an, der dem Troischen Krieg klar vorausgeht25. Der Odyssee-Dichter setzt die Kenntnis dieses Hintergrundwissens voraus, sonst wäre es nicht bei dieser kleinen Andeutung geblieben. Ebenso weist er später auf die Zerstörung Troias mithilfe des Troischen Pferdes hin26. Diese berühmte Episode ist uns aus den uns überlieferten Homerischen Epen nahezu unbekannt. Wohl aber können wir sie mithilfe der fragmentarisch überlieferten kyklischen Epen rekonstruieren. Das hier ersichtliche Prinzip permanenter Zitate eines allgemein bekannten Sagenkontextes ist laut Kullmann grundsätzlich konstituierend für den Ependichter. So zitiere die Ilias permanent, allerdings unsystematisch, Geschehnisse, die ihrer eigentlichen Handlung vorweggehen oder nachfolgen27. Insofern wird auch aus inhaltlicher Sicht deutlich, dass die Epen auf einer alten Sangestradition beruhen. Sie übernehmen wie selbstverständlich Motive aus älteren Sagenkreisen, wenngleich sie dabei eigene Schwerpunkte setzen28. Dies betrifft natürlich in erster Linie den troischen, aber auch den thebanischen Sagenkreis sowie darüber hinaus Aspekte altorientalischer Göttervorstellungen29. Der Blick in die Vergangenheit als grundlegendes Gestaltungsprinzip der Epen wird gerade in der Demodokos-Episode allzu deutlich. Der Sänger beleuchtet nicht nur die biographische Vergangenheit Odysseus’, sondern ebenso die goldene Generation der Götter30. Insgesamt betrachtet, verweisen die Homerischen Epen also permanent sowohl formal als auch inhaltlich auf eine ihnen vorgelagerte Vergangenheit. Für eine philologische Diskussion der Epen ergibt sich aus dieser Gemengelage verschiedener Zeitschichten die berühmt-berüchtigte Frage nach ihrer Autorschaft, also die Homerische Frage im engeren Sinne31. Dieses weitreichende Problem ist hier nicht von Belang. Für die in diesem Kontext relevante historische Auswertung der Dichtungen hingegen folgt die Schwierigkeit, das Verhältnis von epischer Gegenwart und Vergangenheit zu eruieren. Akzeptiert man aus guten Gründen die formalen Be-
24 25 26 27 28 29 30 31
Vgl. KULLMANN 1960, 11–17. Hom. Od. XIII 72–78. Hom. Od. XIII 486–498. Vgl. KULLMANN 1960, 6–11. Vgl. a. a. O., 382–388. Vgl. zusammenfassend KULLMANN 1992; zu den altorientalischen Einflüssen vgl. ROLLINGER 1996; M. L. WEST 1997; BURKERT 2003. Siehe analog Hes. op. 109–126. Vgl. zu diesem Komplex LESKY 1967, 78–132 und HEUBECK 1974.
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2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
obachtungen Parrys und damit die konzeptionelle Mündlichkeit der Epen, so ergibt sich als terminus ante quem von Ilias und Odyssee die Übernahme der Alphabetschrift, mithin die Zeit um 750 v. Chr.32 Dieser grobe Zeitpunkt deckt sich mit der archäologisch konstatierten, allgemeinen kulturellen Aufbruchsstimmung dieser Zeit, die man – im Kontrast zu den Jahrhunderten weitgehenden Verfalls der vorhergehenden dark ages33 – gemeinhin als Greek renaissance bezeichnet34. Diese grobe Einordnung ist wohlgemerkt vorläufig. Sie lässt eine Spätdatierung der homerischen Epen in die erste Hälfte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts, wie sie von philologischer Seite durch Kullmann, Burkert oder West35 vorgeschlagen wurde, dezidiert offen. An späterer Stelle komme ich hierauf zurück. Überhaupt ist hier auch über die Frage einer putativen noch späteren Epenverschriftlichung, die zuletzt mit dem evolutionären Modell Gregory Nagys mit Vehemenz aufgeworfen wurde36, nichts gesagt. Dieser Zeitpunkt bleibt demnach vorerst Hypothese. Denn wie weit reichen die Epen in die Vergangenheit hinein? Geben sie überhaupt Auskunft über einen zusammenhängenden Zeitraum? Anthropologische Beobachtungen können diesbezüglich eine wertvolle Hilfestellung geben. Es war der belgische Ethnologe Jan Vansina, der die Mechanismen oraler Traditionenbildung v. a. anhand afrikanischer Beispiele grundsätzlich erläutert hat. Letztere neige demnach dazu, keine originalgetreuen Abbildungen von Ereignissen zu memorieren. Vielmehr beinhaltete sie generalisierende Vermutungen darüber, wie etwas passiert sein könnte. Dabei würden sich orale Erinnerungsträger in den meisten Fällen an den Zuständen der Gegenwart, in der sie sich befinden, orientieren37. Andere Anthropologen haben diesbezüglich den Begriff der Homoiostase geprägt38. Prinzipiell kommt oraler Tradition also ein Wert hinsichtlich ihrer historischen Aussagekraft zu – wenn auch mit der Einschränkung, dass man sie nicht wörtlich nehmen darf, sondern ganz besonders sensibel auswerten muss. Bezüglich des Erinnerungsmodus oraler Tradition bemerkt Vansina, dass präzise Erinnerungen an historische Sachverhalte zumeist nach kurzer Zeit endeten. Danach klaffe die Erinnerungslücke des floating gap, nach dem wiederum eine breitere Memorierung einsetze, die allerdings wegen unzureichender mnemotechnischer Speichermöglichkeiten keinen Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben könne39. Dieses Konzept 32 33 34 35 36 37 38 39
Vgl. HEUBECK 1979, 75–80; in diesem Sinne mit der Frühdatierung Homers SCHADEWALDT 1944, 90–92. Zu den umfassenden Diskontinuitäten zwischen mykenischer und früharchaischer Zeit vgl. zusammenfassend PATZEK 1992, 73–95. Begriff nach HÄGG 1983. Vgl. KULLMANN 1958, 546 und ders. 1960, 381; BURKERT 1976; M. L. WEST 1995; zusammenfassend KULLMANN 2002, 89 f., Anm. 8 mit weiterer Literatur. Vgl. NAGY 1981, 1995 und 1998; vgl. zusammenfassend BIERL 2015b, 186–94. Gegen diese Sichtweise mit Vehemenz LATACZ 1990, 235–247. Ich komme später auf diesen Aspekt zurück, siehe S. 39–41. Vgl. VANSINA 1985, 31 f. Vgl. GOODY/WATT 1986, 68 f. Vgl. VANSINA 1985, 23.
2.2 Quellenkritik
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oraler Erinnerung hat Jan Assmann in seine bekannte Kulturtheorie von kommunikativem Gegenwarts- und kulturellem Grundlagengedächtnis von Gesellschaften integriert40. Assmann spezifiziert Vansinas eher vagen Zeitraum präziser oral gestützter Erinnerung auf ca. drei Generationen, das sog. Dreigenerationengedächtnis41. Wendet man nun diese beiden anthropologischen Beobachtungen auf die Homerischen Epen an, so kommt ihnen ein bedingter Wert in Bezug auf ihre historische Aussagekraft zu. Bedingt ist diese Qualität, da nicht alle erzählten Ereignisse unbedingt stattgefunden haben müssen, wohl aber das Setting der Dichtungen, also die dargestellten Gesellschaftsformen, Haushaltsgegenstände o. Ä. historisch sein können. Darüber hinaus ist mit einer relativ homogenen Darstellung dieses Settings zu rechnen, da es sich gemäß des Homoiostase-Prinzips an den Gegebenheiten der epischen Gegenwart orientiert. Diese ist, unter Berücksichtigung des o. g. terminus ante quem, mehr oder weniger in der Mitte des achten vorchristlichen Jahrhunderts anzusetzen. Berücksichtigt man die anthropologisch begründete Drei-Generationen-Regel Vansinas und Assmanns, dann können die Epen prinzipiell die historischen Realitäten der geometrischen Welt bis ca. 850 v. Chr. in bestimmten Aspekten spiegeln. Nun hat Joachim Latacz im Rahmen des Korfmann-Kolb-Streits vehement darauf hingewiesen, dass das enge metrische Korsett des Hexameters prinzipiell dazu geeignet sei, auch komplexe Inhalte über einen Zeitraum, der weit über das besagte Dreigenerationengedächtnis hinausgehen könnte, zu erinnern42. Auch wenn Latacz’ metrische Schlussfolgerungen so eindeutig nicht sind43, sollen die bisherigen Überlegungen hinsichtlich einer chronologischen Einordnung der Epen vorsichtige Hypothese bleiben; an späterer Stelle werde ich erneut darauf zurückkommen. Hier ist nun der Zeitraum eingegrenzt, der als historischer Referenzpunkt dienen kann. Denn auf einen Vergleich von literarischer und außerliterarischer Welt muss es hinauslaufen, will man zu einem begründeten Urteil kommen, inwieweit die Homerischen Epen zu der Früharchaik gehören – oder eben nicht. Hierbei hat die historisch-archäologische Forschung, gerade im Zuge der Korfmann-Kolb-Diskussion44, erhebliche Anstrengungen aufgewendet. Dabei zeigt sich – bei aller Auseinandersetzung im Detail – dass die epischen Darstellungen von Militärischem, Sozialem oder Politischem ihre Entsprechungen tatsächlich eher im achten denn im zwölften vorchristlichen Jahrhundert haben45. Militärisch erscheint es nur auf den ersten Blick so, als würden die Heroen als promachoi allein die Schlachten im Zweikampfe entscheiden. Bei genauerer Betrachtung ist es so, dass den soldatischen Massen bei den Kämp40 41 42 43 44 45
Vgl. J. ASSMANN 1992, 48–56. Vgl. a. a. O., 50 f. Vgl. insbesondere LATACZ 2001a. Vgl. grundsätzlich HAJNAL 2003; siehe auch BIERL 2015b, 192. Vgl. insbesondere die verschiedenen Beiträge in ULF 2003a; zusammenfassend COBET/GEHRKE 2003. Einen hervorragenden Überblick bieten RAAFLAUB 1991 und CRIELAARD 1995a.
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2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
fen eine mindestens ebenbürtige Rolle zukommt; die Konzentration auf die Helden ist Teil dichterischer Kompositionstechnik46. Bei allen Unterschieden im Einzelfall gilt es als gesichert, dass die Epen mit ihrer Darstellung des Massenkampfes auf historische Entwicklungen von Kampftaktiken hin zur Phalanx Bezug nehmen 47. Auch in sozialer Hinsicht gibt es Überschneidungen. Insbesondere aus der Odyssee lässt sich erschließen, dass die homerischen Heroen weit entfernt davon scheinen, ein Leben im Müßiggang zu leben, sondern eher Großbauern sind, wenn auch ehrgeizige48. Dieses Bild passt zu dem historischen Bild des achten Jahrhunderts, das uns archäologische Funde ermöglichen. So zeugen vermehrte Grabbeilagen von einer reichen Schicht, die in besonderem Maße von dem zunehmenden Handel innerhalb des Mittelmeerraums profitierte49. Zu dem Aufgabenbereich dieser reichen Elite, das wissen wir aus Hesiod, gehörte die Rechtsprechung, für die sie im Gegenzug Gaben erwartete50. Die Gräber wiederum scheinen für das Selbstverständnis der wachsenden früharchaischen Führungsschicht eine enorme Relevanz gespielt zu haben. Wir wissen von Heroengräbern; ebenso kommen vermehrt Heroenkulte in dieser Zeit auf51. Zu diesem verklärenden Blick in eine glorreiche Vergangenheit passen wiederum die Homerischen Epen in Gänze, stellen sie doch nichts anderes als Erinnerungen an das „herrliche Geschlecht“52 der Heroen dar53. Auf diesen Punkt werde ich ausführlich am Ende dieser Fallstudie zurückkommen, wenn ich die Funktion homerischer Erinnerungsrekurse im Rahmen der sich konstituierenden kleinasiatisch-ionischen Aristokratie der geometrisch-früharchaischen Übergangszeit analysieren werde54. In sozialer Hinsicht jedenfalls ergänzen die Epen das archäologisch rekonstruierbare Bild einer im Umbruch begriffenen Proto-Aristokratie, die habituell und materiell zwar noch nicht den Grad späterer Institutionalisierung erreicht hat, allerdings erste Absonderungstendenzen zeigt. Politisch schließlich werden die größten Differenzen zwischen homerischer und mykenischer Welt deutlich. Die grundlegende Struktureinheit des homerischen Lebens bildet der oikos, kein Palast55. Darüber hinaus finden sich einige Hinweise darauf, dass in der homerischen Gesellschaft durchaus die Gemeinschaft beginnt, soziale Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. So existiert ein Ältestenrat in Scheria, den
46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
Vgl. grundlegend LATACZ 1977, 68–74; WEES 1997, 673 f. Vgl. grundsätzlich LATACZ 1977, 128 und 237 f.; ähnlich ULF 1990, 138–153, RAAFLAUB 1991, 222– 230 sowie WEES 1997, 674–693. Vgl. ULF 1990, 184–187; ebenso WEES 1992, 49–58. Vgl. zusammenfassend RAAFLAUB 1991, 230–238 mit detaillierten Literaturangaben. Hes. op. 39, 221, 264. Grundlegend COLDSTREAM 1979, Kap. II; ähnlich MORRIS 1988, PATZEK 1992, 166–185; ANTONACCIO 1994 und BOEHRINGER 2001, 372–375. Hes. op. 159. Hierzu grundsätzlich PATZEK 1992, 170–177. Siehe S. 55 f. Vgl. grundsätzlich M. I. FINLEY 1954, 72–77; ausführlich W. NICOLAI 1990.
2.2 Quellenkritik
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Alkinoos auch konsultiert56, aber auch an anderen Stellen tauchen Versammlungen mit Entscheidungsgewalt auf57. Das alles hat zwar noch nicht den institutionalisierten Charakter einer polis, wie sie aus der späteren Archaik oder der Klassik bekannt ist. Ansätze gemeinschaftlicher Regulierung, wie sie für die historische polis konstituierend sind, finden sich allerdings sehr wohl. Das Konzept einer wohlweislich durchorganisierten Gemeinschaft versinnbildlicht gerade der politische locus amoenus der Phaiaken, der im direkten Kontrast zur primitiven, gesetzlosen Kyklopengesellschaft steht58. Man kann schließlich die gesamte Achilleis als Parabel in Bezug auf die Notwendigkeit, individuelle Befindlichkeiten dem Gemeinwohl unterzuordnen, lesen. Dies alles ergänzt und bestätigt die historischen Kenntnisse über die Früharchaik. Gerade Hesiod bezeugt die Spannung zwischen der Konzentration auf den oikos auf der einen Seite sowie der Verantwortung gegenüber der polis auf der anderen59. Aber auch anderweitig muss sich ein an der Gemeinschaft orientiertes Denken Bahn gebrochen haben, sonst wären Großprojekte wie die früharchaischen Kolonisationsvorhaben oder Monumentalbauten nicht möglich gewesen60. Auch in politischer Hinsicht hat die homerische Welt am ehesten ihre Entsprechung in der proto-politischen Umbruchszeit des achten vorchristlichen Jahrhunderts61. Philologische und anthropologische Vorüberlegungen sowie historisch-archäologische Vergleiche legen demnach den Schluss nahe, dass die homerischen Epen in erster Linie Aspekte eines geometrisch-früharchaischen Umfelds widerspiegeln. Sicherlich finden sich in den Dichtungen Inhalte, die vielleicht besser in ältere, vielleicht sogar mykenische Zeiten passen würden. Dies betrifft alte Eigennamen oder mykenische Ortsbezeichnungen wie Mykene oder Pylos, die man mit homerischen Helden in Verbindung bringen kann, auch die Bronzewaffen der Kämpfer oder Objekte wie den berühmten Eberzahnhelm, vielleicht auch die Streitwagen62. Man kann diese Dinge allerdings als archaisierende Patina an eine den Zuhörern in verschwommenen Bildern bekannte, heroische Vergangenheit erklären, wenn man sich erneut vor Augen führt, dass man es prinzipiell eben nicht mit wissenschaftlichen Texten, sondern mit Dichtungen zu tun hat63. Es sind diese Überzeichnungselemente, welche die epische Vergangenheit von der historischen Gegenwart des Ependichters und seines Publikums 56 57 58 59 60 61
62 63
Hom. Od. VII 136, 195. Zu den Versammlungen in Homer vgl. HÖLKESKAMP 1997. Zum symbolischen Gehalt der Phaiakeninsel Scheria vgl. SCULLY 1981. Siehe insb. Hes. op. 639 f., 225–247 und 298–318; vgl. SPAHN 1980. Vgl. RAAFLAUB 1991, 242 f. mit reichhaltiger Literatur. Überlegungen auf Basis des evolutionären Modells von Nagy, ob einzelne Teile aus Ilias und Odyssee wie die berühmte Gerichtsszene in Hom. Il. XVIII 490–508 oder das Ende von Hom. Od. XXIV nicht eine spätere polis-Genese des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts widerspiegelten, sind vor diesem Hintergrunde Hypothese; vgl. NAGY 2003, 72–87 und BIERL 2015b, 192. Zu den mykenisch-homerischen Sprachbeziehungen vgl. BARTONEK 1991; allgemein zu den mykenischen Elementen vgl. KIRK 1960; HOOD 1995. Dies haben besonders COBET/GEHRKE 2002, 309 f. und PATZEK 1992, 186–202 hervorgehoben.
40 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts abheben. Dabei können diese Elemente vielleicht einmal historische Entsprechungen gehabt haben. In der außerliterarischen Gegenwart des Ependichters erscheinen sie hingegen nur als andersartig und erregen insofern Interesse bei den Zuhörern – ganz ähnlich wie die unmenschliche Kraft der Heroen, das Einwirken der Götter auf menschliche Belange oder aber auch ein inszenierter, über zehn Jahre dauernder Feldzug einer geeinten Armada gegen einen fernen Feind in Troia64. Archaismen und Phantasmen bilden also die narratologischen Zutaten, welche die epische Welt, die grosso modo ihrem früharchaischen Umfeld ähnelt, interessanter gestalten65. Sie sind das „Kolorit“ einer vergangenen, gefeierten Zeit, deren Besonderheit damit erst hergestellt wird66. Aus diesen literarischen Elementen einen historischen mykenischen „Rahmen“ herzuleiten, wie dies Joachim Latacz anlässlich des Korfmann-Kolb-Streits mit Vehemenz versucht67, heißt, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dieser Ansatz verkennt die gravierenden politischen, sozialen und militärischen Übereinstimmungen zwischen literarischer und früharchaischer Welt. Des Weiteren ignoriert er das Problem, dass die mykenische Welt mit ihrem hochdifferenzierten palatialen Herrschaftssystem um 1200 v. Chr. nachhaltig erschüttert und ab ca. 1050 v. Chr. nahezu vollständig untergegangen ist68. Daran ändern auch lokal begrenzte Ausnahmen wie das „Heroon“ im euböischen Lefkandi nichts69. Dass in dieser illiteraten, halbnomadischen Welt die homerischen Epen im Allgemeinen und mit ihnen ein mykenisches Wissen im Besonderen über rund 400 Jahre hinweg tradiert worden sein sollen, ist kaum glaubhaft. Daran kann auch ein epischer Hexameter als putatives Erinnerungsmedium70 wenig ändern. Ebenso wenig zeugt der Schiffskatalog, den Latacz auch gegen vehemente Kritik als eine Art mykenischen Kataster klassifiziert71, von einer lang andauernden homerischen Erinnerungstradition. Stattdessen korreliert dessen Versifikationstechnik klar mit derjenigen der übrigen Ilias, was grundsätzlich für ein ähnliches Alter in Bezug auf die übrigen Epenteile spricht72. Auch inhaltlich muss der Katalog nicht zwangsläufig auf mykenisches Wissen zurückgreifen; wahrscheinlicher ist der Bezug auf Orte des Heroenmythos oder auf geographische Kenntnisse der geometrischen Zeit73. Ein mykenischer Ursprung größerer Epeninhalte wie die des Schiffskatalogs ist daher aus64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Hierzu vgl. insbesondere COBET/GEHRKE 2002, 310. Ähnlich GIOVANNINI 1989, 29–31. Begriff bei STRASBURGER 1972, 34. Vgl. LATACZ 2001b, 307–312, Zitat 309. Vgl. zusammenfassend HÖLKESKAMP 2000. Vgl. RAAFLAUB 2003, 317–319 mit weiterer Literatur. Siehe S. 36. Der Anlass des Streits ist bei LATACZ 2001b, 256–287 zu finden; hiergegen KULLMANN 2001; hiergegen wiederum LATACZ 2001a; hierzu schließlich EDER 2003. Vgl. grundsätzlich VISSER 1997, 741–744. Vgl. a. a. O., 744–750; später schwächt derselbe Autor, wohl unter dem Eindrucke des Habilitationsgutachtens von Joachim Latacz, seine Argumentation auffallend ab, vgl. VISSER 1998, 39–44 und LATACZ 2001a; zusammenfassend EDER 2003, 291–297.
2.2 Quellenkritik
41
zuschließen. Die homerischen Dichtungen orientieren sich maßgeblich an der sie umgebenden Welt der Früharchaik. Zusammengefasst stellen die Epen Dichtungen, die man am ehesten im Leben des achten vorchristlichen Jahrhunderts verorten kann, dar. Archaisierungen und Phantasmen sind als Kennzeichen epischer Distanz der Gattung oral poetry geschuldet. Da die Epen allerdings permanent sowohl inhaltlich als auch formal auf eine ihnen vorgelagerte Vergangenheit rekurrieren, folgen sie den Erinnerungsmodi von oral history. Aus diesem Grunde orientieren sich die Dichtungen in der Darstellung grundlegender sozialer Strukturen, Verhältnisse und Beziehungen an den Verhältnissen ihrer außerliterarischen Gegenwart und unmittelbar vorhergehenden Vergangenheit. Vergleichende historisch-archäologische Studien haben diesbezüglich ergeben, dass der Entstehungskontext der Epen am ehesten im achten vorchristlichen Jahrhundert anzusetzen ist, zumal eine permanente Erinnerung präziser historischer Tatsachen über die gesamten dark ages hinweg ohne Schriftkenntnis in einer weitgehend erschütterten Welt ausgeschlossen werden kann. Grundsätzlich jedoch handelt es sich bei den Epen trotz aller Einfärbungen aus der außerliterarischen Realität um Dichtungen. Dies wird gerade im Rahmen der hier besonders interessierenden Demodokos-Episode deutlich. Hier verwendet der Ependichter mit dem oben beschriebenen mise en abyme ein besonderes narratologisches Mittel, um den fantastisch anmutenden Details der Odysseus-Biographie den Anschein von Authentizität zu geben. Dies macht die historische Auswertung dieses Abschnittes nicht unbedingt einfacher. Soviel zu den grundsätzlichen Überlegungen in Bezug auf den historischen Dokumentationswert der Epen sowie ihrer chronologischen Einordnung. Nun soll kurz auf die geographische Verortung der Gesänge eingegangen werden, bevor die Demodokos-Episode im Detail analysiert wird. Die antike Tradition hat Homer bekanntlich mit verschiedenen Orten in Ionien in Bezug gesetzt, auch wenn man heutzutage diesen legendenhaften Darstellungen wenig Glauben schenkt74. Generell in das westliche Kleinasien weist die homerische Kunstsprache mit ihrer ionischen Dominanz75. Das ist alles wenig Konkretes; für eine genauere Lokalisierung bedarf es der Analyse der Epen selbst. Fest steht, dass die homerischen Epen, insbesondere die Ilias, sehr viel Wert auf die Darstellung geographischer Daten legen. So zeichnet der bereits genannte Schiffskatalog die Herkunftsorte der achaiischen Angreifer nach, der Troerkatalog legt die Herkunftsorte der troischen Verteidiger dar. Die Einträge des Schiffskatalogs weisen nahezu vollständig in Richtung des griechischen Mutterlandes76, diejenigen des Troerkatalogs verweisen auf die kleinasiatische Küste77. Die Prämisse vorausgesetzt, dass die homerischen Epen als oral history Elemente ihres soziohistorischen Umfelds übernehmen, muss man davon ausgehen, 74 75 76 77
Grundsätzlich GRAZIOSI 2002, 62–89 mit einer detaillierten Kritik der antiken Quellen. Vgl. nach wie vor LESKY 1967, 23–39. Hom. Il. II 494–759. Hom. Il. II 816–877.
42 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts dass man in ihnen Reflektionen ihres außerliterarischen geographischen Umfelds finden kann. Was spricht also für das Mutterland, was für die kleinasiatische Küste? Fest steht die altbekannte Tatsache, dass eine Gesamtschau des achaiischen Angriffsheeres, wie sie der Schiffkatalog darstellt, rein ereignischronologisch im zehnten Kriegsjahr, das die Ilias umfasst, keinen Sinn ergibt78. Man geht daher davon aus, dass der Schiffskatalog auf einem älteren Versatzstück beruht, das nachträglich in die Ilias integriert worden ist. Für die hier interessierende Frage nach dem geographischen Hintergrund der homerischen Epen bedeutet dies, dass der Ependichter nicht zwangsläufig die im Schiffskatalog genannten mutterländischen Orte selbst in Augenschein genommen haben muss, sondern sie von anderer Quelle, sei sie nun schriftlich oder mündlich, übernommen haben kann79. Eindeutige Rückschlüsse auf den geographischen Hintergrund des Ependichters kann man sich also von einer Auswertung des Schiffskatalogs grundsätzlich nicht erhoffen. Besser sieht es hinsichtlich des Troerkatalogs aus. Zwar lässt sich auch hier die Übernahme einer älteren Vorlage in die Ilias nicht vollkommen ausschließen, auch wenn dies aufgrund der Kürze des Katalogs nicht sehr wahrscheinlich ist80. Auf der anderen Seite fallen die außerliterarischen Anlehnungen dieses Teils, die nahezu allesamt in die politische Welt Kleinasiens des achten und siebten vorchristlichen Jahrhunderts passen, auf81. So werden im Troerkatalog thrakisch-phrygische Gruppen erwähnt, die präzise dem Raum nördlich von Troia zuzuordnen sind82. In diesem Kontext wird konkret der Hellespont als natürliche Wegscheide der verschiedenen thrakischen Gruppen benannt83. Die wahrscheinlich thrakischen Dardaner versetzt der Ependichter über die Aineas-Deszendenz direkt nach Troia84. Ebenso erwähnt er Meioner und Lyder sowie Myser, Karer und Lykier, die er im westlichen und südlichen Kleinasien verortet85. Dies entspricht ziemlich genau dem, was man über die geographische Verteilung der geometrisch-spätgeometrischen kleinasiatischen koine heute weiß86. Zwei Ausnahmen gibt es. Zuerst lässt der Ependichter in Troia die Dardaner siedeln, was der historischen Situation der Früharchaik widerspricht. Zu diesem Zeitpunkt war das Gebiet in und um die troischen Ruinen herum schon lange in der Hand äolischer Griechen87. Zweitens erwähnt der Dichter mit keinem Wort die kleinasiatischen griechischen
78 79 80 81 82 83 84 85 86 87
Vgl. grundsätzlich KULLMANN 1993, 131 f. Vermutungen über die Beschaffenheit der Quelle bei KULLMANN 1993, 139 f. Vgl. a. a. O., 144 f. Das Folgende nach KULLMANN 1999, 61–66 mit weiterer Literatur. Vgl. a. a. O., 62 f. Hom. Il. II 845. Vgl. KULLMANN 1999, 68 f. Vgl. a. a. O., 70 f. Begriff bei SEYBOLD/UNGERN-STERNBERG 1993, 233–236; siehe ausführlicher unten S. 50–53. Vgl. HERTEL 2003, 186–191, der die äolische Besiedelung der Troas gegen BLEGEN 1962 schon im späten elften vorchristlichen Jahrhundert veranschlagt; siehe hierzu ebenso unten S. 50.
2.2 Quellenkritik
43
Siedlungen mit Ausnahme eines „karischen“ Milets88. Beide Tatsachen sind bereits vielfach mit der Rücksichtnahme des Ependichters auf die griechische Sagenchronologie erläutert worden. Da die ionische und die äolische Einwanderung nach Kleinasien erst nach dem Falle Troias angenommen wurden, konnten die kleinasiatischen Griechen logischerweise nicht in den Troischen Krieg eingreifen89. An ihre Stelle setzt der Ependichter in der fälschlichen Annahme, dass sie schon immer in Kleinasien gewohnt hätten, diejenigen Gruppen, die ihn zu seiner früharchaischen Zeit umgaben90. Der Troerkatalog, der aller Wahrscheinlichkeit nach vom Ependichter stammt, gibt also wichtige Hinweise auf einen ionischen Hintergrund der homerischen Epen. Diese Annahme wird durch zwei weitere Überlegungen erhärtet. Zuerst verweisen beiläufige geographische Andeutungen an weniger prägnanten Stellen ebenso auf eine präzise Kenntnis der kleinasiatischen Küste samt den Inseln. Insbesondere die Gegend um Smyrna wird mit dem Berg Sipylos und den Flüssen Hermos, Hyllos und Kaystrios erwähnt. Ebenso finden sich Orte wie der Gigäische See (Gygaia limne) oder das Tmolos-Gebirge mit dem „reichen Land von Hyde“91, was beides in Richtung des lydischen Königs Gyges weist92. Man könnte auch den gleichnishaften Verweis auf einen Kult des „Herrn von Helike“ anführen93, was mancher als Anspielung auf den Kult des Poseidon Helikonios am Panionion auf der Mykalehalbinsel verstanden wissen will94. Darüber hinaus ist bereits vielfach bemerkt worden, dass der Ependichter die Nachfolger des Aineas in besonderer Weise als Herrscher über die Troas adelt95. Hier offenbart sich eine Lücke in der ansonsten streng eingehaltenen Abgrenzung der heroischen Zeit von der Gegenwart des Dichters96. Man hat diesen indirekten Anschluss an die heroische Genealogie oft als politische Legitimation eines historischen Herrscherhauses der Aineiaden, die in der südlichen Troas des siebten vorchristlichen Jahrhunderts aktiv gewesen seien, gesehen97. Die außerliterarische Quellenlage zu den Aeineiaden ist allerdings alles andere als eindeutig98. Davon abgesehen steht in diesem Zusammenhang fest, dass auch hier der Ependichter in besonderer Weise auf einen kleinasiatischen 88 89
90 91 92 93 94 95 96 97 98
Hom. Il. II 867 f. Vgl. grundsätzlich PRINZ 1979, 326; analog PATZEK 1992, 110 f.; KULLMANN 1993, 137 f.; zum karischen Milet vgl. PRINZ 326, Anm. 33; hiergegen vehement LATACZ 2001a, der das Fehlen der Städte im Zuge seiner These, die homerischen Achaier spiegelten eine historische mykenische Koalition gegen Troia wider, als argumentum e silentio benutzt. Zu den Wanderungen thrakischer und anatolischer Gruppen im Kleinasien des zwölften und elften vorchristlichen Jahrhunderts vgl. KULLMANN 1999, 62 f. mit reichhaltiger Literatur. Hom. Il. XX 385. Vgl. KULLMANN 1992a, 107 f. mit detaillierten Belegen. Hom. Il. XX 404 ff. Siehe S. 51 f. Hom. Il. XX 303–308; vgl. insbesondere JACOBY 1933, 37–39; REINHARDT 1961, 450; ERBSE 1967; 22–24; zuletzt HERTEL 2003, 197 f. Vgl. PATZEK 1992, 174–176. Vgl. hierzu neuerdings NAGY 2010, 196–203. Vgl. grundsätzlich P. M. SMITH 1991, 25–45.
44 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts Kontext referiert. Dies alles – der Troerkatalog, die kleinasiatischen Referenzen, die Betonung der Aineiaden – ist weit davon entfernt, die alten Homerlegenden historisch zu verifizieren, geschweige denn einen exakten Herkunftsort der homerischen Epen zu beweisen. Diese Überlegungen engen aber den geographischen Referenzraum, vor dessen Hintergrund die Demodokos-Episode im Folgenden betrachtet werden muss, auf das kleinasiatische Ionien ein. Eine historische Quellenkritik der homerischen Epen gleicht dem Gang durch ein Minenfeld. Die Basis der erbrachten Überlegungen stellt die philologisch begründete Erkenntnis, dass die homerischen Epen wie oral history behandelt werden können, dar. Diese besondere lyrische Quellengattung ist anthropologischen Beobachtungen gemäß auf zweifache Weise gekennzeichnet. Erstens orientiert sie ihre Dokumentation grundsätzlich an den Zuständen ihres unmittelbaren soziohistorischen Kontextes; zweitens reicht ihre Erinnerung maximal ca. drei Generationen in die Vergangenheit zurück. Setzt man die homerischen Epen nun vorsichtig an der griechischen Schwelle von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit – also um 750 v. Chr. – an, sind frappierende Übereinstimmungen zwischen ihrer literarischen Welt und dieser geometrisch-früharchaischen Übergangszeit99 zu beobachten. Als Beispiele wurden militärische, soziale und politische Aspekte angeführt. Die teilweise sehr detaillierten Kenntnisse des Ependichters von der geographischen und ethnischen Welt des geometrisch-spätgeometrischen Kleinasiens legen zudem eine ionische Herkunft der Epen, wie dies durch die Legendenbildung um Homer vorgezeichnet ist, nahe. Betrachtet man nun die geographischen Kenntnisse des Ependichters genauer, so scheint ihm der Lyderkönig Gyges bekannt zu sein. Immerhin benennt er einen „Gygäischen See“. Dies würde die Spätdatierung der homerischen Epen in das erste Viertel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts, wie sie von Kullmann, Burkert und West vorgeschlagen wurde, erhärten. Unter Berücksichtigung des Dreigenerationengedächtnisses ergibt sich als ungefährer historischer Referenzpunkt der homerischen Epen insofern das kleinasiatische Ionien des achten vorchristlichen Jahrhunderts100. Vor diesem Referenzpunkt ist die Demodokos-Episode historisch auszuwerten: Inwieweit lässt sich das soziale Setting der Homerrezeption, wie sie in der Odyssee literarisch gestaltet ist, außerliterarisch mithilfe von Überresten aus dem geometrisch-spätgeometrischen Ionien bestätigen? Zu diesem Zwecke werden zuerst die Akteure betrachtet. Danach wird die inhaltliche Struktur der Demodokos-Episode analysiert, um zu eruieren, inwieweit der soziale Rahmen von Homerrezeption in Homer werkimma-
Ich folge hier wie im Folgenden in der chronologischen Einteilung GEHRKE/SCHNEIDER 2000, 450. Demnach umfasst der frühgeometrische Zeitraum ca. die Jahre 900–850, die geometrische Zeit die Jahre 850–750 und die spätgeometrisch-früharchaische Übergangszeit die Jahre ab ca. 750 v. Chr. 100 Ähnlich KULLMANN 2002b, 133 f. 99
2.3 Akteure, Themen und soziale Funktion homerischer Homerrezeption
45
nent konsistent ist. Zuletzt erfolgt der besagte Vergleich zwischen literarischer und außerliterarischer Wirklichkeit. 2.3 Akteure, Themen und soziale Funktion homerischer Homerrezeption Die Demodokos-Episode folgt einem komplexen Ablauf. Sie beginnt mit dem Aufruf Alkinoos’ an die anderen „szeptertragenden Anführer“ (οἱ ἄλλοι σκηπτοῦχοι βασιλῆες), in die Räume des Herrschers (ἐνὶ μεγάροισι) zu kommen, damit dort der Unbekannte „als Gastfreund aufgenommen“ (φιλεῖν) würde101. Mit diesem Verbum ist das Thema der gesamten Episode benannt: Es geht im Rahmen des übergeordneten Narrativs der Odyssee darum, dass der Protagonist in die Gemeinschaft der phaiakischen basileis integriert wird, damit diese ihn mit ihren Schiffen nach Ithaka bringen. Nachdem Alkinoos nun mit einem umfassenden Opfer die Festlichkeiten eröffnet hat, tritt Demodokos zum ersten Mal auf. Nachdem sich die Gastgeber um Alkinoos und Odysseus beim Mahle gestärkt haben, stimmt der Aoide einen ersten Gesang an. Dessen Thema ist mit der Vorgeschichte des Troischen Kriegs ein Ereignis, das der epischen Gegenwart unmittelbar vorausgeht und mit dieser aufs Engste verbunden ist102. Es ist kaum verwunderlich, dass der Protagonist ergriffen ist, wenn er mit seiner persönlichen Vergangenheit, die so viel Leid für ihn ausgelöst hat, konfrontiert wird103. Aber auch für Alkinoos ist die Geschichte, die der Sänger besingt, nicht unbekannt. Er bemerkt als einziger die Ergriffenheit des Fremden und schöpft einen ersten Verdacht. Um seinen insgeheim weinenden Gast nicht bloßzustellen, fordert er die Phaiaken auf, nach draußen zu gehen, damit man sich in Wettkämpfen (ἄεθλα) misst104. Hier erweist sich Odysseus nun als ein den phaiakischen basileis ebenbürtiger Gast, denn er weiß, wie sich das Verhalten bei athletischen Wettkämpfen ziemt (ἔοικα)105 – anders als das gemeine Volk (πουλὺς ὄμιλος), das der Gruppe um Alkinoos neugierig zuschaut106 und anders als der Phaiake Euryalos, der den Fremden mit Beschimpfungen reizt: Im Zorne wirft Odysseus den Diskus weiter als alle anderen und fordert seine Gastgeber heraus107. Erneut entspannt Alkinoos die Situation, indem er Demodokos ein zweites Mal aufspielen lässt, diesmal zum Tanzwettstreit108. Die frivole, göttliche Dreiecksgeschichte um Aphrodite, Ares und Hephaistos, die den Tanz begleitet, beschwichtigt und erfreut (τέρπειν) Odysseus, sodass Alkinoos die versammelten basileis dazu aufruft, 101 102 103 104 105 106 107 108
Hom. Od. VIII 40–42. Hom. Od. VIII 72–82. Hom. Od. VIII 83–85. Hom. Od. VIII 100–104. Hom. Od. VIII 144 f. Hom. Od. VIII 109. Hom. Od. VIII 166–233. Hom. Od. VIII 250–255.
46 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts dem Protagonisten Gastgeschenke zu überreichen109. Mit diesem Akt, insbesondere mit der Versöhnung zwischen Odysseus und dem streitbaren Euryalos, ist der Fremde als ebenbürtiger Gastfreund (ξεῖνος) in die Runde der 13 phaiakischen basileis aufgenommen110. Nach Sonnenuntergang und nachdem Odysseus gebadet hat, beginnt nun ein zweites Gastmahl (δαίς) für den Protagonisten111, dessen Name nach wie vor nicht bekannt ist. Hier nun singt Demodokos ein drittes Mal. Es ist Odysseus selbst, der mit der trickreichen Eroberung Troias das neue Thema des Sängers vorgibt. Zuvor wird Demodokos ausgiebig vom Protagonisten gelobt. Jener kenne die Geschichten um den Troischen Krieg gemäß der Ereignisfolge (κατὰ κόσμον), deswegen möge er die Ereignisse um Troias Fall genauso, wie sie sich zugetragen haben, vortragen112. Gelänge es dem Sänger, diese strenge Vorgabe umzusetzen, würde Odysseus seinen Namen im Gegenzug über alle Grenzen hinweg loben113 . Tatsächlich zergeht Odysseus in Tränen, während er seine eigene Biographie aus dem Munde Demodokos’ hört114. Alkinoos fordert angesichts dessen schließlich den Fremden auf, seine Identität preiszugeben115, was Odysseus gern erfüllt116. Er ist nun als ganz besonderer Gastfreund der Phaiaken identifiziert und wird, nachdem er von seinen berühmten Irrfahrten berichtet hat, erneut mit Gastgeschenken überhäuft117. Soviel zum genaueren Inhalt der Demodokos-Episode und ihrer Funktion innerhalb des übergeordneten Plots der Odyssee: Der Protagonist wird in die Gemeinschaft der Phaiaken als mindestens ebenbürtiger Gastfreund, der daraufhin nach Hause geleitet wird, integriert. Diese Eingliederung geschieht allerdings erst, nachdem Odysseus besondere Kenntnisse in zwei Bereichen bewiesen hat: zum einen im Sport und zum anderen in Bezug auf die Kenntnis der Geschehnisse vor Troia. Dieses besondere Genre wird in der Ilias mit dem Begriff κλέα ἀνδρῶν bezeichnet118. Es umfasst im Rahmen des homerischen Narrativs eine gleichsam zeithistorische Schicht, die der epischen Gegenwart, in der sich Odysseus und die Phaiaken befinden, unmittelbar vorausgeht. Aus der außerliterarischen Perspektive derjenigen, welche die Demodokos-Episode rezipieren, handelt es sich bei dieser Zeitebene allerdings um eine umso weiter entfernt liegende heroische Vergangenheit. Indem Odysseus nun die Wettkämpfe über Gebühr besteht und um die Ruhmestaten der Helden von Troia kata kosmon weiß, zeigt er sich als jemand, der aus der gewöhnlichen Volksmasse, wie sie auch bei den Spielen zuge-
109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
Hom. Od. VIII 367–397. Hom. Od. VIII 396–415. Hom. Od. VIII 417–456, Zitat Z. 429. Hom. Od. VIII 489–498. Hom. Od. VIII 496–498. Hom. Od. VIII 521 f. Hom. Od. VIII 536–551. Hom. Od. IX 16–20. Hom. Od. XIII 1–15. Hom. Il. IX 189.
2.3 Akteure, Themen und soziale Funktion homerischer Homerrezeption
47
gen ist, heraussticht. Dem in dieser Arbeit besonders interessierenden Erinnerungsrekurs kommt also eine gemeinschaftsbildende Funktion zu, und zwar hinsichtlich der elitären Gruppe der basileis, die sich auf diese Weise von den laoi abgrenzt. Diese Distinktion wird auch lokal vollzogen. Das abendliche Gastmahl (δαίς), bei dem reichlich Wein fließt119, findet im abgeschiedenen Raume von Alkinoos’ megaron statt120, dessen Zutritt sowohl dem einfachen Volke als auch Frauen121 verwehrt ist. Diese Räume sind sehr repräsentativ ausgestaltet; bei Odysseus hängen allerlei Waffen an den Wänden122. Auf der anderen Seite wird die Egalität dieser elitären Gruppe betont, auch wenn Alkinoos als Gastgeber, der den Festablauf maßgeblich organisiert, erscheint. So wird beispielsweise das egoistische und respektlose Verhalten Euryalos’ Odysseus gegenüber konsequent missbilligt. Ganz im Gegenteil ist ein wesentlicher Wert dieser Feiergemeinschaft die Gegenseitigkeit123. Diese zeigt sich in dem Handel, den Odysseus Demodokos vorschlägt. Der Sänger solle von Troias Fall kata kosmon künden; Odysseus wiederum würde daraufhin den Ruhm des Sängers verbreiten124. Auch an anderer Stelle begegnen in den Epen, insbesondere in der Odyssee, Aoiden, die zum festen Bestandteil von Gastmahlen gehören125. So tritt ein anonymer Sänger bei einem Fest, das Menelaos mit seinen Gefährten (ἔται) anlässlich der Hochzeit seiner Tochter begeht, auf126. Besonders instruktiv ist der Vergleich mit dem Gelage (δαίς), währenddessen Aphrodite in Gestalt von Odysseus’ Gastfreund Mentes dem jugendlichen Telemachos den entscheidenden Anstoß zu seiner Emanzipation von den Freiern gibt127. Auch wenn die Freier in ihrem Verprassen fremden Eigentums moralisch als übermütig und maßlos gelten128, sind sie in sozialer Hinsicht als aristoi angesehen. Bei dem Gelage handelt es sich also um eine auserwählte Männerrunde129, die sich abgeschieden vom Volk im Haus des Odysseus trifft130, um ausgiebig zu essen und zu trinken131 Schließlich tritt auch hier, wenn auch unter Zwang, der Sänger Phemios auf, der mit den tragisch verlaufenen nostoi der Achäer von den klea andron berichtet132. Die Freier erfreuen sich an den Geschichten, verbinden sie diese doch mit Odysseus’ 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132
Hom. Od. VIII 456. Zum megaron als Ort des Gelages vgl. WEES 1995, 148–154. Anders bzgl. der Teilnahme von Frauen urteilt WEES 1995, 154–158. Hom. Od. IV 72 f.; XXII 109 ff.; vgl. WEES 1995, 148–154. Zur Reziprozität bei Homer vgl. allgemein DONLAN 1998 mit weiterer Literatur. Hom. Od. VIII 496–498. Grundlegend zu den Aoiden in den homerischen Epen vgl. nach wie vor WELCKER 1865, 316–335; neuerdings LATACZ 1996; SCHUOL 2006 und MASLOV 2009; eine Sammlung einschlägiger Eposstellen findet sich bei BIELOHLAWEK 1940, 13. Hom. Od. IV 15–17. Hom. Od. I 123–424, Zitat Z. 152. Hom. Od. I 227. Hom. Od. I 356–359; 421–424. Hom. Od. I 126. Hom. Od. I 136–143. Hom. Od. I 325–327.
48 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts Schicksal, von dem sie eigennützig hoffen, dass es ebenfalls schlecht verlaufen sein möge133. Die verschleierte Penelope hingegen unterbricht das Männergelage und beschwert sich tränenreich, da sie sich an das tragische Schicksal ihres Ehemanns erinnert fühlt134. Telemachos schließlich, der zuvor von Athene über die Rückkehr Odysseus’ unterrichtet worden ist, nimmt den Gesang zum Anlass, die Freier in Sicherheit zu wiegen, indem er den angeblichen Tod des Vaters augenscheinlich bestätigt und die Rolle des neuen Hausherrn ebenfalls gegenüber der Mutter einnimmt135. Auch hier wird Geschichte von der auf sie Bezug nehmenden Gegenwart vereinnahmt. Sie motiviert Handeln und Denken ihrer Rezipienten, wenn auch auf recht unterschiedliche Art und Weise. Der Vergleich homerischer Gelage zeigt also zweierlei. Erstens ist der soziale Rahmen, in dem die klea andron zelebriert werden, im Großen und Ganzen in sich konsistent: Die aus Sicht der epischen Gegenwart zeithistorischen Ereignisse um die Eroberung Troias werden von einem Sänger in einer sozial abgegrenzten, aber in sich egalitären, abendlich zechenden Männerrunde besungen136. Das soziale Setting des Gastmahls erinnert stark an das, was man in klassischer Zeit Symposion nennen wird, auch wenn sich das homerische Gelage von späteren Formen im Detail unterscheidet. So ist der Gebrauch der Kline noch unbekannt137, ebenso die Bezeichnung andron für den Ort des Symposions138 . Was allerdings bereits in den Epen deutlich wird, ist eine der Funktionen dieser Proto-Symposien, die in der sozialen Abgrenzung der basileis oder aristoi von der Volksmasse besteht139. Homerrezeption in Homer findet also nicht, wie Nagy dies betont, im Rahmen einer Art städtischen Festivals, das auf ein größeres Publikum abzielt, statt140. Sie ist eine Sache der exklusiven Gruppe der basileis und der Aoiden, die sich in deren Dienst stellen. Zweitens hat diese besondere Erinnerungskultur eine klar definierte soziale Funktion. Ihre Kenntnis und Teilhabe stiften Gemeinschaft. Dies wird gerade in der Demodokos-Episode offenbar. Die genaue Kenntnis der klea andron, das exakte Wissen um die Heldentaten kata kosmon schafft genauso einen exklusiven sozialen Zusammenhalt wie die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen141, der Erwerb oder Austausch von Luxusobjekten, die Ausrichtung grö-
Hom. Od. I 350–352. Hom. Od. I 328–344. Hom. Od. I 353–359, 396 f. Zur sozialen Egalität homerischer Gelageteilnehmer vgl. ebenso WEES 1995, 168–175. Vgl. ebenso MURRAY 1983, 196–198; WEES 1995, 177–179; SCHÄFER 1997, 14–16; WECOWSKI 2002, 626 f.; neuerdings ders. 2014, 206–211. 138 Vgl. HOEPFNER 1999, 139–141. 139 Hierauf weist vollkommen zu Recht WEES 1995, 177–179 hin; abwägend hingegen WECOWSKI 2014, 234–239. 140 So NAGY 2010, 79–93 auf Basis rein komparatistischer Überlegungen, die allerdings die gezeigte soziale Abgeschiedenheit homerischer daites ignorieren. 141 Vgl. grundlegend MANN 1998. 133 134 135 136 137
2.3 Akteure, Themen und soziale Funktion homerischer Homerrezeption
49
ßerer Feste142 oder eine proto-politische Ausübung von Rechtsprechung143. Sie bildet den Teil einer elitären Kultur, deren Kenntnis für die homerischen basileis, die sich ihrer exponierten gesellschaftlichen Stellung gerade nicht sicher sein können144, von elementarer Bedeutung ist. Die Homerrezeption in Homer geht insofern über ein bloßes Amüsement, wie es die Dreiecksgeschichte um Hephaistos darstellt, hinaus. Sie verschafft den basileis eine soziale Orientierung und legitimiert ihr erhabenes Prestige in Relation zu den laoi. Die rituelle Kultivierung der klea andron in überlieferter Form während der Gelage begünstigt die Formierung einer exklusiven Gruppe der basileis145. Zwischen geschichtlicher Überlieferung und ihren Rezipienten besteht eine besondere, wechselseitige Beziehung: Das kleos vergangener Heldentaten färbt auf das kleos ihrer Zuhörer ab. Die Erfindung des Troianischen Pferds ist zwar untrennbar mit der Biographie Odysseus’ verbunden. Ihr Zelebrieren im Kreis der phaiakischen basileis allerdings überhöht diese bloße Kriegslist zu einem als historisch empfundenen Ereignis von gemeinschaftsstiftendem Wert. Es ist gerade diese Wechselseitigkeit zwischen einer ausgewählten und stilisierten Vergangenheit und ihren Trägern, die intentionale Geschichte ausmacht146. Es hat sich bis hierher über die Demodokos-Episode hinaus gezeigt, dass der soziale Kontext von Homerrezeption in Homer in sich widerspruchsfrei ist: Homerische Vergangenheit wird zum Zwecke von Gruppenbildung im proto-sympotischen Kreis der basileis rezipiert. Ihre Erinnerung ist Sache der Aoiden. Ihre Kenntnis kata kosmon trägt dazu bei, dem exklusiven Kreis der basileis anzugehören. Diese werkimmanente Konsistenz ist gerade unter der Berücksichtigung der besagten Entstehungsbedingungen von oral history147 ein Hinweis darauf, dass diese poetische Darstellung homerischer Homerrezeption eine historische Entsprechung hat, und zwar in ihrem putativen Entstehungskontext des geometrisch-früharchaischen Kleinasiens. Aus diesem Grunde soll nun ein entsprechender Vergleich zwischen literarischer und möglicher außerliterarischer Welt gezogen werden.
Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 46–52. Siehe hierzu Hes. op. 39, 221; 264; vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 94–103. Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 33–38; ähnlich ULF 1990, 99–105 und WECOWSKI 2014, 19–26. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Ritual und Kohärenzbildung grundsätzlich J. ASSMANN 1992, 17 f. Zu den performativen Aspekten der homerischen Epen vgl. grundlegend VETTA 1983, 177–183 und GENTILI 1983, 31–33; den Zusammenhang zwischen Performanz und Ritual in Bezug auf die archaischen Lyriker legen grundlegend RÖSLER 1980, 33–44 und hiernach PALLANTZA 2005, 15– 22 dar; mit Blick auf die Alte Komödie siehe BIERL 2001, 11–30. 146 Vgl. GEHRKE 2003, 64 f. 147 Vgl. S. 36 und 41. 142 143 144 145
50
2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
2.4 Die Demodokos-Episode und das geometrisch-früharchaische Ionien Die Kulturgeschichte des geometrisch-früharchaischen Kleinasiens ist in der letzten Zeit im Rahmen der Korfmann-Kolb-Diskussion verstärkt in den Blick geraten148. Im Folgenden werde ich knapp den diesbezüglichen Forschungsstand skizzieren, um dann einen ausführlichen Vergleich zur literarischen Welt der Epen zu ziehen. Wenn auch über die historischen Ursachen griechischen Lebens in Kleinasien heftig debattiert wird149, so gilt doch die kulturelle Vielfalt dieses Landstriches in dem hier interessierenden Zeitraum als grundsätzlich erwiesen150. Aiolische Griechen scheinen die Gegend um Troia in nachmykenischer Zeit, verstärkt jedoch ab 900 v. Chr. besiedelt zu haben151. Der Schwerpunkt der aiolischen chora erstreckte sich jedoch weiter südlich entlang der Küste und auf der Insel Lesbos152. Alt-Smyrna ist die am ältesten greifbare äolische Siedlung, deren Anfänge in protogeometrische Zeit datiert werden153. Südlich hiervon dehnte sich in Küstennähe zwischen den Flüssen Hermos und Maiandros der ionische Einflussbereich, der ebenso die Inseln Chios und Samos umfasste, aus154. Wiederum weiter südlich siedelten bis auf Höhe von Rhodos die dorischen Griechen155. Die Ausbreitung der Griechen wird nicht immer frei von Konflikten gewesen sein, wie aus einer Notiz bei Herodot in Bezug auf das ionische Verhältnis zu den Karern hervorgeht156. Das gesamte griechische Einflussgebiet wurde in Richtung Landesinnern von den Mysern im Norden und den Karern im Süden abgeschlossen. Ab dem frühen siebten vorchristlichen Jahrhundert tritt mit den Lydern die Ethnie auf, die das kleinasiatische und zentrale Anatolien bis hin zur persischen Expansion maßgeblich bestimmen wird157. Es verwundert vor dem Hintergrunde dieser ethnischen Gemengelage nicht, dass das früharchaische Kleinasien von Krieg geprägt ist. Da sind zuerst innerionische
Den Anfang hat STARKE 1997 gemacht; in seiner Folge stehen HÖGEMANN 2000a und ders. 2000b; hiergegen mit gewichtigen Gründen BLUM 2002. 149 Die Kontroversen um die Historizität einer der modernen Chronologie nach submykenischen griechischen Wanderungsbewegung Richtung Kleinasien, wie sie u. a. bei Hdt. I 142–146 und Thuk. I 2 begegnen, brauchen hier im Einzelnen nicht nachvollzogen werden; siehe die grundsätzliche Kritik von PRINZ 1979, 317–369 und COBET 1999a; eine Synthese zwischen literarischer Tradition und archäologischer Evidenz versuchen hingegen LEMOS 1999, 727 und HERTEL 1999, 117–120; zusammenfassend vgl. CRIELAARD 2009, 55–57. 150 Zum Folgenden vgl. grundsätzlich MAREK 2010, 160–165. 151 Vgl. HERTEL 2003, 188–191. 152 Vgl. grundlegend HERTEL 1999, 97–124. 153 Vgl. nach wie vor AKURGAL 1983, 15–20; hiernach auch HERTEL 1999, 99. 154 Hdt. I 142. 155 Hdt. I 144. 156 Hdt. I 146. Zu möglichen Überresten einer karischen Urbevölkerung in der chora Milets vgl. LOHMANN 2004. 157 Zu den relativ dunklen Ursprüngen des lydischen Königreichs unter König Gyges vgl. KERSCHNER 2005, 129–131 mit weiteren Referenzen. 148
2.4 Die Demodokos-Episode und das geometrisch-früharchaische Ionien
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Auseinandersetzungen zu nennen: Die Inseln Chios und Samos waren ab dem achten vorchristlichen Jahrhundert wohl mangels fruchtbaren Ackerlands bestrebt, ihre jeweiligen Territorien in Richtung kleinasiatisches Festland zu vergrößern158. Darüber hinaus entbrannte im ionisch-äolischen Grenzgebiet ein Streit um Alt-Smyrna, den, wie Herodot berichtet159, die Ionier für sich entscheiden konnten. Dieser Konflikt muss, berücksichtigt man den ionischen Wanderungsmythos, wie er beim früharchaischen Lyriker Mimnermos von Kolophon zuerst greifbar ist160, vor dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert entschieden worden sein. Die archäologische Befundlage spricht eher für eine sukzessive ionische Expansion ab dem zehnten vorchristlichen Jahrhundert, die bis Mitte des neunten die aiolische Kultur in Alt-Smyrna weitgehend verdrängt hat161. Auch das Verhältnis zu barbarophonen Völkern ist von Krieg gezeichnet. Laut Vitruv sollen verschiedene ionische Städte gemeinschaftlich gegen das höchstwahrscheinlich karische, auf der Mykalehalbinsel gelegene Melie Krieg geführt haben162, was mit Bezug auf zwei hellenistische Inschriften auf ca. 700 v. Chr. datiert werden kann163. Mit dieser Auseinandersetzung verbunden ist der laut Herodot zentrale ionische Kult- und Versammlungsort des Panionions164, das sich auf melischem Gebiet befunden haben muss165. Ob allerdings dieser Kult bereits vor dem besagten Kriege Bestand hatte166, ob er vielleicht dazu beigetragen hat, die antimelische Koalition ionischer Städte zu festigen167, ob er erst das Ergebnis dieses Krieges ist168, all das ist mangels eindeutiger Quellen im Dunklen169. Jedenfalls wird davon berichtet, wie ionische poleis um das frucht-
Vgl. JEFFERY 1978, 208 f. mit weiteren Referenzen. Hdt. I 150. Mimn. fr. 9 W2 = 3 G.-P. Vgl. AKURGAL 1983, 20 f. und 27. Vgl. Vitr. 4, 1, 4, der noch von „Melite“ als Kriegsschauplatz spricht. Zu Hekataios’ Qualifizierung Melies als karisch siehe FrGrH 1 F 11, hiergegen die Überlegungen von TAUSEND 1992, 72 f. 163 Vgl. grundlegend TAUSEND 1992, 70–74 mit weiteren Referenzen. Kritik zu dieser Datierung äußert CRIELAARD 2009, 60 und 66 f. 164 Hdt. I 141–143; 148. 165 Dies lässt sich aus der Aufteilung der melischen Gebiete nach dem Krieg schließen, siehe GAERTRINGEN 1906, Nr. 37. 166 So die im hellenistischen Marmor Parium greifbare antike Auffassung. Der Text setzt den Kult mythisch überhöht kurz nach dem Troischen Krieg an, siehe FrGrHist 239 A 27. Auch das Gleichnis in Hom. Il. XX 403 ff. könnte eine Anspielung auf diesen Kult sein. Setzt man die Spätdatierung der homerischen Epen an, könnte diese Notiz für die Existenz dieses Kultes wenigstens in früharchaischer Zeit sprechen; eine kritische Diskussion dieser Stelle findet sich bei LOHMANN 2005, 65–68; hiernach CRIELAARD 2009, 65. 167 Vgl. TAUSEND 1992, 72 f.; in Abwandlung LOHMANN 2005, 88 f. 168 Vgl. CRIELAARD 2009, 60; zuvor WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1906. 169 Zentral für diese Frage ist die Datierung und Lokalisierung derjenigen Überreste, die man heute mit Melie und dem Panionion in Verbindung bringt, vgl. LOHMANN 2005, 72–89 mit gewichtigen Gründen gegen die älteren Einordnungen von KLEINER 1967. Abwägend hierzu HERDA 2006; zusammenfassend HOEPFNER 2011, 29 f. 158 159 160 161 162
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2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
bare Land der Mykalehalbinsel in den folgenden Jahren immer wieder kämpften170. Sicher hinsichtlich der ionischen Außenbeziehungen allerdings ist die Expansion des lydischen Mermnadengeschlechts. Mimnermos von Kolophon berichtet von ersten Feldzügen gegen Smyrna unter König Gyges, die demnach in das zweite oder dritte Viertel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts fallen müssen171. Unter dessen Nachfolgern bis Kroisos schließlich erobern die Lyder bis Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts alle kleinasiatischen Griechen oder drängen diese in vertragliche Abhängigkeiten; auch die übrigen Ethnien, die bis dahin im nördlichen und südlichen Zentralanatolien siedeln, fallen der lydischen Ausdehnung zum Opfer172. Trotz dieses kriegerischen Ambientes waren die kulturellen Grenzen gerade zwischen Griechen und barbarophonen Völkern durchlässig. Dies betrifft besonders das ionisch-lydische Verhältnis, wie dies auch Herodot bemerkt173. Aspekte des Kulturaustausches beziehen sich auf Linguistisches174, Religiöses175 und Materielles176. Gerade letzteres ist für die historische Verortung der homerischen Proto-Symposien von besonderer Relevanz. Crielaard hat zuletzt überzeugend gezeigt, dass das kriegerisch geprägte Amalgam verschiedener Kulturen und die Nähe zu Lydien maßgeblich Spuren hinsichtlich der sozio-politischen Entwicklung des kleinasiatischen Ioniens hinterlassen haben177. So hat sich ab dem siebten vorchristlichen Jahrhundert, also zeitgleich zu den ionisch-lydischen Auseinandersetzungen, eine elitäre, Luxus liebende leisure class gebildet. Diese Schicht orientierte sich eher an Statussymbolen denn an ethnischen Grenzen. So sind edle, von entfernten Orten stammende Kleidungsstücke und Schmuckgegenstände für das früharchaische kleinasiatische Ionien reichlich dokumentiert. Insbesondere an den sprichwörtlich reichen178 Nachbarn aus Lydien 170 171
172 173 174 175 176
177 178
Vgl. grundlegend TAUSEND 1992, 74–78 mit weiteren Referenzen. Mimn. fr. 22 G.-P.; ähnlich Hdt. I 15. Zur Datierung von Mimnermos vgl. A. ALLEN 1993, 9–13. Inwieweit die nur rudimentär erhaltene Smyrneis von Mimnermos die Auseinandersetzungen mit den Lydern beachtet, ist kaum verifizierbar, siehe Mimn. fr. 21 G.-P.; zur Diskussion vgl. W2 a. O. und im Folgenden S. 72. Hdt. I 6–28, 141; vgl. hierzu grundlegend EHRHARDT, 102–104 und MAREK 2010, 152–159 mit weiteren Referenzen. Hdt. I 94. Zur Verwendung karischer oder lydischer Lehnwörter in den kleinasiatisch-griechischen Dialekten, wie sie beispielsweise beim Ephesier Hipponax greifbar werden vgl. CRIELAARD 2009, 44–46 mit Referenzen. Vgl. die enge, auch personelle Verbindung des ephesischen Artemision mit dessen lydischer Filiale in Sardeis, siehe grundlegend KERSCHNER 2006; zusammenfassend ders. 2005, 109 f. Dies zeigt insbesondere den tiefgreifenden lydischen Einfluss auf hochwertige Keramiken und Goldschmiedearbeiten, wie sie im ionisch-äolischen Grenzgebiet von Ephesos und Smyrna aufgetaucht sind, sowie die nahezu zeitgleiche Emittierung von Elektronmünzen, siehe KERSCHNER 2005, 131–141; EHRHARDT 2005, 107–109 und MAREK 2010, 157–159; siehe aber auch den nicht-monetären Austausch zwischen Karern und Ioniern, vgl. FAZLIOGLU 1999. Vgl. CRIELAARD 2009, 57–63. Diesbezüglich geben ionische und aiolische Dichter beredte Auskunft, vgl. Archil. fr. 22 Diehl = fr. 19 W2; Sapph. fr. 152 Diehl = fr. 32 V; Sapph. fr. 98 AB Diehl = fr. 98a V; Alkm. fr. 8 Calame.
2.4 Die Demodokos-Episode und das geometrisch-früharchaische Ionien
53
orientierte man sich179 – auch wenn man gegen sie Krieg führte und auch wenn man von Beginn an der lydischen Luxuskultur kritisch begegnete. Diese ambivalente Einstellung zwischen Faszination und Abwehrhaltung wird insbesondere im resignativen Zeugnis Xenophanes’ gegenüber exzessiver Zurschaustellung aristokratischen Wohlstands in Kolophon deutlich180 . Das Symposion nun nahm innerhalb dieser entstehenden leisure class einen zentralen Raum ein181. Materielle Relikte dieses Sozialphänomens zeigen sich vorwiegend architektonisch. In Alt-Smyrna finden sich ab der zweiten Hälfte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts vom übrigen oikos baulich abgetrennte Räume, die man mit andrones in Verbindung bringt. Hier ist insbesondere der sog. Oinochoe-Raum aus dem gleichnamigen Gebäudekomplex zu nennen. Der dort gefundene Weinkrug weist die sympotische Funktion dieses Raumes aus. Ebenso wird vermutet, dass an dessen Wänden Klinen angebracht worden sind182. Schon früh, spätestens zu Lebzeiten Alkmans in der zweiten Hälfte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts183, ist das aus dem Orientalischen stammende Zu-Tische-Liegen höchstwahrscheinlich über lydische Vermittlung von den Ioniern übernommen worden184. Um die Wende vom siebten zum sechsten vorchristlichen Jahrhundert erscheinen erste Darstellungen von Aristokraten auf Klinen beim Symposion, und zwar auf korinthischen Vasen185, was für eine schnelle Ausbreitung dieser Kultur spricht186. Das kleinasiatische Ionien nimmt in diesem Kontext insofern eine besondere Stellung ein, als von hier aus die besonders luxuriöse Form des Symposiums „à la lydienne“187 Einzug in die griechische oikumene gefunden hat. Vergleicht man nun endlich die historische Symposionskultur mit den literarischen Proto-Symposien, wie man sie in der Demodokos-Episode und anderswo in den homerischen Epen findet, so offenbaren sich starke Übereinstimmungen188. In beiden Fällen finden Gelage im vom restlichen oikos abgeschiedenen Raum, den Frauen nicht oder nur im Ausnahmefall betreten dürfen, statt. Zweitens handelt es sich sowohl bei
179 180 181 182 183 184 185 186 187 188
Vgl. insb. CRIELAARD 2009, 60–63; EHRHARDT 2005, 104–106; KERSCHNER 2005, 140 f., STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 107. Siehe Xenophan. fr. 3 G.-P. = DK 21 B 3. Vgl. zu diesem ganzen Komplex geometrisch-früharchaischer Symposien neuerdings WECOWSKI 2014, 288–294. Vgl. AKURGAL 1983, 36–39; zusammenfassend HOEPFNER 1999, 141–145. Alkm. fr. 11 Calame. Alkman stammte bekanntlich wahrscheinlich aus Lydien, siehe Alkm. fr. 8 Calame = 16 PMG. Vgl. grundlegend FEHR 1971, 26 und 128–130; ebenso BOARDMAN 1990 und MURRAY 1990b, 5–7; neuerdings vorsichtiger WECOWSKI 2014, 159–168 und 188 f. Vgl. FEHR 1971, 26–28. Vgl. zur den geographischen Aspekten ebenso HOEPFNER 1999, 146–148; BERGQUIST 1990 und neuerdings KÖSTER 2001, 21–26. WECOWSKI 2014, 189. Vgl. analog, wenn auch abwägender WECOWSKI 2014, 234–239.
54 2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts den historischen als auch bei den literarischen Mahlen offenkundig um aristokratische Phänomene. Dafür spricht die Abtrennung der homerischen basileis vom Volk genauso wie der hochwertige Schmuck und die Luxusgegenstände, wie sie bei historischen Gelagen zu finden sind. Die einzige Einschränkung diesbezüglich ist, dass die Sitte des Zu-Tische-Liegens in den Epen noch nicht zu finden ist. So kann man abschließend begründet annehmen, dass das kulturelle Phänomen der homerischen Proto-Symposien genauso seinen historischen Sitz im Leben des geometrischen oder früharchaischen Griechenland hat wie der militärische Aspekt der Proto-Phalanx, der politische Aspekt der polis-Bildung oder der soziale Aspekt einer Aristokratie in statu nascendi189, was im Übrigen mit der aufkeimenden Symposionskultur untrennbar verbunden ist. Die Homerrezeption, wie sie die Demodokos-Episode widerspiegelt, passt nun in besonderem Maße zu der skizzierten Situation der kleinasiatisch-ionischen Aristokratie, die sich insbesondere seit der lydischen Expansion im siebten vorchristlichen Jahrhundert permanent kriegerischer Gefahr ausgesetzt gesehen sah. Die homerischen Epen, vornehmlich die Ilias, thematisieren in prägnanter Weise einen Kampf, in dem die Helden mit ihren Aristien aus der anonymen Masse der Phalangen hervorstechen190. Die historische, martialisch geprägte Gegenwart der Früharchaik korreliert mit diesem literarischen Bild grundsätzlich, auch wenn die Epen entgegen einer historischen Realität, in der die Massentaktik der Phalanx auf dem Vormarsch ist191, den Typus des edlen Zweikämpfers hervorheben. Diese Diskrepanz zwischen literarischer und außerliterarischer Realität passt zu einer Stilisierung eines adligen Kämpfertypus, der zum Paradigma trotz gegenläufiger sozio-militärischer Entwicklungen emporgehoben wird. Die homerischen Helden sind aber nicht nur herausragende Krieger. Sie sind ebenso generöse Gastgeber, sie offenbaren einen gesunden Hang zur Repräsentation und sie sind Musischem gegenüber aufgeschlossen. Der Phaiakenherrscher Alkinoos konzentriert in sich geradezu paradigmatisch diese Eigenschaften, die aber auch an anderen Stellen in den Epen immer wieder auftauchen. All das passt genau zu den materiellen und kulturellen Gütern, welche die aufkeimende ionische Aristokratie von den Lydern übernommen hat. Auch in dieser Hinsicht erscheinen die homerischen Helden insofern als vorbildlich. Wenn es also auf der einen Seite stimmt, dass die homerischen Epen verschiedene historische Elemente des geometrischen kleinasiatischen Ioniens literarisch widerspiegeln und wenn auf der anderen Seite eine sich etablierende ionische Aristokratie dieser Zeit darauf bedacht gewesen ist, sich sowohl nach innen gegenüber der übrigen Bevölkerung als auch nach außen gegenüber den Lydern zu behaupten, dann erfüllt die Erinnerung an die heroischen Helden des Troischen Kriegs eben diese Funktion von Kohäsion nach innen durch Abgrenzung nach außen. Das kleos der homerischen Helden gerinnt zum kleos einer proto-aristokratischen Schicht, 189 190 191
Siehe S. 37 f. Vgl. z. B. Hom. Il. V 1–909. Vgl. LATACZ 1977, 128 und 237 f.; WEES 1997, 689–693.
2.5 Proto-aristokratische Homerrezeption im geometrisch-früharchaischen Ionien
55
die sich nicht nur in einer ideellen, sondern auch in einer historischen Kontinuität ihrer Vorbilder sieht. Insofern greifen erinnernde Gegenwart und erinnerte Geschichte ineinander. Die geometrisch-früharchaische Homerrezeption ist vor diesem Hintergrunde intentional. Ihr sozialer Träger ist die auf innere wie äußere Kohäsion bedachte sich etablierende ionische Aristokratie. Als sozialer Ort ihrer Performance erscheint das Symposion bzw. dessen Vorläuferform. 2.5 Proto-aristokratische Homerrezeption im geometrisch-früharchaischen Ionien Die homerische oral history korreliert in bemerkenswerter Art und Weise mit dem, was sich anhand der überlieferten Überreste von der geometrisch-früharchaischen Welt rekonstruieren lässt. Insbesondere die homerischen basileis ähneln in Selbstverständnis und Lebenswelt der sich verstetigenden Aristokratie des achten vorchristlichen Jahrhunderts. Dies gilt umso mehr für den sozialen Ort, der für die Stiftung eines elitären Selbstwertgefühls der homerischen Helden zentral ist, dem Gelage. Auch hier zeigen sich hinsichtlich der elitären Teilnehmer und des abgeschiedenen Veranstaltungsortes bemerkenswerte Überschneidungen zu dem sich etablierenden Symposion des siebten vorchristlichen Jahrhunderts. Dessen besonders ostentative Interpretation à la lydienne breitet sich innerhalb kürzester Zeit von Ionien aus in alle Bereiche der griechischen oikumene. Der Aoide Demodokos nun ist neben Odysseus und Alkinoos die zentrale Figur der besagten Episode. Es sind seine kata kosmon dargelegten Gesänge von Troias Fall, die den Protagonisten des Epos zu Tränen rühren. Die Kenntnis homerischer Geschichte zeichnet ihn ebenso wie die Stärke im sportlichen Wettkampf als gleichberechtigten basileus aus. Odysseus wird als Gastfreund des Phaiakenherrschers Alkinoos akzeptiert, was ihm schließlich das Geleit nach Ithaka ermöglicht. Die zelebrierte kollektive Erinnerung trägt zur Konstruktion der als besonders empfundenen Gemeinschaft der basileis bei; die troische Geschichte wirkt daher intentional. Darüber hinaus lässt die Demodokos-Episode Rückschlüsse hinsichtlich der Genese der homerischen Epen zu. Die homerische Tradition blendet in der Demodokos-Episode ihre eigene Entstehungsgeschichte idealisierend ein192. Der Mechanismus elitärer Selbstvergewisserung durch das ritualisierte Zelebrieren einer gemeinsamen Geschichte passt nun in besonderer Weise zu dem sich verstetigenden ionischen Adel der Früharchaik. Der war in zweierlei Hinsicht herausgefordert. Zuerst bedrohte insbesondere die lydische Expansion ab dem siebten vorchristlichen
192
Vgl. analog GENTILI 1977, RINON 2006, SCHUOL 2006, KRUMMEN 2008, MASLOV 2009, BIERL 2015a.
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2 Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts
Jahrhundert nicht nur die ionischen Griechen existenziell. Zweitens war er trotz der Bedrohung darauf bedacht, sich durch die Zurschaustellung allerlei Luxusartikel von der Masse abzugrenzen. Vorbild hierfür waren ausgerechnet die sprichwörtlich reichen Lyder. Zu diesen Absonderungsstrategien ist in besonderer Weise das Symposion zu zählen, dessen ab dem siebten vorchristlichen Jahrhundert greifbare Etikette, bei Tisch zu liegen, über die vermittelnden Lyder orientalisch geprägt ist. In diese besondere historische Situation der ionischen Aristokraten, die ihre elitäre soziale Stellung immer wieder legitimieren mussten, lässt sich ein homerischer Erinnerungsrekurs, wie er in der Demodokos-Episode literarisch geschildert wird, hervorragend integrieren. Die homerischen Epen beinhalten nämlich zwei Aspekte, die den ionischen Aristokraten besonders wichtig gewesen sind: das Beweisen im Kampf sowie die Zurschaustellung einer eleganten Lebensart. Exakt diese beiden Strategien wählten die ionischen Proto-Aristokraten, um ihre exklusive soziale Stellung nach innen und außen zu verstetigen. Ein intentionaler Homerrekurs, wie er in der Demodokos-Episode beschrieben wird, trägt daher in idealer Weise dazu bei, die soziale Kohäsion ionischer Aristokraten im Rahmen eines exklusiven Symposions zu verstärken. Ich möchte diese Wirkungsabsicht homerischer Erinnerung in dem hier vorliegenden Zusammenhang proto-aristokratisch und im Folgenden aristokratisch nennen: Die Rezeption von Homerischem, wie sie die Demodokos-Episode literarisch abbildet, dient dazu, die distinktiven Tendenzen, wie sie anderweitig in der Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen, der Zurschaustellung von Reichtum oder der sich verstetigenden Symposionskultur fassbar sind193, zu befeuern. Zwei klärende Anmerkungen sind hier noch zu machen. Zuerst ist die hier vertretene Schlussfolgerung, die literarische Demodokos-Episode als Abbild eines historischen Symposions im geometrisch-früharchaischen Ionien zu interpretieren, mangels möglicher Überprüfbarkeit Hypothese. Es sei jedoch bereits hier darauf hingewiesen, dass die am frühesten greifbaren konkreten Rekurse auf Homerisches bei den ionischen Lyrikern Kallinos und Mimnermos exakt sich der beiden besagten Rezeptionsstrategien bedienen, nämlich einer adhortativ geprägten und einer auf die Betonung von aristokratischen Handlungs- und Wertparadigmen abzielenden Erinnerung an den Troischen Krieg194. Dies betrifft zwar einen Zeitraum, der etwas später als der oben195 rekonstruierte spätgeometrisch-früharchaische Rahmen der homerischen Welt anzusetzen ist. Dennoch weichen die grundsätzlichen sozialen und militärischen Herausforderungen des geometrischen Ioniens nicht umfassend von dem Befund des frühen siebten vorchristlichen Jahrhunderts ab, sodass ein Analogieschluss erlaubt sein mag.
Ich folge mit dieser kulturalistischen Auffassung der archaischen Aristokratie STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 231 f.; analog WECOWSKI 2014, 19–26. Vgl. hingegen mit einer ökonomisch-gentilizischen Definition GSCHNITZER 1981, 56–59. 194 Siehe S. 66–68 und 73–76. 195 Siehe S. 39–41. 193
2.5 Proto-aristokratische Homerrezeption im geometrisch-früharchaischen Ionien
57
Zudem hat man es sowohl bei der Genese der homerischen Epen als auch bei den beschriebenen sozialen Veränderungen mit Prozessen zu tun, die nicht auf ein singuläres Datum zu begrenzen sind. Zweitens ist in diesem Zusammenhang nicht gesagt, dass ionische Adelige aus Gründen sozialer Abgrenzung die Epen in die Welt gesetzt und verbreitet hätten. Worin auch immer der Anlass, über den Fall Troias zu erzählen, bestanden haben mag196: Nachdem sie im früharchaischen Ionien kursierten, boten die homerischen Dichtungen mit ihrem martialischen Plot sowie ihren markanten Charakteren ein Andockungspotenzial für eine gesellschaftliche Schicht, die genau darin ihr Ideal erkannt hat – und zwar unabhängig von etwaigen lokalen Zugehörigkeiten197. Es sind aristokratische Erinnerungsträger, die dafür sorgen, dass Homerisches über Ionien hinweg und darüber hinaus weitergetragen wird. Ein Indiz hierfür ist die explosionsartige Verbreitung von andrones in der gesamten griechischen oikomene. In diesem Kontext lässt sich auch der sog. Nestorbecher von Pithekussai, dessen sympotische Funktion als kotyle trotz aller epigraphischen Diskussionen als gesichert gilt, erklären198. Mit seiner sukzessiven Verbreitung und stetigen Rekomposition im Symposion199 erhält Homerisches die Qualität eines Sinnstifters aristokratischen Selbstverständnisses. Gehrke hat nach Schütz für einen solcherart unhinterfragbaren, gemeinschaftsstiftenden Orientierungsrahmen den Begriff „Rezeptwissen“ geprägt200. Gleichzeitig sorgt die permanente Reproduktion homerischen Wissens für eine inhaltliche Erstarrung desselben. Dieser Vorgang ist letztlich die Voraussetzung dafür, dass den archaischen Lyrikern ein Erinnerungsfundus, den sie wohlwissend abrufen können, um eine bestimmte Wirkung beim Publikum zu erzielen, vorliegt201. Auf die Modi dieser überregionalen aristokratischen Homerrezeption wird in der folgenden Fallstudie eingegangen.
Die verschiedenen Hypothesen zeichnet REICHEL 2011, 45 f. nach. Einen lokalen und aitiologischen Bezug der homerischen Epen zur Troas betonen PATZEK 1992, 129–143 und HERTEL 2003, 191–197. 198 Vgl. zusammenfassend PATZEK 2003, 49–52 mit weiterführender Literatur; neuerdings WECOWSKI 2014, 127–139. 199 Dieser Gedanke folgt dem anthropologisch begründeten Konzept des recomposition in performance homerischer Texte von NAGY 1995; vgl. analog BIERL 2015b, 189–191. 200 Vgl. GEHRKE 2001, 10 nach SCHÜTZ/LUCKMANN 1979, 158–163. Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz von Wissen analog bei BERGER/LUCKMANN 1969, 69–71. Auf den Begriff Rezeptwissen wird in den folgenden Kapiteln immer wieder zurückgegriffen. 201 Ob und, wenn überhaupt, inwieweit dieser Prozess durch das Medium der Schrift begünstigt worden ist, wie LATACZ 1990, 235–247 vehement, aber auch weitgehend hypothetisch betont, ist in diesem Zusammenhang irrelevant; vgl. abwägend zur Frage des Schriftgebrauchs im Verhältnis zur mündlichen Überlieferung im archaischen Griechenland PÖHLMANN 1990. 196 197
3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts 3. 1 Die Früharchaik und Homer Überlieferung und Rezeption des Homerischen während des siebten und sechsten vorchristlichen Jahrhunderts liegen nach wie vor fast völlig im Dunkeln. Kenntnisse darüber lassen sich allein auf Basis zweier Quellenbereiche gewinnen. Als Erstes ist die späte Tradition um die Homeriden, die zuerst bei Pindar fasslich wird, zu nennen. Dieser bezeichnet die Homeriden als „Sänger zusammengefügter Verse“ (ῤαπτῶν ἐπέων ἀοιδοὶ), die auch Hymnen vorgetragen hätten1. Über Harpokration ist bekannt, dass die Lokalhistoriographen Akusilaos von Argos und Hellanikos von Lesbos einen anderen Aspekt betonen. Die Homeriden seien als genos lokal mit Chios verbunden. Von einer Sängertätigkeit ist dort nicht die Rede2. Die hellenistische Philologie verbindet schließlich beide Informationsstränge im Rahmen ihrer Homeranalyse: Manch einer der Homeriden wie der Chier Kynaithos habe Verse in Homers Namen erdichtet und in dessen Werk interpoliert, darunter auch den gesamten Apollon-Hymnos3. Die moderne Philologie folgt im Großen und Ganzen dieser Annahme, dass das chiotische genos der Homeriden zur Verbreitung der Epen beigetragen habe – dazu gleich mehr. Im Gegensatz zu dieser späten Tradition steht der frühe Quellenbereich, der gar keine Homeriden kennt. Stattdessen treten als Träger des Homerischen die archaischen Lyriker auf, deren literarische Produktion ohne den permanenten inhaltlichen wie formalen Rückgriff auf die epische Tradition schlicht undenkbar ist4.
1
2 3 4
Pind. N. 2, 1. Die im Folgenden vorgetragene Quellensystematik folgt FEHLING 1979, 193–195 mit weiteren Referenzen. Das besagte Zitat wird mit Bezug auf Plat. Ion generell dahingehend interpretiert, dass die Homeriden professionelle Rhapsoden gewesen seien, vgl. grundlegend SEALEY 1959, 312–315; zusammenfassend BURKERT 1987, 205 f. und GRAZIOSI 2002, 208–228. Harpokr. s. v. Homeridai = Hellanik. FrGrHist 4 F 20. Siehe auch Strab. XIV 1, 35 und Certamen 13–15 Allen. Schol. Pind. N. 2, 1 = FrGrHist 568 F5. Vgl. ZANETTO 2004b und BURZACCHINI 2004.
3. 1 Die Früharchaik und Homer
59
Nun ist im Sinne der übergeordneten Fragestellung zu eruieren, wer zu welchem Zwecke sich des Homerischen während der griechischen Früharchaik bedient hat. In den besagten späteren Quellen bleibt unklar, an welchem konkreten sozialen Ort die Homeriden aufgetreten sind und welche konkrete Funktion sie gehabt haben. Trotz dieser unklaren Lage gelten sie jedoch gemeinhin als Rhapsoden, die maßgeblich an der Verbreitung des Homerischen beteiligt gewesen sind. Wie genau das vonstatten gegangen sein soll, darüber herrscht beredte Uneinigkeit5. Diese Diskrepanz zwischen den eher dürftigen Quellen und ihrer ausgiebigen Interpretation hat zwei Ursachen. Zuerst enthält der splitterhafte Quellenbestand allenfalls Andeutungen über diese Gruppe, was Raum für allerlei Hypothesenbildung gibt. Auf der anderen Seite füllen gerade diese Vermutungen über die Tätigkeit der Homeriden eine eklatante Leerstelle, mit der insbesondere die oralistisch geprägte Homerphilologie zu kämpfen hat: Auf irgendeine Weise müssen die homerischen Epen bis hin zu den alexandrinischen Grammatikern in hellenistische Zeit tradiert worden sein. Paradigmatisch in diesem Sinne ist die Meinung Nagys: Die Homeriden seien für Überlieferung und Übermittelung der homerischen Epen vom kleinasiatischen Ionien hin in das peisistratidische Athen verantwortlich6. Im Rahmen der übergeordneten Fragestellung dieser Arbeit von besonderer Relevanz sind neuere Vermutungen dahingehend, dass die Homeriden in früharchaischer Zeit auf dem überregionalen Fest der Panionia aufgetreten seien7. Ihre Zielgruppe wäre demnach der demos – genauer: die Bürgerschaften der teilnehmenden poleis. Wenn man davon ausgehen will, dass die Feste wie die besagten Panionia einen entscheidenden Beitrag zur Genese eines panionischen Gemeinschaftsgefühls beigetragen haben8, so bestünde die soziale Funktion der homerischen Erinnerung in einer sozialen Kohäsion der Zuhörerschaft als Ganzes. Anders sähe es bei der lyrischen Homerrezeption aus. Als ihr künstlerischer Ort wird der abgeschlossene Ort des aristokratischen Symposions angenommen9. Die Funktion dieser Form der Homerrezeption bestünde demnach in der sozialen Kohäsion einer aristokratischen Elite10. Eine Homerrezeption 5
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Vgl. recht allgemein RZACH 1913, 2145 f.; präziser hingegen BURKERT 1987, 207–215, der die Tätigkeit der Homeriden bis wenigstens in das letzte Drittel des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ansetzt; M. L. WEST 1999, 366–372 geht von Aktivitäten bis wenigstens Mitte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts aus; später analog ders. 2001, 5–9 und 15–17; FRAME 2009, 579–582 vermutet die Tätigkeit der Homeriden recht hypothetisch bis zum Beginn des siebten vorchristlichen Jahrhunderts; ihm folgt der Sache nach NAGY 2010, 59–69. Radikal kritisch äußert sich FEHLING 1979, der die Homeriden auf Basis einer umfassenden Quellenkritik gänzlich aus der Geschichte streichen möchte. Vgl. NAGY 2010, 28, 59–69 und 228–232; ähnlich GRAZIOSI 2002, 221–228. Vgl. grundlegend FRAME 2009, 551–555 und 579–582; hiernach NAGY 2010, 59–69 mit Anm. 16; zusammenfassend BIERL 2015b, 189 f. Vgl. mit Nachdruck NAGY 2010, 224 f.; zuvor bereits WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1906, 51 f. Gegen die Annahme eines ionischen Wir-Gefühls in Bezug auf das siebte vorchristliche Jahrhundert vgl. mit gewichtigen Gründen CRIELAARD 2009, 50 f. Siehe hierzu S. 68 f. Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 112–116 und neuerdings IRWIN 2005, 48–56.
60
3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
im Rahmen von Festen hätte eine bürgerschaftsorientierte, eine Rezeption im Rahmen eines Symposions hingegen eine aristokratische Zielrichtung. Es wird im Folgenden zu überlegen sein, was eher zutreffend ist. Dabei wird bereits eine Kritik der späteren erzählenden Quellen zeigen, dass deren Angaben über die Homeriden mit Vorsicht zu genießen sind. Man kann nicht auf Basis von Rückschlüssen der späteren panathenäischen Rhapsodenwettkämpfe davon ausgehen, dass Homerisches auch in der Früharchaik im Rahmen öffentlicher Feste rezipiert worden sei. Auf der anderen Seite wird eine genauere Analyse der lyrischen Homerrezeption zeigen, dass ein öffentlicher Bezug bei manchen der uns überlieferten Fragmente durchaus denkbar ist, obwohl sie weitgehend im exklusiven Rahmen des Symposions dargebracht worden sind. Eine einfache Schlussfolgerung vom Aufführungskontext einer Dichtung auf deren soziale Funktion ist nicht statthaft. Nun noch ein paar Worte zur Quellenauswahl. Der besagte späte Quellenhorizont um die Homeriden ist einigermaßen begrenzt11. Die mannigfaltigen homerischen Bezüge archaischer Lyrik lassen sich hingegen auch im Rahmen einer Dissertation nicht in extenso untersuchen. Aus diesem Grunde wird eine exemplarische Auswahl getroffen, die sich an regionalen Grenzen orientiert. Nach den besagten erzählenden Quellen wird je ein Fragment der ionischen Lyriker Kallinos12 und Mimnermos13 näher untersucht, hierauf folgt mit Tyrtaios14 der wirkmächtigste Dichter aus Sparta. Die soziale Funktion des Homerischen bei dem aiolischen Hetairiendichter Alkaios wurde zuletzt gründlich von Pallantza untersucht15, sodass eine eigene Analyse unnötige Redundanzen nicht vermeiden könnte. Auf die Ergebnisse der besagten Arbeit werde ich am Ende dieser Fallstudie eingehen, um abschließend zu einem fundierten Überblick über die früharchaische Homerrezeption zu gelangen. 3.2 Quellenkritik Aussagen über die griechische Archaik lassen sich allgemein bekanntlich auf Basis zweier Horizonte tätigen: der frühen, lyrischen wie materiellen Zeugnisse sowie der späteren erzählenden Quellen ab Herodot. Erstere sind grundsätzlich durch ihre fragmentarische Zerstückelung gekennzeichnet, letztere befinden sich in einem mindestens 200 Jahre umfassenden Abstand von den Ereignissen, über die sie berichten. Nicht selten widersprechen sich die Angaben, die man aus beiden Bereichen ziehen
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Vgl. die Übersichten bei RZACH 1913, 2145–2152 und in der Folge FEHLING 1979, 193–196. Stob. IV 10 = Kallinos fr. 1 G.-P. Trab. XIV 1, 4 = Mimn. fr. 3 G.-P. = 9 W2. Stob. IV 10 = Tyrt. fr. 9 G.-P. Vgl. PALLANTZA 2005, 17–57; zuvor bereits RÖSLER 1980.
3.2 Quellenkritik
61
kann16. Dies ist auch in dem hier interessierenden Rahmen nicht anders. Die besagten Informationen, welche die späten Quellen ab Pindar über die früharchaische Homerrezeption bereithalten, stehen denjenigen der zeitgenössischen lyrischen Quellen gegenüber: Wie sind nun diese beiden divergierenden Horizonte ihrer historischen Aussagekraft nach zu beurteilen? Nachdem die späten erzählenden Quellen nach Jacobys kritischer Edition der griechischen Lokalhistoriker grundsätzlich in Zweifel gezogen wurden17, hat sich deren Wertschätzung durch die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren gewandelt. In diesem Zusammenhang haben anthropologisch gestützte Erkenntnisse der oral history über die Möglichkeiten mündlicher Informationsweitergabe ihre Auswirkungen. So wird die mündliche Tradierung historischer Fakten über weite Zeiträume hinweg im Rahmen institutionalisierter oder genealogisch gesicherter Memorierung als möglich angesehen18. Wenn nun das Vertrauen, das man den späten Quellen im Rahmen der griechischen Archaik entgegenbringt, prinzipiell größer geworden ist, so gilt dennoch die Pflicht ihrer kritischen Überprüfung: Sind ihre Angaben in sich konsistent? Halten ihre Angaben einem Vergleich mit dem, was man aus anderem Quellenbestand wie archäologischen Überresten destillieren kann, stand? Konkret: Sind die besagten Angaben über die Homeriden in sich widerspruchsfrei und gibt es anderweitige Belege für eine Tätigkeit der Homeriden bei Festen, wie dies Fowler und insbesondere Nagy behaupten? Es bleibt merkwürdig, dass in den besagten Arbeiten diese notwendigen kritischen Fragen nicht gestellt werden. Dabei wurde bereits von anderen Autoren früh auf immanente Inkonsistenzen der Quellen hingewiesen. Dies betrifft besonders die lokale Verbindung der Homeriden mit Chios, wie sie zuerst über Harpokration bei den Lokalhistoriographen Hellanikos und Akusilaos deutlich wird19. Geht man davon aus, dass die Homeriden sich nach der gleichnamigen Dichterfigur benannt haben20, so verwundert deren Verbindung mit Chios. Von dem zitierten Hellanikos nämlich ist bekannt, dass er Homer mit Smyrna verbindet21, was vielleicht im Gegensatz zu einer chiotischen Wirkungsstätte der Homeriden stehen könnte.
16 17 18 19 20 21
Beispielhaft beleuchtet dieses schwerwiegende, generelle Problem archaischer Geschichtsschreibung KOIV 2003, 9–32. Vgl. JACOBY 1949, 71–79. Vgl. grundsätzlich THOMAS 1989, 1–14; ebenso MURRAY 2001a; schließlich auch KOIV 2003, 12–16. Harpokr s. v. Homeridai = Hellanik. FrGrHist 4 F 20; Akusilaos FrGrHist 2 F 2. Bzgl. der fehlerhaften Subjekt-Prädikat-Kongruenz in Harpokrations Eintrag folge ich GRAZIOSI 2002, 210 f. im Gegensatz zu FEHLING 1979. 198. Dies legt Harpokration selbst nahe; hiergegen WEST 1999, 367–379, der eine umgekehrte Deszendenz annimmt. Seine Meinung hat sich allerdings nicht durchgesetzt. Hellanik. FrGrHist 4 F 5; vgl. JACOBY 1955b.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
Über die lokale Verbindung des Dichters mit Chios ist auch in der früharchaischen Zeit des siebten vorchristlichen Jahrhunderts nichts überliefert22. Erst im Apollon-Hymnos, also während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts23, und später bei Simonides wird ein noch anonymer, blinder Ependichter in Chios verortet. Thukydides schließlich greift den Apollon-Hymnos auf und wird konkret: Homer, hier mit Namen benannt, komme aus Chios24. Die Aussage der Lokalhistoriographen Hellanikos und Akusilaos über eine chiotische Herkunft der Homeriden kann also nicht einfach als Tatsachenbehauptung hingenommen werden, wie Fowler und Nagy dies tun. Es ist nicht auszuschließen, dass die besagten Autoren des fünften vorchristlichen Jahrhunderts unkritisch kursierende Legenden um die Wohn- und Wirkungsstätte Homers aufgenommen haben25. Ab dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert nämlich erst wird der Name Homers samt biographischen Attribuierungen breiter fasslich26. Eine lokalpatriotisch motivierte Lokalisierung an einen singulären Ort wäre darüber hinaus nicht ungewöhnlich für die „Geschichtenerzähler“ (λογογράφοι)27, wie Thukydides sie abschätzig nennt28. Sollte all dies zutreffend sein, so spiegelten die Angaben von Hellanikos und Akusilaos eine Rekonstruktion der Homeridentätigkeiten aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert wider. Was allerdings eine Tätigkeit dieser Gruppe in der Zeit davor angeht, darüber besteht keine gesicherte Kenntnis. Schon eine oberflächliche Kritik der lokalhistoriographischen Angaben zu den Homeriden führt daher zum zwingenden Schluss, dass nähere Aussagen über diese Gruppe, die den hier interessierenden Zeitraum des siebten vorchristlichen Jahrhunderts betreffen, wenn nicht kaum möglich, so doch nur sehr vorsichtig zu treffen sind. Dies betrifft umso mehr die Überlegungen mancher Autoren hinsichtlich der sozialen Räume, in denen diese Homeriden in früharchaischer Zeit aufgetreten sein sollen29. Über die Rezeptionsräume des Homerischen in diesem Zeitraum ist aus erster Hand, abgesehen von der bereits besprochenen homerischen Demodokos-Episode und den Fragmenten der archaischen Lyriker, gar nichts bekannt.
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23 24 25 26
27 28 29
Vgl. GRAZIOSI 2002, 77; hiergegen verortet JACOBY 1933, 33–35 die Entstehung einer lokalen Verbindung Homers zu Chios im „frühe[n] 7. Jahrhundert“ (S. 35), und zwar auf Basis des Apollon-Hymnos, wogegen allerdings dessen neuere chronologische Verortung im sechsten vorchristlichen Jahrhundert spricht; siehe die folgende Anm. Hom. Hymn. III Allen-Halliday-Sikes, Z. 166–175; zur Datierung vgl. JANKO 1982, 116–132. Thuk. III 104. Vgl. zu dieser Tendenz grundsätzlich JACOBY 1949, 165–167. Xenophan. fr. 14 G.-P. = DK 21 B 10; Heraklit. DK 22 B 42 und DK 22 B 56; Pind. P. 4, 277; Sim. fr. 564 PMG; indirekte Zeugnisse bei Kallinos test. 10 G.-P. und Archiloch. fr. 303 W2; vgl. zusammenfassend GRAZIOSI 2002, 57–79; zuvor grundlegend JACOBY 1933, 13–24 und M. L. WEST 1999, 376–379. Vgl. nach wie vor grundlegend JACOBY 1933, 26–37; allgemein ders. 1949, 133; vgl. neuerdings ebenso HARDING 2007. Thuk. I 21. Siehe oben, S. 59.
3.2 Quellenkritik
63
Vor dem Hintergrunde all dieser Überlegungen erhalten daher die frühen Quellen im Allgemeinen und die Zeugnisse der früharchaischen Lyriker im Besonderen hinsichtlich der Frage, wer zu welchem Zwecke Homerisches in der Früharchaik rezipiert hat, ein höheres Gewicht. Doch auch hier stehen mit den bereits in der allgemeinen Einleitung angesprochenen Überlieferungsproblemen nicht unerhebliche Hürden, was die Auswertung der fragmentierten Dichtungen angeht, im Weg30. Diesen inhaltlichen Rekonstruktionsfragen werde ich im Rahmen der folgenden Analysen fallbezogen Rechnung tragen. Ein letztes Problem betrifft die chronologische Einordnung der Lyriker, die ich aus pragmatischen Gründen in aller Knappheit voranstelle. Nicht selten rekurrieren diese Autoren auf historische Ereignisse, von denen sie mittel- oder unmittelbar betroffen waren, so auch Kallinos. Sehr fragmentarisch sind uns Bezüge auf die Einfälle der Kimmerier, einem Reitervolk, das im siebten vorchristlichen Jahrhundert weite Teile Anatoliens samt dem lydischen Reich und der kleinasiatischen Küste bedrängte, überliefert31. Insbesondere ist dem Ionier die zeitweilige Eroberung der lydischen Hauptstadt Sardeis bekannt, in deren Zusammenhang König Gyges getötet worden ist. Aufgrund einer kombinatorischen Interpretation assyrischer und griechischer Quellen datiert man dieses für die früharchaische Geschichte zentrale Ereignis in das Jahr 644 v. Chr.32 Kallinos wird zu diesem Zeitpunkte bereits älter gewesen sein; man vermutet ihn daher generell im zweiten Drittel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts33. Auch Mimnermos soll laut Pausanias von Kampfhandlungen berichtet haben, und zwar von den Versuchen des besagten Gyges, Smyrna zu erobern34. Diese Vorgänge kennt der Lyriker wohl von älteren Erzählungen35, sodass sein Leben unter Berücksichtigung des Todesdatums Gyges’ wohl in die zweite Hälfte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts fällt36. Tyrtaios wird aufgrund philologischer Beobachtungen ebenfalls in diese Zeit datiert37. Auch das Wirken Alkaios’ fällt in diesen Zeitraum, wenn auch etwas später38. Die Lyriker decken daher den Zeitraum vom zweiten Drittel bis zum Ende des siebten
30 31 32 33 34 35 36 37 38
Siehe S. 24–26. St. Byz. P. 634. 3 Meineke = Kallinos fr. 4 G.-P. = 4 W2 und Strab. XIV 1, 40 = Kallinos fr. 3 G.-P. = 3 + 5a W2. Eine genauere Diskussion dieser Fragmente findet sich auf Seite 68. Vgl. hinsichtlich der älteren Todesdatierung Gyges’ in das Jahr 652 v. Chr. KALETSCH 1958; siehe hierzu die Einwände von SPALINGER 1978; vgl. zu dem gesamten Kimmerierkomplex grundsätzlich MAREK 2010, 151–153 mit weiteren Referenzen. Vgl. LATACZ 1988, 153 f., der allerdings noch von der älteren Datierung von Gyges’ Tod ausgeht; vgl. zusammenfassend GERBER 1997, 99–101. Paus. IX 29, 4 = Mimn. fr. 22 G.-P. Stob. III 7, 11 = Mimn. fr. 23 G.-P., Z. 2. Eine genauere Diskussion dieser Fragmente findet sich auf Seite 74. Vgl. A. ALLEN 1993, 9 f.; ähnlich GERBER 1997, 108 f. Vgl. PRATO 1968, 1* und M. MEIER 1998, 94 sowie allgemeiner GERBER 1997, 102 f. Vgl. grundlegend RÖSLER 1980, 26–28.
64
3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
vorchristlichen Jahrhunderts ab und schließen mehr oder weniger direkt an die in der ersten Fallstudie rekonstruierte außerliterarische Realität der homerischen Epen an. Im Folgenden werde ich anhand von Kallinos, Mimnermos und Tyrtaios Grundlinien der lyrischen Homerrezeption während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts darlegen. Dabei werde ich versuchen, auf Basis einer inhaltlichen wie formalen Analyse erste Anhaltspunkte für die Funktion des Homerischen bei dem jeweiligen Lyriker zu erhalten. Anschließend werden diese Zwischenergebnisse mit dem, was man über das konkrete historische Umfeld des jeweiligen Autors weiß, verglichen, um schließlich die Fragen nach den Trägern des Homerischen, seiner Funktion und seines sozialen Ortes annähernd beantworten zu können. 3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker 3.3.1 Bürgerschaftsorientierte Homerrezeption in der kallineischen Kampfparänese Von der lyrischen Produktion des Ioniers Kallinos wissen wir nur wenig. Über Stobaios’ Exzerpt ist uns unter der programmatisch-moralisierenden, aber wohl auch einseitigen Überschrift Περὶ τόλμης39 das bei Weitem am besten erhaltene Werk überkommen, nämlich die sog. große Kampfparänese: Stob. IV 10 = Kallinos fr. 1 G.-P.
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μέχρις τεῦ κατάκεισθε; κότ᾽ ἄλκιμον ἕξετε θυμόν, ὦ νέοι; οὐδ᾽ αἰδεῖσθ᾽ ἀμφιπερικτίονας ὧδε λίην μεθιέντες; ἐν εἰρήνῃ δὲ δοκεῖτε ἧσθαι, ἀτὰρ πόλεμος γαῖαν ἅπασαν ἔχει. * καί τις ἀποθνῄσκων ὕστατ᾽ ἀκοντισάτω. τιμῆέν τε γάρ ἐστι καὶ ἀγλαὸν ἀνδρὶ μάχεσθαι γῆς πέρι καὶ παίδων κουριδίης τ᾽ ἀλόχου δυσμενέσιν· θάνατος δὲ τότ᾽ ἔσσεται, ὁκκότε κεν δή Μοῖραι ἐπικλώσωσ᾽· ἀλλά τις ἰθὺς ἴτω ἔγχος ἀνασχόμενος καὶ ὑπ᾽ ἀσπίδος ἄλκιμον ἦτορ
Zur Einseitigkeit von Stobaios’ Titel siehe S. 68.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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ἔλσας, τὸ πρῶτον μειγνυμένου πολέμου. οὐ γάρ κως θάνατόν γε φυγεῖν εἱμαρμένον ἐστίν ἄνδρ᾽, οὐδ᾽ εἰ προγόνων ᾖ γένος ἀθανάτων.40 πολλάκι δηιοτῆτα φυγὼν καὶ δοῦπον ἀκόντων ἔρχεται, ἐν δ᾽ οἴκῳ μοῖρα κίχεν θανάτου. ἀλλ᾽ ὁ μὲν οὐκ ἔμπης δήμῳ φίλος οὐδὲ ποθεινός, τὸν δ᾽ ὀλίγος στενάχει καὶ μέγας, ἤν τι πάθῃ· λαῷ γὰρ σύμπαντι πόθος κρατερόφρονος ἀνδρός θνῄσκοντος, ζώων δ᾽ ἄξιος ἡμιθέων· ὥσπερ γάρ μιν πύργον ἐν ὀφθαλμοῖσιν ὁρῶσιν· ἔρδει γὰρ πολλῶν ἄξια μοῦνος ἐών. Wie41 lange liegt ihr hier hoch herum? Wann werdet ihr den Mut haben, euch zu wehren, / ihr Jünglinge? Schämt ihr euch nicht vor euren Nachbarn ringsum, / wenn ihr hier derartig schlappmacht? Ihr meint, friedlich / dasitzen zu können, indes der Krieg das gesamte Land erfasst hat. / [Anzahl der fehlenden Verse unbekannt] [5] und man werfe, wenn man stirbt, ein letztes Mal den Wurfspeer. / Ehrenvoll und herrlich ist es für den Mann, / wenn er für sein Land, seine Kinder und seine Ehefrau / gegen die Feinde kämpft. Der Tod nämlich wird immer dann eintreffen, wann / es die Schicksalsgöttinnen einst bestimmt haben. Aber man ziehe in den Kampf, / [10] indem man das Schwert zücke und das mutige Herz unter dem Schild / abschirme, während der Kampf zum ersten Mal tobt. / Es ist dem Mann nämlich unmöglich, dem Tod, der durchs Schicksal bestimmt ist, auf irgendeine Weise zu entfliehn, / auch wenn er Nachkomme von unsterblichen Vorfahren ist. / [Anzahl der fehlenden Verse unbekannt] oft läuft einer herum, weil er den Schlachtlärm und Aufprall der Lanzen / [15] meidet, und zu Hause trifft ihn das Todeslos. / Dieser aber ist dem Volk nicht so sehr freundlich gesinnt und verbunden, / den anderen jedoch pflegt Groß und Klein zu beklagen, wenn er fällt. / Denn der Schmerz des ganzen Volks gilt dem kraftvollen Manne, / wenn er stirbt; wenn er überlebt, ist er den Halbgöttern ebenbürtig. / [20] Wie einen Turm in der Schlacht nehmen sie ihn dann wahr. / Er erreicht, was viele hätten schaffen können, als Einzelner.
40 41
Es ist aus syntaktischen und textlogischen Gründen m. E. zwingend, dass nach dieser Zeile eine weitere Lacuna folgt, vgl. hierzu LATACZ 1977, 229 f., Anm. 31 und ders. 1988, 159, Anm. 2; anderweitig hingegen LEIMBACH 1978, 275, Anm. 54. Diese und die folgenden Übersetzungen stammen vom Autor.
66
3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
Auch wenn die Elegie fragmentiert und darüber hinaus nicht klar ist, ob wir in dem erhaltenen Exzerpt den originalen Anfang und Schluss der Elegie vor uns haben42, so lässt sie sich diese doch klar thematisch gliedern. In den ersten beiden erhaltenen Couplets werden in aggressiver Weise neoi als Adressaten der Elegie apostrophiert – wer das konkret sein kann, darüber soll später nachgedacht werden. Diese neoi jedenfalls werden mithilfe einer Akkumulation rhetorischer Fragen von der persona loquens in die Ecke gedrängt. Sie erscheinen als schlaffe Feiglinge, denen angesichts eines Kriegs (πόλεμος), der das Land im Griff hält, der Mut (θυμός) fehle (Z. 1–4). Es folgt eine Lacuna unbekannten Umfangs. Danach allerdings verschiebt sich der thematische Schwerpunkt weg von den appellativen Anschuldigungen hin zu einem argumentativen Teil, der den Zuhörern die Notwendigkeit zum Kampfe verdeutlichen soll. Bereits die fünfte erhaltene Zeile benennt mit dem Tod den hier zentralen Begriff. Das Lebensende sei den Menschen nämlich von den Moiren vorherbestimmt (Z. 8 f.) – ein Gedanke, der im Folgenden zwei Mal wiederholt wird (Z. 12 und 15). Wenn aber der Todeszeitpunkt eines Menschen sowieso schon feststeht, so die Logik der persona loquens, dann solle die Lebenszeit richtig genutzt werden. In Kriegszeiten bedeute dies, für das Land, die Söhne und die Ehefrau – in dieser Reihenfolge – zu kämpfen (Z. 6 f.) und mit dem gezückten Schwert in den Nahkampf zu gehen (Z. 9–11). Als Kontrapunkt zu diesem Positivbeispiel folgt die Darstellung eines Mannes, der diesem Ideal offenbar nicht entspricht: Er stirbt ruhig zu Hause (Z. 15). Die abschließende Synthese ist daher folgerichtig. Das Volk (λαός) würdige ausschließlich den kraftvollen Mann, wenn er stirbt (Z. 18), und huldige demjenigen, der dank der Moiren einen Kampf überlebt, den Halbgöttern (ἡμίθεοι) gleich (Z. 19). Wir wissen nicht, ob Kallinos’ Elegie im Original hier endet oder ob nur Stobaios’ Exzerpt hier abbricht. Die kompositorische Gesamtstruktur mit ihrem konstatierenden Beginn bei den schlaffen neoi und dem perspektivischen Abschluss bei den heldenhaften hemitheoi macht aber eine finale Klimax an diesem Punkte wahrscheinlich43. Die formalen wie inhaltlichen Bezüge der kallineischen Kampfparänese auf Homerisches wurden bereits vielfach beachtet44. Der homerische Einfluss wird besonders in dem zentralen Argument der persona loquens, dass ehrenvoll (τιμήεις) sei, wer sein Land (γῆ), seine Söhne (παῖδες) und seine Ehefrau (ἄλοχος, Z. 6–8) verteidigt, deutlich. Exakt das gleiche Argument samt derselben Wortfolge wählt Hektor in seinem Kampfappell an die Troianer während der Schlacht bei den achaiischen Schiffen45. Für den hier gesteckten thematischen Rahmen sind allerdings die Abweichungen, die der 42 43 44 45
Zum stobaischen Exzerpierverfahren vgl. LATACZ 1988, 154 f. Vgl. LEIMBACH 1978, 278. Vgl. nach wie vor grundlegend ADKINS 1977, 61–75; siehe auch den hervorragenden Kommentar von GIANOTTI 1978; ebenso VERDENIUS 1972 und LATACZ 1977, 229–232. Hom Il. XV 494–499. Vgl. GIANOTTI 1978, 414, der darüber hinaus metrische Übereinstimmungen feststellt; hierzu auch LEIMBACH 1978, 272 Anm. 36 mit einer semantischen Schärfung des Begriffs ge; ähnlich hierzu VERDENIUS 1972, 4 f. und KRISCHER 1979, 385 f.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
67
kallineische Text gegenüber dem homerischen Beispiel vornimmt, von größerer Bedeutung. So belässt die persona loquens es nicht bei einem Appell an den homerisch gefärbten und eher unspezifischen Ehrbegriff der time 46, um ihre Zuhörerschaft aufzurütteln. Sie differenziert in der Folge ihre Argumentation in bezeichnender Weise. Zentral dabei ist ihr Postulat, dass die Menschen auf ihren Todeszeitpunkt sowieso keinen Einfluss hätten, sondern die Entscheidung dafür ganz allein den Moiren obliege (Z. 8 f.). Dieser Gedanke mag noch homerisch sein47; die Schlussfolgerung, welche die persona loquens daraus zieht, ist es nicht48. Das Leben zu Hause und das Kämpfen in der Schlacht seien demnach gleich gefährlich (Z. 14 f.). Das hat Konsequenzen dahingehend, wie die Art und Weise des Todes beurteilt wird. Dies wird am Ende der Elegie deutlich. Dort werden in einem adversativ gestalteten Couplet zwei Männer gegenübergestellt: Der eine hat es vermieden zu kämpfen und stirbt zu Hause, der andere hingegen ist in der Schlacht gefallen (Z. 16 f.). Daraufhin entscheidet der demos, dass ausschließlich dem kraftvollen Manne (κρατερόφρονος ἀνδρός) eine öffentliche Anteilnahme gebühre (Z. 18 f.). Diese soziopolitische Fixierung auf den demos nun unterscheidet sich von der homerischen Welt49, deren zentrale Instanz trotz erster Anzeichen einer polis-Gemeinschaft mit gemeinschaftlichen Entscheidungsinstanzen noch der oikos gewesen ist50. Doch die kallineische persona loquens geht einen Schritt weiter. Derjenige, der eine Schlacht überlebt, werde vom Volk den Halbgöttern gleichgestellt (Z. 18 f.). Was hier rhetorisch vollzogen wird, ist das explizite Aufbrechen der Grenzen zwischen der eigenen Gegenwart und der mythischen Vergangenheit. Diese beiden Generationen, das wissen wir aus Hesiod51, gehören rein qualitativ vollkommen unterschiedlichen Welten an. Die mythische Generation der homerischen Helden gilt demnach aus Sicht der sterblichen Menschen als unerreichbares Vorbild. Die kallineische persona loquens hingegen öffnet diese Grenze ideell. Jeder könne, wenn ihm die Moiren wohlgesonnen sind und er sich im Kampfe beweist, in Sachen Ansehen an die homerischen Helden anschließen. In diesem Punkte kulminiert die Argumentationskette: Wenn das Lebensende sowieso schicksalshaft feststeht, dann solle man wenigstens im Kriegsfalle kämpfen, um sein Leben ehrenvoll zu gestalten. Mehr noch: Man könne sich auf diese Weise die Möglichkeit wahren, als Überlebender vom demos wie ein Halbgott verehrt zu werden. Es ist der Glanz der homerischen Helden, den die
46 47 48 49 50
51
Vgl. ULF 1990, 4–12. Hom. Il. XII 310 ff.; vgl. grundlegend KRISCHER 1979, 386–389; ähnlich GIANOTTI 1978, 415 und IRWIN 2005, 46 f. Vgl. LEIMBACH 1978, 272–275. Vgl. a. a. O., 276–279. Vgl. RAAFLAUB 1991, 239–247; zusammenfassend vgl. ders. 1997, 629–633. Die gleiche Ansicht teilt LEIMBACH 1978, 276–279. Kritisch hierzu IRWIN 2005, 36 f. und 48–52, die m. E. die bei Kallinos offensichtliche Abhängigkeit des κρατερόφρονος ἀνδρός vom Urteile des demos nicht genug würdigt. Hes. op. 156–178.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
kallineische persona loquens angesichts der sehr viel größeren Wahrscheinlichkeit, im Kampfe elendig umzukommen, in die Waagschale wirft, um dem Zweck ihrer Paränese näherzukommen: die passiven neoi von einem kriegerischen Einsatz zu überzeugen. Zwischen erinnernder Gegenwart und erinnerter Vergangenheit besteht keine rational begründete Distanz, wie man sie im Sinne einer modernen Altertumswissenschaft erwarten würde. Ganz im Gegenteil erscheinen die homerischen Helden als Referenzfolie der Gegenwart. Die kallineische persona loquens argumentiert intentional. Die Funktion des Homerischen ist daher adhortativ52. Wer kämpft, dem winken heldenhafte, homerische Ehren. Von dem historischen Kontext der Elegie, den Kimmeriereinfällen, berichtet Kallinos selbst. Dreimal sei laut Kallisthenes die lydische Hauptstadt Sardeis von diesem Reitervolk erobert worden, zuletzt zu Zeiten Königs Kroisos53, davor während der Regierungszeit von dessen Vorgänger Ardys54. Dieser Vorfall55 wie auch die erste Eroberung56 sind bei Kallinos überliefert. Die Tatsache, dass die Kimmerier den lydischen König Gyges bei der ersten Eroberung töteten und das gesamte lydische Reich in eine Krise stürzten57, vergegenwärtigt die Verzweiflung, die sich hinter der kallineischen Kampfparänese verbirgt. Nur wenn der gesamte demos Geschlossenheit zeigt, besteht eine Möglichkeit des Überlebens. Hierum geht es der persona loquens in erster Linie, nicht um Heldenmut, wie die moralisierende Kapitelüberschrift bei Stobaios suggeriert. Kallinos verfolgt also mit seiner Rezeption des Homerischen eine bürgerschaftsorientierte Zielrichtung. An wen richtet sich schließlich die Elegie, wo ist ihr sozialer Ort? Hierzu zuerst einige generelle Anmerkungen: Als Ort der Performance sämtlicher elegischer Dichtungen gilt generell das aristokratische Symposion. Obwohl diese Meinung die communis opinio darstellt58, sind bei nüchterner Betrachtung die Belege für diese Annahme eher dünn. Ein Grund für diese Verortung besteht in der Hypothese, dass Gegenwartsprobleme vorwiegend in sympotischen Kontexten diskutiert würden, was sich in der gehäuften Verwendung von Personalpronomina und deiktischen Verweisen zeige59. Daneben wird der Inhalt einer Textstelle aus der Theognis60, die als einzige aller uns 52 53 54 55 56 57 58 59 60
Vgl. hierzu auch die funktionale Systematisierung der elegischen Gattung bei M. L. WEST 1974, 10–13. Strab. XIII 4, 8 = Kallinos test. 7 G.-P. Hdt. I 15. St. Byz. P. 634. 3 Meineke = Kallinos fr. 4 G.-P. = 4 W2. Strab. XIV 1, 40 = Kallinos fr. 3 G.-P. = 3 + 5a W2. Vgl. zusammenfassend MAREK 2010, 151–154. Vgl. nach wie vor grundlegend REITZENSTEIN 1893, 47–86; in neuerer Zeit RÖSLER 1980, 33– 44; VETTA 1983; RÖSLER 1990, 230; VETTA 1999, 183–199; IRWIN 2005, 32–33; zusammenfassend SLINGS 2000b und BAGORDO 2011, 127 f. Vgl. eher thetisch bereits REITZENSTEIN 1893, 47 f.; theoretisch fundiert beispielhaft RÖSLER 1980, 11–20, zudem besonders 33–45. Theogn. frr. 237–243 W2.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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überkommenen lyrischen Fragmente expressis verbis die Darbietung einer Elegie innerhalb eines Symposions thematisiert, generalisierend auf die gesamte Gattung bezogen61. Das Symposion als Darbietungsraum aristokratischer Lyriker bietet sich in der Tat an, aber ist es statthaft, von Einzelbeobachtungen auf ein gesamtes Genre zu schließen? Andere Autoren verweisen auf andere mögliche Kontexte wie zum Beispiel das öffentliche Fest62. Das Postulat, dass jede Elegie sowohl im Rahmen eines Symposions als auch ausschließlich vor einem aristokratischen Publikum dargeboten worden sei, ist daher so einfach nicht statthaft. Im Folgenden werde ich daher den Text auf konkrete Hinweise, die auf dessen sozialen Rahmen schließen lassen, untersuchen. Die Adressaten der kallineischen persona loquens sind neoi (Z. 2). Berücksichtigt man den inhaltlichen Kontext, so muss man sich hinter diesem unspezifischen Begriff wehrfähige Männer, die sich im heiratsfähigen Alter befinden (Z. 7), vorstellen. Dies entspricht der Bedeutung des Begriffs neos in der homerischen Gesellschaft63. Eine engere soziale Eingrenzung des Publikums lässt sich auf Basis dieses Begriffes nicht vornehmen, zumal es sich bei dem verwendeten Vokativ wahrscheinlich um eine fixe Formel handelt64. Nähere Informationen über die kallineische Bezugsgruppe verspricht aber vielleicht eine semantische Auswertung des Verbums κατάκειμαι in der initialen Apostrophe. So wurde aufgrund intertextueller Vergleiche mit weiteren archaischen Autoren darauf hingewiesen, dass dieser Begriff in erster Linie dazu dient, das Liegen auf Klinen während Symposien zu denotieren65. Diese Verortung von Kallinos’ Elegie entspricht der generellen Verortung der Elegie als monodischer Gattung in diesen sozialen Rahmen66. Stärker als dieses argumentum a maiore ad minus wiegt, dass ein aristokratischer, sympotischer Rahmen der Kampfparänese zu den in der ersten Fallstudie beschriebenen archäologischen Funden passt. Demnach ist die Etablierung des Zu-Tische-Liegens im ionischen Raum ab Mitte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts belegt67. Wenn alle diese Überlegungen zutreffend sind, dann ist der soziale Ort des Homerischen bei Kallinos das Symposion; seine Zielgruppe besteht in jungen, wehrfähigen Aristokraten. Hinsichtlich des Orts besteht im Prinzip Übereinstimmung mit den Homerrekursen, wie sie in der Demodokos-Episode beschrieben werden. Auch die Rezeptionsmechanismen ähneln sich. In beiden Fällen wird die Grenze zwischen erinnern-
61 62 63 64 65 66 67
Vgl. REITZENSTEIN 1893, 73–75. Vgl. M. L. WEST 1974, 10–14 in Bezug auf adhortative Elegien wie Solons Salamis-Elegie; BOWIE 1986 verweist hingegen auf narrative Elegien. Hom. Il. I 463, XIII 202 oder IX 36; siehe dazu auch ULF 1990, 62–67. Vgl. GIANOTTI 1978, 411 f. Vgl. TEDESCHI 1978 mit zahlreichen Belegen, insbesondere Theogn. fr. 237 f. W2; vorsichtiger WECOWSKI 2014, 161 f. Siehe S. 68 f. Siehe S. 53. Eine ähnliche Verortung nehmen BOWIE 1986, 15 f. und ders. 1990, 223 f. gegen M. L. WEST 1974, 10 f. vor.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
der Gegenwart und erinnerter Vergangenheit in intentionaler Weise aufgehoben. Die soziale Absicht der Performance allerdings differiert. So soll der Geschichtsrekurs von Demodokos die proto-aristokratische Exklusivität der homerischen basileis bestärken. In der kallineischen Parenäse hingegen dient das Homerische im Gegenteil dazu, eine solche Abgrenzung aufzubrechen. Die aristokratischen neoi sollen sich gegen einen gemeinsamen Feind im Kampf einsetzen, und zwar zum Wohle des gesamten demos. Um dies zu erreichen, rekurriert die kallineische persona loquens auf das, was ihren aristokratischen Zuhörern offenbar bestens bekannt ist, nämlich die homerischen Halbgötter, und stilisiert diese zu Paradigmen kriegerischen Schaffens. Auf diese Weise beabsichtigt die persona loquens, ein gemeinschaftliches Handeln jenseits sozialer Grenzen herzustellen: Wer entsprechend kämpft und überlebt, wird den Halbgöttern gleichgestellt, erhält gleichsam einen Platz in der Heldengeschichte und wird verehrt. Troias Glanz ist daher nicht mehr einzigartig. Er ist reproduzierbar, und zwar von allen sterblichen Menschen. Darin besteht der eigentliche Kern von Kallinos’ adhortativer Agitation. Ich möchte diese Wirkungsabsicht homerischer Erinnerung hier und im Folgenden bürgerschaftsorientiert nennen. Die Rezeption von Homerischem zielt bei Kallinos, obwohl im exklusiven Rahmen des Symposions aufgeführt, in Richtung einer Nivellierung aristokratischen Überlegenheitsdenkens68. In dieser Hinsicht leistet die kallineische Homerrezeption ansatzweise dem Vorschub, das Meier in anderem Kontext die Institutionalisierung „bürgerliche[r] Gegenwärtigkeit“ nennt69: Der demos soll angesichts elementarer kriegerischer Gefahr geschlossen als eigenständige Kraft agieren. Es ist wohl kein Zufall, dass die kallineische persona loquens in diesem Zusammenhang auf Hektor rekurriert, der – ausgerechnet als Troianer – als Paradigma eines für die Gemeinschaft einstehenden homerischen Helden gilt70. Es zeigt sich hier zum ersten Mal, wie sehr die früharchaische Homerrezeption in den Entstehungsprozess der polis eingebunden gewesen ist. In diesem Zusammenhang werden die Anzeichen, die sich in Bezug auf gemeinschaftsorientiertes Handeln in der homerischen Welt finden lassen, einseitig und zulasten der grundsätzlich dort vorherrschenden aristokratischen Vorstellungen verstärkt.
68 69 70
Ähnlich argumentiert in anderem Kontext GRETHLEIN 2010, 71–73; siehe grundlegend auch LATACZ 1977, 237 f. Ch. MEIER 1980a, 82. Zu diesem Schlagwort siehe auch S. 138 f. und 170. Vgl. grundlegend ERBSE 1956.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
71
3.3.2 Aristokratische Homerrezeption bei Mimnermos Das Werk des ionischen Lyrikers Mimnermos hat in den letzten Jahren verstärkt Beachtung gefunden. Diese Entwicklung umfasst drei Bereiche, nämlich philologische, historische und schließlich pragmatische Fragestellungen. Es war der Altphilologe Bowie, der zuerst darauf hinwies, dass es einen Typus von Elegie gebe, der eine erzählerische, eben narrative Form aufweise. Diese Textsorte würde sich der Darstellung als historisch empfundener Ereignisse widmen71. Mimnermos’ Smyrneis galt Bowie in diesem Zusammenhang u. a. als paradigmatisch. Da über dieses Werk bis auf den Namen72 und das ungefähre Thema – eine Schlacht der Smyrnaier gegen die Lyder unter deren König Gyges73 – nahezu nichts bekannt ist, waren Bowies Überlegungen eher hypothetisch, konnten später allerdings mit der Rekonstruktion der simonideischen Plataiai-Elegie im Kern untermauert werden74 – hierzu später mehr im Rahmen des sechsten Kapitels. Es ist nunmehr von historischer Seite aus unzweifelhaft, dass die narrative Elegie als eine Trägerin von Historischem oder von dem, was man als historisch erachtet hat, in archaischer Zeit fungiert hat. Als erinnerndes Genre stand sie zwischen dem traditionellen Epos und der sich ab Hekataios etablierenden Historiographie. Wo genau die Grenzen zwischen diesen drei Gattungen verlaufen, inwieweit vielleicht das eine das andere beeinflusst hat, ist nach wie vor strittig75. Diese Frage hat in besonderem Maße mit dem sozialen Ort der narrativen Elegie zu tun. Bowie gemäß sei sie dem öffentlichen, festlichen Kontext vorbehalten. Sein Argument hierfür besteht in der eher thetischen Annahme, dass längere Narrative, die Erzählungen über die Geschichte eines Ortes zwangläufig darstellten, den begrenzten Rahmen eines Symposions sprengten76. Mit dieser Auffassung stellt er sich gegen die zu seiner Zeit weitläufige Forschung, welche die Elegie allgemein eher in anderen, zumeist sympotischen Kontexten verortet sieht77. An diese pragmatischen Fragen sollen die folgenden Überlegungen anknüpfen. Über Strabon ist uns ein kurzes Fragment von Mimnermos überliefert, das im elegischen Distichon in bezeichnender Weise die Besiedlung Kolophons und Smyrnas erinnert: 71 72 73 74 75 76 77
Vgl. BOWIE 1986, 27–34 mit berechtigten Einwänden gegen die ältere Systematisierung von M. L. WEST 1974, 14. Comm. in Antim. fr. 180 Wyss = Mimn. fr. 21 G.-P. = 13a W2. Eine anonyme Elegie, die bei Paus. IX 29, 4 = Mimn. fr. 22 G.-P. erwähnt ist, wird generell mit der Smyrneis in Verbindung gebracht; vgl. grundsätzlich A. ALLEN 1993, 23 f. Vgl. zusammenfassend BOWIE 2001, 45–58 und SIDER 2006. Eine Beeinflussung der Historiographie durch die narrative Elegie meint RÖSLER 1990, 235 f. zu erkennen; eher reserviert diesbezüglich bleibt BOWIE 2001, 62–66; auf agonistische Tendenzen zwischen Epos, Elegie und Historiographie verweist GRETHLEIN 2010, 62–67. Vgl. BOWIE 1986, 33. Vgl. in erster Linie die Systematisierung der elegischen Gattung durch M. L. WEST 1974, 10–14; grundsätzlich zu sympotischen Kontexten der Elegie siehe oben, S. 68 f.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
Strab. XIV 1, 4 = Mimn. fr. 3 G.-P. = 9 W2
(
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αἶψα δ᾽ ἔπειτα78 Πύλου Νηλήιον ἄστυ λιπόντες ἱμερτὴν Ἀσίην νηυσὶν ἀφικόμεθα, ἐς δ᾽ ἐρατὴν Κολοφῶνα βίην ὑπέροπλον ἔχοντες ἑζόμεθ᾽ἀργαλέης ὕβριος ἡγεμόνες· κεῖθεν δ᾽ Ἀλήεντος79 ἀπορνύμενοι ποταμοῖο θεῶν βουλῇ Σμύρνην εἵλομεν Αἰολίδα. Nachdem wir Pylos, den Ort Neleus’, verlassen hatten, / sind wir mit Schiffen ins sehnsüchtig erwartete Asien gelangt. / Im lieben Kolophon setzten wir uns, da wir über eine überlegene Kampfkraft verfügten, / als Anführer eines schlimmen Frevels fest. / [5] Von dort aus, aufgebrochen vom Aleeis-Fluss, eroberten wir gemäß dem Götterwillen das aiolische Smyrna.
Nun meint Bowie mit anderen, dass dieses Fragment Teil der besagten Smyrneis gewesen sei, da sie eine ktisis über die Gründungsgeschichte Smyrnas darstelle, die einen Bogen schlage von der mythischen Urzeit bis hin zu zeitgenössischen Kämpfen der Smyrnaier gegen die Lyder80. Die argumentative Grundlage für eine solche Annahme ist eher dünn. Allgemein wurde die angebliche Länge der Smyrneis neuerdings mit gewichtigen Gründen in Zweifel gezogen; ihre Einordnung als ktisis ist mehr als zweifelhaft81. Dass das hier angeführte Fragment vor diesem Hintergrunde Teil dieses Werks gewesen sein soll, kann nahezu ausgeschlossen werden, zumal nicht einleuchtet, warum sich Strabon mit dessen Einordnung in die mimnermische Nanno geirrt haben soll82. Auf all diese formalen Fragen werde ich später zurückkommen.
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79 80 81 82
Die Emendation der ersten Vershälfte, die in den beiden maßgeblichen Strabon-Handschriften widersprüchlich mit αἰπύ τε und ἐπεί τε überliefert wurde, ist nach wie vor umstritten, siehe die Dokumentation bei Mimn. fr. 3 G.-P. und den Kommentar von A. ALLEN 1993, 79 f. Gentili-Prato entscheiden sich mit anderen Autoren für die erstere Variante, da sie das αἰπύ τε mit Aipy, einer messenischen polis, emendieren, sodass die Besiedler Kolophons aus zwei Orten gekommen seien, siehe G.-P. ad Mimn. fr. 3, 48 f.: Αἰπὺ Πύλον θ᾽ ημεῖς Νηλήιον ἄστυ λιπόντες. Zuletzt hat A. ALLEN 1993, 79 f. mit Bezug auf WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1912, 282–284 hiergegen das entscheidende Argument geliefert. Mimn. fr. 4 G.-P. nennt allein den Pylier Andraimon als Gründer Kolophons; Pylos sei als alleiniger Ausgangspunkt des Siedlungsunternehmens daher zwangsläufig. Allens Konjektur mit Bezug auf Hom. Od. XV 193 erscheint mir daher am ehesten überzeugend. Zur Emendation der in den Handschriften stehenden Korruptel διαστήεντος vgl. A. ALLEN 1993, 82–84. Vgl. SZÁDECZKY-KARDOSS 1968, 945; TÖCHTERLE 1980, 231 f.; zuletzt BOWIE 1986, 28–30 und ders. 2001, 47–49. Vgl. A. ALLEN 1993, 23–26. Strab. XIV 1, 4.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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Inhaltlich ist das Fragment, zumindest auf den ersten Blick, leichter zu fassen. Ein lyrisches Wir verlässt das neleische Pylos (Z. 1), um mit Schiffen an die Küste Asiens zu gelangen (Z. 2), wo zuerst Kolophon mit überlegener Kampfkraft (βίη ὑπέροπλος, Z. 3) erobert worden ist. Danach berichtet die persona loquens vom Aufbruch aus Kolophon und von der Eroberung Smyrnas gemäß dem Götterwillen (θεῶν βουλή, Z. 3–5)83. Es interessiert hier weniger die Tatsache, dass das mimnermische Fragment die erste uns überkommene Überlieferung der ionischen Wanderung darstellt84. Zentral in diesem Zusammenhang ist die Funktion des homerischen Erinnerungsrekurses, den die persona loquens anstellt. Dabei ist insbesondere die Tatsache von Bedeutung, dass sie eine Kontinuität zwischen ihrer Gegenwart in Smyrna und der heroischen Vergangenheit um Nestor und dessen Vater85 Neleus herstellt. Die Generationengrenze zwischen den homerischen Helden und den sterblichen Menschen wird mit dieser Art der Erinnerung aufgehoben86. Gegenwart und Vergangenheit greifen ineinander: Die persona loquens erinnert insofern intentional. Für die Erinnernden hat diese Art der Herkunftsmemorierung erhebliche Folgen. Sie werden als besonders erhoben, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zuerst blicken sie chronologisch auf ein erhebliches Alter zurück. Die Wurzeln des Wir gehen bis zu Nestor. Seine Herrschaftszeit nämlich denotiert die fixe Formel des „neleischen Pylos“87. Wie alt das genau ist, kann man auch berechnen: Wenn Neleus’ Sohn Nestor in seinem Heimatort über drei Menschengenerationen hinweg geherrscht hat88 und die menschliche Generation wiederum auf diejenige der homerischen Halbgötter folgt89, dann wird deutlich, wie weit die Wurzeln dieser Gruppe in die Vergangenheit reicht90. Zweitens schwingt mit dieser Genealogie auch eine qualitative Aufwertung der persona loquens und ihrer Adressaten mit. Diese würden nämlich von den homerischen Halbgöttern Nestor und Neleus abstammen. Sowohl das Alter als auch die heroische Deszendenz kennzeichnen nun das lyrische Wir in doppelter Weise als besondere Gruppe. Die soziale Funktion des Homerischen bei Mimnermos besteht also darin, die Legitimation einer exklusiven sozialen Stellung der Zuhörerschaft herzustellen. Es ist nun offen, wem gegenüber diese Exklusivität hergestellt werden soll, wen konkret also die persona loquens mit ihrem Postulat eines Wir einschließt. In Betracht kommen zwei Gruppen. Zuerst wäre an den gesamten demos Smyrnas zu denken; im-
83 84 85 86 87 88 89 90
Siehe auch Paus. V 8, 7; vgl. grundlegend zur Eroberung Smyrnas zu Beginn des siebten vorchristlichen Jahrhunderts CRIELAARD 2009, 51 mit weiteren Referenzen. Vgl. mit Paus. VII 3, 1–3; siehe hierzu A. ALLEN 1993, 75 f. und grundlegend PRINZ 1979, 318–340. Hom. Il. XI 682–693. Vgl. STEINMETZ 1969, 75. Vgl. PRINZ 1979, 322. Hom. Il. II 248–252. Zu den philologischen Problemen bei der Bestimmung von Nestors Alter vgl. GRETHLEIN 2006. Hes. op. 156–178. Vgl. PRINZ 1979, 328 f.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
merhin erscheint die polis in Gänze als das Ergebnis einer heldenhaften Eroberung91. Eine solche Lesart hätte durchaus ihre Berechtigung, wenn man den konkreten historischen Kontext berücksichtigt, in dem Mimnermos dichtet. Mimnermos selbst berichtet gemäß Pausanias von den Aggressionen des lydischen Königs Gyges gegen Smyrna92, die er wohl, das muss man aus einer anderen Schlachtenbeschreibung schließen, aus Erzählungen der Älteren kennt93. Nach dem Tode Mimnermos’ wird Smyrna um 600 v. Chr. endgültig vom lydischen König Alyattes erobert und zerstört94. Der Dichter ist also unmittelbarer Zeuge unsicherer Zeiten. Das Homerische in dem hier interessierenden Fragment hätte in diesem Falle insofern eine adhortative Zielrichtung zum Ziele, als über das Zelebrieren der gemeinsamen heldenhaften Vergangenheit die Moral der Zuhörer hinsichtlich der gegenwärtigen Auseinandersetzungen gestärkt werden sollte. Der Aufführungsrahmen der Elegie wäre notwendigerweise öffentlich. In diese Richtung denkt im Kern auch Bowie95. Auch wenn dieser Gedanke eingängig erscheint, so ist er nicht minder problematisch, und zwar aus zwei Gründen. Bowies Argument der angeblich außergewöhnlichen Länge von Mimnermos’ narrativer Elegie ist nicht sehr tragfähig. Auf die Schwierigkeiten, das mimnermische Fragment als Teil der Smyrneis einzuordnen, wurde bereits hingewiesen96. Zudem wird neuerdings dieses Kriterium für eine öffentliche Aufführung der narrativen Elegie m. E. zu Recht kritisch, da hypothetisch gesehen97. Hinter einer öffentlichen Aufführung von Mimnermos’ Elegie, wie Bowie dies postuliert, steht daher ein großes Fragezeichen. Näher in Betracht für die mimnermische Elegie kommen daher sympotische Kontexte. Für diese Denkrichtung sprechen auch detailliertere textliche Beobachtungen. Die Siedler, die Kolophon erobert hätten, bezeichnet die persona loquens als Anführer eines harten Frevels (ἀργαλέης ὕβριος ἡγεμόνες, Z. 4), die zudem über eine außergewöhnliche Kraft (βίη ὑπέροπλος, Z. 3) verfügt und deswegen Kolophon eingenommen hätten. Später hätten die gleichen Anführer nach der Eroberung Kolophons Smyrna gemäß dem Plan der Götter (θεῶν βουλή, Z. 6) erobert. Die Widersprüchlichkeit dieser Zeilen verwirrt. Auf der einen Seite fungiert in der Ilias der hegemon als Anführer innerhalb der einfachen Kampftruppe der laoi98. Dies impliziert ganz klar eine positive Konnotation. Auf der anderen Seite allerdings erscheint diese Eroberung als das Ergebnis einer gewaltvollen hybris. Dieser Gegensatz bedarf der Erklärung. Manch einer meint in diesem Zusammenhang, dass die vergangene hybris in irgendeinem kausalen
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Vgl. CRIELAARD 2009, 51. Paus. IX 29, 4 = Mimn. fr. 22 G.-P. Siehe auch Hdt. I 15. Stob. III 7, 11 = Mimn. fr. 23 G.-P., Z. 2. Auch wenn hier explizit Gyges nicht erwähnt wird, so gilt doch als gesichert, dass sich Mimnermos auf dessen Aggressionen bezieht; vgl. A. ALLEN 1993, 9 f. Vgl. COOK 1955, 25–27. Vgl. BOWIE 1986, 29 f. und 33. Siehe S. 72. Vgl. GRETHLEIN 2010, 69 f. Vgl. Hom. Il. II 365.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
75
Bezug zu den Nöten in Mimnermos’ historischem Kontext stehe99. Da die Elegie nur fragmentarisch erhalten ist, müssen diese Erläuterungen aber im hypothetischen Bereich bleiben. Grundsätzlich kann man hybris nicht mit einem Götterbeschluss verbinden100, das eine darf nichts mit dem anderen zu tun haben. Diese notwendige Zäsur wird auch hergestellt, und zwar mit Verwendung des Adverbs κεῖθεν (Z. 5). Erst nach Herstellung einer räumlichen Trennung zu Kolophon agieren die hegemones gemäß der bule theon und erobern Smyrna. Das Ausführen des Götterwillens markiert ihre Leistung als außergewöhnlich, was mit der edlen Herkunft aus dem neleischen Pylos korrespondiert. Wenn aber die persona loquens mit der Verwendung der ersten Person Plural Zuhörerschaft und elitäre Eroberer gleichsetzt, dann besteht ebenso eine qualitative Gleichheit hinsichtlich Stärke und Exklusivität101. Vor diesem Hintergrunde ist es naheliegend, die persona loquens mit Mimnermos, der sich dezidiert als Teil des lyrischen Wir begreift, zu identifizieren. Mithilfe der homerischen Deszendenz möchte er eine soziale Sonderrolle seiner selbst und seiner Zuhörer betonen, und zwar in Relation zum restlichen demos. Der adäquate Ort hierfür wäre das exklusive aristokratische Symposion102. Diese Interpretation der Elegie korreliert mit dem wenigen, was man über das früharchaische Smyrna – denn das ist das Ziel der mimnermischen persona loquens und ihrer hegemones gemäß der Elegie103 – weiß. Die Existenz von andrones als Orte eines Symposions ist hier eindeutig belegt104. Überhaupt künden die Überreste luxuriöser Importwaren sowie größerer, elegant ausgestatteter Häuser von einem nicht unerheblichen Reichtum in der polis105. Eines exklusiven aristokratischen Publikums konnte sich Mimnermos also sicher sein. Wenn vor dem Hintergrunde dieser textuellen wie auch kontextuellen Beobachtungen all diese Überlegungen richtig sind, dann dient das Homerische bei Mimnermos der Distinktion gegenüber dem restlichen demos im Rahmen des aristokratischen Symposions. Die aristokratischen Zuhörer Mimnermos’ schöpfen ihre exklusive soziale Legitimation aus der Vorstellung heraus, dass sie auf eine heroische Vergangenheit, die sogar bis in homerische Zeiten zurückreicht, zurückschauen können. Der Glanz sowohl des homerischen Nestor als auch der außergewöhnlich starken hegemones strahlt bis in die Gegenwart der aristokratischen Zuhörerschaft hinein. In Bezug auf
Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1912, 283 f.; JACOBY 1918, 280; DIHLE 1962, 263–267 und 273; STEINMETZ 1969, 25–27. 100 Vgl. A. ALLEN 1993, 78 f. 101 Vgl. analog GEHRKE 2014, 9–11. 102 Hierfür plädiert auch RÖSLER 1990, 235, allerdings nur aufgrund vager Vermutungen; zur sympotischen Verortung der mimnermischen Elegien vgl. neuerdings SLINGS 2000b. 103 Vgl. grundsätzlich JACOBY 1918, 270 f. gegen die Auffassung von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1912, 280 f. 104 Siehe S. 53. 105 Vgl. COOK 1955, 16 f. 99
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
den sozialen Ort und die soziale Funktion ähnelt daher diese Form der Rezeption des Homerischen denjenigen Mechanismen, wie sie in der Demodokos-Episode offenbar geworden sind: Mimnermos erinnert demnach Homerisches aristokratisch. Er zielt darauf ab, die Zuhörerschaft als exklusiv zu markieren. 3.3.3 Die tyrtaiische arete-Elegie Wenig Sicheres ist uns über das archaische Sparta bekannt, was nicht zuletzt der sehr spärlichen Quellenlage geschuldet ist106. Umso mehr Relevanz kommt den Lyrikern Tyrtaios und Alkman in diesem Zusammenhang zu, gelten ihre Fragmente als zentrale Vergleichsfolien zu den erzählenden Quellen der späteren Zeit ab Herodot107. Nach wie vor strittig ist insbesondere die Frage, inwieweit das, was Herodot gemäß die Essenz der spartanischen polis ausmache, seine Wurzeln in frühester Zeit habe: nämlich die eunomia des spartanischen kosmos108. In dem genannten Zusammenhang hat die jüngere Forschung Tyrtaios als vor allem politischen, weniger martialischen Autor rehabilitiert109. Dieser Ansatz wird im Folgenden im Rahmen einer Analyse der tyrtaiischen arete-Elegie weiterverfolgt: Stob. IV 10 = Tyrt. fr. 9 G.-P. = Tyrt. fr. 12 W2
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οὔτ᾽ ἂν μνησαίμην οὔτ᾽ ἐν λόγῳ ἄνδρα τιθείμην οὔτε ποδῶν ἀρετῆς οὔτε παλαισμοσύνης, οὐδ᾽ εἰ Κυκλώπων μὲν ἔχοι μέγεθός τε βίην τε, νικῴη δὲ θέων Θρηίκιον Βορέην, οὐδ᾽ εἰ Τιθωνοῖο φυὴν χαριέστερος εἴη, πλουτοίη δὲ Μίδεω καὶ Κινύρεω μάλιον, οὐδ᾽ εἰ Τανταλίδεω Πέλοπος βασιλεύτερος εἴη, γλῶσσαν δ᾽ Ἀδρήστου μειλιχόγηρυν ἔχοι, οὐδ᾽ εἰ πᾶσαν ἔχοι δόξαν πλὴν θούριδος ἀλκῆς·
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οὐ γὰρ ἀνὴρ ἀγαθὸς γίγνεται ἐν πολέμῳ, εἰ μὴ τετλαίη μὴν ὁρῶν φόνον αἱματόεντα
Aus diesem Grunde ist die Forschungsliteratur zum Thema entsprechend vielfältig. Im Rahmen dieser Arbeit stütze ich mich auf die folgenden Autoren: KIECHLE 1963; LATACZ 1977; THOMMEN 1996; M. MEIER 1998; LINK 2000; CARTLEDGE 2002; KOIV 2003; THOMMEN 2003; schließlich WELWEI 2007. 107 Zu Tyrtaios allgemein vgl. PRATO 1968, 1*-79*. 108 Hdt. I 16, 5. 109 Vgl. grundlegend M. MEIER 1998, 236–242. Zum traditionellen Tyrtaios-Bild vgl. LATACZ 1988, 162 f. Vgl. hierzu auch bald die Hamburger Dissertation von A. v. d. DECKEN. 106
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καὶ δῄων ὀρέγοιτ᾽ ἐγγύθεν ἱστάμενος. ἥδ᾽ ἀρετή, τόδ᾽ ἄεθλον ἐν ἀνθρώποισιν ἄριστον κάλλιστόν τε φέρειν γίγνεται ἀνδρὶ νέῳ. ξυνὸν δ᾽ ἐσθλὸν τοῦτο πόληί τε παντί τε δήμῳ, ὅστις ἀνὴρ διαβὰς ἐν προμάχοισι μένῃ νωλεμέως, αἰσχρῆς δὲ φυγῆς ἐπὶ πάγχυ λάθηται, ψυχὴν καὶ θυμὸν τλήμονα παρθέμενος, θαρσύνῃ δ᾽ ἔπεσιν τὸν πλησίον ἄνδρα παρεστώς· οὗτος ἀνὴρ ἀγαθὸς γίγνεται ἐν πολέμῳ. αἶψα δὲ δυσμενέων ἀνδρῶν ἔτρεψε φάλαγγας τρηχείας, σπουδῇ δ᾽ ἔσχεθε κῦμα μάχης. αὐτὸς δ᾽ ἐν προμάχοισι πεσὼν φίλον ὤλεσε θυμόν, ἄστυ τε καὶ λαοὺς καὶ πατέρ᾽ εὐκλεΐσας, πολλὰ διὰ στέρνοιο καὶ ἀσπίδος ὀμφαλοέσσης καὶ διὰ θώρηκος πρόσθεν ἐληλαμένος. τὸν δ᾽ ὀλοφύρονται μὲν ὁμῶς νέοι ἠδὲ γέροντες, ἀργαλέῳ δὲ πόθῳ πᾶσα κέκηδε πόλις, καὶ τύμβος καὶ παῖδες ἐν ἀνθρώποις ἀρίσημοι καὶ παίδων παῖδες καὶ γένος ἐξοπίσω· οὐδέ ποτε κλέος ἐσθλὸν ἀπόλλυται οὐδ᾽ ὄνομ᾽ αὐτοῦ, ἀλλ᾽ ὑπὸ γῆς περ ἐὼν γίγνεται ἀθάνατος, ὅντιν᾽ ἀριστεύοντα μένοντά τε μαρνάμενόν τε γῆς πέρι καὶ παίδων θοῦρος Ἄρης ὀλέσῃ. εἰ δὲ φύγῃ μὲν κῆρα τανηλεγέος θανάτοιο, νικήσας δ᾽ αἰχμῆς ἀγλαὸν εὖχος ἕλῃ, πάντες μιν τιμῶσιν ὁμῶς νέοι ἠδὲ παλαιοί, πολλὰ δὲ τερπνὰ παθὼν ἔρχεται εἰς Ἀίδην, γηράσκων δ᾽ ἀστοῖσι μεταπρέπει, οὐδέ τις αὐτὸν βλάπτειν οὔτ᾽ αἰδοῦς οὔτε δίκης ἐθέλει, πάντες δ᾽ ἐν θώκοισιν ὁμῶς νέοι οἵ τε κατ᾽ αὐτὸν εἴκουσ᾽ ἐκ χώρης οἵ τε παλαιότεροι. ταύτης νῦν τις ἀνὴρ ἀρετῆς εἰς ἄκρον ἱκέσθαι πειράσθω θυμῷ μὴ μεθιεὶς πολέμου. Weder könnte ich einen Mann erwähnen noch im Lied besingen, / nicht für seine Fußschnelligkeit noch für seine Kampfeskunst, / auch nicht wenn er Größe und Stärke von Zyklopen hätte / und im Lauf den Thraker Boreas besiegte, / [5] nicht wenn er von schönerer Gestalt als Tithonos / und reicher als Midas und Kinyras wäre, / nicht wenn er herrscherlicher als der Tantalide Pelops wäre / und die schmeichlerische Redekunst Adrests besäße, / auch nicht wenn er jeglichen Ruhm hätte – außer stürmischer Kampfeskraft.
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[10] Denn es erweist sich nicht ein Mann als ehrenhaft im Kampf, / falls er nicht erträgt, blutiges Gemetzel zu sehen, / und falls er nicht zu wüten verlangt, wenn er sich in der Nähe aufstellt. Das ist Tüchtigkeit; es erscheint, dass dieser Preis der schönste / und beste auf Erden für einen jungen Mann zu erreichen ist. / [15] Einen Gemeinschaftsdienst bedeutet es für die Bürgerschaft und das gesamte Volk, / wenn ein Mann im Spreizschritt bei den Vorkämpfern ausharrt, / und zwar unablässig, wenn er an die schändliche Flucht keinen einzigen Gedanken verschwendet, / während er sein Leben und sein kühnes Herz aufs Spiel setzt, / und wenn er als Beistand mit Worten den Nebenmann ermutigt. / [20] Dieser Mann erweist sich als ehrenhaft im Kampf. / Schnell veranlasst er die fürchterlichen Reihen der feindlich gesinnten Männer zur Flucht, / eifrig bringt er die Woge des Kampfes zum Stehen. / Hat er selbst, da er unter den Vorkämpfern gefallen ist, sein teures Leben verloren, / zum Ruhme für Gemeinde, Heer und Vater, / [25] vielfach durch Brust, Buckelschild / und – von vorne – durch den Harnisch gebohrt / – den beklagen dann gleichermaßen Junge wie Alte; in tiefem Schmerz ist die gesamte Gemeinde betrübt, / sein Grab und seine Kinder sind bei den Menschen bekannt, / [30] auch seine Kindeskinder und das künftige Geschlecht. / Weder geht sein edler Ruhm unter noch tut es sein Name, / sondern er wird, ist er erst unter der Erde, unsterblich, / falls ihn, der in seinem Ausharren und seinem Kampf für Land und Kinder sein Bestes gegeben hat, / der stürmische Ares hinweggerafft hat. / [35] Doch falls er aber dem Los des schmerzbereitenden Todes entronnen ist / und als Sieger herrlichen Ruhm im Lanzenkampf erworben hat, / dann ehren ihn alle, Junge und Alte gleichermaßen, / und er geht, nachdem er viel Angenehmes erfahren hat, in den Hades ein; / als Alternder aber zeichnet er sich unter den Stadtbewohnern aus, keiner ist geneigt, / [40] ihn in Bezug auf seinen Respekt oder sein Recht einzuschränken, / alle gleichermaßen machen auf den Ehrensitzen Platz, die Jungen, seine / Altersgenossen und auch die Älteren. Ein Mann soll also mit Entschlossenheit versuchen, den Gipfel dieser Tüchtigkeit zu erreichen / und nicht vom leidenschaftlichen Kampf ablassen! Die über Stabaios überlieferte arete-Elegie gilt weithin als vollständig110, die Echtheit der kunstvoll gestalteten Dichtung nunmehr als akzeptiert111. Grob einteilen lässt sie sich in zwei thematische Blöcke. In dem ersten Teil nähert sich das lyrische Ich einer Bestim-
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Die bei W2 ad Tyrt. fr. 12 geäußerte Vorsicht ist m. E. singulär. Gerade die hohe rhetorische Raffinesse ließ Zweifel daran aufkommen, ob die Elegie archaisch sei; vgl. insbesondere WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1900, 114 f. und JACOBY 1918, 31–43. Vgl. hiergegen grundsätzlich und mit gewichtigen Argumenten JAEGER 1960, 85–114, was auch FRÄNKEL 1962, 384–386 nicht zu entkräften vermochte.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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mung von tugendhaftem Verhalten ex negativo mithilfe einer Priamel an (Z. 1–14). In einem geschickten Bogen knüpft es verschiedene individuelle Eigenschaften, deren Wert es allerdings sofort mit der anaphorisch verwendeten, mehrgliedrigen Negationsformel οὔτε…οὐδέ zerschlägt, aneinander: Schnelligkeit und Stärke (Z. 2–4), Schönheit (Z. 5), Reichtum (Z. 6), Macht (Z. 7), Beredsamkeit (Z. 8) – all diese individuellen Qualitäten kennzeichnet das lyrische Ich pejorativ als Oberflächlichkeiten (δόξα, Z. 9). Es lehnt diese Einzeleigenschaften ab, auch wenn diese von mythischen Figuren wie den Kyklopen personifiziert würden. Die emphatische, spannungsaufbauende Akkumulation legt den Fokus nun auf das, was das lyrische Ich stattdessen mit elliptischer Knappheit markiert. Ein Mann müsse nämlich über ungestüme Kampfkraft (θοῦρις ἀλκή) verfügen. Wer diese nicht besitze, erweise sich nicht als ehrenvoll (ἀγαθός) im Kampfe (Z. 9 f.). Diese Kampfkraft schließlich sei mit der Tugend (ἀρετή) gleichzusetzen. Sie sei das Beste, das man als junger Mann (νέος) erreichen könne (Z. 14). Das lyrische Ich negiert in dieser Präambel vehement aus dem Mythos entnommene, aristokratische Wertvorstellungen – hierzu später mehr. Der Zweck dessen besteht darin, die traditionellen Begriffe arete und agathos semantisch neu zu füllen. Diese Neudefinition wird im folgenden Hauptteil argumentativ untermauert (Z. 15–44), wobei dort das lyrische Ich in den Hintergrund tritt. Dadurch erhält die gesamte Argumentation etwas Thetisches112. Gleich die ersten beiden, am betonten Beginn des Distichons gesetzten Begriffe verdeutlichen, welchem Zwecke die besagte Kampfkraft dienen solle, nämlich dem Dienste an der Gemeinschaft (ξυνὸν ἐσθλὸν, Z. 15). Wer in der ersten Kampfesreihe sein Leben für den demos einsetze und anderen Mut zuspreche, der sei ehrenvoll (ἀγαθός) zu nennen (Z. 20). Mit dieser Zeile nun wird der diffuse Ruhmesbegriff positiv definiert, nachdem er zehn Zeilen zuvor ex negativo und nahezu wortgleich bestimmt worden ist. Diese Ringkomposition konzentriert in sich die gesamte Argumentation: Ehrenvoll und tugendhaft sei derjenige, der über Kampfesmut verfügt und keine Schwäche zeigt, da diese Eigenschaft einen Dienst für die Gemeinschaft darstellten. Diesen zentralen polis-Bezug vergegenwärtigen schließlich die beiden abschließenden Beispiele. Sterbe man nämlich mutig in der ersten Kampfesreihe, gereiche es der Stadt, dem Heer und dem Vater – in dieser Reihenfolge113 – zum Ruhme, trauere folgerichtig die ganze polis und winke schließlich Unsterblichkeit (ἀθάνατος) in der Unterwelt (Z. 23–34). Entkomme man hingegen vorerst dem Todeslos und überlebe den Kampf, erhalte man zu Lebzeiten auf vielfache Weise die Huldigung und die Ehrengaben der gesamten Stadt (Z. 35–42). Mit dem resümierenden Aufruf, einer solchen Form der arete mit aller Kraft nachzueifern und nicht schlaff im Kampfe zu sein (Z. 43 f.), wird der Argumentationskreis geschlossen und die Dichtung beendet. Zentral also im Rahmen der Argumentation ist der polis-Bezug der arete. Kampfesmut 112 113
Vgl. ähnlich M. MEIER 1998, 275; zuvor bereits PRATO 1968, 117. Man vergleiche diese Passage mit Kallinos fr. 1 G.-P., Z. 7. Zu der Bedeutung der in der Elegie verwendeten Begriffe asty und laoi vgl. PRATO 1968, 133.
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dient dem Gemeinschaftsdienst, beides macht die Tugend eines ehrenvollen Mannes aus114. Interpretationen, welche die Elegie rein adhortativ interpretieren115, gehen daher vor dem Hintergrund dieser tyrtaiischen Logik fehl. Die Elegie ist durchtränkt mit Homerischem116. Dies zeigen schon formale Aspekte. Vom Aufbau her erinnert die Distichondichtung mit ihrer appellativen Argumentationsstruktur an homerische Paränesen117; auch die einleitende Priamel ist aus den Epen bekannt118. Teilweise zeigen sich homerische Formulierungen bis ins Detail119. Von tieferem Interesse sind allerdings in diesem Zusammenhang die intertextuellen Bezüge zum Mythos im Allgemeinen sowie zu den Epen im Besonderen. Dabei wird bereits in der einleitenden Priamel der ambivalente Umgang des lyrischen Ichs mit traditionellen Werten und Begrifflichkeiten deutlich. Zwar bedient sich das lyrische Ich verschiedener mythischer Figuren wie der Kyklopen, um aretai wie Stärke zu verdeutlichen. Auf der anderen Seite verneint es die Relevanz letzterer vehement, distanziert sich mithin auch von den als Vergleichsmaßstab angeführten mythischen Paradigmen. Dies zeigt gerade auch die Wahl dieser Exempla. So gelten die Kyklopen in den Epen als Inbegriff der Maßlosigkeit und Unzivilisiertheit120. Diese Unmenschen als Personifikation von Stärke heranzuziehen, birgt also eine gewisse Ironie in sich, was die Ablehnung dieser Tugend noch verstärkt121. Diese Distanzierung des lyrischen Ichs ist umso bemerkenswerter, als eigentlich Stärke – bie – als positive Eigenschaft ein fixes Attribut eines homerischen basileus darstellen kann122. In archaischer Zeit hat sich diese arete als aristokratisches Distinktionsmerkmal insbesondere im sportlichen Wettkampf verfestigt123. Diese Tendenz gilt analog auch für die übrigen genannten Wertmaßstäbe124. Indem also das lyrische Ich homerisch vorgeprägte aretai als negativ
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Ähnlich PRATO 1968, 22*–25*; JAEGER 1960, 94 f.; SNELL 1965, 87–89; FUQUA 1982, 225 f. und vehement M. MEIER 1998, 287–289; vgl. hiergegen mit einem vor dem Hintergrunde seiner späteren Positionierung während der Korfmann-Kolb-Debatte denkwürdigen Hinweis auf eine angebliche Ähnlichkeit der politischen Wertevorstellungen von Tyrtaios und Homer LATACZ 1977, 156–158. In politischer Hinsicht bestehen allerdings zwischen der homerischen Welt und dem institutionalisierten tyrtaiischen Sparta durchaus Unterschiede. Die polis hat sich in der homerischen Welt als gesellschaftliches Strukturmodell noch nicht durchgesetzt, siehe S. 38 f. Vgl. SCHWINGE 1997, 393–395; etwas abgeschwächt auch TARKOW 1983. Vgl. grundlegend JAEGER 1960, 84–90; siehe anderweitig zur tyrtaiischen Homerrezeption LATACZ 1977, 232–237. Vgl. JAEGER, 85–88 und LATACZ 1977, 248–250 mit weiteren Referenzen. Siehe Hom. Il. XIV 394–401 mit einer analogen negativen Beispielreihung; vgl. hierzu grundlegend RACE 1982, 31–42 mit weiteren Referenzen. Vgl. M. MEIER 1998, 279 mit weiteren Referenzen; vgl. generell zu den sprachlichen Homerismen Tyrtaios’ PRATO 1968, 49*–59*. Hom. Od. IX 105 ff.; vgl. PRATO 1968, 126. Vgl. M. MEIER 1998, 278 f. Vgl. grundsätzlich zur homerischen arete ULF 1990, 12–15. Siehe hierzu allgemein die pindarischen Oden, z. B. Pind. N. 6; vgl. grundlegend MANN 1998. Vgl. grundlegend STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 104–122.
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verwirft, schwächt es aristokratische Tugenden ab. Der argumentative Weg zu einer Neudefinition von tugendhaftem Handeln ist somit geebnet. Was das lyrische Ich nunmehr von einem aner agathos fordert, ist Kampfesmut, der sich im Ausharren angesichts des Gemetzels, im Nahkampf und im Anspornen der Mitkämpfenden zeige (Z. 10–12, 19). Dieser Gedanke erscheint prinzipiell homerisch125. Auch dessen Begründung erinnert sprachlich an die Epen. Das tyrtaiische ξυνόν ἐσθλόν (Z. 15) nimmt eine ursprünglich negativ gemeinte Formulierung aus der Ilias auf126 und wendet sie ins Positive. Die nähere Erläuterung, wem dieser Gemeinschaftsdienst zugute kommt, nämlich πόληί […] τε δήμῳ, korrespondiert wiederum mit dem Vorwurf Hektors an Paris, der sich mit seinem egoistischen Handeln eben nicht für Stadt und Bürgerschaft eingesetzt habe127. Es mag kein Zufall sein, dass Hektor an dieser Stelle zitiert wird. Gerade er gilt als ein gemeinschaftlich orientierter homerischer Held, übernimmt er doch zuerst Verantwortung gegenüber seinem Land und erst dann gegenüber seiner Familie128. Trotzdem sollte dies ebenso wenig wie der durchgehende Gebrauch von Homerismen darüber hinwegtäuschen, dass insgesamt die in der Elegie geforderte Identifikation mit dem demos in weiten Teilen über homerisches Denken hinausgeht. Generell erwerben homerische Helden aretai wie Kampfeskraft, um die eigene Ehre zu steigern und gegenüber anderen hervorzustechen129, aber nicht, wie in der Elegie hervorgehoben, um den Ruhm der polis zu mehren (εὐκλεΐζω, Z. 24)130. Diese wiederum erweist sich für den ihr erwiesenen Dienst erkenntlich. Stirbt ein mutiger Kämpfer, trauert sie um ihn, ehrt dessen Grab und seine Nachkommen, sodass sein Ruhm (κλέος, Z. 31) ihn im Totenreich unsterblich (ἀθάνατος, Z. 32) macht. Tyrtaios bricht auf diese Weise die Grenze zwischen der mythischen, als historisch empfundenen Welt und seiner eigenen Gegenwart auf, denn eigentlich sind allein Götter und Halbgötter unsterblich131. Bei Tyrtaios hingegen wird ruhmvolle Unsterblichkeit für Menschen erreichbar, wenn sie eben im Sinne der neudefinierten arete im Kampf für die polis ihr Leben lassen132. Kleos des Kämpfers und kleos der polis bedingen sich auf diese Weise wechselseitig133. Es ist diese heroisierende Vorstellung, qualitativ mit den unsterblichen homerischen Halbgöttern gleichzuziehen, welche die Zuhörer von der Notwendigkeit des
125 126 127 128 129 130 131 132 133
Vgl. LATACZ 1977, 155. Hom. Il. XVI 262. Hom. Il. III 50; zu den Homerismen vgl. grundsätzlich SNELL 1969, 21–26. Hom. Il. XV 494–499; vgl. hierzu ERBSE 1956. So programmatisch in Hom. Il. VI 208; vgl. hierzu grundlegend ULF 1990, 12–15. Dieses Verbum ist hier zum ersten Mal gesichert; vgl. PRATO 1968, 133. Hes. op. 156–178. Vgl. JAEGER 1960, 94; ähnlich M. MEIER 1998, 284 f. Vgl. ähnlich PRATO 1968, 22*f.; zu Recht verweist in diesem Zusammenhang M. MEIER 1998, 284 f. auf den Epitaphios Thukydides’, in dem ein ähnliches Verhältnis zwischen Verstorbenen und polis deutlich wird, siehe Thuk. II 34.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
gemeinnützigen Kämpfens überzeugen soll: Man erkämpft sich seinen Platz in der Heldengeschichte, indem die polis durch stetige Erinnerung die Unsterblichkeit sicherstellt134. In diesem Punkte fokussiert sich das intentionale tyrtaiische Geschichtsverständnis: Erinnernde Gegenwart und erinnerte Vergangenheit greifen ineinander. Was die tyrtaiische Elegie darüber hinaus auszeichnet, ist, dass das Homerische als Sprungbrett für die Etablierung von etwas Neuem dient. Der an eine homerische Kampfparänese erinnernde Aufbau, die homerischen Wortwendungen, das Zitieren homerischer Begrifflichkeiten und Figuren – all das erzeugt beim Zuhörer ein Gefühl des Bekannten. Tatsächlich fordert das lyrische Ich aber die Aufgabe mythisch tradierter und aristokratisch verabsolutierter aretai, um einem neuen polis-Ethos, das sich gerade im Kampfe zeige, auf den Weg zu helfen. In der Elegie wird also neuer Wein in alte Schläuche gefüllt135. Das Homerische dient gerade in der adhortativen Agitation einer letztlich politischen Intention136. Ganz ähnlich wie Kallinos in seiner Kampfparenäse rezipiert Tyrtaios Homerisches mit einer bürgerschaftsorientierten Zielrichtung. Auch hier zeigt sich die Einbettung der früharchaischen Homerrezeption in die Genese der polis137. Diese politische Interpretation der arete-Elegie passt zu den Inhalten anderer tyrtaiischer Fragmente. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das, was man der bei Aristoteles und Strabon138 belegten sog. Eunomia zuordnet139, von Belang. Es können in diesem Zusammenhang nicht die tiefgreifenden Probleme diskutiert werden, welche das Verhältnis der nahezu wortgleichen Überlieferungen bei Plutarch und Diodor zu den Bestimmungen der Großen Rhetra und ihrem Zusatz aufwerfen140. Jenseits dieser Fragen aber steht fest, dass gerade das bei den besagten Autoren überlieferte Fragment, seine tyrtaiische Provenienz vorausgesetzt, eine reibungslose politische Zusammenarbeit der verschiedenen spartanischen Institutionen, bestehend aus Doppelkönigen, Geronten und gewöhnlichen Männern (δημότας ἄνδρας), beschreibt141 – bei Diodor mit einem demokratisch anmutenden Zusatz versehen142. Grundsätzlich allerdings
Vgl. JAEGER 1960, 94; BOWRA 1960, 67 f.; FUQUA 1982, 218–226; zusammenfassend M. MEIER 1998, 282–285. 135 Ähnlich beobachtet von PRATO 1968, 130 f.; ausgeführt bei M. MEIER 1998, 281. 136 Vgl. grundlegend JAEGER 1960, 93–95 mit seinem Schlagwort der „Politisierung des Heldenideals“ (S. 94). 137 Zum Verhältnis von Tyrtaios und der polis Sparta siehe auch LATACZ 1977, 157 f. 138 Arist. pol. 1306b; Strab. VIII 4, 10. 139 Tyrt. fr. 1a G.-P., dessen Verse 12–15 auch bei Strab. VIII 4, 10 = Tyrt. test. 8 G.-P. überliefert sind; zudem insbesondere Plut. Lyk. VI 7 = Tyrt. fr. 1b G.-P. und Diod. VII 12, 6 = Tyrt. fr. 14 G.P. 140 Vgl. die Zusammenfassung der älteren Diskussion bei STEINMETZ 1969, 63–67; neuerdings WEES 1999; hiergegen M. MEIER 2002; zuletzt HÖLSCHER 1986, WEES 2002 und ders. 2003; LINK 2003; NAFISSI 2010. 141 Tyrt. fr. 1b G.-P., Z. 3–6 und Tyrt. fr. 14 G.-P., Z. 3–6. 142 Tyrt. fr. 14 G.-P., Z. 7–10. Zu den philologischen Problemen, die hieraus entstehen, vgl. STEINMETZ 1968, 66–70; M. MEIER 1998, 244 f. 134
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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entspricht der politische Anspruch, der sich hinter diesem Bild verbirgt, demjenigen, der bereits aus der arete-Elegie geläufig ist. In beiden Dichtungen erscheint die „liebliche polis Sparta“ (Σπάρτης ἱμερόεσσα πόλις)143 als das zentrale Element, für das alle Sorge tragen müssen – sei es im politischen Entscheidungsprozess oder im Kampfe144. Dass dies auch notwendig war, zeigt das, was wir von den vielfältigen inneren wie äußeren Herausforderungen, vor denen Sparta in tyrtaiischer Zeit gestanden hat, wissen. Der maßgebliche Teil des tyrtaiischen Œuvres verweist bekanntlich in radikaler Bildlichkeit direkt auf kriegerische Auseinandersetzungen145, die in späterer Zeit als Zweiter Messenischer Krieg identifiziert worden sind146. Auch was generell bei einer Niederlage drohen könnte, ist bei ihm überliefert, nämlich Knechtschaft und Erniedrigung147. Doch nicht nur diese äußeren, auch innerpolitische Probleme bildeten zur Zeit Tyrtaios’ eine enorme Belastung für den spartanischen damos, wie Aristoteles berichtet148. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die in der besagten Quelle benannte ungleiche Landverteilung149 oder eher verfeindete aristokratische hetairien ursächlich für diese Spannungen waren150. Fest steht, dass keinesfalls, wie der eingangs zitierte Herodot und später auch Thukydides annehmen151, seit Urzeiten in Sparta eunomia geherrscht habe, sondern dass innere Unruhen die polis Sparta im siebten vorchristlichen Jahrhundert erschütterten152. Es ist naheliegend, dass die arete-Elegie versucht, auf beide innere wie äußere Herausforderungen mithilfe der Etablierung des neuen polis-Ideals, das sich ebenfalls in der eunomia-Elegie findet, eine Antwort zu finden. Vor diesem Hintergrund kann das lyrische Ich, das so vehement überkommene aristokratische Ideale verwirft, nur mit Tyrtaios gleichgesetzt werden. Der Dichter reagiert unmittelbar auf sein soziales Umfeld. An wen richtet er sich konkret? Die soziale Verortung der tyrtaiischen arete-Elegie ist problematisch. Grundsätzlich wird auch von ihr angenommen, was für die elegische Gattung generell gilt153, nämlich
Tyrt. fr. 1b G.-P., Z. 4 und Tyrt. fr. 14 G.-P., Z. 4. Vgl. grundlegend M. MEIER 1998, 252. Vgl. insbesondere das wirkmächtige Tyrt. fr. 6 G.-P., aber auch frr. 8 und 10 G.-P. Paus. IV 6, 5 = Tyrt. fr. 2 G.-P.; zum Kriegsverlauf vgl. insbes. Paus. IV 15, 1 ff. Die Datierung des Kriegs wird in der neueren Forschung auf Basis der zeitlichen Einordnung Tyrtaios’ generell in die zweite Hälfte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts gelegt; vgl. grundlegend PRATO 1968, 27*-31*; M. MEIER 1998, 91–99; LINK 2000, 98 f.; CARTLEDGE 2002, 125–128; schließlich WELWEI 2007, 70–77, der den Krieg etwas später auf ca. 600 v. Chr. datiert. 147 Paus. IV 14, 5 = Tyrt. fr. 5 G.-P. Zur schwierigen Deutung dieser Verse vor dem Hintergrund der Einführung der Helotie vgl. LINK 2000, 47–54. 148 Aristot. pol. 1306b, 36–39. 149 Vgl. LINK 2000, 31–37, der die Anfänge der ungerechten Landverteilung nach dem Ersten Messenischen Krieg ansetzt. 150 Vgl. M. MEIER 1998, 55–69 und 88 f. 151 Hdt. I 65, 2 und Thuk. I 18, 1. 152 Vgl. grundlegend KIECHLE 1963, 193–203; neuerdings KOIV 2002, 168–186; ebenso M. MEIER 1998, 55–58 und 63–67 sowie CARTLEDGE 2002, 133 f. 153 Siehe S. 68 f. 143 144 145 146
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dass sie in einem sympotischen Rahmen aufgeführt worden sei154. Diese Sichtweise wird begründet mit der Erkenntnis, dass die Existenz von Symposien im Sparta des siebten vorchristlichen Jahrhunderts grundsätzlich gesichert ist155. Eventuelle Hinweise finden sich in lakonischen Vasendarstellungen des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts156. Auch mit der allenfalls vage zu fassenden Figur Terpanders wird Sympotisches verbunden157. Deutlich allerdings ist in dieser Hinsicht die Dichtung Alkmans158, der neuerdings zeitlich ähnlich wie Tyrtaios angesetzt wird159. Auf der anderen Seite sind innerhalb der arete-Elegie keine konkreten Hinweise auf ihren außerliterarischen Rahmen auszumachen. Mit dem neos (Z. 14) findet sich allenfalls eine beiläufige, keinesfalls konkrete Anspielung auf jemanden, der die wahre arete erreichen kann. Schließlich ist es das Ziel Tyrtaios’ im Sinne seiner polis-Ethik, eine möglichst hohe soziale Reichweite zu erreichen. Dazu passt auch die insgesamt recht unpersönliche, thetische Argumentationsweise des lyrischen Ichs. Vor diesem Hintergrunde wäre eine öffentliche Aufführung durchaus denkbar160, zumal der spartanische damos im siebten vorchristlichen Jahrhundert über die passenden Einrichtungen diesbezüglich verfügte. Die Institutionen des Menelaos-Kultes in Therapne161 sowie der gymnopaidischen Feste der Hyakinthia und Karneia, die wahrscheinlich allesamt im Rahmen der lakonischen Expansion Spartas installiert worden sind162, sprechen für einen relativ hohen Kohäsionsgrad der spartanischen polis bereits in der Früharchaik. Ein passendes Publikum hätte Tyrtaios demnach mit seinem politischen Anliegen finden können, zumal die Karneia mit einem musischen agon verbunden zu sein schienen163. Somit hätte die Elegie sowohl während des privaten Symposions als auch im Rahmen eines öffentlichen Festes dargelegt werden können. Ausschlaggebend ist nun ihr Inhalt und der lässt aufgrund mangelnder konkreter Hinweise beide Möglichkeiten zu. Letztendlich kann dieses Problem kaum befriedigend gelöst werden. Auf der einen Seite blickt der Dichter Tyrtaios auf eine aristokratische Tradition in Sparta zurück164, was für die Performance im Symposion sprechen würde. Auf der anderen Seite ist die arete-Elegie gerade darauf ausgerichtet, das Traditionelle, Aristokratische hinter sich zu lassen. Bedenkt man allerdings, wie ausführlich Tyrtaios die aristokratischen aretai Vgl. M. MEIER 1998, 172–174. Vgl. grundlegend M. MEIER 1998, 170–183. Vgl. a. a. O., 41 f. Pind. fr. 125 Snell/Maehler. Z. B. Alkm. frr. 9, 1; 11; 129; 130; 131; 134c Calame. Vgl. grundlegend SCHNEIDER 1985, 55–57. Diese Option lässt M. MEIER 1998, 174 offen, ohne dabei konkret werden zu können. Vgl. grundlegend ANTONACCIO 1995, 155–166. Vgl. MALKIN 1994, 143–168 sowie zusammenfassend M. MEIER 1998, 39 f. Die dunkle Figur des Terpander soll den ersten agon gewonnen haben, siehe Athen. XIV 635e-f = Terpander test. 1 Gost. 164 Inwieweit Tyrtaios selbst Aristokrat gewesen ist, ist Bestandteil ausführlicher, teils spekulativer Überlegungen, vgl. PRATO 1968, 4*f.; M. MEIER 1998, 236–242.
154 155 156 157 158 159 160 161 162 163
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in der Priamel entfaltet, um sie dann rhetorisch pointiert zu zerschlagen, dann kommt unweigerlich das Bild einer Angelschnur in den Sinn, mit deren Hilfe man auf das Neue hinführen will. Dieser rhetorische Kniff funktioniert am ehesten dort, wo auch die Zielgruppe präsent ist, die über das notwendige Hintergrundwissen verfügt, um anzubeißen. Dies war am ehesten im Symposion der Fall. Diese Vermutung kommt allerdings nicht über die Qualität eines educated guess hinaus. 3.3.4 Vergleich der Homerrezeptionen von Kallinos, Mimnermos und Tyrtaios mit einem Seitenblick auf Alkaios Vergleicht man nun die Homerrezeption bei den Lyrikern Kallinos, Mimnermos und Tyrtaios, so fallen drei Aspekte auf. Erstens erscheint bei ihnen als sozialer Ort des Homerischen wohl weitgehend das aristokratische Symposion. Für diese These sprechen in erster Linie textimmanente Beobachtungen. So gibt es bei Kallinos, aber auch bei Mimnermos klare lexikalische Hinweise auf einen sympotischen Rezeptionskontext. Diese grundlegende Annahme wird außerliterarisch gestützt durch die Tatsache, dass das aristokratische Symposion seit geometrischer Zeit im gesamten griechischen Raum verbreitet gewesen ist165. Vorsichtiger muss man nun hinsichtlich der räumlichen Einordnung der tyrtaiischen arete-Elegie sein. Direkte textliche Hinweise auf einen sympotischen Kontext finden sich hier nicht, wohl aber kann man ihn aufgrund der rhetorischen Schwerpunktsetzung der Elegie zumindest nicht ausschließen. Als maßgeblicher Ort der Performance von Homerischem bei den früharchaischen Lyrikern erscheint also das aristokratische Symposion. Es ist allerdings nicht statthaft – das ist die zweite Erkenntnis – grundsätzlich von diesem exklusiven sozialen Rahmen auf eine distinktive Funktion des Homerrekurses zu schließen166. So hat Kallinos als Ziel, seine aristokratischen Zuhörer in adhortativer Weise in den demos einzubinden. In diesem Sinne rezipiert er Homerisches, obwohl im sympotischen Kontext, mit einer bürgerschaftsorientierten Zielrichtung167. Dieser gleiche Modus liegt im Grunde ebenso bei Tyrtaios vor, auch wenn der Spartiate das ξυνὸν ἐσθλόν näher zu definieren weiß. Mimnermos hingegen erinnert in Bezug auf die smyrnäische Aristokratie, da er sich und seine Zuhörer als Teile eines elitären Zirkels, der seine Wurzeln bis Nestor zurückverfolgen kann, definiert. Ziel dieses homerischen Vergangenheitsrekurses ist es, eine Exklusivität der aristokratischen Symposiasten gegenüber dem übrigen demos herzustellen. Drittens sind die bürgerschaftsorientierten und aristokratischen Homerrekurse der archaischen Lyriker eng mit ihren jeweiligen historischen Kontexten verbunden. Die 165 166 167
Siehe S. 53 und 57; vgl. neuerdings WECOWSKI 2014, 127–190. Vgl. IRWIN 2005, 48–57. Vgl. analog GRETHLEIN 2010, 71–73.
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äußere Gefahr der Kimmeriereinfälle erklärt die Dramatik, die sich hinter dem kallineischen adhortativen Aufruf an seine aristokratischen Zuhörer, die Wehrhaftigkeit des demos zur Not unter Einsatz des Lebens sicherzustellen, verbirgt. Bei Tyrtaios kommen zu den äußeren Gefahren im Rahmen des Zweiten Messenischen Kriegs noch Unruhen innerhalb des spartanischen kosmos hinzu. Entsprechend drastisch fällt der Aufruf an seine Zuhörer aus, überkommene aristokratische Wertvorstellungen fahren zu lassen, um sich vollends dem Kampf für das Gemeinwohl unterzuordnen. Bei beiden Dichtern dient das Homerische funktional dazu, die Integrationsbemühungen um den jeweils in seiner Existenz gefährdeten demos zu verstärken, indem neue Werte in die alte homerische Sprache und in homerische Begrifflichkeiten gegossen werden. Das Homerische, das traditionell grundlegend für die Konstituierung einer früharchaischen Aristokratie gewesen ist, dient nun gleichsam als Köder dazu, genau dieses auf Distinktion abzielende Denken in Richtung eines vereinten demos zu überwinden. Beispielhaft in dieser Hinsicht ist die tyrtaiische Negierung homerischer aretai, um das neue Ethos eines ξυνὸν ἐσθλόν argumentativ zu untermauern. Auf der anderen Seite werden Ansätze von gemeinschaftsorientiertem Handeln, wie sie insbesondere in der Person Hektors in den Epen greifbar sind, einseitig verstärkt. In all diesen Zusammenhängen zeigt sich, wie sehr die früharchaische Homerrezeption in die Entstehungsprozesse der polis eingebunden ist. Erachtet man für die polis ein rational gesatztes Recht als konstitutiv168, so erscheint diese Form von Homerrezeption als proto-politisch in dem Sinne, dass der Rekurs auf Homerisches die Normativität von Handlungsparadigmen herstellen helfen sollte169. Elementar in dieser Hinsicht ist der Gedanke, dass die Unsterblichkeit und das kleos der homerischen Halbgötter nicht mehr einzigartig sind. Stattdessen sei es den Menschen möglich, aufgrund eines gemeinschaftsorientierten, zur Not auch tödlichen Einsatzes für die polis qualitativ mit den Halbgöttern gleichzuziehen170. Zwischen den vergangenen Taten der Götter und jenen der Menschen in der Gegenwart besteht ganz im Sinne einer intentionalen Geschichtsauffassung keine trennende Grenze mehr. Auf diese Weise ist die ideelle Grundlage für eine kontinuierliche göttlich-menschliche Heldengeschichte gelegt, wie sie später bei der simonideischen Plataiai-Elegie offenbar wird171.
168 169
170 171
Vgl. die einschlägige Definition der polis als „anstaltsmäßige Gebietskörperschaft“ von WEBER 1922, 782 f.; in diesem Sinne auch EHRENBERG 1937, 95 f.; Ch. MEIER 1980a, 51–90; GEHRKE 1986, 34–45; weiterhin ders. 1993, 1995 und neuerdings 2013, 396–398 mit weiterer Literatur. In diesem Zusammenhang drängt sich ein Vergleich mit Solon auf, für dessen Œuvre eine Verbindung zwischen Rechtlichem und tradierten lyrischen Formen geradezu konstitutiv ist; vgl. NOUSSIA-FANTUZZI 2010, 45–65. Eine solche Gegenüberstellung von Tyrtaios und Solon böte m. E. Raum für weitere Forschung und würde das politische Profil des Spartiaten noch stärker schärfen. Dieser Gedanke ist bei beiden Dichtern elementar. Die Meinung von M. MEIER 1998, 310–312, dass der polis-Gedanke bei Tyrtaios ausgeprägter als bei Kallinos sei, da dieser den Tod des Kämpfers dezidiert einkalkuliere, ist vor diesem Hintergrunde nicht nachvollziehbar. Siehe S. 180 f.
3.3 Akteure, Themen und soziale Funktion der Homerrezeption früharchaischer Lyriker
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Eine ähnlich enge Anbindung an den jeweiligen historischen Kontext findet sich auch bei dem Homerrekurs von Mimnermos. Zwischen den neleischen Halbgöttern in Pylos, den durch die Götter legitimierten Eroberern Smyrnas und der Gruppe um den Dichter besteht ein ideeller verwandtschaftlicher Zusammenhang, der die soziale Sonderstellung letzterer geradezu zwingend macht. Anders als die kallineischen oder tyrtaiischen Homerrekurse zielt demnach derjenige von Mimnermos darauf ab, eine sozio-politische Spaltung innerhalb des smyrnäischen demos aufrechtzuerhalten. Ein ähnlicher Erinnerungsmodus findet sich ebenso bei Alkaios. So hat zuletzt Pallantza am Beispiele verschiedener alkaiischer Fragmente herausgearbeitet, wie die Dichtungen des aiolischen Dichters die inneraristokratischen Hetairienkämpfe in seiner mytilenischen Heimat widerspiegeln. Die Gegenwart des Aiolers ist geprägt von einem Hin und Her aristokratischer staseis um die Vorherrschaft im lesbischen Mytilene. Alkaios empfindet eine tiefe Abneigung gegenüber seinem alten hetairos Pittakos, nachdem dieser ihm eidbrüchig geworden und in die hetairie des ehemaligen gemeinsamen Feindes, des Klenaktiden Myrsilos, übergelaufen ist172. Nach dessen Tode erlangte Pittakos selbst die Alleinherrschaft als Aisymnet173. Pallantza demonstriert nun anhand einer eigenwilligen Interpretation des stark fragmentierten Alk. fr. 42 V die Wechselbeziehungen zwischen der alkaiischen Dichtung, ihrem historischen Kontext sowie deren homerischen Prätexten. So sei die rechtswidrige Verbindung zwischen Paris und Helena die Ursache für den Untergang Troias und für mannigfaches Verderben, während aus der Verbindung Peleus’ mit Thetis der Held Achill hervorgegangen sei. In dieser lyrischen Gegenüberstellung zwischen einem schlechten und guten homerischen Paradigma sieht die Autorin eine Anspielung auf den eidbrüchigen Pittakos, der sich gegen die hetairie Alkaios’ entschieden hat174. Die Markierung von Paris’ Verrat am Gastrecht und dessen ehrlosem Verhalten auf der einen sowie die Pointierung von Achills hoher Abstammung und Rechtschaffenheit auf der anderen Seite weist Pallantza auch an weiteren Fragmenten nach175. Folgerichtig schließt die Autorin, dass Alkaios bewusst Homerisches rezipiere, um die „Hybris des politischen Gegners“, der sich der Dichter persönlich konfrontiert sehe, zu markieren. In Kontrast dazu stehe die Glorifizierung Achills, der als paradigmatischer Kämpfer stilisiert werde. Dabei verschweige Alkaios, dass der Atride aufgrund seines übersteigerten und egozentrischen Grolls durchaus ebenfalls Verantwortung für den mannigfachen Tod vor Troia trage. Einen solch differenzierenden Gedanken lasse der Dichter allerdings nicht zu. Hierin zeige 172 173
174 175
Alk. frr. 69 und 129 V. Alk. frr. 332 und 70 V. Die gesamten Vorgänge sind in den erzählenden Quellen relativ gut dokumentiert, wenn auch die chronologische Reihenfolge nicht immer eindeutig ist; siehe u. a. Aristot. pol. 1311b; Strab. XIII 1, 3 und XIII 38 f.; Plut. mor. 858a. und Diog. Laert. I 74 f. Zur modernen Rekonstruktion vgl. PAGE 1955a, 149–243; RÖSLER 1980, 26–33; GEHRKE 1986, 122–124; PALLANTZA 2005, 17–22 mit weiteren Referenzen. Vgl. PALLANTZA 2005, 22–34. Alk. frr. 283 und 44 V; vgl. PALLANTZA 2005, 34–46.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
sich seine intentionale Homerrezeption, deren Ziel es sei, die Gräben zwischen den mytilenischen Hetairien tiefer zu ziehen176. Vor diesem Gesamthintergrund betrachtet, erscheint Homerisches sowohl bei Mimnermos als auch bei Alkaios als Mittel sozialer Distinktion. Ersterer schärft allerdings die soziale Grenze gegenüber dem restlichen demos, letzterer gegenüber verfeindeten Hetairien. Beide Formen von Homerrekursen spiegeln die doppelte Herausforderungssituation, mit der sich die archaische Aristokratie konfrontiert sah177, wider. Es ist diese Tendenz zur Absonderung, die, auf einen Einzelnen zugespitzt, im Rahmen der tyrannischen Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts vollkommen evident werden wird178. Die griechische Archaik ist geprägt von tiefgreifenden soziopolitischen Umbrüchen, was ihr nicht zu Unrecht das Attribut „age of experiment“179 eingebracht hat. Die überwiegende Mehrheit der poleis, von denen wir wissen, war mit unterschiedlichsten internen wie externen Herausforderungen konfrontiert, die nicht selten den Bestand des jeweiligen demos gefährdeten. Äußere Gefahren wie die Kimmeriereinfälle, von denen Kallinos berichtet, waren dafür eine Ursache. Mehr noch aber waren es eklatante soziale Ungleichheiten innerhalb des demos, wie sie sich in der ungleichen Landverteilung im tyrtaiischen Sparta zeigen180, die zu Spannungen führten. Diese wurden noch dadurch verschärft, dass freie Bauern zum Kriegsdienste verpflichtet wurden, ohne dafür eine wirtschaftliche oder politische Gegenleistung zu erhalten181. Ein letzter Grund findet sich in blutigen inneraristokratischen Auseinandersetzungen wie im alkaiischen Mytilene182. Aus der Retrospektive wissen wir, wie sich eine Vielzahl der griechischen poleis dazu entschieden hat, diesen bestandsgefährdenden Gefahren zu entkommen. Sie haben den Weg in Richtung einer Gesetzesherrschaft183, in der nicht tyrannische Willkür, sondern ein dem individuellen Zugriff enthobenes, von Institutionen gewahrtes und weiterentwickeltes Recht herrscht, immerhin einzuschlagen versucht184. Alle diese Entwicklungen, die hier nur in ihren elementaren Grundlinien umrissen werden können, sind von unterschiedlichen sozialen Konstellationen und
176 177 178 179 180 181 182 183 184
Vgl. PALLANTZA 2005, 56 f. Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 231 f. Siehe S. 146–150. SNODGRASS 1980. Siehe S. 83. Zu den ungerüsteten gymneten im Vergleich zu den Vollsoldaten der hopliten siehe Stob. IV 9 = Tyrt. fr. 8 G.-P.; zu den politischen Implikationen vgl. zusammenfassend WELWEI 2007, 73 f. Ähnliches findet sich im archaischen Megara; siehe Theogn. frr. 39–52, 53–68 W2. Vgl. GEHRKE 1986, 140–144 und LANE FOX 2000. Der Begriff folgt GEHRKE 1995, 14–25. sowie ders. 1998, 45 f. Paradigmatisch, auch aufgrund der Quellenlage, ist in diesem Zusammenhang die Tätigkeit Solons in Athen, allerdings hat man es bei diesen Vorgängen mit einem gesamtgriechischen Phänomen zu tun. Vgl. zum konstitutiven Verhältnis von nomos und polis WEBER 1922, 782 f.; EHRENBERG 1937, 95 f.; Ch. MEIER 1980a, 51–90; GEHRKE 1986, 34–45; weiterhin ders. 1993, 1995 und neuerdings 2013, 396–398.
3.4 Aspekte aristokratischer Homerrezeption während der Früharchaik
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lokalen Varianten geprägt, die sich noch dazu zu unterschiedlichen Zeitpunkten abspielten. Grundsätzlich allerdings ging ihnen eine gesellschaftliche Entscheidung voraus: Würden die Aristokraten auf ihrem traditionellen Ethos, stets „der Erste zu sein“185 beharren oder würden sie sich als Politen einer übergeordneten Gemeinschaft unterordnen186? Exakt diese Überlegung zeigt das Oszillieren zwischen einer aristokratischen und einer bürgerschaftsorientieren Homerrezeption. Der lyrische Umgang mit Homerischem stellt insofern insgesamt das Vehikel sich widerstrebender sozio-politischer Prozesse während der Früharchaik dar. Der Ort des Homerischen war aller Wahrscheinlichkeit nach das Symposion; als dessen Träger erscheinen die zentralen Akteure dieser Entwicklungen, also die Aristokraten. 3.4 Aspekte aristokratischer Homerrezeption während der Früharchaik Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Frage nach der Funktion, den Trägern und dem sozialen Ort des Homerischen während des siebten früharchaischen Jahrhunderts. Zur Klärung dieses Sachverhaltes stehen zwei Quellenhorizonte zur Verfügung, nämlich die späten erzählenden Quellen ab Hellanikos und Pindar sowie die frühen Zeugnisse der früharchaischen Lyriker. Erstere werden nun von einigen dahingehend interpretiert, dass die Verbreitung und Rezeption des Homerischen im siebten vorchristlichen Jahrhundert eng mit den Darbietungen einer Homeriden genannten, aus Chios stammenden Rhapsodengruppe auf öffentlichen Festen wie den Panionia verbunden sei. Zwei Gründe sprechen gegen diese These. Zuerst ist die Aussagekraft der zitierten späten Quellen aufgrund innerer Widersprüche prinzipiell kritisch zu beurteilen. Aus diesem Grunde verdienen die Aussagen der früheren Quellen eine besondere Beachtung, was zum zweiten Grund führt: Was man dort hinsichtlich des sozialen Ortes und der Träger des Homerischen beobachten kann, ist mit der eben genannten These nicht zu vereinbaren. Angesprochen werden grundsätzlich Aristokraten, und zwar nach allem, was man aus den überlieferten Fragmenten herauslesen kann, innerhalb eines sympotischen Rahmens. Berücksichtigt man ausschließlich die sozialen Träger und den sozialen Ort bei den Lyrikern, so erscheint die Rezeption des Homerischen als ein Phänomen der Oberschicht. Dieser Eindruck korrespondiert mit dem aus der Demodokos-Episode bekannten Bild187. Dieses Ergebnis erscheint folgerichtig, wenn man bedenkt, dass mit ihrer Spätdatierung die Epen recht nah an die Lyriker heranreichen188.
185 186 187 188
Hom. Il. VI 208. Vgl. zusammenfassend STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 123–133. Siehe S. 53–55. Siehe S. 39–41.
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3 Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts
Ein signifikanter Unterschied zu der Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts besteht allerdings. Die Homerrezeption dieser Zeit zielt nicht nur ausschließlich auf die exklusiven Bedürfnisse der Aristokratie ab, auch wenn die Dichtungen von Mimnermos und Alkaios in diese Richtung gehen. Kallinos und Tyrtaios nämlich bedienen sich angesichts existentieller Bedrohungen ihrer jeweiligen polis rhetorisch geschickt homerischer Formulierungen und Wertvorstellungen, um ihre Zuhörer, denen diese Bilder offenbar bestens geläufig sind, von der dringenden Notwendigkeit eines neuen, an der Gemeinschaft orientierten Denkens zu überzeugen. Diese widerstrebenden Funktionen des Homerischen bei den Lyrikern zeigen die sozialpolitischen Umbrüche der Früharchaik. In dieser Zeit mussten sich die Aristokraten angesichts hochgradiger gesellschaftlicher Probleme dafür entscheiden, sich entweder der Gemeinschaft weiter zu entziehen oder sich in den demos zu integrieren. Wie nun schließlich mit den Homeriden umgehen? Wenn ich die Diskussion um die Tätigkeiten dieser Gruppe recht überblicke, so ist sie von zwei Polen geleitet189. Auf der einen Seite steht der homerische Demodokos als Paradigma eines Aoiden, der kreativ und interpretierend epische Geschichten je nach Publikumsgeschmack im kleinen Rahmen darbietet190. Auf der anderen Seite steht Platons Ion als Exempel eines Rhapsoden, der einzelne Teile der Epen aus dem Gedächtnis im öffentlichen Rahmen der Panathenäen rezitiert191. Die Frage stellt sich, wie die Entwicklung von dem einen zum anderen vonstatten gegangen ist. Auf der einen Seite wissen wir von musischen agones auf früharchaischen Festen durch Hesiod192. Auf der anderen Seite finden sich mehr oder weniger belastbare Belege für die Rezeption von Homerischem im Rahmen dieser oder anderer öffentlichen Kontexte erst für das sechste vorchristliche Jahrhundert – ich werde im nächsten Kapitel ausführlich darauf zu sprechen kommen. In diesem Zusammenhang nun kann man sich das Wirken der Homeriden oder anderer Rhapsoden vorstellen193. Für diesen Zeitraum wäre auch die Existenz einer mündlichen Erinnerungstradition, von der die frühesten Quellen für die Homeriden, Hellanikos und Pindar, im Rahmen des Dreigenerationengedächtnisses abhängig wären, denkbar194. Jegliche Aussage darüber hinaus, insbesondere Überlegungen hinsichtlich einer früharchaischen Verbreitung des Homerischen durch die Homeriden auf öffentlichen Festen wie den Panionia, beruht in letzter Konsequenz auf Extrapolationen, wie auch Frame als maßgeblicher Archeget dieser Denkrichtung zugibt195:
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Ähnlich bereits BURKERT 1987, 204–206. Vgl. nach wie vor grundlegend WELCKER 1865, 316–335. Vgl. SEALEY 1957, 312–315. Hes. op. 654–659. Vgl. grundlegend BURKERT 1987, 206 f. Siehe hierzu ausführlich S. 143–145. Vgl. JACOBY 1949, 151–168 insb. 165–167. Zum Dreigenerationengedächtnis vgl. J. ASSMANN 1992, 50 f. FRAME 2009, 551 f.; einen ähnlichen generalisierenden Analogieschluss tätigt zuvor bereits ROSSI 1983, 15–21; hiernach NAGY 1990, 80; ders. 2010, 224 f. und 228–232 sowie BIERL 2015b, 189 f.
3.4 Aspekte aristokratischer Homerrezeption während der Früharchaik
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[…] I think that we have found the occasion on which the Homeric poems were performed during their formative Ionian phase, namely the festival of the Panionia […]. The festival of the Panionia does not emerge into the light of history until the mid-sixth century […]. We simply do not know what this [Ionian] league did in the latter eighth century and the beginning of the seventh century […]. We do know, however, that the Homeric poems were later performed at another festival, the Panathenaia, and it does not seem rash to extrapolate backward from this festival to the Panionia.
Diese Überlegungen müssen sich an den generellen Tendenzen der Homerrezeption, wie sie aus den frühen Quellen der Lyriker deutlich werden, messen lassen. Nahezu sämtliche der hier untersuchten Fragmente weisen hingegen direkt auf das Symposion als konkreten Rezeptionsrahmen des Homerischen hin, was auch mit anderweitigen Erkenntnissen über die geographische Verbreitung dieser exklusiven Einrichtung während der Früharchaik korreliert. Vor diesem Gesamtbild mag man jenseits dieses maßgeblichen sozialen Rahmens des Homerischen allenfalls Vorläufer einer bürgerschaftsorientierten Homerrezeption in früharchaischer Zeit annehmen196. Die Rezeption des Homerischen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts ist also untrennbar mit den soziopolitischen Herausforderungen, mit denen sich vorzugsweise die früharchaische Aristokratie konfrontiert sah, verbunden. Egal ob als Vehikel aristokratischer Distinktion oder bürgerschaftsorientierter Integration – Homerisches wurde in Bezug auf beiderlei Richtungen benutzt, um gesellschaftliche Vorstellungen zu markieren und zu verstärken. Hier zeigt sich die Janusköpfigkeit von Homerrezeption, die konstituiv sein wird bis ins fünfte vorchristliche Jahrhundert. Die Voraussetzung für diese zweiseitige Rezeptionsrichtung liegt in den Epen selbst begründet. Zwar spiegelt die homerische Welt grundsätzlich ein aristokratisches Denken wider, allerdings bricht sich an manchen Stellen bereits ein gemeinschaftsorientiertes Denken Bahn, wie zum Beispiel anhand des selbstlosen Ethos Hektors ersichtlich wird. Die unzweifelhaft enge Anbindung des homerischen Prätextes an die soziopolitischen Vorgänge des siebten vorchristlichen Jahrhunderts sorgt wiederum dafür, dass die Kenntnis des Homerischen in der griechischen oikumene weiter verbreitet wird, und zwar auch potenziell jenseits einer aristokratischen Trägerschicht. Denn mit der Vorstellung, dass homerische Ehren bei entsprechendem Verhalten jedem sterblichen Menschen zuteil werden können, ist die ideelle Grundlage gelegt für eine populäre Homerrezeption, wie sie später in der simonideischen Plataiai-Elegie fasslich wird. In der nächsten Fallstudie wird weiterhin eruiert, wie sich bürgerschaftsorientierte Vorläufer und aristokratische Tendenzen der Homerrezeption gerade in Relation zur archaischen Tyrannis entwickelt haben. 196
Vgl. neuerdings M. L. WEST 2010, 1–3, der recht allgemein auf die Tätigkeit von Aoiden im Rahmen öffentlicher Feste bis in geometrische Zeiten hinein verweist. Konkrete Belege für diese Annahme lassen sich nicht finden.
4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts 4.1 Die archaischen Tyrannen und Homer In Bezug auf das sechste vorchristliche Jahrhundert mehren sich die Stimmen, die eine Rezeption des Homerischen in öffentlichen Kontexten nahelegen. Heraklit fordert ganz allgemein im Rahmen seiner Mythenkritik, die homerischen Epen aus den dichterischen agones zu verbannen1. Der Tyrann Kleisthenes von Sikyon soll laut Herodot im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen mit Argos die Rezitation Homers im Rahmen von Festen mit der Begründung, diese Nachbar-polis nehme in den Epen eine zu große Stellung ein, verboten haben2. Ebenfalls berichtet der Historiograph von territorialen Ansprüchen Athens unter Peisistratos gegenüber dem sich in der Troas befindlichen Sigeion, was Athen mit seiner Teilnahme am achaiischen Bündnis gegen Troia begründet habe3. Den weitaus größten Raum jedoch nimmt das ein, was in der modernen Homerphilologie nach Wolf mit den gewichtigen Begriffen solonische Homerinterpolation, peisistratidische Redaktion oder panathenäische Homerrezitation benannt ist4, nämlich die vielschichtigen Fragen der Homerüberlieferung im archaischen Athen. Gregory Nagy spricht vor dem Hintergrunde dieser recht athenozentrischen Quellenlage nicht zu Unrecht vom „Panathenaic Bottleneck“ der Homerüber-
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Diog. Laert. IX 1 = DK 22 B 42. Hdt. V 67. Hdt. V 94 f. Die philologische Literatur zu diesen umfassenden Problemen, die direkt auf die Homerische Frage abzielen, füllt ganze Regalmeter. Hier sei nur eine Auswahl zitiert. Grundlegend sind nach wie vor WOLF 1795 und WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 235–266; hingegen auf unitaristischer Argumentationsbasis T. W. ALLEN 1924, 225–248 und SCOTT 1914; speziellere Einzeluntersuchungen bei MERKELBACH 1952; DAVISON 1955; JENSEN 1980; NAGY 1992 und SLINGS 2000a; zusammenfassende Darstellungen bei HASLAM 1997 und M. L. WEST 2001, 3–32.
4.1 Die archaischen Tyrannen und Homer
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lieferung5. Dieser Aspekt wird daher auch hier einen besonderen Raum einnehmen, auch wenn sich die Darstellung weniger auf philologische Implikationen hinsichtlich der prä-alexandrinischen Homerüberlieferung denn die bekannten Leitfragen nach den Trägern und der sozialen Funktion des Homerischen fokussieren wird. Nun gehört es zu den zentralen Problemen der archaischen Geschichte, dass sich dokumentarische Quellen für die Zeit um Solon, Peisistratos und dessen Söhne im Allgemeinen kaum finden lassen6, was umso mehr für die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts gilt7. Bereits die großen Historiographen Herodot und Thukydides hatten bekanntlich Mühe, die Fülle mündlicher Überlieferung um Peisistratos und seine Nachfolger zu ordnen, was sich besonders an den widersprüchlichen Nachrichten über den Tyrannizid an Hipparchos darlegen lässt8. Am Anfang der folgenden Überlegungen muss daher eine ausführliche Kritik der Hauptquellen für die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts stehen. Dies betrifft in erster Linie die Aussagen späterer erzählender Quellen wie Herodot, Dieuchidas bei Diogenes Laertios, Pseudoplaton, Aristoteles, die attischen Redner Isokrates und Lykurg sowie schließlich Plutarch, denen es zunehmend an einem zeitlichen Bezug zu den Ereignissen, über die sie berichten, fehlt. Die kritische Betrachtung dieser Stimmen wird zeigen, dass deren Angaben aus verschiedenen Gründen mit großer Vorsicht zu genießen sind. Es wird daher weiterer Anstrengungen bedürfen, um die Funktion des Homerischen im fraglichen Zeitraum näher fassen zu können. Glücklicherweise verfügen wir mit der ibykischen Ode an Polykrates9, den stesichoreischen Narrativen sowie dem Apollon-Hymnos10, über – wenn auch teils extrem fragmentiert überlieferte – lyrische Quellen, welche unsere Kenntnis über die sozialen Funktionen des Homerischen während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts stärker zu erhellen vermögen. Auf Basis dieser Dichtungen lässt sich eine Vergleichsfolie spannen, vor deren Hintergrund sich die Angaben der besagten späteren erzählenden Quellen einordnen lassen. Es wird im Rahmen dieses umfangreichen Kapitels darauf hinauslaufen, dass die generelle explizite wie implizite Betonung der späteren Zeugnisse, dass die Rezeption von Homerischem eine gemeinschaftsstiftende Funktion in Bezug auf den demos gehabt habe, grundsätzlich kritisch zu beurteilen ist. Die spärlichen Informationen der lyri-
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Vgl. NAGY 2001. Vgl. STAHL 1987, 6–18 und knapp, aber präzise LIBERO 1996, 11 f. Hierzu nach wie vor grundlegend, wenn auch zwangsläufig tentativ BURKERT 1987. Athen. deipn. 15, 50 = PMG 893, 895 f.; Hdt. V 55–57, 1; Thuk. I 20, 1 f. und VI 53, 3–60, 1. Siehe hierzu S. 113 f. und 162–164. Zum jeweiligen Umgang der beiden Historiographen mit der oralistischen Tradition vgl. der Sache gemäß nach wie vor grundlegend JACOBY 1949, 152–168, insbes. 161–166; neuerdings auf Basis von VANSINA 1985 die grundlegende Studie von THOMAS 1989, 238–251; hiernach mit Kritik im Detail MURRAY 2001; weiterhin GEHRKE 1993b und R. NICOLAI 2001. POxy 1790 frr. 1–3, 10, 12 + 2081 (f) = 282 PMG. Hom. Hymn. III Allen-Halliday-Sikes.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
schen Quellen fordern eine differenziertere Beurteilung. So spitzt die Homerrezeption am Hofe des Tyrannen Polykrates von Samos die exklusiven Mechanismen, wie sie bereits in Bezug auf die aristokratische Homerrezeption beobachtet worden sind, auf den einzelnen Herrscher zu. In eine ähnliche funktionale Richtung weist die Ausrichtung öffentlicher Rhapsoden-agones im Rahmen der Πύθια καὶ Δήλια, die Polykrates kurz vor dem abrupten Ende seiner Tyrannis ausgetragen hat. Obwohl in erster Linie auf das Herrscherlob ausgerichtet, trägt gerade eine solche öffentliche Darbietung des Homerischen zu dessen populärer Verbreitung während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts bei. Mit den Orten schließlich, in denen sich im Rahmen der archaischen polis-Genese eine sozial wie politisch gefestigte Öffentlichkeit gebildet hat, also mit den westgriechischen Kolonien sowie mit Sparta, lassen sich schließlich erste Ansätze einer genuin bürgerschaftsorientierten Homerrezeption verbinden. Diese Orte nämlich kann man wenigstens tentativ mit den Tätigkeiten des Kitharöden Stesichoros in Bezug setzen. Dieser scheint in seinen homerischen Narrativen auf die lakonische Interpretation des Homerischen wenigstens Rücksicht genommen zu haben, was für eine Verankerung des Homerischen in dem spartanischen damos spricht. Das Bild, das die späteren erzählenden Quellen von der Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts zeichnen, widerspricht in seiner Eindimensionalität den Nuancen, die sich aus den lyrischen Zeugnissen herausdeuten lassen. Dieses Spannungsfeld gilt es im Folgenden ausführlich darzulegen. Nach einer ausführlichen Kritik der besagten späteren Quellen ab Herodot werde ich mich also der ibykischen Ode an Polykrates, den stesichoreischen homerischen Narrativen sowie schließlich dem Apollon-Hymnos widmen. 4.2 Kritik der erzählenden Quellen Die Rezeption des Homerischen im sechsten vorchristlichen Jahrhundert betrifft zwei funktionale Bereiche. Zuerst sind die kriegerischen Auseinandersetzungen Athens um das sich in der Troas befindliche Sigeion sowie um die strategisch wichtig gelegene Insel Salamis zu nennen. In beiden Fällen – so berichten Herodot und Plutarch – sei es zu Schiedsgerichten gekommen, in deren Rahmen Homerisches als Argument für die Rechtmäßigkeit der athenischen Position angeführt worden sei. Den zweiten Bereich bildet die Rezeption von Homerischem im Rahmen öffentlicher Kontexte wie der Panathenäen oder Festlichkeiten in Sikyon. Hierfür sind Pseudoplaton und erneut Herodot die hauptsächlichen Stützen. Im Folgenden werde ich die Aussagekraft der besagten Quellen kritisch beleuchten.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
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4.2.1 Homerisches als argumentum ex auctoritate: die athenischen Auseinandersetzungen um Sigeion und Salamis Herodot berichtet in einem längeren Exkurs von den Kämpfen Athens mit Mytilene um die sich in der Troas befindende polis Sigeion: Hdt. V 94 f.
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ὁ δὲ τούτων μὲν οὐδέτερα αἱρέετο, ἀνεχώρεε δὲ ὀπίσω ἐς Σίγειον, τὸ εἷλε Πεισίστρατος αἰχμῇ παρὰ Μυτιληναίων, κρατήσας δὲ αὐτοῦ κατέστησε τύραννον εἶναι παῖδα τὸν ἑωυτοῦ νόθον Ἡγησίστρατον, γεγονότα ἐξ Ἀργείης γυναικός, ὃς οὐκ ἀμαχητὶ εἶχε τὰ παρέλαβε παρὰ Πεισιστράτου. ἐπολέμεον γὰρ ἔκ τε Ἀχιλληίου πόλιος ὁρμώμενοι καὶ Σιγείου ἐπὶ χρόνον συχνὸν Μυτιληναῖοί τε καὶ Ἀθηναῖοι, οἳ μὲν ἀπαιτέοντες τὴν χώρην, Ἀθηναῖοι δὲ οὔτε συγγινωσκόμενοι ἀποδεικνύντες τε λόγῳ οὐδὲν μᾶλλον Αἰολεῦσι μετεὸν τῆς Ἰλιάδος χώρης ἢ οὐ καὶ σφίσι καὶ τοῖσι ἄλλοισι, ὅσοι Ἑλλήνων συνεπρήξαντο Μενέλεῳ τὰς Ἑλένης ἁρπαγάς. πολεμεόντων δὲ σφέων παντοῖα καὶ ἄλλα ἐγένετο. ἐν τῇσι μάχῃσι, ἐν δὲ δὴ καὶ Ἀλκαῖος ὁ ποιητὴς συμβολῆς γενομένης καὶ νικώντων Ἀθηναίων αὐτὸς μὲν φεύγων ἐκφεύγει, τὰ δέ οἱ ὅπλα ἴσχουσι Ἀθηναῖοι, καί σφεα ἀνεκρέμασαν πρὸς τὸ Ἀθήναιον τὸ ἐν Σιγείῳ. ταῦτα δὲ Ἀλκαῖος ἐν μέλεϊ ποιήσας ἐπιτιθεῖ ἐς Μυτιλήνην, ἐξαγγελλόμενος τὸ ἑωυτοῦ πάθος Μελανίππῳ ἀνδρὶ ἑταίρῳ. Μυτιληναίους δὲ καὶ Ἀθηναίους κατήλλαξε Περίανδρος ὁ Κυψέλου· τούτῳ γὰρ διαιτητῇ ἐπετράποντο· κατήλλαξε δὲ ὧδε, νέμεσθαι ἑκατέρους τὴν ἔχουσι. Er [Hippias] nahm keinen der beiden [Orte namens Anthemus und Iolkos] an und zog sich erneut nach Sigeion, das Peisistratos mit Gewalt den Mytilenaiern entrissen hatte, zurück. Nachdem letzterer die Stadt eingenommen hatte, wählte er sein Kind, den unehelichen Sohn Hegesistratos, aus, dort Tyrann zu sein. Der stammte von einer argivischen Frau. Hegesistratos hielt nicht ohne Gewalt das, was er von Peisistratos übernommen hatte. Die Mytilenaier und Athener, [5] die von der Stadt Achilleion und von Sigeion aus vorrückten, führten lange Zeit Krieg. Dabei forderten die Mytilenaier das Land zurück, die Athener aber gaben nicht nach, indem sie wortreich darauf hinwiesen, dass die Aiolier nicht mehr Anteil am Land Ilions hätten als sie selbst wie auch all die anderen Hellenen, die Menelaos den Raub der Helena miträchen halfen. [10] Unter all ihren vielen Kriegsereignissen ist besonders das folgende erwähnenswert. In einem Kampf rettete sich der Dichter Alkaios selbst durch Flucht, nachdem sie aufeinander getroffen waren und die Athener gesiegt hatten; seine Waffen allerdings behielten die Athener und hingen sie im Athe-
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
natempel in Sigeion auf. Dieses Ereignis schilderte Alkaios in einem Lied und sandte es nach Mytilene, um seinem Freund Melanippos sein Unglück zu berichten. [15] Periander von Korinth aber versöhnte Mytilenaier und Athener; seinem Urteil vertrauten sie sich an. Er entschied aber so, dass beide Parteien behalten sollen, was sie besitzen. Wenn Herodot mit seiner Darstellung richtig läge, dann hätte das Athen unter Peisistratos oder unter dessen unehelichem Sohn Hegesistratos Homerisches im Sinne eines argumentum ex auctoritate für die Legitimation seiner territorialen Ansprüche benutzt (Z. 6–9). Dies würde einen bemerkenswerten Fall intentionaler Homerrezeption darstellen, träte hier der attische demos als handelnder Akteur auf, der die Epen für seine Zwecke deutete. Damit würden die Epen eine kohäsive Funktion erhalten, und zwar auf die polis als Ganzes. Dies ginge insofern über die in der vorhergehenden Fallstudie beschriebenen aristokratischen Rezeptionsmechanismen hinaus, als nun erstmals der gesamte demos als Träger des Homerischen erschiene. Diese Überlieferung Herodots ist allerdings problematisch. Betrachtet man seine Darstellung genauer, so bestehen nämlich Widersprüchlichkeiten zu späteren Überlieferungen ab dem Chronographen Apollodor bei Diogenes Laertios11, was die grundsätzliche Frage nach der historischen Aussagekraft dieser beiden Quellenhorizonte aufwirft. Herodot nun behauptet viererlei. Erstens habe es Krieg zwischen Athen und Mytilene unter Peisistratos, später unter dessen unehelichem Sohn Hegesistratos um einen Landstrich in der Troas gegeben, währenddessen sich die Athener in Sigeion und die Mytilenaier in der polis Achilleion verschanzt hätten (Z. 1–6). Zweitens habe Athen seinen Anspruch mit seiner Teilnahme am Troischen Krieg begründet (Z. 6–9). Drittens habe Alkaios im Kampf seinen Schild an die Athener verloren und diese Schmach in seiner Dichtung verarbeitet (Z. 10–14). Viertens sei schließlich der andauernde Konflikt durch den korinthischen Tyrannen Periander unter Beibehaltung des status quo befriedet worden (Z. 15 f.). Eine historische Verifizierung all dieser Angaben gestaltet sich v. a. in den Punkten eins, zwei und vier als problematisch. Keine Probleme bereitet der dritte Aspekt. Die Auseinandersetzungen zwischen Athen und Mytilene sind bei Alkaios belegt, dessen eigene Aussage sich mit Herodot darin deckt, dass er sich offenbar keinerlei Ruhm verdienen konnte12. Der Synchronismus Alkaios’, Peisistratos’ und Perianders in den Punkten eins und vier hingegen führt zu erheblichen Problemen. Herodots Notiz steht in Konkurrenz zu denjenigen Diogenes’ Laertios, der sich maßgeblich auf den athenischen Lokalhistoriographen Apollodor beruft, sowie Strabons. Diese berichten zwar ebenso von einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Athen und Myti-
11 12
Apollod. Athen. ap. Diog. Laert. I, 74 und 79 = FrGrHist 244 F 27a. Alk. 401b V.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
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lene in der Troas. Allerdings sind dort der Mytilenaier Pittakos und ein athenischer Olympiasieger Phrynon in einen Zweikampf verwickelt. Dieser Konflikt sei später nach weiteren Auseinandersetzungen von Periander geschlichtet worden. Auch hier soll Alkaios – wenigstens gemäß Strabon – eine ruhmlose Rolle gespielt haben13. Die Differenzen zwischen Herodot und den genannten Autoren bestehen nun nicht nur in den handelnden Personen, sondern insbesondere auch in der Chronologie. Die späteren Autoren nämlich lassen auf eine frühere Datierung der Ereignisse schließen als das, was bei Herodot überliefert ist: Diogenes setzt die akme Pittakos’, seine Tyrannis in Mytilene, in die 42. Olympiade, in deren Kontext er ebenso Alkaios verortet14. Dieser Zeitraum erstreckte sich demnach von ca. 590 bis 580 v. Chr. Dazu passt, dass Sosikrates, den Diogenes ebenfalls zitiert, Perianders Tod kurz vor die 49. Olympiade, also ca. in die Jahre 587/586 v. Chr., datiert15. Der Ereignisablauf zwischen Zweikampf, weiteren Auseinandersetzungen und Schiedsspruch erscheint insofern kohärent. Die späte Überlieferung setzt demnach den Beginn der Auseinandersetzungen um Sigeion mit dem Zweikampf zwischen Phrynon und Pittakos vor das Jahr 590 v. Chr. an16, das Ende hingegen wäre spätestens mit dem Tode Perianders im Jahre 586 v. Chr. markiert. Anders nun Herodot. Kontextualisiert man seine skizzenhafte Darstellung des Sigeion-Kriegs mit dessen weiteren Informationen über Periander, so ist eine andere Datierung naheliegend. Zentral in diesem Zusammenhang ist der Zeitpunkt der Unterwerfung Kerkyras durch den korinthischen Tyrannen. Diese habe – so augenscheinlich Herodot – eine Generation (γενεῇ πρότερον) vor dem Feldzug Spartas gegen Samos stattgefunden17. Das letztgenannte Ereignis habe – so Herodot an anderer Stelle – synchron zum Feldzug des persischen Königs Kambyses gegen Ägypten, der sich einigermaßen sicher auf das Jahr 525/524 v. Chr. datieren lässt18, stattgefunden19. Die besagte Unterwerfung Kerkyras nun muss demnach Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts erfolgt sein. Bald danach sei – so lässt sich aus einer anderen Stelle Herodots schließen – Periander gestorben20. Demgemäß wäre als terminus ante für das Schiedsgericht zwischen Peisistratos und Pittakos der Zeitraum um 550 v. Chr. gesetzt.
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Diog. Laert. I 74 und 79; Strab. XIII 1, 38. Diog. Laert. I 75; ähnlich Strab. XIII 2, 3; vgl. PAGE 1955a, 149–152. Diog. Laert. I 95; vgl. BELOCH 1913, 274. Man könnte als terminus post den Olympiasieg eines gewissen Phrynon in den Jahren 636/635 v. Chr. gemäß Eus. chron. ol. 36 Karst 92 ansetzen, was allerdings aufgrund des fraglichen historischen Aussagegehalts der Siegerlisten nicht ganz unumstritten ist; vgl. PAGE 1955a, 157, Anm. 2, zuvor bereits BELOCH 1895, 258. Hdt. III 48. Vgl. BELOCH 1913, 274–277. Vgl. grundlegend STRASBURGER 1956, 138.; später GEHRKE 1990, 36 nach SERVAIS 1969, 62. Hdt. III 39. Hdt. III 53.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
Periander wäre als Zeitgenosse Peisistratos’ spät im Vergleich zu den Angaben der Chronographen zu datieren. Bezüglich der Auseinandersetzungen um Sigeion klafft also zwischen den Angaben Herodots und denjenigen der nachfolgenden Quellen augenscheinlich ein Widerspruch, und zwar sowohl was die handelnden Akteure als auch was den Ereigniszeitraum angeht. Die Forschung hat nun viel Energie darauf verwendet, wie mit dieser unterschiedlichen Informationslage verfahren werden kann. An erster Stelle hat Beloch die Angaben der Chronographen nicht zuletzt deswegen verworfen, da der Quellenwert Herodots gegenüber der einfachen chronographischen „Volkstradition“ höher einzuschätzen sei21. Der Kampf um Sigeion habe demnach in der Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts stattgefunden, die Kypseliden seien spät zu datieren22. Die Sache ist aber nicht so einfach. Im Fokus steht Herodots besagte zeitliche Verortung der Unterwerfung Kerkyras durch Periander. Bereits früh wurde diesbezüglich eine Haplographie des herodoteischen Ausgangstextes angenommen23, und zwar mit Verweis auf die spätere Parallelüberlieferung Herodots bei Plutarch. Dort nämlich ist der Zeitraum zwischen dem Feldzuge Spartas und Perianders Unterwerfung Kerkyras statt mit γενεῇ πρότερον mit μετὰ τρεῖς γενεάς angeführt24. In neuerer Zeit nun wurden grammatikalische Überlegungen hinsichtlich Herodots Zeitangabe angestellt, welche auf Basis rein sprachlicher Gründe die Unkomplettheit der herodoteischen Phrase belegen sollten25. Diese Gedanken legen bereits nahe, die Passage Herodots im Sinne Plutarchs mit γενῇ πρότερον zu konjizieren. Entscheidend für diese Maßnahme ist aber die Tatsache, dass Plutarchs Parallelüberlieferung bis auf wenige Ausnahmen sämtliche Informationen von Herodot beibehält und in keiner Weise die strittige Zeitangabe kritisiert26. Man muss daher tatsächlich von einer Haplographie des herodoteischen Ausgangstextes ausgehen. Vor diesem Hintergrund kann man schlussfolgern, dass Herodot die oben angeführten Informationen eins, Peisistratos und Hegesistratos hätten gegen die Mytilenaier um Sigeion Krieg geführt, und vier, Periander habe diese Auseinandersetzung geschlichtet, unchronologisch miteinander vermengt27. Berücksichtigt man die späteren Chronographen, so begannen die Auseinandersetzungen um Sigeion mit Phrynon
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Vgl. BELOCH 1890, 466–472, Zitat 472. Grundlegend BELOCH 1895, 259–262 und ders. 1913, 274–282; ähnlich STRASBURGER 1956, 159– 161; Zusammenfassung dieser Interpretation bei PICCIRILLI 1973, 31 mit weiterer Literatur. Vgl. PANOFKA 1822, 29–32. Plut. mal. Her. XXII 859D. Vgl. vehement SERVAIS 1969, 67–69, insb. Anm. 90. So mit Nachdruck GEHRKE 1990, 36 f., der in diesem Punkte GIANNINI 1984, 16 präzisiert. So der Sache nach bereits TOEPFFER 1886, 85–92; später BERVE 1937, 26–31; PAGE 1955a, 152–161; GIANNINI 1984, 8–25; ähnlich LEAF 1923, 188; EHRENBERG 1939, 222–225; PICCIRILLI 1973, 33 f.; STAHL 1987, 211 f.; VIVIERS 1987, 8 f.; sowie eher unspezifisch WELWEI 1992, 244–247.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
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und Pittakos zu Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts28; Alkaios war daran beteiligt. Der kurz darauf folgende Schiedsspruch Perianders war langfristig erfolglos, da vor Beginn seiner ersten Tyrannis Peisistratos den Konflikt erneut entfachte. Auch unter dessen unehelichem Sohn Hegesistratos hielten die Kämpfe zwischen Athenern und Mytilenaiern an. Wenn aber die historische Aussagekraft Herodots in diesem Punkte grundsätzlich kritisch zu beurteilen ist, könnte man hinter seine zweite Information, dass Athen seine Ansprüche auf Sigeion mit dem Verweis auf den Troischen Krieg begründet habe, wenigstens eine Fragezeichen setzen: Wie wahrscheinlich ist es, dass in peisistratidischen Zeiten die gesamte polis Homerisches für sich vereinnahmte, während dies bei den früharchaischen Lyrikern ausschließlich Aristokraten vorbehalten war? In der Tat besteht in der Forschung Uneinigkeit darüber, ob die Eroberung Sigeions als gesamt-athenisches oder als rein peisistratidisches Unterfangen zu gelten habe29. Für letztere Interpretation spricht die Tatsache, dass der Peisistratide Hippias nach seinem Sturz in Athen sich nach Sigeion zurückzog, um seine Rückkehr vorzubereiten30. Dann hätte aber – sofern die herodoteische Darstellung in diesem Punkte valide ist – Peisistratos selbst Homerisches als argumentum ex auctoritate in dem Territorialstreit angeführt. Gegen eine solch rein tyrannische Interpretation der Sigeion-Episode könnte wiederum Athens Eroberung von Salamis sprechen. So suggeriert Plutarch, erachtet man denn seine Überlieferung entgegen mannigfaltiger Probleme als belastbar, eine konzertierte Aktion des athenischen demos in diesem Zusammenhang31. Man kann all diese komplizierten Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die Frage, wer die treibende Kraft hinter der athenischen Eroberung Sigeions gewesen sei, allein auf der Basis Herodots nicht auflösen. Nicht minder kompliziert gestalten sich die Aussagen der erzählenden Quellen bezüglich der athenisch-megarischen Auseinandersetzungen um die strategisch wichtige Insel Salamis. Den Anfang macht eine Notiz des megarischen Lokalhistoriographen Dieuchidas, die von Diogenes Laertios zitiert wird. Dieuchidas selbst wird in das vierte vorchristliche Jahrhundert datiert32:
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In diese Zeit fällt ebenso die Verbreitung attischer Keramik im östlichen Mittelmeerraum, was als weiteres Indiz für die Frühdatierung gelten mag, vgl. FRENCH 1957, 239 mit weiteren Referenzen. Vgl. zusammenfassend LIBERO 1996, 91–93 mit weiterer Literatur. Hdt. V 91–94; Thuk. VI 59, 4. Plut. Sol. 8, 2 und Diog. Laert. I, 46 = Sol. fr. 2 G.-P. = 1–3 W2; Plut. Sol. 9 und Plut. Sol. 10 = FrGrHist 486 F4. Zu den komplizierten Quellenfragen in diesem Zusammenhang siehe das Folgende. Vgl. grundlegend WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 240 f. und JACOBY 1955a, 390; zudem PRAKKEN 1941; ausführlich PICCIRILLI 1975, 13–16. Die Datierung ins sechste vorchristliche Jahrhundert durch DAVISON 1959, 222 hat sich nicht durchgesetzt.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
Diog. Laert. I, 57 = FrGrHist 485 F6 τά τε Ὁμήρου ἐξ ὑποβολῆς γέγραφε ῥαψωιδεῖσθαι, οἷον ὅπου ὁ πρῶτος ἔληξεν, ἐκεῖθεν ἄρχεσθαι τὸν ἐχόμενον. μᾶλλον οὖν Σόλων Ὅμηρον ἐφώτισεν ἢ Πεισίστρατος, ὥς φησι Διευχίδας ἐν πέμτωι Μεγαρικῶν· ἢν δὲ μάλιστα τὰ ἔπη ταυτί· “οἳ δ’ ἄρ’ Ἀθήνας εἶχον” καὶ τα ἑξῆς. Und er [Solon] hat festgelegt, dass die Dichtungen Homers gemäß ihrer Reihenfolge vorgetragen werden, d. h. dass der Nächste dort, wo der Vorsänger geendet hat, beginnt. Wie Dieuchidas im fünften Buch seiner Megarika sagt, hat jedenfalls eher Solon das Verständnis für Homer befördert als Peisistratos. Es handelte sich besonders um die Verse: „Diejenigen, die Athen bewohnten“ [Hom. Il. II 546] und die folgenden. Trotz seiner Kürze birgt der Text massive Probleme. Augenscheinlich berichtet Dieuchidas davon, dass eher Solon als Peisistratos zur Interpretation der homerischen Epen beigetragen habe (φωτίζω, Z. 2) und verweist auf die besondere Rezitationstechnik ἐξ ὑποβολῆς (Z. 1); ich werde hierauf später im Rahmen der panathenäischen Homerrezitation zurückkommen. Diese positive Darstellung Solons entspricht jedenfalls dem grundsätzlichen Bild, das Diogenes über diese Textstelle hinaus vermittelt33. Das abschließende Zitat der Homerverse allerdings wirkt vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen (Z. 4 f.). Hier wird auf eine Stelle aus dem Schiffskatalog verwiesen. Die, so berichtet später Plutarch, habe Solon im Rahmen einer territorialen Auseinandersetzung zwischen Athen und Megara um die Insel Salamis interpoliert: Plut. Sol. 10 = FrGrHist 486 F4
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οὐ μὴν ἀλλὰ τῶν Μεγαρέων ἐπιμενόντων πολλὰ κακὰ καὶ δρῶντες ἐν τῷ πολέμῳ καὶ πάσχοντες, ἐποιήσαντο Λακεδαιμονίους διαλλακτὰς καὶ δικαστάς. οἱ μὲν οὖν πολλοὶ τῷ Σόλωνι συναγωνίσασθαι λέγουσι τὴν Ὁμήρου δόξαν· ἐμβαλόντα γὰρ αὐτὸν ἔπος εἰς νεῶν κατάλογον ἐπὶ τῆς δίκης ἀναγνῶναι· Αἴας δ᾽ ἐκ Σαλαμῖνος ἄγεν δυοκαίδεκα νῆας,/στῆσε δ᾽ ἄγων ἵν᾽ Ἀθηναίων ἵσταντο φάλαγγες. αὐτοὶ δ᾽ Ἀθηναῖοι ταῦτα μὲν οἴονται φλυαρίαν εἶναι, τὸν δὲ Σόλωνά φασιν ἀποδεῖξαι τοῖς δικασταῖς ὅτι Φιλαῖος καὶ Εὐρυσάκης, Αἴαντος υἱοί, Ἀθήνησι πολιτείας μεταλαβόντες παρέδοσαν τὴν νῆσον αὐτοῖς, καὶ κατῴκησαν ὁ μὲν ἐν Βραυρῶνι τῆς Ἀττικῆς, ὁ δὲ ἐν Μελίτῃ· καὶ δῆμον ἐπώνυμον Φιλαίου τῶν Φιλαϊδῶν ἔχουσιν, ὅθεν ἦν Πεισίστρατος. ἔτι δὲ μᾶλλον ἐξελέγξαι τοὺς Μεγαρέας Das fällt beispielsweise bei der Gegenüberstellung mit dem Tyrannen Peisistratos auf, siehe Diog. Laert. I 49 f.; vgl. grundsätzlich JENSEN 1980, 146 f.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
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βουλόμενον ἰσχυρίσασθαι περὶ τῶν νεκρῶν ὡς οὐχ ὃν τρόπον ἐκεῖνοι θάπτουσι κεκηδευμένων, ἀλλ᾽ ὃν αὐτοί. θάπτουσι δὲ Μεγαρεῖς πρὸς ἕω τοὺς νεκροὺς στρέφοντες, Ἀθηναῖοι δὲ πρὸς ἑσπέραν. Ἡρέας δὲ ὁ Μεγαρεὺς ἐνιστάμενος λέγει καὶ Μεγαρεῖς πρὸς ἑσπέραν τετραμμένα τὰ σώματα τῶν νεκρῶν τιθέναι· καὶ μεῖζον ἔτι τούτου, μίαν ἕκαστον Ἀθηναίων ἔχειν θήκην, Μεγαρέων δὲ καὶ τρεῖς καὶ τέσσαρας ἐν μιᾷ κεῖσθαι. τῷ μέντοι Σόλωνι καὶ Πυθικούς τινας βοηθῆσαι λέγουσι χρησμούς, ἐν οἷς ὁ θεὸς Ἰαονίαν τὴν Σαλαμῖνα προσηγόρευσε. ταύτην τὴν δίκην ἐδίκασαν Σπαρτιατῶν πέντε ἄνδρες, Κριτολαΐδας, Ἀμομφάρετος, Ὑψηχίδας, Ἀναξίλας, Κλεομένης. Weil aber nun die Megarer [auf Salamis] blieben, beide Seiten [– Athener und Megarer –] viele schlimme Dinge im Krieg [um Salamis] verrichteten und Leid ertrugen, riefen sie schließlich die Lakedaimonier als Mittler und Schiedsrichter an. Die meisten Stimmen aber sagen nun, dass der Ruhm Homers Solon zugute kam. Denn nachdem letzterer einen Vers in den Schiffskatalog eingefügt hatte, habe er ihn vor dem Gericht vorgelesen: [5] „Aias aber führte aus Salamis zwölf Schiffe mit und stellte sie, da er sie anführte, an dem Ort auf, wo die Reihen der Athener sich gesammelt hatten [Hom. Il. II 557 f.]“. Die Athener selbst aber meinen, dass das Geschwätz sei; Solon habe gegenüber den Richtern bewiesen, dass Philaios und Eurysakes, die Söhne von Aias, den Athenern die Insel vermacht hätten, als sie in die athenische Bürgerschaft eingetreten sind. Sie hätten sich auch [10] in Attika niedergelassen; der eine in Brauron, der andere in Melite. Sie verfügten auch über einen demos der Philaïden, benannt nach Philaios, aus dem Peisistratos stammte. Weiterhin sagten sie, dass er [Solon], weil er die Megarer widerlegen wollte, die Toten als Beleg angeführt habe, die nicht in der Weise, wie sie die Megarer, sondern wie sie die Athener beerdigen, bestattet seien. Die Megarer beerdigen nämlich ihre Toten, indem sie diese Richtung Osten wenden, die Athener hingegen wenden sie Richtung Westen. Hereas von Megara aber widerspricht dem und sagt, [15] dass auch die Megarer die Körper der Toten in Richtung Westen gedreht begrüben. Und mehr noch sagt er, dass jeder Athener ein einzelnes Grab habe und dass drei oder vier Megarer hingegen in ein einzelnes gelegt würden[, wie es auf Salamis der Fall ist]. Auf jeden Fall sagen sie, dass einige pythische Orakel Solon zugute gekommen seien, in denen der Gott Salamis als ionisch bezeichnet habe. Fünf Männer Spartas richteten über den Fall: Kritolaïdas, Amompharetos, [20] Hypsechidas, Anaxilas und Kleomenes.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
In diesem Zusammenhang nun erscheint Solon als Betrüger. Es hat den Eindruck, als habe Diogenes diesen Aspekt vorsätzlich weggelassen, um sein grundsätzlich positives Solonbild aufrechtzuerhalten. Diogenes’ Darstellung ist also lückenhaft. Diese Lacuna wird nun generell mit Rekurs auf Plutarch folgendermaßen gefüllt34:
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τά τε Ὁμἠρου ἐξ ὑποβολῆς γέγραφε ῥαψωιδεῖσθαι, οἷον ὅπου ὁ πρῶτος ἔληξεν, ἐκεῖθεν ἅρχεσθαι τὸν ἐχόμενον. μᾶλλον οὖν Σόλων Ὅμηρον ἐφώτισεν ἢ Πεισίστρατος· , ὤς φησι Διευχίδας ἐν πέμτωι Μεγαρικῶν· ἢν δὲ μάλιστα τὰ ἔπη ταυτί· “οἳ δ’ ἅρ’ Ἀθήνας εἶχον” καὶ τὰ ἑξῆς. Und er [Solon] hat festgelegt, dass die Dichtungen Homers gemäß ihrer Reihenfolge vorgetragen werden, d. h. dass der Nächste dort, wo der Vorsänger geendet hat, beginnt. Es hat jedenfalls eher Solon das Verständnis für Homer befördert als Peisistratos. , wie Dieuchidas im fünften Buch seiner Megarika sagt. Es handelte sich besonders um die Verse: [5] „Diejenigen, die Athen bewohnten“ [Hom. Il. II, 546 ff.] und die folgenden.
Auf diese Weise ergänzen sich die Darstellungen von Plutarch sowie diejenige von Dieuchidas zu einem zusammenhängenden, in sich schlüssigen Narrativ35. In solonischer Zeit habe demnach Krieg zwischen Athen und Megara über die Insel Salamis geherrscht, weswegen Sparta als Schiedsrichter angerufen worden sei (Plut. Sol. 10, Z. 1 f.; 18–20). Wie konkret in diesem Verfahren argumentiert worden sein könnte, ist nicht eindeutig dokumentiert. Jedenfalls haben diese Ausführungen offenbar später zu massiven Folgeauseinandersetzungen zwischen Athen und Megara geführt. Nach Plutarch meint die Mehrheit (οἱ πολλοὶ) seiner Quellen, dass Solon das Gericht durch eine Interpolation des homerischen Schiffskatalogs unrechtmäßig beeinflusst habe (Z. 3–6), das spartanische Urteil – so muss man folgern – demnach ungültig und die athenische Herrschaft über Salamis unrechtmäßig sei. Die Athener allerdings erklärten, dass dieser Vorwurf Unsinn (φλυαρία, Z. 7) sei. Der megarische Vorwurf sei daher nichtig. Dieuchidas wiederum gibt direkt die Antwort seiner Landsleute wieder; anderenfalls ergäbe seine wohl sarkastisch zu verstehende Betonung, dass μᾶλλον οὖν Σόλων Ὅμηρον ἐφώτισεν ἢ Πεισίστρατος (Z. 2 f.), keinen Sinn. Die weitere Diskussion legt Plutarch auf Basis des Megarers Hereas dar. Die Athener führten demnach weitere Argumente an, die Solon statt des Homerrekurses vorgebracht haben soll, welche der besagte Lokalhistoriograph wiederum zu entkräften versucht (Z. 14–17). Plutarch 34 35
Vgl. MERKELBACH 1952, 28 f. nach LEAF 1900, xviif. Kritische Anmerkungen zur Vorgehensweise finden sich bei DAVISON 1959, 216. Das Folgende führe ich auf Basis von MERKELBACH 1952, 29 aus.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
103
schließt seine Darstellung mit der Bemerkung, dass Solons Position wohl auch durch einige pythische Orakelsprüche gestützt worden sei (Z. 17 f.) 36. Dies nun ist der Kern der Geschehnisse um den Salamis-Konflikt, wie er in erster Linie aus den megarischen Quellen, die bei Diogenes Laertios und Plutarch überliefert sind, deutlich wird. Strittig zwischen Salaminern und Athenern ist, wer sich im Rahmen der megarischen Auseinandersetzungen des Homerischen bedient hat, ob Solon oder Peisistratos. Dabei geht es in erster Linie um die Begründung vor dem spartanischen Schiedsgericht. Sollte der Homerrekurs in diesem Rahmen, egal durch wen, historisch sein, so läge eine Argumentation ex auctoritate vor – genauso wie bei dem herodoteischen Peisistratos im Rahmen des Sigeion-Feldzugs. Auch in diesem Falle besäßen die Epen eine kohäsive Funktion, und zwar in Bezug auf die gesamte polis Athen, da deren Ansprüche insgesamt vor dem Schiedsgerichte geltend gemacht worden wären. Doch auch hier ist die Aussagekraft der besagten Quellen kritisch zu beurteilen, und zwar auf zwei Ebenen. Die erste betrifft das übergeordnete Narrativ um den athenisch-megarischen Krieg um Salamis, wie es bei Plutarch deutlich wird, die zweite belangt in erster Linie den megarischen Lokalhistoriographen Dieuchidas. Plutarch nun gibt zwei Versionen über die Ereignisse, die dem besagten spartanischen Schiedsgericht vorangegangen sein sollen. So berichtet er zuerst von Solons öffentlicher Rezitation der Salamis-Elegie auf der athenischen agora37, was dazu geführt habe, dass die zuvor brachliegenden Kampfeshandlungen wieder aufgenommen worden seien. Peisistratos erscheint in diesem Zusammenhang ebenso an Solons Seite, um die Athener in den Kampf zu treiben. Daraufhin gibt der Biograph eine konkurrierende Version, in der Solon auf Basis eines pythischen Orakelspruchs die sich auf Salamis befindlichen Megarer mithilfe von 500 Athenern in einer Art Kommandoaktion besiegt38. Von einer Mitwirkung Peisistratos’ ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht die Rede. Betrachtet man allein Plutarch, so fallen dort gegensätzliche Angaben sowohl über den Kriegsverlauf als auch über die handelnden Personen auf. Diese Widersprüchlichkeiten im Detail finden sich auch in früheren Quellen der klassischen Zeit, die allenfalls kursorisch von den athenisch-megarischen Auseinandersetzungen um Salamis erzäh36 37
38
Siehe auch Plut. Sol. 9. Plut. Sol. 8, 2 und Diog. Laert. 1, 46 = Sol. fr. 2 G.-P. = 1–3 W2. Zur Elegie vgl. grundlegend den hervorragenden Kommentar von NOUSSIA-FANTUZZI 2010, 203–216. Die Autorin erörtert auf S. 204 f. auch die Frage, ob die Elegie tatsächlich in der Öffentlichkeit aufgeführt worden sei, was der generellen Verortung der Elegie im aristokratischen Symposion während der Früharchaik widerspräche. Plut. Sol. 9. Der Orakelspruch ist ebenfalls in Plut. Sol. 10 benannt. Die Art und Weise der angeblichen Kriegslist Solons findet sich ähnlich bei Ain. takt. 4, 8–12; Frontin. strat. 2, 9, 9 und Iust. 2, 8 , 1–5 wieder, allerdings rekurrieren die Autoren auf die bei Hdt. I 59 nur kursorisch erwähnte Eroberung des megarischen Hafens Nisaia durch Peisistratos. Die könnte gemäß LIBERO 1996, 53 auf eine legendarische Überformung der plutarchischen Episode hinweisen; ähnlich LAVELLE 2005, 52–56.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
len: Herodot verbindet Peisistratos allein mit der Eroberung des strategisch wichtigen megarischen Hafens Nisaia39, die attischen Redner hingegen verweisen ausschließlich auf die Verdienste Solons40. Die Athenaion politeia schließlich konzentriert die Widersprüche in sich: Zuerst sei Peisistratos im Krieg gegen Megara „zu Ansehen“ gekommen, dann wiederum wird die Leitung der Athener gegen Megara unter Peisistratos als „leeres Geschwätz“ abgetan, da der Tyrann nicht zeitgleich mit Solon gelebt habe41. Tatsächlich scheitert eine genaue Kenntnis des Salamis-Kriegs an dem Unwissen über chronologische Zusammenhänge bezüglich des archaischen Athens. Solon muss – das verrät, sofern man sie als authentisch akzeptiert42, seine fragmentarisch erhaltene Salamis-Elegie – in irgendeiner Weise an dem Kriege beteiligt gewesen sein. Die Ursprünge der Auseinandersetzungen sind wohl im Zusammenhang des missglückten Versuchs des Olympiasiegers Kylon, eine Tyrannis in Athen zu errichten, zu suchen. Der wurde, so entnehmen wir Thukydides, über seinen Schwiegervater, den megarischen Tyrannen Theagenes, mit militärischer Unterstützung bedacht, wogegen sich heftiger athenischer Widerstand, zuvorderst bei den Alkmaioniden, regte43. Dies alles legt einen vagen terminus post für den Kriegsbeginn um Salamis nach Kylons Olympiasieg, also 640 v. Chr., nahe44. Insbesondere Plutarch verbindet nun in kompilatorischer Manier allerlei Aktivitäten mit Solon45, die vor dessen Archontat in dem Jahre 594 v. Chr. stattgefunden haben sollen46, darunter eben auch das fragliche spartanische Schiedsgericht. Diese Fülle angeblicher Tätigkeiten – darunter Reisen47, Teilnahme an Treffen der Sieben Weisen48, eine Involvierung im Ersten Heiligen Krieg49, eine Mediation im Rahmen des Kylonischen Frevels50 – lässt sich nun insgesamt schwerlich mit dem knappen Zeitraum zwischen dem mutmaßlichen Geburtsdatum Solons im letzten Drittel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts und seinem Archontat in Ein39 40 41 42 43
44 45 46 47 48 49 50
Hdt. I 59. Demosth. 19, 252 und 255; [Demosth.] 61, 49. [Aristot.] Ath. pol. 14,1 und 17,2. Zum Solon-Bild der Athenaion politeia vgl. GEHRKE 2006. Zur neueren philologischen Kritik der solonischen Elegien vgl. LARDINOIS 2006. Zur historischen Auswertung der Elegie vgl. LAVELLE 2005, 41 f. Thuk. I 126 f., knapper Hdt. V 70–72; ähnlich Plut. Sol. 12. Zur sozio-politischen Dimension des Putschversuches innerhalb der athenischen Aristokratie vgl. LIBERO 1996, 48 f. Zu möglichen ökonomischen Kriegsgründen vgl. FRENCH 1957, 238–241; die megarische Perspektive beleuchtet LAVELLE 2005, 34–36. Der exakte Beginn ist kaum verifizierbar. Die Grundlage bildet die Datierung von Kylons Olympiasieg bei Euseb. chron. ol. 35 Karst 92. Sein Putschversuch wird danach stattgefunden haben, vgl. OLIVA 1988, 27 und LAVELLE 2005, 36 mit weiterer Literatur. Zur kompilatorischen Vorgehensweise Plutarchs vgl. grundlegend RUSCHENBUSCH 1994; neuerdings BLOIS 2006. Zur Datierung des Archontats vgl. grundlegend McGREGOR 1974, 33 f. Plut. Sol. 2; vgl. OLIVA 1988, 37 f. Plut. Sol. 4 und 6; vgl. NOUSSIA-FANTUZZI 2010, 9–17. Plut. Sol. 11; vgl. OLIVA 1988, 45 f. Plut. Sol. 12; siehe auch [Aristot.] Ath. pol. 1 und Diog. Laert. I 110–113. Vgl. hierzu die richtigen chronologischen Hinweise bei STANTON 1990, 24, Anm. 3.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
105
klang bringen51. Man kann das alles kaum abschließend beurteilen. Wenn aber an der Historizität des Schiedsgerichts festgehalten wird, dann verortet man es als Endpunkt immer wieder aufflackernder Kämpfe im Zeitraum von Peisistratos’ Tyrannis52. Dazu würde dann auch die besagte Eroberung des megarischen Nisaia durch Peisistratos passen. Fest steht aber in diesem Zusammenhang, dass hinter einem Auftritt Solons vor dem Schiedsgericht, wie ihn Plutarch und Diogenes Laertios darlegen, aus rein chronologischen Gründen ein großes Fragezeichen steht. Die Aussagekraft Plutarchs in Bezug auf die Frage, wer wann vor dem spartanischen Schiedsgericht argumentiert hat, ist demnach kritisch zu beurteilen. Zu diesen chronologischen Problemen auf Ebene des übergeordneten plutarchischen Narrativs kommt nun noch ein zweiter Aspekt, der die Art und Weise der Argumentation vor dem fraglichen Gericht selbst betrifft. Bereits der Biograph berichtet von mehreren konkurrierenden Überlieferungen hinsichtlich der Argumentationen vor dem Schiedsgericht, die auf pro-athenische und pro-megarische Einfärbungen hinweisen. Die Athener nehmen verschiedene Überzeugungsstrategien für sich in Anspruch, die Megarer hingegen versuchen mit Entlastungsargumenten die Glaubwürdigkeit ihrer Kontrahenten zu torpedieren, darunter fällt auch die fragliche Homerinterpolation53. Für diese megarische Seite nun stellt der Lokalhistoriograph Dieuchidas die früheste Quelle dar. Wie ist seine Aussagekraft zu beurteilen? Über das grundlegende Misstrauen, das die historische Forschung seit Jacoby der Lokalhistoriographie beigemessen hat, wurde bereits berichtet54. Auch wenn man Verallgemeinerungen vermeiden sollte, in dem besonderen Falle der Megarer ist eine kritische Sichtweise berechtigt55. Allein bei Dieuchidas’ Interpolationsvorwurf wird eine entschieden anti-athenische Grundeinstellung deutlich, die zur Vorsicht gemahnt. Diese politische Zielrichtung ist kein singuläres Phänomen, sondern sie wird ebenso bei dem Megarer Hereas, auf den Plutarch selbst hinweist56, deutlich. Dieser Lokalhistoriograph wird kurz nach Dieuchidas in das dritte vorchristliche Jahrhundert datiert57. An anderer Stelle zitiert der Biograph Hereas mit dem Vorwurf, Peisistratos habe zum Ruhme Athens Hesiod und die homerischen Nekyien manipuliert58. Darüber hinaus scheint 51 52 53 54 55 56 57 58
Die Skepsis bereits grundlegend bei [Aristot.] Ath. pol. 17, 1 f.; zusammenfassend OLIVA 1988, 36 f. und NOUSSIA-FANTUZZI 2010, 3–8. Wann man dieses Schiedsgericht während der wechselvollen Tyrannis genau ansetzen mag, ist mangels Referenzquellen kaum genau zu beurteilen; vgl. BELOCH 1913, 312 f.; PICIRILLI 1978, 10 f., OLIVA 1988, 40–45; LAVELLE 2005, 60–64; NOUSSIA-FANTUZZI 2010, 208–210 in diesem Sinne. Plut. Sol. 10, 1–4. Zu diesen verschiedenen Argumentationsstrategien vgl. grundlegend HIGBIE 1997, 278–307. Vgl. JACOBY 1949, 70–79. Vgl. grundlegend PICCIRILLI 1975, 3 f. Plut. Sol. 10, 3 Vgl. grundlegend WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 259 Anm. 22; hiergegen JACOBY 1902, 115 und JACOBY 1955c, 394; abwägend schließlich PRAKKEN 1943 und PICCIRILLI 1975, 51–58. Plut. Thes. 20, 2 = FrGrH 486 F 1.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
dieser Historiograph darauf aus, den athenischen Stadthelden Theseus mit der Auffassung, dieser habe den Skironsohn Halykos getötet, diskreditieren zu wollen59. Dies deckt sich mit anderen anonymen megarischen Quellen. Entgegen vorherrschender Meinung erachten sie Skiron nicht als aggressiven Wegelagerer, sondern als unschuldiges Opfer eines umso brutaler agierenden Theseus60. So zielt die megarische Lokalhistoriographie des vierten und dritten vorchristlichen Jahrhunderts insgesamt darauf ab, die athenischen Ikonen Theseus, Solon und Peisistratos zu diskreditieren61. Dies alles zeugt eher von einer anti-athenischen Propaganda mit der Absicht einer Revision des athenischen Anspruchs auf Salamis denn von einer sachlichen Historiographie. Diese ganzen Einwände erschüttern in letzter Konsequenz die historische Aussagekraft Dieuchidas’. Hinter seiner Aussage, dass Homerisches oder das, was man dafür hielt, als Argument von Solon oder auch Peisistratos hervorgebracht worden sei, steht wenigstens ein Fragezeichen62. Wie dem auch sei, die hellenistische Philologie vertrat die Vorstellung, dass Solon oder Peisistratos in irgendeiner Weise auf die homerischen Epen interpolierend oder redigierend eingewirkt habe63. Auf der anderen Seite kann man den fraglichen Homerrekurs vor dem spartanischen Schiedsgericht eben nicht einfach als unhistorische, anti-athenische Propaganda abtun. Aristoteles nämlich bestätigt in seiner Rhetorik prinzipiell die Darstellung, dass die Athener allgemein – spezifischer wird der Stagirite nicht – auf Homerisches rekurriert hätten:
59 60 61 62
63
Plut. Thes. 32, 5 = FrGrH 486 F 2. Plut. Thes. 10, 2 = FrGrH 487 F 1. Vgl. HIGBIE 1997, 281 f. In der philologischen Diskussion um die prä-alexandrinischen Homerüberlieferung kann diese Einschätzung als Argument gegen die Historizität einer Peisistratidischen Homerredaktion, wie sie in hellenistischer Zeit bei Cic. de. orat. III 137 paradigmatisch überliefert ist und wie sie eine Textinterpolation womöglich voraussetzt, herangezogen werden; vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 241–258; SCOTT 1914, 395–398; T. W. ALLEN 1924, 241–248; und DAVISON 1955, 16–18 mit jeweils unterschiedlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Homerischen Frage. Zu einer möglichen Gegenargumentation zu dieser kritischen Position siehe S. 107, Anm. 65. Aus historischer Sicht betont diese kritische Haltung gegenüber der Historizität der Peisistratidischen Redaktion neuerdings SLINGS 2000a, 74–76. Siehe neben Cic. de. orat. III 137 insb. Apollod. bei Strab. IX 1, 10 und Eust. ad Hom. Il. B 557 sowie Schol. B ad B 557. Zenodot und Aristarch sollen entsprechende Passagen athetiert haben, siehe Schol. A ad B 553 und Schol. A ad Γ 230. Die Annahme einer peisistratidischen Einwirkung auf die Epen betraf auch die gesamte Dolonie, siehe Schol. T ad X 1; vgl. insgesamt die hervorragende Zusammenstellung sämtlicher Quellen zu überlieferungsgeschichtlichen Fragen bei JENSEN 1980, 207–226. Die moderne Philologie beurteilt die Frage, ob die betreffenden Stellen interpoliert seien, nach wie vor kontrovers. Affirmativ äußern sich aufgrund inhaltlicher und formaler Überlegungen beispielsweise HEITSCH 1968, 657–660 und M. L. WEST 2001, 10–14 und 179–181; Kritik äußert hingegen, ebenfalls aufgrund inhaltlicher Beobachtungen, HASLAM 1997, 83 f. Dieses wohl kaum abschließend zu beurteilende Problem braucht hier nicht weiterverfolgt werden.
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Aristot. rhet. 1375b3064
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περὶ δὲ μαρτύρων, μάρτυρές εἰσιν διττοί, οἱ μὲν παλαιοὶ οἱ δὲ πρόσφατοι, καὶ τούτων οἱ μὲν μετέχοντες τοῦ κινδύνου οἱ δ᾽ ἐκτός. λέγω δὲ παλαιοὺς μὲν τούς τε ποιητὰς καὶ ὅσων ἄλλων γνωρίμων εἰσὶν κρίσεις φανεραί, οἷον Ἀθηναῖοι Ὁμήρῳ μάρτυρι ἐχρήσαντο περὶ Σαλαμῖνος, καὶ Τενέδιοι ἔναγχος Περιάνδρῳ τῷ Κορινθίῳ πρὸς Σιγειεῖς, καὶ Κλεοφῶν κατὰ Κριτίου τοῖς Σόλωνος ἐλεγείοις ἐχρήσατο, λέγων ὅτι πάλαι ἀσελγὴς ἡ οἰκία· οὐ γὰρ ἄν ποτε ἐποίησε Σόλων „εἰπεῖν μοι Κριτίᾳ πυρρότριχι πατρὸς ἀκούειν“. Hinsichtlich der Zeugen gibt es zweierlei Arten, die alten und die zeitgenössischen. Bezüglich letzterer gibt es diejenigen, die an dem Prozess teilnehmen, die anderen hingegen nicht. Unter den alten verstehe ich die Dichter sowie die Urteile sonstiger berühmter Männer, die weithin bekannt sind; zum Beispiel haben die Athener in der Angelegenheit um Salamis Homer als Zeugen angeführt wie auch die Einwohner von Tenedos sich kürzlich auf Periander [5] von Korinth in der Angelegenheit um Sigeion bezogen haben. Ebenso hat Kleophon die Elegien Solons gegen Kritias angeführt, als er sagte, dass dessen Geschlecht schon lange maßlos sei, sonst hätte nämlich Solon damals nicht geschrieben: „Sagt mir dem rothaarigen Kritias, dem Vater zu gehorchen“ [Sol. fr. 22a W2].
Aristoteles’ positive Bewertung des athenischen Homerrekurses (Z. 2–4) unterscheidet sich allerdings vehement von der pejorativen Darstellung des Megarers Dieuchidas. Von einer Interpolation spricht der Stagirite nicht; ganz im Gegenteil lobt er die rhetorische Brillanz, die sich hinter der Argumentation ex auctoritate verberge. Aristoteles und Dieuchidas gemein ist allerdings die Aussage, dass Homerisches, ob interpoliert oder nicht, im Rahmen der Auseinandersetzungen um Salamis argumentativ rezipiert worden sei65. 64 65
Vgl. ebenso Quintilian instit. Orat. V 11, 40. Dies könnte entgegen der in Anm. 63 geäußerten Einwände für die Historizität einer Peisistratidischen Redaktion, welche eine zuvor bestehende verworrene schriftliche Tradition gemäß Cic. de. orat. III 137 geordnet haben könnte, sprechen; vgl. LEAF 1900, xvii–xix; hierauf nachdrücklich MERKELBACH 1952, 29–31; neuerdings St. WEST 1988, 35–37. Die Annahme einer Textredaktion ist überhaupt grundlegend für die Etablierung der modernen Homeranalyse, vgl. WOLF 1795, Kap. 32–34; LEHRS 1862, 434–446; LACHMANN 1874, 31–34; CAUER 1923, 117–127; BOLLING 1950, 5 f.; MÜHLL 1952, 1–12 und 55–58. Die Hypothese, dass in peisistratidischer Zeit die Epen wenigstens ansatzweise geordnet worden seien, ist auch im Rahmen oralistischer Argumentationen von Relevanz, vgl. in Ansätzen PAGE 1955b, 143–145; grundlegend KIRK 1962, 309–315; HEITSCH 1968, 657–660; SEALEY 1957, 349; JENSEN 1980, 128–158; neuerdings mit Vehemenz NAGY 2001 und zusammenfassend BIERL 2015b mit weiterer Literatur.
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Fasst man dies nun alles zusammen, so wird zweierlei deutlich. Erstens besteht generell allenfalls eine vage Kenntnis über die athenisch-megarischen Auseinandersetzungen um Salamis, die in knappen und teils widersprüchlichen Anspielungen bei den Quellen der klassischen Zeit um Herodot sowie in einer breit ausgestalteten Version bei Plutarch fasslich werden. Die genaue Ereignisabfolge ist ebenso wie die Frage, ob Solon oder Peisistratos federführend für Athen gewesen sei, unklar. Viel spricht gerade vor dem Hintergrunde der widersprüchlichen Quellenlage für eine längere, wechselvolle Auseinandersetzung. Diese muss nach dem missglückten Tyrannisversuch Kylons im letzten Drittel des siebten vorchristlichen Jahrhunderts unter Mitwirkung Solons ausgebrochen und während Peisistratos’ Tyrannis nach der Eroberung Nisaias beendet worden sein. Falls es zu einem spartanischen Schiedsgericht gekommen sein sollte, dann zu diesem Zeitpunkt. Zweitens ist unklar, welches Argument den Ausschlag für einen pro-athenischen Schiedsspruch, falls er denn historisch ist, gegeben hat. Plutarch nennt eine Fülle verschiedener Begründungen, darunter einen strittigen Homerrekurs der Athener. Ob die Athener tatsächlich auf Homerisches, ob interpoliert oder nicht, zurückgegriffen haben, lässt sich auf Basis des vorhandenen Quellenmaterials kaum abschließend beurteilen. Den megarischen Lokalhistoriographen Dieuchidas jedenfalls, der zuerst von dieser Homerinterpolation kündet, wird man aufgrund seiner anti-athenischen Grundhaltung wohl kaum als verlässlich einstufen. Immerhin bestätigt Aristoteles die Vorstellung eines Homerrekurses im Rahmen des spartanischen Schiedsgerichts, den er als Paradigma einer guten argumentativen Beweisführung erachtet. Homerischem scheint daher im vierten vorchristlichen Jahrhundert ein argumentatives Potenzial im politischen Diskurs zugesprochen zu werden. Ob dies allerdings bereits in peisistratidischer Zeit anlässlich des athenisch-megarischen Salamis-Konfliktes der Fall gewesen ist, das ist mangels Referenzquellen kaum zu beurteilen. Auch im Rahmen des Salamis-Komplexes lassen die zur Verfügung stehenden Quellen demnach keine valide Aussage über die Mechanismen der Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts zu. 4.2.2 Homerisches im Rahmen öffentlicher Feste: die Panathenäen und die anti-argivische Homerrezeption im kleisthenischen Sikyon Den zweiten großen Komplex hinsichtlich des Homerischen im sechsten vorchristlichen Jahrhundert bildet dessen Rezeption im Rahmen öffentlicher Feste. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Schwerpunkte. Zuerst ist die panathenäische Homerreziation in Athen zu nennen – ein insbesondere in philologischer Sicht extrem schwieriges Feld, da hier zentrale Fragestellungen hinsichtlich der nach wie vor dunklen prä-hellenistischen Homerüberlieferung verhandelt werden können. Weniger umstritten hingegen ist die Homerrezeption im Rahmen der anti-argivischen Kulturpolitik
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des Tyrannen Kleisthenes von Sikyon. Ich werde mich zuerst den weitreichenden Diskussionen um die panathenäische Homerrezitation widmen, um danach relativ knapp auf Kleisthenes von Sikyon einzugehen. Die ausführlichste und auch wirkmächtigste Quelle in Bezug auf die panathenäische Homerrezitation bildet der pseudoplatonische Sokrates im sog. Hipparchos-Dialog, der gemeinhin in das vierte vorchristliche Jahrhundert datiert wird66. Der Peisistratide habe demnach eine Art Bildungsoffensive, deren Teil auch die Einführung der Homerrezitation im Rahmen der Großen Panathenäen gewesen sei, gestartet: [Plat.] Hipparch. 228b-229d ΣΩ. ΕΤ. ΣΩ. 5
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εὐφήμει· οὐ μεντἂν καλῶς ποιοίην οὐ πειθόμενος ἀνδρὶ ἀγαθῷ καὶ σοφῷ. τίνι τούτῳ; καὶ τί μάλιστα; πολίτῃ μὲν ἐμῷ τε καὶ σῷ, Πεισιστράτου δὲ ὑεῖ τοῦ ἐκ Φιλαϊδῶν, Ἱππάρχῳ, ὃς τῶν Πεισιστράτου παίδων ἦν πρεσβύτατος καὶ σοφώτατος, ὃς ἄλλα τε πολλὰ καὶ καλὰ ἔργα σοφίας ἀπεδείξατο, καὶ τὰ Ὁμήρου ἔπη πρῶτος ἐκόμισεν εἰς τὴν γῆν ταυτηνί, καὶ ἠνάγκασε τοὺς ῥαψῳδοὺς Παναθηναίοις ἐξ ὑπολήψεως ἐφεξῆς αὐτὰ διιέναι, ὥσπερ νῦν ἔτι οἵδε ποιοῦσιν, καὶ ἐπ᾽ Ἀνακρέοντα τὸν Τήιον πεντηκόντορον στείλας ἐκόμισεν εἰς τὴν πόλιν, Σιμωνίδην δὲ τὸν Κεῖον ἀεὶ περὶ αὑτὸν εἶχεν, μεγάλοις μισθοῖς καὶ δώροις πείθων· ταῦτα δ᾽ ἐποίει βουλόμενος παιδεύειν τοὺς πολίτας, ἵν᾽ ὡς βελτίστων ὄντων αὐτῶν ἄρχοι, οὐκ οἰόμενος δεῖν οὐδενὶ σοφίας φθονεῖν, ἅτε ὢν καλός τε κἀγαθός. ἐπειδὴ δὲ αὐτῷ οἱ περὶ τὸ ἄστυ τῶν πολιτῶν πεπαιδευμένοι ἦσαν καὶ ἐθαύμαζον αὐτὸν ἐπὶ σοφίᾳ, ἐπιβουλεύων αὖ τοὺς ἐν τοῖς ἀγροῖς παιδεῦσαι ἔστησεν αὐτοῖς Ἑρμᾶς κατὰ τὰς ὁδοὺς ἐν μέσῳ τοῦ ἄστεος καὶ τῶν δήμων ἑκάστων, κἄπειτα τῆς σοφίας τῆς αὑτοῦ, ἥν τ᾽ ἔμαθεν καὶ ἣν αὐτὸς ἐξηῦρεν, ἐκλεξάμενος ἃ ἡγεῖτο σοφώτατα εἶναι, ταῦτα αὐτὸς ἐντείνας εἰς ἐλεγεῖον αὑτοῦ ποιήματα καὶ ἐπιδείγματα τῆς σοφίας ἐπέγραψεν, ἵνα πρῶτον μὲν τὰ ἐν Δελφοῖς γράμματα τὰ σοφὰ ταῦτα μὴ θαυμάζοιεν οἱ πολῖται αὐτοῦ, τό τε “γνῶθι σαυτόν” καὶ τὸ “μηδὲν ἄγαν” καὶ τἆλλα τὰ τοιαῦτα, ἀλλὰ τὰ Ἱππάρχου ῥήματα μᾶλλον σοφὰ ἡγοῖντο, ἔπειτα παριόντες ἄνω καὶ κάτω καὶ ἀναγιγνώσκοντες καὶ γεῦμα λαμβάνοντες αὐτοῦ τῆς σοφίας φοιτῷεν ἐκ τῶν ἀγρῶν καὶ ἐπὶ τὰ λοιπὰ παιδευθησόμενοι. ἐστὸν δὲ δύο τὠπιγράμματε· ἐν μὲν τοῖς ἐπ᾽ ἀριστερὰ τοῦ Ἑρμοῦ ἑκάστου ἐπιγέγραπται λέγων ὁ Ἑρμῆς ὅτι ἐν μέσῳ
Zur Diskussion der Autorenfrage und zur Datierung vgl. zusammenfassend LEISEGANG 1950, 2367 und neuerdings SCHORN 2005, 225 f. mit weiterer Literatur.
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τοῦ ἄστεος καὶ τοῦ δήμου ἕστηκεν, ἐν δὲ τοῖς ἐπὶ δεξιά–“μνῆμα τόδ᾽ Ἱππάρχου· στεῖχε δίκαια φρονῶν” φησίν. ἔστι δὲ τῶν ποιημάτων καὶ ἄλλα ἐν ἄλλοις Ἑρμαῖς πολλὰ καὶ καλὰ ἐπιγεγραμμένα· ἔστι δὲ δὴ καὶ τοῦτο ἐπὶ τῇ Στειριακῇ ὁδῷ, ἐν ᾧ λέγει– “μνῆμα τόδ᾽ Ἱππάρχου· μὴ φίλον ἐξαπάτα.” ἐγὼ οὖν σὲ ἐμοὶ ὄντα φίλον οὐ δήπου τολμῴην ἂν ἐξαπατᾶν καὶ ἐκείνῳ τοιούτῳ ὄντι ἀπιστεῖν, οὗ καὶ ἀποθανόντος τρία ἔτη ἐτυραννεύθησαν Ἀθηναῖοι ὑπὸ τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ Ἱππίου, καὶ πάντων ἂν τῶν παλαιῶν ἤκουσας ὅτι ταῦτα μόνον τὰ ἔτη τυραννὶς ἐγένετο ἐν Ἀθήναις, τὸν δ᾽ ἄλλον χρόνον ἐγγύς τι ἔζων Ἀθηναῖοι ὥσπερ ἐπὶ Κρόνου βασιλεύοντος. λέγεται δὲ ὑπὸ τῶν χαριεστέρων ἀνθρώπων καὶ ὁ θάνατος αὐτοῦ γενέσθαι οὐ δι᾽ ἃ οἱ πολλοὶ ᾠήθησαν, διὰ τὴν τῆς ἀδελφῆς ἀτιμίαν τῆς κανηφορίας–ἐπεὶ τοῦτό γε εὔηθες–ἀλλὰ τὸν μὲν Ἁρμόδιον γεγονέναι παιδικὰ τοῦ Ἀριστογείτονος καὶ πεπαιδεῦσθαι ὑπ᾽ ἐκείνου, μέγα δ᾽ ἐφρόνει ἄρα καὶ ὁ Ἀριστογείτων ἐπὶ τῷ παιδεῦσαι ἄνθρωπον, καὶ ἀνταγωνιστὴν ἡγεῖτο εἶναι τὸν Ἵππαρχον. ἐν ἐκείνῳ δὲ τῷ χρόνῳ αὐτὸν τὸν Ἁρμόδιον τυγχάνειν ἐρῶντά τινος τῶν νέων τε καὶ καλῶν καὶ γενναίων τῶν τότε–καὶ λέγουσι τοὔνομα αὐτοῦ, ἐγὼ δὲ οὐ μέμνημαι–τὸν οὖν νεανίσκον τοῦτον τέως μὲν θαυμάζειν τόν τε Ἁρμόδιον καὶ τὸν Ἀριστογείτονα ὡς σοφούς, ἔπειτα συγγενόμενον τῷ Ἱππάρχῳ καταφρονῆσαι ἐκείνων, καὶ τοὺς περιαλγήσαντας ταύτῃ τῇ ἀτιμίᾳ οὕτως ἀποκτεῖναι τὸν Ἵππαρχον.
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45 Sokr.: Fr.: Sokr.:
Schweige nun! Wenn ich nicht einem edlen und weisen Mann nacheifern sollte, könnte ich in der Tat nicht edel handeln. Von wem sprichst du? Um was geht es überhaupt? Von meinem und deinem Mitbürger spreche ich, von Hipparchos, dem Sohn Peisistratos’ aus dem Philaïden-demos, der von den Söhnen Peisistratos’ der älteste und weiseste war, [5] der in vielen schönen Werken seine Kenntnisse bewiesen hat, der als erster die Dichtungen Homers in dieses Land gebracht hat und verfügte, dass die Rhapsoden diese Werke an den Panathenäen im Folgesang, einer nach dem anderen, durchgehen, wie sie es heute noch machen, der Anakreon aus Teos, nachdem er einen Fünfzigruderer ausgesandt hatte, in diese Stadt brachte und der schließlich auch Simonides aus Keos immer um sich herum hatte, [10] weil er ihn mit außerordentlichen Geldern und Geschenken bedachte. Das alles tat er aber, weil er die Bürger erziehen wollte, damit er in der Überzeugung über sie herrsche, sie seien die vortrefflichsten, und weil er meinte, dass Weisheiten niemandem vorenthalten werden dürften; so edel und gut war er. Nachdem aber dank seiner Person diejenigen, die aus dem bürgerlichen Stadtgebiet gekommen, gebildet waren und diese
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ihn wegen seiner Weisheit bewunderten, stellte er, weil er plante, die Bürger des Umlandes ebenso [15] zu bilden, Hermen an den Straßen auf halbem Wege zwischen der Stadt und den einzelnen Demen auf. Nachdem er aus seiner Weisheit, die er sowohl erworben als auch sich selbst angeeignet hatte, das, was er für das Gelehrteste hielt, auswählte und es in das elegische Versmaß brachte, ließ er es als seine Verse und als Beweise seiner Weisheit einmeißeln. Dies tat er, damit erstens seine Bürger die Weisheitssprüche in Delphi [20] „Erkenne dich selbst“, „Nichts im Übermaß“ und alle anderen dieser Art nicht bestaunten, sondern die Botschaften von Hipparchos eher als weise erachteten. Zweitens tat er es, damit seine Mitbürger, während sie an den Hermen vorbeigingen, diese lasen und dadurch eine Kostprobe seiner Weisheit erfuhren, seine Sprüche verinnerlichten und deshalb vom Land herkämen, um sich auch in den übrigen Dingen bilden zu lassen. Es gibt aber zwei Inschriften: Auf der linken Seite der Herme ist Hermes eingraviert, der sagt, dass er auf halbem Weg [25] zwischen der Stadt und den Demen aufgestellt ist, auf der rechten Seite sagt er aber: „Das ist ein Erinnerungsmal von Hipparchos. Gehe weiter mit Gerechtigkeit im Sinn“. Es gibt aber noch andere Dichtungen auf anderen Hermen, viele schöne Epigramme. So gibt es eines auf dem Steirischen Weg, in dem er sagt: „Das ist ein Erinnerungsmal von Hipparchos. Täusche [30] den Freund nicht“. Da ich dein Freund bin, könnte ich es sicher nicht auf mich nehmen, dich zu täuschen und diesem einen Mann zu misstrauen; nach dessen Ermordung aber wurden die Athener drei Jahre lang von seinem Bruder Hippias tyrannisch beherrscht. Und von allen früheren Menschen hättest du gehört, dass in Athen allein in diesen Jahren eine Tyrannis entstanden sei, die Athener hingegen in der restlichen Zeit nahezu wie [35] unter der Herrschaft von Kronos gelebt hätten. Es wird aber von feineren Menschen gesagt, dass seine Ermordung nicht aus dem Grunde passiert sei, den die Masse bisher angenommen hat, also wegen der Beleidigung der Schwester im Rahmen der Korbaffäre – dies sei nur naiv – stattdessen sei Harmodios der Geliebte des Aristogeiton und von diesem unterrichtet worden. Aristogeiton aber sei äußerst stolz auf seine Erziehung [40] eines Menschen gewesen und habe Hipparchos für einen Rivalen gehalten. In dieser Zeit aber habe Harmodios gerade einen der damaligen jungen, schönen Vornehmen geliebt – sie nennen auch seinen Namen, ich aber kann mich an ihn nicht erinnern – und nun habe dieser junge Mann eine Zeit lang Harmodios und Aristogeiton als weise bewundert, dann jedoch habe er, nachdem er mit [45] Hipparchos zusammen gewesen sei,
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jene verachtet. Weil sie aber über eine derartige Beleidigung einen heftigen Schmerz empfanden, hätten sie Hipparchos umgebracht. Der betreffende Text ist Teil eines umfangreicheren Dialogs zwischen Sokrates und einem anonymen Hetairos, der sich unvermittelt um die Frage, was Gewinnstreben (φιλοκερδές) sei67, dreht. Nachdem Sokrates den Gefährten mehrfach die Unzulänglichkeiten von dessen Definitionsversuchen vorgeführt hat und das Gespräch zu scheitern droht68, holt er zu dem hier vorliegenden Exkurs aus. Der gesamte Dialog endet danach schließlich ergebnislos69, da beide Dialogpartner von unterschiedlichen ethischen Prämissen ausgehen: Sokrates sieht im Gewinnstreben prinzipiell eine gute, da allgemein-menschliche Eigenschaft; für den Gefährten hingegen ist der Begriff eher mit etwas Schlechtem verbunden, da er an persönliche Vorteilsnahme denkt70. Der hier interessierende Textausschnitt ist also Teil eines stilisierten philosophisch-literarischen Narrativs, was man bei seiner historischen Auswertung nicht vergessen sollte71. Der pseudoplatonische Sokrates berichtet nun in seinem Exkurs von dem Peisistratiden Hipparchos als augenscheinlichem Paradigma eines edlen und weisen Mannes (ἀνὴρ αγαθός καὶ σοφός, Z. 1), der in seiner Regierungszeit eine Art kulturpolitische Offensive gestartet habe. Diese habe drei Aspekte umfasst. Zuerst habe Hipparchos die panathenäische Homerrezitation eingeführt (Z. 5–8). Dann sei der Peisistratide als Mäzen der Dichter Anakreon und Simonides aufgetreten (Z. 8–10). Schließlich habe er Hermen, die mit epigrammatischen Sinnsprüchen versehen worden seien, als Wegmarken aufgestellt (Z. 13–30). Den roten Faden sämtlicher Tätigkeiten Hipparchos’ bildet somit das Bemühen um Bildung, die er den Athenern sowohl in der Stadt als auch im Umland zugute kommen lassen will (Z. 13–16). Folgerichtig erscheint Hipparchos’ Ermordung durch Harmodios und Aristogeiton als Konsequenz von Neid in Bildungsdingen und nicht, entgegen einer als naiv (εὐήθης, Z. 37) erachteten zeitgenössischen communis opinio, als tragisches Ergebnis amouröser Eifersüchteleien (Z. 35–46) 72. Dieses glatte Bild eines weisen und uneigennützigen Hipparchos, der gleichsam das goldene Zeitalter unter Kronos wiederhergestellt habe (Z. 34 f.)73, wird nun bei genauerem Hinsehen von Sokrates selbst gebrochen. Die Bildungsoffensive des Tyrannen sei durchaus nicht uneigennützig, sondern funktional darin begründet, dass er zwar vortreffliche Bürger schaffe, aber über diese eben herrsche (Z. 10–13, ähnlich auch Z. 21–23). Darüber hinaus sei Hipparchos darauf aus gewesen, sich selbst 67 68 69 70 71 72 73
[Plat.] Hipparch. 225a. [Plat.] Hipparch. 225a-228a. [Plat.] Hipparch. 232c. [Plat.] Hipparch. 232a-c. So grundsätzlich SCHORN 2005, 226 f. im Rahmen seiner exzellenten Interpretation, an der sich das Folgende orientiert. Thuk. VI 53, 3–60, 1. Siehe hierzu unten, S. 114. Siehe analog [Aristot.] Ath. pol. 16, 7.
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als weiser als das Delphische Orakel darzustellen (Z. 19–23). Diese Ambivalenz in der Beurteilung des hipparchischen Handelns fokussiert Sokrates nun ironisch in dem Potentialis in ἐγὼ οὖν σὲ ἐμοὶ ὄντα φίλον οὐ δήπου τολμῴην ἂν ἐξαπατᾶν καὶ ἐκείνῳ τοιούτῳ ὄντι ἀπιστεῖν (Z. 30 f.): Ist Sokrates seinem Gefährten gegenüber tatsächlich so freundschaftlich eingestellt, wie er behauptet, und täuscht ihn folglich auch in seiner augenscheinlich positiven Darstellung von Hipparchos nicht? Oder könnte auch das Gegenteil der Fall sein? Betrachtet man das eher angespannte Verhältnis von Sokrates zu seinem Gesprächspartner im gesamten Hipparchos-Dialog74, ist man sich in dieser Frage nicht so sicher. Insofern orientiert sich die gesamte Darstellung des Hipparchos durch den pseudoplatonischen Sokrates an dessen übergeordneter argumentativer Intention, dass Gewinnstreben unabhängig von ethischen Fragen eine Grundkonstante des menschlichen Lebens darstelle, die daher nicht moralisch zu beurteilen sei. Dazu passt auch, dass gerade das Streben nach Bildung den sokratischen Hipparchos letztlich das Leben kostet, es also keinerlei Mehrwert gehabt hat75. Das sokratische Narrativ über Hipparchos ist daher Teil der übergeordneten philosophisch-literarischen Argumentation. Es ist grundsätzlich rhetorisch stilisiert. Eine genauere inhaltliche wie formale Betrachtung lässt demnach erste Zweifel an der historiographischen Zuverlässigkeit des pseudoplatonischen Sokrates aufkommen. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man dessen zeitgenössische Referenzüberlieferungen hinzuzieht. Hier ist die Begründung des Attentats auf Hipparchos von Belang. Diesbezüglich kursierten offenbar in Athen widersprüchliche Angaben. Unmittelbar nach der Ermordung wurde das Attentat dahingehend politisch interpretiert, dass hierdurch die peisistratidische Tyrannis durch Harmodios und Aristogeiton beendet und eine isonomia hergestellt worden sei76. Man muss aus diesen Angaben konjizieren, dass Hipparchos der alleinige Herrscher gewesen sei. Herodot versucht später, diese Auffassung zu korrigieren, indem er darauf hinweist, dass Hipparchos’ älterer Bruder Hippias der Tyrann gewesen sei und seine Herrschaft demnach nach der Tötung des jüngeren Hipparchos noch weiter Bestand gehabt habe77. Thukydides wiederum übernimmt diese Darstellung im Kern. Darüber hinaus geht er noch einen Schritt weiter. Er polemisiert radikal gegen die vorherrschende Meinung, dass der vorgebliche Tyrannizid auf politischen Gründen basiert habe und führt stattdessen eine relativ profane Eifersuchtsgeschichte an. Anhand dieser Darstellung legt Thukydides seine eigene kritische Arbeitsweise als Historiograph gegenüber einer als fehlerhaft dargestellten öffentlichen Meinung dar78. Schließlich ist die Version der Athenaion po-
74 75 76 77 78
Siehe insb. [Plat.] Hipparch. 232a-c. Ähnlich SCHORN 2005, 229 mit weiterer Literatur in Anm. 9. Athen. deipn. 15, 50 = PMG 893, 895 f. Zu Datierung der Skolien vgl. grundlegend EHRENBERG 1956; zur Semantik des hier verwendeten Isonomiebegriffs siehe S. 160–164. Hdt. V 55–57, 1. Thuk. I 20, 1 f. und VI 53, 3–60, 1.
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liteia, die in gewisser Weise die thukydideische Version abmildert, zu nennen. Dort erscheinen Hippias und Hipparchos gemeinsam als tyrannische Samtherrscher, die einen jüngeren Bruder namens Thettalos gehabt hätten. Dieser habe die aus Thukydides bekannte Eifersuchtsgeschichte mit Harmodios angefangen. Die Ermordung Hipparchos’ während der Panathenäen erscheint hier der Sache nach unmotiviert und eher als Zufall79. Die Darstellung des pseudoplatonischen Sokrates ist nun innerhalb dieses intertextuellen Rahmens singulär. Sie nimmt zuerst die populäre prä-herodoteische Meinung, dass Hipparchos als ältester Peisistratide der Tyrann gewesen sei (Z. 4), wieder auf. Mehr noch aber polemisiert der pseudoplatonische Sokrates direkt gegen Thukydides, und zwar auf zweierlei Weise. Zuerst diskreditiert er dessen Überlieferung der unmittelbaren Attentatsursache, nämlich dass Harmodios’ Schwester von Hipparchos während einer Zeremonie beleidigt worden sei80, als Meinung der Masse (οἱ πολλοί, Z. 36). In diesem Zusammenhang rekurriert der Erzähler direkt auf das thukydideische programmatische Diktum, sich von der undifferenzierten Meinung des πλῆθος abgrenzen zu wollen81, und wendet es gegen den Historiographen. Darüber hinaus gibt der pseudoplatonische Sokrates als Quelle seiner Darstellung die feineren Menschen an (οἱ χαριέστεροι ἄνθρωποι, Z. 35). Seine Darstellung, dass die Ursache des Attentats eher im Bereich von Bildung denn im erotischen Kontext angesiedelt sei, erhält auf diese Weise eine höhere moralische Weihe82. Man kann aus all dem schlussfolgern, dass der pseudoplatonische Sokrates mit traditionellen Vorlagen spielt83, sie vielleicht sogar parodiert84. In jedem Fall aber weisen auch diese intertextuellen Referenzen auf eine literarische Gestaltung der pseudoplatonischen Hipparchos-Figur hin. Dies geht zulasten ihrer historischen Glaubwürdigkeit, zumal die Darstellungen der großen Historiographen Herodot und Thukydides seit der bahnbrechenden Untersuchung Jacobys generell am meisten Akzeptanz finden85. Sowohl eine nähere narratologische Analyse als auch eine intertextuelle Kontextualisierung weisen demnach darauf hin, dass die pseudoplatonische Hipparchos-Figur stilisiert ist, und zwar sowohl hinsichtlich des übergeordneten sokratischen Argumentationsschemas als auch gegenüber des thukydideischen Prätextes. Umso wichtiger ist es, die Angaben des pseudoplatonischen Sokrates hinsichtlich der vorgeblichen hipparchischen Kulturpolitik kritisch vor dem Hintergrunde von Referenzquellen zu überprüfen. Für eine Historizität der Angabe, dass Hipparchos mit Gnomen versehene Hermen auf halbem Weg zwischen den Demen und der Stadt aufstellen gelassen habe (Z. 13– 30), spricht, dass tatsächlich eine solche Wegmarke bei Koropi mit einer entsprechen79 80 81 82 83 84 85
[Aristot.] Athen. pol. 18. Thuk. VI 56. Thuk. I 20, 2. Hierzu mit exzellenten Detailbeobachtungen SCHORN 2005, 232–234. Vgl. HIRSCH 1926, 166 f. und FORNARA 1968, 419. So die zentrale Interpretationsthese von SCHORN 2005, 232. Vgl. JACOBY 1949, 152–168; hiernach PODLECKI 1966; neuerdings STAHL 1987, 6–18.
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den Inschrift gefunden wurde86. Der bei Pseudoplaton überlieferte Sinnspruch ist auf diesem Dokument allerdings nicht erhalten87. Die Forschung ist sich hinsichtlich der Funktion dieser Monumente nicht ganz einig. Zur Diskussion stehen religiöse, aber auch repräsentative und schlichtweg geodätische Aspekte. All das findet sich auch in anderen peisistratidischen Bauten wieder, man denke beispielsweise an den Zwölfgötteraltar88. Als gesichert gilt vor diesem Hintergrunde, dass der Text die Bildungsfunktion überbetont und die anderen genannten Aspekte, insbesondere eine repräsentative Funktion, außen vor lässt89. Der pseudoplatonische Sokrates meint schließlich selbst lakonisch, dass Hipparchos mithilfe seiner verbreiteten Weisheiten mit dem Delphischen Orakels zu konkurrieren gedachte (Z. 19–24)90. Insofern kann man aus historischer Sicht die Angabe, Hipparchos habe mit Gnomen versehene Hermen als Wegmarken aufgestellt, grundsätzlich gelten lassen, wenn auch Zweifel an ihrer rein bildungspolitischen Funktion bleiben. Die Bemerkung, dass Hipparchos sich als Mäzen der Dichter Anakreon und Simonides betätigt habe, ist nun kritischer zu beurteilen. Zwar findet sich in den Angaben des pseudoplatonischen Sokrates grundsätzlich eine grobe Entsprechung in der Athenaion politeia91. Ebenso könnte man diese Nachricht mit der herodoteischen Angabe, dass sich Anakreon bis zur Eroberung Samos’ durch die Perser bei dem dortigen Tyrannen Polykrates aufhielt92, dergestalt übereinbringen, dass Hipparchos den Dichter mithilfe des erwähnten Kriegsschiffes zur Flucht vor der persischen Bedrohung verholfen habe93. Auf der anderen Seite finden sich keine dokumentarisch gesicherten Erkenntnisse über konkrete Tätigkeiten der besagten Dichter für Hipparchos. Darüber hinaus zeigt das, was über das Verhältnis der beiden Dichter zu den Peisistratiden bekannt ist, ein diffuses Bild. Von Anakreon wird berichtet, dass er aristokratische Gegner der Peisistratiden gelobt habe94; das lyrische Ich aus der simonideischen Plataiai-Elegie stilisiert sich als neuen Homer, der den griechischen Freiheitskampf gegen die Perser rühmt95. Das passt nicht zu den bei Thukydides attestierten Verbindungen der Peisistratiden zu den Persern96. All das ist weit entfernt von einem engen Verhältnis zwischen
86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96
IG I31023 = CEG 304 = Friedländer/Hoffleit Nr. 149, S. 139–141. Vgl. hierzu grundlegend PEEK 1935 und LAVELLE 1985. Hdt. II 7, 1; vgl. LIBERO 1996, 103 f. mit weiterer Literatur. Vgl. zusammenfassend SCHORN 2005, 240–242; LIBERO 1996, 130 f. und SLINGS 2000a, 59 f.; im Detail OSBORNE 1985, 51; weiterhin LAVELLE 1985, 419; WREDE 1985, 5–8 und neuerdings QUINN 2007, 93–95. Diesen Punkt betont zu Recht SCHORN 2005, 241 f. [Aristot.] Athen. pol. 18, 1. Hdt. III 121, 1. Vgl. die recht voraussetzungsreichen Überlegungen von M. L. WEST 2001, 380–382. Plat. Charm. 157e; vgl. hierzu grundlegend SLINGS 2000a, 60 f. mit weiterführender Literatur; hieran anschließend SCHORN 2005, 237 f. Siehe S. 180 f. Thuk. VI 59.
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Dichter und Patron, wie es beispielsweise von Anakreon und Polykrates bekannt ist97. Ganz im Gegenteil scheint Hipparchos nicht das Monopol auf eine mäzenatische Tätigkeit innerhalb der athenischen Aristokratie gehabt zu haben98. Hierauf könnte auch der Hinweis des pseudoplatonischen Sokrates anspielen, dass Hipparchos enorme Geschenke habe aufwenden müssen, um Simonides zu halten (Z. 10). Man kann vor dem Hintergrunde dieser Referenzquellen eine Tätigkeit von Anakreon und Simonides für Hipparchos zwar nicht vollkommen ausschließen, allerdings scheint doch der Bild eines hipparchischen Musenhofs, das der pseudoplatonische Sokrates zeichnet, recht übertrieben zu sein99. Nun schließlich zu der Bemerkung des pseudoplatonischen Sokrates, dass Hipparchos die homerischen Epen nach Athen gebracht (κομίζω)100 und die panathenäische Rezitation eingeführt habe (Z. 5–8): Träfen die Angaben des pseudoplatonischen Sokrates zu, so wäre Homerisches in hipparchischer Zeit im öffentlichen Rahmen rezipiert worden. Die Funktion dieses Unterfangens, so berichtet wenigstens der pseudoplatonische Sokrates, läge in dem philanthropisch motivierten Ziele des Herrschers, den attischen demos zu erziehen (παιδεύω, Z. 11). Insofern käme der panathenäische Homerrezitation, wie sie der pseudoplatonische Sokrates schildert, eine integrative Funktion zu, und zwar in Bezug auf den gesamten demos. Dies würde sich von den sozialen und funktionalen Mechanismen der aristokratischen Homerrezeption, wie sie bei den früharchaischen Lyrikern deutlich wird101, einigermaßen unterscheiden. Die Aussagen des pseudoplatonischen Sokrates sind nun nicht mithilfe von Referenzquellen verifizierbar. Der platonische Rhapsode Ion berichtet zwar ebenfalls von einer panathenäischen Homerrezitation102; dieser Text fällt allerdings in das frühe vierte vorchristliche Jahrhundert103 und birgt keinerlei Informationen über die Ursprün97 98 99 100
101 102 103
Siehe Strab. XIV 1, 16. Vgl. OSBORNE 1996, 285; mit Vehemenz SLINGS 2000a, 60–66. So grundlegend SLINGS 2000a, 65 f.; ebenso SCHORN 2005, 239 f. Auch diese Textstelle ist in der Diskussion um die prä-alexandrinische Homerüberlieferung von Bedeutung, weist dieses Verbum scheinbar auf die Existenz eines schriftlichen Textes vor dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert hin; vgl. beispielsweise DAVISON 1955, 12 f. und ders. 1962, 215–220; MAZON 1948, 269–278.; HASLAM 1997, 79–83; M. L. WEST 2001, 17–19. SLINGS 2000a, 68 f. betont hingegen mit Verweis auf Isokr. IX 28 m. E. zu Recht, dass das Verbum κομίζω mitnichten ein Konkretum als Referenzobjekt fordert, somit eine mündliche Überlieferung der Epen in prä-peisistratidischer Zeit auch vor dem Hintergrunde dieser Textstelle weiterhin möglich bliebe. Auch hier zeigt sich, dass es kaum möglich ist, von den zitierten erzählenden Quellen auf die mediale Gestalt der Epen in prä-alexandrinischer Zeit zu schließen: „We do not have, and never will have, external evidence for how the text of Homer was written down“ (JANKO 1990, 327 f.). Grundlage für jegliche Diskussion über ihre Überlieferung in prä-alexandrinischer Zeit haben demzufolge die uns überlieferten epischen Texte selbst zu sein. Siehe zu diesem Komplex die hervorragende neuere Zusammenfassung von REICHEL 2011, 47–49. Siehe S. 85–89. Plat. Ion 530a-531a. Vgl. ERLER 2007, 146 f. mit weiterer Literatur.
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ge dieser Institution. Nicht weiter führt in diesem Rahmen die Vermutung, dass eine Zunahme von Ilias-Szenen auf attischen Vasen ab ca. 520 v. Chr. für die Einführung der panathenäischen Homerrezitation in peisistratidischer Zeit spreche104. Diese Annahme ist allein aus logischer Sicht nicht stichhaltig, zeigt sie doch ein korrelatives, kein kausales Verhältnis105. Was aber nun als sicher gilt, ist die Tatsache, dass die Institutionalisierung der Großen Panathenäen in die erste Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts anzusetzen ist106. Dies mag vorläufig als terminus post für die Einführung der panathenäischen Homerrezitation gelten. Strittig ist nun, wann danach und auf welche Weise mit ebensolcher begonnen worden ist. Neben dem pseudoplatonischen Hipparchos-Dialog gibt es andere erzählerische Andeutungen, die auf Solon oder Perikles hinweisen. Dieuchidas hat – wie bereits oben dargelegt – betont, dass Solon eine besondere Rezitationstechnik ἐξ ὑποβολῆς eingeführt habe (Z. 1). Manch einer interpretiert dies dahingehend, dass der Gesetzgeber auch in irgendeiner Weise in die Etablierung der panathenäischen Homerrezitation verwickelt gewesen sei107. Diese Notiz des megarischen Autors ist jedoch aus denselben Gründen kritisch zu beurteilen wie seine Nachricht, dass Solon den Schiffskatalog interpoliert habe108. Auch die plutarchische Mitteilung109, dass Perikles ein Gesetz über die Durchführung des musischen Panathenäen-agon, deren Teil die Homerreziationen wenigstens in klassischer Zeit gewesen sind110, eingeführt habe, muss nicht zwangsläufig etwas über die Ursprünge letzterer aussagen111. Fest steht allerdings, dass tatsächlich eine panathenäische Amphore bekannt geworden ist, auf der ein Rhapsode abgebildet scheint112. Diese Vase wird in das Jahr 540 v. Chr., also in peisistratidische Zeit, datiert113. Dies könnte generell für eine öffentliche Homerrezitation in jener Zeit, also vor Hipparchos, spre-
104 Vgl. nach wie vor grundlegend FRIIS-JOHANSEN 1967, 223–243. 105 Hinzu kommt die Tatsache, dass die Darstellung homerische Szenen bereits vor dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert auf attischer Keramik und darüber hinaus geläufig gewesen ist; vgl. neuerdings GIULIANI 2003, 77–114. Gerade die korinthische Vasenmalerei könnte hinsichtlich der schwierigen Fragen zur Homerrezeption des siebten und sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ein wichtiges Korrektiv darstellen; in diesem Zusammenhang besteht noch Raum für weitere Forschung. 106 Vgl. nach wie vor grundlegend DAVISON 1958, 23–29; ebenso DEUBNER 1956, 22–35. 107 Grundlage für diese Überlegung ist die Annahme, dass Dieuchidas’ Formulierung und das pseudoplatonische ἐξ ὑπολήψεως (Z. 7) synonym zu verstehen seien; siehe grundlegend WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884, 262 f.; ähnlich MAZON 1948, 253; schwächer MERKELBACH 1952, 31; unspezifisch M. L. WEST 2001, 8 f.; dagegen DAVISON 1955, 9 f.; JENSEN 1980, 145–149; SLINGS 2000a, 69 f. 108 Siehe S. 103–106. 109 Plut. Per. 13, 6. 110 Isokr. Paneg. 159. 111 Vgl. grundlegend DAVISON 1955, 7–15 und etwas vorsichtiger ders. 1958, 38 f. 112 Liverpool, National Gallery 56.19.18, abgebildet in SHAPIRO 1993, 101 f. 113 Vgl. SHAPIRO 1993, 97–103.
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chen114. Dennoch sollte man auf Basis dieser sehr dürftigen Überreste mit vorschnellen Schlussfolgerungen vorsichtig sein. So bleibt unklar, ob der auf der Amphore abgebildete Rhapsode tatsächlich Homerisches rezitiert115. Aber zu der Vorstellung einer tyrannischen panathenäischen Homerrezitation generell, egal ob nun zu Zeiten Peisistratos’ oder Hipparchos’, passt das Bild, das die attischen Rhetoren Isokrates und Lykurgos zeichnen: Isokr. Panegyr. 159
5
οἶμαι δὲ καὶ τὴν Ὁμήρου ποίησιν μείζω λαβεῖν δόξαν, ὅτι καλῶς τοὺς πολεμήσαντας τοῖς βαρβάροις ἐνεκωμίασε, καὶ διὰ τοῦτο βουληθῆναι τοὺς προγόνους ἡμῶν ἔντιμον αὐτοῦ ποιῆσαι τὴν τέχνην ἔν τε τοῖς τῆς μουσικῆς ἄθλοις καὶ τῇ παιδεύσει τῶν νεωτέρων, ἵνα πολλάκις ἀκούοντες τῶν ἐπῶν ἐκμανθάνωμεν τὴν ἔχθραν τὴν ὑπάρχουσαν πρὸς αὐτούς, καὶ ζηλοῦντες τὰς ἀρετὰς τῶν στρατευσαμένων τῶν αὐτῶν ἔργων ἐκείνοις ἐπιθυμῶμεν. Ebenso glaube ich, dass die Dichtung Homers ein größeres Ansehen auch deswegen erhalten hat, da dieser in ehrender Art diejenigen, die gegen die Barbaren gekämpft hatten, gelobt hat. Ich denke, dass deswegen unsere Vorfahren dazu veranlasst wurden, seiner Kunst einen Ehrenplatz bei den Musikwettbewerben und bei der Erziehung unserer Jugend einzuräumen, damit uns durch wiederholtes Anhören der Verse die Feindschaft, die [5] zwischen jenen und uns erwachsen ist, im Gedächtnis bleibt. Ebenso soll uns durch das Nacheifern der Tugenden von denjenigen, die in dem Troischen Krieg gekämpft haben, das Verlangen nach ähnlichen Taten wie diesen ins Herz übergehen.
Lykurg. Leokr. 102
5
114 115
βούλομαι δ᾽ ὑμῖν καὶ τὸν Ὅμηρον παρασχέσθαι ἐπαινῶν. οὕτω γὰρ ὑπέλαβον ὑμῶν οἱ πατέρες σπουδαῖον εἶναι ποιητὴν ὥστε νόμον ἔθεντο καθ᾽ ἑκάστην πεντετηρίδα τῶν Παναθηναίων μόνου τῶν ἄλλων ποιητῶν ῥαψῳδεῖσθαι τὰ ἔπη, ἐπίδειξιν ποιούμενοι πρὸς τοὺς Ἕλληνας ὅτι τὰ κάλλιστα τῶν ἔργων προῃροῦντο. εἰκότως· οἱ μὲν γὰρ νόμοι διὰ τὴν συντομίαν οὐ διδάσκουσιν ἀλλ᾽ ἐπιτάττουσιν ἃ δεῖ ποιεῖν, οἱ δὲ ποιηταὶ μιμούμενοι τὸν ἀνθρώπινον βίον, τὰ κάλλιστα τῶν ἔργων ἐκλεξάμενοι, μετὰ λόγου καὶ ἀποδείξεως τοὺς ἀνθρώπους συμπείθουσιν.
Hierfür könnte auch die knappe Notiz bei Aristot. fr. 637 Rose, Z. 20 f., dass Peisistratos die Panathenäen insgesamt begründet habe, sprechen; vgl. SCHORN 2005, 247. Die Schlussfolgerungen von SHAPIRO 1993, 103 f. sind insofern vielleicht etwas zu optimistisch.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
119
Ich möchte auch Homer loben und seine Dichtungen euch anempfehlen. Eure Väter nämlich hielten ihn für einen so großen ernsthaften Dichter, dass sie ein Gesetz erließen, dass alle vier Jahre an den Panathenäen die Epen ausschließlich dieses statt aller anderen Dichter von Rhapsoden vorgetragen werden sollten. Damit wollten sie den Griechen zeigen, dass sie den schönsten Heldentaten den Vorrang gaben. [5] Mit Recht: Durch ihre Knappheit belehren uns die Gesetze nämlich nicht, sondern befehlen lediglich, was man tun soll. Die Dichter aber überreden die Menschen mithilfe der Sprache und ihrer Darstellung, indem sie das menschliche Leben nachbilden und die schönsten Taten auswählen. Diese Stimmen des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts betonen ganz allgemein, dass die Alten die panathenäische Homerrezitation eingeführt hätten (Isokr. Z. 2–4, Lykurg. Z. 1–3). Zudem benennt insbesondere Isokrates auch die adhortative und gemeinschaftsstiftende Funktion, welche diese öffentlichen Homerrekurse nicht nur zur Zeit des vierten vorchristlichen Jahrhunderts, sondern auch schon zu Beginn dieser Einrichtung gehabt habe. Dabei parallelisiert Isokrates in intentionaler Weise den als Kampf gegen die Barbaren stilisierten Troischen Krieg mit zeitgenössischen Gefahren (Z. 4–6). Den panathenäischen Homerrekursen käme insofern eine integrative Funktion in Bezug auf den gesamten attischen demos zu. Das alles erinnert der Zielrichtung nach an die intentionalen Homerrekurse von Kallinos oder Tyrtaios, wenngleich diese aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im öffentlichen, sondern im exklusiven sympotischen Raum dargeboten worden sind. Ob nun allerdings die panathenäische Homerrezitation tatsächlich von Anfang an die von Isokrates propagierte Funktion gehabt hat, auch das muss mangels Referenzquellen vorerst offen bleiben. In jedem Fall aber bestünde in solch einer adhortativen Funktion der panathenäischen Homerrekurse eine Alternative zu den rein philanthropischen Bildungsaspekten, die im Hipparchos-Dialog betont werden. Fest steht also immerhin, dass in diesem Punkte der pseudoplatonische Sokrates sein hipparchisches Herrscherbild in affirmativer Weise einengt, was zu dessen übergeordneter argumentativer Grundtendenz passt. Darüber hinaus scheint es vor dem Hintergrunde des besagten Vasenfundes nicht ganz unwahrscheinlich, dass der pseudoplatonische Sokrates seinem Hipparchos Lorbeeren anheftet, die diesem nicht gebühren. Peisistratos selbst erscheint daher als alternativer Initiator der panathenäischen Homerrezitation. Fasst man nun diese komplexe Befundlage zusammen, so wird zweierlei deutlich. Erstens ist auf Basis des vorhandenen Quellenmaterials unklar, wer die Homerrezitation als zentrales Element der Großen Panathenäen eingeführt hat. Hinter Hipparchos als Urheber des panathenäischen Homers steht aufgrund des stilisierten pseudoplatonischen Narrativs ein großes Fragezeichen. Als mögliche Ergänzung könnte man auf Basis spärlich überlieferter historischer Materialien Peisistratos als Initiator des panathenäischen Homers in Betracht ziehen. Genaueres lässt sich aber nicht aussa-
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
gen. Zweitens steht hinter der angeblichen Bildungsfunktion der panathenäischen Homerrezitation, so wie das der pseudoplatonische Sokrates wortreich betont, ein noch größeres Fragezeichen. Hier geben die attischen Redner eine alternative Deutung. Sie betonen eine adhortative und kohäsive Funktion der Homerrekurse in Bezug auf den demos, die auch in der Frühzeit der panathenäischen Homerrezitation bestanden habe. Ob dem allerdings tatsächlich gut 200 Jahre vor den attischen Rednern so gewesen sein mag oder ob sie einfach ihre zeitgenössischen Zustände auf die Vergangenheit projizieren, das ist auch in diesem Falle mangels Referenzquellen nicht zu beurteilen. Auch im Rahmen der panathenäischen Homerrezitation lassen die zur Verfügung stehenden Quellen also keine befriedigende Aussage über die Rezeptionsmechanismen des Homerischen während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts zu. Nun schließlich zu dem zweiten überlieferten öffentlichen Homerrekurs des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Herodot berichtet über die Rezeption von Homerischem unter dem Orthagoriden Kleisthenes von Sikyon im Rahmen von dessen kriegerischen Auseinandersetzungen mit Argos: Hdt. V 67 Κλεισθένης γὰρ Ἀργείοισι πολεμήσας τοῦτο μὲν ῥαψῳδοὺς ἔπαυσε ἐν Σικυῶνι ἀγωνίζεσθαι τῶν Ὁμηρείων ἐπέων εἵνεκα, ὅτι Ἀργεῖοί τε καὶ Ἄργος τὰ [πολλὰ] πάντα ὑμνέαται· Nachdem Kleisthenes mit den Argiviern den Krieg begonnen hatte, verbot er den Rhapsoden, in Sikyon Wettkämpfe mit Bezug auf die Dichtungen Homers abzuhalten, weil nämlich dort überall die Argivier und Argos besungen würden. Das Verbot, Homerisches während Wettkämpfen zu rezitieren, wird mit einer angeblich prominenten Rolle des sikyonischen Kriegsgegners Argos in den Epen begründet. Es ist eine Maßnahme mit anti-argivischer Stoßrichtung von vielen, die Kleisthenes auf den Weg gebracht haben soll. So berichtet Herodot ebenfalls davon, wie der Tyrann trickreich den Adrastos-Kult aus Sikyon verbannt habe, da der Kultspender ein Argiver gewesen sein soll. Schließlich habe Kleisthenes die Namen der bestehenden alten dorischen Phylen geändert, da diese synonym ebenso in Argos bestanden hätten116. Würden die Angaben Herodots stimmen, so bestünde in der Nicht-Rezitation der Epen eine intentionale Homerrezeption ab altera parte. Gerade weil auf Homerisches nicht rekurriert und die in den Epen überlieferte Stärke Argos’117 auf diese Weise
116 117
Hdt. V 68. Überlegungen, was das konkret alles umfasst haben könnte, finden sich bei CINGANO 1985.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
121
verschwiegen worden wäre, hätte das sikyonische Gemeinschaftsgefühl eine Stärkung in adhortativer Weise erfahren. Auf diese Weise würde den Epen eine kohäsive Funktion zugesprochen, und zwar in Bezug auf den gesamten demos, als dessen Beschützer im Kriege der herodoteische Kleisthenes auftritt. Diese populäre Ausrichtung der sikyonischen Homerrezeption passte gut zu dem gleichsam populären Tyrannentopos der erzählenden Quellen des vierten vorchristlichen Jahrunderts118. Hinter dieses einseitige Tyrannenbild hat neuerdings de Libero ein großes Fragezeichen gesetzt119. Das Wenige, das wir von Kleisthenes und seinen Vorgängern wissen, spricht dafür, dass die Orthagoriden aristokratischer Herkunft gewesen sind, die ihr Prestige, ganz dem adeligen Wertekanon entsprechend120, aus Kriegszügen oder Siegen bei athletischen Wettkämpfen bezogen haben. So habe Orthagoras sich als Polemarch in einem Kriegszug gegen die sikyonische Nachbarstadt Pellene engagiert121 und Myron, Sohn des Andreas und wahrscheinlich Bruder des Orthagoras122, habe einen olympischen Wagensieg davongetragen123. Augenscheinlich aber wird das aristokratische Selbstverständnis Kleisthenes’ in der Hochzeitsepisode, die Herodot erzählt124. So habe der Tyrann, nachdem er selbst einen olympischen Wagensieg erreicht hat, 13 aristokratische Freier aus ganz Griechenland zur Brautwerbung um seine Tochter Agariste eingeladen. Diese mussten demnach ihre aristokratische Vornehmheit ein Jahr lang in verschiedenen Disziplinen sowohl beim Sport als auch vor allem während des Symposions unter Beweis stellen, woraufhin Kleisthenes schließlich den Alkmaioniden Megakles erwählt habe125. Die Parallelen mit homerischen Erzählungen in Bezug auf die Freiung Helenas durch Menelaos am tyndarischen Hofe sind augenscheinlich126. Auch wenn manch einer die herodoteische Erzählung als novellistisch überhöht verwirft127 – die allgemeine Tendenz von Tyrannen, ihre Herrschaft durch eine Allianzen schmie118
119 120 121 122 123 124 125 126 127
Siehe allgemein Aristot. pol. 1310b 12–31, in Bezug auf die Orthagoriden siehe 1315b 12–20; auch Herodots Beurteilung der tyrannischen Herrschaft Peisistratos’ ist aus ähnlichen Gründen prinzipiell wohlwollend, vgl. Hdt. I 59, 6 und V 55, ähnlich [Aristot.] Ath. pol. 16 und Thuk. VI 54, 5–7. Dieser populären Lesart der kleisthenischen Tyrannis folgen im Grunde BERVE 1967, 27 f. und ANDREWES 1956, 57 f. Einen exzellenten Überblick über die verschiedenen Strömungen der älteren und neueren Tyrannis-Forschung gibt LIBERO 1996, 12–17; zur aristotelischen Tyrannentopik vgl. a. a. O., 183 f. So mit Vehemenz LIBERO 1996, 205; etwas moderater GEHRKE 1986, 40–43, 139 f. und OSBORNE 1996, 192–197; neuerdings STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 251–255. Vgl. grundlegend STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 104–122. POxy XI 1365; vgl. RUDOLPH 1971, 80; DREWS 1972, 134 f.; GRIFFIN 1982, 47 f.; LIBERO 1996, 183; als unhistorisch erachtet diese Angabe hingegen ANDREWES 1956, 57. Ich folge dem Orthagoriden-Stemma von PARKER 1992, 166. Paus. VI 19, 2; vgl. LIBERO 1996, 182 mit weiterer Literatur. Vgl. LIBERO 1996, 193 f. Hdt. VI 126–131. Zur Datierung der Hochzeit samt möglicher politischer Implikationen vgl. McGREGOR 1942, 273 f.; neuerdings hierzu LOLOS 2011, 62. Vgl. McGREGOR 1942, 269 f.; ANDREWES 1956, 61 und insbesondere STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 118 f. So wohl zuerst GROTE 1851, 38 f.
122
4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
dende Heiratspolitik abzusichern, ist generell belegt128. Ebenso wurde im vorhergehenden Kapitel ausführlich dargelegt, in welchem Maße früharchaische Aristokraten auf Homerisches rekurriert haben, um ihre eigene exklusive Stellung gegenüber dem demos oder anderen Hetairien zu legitimieren129. Man kann unter diesem politischen Vorzeichen – der Monopolisierung der politischen Macht auf den Tyrannen – schließlich auch die vieldiskutierte, despektierliche Umbennung der alten dorischen Phylen durch Kleisthenes erfassen130. Herodots Schilderung einer homerisierten Brautfreiung am kleisthenischen Hofe als Metapher einer tyrannischen Vorherrschaft fiele insofern überhaupt nicht aus dem Rahmen. Wenn man nun auf das Verbot der Homerrezitation zurückkommt, so spannt sich vor der Hintergrundfolie einer permanent vonstatten gehenden Desintegration der Orthagoriden aus der sikyonischen Aristokratie eine alternative Interpretation des kleisthenischen Verbots der Homerrezitation: Indem durch das Verbot potenziell pro-argivisches Gedankengut aus der städtischen Öffentlichkeit verschwindet, wird die Kampfmoral des sikyonischen demos gegenüber dem feindlichen Argos gestärkt, was in letzter Konsequenz den Sieg des tyrannischen Herrschers bedingen kann. Die (Nicht-) Rezitation von Homerischem hätte in dieser Denkart keineswegs eine integrative Funktion in Richtung des sikyonischen demos, sondern würde die kleisthenische Alleinherrschaft stützen. Dieser Gedanke erhält umso höheres Gewicht, als Kleisthenes – so muss man aus Herodot schließen – mit der Verbindung tragischer Chöre mit dem sikyonischen Dionysos-Kult eine Alternative zu den abgeschafften Homerrezitationen eingeführt hat131. Diese kleisthenische Form der Homerrezeption würde die bei Mimnermos und Alkaios vorgefundenen Muster einer exklusiv-aristokratischen Homerrezeption dahingehend auf die Spitze treiben, dass der intentionale Rekurs auf Homerisches die Herrschaft des einzelnen Tyrannen stützte. Doch auch in diesem Fall kann man die Frage, welchen sozialen Zweck die kleisthenische Homerrezeption letztlich gehabt hat, mangels Referenzquellen nicht eindeutig klären.
128 129 130
131
Dies ist z. B. in Bezug auf Kylon und Peisistratos bezeugt; siehe Thuk. I 126, 3 und Hdt. I 61, 1. Siehe S. 85–89. Vgl. grundlegend GEHRKE 1986, 36 f. und 42. Die früheren sozio-ethnischen Erklärungsversuche von BERVE 1967, 29; ANDREWES 1956, 58 f.; BOCKISCH 1976, 533 gehen mit der Kritik von KINZL 1979, 303–305 fehl; siehe hiernach grundlegend WELWEI 1998, 82 f. und LIBERO 1996, 196; analog PARKER 1994, 404–412; neuerdings STEIN-HÖLKESKAMP 2013, 104–107 und dies. 2015, 258–261. Hdt. V 67. Vgl. LIBERO 1996, 201 f. nach KOLB 1977, 123; zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 258 f.
4.2 Kritik der erzählenden Quellen
123
4.2.3 Ergebnisse der Quellenkritik Fasst man diese komplexe Befundlage zusammen, so wird folgendes deutlich: Es besteht bei allen betrachteten erzählenden Quellen ab Herodot Konsens darüber, dass Homerisches im sechsten vorchristlichen Jahrhundert eine integrative Funktion in Bezug auf den demos gehabt habe. Der Historiograph betont dies in Bezug auf eine anti-argivische Kulturpolitik des sikyonischen Tyrannen Kleisthenes ganz deutlich, ebenso der pseudoplatonische Sokrates hinsichtlich einer bildungspolitischen Zielen folgenden hipparchischen Homerrezitation. Doch auch die bei Aristoteles, Dieuchidas und Plutarch kolportierte Vorstellung, dass Homerisches im Rahmen territorialer Auseinandersetzungen um Sigeion und Salamis als Argument für die Durchsetzung athenischer Ziele gebraucht worden sei, setzt eine tiefe soziale Verankerung der Epen im gesamten attischen demos voraus; sonst würde eine solche Argumentation ihrer Grundlage entbehren. Doch bei diesem scheinbar geschlossenen Gesamtbild ist Vorsicht geboten. Herodots Behauptung, dass Peisistratos Homerisches als argumentum ex auctoritate im Rahmen des Sigeion-Krieges vor einem periandrischen Schiedsgericht angeführt habe, gerät aufgrund chronologischer Inkonsistenzen in Bezug auf den übergeordneten Plot grundsätzlich in Verruf. Noch komplizierter gestaltet sich die Lage hinsichtlich der angeblichen Homermanipulation durch Solon im Rahmen der athenisch-megarischen Auseinandersetzungen um Salamis. Auch hier ergeben sich erhebliche chronologische Probleme bezüglich der bei Plutarch fasslichen Rahmenerzählung um die Kriegshandlung selbst, die eine Beteiligung Solons höchst fragwürdig erscheinen lassen. Dies alles wird durch die augenscheinlich politische Motivierung des Interpolationsvorwurfs gegenüber dem Gesetzgeber durch den Megarer Dieuchidas verschärft. Nicht besser ist die historische Aussagekraft des pseudoplatonischen Sokrates zu beurteilen, der von der Installierung der panathenäischen Homerrezitation unter Hipparchos berichtet. Dessen Darstellung einer rein philanthropischen Gesichtspunkten folgenden tyrannischen Kulturoffensive ist erheblich rhetorisiert; Hipparchos selbst als Initiator der panathenäischen Rezitation erscheint vor dem Hintergrunde spärlich überlieferter Referenzquellen als fraglich. Schließlich ist das herodoteische Bild eines Kleisthenes von Sikyon, der das Rezitationsverbot von Homerischem nur deshalb durchsetzt, um den demos gegenüber dem feindlichen Argos zu stärken, ein Fragezeichen zu setzen. Letztlich würde der Tyrann mit einer solchen Maßnahme, wenn sie denn zum Sieg verhelfen sollte, in letzter Konsequenz seine eigene Macht stärken, zumal der Orthagoride gleichzeitig mit tragischen Chören eine Art Gegenkultur installiert. Mit diesem letzten Gedanken offenbart sich eine Alternative hinsichtlich der Funktion des Homerischen während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Der intentionale Rekurs auf die Epen würde demnach nicht in erster Linie der Integration des demos dienen, sondern die distinktiven Tendenzen, wie sie zuvor in der homerischen Demodokos-Episode und bei den früharchaischen Lyrikern Mimnermos und Alkaios
124
4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
offenbar wurden, auf den Tyrannen zuspitzen: Seine Vorherrschaft würde gesichert. Wenn also tatsächlich unter Peisistratos Homerisches vor einem periandrischen Schiedsgericht angeführt worden ist, dann um die Herrschaft des Tyrannen gegenüber der aristokratischen Konkurrenz in Athen zu stärken. Analoges würde für eine Argumentation Pesistratos’ vor einem spartanischen Schiedsgericht gelten – Solon sollte tatsächlich aufgrund chronologischer Unwägbarkeiten ausscheiden. Schließlich wäre auch eine panathenäische Homerrezitation als eine Stütze der Tyrannenherrschaft in Athen zu interpretieren. Ob dabei nun Peisistratos oder seine Söhne als maßgebliche Beteiligte aufgetreten sind, sei dahingestellt. All diese tyrannischen Homerrekurse fänden allerdings im öffentlichen Rahmen statt und würden insofern einer Verbreitung des Homerischen jenseits aristokratischer Kreise Vorschub leisten. Auf diese Weise trüge in letzter Konsequenz eine tyrannische Homerrezeption nolens volens zu einer Kohäsion des demos bei. All diese Gedanken stellen eine Alternative zu der populären Homerrezeption, wie sie die späten erzählenden Quellen suggerieren, dar. Sie sind vorerst Hypothese und müssen sich nun gegenüber den einzig überlieferten lyrischen Quellen für die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts – das sind Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos – als tragfähig erweisen. 4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos Man kann das, was uns hinsichtlich der lyrischen Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrunderts aus erster Hand überliefert ist, in zwei Bereiche gliedern. Zuerst sind die Quellen zu nennen, die man gemeinhin mit tyrannischen Kontexten verbindet. Dies betrifft besonders die ibykische Ode an Polykrates132 sowie den Apollon-Hymnos133, den die neuere Forschung mit den samischen Delia kurz vor dem abrupten Ende der polykrateischen Tyrannis in Bezug setzt134. Sodann ist Stesichoros zu nennen, der bei manchen als Kitharöde in der Tradition Terpanders gilt und der mythische Narrative im gesamten griechischen Raume verbreitet habe135. Da sowohl der Apollon-Hymnos als auch Stesichoros in der neueren Forschung um Janko, Burkert,
132 133 134 135
POxy 1790 frr. 1–3, 10, 12 + 2081 (f) = 282 PMG. Hom. Hymn. III Allen-Halliday-Sikes. Vgl. BURKERT 1979; hierauf basierend ders. 1987, 212–215; unabhängig davon JANKO 1982, 112–115; später M. L. WEST 1999, 368–372. Vgl. knapp WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1913, 239, Anm. 3; grundlegend BARRETT 1968; hiernach M. L. WEST 1971, 307–313 und GENTILI 1983, 197–199; neuerdings D’ALFONSO 1994, 73–76. und GOSTOLI 1998; Stesichoros als Chordichter verteidigt hingegen CINGANO 1993; hiernach zuletzt FINGLASS 2014, 30–32.
125
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
West und Pallantza ausgiebig diskutiert worden sind136, möchte ich mich im Folgenden zuerst auf Ibykos konzentrieren. Hierauf folgen Überlegungen zu den stesichoreischen Narrativen sowie zum Apollon-Hymnos. Am Ende steht dann der Vergleich mit dem Bild, das die ausführlich dargelegten erzählenden Quellen von der Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts zeichnen. Auch in diesem Abschnitt geht es nun zuerst um die grundsätzliche Frage, wer sich wo und zu welchem Zweck des Homerischen bedient hat. 4.3.1 Die ibykische Ode an Polykrates Anfang des letzten Jahrhunderts wurden zwei Oxyrhynchus-Papyri veröffentlicht, die seitdem gemeinhin mit der Tätigkeit Ibykos’ von Rhegion am Hofe des samischen Tyrannen Polykrates in Verbindung gebracht werden137: POxy 1790 frr. 1–3, 10, 12 + 2081 (f) = 282 PMG
5
136 137
138 139
οἳ κ]138αὶ Δαρδανίδα Πριάμοιο μέ-[ γ᾽ ἄσ]139τυ περικλεὲς ὄλβιον ἠνάρον Ἄργ]οθεν ὀρνυμένοι Ζη]νὸς μεγάλοιο βουλαῖς
[ἀντ.
ξα]νθᾶς Ἑλένας περὶ εἴδει δῆ]ριν πολύυμνον ἔχ[ο]ντες πό]λεμον κατὰ [δ]ακρ[υό]εντα, Πέρ]γαμον δ᾽ ἀνέ[β]α ταλαπείριο[ν ἄ]τα χρυ]σοέθειραν δ[ι]ὰ Κύπριδα·
[ἐπ.
Siehe S. 124, Anm. 134 und PALLANTZA 2005, 83–115. So bereits in der editio princeps POxy 15 (1922) ad 1790 sowie 17 (1927) ad 208; hiernach WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 512f; PAGE 1951; BOWRA 1961, 250–257; SNELL 1965, 119 f.; SISTI 1967; FRÄNKEL 1969, 328, Anm. 23; BARRON 1969, 132 f.; GIANOTTI 1973; GENTILI 1978, 394 f.; WOODBURY 1985, 206–218; MacLACHLAN 1997, 191 f.; BONANNO 2004 und GIANNINI 2004. Vgl. hiergegen die grundsätzlichen Überlegungen von MAAS 1922, 578. suppl. MURRAY ap. ed. pr. suppl. MAAS 1922, 577; hingegen WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 508; zusammenfassend BARRON 1969, 127.
126 10
4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
νῦ]ν δέ μοι οὔτε ξειναπάτ[α]ν Π[άρι]ν ἔστ]140 ἐπιθύμιον οὔτε τανί[σφ]υρ[ον ὑμ]νῆν Κασσάνδραν Πρι]άμοιό τε παίδας ἄλλου[ς
[στρ.
Τρο]ίας θ᾽ ὑψιπύλοιο ἁλώσι[μο]ν ἆμ]αρ ἀνώνυμον, οὐδ᾽ ἐπ[ελεύσομαι141 ἡρ]ώων ἀρετὰν ὑπ]εράφανον οὕς τε κοίλα[ι
[ἀντ.
νᾶες] πολύγομφοι ἐλεύσα[ν Τροί]αι κακόν, ἥρωας ἐσθ[λούς· τῶν] μὲν κρείων Ἀγαμέ[μνων ἆρχε Πλεισθ[ενί]δας βασιλ[εὺ]ς ἀγὸς ἀνδρῶν Ἀτρέος ἐσ[θλοῦ π]άις ἔκγ[ο]νος.142
[ἐπ.
καὶ τὰ μὲ[ν ἂν] Μοίσαι σεσοφι[σ]μέναι εὖ Ἑλικωνίδ[ες] ἐμβαίεν λόγω[ι, θνατ[ὸ]ς δ᾽ οὔ κ[ε]ν ἀνὴρ διερὸς τὰ ἕκαστα εἴποι,
[στρ.
[ἀντ.
30
ναῶν ὅ[σσος ἀρι]143θμὸς ἀπ᾽ Αὐλίδος Αἰγαῖον διὰ [πό]ντον ἀπ᾽ Ἄργεος ἠλύθο[ν ἐς Τροία[ν ἱπποτρόφο[ν, ἐν δ]ὲ144 φώτες
[ἐπ.
35
χ]αλκάσπ[ιδες, υἷ]ες Ἀχα[ι]ῶν· τ]ῶν μὲν πρ[οφ]ερέστατος α[ἰ]χμᾶι …].πόδ[ας ὠ]κὺς Ἀχιλλεὺς καὶ μέ]γας Τ[ελαμ]ώνιος ἄλκι[μος Αἴας …]…[…]λο[.]. υρος·
15
20
25
140 141 142 143 144
suppl. MAAS 1922: ἦν. suppl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 509. suppl. BARRON 1969, 128. suppl. a. a. O., 129. suppl. a. O.
127
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
40
45
…κάλλι]στος ἀπ᾽ Ἄργεος …Κυάνι]ππ[ο]ς ἐς Ἴλιον145 ] ].. [.]…
[στρ.
καὶ Ζεύξιππος, ὃν] ἁ χρυσόστροφ[ος146 Ὕλλις ἐγήνατο, τῶι δ᾽ [ἄ]ρα Τρωίλον147 ὡσεὶ χρυσὸν ὀρειχάλκωι τρὶς ἄπεφθο[ν] ἤδη
[ἀντ.
Τρῶες Δ[α]ναοί τ᾽ ἐρό[ε]σσαν μορφὰν μάλ᾽ ἐΐσκον ὅμοιον. τοῖς μὲν πέδα κάλλεος αἰέν148 καὶ σύ, Πολύκρατες, κλέος ἄφθιτον ἑξεῖς ὡς κατ ἀοιδὰν καὶ ἐμὸν κλέος.149
[ἐπ.
[Anzahl der fehlenden Strophen unbekannt] die gro[ße], berühmte und reiche / [St]adt des Dardaniden Priamos zerstörten, / die zogen von [Arg]os aus / gemäß dem Willen des gewaltigen [Ze]us, / die h[a]tten den vielbesungen [St]reit / [5] über die Schönheit der [bl]onden Helena / in dem [Kr]ieg, der [t]ränen[er]stickt war, / und das [U]nglück sti[e]g hinauf zum vielgeprüfte[n] [Bur]gberg Troias / we[g]en Kypris mit den [gol]denen Haaren. [10] [ Jetz]t aber [ist] mir weder danach, den Betrüg[e]r des Gastfreundes, P[ar]is, / noch Kassandra mit den schmalen [Kn]öchel[n] / oder [Pri]amos’ übrig[e] Kinder / oder den [T]ag der Erobe[ru]ng / des hochtorigen [Tro]ias / [15] im [Preis]lied zu besingen. Ich
145 36 et 37 suppl. BARRON 1969, 129. 146 Zur Restaurierung der letzten Strophe und Antistrophe vgl. grundlegend BARRON 1961; ähnlich mit einer Änderung in Z. 39 ders. 1969, 130 f. Die hier abgedruckte Fassung folgt den letzteren Überlegungen. Die Betonung des putativen, eher blassen mythischen Königs Zeuxippos als Heerführer der Sykionier vor Troia steht im Widerspruch zu Hom. Il. II 572, wo diese Streitmacht einen Teil des Aufgebots Agamemnons darstellt. Diese eher ungewöhnliche Akzentuierung veranlasst BARRON 1964, 224 f. und dens. 1969, 131 f. und 137 f. zur nicht anderweitig begründbaren Vermutung, dass Ibykos vor seiner Überfahrt nach Samos in den Diensten des sykionischen Tyrannen Kleisthenes gestanden habe. 147 Zur Textform vgl. BARRON 1969, 131; zur Bedeutung der gesamten Phrase vgl. WOODBURY 1985, 201–203. 148 Ich folge den Überlegungen bzgl. einer fraglichen Punktuation am Zeilenende von WOODBURY 1985, 203 f. mit weiterer Literatur. 149 marg. sin. finem notat coronis.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
werde auch nicht jenen unendlich / großen Verdienst der [He]lden [künden], / welche die [vi]elfach verpflockten und hohl[en] [Schiffe] / als Unglück [Troi]as in sich truge[n], die herr[lichen] Helden: / [20] [sie], die der Befehlshaber und Pleisth[eni]de Agame[mnon] / anführte, der Herr[sch]er, der Ordner der Männer, / der lei[b]liche [Na]chkomme des Ed[len] Atreus. / Das könnten die Helikonisch[en] Musen, gew[i]tzt wie sie sind, / erzählend künden; / [25] j[e]doch der sterbli[ch]e Mensch könnte / all diese Dinge nicht lebhaft erzählen: / w[elche Anz]ahl an argivischen Schiffen von Aulis / durch das Ägäische [Me]er / anka[m] in Troia[s] / [30] Rossezuchtlan[d, darin] die Helden, / die mit [E]rzschi[lden] bewehrt waren, die [Söh]ne Acha[i]as. / [D]eren Ge[schi]cktester mit dem S[p]eer / […]. Der gesch[wind]e Achilleus / [und der gro]ße T[elam]on-Sohn, der wehrhaf[te Aias] / [35] [ein Vers verstümmelt] / […] [und als schön]ster aus Argos / [ … Kyani]pp[o]s nach Ilion / […] / […] / [40] [und Zeuxippos, den] die mit dem goldenen Gürt[el], / Hyllis, geboren hatte, dem [nä]mlich / pflegten die Troer und D[a]rdaner den Troilos / hinsichtlich körp[e]rlicher Anmut sehr ähnlich zu finden, / gleichwie das dreifach / geläuter[te] Gold dem Bergkupfer. [46] Ihnen gehört für immer die Verbindung zur Schönheit. / Auch du, Polykrates, wirst unvergänglichen Ruhm besitzen, wie im Lied auch mein Ruhm vorhanden ist. Der Liedanfang ist verschollen. Überliefert sind 48 triadisch strukturierte Verse, die weitgehend daktylisch gedichtet sind150 und die insofern entfernt an den epischen Hexameter erinnern. Sprachlich nimmt das Gedicht verbreitet die Dorismen und Äolismen der homerischen Kunstsprache auf151. Weisen daher die metrischen wie auch dialektalen Formalia auf die Rezeption von Homerischem hin152, so werden diese Rekurse inhaltlich vollends offensichtlich. In den erhaltenen Versen berichtet das lyrische Ich vom Aufbruch der achaiischen Streitmacht aus Argos, um Helenas Raub mit Aphrodites Hilfe zu rächen und Priamos’ Troia zu zerstören (Z. 1–9)153. In der zweiten erhaltenen Triade scheint der Schwerpunkt des lyrischen Ichs zu wechseln. In einer weit ausholenden praeteritio betont es, gerade nicht mehr von der Tugend homerischer Helden (ἀρετὴ ἡρώων, Z. 16) singen zu wollen. Die Begründung für diese thematische Schwerpunktverlagerung wird in der folgenden Triade gegeben. Dabei rekurriert das lyrische Ich in bezeichnender Weise auf den Beginn des Schiffskatalogs,
150 151 152 153
Vgl. grundlegend PAGE 1951, 161 f.; hiernach ähnlich SISTI 1967, 66–68.; zusammenfassend BARRON 1969, 125–127. Vgl. PAGE 1951, 162 f.; ähnlich SISTI 1967, 68–70 und BARRON 1969, 124 f. Vgl. WiLAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 508 f.; zusammenfassend SISTI 1967, 70–74 mit einer ausführlichen Darlegung der Homerismen. Zu möglichen Übernahmen von den Kyprien vgl. BARRON 1969, 133.
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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dessen Argumentation es für seine Belange umdeutet154. Im homerischen Prätext werden die olympischen Musen aufgefordert, der persona loquens bei der Nennung der achaiischen Anführer zu helfen, da sie selbst sich dazu ob deren schierer Anzahl nicht imstande sieht155. Auch in dem hier interessierenden Bezugstext wird angeführt, dass die – hier helikonischen156 – Musen erzählen mögen, wie groß die Anzahl an achaiischen Schiffen, die von Aulis nach Troia gefahren ist, gewesen sei. Auch die Begründung hierfür erinnert grosso modo an die homerische Vorlage: Das lyrische Ich könne als sterblicher Mensch (θνατὸς ἀνήρ) all das kaum flüssig erzählen (Z. 23–35, Zitat Z. 25). Die Konsequenzen, die aus diesem Unvermögen gezogen werden, unterscheiden sich jedoch grundlegend. Die homerische persona loquens beginnt nach dem Musenanruf in dem Wissen auf göttliche Unterstützung mit der Darlegung des eigentlichen Schiffskatalogs157. Das lyrische Ich des Bezugstexts hingegen widmet sich in der letzten verbleibenden Triade einem anderen Thema. Es wendet in einer Klimax den Blick in die es unmittelbar umgebende Gegenwart: So apostrophiert es in direkter Anrede einen nicht näher definierten Polykrates und prophezeit ihm unvergänglichen Ruhm (κλέος ἄφθιτον, Z. 47), an dessen Fortbestand das lyrische Ich auch seine persönliche Berühmtheit (ἐμὸν κλέος, Z. 48) heftet. Diese chiastisch arrangierte Epanalepse betont formal die symbiotische Beziehung, die zwischen dem Ruhme Polykrates’ sowie demjenigen des lyrischen Ichs besteht: Der eine bedarf in Ruhmesfragen des anderen und umgekehrt. Auf diese Weise stellt die persona loquens insgesamt eine poetische Aufgabenteilung zwischen Musen und sterblichen Menschen her: Erstere verkünden mythischen, letztere menschlichen Ruhm158. Dass die Trennung zwischen diesen beiden Bereichen allerdings nicht grundsätzlich ist, zeigt ein Blick auf die Art und Weise, wie die ruhmvolle Sonderstellung des Polykrates begründet wird. Die Ursache hierfür nämlich liegt gemäß dem lyrischen Ich in der übermäßigen Schönheit (κάλλος, Z. 46) des Gepriesenen. Diese Eigenschaft verdeutlicht es, indem es, glaubt man Barrons detaillierter Rekonstuktion der stark fragmentierten letzten Triade159, auf die mythischen Helden Kyanippos, Zeuxippos und Troilos als Exempla verweist (Z. 36–43). Alle drei Heroen sind für ihre Jugend und Schönheit bekannt160, was ihre Wahl als Vergleichsmaßstab für Polykrates offenkundig sinnfällig macht. Betrachtet man die Vorgehensweise des lyrischen Ichs im Vergleich zur homerischen Vorlage, so fällt eine zweifache Paradigmenverschiebung auf. Erstens wird der
154 155 156 157 158 159 160
Hierzu grundlegend BARRON 1969, 133 f. Hom. Il. II 484–93. Analog Hes. theog. 1. Zu möglichen Anleihen bei Hesiod vgl. BARRON 1969, 134. Hom. Il. II 491 f. So ähnlich WOODBURY 1985, 200 f. Siehe S. 127, Anm. 146. Vgl. grundlegend BARRON 1969, 130; noch detaillierter WOODBURY 1985, 201 mit Literaturangaben. Die Schönheit als Vergleichsmaßstab zwischen Polykrates und den mythischen Helden betont bereits, trotz eigenwilliger Textrekonstruktion, FRÄNKEL 1962, 328 f.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
Mythos nicht mehr um seiner selbst willen dargelegt. Vielmehr hat er nun die explizite Funktion, menschliche Eigenschaften gezielt hervorzuheben. Auf diese Weise wird er zum Steigbügelhalter einer als mindestens ebenbürtig eingestuften außerliterarischen Realität. Die homerischen Helden gerinnen zur funktionalen Referenzfolie einer Gegenwart, die potenziell mit der eigentlich als unerreichbar geltenden161 mythischen Vergangenheit in Sachen κλέος mindestens gleichziehen kann. Das lyrische Ich erinnert insofern intentional, als es eine soziale Sonderstellung des apostrophierten Polykrates mithilfe des Homerrekurses herstellt. Diese funktionale Paradigmenverschiebung erfordert – zweitens – eine Neubewertung der Dichterrolle. Der Dichter definiert sich nicht mehr als bloßes Sprachrohr einer höheren, göttlichen Wahrheit162. Stattdessen emanzipiert er sich in Richtung eines Vermittlers zwischen Geschichte und Gegenwart, indem er demjenigen mythisch erhöhten Ruhm zuteilwerden lässt, dem dieser gebührt. Daher erscheint der Dichter als zentraler Fixpunkt: Ohne ihn gibt es auch keine Ehrbekundungen. Es ist dieses egozentrische Selbstverständnis des Dichters, das aus der letzten Zeile des Liedes spricht. Insofern ist die Tytsache, dass alles in einer Klimax auf das dichterische κλέος hinausläuft, sicherlich kein Zufall163. Es wurde bereits zu Beginn darauf hingeweisen, dass gemeinhin der in Zeile 47 genannte Polykrates mit dem gleichnamigen samischen Tyrannen und das lyrische Ich mit dem westgriechischen Dichter Ibykos gleichgesetzt werden164. Tatsächlich ist des letzteren Aufenthalt auf Samos testimonisch in der Suda belegt. Der Dichter sei demgemäß während der 54. Olympiade (564–561 v. Chr.) auf die Insel gekommen, während ὁ Πολυκράτης τοῦ τυράννου πατήρ [sic!] auf Samos geherrscht und der lydische König Kroisos gelebt habe165. Doch die Dinge sind bei Weitem nicht so einfach. Der Forschung haben nämlich die besagten dreifachen chronologischen Angaben sehr viele Kopfschmerzen bereitet, zumal sie auf die Frühzeit der samischen Tyrannis, die sich sowieso nur tentativ rekonstruieren lässt, verweisen. Einerseits weist die genannte 54. Olympiade tatsächlich auf die allgemein akzeptierte chronographische Datierung Kroisos’ in diese Zeit hin166; insofern bestünde wenigstens in diesem Punkte innerhalb des Suda-Eintrags eine gewisse Kohärenz167. Andererseits widerspricht die Bemerkung, dass Ibykos in der ersten Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts auf Samos angekommen sei, einer späteren Datierung Hieronymos-Eusebios’, der den floruit des Dichters in die 59. oder 60. Olympiade da-
161 162 163 164 165 166 167
Hes. op. 156–178. Vgl. Hom Il. I 1–7; analog Hes. theog. 1–4; 22 f. Vgl. WOODBURY 1985, 204 f. Siehe S. 125, Anm. 137. Sud. s. v. Ibykos Adler 80 = Ibyk. TA1 PMGF. Euseb. chron. Karst 32f., 151 und 188 f. Zur Kroisos-Chronologie vgl. WEISSBACH 1931, 457; zur eusebischen Abhängigkeit von der herodoteischen Rekonstruktion der lydischen Herrschaftsabfolge vgl. grundlegend STRASBURGER 1956, 139 f. und 143–151. Vgl. SISTI 1967, 92 f.
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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tiert – die überlieferten Handschriften variieren bezüglich des genauen Datums168. Dies entspräche den 540er Jahren v. Chr. und korrespondierte dem Grundsatz nach mit den Angaben Herodots bezüglich der aiakidischen Samtherrschaft über Samos samt der darauffolgenden polykrateischen Alleinherrschaft. Der zentrale chronologische Ankerpunkt besteht in diesem Zusammenhang in dem von Sparta und Korinth unterstützten Aufstand samischer Aristokraten gegen Polykrates, den Herodot synchron zu Kambyses’ Feldzug gegen Ägypten ansetzt169. Letzteren kann man recht sicher in die Jahre 525/524 v. Chr. datieren170. Diese herodoteische Polykrates-Chronologie findet sich später auch bei Thukydides wieder171. Den Beginn der aikadischen Samtherrschaft, über dessen konkreten Zeitpunkt Herodot sich nicht auslässt172, muss man folgerichtig vor diesem Datum ansetzen. Die communis opinio rekonstruiert diesen Zeitpunkt nun unter Bezugnahme des wahrscheinlichen Todeszeitpunkts Polykrates’ im Jahre 522 v. Chr. sowie den eusebischen Angaben über die Dauer der samischen Thalassokratie in das Jahr 538 v. Chr.173, während die polykrateische Tyrannis ab dem Jahre 533 v. Chr. begonnen habe. Diese Datierung ist nicht frei von Schwierigkeiten174, zumal in der Forschung beredte Uneinigkeit darüber herrscht, ob eine Tyrannis auf Samos bereits schon vor der Samtherrschaft Polykrates’ mit seinen Brüdern bestanden haben könnte175. Im Rahmen der hier interessierenden Frage kann man jedoch festhalten, dass eine Verortung Ibykos’ in die 540er Jahre v. Chr. am ehesten zu der herodoteisch-thukydideischen Polykrates-Chronologie passen würde. Der Verweis der Suda, dass Ibykos während der 54. Olympiade nach Samos gekommen sei, widerspricht diesem Befund. Viel hängt nun davon ab, wie man mit der Zeitangabe, dass Ibykos ein Zeitgenosse von ὁ Πολυκράτης τοῦ τυράννου πατήρ [sic!] gewesen sei, umgeht. Diese Angabe ist offensichtlich korrupt. Sollte, was rein grammatikalisch möglich ist, das Genitivattribut τοῦ τυράννου in attributiver Stellung das Substantiv πατήρ näher beschreiben, so
168 169 170 171 172 173 174 175
Hier. chron. a. Abr. Ol. LIX Helm 103b = Ibyk. TA2 PMGF; analog zu dieser Datierung Kyrill. c. Iulian. I 13 Migne 521b. Zu dieser Gemengelage vgl. grundlegend MOSSHAMMER 1979, 290–304, insb. 300–303; kritisch hierzu WOODBURY 1985, 218–220. Hdt. III 39–44. Vgl. STRASBURGER 1956, 138. Thuk. I 13, 6.; ebenso Clem. Alex. strom. I 65, 2. Hdt. III 39. Über die genaueren Zusammenhänge der polykrateischen Usurpation informiert Polyain. I 23, 2. Euseb. chron. Karst 106; vgl. BERVE 1967, 107 f.; LABARBE 1974, 41. Vgl. zusammenfassend LENSCHAU 1952, 1727–1729. Vgl. grundlegend M. WHITE 1954; SISTI 1966; MITCHELL 1975, 81–85; hiernach ähnlich, wenn auch im Detail unterschiedlich, WOODBURY 1985, 206–218; SHIPLEY 1987, 74–80. Radikal erscheint BARRON 1964, 210–229, der eine bis in das erste Drittel des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ragende samische Tyrannendynastie, in der zudem Polykrates einen homonymen Vater gehabt haben soll, vermutet; hiergegen allerdings die substantielle Kritik von M. L. WEST 1970, 206–209. Vgl. die detaillierte Argumentation von LIBERO 1996, 253–59; analog zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2013, 108 f. und dies. 2015, 230 f.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
müsste ein Artikel konjiziert werden: ὁ Πολυκράτης τοῦ τυράννου πατήρ176. Die historischen Konsequenzen, die sich aus dieser eher kleinen textkritischen Maßnahme entspönnen, wären allerdings umso tiefgreifender. Der bekannte Tyrann hätte in dieser Lesart nunmehr einen homonymen Vater, was allerdings gegen die herodoteische Aiakiden-Genealogie sprechen würde177. Eine zweite Lesweise ist aber ebenso möglich. So könnte man die fragliche Zeitangabe auch derart emendieren, dass Ibykos zur Zeit von ὁ τοῦ τυράννου πατήρ nach Samos gekommen wäre178. Dann wäre die herodoteische Chronologie mit der Genealogie des samischen Herrschers prinzipiell übereinzubringen und man könnte unter Einbeziehung von Eusebios’ Datierung des ibykischen floruit von einer Protegierung des Dichters durch Polykrates ausgehen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Allein auf Basis des Suda-Artikels lassen sich keine tragfähigen Aussagen über das chronologische Verhältnis zwischen Polykrates, seinem Vater und Ibykos treffen179, zumal dessen Quellengrundlage fehlerhaft ist. So hat Labarbe mit gewichtigen Argumenten gezeigt, dass der besagte Eintrag abhängig von einer in anderen Quellen verbreiteten Frühdatierung von Polykrates’ akme in die erste Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ist. Diese chronologische Zuschreibung beruhe allerdings im Kern auf einer semantischen Fehlinterpretation der Verbalform γέγονε. Diese könne in den chronographischen Quellen nicht nur die akme, sondern auch den Geburtstag denotieren, was irgendwann offenbar verwechselt worden sei und zu einer Vordatierung Polykrates’ um 40 Jahre geführt habe180. Es verwundert insofern nicht, dass eine Frühdatierung Ibykos’ samt der Annahme eines älteren Tyrannen namens Polykrates, wie sie die erste Lesweise des Suda-Artikels nahelegt, auch mit dem Hinweis auf eine Fülle von Referenzquellen181 nicht belastbar ist182. Gewichtiger nun sind allerdings die Argumente, die neuerdings D’Alfonso hervorgebracht hat. So sei die Präsenz Ibykos’ am Hofe des Polykrates durch ein persisches Gedicht aus dem 11. Jahrhunderts erwiesen. Letzteres wiederum ist von dem 176 177 178 179 180 181
182
Vgl. BARRON 1964, 223. Hdt. II 182; III 39. So bereits früh FLACH 1884, 524; später SCHMID-STÄHLIN 1959, 490; PAGE 1951, 170; M. L. WEST 1970, 208; WOODBURY 1985, 208. Anderweitige Emendationen referiert LABARBE 1962, 181, Anm. 105. So bereits grundlegend MAAS 1922; später allerdings mit schwächerem Urteil ders. 1955. Vgl. LABARBE 1962, 181 f.; hiernach LIBERO 1996, 258 f. Eine Zusammenfassung bei SISI 1966; ähnlich BARRON 1964, 219–222. Hierbei spielt insbesondere das enigmatische, da stark fragmentierte Him. or. 29, 22–31 Colonna, das die Existenz zweier Polykrates nahelegt, eine Rolle. Die Aussagekraft dieser Quelle ist allerdings eher gering, vgl. grundlegend M. L. WEST 1970, 207 f.; WOODBURY 1985 und neuerdings LIBERO 1996, 257 f. Aus diesem Grunde erscheint auch die These von BOWRA 1934a und PAGE 1951, 170–172, dass Polykrates einen gleichnamigen Sohn gehabt habe, an den die ibykische Ode gerichtet gewesen sei, als nicht tragfähig. Vgl. die hervorragende Zusammenfassung bei WOODBURY 1985, 209–218; ähnlich neuerdings LIBERO 1996, 253–259.
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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stark fragmentiert erhaltenen Panthenope-und-Metiochos-Roman aus dem ersten nachchristlichen Jahrhunderts abhängig und ergänzt dessen spärlich überlieferten Teile183. Das Personaltableau, das man aus dem persisch-griechischen Gesamttext herauslesen kann, spiegelt nun grundsätzlich das Umfeld des herodoteischen Polykrates wider184, auch wenn diese literarischen Verarbeitungen sich nicht exakt an die personalen und chronologischen Vorgaben des historiogaphischen Prätextes halten185. Dies alles mag darauf hindeuten, dass die herodoteische Polykrates-Chronologie auch während der römischen Kaiserzeit einige Relevanz gehabt hat, sodass die genannte erste Lesart der Suda oder ihrer Quelle Hesychios – ὁ Πολυκράτης τοῦ τυράννου πατήρ – vollkommen aus der Regel fällt. Die zweite Lesart, dass Ibykos zur Zeit von ὁ τοῦ τυράννου πατήρ nach Samos gekommen sei, wird daher zwingend. Der von der Suda angegebene Zeitpunkt, dass dies alles in der 54. Olympiade geschehen sei, ist mit guten Gründen zu verwerfen, da er auf einer falschen Rekonstruktion der polykrateischen Herrschaftschronologie beruht186. Was also vom Suda-Eintrag bleibt, ist die Information, dass Ibykos zu Lebzeiten von Polykrates’ Vater nach Samos gekommen ist. Dies muss knapp vor Beginn der aiakidischen Tyrannis der Fall gewesen sein; eine exaktere Datierung ist nicht möglich. Auch wenn diese komplizierte Rekonstuktion von Ibykos’ Schaffen auf Samos notgedrungen recht tentativ ist: Sie passt zu den textlichen Bobachtungen. Ein mäzenatisches Verhältnis, wie es aus dem Lied deutlich wird, ist sehr wohl zwischen Ibykos und dem Tyrannen denkbar. Beachtet man diesen historischen Kontext, so erhält auch die besagte Referenz auf den Schiffskatalog eine weitaus tiefere Bedeutungsebene, als nur das Lob irgendeines Polykrates vorzubereiten. Man mag hier eine außerliterarische Referenz auf die zunehmende Stärke der samischen Flotte unter Polykrates erkennen187. Bedenkt man diese funktionale Mehrdimensionalität der ibykischen Homerismen, so erscheint das Urteil der älteren Forschungsliteratur, die Ode sei „spiritless and trivial“188, grundsätzlich als verfehlt. Stattdessen bedient sich der Dichter des tradierten epischen Materials, um einen eigenen poetischen Schwerpunkt zu setzen. Sein Ziel besteht in erster Linie darin, mit Bezug auf Homerisches das κλέος ἄφθιτον
183 184 185 186 187 188
Vgl. D’ALFONSO 1995, 56–69; die Textausgabe des Romans samt hervorragendem Kommentar neuerdings bei STEPHENS 1995, 72–95. Hdt. III 123–125 und 140–151. Man beachte insbesondere den sprechenden Namen Pantheope, der gänzlich zu der Jungfräulichkeit der herodoteischen Tochter Polykrates’, die bei dem Historiographen anonym ist, passt. Vgl. D’ALFONSO 1995, 69–73; zusammenfassend STEPHENS 1995, 79 f. Die Anwesenheit Anaximanders am polykrateischen Hof ist umstritten, vgl. LABARBE 1962, 156 f. Siehe S. 130, Anm. 165. So vollkommen zu Recht SNELL 1965, 120 f. Zur polykrateischen Flottenpolitik vgl. LIBERO 1996, 262–268 mit weiterer Literatur. So grundlegend PAGE 1951, 165; ähnlich FRÄNKEL 1962, 327 f.
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seines Mäzenen Polykrates bewusst zu betonen189. Die tyrannische Unsterblichkeit macht er dabei selbstbewusst abhängig von seinem eigenen poetischen Schaffen: Der Dichter erschafft die Exklusivität des Tyrannen190; dichterischer und herrscherlicher Ruhm gehen dabei notwendigerweise eine symbiotische Beziehung ein191. Man kann daher vollkommen zu Recht sagen, dass die ibykische Ode an Polykrates eines der ersten überlieferten Beispiele für ein Enkomion darstellt192. Dass Ibykos ausgerechnet die Schönheit als das tertium comparationis zwischen Polykrates und den mythischen Helden anführt, ist insofern nicht verwunderlich193, als er damit auf ein zentrales Element des aristokratischen Tugendkatalogs rekurriert194. In dieser Hinsicht ginge die ibykische Ode an Polykrates über die auf eine Distinktion abzielenden Mechanismen einer aristokratischen Homerrezeption, wie sie während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts deutlich geworden sind, hinaus, da sie eine einzelne Person, nicht eine Gruppe, als außergewöhnlich definiert. Als Fixpunkt der ibykischen Homerrezeption ist daher der Tyrann identifiziert; ihr Ziel besteht darin, dem Alleinherrscher zu huldigen. Wo war ihr sozialer Ort? Generell betont die Forschung, dass die Ode im geschlossen Raum des samischen Hofes aufgeführt worden ist195 – trotz ihrer triadischen Struktur, die eher auf das gemeinhin als populär eingestufte Genre der Chorlyrik hinweist196. Diese Einschätzung lässt sich auch textlich belegen. So erinnert die Apostrophe Polykrates’ (Z. 47) an die direkte Kommunikation zwischen Dichter und Symposiasten, wie sie bei den früharchaischen Lyrikern konstatiert worden ist197. Manch einer stellt sich darüber hinaus Ibykos als
Vgl. grundlegend zu dieser historischen Interpretation, auch wenn hier seine außerliterarisch-chronologischen Überlegungen nicht geteilt werden, BARRON 1969, 136–138; ähnlich WOODBURY 1985, 195–206 mit einer berechtigen Kritik an einer rein poetologischen Deutung der Ode durch BOWRA 1961, 249–253 und SISTI 1967, 77–79 auf Basis der Vermutungen zu zwei ibykischen Schaffensperioden durch SCHNEIDEWIN 1833, 38–40; zusammenfassend MacLACHLAN 1997, 191–193. 190 Man beachte die Ähnlichkeiten in poetologischer Hinsicht bei Pind. paian. VIIb und in der simonideischen Plataiai-Elegie. Vgl. SNELL 1965, 122 f. Siehe hierzu auch S. 180 f. 191 Eine ironisierende Distanzierung des Dichters von Polykrates, die MÜLLER-GOLDINGEN 2001, 25 f. postuliert, lässt sich daher nicht erkennen. 192 So bereits PAGE 1951, 165; ähnlich GIANOTTI 1973, 408–410; GENTILI 1978, 396; neuerdings CINGANO 1995. Zum Genre des enkomion vgl. grundlegend GENTILI 1983, 175–179. 193 So die fehlgehende Einschätzung von MAAS 1922, 578. 194 Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 104–110. Vgl. auch das bei Athen. deipn. XIII 564 = Ibyk. fr. 288 Page überlieferte ibykische enkomion an einen gewissen Euryalos, der ebenfalls aufgrund seiner Schönheit gepriesen wird; hierzu GENTILI 1983, 183 f. 195 Vgl. PAGE 1951, 165; SNELL 1965, 121; GIANOTTI 1973, 419 und GENTILI 1978, 394. 196 Zur Einordnung der Ode in die Chorlyrik vgl. SCHMID-STÄHLIN 1959, 492; ähnlich BOWRA 1961, 251. Zu einem strikten Öffentlichkeitsbezug der Chorlyrik im Gegensatz zu einem eher privaten Bezugsrahmen monodischer Dichtung vgl. beispielsweise LATACZ 1998, 320–323 und 362 f. Gegen diese Dichotomie hinsichtlich des pragmatischen Bezugsrahmens wendet sich grundlegend M. DAVIES 1988 mit einer Diskussion der älteren Literatur; ähnlich HARVEY 1955; HASLAM 1974; LEFKOWITZ 1988; PFEIFFER 1978, 282 f. 197 Vgl. grundlegend RÖSLER 1980, 37–41. 189
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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wandernden Kitharöden demodokeischer Prägung198 vor, der sich seine Meriten an verschiedenen tyrannischen Höfen verdiente199. Man kann diesbezüglich nur Vermutungen anstellen. Für diese Einschätzung sprechen die geographische Lage der für Ibykos gesicherten Orte wie Rhegion und Samos200, aber auch Parallelen zu Stesichoros201. Sicher hingegen ist, dass das Symposion am polykrateischen Hofe den sozialen Ort der ibykischen Homerrezeption darstellt. Zieht man an dieser Stelle ein erstes Zwischenfazit, so scheint sich die oben aufgestellte Hypothese, dass während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts Homerisches rezipiert worden sei, um im öffentlichen Rahmen die exklusive Stellung des Tyrannen zu zementieren, wenigstens teilweise zu bestätigen. Das Ziel von Ibykos ist es tatsächlich, das polykrateische κλέος ἄφθιτον mithilfe eines Rekurses auf Homerisches gebührlich zu würdigen. Anders als ursprünglich angenommen, besteht allerdings der Ort der ibykischen Ode nicht in einem öffentlichen Rahmen, sondern in der sozialen Abgeschiedenheit des tyrannischen Hofes. Hätte man also nur Ibykos vor Augen, so spiegelten dessen Mechanismen der Homerrezeption nahezu deckungsgleich die Rekurse wider, wie sie beim homerischen Demodokos sowie bei den früharchaischen Lyrikern Mimnermos und Alkaios vorgefunden worden sind. Indem der ibykische Homerrekurs sich auf die Einzelperson Polykrates fokussiert, geht er sogar noch über den Zweck einer auf die Distinktion einer sozialen Gruppe ausgerichteten, aristokratischen Homerrezeption hinaus. 4.3.2 Die stesichoreischen homerischen Narrative Man darf allerdings die ibykische Ode an Polykrates nicht isoliert im Kontext der archaischen Homerrezeption sehen. Es wurde bereits auf Stesichoros, der nur tentativ in das frühe sechste vorchristliche Jahrhundert datiert werden kann202, hingewiesen. Dieser Dichter ist nach neueren Funden erheblich fragmentierter Texte203 verstärkt in den Fokus der Forschung geraten. Dabei sind insbesondere die narrative Komple198 Hom. Od. VIII 261–264; analog Phemios in XXIII 143–149. 199 Vgl. grundlegend VETTA 1999, 208–215, insb. 211–213 und M. DAVIES 1988, 53 f. 200 Vgl. BOWIE 2009, 122–125.; ähnlich FINGLASS 2014, 24 f. Vielleicht hat Ibykos, wie BARRON 1964, 224 f. betont, tatsächlich in Sikyon gewirkt, siehe S. 127, Anm. 146. Dies würde zum Bild eines wandernden Kitharöden passen. 201 Vgl. ROSSI 1983, 21–24. 202 Zu dieser schwierigen Diskussion vgl. zusammenfassend FINGLASS 2014, 1–6 mit weiterer Literatur; Grundsätzliches zur Biographie weiterhin bei M. L. WEST 1971, 302–307. 203 So insbesondere die Orestie, die Nostoi, die Geryoneis, die Iliu persis, die Helene, schließlich die Thebais. Zur komplexen Publikationsgeschichte der neueren stesichoreischen Fragmente vgl. die detaillierte Zusammenfassung von FINGLASS/KELLY 2015b mit weiterer Literatur. Die bis heute vorgefundenen Fragmente liegen neuerdings samt ausführlichem Kommentar bequem bei DAVIES/FINGLASS 2015, 97–511 vor.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
xität der stesichoreischen Dichtungen204 samt einem durchaus souverän zu nennenden Umgang mit dem homerischen Mythos betont worden205. Letzteres ergibt sich schon aus den einschlägigen Namen – bespielsweise die Iliupersis, das Hölzerne Pferd, die Helena mit der oder den berühmten Palinodie(n)206 – aber auch in inhaltlichen207 wie formalen208 Detailbeobachtungen. Diese engen Bezüge wurden auch schon von den Alten festgestellt; immerhin soll Stesichoros laut Simonides „wie Homer“ zu den Menschen gesungen haben 209. Die Forschung hat nun verschiedentlich versucht, aus der Art und Weise der stesichoreischen Anleihen am Mythos Rückschlüsse auf die Aufführungsorte des Dichters zu ziehen. Dies wird dadurch begünstigt, dass für Stesichoros rein testimonisch eine Fülle von Aufenthaltsorten – ausschließlich in den westgriechischen Kolonien – überliefert ist210, was manche als Hinweis auf Stesichoros’ Tätigkeit als Wanderdichter sehen211. Bereits früh wurde auf Basis verschiedener Anhaltspunkte in Bezug auf die Orestie eine engere Verbindung des Dichters mit Sparta vermutet212. Insbesondere die Umdeutung der Helenafigur im Rahmen der Palinodie – so sei nicht die Gemahlin des spartanischen basileus Menelaos, sondern ihr Eidolon nach Troia entführt worden; der Troische Krieg mithin Helena nicht anzulasten213 – wird mit einem Aufenthalt des Dichters in Lakonien in Verbindung gebracht. Eine moralische Entlastung Helenas habe nämlich im Interesse Spartas gelegen, wo sich
204 Die Angabe bei Sud. s. v. Stesichoros Adler 1094, dass das stesichoreische Werk in 26 Rollen dokumentiert sei, ist kaum verifizierbar, allerdings scheint allein die Geryoneis wenigstens 1300 Verse zu umfassen; die Thebais war wohl ähnlich lang, vgl. DAVIES/FINGLASS 2014, 244 und FINGLASS 2015, 89. Letzterer gibt darüber hinaus einen konzisen Überblick über die Elemente stesichoreischer Narrativität; ähnlich ders. 2013. 205 Siehe zuletzt KELLY 2015, 34–44 und FINGLASS 2014, 32–39; zuvor maßgeblich PALLANTZA 2005, 90–123; aber auch BOWIE 2012b; MAINGON 1980; SANTINI 1970; FRÄNKEL 1962, 319–321 und PEEK 1958, 173. 206 Vgl. hierzu grundlegend KELLY 2007; zum Problem der Palinodie(n) vgl. PALLANTZA 2005, 98–122 und DAVIES/FINGLASS 2014, 308–312. 207 Siehe beispielsweise die Analogien zwischen Stes. fr. 15, 5–12 PMGF sowie Hom. Il. XII 322–8; vgl. KELLY 2015, 41 f. 208 Vgl. grundlegend zum stesichoreischen Metrum nach wie vor HASLAM 1974; zu möglichen homerischen Anklängen vgl. FINGLASS 2014, 50 f. 209 Siehe Athen. deipn. 4, 172e = Simonides fr. 564, 4 PMG; ähnlich äußern sich Anonymus Περὶ ῎Υψους 13, 3; Herakl. Pont. fr. 157 Wehrli; Paus. IX 11, 2; Dion. Hal. comp. 24; [Plut.] de mus. 7; vgl. zusammenfassend PALLANTZA 2005, 91, Anm. 4. 210 Das betrifft Himera oder Metauros gemäß Sud. s. v. Stesichoros Adler 1095; Schol. Pind. Ol. 12; St. Byz. s. v. Matauros; Aristot. rhet. 1393b und Poll. IX 199 Bethe II 275. Auf das epizephyrische Lokroi weist Aristot. rhet. 1394b-1395a hin. Nach Katane verweisen Anth. Pal. 7, 75 und Phot. lex. Naber I 52. Vgl. die umfassende Darstellung bei M. L. WEST 1971, 302–305; neuerdings FINGLASS 2014, 6–18 mit weiterer Literatur. Zu den besagten Siedlungen aus historisch-archäologischer Perspektive MERTENS 2006, 190–192, 39 f., 59–61, 40–43 mit umfassender Literatur. 211 Vgl. BURKERT 1987, 210; ähnlich ARRIGHETTI 1994, 30. Zu archaischen Wanderdichtern vgl. BOWIE 2009. 212 Vgl. bereits früh WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1931, 113 und grundlegend BOWRA 1934b, 116 f. 213 Zum Text vgl. DAVIES/FINGLASS 2014, 312–516.
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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in früharchaischer Zeit ein Kult um die Lokalheroine etabliert hat214. Auch wenn man immerhin feststellen kann, dass die stesichoreischen Narrative einer spartanisch-dorischen Interpretation des homerischen Mythos wenigstens entsprechen215 – Sicheres bezüglich eines stesichoreischen Aufenthaltes in Sparta lässt sich mangels eindeutiger Referenzquellen nicht sagen216. Es fehlt in den uns überkommenen Fragmenten schlicht an klaren deiktischen Verweisen, die Hinweise auf eine konkrete außerliterarische Zielgruppe bieten217. Auffallend ist ganz im Gegenteil, dass Stesichoros Homerisch-Mythisches anscheinend um seiner selbst willen narrativ entfaltet. So findet sich in seinem gesamten uns überkommenen Werk weder eine Betonung aristokratischer aretai noch eine Fokussierung einer noblen Genealogie und erst recht keine Anrede eines hervorragenden Individuums wie bei dem ibykischen Enkomion auf Polykrates. Diese Feststellung führt zu der komplizierten Frage, in welchem Rahmen die stesichoreischen Narrative aufgeführt worden sein könnten. Die Suda betont, dass der Dichter epodisch gedichtet habe, was auch in der Formel τὰ τρία τῶν Στησιχόρου deutlich werde218. Manch einer interpretiert dies dahingehend, dass Stesichoros als Vertreter einer späteren Chorlieddichtung in alkmäischer Manier gewirkt habe, zumal sein Name sprechend sei und manche Fomulierung innerhalb der überlieferten Fragmente auf diese Eigenschaft hinweise219. All das wurde bereits früh kritisch hinterfragt220. So spreche allein die schiere Länge der Narrative gegen den Einsatz eines Chores221. Stattdessen stellt man sich Stesichoros als Kitharöden vor222, der allenfalls von einem stummen, tanzenden Chor analog zu demjenigen des homerischen Demodokos begleitet worden sein mag223. Wie dem auch sei: Unabhängig von einer fraglichen Chorbegleitung wird man sich Burkerts weiteren Schlussfolgerungen wohl kaum entziehen können: Gerade eine naheliegende szenische Gestaltung der stesichoreischen Narrative224 ist prädestiniert für deren Performance in öffentlichen Kontexten225.
So bereits früh SEELIGER 1886, 8f; PREMERSTEIN 1896, 634; grundlegend BOWRA 1934b, 115–117; später ROSSI 1983, 24 f.; analog M. L. WEST 1968. 215 So vollkommen zu Recht MALKIN 1994, 32. 216 Vgl. die grundsätzliche Kritik bei PALLANTZA 2005, 105–111 und FINGLASS 2014, 25–29. 217 So BURKERT 1987, 210. 218 Sud. s. v. τρία Στησιχόρου Adler 943. 219 Vgl. grundlegend BURKERT 1987, 209 f. und mit verschiedenen textuellen Beobachtungen CINGANO 1993. 220 Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1913, 238; neuerdings FINGLASS 2015, 75 die vollkommen zu Recht auf die Überschneidungen zwischen Epik und stesichoerischer Lyrik hinweist. 221 Vgl. BARRET 1968, 22 f. 222 Vgl. grundlegend M. L. WEST 1971, 307–313 und GENTILI, 1983, 197 f.; neuerdings GOSTOLI 1998 und FINGLASS 2014, 30–32. 223 Hom. Od. VIII 261–264; analog Phemios in XXIII 143–149. 224 Vgl. BURKERT 1987, 210 f. 225 So grundlegend, wenn auch im Einzelfall recht hypothetisch, BURNETT 1988, 141–147; CINGANO 1993, 356–361; D’ALFONSO 1994; neuerdings FINGLASS 2014, 29 f. 214
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Hierfür bedarf es allerdings erst einmal, so banal das auch klingen mag, einer Öffentlichkeit, die wenigstens in Ansätzen einen im Weber’schen Sinne verstandenen „Anstaltscharakter“ besitzt – also einen gewissen Grad an sozialer und politischer Konsolidierung des demos, der sich als eigenständige, soziopolitisch relevante Kraft unabhängig von einer politisch vorherrschenden aristokratischen Elite zu begreifen beginnt226. Meier spricht in diesem Zusammenhang von einer Institutionalisierung „bürgerliche[r] Gegenwärtigkeit“227. Dies war insbesondere in den Kolonien, die sich ab Mitte des achten vorchristlichen Jahrhunderts im gesamten Mittelmeerraum ausbreiteten, der Fall. Gemeinhin interpretiert man diese logistischen Großprojekte mit guten Gründen als das Ergebnis gemeinschaftlichen Handelns, auch wenn ein aristokratischer oikist mit den planerischen Aufgaben betraut gewesen sein mag228. Man geht daher davon aus, dass die Kolonien gleichsam als politische Laborräume einen erheblichen Anteil an der polis-Genese gehabt haben, und zwar – aufgrund von Rückwirkungen auf die Mutterstädte229 – im gesamten griechischen Kulturraum230. An anderen Orten zeigt diese „bürgerliche Gegenwärtigkeit“ bereits ihre Spuren in politicis. So bezeugt die spartanische Große Rhetra, sei ihr präziser Inhalt auch im Detail schwer rekonstruierbar, frühe Institutionalisierungsstendenzen des damos , dem nun auch Rechtsprechungskompetenzen zuteil werden231. Das Ziel, die Σπάρτης ἱμερόεσσα πόλις232 gemeinschaftlich zu schützen, wurde gerade auch in der tyrtaiischen arete-Elegie, die in der vorhergehende Fallstudie ausführlich analysiert worden ist, über die Maßen deutlich233. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Stesichoros, der seine mythischen Narrative an ein breiteres Publikum richtet, gerade mit diesen in politischer Hinsicht vergleichsweise weit institutionalisierten poleis der westlichen Kolonien sowie Sparta in Verbindung
226 Vgl. WEBER 1922, 782 f.; vgl. zu diesem gesamten Prozess grundlegend Ch. MEIER 1980a, 51–90 und MARTIN 1976, 154–160; analog GEHRKE 1986, 34–45. 227 Vgl. Ch. MEIER 1980a, 82. 228 Vgl. beispielhaft den Beschluss der Theraier über die Aussendung einer Kolonie in MEIGGS/LEWIS 1989 [= ML], Nr. 5, Z. 23–51; analog Hdt. IV 153 ff. Hierzu zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 104 f. Wie sehr eine Kolonie auf die Belange eines auf Öffentlichkeit bedachten Miteinanders geplant und realisiert worden ist, zeigt paradigmatisch Megara Hyblaea; vgl. MERTENS 2006, 63–72. 229 Vgl. MALKIN 2013, 377 f. mit weiterer Literatur. 230 Plut. Lyk. 6 und Tyrt. fr. 14 G.-P.; vgl. grundlegend Ch. MEIER 1980a, 58–61; analog GEHRKE 1983, 39 f.; zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 119–121. 231 Plut. Lyk. 6; ebenso Tyrt. fr. 14 G.-P. Vgl. M. MEIER 1998, 186–207 mit ausführlicher Literatur. Ähnliche Institutionalisierungs- wie Rechtsprechungstendenzen finden sich auch in Dreros oder Chios, aber auch im Rahmen der drakontischen Blutgesetzgebung in Athen, siehe ML Nr. 2 und 8 sowie IG I3 104. Vgl. zu diesem ganzen Komplex der polis-Bildung neuerdings GEHRKE 2013. Siehe ebenfalls S. 156–175. 232 Tyrt. fr. 1b G.-P., Z. 4 und Tyrt. fr. 14 G.-P., Z. 4. 233 Siehe S. 82 f.
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gebracht wird234. Deren Konsolidierungsgrad an „bürgerlicher Gegenwärtigkeit“ im späten siebten und frühen sechsten vorchristlichen Jahrhundert jedenfalls böte überhaupt die Grundlage für die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen oder Feste235, in deren Rahmen die stesichoreischen Dichtungen hätten dargeboten werden können. Man mag aus diesem Grunde tatsächlich davon ausgehen, dass Stesichoros als wandernder Kitharöde seine überaus populären Sujets dem breiteren Publikum verschiedener poleis präsentiert hat. Dabei mag wohl – ohne dass man daraus auf eine Auftragsdichtung schließen kann – auch das spartanische Publikum eine besondere Rolle gespielt haben. Immerhin stimmt beispielsweise die stesichoreische Interpretation des homerischen Mythos, dass Agamemnon in Lakonien zu lokalisieren sei236, mit den ab dem siebten vorchristlichen Jahrhundert verstärkt festzustellenden Tendenzen Spartas, den homerischen Mythos für sich zu vereinnahmen237, überein. Nun zu einem zweiten Zwischenfazit: Wenn alle der hier geäußerten Gedanken ihre Richtigkeit haben, so rezipierte auch Stesichoros Homerisches in intentionaler Weise, da er augenscheinlich die Erwartungshaltung seines Publikums bediente. So erfüllt der Dichter die auch anderweitig festzustellende besondere Verbindung Spartas mit Agamemnon. In zweierlei Hinsicht würde sich allerdings diese Art der Homerrezeption von der ibykischen Ode an Polykrates unterscheiden. Zuerst dienten die stesichoreischen Homerrekurse der sozialen Kohäsion des demos, nicht der Heroisierung eines Tyrannen. Zudem scheint die Performance des Homerischen nach allem, was man aus den Fragmenten herauslesen kann, im öffentlichen Raume vorgegangen zu sein. Der letzte Punkt stellt ein Novum im Rahmen aller bisher betrachteten Beispiele von Homerrezeption, die aller Wahrscheinlichkeit nach in sympotischen Kontexten stattgefunden haben, dar. Zwischen den beiden Polen einer aristokratischen und einer bürgerschaftsorientierten Zielrichtung im Rahmen tyrannischer Symposien und öffentlicher Feste scheint die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrunderts ingesamt zu oszillieren. Beide Formen korrespondieren mit den sozio-politischen Entwicklungen, die sich im Griechenland des siebten und sechsten vorchristlichen Jahrhunderts generell abzeichnen.
234 Siehe S. 136, Anm. 210. Vgl. hierzu auch die Auflistung der wenigen Testimonien, die musische agone in archaischer Zeit bezeugen, bei HERINGTON 1985, 163–166. 235 Beispiele hierfür bei ROSSI 1983, 16–19. 236 Schol. Eurip. Or. 46 = Stes. fr. 216 PMG. Die homerischen Epen selbst sind in der Verortung Agamemnons uneindeutig. Hom. Il. II 107 und IX 141 verbinden ihn mit Argos, VII 180 und IX 44 hingegen mit Mykenai; in Hom. Od. III 286 ff. schließlich kehrt Agamemnon an das lakonische Kap Malea zurück. 237 Vgl. zusammenfassend THOMMEN 2000, 46 f.
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4.3.3 Der Apollon-Hymnos Nun schließlich zum Apollon-Hymnos. Bereits früh wurde dessen inhaltliche Zweiteilung festgestellt238. Der erste Teil legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf den delischen Apollon und zeichnet den Weg von der Auswahl der Kykladeninsel als dessen Geburtsort bis zu seiner Wanderschaft über die gesamte Erde nach (Z. 1–178). Bekanntheit hat dieser Teil insbesondere durch seinen Epilog erhalten: Hom. Hymn. III Allen-Halliday-Sikes 140
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Αὐτὸς δ᾽, ἀργυρότοξε, ἄναξ ἑκατηβόλ᾽ Ἄπολλον, ἄλλοτε μέν τ᾽ ἐπὶ Κύνθου ἐβήσαο παιπαλόεντος, ἄλλοτε δ᾽ ἂν νήσους τε καὶ ἀνέρας ἠλάσκαζες. πολλοί τοι νηοί τε καὶ ἄλσεα δενδρήεντα· πᾶσαι δὲ σκοπιαί τε φίλαι καὶ πρώονες ἄκροι ὑψηλῶν ὀρέων ποταμοί θ᾽ ἅλαδε προρέοντες· ἀλλὰ σὺ Δήλῳ, Φοῖβε, μάλιστ᾽ ἐπιτέρπεαι ἦτορ, ἔνθα τοι ἑλκεχίτωνες Ἰάονες ἠγερέθονται αὐτοῖς σὺν παίδεσσι καὶ αἰδοίῃς ἀλόχοισιν. οἱ δέ σε πυγμαχίῃ τε καὶ ὀρχηθμῷ καὶ ἀοιδῇ μνησάμενοι τέρπουσιν, ὅτ᾽ ἄν στήσωνται ἀγῶνα. φαίη κ᾽ ἀθανάτους καὶ ἀγήρως ἔμμεναι αἰεί, ὃς τόθ᾽ ὑπαντιάσει᾽, ὅτ᾽ Ἰάονες ἀθρόοι εἶεν· πάντων γάρ κεν ἴδοιτο χάριν, τέρψαιτο δὲ θυμὸν ἄνδρας τ᾽ εἰσορόων καλλιζώνους τε γυναῖκας νῆάς τ᾽ ὠκείας ἠδ᾽ αὐτῶν κτήματα πολλά. πρὸς δὲ τόδε μέγα θαῦμα, ὅου κλέος οὔποτ᾽ ὀλεῖται, κοῦραι Δηλιάδες, ἑκατηβελέταο θεράπναι· αἵ τ᾽ ἐπεὶ ἂρ πρῶτον μὲν Ἀπόλλων᾽ ὑμνήσωσιν, αὖτις δ᾽ αὖ Λητώ τε καὶ Ἄρτεμιν ἰοχέαιραν, μνησάμεναι ἀνδρῶν τε παλαιῶν ἠδὲ γυναικῶν ὕμνον ἀείδουσιν, θέλγουσι δὲ φῦλ᾽ ἀνθρώπων. πάντων δ᾽ ἀνθρώπων φωνὰς καὶ βαμβαλιαστὺν μιμεῖσθ᾽ ἴσασιν· φαίη δέ κεν αὐτὸς ἕκαστος φθέγγεσθ᾽· οὕτω σφιν καλὴ συνάρηρεν ἀοιδή.
Vgl. grundlegend RUHNKEN 1782, 7 f.
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ἀλλ᾽ ἄγεθ᾽ ἱλήκοι μὲν Ἀπόλλων Ἀρτέμιδι ξύν, χαίρετε δ᾽ ὑμεῖς πᾶσαι· ἐμεῖο δὲ καὶ μετόπισθεν μνήσασθ᾽, ὁππότε κέν τις ἐπιχθονίων ἀνθρώπων ἐθάδ᾽ ἀνείρηται ξεῖνος ταλαπείριος ἐλθών· ὦ κοῦραι, τίς δ᾽ ὔμμιν ἀνὴρ ἥδιστος ἀοιδῶν ἐνθάδε πωλεῖται, καὶ τέῳ τέρπεσθε μάλιστα; ὑμεῖς δ᾽ εὖ μάλα πᾶσαι ὑποκρίνασθ᾽ ἀμφ᾽ ἡμέων. τυφλὸς ἀνήρ, οἰκεῖ δὲ Χίῳ ἔνι παιπαλοέσσῃ τοῦ πᾶσαι μετόπισθεν ἀριστεύσουσιν ἀοιδαί. ἡμεῖς δ᾽ ὑμέτερον κλέος οἴσομεν, ὅσσον ἐπ᾽ αἶαν ἀνθρώπων στρεφόμεσθα πόλεις εὖ ναιεταώσας· οἳ δ᾽ ἐπὶ δὴ πείσονται, ἐπεὶ καὶ ἐτήτυμόν ἐστιν. αὐτὰρ ἐγὼν οὐ λήξω ἑκηβόλον Ἀπόλλωνα ὑμνέων ἀργυρότοξον, ὃν ἠύκομος τέκε Λητώ. Du aber selbst, treffsicherer Herrscher mit dem silbernen Bogen Apollon, / hast bald den zerklüfteten Kynthos bestiegen, / bald bist du zu den Inseln und Männern geschweift. / Dir gehören viele Tempel und baumreiche Haine. / Alle Anhöhen sind dir freundschaftlich gesonnen, ebenso die spitzen Gipfel / [145] der hohen Berge und die Flüsse, die ins Meer fließen. / Aber an Delos, Phoebus, erfreut sich dein Herz am meisten; / dort versammeln sich dir zu Ehren die Ionier in langen Mänteln / mit ihren Kindern und sittsamen Frauen. / Sie feiern nämlich, indem sie deiner beim Boxen, Tanzen und Singen / [150] gedenken, wann immer sie sich zum Wettkampf aufstellen. / Einer, der dort zu Gast ist, könnte wohl behaupten, dass die Ionier unsterblich und alterslos für immer seien, / wenn sie versammelt sind. / Er sähe wohl den Anmut von allen und vergnügte sich sein Herz, / wenn er die Männer und die schöngegürteten Frauen / [155] wie auch die schnellen Schiffe und die vielen Besitztümer erblickte. / Außerdem gibt es dort das bedeutende Wunder, dessen Ruhm niemals enden wird, / die delischen Mädchen, die Priesterinnen Apollons. / Diese besingen zuerst Apollon, / ein andermal Leto, dann wieder die Pfeilschützin Artemis, / [160] tragen schließlich ein Preislied vor, nachdem sie der Männer und Frauen vergangener Zeiten / gedacht haben; sie verzaubern damit die Menschheit. / Die Stimmen aller Menschen und das klappernde Reden / wissen sie nachzuahmen. Jeder könnte wohl behaupten, / selbst mit einzustimmen. So herrlich fügt sich der Gesang ineinander. / [165] Nun aber los! Hoffentlich ist Apollon mit Artemis meiner gnädig, / lebt alle wohl! Erinnert euch auch später an mich zurück, / sobald einer der Erdenbewohner, / ein abgehärteter und leidgeprüfter Fremder, nachdem er hierher gelangt ist, fragt: / „Ihr Mädchen, welcher der Sänger, der hier verkehrt, ist euch der liebste Mann / [170] und an wem erfreut ihr euch am meisten?“ /
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Berichtet ihr alle miteinander dann über uns239: / „Ein blinder Mann, der im gebirgigen Chios lebt; / alle seiner Lieder werden für immer die Besten sein.“ / Wir aber werden euren Ruhm tragen, so weit wir über die Erde / [175] der Menschen zu den wohnlichen Städten ziehen. / Die aber werden sich davon sofort überzeugen lassen, es ist nämlich wahr. / Ich allerdings werde nicht davon ablassen, den treffsicheren Apollon / mit dem silbernen Bogen, den Leto mit dem schönen Haar geboren hat, zu besingen. Das lyrische Ich berichtet von der Einrichtung eines Festes auf Delos mit athletischen und musischen agones Apollon zu Ehren. Dort tritt auch ein Mädchenchor, der von vergangenen Taten erzählt, auf (Z. 140–164). Am Ende dieses Teils gibt das lyrische Ich in einer Sphragis Rechenschaft über sich selbst ab. So apostrophiert es den anwesenden Mädchenchor und fordert diesen auf, von seiner außerordentlichen Qualität zu künden. Dabei bezeichnet sich das lyrische Ich anonym als blinden Mann, der aus dem bergigen Chios komme (Z. 165–178). Der inhaltliche Schwerpunkt des zweiten hymnischen Teils hingegen liegt auf dem pythischen Apollon und berichtet in einer weit ausgreifenden Aitiologie von der Einrichtung des Orakels von Delphi am Fuße des Parnassosgebirges (Z. 178–546). Paradoxerweise widerspricht sich das lyrische Ich mit der Darbietung dieses Hymnos auf Apollon selbst. Zuvor hat es noch betont, eben nicht über diesen Gott zu singen und das delische Fest zu verlassen (Z. 165 f., 177 f.). Es soll an dieser Stelle nicht auf die vielschichtigen philologischen Diskussionen analytischer und unitaristischer Art, die sich aus diesem Widerspruch entsponnen haben, eingegangen werden240. Zentral im Rahmen der hier interessierenden Fragestellung sind vielmehr die Überlegungen, die unabhängig voneinander Burkert, Janko sowie später auch West populär gemacht haben241. So sei die widersprüchliche, eben zweiteilige Komposition des Hymnos historisch zu erklären. Gemäß Thukydides hat Polykrates nach seiner Eroberung von Rheneia diese kleine Nachbarinsel von Delos dem delischen Apollon geweiht242. In diesem Zusammenhang hätten nun – so die Interpration – die in der Suda bezeugten Πύθια καὶ Δήλια stattgefunden, um die polykrateische Vorherrschaft in der Ägäis nach dem Tode Peisistratos’ zu feiern243:
Zum auffälligen Numeruswechsel zwischen erster Person Singular und Plural vgl. FERRARI 2007, 63 f. 240 Die auf RUHNKEN 1782 folgende ältere Analyse des Hymnos in nuce zeichnet FORDERER 1971, 32–35 nach; neuerdings auch RICHARDON 2010, 9–13. Auf überlieferungsgeschichtliche Fragen weist CÀSSOLA 1975, 97–102 hin. 241 Vgl. BURKERT 1979 und ders. 1987, 212–214; JANKO 1982, 109–114; M. L. WEST 1999, 368 f. 242 Thuk. I 13, 6 und III 104, 2. Zu den strittigen strategischen Implikationen dieser Maßnahme vgl. LIBERO 1996, 276 f. mit weiterer Literatur. 243 Vgl. grundlegend BURKERT 1970, 58–60 nach PARKE 1946. Über die fragliche panhellenische Qualität des Festes vgl. SHIPLEY 1987, 96; vorsichtiger BERVE 1967, 109 und LIBERO 1996, 276 f. 239
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Sud. s. v. Πύθια καὶ Δήλια Adler 3128 = Epik. fr. 136 Usener244
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Πύθια καὶ Δήλια· φασὶ Πολυκράτη, τὸν Σάμου τύραννον, Πύθια καὶ Δήλια ποιήσαντα ἅμα ἐν Δήλῳ πέμψαι εἰς θεοῦ, χρησόμενον εἰ τὰ τῆς θυσίας ἄγει κατὰ τὸ ὡρισμένον· τὴν δὲ Πυθίαν ἀνελεῖν· ταῦτά σοι καὶ Πύθια καὶ Δήλια· βουλομένην δηλοῦν ὅτι ἔσχατα· μετ‘ ὀλίγον γὰρ χρόνον αὐτὸν ἀπολέσθαι συνέβη. Ἐπίκουρος δὲ ἔν τινι τῶν πρὸς Ἰδομενέα ἐπιστολῶν ταῦτα. λέγεται δὲ καὶ Πυθοῖ, τουτέστιν ἐν τοῖς Πυθίοις. Ἀριστοφάνης· Ὀλυμπιᾶσιν, ἐν Πύλαις, Πυθοῖ. Pythische und Delische Spiele: Sie sagen, dass der Tyrann von Samos Polykrates, nachdem er die Pythischen und Delischen Spiele auf Delos gleichzeitig eingerichtet hatte, zum Orakel von Delphi geschickt habe, um einen Götterbescheid zu erbitten, ob er die Opferbelange gemäß der Bestimmung vollziehe. Die Pythia habe geantwortet: „Dies waren für dich die Pythischen und Delischen Spiele.“ Sie habe deutlich machen wollen, dass dies die letzten seien. Kurze Zeit später nämlich ereignete sich, dass er getötet wurde. So [berichtet] Epikur [5] in einem seiner Briefe an Idomeneus diese Dinge. Ebenfalls wird in Pytho gesagt; das bedeutet bei den Pythischen Spielen. Aristophanes schreibt: „in Olympia, in [Thermo]pylai und in Pytho“ [Aristophan. Lys. 1131].
Dies mag alles – das kann man aus dem in der Suda zitierten Orakelspruch schließen – kurz vor dem gewalttätigen Ende des Tyrannen in einem Hinterhalt passiert sein245; Burkert gibt für den Zeitpunkt des Festes das Jahr 522 v. Chr. an246. Im Rahmen dieser Spiele nun habe der in dem delischen Hymnenteil genannte Dichter-agon stattgefunden, in dessen Zusammenhang auch ein Lied über Männer und Frauen bereits vergangener Zeiten dargeboten worden sei (ἀνδρῶν τε παλαιῶν ἠδὲ γυναικῶν ὕμνος, Z. 149 f., 160 f.)247. Letzteres erinnert an das demodokeische Besingen der κλέα ἀνδρῶν248, ersteres an die rhapsodischen Wettkämpfe in Athen, an denen auch der platonische Ion teilgenommen hat249. Dieses gesamte Umfeld wird nun von dem in den Pindarscholien zitierten Hippostratos, einem hellenistischen Lokalhistoriographen250, näher beleuchtet. Demnach habe sich Kynaithos, ein Homeride aus Chios, in zweierlei Weise her244 Ähnlich Phot. s. v. Πύθια καὶ Δήλια Theodoridis 299. 245 Hdt. III 120–125. Zur Ermordung Polykrates’ vgl. LENSCHAU 1952, 1733 und LIBERO 1996, 284 f. 246 Vgl. BURKERT 1979, 59 auf Basis von PARKE 1946, der das Fest auf 523 v. Chr. datiert; ähnlich hiernach SANTERRE 1958, 307–309. 247 Vgl. BURKERT 1979, 58–60; später ders. 1987, 212–214; analog JANKO 1982, 109–114 und M. L. WEST 1999, 368 f. 248 Hom. Od. VIII 72–78; 487–520. 249 Plat. Ion 530a-b. 250 Schol. Pind. Nem 2, 1 = FrGrHist 568 F 5. Zur Datierung vgl. JACOBY 1955d.
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vorgetan. Zuerst habe er viele Verse, darunter auch den gesamten Apollon-Hymnos, in Homers Namen gedichtet. Zudem habe er als erster überhaupt die homerischen Epen in Syrakus am Ende des sechsten vorchristlichen Jahrunderts rezitiert (ῥαψῳδέω). Die Figur Kynaithos ist an dieser Stelle allein überliefert, weswegen die Angaben Hippostratos’ kritisch betrachtet worden sind251, zumal in der Sphragis des delischen Hymnos-Teils die Anonymität des Autors betont wird (Z. 172 f.). Später gibt Thukydides Homer selbst als Urheber des Apollon-Hymnos an252. Auf der anderen Seite ist es in der griechischen Archaik nicht unüblich, dass man die Autorschaft von Texten einem angeblichen Urheber anheftet253. Das kann auch hier der Fall gewesen sein. Dies führt letztlich dazu, dass man, unabhängig von der wohl kaum lösbaren Autorenfrage, den Apollon-Hymnos als frühest greifbare lyrische Quelle für eine rhapsodische Homerrezitation, wie sie später in Platons Ion paradigmatisch greifbar wird, akzeptiert254. Diese notgedrungen äußerst tentative Rekonstruktion lässt sich anderweitig nicht verifizieren. Weder für die besagten delisch-pythischen Spiele noch für eine Rhapsodentätigkeit während derselben lassen sich Referenzquellen anführen. Immerhin gibt allerdings das, was man aus dem Hymnos selbst herausziehen kann, den Überlegungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit: Janko sieht den delischen Teil des Hymnos aufgrund umfangreicher linguistischer Beobachtungen als post-homerisch an und plädiert dafür, dass von diesem der jüngere pythische Teil grundsätzlich abhängig sei255. Diese recht allgemeine Datierung der beiden unabhägigen Teile lässt sich anhand textlicher Beobachtungen näher eingrenzen. Die Warnung Apollons an seine Priester, dass sie mit Unterjochung bestraft würden, falls sie der geforderten Gemeinnützigkeit des Tempels zuwiderhandelten (Z. 538–543), wird gemein als vaticinatium ex eventu auf die Zerstörung Krisas im Rahmen des sog. Ersten Heiligen Kriegs interpretiert256. Damit wäre der Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts als erster terminus post für den älteren delischen Hymnosteil gegeben. Noch weiter eingrenzen lässt sich dessen Entstehung, wenn man bedenkt, dass der delische Tempel, als dessen Kultträger Apollon bereits am Anfang des delischen Hymnos-Teils eingeführt wird (Z. 14–18) zu Beginn der zweiten Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts gebaut worden ist257. Vor diesem Hintergrund erscheint eine spätere Verbindung der beiden Hym-
Radikal in dieser Hinsicht FEHLING 1979, 193–199; hiergegen BURKERT 1979, 54 f. Thuk. III 104. Zu der schwierigen Autorenfrage vgl. zusammenfassend REICHEL 2011, 63 f. Vgl. BURKERT 1979, 57 mit weiterer Literatur. Vgl. mit Nachdruck HERINGTON 1985, 5–10; neuerdings HASLAM 1997, 81–83 und REICHEL 2011, 49 mit ausführlicher Literatur. 255 Vgl. JANKO 1982, 99–112 mit weiterer Literatur; gegen diese chronologische Relation der beiden Teile wendet sich M. L. WEST 1975, 162–165. 256 Vgl. JANKO 1982, 109 f.; zum sog. Ersten Heiligen Krieg vgl. LIBERO 1996, 198 f. mit weiterer Literatur; zusammenfassend CÀSSOLA 1975, 91 f. 257 Vgl. SANTERRE 1958, 138, 251, 301; hiernach BURKERT 1979, 62; zusammenfassend CÀSSOLA 1975, 86–89. 251 252 253 254
4.3 Drei lyrische Vergleichsfolien: Ibykos, Stesichoros und der Apollon-Hymnos
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nen-Teile im Rahmen eines Rhapsoden-agon während der Πύθια καὶ Δήλια am Ende der polykrateischen Tyrannis sehr gut möglich. Nun also ein drittes und letztes Zwischenfazit: Wenn all die Überlegungen bezüglich des Apollon-Hymnos richtig sind, so würde nunmehr Homerisches, ganz ähnlich wie die stesichoreischen Narrative, in einem öffentlichen Rahmen der Pythisch-Delischen Spiele rezipiert. Allerdings diente es wohl funktional dazu, den Tyrannen zu ehren. Das darf man aus dem historischen Kontext dieses Ereignisses schließen, von dem Thukydides berichtet. So habe Polykrates die kleine Insel Rhenaia dem delischen Heiligtum geweiht, nachdem er die Vorherrschaft in der Ägäis erworben hatte258. Diese legitimatorische Funktion erinnert wiederum dem Mechanismus nach an das ibykische Enkomion. Ein Rhapsodenwettkampf im Rahmen der Πύθια καὶ Δήλια befände sich insofern genau in dem Rahmen, den Ibykos und Stesichoros mit ihrer tyrannischen und bürgerschaftsorientierten Homerrezeption vorgezeichnet haben. Auch vor diesem Hintergrunde erscheint also die Annahme von homerischen Rhapsodenwettkämpfen, die von Polykrates zur Feier seiner kurz währenden Thalassokratie ausgetragen worden sind, als gerechtfertigt. Die pythisch-delische Homerrezeption ist vor diesem Hintergrunde als schillernd zu bezeichnen. So fungiert sie in legitimatorischer Hinsicht dahingehend, die Macht des Tyrannen Polykrates zu manifestieren. Neu allerdings ist, dass die Epen nunmehr offenbar auch verstärkt Teil öffentlicher Feste gewesen sind. Auf diese Weise erfolgte unweigerlich deren Popularisierung. Homerisches erhielt als intentionale Geschichte Einzug in das kollektive Rezeptwissen259 des demos, was der Stärkung eines bürgerschaftlichen Wir-Gefühls Vorschub geleistet haben könnte – und de facto auch geleistet hat, wie anhand der simonideischen Plataiai-Elegie ersichtlich werden wird260. Insofern ist die tyrannische Homerrezeption dialektisch aufzufassen: Einerseits diente sie der öffentlichen Legitimation des Alleinherrschers und hatte das Ziel, insbesondere die konkurrierende Aristokratie politisch zu destabilisieren. Andererseits bereitete sie gerade durch ihren Öffentlichkeitsbezug einer soziopolitischen Kohäsion des demos den Weg. Dies alles stünde im Einklang mit der Sichtweise, dass die archaische Tyrannis, wenn auch unfreiwillig, ihren Teil zur „Verstaatlichung der polis“ während der Archaik beigetragen hat261. Auch in dieser Hinsicht spiegelt also die polykrateische Homerrezeption während der Πύθια καὶ Δήλια die soziopolitischen Entwicklungen während der griechischen Archaik wider.
258 259 260 261
Thuk. I 13. Vorsichtig in diesem Zusammenhang LIBERO 1996, 276 f. Vgl. zu diesem Begriff S. 57. Siehe S. 182 f. Begriff nach MARTIN 1976, 154–160; analog Ch. MEIER 1980a, 86 f. Zur Ambivalenz der archaischen Tyrannis hinsichtlich der polis-Genese vgl. grundlegend KOLB 1977, 136–138; analog GEHRKE 1986, 42 und LIBERO 1996, 412 f.; zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2013, 112–114 und dies. 2015, 251–253.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
4.4 Die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts im Zerrspiegel der lyrischen und erzählenden Quellen Einfache Antworten auf die Fragen nach dem sozialen Ort und der sozialen Funktion der Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts gibt es nicht. Die erzählenden Quellen ab Herodot zeichnen nahezu geschlossen das Bild, dass der Träger des Homerischen der demos gewesen sei. Dieser Gedanke wird in dem herodoteischen Narrativ, dass Homerisches als argumentum ex auctoritate von der polis Athen im Rahmen eines periandrischen Schiedsgerichts um Sigeion angeführt worden sei262, explizit ausgeführt. Sie steckt darüber hinaus hinter dem von Dieuchidas kolportierten Bild, dass Solon Homerisches in argumentativer Absicht vor einem lakedaimonischen Schiedsgericht um Salamis interpoliert habe, um die Insel dem athenischen Machtbereich anzuschließen263. Diese Vorstellung liegt aber auch dem Bild eines vom pseudoplatonischen Sokrates als Philanthrop stilisierten Hipparchos, der die homerischen Epen zu Bildungszwecken dem gesamten athenischen demos zugute kommen lassen wolle264, zugrunde. Schließlich wird dies auch in der antiargivischen Kulturpolitik des herodoteischen Kleisthenes von Sikyon, der den demos gegen den Kriegsgegner zu einen versucht265, deutlich. Zwei Gründe sprechen nun gegen dieses einseitige Bild. Den ersten betrifft die zweifelhafte Belastbarkeit der erzählenden Quellen, den zweiten das alternative Bild, das die lyrischen Quellen zeichnen. Zuerst zur Quellenkritik: Die historische Aussagekraft all dieser Narrative ist mehr oder weniger stark erschüttert: Der Bericht Herodots über die Argumentation Peisistratos’ vor dem periandrischen Schiedsgericht beruht auf chronologischen Inkonsistenzen und ist daher eher zweifelhaft. Hinter die Vorstellung einer Homerinterpolation durch Solon, wie sie Dieuchidas beklagt, ist ein noch größeres Fragezeichen zu setzen. Zum einen ist die plutarchische Rahmenhandlung bezüglich des athenisch-megarischen Kriegs um Salamis stark lückenhaft; exakte Kenntnisse über den Kriegsverlauf sind daraus kaum zu ziehen. Wenn überhaupt, dann müsste Peisistratos, nicht Solon, sich vor ein lakedaimonisches Schiedsgericht gestellt haben. Zum anderen ist der dieuchideische Vorwurf der Homerinterpolation offensichtlich anti-athenisch gefärbt. Schließlich ist die Darstellung des pseudoplatonischen Sokrates über die hipparchische Installation der panathenäischen Homerrezitation im Rahmen der populären Bildungspolitik des Tyrannen erheblich rhetorisiert. Auch diese Darstellung ist daher kritisch zu beurteilen. Allein der herodoteische Bericht über Kleisthenes von Sikyon erscheint einigermaßen belastbar.
262 263 264 265
Hdt. V 94 f. Plut. Sol. 10 und Diog. Laert. I, 57 = FrGrHist 485 F 6. [Plat.] Hipparch. 228b-229d. Hdt. V 67.
4.4 Die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts
147
Nun zum alternativen Befund der lyrischen Quellen: Auch wenn diese Zeugnisse aus textkritischer Sicht ihrerseits mit teils erheblichen Problemen behaftet sind, zeichnen sie doch ein in sich schlüssiges Bild: Die ibykische Ode an Polykrates folgt den funktionalen Mechanismen einer auf Distinktion ausgerichteten aristokratischen Homerrezeption, wie sie bereits in der homerischen Demodokos-Figur angelegt und bei Mimnermos oder Alkaios aufgefallen sind. Ibykos verschärft sogar noch diese Intention, indem er die Exklusivität auf den Tyrannen im Sinne eines Enkomions fokussiert. Den sozialen Performanceort dieser Form von Homerrezeption stellt nach wie vor das Symposion dar. Auf der anderen Seite stehen die stesichoreischen Narrative. Sie scheinen innerhalb öffentlicher Kontexte, wohl vorwiegend in den westgriechischen Kolonien und auch in Sparta, dargeboten worden zu sein. Dabei scheint der Dichter auf die Befindlichkeiten des jeweiligen Publikums Rücksicht genommen zu haben – zumindest lässt sich das anhand Spartas zeigen. Mit Stesichoros begegnet man also tatsächlich zum ersten Male einer Homerrezeption, deren Träger nicht die Aristokratie, sondern der demos gewesen ist. Es spricht einiges dafür, dass die weit institutionalisierten poleis der westgriechischen Kolonien oder auch Sparta hierfür den nötigen soziopolitischen Rahmen geboten haben: Ohne bürgerliche Öffentlichkeit keine öffentliche Homerrezeption. Als eine Art Kompromiss erscheint schließlich die polykrateische Homerrezeption im Rahmen der pythisch-delischen Spiele, wie sie im Apollon-Hymnos anklingt. Sie folgt dem radikalen exklusiven Mechanismus, wie er in der ibykischen Ode an Polykrates deutlich geworden ist. Der Ruhm des Tyrannen soll demonstriert werden – allerdings öffentlich. Hierin liegt der entscheidende Unterschied. Unwillkürlich bestärkt der Tyrann auf diese Weise die Verbreitung des Homerischen beim demos, womit er ebenso unfreiwillig einen Beitrag zu dessen bürgerschaftlicher Kohäsion leistet. Es zeichnet sich demnach insgesamt eine Erweiterung der Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ab: Indem die Performance von Homerischem sich zunehmend auch im öffentlichen Rahmen abspielt, haben immer mehr Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus die Möglichkeit, an diesen Aufführungen teilzunehmen. Mit der fortschreitenden Institutionalisierung der polis kommt es demnach zu einer Popularisierung des Homerischen – und umgekehrt: Beide Prozesse begünstigen sich letzlich gegenseitig. Anhand dieses dreipoligen Vergleichshorizontes, den die lyrischen Quellen zwischen tyrannischer und populärer Homerrezeption aufspannen, müssen sich nun die Aussagen der erzählenden Quellen messen lassen. Am ehesten entspricht noch das Bild, das Herodot von der Homerrezeption Kleisthenes’ von Sikyon zeichnet, diesem Maßstab. Mit der gleichen Intention nämlich, wie Polykrates Homerisches öffentlich zelebriert, verbietet es der Orthagoride: Er will im Grunde genommen seine tyrannische Macht sichern, indem er seine polis hinter sich eint. Die herodoteische Darstellung des kleisthenischen Homerrekurses ist vor diesem Hintergrund als plausibel einzustufen.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
Kritischer sieht es mit den restlichen behandelten Darstellungen aus. Zuerst zu Herodots Bericht, dass die polis Athen zur Zeit Peisistratos’ Homerisches als argumentum ex auctoritate gegenüber einem periandrischen Schiedsgericht zur Sicherung territorialer Ansprüche in Sigeion benutzt habe266. Dies wird vor dem Hintergrunde der lyrischen Quellen gänzlich unwahrscheinlich. Will man an einem Homerrekurs überhaupt festhalten, so sollte man sich als maßgeblichen Akteur Peisistratos, der sich mithilfe des intentionalen Bezugs seine individuellen Ansprüche vor einem Schiedsgericht zu sichern gedachte, vorstellen. Dies würde auch zu einer anderweitigen Notiz Herodots, dass Sigeion eher als Privatbesitz der Peisistratiden einzustufen sei267, passen. Am ehesten entspräche ein derartiger Homerrekurs demnach dem Muster, das Ibykos in seinem Enkomion vorgegeben hat. Auch Peisistratos hätte mithilfe Homers seine tyrannische Exklusivität, die sich gerade in seinen territorialen Ansprüchen zeigt, untermauert. Nun zu dem Vorwurf, dass Solon im Rahmen der athenisch-megarischen Auseinandersetzungen um Salamis Homer interpoliert habe: Sollte man trotz der chronologischen Unwägbarkeiten sowie einer offensichtlich parteiisch gefärbten Quellengrundlage an einem Homerrekurs vor einem lakedaimonischen Schiedsgericht festhalten, so ist zuerst an Peisistratos, nicht an Solon, als dem verantwortlich Handelnden zu denken. Dies passt besser zu dem allzu knappen chronologischen Rahmen, den Plutarch vorgibt268. Wenn dann der Tyrann tatsächlich Homerisches als Argument – ob nun interpoliert oder nicht – vor einem lakedaimonischen Schiedsgericht vorgetragen haben sollte, so erneut mit dem Ziele, seine herrscherliche Macht auszubauen. Auch das passt zu einer machtpolitisch begründeten Rezeptionsrichtung des Homerischen, wie sie bei Ibykos bemerkbar ist. Nun abschließend zu dem Bericht des pseudoplatonischen Sokrates, dass Hipparchos zu Bildungszwecken die panathenäische Homerrezeption installiert habe. Zuerst einmal besteht allein auf Basis des Befunds anderweitiger Quellen die Möglichkeit, dass bereits Peisistratos selbst diese Institution eingerichtet hat269. Unabhängig von den handelnden Akteuren erinnert nun die Installation der panathenäischen Homerreziation am ehesten an die polykrateischen Πύθια καὶ Δήλια, in deren Rahmen der Tyrann seine Exklusivität dem demos gegenüber zur Schau gestellt hat. Dies unterscheidet sich maßgeblich von den philanthropischen Zielen, wie sie der pseudoplatonische Sokrates für Hipparchos veranschlagt. Auch in diesem Falle hätte die panathenäische Homerrezitation eine legitimatorische Funktion in Bezug auf den Tyrannen – mit der
266 Hdt. V 94 f. 267 Hdt. V 91–94; ähnlich Thuk. VI 59, 4; vgl. zusammenfassend LIBERO 1996, 91–93 mit weiterer Literatur. 268 Siehe S. 103–105. 269 Siehe S. 117–119.
4.4 Die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts
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Einschränkung, dass die Peisistratiden nolens volens einer Kohäsion des attischen demos Vorschub geleistet hätten270. Fasst man den Vergleich zwischen lyrischen und erzählenden Quellen in Kürze zusammen, so fällt auf, dass die letzgenannten den demos als Träger des Homerischen während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts überbewerten. Stattdessen erscheinen in den lyrischen Quellen die Tyrannen als maßgebliche soziale Träger des Homerischen, die allenfalls unwillkürlich zu dessen weiterer Verbreitung im Rahmen öffentlicher Feste wie den Πύθια καὶ Δήλια oder den Panathenäen beitrugen. Die stesichoreischen Narrative als Spiegelbilder einer populären, vom demos getragenen Homerrezeption stellen die Ausnahme dar – noch. Im fünften vorchristlichen Jahrhundert wird sich die Entwicklung in Richtung einer Popularisierung der homerischen Epen gerade unter dem Eindrucke einer „Herausbildung des Trends zur Isonomie“271 maßgeblich verstärken – die Plataiai-Elegie wird hierfür ein beredtes Beispiel sein. Vielleicht liegt in dieser popularisierenden Tendenz des fünften vorchristlichen Jahrhunderts auch die Erklärung dafür, dass die späteren erzählenden Quellen gerade den demos als zentralen Träger des Homerischen ausmachen: Es gilt vor dem Hintergrunde neuerer anthropologischer Erkenntnisse im Rahmen der oral history als ausgemacht, dass die späteren Historiographen ab Herodot immer dann, wenn sie darüber keine genauere Kenntnis besaßen, das Vergangene mit der Gegenwart „verklammert“ haben272. Dies gilt insbesondere für den hier interessierenden Zeitraum des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, der aus Sicht der Historiographen genuin historisch, da jenseits des halbwegs belastbaren Dreigenerationengedächtnisses liegend273, ist. Dass Homerisches in erster Linie vom demos getragen worden sei, erscheint vor diesem Hintergrunde als Rückprojektion der späteren Historiographie. Auch während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ist also das Homerische untrennbar mit den soziopolitischen Entwicklungen der Zeit verbunden. Tyrannen fokussieren die tradierten aristokratischen Rezeptionsmechanismen auf ihre eigene Person, teilweise auch gegenüber dem gesamten versammelten demos. Auf diese Weise sorgen ausgerechnet die Tyrannen für eine Verbreitung homerischen Wissens jenseits aristokratischer Schichten. Die Popularisierung des Homerischen, die sich noch allenfalls zaghaft in entwickelteren Bürgerschaften des griechischen Westens sowie Spartas manifestiert, erhält hierdurch erst den notwendigen Schub. Auf diese Weise ist die unmittelbare Voraussetzung für die Homerrezeption der Massen, wie sie im fünften vorchristlichen Jahrhundert in der simonideischen Plataiai-Elegie fasslich werden wird, geschaffen. Die Verschränkung zwischen Aristokratie und Homerischem, wie sie seit
270 Siehe S. 123 f. 271 So das Schlagwort von Ch. MEIER 1980a, 51–71, insb. S 51 f. Siehe im Folgenden S. 156–175. 272 Vgl. insbes. GEHRKE 1993b, 1–5, Zitat S. 3; in Bezug auf Herodot MURRAY 2001a und ders. 2001b; Zum Homoiostase-Prinzip von oral history vgl. grundlegend GOODY/WATT 1986, 68 f. 273 Vgl. J. ASSMANN 1992, 50 f.
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4 Tyrannische und bürgerschaftsorientierte Homerrezeption
dem achten vorchristlichen Jahrhundert maßgeblich war, ist dann endgültig aufgebrochen: Homer wird zum populären Phänomen. Nach einer Sicherung der Zwischenergebnisse wird dies die letzte Fallstudie verdeutlichen.
5 Zwischenergebnisse Es ist an der Zeit, die komplexe Gemengelage etwas zu ordnen, bevor die Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in den Blick genommen wird. Das Untersuchungsziel dieser Arbeit besteht darin, die gesellschaftlichen Träger archaischer Homerrezeption samt der soziopolitischen Funktion letzterer zu eruieren. Aus den homerischen Epen lässt sich unter Berücksichtigung philologischer Beobachtungen, anthropologischer Überlegungen sowie archäologisch gestützter Vergleiche herausdestillieren, dass ab dem achten vorchristlichen Jahrhundert kleinasiatische Proto-Aristokraten mit der Rezeption homerischer oral history begannen. Als Veranschaulichungsfolie hierfür dient das Wirken des Aoiden Demodokos im Rahmen eines an historische Symposien späterer Zeit erinnernden Settings. Man kann diese literarische Form von Erinnerung, wie sie die homerischen Epen thematisieren, in Bezug zu historisch fassbaren, neu einsetzenden Kultpraktiken an früharchaischen Heroengräbern setzen. Offenbar wurde in dieser Zeit das Interesse an einer als heroisch empfundenen Vergangenheit geweckt. Gerade die Demodokos-Episode zeigt, dass man sich in einer ideellen Kontinuität zu dieser dezidiert als historisch empfundenen, heldenhaften Vergangenheit wähnte und letztere als Maßstab der eigenen Gegenwart wahrnahm. Die Grenzen zwischen erinnernder Gegenwart und erinnerter Geschichte verschwimmen – Homerisches wurde insofern intentional erinnert. Diese Qualität wird durchgängig sein für jegliche nachfolgende Form von Homerrezeption. Die besondere Form von Selbstvergewisserung durch intentionale Erinnerung jedenfalls passt zu den allgemein feststellbaren Absonderungsstrategien kleinasiatischer Proto-Aristokraten, die sich auch mit der Zurschaustellung eines extravaganten, materiell betonten Lebensstils von den übrigen laoi abzugrenzen suchten. Das Streben nach einer sozio-politischen Vormachtstellung einer neuen, selbsternannten Elite folgte ausgerechnet dem Vorbild der Lyder und somit der größten damaligen kriegerischen Bedrohung. Die Bedeutung der aristokratischen Exklusivität gegenüber den laoi zu schärfen war also ein entscheidender Motor bei der Verbreitung des Homerischen innerhalb des kleinasiatischen Ioniens. Es sind die homerischen κλέα ἀνδρῶν, in denen sich die Elite spiegelt. Homerisches erhielt auf diese Weise unwiderruflich Einzug in
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5 Zwischenergebnisse
das Rezeptwissen1 der kleinasiatischen Proto-Aristokraten und wurde mit der Ausbreitung der besonders ostentativen Symposionskultur à la lydienne in dem gesamten griechischen Kulturraum verbreitet. Diese Entwicklung erhält im siebten vorchristlichen Jahrhundert stärker an Schwung. Wie die Analyse ausgewählter Dichtungen der archaischen Lyriker Kallinos, Mimnermos, Tyrtaios und Alkaios zeigt, tritt als Träger des Homerischen nach wie vor die Aristokratie auf. Jedoch sind die Rezeptionsstrategien nicht mehr einfach in der sozialen Distinktion gegenüber dem übrigen demos zu fassen. Sicherlich, Mimnermos’ Version des ionischen Wanderungsmythos zieht eine Kontinuitätslinie von der grauen Vorzeit des neleischen Pylos bis in die dichterische Gegenwart des früharchaischen Smyrna hinein. Diese Form intentionaler Memorierung erhöht den Dichter samt seiner Zuhörerschaft der smyrnäischen ἡγεμόνες. Eine analoge Zielrichtung verfolgt der alkaiische Bezug auf einen idealisierten Achill, der als Vergleichsmaßstab zur eigenen hetairie gesetzt wird. Diese Erinnerungsmodi ziehen soziale Gräben – gegenüber dem gesamten demos oder auch gegenüber einer verfeindeten aristokratischen Gruppe. Es gibt allerdings auch eine andere Variante aristokratischer Homerrezeption. Angesichts elementarer Gefahren im Rahmen der Kimmeriereinfälle und des sog. Zweiten Messenischen Kriegs nutzen Kallinos und Tyrtaios in adhortativer Weise Homerisches, um ihre aristokratischen Zuhörer von der Notwendigkeit, sich notfalls auch mit dem eigenen Leben für das Gemeinwohl der polis einzusetzen, zu überzeugen. Nicht zwangsläufig folgt also aus der Tatsache, dass ein Aristokrat innerhalb eines sympotischen Rahmens Homerisches rezipiert, die Konsequenz, dass er genuin aristokratische Ziele verfolgt. Es zeichnet sich in der Zeit, in der sich an manchen Orten ein bürgerlicher Gemeinsinn aus innerlich wie äußerlich bedingten existentiellen Zwängen heraus Bahn bricht, eine bürgerschaftsorientierte Form aristokratischer Homerrezeption ab. Ihr Ziel ist weniger die Distinktion der eigenen Gruppe, als vielmehr die soziale Integration des gesamten demos. Aus der Retrospektive betrachtet, könnte man von einer im engeren Sinne politischen Avantgarde von Aristokraten sprechen, die sich des nunmehr überkommenen Rezeptwissens ihrer aristokratischen Zuhörerschaft um Homer bedienen, um die Relevanz des neuen polis-Ideals zu vergegenwärtigen. Hierbei nutzen sowohl Kallinos als auch Tyrtaios einen einfachen wie auch wirkungsvollen Hebel. Indem die aristokratischen Zuhörer notfalls ihr Leben für die polis ließen, erhielten sie einen Platz in der Heldengeschichte, mehr noch: Sie zögen mit den homerischen Helden in Sachen κλέος gleich. In einer Welt, die ihre sozio-kulturellen Wertvorstellungen im Wesentlichen aus Homerischem schöpft, kann das Wirkungspotenzial dieses Gedankens gar nicht überschätzt werden. Auch in dieser Zeit zeigt sich also die enge Verwebung zwischen der Rezeption von Homerischem und den archaischen sozio-politischen Entwicklungen. Egal, ob es von den archaischen Aristokraten nun in
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Siehe zu diesem Begriff S. 57.
5 Zwischenergebnisse
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Richtung einer genuin aristokratischen oder bürgerschaftlichen Kohäsion verwendet wurde – in beiden Fällen verstetigt sich das Rezeptwissen von Homerischem. Dessen Träger ist allerdings immer noch – das lässt sich allein aus den archaischen Lyrikern schließen – die Aristokratie, sein Ort das Symposion. Während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts beginnen sich die Fäden zwischen aristokratisch- und bürgerschaftsorientierten Rezeptionsmechanismen endgültig zu trennen. Eine vorsichtige Analyse der wenigen zeitgenössischen lyrischen Quellen zeigt, dass die bürgerschaftliche Orientierung der Homerrezeption, welche die späteren erzählenden Quellen suggerieren, zu eindimensional ist. Stattdessen muss festgehalten werden, dass die Tyrannis als „andere Form der Verbreitung von Macht innerhalb des Adels“2 enorm an Bedeutung gewinnt. Nach wie vor wurde zwar Homerisches im Rahmen aristokratischer Symposien rezipiert. Wie die ibykische Ode an Polykrates zeigt, hat sich nun allerdings die Zielrichtung etwas verlagert. Homerische Erinnerungsrekurse haben nicht mehr den Zweck, die Exklusivität der Aristokraten als Gruppe hervorzuheben, sondern vielmehr das κλέος ἄφθιτον des Einzelherrschers zu untermauern. Insofern werden in diesem Zusammenhang die exklusiven aristokratischen Rezeptionsmechanismen, wie sie seit dem achten vorchristlichen Jahrhundert vorgezeichnet sind, auf den Tyrannen fokussiert. Dies betrifft zum einen die Hervorhebung der tyrannischen Einzelherrschaft gegenüber den anderen Aristokraten. Doch es ist zum anderen auch ein alternativer Weg gegangen worden, nämlich derjenige an die bürgerschaftliche Öffentlichkeit. Es wurde aufgrund von inhaltlichen Beobachtungen am Apollon-Hymnos sowie mit Rückgriff auf die Suda gezeigt, dass Polykrates während der von ihm ausgerichteten Πύθια καὶ Δήλια einen Dichter-agon veranstaltet hat, in dessen Rahmen Homerisches, wahrscheinlich in Form rhapsodischer Darbietungen, erinnert worden ist. Dass Homerisches, tyrannische Herrschaft und Öffentlichkeit in einer engen Verbindung stehen, ist auch über Herodot von Kleisthenes von Sikyon bekannt. Doch auch unabhängig von einem Tyrannen scheint der demos nun als Träger des Homerischen in Erscheinung zu treten – zumindest an einigen Orten. So ist ausgerechnet für diejenigen poleis, denen man aus unterschiedlichen Gründen ein gewisses Maß an bürgerschaftlichem Gemeinsinn zugestehen kann, die Tätigkeit von Wanderdichtern wie Stesichoros, vielleicht auch von Ibykos, bezeugt. In diesem Zusammenhang kann man sich auch die Tätigkeit von Rhapsodengruppen wie der in späteren Quellen vermerkten Homeriden vorstellen. Die öffentliche Performance des Homerischen durch Tyrannen, durch eher entwickelte Bürgerschaften der westlichen Kolonien sowie durch Sparta trägt dazu bei, dass Homerisches nunmehr endgültig Einzug in das Rezeptwissen der bürgerschaftlichen Öffentlichkeit erhält. Auf diese Weise wird die Grundlage für eine Homerrezeption der Massen, wie sie später während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts zweifelsfrei nachweisbar sein wird,
2
Zitat nach Ch. MEIER 1980a, 64 f.
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5 Zwischenergebnisse
gelegt. Es ist bereits hier absehbar, dass polis-Genese und Homerrezeption sich wechselseitig begünstigen. Gleichwohl sei zugegeben, dass die Quellenlage insbesondere hinsichtlich der Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts eklatant schlecht ist. Dies betrifft besonders die späteren erzählenden Quellen ab Herodot, die allesamt einer eingehenden Kritik kaum standhalten. Aber auch die Aussagen auf Basis der lyrischen Quellen um den Apollon-Hymnos, der Ode an Polykrates sowie der stesichoreischen Narrative beruhen auf teils wagemutigen Rekonstruktionen. Aus diesem Grunde dient auch die folgende letzte Fallstudie der Überprüfung der These, dass sich während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts nunmehr zwei homerische Rezeptionslinien manifestieren: Zuerst erscheint der überkommene aristokratische Strang. Doch dann schimmert darüber hinaus ein neuer, feiner bürgerschaftsorientierter Faden. Es sei hier schon erwähnt, dass diese beiden Rezeptionslinien während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts grundsätzlich so auftauchen werden. Allerdings werden sich die Verhältnisse zwischen aristokratischer und bürgerschaftlicher Homerrezeption in bezeichnender Weise verschieben – analog zur Umkehrung der sozio-politischen Kräfteverhältnisse in Richtung demos, wie man sie paradigmatisch in Athen, Chios und Eretria beobachten kann.
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts 6. 1 Die Perserkriege, Pindar und Homer Während die Quellenlage in Bezug auf die Homerrezeption des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts als recht schlecht zu beurteilen ist, wandelt sich dieser Befund hinsichtlich des folgendes Jahrhunderts. Hier erscheint Homerisches erneut in lyrischen Kontexten. Die pindarischen Epinikien sind durchzogen von Anspielungen auf Homerisches, die den Glanz von Siegern bei verschiedenen athletischen Spielen umso stärker erstrahlen lassen1. Zuletzt allerdings ist ein anderer Text in den Fokus der Forschung gerückt. Die simonideische Plataiai-Elegie, zu Beginn der 1990er Jahr von M. L. West redigiert und herausgegeben2, hat insbesondere die historische Forschung elektrisiert, zeigt sie doch gerade im Lichte der neueren Konzepte um das kulturelle Gedächtnis und die intentionale Geschichte, wie sehr erinnernde Gegenwart und erinnerte Vergangenheit miteinander verklammert sein können3. Weder an Pindar noch an Simonides wird daher diese Studie vorbeikommen, zumal anhand dieser Beispiele die im vorherigen Kapitel aufgeworfene These überprüft werden kann: Inwieweit ist nunmehr ohne Zweifel eine Popularisierung der homerischen Epen in Richtung des demos festzustellen? Inwieweit ist also eine soziale Verschiebung der Homerrezeption von der Aristokratie in Richtung demos verifizierbar? Die beiden Autoren lebten in bewegten Zeiten, ohne deren Kenntnis ihre Werke nicht gewürdigt werden könnten. Bevor Simonides und Pindar in den Fokus rücken, wird daher ein Überblick über den historischen Kontext, in dem sich diese beiden Dichter und mithin diese Fallstudie bewegen, gegeben. In diesem Zusammenhang 1 2 3
Vgl. diesbezüglich insbesondere KÖHNKEN 1970; siehe auch S. 190–192. Sim. fr. 11 W2. Vgl. in diesem Zusammenhang insbes. die historiographischen Arbeiten in BOEDEKER/SIDER 2001 und JUNG 2006, 225–241.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
sind zwei Faktoren essentiell: zum einen der Ionische Aufstand samt der ihm folgenden Perserkriege4, zum anderen die sozio-politische Entwicklung dahingehend, was man später einmal Demokratie nennen wird5. In diesem Zusammenhang geriert sich der herodoteische Protagonist des Aufstands, Aristagoras von Milet, als Vorkämpfer der Freiheit gegen eine persische Unterdrückung6. Dieses Spannungsfeld zwischen ελευθερία und δουλοσύνη als Ursache des Ionischen Aufstands wird sich im Folgenden nicht erhärten lassen. Stattdessen scheint sich diese massive Konfrontation eher aus grundsätzlichen politischen Entwicklungen innerhalb der spätarchaischen griechischen Staatenwelt zu entspinnen: Die Tendenz, aristokratische Einflussnahme in politicis zu kanalisieren und, damit einhergehend, bürgerschaftliche Kompetenzen aufzuwerten – also das, was Meier „Trend zur Isonomie“ nennt7 – geht den Perserkriegen voran. Dies zeigt sich insbesondere in denjenigen poleis, die den Ionischen Aufstand initiieren: Milet, Athen und Eretria. 6.2 Die historische Hintergrundfolie: der Ionische Aufstand, die Perserkriege und der Trend zur Isonomie Am Anfang der Perserkriege steht gemäß Herodot der Ionische Aufstand als ἀρχὴ κακῶν Ἕλλησί τε καὶ βαρβάροισι8 mit seinem schillernden Protagonisten Aristagoras von Milet. Dieser habe – so der Historiograph – als Statthalter (ἐπίτροπος) seines am persischen Hofe festgehaltenen Schwiegervaters, des milesischen Tyrannen Histiaios, mit dem persischen Satrapen Arthaphernes gemeinsame Sache gemacht. Das Ziel des Milesiers sei es gewesen, auf der Kykladeninsel Naxos, die durch eine stasis geschwächt gewesen sei, eine Tyrannis zu errichten9. Das militärische Bündnis zwischen Aristagoras und dem Perser sei fehlgeschlagen10, woraufhin ersterer einem drohenden persischen Rachezug zuvorkommen gewollt habe: In großer Not habe er Milet und allen anderen ionischen poleis Isonomie versprochen11. Hieraufhin sei Aristagoras’ Stellung in Ionien gefestigt gewesen und er habe sich mit der Bitte um Unterstützung an die zum damaligen Zeitpunkt einzige nennenswerte größere Militärmacht im hellenischen Raum, Sparta, gewandt. Allerdings sei diese Anfrage durch die Lakonier ab-
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Nach wie grundlegend GRUNDY 1901; MURRAY 1988; WALTER 1993b; BALCER 1995; BRIANT 1996; WIESEHÖFER 2013; neuerdings FINK 2014. Vgl. zur wechselhaften Semantik des Demokratiebegriffs nach wie vor grundlegend DEBRUNNER 1947; Ch. MEIER 1970; ähnlich RAAFLAUB 1995, 46–48 mit weiterer Literatur. Hdt. V 49, 2 f. Vgl. Ch. MEIER 1980a, 51–71, insb. S. 51 f. Zum Isonomie-Begriff detailliert S. 156–175. Hdt. V 97, 3. Hdt. V 30 f. Zu diesem Ziel von Aristagoras siehe S. 158 f. Hdt. V 32–35, 1. Hdt. V 37, 2.
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schlägig beschieden worden12. Schließlich sei er mit Athen und der euböischen polis Eretria eine folgenschwere Übereinkunft eingegangen13: Die drei Verbündeten hätten gemeinsam mit dem ionischen Bundesheer die persische Satrapie Sardis angegriffen und dabei weite Teile der Stadt, darunter auch den örtlichen Kybele-Tempel, zerstört14. Aus all dem seien schließlich – so Herodot – die am Ende gescheiterten persischen Rache- und Eroberungszüge gegenüber Ionien und seinen Verbündeten sowie später dem Hellenenbund gefolgt. Für all diese Ereignisse stellt Herodot nahezu die einzige Quelle dar15. Die historische Aussagekraft dieses Autors wurde, nachdem er nach Jacoby als unumstößliche Autorität galt16, in der neueren, von Einflüssen der oral tradition und Narratologie geprägten Forschung hinterfragt17. Dabei hat sich mehr und mehr gezeigt, wie sehr Herodot die einzelnen Ereignisse, von denen er berichtet, kunstvoll in größere Bedeutungszusammenhänge integriert, seine genuin historiographischen Historien mithin narrativen Gestaltungsprinzipien gehorchen18. Hierzu gehört auch der herodoteische Leitgedanke, dass die Griechen ihre Freiheit (ελευθερία) gegenüber persischer Unterdrückung (δουλοσύνη) verteidigt hätten19. Es brauchen in diesem Zusammenhang nicht die mannigfaltigen Probleme, die sich für die Geschichtswissenschaft aus diesem ambivalenten Befund von Herodot als Erzähler und Historiographen ergeben, diskutiert werden20. Der Fokus hier richtet sich vielmehr auf den Protagonisten des Ionischen Aufstands, Aristagoras von Milet, den Herodot an prominenter Stelle gleichsam als Archegeten der Freiheit gegenüber den Persern darstellt: In seiner Bitte um militärische Unterstützung an die Spartaner habe Aristagoras auf die Blutsverwandtschaft mit den Ioniern (ἄνδρας ὁμαίμονας), denen unter persischer Herrschaft eher eine Zukunft als Sklaven (δοῦλοι) drohen würde, als
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Hdt. V 49–51. Hdt. V 97; 99, 1. Hdt. V 99, 2–102, 1. Vgl. WIESEHÖFER 2013, 167 f. Vgl. JACOBY 1949, 152–176 mit seinen anschließenden bahnbrechenden Bemerkungen zum Verhältnis der großen Historiographen und der lokalen Tradition; in dieser Linie auch STRASBURGER 1956, 129–161. Vgl. nach wie vor grundlegend EVANS 1980; COBET 1988; THOMAS 1989, 238–282; zudem MURRAY 2001a und ders. 2001b. Vgl. nach wie vor grundlegend LANG 1984; weiterhin PALLANTZA 2005, 172–174 und GRETHLEIN 2010, 149–204; zusammenfassend JONG 2012. Vgl. zuletzt WALTER 1993b, 257 f. mit zentralen Belegen. Dies betrifft in besonderem Maße Herodots Bericht über den Ionischen Aufstand, was allenfalls auf einer lückenhaften Informationslage aus dem ostgriechischen Raum, die der Historiograph zuweilen narrativ gestaltet, beruhen kann. Bis zu welchem Grade diese literarischen Ausformungen reichen, ist nach wie vor umstritten; vgl. grundlegend GRUNDY 1901, 93; in Ansätzen LANG 1968, 24 f.; hierauf grundsätzlich mit berechtigter Kritik WATERS 1970; MURRAY 1988, 470; WALTER 1993b, 258–261; neuerdings FINK 2014, 79–82 mit einem Durchgang durch die relevante englischsprachige Literatur.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
dass sie freie Männer (ἐλεύθεροι) blieben, verwiesen21. Dieser freiheitsliebende Aristagoras, der den Persern die Stirn geboten habe, steht nun in einem starken Kontrast zu dem, was Herodot an anderer Stelle von ihm berichtet. So habe zuvor der Milesier dem persischen Satrapen Artaphernes als Gegenzug für dessen unterstützendes Eingreifen in die naxische stasis freien Zugang zu den strategisch wichtigen Kykladeninseln und darüber hinaus nach Euböa versprochen22. In diesem Falle hätte Aristagoras seine Landsleute verraten, um persönliche Vorteile zu ziehen, was nun gar nicht zum eben zitierten Bild des hehren Freiheitskämpfers passen will. In dieser Ambivalenz, die der herodoteische Aristagoras in sich trägt, fokussiert sich letztlich die Frage nach den Ursachen des Ionischen Aufstandes. Die einen folgen diesbezüglich Herodots grundsätzlichem, eher kulturpolitisch zu nennendem Gedanken, dass ein griechischer Freiheitsdrang für den Aufstand ausschlaggebend gewesen sei23. Andere sehen stattdessen das egoistische, machtpolitische Kalkül Aristagoras’ als ursächlich an24. Im Folgenden wird deutlich werden, dass letzteres sehr viel plausibler ist. Das wechselvolle aristagoreische Verhalten in politicis spiegelt nämlich die politischen Tendenzen der Spätarchaik zwischen Aristokratie und Bürgerschaftsorientierung wider. Um dies zu zeigen, wird zuerst die aristagoreische Machtpolitik im Rahmen der naxischen stasis mit derjenigen anderer zeitgenössischer Aristokraten verglichen. Danach folgt eine ausführliche Erörterung dessen, was Aristagoras mit der Einführung von Isonomie in verschiedenen ionischen poleis konkret umgesetzt haben könnte. In diesem Zusammenhang wird versucht, die Bedeutung des Isonomie-Begriffs anhand von Herodot und der Harmodios-Skolien herauszudestillieren, um dann diese Hypothesen mit konkreten politischen Bestimmungen in Chios, Athen und Eretria abzugleichen. Zuerst zur Machtpolitik: Aristagoras sei – so Herodot – von seinem Schwiegervater und Tyrannen Histiaios von Milet als Statthalter (ἐπίτροπος) eingesetzt worden. Ursache hierfür sei gewesen, dass sich letzterer als loyaler Gefolgsmann des persischen Königs Dareios im Rahmen dessen Skythenfeldzugs (ca. 513/512 v. Chr.) verdient gemacht hatte25, weswegen Histiaios die Erlaubnis erhalten habe, die Stadt Myrkinos an strategisch exponierter Stelle am Hellespont zu gründen26. Der örtliche Feldherr Megabazos 21 22 23 24
25 26
Hdt. V 49, 2 f. Zu der narrativen Funktion der Figurenreden in Herodot vgl. grundlegend SOLMSEN 1943, 196–199, 206 f. Hdt. V 31. Vgl. ansatzweise EVANS 1963, 118 f.; grundlegend HIGNETT 1963, 193; KIENAST 2002, 18–20. Vgl. ansatzweise MANVILLE 1977, 81; explizit WALTER 1993b, 273–278; WIESEHÖFER, 173. Die auf ökonomischen Annahmen basierenden Hypothesen von LENSCHAU 1913; MURRAY 1988, 478 und neuerdings HÖGEMANN 1992 sind vor dem Hintergrunde ionischer Prosperität unter persischer Herrschaft obsolet, vgl. GEORGES 2000, 2–12 mit ausführlicher Literatur; zuletzt auch WIESEHÖFER 2013, 174. Einen Überblick über die derzeitige Diskussion verschafft FINK 2014, 85–89 mit weiterer Literatur. Hdt. IV 83–142. Vgl. grundlegend, auch zur chronologischen Diskussion, EVANS 1963, 114–116. Hdt. V 11.
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habe allerdings Histiaios als direkten Konkurrenten gefürchtet und deswegen bei Dareios erwirkt, diesen als königlichen σύσσιτος καὶ σύμβουλος im fernen Susa festzuhalten27. Gleichzeitig habe auf der Kykladeninsel Naxos eine stasis geherrscht, weswegen einige vom demos verbannte aristokratische Exulanten nun Aristagoras um Intervention gebeten hätten, da zwischen ihnen und dem milesischen Tyrannen Histiaios eine ξενίη bestanden habe28. Dieser habe einzugreifen versprochen, allerdings habe er dafür militärische Unterstützung gebraucht, die er bei dem persischen Satrapen Artaphernes mithilfe der eingangs zitierten strategischen Zusagen gesucht und gewährt bekommen habe29. Das Unternehmen sei schließlich aufgrund eines Zerwürfnisses zwischen Aristagoras und dem persischen Kommandeur Megabates fehlgeschlagen; Aristagoras habe daraufhin aus Furcht vor persischer Rache den Abfall erwogen30. Aristagoras, so wie ihn Herodot bis hierhin dargestellt hat, agiert wie ein typischer Aristokrat, der sich zum Tyrann aufschwingen will, und zwar in dreierlei Hinsicht. Zuerst versucht er, aus der unsicheren Lage in dem von einer stasis erschütterten Naxos politisches Kapital zu schlagen, indem er mithilfe seiner Unterstützer (στασιῶται)31 dort einzugreifen gedenkt32. Dass auf Grundlage polis-interner Machtkämpfe eine Tyrannis erwachsen kann, ist paradigmatisch aus Athen, aber auch aus Naxos selbst bekannt33. Zweitens sucht Aristagoras bei diesem Machtkampf um Unterstützung, und zwar von außerhalb durch die Perser. Diese „Internationalität“ tyrannischer Machtpolitik, welche die Sicherung des eigenen machtpolitischen Vorteils vor lokale Loyalitäten stellt, ist ebenfalls aus zahlreichen anderen Beispielen bekannt34. Auch vor einer 27 28 29 30 31 32
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Hdt. V 23 f. Neid war am persischen Hofe verbreitet, siehe Hdt. VI 30. Zu dieser Interpretation auch EVANS 1963, 116. Hdt. V 30, 2 f. Über die Umstände dieser stasis, die irgendwann nach dem Sturz des Tyrannen Lygdamis wohl im Jahr 524 v. Chr. ausgebrochen sein muss, ist wenig bekannt, vgl. GEHRKE 1985, 123 f.; ROBINSON 1997, 117 f.; KIENAST 2002, 1–4. Hdt. V 30, 4–32; vgl. KIENAST 2002, 4 f. Hdt. V 33–35,1. Die genauen Umstände des Zerwürfnisses sind vieldiskutiert, vgl. EVANS 1963, 118– 120; WALTER 1993b, 261–263; GEORGES 2000, 15–18; KIENAST 2002, 7–9; zur gesamten Naxos-Episode vgl. FINK 2014, 82–85 mit weiterer Literatur. Hdt. V 36, 1. Vgl. in dieser Richtung grundlegend MANVILLE 1977, 83; schwächer WALTER 1993b, 277. Gegen ein Zerwürfnis zwischen Aristagoras und Histiaios wendet sich kategorisch KIENAST 1994, 390 f., der später tyrannische Avancen des Aristagoras immerhin als möglich erachtet, siehe ders. 2002, 4. GEORGES 2000, 14 f. vermutet entgegen Herodots Darstellung einen Feldzug aller Milesier. Ebenfalls entgegen der Textgrundlage geht LANG 1968, 27 f. davon aus, dass Aristagoras ein „Greek Empire“ habe schaffen wollen. Gegen die Machtergreifung wenden sich GRUNDY 1901, 86 und SANCTIS 1931, 51. Dies betrifft zuerst Kylon von Athen, siehe Thuk. I 126, 1–127, 1; Plut. Sol. 12, 1–4 und 7–9; mehr noch Peisistratos, siehe Hdt. I 59, 1; 59, 3–64, 1; [Aristot.] Ath. pol. 14 f.; Plut. Sol. 30, 1–7; zu Lygdamis von Naxos siehe Aristot. fr. 558 Rose und pol. 1305a 37–1305b 1; den gemeinhin gewaltsamen Weg zur Tyrannis legt LIBERO 1996, 392–395 anhand umfangreicher Beispiele dar. Paradigmatisch ist erneut Peisistratos mit seinem auf Reziprozität basierenden Verhältnis zu Lygdamis von Naxos, siehe Hdt. I 61 und 64; [Aristot.] Ath. pol. 15, 2 und 17, 4. Zur „Internationalität“ aristokratischer Machtpolitik siehe LIBERO 1996, 236 f.
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Verbindung zu den Persern machten einige Aristokraten wie Polykrates von Samos nicht halt, um ihren persönlichen Vorteil zu ziehen35. Drittens ist der Egoismus Aristagoras’ zu nennen. Auch wenn Herodot mehrfach eine Kooperation zwischen Histiaios und seinem Statthalter betont36, geht Aristagoras an zentraler Stelle eigene Wege. So habe sich letzterer mit seiner Bitte um militärische Unterstützung an Artaphernes, den persischen Satrapen von Sardis, gewendet und nicht an seinen direkt beim König weilenden Schwiegervater, wie man dies wohl erwarten könnte37. Diese Nachricht erhält umso mehr Brisanz, als Artaphernes offenkundig auf die Gunst, die Histiaios bei Dareios genossen hat, neidisch gewesen sei38. Vor allem aber habe Aristagoras – so weiterhin Herodot – ohne Rücksprache mit dem eigentlichen Machthaber Histiaios bestimmt, die Tyrannis aufzugeben (λόγῳ μετεὶς τὴν τυραννιίδα), nachdem er mit den Persern gebrochen und daher mit dem Rücken zur Wand gestanden hatte. So habe er dem milesischen demos und auch allen anderen ionischen Bürgerschaften Isonomie gewährt39 – dazu gleich mehr. All diese Maßnahmen gegenüber Histiaios zeugen demzufolge von einer eigenmächtigen, eben genuin aristokratischen Politik, die allein dem persönlichen Vorteil Aristagoras’ dient40. In dieser Hinsicht agiert der Milesier im Fahrwasser überkommener Strukturen, wie sie aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert bestens bekannt sind. Dennoch wäre es verfehlt, Aristagoras ausschließlich als Aristokraten alter Schule zu kennzeichnen. Mit seinem Versprechen von Isonomie an den milesischen demos und darüber hinaus an alle anderen ionischen poleis, was dazu geführt habe, dass sämtliche ionische Tyrannen geflohen seien, einer sogar gesteinigt worden sei41, geht Aristagoras über das überkommene aristokratische Verhalten hinaus. Um dies nachvollziehen zu können, bedarf es der Klärung, was sich hinter dem Begriff Isonomie kon35
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Hdt. III 44, vgl. LIBERO 1996, 284 f. mit weiterer Literatur. Man kann in diesem Zusammenhang auch den Peisistratiden Hippias mit seinen Kontakten zu den Persern hinzuziehen, siehe Hdt. V 96; Thuk. VI 69, 4. Auf eine besondere Abhängigkeit der ionischen Tyrannen von den Persern weisen Hdt. IV 137 f.; V 11, 2; V 38, 2 und VI 9, 2 hin. Inwieweit man bei dieser Abhängigkeit allerdings mit BERVE 1967, 116 von reinen „Vasallentyrannien“ sprechen darf, wird nach wie vor kontrovers diskutiert, siehe neuerdings affirmativ GEORGES 2000, 19–23; KIENAST 2002, 18–20; hiergegen WALTER 1993b, 274–278. Dieses Problem braucht hier nicht erörtert werden. Allerdings zeigt gerade der hier vorgenommene Vergleich zwischen Aristagoras und anderen Aristokraten, dass die überkommenen aristokratischen Machtstrategien eben auch bei den ionischen Tyrannen, die von Persien aus protegiert wurden, präsent waren. Vgl. zu diesem ganzen Komplex AUSTIN 1990. So in der berühmten Sklavenepisode, siehe Hdt. V 35 und VI 1, 2. Die Rolle Histiaios’ während der ersten Hälfte des Aufstands wird nach wie vor kritisch beurteilt; siehe neuerdings mit m. E. nach gewichtigem Urteil auf Grundlage narrativer Beobachtungen WALTER 1993b, 263–266. Affirmativ urteilt hingegen grundsätzlich KIENAST 1994, 388 f.; zuletzt auch FINK 2014, 100–103 mit einem Überblick über die derzeitigen Diskussionsrichtungen. Hdt. V 31; vgl. grundlegend MANVILLE 1977, 82, hierzu kritisch KIENAST 1994, 390, Anm. 15. Hdt. VI 30. Hdt. V 37, 2. Vgl. in diesem Sinne auch LIBERO 1996, 360 f. Hdt. V 38, 2 und VI 9, 2; vgl. KIENAST 2002, 9 f.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
161
kret verbirgt. Herodot lässt uns diesbezüglich an der konkreten Textstelle im Stich. Er bemerkt allenfalls beiläufig, wie Histiaios mit dem Versuch, nach dem Tode Aristagoras’ wieder eine Tyrannis in Milet zu etablieren, gescheitert sei42; die neue Ordnung scheint demnach großen Anklang gefunden zu haben. Darüber hinaus gibt er allenfalls Andeutungen, insbesondere in seiner berühmten Verfassungsdebatte, die er persischen Adeligen nach dem Tode Kambyses’ II. (522 v. Chr.) in den Mund legt43. In diesem Zusammenhang setzt der herodoteische Otanes Isonomie mit Demokratie gleich. Diese zeichne sich wiederum durch die Besetzung der Ämter durch das Los (πάλος), der Rechenschaftspflicht der Beamten sowie der Beschlusskraft durch die Gesamtheit (τὸ κοινόν) aus44. Dies alles widerspreche seiner Meinung nach einer monarchischen Ordnung, welche durch die Zerstörung der althergebrachten Regelungen (νόμινα πάτρια), Gewalt und Rechtlosigkeit charakterisiert sei45. Über den Gegensatz zur monarchischen Ordnung ordnet Herodot an anderen Stellen noch weitere Eigenschaften der Demokratie zu: Sie zeichne sich noch durch Redefreiheit (ἰσηγορία) und Machtgleichheit (ἰσoκρατία) aus46. Aus all diesen Zuschreibungen entspinnt sich ein Begriffsfeld von Demokratie und wohl synonym verstandener Isonomie, das allenfalls durch vage Schlagworte gekennzeichnet ist47. Die Benennung der Ämterlosung, der Rechenschaftspflicht der Beamten sowie der generellen Entscheidungsbefugnis des demos weist schließlich darauf hin, dass sich Herodot bei der narrativen Konzeption der Verfassungsdebatte an ihm bekannten Merkmalen der attischen Demokratie nach Ephialtes hat leiten lassen48. Auf diese Weise verklammert Herodot die für ihn historischen Vorgänge um Aristagoras mit den für ihn zeitgenössischen Zuständen der attischen Demokratie. Aus Herodot heraus wird man daher das, was Aristagoras mit der Einführung von Isonomie in Ionien in politicis verbunden haben könnte, kaum näher erfassen können49. Auch eine philologische Untersuchung des Kompositums ἰσο-νομία kann nur so viel beitragen, als es sich dabei um einen Neologismus handelt, der offenbar analog zu
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49
Hdt. VI 5, 1 f. Hdt. III 80–82. Vgl. hierzu nach wie vor grundlegend APPFEL 1957 und BRINGMANN 1976; zusammenfassend BLEICKEN 1979, 152, Anm. 7 mit weiterer Literatur. Hdt. III 80, 6. Siehe in diesem Sinne auch III 142, 6. Hdt. III 80, 5. Eine ausführliche Textanalyse bei BLEICKEN 1979, 151–172. Hdt. V 78 und 92, 1. So bereits grundlegend EHRENBERG 1950, 274–276; ähnlich OSTWALD 1969, 107–113; FREI 1981, 209–211. Zu dem Begriffsfeld Isonomie, Isegorie und Demokratie vgl. nach wie vor Ch. MEIER 1970, 36–52; hiernach ders. 2005, 56–64. Vgl. BLEICKEN 1979, 156–160, der sich vor diesem Hintergrunde mit Nachdruck gegen die Annahme, dass die Verfassungsdebatte in irgendeiner Weise historische Elemente enthalte, verwahrt, siehe a. a. O., 152, Anm. 7, und 153, Anm. 10. Zur den ephialtischen Reformen, insbesondere zur Rechenschaftspflicht der Beamten, vgl. MARTIN 1974, 194–199. Vermutungen darüber bei OSTWALD 1968, 109–111, dem allerdings die genannten Einfärbungen aus Herodots politischen Kontext entgehen.
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den solonischen Schlagworten der εὐνομία und ἰσομοιρία gebildet worden ist, was mithin eine politische Semantik des Begriffs nahelegt50. Diese Feststellung führt den Blick in Richtung des peisistratidischen Athen, wo sich nach dem Tyrannizid (514 v. Chr.) die Frage nach einer politischen Neuordnung stellte51. Tatsächlich werden in zwei Gesängen, die als Teil einer vierstrophigen Skoliengruppe bei Athenaios epitomiert sind, die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton gepriesen, da jene Athen „isonom“ (Z. 4 und 8) gemacht hätten52: Athen. 15, 695a-b = PMG 893, 895 f. Ἐν μύρτου κλαδὶ τὸ ξίφος φορήσω, ὥσπερ Ἁρμόδιος καὶ Ἀριστογείτων, ὅτε τὸν τύραννον κτανέτην ἰσονόμους τ᾽Ἀθήνας ἐποιησάτην. […] 5
Αἰεὶ σφῶιν κλέος ἔσσεται κατ᾽ αἶαν, φίλταθ᾽ Ἁρμόδιε καὶ Ἀριστόγειτον, ὅτι τὸν τύραννον κτανέτην ἰσονόμους τ᾽ Ἀθήνας ἐποιησάτην. Ich werde das Schwert im Myrthenzweig / wie Harmodios und Aristogeiton, / als sie den Tyrannen getötet und Athen isonom gemacht haben, führen. / […] / [5] Euer Ruhm wird immer auf Erden sein, / teuerste Freunde Harmodios und Aristogeiton, / weil ihr den Tyrannen getötet / und Athen isonom gemacht habt.
Diese Quellengruppe ist in dreierlei Hinsicht problematisch. Wenn man mit Herodot konzediert, dass isonom mehr oder weniger synonym für demokratisch zu verstehen sei, dann widersprächen die Skolien der Sichtweise des Historiographen, dass der Alkmaionide Kleisthenes und nicht die beiden Gephyräer Harmodios und Aristogeiton
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Vgl. EHRENBERG 1940, 293 f.; VLASTOS 1953, 347–356; OSTWALD 1968, 61; zuletzt mit bewundernswerter Präzision FREI 1981, 216–219. Hdt. V 62, 1–65, 5; Thuk. VI 59; [Aristot.] Ath. pol. 19. Zur Peisistratiden-Chronologie vgl. grundlegend RHODES 1976. Zur Textgeschichte der kaiserzeitlichen Kompilation Athenaios’, die wahrscheinlich auf einer einzelnen Quelle beruht, vgl. grundlegend REITZENSTEIN: 1893, 13 f., der jene Textquelle in der Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts vermutet; eher unspezifisch WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1893, 316–322; anders BOWRA 1961, 392–397, der die Ursprünge der Harmodios-Skolien nach 510 v. Chr. ansetzt; hiergegen FORNARA/SAMONS II 1991, 44–46 mit Anm. 29. Eine gleichsam analytische chronologische Einordnung einzelner Skolien versuchen EHRENBERG 1956 und OSTWALD 1968, 121–136.
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den Athenern die Demokratie gebracht habe53. Zudem besteht eine Diskrepanz zu der späteren Darstellung der großen Historiographen, dass nach dem Tyrannizid die Tyrannis unter Hippias noch weiterbestanden habe54. Diese inhaltlichen Widersprüchlichkeiten haben in der Forschung zu erheblichen Diskussionen darüber, wie mit dieser unterschiedlichen Informationslage umzugehen sei, geführt55. Das alles hängt unmittelbar mit dem zweiten problematischen Punkt zusammen, nämlich der Bedeutung des Adjektivs isonom. Als Attribut scheint es semantisch in den Skolien in einen anderen politischen Zusammenhang als bei Herodot gerückt zu werden, und zwar in Richtung der athenischen Aristokratie, in der die Gesänge zirkulierten. Aus dem knappen Kontext, den die Gesänge bieten, kann man schließen, dass die Wende hin zu einem isonomen Athen als positiv erachtet wurde. Dieser Wandel wird gemeinhin mit den kleisthenischen Reformen in Bezug gesetzt, was zur Folge eine Datierung der Skolien kurz nach der Vertreibung Hippias’ (514 v. Chr.) hätte56. Es wird sich später zwar zeigen, dass man die kleisthenischen Reformen als isonom einstufen kann57. Die direkte Schlussfolgerung von den Skolien auf die Reformen ist allerdings problematisch. So bliebe erklärungsbedürftig, warum die Alkmaioniden um Kleisthenes ausgerechnet der aristokratischen Konkurrenz um die Gephyräer Harmodios und Aristogeiton die Ehre überlassen hätten, sowohl für den Tyrannizid als auch für die Reformierung des athenischen Staatswesens verantwortlich gewesen zu sein58. Es wäre stattdessen ebenfalls möglich, dass die Skolien oral poetry einer späteren Zeit, die alles Mögliche den
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Hdt. V 69; hiernach Aristot. pol. 1319b 19–27; [Aristot.] Ath. pol. 29, 2. Hdt. V 55; Thuk. I 20, 2. Vgl. grundlegend JACOBY 1949, 158–164 mit seinen anschließenden bahnbrechenden Bemerkungen zum Verhältnis der großen Historiographen und der lokalen Tradition; hingegen mit einer anderen Bewertung der Alkmaioniden hinsichtlich der post-peisistratidischen Traditionsbildung EHRENBERG 1950, 280–282, dann VLASTOS 1953, 341 f. mit Anm. 17 f.; auf Basis von Jacoby wiederum mit weitreichenden Thesen PODLECKI 1966, 135–139; zu dieser Diskussion zusammenfassend FORNARA 1970, 159–170. Zur äußerst problematischen chronologischen Rekonstruktion der Ereignisse um die kleisthenischen Reformen vgl. WADE-GERY 1933; anderweitig vgl. HIGNETT 1952, 331–336; siehe darüber hinaus Anm. 856. Die Annahme von EHRENBERG 1950, 280 und dems. 1940, 294 f., dass die Skolien kurz nach der Ermordung Hipparchos’ 509 v. Chr. zur Verehrung der aristokratischen Befreier gesungen worden seien, hat ders. 1956, 261–263 revidiert; vgl. in diesem Rahmen grundlegend VLASTOS 1953, 339–344; hiernach auch OSTWALD 1968, 133–136; mit weitgehenden Hypothesen PLEKET 1972, 72–81; TOULOUMAKOS 1985, 19–23; BLEICKEN 1986, 66 f.; ders. 1995, 350–353; RAAFLAUB 1995, 46–51; WELWEI 1999, 8 f.; abwägend HEUSS 1982, 22–27. Siehe S. 170. So mit Nachdruck FORNARA/SAMONS II 1991, 43 f.; dieses Problem ignorieren EHRENBERG 1950, 282 und ders. 1956, 263; siehe auch die unbelegten Erklärungsversuche bei VLASTOS 1953, 342; analog OSTWALD 1968, 134–136; vgl. hierzu die berechtigte Kritik von PLEKET 1972, 68 f., allerdings mit hypothetischen Schlussfolgerungen.
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Tyrannenmördern andichtete, beinhaltete, zumal diese Gesänge wahrscheinlich erst Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in Athen kompiliert wurden59. Auch die Skolien helfen insofern bei der Frage, was der herodoteische Aristagoras mit seinem Isonomie-Versprechen bezweckt haben könnte, nicht weiter60. Was bisher allerdings bleibt, ist die Feststellung, dass sich hinter Isonomie analog zu Eunomie ein politisches Konzept verbirgt, das in seiner Rezeption zur Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts hin offenbar aus zweierlei Richtung vereinnahmt werden konnte. Da ist zuerst die bei Herodot greifbare, eher demokratische Sichtweise, die den Begriff mit dem Recht der freien Rede oder Machtgleichheit verbindet, zu nennen. Demgegenüber steht eine durchaus positive Bezugnahme vonseiten der athenischen Aristokratie, wie sie die Skolien suggerieren. Insofern muss Isonomie Identifikationspotenzial in beide Richtungen besessen haben, was nahelegt, dass dieses Konzept selbst Elemente zugunsten sowohl der Bürgerschaft als auch der Aristokratie in sich vereinte. Daher wird nun im Umfeld Aristagoras’ nach solch zweiseitigen politischen Entwicklungen gesucht. Zu diesem Zwecke lohnt ein Blick in das ionische Chios. Dort ist eine im ionischen Alphabet, boustrophedon verfasste Inschrift bezeugt61, die gemeinhin als Gesetz von Chios bekannt ist. Die Inschrift wurde zuerst auf ca. 600 v. Chr. geschätzt62; nunmehr gilt die Datierung, die aufgrund paläographischer Beobachtungen etwas später in das zweite Viertel des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts weist, als wahrscheinlich63 . 59
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Vgl. in diese Richtung grundlegend PODLECKI 1966 139 f.; anderweitig FORNARA/SAMONS II 1991, 43–48 mit Verweis auf die grundlegenden textkritischen Bemerkungen von REITZENSTEIN 1893, 13 f. Diese These würde in der Verehrung der Tyrannenmörder, wie sie in der Aufstellung der Bronzestatuen des Antenor sichtbar werden, umso mehr Gewicht erhalten; siehe Paus. I 8, 5 und Plin. NH 34, 17. Diese Statuengruppe muss mit BRUNNSÅKER 1955, 40–43 und 120–124 chronologisch nicht zwangsläufig in das Jahr 509 v. Chr. anzusetzen sein, vielmehr ist eine Verehrung in der ersten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts wahrscheinlicher; siehe auch TAYLOR 1981, 18–27. Dies betrifft noch mehr die vieldiskutierte Nennung des Isonomie- und Monarchiebegriffs als Metaphern für Gesundheit und Krankheit bei Alkmaion DK 24 B4. Der Autor kann unabhängig von Herodot und den genannten Harmodios-Skolien chronologisch kaum eindeutig eingeordnet werden, vgl. TRIEBEL-SCHUBERT 1984, 40 f. mit Anm. 3. Vgl. mit der editio princeps WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, Nr. 25, S. 64–71; später ML, Nr. 8 mit einer Auflistung älterer Editionen und Kommentierungen; schließlich HALLOF 1993 [= KOERNER], Nr. 61, S. 223–230; EFFENTERRE/RUZÉ 1994, Nr. 62 und BRODERSEN/SCHMITT 1992, Nr. 10. Die Rekonstruktion von OLIVER 1959 konnte sich nicht durchsetzen. Die Ausgabe von ML ist nach wie vor die maßgebliche; auch die folgenden Textangaben stützen sich darauf. Der Stein ist von allen vier Seiten beschrieben, weswegen die Inschrift in die Teile A, B, C und D eingeteilt worden ist. Auf die teils strittige Herkunft des Steins braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, vgl. HANSEN 1985. Selbst wenn er aus Erythrai käme, befände sich dieser Ort im ionischen Umfeld Milets. Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 65. Vgl. JEFFERY 1956, 159 f.; hiergegen AMPOLO 1983, der die Inschrift in die zweite Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts datiert.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
165
Da die Inschrift gerade im Rahmen der neueren polis-Forschung ausführlich diskutiert worden ist64, soll sich in diesem Zusammenhang nur auf diejenigen Aspekte, die in Richtung der Aristokratie und der gesamten Bürgerschaft weisen, beschränkt werden65. Es ist sicherlich nicht übertrieben, dass aus dem, was aus der stark fragmentierten Inschrift herausgelesen werden kann, der demos als zentrale Instanz der polis hervorsticht. Dies betrifft in erster Line den sog. Volksrat (βολὴ δημοσίη, C 2 f.), der von Phylen in einem nicht näher definierten Verfahren gewählt wird (C 7 f.). Diese Institution dient – ob direkt oder probuleutisch, ist unklar66 – als Appellationsinstanz (C 11 ff.) und darf Strafen verhängen, hat somit weitreichende judikative Kompetenzen. Darüber hinaus darf sie als Exekutivgewalt generell über alle den demos betreffenden Fragen entscheiden (C 9 ff.). Daneben gibt es eine Volksversammlung, den δῆμος κεκλημένος (A 7), deren Aufgaben aus den Fragmenten nicht recht deutlich werden, die wohl aber mit den Beschlüssen der δήμο ῥῆτραι befasst war, mithin wahrscheinlich legislative Kompetenz innehatte67. Schließlich existierte noch ein δήμαρχος, also ein „Volksbeamter“ mit nicht näher zu rekonstruierendem Aufgabenbereich (A 3–6, B 3), dessen Funktion sich allerdings von derjenigen der übrigen βασιλεῖς (A 4, D 4) unterschieden haben muss68. Letztere repräsentieren nun unzweifelhaft die Aristokratie innerhalb der polis und hatten wahrscheinlich sakrale Aufgaben inne (D3 f.)69. Da sie – genauso wie der demarchos auch – keinerlei Bestechungsgelder annehmen dürfen (A 33 ff., B 2 f.), erscheinen sie gegenüber den „gabenfressenden“ basileis, von denen Hesiod leidvoll berichtet70, geradezu als domestiziert. Indem sie dem übrigen demos gegenüber Rechenschaft verpflichtet sind, gelten sie als Beamte der Stadt71. Die Existenz eines Adels- oder Ältestenrats als Gegenwicht zur eingeschränkt als demosie attribuierten bole kann man nur vermuten72. Aus dieser Gegenüberstellung der chiotischen Institutionen folgt augenscheinlich, dass die wesentlichen exekutiven, judikativen und
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Hier seien nur die wichtigsten Beiträge genannt; vgl. nach wie vor grundlegend JEFFERY 1956, 162–167; zuvor bereits EHRENBERG 1937; danach ROEBUCK 1986; GEHRKE 1993a; ROBINSON 1997, 90–101; WALTER 1993a, 89–97; WELWEI 1998, 260–262; HÖLKESKAMP 1999, 80–87. Ich greife hierbei auf die nützliche Kategorisierung von WALTER 1993a, 91 zurück, welche die Grundlage für das Folgende bildet. Vgl. GEHRKE 1993a, 51; HÖLKESKAMP 1999, 83 f. Es ist wahrscheinlich, dass diese Sprüche im Sinne von gesetzlichen Beschlüssen, weniger in Richtung Gerichtsurteile aufgefasst werden müssen, vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 67; EHRENBERG 1937, 89; ROEBUCK 1986, 87; HÖLKESKAMP 1999, 81; WALTER 1993a, 91. In Richtung von Gerichtsurteilen denken hingegen JEFFERY 1956, 163 f. und GEHRKE 1993a 52. Vermutungen hierzu bei JEFFERY 1956, 163. Vgl. GEHRKE 1993a, 52; WALTER 1993a, 95. Hes. op. 38 f. Zur Sanktionierung von Beamtenvergehen vgl. grundlegend KOERNER 1987. Vgl. bereits WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 67; ROEBUCK 1986, 87; ausführlich schließlich mit einem sinnvollen Vergleich zu den homerischen basileis WALTER 1993a, 94 f. Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 69; EHRENBERG 1937, 89 f.; JEFFERY 1956, 166; ROEBUCK 1986, 87; GEHRKE 1993a, 51; kritisch hingegen HÖLKESKAMP 1999, 84 f. und WALTER 1993a, 92.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
legislativen Kompetenzen der Stadt in den Händen des demos, mithin der gesamten Bürgerschaft liegen73. Nicht wenige sehen daher im Gesetz von Chios eine Demokratie in statu nascendi abgebildet74. Und dennoch: Die Aristokratie ist nach wie vor nicht geringfügig innerhalb des politischen Gesamtgefüges der chiotischen polis vertreten. So stehen einem demarchos mehrere adelige basileis, die wahrscheinlich wichtige religiöse Kompetenzen wahrnahmen, gegenüber. Die chiotische Aristokratie war also an zentraler Stelle im politischen Gefüge der polis maßgeblich repräsentiert – wenn auch immer unter der Kontrolle des demos. Dieses Gleichgewicht war vielleicht ein Grund dafür, dass Chios in einer Zeit, in der im solonischen Athen eine heftige stasis zwischen der Aristokratie und den politisch wie ökonomisch Benachteiligten aus der Bürgerschaft herrschte, von tieferen Erschütterungen verschont geblieben ist75. In diesem Sinne zeigt sich hier, aber auch anderswo76, das, was Weber mit dem „Anstaltscharakter“ der polis bezeichnet77: Es beginnen sich politische Institutionen zu bilden, sodass das Wohl und Wehe der polis nicht mehr auf das Können oder Wohlwollen einiger Weniger oder eines Einzelnen angewiesen ist. Garant für diese Entwicklung ist der schriftlich kodifizierte nomos als zentrale Regelungsinstanz des menschlichen Zusammenlebens innerhalb einer polis78. Wenn es also stimmt, dass isonom eine politische Ordnung, die sowohl aristokratische als auch bürgerschaftliche Tendenzen in sich vereint, denotiert, dann ist die Anwendung dieses Attributs auf das Gesetz von Chios angemessen. Als dessen zentrale Merkmale stechen die Kanalisierung aristokratischer Suprematiebestrebungen hervor; damit geht die Verlagerung exekutiver, judikativer und legislativer Kompetenzen in Richtung des gesamten demos einher79. Ein politisches Verlangen in diese Richtung scheint es auf Naxos, wo Herodot gemäß kurz vor der gescheiterten Intervention Aristagoras’ eine stasis zwischen dem demos und den Aristokraten entbrannt sei80, durchaus gegeben zu haben. Die Einführung – oder wohl eher Ankündigung – isonomer Maßnahmen dieser Art in Milet und den übrigen ionischen poleis würde jedenfalls den schnellen Erfolg Aristagoras’ erklären. Träfe all dies zu, so wären dessen machtpolitische Bestrebungen vor diesem soziopolitischen Hintergrunde als schillernd zu beurteilen. Auf der einen Seite bewegte sich seine Machtpolitik – das Ausnutzen der bürgerschaftlichen Schwäche im Rahmen der 73 74 75 76 77 78 79 80
Vgl. GEHRKE 1993a, 52 mit Anm. 11. Vgl. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909, 70 f.; EHRENBERG 1937, 89 f.; JEFFERY 1956, 166 f.; ROEBUCK 1986, 87 f.; GEHRKE 1993a, 52 f.; schwächer WELWEI 1998, 260 f.; kritisch hingegen WALTER 1993, 92 f. und HÖLKESKAMP 1999, 85 f. Vgl. mit Nachdruck WALTER 1993a, 95–97. Konzise in diesem Zusammenhang neuerdings GEHRKE 2013. Vgl. WEBER 1922, 782. Grundlegend in diesem Sinne a. O.; unabhängig hiervor EHRENBERG 1921, 123 f.; später OSTWALD 1968, 161–173 und GEHRKE 1995, 14–25. Zur besonderen Relevanz des Schriftmediums bei archaischen Gesetzesakten vgl. HÖLKESKAMP 1994. Siehe in diese Richtung auch Ch. MEIER 1980a, 118 f. Hdt. V 30, 2.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
167
stasis auf Naxos, die Kooperation mit dem persischen Satrapen Artaphernes, die damit einhergehende Gefährdung seines Schwiegervaters Histiaios – in den gewohnten Bahnen rücksichtsloser Tyrannen. In diesem Sinne stellte sich Aristagoras gegen einen Trend zur Isonomie. Auf der anderen Seite scheint der Milesier spitzfindig genug gewesen zu sein, die Zeichen der Zeit zu erkennen: Als er nach der Abfuhr von der spartanischen Bürgerschaft und dem Zerwürfnis mit den Persern keinerlei militärischen Rückhalt mehr erfuhr und mit dem Rücken zur Wand stand, ging er ein Bündnis mit einer dritten Kraft ein, um sich seine Vormachtstellung zu sichern: dem demos Milets sowie allen anderen Bürgerschaften in Ionien. Es scheint dieser machtpolitische Hintergedanke zu sein, den Herodot mit seiner Wendung λόγῳ μετεὶς τὴν τυραννίδα betont. Wäre all dies richtig, so erwiese sich Aristagoras als schlitzohriger Vagabund innerhalb wechselhafter politischer Zeiten, in denen offenbar der demos mehr politische Kompetenzen zulasten der Aristokratie geltend macht. Diese Hypothese einer solcherart aufgefassten janusköpfigen, eben isonomen Politik Aristagoras’ muss sich allerdings noch erhärten. Diesbezüglich wird kurz der Blick auf die politischen Entwicklungen bei den Bündnispartnern der Ionier im Rahmen ihres Aufstands, Athen und Eritrea, geweitet. Zuerst zu Athen: Trotz seiner Wirkmächtigkeit ist über Kleisthenes als einer der zentralen Figuren athenischer Geschichte kaum etwas bekannt: Herodot berichtet, dass Kleisthenes von dem jüngeren Megakles abstamme, sein Großvater mütterlicherseits der sykionische Tyrann Kleisthenes gewesen sei, er somit den Alkmaioniden entstammte81. Kleisthenes war also Exponent dieses berühmten athenischen Adelsgeschlechts, das in die wechselvolle archaische Geschichte Athens auf das Engste verwickelt gewesen war82. Im Jahre 525/24 v. Chr., also noch während der peisistratidischen Tyrannis, war er, so lässt sich aus der Archontenliste rekonstruieren83, in bester aristokratischer Tradition eponymer Archon. Alles, was darüber hinaus noch hinsichtlich der kleisthenischen Biographie von Interesse wäre, liegt, anders als das bei dem ebenfalls als Urvater der Demokratie erachteten Solon der Fall ist84, im Dunkeln85. Dies
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Hdt. VI 125, 1 und 5 f.; 126, 1; 131, 1 f.; zu den Alkmaioniden ansonsten eher kursorisch Pind. Pyth. 7 und Plut. Sol. 11. Dies betrifft zuerst den Kylonischen Frevel zur Zeit des älteren Megakles, siehe Hdt. V 70, 2–72, 1; Thuk. I 126, 1–127, 1; [Aristot.] Ath. pol. 1; Plut. Sol. 12, 1–4 und 7–9; dann die Teilnahme von dessen Sohn Alkmeon am sog. Ersten Heiligen Krieg, siehe Plut. Sol. 11; schließlich die Involvierung des jüngeren Megakles innerhalb der stasis, die schließlich in die Tyrannis Peisistratos’ mündete, siehe Hdt. I 59, 3 und I 60, 3. Zu den Alkmaioniden vgl. FORNARA/SAMONS II 1991, 3–24. IG I3 1031 = ML, Nr. 6c. Vgl. grundlegend mit der editio princeps MERITT 1939. Die epigraphische Notiz spricht gegen eine permanente Exilierung Kleisthenes’ während der peisistratidischen Tyrannis, wie sie Hdt. I 64, 3 und VI 123, 1 suggerieren. Vgl. zu diesem Problem ELIOT 1960, 32; hiernach BICKNELL 1970. Aristot. pol. 1273b 53–1274b 21; [Aristot.] Ath. pol. 41, 2. Zur athenischen Solon- und Kleisthenes-Rezeption vgl. RUSCHENBUSCH 1958, 88–101 und 114–118; neuerdings THOMAS 1989, 139–147. Vgl. RAAFLAUB 1995, 9–13.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
betrifft insbesondere auch die genaueren Umstände derjenigen Reformen, die mit seinem Namen verbunden sind. Maßgeblich ist diesbezüglich der Bericht Herodots, der allerdings eine genauere Chronologie vermeidet: Die Alkmaioniden – wohl unter Führung Kleisthenes’ – hätten den inneraristokratischen Machtkampf bereits mit allen Mitteln forciert, als nach dem Tyrannizid die Peisistratiden-Herrschaft unter Hippias ihre Schwäche mit Härte zu kaschieren versucht habe. Ihre Initiative war demnach erfolgreich; Hippias sei aus Athen vertrieben worden (511/510 v. Chr.). Dabei hätten die Alkmaioniden auch die Spartaner verprellt86. Erst als Kleisthenes’ Kontrahent Isagoras – wohl als eponymer Archon der Jahre 508/507 v. Chr. – die Übermacht zu erringen drohte, habe der Alkmaionide seine Demenreform initiiert und auf diese Weise den demos als Anhängerschaft hinter sich geschart87. Wann, wie und wo der zu diesem Zeitpunkt ämterlose Kleisthenes diese Reform in Athen zur Abstimmung brachte, ist unbekannt und umstritten88. Wie dem auch immer gewesen sein mag: Die Beteiligung des demos war wohl entscheidend. Trotz militärischer Unterstützung durch Sparta habe sich Isagoras nicht mehr durchsetzen gekonnt: Die Athener hätten ihn nach dreitägigen Kämpfen gezwungen, die polis zu verlassen; seine Anhänger seien inhaftiert oder getötet worden89. Hiernach verschwindet Kleisthenes aus den historiographischen Berichten, doch die Früchte seiner Reform – so wenigstens die Bewertung Herodots – seien geblieben: Die nunmehr von der Tyrannis befreiten Athener hätten von nun an auch militärischen Erfolg gehabt, was sich in einem Sieg gegen die Spartaner, die von Boiotern und Chalkidiern unterstützt wurden (506 v. Chr.)90, gezeigt habe. Die militärische Übermacht Athens, wie sie sich in den folgenden Jahrzehnten zeigen würde, sei geboren worden, und zwar aus dem Geiste politischer Gleichheit heraus91. Es ist hier nicht der Ort, die Motive Kleisthenes’ für die Durchführung seiner Reform in Gänze zu diskutieren – das wäre verwegen. Das durchgehende Urteil der Alten, dass der Alkmaionide als Begründer der attischen Demokratie zu gelten habe92, sollte man dennoch kritisch sehen: Allein die Rücksichtslosigkeit, mit welcher Kleis-
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Hdt. V 62, 2–65, 5; VI 121, 1; 123, 1–124, 2; Thuk. VI 59; [Aristot.] Ath. pol. 19 Zur Chronologie vgl. RHODES 1976. Hdt. V 65, 5–67, 1; 69; [Aristot.] Ath. pol. 20, 1. Die herodoteische Formulierung τὸν δῆμον προσεταιρίζεται ist schwer zu fassen, weist allerdings auf das archaisch-aristokratische Wertesystem, in dem sich Kleisthenes bewegte, hin; vgl. OSTWALD 1968, 142 f.; HEUSS 1982, 17; zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 2015, 269 f. Zur schwierigen Annahme eines Archontats Isagoras’ auf Basis von [Aristot.] Ath. pol. 21, 21 vgl. STANTON 1990, 145, Anm. 11; hingegen McCARGAR 1974. Die Chronologie basiert auf Dion. Hal. ant. I 74, 6. Zur Rekonstruktion dieser Ereignisse vgl. nach wie vor grundlegend WADE-GERY 1933; anderweitig vgl. HIGNETT 1952, 331–336; SEAGER 1963; KIENAST 1965, 269–273; McCARGAR 1976; STOCKTON 1990, 22–30; neuerdings FLAIG 2004. Hdt. V 70; 72, 1–73, 1; [Aristot.] Ath. pol. 20, 2–21, 2. Hdt. V 74–77. Vgl. WELWEI 1999, 22–27. Hdt. V 78–79, 1; 90, 1–91, 1. Hdt. V 69; Aristot. pol 1319b 19–27; [Aristot.] Ath. pol. 29, 2.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
169
thenes seine Vorherrschaft während und nach der Peisistratiden-Tyrannis durchgesetzt hat, kennzeichnet ihn als Aristokraten alter Schule93. Zudem genossen die Aristokraten auch nach seiner Reform elementare Vorrechte wie die Wahl der Archonten aus den höheren Zensusklassen; die alte solonische Ordnung blieb in dieser Hinsicht intakt94. Auf der anderen Seite ordneten die kleisthenischen Reformen das soziopolitische Gleichgewicht der polis in dreierlei Hinsicht neu95: Zuerst ist die Neuinstallation der lokalen Demen mitsamt ihrer politisch-administrativen Aufgaben vor Ort zu nennen96. Diese Maßnahme führte zu einer Politisierung von Regionen Attikas, die zuvor vielleicht allein aufgrund ihrer großen geographischen Entfernung zum Zentrum Athens von Entscheidungsprozessen innerhalb der ekklesia ausgeschlossen gewesen waren. Diese Etablierung lokaler politischer Strukturen ersetzt dabei sukzessiv überkommene aristokratische Gefolgschaftsverbände. Äußeres Merkmal dieser Entpersonalisierung von Politik ist die Einführung des Demotikons, also des geographisch begründeten Herkunftsnamens97. Zweitens sorgte die Durchmischung der attischen Phylen mithilfe der artifiziellen geographischen Ordnungseinheiten der Trittyen98 dafür, dass zuvor einander unbekannte Bewohner aus den städtischen, ländlichen und Küstenregionen Attikas miteinander in Kontakt traten. Dies führte zwangsläufig zur Herausbildung eines überregionalen Wir-Gefühls, zumal dies durch die Etablierung von Phylenkulten noch bestärkt wurde99. Drittens stärkten die kleisthenischen Reformen mittelfristig die Bande zwischen Land und politischem Zentrum. Dies zeigt sich in zweierlei Hinsicht. Zuerst rekrutierten die Phylen ihre Mitglieder, nachdem jene über die Trittyen nach geographischen Gesichtspunkten durchmischt worden waren, aus den Demen100. Aus diesen Phylen wurde wiederum der Rat, der sich in der Folgezeit zur zentralen politischen Instanz der polis entwickeln sollte, rekrutiert101. Zudem Vgl. grundlegend OSTWALD 1968, 143; ähnlich MARTIN 1974, 163 f.; zuletzt STEIN-HÖLKESKAMP 1985, 154–157; neuerdings dies. 2015, 267–269. 94 Hdt. I 59, 6; Thuk. VI 54, 6 und [Aristot.] Ath. pol. 16, 8; widersprüchlich hierzu 22, 1. Zur Kontinuität der solonischen Ordnung samt ihrer aristokratischen Elemente in kleisthenischer Zeit vgl. OSTWALD 1968, 146–149; MARTIN 1974, 171–173; BLEICKEN 1995, 349 f.; WELWEI 1999, 6–9. 95 Ich folge der Systematisierung von STEIN-HÖLKESKAMP 2000, 92–96; siehe auch dies. 2015, 270– 273. 96 [Aristot.] Ath. pol. 21, 4 f. und 42. 97 [Aristot.] Ath. pol. 21, 4. 98 [Aristot.] Ath. pol. 21, 4. Zu diesem komplizierten Verfahren vgl. STANTON 1990, 149–155 mit weiterer Literatur. 99 Hdt. V 66, 2; 69, 2; [Aristot.] Ath. pol. 21, 6. Vgl. KRON 1976, 27–29. 100 [Aristot.] Ath. pol. 21, 4. 101 [Aristot.] Ath. pol. 21, 3. Ausgerechnet der Rat erhielt gemäß Philoch. FrGrHist 328 F 30 im Rahmen des Ostrakismos, den [Aristot.] Ath. pol. 22, 1; 22, 3–8 zu den kleisthenischen Reformen zählt, erhebliche Kompetenzen. Zu einer Diskussion dieser Stelle vgl. WELWEI 1998, 16 f. Auf die besondere Bedeutung des Rats im Rahmen der kleisthenischen Reformen weisen GEHRKE 1984, 536 f. und STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 172–175 mit weiterer Literatur hin. Zu den (post)-kleisthenischen Neuerungen mit besonderer Berücksichtigung der unsicheren Quellenlage vgl. MARTIN 1974, 185–194 und STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 178–187. 93
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
wurde aus diesen Phylen auch die militärischen Strategen erwählt102. Mit der steigenden politischen wie militärischen Verantwortung, welche den Phylen gerade während der folgenden Perserkriege auferlegt wurde, wuchs demnach proportional das politische Gewicht, das den Demen zukam. Aus allen diesen Beobachtungen folgt, dass mit den kleisthenischen Reformen die Grundlage für eine politische Partizipation breiterer sozialer Schichten wenigstens potenziell angelegt worden ist. Kleisthenes vollzieht allerdings als Aristokrat alter Schule keineswegs die Entmachtung der Aristokratie. Insofern ist die Deutung, Kleisthenes habe einer Art demokratischen Agenda gefolgt103, nicht zutreffend. Wohl aber sorgen seine Maßnahmen dafür, dass sich ein Konzept von Demokratie, wie es im Athen der klassischen Zeit allgemein erfahrbar war, entfalten konnte, da breitere soziale Schichten sich politisches Know-how überhaupt aneignen konnten. Meier spricht in diesem Zusammenhang von der „Institutionalisierung bürgerlicher Gegenwärtigkeit“104. Politisches Wissen wurde auf diese Weise potenziell für jeden verfügbar, was zwangsläufig zulasten überkommener aristokratischer Eliten gehen musste105. Auch Kleisthenes changiert – ähnlich wie Aristagoras – zwischen zwei Welten. Zuerst ist da die aristokratische Denkweise, in der die Realisierung des eigenen Machtvorteils unter Ausschöpfung aller taktischen Mittel ganz selbstverständlich ist, zu nennen. Gerade aus diesen machtpolitischen Erwägungen heraus scheint sich Kleisthenes dann einer neuen politischen Kraft, die ihm auch den entscheidenden Vorteil gegenüber seinem Gegner Isagoras verschafft hat, zugewandt zu haben. Dieser strategische Partner war der demos. Auch wenn die kleisthenische Demenreform letztlich aus aristokratischem Machtdenken entsprungen sein mag, so legt sie dennoch die Grundlagen für eine tatsächliche politische Partizipation des demos, wie sie in klassischer Zeit umgesetzt wird. Aus diesem aristokratisch-bürgerschaftsorientierten Spannungsverhältnis heraus konzipiert Kleisthenes seine Demenreform, deren Kern in der Kooperationsverpflichtung von aristoi und demos besteht. Indem Kleisthenes aristokratische Machtpolitik kanalisiert und die bürgerschaftliche Beteiligung an der polis aufwertet, verfolgt der Alkmaionide folgerichtig eine isonome Politik gemäß der obigen Vorüberlegungen106. Schließlich zu Eretria: Um die politische Verfasstheit dieser kleinen euböischen polis während der Spätarchaik ist in letzter Zeit eine Kontroverse entstanden. Zur
[Aristot.] Ath. pol. 22, 2 f. Zu den komplizierten chronologischen Fragen in dieser Hinsicht vgl. STANTON 1990, 168 f. mit weiterer Literatur. 103 Vgl. EHRENBERG 1950, 288–296; ähnlich LÉVÊQUE/VIDAL-NAQUET 1964, 49–51; KIENAST 1965, 280–283; FORNARA/SAMONS II 1991, 55–88. 104 Vgl. Ch. MEIER 1980b, 129–143; analog mit anderer Terminologie GEHRKE 1984, 536–538. 105 Vgl. MARTIN 1974, 18; HEUSS 1982, 28 f. 106 Siehe S. 164. Wenn auch anders hergeleitet, so mit ähnlichem Urteil OSTWALD 1968, 149–160; MARTIN 1974, 170–185; GEHRKE 1984, 534–543; HEUSS 1982, 14–18; STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 176 f.; RAAFLAUB 1995, 25–34; BLEICKEN 1995, 350–353; WELWEI 1999, 15–21; Ch. MEIER 1980b, 198–219. Zum zentralen Begriff „Trend zur Isonomie“ vgl. ders. 1980a, 51–70. 102
6.2 Die historische Hintergrundfolie
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Disposition steht die Frage, inwieweit dort gegen Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts demokratische Tendenzen fasslich seien107. Tatsächlich erinnert das, was so bruchstückhaft von dieser polis überliefert ist, an die Entwicklungen in Athen um Kleisthenes. So berichtet Aristoteles von einer eretrischen Reiteroligarchie108, die ein gewisser Diagoras abgelöst habe109 – in welche politische Richtung, bleibt unklar. Diesem Diagoras – oder einem Namensvetter – sei ein Standbild durch die Eretrier geweiht worden110 – die Gründe hierfür sind unbekannt. Dieser erzählerischen Überlieferung stehen nun die dokumentarischen Quellen gegenüber. Dies betrifft in erster Linie ein eretrisches Proxeniedekret, das in das erste Viertel des fünften vorchristlichen Jahrhunderts datiert wird. Dessen epigraphische Rekonstruktion ist nicht frei von Schwierigkeiten, dennoch wird gemeinhin die auf präzisen graphemischen Beobachtungen gründende Restauration der Einleitungsformel durch Wallace akzeptiert111. Demnach erscheinen demos und boule als handelnde Körperschaften (Z. 1 f.), wie dies auch in anderen Einleitungsformeln dieser Zeit der Fall gewesen ist112. Beide verkünden, dass ein gewisser Aristoteles als eretrischer Proxenos eingesetzt wurde (Z. 8–15). Stimmte diese Rekonstruktion, so besäße die Bürgerschaft erhebliche politische Kompetenzen. Immerhin erscheinen hier der demos, also die Volksversammlung, und der Rat als exekutive Instanzen, wobei das exakte Verhältnis dieser beiden Körperschaften untereinander unklar bleibt. Die Volksversammlung trifft sich regelmäßig (Z. 2–4) und Vertreter der Phyle Mekistis haben als ἐπιμήνιοι den Vorsitz im Rat inne (Z. 4 f.)113. Die hier sichtbare Zweiteilung von Volksversammlung und Rat, dessen Vorsitz von Phylen bestückt wird, erinnert in der Tat an die kleisthenische Ordnung114. Aus diesem Grunde ist es nachvollziehbar, dass manch einer die besagten Leerstellen innerhalb der Überlieferung zu Diagoras füllen möchte, indem er diesem als einer Art zweiten
Ansatzweise in diese Richtung vgl. WALLACE 1936, 283 f.; grundlegend vgl. GEHRKE 1985, 63 f.; ähnlich CAIRNS 1991, 307–310; KNOEPFLER 2001, 69–76; zuletzt mit umfassenden, teils gewagten Hypothesen in Bezug auf eine angebliche demokratische Vorreiterrolle Eretrias in Bezug auf Athen WALKER 2004, 236–269. Grundlegende Kritik an dieser Sichtweise bei HÖLKESKAMP 1999, 115–117; zuletzt WELWEI 2006. 108 Aristot. pol. 1289b 39; 1306a 35 f.; [Aristot.] Ath. pol. 15, 2. 109 Aristot. pol. 1306a, 31 f. 110 Aristot. fr. 611, 40 Rose. 111 Vgl. WALLACE 1936, 277 mit einer Korrektur der editio princeps durch PEEK 1933; hiernach IG XII Suppl. 549 und EFFENTERRE/RUZÉ 1994, Nr. 39, S. 158 f. Zur Datierung vgl. JEFFERY 1961, 88; zuvor WALLACE 1936, 283 f.; zuletzt KNOEPFLER 2001, 72 f. mit einer späteren Datierung in die zweite Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts. 112 Vgl. WALLACE 1936, 277 f., insb. 278, Anm. 2; hiernach VEDDER 1978, 212–214; GEHRKE 1985, 63 f., Anm. 3; KNOEPFLER 2001, 74; JONES 1987, 73 f.; kritisch HÖLKESKAMP 1999, 115, Anm. 9. 113 Zur Textrekonstruktion sowie zu den Aufgaben der epimenioi vgl. WALLACE 1936, 279 f. Zur Eingangsformel neuerdings KNOEPFLER 2001, 74. 114 Siehe S. 169 f. Zu einem Vergleich auch KNOEPFLER 2001, 74–76; schließlich WALKER 2004, 252 f. mit allzu weitreichenden Vermutungen hinsichtlich einer Verbindung zwischen den Alkmaioniden und Eretria. 107
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
Kleisthenes die Einführung der im rekonstruierten Proxeniedekret sichtbaren politischen Ordnung anheften möchte115. Dieser Zusammenhang erscheint sinnfällig, ist aber auf Grundlage der zur Verfügung stehenden, extrem fragmentierten Quellen nicht zu beweisen116. Auch die Etikettierung der eretrischen Ordnung dieser Zeit als demokratisch117 erscheint gewagt. Über all das, was später das attische Paradigma von Demokratie in ephialtischer Zeit ausmachen wird – die Etablierung einer radikalen Gleichheit durch die weitgehende politische Entmachtung der Aristokratie – ist uns in Eretria nichts bekannt. Ganz im Gegenteil wissen wir anderweitig wenigstens rudimentär über Regelungen, die für eine Kanalisierung, nicht für eine Nivellierung aristokratischer Vorrechte in Eretria sprechen. Dies geht aus einem stark fragmentierten, boustrophedon verfassten Gesetzestext, der Teil einer Inschriftengruppe ist, hervor118. Der Text wird in die zweite Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts datiert119. Dort wird festgelegt, dass ein ἀρχός die Strafzahlung eines Delinquenten, würde diese nicht geleistet, eintreiben solle. Komme er dieser Vorschrift nicht nach, müsse er selbst die Strafe begleichen (1273 f. III, Z. 1–3)120. Darüber hinaus gab es offenbar das Amt eines eponymen Archonten (1273 f. II, Z. 1)121. Aristokraten nahmen daher innerhalb der eretrischen polis zentrale exekutive Aufgaben wahr. Sie waren allerdings durch ihre Inhaftungnahme dem übergeordneten Gemeinwohl der polis untergeordnet122; insofern agierten sie als städtische Beamte. Auch das spätarchaische Eretria kannte daher eine domestizierte Aristokratie, die an die polis gebunden war; dies zeigt das zitierte Fragment zu den Modalitäten bei Strafzahlungen. Auf der anderen Seite geht aus dem Proxenie-Dekret eine dezidiert bürgerschaftsorientierte Ordnung hervor. Nun kann man einwerfen, dass zwischen diesen beiden Gesetzen, betrachtet man die unterschiedlichen Datierungen, im schlechtesten 115
116 117 118
119 120 121 122
So bereits im Ansatz WALLACE 1936, 278, Anm. 4; dezidiert GEHRKE 1985, 63 f. Anm. 3. Solch ein Umsturz müsste gemäß [Aristot.] Ath. pol. 15, 1–3 stattgefunden haben, nachdem Peisistratos sich zu den eritreischen Hippeis nach dem Scheitern seiner ersten Tyrannis zurückgezogen hatte, also nach 547 v. Chr. Vgl. HÖLKESKAMP 1999, 115; zur dunklen Figur des Diagoras vgl. LIBERO 1996, 233; zu einer diagoreischen Tyrannis vgl. sehr voraussetzungsreich, was mögliche Parallelen zum peisistratidischen Athen angeht, WALKER 2004, 207–235. Siehe oben S. 171, Anm. 107. Vgl. mit der editio princeps PAPABASILEION 1913; hiernach IG XII 9, Nr. 1273 f. I–III; mit einer Korrektur der inschriftlichen Systematisierung VANDERPOOL/WALLACE 1964; hiernach GUARDUCCI 1967, 220–222, Nr. 1 und KOERNER Nr. 72 f. Ich folge der Systematisierung von VANDERPOOL/ WALLACE 1964, 385. Vgl. JEFFERY 1961, 84; hiernach VANDERPOOL/WALLACE 1964, 390; etwas herunterdatiert bei CAIRNS 1991, 298. Zur Textrekonstruktion vgl. KOERNER 1987, 480. Inwieweit man in diesem Zusammenhang, aber auch v. a. bei 1273 f., I eine Geld- oder Wertstrafe ansehen kann, diskutiert CAIRNS 1984; siehe auch ders. 1991, 198 f. und KOERNER ad 72. Vgl. VANDERPOOL/WALLACE, 387; hingegen KOERNER 1987, 480, Anm. 179. Dieses Vorgehen bei Vergehen gegen die Strafpflicht war weitverbreitet, vgl. KOERNER 1987, 467– 485.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
173
Falle rund 100 Jahre liegen könnten123. Rein theoretisch wäre es also möglich, dass der archos, wie er in der älteren Strafzahlungsregelung als Exekutivorgan vorkommt, seine Aufgaben zu Zeiten des Proxenie-Dekrets verloren haben könnte. Dies ist allerdings gänzlich unwahrscheinlich, gilt doch das Aristokraten vorbehaltene Ämterwesen als Signum der archaischen polis allgemein124. Wenn also alle Überlegungen bis hierhin zutreffen, besteht auch im spätarchaischen Eretria eine isonome Ordnung gemäß der obigen Vorüberlegungen125. Sie muss irgendwann nach 547 v. Chr. – für dieses Datum ist die Existenz einer Oligarchie der Hippeis gesichert126 – und vor dem Zeitpunkt des Proxenie-Dekrets eingeführt worden sein127; eine Involvierung Diagoras’ wird hier außen vor gelassen. Nun ist es so, dass neuerdings über eine Verbindung zwischen dem ionisch-athenisch-eretrischen Militärbündnis und den politischen Ordnungen dieser poleis spekuliert worden ist128. Beweisen lässt sich das in letzter Konsequenz nicht129, unwahrscheinlich ist es aber ebenso wenig: So gilt als ein Signum aristokratisch-tyrannischer Machtpolitik, dass sich die Machthaber unabhängig von regionalen Grenzen gerade in Krisensituationen militärisch unterstützten130, zwischen militärischer Praxis und politischer Ordnung mithin ein Zusammenhang bestand: Ausgerechnet die eretrische Aristokratie habe gemäß Herodot Peisistratos Schutz gewährt; dieser wiederum habe den naxischen Tyrannen Lygdamis unterstützt, von wo aus Verbindungen zu Histiaios von Milet bestanden hätten131. Man kannte sich also. Es wäre folgerichtig, wenn die nunmehr isonom geprägten poleis Athen, Eretria und Milet diese Tradition fortführten und die bestehenden „internationalen“ aristokratischen Verbindungen wieder aufgenommen hätten132, zumal sie sich allesamt – wie bereits mehrfach betont – von ihren aristokratischen Wurzeln wenigstens zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig emanzipiert haben. Vor diesem Hintergrunde ist es wahrscheinlich, dass der Wandel hin zu einer isonomen Ordnung in Eretria vor dem Ausbruch des Ionischen Aufstands 500/499 v. Chr. eingesetzt hat. 123 124 125 126 127 128 129 130 131
132
Vgl. S. 171, Anm. 111, und S. 172, Anm. 119. Vgl. WELWEI 1998, 60–63. Siehe S. 164. Hdt. I 61, 1 und [Aristot.] Ath. pol. 15, 1–3. Zur Peisistratiden-Chronologie vgl. RHODES 1976. Vgl. analog VEDDER 1978, 175 f. mit Anm. 81. Vgl. GEHRKE 1985, 63 f., Anm. 3, der auf ein Bündnis der angeblich demokratischen poleis Athen und Eretria verweist. Der Verweis auf Hdt. VI 100 f., Paus. VII 10, 2 und Plut. mor. 510b reicht hierfür nicht aus; vgl. VEDDER 1978, 175, Anm. 81 und HÖLKESKAMP 1999, 115, Anm. 9. Vgl. grundlegend LIBERO 1996, 405–407. Zur eretrischen Aristokratie siehe Aristot. pol. 1289b 39; 1306a 35 f.; [Aristot.] Ath. pol. 15, 2; zu den Verbindungen zwischen Eretria, Peisistratos und Naxos siehe Hdt. I 61, 1 und [Aristot.] Ath. pol. 15, 1–3; zu der Verbindung zwischen naxischen Exulanten und dem milesischen Tyrannen Histiaios siehe Hdt. V 30. Zur „Internationalität“ aristokratischer Politik siehe LIBERO 1996, 237. Die Vermutungen von WALKER 2004, 198–200, der eine eretrische Hegemonie in der Ägäis dieser Zeit vermutet, sind wohl allzu hypothetisch.
174
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
Fasst man all dies zusammen, so spiegeln die Ergebnisse aus Athen und Eretria das, was sich aus dem Gesetz von Chios ablesen lässt, wider. In allen drei poleis hat gegen Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts eine politische Kompetenzverlagerung in Richtung des jeweiligen demos eingesetzt. Dabei offenbaren sich erstaunliche Übereinstimmungen: Es existieren Volksversammlungen und Räte, die über Phylen bestückt werden. Die zentralen Institutionen späterer Demokratien sind insofern geschaffen worden. Auf der anderen Seite genießen Aristokraten in allen drei Orten noch elementare Vorrechte. Ihnen ist die Ausübung zentraler Ämter innerhalb der polis vorbehalten, wobei sie diesbezüglich dem jeweiligen demos gegenüber Rechenschaft schuldig sind. Bürgerschaftliche und aristokratische Kompetenzen stehen mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander. In Athen hat diese Zweiseitigkeit der kleisthenischen Reformen die spätere Traditionenbildung in beiderlei Richtungen, wie sie bei Herodot und den Tyrannenmörderskolien fasslich ist, überhaupt erst möglich gemacht. Daher sind alle diese Ordnungen in Chios, Athen und Eretria als isonom zu erachten. Deshalb darf man Herodot133 dahingehend interpretieren, dass Aristagoras analoge Regelungen in Milet und den anderen ionischen poleis veranlasst hat. Wenn es mit Heuss richtig ist, dass die griechische Archaik in dem Moment, als „ein gefestigter und undurchlässiger Staat […] die Intervention persönlicher Macht nicht zulässt“134, zu Ende geht, dann sind die isonomen Ordnungen in Chios und Eretria sowie das aristagoreische und kleisthenische Handeln entschieden als spätarchaisch zu bezeichnen. Zu Beginn ist auf Herodots Leitmotiv, dass der Freiheitsdrang der Ionier ihren Aufstand gegen die Perser und somit die gesamten Perserkriege verursacht habe135, hingewiesen worden. Dieser Zusammenhang erschließt sich nun in seiner Einseitigkeit nicht. Am Anfang des Ionischen Aufstands scheint vielmehr der aus persönlicher Not geborene Schachzug Aristagoras’ zu stehen, Milet und den ionischen poleis Isonomie als Anreiz für den Aufstand zu versprechen. In dieser Hinsicht erliegt der Tyrannenaspirant wohl eher unfreiwillig einem gesamtgriechischen politischen Trend dieser Zeit, der sich insbesondere auch in Athen und Eretria zeigt. Es ist ausgerechnet das Bündnis zwischen den isonomen ionischen poleis, dem post-kleisthenischen Athen und Eretria, das den Ionischen Aufstand mitsamt den folgenden Perserkriegen initiiert. Dass die ionischen Bürgerschaften ihre neu gewonnenen Freiheiten relativ schnell nach dem Aufstand im Sinne Herodots als zentrale Differenz zur persischen Königsherrschaft begriffen haben können136, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls verstellt die einseitige herodoteische Fokussierung auf einen vorgeblichen Freiheitsdrang der Ionier, der
133 134 135 136
Hdt. V 37, 2. HEUSS 1982, 28. Hdt. V 49, 2 f. Hierfür sprechen die Tatsachen, dass die ionischen poleis nachhaltig an der neuen politischen Ordnung festgehalten haben sowie dass die vertriebenen ionischen Tyrannen mit dem persischen Großkönig kollaboriert haben; siehe Hdt. V 38, 2 und VI 9, 2.
6.2 Die historische Hintergrundfolie
175
ihrem Aufstand gegen die persische Vorherrschaft zugrunde liegen soll, den Blick für die eigentlichen eher profanen, machtpolitischen Ursachen dieser Bewegung. Am Anfang der Perserkriege steht also eine soziopolitische Machtverschiebung, die sich von den traditionellen aristokratischen Eliten hin zum demos bewegt. Es ist nun zu eruieren, inwieweit die Homerrezeption dieser Zeit, wie sie beispielsweise bei Simonides und Pindar fasslich ist, diese historischen Umbruchsprozesse widerspiegelt. 6.3 Die simonideische Plataiai-Elegie Der Text ist Teil zweier ursprünglich unabhängiger Oxyrhynchus-Papyri137, welche aufgrund inhaltlicher Übereinstimmung kürzlich von West zusammengefügt worden sind138. Beide Papyri beinhalten wahrscheinlich Teile einer hellenistischen Simonides-Anthologie, deren Schwerpunkt wiederum auf Elegien lag139. Diese Dichtungen widmeten sich teilweise sympotischen Themen, überwiegend allerdings demjenigen historischen Ereignis, welches das Selbstverständnis der Griechen in der Nachfolge maßgeblich bestimmt hat: dem wundersamen Sieg des Hellenenbundes gegenüber den als übermächtig geglaubten Persern140. Zwar befinden sich die Elegien teilweise in einem äußerst stark fragmentierten Zustand. Der Abgleich mit Testimonien hat es jedoch West ermöglicht, die Reste der besagten Elegien drei Themenbereichen zuzuordnen: den Schlachten bei Artemision, bei Salamis und bei Plataiai141. Diese Textrekonstruktion blieb nicht unwidersprochen. Insbesondere ist strittig, ob die sympotischen Fragmente nicht doch Teil der Plataiai-Elegie seien142. Diese kompositorischen Fragen sind hier vorerst nicht virulent. Im hier interessierenden Zusammenhang ist vielmehr die sog. Plataiai-Elegie von Relevanz, da sie zum einen vergleichsweise zufriedenstellend erhalten ist und zum anderen in bemerkenswerter Weise den Troischen Krieg memoriert. Sie wird auf Basis inhaltlicher Beobachtungen in die Jahre
Vgl. mit der editio princeps PARSONS 1992. Vgl. mit Bezug auf das maßgebliche POxy 2327 LOBEL 1981, 23. Zur komplizierten Editionsgeschichte vgl. PARSONS 2001, 60 f.; zum Editionsverfahren vgl. M. L. WEST 1993; RUTHERFORD 2001, 33–35; KOWERSKI 2005, 2 f. 139 Vgl. RUTHERFORD 2001, 33–35 und OBBINK 2001, 65 f. 140 Vgl. zur thematischen Gliederung den ausführlichen Kommentar von RUTHERFORD 2001, 35–54 mit weiterer Literatur. 141 Basis hierfür ist in der Hauptsache der offensichtlich korrupte Eintrag bei Sud. s. v. Simonides Adler 439; vgl. M. L. WEST 1993, 2 f.; RUTHERFORD 2001, 33–36; vgl. hierzu die Kritik von KOWERSKI 2005, 4–16; siehe auch neuerdings RAWLES 2018, 269 f. 142 Vgl. RUTHERFORD 2001, 50; OBBINK 2001, 81–85; SIDER 2001, 285 f.; GRETHLEIN 2010, 60–62. KOWERSKI 2005, 17–20 und 147–149 schlägt schließlich auf Basis konziser immanenter wie außerliterarischer Beobachtungen vor, sämtliche Fragmente als Teil eines singulären Gedichts zu interpretieren. 137 138
176
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
478 oder 477 v. Chr. datiert143, kann also als ex-voto-Dichtung der Schlacht von Plataiai (479 v. Chr.) erachtet werden. Die Elegie umfasst nach Wests Vermutung mindestens 140 Zeilen144. Die Dichtung beginnt demnach mit einem hymnischen Prooimion145, leitet über in einen längeren narrativen Teil146, in dem von dem Aufmarsch und den Kämpfen gegen die Perser berichtet wird, um schließlich mit der vom Zeitpunkt der Dichtung aus gesehenen visionären Prophezeiung, die Perser würden aus dem griechischen Einflussbereich vertrieben werden, zu münden147. Die Elegie schließt wahrscheinlich mit einem nur durch Zitate rekonstruierbaren putativen Katalog, der analog zu Herodot die in die Perserkriege verwickelten griechischen poleis umfasst148. Für diese Betrachtung sind insbesondere das Prooimion und der folgende narrative Teil von Bedeutung; beides ist in der Hauptsache in 11 W2 enthalten: POxy 2327 fr. 5 + 6 + 27 col. i + 3965 fr. 1 + 2 = 11 W2
5
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παῖ[σέ] σ[ σὺ δ᾽ ἤριπες, ὡς ὅτε πεύκην ἢ] πίτυν ἐν βήσ[σαι᾽ οὔρεος οἰοπόλου ὑλοτόμοι τάμ[νωσι πολλὸν δ᾽ †ἤρῶσ[ ἧ μέγα πένθ] λαὸν [ἐπέλλαβε· πολλὰ δ᾽ ἐτίμων, καὶ μετὰ Πατρ[όκλου σ᾽ ἄγγεϊ κρύψαν ἑνί. οὐ δή τίς σ᾽ ἐδ]άμασσεν ἐφ[ημέριος βροτὸς αὐτός, ἀλλ᾽ ὑπ᾽ Ἀπόλλ]ωνος χειρὶ [τυπεὶς ἐδάμης. Παλλὰς δ᾽ ἐγγὺ]ς ἐοῦσα πε[ρικλεὲς ἄ]στ[υ καθεῖλεν σὺν δ᾽ Ἥρη, Πρ]ιάμου παισὶ χ[αλεπτ]όμ[εναι εἵνεκ᾽ Ἀλεξά]νδροιο κακόφρ[ονο]ς, ὡς τὸν [ἀλιτρόν ἀλλὰ χρόνω]ι θείης ἅρμα καθεῖλε δίκ[ης. τοὶ δὲ πόλι]ν πέρσαντες ἀοίδιμον [οἴκαδ᾽ ἵ]κοντο
Voraussetzung hierfür ist die lobende Erwähnung des Heerführers Pausanias, was darauf hinweist, dass zum Zeitpunkt der Dichtung der Konflikt zwischen ihm und Sparta noch nicht ausgebrochen sein kann; vgl. JUNG 2006, 226 mit einer Präzisierung von M. L. WEST 1993, 8 f. Zur Chronologie vgl. LOOMIS 1990. 144 Vgl. M. L. WEST 1993, 4 f. 145 POxy 3965 fr. 22 = 10 W2 und POxy 2327 fr. 5 + 6 + 27 col. i + 3965 fr. 1 + 2 = 11 W2, Z. 1–20. Mutmaßungen zum genauen Umfang und Inhalt bei OBBINK 2001, 69 f. 146 POxy 2327 fr. 5 + 6 + 27 col. i + 3965 fr. 1 + 2 = 11 W2, Z. 20–45; POxy 2327 fr. 30 + fr. 18 = 12 W2 und POxy 2327 fr. 27 col. ii = 13 W2. 147 POxy 3954 fr. 21 = 14 W2 und POxy 3965 fr. 19 = 17 W2. 148 Plut. de Herod. malign. 42 p. 872d = 15 W2 und Plut. pergens + POxy 3954 fr. 5 = 16 W2; vgl. M. L. WEST 1993, 4–9. 143
6.2 Die historische Hintergrundfolie
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φέρτατοι ἡρ]ώων ἁγέμαχοι Δαναοί[, οἶσιν ἐπ᾽ ἀθά]νατον κέχυται κλέος ἀν[δρὸς ἕκητι ὃς παρ᾽ ἰοπ]λοκάμων δέξατο Πιερίδ[ων πᾶσαν ἀλη]θείην, καὶ ἐπώνυμον ὁπ[λοτέρ]οισιν ποίησ᾽ ἡμ]ιθέων ὠκύμορον γενεή[ν. ἀλλὰ σὺ μὲ]ν νῦν χαῖρε, θεᾶς ἐρικυ[δέος υἱέ κούρης εἰν]αλίου Νηρέος· αὐτὰρ ἐγώ[ κικλήσκω] σ᾽ ἐπίκουρον ἐμοί, π[ολυώνυμ]ε Μοῦσα, εἴ περ γ᾽ ἀν]θρώπων εὐχομένω[ν μέλεαι· ἔντυνο]ν καὶ τόνδ[ε μελ]ίφρονα κ[όσμον ἀο]ιδῆς ἡμετ]έρης, ἵνα τις [μνή]σεται ὕ[στερον αὖ ἀνδρῶ]ν, οἳ Σπάρτ[ηι τε καὶ Ἑλλάδι δούλιον ἦμ]αρ ἔσχον] ἀμυνόμ[ενοι μή τιν᾽ ἰδεῖν φανερ]ῶ[ς οὐδ᾽ ἀρε]τῆς ἐλάθ[οντο, φάτις δ᾽ ἔχε]ν οὐρανομ[ήκ]ης καὶ κλέος ἀ]νθτρώπων [ἔσσετ]αι ἀθάνατο. οἳ μὲν ἄρ᾽ Εὐ]ρώταν κα[ὶ Σπάρτη]ς ἄστυ λιπόντ[ες ὥρμησαν] Ζηνὸς παισὶ σὺν ἱπποδάμοις Τυνδαρίδα]ις ἥρωσι καὶ εὐρυβίηι Μενελάω[ι ἐσθλοὶ πατ]ρώιης ἡγεμόνες π[ό]λεος, τοὺς δ᾽ υἱὸς θείοιο Κλεο]μβ[ρ]ότου ἔξ[α]γ᾽ ἄριστ[ος ]αγ. Παυσανίης. αἶψα δ᾽ ἵκοντ᾽ Ἰσθμὸ]ν καὶ ἐπικλέα ἔργα Κορίν[θ]ου νήσου τ᾽ ἐσχατιὴν] Τανταλίδεω Πέλοπος καὶ Μέγαρ᾽ ἀρχαίην Ν]ίσου πόλιν, ἔνθά περ ὥ[λλοι ] φῦλα περικτιόνων θεῶν τεράε]σσι πεποιθότες, οἳ δὲ συν[ ἷκον Ἐλευσῖνος γῆς ἐ]ρατὸν πεδίον Μηδείους γαίης Παν]δίονος ἐξε[λάσα]ντες Ἰαμίδεω τέχναις μάν]τιος ἀντιθέου[ ],ς δαμάσαντ[ ].ι εἰδομεν[ -ώ]νυμον α. [
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[Anzahl der fehlenden Zeilen unbekannt] er[schlug dich … und du bist gefallen, wie wenn] / die Holzfäller [eine Lärche oder] einen Pinienbaum in den [einsamen Berg]wäl[dern] / fäl[len …] / und viel [restlicher Vers verstümmelt] [5] [Großes Le]id [erfasste] das Heer. [Vielfach pflegte es dich zu ehren] / und [sie bestatteten dich] gemeinsam mit Patr[oklos in einer Urne]. / [Nicht ein] ver[gänglicher Sterblicher selbst] hat [dich über]wältigt, / [sondern von Apoll]ons Hand [wurdest du
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
mit einem Schlag niedergestreckt]. [Athene aber, die sich danebe]n befunden hat, [zerstörte] die ein[geschlossene S]ta[dt] / [10] [gemeinsam mit Hera], weil sie beide mit den Kindern [Pr]iamos’ v[erf]ein[det / wegen der] Nieder[trach]t [Alexa]nders waren; wie [aber] gleichwohl den [Frevler] / [am End]e der Wagen der göttlichen Gerechtig[keit] niedergestreckt hat. / [Die aber k]amen [nach Hause], nachdem sie die vielbesungene [Stad]t zerstört hatten, / [die mutigsten der He]lden, die tapferen Danaer[, / [15] über die uns]terblicher Ruhm gegossen ist [nach dem Willen] des Man[nes], / [der im Auftrag] der Mus[en] mit den [dun]klen Haaren / [die ganze Wahr-] heit offenbarte und der bei den Sp[äter]en / das kurzlebige Geschlecht[t] der [Ha]lbgötter wohlbekannt [machte]. / [Aber du] lebe nun wohl, [Sohn] der herr[lichen] Göttin, / [20] [der Tocher] von Nereus im [Me]er! Ich hingegen / [werde] dich mir zur Hilfe [rufen], Muse m[it den vielen Name]n, / wenn du dich der Menschen, die bete[n, annimmst]. / [Du gestalt]e auch dies[e] An[ordnung uns]eres [sü]ßen [Ge]sangs, / damit sp[äter] jemand [der Männe]r [ge]denken wird, [25] die für Spart[a und Hellas] / [die Stellung hielten] und es zustande brach[ten, dass offenkund]i[g nicht einer den T]ag [der Versklavung sehen musste] / [und] sie verg[aßen nicht] ihre [Tüch]tigkeit; [ihr Ruf stie]g himmelw[är]ts / [und ihr Ruhm bei den M]enschen [wird] unsterblic [se]in. Nachdem [sie den Eu]rotas un[d] die Stadt [Sparta] verlassen hatt[en], / [30] [wurden sie] von den Rossebändigern und Kindern Zeus’, / den Helden [der Tyndarid]en, sowie dem gewaltigen Menelao[s] [angetrieben]; [letztere sind die edlen] Anführer der S[t]adt [ihrer Vor]fahren, / [die der] tapfer[ste Sohn des gottgleichen Kleo]mb[r]otos angeführt hat / […] Pausanias. / [35] [Sie haben schnell den Isthmu]s, das berühmte Gebiet von Korin[th], / [das äußerste Ende der Insel] des Tantaliden Pelops, / [und Megara, N]isos’ [alte] Stadt, wo die a[nderen], / […] die in der Nähe lagerten, auf das Heer [stießen], [erreicht]. / Als sie von den [Zeich]en [der Götter] überzeugt waren, [erreichten] sie gemeinsam / [40] die [b]egehrte Ebene vo[n Eleusis’ Land], nachdem sie [die Perser aus dem Land Pan-] dions / [aufgrund der Fähigkeiten des Iamiden], des gottgleichen [Seh]ers, vert[rie]ben hatten. / […] die bezwangen […] [Anzahl der fehlenden Zeilen unbekannt] Das Prooimion ist nur fragmentarisch erhalten (Z. 1–20). Dennoch wird deutlich, dass es um Achill geht: Von seinem Tode und der gemeinsamen Bestattung seiner Überreste mit denjenigen Patroklos’ wird berichtet (Z. 5 f.). Zudem wird er vom lyrischen Ich gemeinsam mit seiner Mutter Thetis am Ende des Prooimions mit dem Gruß χαῖρε verabschiedet, bevor mit der adversativen Formel αὐτὰρ ἐγὼ in den narrativen Teil der Elegie übergeleitet wird (Z. 20–22). Dort wird der Fokus auf den wundersamen und
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ehrenvollen Sieg der griechischen Allianz um den spartanischen Heerführer Pausanias gegen die Perser gelegt. Die Meder seien von dem Peloponnes sowie aus dem Land Pandions, also Attika, mit göttlicher Hilfe vertrieben worden (Z. 23–43). Mit Wests Rekonstruktion muss man davon ausgehen, dass auf das hier abgedruckte Narrativ die seherische Prophezeiung, dass die Perser aus dem gesamten griechischen Einflussgebiet nach der Gründung eines neuen Kampfbündnisses gejagt würden, folgt149. In diesem Punkte ist ein Hinweis auf den historischen Kontext der Elegie, die Gründung des Attischen Seebunds, gegeben150. Die Apostrophierung Achills samt dem finalen Gruß und der Überleitung erinnern stark an die Homerischen Hymnen151. In der Regel beginnen auch sie mit einer Anrufung, allerdings einer olympischen Gottheit, gefolgt von einem kurzen Narrativ, das mit der Grußformel endet152. Daraufhin wendet sich der Rhapsode mit der besagten Überleitung dem eigentlichen Thema, zumeist einer epischen Rezitation, zu153. Diese beginnt wiederum, wie in der Ilias, mit einem Musenanruf154. Den übernimmt das lyrische Ich der Plataiai-Elegie noch halbwegs (Z. 20–22) – hierzu gleich mehr. Danach allerdings weicht es von der Tradition ab. Nicht eine Rezitation des Mythos sei es, die es beabsichtigt. Stattdessen kündet es selbstbewusst von den historischen Ereignissen, die in seinem unmittelbaren Erfahrungsraum liegen: dem Aufmarsch der griechischen Allianz gegen die Perser samt dem wundersamen Sieg bei Plataiai (Z. 23–43). Was hier vollzogen wird, ist nicht anderes als ein thematischer Paradigmenwechsel. Dabei füllt das simonideische lyrische Ich neuen Wein in alte Schläuche. Es bedient sich mit dem Hymnus eines traditionellen narrativen Genres, das es allerdings für seine Zwecke modifiziert: Nicht der Mythos selbst steht für es im Vordergrund, sondern eine mythisch aufgeladene, unmittelbar erfahrene Historie. Insofern scheint die Plataiai-Elegie generisch der narrativen Elegie zu entsprechen, deren Existenz Bowie bereits bezüglich der mimnermischen Smyrneis angenommen hat155. Nicht nur der Form nach, auch inhaltlich weicht die Plataiai-Elegie von der homerischen Tradition ab. Zuerst betrifft dies die Fokussierung des hymnischen Teils auf Achill, genauer gesagt auf dessen Tod. Normalerweise sind die Homerischen Hymnen den olympischen Gottheiten vorbehalten; der Herakles-Hymnus bildet eine Ausnahme. Noch auffallender ist, dass nicht etwa eine der zahllosen Heldentaten Achills thematisiert wird, sondern ausgerechnet sein Ende. Achill sei, so wird mit Bestimmtheit
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13 f. W2, insb. 14 W2, Z. 8; zur Rekonstruktion vgl. M. L. WEST 1993, 7–9. Thuk. I, 96 und [Aristot.] Ath. pol. 23, 3–24, 3. Zur Kontextualisierung vgl. M. L. WEST 1993, 9. Vgl. OBBINK 2001, 69; STEHLE 2001, 111–113; KOWERSKI 2005, 64–66. Vgl. die kurzen Homerischen Hymnen wie Hom. h. 6; 10; 25; 27; 28; 30; vgl. OBBINK 2001, 73. Vgl. KRANZ 1961, 11 f. Hom. Il. I 1–7. Zur mimnermischen Smyrneis siehe S. 72; vgl. zudem grundlegend BOWIE 1986, 27–30; später BOWIE 2001, 54–58; analog BOEDEKER 1995, 218–220 und 226–229; OBBINK 2001, 65 f.; GRETHLEIN 2010, 47 f., 52 und SIDER 2006; hiergegen grundsätzlich KOWERSKI 2005, 67–74.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
hervorgehoben, ausschließlich durch göttliche Einwirkung zu Tode gekommen: Apollon habe ihn getötet (Z. 8). Die homerische Tradition pointiert hier anders. So prophezeit an prominenter Stelle Hektor während seines Todeskampfes, dass der Sterbliche Paris Achill am Skäischen Tore töten werde; Apollon werde nur helfen156. Anders in der Plataiai-Elegie: Indem Achill ausschließlich durch einen Gott zur Strecke gebracht werden kann, werden seine übermenschlichen Fähigkeiten zu Lebzeiten betont. Die besagte inhaltliche Abweichung von der Tradition hat einen guten Grund. In den folgenden Versen beschreibt das lyrische Ich die Niedertracht (κακόφρονος) des Verursachers allen Leids um Troia, Paris-Alexanders, welche später durch göttliche Gerechtigkeit (δίκη) gerächt worden sei (Z. 11 f.): Troia sei durch die Danaer mithilfe Athenes und Heras zerstört worden (Z. 13 f.). Je größer der Aufwand für Achills Tod betrieben werden muss, je nobler also der Sänger den Helden im Kontrast zu dessen Widerpart Paris zeichnet, desto glanzvoller erscheinen die Danaer, welche die Niedertracht des Priamossohnes bestrafen. Zwischen dem Glanz Achills und demjenigen der Danaer besteht ein unmittelbarer, werkimmanent begründeter Wirkungszusammenhang157. Insofern ist es folgerichtig, dass das Prooimion mit einem Verweis auf den unsterblichen Ruhm ([ἀθά]νατον […] κλέος), den sich die Eroberer Troias verdient hätten, endet (Z. 15). Diesen Ruhm hätten die Musen über ein anonymes Medium verkündet158, sodass den Menschen nun die Heroenschicksale bekannt seien. Das lyrische Ich wählt dabei das Bild einer Generationenabfolge zwischen Göttern und Menschen, wie sie aus Hesiod bekannt ist159. Ruhm bildet die thematische Schnittstelle zu dem nun beginnenden narrativen Teil. Wie oben erläutert, verabschiedet sich das lyrische Ich zunächst ganz konventionell vom Adressaten des einleitenden Hymnus, Achill. Den folgenden Musenanruf hingegen gestaltet es erneut in bezeichnender Weise eigenwillig. So solle die Muse dem lyrischen Ich lediglich behilflich zur Seite stehen, wenn es von dem Ruhme der Kämpfer kündet (Z. 19–22). Diese auxiliare Rolle der Muse markiert der Sänger mit dem Attribut ἐπίκουρος. Bei Homer ist dieses Adjektiv allein dem militärischen Kontext vorbehalten160. Simonides erweitert dessen Bedeutung, ohne dass er allerdings dessen ursprüngliche militärische semantische Ebene vollkommen verlässt; immerhin berichtet das lyrische Ich im Folgenden von den Auseinandersetzungen mit den Persern. So stilisiert es sich als eine Art Militärberichterstatter, der nicht mehr einer musischen Eingebung bedarf, um von jenseits menschlicher Erfahrung liegenden Ereignissen zu verkünden. Implizit nimmt das lyrische Ich für sich in Anspruch, unmittelbar ErfahHom. Il. XXII 359. An nicht so prominenter Stelle sieht Hom. Il. XXI 275 ff. hingegen ebenso ausschließlich Apollons Pfeilschuss als Todesursache vor. 157 Vgl. CAPRA 2004, 120. 158 Von Homer, ist, anders als von STEHLE 2001, 108 f. und GRETHLEIN 2010, 63 betont, nicht die Rede. 159 Hes. op. 156–178. 160 Vgl. STEHLE 2001, 108–111. 156
6.2 Die historische Hintergrundfolie
181
renes, also Wahrhaftiges zu verkünden. Diese Neuinterpretation der Sängerrolle stellt den letzten Bruch des lyrischen Ichs mit der homerischen Epentradition, in welcher der Sänger lediglich das Sprachrohr für eine höhere, göttliche Wahrheit ist161, dar. Das lyrische Ich fasst stattdessen seine Rolle nicht mehr als poeta vates auf, sondern sieht sich selbst als Schöpfer dichterischer Wahrheit162. In dreifacher Hinsicht reinterpretiert das simonideische lyrische Ich also die homerische Tradition: Formal modifiziert es das Genre der Homerischen Hymnen, indem es nach dem Prooimion statt dem Mythos ein historisches Ereignis erzählt. Inhaltlich preist es im Hymnus statt der Taten eines olympischen Gottes den Tod des Halbgottes Achill. Zuletzt wertet das lyrische Ich seine dichterische Rolle selbstbewusst auf, indem es sich selbst und nicht eine göttliche Instanz als Verkünder von Wahrheit postuliert. Woher das lyrische Ich dieses Selbstbewusstsein nimmt, wird im narrativen Teil der Elegie klar. Nun berichtet es von den Männern, die für Sparta und – glaubt man Wests Füllung der Lacuna163 – für ganz Griechenland die Schlachtreihe gegen die Perser gehalten haben (Z. 23–25). Ihnen sei es zu verdanken, dass Griechenland nicht in Sklaverei verfallen sei und daher gebühre ihnen – genauso wie zuvor den Danaern (Z. 15–18) – unsterblicher Ruhm ([κλέος] […] ἀθάνατο, Z. 26–28). Diese chiastisch arrangierte Epanalepse ist mit Sicherheit kein Zufall. Sie beschließt formal, was inhaltlich vorbereitet wurde: Perser- und Troiakämpfer, rezente und mythische Vergangenheit haben in Sachen κλέος gleichgezogen164: Das simoideische lyrische Ich erinnert insofern Homerisches intentional. Beachtet man die besagten simonideischen Abweichungen von der homerischen Tradition, so erscheint der Mythos darüber hinaus als Steigbügelhalter einer umso glorreicheren Gegenwart: Zwischen Achill, der nur von einem Gott überwunden werden kann, dem Ruhme der ihn rächenden Danaer und der Ehre der ihnen nachfolgenden Plataiomachoi besteht nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine geschichtsteleologische Klimax. Insofern verwundert es nicht, dass das lyrische Ich selbstbewusst persönlich von den ruhmreichen Taten der Perserkämpfer berichtet, statt sich – wie noch Homer und Hesiod – als Sprachrohr göttlicher Musen zu gerieren. Es sind nun gemäß der übergeordneten Leitfrage die sozialen Träger und der Performanceort der Plataiai-Elegie zu eruieren. Diese Probleme sind nach wie vor nicht einwandfrei gelöst. Strittig ist vor allem, ob die Elegie eher pro-spartanisch oder panhellenisch aufzufassen sei. Zentral in diesem Zusammenhang ist die interpretatorische Bedeutung der Achill-Figur. Gälte sie als Präfiguration des im Narrativ individuell hervorgehobenen spartanischen Heerführers Pausanias, so wäre eine pro-spartanische
Vgl. Hom Il. I 1–7; analog Hes. theog. 1–4; 22 f. Auf diese andersartige Rolle verweist das lyrische Ich selbst in Z. 16 f. Vgl. OBBINK 2001, 71. 162 Vgl. analog STEHLE 2001, 111. 163 Vgl. M. L. WEST 1993, 6 f. 164 Vgl. analog JUNG 2006, 230. 161
182
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
Lesart der Elegie naheliegend165. Diese Auffassung verkennt allerdings die oben gezeigte grundsätzliche Funktion, die der Figur innerhalb des Werks zukommt166: Achill ist durch die göttlichen Umstände seines Todes als Paradigma eines unsterblichen Helden aufgeladen167; ihn rächen die Danaer, deren Ruhm später die Plataiomachoi egalisieren. Achill ist also im Grunde der Fixpunkt eines jeden Griechen, unabhängig von seiner geographischen Herkunft. Eine grundsätzlich panhellenische Interpretation der Plataiai-Elegie ist daher naheliegend168, auch wenn in der Benennung Pausanias’ (Z. 34) eine besondere Würdigung Spartas vorliegt. Die Plataiai-Elegie betont insofern eine besondere Rolle Spartas innerhalb des Hellenenbunds169, ordnet diese allerdings einem als kollektiv empfundenen Erfolg der Plataiomachoi unter170. Man muss allerdings diese Deutung noch zuspitzen, denn Achill ist ebenso die potenzielle Identifikationsfigur eines jeden Griechen unabhängig von seinem sozialen Stand171. Das zeigt gerade der Vergleich der simonideischen Homerrezeption mit ihren Vorgängern: Das, was bei den demodokeischen Gesängen, den tyrtaiischen und kallimachischen Elegien sowie schließlich bei der ibykischen Ode an Polykrates das elitäre Selbstverständnis einer selbsternannten aristokratischen Elite unterfüttert hat, wird nunmehr dem gesamten demos potenziell verfügbar. Essentiell in diesem Zusammenhang ist der κλέος-Begriff: Den Ruhm der ehrwürdigen Männer vor Troia besingt Demodokos172, Ruhm im Kampfe verspricht gemäß Tyrtaios den spartanischen aristoi Unsterblichkeit173, unvergänglichen Ruhm heftet Ibykos dem samischen Tyrannen Polykrates an174. Simonides allerdings betont, dass sich alle Plataiomachoi gleichermaßen aufgrund ihres Einsatzes, den sie nicht selten mit dem Leben bezahlt haben, unsterblichen Ruhm verdient hätten. In diesem Sinne popularisiert also die Platiaiai-Elegie das vormals aristokratische κλέος-Ideal. Zwangsläufig wendet sich auch ihre Homerrezeption in Richtung des demos. Gerade in der öffentlichen Performance des homerischen kleos zeigt sich demnach das, was Gschnitzer den „aristokratischen Charakter der griechischen Bürgerethik des 5. und 4. Jahrhunderts“ nennt175. Vormals aristokratiVgl. PARSONS 1992, 32 und 35; ALONI 1994, 18–22; hiernach ders. 2001, 102–104; PAVESE 1995, 20– 22; SCHACHTER 1998, 28–30; SHAW 2001, 179–181; hiergegen bereits M. L. WEST 1993, 6, Anm. 15. 166 Vgl. analog JUNG 2006, 231, Anm. 20. 167 Vgl. KOWERSKI 2005, 102–106. 168 Vgl. BOEDEKER 1995, 220, die von einer „polyhellenic nature“ der Plataiai-Elegie spricht; ebenso mit einer ausführlichen Kontextualisierung KOWERSKI 2005, 75–107; analog JUNG 2006, 230–232. 169 Siehe auch 13 W2, Z. 8–10. 170 Vgl. mit dieser Dialektik grundlegend JUNG 2006, 237–239. In dieser panhellenischen Interpretation der Schlacht von Plataiai korrespondieren die Plataiai-Elegie und Herodot, vgl. BOEDEKER 2001, 124–127. 171 Vgl. in diese Richtung ansatzweise JUNG 2006, 231 f. 172 Siehe S. 48 f. 173 Siehe S. 81 f. 174 Siehe S. 129 f. 175 Vgl. zur „Erhaltung der Adelsethik“ während der Klassik grundlegend GSCHNITZER 1981, 163–172, Zitat 168. 165
6.2 Die historische Hintergrundfolie
183
sche Wertvorstellungen werden vom demos adaptiert und in seinem Sinne umgedeutet. An diesem Punkte manifestiert sich nun offensichtlich die während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts allenfalls tentativ sich abzeichnende Interdependenz von Homerrezeption und polis-Genese. Diese Verbürgerlichung der Homerrezeption nun ist ein Phänomen, das nicht nur in der Plataiai-Elegie anzutreffen ist. Das pseudo-simonideische Eion-Epigramm, anlässlich des Sieges des athenischen Feldherrn Kimon über die Perser bei Eion 475 v. Chr. gedichtet, formuliert ebenso einen expliziten Bezug zwischen dem Troischen Krieg, den Perserkriegen sowie den ruhmreichen Siegern – in diesem Falle den Athenern176. Ähnliches wurde in der athenischen stoa poikile, die in die frühen 460er Jahre v. Chr. datiert wird, propagiert. So berichtet Pausanias, wie dort die Amazonomachie und die Einnahme Troias in eine Reihe mit den zentralen Ereignissen der rezenten Geschichte Athens, den Schlachten von Marathon und Oinoi, gestellt wurden177. Allen genannten Beispielen ist gemein, dass Homerisches als paradigmatischer Vergleichsmaßstab herangezogen wird, um die Heroizität der Griechen jenseits sozialer Grenzen während der Perserkriege emphatisch zu demonstrieren. Es ist anzunehmen, dass diese Denkfigur grundlegend für das oben genannte herodoteische Leitmotiv ist, dass nämlich die Griechen ihre Freiheit gegen eine persische Unterdrückung verteidigt hätten178. In dieser Denkweise jedenfalls haben die Griechen die heroischen Leistungen ihrer selbst gewählten Ahnen, der homerischen Troia-Kämpfer, egalisiert, wenn nicht übertroffen. Wenn es nun richtig ist, dass die Plataiai-Elegie alle Plataiomachoi gegenüber den Troia-Kämpfern mindestens auf Augenhöhe stellt, dann muss sie auch in einem entsprechenden Rahmen dargeboten worden sein. Der abgeschlossene, exklusive Kreis eines Symposions179 verbietet sich dafür. Übrig blieben öffentliche Performanceorte, bestenfalls solche mit einem panhellenischen Bezug. In diese Richtung diskutiert die Forschung auch vehement Alternativen180. Angesichts fehlender konkreter Hinweise innerhalb der Elegie lassen sich diese wohl aber kaum seriös eingrenzen181. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass in der Plataiai-Elegie ohne Zweifel eine neue Art von Homerrezeption festzustellen ist. Zwar greifen auch bei Simonides 176 177 178 179 180
181
Aeschines. in Ctes. 183–185 = XL FGE. Vgl. BOEDEKER 2001, 125 f. Paus. I, 15, 1–3; ebenso Aesch. in Cte. 186; vgl. CASTRIOTA 1992, 28. Siehe S. 156 f.; vgl. grundlegend BOEDEKER 2001, 124–130. Vgl. in diese Richtung grundlegend M. L. WEST 1993, 9. In Richtung der bei Thuk. III 57 genannten Eleutherien denken BOEDEKER 1995, 225; STEHLE 2001, 118 f., BEARZOT 1995, 75–79; SALVATO 1998, 126, obwohl deren Existenz für die unmittelbare Zeit nach der Schlacht nicht gesichert ist; vgl. RUTHERFORD 2001, 40 f. mit weiterer Literatur. SCHACHTER 1998, 126 favorisiert hingegen eine Darbietung beim Achilleus-Kult von Sigeion, ohne dass diese belegbar wäre. SHAW 2001, 179 denkt sehr hypothetisch an einen angeblichen Achilleus-Kult bei den Isthmischen Spielen. ALONI 1994, 21 f. interpretiert die Elegie als Auftragsarbeit Spartas, die im weiteren Sinne bei Plataiai dargebracht worden sei – in welchem Rahmen, bleibt unklar. So auch JUNG 2006, 239 f.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
die bekannten Mechanismen der intentionalen Homerrezeption: Durch den Bezug auf einen idealisierten Achill soll die Heroizität des Sieges über die Perser emphatisch verdeutlich werden. Neu jedoch ist die Tatsache, dass das κλέος, das die Troia-Kämpfer personifizieren und das zuvor den Zentralbegriff der aristokratischen Wertewelt darstellte, nunmehr auf alle Plataiomachoi jenseits sozialer Schranken übertragen wird. Mit der Popularisierung des κλέος-Begriffs erfolgt zwangsläufig auch die Öffnung des Homerischen hin zum demos. Letzterer vereinnahmt dabei diejenigen Schlagworte und Rezeptionsmechanismen, die zuvor alleine aristokratischen Kreisen innerhalb des Symposions vorbehalten waren. Diese populäre Form der Homerrezeption bildet diejenigen Vorgänge, die sich auch in ihrem sozio-politischen Kontext nachvollziehen lassen, ab. Mit den isonomen Tendenzen am Ende der Spätarchaik verliert die Aristokratie ihre politische Vorreiterrolle in weiten Teilen des griechischen Kulturkreises und der demos übernimmt sukzessiv mehr politische Kompetenzen. Daher ist es folgerichtig, dass nun das, was zuvor anhand der stesichoreischen Narrative allenfalls zu ahnen war, nunmehr gewiss ist: Der demos wird zur treibenden Kraft der Homerrezeption; letztere wird zum konstitutiven Bestandteil der polis-Genese. Dennoch wäre es verfehlt zu sagen, dass Homerisches der Aristokratie gleichsam abhanden gekommen wäre. Ein abschließender Blick auf die pindarische Homerrezeption wird zeigen, dass man auch während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts mit einer aristokratischen Homerrezeption rechnen muss. 6.4 Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie Dass Mythisches im Allgemeinen und Homerisches im Besonderen bei Pindar einen besonderen Stellenwert haben, ist bekannt182. In dem hier interessierenden Zusammenhang soll daher nur ein Epinikion näher analysiert werden, und zwar die achte Isthmische Ode. Sie steht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Schlacht von Plataiai und bietet sich daher für einen Vergleich zur simonideischen Elegie an:
182
Dennoch stellt eine diesbezügliche umfassende Untersuchung nach wie vor ein Desiderat dar. Es finden sich allenfalls Teiluntersuchungen; vgl. KÖHNKEN 1970; ders. 1975; CAREY 1981, 7–13; NISETICH 1989; KRUMMEN 1990, 267–273; NAGY 1990, 146–154, 192–198 und 199–214; neuerdings SOTIRIOU 1998, die allerdings nur eine umkommentierte Kompilation einschlägiger Textstellen gibt.
6.4 Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie
185
Pind. I. VIII Snell/Maehler 183 Α´
5 5a 6a
10 Β´
15 15a 16a
183
Κλεάνδρῳ τις ἁλικίᾳ τε λύτρον εὔδοξον, ὦ νέοι, καμάτων πατρὸς ἀγλαὸν Τελεσάρχου παρὰ πρόθυρον ἰὼν ἀνεγειρέτω κῶμον, Ἰσθμιάδος τε νίκας ἄποινα, καὶ Νεμέᾳ ἀέθλων ὅτι κράτος ἐξεῦρε· τῶ καὶ ἐγώ, καίπερ ἀχνύμενος θυμόν, αἰτέομαι χρυσέαν καλέσαι Μοῖσαν. ἐκ μεγάλων δὲ πενθέων λυθέντες μήτ᾽ ἐν ὀρφανίᾳ πέσωμεν στεφάνων, μήτε κάδεα θεράπευε· παυσάμενοι δ᾽ ἀπράκτων κακῶν γλυκύ τι δαμωσόμεθα καὶ μετὰ πόνον· ἐπειδὴ τὸν ὑπὲρ κεφαλᾶς γε † Ταντάλου λίθον παρά τις ἔτρεψεν ἄμμι θεός, ἀτόλματον Ἑλλάδι μόχθον. ἀλλ᾽ ἐμοὶ δεῖμα μὲν παροιχομένων καρτερὰν ἔπαυσε μέριμναν· τὸ δὲ πρὸ ποδὸς ἄρειον ἀεὶ βλέπειν χρῆμα πάν· δόλιος γὰρ αἰὼν ἐπ᾽ ἀνδράσι κρέμαται, ἑλίσσων βίου πόρον· ἰατὰ δ᾽ ἔστι βροτοῖς σύν γ᾽ ἐλευθερίᾳ καὶ τά. χρὴ δ᾽ ἀγαθὰν ἐλπίδ᾽ ἀνδρί μέλειν. χρὴ δ᾽ ἐν ἑπταπύλοισι Θήβαις τραφέντα Αἰγίνᾳ Χαρίτων ἄωτον προνέμειν, πατρὸς οὕνεκα δίδυ-
Kritik an der Einordnung Kleandros’ als Kind durch Snell/Maehler übt m. E. zu Recht CAREY 1981, 184 f. nach WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 196f; abwägend hingegen BURNETT 2005, 108, Anm. 5. Nützliche Kommentare für diesen vielerorts dunklen Text finden sich bei BURY 1892, 138–152; FARNELL 1932, II 376–385; THUMMER 1969, 125–142 sowie schließlich CAREY 1981, 184–207.
186
20 Γ´
25 25a 26a
30 Δ´
35 35a 36a
40
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
μαι γένοντο θύγατρες Ἀσωπίδων {θ᾽} ὁπλόταται, Ζηνί τε ἅδον βασιλέϊ. ὃ τὰν μὲν παρὰ καλλιρόῳ Δίρκᾳ φιλαρμάτου πόλιος ᾤκισσεν ἁγεμόνα· σὲ δ᾽ ἐς νᾶσον Οἰνοπίαν ἐνεγκὼν κοιμᾶτο, δῖον ἔνθα τέκες Αἰακὸν βαρυσφαράγῳ πατρὶ κεδνότατον ἐπιχθονίων· ὅ καί δαιμόνεσσι δίκας ἐπείραινε· τοῦ μὲν ἀντίθεοι ἀρίστευον υἱέες υἱέων τ᾽ ἀρηΐφιλοι παῖδες ἀνορέᾳ χάλκεον στονόεντ᾽ ἀμφέπειν ὅμαδον, σώφρονές τ᾽ ἐγένοντο πινυτοί τε θυμόν. ταῦτα καὶ μακάρων ἐμέμναντ᾽ ἀγοραί, Ζεὺς ὅτ᾽ ἀμφὶ Θέτιος ἀγλαός τ᾽ ἔρισαν Ποσειδὰν γάμῳ, ἄλοχον εὐειδέα θέλων ἑκάτερος ἑὰν ἔμμεν· ἔρως γὰρ ἔχεν. ἀλλ᾽ οὔ σφιν ἄμβροτοι τέλεσαν εὐνὰν θεῶν πραπίδες, ἐπεὶ θεσφάτων άκουσαν· εἶπε δ᾽ εὔβουλος ἐν μέσοισι Θέμις, εἵνεκεν πεπρωμένον ἦν, φέρτερον πατέρος ἄνακτα γόνον τεκεῖν ποντίαν θεόν, ὃς κεραυνοῦ τε κρέσσον ἄλλο βέλος διώξει χερὶ τριόδοντός τ᾽ ἀμαιμακέτου, Ζηνὶ μισγομέναν ἢ Διὸς παρ᾽ ἀδελφεοῖσιν. ῾ἀλλὰ τὰ μέν παύσατε· βροτέων δὲ λεχέων τυχοῖσα υἱὸν εἰσιδέτω θανόντ᾽ ἐν πολέμῳ, χεῖρας Ἄρεΐ ἐναλίγκιον στεροπαῖσί τ᾽ ἀκμὰν ποδῶν. τὸ μὲν ἐμόν, Πηλέϊ γέρας θεόμορον ὀπάσσαι γάμου Αἰακίδᾳ, ὅν τ᾽ εὐσεβέστατον φάτις Ἰαολκοῦ τράφειν πεδίον·
6.4 Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie
Ε´
45 45a 46a
50 Ϝ´
55 55a 56a
60 Ζ´ 184
187
ἰόντων δ᾽ ἐς ἄφθιτον ἄντρον εὐθὺς Χίρωνος αὐτίκ᾽ ἀγγελίαι μηδὲ Νηρέος θυγάτηρ νεικέων πέταλα δὶς ἐγγυαλιζέτω ἄμμιν· ἐν διχομηνίδεσσιν δὲ ἑσπέραις ἐρατόν λύοι κεν χαλινὸν ὑφ᾽ ἥρωϊ παρθενίας.᾽ ὣς φάτο Κρονίδαις ἐννέποισα θεά· τοὶ δ᾽ ἐπὶ γλεφάροις νεῦσαν ἀθανάτοισιν· ἐπέων δὲ καρπός οὐ κατέφθινε. Φαντὶ γὰρ ξύν᾽ ἀλέγειν καὶ γάμον Θέτιος ἄνακτα, καὶ νεαρὰν ἔδειξαν σοφῶν στόματ᾽ ἀπείροισιν ἀρετὰν Ἀχιλέος· ὃ καὶ Μύσιον ἀμπελόεν αἵμαξε Τηλέφου μέλανι ῥαίνων φόνῳ πεδίον γεφύρωσέ τ᾽ Ἀτρεΐδαισι νόστον, Ἑλέναν τ᾽ ἐλύσατο, Τροΐας ἶνας ἐκταμὼν δορί, ταί νιν ῥύοντό ποτε μάχας ἐναριμβρότου ἔργον ἐν πεδίῳ κορύσσοντα, Μέμνονός τε βίαν ὑπέρθυμον Ἕκτορά τ᾽ ἄλλους τ᾽ ἀριστέας· οἷς δῶμα Φερσεφόνας μανύων Ἀχιλεύς, οὖρος Αἰακιδᾶν Αἴγιναν σφετέραν τε ῥίζαν πρόφαινεν. τὸν μὲν οὐδὲ θανόντ᾽ ἀοιδαὶ έλιπον, ἀλλά οἱ παρά τε πυρὰν τάφον θ᾽ Ἑλικώνιαι παρθένοι στάν, ἐπὶ θρῆνόν τε πολύφαμον ἔχεαν. ἔδοξ᾽ ἦρα καὶ ἀθανάτοις, ἐσλόν γε φῶτα καὶ φθίμενον ὕμνοις θεᾶν διδόμεν. τὸ καὶ νῦν φέρει λόγον184, ἔσIn der Überlegung, was konkret das Subjekt von φέρει λόγον sei, folge ich KÖHNKEN 1975, 29 f., der m. E. zu Recht auf die Parallelisierung des Lobpreises für Nikokles mit demjenigen für Achill hinweist.
188
65 65a 66a
70 1
2
185
186
6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
συταί τε Μοισαῖον ἅρμα Νικοκλέος μνᾶμα πυγμάχου κελαδῆσαι. γεραίρετέ νιν, ὃς Ἴσθμιον ἂν νάπος Δωρίων ἔλαχεν σελίνων· ἐπεὶ περικτίονας ἐνίκασε δή ποτε καὶ κεῖνος ἄνδρας ἀφύκτᾳ χερὶ κλονέων. τὸν μὲν οὐ κατελέγχει κριτοῦ γενεά πατραδελφεοῦ· ἁλίκων τῶ τις ἁβρόν ἀμφὶ παγκρατίου Κλεάνδρῳ πλεκέτω μυρσίνας στέφανον, ἐπεί νιν Ἀλκαθόου τ᾽ ἀγὼν σὺν τύχᾳ ἐν Ἐπιδαύρῳ τε νεότας δέκετο πρίν· τὸν αἰνεῖν ἀγαθῷ παρέχει· ἥβαν γὰρ οὐκ ἄπειρον ὑπὸ χειᾷ {πω}185 καλῶν δάμασεν. Für186 Kleandros, den gleichaltrigen Freund, soll einer, ihr Jünglinge, zu der leuchtenden Vorhalle / des Hauses seines Vaters Telesarchos gehen und zum ruhmvollen Lohn / für seine Mühen ein Festlied anstimmen, / eine Gabe für seinen isthmischen Sieg, und weil er in Nemea / [5] aus den Kämpfen überlegen hervorgegangen. So bitte auch ich, wenn auch betrübten Herzens, die goldene Muse anrufen zu dürfen. / Von großen Leiden befreit, / wollen wir es nicht verweigern, uns zu bekränzen. / Nähre nicht deinen Kummer! Wir sind frei von auswegloser Not / und wollen, auch wenn Mühsal vorangegangen, die Gemeinschaft an einem süßen Lied teilhaben lassen. / Hat doch den Stein des Tantalos, der über unserem Haupt / schwebte, / [10] ein Gott von uns abgewendet, eine unerträgliche Last für Griechenland. Die Furcht vor den Ereignissen, die jetzt vorbei sind, / hatte die Kraft meines Denkens gelähmt. Doch auf das, was zunächst liegt, / zu sehen, ist überall besser. Denn tückisch schwebt die Zeit über den Menschen / [15] und wirbelt ihre Lebensbahn hin und her. Doch im Verein mit Freiheit gibt es für die Menschen auch dafür ein Heilmittel. / Der Mensch muss sich guter Hoffnung anvertrauen. / Und wer im siebentorigen Theben aufgewachsen, / muss Aigina die Blüte der Chariten zuteilen: / Von
Die Stelle ist verderbt, siehe WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 196, Anm. 2 und Pind. I. VIII SNELL/MAEHLER ad loc. ; zur Rekonstruktion vgl. FARNELL 1932, II 384 f.; NORWOOD 1952; THUMMER 1969, 141 f.; YOUNG 1973; SLATER 1977; CAREY 1981, 204 f.; zuletzt BURNETT 2005, 107 f., Anm. 4. Der Autor dieser Übersetzung ist DÖNT 2007, 272–281.
6.4 Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie
3
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5
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Asopos, dem Vater, stammen sie beide ab als Zwillingstöchter, / die jüngsten, und sie gefielen Zeus, dem König. / Dieser setzte Thebe beim schönen Lauf / [20] des Dirkeflusses als Fürstin ein über die wagenliebende Stadt, dir, Aigina, aber wohnte er bei auf der Insel Oinapia, und du gebarst hier dem tiefdonnernden Vater den göttlichen Aiakos, den frömmsten / der Menschen. Dieser vollzog auch / für die Götter die Rechtsprechung. Seine göttergleichen / [25] Kinder und kampfesfreudigen Kindeskinder waren die Besten, wenn es darum ging, sich mit Mannesmut / im ehernen, seufzerreichen Getümmel zu bewähren. / Besonnen waren sie und klug / Dessen gedachte auch die Versammlung der Götter, / als Zeus und der strahlende Poseidon um Thetis stritten, wegen der Hochzeit, / da beide die schöne Frau zu ihrer Gemahlin wollten. / Denn sie liebten sie. / [30] Doch der unsterbliche Sinn der Götter ließ ihren Wunsch nach der Ehe nicht in Erfüllung gehen. Sie hörten nämlich die Weissagung: Die wohlratende Themis sagte unter ihnen, / dass es bestimmt sei, die Meeresgöttin werde einen Sohn gebären, / der ein mächtigerer Herrscher als der Vater sein / und eine andere, stärkere Waffe führen werde als den Blitz / [35] und den unbezwinglichen Dreizack, wenn sie sich mit Zeus / oder seinem Bruder verbinde: „So lasst doch dies sein! In der Verbindung mit einem Sterblichen soll sie / einen Sohn bekommen, den sie im Kampf fallen sieht, / mit einer Armeskraft wie Ares und Füßen schnell wie der Blitz. / Was mich betrifft, so meine ich, Peleus, dem Sohn des Aiakos, diese von Gott / zugeteilte Ehre der Hochzeit zu gewähren, / [40] er soll der Frömmste sein, den das Land Iolkos beherbergt. Sogleich soll geradewegs die Nachricht zur unvergänglichen Höhle Chirons gehen, / und die Tochter des Nereus soll uns nicht zweimal Blätter / des Streits reichen. / Am Vollmondabend mag sie in der Umarmung des Helden / [45] den lieblichen Gürtel der Jungfrauschaft lösen.“ So sprach die Göttin zu den Kroniden. / Und diese nickten zu mit ihren unsterblichen / Lidern. Die Frucht der Worte ging nicht verloren. Man sagt nämlich, auch der Fürst Peleus habe sich im / gemeinsamen Interesse um die Ehe mit Thetis bemüht. Und der Mund der Dichter wies / die Unwissenden auf die jugendliche Tüchtigkeit des Achill. / Dieser tränkte die Weinebene Mysiens / [50] mit dem schwarzen Mordblut des Telephos und baute den Atriden die Brücke zur Heimkehr, gewann Helena wieder, / nachdem er mit dem Speer die Sehnen Troias zertrennt, die ihn einst hemmten, / als er sich für den männermordenden Kampf / in der Ebene wappnete, nämlich den mächtig-stolzen Memnon, / [55] Hektor und die anderen Helden. Diesen zeigte Achill das Haus / der Persephone, der Schutz der Aiakiden, / und ließ damit Aigina und seine Abstammung in deutlichem Licht sehen. / Auch in seinem Tod verließen ihn nicht die Gesänge, / sondern die Mädchen vom Helikon traten an den Scheiterhaufen und das Grab / und er-
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
gossen ein vieltönendes Klagelied. / Auch den Göttern gefiel es also, / [60] einen tüchtigen Mann auch im Tod den Gesängen der Göttinnen zu weihen. Deshalb macht sich auch jetzt der Musenwagen auf zum Lobpreis, und er eilt, das Andenken / an den Faustkämpfer Nikokles laut zu verkünden. Ehr ihn, / der im Tal des Isthmos / dorischen Eppich gewonnen, nachdem er mit unentrinnbarem Arm bedrängt hatte. / Ihn beschämt nicht der Sohn des trefflichen / Vaterbruders. So soll einer seiner Altersgenossen / dem Kleandros einen zierlichen Myrtenkranz / für den Sieg im Pankration flechten, nachdem er früher am Wettspiel des Alkathoos / mit Erfolg teilgenommen und ihn in Epidauros die Jugend bejubelt. / Ihn zu loben bietet sich für einen Guten an. / [70] Denn er hat seine Jugend das Schöne versuchen lassen und nicht unter den Scheffel gestellt.
Zu Beginn apostrophiert das lyrische Ich recht unvermittelt187 verschiedene neoi, einem gewissen Kleandros zu Ehren anlässlich dessen Sieg bei den Isthmischen und Nemeischen Spielen einen Festzug (κῶμος, Z. 4) auszurichten. Diesem Lob wolle es folgen, indem es die Musen anrufe (Z. 5 f.), auch wenn das lyrische Ich gerade Kummer erleide (Z. 5 f.). So sei Griechenland knapp schier ausweglosen Übeln und dem Ταντάλου λίθος, also dem sicheren Todesurteil, entronnen (Z. 9 f.), und zwar allein durch die Intervention einer Gottheit (θεός, Z. 10). In einer Gnome stellt das lyrische Ich trocken fest, dass die personifizierte Zeit die menschlichen Lebensbahnen tückisch umherwirbeln könne (Z. 14 f.). Zwei Aspekte könnten hiervon Abhilfe schaffen, nämlich Freiheit (ἐλευθερία, Z. 15) und Hoffnung (ἐλπίς, Z. 15a)188. Um diesen Sachverhalt zu erläutern, rekurriert das lyrische Ich nun auf den Mythos, vielmehr: auf den als historisch empfundenen Mythos. Da es in Theben aufgewachsen sei, müsse es Aigina honorieren (Z. 15a). Dort sei nämlich mit den Aiakiden ein ebenso rechtschaffenes wie kampfesmutiges Göttergeschlecht zu finden (Z. 21–25a). Um die Aiakidin Thetis sei nun ein Streit zwischen Zeus und dessen Bruder Poseidon entbrannt (Z. 26a-30)189. Auf Warnung der Titanin Themis hätten allerdings beide Götter von der Aiakidin abgelassen: Der Abkomme von Thetis werde nämlich, so die Prophezeiung, dessen Vater an Gewaltigkeit übertreffen (Z. 31–37). Aus diesem Grunde sei Peleus die Hochzeit mit Thetis zugestanden worden (Z. 38–47). Aus dieser Verbindung nun sei Achill hervorgekommen. Dieser habe den Atriden die ruhmvolle Heimkehr aus Troia ermöglicht (Z. 51), nachdem er Helena zurückgewonnen und unzählige troische Helden getötet hatte (Z. 52–55a). Auf diese Weise habe Achill zum einen für sich selbst, zum anderen aber auch für seine Heimat Aigina unermessliche Ehren erlangt (Z. 55a-60). 187 188 189
Zum Rahmenverhältnis zwischen initialem und finalem Enkomion vgl. KÖHNKEN 1975, 25 f.; eine ausführlichere Interpretation bei BURNETT 2005, 109 f. Eine ausführliche Kontextualisierung dieses Gedankens bei BURNETT 2005, 111–113. Zur einer genaueren Deutung Zeus’ und Poseidons in diesem Kontext vgl. KÖHNKEN 1975, 28.
6.4 Pindars aristokratischer Homer: die achte Isthmie
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So vollzieht Achill die besagte göttliche Prophezeiung. Darüber hinaus schließt sich auf diese Weise der Kreis, den das lyrische Ich in seiner Gnome angedeutet hat: Aus Streit und Gewalt erwächst Hoffnung und Freiheit. Vor dem Hintergrunde dieses hier exemplifizierten zyklischen Weltbildes ist die Synthese im abschließenden Enkomion, die wieder in die Gegenwart des lyrischen Ichs weist, folgerichtig. Zuerst gedenkt die persona loquens analog der ὕμνοι θεᾶν (Z. 60) für den gefallenen Achill des verstorbenen Faustkämpfers Nikokles und dessen ruhmvollen Siegen (Z. 61–65)190. Dessen Cousin Kleandros erweise sich nun als ebenbürtiger Nachfolger, da er den Sieg im Pankration davongetragen habe (Z. 65a-70)191. So vollzieht sich in den athletischen Siegen Kleandros’ die gnomische Weisheit des lyrischen Ichs samt dem ihr innewohnenden zyklischen Geschichtsbild, und zwar in zweifacher Weise: Zuerst führen die Siege des laudandus die Ehre, die der Cousin Nikokles begründet hat, innerhalb der Familie weiter und helfen somit, über den Tod des letzteren hinwegzukommen192. Dann symbolisiert der Kampfesmut des jungen und schönen Kleandros (Z. 70) den Neuanfang für ganz Griechenland, das kurz zuvor sich noch in einer schier ausweglosen Lage befunden hat. Kleandros’ Sieg im Pankration erhält daher eine umso höhere Weihe. Insgesamt betrachtet, ist also die besagte Gnome der zentrale argumentative Fixpunkt des Epinikions. Die Ruhmestaten Achills dienen ebenso wie der Sieg Kleandros’ dazu, die auf Linderung abzielende universale Weisheit, die das lyrische Ich anlässlich eines persönlich empfundenen Schmerzes entfaltet, zu belegen193. Mit dieser Analogie, die zwischen Achills und Kleandros’ Taten in Bezug auf die gnomische Lehre besteht, ist auch die Funktion des Homerrekurses in dieser Ode benannt. Achill dient dazu, den Ruhm Kleandros’ zu verdeutlichen. In zweierlei Hinsicht sind die beiden nämlich miteinander verbunden. Zuerst sind in der Denkweise des lyrischen Ichs sowohl Achill als auch Kleandros als Ägineten in letzter Konsequenz Nachfahren ein und derselben Person, nämlich der eponymen Göttin Aigina (Z. 21–23)194. Aus dieser gemeinsamen Genealogie heraus speist sich die Feststellung, dass Mannhaftigkeit (ἀνορέα, Z. 25) das zentrale Charakteristikum aller Ägineten sei. Dieses Merkmal bildet also das tertium comparationis zwischen dem Paradigma Achill Vgl. zu diesem inhaltlichen Parallelismus KÖHNKEN 1975, 30 f. Vgl. zu diesem reziproken Verhältnis innerhalb des Siegergeschlechtes MANN 2001, 200–202. Weitere Überlegungen zu Nikokles, insbesondere hinsichtlich dessen Todesursache, sind unbegründet; vgl. BURY 1892, 133; hiernach RUCK 1968, 672 und KÖHNKEN 1975, 26; hiergegen CARNE-ROSS 1985, 122. 193 Zur Gnome als epinikisches Strukturelement vgl. LARDINOIS 1995; STENGER 2004, 52–55; BOEKE 2007 und MARTIN 2009. Zum Wechselspiel zwischen Leid und Erlösung als zentrales Merkmal der Ode vgl. bereits KÖHNKEN 1975, 25 f., 29 f. und 31, der allerdings nicht auf die zentrale Gnome eingeht; ähnlich CAREY 1981, 193–195, 203 f. und 205–207 sowie, wenn auch schwächer, BURNETT 2005, 116 f. 194 In diesem Zusammenhang rekurriert das lyrische Ich Pindars auf die aiginetische Version des Aiakidenmythos, vgl. grundlegend PRINZ 1979, 34–56; zur besonderen identifikatorischen Relevanz des Aiakidenmythos hinsichtlich des äginetischen Publikums vgl. MANN 2001, 204–212. 190 191 192
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und seinem jungen Widerpart im Geiste: Der Ruhm des Peliden wirkt zuerst auf seine Heimat Aigina zurück (Z. 55 f.), fokussiert sich aber insbesondere in Kleandros. Hinzu kommt, dass der Achill, wie ihn das lyrische Ich zeichnet, im Vergleich zur homerischen Vorlage als noch ehrenvoller erscheint. Er allein sei es demnach gewesen, der den Atriden die Heimkehr nach der Belagerung Troias ermöglich habe (Z. 51) und nicht etwa der listenreiche Odysseus195. Diese Einengung der homerischen Tradition ist bezeichnend für den argumentativen Mechanismus, den das lyrische Ich verfolgt: Je heller der Glanz Achills erstrahlt, desto heller erscheint auch sein Analogon Kleandros und desto eingängiger erweist sich schließlich das zyklische Weltbild von der Ablösung elementarer Not durch Hoffnung und Freiheit196. Indem also das lyrische Ich die troische Vergangenheit um Achill mit der Gegenwart um Kleandros verklammert, erinnert es intentional. Es ist nun viel darüber nachgedacht worden, wie die Ode zu deuten sei. Gemeinhin wird das Gedicht gerade mit Verweis auf die dort zitierte elementare Gefahr, in der sich Griechenland befunden habe (Z. 9–11), historisch interpretiert. Der Ταντάλου λίθος (Z. 10) stehe demnach metaphorisch für die Bedrohung, die von den Persern nach dem gescheiterten Ionischen Aufstand ausgegangen sei197. Die anonyme Gottheit, welche die Gefahr abgewendet hat (Z. 10 f.), wird demnach mit dem endgültigen Sieg des Hellenenbundes gegen die Perser bei Plataiai (479 v. Chr.) in Bezug gesetzt; die Ode wäre demnach in diesem Zusammenhang zu datieren198. Zu dieser Interpretation würde die geschwisterliche Verbindung zwischen Theben und Aigina, die das lyrische Ich betont (Z. 16–23), passen. Hinter diesen Zeilen vermuten viele einen biographischen Hinweis auf Pindar selbst. Der Thebaner entspreche demnach dem lyrischen Ich und erweise auf diese Art seine Dankbarkeit seinen äginetischen Gastgebern gegenüber. Dort habe er während der Perserkriege Zuflucht gefunden, da der Dichter mit der Kollaboration seiner thebanischen Heimatstadt mit den Persern199 nicht einverstanden gewesen sei200.
Hom. Od. VIII 492–495. NAGY 1990, 202–206 spricht ähnlich von einem reziproken Verhältnis, das zwischen den homerischen Heldentaten, d. h. den κλέα ἀνδρῶν gemäß Hom. Il. IX 524 f., und denjenigen Kleandros’ bestehe; dessen Name sei insofern sprechend. 197 So bereits Schol. Pind. I. 8 ad 12a; b; 17a; b; 30a. 198 Vgl. grundlegend WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 195; FARNELL 1932, II 376; FINLEY 1955, 29 f.; ders. 1958, 128–130; BOWRA 1964, 113 f.; RUCK 1968, 670; KÖHNKEN 1975, 25; CAREY 1981, 184; NAGY 1990, 193 f.; LEFKOWITZ 1991, 44–47; HUBBARD 2001, 396 f.; BURNETT 2005, 107–109. 199 Hdt. IX 15, 2; 16, 1. 200 So bereits analog Pol. IV 31, 5; vgl. BURY 1892, 134; mehr noch WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922, 195 mit der Sache nach unbegründeten Vermutungen über die finanzielle Lage Pindars; hiernach FARNELL 1932, I 286; FINLEY 1955, 29 f.; BOWRA 1964, 113 f.; schwächer NAGY 1990, 206 f.; stärker wiederum LEFKOWITZ 1991, 46 f. und BURNETT 2005, 113. Die Vorstellung, dass Aigina und Theben als Geschwister von Asopos abstammten, scheint allerdings mit Hdt. V 80, 1 wenigstens in herodoteischer Zeit topisch gewesen zu sein, was gegen eine 195 196
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Dieser historistisch-biographischen Interpretationsrichtung steht die streng strukturalistische Annahme, dass jedes Element epinikischer Dichtung ausschließlich werkimmanent begründet sei, indem es auf den Lobpreis des Auftraggebers abziele, gegenüber. Folglich verbiete sich jede außerliterarische Bezugnahme201. Dass diese Denkrichtung durchaus ihre Berechtigung hat, lässt sich gerade an der hier interessierenden Ode nachvollziehen. Sämtliche der oben dargelegten Teile fokussieren sich in letzter Konsequenz auf die Klimax des abschließenden Enkomions. Selbst das zyklische Geschichtsbild, welches das zentrale Strukturmerkmal dieses Epinikions darstellt, weist funktional auf den laudandus Kleandros hin, da letzterer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft personifiziert. Dieser strukturalistischen Denkrichtung gebührt das Verdienst, die oben genannte, allzu leichtfertige biographische Identifizierung des lyrischen Ichs mit Pindar selbst zu hinterfragen. Eine historische Auswertung von dessen Oden im Allgemeinen und I. 8 im Besonderen ist allerdings sehr wohl möglich, selbst wenn man die Person Pindar, die sich samt ihren etwaigen politischen Vorstellungen hinter dem lyrischen Ich verbergen könnte, außer Acht lässt. Dies zeigen die folgenden drei Aspekte. Zuerst ist die grundsätzlich pragmatische Funktion der Gattung Epinikion zu nennen. Unter diesem Begriff subsumierten die alexandrinischen Philologen sämtliche chorlyrischen Dichtungen, die dem Lobpreis eines Siegers bei athletischen Wettkämpfen dienten202. Epinikien hatten insofern ab Ibykos einen klar umrissenen Sitz im Leben der archaischen polis203. Sie stellten Auftragsdichtungen, die von den siegreichen Athleten oder ihren Familien um des eigenen Ruhmes willen kommissioniert worden sind, dar. Epinikien sind daher ein Medium der Selbstdarstellung, und zwar von Menschen, die sich das auch rein ökonomisch leisten konnten. Ihre Auftraggeber waren daher Angehörige der aristokratischen Oberschicht. Es ist insofern zwangsläufig, dass diese Dichtungen auf den Athleten und sein Geschlecht, aber auch auf den öffentlichen Kontext, in dem die Dichtung dargeboten wurde, Bezug nehmen204. Diese Feststellung führt zum zweiten Punkt, der außerliterarische Aspekte berührt. Innerhalb der hier zu betrachtenden Ode sind die genannten Hinweise auf den außerliterarischen Kontext klar auszumachen. Dies betrifft in erster Linie die Aufforderung des lyrischen Ichs im initialen Enkomion an einen der offenbar anwesenden neoi, einen komos dem Sieger Kleandros zu Ehren zu veranstalten (Z. 1–5). Diese Bitte wird im abschließenden Enkomion wieder aufgenommen, indem das lyrische Ich einen der allzu enge biographische Interpretation einzuwenden wäre; in diese Richtung mit umfassender Kritik, auch zur besagten Polybios-Stelle, RUCK 1968, 661–670. 201 Vgl. BUNDY 1962, 35 f. 202 Vgl. nach wie vor grundsätzlich zur epinikischen Komposition SCHADEWALDT 1928; hiernach HAMILTON 1974; LEFKOWITZ 1976; NAGY 1990, 146–154; MANN 2001, 40–49 und neuerdings BOWIE 2012a. 203 Vgl. zur Geschichte dieses Genres THOMAS 2007 und RAWLES 2012. 204 Vgl. zu diesem Zusammenhang grundlegend GELZER 1985, 93–97; analog MORRISON 2012.
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jugendlichen Altersgenossen dazu aufruft, einen Myrtenkranz dem Sieger zu flechten (Z. 65a-68). Beide Aspekte – die Ausrichtung eines Festzugs sowie Ehrung des Siegers mit einem Myrtenkranz – symbolisieren das reziproke Verhältnis zwischen dem Sieger und der polis Aigina. Der Ruhm des Siegers Kleandros fällt auf seine Heimat-polis, als deren Spross ihn das lyrische Ich explizit erachtet, zurück. Jene zeigt sich im Gegenzug erkenntlich, indem sie den Sieger öffentlich ehrt205. Genau diese Praxis spiegeln die beiden Enkomia der Ode mit den Aufforderungen, einen komos auszurichten und einen Myrtenkranz zu übergeben, wider. Sollen diese Aufrufe Sinn ergeben, muss das Epinikion kurz nach der Wiederkehr Kleandros’ nach Aigina dargeboten worden sein206. Das lyrische Ich setzt nun diese öffentliche Ehrerbietung gegenüber Kleandros mit einem großen Unglück, dem Griechenland knapp entronnen sei, synchron. Vor dem Hintergrunde dieser werkimmanenten Logik ist tatsächlich ein thematischer und zeitlicher Bezug zur Schlacht von Plataiai naheliegend. Die Ode ist daher kurz nach 479 v. Chr. zu datieren. Dies alles führt zum letzten Aspekt, der die historische Situation in Aigina während des frühen fünften vorchristlichen Jahrhunderts beleuchtet. Die diesbezügliche Quellenlage ist, gerade was die außerliterarischen Zeugnisse angeht, ausgesprochen spärlich207, weswegen man auf Rekonstruktionen angewiesen ist208. Über die früharchaische Geschichte dieser polis ist kaum etwas bekannt. Herodot berichtet zwar davon, dass Aigina von Doriern besiedelt worden sei209, allerdings werden diese Wanderungsmythen von der neueren Forschung kritisch beurteilt210. Gesichert wiederum ist, dass diese Insel im Saronischen Golf bei einer wahrscheinlich sehr hohen Bevölkerungsdichte kaum landwirtschaftlich genutzt werden konnte211, was offenbar dazu führte, dass die Ägineten ihr Heil auf See suchten. Die Verbindung Aiginas mit Maritimem wurde bereits früh nahezu sprichwörtlich212. So betätigten sich die Ägineten als
205 Vgl. grundlegend KURKE 1991 85–107; hiernach MANN 2001, 33–36 und 202–204. 206 Die kürzlich aufgeworfene Frage, ob Enkomia im Allgemeinen und Pind. I. 8 im Besonderen mehrfach aufgeführt worden sind, braucht hier nicht erörtert werden; vgl. MORRISON 2006 und ders. 2012. 207 Mutmaßungen zu den Gründen bei MANN 2001, 220; vgl. grundsätzlich zu dieser Praxis AGÓCS 2012. 208 Vgl. nach wie vor grundlegend FIGUEIRA 1977, 1–39; hiernach ders. 1981, 1–21; GEHRKE 1986, 172– 174; MANN 2001, 220–225; BURNETT 2005, 13–28. 209 Hdt. VIII 46, 1; analog Paus. II 29, 5. Literarisch spiegelt diese Vorstellung Pind. fr. 1, 1–4 Snell/ Maehler wider, was allerdings dem Bild von autochthonen Ägineten, wie es Pind. I. 8, 21 ff. formuliert, widerspricht; siehe S. 191 f. 210 Vgl. PRINZ 1979, 266; hiernach ULF 1996, 259–264; zu diesem Komplex grundlegend FIGUEIRA 1977, 105–110; ders. 1981, 170–173; unkritisch hingegen BURNETT 2005, 13. 211 Ephor. FrGrHist 70 F 176; Strab. VIII 6, 16; vgl. FIGUEIRA 1977, 56–62; ders. 1981, 45 f.; GEHRKE 1986, 172 f. 212 Hes. eh. fr. 205 West; Pind. N. 5, 9; Pind. O. 8, 20.
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Piraten213 und auch als Händler im gesamten mediterranen Raum214. Dabei brachten sie es offensichtlich zu einigem Wohlstand, was man an den Tatsachen ablesen kann, dass Aigina als erste polis des Mutterlandes Münzen emittierte215. Die äginetische Flotte war folgerichtig derjenigen Athens bis in die Perserkriegszeit hinein überlegen216. Der Reichtum ist schließlich auch archäologisch verifizierbar. So fanden sich einige Luxusartikel aus dem Orient in Aigina217; zudem gab es eine ausgeprägte Gräberkultur218. Es ist daher naheliegend, dass sich auf Basis dieses Seehandels eine äginetische Aristokratie bildete. Ob dabei die Angehörigen dieser Oberschicht tatsächlich aktiv als Händler aufgetreten sind – was vielleicht dem aristokratischen Ethos widersprochen hätte – oder ob sie allein die Schiffe oder das Kapital für den Handel zur Verfügung gestellt haben, ist in dem hier interessierenden Zusammenhang zweitrangig219. Jedenfalls ist diese Aristokratie auch bei Herodot bezeugt. Der Historiograph berichtet im Rahmen seiner Erzählung über die äginetisch-athenischen Auseinandersetzungen in post-kleisthenischer Zeit von einer stasis auf Aigina. So habe sich ein gewisser Nikodromos gemeinsam mit dem demos gegen die Führungsschicht der sogenannten Dicken (παχέες), wenn auch erfolglos, erhoben220. Betrachtet man all diese bruchstückhaften Informationen, so verdichtet sich das Bild von einer äginetischen „Kaufmannsaristokratie“, welche die politischen Leitlinien der polis wenigstens zu Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in oligarchischer Weise bestimmte221. Die aristokratische Wertewelt, die I. 8 literarisch evoziert, findet demnach ihren Abnehmer in dem aristokratisch geprägten Aigina der Spätarchaik. Dort hatte die Ode ihren Sitz im Leben. Mit guten Gründen ist dieses Gedicht demnach durchaus historisch zu interpretieren. Mit dieser Feststellung ist auch die soziale Funktion des Homerischen in Pindars Ode benannt. Denn wenn dieses Epinikion per definitionem seinen Zweck darin erfüllt, der Selbstdarstellung Kleandros’ und dessen Familie zu dienen, dann gilt dies umso mehr für den pindarischen Achill. In dessen genealogischer Folge erscheint Kleandros, dessen Mannhaftigkeit löst der Äginet trotz seiner Jugend ein.
So allgemein Thuk. I 5, 1–3 und I 8, 1. Hdt. II 178; IV 152; Aristot. pol. 1291b. Vgl. zu diesem gesamten Komplex von Piraterie und Handel, was Hand in Hand gegangen zu sein scheint, FIGUEIRA 1977, 130–149 und ders.: 1981, 202–214; hiernach GEHRKE 1986, 173 und MANN 2001, 222 f. mit weiterer, vorwiegend archäologischer Literatur. 215 Vgl. FIGUEIRA 1977, 63–65; ders. 1981, 65–79; hiernach MANN 2001, 221 f. 216 Hdt. V 79–89; VI 87–94, 1; vgl. FIGUEIRA 1983; ders. 1985. 217 Vgl. BOARDMAN 1980, 71, 76 f., 81 und 112. 218 Vgl. FIGUEIRA 1977, 281, Anm. 95. 219 Vgl. a. a. O., 280–283; hiernach MANN 2001, 224 f. mit weiterer Literatur. 220 Hdt. VI 91–92, 1; siehe zu dem Begriff auch Hdt. V 30, 3 und V 72, 12. Ob es sich dabei wirklich um einen demokratischen Aufstand gehandelt hat, ist eher unwahrscheinlich, vgl. FIGUEIRA 1977, 194–197; ders. 1981, 308–310; GEHRKE 1985, 15 f. 221 Vgl. grundlegend FIGUEIRA 1877, 180 f.; hiernach ders. 1981, 299–301; GEHRKE 1986, 173 f.; MANN 2001, 225; BURNETT 2005, 17. Das Zitat folgt GEHRKE a. O. 213 214
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
In der Logik der pindarischen Ode erscheint daher Kleandros dem Peliden als mindestens ebenbürtig. In dieser Gleichstellung mit dem göttlichen Helden besteht nun die exzeptionelle Sonderstellung Kleandros’ gegenüber jedem anderen Ägineten. In diesem Sinne befindet sich die pindarische Ode in Kontinuität zur aristokratischen Homerrezeption, wie sie zuerst beim homerischen Demodokos, weiterhin bei den Lyrikern, schließlich bei Ibykos deutlich geworden ist. Pindars Homer dient der Schärfung aristokratischen Selbstbewusstseins. Es ist innerhalb der philologischen Forschung nach wie vor umstritten, ob die pindarischen Epinikien chorisch222 oder monodisch223 dargeboten worden seien, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Alten eine solche Unterscheidung offenbar gar nicht kannten224. Eng mit diesem Problem verbunden ist die ebenfalls kontrovers diskutierte Frage, welchem Ort die Oden zuzuordnen seien. Zur Diskussion stehen sympotische225 und öffentliche Performances226. Von der Sache her haben beide Aufführungskontexte etwas für sich. Auf der einen Seite handelt es sich bei Epinikien grundsätzlich um aristokratische Auftragsdichtungen. Dies spräche für einen sympotischen Kontext, in dessen Rahmen Kleandros gleichsam als ein primus inter pares gefeiert worden wäre. Tatsächlich fordert das lyrische Ich dazu auf, zur Vorhalle (πρόθυρον, Z. 2) des väterlichen Hauses zu gehen, um den komos anzustimmen. Auf der anderen Seite wird der Sieger Kleandros zwar als Individuum ausgezeichnet, allerdings erscheint sein zentrales Charakteristikum, die Mannhaftigkeit, gerade nicht als außergewöhnlich. Vielmehr gilt diese ἀνορέα als zentrales Attribut aller Ägineten, die sich über Achill auf den Stammvater Aiakos berufen (Z. 21 ff.). Der komos beinhaltet insofern nicht nur den Lobpreis für Kleandros, sondern gleichermaßen die Preisung der gesamten polis Aigina227. Es ist dieser Gedanke, der m. E. nach den Ausschlag gibt für die Annahme, dass I. 8 im öffentlichen Rahmen Aiginas, nachdem der Sieger zurückgekommen ist, aufgeführt worden ist. Die initiale Aufforderung, den komos im Hause Kleandros’ durchzuführen, ist insofern stilisiert, zumal das lyrische Ich das Epinikion sowieso bereits angestimmt hat228. Fasst man das alles zusammen, so muss man feststellen, dass eine aristokratische Homerrezeption im fünften vorchristlichen Jahrhundert nach wie vor ihren Platz hat. Sie ist naturgemäß dort zu finden, wo sich die Aristokratie politisch wie kulturell zu halten imstande war. Dies trifft auf Aiginia in besonderer Hinsicht zu. Oligarchen hielten dort die politischen Zügel entgegen den o. g. isonomen Tendenzen in weiten anderen
222 223 224 225 226 227 228
Vgl. BURNETT 1989; CAREY 1989; neuerdings ders. 2007. Vgl. HEATH 1988; LEFKOWITZ 1988; hieraufhin unter Einbeziehung der in Anm. 222 genannten Gegenpositionen dies. 1991. Vgl. grundlegend M. DAVIES 1988; zusammenfassend BAGORDO 2011. Vgl. BURNETT 2005, 8 f.; zuletzt BUDELMANN 2012 und ATHANASSAKI 2016. Vgl. MORRISON 2011, 323–327 und ders. 2012. Vgl. in diesem Sinne MANN 2011, 234 f. nach GELZER 1985, 96 f.; analog FEARN 2010, 211–224; neuerdings LATTMANN 2014. Vgl. zu einer solchen Aufführungsfiktion in anderem Zusammenhang BURNETT 1989, 288.
6.5 Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts
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Teilen Griechenlands in der Hand. Unabhängig von dieser regionalen Besonderheit galt der Athletismus dieser Zeit in ganz Griechenland nach wie vor als aristokratische Domäne229. I. 8 spiegelt vor diesem Hintergrunde in konzentrierter Weise eine außerliterarische, eben aristokratische Wertewelt wider: Kleandros hat sich zuerst den Lobpreis aufgrund seiner individuellen Manneskraft bei den Isthmien verdient, zudem repräsentiert gerade diese Qualität das Selbstverständnis einer oligarchischen Herrschaftsschicht innerhalb der polis Aigina. Der Bezug auf Homerisches dient in diesem Epinikion als Steigbügelhalter einer in zweifacher Hinsicht glorifizierten Gegenwart. Nimmt man die popularisierenden Tendenzen der simonideischen Plataiai-Elegie als Maßstab, so bildet Pindar gleichsam einen konservativen Gegenpol im Rahmen der Homerrezeption des fünften vorchristlichen Jahrhunderts: Der Dorismus ἀνορέα als Scharnier zwischen Aiakos, Achill und Kleandros verweist direkt auf den Kampf, in dem sich Aristokraten seit homerischen Zeiten auszuzeichnen hatten, wollten sie denn als solche angesehen werden230. In dieser Hinsicht reiht sich Pindar in die Linie aristokratischer Homerrezeption, die von Demodokos über die archaischen Lyriker bis Ibykos vorgezeichnet worden ist, ein. 6.5 Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts Das, was sich angesichts der stesichoreischen Narrative vom Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts nur erahnen ließ, ist nunmehr gewiss: Homerisches wird populär. Es sind zwei historische Aspekte, welche diese Entwicklung vorantreiben. Zuerst gewinnt der demos gegen Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts innerhalb verschiedener poleis an politischen Kompetenzen, was naturgemäß zulasten der Aristokratie gehen musste. Diese politische Kompetenzverlagerung in Richtung des demos als Folge der sozialen Krisen der archaischen Zeit wurde nun durch die kriegerischen Auseinandersetzungen bis zu den Perserkriegen bestärkt; in diesem Zusammenhang ist Athen paradigmatisch231. Man hat diese politische Entwicklung mit dem schillernden zeitgenössischen Attribut isonom verbunden: Die überkommenen politischen Vorrechte der Aristokraten wurden zugunsten des demos beschränkt, nicht aufgehoben.
229 Vgl. grundlegend MANN 2001 30–39 und 292–298; neuerdings R. R. R. SMITH 2007. 230 Vgl. STEIN-HÖLKESKAMP 1989, 120 f. 231 Die entscheidenden Maßnahmen in Athen betreffen den Bouleuteneid und die Wahl der zehn Strategen nach Phylen gemäß [Aristot.] Ath. pol. 22, 1–3 sowie die Einführung des Ostrakismos gemäß [Aristot.] Ath. pol. 22, 1; 22, 3–8; Philoch. FrGrHist 328 F 30 und Plut. Arist. 7, 2; 7, 5–8. Zur Diskussion dieser in chronologischer und sachlicher Hinsicht nicht unproblematischen Quellen nach wie vor grundlegend MARTIN 1974, 185–194; hiernach GEHRKE 1984, 541–543; WELWEI 1999, 21–27; FUNKE 2001, 10–13.
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6 Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption
Die Homerrezeption dieser Zeit spiegelt diese soziopolitischen Entwicklungen wider. Die simonideische Plataiai-Elegie glorifiziert sämtliche Plataiomachoi gleichermaßen, indem sie deren κλέος mit demjenigen der Troiakämpfer intentional verschränkt und auf eine Stufe setzt. Demgegenüber steht Pindar. Seine epinikische Homerrezeption vergegenwärtigt das ἀνορέα-Ideal, das alle Ägineten im Allgemeinen sowie der laudandus Kleandros im Besonderen qua origine teilen würden. Simonides popularisiert den genuin aristokratischen κλέος-Begriff, indem er dieses Wertideal auf sämtliche Plataiomachoi unabhängig ihres sozialen Standes bezieht. Pindar hingegen bekräftigt das aristokratische ἀνορέα-Ideal, das er auf die äginetischen Aiakiden und folglich auf den laudandus Kleandros fokussiert. Der simonideische Homer ist ein bürgerschaftliches, der pindarische ein aristokratisches Phänomen. Insgesamt betrachtet, gewinnt demnach die populäre Homerrezeption nach den ersten tentativen Anzeichen bei Stesichoros mit dem Erstarken des Trends zur Isonomie an Schwung. Paradigma in dieser Hinsicht ist das post-kleisthenische Athen. Die Homerrezeption der Aristokratie konzentriert sich folgerichtig auf diejenigen Orte, die dieser Gruppe vorzugsweise vorbehalten sind. Das oligarchische Aigina, wo der aristokratische Athletismus offenbar einen besondere Stellenwert genoss232, ist in dieser Hinsicht sicherlich besonders instruktiv. Jenseits dieser aristokratischen Nischen ist Homerisches jedenfalls mit den Perserkriegen endgültig zum bürgerschaftlichen Gemeingut geworden.
232
Vgl. grundlegend MANN 2001, 234 f.
7 Schlussbetrachtung: Homer und die polis Am Anfang dieser Arbeit stand die Frage, wann und warum Homerisches eine formative, also gemeinschaftsstiftende Wirkung für griechische Bürgerschaften jenseits sozialer Schranken entfaltet hat. Hiervon abhängig waren die Folgefragen nach den sozialen Trägern, dem sozialen Ort und der sozialen Funktion archaischer Homerrezeption. Es hat sich grundsätzlich gezeigt, dass sich seit dem achten vorchristlichen Jahrhundert des Homerischen bedient wurde, um sozio-politische Machtansprüche zu zementieren. Κλέος ist in dieser Hinsicht der zentrale Begriff. Auf die κλέα der homerischen Helden berief sich grundsätzlich, wer seinen eigenen Ruhm demonstrieren wollte. Diese intentionale Verklammerung von erinnernder Gegenwart und erinnerter Geschichte spiegelt als erstes die homerische Demodokos-Episode wider. Odysseus und die phaiakischen basileis um Alkinoos erkennen sich in ihrer gemeinschaftlichen Erinnerung der Heldentaten vor Troia als Gleiche. Aus diesem Bezug auf einen gemeinsamen Vergangenheitsraum erwächst ein Wir-Gefühl, das die phaiakischen basileis und Odysseus von den übrigen laoi abgrenzt. In der genauen Kenntnis des Homerischen kata kosmon manifestiert sich insofern das elitäre Selbstverständnis der homerischen aristoi. Mit guten Gründen lässt sich diese literarisch verarbeitete Form von sozialer Abgrenzung in Bezug zur historisch feststellbaren, sukzessiven Etablierung einer kleinasiatisch-ionischen Proto-Aristokratie, deren Lebensstil sich rasch in der gesamten griechischen oikumene verbreitete, setzen. Äußerlich sichtbarer Beleg dieses expandierenden und sich verfestigenden aristokratischen Savoir-vivre ist das Symposion, in dem Homerisches bis in das sechste vorchristliche Jahrhundert vorwiegend rezipiert worden ist. Die Verschränkung aristokratischer Distinktionsbewegungen mit der Erinnerung von Homerischem stellt nun den ersten Hauptstrang archaischer Homerrezeption dar, der konstitutiv bis in die spätarchaische Zeit sein wird. Dabei folgt die Art und Weise dieser Erinnerungsform den Bedürfnissen ihrer sozialen Träger. So war bei Mimnermos und Alkaios die Homerrezeption funktional an die Abgrenzung der Aristokraten als Gruppe vom übrigen demos und von verfeindeten Hetairien gebunden. Das zent-
200
7 Schlussbetrachtung: Homer und die polis
rale Mittel, um diese Distinktion herzustellen, stellt die Genealogie dar, wie insbesondere in der ideellen Verbindung des Smyrna mimnermischer Zeit mit dem neleischen Pylos deutlich wird. In Zielsetzung und Modi der aristokratischen Form der Homerrezeption zeigt sich dezidiert eine Ähnlichkeit zur literarischen Demodokos-Episode. Mit dem Aufkommen der Tyrannis fokussiert sich nun diese Form distinktiver Homerrezeption auf den Einzelherrscher, dessen κλέος ἄφθιτον gegenüber allen anderen, besonders möglicher aristokratischer Konkurrenz, in den Mittelpunkt gestellt wird. Dies wird paradigmatisch in der ibykischen Ode an Polykrates deutlich. Dort dient eine in vielfacher Weise als glorreich markierte mythische Vergangenheit dazu, die besonderen Qualitäten des samischen Tyrannen zu betonen. Diese machtpolitisch begründete Form tyrannischer Homerrezeption kann man ebenfalls in den aus quellenkritischer Sicht eher unsicher zu beurteilenden Notizen späterer Zeiten, dass Homerisches als argumentum ex auctoritate im Rahmen territorialer Streitigkeiten in peisistratidischer Zeit gebraucht worden sei, wiedererkennen. Auch die antiargivische Kulturpolitik des herodoteischen Kleisthenes von Sikyon passt in dieses Schema. Was den Ort homerischer Performance angeht, vollzieht sich während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts ein Wandel. Um die exklusive Stellung des Tyrannen zu zementieren, wird Homerisches nicht mehr ausschließlich im abgeschiedenen Rahmen des Symposions erinnert. Diese überkommene Form aristokratischer Homerrezeption mag noch auf die ibykische Ode an Polykrates zutreffen. Was allerdings aus dem Apollon-Hymnos herausgedeutet werden kann, spricht dafür, dass Polykrates einen Dichter-agon zu seinen Ehren während der pythisch-delischen Spiele ausgerichtet hat. Auf diese Weise hat der Tyrann seine politische Vormachtstellung öffentlich zelebriert. Diese Form der Homerrezeption zu Ehren des Tyrannen passt grundsätzlich zu den erheblich rhetorisierten Ausführungen des pseudoplatonischen Sokrates, dass in peisistratidischer Zeit die panathenäische Homerrezitation in Athen begonnen habe. Stimmen all diese schwierigen Rekonstruktionen im Zerrspiegel der frühen lyrischen späten erzählenden Quellen, so haben die archaischen Tyrannen nolens volens zur Verbreitung des Homerischen jenseits des überkommenen aristokratisch-sympotischen Rahmens beigetragen. Während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts erhielt demnach Homerisches zunehmend Einzug in das Rezeptwissen1 breiterer bürgerschaftlicher Kreise. Auf diese Weise tragen diese öffentlich-institutionalisierten Rekurse auf die homerischen Vorfahren im Geiste zunehmend dazu bei, das Wir-Gefühl gesellschaftlicher Gruppen, die weit über den tyrannisch-aristokratischen inner circle hinausgehen, zu festigen und jenes gleichsam als „verdinglichte“2, scheinbar objektive Größe zu markieren.
1 2
Zum Begriff siehe S. 57. Vgl. GEHRKE 2003, 67 nach BERGER/LUCKMANN 1969, 94–98 und 185 f.
7 Schlussbetrachtung: Homer und die polis
201
Dennoch zeigte sich auch im nachfolgenden fünften vorchristlichen Jahrhundert eine entschieden aristokratische, eben distinktive Form der Homerrezeption im Rahmen der pindarischen Epinikien. Diese findet gleichfalls, wenigstes im Rahmen der hier betrachteten achten Isthmie, im öffentlichen Rahmen der polis Ägina statt. Dabei verknüpft das pindarische lyrische Ich geschickt das homerische Paradigma Achill mit seinem Analogon, dem laudandus Kleandros. Verbindendes Scharnier ist das ἀνορέα-Ideal, das sowohl Achill als auch Kleandros, darüber hinaus aber auch alle Ägineten als Aiakiden qua origine teilen würden. Auf diese Weise erhebt das Enkomion nicht nur den Sieger Kleandros, sondern ebenfalls das gesamte oligarchisch verfasste Ägina. Auch während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts diente insofern Homerisches der Schärfung eines aristokratischen Bewusstseins, und zwar vorzugsweise in denjenigen poleis, in denen sich die Aristokratie entgegen einem anderweitig feststellbaren, generellen „Trend zur Isonomie“3 politisch wie kulturell zu halten imstande war. Neben diesem aristokratischen, auf soziale Distinktion abzielenden Strang der Homerrezeption findet sich ein zweiter. Bereits während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts zielen Kallinos und Tyrtaios mithilfe von Homerbezügen darauf ab, die Reihen ihrer aristokratischen Zuhörerschaft zu schließen, um jeweils elementaren, kriegerischen Gefahren zu begegnen. Der Epheser füllt angesichts der Kimmeriergefahr im kleinasiatischen Ionien den genuin aristokratischen time-Begriff neu auf, indem er auf den Patriotismus des homerischen Hektor verweist. Wer im Zweifel sein Leben der polis opfert, sei den homerischen Helden ideell gleichgestellt und erhalte folgerichtig die Ehren der Stadt. Ähnlich argumentiert der Spartiate Tyrtaios während des sog. Zweiten Messenischen Kriegs, der seinen zentralen Aufruf, sich für das ξυνὸν ἐσθλόν einzusetzen, ebenfalls mit einem Rekurs auf den homerischen Hektor begründet. Nur wer notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens den Ruhm der polis mehre, erwerbe κλέος, werde im Rahmen städtischer Erinnerung unsterblich (ἀθάνατος) und ziehe auf diese Weise mit den homerischen Helden gleich. Beide Dichter, Kallinos und Tyrtaios, beziehen sich gerade in ihrer adhortativen Agitation auf die innerhalb ihres jeweiligen aristokratischen Publikums bestens bekannten homerischen Wertkategorien, um diese in Richtung einer neuen polis-Ethik umzudeuten. Denn eigentlich widerspricht dieses bürgerschaftsorientierte Denken der homerischen Wertewelt, deren politisches Zentrum immer noch der oikos gewesen ist. An solch einer rationalen Sichtweise waren Kallinos und Tyrtaios allerdings nicht interessiert. Stattdessen kam es ihnen auf den argumentativen Effekt an: Mit dem Rekurs auf bestens Bekanntes suchten sie das Denken ihrer Zuhörer in neue Bahnen zu lenken. Homerisches erscheint in diesem Zusammenhang als politisches Instrument einer im engeren Sinne politischen Avantgarde bürgerschaftsorientierter Aristokraten. Nach allem, was man aus den kallineischen und tyrtaiischen Elegien herauslesen kann, ist der Performance-
3
Nach Ch. MEIER 1980, 51.
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7 Schlussbetrachtung: Homer und die polis
ort dieser frühen bürgerschaftsorientierten Homerrezeption noch das aristokratische Symposion. Dies scheint sich nun während des folgenden sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, wenn auch noch zaghaft, zu verändern. So hat es einiges für sich, dass der wandernde Kitharöde Stesichoros seine umfassenden homerischen Narrative in den westlichen Kolonien, mit denen er testimonisch in Verbindung gebracht wird, vielleicht auch in Sparta jeweils interessierten, breiteren Öffentlichkeiten dargeboten hat. Immerhin boten diese Bürgerschaften aufgrund ihrer im Vergleich zur restlichen griechischen oikumene relativ fortgeschrittenen sozialen wie politischen Konsolidierung überhaupt die strukturellen Voraussetzungen für die Durchführung öffentlicher Aufführungen. Mit Stesichoros träte demnach der demos zum ersten Mal als eigenständiger Rezipient des Homerischen auf; homerisches Wissen würde sich auf diese Weise über aristokratische Kreise hinaus verbreiten. Die Belege für diese Annahmen sind allerdings dünn. Jedoch passte eine solche Sichtweise zum großen Ganzen. Denn ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert ist mit der simonideischen Plataiai-Elegie zweifelsfrei gesichert, dass Homerisches herangezogen wurde, um die Heroizität aller Plataiomachoi jenseits sozialer Schranken zu demonstrieren. Im Überschwang des als wundersam empfundenen Sieges des Hellenenbundes gegen die übermächtige persische Streitmacht setzt das simonideische lyrische Ich Danaer und Troiakämpfer, als historisch empfundene mythische und rezente Vergangenheit gleich. Verbindendes Glied zwischen diesen beiden Ebenen ist unsterblicher Ruhm (κλέος ἀθάνατον). Betrachtet man die Gesamtkomposition der Plataiai-Elegie, so wird deutlich, dass sich das simonideische lyrische Ich selbstbewusst am Höhepunkt einer linear verlaufenden Heldengeschichte wähnt, welche die Troiakämpfer initiiert und welche die Plataiomachoi egalisiert, wenn nicht übertroffen hätten. Gerade am Beispiele der simonideischen Plataiai-Elegie wird deutlich, dass das vormals aristokratisches Denken auf zweierlei Weise in Richtung des gesamten demos umgedeutet wird: Dies betrifft zuerst die Öffnung des κλέος-Begriffs. Unsterblicher Ruhm ist nicht mehr allein den homerischen Halbgöttern oder ihren aristokratischen Brüdern im Geiste vorbehalten. Gleiches betrifft die Öffnung des genealogischen Denkens. Nicht allein aristokratische ἡγεμόνες, sondern der gesamte demos kann nunmehr sich in einer Reihe mit den homerischen Vorbildern wähnen, ja sogar letztere in Sachen κλέος übertrumpfen. Mit der Verschiebung der politischen Machtverhältnisse in Richtung des demos, die vielerorts vor den Perserkriegen eingesetzt und mit diesen zusätzlichen Schwung erhalten hat, verlagert sich demnach die Rezeption des Homerischen in Richtung Bürgerschaft: Homer wird im wahrsten Wortsinn populär4. Hierin offenbart sich die Antwort auf die Leitfrage dieser Studie: Ab den Perserkriegen ist 4
Vielleicht ist es vor diesem Hintergrunde kein Zufall, dass in diese Zeit die ersten biographischen Überlegungen zur Person Homers reichen; vgl. nach wie grundlegend JACOBY 1933, 7–9 und 13 mit Anm. 1 sowie PFEIFFER 1978, 25–27; zusammenfassend VOGT 1991, 367–369.
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Homerisches endgültig Teil des Rezeptwissens breiterer Gesellschaftsschichten und konstitutiver Baustein deren Wir-Gefühls geworden. Die Wurzeln dieses Vorgangs liegen allerdings in den Entwicklungen in politicis des archaischen „age of experiment“5 mit seinen aristokratischen, tyrannischen und bürgerschaftlichen Verwicklungen. Vergegenwärtigt man sich nämlich die gesamte Tradition der Homerrezeption vom homerischen Demodokos bis hin zur Plataiai-Elegie, so wird augenscheinlich, wie sehr dieses kulturelle Phänomen von seinem sozio-politischen Kontext abhängt. Man kann diesen Aspekt allerdings auch von einem anderen Blickwinkel aus betrachten. Nicht nur ist die Verbreiterung der Homerrezeption von den soziopolitischen Entwicklungen während der Archaik abhängig. Umgekehrt trägt die zunehmende Teilhabe breiterer sozialer Schichten in Homericis ebenso zur fortschreitenden „Verstaatlichung der griechischen polis“6 bei. Dieser Gedanke wird insbesondere in der Umdeutung des kleos-Begriffs – weg von einem Mittel aristokratischer Distinktion hin zu einem Vehikel bürgerschaftlicher Integration – offenkundig. Die Verbreiterung der Homerrezeption und die Genese der polis gehen insofern nicht nur parallel, sie bedingen sich letztlich gegenseitig. Zentral in diesem Zusammenhang ist die Verschiebung homerischer Performances von der Abgeschiedenheit aristokratischer Symposien hin in Richtung bürgerschaftlicher Feste. Auch wenn wohl ursprünglich eine öffentliche Homerrezeption wie im Rahmen der pythisch-delischen Spiele der Untermauerung tyrannischer Vorherrschaft gedient hat, so trägt spätestens ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert die Darbietung von Homerischem im Fest zur kulturellen Selbstvergewisserung griechischer poleis bei. Die Rezeptionsgeschichte des Homerischen ist daher auch immer seine intentionale Geschichte. In diesem Punkt liegt das zentrale inhaltliche Ergebnis dieser Studie. Daneben zeigt gerade die Änderung von Veranstaltungskontexten und die damit verbundene Verschiebung von Rezeptionsschwerpunkten, wie wirkungsvoll pragmatisch orientierte Fragestellungen nach dem Ort und den Trägern homerischer Performances das geschichtswissenschaftliche Konzept intentionaler Geschichte ergänzen können. Schließlich ergeben sich aus der Feststellung, dass Homerisches stets ein Vehikel archaischer Machtpolitik darstellt, Auswirkungen auf das Homerbild. Denn wenn es mit guten Gründen richtig ist, dass die soziale Verbreiterung von Homerrezeption einerseits und die gesellschaftliche Zunahme politischer Partizipation andererseits sich wechselseitig bedingen, so hat dies einige Konsequenzen auf die Qualifizierung Homers als Dichter par excellence. Latacz hat zwar grundsätzlich recht, wenn er auf die „zeitunabhängigen Qualitäten“7 der homerischen Dichtungen verweist: Die Epen spiegeln in literarischer Weise mit ihrer Glorifizierung unfassbaren Leids und unendlicher Liebe anthropologische Grunderfahrungen wider, die sie noch dazu in berüh5 6 7
Nach SNODGRASS 1980. MARTIN 1976, 155. LATACZ 1985, 29.
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render Bildlichkeit darzulegen wissen. Und dennoch greift die apodiktische Attribuierung dieser literarischen Qualitäten als „zeitunabhängig“ zu kurz. Die Epen bieten nämlich sowohl in der Überhöhung des aristokratischen Ideals, stets „der Beste“8 zu sein, als auch in der Pointierung eines gemeinschaftsorientierten Hektor literarische Angebote, die in ganz konkreten historischen Situationen aufgegriffen werden konnten. So fanden sich Aristokraten, Tyrannen und später ganze Bürgerschaften im κλέος der homerischen Helden wieder und trugen dadurch maßgeblich zur Verbreitung der Epen bei. In ihrer Fähigkeit, dem Machtstreben unterschiedlicher sozialer Gruppen während der archaischen Umbruchszeit eine Legitimationsbasis zu verschaffen, liegt daher ebenfalls eine Ursache für den übergreifenden Erfolg der homerischen Dichtungen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der Erfolg der Epen ganz im Gegenteil und in hohem Maße zeitabhängig: Ihre umfassenden literarischen Angebote in Bezug auf soziales Handeln treffen auf die Rezeptionsnachfragen der wechselnden archaischen sozio-politischen Akteure. Letztere befeuerten demnach, gerade weil sie oft genug in hohem Maße widerstrebende Ziele verfolgten, jederzeit die Wirkmächtigkeit der homerischen Epen. Es ist daher nicht mit Xenophanes so, dass alle gleichermaßen und schon immer nach Homer gelernt hätten. Vielmehr waren Träger, Orte und Modi der Homerrezeption von den wechselhaften sozio-politischen Entwicklungen während der griechischen Archaik abhängig. Eigentlich müsste es heißen: Von Anfang an war Homerisches eine Konstituente archaischer Machtpolitik.
8
Hom. Il. VI 208.
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GIULIANI 2003 GOODY/WATT 1986
GOSTOLI 1998 GRAZIOSI 2002 GRAZIOSI 2004 GREENBLATT 1980 GREENBLATT 1988
GRETHLEIN 2006 GRETHLEIN 2010 GRIFFIN 1982 GROTE 1851 GRUNDY 1901 GSCHNITZER 1981 GUARDUCCI 1967 HÄGG 1983 HAJNAL 2003
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–, Studies in the Text and Transmission of the Iliad. München et al. 2001. M. L. WEST 2010 –, Rhapsodes at Festivals, in: ZEP 173 (2010), S. 1–13. M. L. WEST 2015 –, Epic, lyric, and lyric epic, in: FINGLASS/KELLY 2015a, S. 63–80 . St. WEST 1988 St. WEST: The transmission of the text, in: A. HEUBECK et al. (Hgg.): A Commentary on Homer’s Odyssey, Bd. 1. Oxford 1988, S. 33–48. H. WHITE 1973 H. WHITE: Metahistory. The Historical Imagination in 19th-Century Europe. Fortieth-Anniversary Edition [1973] 2014. H. WHITE 1986 –, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Einf. von R. KOSELLECK. Aus dem Amerik. von B. BRINKMANN-SIEPMANN und Th. SIEPMANN. Stuttgart 1986. H. WHITE 1987 –, Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie, in P. ROSSI (Hg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt/Main 1987, S. 57–106. M. WHITE 1954 M. WHITE: The Duration of the Samian Tyranny, in: JHS 74 (1954), S. 36–43. WIESEHÖFER 2013 J. WIESEHÖFER: Greeks and Persians, in: RAAFLAUB/WEESE 2013, S. 162–185. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1884 U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF: Homerische Untersuchungen (Philologische Untersuchungen 7). Berlin 1884. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1893 –, Aristoteles und Athen, Bd. 2. Berlin 1893. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1900 –, Die Textgeschichte der griechischen Lyriker (Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.- Hist. Kl. N.F. 4, 3). Berlin 1900. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1906 –, Panionion, in: SB Berlin (1906), S. 38–57. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1909 –, Nordionische Steine. Mit Beiträgen von Dr. P. JACOBSTHAL (Abhandl. d. Preuß. Akademie d. Wissenschaften 1909). Berlin 1909. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1912 –, Mimnermos und Properz, in: SB Berlin 1912, I, S. 100–122, Repr. in: ders. 1913, S. 276–304, hiern. zit. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1913 –, Sappho und Simonides. Berlin 1913. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1922 –, Pindaros. Berlin 1922. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF 1931 –, Der Glaube der Hellenen, Bd. 2. Berlin 1931 f. WILKE 1997 B. WILKE: Vergangenheit als Norm in der platonischen Staatsphilolosophie. (Philosophie der Antike 4). Stuttgart 1997. WOLF 1795 F. A. WOLF: Prolegomena ad Homerum sive de operum Homericorum prisca et genuia forma variisque mutationibus et probabili ratione emendandi, Bd. 1. Halle 1795. WOODBURY 1985 L. WOODBURY: Ibycus and Polycrates, in: Phoenix 39, 3 (1985), S. 193–220. WREDE 1985 H. WREDE: Die antike Herme, Bd. 1. Mainz 1985. YOUNG 1973 D. C. YOUNG: The Text of Pindar Isthmian 8.70, in: AJPh 94, 4 (1973), S. 319–326. ZANETTO 2004a G. ZANETTO (Hg.): Momenti della ricezione omerica. Poesia arcaica
8.2 Forschungsliteratur
ZANETTO 2004b ZIMMERMANN 2006
e teatro. Giornate di studio de Dottorato di Ricerca in Filologia, Letteratura e Tradizione Classica. Milano, 9–10 febbraio 2004. Dipartimento di Scienze dell’Antichità (Acme 67). Mailand 2004. –, Omero e l’elegia arcaica, in: ders. 2004a, S. 37–50. M. ZIMMERMANN (Hg.): Der Traum von Troia. München 2006.
239
9 Indices 9.1.1 Lyrische Quellen Alkaios fr. 42 V 87f. fr. 44 V fr. 69 V fr. 70 V fr. 129 V fr. 283 V fr. 332 V fr. 401b V
87 87 87 87 87 87 96 Alkman
fr. 1 Calame fr. 8 Calame fr. 9 Calame fr. 11 Calame fr. 129–131 Calame fr. 134c Calame
84 52, 53 84 53, 84 84 84
Archilochos fr. 19 W2 fr. 303 W2
52 62 Hesiod
eh. fr. 205 West op. 38f. op. 109–126 op. 156–178
194 38, 49, 165 35 38, 67, 73, 81, 130, 180
op. 221 op. 225–247 op. 264 op. 298–318 op. 639f. op. 654–659 theog. 1–7 theog. 22f.
38, 49 39 38, 49 39 39 90 129, 130, 181 130, 181 Homer
h. 6; 10; 25; 27; 28; 30 Hymn. III Allen-Halliday-Sikes Il. I 1–7 Il. I 463 Il. II 107 Il. II 248–252 Il. II 365 Il. II 484–493 Il. II 494–759 Il. II 816–877 Il. III 50 Il. V 1–909 Il. VI 208 Il. VII 180 Il. IX 36 Il. IX 44 Il. IX 141 Il. IX 189 Il. IX 490–508 Il. IX 524f. Il. XI 682–693
179 62, 93, 124, 140– 145, 147 130, 179, 181 69 139 73 74 129 41, 127 41, 42, 43 81 54 81, 89, 204 139 69 139 139 14, 46 39 192 73
241
9.1.1 Lyrische Quellen
Il. XII 310ff. Il. XIII 202 Il. XIV 394–401 Il. XV 494–499 Il. XVI 262 Il. XX 303–308 Il. XX 385 Il. XX 403ff. Il. XXI 275ff. Il. XXII 359 Od. I 123–424 Od. III 286ff. Od. IV 15–17 Od. IV 72f. Od. VII 32 f. Od. VII 136 Od. VII 195 Od. VIII 40–42 Od. VIII 72–85 Od. VIII 100–416
67 69 80 66, 81 81 43 43 43, 51 180 180 47, 48 139 47 47 13 39 39 13, 45 31, 45, 143 14, 31, 45, 46, 135, 137 13, 46, 47 13 13, 31, 32, 34, 46, 47, 143, 192 13, 46 80 136 13, 46 35 35 72 47 135, 137 39
Od. VIII 417–456 Od. VIII 457ff. Od. VIII 486–586 Od. IX 16–20 Od. IX 105ff. Od. XII 322–328 Od. XIII 1–15 Od. XIII 72–78 Od. XIII 486–498 Od. XV 193 Od. XXII 109ff. Od. XXIII 143–149 Od. XXIV
134 93, 124, 125–135, 147 Kallinos
fr. 1 G.-P. fr. 3 G.-P. fr. 4 G.-P.
68 62 Mimnermos
fr. 3 G.-P. fr. 21 G.-P. fr. 22 G.-P. fr. 23 G.-P.
51, 60, 72–76 52, 71 52, 63, 71, 74 63, 74 Pindar
fr. 1 Snell/Maehler fr. 125 Snell/Maehler I. 8 N. 2, 1 N. 5, 9 N. 6 O. 8, 20 P. 4, 277 P. 7 paian. VIIb
194 84 184–197 58 194 80 194 62 167 134
Sappho fr. 32 V fr. 98a V
52 52 Simonides
fr. 10 W fr. 11 W2 fr. 12–17 W2 fr. 564 PMG
176 15, 134, 155, 175–184 176, 177, 182 62, 136
2
Solon
Ibykos fr. 288 Page PMG 282
test. 7 G.-P. test. 10 G.-P.
60, 64–70, 79 63, 68 63, 68, 72
fr. 2 G.-P.
99, 103 Stesichoros
fr. 15 PMGF fr. 216 PMGF
136 139 Terpander
test. 1. Gost.
84
242
9 Indices
Theognis frr. 39–52 W frr. 53–68 W2 frr. 237–243 W2
88 88 68, 69
2
Varia Anth. Pal. 7, 75 PMG 893 PMG 895f. XL FGE
136 27, 93, 113, 162–164 27, 93, 113, 162–164 183
9.1.2 Erzählende Quellen Aristoteles und [Aristoteles] fr. 558 Rose fr. 611 Rose fr. 637 Rose poet. 1450af. pol. 1273b 53–1274b 21 pol. 1289b 39 pol. 1291b pol. 1305a 37–1306b 1 pol. 1306b pol. 1310b 12–31 pol. 1311b pol. 1315b 12–20 pol. 1319b 19–27 rhet. 1375b 30 rhet. 1393b rhet. 1394b-1395a Ath. pol. 1 Ath. pol. 14f. Ath. pol. 16 Ath. pol. 17 Ath. pol. 18 Ath. pol. 19 Ath. pol. 20 Ath. pol. 21 Ath. pol. 22 Ath. pol. 23, 3–24, 3 Ath. pol. 29 Ath. pol. 41, 2
159 171 118 20 167 171, 173 195 159, 171, 173 81, 83 121 87 121 163, 168 107f. 136 136 104, 167 104, 159, 171, 172, 173 112, 121, 169 104, 105, 159 114, 15 162, 168 168 168, 169 169, 170, 197 179 163, 168 167
Cicero de orat. III 137
106, 107
Demosthenes und [Demosthenes] 19, 252 19, 255 61, 49
104 104 104 Diogenes Laertios
I 49f. I 74f. I 79 I 95 I 110–113
100 87, 97 97 97 104 Eusebios
chron. Karst 32f. chron. Karst 106 chron. Karst 151 chron. Karst 188f. chron. ol. 35 Karst 92 chron. ol. 36 Karst 92
130 131 130 130 104 97
Hellenistische Grammatiker Eust. ad Hom. Il. B 557 Schol. A ad B 553 Schol. A ad Γ 230 Schol. B ad B 557 Schol. T ad X 1 Schol. Pind. I. 8 ad 12a; b; 17a; b; 30a Schol. Pind. Ol. 12
106 106 106 106 106 192 136
Herodot I 3, 1 I 6–28 I 59–65
12 52, 74 83, 103, 104, 121, 122, 159, 167, 169, 173
243
9.1.2 Erzählende Quelle
I 94 I 141 I 142–146 I 148 I 150 II 7, 1 II 178 II 182 III 39–44 III 48 III 53 III 80–82 III 120–125 III 140–151 IV 83–142 IV 137f. IV 152 V 11 V 23f. V 30–37 V 38, 2 V 49–51 V 55–57, 1 V 62, 1–67 V 68 V 69 V 70–73 V 74–77 V 78f. V 80, 1 V 90–94 V 94f. V 96 V 97 V 99–102 VI 1, 2 VI 5, 1f. VI 9, 2 VI 30 VI 87–94, 1 VI 100f. VI 121, 1 VI 123f. VI 125 VI 126–131
52 52 50, 51 51 51 115 195 132 97, 131, 132, 160 97 97 161 115, 133, 143 133, 161 158 160 195 158, 160 159 156, 158, 159, 160, 166, 173, 174, 195 160, 174 156, 157, 158, 174 27, 93, 113, 121, 163 92, 120–122, 146, 162, 168, 169 120 163, 168, 169 104, 167, 168, 195 168 161, 168, 195 192 99, 148, 161, 168 92, 95–99, 146, 148 160 156, 157 157 160 161 160, 174 159 195 173 168 167, 168 167 121, 167
VIII 46, 1 IX 15, 2 IX 16, 1
194 192 192
Kleinere Historiographen (FrGrHist) 1 F 11 1 F 19 1 F 26 2F2 4F5 4 F 20 70 F 176 239 A 27 244 F 27a 328 F 30 485 F 6 486 F 1 486 F 2 486 F 4 487 F 1 568 F 5
51 12 12 61 61 58, 61 194 51 96 169, 197 100–106, 117, 146 105 106 99, 100–106 106 58, 143 Isokrates
IX 28 Paneg. 159
116 117, 118f. Livius
I 1 12 Lykurgos von Athen Leokr. 102
118f. Pausanias
I 8, 5 II 29, 5 IV 15, 1ff. V 8, 7 VI 19, 2 VII 3, 1–3 VII 10, 2 IX 11, 2
164 194 83 73 121 73 173 136
244
9 Indices
Platon und [Platon] Charm. 157e Hipparch. 225a-228a Hipparch. 228b-229d Hipparch. 232a-c Ion Ion 530a-531a
115 112 109–120, 146 112, 113 58 116, 143
Plutarch und [Plutarch] Arist. 7 de mus. 7 mal. Her. XXII 659D mor. 510b mor. 858a Per. 13, 6 Sol. 2 Sol. 4 Sol 6 Sol. 8, 2 Sol. 9 Sol. 10 Sol. 11 Sol. 12 Sol. 30
197 136 98 173 87 117 104 104 104 99, 103 99, 103 103, 105 104, 167 104, 159, 167 159
Strabon VIII 6, 16 XIII 1, 3 XIII 1, 31f. C 595 XIII 1, 38f. XIII 1, 39 C 600 XIII 2, 3 VIII 4, 10 IX 1, 10 XIV 1, 4 XIV 1, 16 XIV 1, 35
194 87 19 87, 97 19 97 82 106 72 116 58 Suda
s. v. Ibykos Adler 80 130–133 s. v. Πύθια καὶ Δήλια Adler 3128 143f. s. v. Simonides Adler 439 175
s. v. Stesichoros Adler 1094f. s. v. τρία Στησιχόρου Adler 943
136 137
Thukydides I2 I5 I 9, 3 f. I 9–11 I 13 I 18, 1 I 20, 1 f. I 22, 3 I 96 I 126f. II 34 III 57 III 104 VI 53, 3–60, 1
50 195 12 12 131, 142, 145 83 27, 93, 113, 114, 163 23 179 104, 122, 159, 167 81 183 142, 144 27, 93, 99, 112, 113, 114, 115, 121, 148, 162, 168, 169 160
VI 69, 4
Vorsokratiker DK 8 B 1 DK 21 B 3. DK 24 B 4 DK 21 B 10 DK 21 B 11 DK 22 B 42 DK 22 B 56 Xenophan. fr. 3 G.-P.
29 53 164 11, 28, 62 28 28, 62, 92 28, 62 53
Varia Aesch. in Cte. 186 Ain. takt. 4, 8–12 Anonymus Περὶ ῎Υψους 13, 3 Certamen 13–15 Allen Clem. Alex. strom. I 65, 2 Dion. Hal. Comp. 24 Erat. Geogr. fr. 1 A 20 Berger
183 103 136 58 131 136 12
245
9.2. Sach- und Namensindex
Frontin. strat. 2, 9, 9 Herakl. Pont. fr. 157 Wehrli Hier. chron. a. Abr. Ol. LIX Helm, 103b Him. or. 29, 22–31 Iust. 2, 8, 1–5 Kritias VS 88 B 25 Kyrill. c. Iulian. I 13 Migne, 521b Phot. lex. Naber I 52 Phot. s. v. Πύθια καὶ Δήλια Theodoridis 299 Plin. NH 34, 17 Pol. IV 31, 5 Poll. IX 199 Bethe II 275
103
Polyain. I 23, 2 POxy XI 1365 Quintilian instit. Orat. V 11, 40 St. Byz. s. v. Matauros Vitr. 4, 1, 4
136 131 132 103 12
131 121 107 136 51
9.1.3 Dokumentarische Quellen
131 136
IG I31023 IG XII Suppl. 549 IG XII 9, Nr. 1273f. I-III Liverpool, National Gallery 56.19.18 ML., Nr. 6c ML., Nr. 8
143 164 192 136
115 171f. 172f. 117 167 164–166
9.2. Sach- und Namensindex Achill 11, 15, 19, 31, 35, 87, 152, 178–184, 190– 192, 195–197, 201 Achilleion 95, 96 Alkinoos 13 f., 31 f., 38 f., 45–47, 55, 199 Alkmaioniden 104, 121, 163, 167, 168, 171 Aoide 13, 16, 45, 47–49, 55, 90, 151 Apollon-Hymnos 24 f., 58, 62, 93, 94, 124 f., 140–145, 147, 153 f., 200 Archaik 17, 24–26, 30, 37, 39–42, 54, 55 f., 58–60, 60, 63, 84, 88 f., 90 f., 144, 145, 158, 170 f., 174, 184, 195, 203 f. Aristagoras 156–161, 164, 166 f., 170, 174 Aristokratie 14 f., 17, 29, 38 f., 54 f., 85 f., 88, 90 f., 116, 122, 145, 147, 149 f., 152 f., 155, 158, 163–167, 170, 172, 173, 184, 195, 196 f., 197 f., 199, 201 Assmann, Aleida und Jan 12, 16, 17, 21 f., 27, 36 f., 149 Athen 13, 18 f., 27, 59, 92, 94, 112 f., 116, 123 f., 143, 146, 148, 154, 156, 157, 158, 159, 162–164, 166, 167–170, 171, 173 f., 183, 195, 197, 198, 200 - Krieg mit Megara um Salamis 99–108 - Krieg mit Mytilene um Sigeion 95–99 Bierl, Anton 20 f. Chios 50 f., 59, 61 f., 89, 138, 142, 143 f.,154, 158, 164–166, 174
dais 13 f., 46 f. Delia 18, 94, 124, 142 f., 144 f., 148 f., 153 Demodokos 16, 31 f., 35, 45–47, 55, 70, 90, 135, 137, 147, 151, 182, 196 f., 203 Demodokos-Episode 13–15, 18, 31–35, 41, 44, 45–48, 49, 50, 53 f., 55 f., 62, 69, 76, 89, 123, 151, 199 f. Demokratie 156, 161, 163, 166 f., 168 f., 170, 172, 174 demos 16, 59, 67 f., 70, 73, 75, 79, 81, 85 f., 87 f., 90, 93, 96, 99, 116, 119 f., 121 f., 123 f., 138 f., 145–149, 152–154, 155, 159–161, 165–167, 168, 170 f., 174 f., 182–184, 195, 197, 199 f., 202 Distinktion 14, 16, 29, 47, 75, 80, 86, 88, 91, 134 f., 147, 152, 199 f., 201, 203 emplotment 28 Enkomion 134, 137, 145, 147 f., 190, 191, 193, 201 Epinikion 184 f., 191, 193 f., 195–197, 198, 201 Eretria 154, 156 f., 158, 170–173, 174 Fest 18, 21, 23, 27 f., 45, 47, 48 f., 59 f., 61, 69, 71, 84, 89, 90 f., 92, 108, 139, 142, 143, 145, 149, 190, 194, 203 floating gap 27, 36 Formativität, formative Texte 12, 16 f., 199 Gehrke, Hans-Joachim 16, 17, 21–23, 57
246 hellenistische Grammatiker 25, 33, 58 f., 106 Hegesistratos 95 f., 98, 99 Herodot 19, 24 f., 50–52, 60, 76, 83, 92, 94 108, 115, 146–150, 154, 173, 174, 176, 194 f. - Darlegung der polykrateischen Herrschaft auf Samos 131–33 - Darlegung der antiargivischen Kulturpolitik in Sikyon 120–22, 123, 153, 200 - Darlegung der athenischen Auseinandersetzungen um Sigeion 95– 99, 103 f. - Darlegung des Ionischen Aufstands 156– 164, 166 f., 174, 183 - Darlegung der kleisthenischen Reformen in Athen 167–170, 174 - Darlegung des Tyrannizids 27, 93, 113 f. Hipparchos 27, 93, 109–120, 123, 146, 148, 163 Hippias 95, 99, 111, 113 f., 160, 163, 168 Histiaios 156, 158–161, 167, 173 Homer und Homerisches - Biographisches zu Homer 61 f. - De f.nition der Begrifflichkeiten 28–30 - historische Auswertbarkeit der homerischen Epen 14, 32–41, 44 f. - Homerinterpolation 92, 102, 105 f., 107, 108, 123, 146 - Homerische Frage 29, 35 f., 92 f. - Homerkritik im Altertum 12 - Homerredaktion 92, 106 f. - moderne kulturelle Relevanz 11 f. - chronologische und geographische Verortung der Epen 39–44, 63 f. Homeriden 58 f., 60, 61 f., 89, 90, 153 Homerrezeption 17–20, 23, 24–28, 29 f., 58–60, 61, 64, 89–94, 108 f., 119 f., 124 f., 155, 203 f. - aristokratische H. 14 f., 29 f., 55 f., 57, 75 f., 85 f., 87 f., 89, 91, 94, 147, 151–153, 182, 195– 197, 197 f., 199 f., 201 - bürgerschaftliche H. 16, 29 f., 70, 81 f., 85 f., 90 f., 92 f., 94, 103, 116, 119, 120 f., 123, 139, 146–150, 152–154, 182–184, 197 f., 201–203 - tyrannische H. 19, 92 f., 94, 118, 122, 123 f., 133–135, 145, 147–150, 153, 200, 203 - bei Alkaios 87 f.
- bei Kallinos 66–70, 85 - bei Ibykos 128–130, 133 f. - bei Mimnermos 73–76, 87 - bei Pindar 191 f. - bei Simonides 179–181 - bei Stesichoros 135–137 - bei Tyrtaios 80–82, 85 - in Homer 45–49, 53–55 Ibykos 24 f., 124, 125–128, 130–133, 135, 145, 147 f., 153, 182, 193, 196 f. Intentionalität, intentionale Geschichte, intentionale Homerrezeption 16, 21–23, 29, 49, 55 f., 68, 70, 73, 82, 86, 88, 96, 119, 120, 122, 123, 130, 139, 145, 148, 151 f., 155, 181, 184, 192, 198, 199, 203 kleinasiatisches Ionien 14, 18, 41, 44, 50– 53, 54 f., 55–57, 59, 151 f., 156 f., 161, 167, 201 Ionischer Aufstand 27, 156–160, 164, 166 f., 173–175, 192 Isagoras 168, 170 Isonomie 113, 149, 156, 158, 160–164, 167, 170, 174, 198, 201 Kallinos 25, 26, 56, 60, 63, 64–66, 68–70, 79, 82, 85 f., 88, 90, 119, 152, 201 Kallisteia 18 Kimon 183 Kleisthenes von Athen 162 f., 167–170, 171, 172 Kleisthenes von Sikyon 92, 108 f., 120–122, 123, 127, 146 f., 153, 200, 204 kleos 16, 17, 29 f., 49, 54 f., 81, 86, 129 f., 152, 182, 184, 198, 199, 202–204 - klea andron 14, 15, 16, 17, 46, 47, 48 f., 143, 151 f., 192, 199 - kleos aphthiton 129, 133 f., 135, 153, 200 - kleos athanaton 15, 180 f., 201 f. Kroisos 52, 68, 130 Kylon 104, 108, 122, 159, 167 Latacz, Joachim 12, 16, 25, 37, 40, 203 linguistic turn 20 Literaturbegriff 20 f., 26 Lyder 14, 42, 44 f., 50, 52, 54, 56, 71, 72, 151 Lygdamis 159, 173 Mimnermos 25, 51, 52, 56, 60, 63, 64, 71–76, 85, 87 f., 90, 122, 123 f., 135, 147, 152, 199 f. Nagy, Gregory 12 f., 17–20, 36, 48, 59, 61 f., 93
9.2. Sach- und Namensindex
Naxos 156, 159, 166 f., 173 Nestor 73, 75, 85 Nestorbecher 57 Odysseus 13 f., 16, 18, 31 f., 34, 35, 41, 45–49, 55, 192, 199 oral history 27, 41 f., 44, 49, 55, 61, 149, 151 oral poetry 34, 41, 163 f. Panathenäen, panathenäische Homerrezitation 13, 18, 60, 90, 92 f. 94, 100, 108–112, 114, 116–120, 123 f., 146, 148 f., 200 Panionia 18, 59, 89, 90 f. Peisistratos 92 f., 95–99, 100–108, 110, 117 f., 119, 121, 122, 123 f., 142, 146, 148, 159, 167, 172, 173 Performance 18, 20 f., 23, 55, 57, 68, 70, 84, 85, 137, 139, 147, 153, 181, 182 f., 196, 200, 201 f., 203 Periander 96–99, 107, 123 f., 146, 148 Perser, Perserkriege 15 f., 17, 18 f., 24, 25, 29, 115 f., 155–160, 167, 170, 174 f., 175 f., 179–184, 192, 195, 197 f., 202 f. Pindar 25 f., 58, 61, 80, 89 f., 155 f., 184–197, 198, 201 Polykrates 18, 93 f., 115, 116, 124 f., 130–135, 137, 142 f., 144 f., 147, 148 f., 153 f., 160, 182, 200 Phaiaken 13 f., 16, 31, 38 f., 45–47, 49, 54 f., 199 Phemios 47, 135, 137 Plataiai-Elegie 13, 15 f., 71, 86, 91, 115, 134, 145, 149, 155 f., 175–184, 197 f., 202 f. polis als soziopolitische Institution 20, 39, 54, 67, 70, 73 f., 79 f., 81 f., 83 f., 86, 94, 96, 99, 103, 138, 145, 146 f., 152–154, 165 f., 169 f., 172 f., 174, 182 f., 184, 193, 194 f., 196 f., 199–204 Rezeptwissen 57, 145, 152 f., 200, 203 Rhapsoden 18, 29, 58 f., 60, 89 f., 94, 116–119, 120, 143 f., 144 f., 153, 179
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Sigeion 19, 92, 94, 95–99, 103, 107 123, 148,183 Simonides 13, 15 f., 25, 62, 71, 86, 91, 110, 112, 115 f., 136, 145, 149 f., 155 f., 175–184, 197 f., 202 f. Smyrna 43, 50 f., 52, 53, 61, 63, 71–75, 85, 87, 152, 199 f. Solon 69, 86, 88, 92 f., 100–108, 117, 123 f., 146, 148, 161 f., 166, 167, 169 Sparta 15, 60, 94, 136 f., 139, 147, 149, 153, 156, 157 f., 167, 168, 176, 178 f., 181 f., 202 - Feldzug gegen Samos 97 f., 131. - soziopolitische Ordnung in tyrtaiischer Zeit 76–85, 85 f., 88, 138 - Schiedsgericht im Rahmen des athenischmegarischen Salamiskonflikts 100–105, 106 f., 108, 124 Stesichoros 24 f., 93, 94, 124 f., 135–139, 145, 147, 149, 153 f., 184, 197 f., 202 stoa poikile 183 Suda 25, 130–133, 137, 142 f., 153 Symposion 14 f., 16, 21, 23, 48 f., 52–57, 59 f., 68–70, 71, 74, 75 f., 84 f., 89, 91, 103, 119, 121, 134 f., 139, 147, 151 f., 175, 183 f., 196, 199 f., 201 f., 203 Thukydides 62, 81, 83, 104, 115, 131, 142, 144 f. - Darlegung des Tyrannizids 27, 93, 113 f. Troas, Troia, Troias Fall 12, - als Erinnerungsobjekt 12, 13, 15 f., 17, 19, 46–49, 55–57, 70, 87, 92, 136, 180–184, 198, 199 f. - als geographischer Ort 19, 42 f. , 50, 57, 92, 94–97 - im Rahmen des Epischen Zyklus 31, 35, 40, 42, 66, 127–129, 190, 192 Tyrannizid 27, 93, 113, 162 f., 168 Tyrtaios 60, 63 f., 76–90, 119, 138, 152, 182, 201 Wir-Gefühl 22 f., 59, 145, 169, 199 f., 203 Xenophanes 11 f., 16, 28, 53, 62, 204
Die Dichtungen, die mit dem Namen Homer verbunden werden, haben Ge schichte gemacht. Nach wie vor stellen sie einen wesentlichen Teil des europäischen kulturellen Gemeinguts dar. Umso tief greifender muss ihre Wirkmächtigkeit für die griechische Antike veranschlagt werden. Zu dieser Zeit galt Homer als der Dichter überhaupt und seine – selbst verständlich als historisch erachteten – Helden dienten als Maßstäbe menschlichen Handelns. Warum jedoch wurden diese Dichtungen zum Fixstern eines gesamtgriechischen
ISBN 978-3-515-12349-5
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WirGefühls? Lars Hübners These: Von Anfang an stellte Homerisches eine Konsti tuente archaischer Machtpolitik dar. Hübner kann zeigen, dass die archaische Homer rezeption und die Genese der polis auf das Engste miteinander verwoben sind. Die kulturelle Wirkmächtigkeit der homerischen Epen ist daher nicht nur in ihrer inhaltlichen wie sprachlichen Opulenz begründet. Sie besteht mindestens ebenso in ihrer Eigen schaft, auf die legitimatorischen Fragen in politicis von Aristokraten, Tyrannen und schließlich ganzer Bürgerschaften Antworten geben zu können.
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